Verdummt noch mal! Dumbing Us Down. Der unsichtbare Lehrplan. Was Kinder in der Schule wirklich lernen [1 ed.] 9783934719354

John Taylor Gatto wurde mehrfach zum 'Lehrer des Jahres' New York gekrönt und mit Preisen für seinen außergewö

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German Pages [129] Year 2009

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Table of contents :
Vorwort zur deutschen Erstausgabe
Anmerkung der deutschen Herausgeberin
Über den Autor
Die sieben Lektionen des Lehrers
Die psychopathische Schule
Der grüne Fluss Monongahela
Wir brauchen weniger Schule, nicht mehr
Das Prinzip der Selbstverwaltung. Der Anfang einer Lösung für unser Schulproblem
Nachwort
Für die Ausgabe zum zehnjährigen Jubiläum
Postscript
Anhang
Vorwort zur Jubiläumsausgabe»Zehn Jahre Dumbing Us Down«
Einführung
Anmerkung des Herausgebers zur Ersten Ausgabe
Anmerkungen
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Verdummt noch mal! Dumbing Us Down. Der unsichtbare Lehrplan. Was Kinder in der Schule wirklich lernen [1 ed.]
 9783934719354

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John Taylor Gatto

Verdummt noch mal! Dumbing

Us

Down

Der unsichtbare Lehrplan oder Was Kinder in der Schule wirklich lernen

Mit einem Vorwort von Vera F. Birkenbihl Deutsch von Dagmar Neubronner

Genius Verlag

Alle Rechte vorbehalten Titel der Originalausgabe: Dumbing Us Down Deutsche Erstausgabe © 2009 by Genius Verlag, Bremen www.genius-verlag.de [email protected] Lektorat: Luise Fuchs, Tilman Neubronner Korrektorat: Jan Edel Layout: Tilman Neubronner Cover: Petra Friebel, www.friebelarts.de Druck: Finidr, Tschechische Republik 1. Auflage Juni 2009 ISBN 978-3-934719-35-4

INHALT

Vorwort zur deutschen Erstausgabe

7

Anmerkung der deutschen Herausgeberin

9

Über den Autor

11

Die sieben Lektionen des Lehrers

17

Die psychopathische Schule

34

Der grüne Fluss Monongahela

46

Wir brauchen weniger Schule, nicht mehr

55

Das Prinzip der Selbstverwaltung. Der Anfang einer Lösung für unser Schulproblem

78

Nachwort Für die Ausgabe zum zehnjährigen Jubiläum Postscript

97 105

Anhang Vorwort zur Jubiläumsausgabe »Zehn Jahre Dumbing Us Down«

107

Einführung

111

Anmerkung des Herausgebers zur Ersten Ausgabe

122

Anmerkungen

124

Ich widme dieses Buch meiner Enkelin Gudrun Moss-Gunnarsdotter, deren Name auf Isländisch »Handschrift Gottes« bedeutet, und ihrer Mutter Briseis. Funkelt und leuchtet im Angesicht der Dunkelheit; ihr beide erhellt die Schatten.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN ERSTAUSGABE Von Vera F. Birkenhihl, Autorin von »Trotzdem lehren« und »Stroh im Kopf?«

Als ich in einem Vortrag unter anderem die berühmten sieben »GattoLektionen« (Kapitel 1) präsentierte, verteilten wir vorher »Kotztüten« (wie im Flugzeug) nach dem Motto: Es könnte einem schlecht werden, wenn man begreift, wie Regelschulen die Lernfähigkeit unserer Kinder systematisch untergraben. GATTO bringt die Dinge auf den Punkt. Da er Werbefachmann war, ehe er Lehrer wurde, begriff er die »Machenschaften« aus einer anderen Warte als Lehrer, die von der Schule in den Hörsaal und dann zurück in die Schule gehen. Viele von ihnen haben das reale Leben »draußen« gar nie wirklich kennen gelernt. Und da man ihnen im Studium einredet, die teilweise menschenverachtenden Maßnahmen, die sie als Schülerinnen erlebt hatten, seien pädagogisch wertvoll, werden sie vollends indoktriniert, und dann gilt das Jesus-Wort auch für sie (denn sie wissen nicht, was sie tun). Natürlich gibt es inzwischen auch Schulen, an denen alles anders ist. Mit diesem Buch werden Sie - in der Rolle als Eltern - solche Schulen besser erkennen können, auf dass Sie allabendlich DANKBAR sein mögen, wenn Ihre Kinder in den Genuss dieser kommen können! Manchmal findet man an "normalen" Schulen auch Lehrkräfte, die rebellieren, aber sie werden im System oft ausgegrenzt und fertiggemacht (und gehen dann in die Erwachsenen-Bildung), - von den Lehrern, die GATTO meint; jenen, die überhaupt nicht begreifen, was sie da tun. Wer jetzt denkt, dieses Buch wende sich ausschließlich an Nicht-Lehrerinnen (z.B. Eltern u.a. Interessierte), der irrt. Ich weiß aus unseren Lehrer-Seminaren, dass es immer mehr Lehrkräfte gibt, die einst einen 7

Traum hatten, die mit Idealismus an ihr Werk herangingen und heute selbst äußerst frustriert sind. Solche Lehrerinnen verstehen Gatto. Dieser Mann, der selber 32 Jahre lang Lehrer war, kann ihnen leichter klarmachen, was sie unbedingt wissen müssen, um etwas zu verändern, als dies ein Nicht-Lehrer je tun könnte. Deshalb freue ich mich ungemein, dass dieses GATTO-Werk jetzt auf deutsch erhältlich ist. Vera F. Birkenbihl

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ANMERKUNG DER DEUTSCHEN HERAUSGEBERIN Dagmar Neubronner, Autorin des Buches »Die Freilerner« und Mutter der »bekanntesten Schulverweigerer Deutschlands«

Kritik an der Schule und an der Rolle der Lehrer ist in Deutschland geradezu Volkssport, und eine Schulreform jagt die nächste. Mich hat immer schon frustriert, dass die immense Unzufriedenheit so vieler Eltern (von den Kindern und den Lehrern ganz abgesehen!) fast nie zu der grundsätzlichen Überlegung führt, ob vielleicht mit dem System Schule insgesamt etwas nicht stimmt - und welche Gründe das haben könnte. Unsere Kinder haben mehrere Schulen ausprobiert und sich eines Tages geweigert, dort weiter hinzugehen. Natürlich hätten wir sie zwingen können. Aber wir konnten, je länger wir darüber nachdachten - und beobachteten, wie unsere Kinder sich durch den Schulbesuch veränderten keinen einzigen Grund finden, der einen solchen Zwang gerechtfertigt hätte. Jedenfalls wenn man von der Tatsache absieht, dass in Deutschland heute noch jeder, der es wagt, seine Kinder dem Schulsystem vorzuenthalten, finanziellen Ruin (durch Zwangsgelder), Gefängnisstrafen oder Sorgerechtsentzug riskiert. Trotzdem verwirklichen viele Familien freies Lernen ohne Schule, auch ohne Deutschland zu verlassen, wie wir es tun mussten. Und sehr viele schaffen es, teilweise mit Hilfe verständiger Behördenvertreter, die behördlichen Klippen geschickt zu umschiffen. Nur können sie das nicht öffentlich machen, ohne ihre inoffizielle Lösung zu gefährden, ein unwürdiger und belastender Zustand. Ich hoffe, dass Gattos Buch viele Eltern und Lehrer zu der Erkenntnis bringt, dass unsere Kinder und Enkelkinder nur eine bessere Bildung

bekommen werden, wenn Schule zu einem freilassenden Dienstleistungsangebot in vielfältigen Formen wird. Kunden dieser Dienstleistung sind die Familien - wenn sie das Angebot denn nutzen wollen, und exakt so, wie sie es nutzen wollen. Der Kunde ist bekanntlich König. Unsere Kinder haben das Recht auf individuelle Bildungsvielfalt. Wir sollten ihnen gönnen und ermöglichen, was wir selbst nicht hatten: die Freiheit, unbehindert sie selbst zu werden. Dagmar Neubronner

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UBER DEN AUTOR Ich bin hier, um mit Ihnen über Ideen zu sprechen, aber ich denke, es ist ganz sinnvoll, wenn ich zuerst etwas über mich selbst erzähle, so dass ich ein Mensch wie Sie werde, statt ein weiterer Klugscheißer wie aus dem Fernsehen. Ich weiß, dass ich mich, wenn ich den Kopf des Nachrichtensprechers sehe, manchmal frage: »Wer bist du? Und warum erzählst du mir diese Sachen?« Also möchte ich Ihnen ein bisschen von dem Boden erzählen, auf dem diese Ideen gewachsen sind. Ich habe in den vergangenen dreißig Jahren als Lehrer in New York City gearbeitet, und während eines Teils dieser Zeit Kinder aus der Elite der Manhattan Upper West Side unterrichtet, die zwischen dem LincolnCenter, wo die Oper gelegen ist, und der Columbia University liegt. In den letzten Jahren habe ich überwiegend Kinder aus Harlem und Spanisch-Harlem unterrichtet, deren Leben von den gefährlichen Unterströmungen der zerfallenden Industriestadt geformt wird. Ich habe in diesen Jahrzehnten an sechs verschiedenen Schulen unterrichtet. Meine jetzige Schule liegt im Schatten der St.-Johns-Kathedrale, dem größten gotischen Gebäude der Vereinigten Staaten und nicht weit vom berühmten Museum of Natural History und dem Metropolitan Museum o/Art. Drei Häuserblocks von meiner Schule entfernt wurde vor ein paar Jahren die »Central-ParkJoggerin« (wie die Medienmythologie sie nennt) vergewaltigt und brutal zusammengeschlagen - sieben der neun Angreifer gingen in meinem Bezirk zur Schule. Meine eigene Sichtweise allerdings wurde sehr weit weg von New York City geformt, in der Industriestadt Monongahela in Pennsylvania, sechzig Kilometer südöstlich von Pittsburgh. Damals war Monongahela geprägt von Stahlwerken und Kohleminen, von Raddampfern auf dem 11

Fluss, die das smaragdgrüne Wasser zu einem schrillen Orange aufrührten, und von Respekt für harte Arbeit und Familienleben. Monongahela war ein Platz ohne große Klassenunterschiede, da jeder mehr oder weniger arm war, obwohl ich glaube, dass sich nur sehr wenige dessen bewusst waren. Es war ein Ort, wo Unabhängigkeit, Härte und Eigenständigkeit anerkannt wurden, ein Ort, wo der Stolz auf ethnische und regionale Kultur eine große Rolle spielte. Es war insgesamt ein wunderbarer Platz um aufzuwachsen, auch für arme Leute. Die Menschen sprachen miteinander und nahmen Anteil an den Angelegenheiten der anderen, anstatt an den abstrakten Angelegenheiten »der Welt«. Tatsächlich bedeutete die große weite Welt kaum je mehr als Pittsburgh, eine wundervoll dunkle Stahlstadt, die ein- oder zweimal jährlich zu besuchen sich lohnte. Niemand in meiner Erinnerung fühlte sich an Monongahela gefesselt, ich hörte auch niemanden jammern, er würde irgendetwas Wichtiges verpassen, was eventuell anderswo passierte. Mein Großvater hatte in unserer Stadt die Druckerei inne und gab eine Zeit lang auch die Zeitung The Daily Republican heraus - ein Name, der einige Aufmerksamkeit auf sich zog, denn die Stadt war eine Hochburg der Demokraten. Von meinem Großvater und seiner unabhängigen deutschen Art lernte ich Vieles, was mir, wenn ich in einer Zeit wie heute aufgewachsen wäre, wo alte Leute in ein Heim gesteckt oder außer Sichtweite gehalten werden, vorenthalten geblieben wäre. Das Leben in Manhattan war für mich viele Jahre lang ein Leben wie auf dem Mond. Obwohl ich seit fünfunddreißig Jahren hier bin, sind mein Herz und meine Gewohnheiten immer noch Monongahela verhaftet. Trotzdem hat der Schock über Manhattans ganz andersartige Gesellschaft mit ihren vollkommen anderen Werten meinen Sinn für Unterschiede geschärft und mich nicht nur zu einem Anthropologen, sondern auch zu einem Lehrer gemacht. Während der letzten dreißig Jahre habe ich meine Klasse als Labor genutzt, wo ich ein weiteres Spektrum dessen erkunden konnte, was für Menschen möglich ist - den ganzen Katalog von Hoffnungen und Ängsten - und auch als einen Ort, wo ich studieren konnte, was menschliche Kraft freisetzt und was sie behindert. Während dieser Zeit bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass Genie eine überaus häufige menschliche Eigenschaft ist, wahrscheinlich 12

den meisten von uns angeboren. Ich wollte diese Feststellung zunächst nicht anerkennen, denn meine eigene Ausbildung an zwei Eliteuniversitäten hatte mich gelehrt, dass Intelligenz und Begabung sich ökonomisch über eine Glockenkurve verteilten und dass das menschliche Schicksal aufgrund dieser mathematischen, scheinbar unverrückbaren wissenschaftlichen Tatsachen genauso streng festgelegt war, wie schon John Calvin behauptete. 1 Das Problem war nur, dass die Kinder, von denen ich es am wenigsten erwartete, mir in zufälligen Augenblicken zu häufig Kerneigenschaften menschlicher Exzellenz bewiesen - Einsicht, Weisheit, Gerechtigkeit, Erfindungsgeist, Mut, Originalität -, was mich verwirrte. Sie taten dies nicht oft genug, um mir das Unterrichten zu erleichtern, aber sie taten es doch so oft, dass ich mich zögernd zu fragen begann, ob es möglich war, dass der Aufenthalt in der Schule selbst es war, der ihre Möglichkeiten verringerte. War es denkbar, dass ich nicht angestellt war, um das Potential von Kindern zu vergrößern, sondern zu vermindern? Das schien auf den ersten Blick verrückt, aber allmählich begann ich zu erkennen, dass die Pausenglocken und die Beschränkungen, die unsinnigen Strafen, die Aufteilung nach Jahrgängen, die fehlende Privatsphäre, die beständige Überwachung und all das andere, was landesweit zum Lehrplan gehört, exakt so entworfen waren, als ob es jemand darauf angelegt hätte, Kinder davon abzuhalten, denken und handeln zu lernen, und um sie zu Sucht und Mustern der Abhängigkeit zu drängen. Stück für Stück entwickelte ich Guerillataktiken, um möglichst vielen der von mir unterrichteten Kinder das Ausgangsmaterial zur Verfügung zu stellen, welches die Menschen schon immer benutzt haben, um sich selbst zu bilden: Privatsphäre, Wahlfreiheit, Freiheit von Überwachung und ein so breites Spektrum von Situationen und menschlichen Zusammenkünften, wie meine begrenzten Kräfte und Ressourcen es ermöglichen konnten. Ich versuchte ganz einfach, sie in Positionen zu manövrieren, in denen sie eine Chance hatten, ihre eigenen Lehrer zu werden und selbst den Hauptanteil an ihrer Bildung zu übernehmen. In theoretischen, metaphorischen Begriffen begann ich die folgende Idee zu erkunden: Dass Lehren nicht der Malkunst gleicht, wo durch Hinzufügung von Material auf eine Oberfläche ein Bild künstlich hergestellt 13

wird, sondern mehr der Kunst der Bildhauerei, wo Wegnahme von Material einem bereits im Stein eingeschlossenen Bild ermöglicht zu erscheinen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Mit anderen Worten: Ich ließ die Vorstellung fallen, dass ich ein Experte war, dessen Job darin bestand, die kleinen Köpfe mit meinem Wissen zu füllen, und begann stattdessen zu erkunden, wie ich die Hindernisse beseitigen konnte, die das in den Kindern vorhandene Genie darin hinderten, sich zu entfalten. Ich fühlte mich nicht länger wohl dabei, meine Arbeit so zu definieren, dass ich im Klassenzimmer Weisheit in ein widerspenstiges Publikum träufelte. Obwohl ich bis heute weiter diese sinnlosen Tests schreiben lasse, weil das nun mal im Wesen des institutionalisierten Lernens liegt, habe ich - wo immer möglich - mit der Unterrichtstradition gebrochen und die Kinder auf ihre eigenständigen Wege zu ihren eigenen privaten Wahrheiten geschickt. Die Soziologie von staatlichen Monopolschulen hat sich in einer Weise entwickelt, dass ein Vorgehen wie meines die gesamte Institution sabotieren würde, wenn es sich ausbreitete. Solange dies nicht geschieht, ist ein einzelner Lehrer, der eine ähnliche Entdeckung macht wie ich, schlimmstenfalls eine Störung für die Befehlskette (die automatische Abwehrmechanismen entwickelt hat, um solche Bazillen zu isolieren und sie dann zu neutralisieren oder zu zerstören). Aber wenn die Idee einmal freigesetzt würde, könnte sie die zentralen Annahmen infiltrieren, welche die institutionalisierte Schule am Leben erhalten, zum Beispiel die falsche Annahme, dass es schwierig ist, anderen Wesen etwas beizubringen oder dass Kinder nicht lernen wollen und vieles andere. Tatsächlich wird die gesamte Stabilität unserer Wirtschaftsform von jeder Form der Erziehung bedroht, die an der Beschaffenheit der menschlichen Produkte, die heute die Schule verlassen, etwas verändert: Das ökonomische System, unter dem Schulkinder heute erwarten zu leben und zu dienen, würde keine Generation junger Leute überleben, die zum Beispiel kritisches Denken gelernt hätten. Der Erfolg meiner Vorgehensweise setzt ein großes automatisches Vertrauen voraus, ein grundlegendes Vertrauen, das nicht vom Wohlverhalten abhängt. Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre eigenen Fehler zu machen und es noch mal zu probieren, oder sie werden 14

niemals Meister ihrer Selbst werden, obwohl sie kompetent erscheinen können, wo sie sich in Wirklichkeit nur das Verhalten von jemand anderem gemerkt oder es nachgeahmt haben. Was meine Vorgehensweise erfolgreich macht, bedeutet auch, viele bequeme Annahmen darüber, was zu lernen sich lohnt und woraus ein gutes Leben geformt ist, in Frage zu stellen. Während ich mit den Hindernissen gerungen habe, die zwischen dem Kind und seiner Bildung stehen, bin ich im Laufe der Jahre zu der Überzeugung gelangt, dass die staatlichen Monopolschulen von ihrer Struktur her nicht reformierbar sind. Wenn ihre zentralen Mythen bloßgelegt und abgeschafft werden, können sie nicht funktionieren. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich, unabhängig von meiner eigenen Einschätzung meiner Aufgabe als Lehrer, in Wirklichkeit zum größten Teil einem unsichtbaren Lehrplan folge, der die Mythen der Institution Schule und unseres Wirtschaftsystems, das auf einem Kastenwesen basiert, verstärkt. Als ich darüber nachdachte, was ich Ihnen sagen könnte, um diese meine Erfahrung fruchtbar werden zu lassen, wurde mir deutlich, dass ich Ihnen am besten erzähle, was an dem, was ich tue, falsch ist, anstatt Ihnen zu berichten, was an meinem Tun richtig ist. Denn das Richtige ist einfach zu verstehen: Ich stehe den Kindern nicht im Weg, ich gebe ihnen Raum und Zeit und Respekt. Das Falsche an dem, was ich tue, ist allerdings merkwürdig, komplex und erschreckend. Ich möchte es Ihnen aufzeigen.

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Kapitel 1 DIE SIEBEN LEKTIONEN DES LEHRERS Diese Rede hielt der Autor 1991 anlässlich seiner Ernennung zum »»Lehrer des Jahres im Bundesstaat New York«.

I Nennen Sie mich bitte Mr. Gatto.2 Vor dreißig Jahren, als ich gerade nichts Besseres mit mir anzufangen wusste, versuchte ich mich im Unterrichten. Mein Abschluss erlaubt mir, Englisch zu unterrichten, aber das tue ich gar nicht. Ich unterrichte nicht Englisch; ich unterrichte Schule - und ich gewinne Preise damit. Unterrichten bedeutet an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Dinge, aber sieben Lektionen werden universal vermittelt, von den Slums in Harlem bis zu den Villenvierteln in Hollywood. Diese sieben Lektionen bilden einen landesweiten Lehrplan, für den Sie einen höheren Preis bezahlen, als Sie es sich vorstellen können, also können Sie genauso gut auch gleich erfahren, worin dieser Preis besteht. Es steht Ihnen natürlich völlig frei, wie Sie meine Ausführungen auffassen wollen, aber glauben Sie mir, wenn ich sage, dass ich mit meiner Darstellung keinerlei Ironie beabsichtige. Das sind die Lektionen, die ich unterrichte. Das sind die Lektionen, für deren Vermittlung Sie mich bezahlen. Machen Sie daraus, was Sie wollen. 17

1. Verwirrung Gestern schrieb mir dies eine Dame namens Kathy aus Dobois, Indiana: Welche großen Ideen sind für kleine Kinder wichtig? Nun, die größte Idee, die sie, wie ich glaube, brauchen, ist, dass Lernen nicht beliebig ist - dass es ein System darin gibt und dass es nicht einfach nur auf sie herabregnet, während sie es hilflos aufnehmen. Das ist die Aufgabe: zu verstehen, einen Zusammenhang herzustellen.

Kathy liegt falsch. Die erste Lektion, die ich unterrichte, ist Verwirrung. Alles, was ich lehre, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Ich unterrichte die Beziehungslosigkeit von allem. Ich unterrichte Verbindungslosigkeiten. Ich unterrichte zu viel: die Umlaufbahnen der Planeten, das Gesetz der großen Zahlen, Sklaverei, Adjektive, architektonisches Zeichnen, Tanzen, Sport, Chorsingen, Versammlungen, Uberraschungsgäste, Feueralarm, Computersprachen, Elternabende, Fortbildungstage, Begabtenförderung, Führungen mit Fremden, die meine Schüler wahrscheinlich nie mehr wiedersehen, standardisierte Tests, Jahrgangstrennung, die es so in der äußeren Welt nirgends gibt - doch was hat irgend eines dieser Dinge mit den anderen zu tun? Selbst in den besten Schulen erweist die nähere Untersuchung des Lehrplans und seiner Abfolgen einen Mangel an Zusammenhang, eine Vielzahl innerer Widersprüche. Glücklicherweise haben die Kinder keine Worte für die Panik und die Wut, die sie fühlen, wenn die natürliche Ordnung und Abfolge beständig verletzt und ihnen als qualitativ hochwertige Bildung hingeworfen wird. Die Logik des Schulgeistes besagt, dass es besser ist, die Schule mit einem Werkzeugkasten oberflächlicher Begriffe aus den Bereichen Wirtschaft, Soziologie, Naturwissenschaft und so weiter zu verlassen, als mit einer einzigen echten Begeisterung. Aber eine wirklich qualitativ hochwertige Bildung bedeutet, etwas in der Tiefe zu erforschen. Verwirrung wird über die Kinder gebracht, zu viele fremde Erwachsene, die alle - jeder für sich - nur mit einem Minimum an Beziehung untereinander arbeiten und meist eine Sachkenntnis vortäuschen, die sie nicht besitzen. Gesunde Menschen suchen Sinn statt zusammenhangloser Fakten, und echte Bildung ist ein Set von Codes, um Rohdaten in sinnvolle Zusam18

menhänge zu verwandeln. Hinter dem Flickenteppich eines Stundenplanes und der schulischen Besessenheit von Fakten und Theorien liegt die uralte menschliche Sehnsucht nach Sinn gut versteckt. Das ist in der Grundschule, wo die Hierarchie der Schulerfahrung noch mehr Sinn zu ergeben scheint, schwerer zu erkennen, weil die gutmütige, einfache Beziehung zwischen »Lasst uns dies tun« und »Lasst uns das tun« einfach unter die Annahme gestellt wird, dass es schon etwas bedeutet, und weil die Klientel noch nicht bewusst unterscheiden kann, wie wenig Substanz hinter all dem Spielen und So-tun-als-ob steckt. Denken Sie an die großen Abläufe in der Natur - Laufen und Sprechen lernen, die Wanderung des Lichtes von Sonnenaufgang zu Sonnenuntergang; die tradierten Abläufe auf einem Bauernhof, in einer Schmiede oder beim Schuhmacher, oder die Vorbereitung eines Erntedankfestes. Alle Teile stehen in vollkommener Harmonie zueinander, jede Handlung hat ihre Rechtfertigung in sich selbst und beleuchtet Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen. Schulinhalte sind nicht so, nicht innerhalb einer einzelnen Unterrichtsstunde und schon gar nicht im Gesamtmenü des täglichen Stundenplans. Schulinhalte sind verrückt. Es gibt für keine von ihnen irgendeinen besonderen Grund, nichts, was näherer Prüfung standhält. Nur wenige Lehrer würden es wagen, die Denkwerkzeuge zu unterrichten, mit denen die Dogmen einer Schule oder eines Lehrers kritisiert werden könnten, denn alles muss akzeptiert werden. Schulstoff wird, wenn er überhaupt gelernt werden kann, so gelernt, wie Kinder die Zehn Gebote lernen oder den Katechismus. Ich unterrichte die Zusammenhanglosigkeit von allem, eine unendliche Fragmentierung, das Gegenteil von Zusammenhang. Was ich tue, hat mehr Ähnlichkeit mit der Zusammenstellung eines Fernsehprogramms als mit der Errichtung einer Ordnungsstruktur. In einer Welt, wo die Familie nur ein Schattendasein fristet - weil beide Eltern berufstätig sind oder wegen ständiger berufsbedingter Ortswechsel, weil die Eltern zu viel Ehrgeiz haben oder weil aus anderen Gründen alle zu verwirrt sind, um ein echtes Familienleben aufrechtzuerhalten -, lehre ich Schüler, Verwirrung als ihr Schicksal zu akzeptieren. Das ist die erste Lektion, die ich unterrichte.

19

2.

Gesellschaftliche Schichtung

Das zweite Fach, das ich unterrichte, ist die unentrinnbare Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht. Ich lehre, dass die Schüler auf dem ihnen zugewiesenen Schulniveau bleiben müssen. Ich weiß nicht, wer entscheidet, dass meine Kinder dort hingehören, aber das geht mich auch nichts an. Die Kinder sind eingeteilt, so dass, wenn irgendeines verloren geht, es auf das richtige Schulniveau zurückgeschickt werden kann. Im Laufe der Jahre hat die Differenziertheit, mit der Kinder von den Schulen eingeteilt werden, dramatisch zugenommen, so dass sie als Menschen unter dem Gewicht der ihnen zugeordneten Kategorien kaum noch zu erkennen sind. Dieses Schubladenprinzip ist ein großes und sehr profitables Unternehmen, obwohl nicht deutlich wird, was mit dieser Strategie bewirkt werden soll. Ich weiß nicht einmal, warum Eltern kampflos zulassen, dass ihren Kindern dies angetan wird. Jedenfalls geht es mich nichts an. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass es den Kindern gefällt, mit Kindern gleichen Niveaus zusammengesperrt zu werden oder dass sie es zumindest widerspruchslos erdulden. Wenn ich meine Sache gut mache, können die Kinder sich nicht einmal vorstellen, anderswo zu sein, denn ich habe ihnen beigebracht, die höheren Lernniveaus zu beneiden und ihnen mit Ehrfurcht zu begegnen, auf die darunter liegenden Niveaus dagegen mit Verachtung herabzublicken. Durch diese wirksame Disziplinierungsmethode bringt sich die Klasse überwiegend selbst in eine gute Marschordnung. Das ist die eigentliche Lektion jedes künstlich auferlegten Wettbewerbs, und auch der Schule: Du lernst, wo dein Platz ist. Trotz des schulischen Masterplans, der davon ausgeht, dass neunundneunzig Prozent der Kinder auf dem ihnen zugewiesenen Schulniveau bleiben, unternehme ich sichtbare Anstrengungen, um die Testergebnisse der Kinder zu verbessern und weise auf die mögliche Belohnung eines Wechsels auf ein besseres Schulniveau hin. Ich lasse häufig durchblicken, dass der Tag kommen wird, wo ein Arbeitgeber sie auf der Grundlage von Testergebnissen und Zeugnissen einstellen wird, obwohl ich persönlich die Erfahrung gemacht habe, dass Arbeitgeber sich darum wenig scheren. Ich lüge nicht geradewegs, aber ich habe fest20

gestellt, dass Wahrheit und Unterrichten grundsätzlich unvereinbar sind, wie Sokrates es bereits vor zweieinhalbtausend Jahren gesagt hat. Die Lektion der verschiedenen Schulniveaus macht klar, dass jeder den ihm angemessenen Platz in der Pyramide hat und dass es keinen Ausweg aus deiner dir zugewiesenen Stufe gibt, außer durch den Zensurenzauber. Wenn du den nicht beherrschst, musst du bleiben, wohin du gesetzt wurdest. 3. Gleichgültigkeit Das dritte Fach, das ich unterrichte, ist Gleichgültigkeit. Ich lehre Kinder, sich nicht allzu sehr für irgendetwas zu begeistern, selbst wenn sie den Anschein erwecken sollten. Ich tue das auf sehr raffinierte Weise, indem ich fordere, dass sie sich in meinen Unterrichtsstunden bedingungslos engagieren, vor Begeisterung von den Plätzen springen und eifrig miteinander um meine Gunst konkurrieren. Es ist rührend, wenn sie das tun, und es beeindruckt jeden, selbst mich. Wenn ich in Höchstform bin, plane ich die Unterrichtsstunden sehr sorgfältig, um diese Begeisterungsshow hervorzubringen. Aber wenn die Pausenglocke läutet, bestehe ich darauf, dass sie alles, was wir getan haben, augenblicklich stehen und liegen lassen und schnell zur nächsten Arbeitsstation weitergehen. Sie müssen sich wie ein Lichtschalter an- und ausschalten lassen. Nichts Wichtiges wird in meiner oder irgendeiner anderen mir bekannten Unterrichtsstunde jemals zu Ende geführt. Die Schüler haben nie eine vollständige Erfahrung, außer der eines erfüllten Lehrplanes. Die eigentliche Lektion der Pausenglocke ist, dass es keine Arbeit gibt, die es wert ist, zu Ende geführt zu werden. Warum also sollte man sich für irgendetwas engagieren? Jahrelange Pausenglocken werden alle mit Ausnahme der Stärksten - auf eine Welt vorbereiten, die keine wichtige Arbeit mehr zu bieten hat. Pausenglocken sind die geheime Zeitlogik der Schule, und diese Logik ist unausweichlich. Pausenglocken zerstören sowohl Vergangenheit als auch Zukunft und gleichen jede Zeitspanne allen anderen an, so wie die Abstraktion einer Landkarte jeden lebendigen Berg und Fluss gleichmacht, obwohl sie es in Wirklichkeit nicht sind. Pausenglocken infizieren jedes Vorhaben mit Gleichgültigkeit. 21

4. Emotionale

Abhängigkeit

Das vierte Fach, das ich unterrichte, ist emotionale Abhängigkeit. Mit Fleißbienchen und Smileys, mit Lächeln und Stirnrunzeln, Auszeichnungen, Ehrungen und Strafen bringe ich den Kindern bei, ihren Willen der vorherbestimmten Befehlskette zu unterwerfen. Rechte können von jeder Autorität ohne Berufungsmöglichkeit gewährt oder verweigert werden, denn auch wenn die Autoritäten behaupten, es wäre anders: Rechte existieren in einer Schule nicht - nicht einmal das Recht der freien Rede, wie eine Entscheidung des höchsten Gerichtshofes der USA bestätigt hat. Als Lehrer greife ich in viele persönliche Entscheidungen ein, ich stelle eine Bewilligung für jene aus, die mir legitim erscheinen und setze für ein Verhalten, das meine Herrschaft bedroht, eine Bestrafung in Gang. Unter den Kindern und Jugendlichen versucht sich immer wieder Individualität breit zu machen, daher erfolgen meine Urteile hart und schnell. Individualität steht im Widerspruch zur Klassentheorie, sie ist eine Bedrohung für alle Klassifizierungssysteme. Und dies sind häufige Arten, wie Individualität sichtbar wird: Kinder stehlen sich für einen ungestörten Augenblick auf der Toilette davon, unter der Vorgabe, sie müssten mal, oder sie verschwinden zu einem privaten Moment in die Pausenhalle unter dem Vorwand, sie hätten Durst und wollten etwas trinken. Ich weiß, dass das nicht stimmt, aber ich erlaube ihnen, mich zu »täuschen«, denn dies konditioniert sie darauf, sich von meiner Gunst abhängig zu machen. Manchmal offenbart sich mir der freie Wille direkt vor meiner Nase, wenn Kinder wütend und deprimiert sind, oder glücklich über Dinge, die außerhalb meines Horizonts liegen. Diesbezügliche Rechte können von Lehrern nicht anerkannt werden, nur Privilegien, die entzogen werden können und so als Faustpfand für Wohlverhalten dienen. 5. Intellektuelle

Abhängigkeit

Das fünfte Fach, das ich unterrichte, ist intellektuelle Abhängigkeit. Gute Schüler warten darauf, dass ein Lehrer ihnen sagt, was sie tun sollen. Dies ist die wichtigste Lektion von allen: Wir müssen auf andere Menschen 22

warten, die besser ausgebildet sind als wir, um unserem Leben einen Sinn zu geben. Die Experten treffen alle wichtigen Entscheidungen. Nur ich, der Lehrer, kann bestimmen, was meine Kinder lernen, beziehungsweise nur die Menschen, die mich bezahlen, können diese Entscheidungen treffen, die ich dann umsetze. Wenn mir gesagt wird, die Evolution sei eine Tatsache und keine Theorie, gebe ich das wie befohlen weiter und bestrafe Abweichler, die Widerstand gegen das leisten, was man mir gesagt hat, dass ich es ihnen sage, damit sie es denken. Diese Macht - zu kontrollieren, was Kinder denken - führt dazu, dass ich erfolgreiche Schüler sehr leicht von Versagern unterscheiden kann. Erfolgreiche Schüler übernehmen das Denken, das ich ihnen vorgebe, mit einem Minimum an Widerstand und dezenten Anzeichen von Begeisterung. Ich entscheide, für welche wenigen von den Millionen Dingen, die es wert wären, studiert zu werden, wir Zeit haben. In Wirklichkeit wird dies allerdings von meinen unsichtbar bleibenden Arbeitgebern entschieden. Die Wahl liegt bei ihnen - warum sollte ich darum streiten? Neugier hat keinen wichtigen Platz in meiner Arbeit, nur Konformität. Schlechte Schüler kämpfen dagegen natürlich an, obwohl ihnen die Begriffe dafür fehlen, zu erkennen, wogegen sie kämpfen. Sie kämpfen, um selbst zu unterscheiden, was sie lernen und wann sie es lernen. Wie können wir dies zulassen, wenn wir als Lehrer überleben wollen? Glücklicherweise gibt es erprobte Vorgehensweisen, um den Willen dieser Widerspenstigen zu brechen; es ist natürlich schwieriger, wenn diese Kinder respektable Eltern haben, die ihnen zu Hilfe kommen, aber dies geschieht immer seltener, trotz des schlechten Rufs, in dem Schulen stehen. - Ich habe noch nie Mittelklasseeltern getroffen, die wirklich glauben, dass die Schule, zu der ihr Kind geht, zu den schlechten gehört. Nicht ein einziges Elternpaar in vielen Unterrichtsjahren. Das ist erstaunlich, und wahrscheinlich das beste Zeugnis, was mit Familien geschieht, wenn Mutter und Vater selbst gut beschult wurden und die sieben Lektionen gelernt haben. Brave Leute warten auf einen Experten, der ihnen sagt, was zu tun ist. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass unsere gesamte Wirtschaft davon abhängt, dass diese Lektion gelernt wurde. Stellen Sie sich vor, was alles auseinander bricht, wenn die Kinder nicht darin geübt würden, abhängig 23

zu sein: Das Sozialhilfenetz könnte kaum überleben - es würde in den jüngeren Abgrund der Geschichte verschwinden, aus dem es entstanden ist. Berater und Therapeuten wären entsetzt, weil der Nachstrom an seelischen Invaliden ausbliebe. Kommerzielle Unterhaltung aller Arten, darunter auch das Fernsehen, würde ins Wanken geraten, wenn die Menschen wieder lernen würden, selbst Spaß zu haben. Restaurants, die Nahrungsmittelindustrie und eine Heerschar anderer Ernährungsdienstleister würden drastisch zusammenschrumpfen, wenn die Menschen wieder dazu übergehen würden, ihre eigenen Mahlzeiten herzustellen, statt von Fremden abhängig zu sein, die für sie pflanzen, pflücken, zerkleinern und kochen. Vieles am modernen Rechtswesen, der Medizin und der Technik wäre ebenfalls überflüssig, ebenso wie die Bekleidungsindustrie und Schulunterricht, wenn nicht Jahr für Jahr ein garantierter Nachschub hilfloser Menschen aus unseren Schulen strömen würde. Seien Sie nicht zu schnell damit bei der Hand, für eine radikale Schulreform zu votieren, wenn Sie weiterhin Ihr Gehalt bekommen wollen. Wir haben ein Leben aufgebaut, das auf Menschen angewiesen ist, die tun, was man ihnen sagt, weil sie nicht wissen, wie sie sich selbst sagen können, was sie tun sollen. Es ist eine der bedeutsamsten Lektionen, die ich unterrichte. 6. Labiles Selbstbewusstsein Das sechste Fach, das ich unterrichte, ist labiles Selbstbewusstsein. Wenn Sie jemals versucht haben, Kinder in Reih und Glied zu bringen, deren Eltern ihnen die Überzeugung vermittelt haben, dass sie bedingungslos geliebt werden, wissen Sie, wie unmöglich es ist, Geister voller Selbstvertrauen zur Anpassung zu bewegen. Unsere Welt würde so, wie sie ist, eine Flut selbstbewusster junger Leute nicht sehr lange überleben, daher unterrichte ich, dass die Selbstachtung eines Kindes von der Meinung eines Experten abhängen sollte. Meine Kinder werden beständig ausgewertet und beurteilt. Ein Zeugnis, eindrucksvoll in seiner scheinbaren Vorläufigkeit, wird zu den Schülern nach Hause geschickt, um Beifall hervorzurufen oder bis auf den Prozentpunkt genau anzugeben, wie unzufrieden die Eltern mit 24

dem Kind sein sollten. Die Ökologie von »guter« Beschulung hängt von fortgesetzter Unzufriedenheit ab, demselben Dünger, auf den die kommerzielle Ökonomie angewiesen ist. Obwohl manche Menschen vielleicht überrascht sind, wie wenig Reflexionszeit dafür aufgewendet wird, diese mathematisch genauen Berichte zu erstellen, dokumentiert das sich anhäufende Gewicht dieser scheinbar objektiven Berichte ein Profil, das Kinder zu bestimmten Entscheidungen über sich selbst treibt, und ihre Zukunft basiert auf dem zufälligen Urteil von Fremden. Selbsteinschätzung, der Grundstoff jedes bedeutenden philosophischen Systems, das jemals auf dem Planeten in Erscheinung getreten ist, wird nie als Faktor in Betracht gezogen. Die Lektion von Beurteilungen, Zensuren und Testergebnissen liegt darin, dass Kinder nicht sich selbst oder ihren Eltern trauen sollten, sondern sich stattdessen auf die Auswertung bevollmächtigter Beamter verlassen. Den Menschen muss gesagt werden, was sie wert sind. 7. Man kann sich nicht verstecken Die siebte Lektion lautet, dass man sich nicht verstecken kann. Ich lehre die Schüler, dass sie immer unter Beobachtung stehen und immer überwacht werden, dass jeder von ihnen unter beständiger Beobachtung durch mich und meine Kollegen steht. Es gibt keine Privatsphäre für Kinder, es gibt keine private Zeit. Der Wechsel von einer Unterrichtsstunde zur nächsten dauert exakt dreihundert Sekunden, um die promiskuitive Verbrüderung auf einem niedrigen Level zu halten. Die Schüler werden ermutigt, übereinander und sogar über ihre eigenen Eltern zu tratschen. Natürlich ermutige ich Eltern ebenfalls, Berichte über die Eigenwilligkeit ihres Kindes anzulegen. Eine Familie, die darin geübt ist, über sich selbst Auskunft zu geben, läuft kaum Gefahr, irgendwelche gefährlichen Geheimnisse zu bewahren. Ich entwickle eine Art erweiterter Beschulung, die so genannten »Hausaufgaben«, so dass die Wirkung der Überwachung, wenn schon nicht die Überwachung selbst, sich bis in den privaten Haushalt erstreckt, wo die Schüler sonst ihre freie Zeit nutzen könnten, um etwas zu lernen, was nicht autorisiert ist, zum Beispiel von den Eltern, durch eigenes Erkunden oder durch Kontakt mit einer kompetenten Person in 25

der Nachbarschaft. Illoyalität zur Idee der Beschulung ist ein Teufel, der für müßige Hände immer schnell Arbeit findet. Die Bedeutung beständiger Überwachung und Vorenthaltung von Privatheit besteht darin zu lernen, dass man niemandem trauen kann und dass es nicht legitim ist, eine Privatsphäre zu haben. Überwachung ist ein uralter Imperativ, gefördert von bestimmten einflussreichen Denkern. Grundlegende Gebrauchsanweisungen sind niedergelegt in DerStaat\ Vom GottesstaatA, Unterricht in der christlichen Religion\ Das neue Atlantik, Leviathan1 und einer Vielzahl anderer Schriften. All die kinderlosen Männer, die diese Bücher geschrieben haben, entdeckten dasselbe: Kinder müssen engmaschig überwacht werden, wenn man eine Gesellschaft unter strenger zentraler Kontrolle halten will. Wenn man sie nicht in eine uniformierte Marschkapelle kriegen kann, folgen Kinder womöglich einem privaten Trommler.

II Es ist der große Triumph der staatsmonopolistischen Massenpflichtbeschulung, dass sich selbst unter den besten meiner Lehrerkollegen und unter den besten der Eltern meiner Schüler nur sehr wenige vorstellen können, die Dinge auf eine andere Art zu tun. »Die Kinder müssen doch wissen, wie man liest und schreibt, oder?« »Sie müssen doch addieren und subtrahieren lernen, oder?« Und vor allem: »Sie müssen lernen zu gehorchen, wenn sie jemals einen Job kriegen wollen.« Vor nur wenigen Generationen war das alles in den Vereinigten Staaten ganz anders. Originalität und Vielfalt waren weit verbreitet, unsere Freiheit von Beherrschung machte uns zu einem Weltwunder. Die gesellschaftlichen Grenzen zwischen den Klassen waren relativ leicht zu überwinden, unsere Bürger waren wunderbar selbstbewusst, erfinderisch und in der Lage, sehr viel unabhängig für sich selbst zu tun und für sich selbst zu denken. Wir waren etwas Besonderes, wir Amerikaner, ganz aus uns heraus, ohne dass eine Regierung ihre Nase in jeden Aspekt unseres Lebens steckte und Messungen vornahm, ohne Institution und Sozialhilfeeinrichtungen, die uns sagten, wie wir denken und fühlen sollten. Wir waren etwas Besonderes, als Individuen, als Amerikaner. 26

Aber seit kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865 haben wir in den Vereinigten Staaten eine Gesellschaft, die im Wesentlichen unter zentraler Kontrolle steht, und eine solche Gesellschaft braucht Schulpflicht - staatsmonopolistische Beschulung -, um sich selbst zu erhalten. Vor dieser Entwicklung war Schule nirgendwo besonders wichtig. Es gab sie, aber nicht zu viel, und nicht mehr, als ein Individuum wollte. Menschen lernten auch so wunderbar lesen, schreiben und rechnen. Es gibt Studien, nach denen der Alphabetisierungsgrad zur Zeit der amerikanischen Revolution, jedenfalls bei Nicht-Sklaven an der Ostküste, bei nahezu 100 Prozent lag. Das Buch Common Sensé1 wurde bei einer Bevölkerung von drei Millionen, von denen zwanzig Prozent Sklaven waren und fünfzig Prozent angestellte Bedienstete, sechshunderttausend Mal verkauft. Waren die ersten Siedler Genies? Nein, die Wahrheit ist, dass Lesen, Schreiben und Rechnen in nur ungefähr hundert Stunden vermittelt werden können, wenn die Klientel eifrig und lernwillig ist. Der Trick besteht darin, zu warten, bis jemand fragt und dann schnell voranzugehen, solange diese Neugierde anhält. Millionen von Menschen bringen sich diese Dinge selbst bei - es ist wirklich nicht besonders schwer. Nehmen Sie ein Mathematik- oder Deutschbuch der fünften Klasse von 1850 zur Hand, und Sie werden sehen, dass die Texte dort in einem Stil geschrieben sind, der heute als Hochschulniveau gelten würde. Der beständige Ruf nach dem Üben von »Grundkenntnissen« ist eine Nebelwand, hinter der die Schulen zwölf Jahre lang die Zeit der Kinder beschlagnahmen und ihnen die unsichtbaren Lektionen beibringen, die ich Ihnen gerade beschrieben habe. Wie unsere Gesellschaft seit etwa 150 Jahren zunehmend unter zentrale Kontrolle geraten ist, zeigt sich in dem Leben, was wir führen. Die Kleidung, die wir tragen, die Nahrung, die wir zu uns nehmen und die grünen Highwayschilder, mit deren Hilfe wir von Küste zu Küste fahren, sie alle sind die Produkte dieser Kontrolle. Das Gleiche gilt, glaube ich, für die explosionsartige Ausbreitung von Drogenmissbrauch, Selbstmord, Scheidung, Gewalt und Grausamkeit sowie für die Verhärtung der Klassen zu Kasten. Diese Dinge sind Folgen der Entmenschlichung unseres Lebens, der geminderten Bedeutung von Individualität, Familie und Gemeinschaft - eine Abwertung, die von der zentralen Lenkung ausgeht. 27

Unausweichlich wollen große Pflichtinstitutionen immer mehr, bis es nichts mehr gibt, was gegeben werden kann. Die Schule nimmt unseren Kindern jede Möglichkeit einer aktiven Rolle im gesellschaftlichen Leben - tatsächlich zerstört sie die kommunale Gemeinschaft, indem sie die Ausbildung von Kindern in die Hände zertifizierter Experten gibt -, und indem sie dies tut, stellt sie sicher, dass unsere Kinder nicht ihr volles menschliches Potenzial entwickeln können. Aristoteles hat gelehrt, dass man ohne eine sehr aktive Rolle im Leben der lokalen Gemeinschaft nicht darauf hoffen könne, ein gesunder Mensch zu werden. Er hatte sicherlich Recht. Wenn Sie Beweise dafür wollen, müssen Sie sich nur einmal umschauen, wenn Sie das nächste Mal in die Nähe einer Schule oder eines Altenheimes kommen. Die Schule, so wie sie aufgebaut wurde, ist ein entscheidendes Basiselement für ein Gesellschaftsmodell, welche die meisten Menschen dazu verdammt, untergeordnete Bausteine einer Pyramide zu sein, die sich zur herrschaftlichen Spitze hin verjüngt. Die Schule ist ein Kunstprodukt, das eine solche pyramidale Gesellschaftsordnung unausweichlich erscheinen lässt, obwohl eine solche Annahme ein grundlegender Verrat an der amerikanischen Revolution ist. Von den Tagen der Kolonialisierung durch die Phase der Republik gab es in den USA keine nennenswerten Schulen lesen Sie die Autobiografie von Benjamin Franklin als Beispiel für einen Mann, der keine Zeit hatte, sein Leben in der Schule zu vergeuden - und doch wurde die Verheißung der Demokratie anfänglich umgesetzt. Wir wandten dieser Verheißung den Rücken zu, indem wir den alten Pharaonentraum Ägyptens zum Leben erweckten: verpflichtende Unterordnung für alle. Das war das Geheimnis, das Plato zögernd in seinem Werk Der Staat preisgab, als Glaukon und Adeimantus dem Sokrates den Plan für eine totale staatliche Kontrolle des menschlichen Lebens entlockten, ein Plan, der notwendig ist, um eine Gesellschaft aufrechtzuerhalten, in der manche Menschen mehr nehmen, als ihnen zusteht. »Ich werde euch zeigen«, sagte Sokrates, »wie man eine solche fiebrige Stadt hervorbringen kann, aber es wird euch nicht gefallen, was ich euch sagen werde.« Und so entstand der erste Entwurf der Sieben-Lektionen-Schule. Die gegenwärtige Debatte, ob wir einen länderübergreifenden Lehrplan benötigen, ist müßig. Wir haben ihn bereits, und er ist in den sieben 28

von mir skizzierten Lektionen verborgen. Ein solcher Lehrplan führt zu physischer, moralischer und intellektueller Lähmung, und kein inhaltlicher Lehrplan wird ausreichend sein, um seine grässlichen Auswirkungen umzukehren. Unsere gegenwärtige Diskussion, bei der wir - landesweit in Hysterie verfallend - über die schlechten akademischen Leistungen der Schüler lamentieren, verfehlt den eigentlichen Punkt. Die Schulen lehren genau das, was sie lehren sollen, und sie tun es gut: Wie man ein guter Ägypter ist und an seinem Platz in der Pyramide bleibt.

III Dies alles ist nicht unausweichlich. Dies alles kann überwunden werden. Wir haben Wahlmöglichkeiten, wie wir junge Menschen aufwachsen lassen können: Es gibt nicht nur einen richtigen Weg. Wenn wir die Macht der pyramidalen Illusion durchbrechen würden, wären wir in der Lage, das zu erkennen. Es gibt keinen internationalen Wettbewerb um Leben und Tod, der die Existenz unseres Landes bedroht - so schwierig es auch angesichts der beständigen gegenteiligen Medienberieselung ist, diese Tatsache zu denken, geschweige denn, sie zu glauben. Unser Land ist in der Lage, sich in jeder wichtigen materiellen Hinsicht, inklusive der Energie, selbst zu versorgen. Mir ist klar, dass diese Idee dem modernen Denken der meisten politischen Ökonomen zuwider läuft, aber die »tief greifende Transformation« unserer Ökonomie, von der diese Leute reden, ist weder unausweichlich noch unumkehrbar. Die Weltwirtschaft spricht nicht über den öffentlichen Bedarf an sinnvoller Arbeit, bezahlbaren Wohnungen, erfüllender Bildung, angemessener medizinischer Versorgung, einer sauberen Umwelt, einer ehrlichen und zuverlässigen Regierung, an gesellschaftlicher und kultureller Erneuerung oder einfach an Gerechtigkeit. Alle globalen Bestrebungen beruhen auf einer Definition von Produktivität und dem guten Leben, das der eigentlichen menschlichen Wirklichkeit völlig entfremdet ist. Ich bin davon überzeugt, dass diese Definition falsch ist und dass die meisten Menschen mir zustimmen würden, wenn sie eine Alternative wahrnehmen könnten. Wir wären vielleicht in der Lage, das zu erkennen, wenn wir wieder Zugriff auf eine Philosophie hätten, die Sinn dort lokalisiert, wo 29

Sinn wirklich gefunden werden kann - in Familien, unter Freunden, beim Wandel der Jahreszeiten, in der Natur, in einfachen Zeremonien und Ritualen, in Neugier, Großzügigkeit, Mitgefühl und dem Dienst an anderen, in einer selbstverständlichen Unabhängigkeit und Privatheit, in all den freien und kostenlosen und preiswerten Dingen, aus denen wirkliche Familien, wirkliche Freunde und wirkliche Gemeinschaften erbaut sind , dann wären wir so »selbstzufrieden«, dass wir nicht einmal die materielle »Fülle« brauchten, von der unsere globalen »Experten« so beharrlich behaupten, wir würden uns darum sorgen. Wie sind diese schrecklichen Orte, diese »Schulen«, entstanden? Nun, gelegentliche Beschulung gab es immer in einer Vielfalt von Formen, eine mäßig nützliche Unterstützung beim Aufwachsen. Aber die »moderne Schule«, die wir heute kennen, ist eine Nebenwirkung der beiden Phasen starker Kommunismusangst von 1848 und 1919, als die Mächtigen eine Revolution unter den Armen des Industriezeitalters befürchteten. Teilweise kam die totale Beschulung auch, weil alteingesessene »amerikanische« Familien von den mitgebrachten kulturellen Gepflogenheiten keltischer, slawischer und italienischer Immigranten um 1840 abgestoßen waren und den von ihnen mitgebrachten Katholizismus verabscheuten. Bestimmt zu einem Drittel beruht die Erschaffung eines Gefängnisses für Kinder namens »Schule« auf der Verblüffung, mit der dieselben »Amerikaner« im Zuge des Bürgerkrieges die Bewegung der Afroamerikaner durch die Gesellschaft wahrnahmen. Betrachten Sie die sieben Lektionen des Schulunterrichts noch einmal: Verwirrung, Klassenbewusstsein, Gleichgültigkeit, emotionale und intellektuelle Abhängigkeit, labiles Selbstbewusstsein und Überwachung. Alle diese Lektionen sind ein wichtiges Training für permanente Unterklassen, Menschen, denen auf immer die Möglichkeit genommen wurde, den Mittelpunkt ihres eigenen, besonderen Genies zu finden. Und mit der Zeit hat sich dieses Training von seinem Ursprungszweck gelöst: die Armen in Schach zu halten. Denn seit 1920 hat das Wachstum der Schulbürokratie sowie das weniger sichtbare Wachstum einer Vielzahl von Industrien, die von der Schule genau so, wie sie jetzt ist, profitieren, den ursprünglichen Griff dieser Institution in einem Ausmaß vergrößert, dass nun die Söhne und Töchter der Mittelklassen ebenso davon erfasst werden. 30

Ist es ein Wunder, dass Sokrates bei der Anschuldigung, er würde für seinen Unterricht Geld nehmen, in Zorn geriet? Schon damals sahen Philosophen ganz klar die unausweichliche Richtung, die eine Professionalisierung des Lehrens nehmen würde, nämlich die Vereinnahmung der Lehrfunktion, die in einer gesunden menschlichen Gemeinschaft jedem zukommt. Angesichts der Lektionen, die ich jeden Tag unterrichte, sollte es wenig wundern, dass wir eine echte landesweite Krise haben, deren Natur sich sehr davon unterscheidet, was überall von den Medien proklamiert wird. Den jungen Menschen ist die Welt der Erwachsenen gleichgültig und die Zukunft ebenso, gleichgültig ist ihnen fast alles außer der Ablenkung durch Spiele und Gewalt. Ob reich oder arm, die Schulkinder, welche mit den Herausforderungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts konfrontiert sind, können sich auf nichts sehr richtig konzentrieren und haben einen schwach ausgeprägten Sinn für Vergangenheit und Zukunft. Sie sind als die Trennungskinder, die sie im Grunde sind (denn wir haben sie von der entscheidenden Aufmerksamkeit ihrer Eltern getrennt), misstrauisch gegenüber Intimität geworden. Sie hassen das Alleinsein, sind grausam, materialistisch, abhängig, passiv, gewalttätig, ängstlich angesichts des Unerwarteten und süchtig nach Ablenkung. All diese Nebentendenzen der Kindheit werden durch die Schule, die durch ihren verborgenen Lehrplan wirksame Persönlichkeitsentwicklung verhindert, genährt und ins Groteske vergrößert. Ohne Ausbeutung der Ängstlichkeit, Selbstsucht und Unerfahrenheit von Kindern könnten unsere Schulen überhaupt nicht überleben, und auch ich als zertifizierter Lehrer könnte dies nicht. Keine normale Schule, die es wirklich wagte, die Anwendung kritischen Denkens zu lehren - zum Beispiel Dialektik, Heuristik oder andere Techniken, derer sich freie Geister bedienen sollten würde sehr lange bestehen, ohne in Stücke gerissen zu werden. In unserer weltlichen Gesellschaft ist Schule der Ersatz für Kirche geworden und wie die Kirche verlangt sie, dass man ihren Lehren auf Treu und Glauben folgt. Es muss uns endlich bewusst werden, dass institutionalisierter Schulunterricht Kinder zerstört. Niemand überlebt den Sieben-LektionenLehrplan vollständig unbeschadet, nicht einmal die Instruktoren. Die 31

Methode ist von tief greifender Bildungsfeindlichkeit. Reparaturen sind nicht möglich. Es gehört zu den großen Ironien der Menschheit: Jenes tief greifende Umdenken, das Schulen brauchen, würde so viel weniger kosten, als wir heute dafür ausgeben, dass machtvolle Interessen dies nicht zulassen können. Bitte verstehen Sie, dass dieses Geschäft, in dem ich tätig bin, vor allem anderen zunächst ein Arbeitsplatzprojekt ist und eine Agentur für Mietverträge. Wir können es uns nicht leisten, Geld zu sparen, indem wir das Ausmaß unseres Vorgehens reduzieren oder das von uns angebotene Produkt auffächern, auch nicht, indem wir Kindern dabei helfen, richtig aufzuwachsen. Das ist das eiserne Gesetz der Institution Schule - sie ist ein Geschäft und weder einer normalen Buchhaltung noch dem rationalen Skalpell des Wettbewerbs unterworfen. Irgendeine Form von freier Marktwirtschaft in Bezug auf öffentliche Schulen ist der Ort, wo wir am ehesten nach Antworten suchen können, ein freier Markt, wo Familienschulen, private Schulprojekte, weltanschaulich geprägte Schulen, Handwerk- und Landwirtschaftsschulen in großer Zahl existieren und mit dem staatlichen Erziehungssystem konkurrieren. Ich versuche einen freien Markt in Bezug auf Schule so zu beschreiben, wie es ihn in unserem Lande bis zum Bürgerkrieg tatsächlich gab, in dem sich Schüler freiwillig für die Art der Bildung entscheiden, die zu ihnen passt, was natürlich auch Freilernen ohne Schule bedeuten kann. Es hat Benjamin Franklin, soweit ich sehen kann, nicht geschadet. Diese Optionen existieren heute im Miniaturformat, wunderbare Überlebende einer starken und kraftvollen Vergangenheit, aber sie sind nur den Erfinderischen, den Mutigen, den Glückspilzen oder den Reichen zugänglich. Die schiere Unmöglichkeit, dass sich eine dieser besseren Wege für die zerrütteten Familien der Armen öffnet oder für die verschüchterten Heerscharen, die an den Rändern der Urbanen Mittelklasse kampieren, lässt vermuten, dass das Desaster der Sieben-Lektionen-Schulen zunehmen wird, wenn wir im Hinblick auf das Chaos des staatlichen Schulmonopols nicht etwas Kühnes und Entschiedenes tun. Nachdem ich mein Erwachsenenleben als Schullehrer verbracht habe, glaube ich, dass die Methode der Massenbeschulung ihr einzig wahrer Inhalt ist. Lassen Sie sich nicht zu dem Glauben verleiten, ein guter Lehrplan, eine gute Ausstattung oder gute Lehrer seien die entscheidenden 32

Faktoren für die Bildung Ihrer Kinder. Alle krankhaften Erscheinungen, die wir betrachtet haben, kommen im großen Maßstab daher, weil die Schullektionen Kinder daran hindern, wichtige Verabredungen mit sich selbst und mit ihren Familien einzuhalten, um Lektionen in Selbstmotivation, Ausdauer, Selbstvertrauen, Mut, Würde und Liebe zu lernen - und auch Lektionen im Dienst für andere, die zu den Schlüssellektionen für das Leben in der Familie und im nachbarschaftlichen Umfeld gehören. Vor dreißig Jahren konnten diese Lektionen immer noch in der Zeit nach der Schule gelernt werden. Aber das Fernsehen hat den Großteil dieser Zeit aufgefressen, und eine Kombination von Fernsehen und dem Stress, der in einer Familie mit zwei berufstätigen Eltern oder einem allein erziehenden Elternteil herrscht, hat das meiste von dem, was Familienzeit zu sein pflegte, ebenfalls verschlungen. Unsere Kinder haben keine Zeit mehr, um wirklich zu ganzen Menschen heranzuwachsen, sondern nur noch karge Böden mit dünner Erdkrume. Unserer Kultur steht eine Zukunft bevor, in der es unerlässlich sein wird, dass wir alle die Weisheit nichtmaterieller Erfahrungen lernen, eine Zukunft, die als Preis des Uberlebens erfordern wird, dass wir einem Pfad des Natürlichen folgen, der in Hinsicht auf materielle Kosten sparsam ist. Diese Lektionen können in Schulen, so wie sie sind, nicht gelernt werden. Die Schule ist eine zwölfjährige Gefängnisstrafe, wo schlechte Gewohnheiten den einzigen Lehrplan bilden, der wirklich eingehalten wird. Ich bin Lehrer und gewinne mit meinem Unterricht Preise. Ich muss es wissen.

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Kapitel Zwei DIE PSYCHOPATHISCHE SCHULE Diese Rede stammt vom 31. Januar 1990. John T. Gatto hielt sie anlässlich der Verleihung des Preises »Lehrer des Jahres für New York City« durch den Senat des Bundesstaates New York.

Ich nehme diesen Preis an im Namen all der guten Lehrer, die ich im Laufe der Jahre kennen gelernt habe. Diese Lehrer haben darum gekämpft, ihren Umgang mit Kindern ehrenhaft zu gestalten, Männer und Frauen, die mit dem Erreichten niemals zufrieden waren. Sie haben sich immer wieder in Frage gestellt und darum gerungen, stets neu zu definieren, was »Erziehung« und »Bildung« [engl, education] bedeuten sollte. Ein »Lehrer des Jahres« ist nicht der beste Lehrer weit und breit (diese Leute sind zu still, um leicht entdeckt zu werden), sondern er ist ein Stellvertreter. Er vertritt diese ungenannten Menschen, die ihr Leben zufrieden im Dienste der Kinder verbringen. Ihnen allen gehört dieser Preis ebenso sehr wie mir.

I Wir leben in der Zeit einer großen Schulkrise, die mit einer noch größeren Gesellschaftskrise verbunden ist. Unser Land steht in Bezug auf Lesen, Schreiben und Rechnen auf Platz neunzehn der Industrienationen. Ganz unten! Die betäubende Weltökonomie beruht auf unserem Verbraucherverhalten; wenn wir nicht so viele gepuderte Träume kaufen würden, dann würde die Wirtschaft zusammenbrechen - und Schulen sind ein wichtiger Verkaufsfaktor. Die Selbstmordrate unserer Teenager ist die höchste auf 34

der Welt, und Selbstmord begehen meistens reiche Kinder, nicht arme. In Manhattan halten siebzig Prozent der Ehen keine fünf Jahre. Also ist mit Sicherheit etwas nicht in Ordnung. Die große Krise, die wir in unseren Schulen erleben, steht im Zusammenhang mit einer umfassenderen Gesellschaftskrise in unserem gesamten Gemeinwesen. Wir scheinen unsere Identität verloren zu haben. Kinder und alte Menschen werden von den Angelegenheiten der Welt in einem bisher noch nie da gewesenem Maße ausgeschlossen: Niemand spricht mehr mit ihnen, und ohne dass Kinder und Alte sich im Alltag begegnen, hat ein Gemeinwesen keine Zukunft und keine Vergangenheit, nur eine immerwährende Gegenwart. Tatsächlich trifft der Ausdruck »Gemeinwesen« kaum noch auf die Art zu, wie wir miteinander umgehen. Wir leben in Netzwerken, nicht in Gemeinschaften, und jeder, den ich kenne, ist deswegen einsam. Die Schule spielt eine Hauptrolle bei dieser Tragödie, so wie sie eine Hauptrolle bei der sich ausweitenden Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten spielt. Wir benutzen die Schule als eine Sortieranlage und sind offenbar dabei, ein Kastensystem zu erschaffen, mit richtigen Unberührbaren, die bettelnd durch die U-Bahn ziehen und auf der Straße schlafen. In meinen dreißig Schuljahren als Lehrer habe ich ein faszinierendes Phänomen beobachtet: Für die großen Firmen auf dem Planeten spielen Schulen und Beschulung eine immer kleinere Rolle. Niemand glaubt mehr, dass in Naturwissenschaftskursen Wissenschaftler herangebildet werden, in Gemeinschaftskundeklassen Politiker oder im Englischunterricht Dichter. In Wirklichkeit vermitteln Schulen nur eines wirksam: Befehle zu befolgen. Das ist für mich ein großes Rätsel, denn in den Klassenzimmern und in der Verwaltung unserer Schulen arbeiten Tausende von menschenfreundlichen, engagierten Menschen, aber die abstrakte Logik der Institution ist stärker als ihre individuellen Beiträge. Obwohl Lehrer Anteil nehmen und sehr, sehr hart arbeiten, ist die Einrichtung Schule psychopathisch - sie hat kein Gewissen. Die Pausenglocke läutet und der junge Mann, der gerade dabei ist, ein Gedicht zu schreiben, muss sein Heft schließen und in eine andere Zelle weiterwandern, wo er auswendig lernen muss, dass Menschen und Affen einen gemeinsamen Vorfahren haben. 35

II Unsere Form der Schulpflicht ist eine Erfindung des Staates Massachusetts um 1850. Schätzungsweise achtzig Prozent der Bevölkerung von Massachusetts haben sich dagegen gewehrt - manchmal sogar mit Schusswaffen. Der letzte Außenposten in Barnstable am Cap Cod gab seine Kinder erst um 1880 her. Damals wurde das Gebiet vom Militär besetzt, und die Kinder marschierten unter Bewachung zur Schule. Hier gilt es jetzt eine merkwürdige Vorstellung abzuwägen: Das Büro von Senator Ted Kennedy hat vor nicht allzu langer Zeit eine Studie herausgegeben, in der behauptet wird, dass vor Einführung der Schulpflicht die Alphabetisierungsrate in unserem Land bei achtundneunzig Prozent lag, während nach der Einführung die Zahl nie über einundneunzig Prozent ging - Stand des Jahres 1990. Und hier ist eine andere Merkwürdigkeit, die nachdenklich macht: Die Homeschoolbewegung ist in aller Stille immer weiter gewachsen, so dass derzeit eineinhalb Millionen junge Menschen ausschließlich familienzentriert gebildet werden; erst kürzlich ging die überraschende Neuigkeit durch die Feuilletons, dass die zu Hause gebildeten Kinder ihren formal unterrichteten Gleichaltrigen in ihrer Denkfähigkeit um fünf oder sogar zehn Jahre voraus sind.

III Ich glaube nicht, dass wir die Schulen so bald ganz loswerden, jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten, aber wenn wir ändern würden, was immer schneller eine Katastrophe der Ignoranz wird, müssen wir erkennen, dass die Institution Schule zwar sehr gut »beschult«, jedoch nicht »bildet« was in der Natur der Sache liegt. Es ist nicht das Fehlverhalten schlechter Lehrer oder das Problem zu geringer Etats, es ist einfach unmöglich, Bildung und Schule unter einen Hut zu bringen. Schulen wurden konzipiert von Horace Mann sowie von Sears und Harper, der Universität Chicago und von Thorndyke, vom Lehrer-College Columbia sowie von einigen anderen; sie wurden darauf angelegt, Instrumente für die wissenschaftliche Verwaltung der breiten Masse zu sein. 36

Schulen sind dafür geschaffen, durch die Anwendung von Formeln formelhafte Menschen zu produzieren, deren Verhalten vorhersehbar und lenkbar ist. Dies gelingt den Schulen in sehr großem Ausmaß. Gleichzeitig aber zerfällt die landesweite Ordnung zunehmend, und nur die Menschen sind »erfolgreich«, die unabhängig, selbstbewusst, zuversichtlich und individualistisch sind. (Denn das lebendige Gemeinwesen, das die Abhängigen und Schwachen schützt, ist tot; übrig bleiben nur Netzwerke.) Die Produkte dieser gelungenen Beschulung sind, wie gesagt, bedeutungslos. Gut beschulte Menschen sind bedeutungslos. Sie können Filme und Rasierklingen verkaufen, Schriftstücke ordnen und am Telefon reden oder geistlos vor einem flimmernden Computerbildschirm hocken, aber als menschliche Wesen sind sie nutzlos. Nutzlos für andere und nutzlos für sich selbst. Das alltägliche Elend um uns herum ist - davon bin ich überzeugt hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, dass wir - wie Paul Goodman es in den 1960er Jahren formuliert hat - die Kinder dazu zwingen, in absurder Weise aufzuwachsen. Jede Schulreform muss mit diesen Absurditäten fertig werden. Es ist absurd und lebensfremd, Teil eines Systems zu sein, das dich zwingt, gemeinsam mit Menschen genau desselben Alters und derselben Gesellschaftszugehörigkeit in einem Gefängnis zu sitzen. Dieses System schneidet uns sehr wirksam von der ungeheuren Vielfalt des Lebens und dem Synergiefaktor dieser Vielfalt ab. Es schneidet uns auch von unserer eigenen Vergangenheit und Zukunft ab und sperrt uns in einer immerwährenden Gegenwart ein, ganz ähnlich wie das Fernsehen. Es ist absurd und lebensfremd, jeden Tag unserer kostbaren Jugend zum Schrillen einer Pausenglocke von Zelle zu Zelle zu wandern, in einer Institution, die uns keine Privatsphäre zugesteht und uns selbst in das Heiligtum unseres Heims folgt, indem sie von uns fordert, ihre »Hausaufgaben« zu machen. »Aber wie sollen Kinder denn lesen lernen?«, fragen Sie, und meine Antwort lautet: Denken Sie an die Lektionen von Massachusetts.« Wenn sich Kinder im richtigen Leben aufhalten dürfen anstatt in nach Jahrgängen geordneten Zellen, lernen sie mit Leichtigkeit Lesen, Schreiben und Rechnen, wenn diese Dinge in der Art von Leben, das sich um sie herum entfaltet, sinnvoll erscheinen. 37

Aber denken Sie daran, dass in den Vereinigten Staaten fast niemand, der liest, schreibt oder rechnet, ein hohes Ansehen genießt. Wir sind ein Land von Rednern. Wir zahlen für Leute, die viel reden und bewundern sie am meisten, und so reden unsere Kinder beständig, sie ahmen die öffentlichen Vorbilder aus dem Fernsehen nach - und ihre Lehrer. Es ist sehr schwierig geworden, »Grundlagenwissen« zu vermitteln, denn dieses »Grundlagenwissen« ist nicht mehr wirklich grundlegend für die Gesellschaft, die wir geschaffen haben.

IV Zwei Institutionen beherrschen gegenwärtig das Leben unserer Kinder: Fernsehen und Schule - in dieser Reihenfolge. Alle beide reduzieren die reale Welt aus Weisheit, Kraft, Mäßigung und Gerechtigkeit auf eine unendliche Non-Stop-Abstraktion. In früheren Jahrhunderten war die Zeit der Kindheit und Jugend ausgefüllt mit echter Arbeit, echter Fürsorge, mit echten Abenteuern und der echten Suche nach Mentoren, die bereit waren uns beizubringen, was wir unbedingt lernen wollten. Ein Großteil der Zeit wurde mit gemeinschaftlichen Bestrebungen verbracht, was Zuneigung, Begegnung und das Kennenlernen aller Gesellschaftsschichten bedeutete, und damit, zu lernen, wie man ein Zuhause baut und Dutzende anderer Aufgaben bewältigt, die notwendig sind, um ein ganzer Mann oder eine ganze Frau zu werden. Aber hier ist der Stundenplan, mit dem die Kinder, die ich unterrichte, fertig werden müssen: Von den 168 Stunden einer Woche schlafen meine Kinder 56. Das lässt ihnen 112 Stunden pro Woche, um ihr Selbst zu formen. Nach jüngeren Berichten schauen Kinder 55 Stunden pro Woche Fernsehen. Das lässt ihnen 57 Stunden pro Woche, um erwachsen zu werden. Meine Kinder besuchen 30 Stunden pro Woche die Schule, brauchen etwa 8 Stunden, um sich darauf vorzubereiten und hin- und zurückzufahren sowie durchschnittlich 7 Stunden pro Woche für Hausaufgaben - das sind 45 Stunden. Während dieser Zeit stehen sie unter beständiger Überwachung. Sie haben keine Privatsphäre und keine private Zeit und werden bestraft, wenn sie versuchen, ihre Zeit oder den Raum individuell zu nutzen. Das lässt ihnen 12 Stunden pro Woche, um ein ein38

zigartiges Bewusstsein herauszubilden. Natürlich essen meine Kinder auch und das braucht etwas Zeit - nicht viel, denn es gibt keine Mahlzeiten innerhalb der Familie mehr aber wenn wir 3 Stunden pro Woche für Abendessen annehmen, haben wir einen Nettobetrag von privater Zeit für jedes Kind von 9 Stunden pro Woche. Das ist nicht genug, oder? Je reicher das Kind ist, umso weniger Fernsehen schaut es natürlich, aber die Zeit der reichen Kinder ist genauso minuziös eingeteilt: durch einen etwas breiteren Katalog kommerzieller Vergnügungen und die unausweichliche Teilnahme an einer Reihe von Privatstunden, deren Inhalte sie sich nur selten selbst wählen dürfen. Aber diese Aktivitäten sind nur ein etwas hübscher aussehender Weg, um abhängige Menschen hervorzubringen, die nicht in der Lage sind, ihre Zeit selbst auszufüllen und unfähig, sich Bedeutungsstränge zu erschaffen, die ihrem Sein Substanz und Freude verleihen könnten. Diese Abhängigkeit und Ziellosigkeit sind eine landesweit verbreitete Krankheit, und ich glaube, dass Schule, Fernsehen und Unterricht damit viel zu tun haben. Denken Sie daran, womit wir uns als Volk umbringen: Drogen, hirnloser Wettbewerb, Sex aus Langeweile, die Obszönität von Gewalt, Glücksspiel und Alkohol - und die schlimmste Obszönität überhaupt: Das Leben wird damit verbracht, Sachen zu kaufen. Materielle Anhäufung als Lebensphilosophie. All diese Dinge spiegeln das Suchtverhalten abhängiger Persönlichkeiten, und genau solche Persönlichkeiten bringt unsere Art von Schulen unausweichlich hervor.

V Ich möchte Ihnen erzählen, welche Wirkung es auf unsere Kinder hat, dass wir ihnen all ihre Zeit wegnehmen - Zeit, die sie brauchen würden, um erwachsen zu werden - und sie dazu zwingen, ihre Zeit mit Abstraktionen zu verbringen. Sie müssen das erfahren, denn jede Reform, die an diesem Krankheitsbild nichts verändert, wird nur Kosmetik bleiben. 1. Den Kindern, die ich unterrichte, ist die Welt der Erwachsenen egal. Dies leugnet die Erfahrung vieler Jahrtausende. Genau herauszufinden, was die Großen eigentlich machen, war immer die aufregendste 39

Beschäftigung für junge Leute, aber heute will niemand, dass Kinder erwachsen werden, am wenigsten die Kinder selbst - und wer kann es ihnen verübeln? Toys are us? 2. Die Kinder, die ich unterrichte, besitzen fast keine Neugier, und das Bisschen, was sie haben, ist sehr kurzlebig. Sie können sich nicht sehr lange konzentrieren, auch nicht auf die Dinge, mit denen sie sich freiwillig beschäftigen. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Pausenglocken, die immer und immer wieder zum Ende der Unterrichtsstunde läuten, und diesem Phänomen der verschwindenden Aufmerksamkeitsspanne? 3. Die Kinder, die ich unterrichte, haben wenig Sinn für die Zukunft, dafür, wie unausweichlich morgen mit heute verbunden ist. Sie leben wie gesagt in einer beständigen Gegenwart: Genau der Moment, in dem sie sind, ist die Begrenzung ihres Bewusstseins. 4. Die Kinder, die ich unterrichte, sind ahistorisch: Sie haben keinen Sinn dafür, wie die Vergangenheit ihre eigene Gegenwart vorherbestimmt hat, wie sie ihre Entscheidungen begrenzt, ihre Werte und ihr Leben formt. 5. Die Kinder, die ich unterrichte, sind untereinander sehr grausam ; ihnen fehlt jegliches Mitgefühl für Schicksalsschläge, sie lachen über Schwäche und verachten Menschen, deren Hilfsbedürftigkeit zu offensichtlich ist. 6. Die Kinder, die ich unterrichte, fühlen sich unbehaglich, wenn sie Innigkeit, Nähe oder Aufrichtigkeit erleben. Sie können mit echter Nähe nicht umgehen, denn sie haben sich schon früh angewöhnt, innerhalb einer größeren äußeren Persönlichkeit aus künstlichen Versatzstücken von Verhaltensweisen, die sie aus dem Fernsehen übernommen oder sich zur Manipulierung ihrer Lehrer zugelegt haben, ein geheimes inneres Selbst zu bewahren. Weil sie nicht so sind, wie sie sich präsentieren, droht ihre Tarnung angesichts echter Nähe durchsichtig zu werden - also müssen sie wirklich innige Beziehungen vermeiden. 7. Die Kinder, die ich unterrichte, sind materialistisch. Sie folgen den Lehrern, die materialistisch »alles bewerten«, und den Vorbildern im Fernsehen, die alles auf der Welt zum Verkauf anbieten. 40

8. Die Kinder, die ich unterrichte, sind angesichts neuer Herausforderungen unselbstständig, passiv und ängstlich. Diese Ängstlichkeit wird häufig durch oberflächliche Kühnheit, Wut oder Aggressivität maskiert, aber darunter liegt ein Vakuum ohne Kraft. Ich könnte noch weitere Zustände benennen, mit denen eine Schulreform fertig werden müsste, wenn der Niedergang unserer Nation aufgehalten werden soll, aber Sie werden jetzt eine Vorstellung meiner These bekommen haben, ob Sie mit ihr nun übereinstimmen oder nicht. Diese krankhaften Erscheinungen wurden entweder durch unsere Schulen verursacht oder vom Fernsehen oder von beiden zusammen. Es ist eine Frage der Arithmetik: Zwischen Schule und Bildschirm wird all die Zeit, die Kinder haben, aufgefressen. Unsere Kinder verbringen einfach nicht genug Zeit mit anderen Erfahrungen, als dass es hier noch bedeutsame oder wichtige Ursachen geben könnte.

VI Was können wir tun? Erstens brauchen wir eine intensive landesweite Debatte, die nicht aufhört. Jeden Tag, Jahr für Jahr, genau die Art beständiger Debatte, die der Journalismus langweilig findet. Wir müssen uns wegen der Schule anschreien und streiten, bis sie in Ordnung gebracht oder endgültig abgeschafft wird, ein Drittes gibt es nicht. Wenn wir sie in Ordnung bringen können, gut; wenn nicht, dann zeigt der Erfolg des Homeschoolings einen anderen Weg auf, der große Verheißungen birgt. Wenn wir das Geld, das wir heute in die Schulen stecken, wieder in die familiäre Bildung investieren würden, könnten wir zwei Krankheiten mit einer Medizin heilen: die Familien und die Kinder. Eine echte Reform ist möglich, aber sie darf nichts kosten. Wenn wir mehr Geld und mehr Leute in diese kranke Institution pumpen, machen wir sie nur noch kränker. Wir müssen die grundlegenden Prämissen der Beschulung überdenken und entscheiden, was wir unsere Kinder lernen lassen wollen und warum. Seit hundertvierzig Jahren versuchen in diesem Land »Experten« von 41

ihrem luftigen Kommandozentrum aus, der Schule Ziele vorzugeben. Diese Experten sind eine zentrale Elite von Manipulatoren der Gesellschaft.10 Es hat nicht funktioniert. Es wird nicht funktionieren. Und es ist ein großer Verrat an der demokratischen Verheißung, in der einst das besondere Experiment unseres Volk bestand. Der russische Versuch, in Osteuropa Platos Staat zu erschaffen, ist vor unseren Augen gescheitert. Unser eigener Versuch, dieselbe Art zentraler Orthodoxie unter Nutzung der Schulen als Instrument einzuführen, franst ebenfalls bereits an den Nähten aus, aber der Vorgang ist langsamer und qualvoller. Es funktioniert nicht, weil die zugrunde liegenden Annahmen mechanisch, unmenschlich und familienfeindlich sind. Das Leben kann durch ein maschinenhaftes Erziehungssystem gelenkt werden, aber das wird immer gesellschaftliches Leiden zur Folge haben: Drogen, Gewalt, Selbstzerstörung, Gleichgültigkeit und die Symptome, die ich bei den Kindern sehe, die ich unterrichte.

VII Es ist dringendnötig, zurückzuschauen, um eine Bildungsphilosophie wiederzugewinnen, die funktioniert. Eine, die mir besonders gut gefällt, war Jahrtausende lang ein Favorit der herrschenden Klassen in Europa. Ich benutze so viel davon, wie ich in meinem eigenen Unterricht umsetzen kann, das heißt so viel, dass ich damit gerade noch durchkomme, angesichts der gegenwärtigen Institution der Schulpflicht. Ich denke, sie funktioniert genauso gut für arme Kinder wie für reiche. Im Herzen dieses elitären Bildungssystems steht der Glaube, dass Selbsterkenntnis die einzige Basis für echte Kenntnis ist. Wo dieses System angewandt wird, finden Sie für jedes Alter die Dinge so geordnet, dass das Kind immer wieder einer Herausforderung allein und ohne Anleitung gegenübersteht. Manchmal ist diese Herausforderung mit großen Risiken verbunden, wenn es zum Beispiel darum geht, mit einem Pferd zu galoppieren oder mit ihm zu springen, aber das ist natürlich eine Herausforderung, die früher Tausende von Kindern der Elite noch vor ihrem zehnten Lebensjahr gemeistert haben. Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemand, der eine solche Herausforderung gemeistert hat, jemals zu wenig 42

Vertrauen in seine Fähigkeit hat, etwas anderes zu erreichen? Manchmal besteht die Herausforderung darin, mit Einsamkeit fertig zu werden, wie Thoreau es in Waiden tat oder Einstein im Schweizer Zollhaus. Im Moment nehmen wir unseren Kindern all die Zeit, die sie brauchen würden, um Selbsterkenntnis zu entwickeln. Das muss aufhören. Wir müssen Schulerfahrungen erfinden, die den Kindern viel Zeit zurückgeben. Wir müssen ihnen von einem sehr frühen Alter an unabhängiges Studium zutrauen, vielleicht arrangiert in der Schule, aber eines, das außerhalb der Institutionen stattfindet. Wir müssen Lehrpläne erfinden, die jedem Kind die Chance geben, private Einzigartigkeit und persönliches Selbstvertrauen zu entwickeln. Vor kurzer Zeit habe ich siebzig Dollar genommen und ein zwölfjähriges Mädchen aus meiner Klasse zusammen mit seiner Mutter, die kein Wort Englisch spricht, in einen Bus runter zur Küste New Jerseys gesetzt, um den Polizeichef von Sea Bright zum Essen einzuladen und sich dafür zu entschuldigen, dass sein Strand mit einer weggeworfenen Limonadenflasche verunreinigt worden war. Im Gegenzug für diese öffentliche Entschuldigung hatte ich mit dem Polizeichef arrangiert, dass das Mädchen ein eintägiges Praktikum in der Polizeistation dieser kleiner Stadt miterleben konnte. Ein paar Tage später sind zwei weitere meiner zwölfjährigen Kinder allein von Harlem zur West Thirty-first Street gereist, wo sie ein Praktikum bei einem Zeitungsherausgeber begannen; weitere drei meiner Kinder fanden sich morgens um sechs inmitten der Jerseysümpfe und studierten das Bewusstsein eines Transportunternehmers, während er Dreiachser nach Dallas, Chicago und Los Angeles einteilte. Sind dies »besondere« Kinder in einem »besonderen« Programm? Nun, in gewissem Sinne ja, aber niemand, außer mir und den Kindern, weiß von diesem Programm. Sie sind einfach nette Kinder aus HarlemMitte, intelligent und wach, aber so schlecht beschult, dass die meisten, als sie zu mir kamen, nicht einmal flüssig addieren und subtrahieren konnten. Und kein Einziges wusste die Einwohnerzahl von New York City oder wie weit New York von Kalifornien entfernt ist. Mache ich mir darüber Sorgen? Natürlich! Aber ich bin zuversichtlich, dass sie in dem Maße, wie sie Selbsterkenntnis gewinnen, auch zu 43

ihren eigenen Lehrern werden - und nur das, was wir uns selbst beibringen, hat irgendeinen bleibenden Wert. Wir müssen den Kindern eigenständige Zeit geben, und zwar sofort, denn das ist der Schlüssel zur Selbsterkenntnis, und wir müssen sie so schnell wie möglich wieder mit der realen Welt in Verbindung bringen, so dass ihre eigenständige Zeit mit etwas Anderem verbracht werden kann als mit Abstraktion. Es handelt sich um einen Notfall - er braucht drastische Maßnahmen zur Korrektur.

VIII Was braucht ein neu strukturiertes Schulsystem sonst noch? Es muss aufhören, ein Parasit der arbeitenden Bevölkerung zu sein. Seit Anbeginn der Menschheit sind wir die Ersten, die Kinder in ein Warenlager von Wissen stecken und im Gegenzug keinerlei Leistung für das Allgemeinwohl von ihnen verlangen. Ich glaube, dass wir den Dienst am Gemeinwesen eine Weile lang zu einem Pflichtfach der Schule machen müssen. Es wird Kindern die Erfahrung des selbstlosen Handelns vermitteln, und ist außerdem der schnellste Weg, um Kindern echte Verantwortlichkeit im täglichen Leben zu geben. Fünf Jahre habe ich ein Guerilla-Schulprogramm geleitet, bei dem jedes Kind, reich oder arm, klug oder schnell oder langsam, dreiundzwanzig Stunden pro Jahr harte Arbeit für das Gemeinwohl leisten musste. Dutzende diese Kinder sind Jahre später als Erwachsene zu mir gekommen und haben mir erzählt, dass die Erfahrung, jemandem zu helfen, ihr Leben verändert hatte. Ich hatte sie gelehrt, die Dinge ganz anders zu sehen und ihre Ziele und Werte zu überdenken. Es geschah, als sie dreizehn waren, im Programm meiner Laborschule, und war nur möglich, weil mein reicher Schuldistrikt im Chaos versank. Als »Stabilität« zurückkehrte, wurde die Laborschule geschlossen. Sie war zu erfolgreich mit einer breit gemischten Gruppe von Kindern, und das Projekt kostete zu wenig, als dass man ihr den Fortbestand hätte erlauben können. Unabhängiges Lernen, Dienst am Gemeinwesen, Abenteuer und Erfahrung, viel Privatsphäre und Alleinsein, tausend verschiedene Praktika, eintägige und längere, - dies sind alles mächtige, preiswerte und wirk44

same Arten, um eine wirkliche Schulreform zu beginnen. Aber keine Reform im großen Ausmaß wird jemals unsere geschädigten Kinder und unsere geschädigte Gesellschaft heilen, wenn wir nicht darauf bestehen, dass die Idee von »Schule« die Familie als Hauptmotor der Bildung einbezieht. Wenn wir die Schule dafür benutzen, um die Kinder von ihren Eltern zu entfremden - und täuschen Sie sich nicht, dies war die zentrale Funktion von Schulen, seit John Cotton dieses Anliegen in den Bay Colony Schools 1650 als den Zweck der Schulen benannte und Horace Mann es 1850 zum Zweck der Massachusetts Schulen erklärte -, werden wir weiterhin die Horrorshow erleben, in der wir jetzt stecken. Der »Lehrplan Familie« ist das Herzstück jeden guten Lebens. Wir haben diesen Lehrplan verlassen - es ist Zeit, dazu zurückzukehren. Der Weg zur Gesundung des Bildungswesens erfordert, dass vor allem unsere Schulen den Würgegriff der Institution auf das Familienleben lockern und während der Schulzeit den Austausch von Eltern und Kind fördern, der die Familienbande stärkt. Dies war auch mein eigentliches Ziel, als ich das Mädchen und seine Mutter an die Küste nach Jersey schickte, um sich mit dem Polizeichef zu treffen. Ich habe viele Ideen, wie man einen solchen Familienlehrplan formulieren könnte und ich vermute, dass viele von Ihnen auch noch viele Ideen haben. Unsere größte Herausforderung liegt darin, die Art Graswurzeldenken zu entwickeln, die das Schulsystem reformieren könnte. Das Problem ist: Es gibt mächtige, versteckte Interessen, welche die gesamte Sendezeit für sich beanspruchen und von den Schulen, so wie sie sind, profitieren, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Wir müssen dafür sorgen, dass neue Stimmen und neue Ideen Gehör finden: meine Ideen und Ihre. Wir haben alle den Kanal voll mit autorisierten Stimmen, die vom Fernsehen und der Presse vermittelt werden was wir jetzt brauchen, sind nicht weitere »Experten«-Gutachten, sondern eine jahrzehntelange umfassende Debatte aller. Die Experten in der Bildung hatten noch nie Recht; ihre »Lösungen« sind teuer, dienen ihnen selbst und bringen immer weitere Zentralisierung mit sich. Die Ergebnisse haben wir gesehen. Es ist an er Zeit, zu Demokratie, Individualität und Familie zurückzukehren. 45

Kapitel Drei DER GRÜNE FLUSS MONONGAHELA Rede anlässlich der Verleihung des Ersten Preises der Geraldine-Dodge-Stiftung - Columbia University National Essay Contest.

Anfangs wurde ich Lehrer, ohne es zu merken. Zu der Zeit wuchs ich an den Ufern des grünen Monongahela-Flusses auf, sechzig Kilometer südwestlich von Pittsburgh, und an den Ufern dieses tiefen, grünen und immer geheimnisvollen Flusses wurde ich auch ein Schüler, ein Meister der Flugmuster blauer Libellen und erbitterter Feind der schillernden Zecken, die auf den Uferweiden lauerten. »Pass mit den Zecken auf, Jackie!«, pflegte Großmutter Mossie mir nachzurufen, wenn ich mich zum Ufer aufmachte, im Sommer und im Winter, nur zwei Minuten Fußweg von der Second Street entfernt, wo ich parallel zu den ausgefahrenen Wagenspuren der Main Street und den Gleisen der Pennsylvania Railroad wohnte. Ich beobachtete die roten und gelben Zecken, die Löcher in die blassgrünen Blätter bissen, während ich zum Flussufer rannte. An diesem Fluss trank ich mit acht meinen ersten Schnaps, rauchte jede Zigarette, die ich ergattern konnte und beobachtete, noch ehe ich zwölf war, mit größter Vorsicht Männer und Frauen, wie sie sich dort nachts auf Wolldecken liebten. Der Fluss war mein Labor: Ich lernte, genau hinzuschauen und meine Schlüsse zu ziehen. Wie machte mich der Fluss zu einem Lehrer? Das ging so: Auf dem Fluss fuhren zahlreiche Raddampfer, deren rotierende Schaufelräder Wolken aus weißer Gischt emporhoben, und der grüne Fluss schien hellorange zu kochen, wo der chemische Unterstrom aufgewühlt wurde; man konnte vom Rand aus ganz klar das laute Tam-Tam-Tam auf dem Wasser hören. 46

Aus der ganzen Stadt rannten die kleinen Jungen herbei und staunten. Zwölf Mal am Tag. Keiner wurde jemals gleichgültig gegenüber diesen Dampfern, denn nichts Wichtiges kann wirklich jemals langweilig sein. Erkennen Sie den Unterschied? Den Unterschied zwischen diesen real existierenden Booten und den total langweiligen Raumschiffen der vergangenen Jahrzehnte, die einfach nur fliegender Müll sind, ohne irgendeinen Sinn, an den ein Junge glauben kann? Es ist hart, ein Interesse daran vorzutäuschen, selbst jetzt, wo ich mit Unterrichten mein Geld verdiene und gerne zum Wohle der New Yorker Kinder, in deren Leben es keine Dampfschiffe geben wird, Interesse heucheln würde. Die Raketen sind dumme Spielzeuge, wie Kinder in Manhattan sie am Tag nach Weihnachten beiseite legen, um sie nie mehr anzufassen; die Dampfschiffe waren wirklich magisch, und sie trennten ganz klar die Welt der Jungen von der Welt der Männer. Levi Strauss wüsste, wie man das erklären kann. An diesem Fluss Monongahela war jeder mein Lehrer. Täglich, so schien es einem Jungen, hielt einer der kilometerlangen Züge in der Stadt, um Wasser und Kohle zu bunkern oder aus irgendeinem anderen geheimnisvollen Grund; Bremser und Lokführer wandten sich rotznäsigen Kindern zu und erzählten ihnen Eisenbahnmythen, sie ließen uns auf ViehTank-, Kohle- und anderen Waggons herumtoben, deren Funktion wir uns so leicht merkten wie die Silhouetten von feindlichen Flugzeugen. Ungefähr einmal im Jahr durften wir mit in den Personalwaggon, der nach schalem Bier roch, und bekamen ein Wurst-auf-Weißbrot-Sandwich. Die namenlosen Männer unterrichteten, berieten und inspirierten die Jungen von Monongahela - dies war genauso ihre Aufgabe wie das Fahren der Züge. Manchmal stoppte ein Flussdampfer in der Fahrrinne und spie eine Mannschaft aus, die ans Ufer ruderte und ihr Boot an einer der Weiden vertäute. Das war der Anlass, bei dem sich jeder löcherige Kahn in dem zwölf Hauserblocks langen Örtchen mit Kindern füllte, die wie die Wikinger ruderten, manchmal mit Stöcken anstelle von Paddeln, um die »Belle of Pittsburgh« oder »The Original River Queen« zu entern. Eine Art natürlicher Etikette wirkte in Monongahela. Die Regeln mussten nicht niedergeschrieben sein: Wenn Männer Zeit hatten, zeigten sie den Jungs, wie man erwachsen wurde. Wir jammerten nicht, wenn unsere Zeit um war: Die Männer mussten arbeiten, und wir verstanden das und 47

trollten uns, dankbar dafür, dass sie sich die Zeit genommen hatten, uns einen kurzen Einblick zu geben, ein Blitzlicht auf unsere eigene Zukunft zu werfen, wie kurz es auch gewesen sein mochte. Während ich in Monongahela aufwuchs, wurde ich drei Mal verhaftet oder besser gesagt, von der Polizei aufgegriffen und in eine Zelle verfrachtet, um dort zu warten, bis Papa mich befreite. Ich möchte diese Erlebnisse um nichts in der Welt missen. Beim ersten Mal war ich neun und wurde eine halbe Stunde nach Beginn der nächtlichen Ausgangssperre auf dem Bauch liegend unter einem parkenden Auto, aufgegriffen. 1943 wurde in Monongahela Valley immer alles verdunkelt, aus Angst, Hitlers Flugzeuge würden irgendwie einen Weg über den Atlantik zu unseren Stahlwerken finden, die beide Seiten des Flusses säumten. Die Nazis warteten wahrscheinlich darauf, dass eine besorgte Mutter nach der Ausgangssperre nach ihrem Kind suchte, und dann WHAMMM! würde die teutonische Luftflotte herabfahren! - Der Polizist hieß Charlie. Er ging mit mir in die Zelle - kein Anruf bei Mutter, bevor Charlie mir nicht die tödliche Gefahr von Görings Luftwaffe erklärt hatte. Was war das für eine geopolitische Unterrichtsstunde! Ein anderes Mal spießte ich einen Goldfisch in einem städtischen Teich auf und wechselte auf Geheiß des Richters von der Zelle in die Bücherei , wo ich einen Monat lang über das Leben von Tieren nachzulesen hatte. Am V-J-Day11 ging ich schließlich eine Wette ein und zerschoss die Scheibe eines Polizeiautos mit einer Steinschleuder. Ich gestand diese Tat und machte meine erste Bekanntschaft mit Erwerbstätigkeit, um die Scheibe zu bezahlen. Ich fegte für fünfzig Cent pro Woche das Büro in der Druckerei meines Großvaters. Nachdem ich nach Cornell umgezogen war, sah ich Monongahela und seinen grünen Fluss nur noch ein einziges Mal: Nach meinem ersten Studiensemester ging ich ins dortige städtische Krankenhaus, um meinem sterbenden Großvater Blut zu spenden. Er war in seinem Sterben so stark, wie er immer in seinem Leben gewesen war. In einem anderen Raum lag meine Großmutter im Sterben. Beide verschieden innerhalb von vierundzwanzig Stunden, mein Großvater, Harry Taylor Zimmer sen., nahm mein Blut mit ins Grab. Meine Familie zog danach ständig um, aber in meinem Herzen habe ich Monongahela nie verlassen. Dort habe ich gelernt zu leh48

ren, weil mich jeder in der Stadt lehrte, dort lernte ich, die Liebe zur Arbeit zu lehren, weil man von mir auch als Junge verlangte, meinen Anteil an Verantwortung zu übernehmen, und dort lernte ich, Abenteuer zu finden, die ich mir aus den alltäglichen Dingen, die um mich waren, selbst erschuf - aus dem Fluss und den Menschen, die an ihm lebten. 1964 verdiente ich sehr viel Geld. Diesen Job habe ich dann aufgegeben, um Lehrer zu werden. Ich war Werbetexter auf der Uberholspur, ein junger Kerl mit einer besonderen Begabung, Dreißig-SekundenWerbespots zu kreieren. Meine Arbeit erforderte ungefähr einen Tag pro Monat, und den Rest der Zeit verbrachte ich mit ausgedehnten Frühstücken und Feierabend-Martinis in Michael' s Pub. Ich hielt mich auf dem Laufenden über das wechselhafte Geschäftsglück von ungefähr zwanzig Agenturen, um zum rechten Zeitpunkt zu einem besser bezahlten Job zu wechseln, und feierte endlose Partys, die immer in ungeheuren Kopfschmerzen zu gipfeln schienen. Es schmerzte mich, dass all die Dringlichkeiten des Berufes äußerlich entstanden waren, aber was mich noch mehr bedrückte war, dass die Arbeit, die ich tat, kaum Bedeutung zu haben schien - nicht einmal für die Leute, die mich dafür bezahlten. Am schlimmsten aber war die Perspektivlosigkeit dieser Arbeit. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterschieden sich kaum voneinander: Die Arbeit eines neunundzwanzigjährigen Mannes unterschied sich nicht von der eines Dreißigjährigen oder der eines Neunundvierzigjährigen (obwohl es offenbar keine neunundvierzigjährigen Werbetexter gab - ich hatte keine Ahnung, warum). »Ich gehe!«, sagte ich eines Tages zu meinem Chef. »Bist du verrückt, Jack? Du erhältst dieses Jahr eine Gewinnbeteiligung. Wir können auf jede deiner Gehaltsforderungen eingehen. Zu wem willst du gehen?« »Zu keinem, Dan. Ich meine, dass ich gehe, um an der Junior High School zu unterrichten.« »Wenn du deine Mutter das nächste Mal siehst, sag ihr, dass sie einen Idioten groß gezogen hat. Du lieber Himmel! Das wird dir leid tun! In New York City gibt es keine Schulen; es gibt dort nur Gefängnisse für verlorene Seelen. Unterrichten ist ein Schwindel, ein Wohlfahrtsunternehmen für Nieten, die sonst nichts können!« 49

Ein paar Tage lang diskutierte ich endlos mit meinen Werbekollegen. Ihre Verachtung bewirkte nur die Festigung meines Entschlusses; die Flussdampfer und Züge von Monongahela arbeiteten in mir. Es war dringender, dass ich etwas tat, was keine absurden Züge trug, als weitere Partys zu feiern oder neue abstrakte Zahlen auf meinem Bankkonto vorzufinden. Und so wurde ich Vertretungslehrer einer Junior High School und arbeitete überall: dort, wo heute das Lincoln Center ist, bis zur Columbia University, meiner eigenen Hochschule, und von Harlem bis zur South Bronx. Nach drei Monaten hatten die grässlichen, schlechten Arbeitsbedingungen, die hässlichen Räume, die zerrissenen Bücher, die wiederholten verleumderischen Abmahnungen seitens der Behörden, die Pausenglocken, der Lärmpegel, das grauenvolle Lehreressen in der Cafeteria, die ungepflegte Kleidung, die unerklärliche Abwesenheit von Gesprächen über Kinder unter den Lehrern (noch heute, nach dreißig Jahren im Geschäft, kann ich ehrlich sagen, dass ich kein einziges Mal in irgendeinem der Lehrerzimmer, in denen ich gewesen bin, ein längeres Gespräch über Kinder oder über pädagogische Theorien gehört habe), mich völlig fertiggemacht. Schon an meinem ersten Unterrichtstag wurde ich von einem Jungen angegriffen, der einen Stuhl über seinem Kopf schwang. Es geschah in der berüchtigten Junior High School Wadleigh, in der 113. Straße. Ich erteilte Schreibmaschinenunterricht in der achten Klasse - fünfundsiebzig Schüler und Schreibmaschinen - mit dieser einen Vorgabe: »Unter gar keinen Umständen dürfen Sie ihnen erlauben zu tippen. Ihnen fehlt die Lizenz dazu. Ist das klar?« - Ein Mr. Bash12 hatte mir das gesagt. - Von dem Zeitpunkt, als ich die Tür schloss und den Befehl ausgab, nicht zu tippen, bis zu dem Zeitpunkt, wo sich hundertfünfzig Hände unter die Schreibmaschinenabdeckung stahlen und zu tippen begannen, kann es nicht mehr als sechzig Sekunden gedauert haben. Aber sie begannen nicht alle auf einmal - das wäre zu einfach gewesen. Zuerst hörte ich drei Maschinen irgendwo rechts mit ihrem Klack-Klack. Schnell, wo waren die Übeltäter? Ich rannte in diese Ecke und schrie Aufhören!, als plötzlich hinter meinem Rücken drei andere Maschinen anfingen! Ich wirbelte herum, wie es nur ein junger Mann tun kann, und erwischte einen kleinen Jungen. Dann, während einer wahren Sinfonie von klappernden Maschinen, dem Klingeln am Zeilenende und dem Zurückschieben der Walzen, zerrte ich 50

den Jungen von seinem Sitz hoch und verkündete mit der höchsten Lautstärke, zu der meine närrischen Lungen fähig waren, ich würde an dieser Missgeburt ein Exempel statuieren. »Vorsicht!«, rief ein Mädchen, und ich wendete mich ihr zu, gerade noch rechtzeitig, um einen großen Bruder des kleinen Kerls, den ich festhielt, mit einem über seinem Kopf erhobenen Stuhl auf mich zukommen zu sehen. Ich ließ seinen Bruder los, griff mir selbst einen Stuhl und erhob ihn. Eine Pattsituation! Wir betrachteten einander für eine gefühlte Ewigkeit aus einer Entfernung von etwa drei Metern, während die Klasse johlte und aufheulte, als die Tür sich öffnete und der stellvertretende Schulleiter Mr. Bash erschien, genau der Mann, der mir den Befehl erteilt hatte, die Kinder nicht tippen zu lassen. »Mr. Gatto, haben die Kinder hier getippt?« »Nein, Sir«, sagte ich und senkte meinen Stuhl, »aber ich glaube, sie möchten gern tippen. Was schlagen Sie stattdessen vor?« Er schaute mich eine Sekunde lang an und suchte nach Anzeichen von Unverschämtheit oder Aufsässigkeit, dann, als hätte er Besseres zu tun, als mich Anfänger abzukanzeln, sagte er nur: »Das überlasse ich Ihrem Erfindungsgeist.« Dann verließ er den Raum. Die meisten Kinder lachten - sie hatten ein solches Drama schon öfter erlebt. Die Situation war entschärft, aber insgeheim taufte ich Wadleigh die »Todesschule«. Auf dem Heimweg machte ich im Sekretariat halt und teilte der Sekretärin mit, sie solle mich, wenn sie eine Vertretung bräuchten, nicht mehr anzurufen. Am nächsten Morgen klingelte um 6.30 Uhr mein Telefon. »Stehen Sie heute zur Verfügung, Mr. Gatto?«, fragte die Stimme barsch. »Wer ist da?«, erwiderte ich argwöhnisch. (Zehn Schulen nutzten mich damals als Vertretungskraft, und jede stellte sich sofort vor.) »Das Gesetz besagt eindeutig, Mr. Gatto, dass wir Ihnen nicht sagen müssen, wer wir sind, bevor Sie uns sagen, ob Sie arbeitsfähig sind.« »Ist egal«, bellte ich in den Hörer, »es gibt nur eine Schule, die so einen Scheiß macht! Die Antwort lautet Nein! Ich stehe niemals zur Verfügung, um in Ihrer Schweineschule zu arbeiten!« Und ich knallte den Hörer wieder auf die Gabel. 51

Aber in Wahrheit war keine der Vertretungen besonders angenehm: Die Schulen hatten die unselige Angewohnheit, Vertretungslehrer auszubeuten und ihnen keine Unterstützung für ihr Uberleben zukommen zu lassen. Wahrscheinlich wäre ich zum Werbetexten zurückgekehrt, wenn nicht ein kleines Mädchen in seinem verzweifelten Bemühen, sich aus einer unerträglichen Situation zu befreien, mich in ihren persönlichen Schulalbtraum hineingezogen und mir gezeigt hätte, wie ich meine eigene Bedeutung im Unterrichten finden konnte - genauso wie diese starken Männer in den Dampfschiffen und Zügen ihre eigene Bedeutung gefunden hatten, eine Währung, die wir alle für unser Selbstbewusstsein brauchen. Das geschah folgendermaßen: Gelegentlich bekam ich einen Anruf von einer Grundschule. An diesem speziellen Tag war es der Unterricht in einer dritten Klasse in der Schule an der 107. Straße, deren Kollegium damals zu hundert Prozent nicht lateinamerikanisch war, deren Schülerschaft aber zu neunundneunzig Prozent aus lateinamerikanischen Migranten bestand. Wie viele verzweifelte Lehrer verdämmerte ich den größten Teil des Tages, indem ich zuhörte, wie Kinder vorlasen, eines nach dem anderen, und den Großteil meiner Energie darauf verwandte, die übrigen Zuhörer ruhig zu halten. Diese Klasse galt als eine der sehr schlechten, und keines der Kinder war in der Lage, mehr als drei oder vier Wörter ohne Stammeln aneinanderzureihen. Plötzlich segelte ein kleines Mädchen namens Milagros ohne Fehler durch einen ganzen Absatz. Nach dem Unterricht rief ich sie ans Pult und fragte, warum sie in dieser Klasse mit so schlechten Lesern sei. Sie antwortete, dass »die« (die Verwaltung) sie nicht herauslassen wollte, denn sie sei, so hätten »die« ihrer Mutter erklärt, eine schlechte Leserin, die sich nur einbildete, eine bessere zu sein. »Aber schauen Sie Mr. Gatto, mein Bruder ist in der sechsten Klasse, und ich kann jedes Wort in seinem Englischbuch besser lesen als er!« Ich war ein bisschen unangenehm berührt, aber um ehrlich zu sein, nicht sehr. Sicherlich wussten die Behörden, was sie da taten. Trotzdem war das kleine Mädchen so frustriert, dass ich es zur Beruhigung bat, mir aus dem Sechstklässlerbuch vorzulesen. Ich versprach Milagros, wenn sie das gut machte, ihren Fall mit der Schulleiterin zu besprechen. Ich erwartete gar nichts. Milagros ihrerseits erwartete Gerechtigkeit. Sie tauchte 52

ein in die Geschichte von »Der Teufel und Daniel Webster« und ratterte ohne einen Versprecher durch die ersten beiden Seiten. Mein Gott, dachte ich, das ist eine wirkliche Leserin. Was macht die hier? Nun, vielleicht war es einfach ein Versehen, das leicht zu korrigieren war. Ich schickte sie nach Hause und versprach, ihren Fall vorzutragen. Ich hatte keine Ahnung, in was für ein Wespennest ich mit meiner Forderung, Milagros solle in eine bessere Klasse kommen, stechen würde. »Sie haben Nerven, Mr. Gatto! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir jemals zuvor ein Vertretungslehrer gesagt hat, wie ich meine Schule führen soll. Haben Sie spezielle Lesekurse absolviert?« »Nein.« »Nun, dann schlage ich vor, dass Sie diese Entscheidungen den Experten überlassen!« »Aber das Kind kann lesen!« »Was schlagen Sie vor?« »Ich schlage vor, sie zu testen und sie, wenn sie kein Dummkopf ist, aus ihrer Klasse zu nehmen!« »Mir gefällt Ihre Ausdrucksweise nicht. Keines unserer Kinder ist ein Dummkopf, Mr. Gatto. Und Sie werden feststellen, dass Mädchen wie Milagros viele Möglichkeiten haben, um Neulinge wie Sie zum Narren zu halten. Das Kind hat wahrscheinlich eine Geschichte auswendig gelernt. Sehen Sie, wenn ich meine Zeit damit verschwende, mit Leuten wie Ihnen zu diskutieren, bleibt mir keine Zeit mehr, meine Schule zu leiten.« Aber merkwürdigerweise fühlte ich mich als Fürsprecher des Mädchens in der Pflicht, obwohl ich es wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Ich blieb hart, und die Schulleiterin willigte schließlich ein, Milagros am darauf folgenden Mittwoch nach der Schule selbst zu testen. Ich beschloss, es dem kleinen Mädchen am nächsten Tag zu sagen. Zu diesem Zeitpunkt war ich zu dem Schluss gekommen, dass die Schulleiterin wahrscheinlich Recht hatte - sie hatte die eine Geschichte auswendig gelernt -, aber ich wies sie trotzdem daraufhin, dass sie das Vokabular des ganzen Lesebuchs für Fortgeschrittene beherrschen und in der Lage sein müsste, jede Geschichte, die von der Schulleiterin ausgewählt würde, ohne Zögern vorzulesen. Der Rest lag nicht mehr in meiner Verantwortung, sagte ich mir. 53

Am nächsten Mittwoch wartete ich nach der Schule in dem Klassenraum auf das Ende von Milagros Prüfung. Um halb vier öffnete sie schüchtern die Tür zum Klassenzimmer. »Wie ist es gelaufen?«, fragte ich. »Ich weiß nicht«, antwortete sie, »aber ich habe keine Fehler gemacht. Mrs. Hefferman war sehr wütend, das konnte ich sehen.« Ich sah Mrs. Hefferman, die Schulleiterin, früh am nächsten Morgen vor Schulbeginn. »Es scheint, als hätten wir bei Milagros einen Fehler gemacht«, sagte sie kurz angebunden. »Sie wird versetzt werden, Mr. Gatto. Ihre Mutter ist informiert worden.« Einige Wochen später, als ich für eine andere Vertretung wieder an der Schule war, kam Milagros vorbei und erzählte mir, dass sie jetzt in der besseren Klasse sei und sehr gut klarkomme. Sie gab mir auch einen versiegelten Umschlag. Als ich an diesem Abend nach Hause kam, fand ich ihn noch ungeöffnet in meiner Jackentasche. Ich öffnete ihn und sah eine kitschige Geburtstagkarte mit blauen Blümchen. Ich klappte die Karte auf und las: »So einen Lehrer wie Sie findet man nicht noch einmal. Ihre Schülerin Milagros.« Dieser einfache Satz machte mich zu einem Lehrer fürs Leben. Es war das erste Lob in meinem Arbeitsleben, das wirklich eine Bedeutung hatte. Ich vergaß es nie, obwohl ich Milagros nie wieder sah und erst 1988, vierundzwanzig Jahre später, von ihr hörte. Damals schlug ich eines Tages die Zeitung auf und las: Auszeichnung für Berufsschullehrerin Milagros M., Bundeslehrerverband, hat den »Besonderen BerufsschullehrerPreis« des Landesbildungsministeriums für »erwiesene Leistung und außerordentliche Professionalität« erhalten. Als Lehrerin an der Norman-ThomasHandelsschule in New York City, an der sie auch selbst ihren Abschluss gemacht hat, ist Miss M. 1985 bereits zur Lehrerin des Jahres für Manhattan gewählt worden und wurde ein Jahr später für den Preis »Frauen mit Gewissen« nominiert, der vom Bundesfrauenrat vergeben wird.

Ach, Milagros, ist es wirklich möglich, dass ich dein Monongahela-Fluss war? Egal, so eine Lehrerin wie dich findet man nicht noch einmal.

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Kapitel Vier W I R BRAUCHEN WENIGER SCHULE, NICHT MEHR »Wir erschafften die Zukunft«, sagte er, und kaum jemand von uns machte sich darüber Gedanken, welche Zukunft wir erschufen. Und hier ist sie! - Wenn der Schläfer erwacht, H. G. W E L L S Dieser Aufsatz - mein persönlicher Favorit - wurde speziell für die erste Ausgabe des Buches geschrieben und häufig als Vortrag gehalten, bevor das Buch veröffentlicht wurde.

I Eine erstaunlich große Anzahl ansonsten wacher Menschen kann sich schwer vorstellen, warum Umfang und Reichweite unseres RegelschulenNetzwerks nicht erweitert werden sollte (durch Ausweitung zur Ganztagsschule oder Verkürzung der Ferien zum Beispiel), um für die Probleme, die sich aus dem Zerfall der Familien ergeben, eine ökonomische Lösung zu finden. Ein Grund für ihre Einstellung ist meiner Meinung nach, dass sie Schwierigkeiten haben, den tatsächlichen Unterschied zwischen einem Gemeinwesen und einem Netzwerk zu begreifen, und sogar den Unterschied zwischen Familie und Netzwerk. Aufgrund ihrer Verwirrung kommen sie zu dem Schluss, es sei der richtige Weg, ein schlechtes Netzwerk durch ein gutes ersetzen. Da ich in Bezug auf die Grundannahme, dass Netzwerke einen funktionierenden Ersatz für Familien darstellen, vollkommen anderer Ansicht bin, und weil gemäß einer weit verbreiteten Auffassung viel mehr Schule viel mehr Geld kosten wird, 55

dachte ich, ich sage Ihnen mal aus der Perspektive eines Lehrers, dass wir nicht über mehr Schule nachdenken sollten, sondern über weniger. Befürworter unseres Schulsystems bewundern meistens Netzwerke im Allgemeinen und blicken gern auf deren positive Seite, aber sie übersehen den negativen Aspekt: Netzwerke - selbst gute - entziehen Gemeinschaften und Familien die Lebenskraft. Sie liefern mechanische (»SchemaF)-Lösungen« für menschliche Probleme, wo doch ein langsamer organischer Prozess der Selbstwahrnehmung, Selbstentdeckung und Kooperation nötig ist, wenn irgendeine nachhaltige Lösung in Erscheinung treten soll. Denken Sie an die Aufgabe, abzunehmen. Sie können dies mit mechanischen Tricks probieren, um schnell Resultate zu erzielen, aber soweit ich weiß, halten fünfundneunzig Prozent der armen Seelen, die das tun, nur sich selbst zum Narren. Der auf diesem Weg erzielte Gewichtsverlust hält nicht lange vor und das alte Gewicht ist schnell wieder erreicht. Andere Netzwerklösungen sind genauso kurzlebig: Eine Gruppe von Jurastudenten kann sich zu gemeinsamen Examensvorbereitungen zu einem Netzwerk zusammenschließen, aber die Vorbereitung einer Gerichtsverhandlung in einer privaten Kanzlei muss dann doch alleine durchgestanden werden. Schon Aristoteles war der Ansicht, umfassende Teilnahme an einem komplexen Spektrum menschlicher Angelegenheiten sei der einzige Weg, um voll und ganz Mensch zu werden. In diesem Punkt war er anderer Meinung als Plato. Dem Gewinn durch die Hinzuziehung eines Spezialisten und die Annahme von dessen Votum steht oft mindestens so schwerwiegend der dauerhafte Verlust der eigenen Entscheidungskraft gegenüber. Diese Entdeckung ist verantwortlich für das seltsame Gewebe wirklicher Kommunikation, wo die Menschen mit ihren Ärzten, Rechtsanwälten und Ministern streiten und ihren Handwerkern sagen, was sie wollen, anstatt alles zu akzeptieren, was sie kriegen, wo sie sich ihr Essen häufig von Grund auf selbst zubereiten, anstatt es in einem Restaurant zu kaufen oder aufzutauen, und wo sie viele ähnliche Akte der Teilhabe durchführen. Eine wirkliche Gemeinschaft ist natürlich eine Versammlung von echten Familien, die ihrerseits in dieser teilhabenden Weise funktionieren. 56

Netzwerke allerdings brauchen nicht die ganze Person, sondern nur einen schmalen Ausschnitt von ihr. Das Netzwerk verlangt von Ihnen, alle anderen Teile Ihrer Persönlichkeit zu unterdrücken und nur den Teil zeigen, der für das Netzwerk interessant ist - ein hochgradig unnatürlicher Akt, auch wenn man sich daran gewöhnen kann. Im Austausch dagegen liefert das Netzwerk Effizienz bei der Verfolgung eines fest umrissenen Zieles. Dies hat jedoch einen Pferdefuß, da Sie auf die Verheißung irgendeines zukünftigen Vorteils hin die Gesamtheit Ihrer gegenwärtigen Persönlichkeit hingeben müssen. Wenn Sie sich zu sehr auf diesen Handel einlassen, spalten Sie sich in zu viele spezialisierte Teile auf, von denen keines mehr vollständig menschlich ist. Und Sie können kaum die Zeit aufbringen, sie wieder zu integrieren. Dies ist ironischerweise das Schicksal vieler erfolgreicher Netzwerker und verschafft zweifellos vielen Scheidungsanwälten und Therapeuten jeglicher Couleur Lohn und Brot. Die Fragmentierung, die durch übermäßige Networking verursacht wird, vermindert die Menschlichkeit, erzeugt das Gefühl, wir hätten unser Leben nicht mehr unter Kontrolle - und genau so ist es. Wenn wir uns unvoreingenommen mit der gegenwärtigen Krise von Schule und Gemeinwesen auseinandersetzen, in der Hoffnung, einen besseren Weg zu finden, müssen wir akzeptieren, dass Schulen - wie alle Netzwerke - für einen Großteil der Lähmung des modernen Lebens verantwortlich sind. Wir brauchen nicht mehr Schule - wir brauchen weniger. Ich gehe davon aus, dass Sie dafür gern einen Beweis hätten, obwohl die etwa eine Million sich zuhause bildender Menschen begonnen hat, am Rande des kollektiven Bewusstseins zu nagen, so dass davon auszugehen ist, dass diese Menschen zu landesweiter Aufmerksamkeit gelangen werden, wenn Einzelheiten über ihren Erfolg noch ein bisschen mehr die Runde machen. Für jene also von Ihnen, die noch nie gehört haben, dass es keines offiziell zugelassenen Lehrers in staatlich anerkannten Schulen bedarf, um eine gute Bildung zu erhalten, will ich versuchen, einen Teil der Maschinerie offenzulegen, durch die das Schulwesen so schlecht wird. Und wenn Sie denken: »Aber es war schon immer so«, dann machen Sie sich klar, dass dies nicht stimmt. 57

Die Erfüllung der Schulpflicht in »Fabrikschulen« ist sehr neu und eine junge Entwicklung aus dem Räume Massachusetts/New York. Bedenken Sie auch, dass Sie noch vor dreißig Jahren der Massenbeschulung wenigstens nach der Schule entkommen konnten; heute ist dies viel schwerer, denn eine andere Form der Massenbeschulung - das Fernsehen - hat sich überall verbreitet und saugt jede Aufmerksamkeit auf, die nicht in der Schule geblieben ist. Bis 1960 war der Umgang mit der Jugend in unserem Lande nur grotesk. Heute, wo kommerzielle Massenunterhaltung, die so suchterregend ist wie jede andere halluzinogene Droge, die Fluchtwege aus der Massenbeschulung blockiert hat, ist er tragisch geworden. Wenn man die kommunale Natur von institutionalisierten Familien wie Schulen, Großbetrieben, Hochschulen, Armeen, Krankenhäusern und Behörden in Betracht zieht, wird meist nicht berücksichtigt, dass sie gar keine wirklichen Gemeinschaften sind, sondern Netzwerke. Im Unterschied zu Gemeinschaften haben Netzwerke, worauf ich schon hingewiesen habe, ein ganz enges Spektrum, in dem sie Menschen erlauben sich zu verbinden, und dieses Spektrum beschränkt sich meistens auf eine einzige oder einige wenige spezielle Gemeinsamkeiten. Trotz ritueller Momente wie der Weihnachtsfeier oder dem Betriebsausflug - wenn die einzelnen menschlichen Bestandteile des Netzwerkes »nach Hause gehen«, gehen sie allein. Und trotz mitmenschlicher Unterstützung durch Kollegen in Krisensituationen Menschen in Netzwerken leiden allein, es sei denn, sie haben eine Familie oder Gemeinschaft, die ihr Leid mit ihnen teilt. Selbst mit den »Gemeinschaften« im Studentenwohnheim ist es so, jenen fast perfekten Simulationen von sehr engagierten und intimen Gemeinschaften. Wer von uns hat nicht die erschreckende Erfahrung gemacht, dass wir uns nach dem Ende des Studiums kaum noch an die Namen oder Gesichter unserer damaligen Freunde erinnern können? Und wer von denen, die sich noch erinnern, verspürt den innigen Wunsch, diese Verbindungen zu erneuern? Es ist eine verwirrende Entwicklung und noch kaum verstanden, dass die »Fürsorglichkeit« in Netzwerken in einer wichtigen Hinsicht nur vorgetäuscht ist. Nicht bösartig, aber trotz jeder echten emotio58

nalen Anziehung, die es dort geben mag, ähnelt das menschliche Verhalten in Netzwerksituationen oft einem Drama - wir erfüllen ein Skript, das produziert wurde, um den Erfordernissen einer Geschichte zu genügen. Und so fehlt den intimen Augenblicken in Netzwerken der nachhaltige Wert ihrer Gegenstücke in echten Gemeinschaften. Jene von Ihnen, die sich an die wunderbare Nähe erinnern, die in einem militärischen Ausbildungslager oder in Sportmannschaften möglich ist, und die jetzt jene vergessen haben, denen sie einst so nah waren, werden verstehen, was ich meine. Um den Unterschied zu verdeutlichen: Haben Sie jemals einen Onkel oder eine Tante vergessen? Wenn der Verlust echter Gemeinschaft durch die Tarnung in Netzwerken nicht rechtzeitig bemerkt wird, entsteht ein Zustand im Geist des Opfers, der sehr stark dem »Lachshunger« ähnelt: An diesem litten Naturforscher, deren Ernährung ausschließlich aus Flussfischen bestand. Obwohl Lachs den nagenden Hunger stillt - und sogar gut schmeckt -, leidet der Konsument nach und nach an einem Mangel an ausreichenden Nährstoffen. Netzwerke wie Schulen sind keine Gemeinschaften, genauso wie schulische Erziehung keine Bildung ist. Netzwerkschulen beanspruchen fünfzig Prozent der Gesamtzeit der Jugend für sich, sperren junge Menschen mit anderen jungen Menschen nach Jahrgängen geordnet zusammen, diktieren mit Pausenglocken den Anfang und das Ende von Arbeit, verlangen von Menschen, alle zur gleichen Zeit über dieselbe Sache in derselben Art und Weise nachzudenken und klassifizieren Menschen wie Gemüse. So - und auf ein Dutzend andere bösartige und dumme Arten - rauben Netzwerkschulen den Gemeinschaften die Vitalität und ersetzen sie durch einen hässlichen Mechanismus. Niemand überlebt den jahrelangen Aufenthalt an diesen Orten, ohne Schaden an seiner Menschlichkeit zu nehmen, weder Kinder noch Lehrer noch Verwalter und auch nicht die Eltern. Eine Gemeinschaft ist ein Ort, wo Menschen einander im Laufe der Zeit in ihrer gesamten menschlichen Vielfalt begegnen: gute Anteile, schlechte Anteile und der ganze Rest. Solche Orte fördern die höchstmögliche Lebensqualität - ein Leben in Engagement und Teilhabe. Das geschieht auf unerwartete Weise, aber wenn Sie mehr als ein Jahr59

zehnt damit zugebracht haben, zuzuhören, wie andere Menschen reden und zu tun, was Andere Ihnen sagen, wenn Sie versucht haben, ihnen zu gefallen - wie es in den Schulen der Fall ist -, geschieht es nie. Es ist ein Unterschied für Ihr ganzes Leben, ob Sie diese Schulung vermeiden oder in die Falle gehen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Netzwerke sozial engagierter Kommunalpolitiker werden die Probleme Obdachloser berücksichtigen, eine Gemeinschaft jedoch wird sich dieser Personengruppe als wirklicher Menschen annehmen, nicht als Abstraktion. Ron, Dave oder Martin - ein Gemeinwesen nennt auch seine Außenseiter bei ihren Namen. Das ist ein Unterschied. Die Menschen in einer Gemeinschaft interagieren auf tausend unsichtbaren Pfaden, und der emotionale Lohn ist entsprechend reich und komplex. Aber Netzwerke können nur eine comicartig vereinfachte Nachahmung von Gemeinschaft bieten und liefern einen sehr begrenzten Lohn. Ich gehöre natürlich auch selbst einigen Netzwerken an, aber die einzigen, die ich für vollständig ungefährlich halte, sind jene, die nicht Gemeinschaft vortäuschen, sich ihrer Grenzen bewusst sind und sich einzig und allein darauf konzentrieren, mir bei der Erfüllung einer bestimmten und notwendigen Aufgabe zu helfen. Aber ein Vampirnetzwerk, wie eine Schule es ist, raubt große Anteile an Zeit und Energie, die dafür nötig wären, um echte Gemeinschaft und Familie aufzubauen, und will immer noch mehr. Dieses Vampirnetzwerk muss einen Holzpfahl durchs Herz getrieben bekommen und in seinen Sarg genagelt werden. Der Fütterungswahn der formellen Beschulung hat uns bereits ernsthaft in unserer Fähigkeit verletzt, Familien und Gemeinschaften zu bilden, denn uns läuft die Zeit davon, die wir mit unseren Kindern und unsere Kinder mit uns brauchen. Darum sage ich, dass wir weniger Schule brauchen, nicht mehr. Wer will leugnen, dass Netzwerke bestimmte Aufgaben erledigen können? Das können sie. Aber ihnen fehlt jede Fähigkeit, ihre Mitglieder emotional zu nähren. Die extreme Rationalität im Herzen des Netzwerks basiert auf derselben Fehlwahrnehmung der menschlichen Natur wie die französische Aufklärung und des Begründers der Soziologie, Auguste Comte. Im besten Fall sind wir Menschen viel, viel 60

mehr als nur rational, im besten Fall transzendieren wir die Rationalität, indem wir ihre Abläufe in unsere unteren Funktionsebenen integrieren. Darum werden Computer niemals Menschen ersetzen, denn sie sind verdichtete Rationalität und damit sehr begrenzt. Netzwerke spalten Menschen, erst von sich selbst und dann voneinander, mit der Begründung, dies sei der effizienteste Weg, um eine Aufgabe zu erfüllen. Das mag schon sein, aber es ist eine lausig schlechte Art, um sich des Lebens zu freuen. Netzwerke machen Menschen einsam. Sie können ihren unmenschlichen Mechanismus nicht korrigieren, weil sie sonst als Netzwerk nicht mehr erfolgreich sind. Hinter der Absurdität, dass Netzwerke wie Gemeinschaften aussehen (aber keine sind), lauert das groteske Geheimnis der Massenschule, und das ist der Grund, warum eine Ausweitung des Herrschaftsgebietes der Schule den gefährlichen Zustand des sozialen Zerfalls, den sie korrigieren soll, nur verschlimmern würde. Ich möchte dies wiederholen, bis Sie es nicht mehr hören können. Netzwerke richten großen Schaden an, indem sie ähnlich aussehen wie wirkliche Gemeinschaften und so die Erwartung wecken, sie könnten menschliche, gesellschaftliche und psychologische Bedürfnisse erfüllen. In Wirklichkeit sind sie dazu nicht in der Lage. Selbst Zusammenschlüsse, die so harmlos sind wie Bridge- oder Schachclubs, Laienschauspielgruppen oder gemeinnützige Vereine, produzieren wenn sie vorgeben, umfassende Freundschaft zu bieten - letztlich dieses ungute Gefühl, das allen Stadtbewohnern vertraut ist: die Einsamkeit inmitten einer riesigen Menschenmenge. Wer von uns, der sich häufig in Netzwerken aufhält, kennt dieses Gefühl nicht? Wenn wir in vielen verschiedenen Netzwerken tätig sind, addiert sich das nicht dazu, dass wir eine Gemeinschaft haben, egal wie vielen Netzwerken wir angehören und wie oft unser Telefon klingelt. Was Sie beim Einstieg in ein Netzwerk erhalten, ist alles, was Sie jemals kriegen werden. Netzwerke werden nicht besser oder schlechter; ihr begrenzter Zweck lässt sie die ganze Zeit unverändert, denn es ist einfach nicht viel Entwicklung möglich. Der pathologische Zustand, der schließlich aus diesen beständigen Wiederholungen oberflächlicher menschlicher Kontakte entsteht, ist ein Gefühl, dass Ihre 61

»Freunde« und »Kollegen« über das hinaus, was Sie in das Netzwerk einbringen können, nicht wirklich an Ihnen Anteil nehmen , dass sie nicht neugierig darauf sind, wie Sie mit Ihrem Leben fertig werden und sich nicht für Ihre Hoffnungen, Ängste, Siege und Niederlagen interessieren. Die ganze Wahrheit ist, dass die »Freunde«, denen Sie fälschlicherweise ihre Gleichgültigkeit vorwerfen, niemals Freunde waren, sondern nur Mitarbeiter im selben Netzwerk, von dem man fairerweise über die Aufmerksamkeit für das gemeinsame Interesse hinaus kaum etwas erwarten sollte. Aber angesichts unseres tiefen Bedürfnisses nach Gemeinschaft und der Unwahrscheinlichkeit, dass wir diese Gemeinschaft in einem Netzwerkfinden, suchen wir so verzweifelt nach einer Lösung, dass wir uns dazu verleiten lassen, uns über das Wesen dieser Liaisons zu täuschen. Was immer »Anteilnahme« wirklich bedeutet, sie ist jedenfalls mehr als einfach nur Gesellschaft oder Kameradschaft hinsichtlich gemeinsamer Interessen.

II Im Anfang der Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft stand die Familie, dann entwickelten sich Gemeinwesen, die sich erst viel später ihre dienenden Institutionen schufen. Der Großteil der institutionellen Rhetorik borgt ihre Werte hinsichtlich der sogenannten Leitkultur von jenen individuellen Familien, die gut zusammenarbeiten. Speziell in den letzten hundertfünfzig Jahren haben die Fürsprecher des institutionalisierten Lebens in den Vereinigten Staaten eine Rolle oberhalb und jenseits eines Dienstes an Familie und Gemeinwesen eingefordert. Sie haben danach gestrebt zu herrschen und Vorschriften zu machen, wie Könige es zu tun pflegten, obwohl es da einen wichtigen Unterschied gibt. Im Falle der Könige von einst konnten wir, wenn der Klang ihrer Herolde und Trompeten verklungen war, normalerweise tun, was uns beliebte; aber im Fall der modernen Institutionen gibt es angesichts der allgegenwärtigen Technologie kein Entrinnen, wenn der Ort, an dem wir leben und die Familie, in der wir leben, keinen Schutz bieten. 62

Institutionen - so sagen ihre Lobbyisten - geben die Marschrichtung für die Menschheit effizienter vor, als Familien es tun; daher sollten Institutionen nicht länger dienen. Die Führungsriege von Institutionen betrachtet sich heute selbst als synthetische Väter für Millionen synthetischer Kinder, womit wir alle gemeint sind. Diese Theorie sieht uns in einer Art abstrakten Familienbeziehung verbunden, wobei der Staat die wahre Mutter- und Vaterrolle einnimmt und daher auf unserer primären und höchsten Loyalität bestehen kann. »Frage nicht,« sagte Präsident Kennedy, »was dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.« Das »du« in diesem Satz ist real und menschlich, das Land, das angeblich »dein« ist, jedoch eine extreme verbale Abstraktion. So ist leicht erkennbar, dass die Forderung des Präsidenten Ausdruck einer synthetischen Familienphilosophie ist, die dem »Land« einen Anspruch zugesteht, der über dem Anspruch »Familie« steht. Wenn Sie daran nichts Falsches erkennen, sind Sie wahrscheinlich auch der Meinung, dass unsere Schulen mit ein paar Reformen wieder ganz gut funktionieren werden. Aber wenn es Ihnen Unbehagen bereitet, sich selbst und Ihre Familie als Anhängsel einer Abstraktion zu sehen, dann befinden wir uns auf derselben Wellenlänge. In diesem Fall sind wir bereit darüber nachzudenken, dass wir vielleicht weniger Schule brauchen statt mehr.

III Ich möchte die zerstörerischen Auswirkungen des falschen Anspruchs institutioneller Privilegien sowohl auf das individuelle Leben als auch auf das Familienleben untersuchen. Diese Zerstörungskraft ist tief greifend, egal ob eine Regierung, eine Firma oder eine andere Form von Netzwerk diesen Anspruch erhebt. Wenn wir zu unserer ursprünglichen Diskussion über Netzwerke zurückkehren, wird klar, dass alle unsere regionalen und landesweiten Institutionen Orte sind, wo Männer, Frauen und Kinder anhand eines begrenzten Aspektes ihrer Gesamtmenschlichkeit sortiert werden: im Falle der Schule zum Beispiel nach Alter, in anderen institutionalisierten Bereichen nach verschiedenen anderen Kriterien. 63

Wenn die Leistung innerhalb dieser engen Grenzen als das höchste Maß des Erfolges angesehen wird, wenn zum Beispiel gute Noten als zentraler Lebenszweck eines Heranwachsenden gelten - weil die dafür gestellten Anforderungen den Großteil seiner Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen - und wenn der Wert des Individuums sich nach Sieg oder Niederlage in diesem abstrakten Streben bemisst, dann ist eine soziale Maschinerie errichtet worden. Diese entfremdet Schüler ihrem eigenem Menschsein, indem sie Verhaltensweisen, die vom Wesen her bedeutungslos und irreal sind, mit Sinn und Bedeutung auflädt, und unterbricht die natürliche Bindung zwischen ihnen und ihren Eltern, deren Zuspruch sonst wichtig für sie wäre. Willkommen in der Welt der Massenschule, bei der dies das höchste Ziel ist! Sind Sie wirklich sicher, dass wir davon noch mehr wollen? Im anbrechenden 21. Jahrhundert sind die Vereinigten Staaten eine Nation von Institutionen, während sie früher eine Nation von Gemeinschaften waren. Große Städte haben große Probleme, ein gesundes Gemeinschaftsleben zu fördern, teilweise, weil ständig Fremde kommen und gehen, teilweise, weil die räumlichen Gegebenheiten es nicht zulassen, teilweise, weil die Umwelt vergiftet ist, aber vor allem deswegen, weil Institutionen und Netzwerke ständig konkurrieren. Sie betreuen die Kinder und alten Menschen und beanspruchen das Monopol über die Zeit aller anderen, die im Alter dazwischen liegen. Indem sie die Jungen und die Alten aus dem Arbeitsleben entfernen und die arbeitende Bevölkerung vom Leben der Jungen und Alten isolieren, haben Institutionen und Netzwerke eine grundlegende Beziehungslosigkeit der Generationen hervorgebracht. Für den Kummer, der daraus entsteht, gibt es kein künstliches Heilmittel; wo Junge und Alte weggeschlossen werden, können keine lebendigen, befriedigenden Gemeinschaften entstehen. Hier und dort kämpfen verkümmerte Restbestände von Gemeinschaften ums Uberleben, zum Beispiel an Orten, wo die kulturelle Homogenität sehr stark beschützt worden ist, wie in Bensonhurst in Brooklyn oder Polish Hill in Pittsburgh - aber im Großen und Gan64

zen ist »Gemeinschaft« in Städten und Vorstädten eine schattenhafte Illusion und auf simulierte Ereignisse wie Straßenfeste beschränkt. Wenn Sie aus einer Nachbarschaft in die andere umziehen oder von einer Vorstadt in die nächste und die Freunde, die Sie zurückgelassen haben, schnell vergessen sind, ist Ihnen das beschriebene Phänomen vertraut. Mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten leben heute innerhalb von fünfzig Urbanen Ballungsgebieten. Dass sie dort konzentriert wurden, ist das Endprodukt einer ziemlich gut verstandenen historischen Entwicklung, aber der wechselseitige Anteil an irgendeiner kontinuierlichen, wohlausgeprägten Gemeinschaft bleibt ihnen vorenthalten. Sie sind völlig entfremdet von ihren ureigenen menschlichen Interessen. Wie anders ist es zu verstehen, wenn sich nur die Hälfte unserer wahlberechtigten Bürger zum Wählen registrieren lässt? Auf diese Weise können in unserer Zwei-Parteien-Landschaft etwa ein Achtel der Bürger die Volksvertreter wählen, wenn die Wahlstimmen sich gleichmäßig aufteilen. Wir sind einen langen Weg gegangen, um als Option zu verstehen, was früher als Pflicht galt, aber das ist etwas, was durch die Entfremdung vom Gemeinschaftsleben sehr schnell erreicht wird: Gleichgültigkeit gegenüber fast allem. Wir werden heute ständig mit institutionalisierten Simulationen von Gemeinschaft versorgt, ständig mit Netzwerken gefüttert - mit unfreiwilligen wie den Schulen oder mit »freiwilligen«, wie den isolierten, von der Vielfalt des Menschseins getrennten Arbeitsplätzen. Deshalb geraten grundlegende menschliche Bedürfnisse in größte Gefahr, die sich im Falle von Kindern noch vielmals verstärkt. Institutionelle Ziele, wie richtig und wohlmeinend sie auch sein mögen, können mit der Einzigartigkeit individueller menschlicher Ziele nie in Einklang stehen. Wie wohlmeinend die Individuen, die eine Institution leiten, auch sind: Den Institutionen fehlt das Gewissen, denn sie wenden Messverfahren an. Institutionen sind nicht die Gesamtsumme ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte, sondern von beidem unabhängig und werden weiter existieren, auch wenn das Management vollständig ausgetauscht wurde. Sie sind lebendig gewordene Ideen, in deren Dienst alle Angestellten nur Automaten sind. Der tiefste Zweck 65

dieser gigantischen Netzwerke besteht darin, zu regulieren und gleichförmig zu machen. Da die Logik von Familie und Gemeinschaft darin liegt, im Umkreis eines zentralen Themas der Vielfalt Raum zu geben, richten Institutionen immer dann, wenn sie vermehrt in persönliche Angelegenheiten eingreifen, großen Schaden an. Indem wir den Schwerpunkt unseres Lebens von Familien und Gemeinschaften auf Institutionen und Netzwerke verlagert haben, haben wir letztendlich eine Maschine zu unserem König gesalbt.

IV Vor fast einem Jahrhundert hat ein französischer Soziologe geschrieben, das ungeschriebene Hauptziel jeder Institution bestehe darin, zu überleben und zu wachsen, und nicht darin, die Mission zu erfüllen, für die sie dem Namen nach geschaffen wurde. Insofern liegt das Hauptziel einer Postbehörde nicht darin, die Post auszutragen, sondern den Schutz für ihre Angestellten und für die Ehrgeizigeren unter ihnen vielleicht eine bescheidene Karriereleiter zur Verfügung zu stellen. Das primäre Ziel eines stehenden Heeres besteht nicht darin, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, sondern beständig einen Anteil des nationalen Sozialproduktes für die Auszahlung von Gehältern und Wehrsold an sein eigenes Personal sicherzustellen. Es war diese philisterhafte Veranlagung - Unterricht der Jugend gegen Bezahlung würde sich unausweichlich zu einer Institution zum Schutz der Lehrer - nicht der Schüler - entwickeln, die Sokrates vor langer Zeit im alten Griechenland veranlasste, die Sophisten so harsch zu kritisieren. Wenn diese Sichtweise Sie beunruhigt, denken Sie an das öffentliche Schulsystem der Stadt New York, in dem ich arbeite; es ist eines der größten Wirtschaftsorganisationen auf dem Planeten Erde. Während jeder sich darüber aufregt, wie schlecht die Bildung ist, die von diesen abstrakten »Eltern« erreicht wird, wird das Recht dieser Institution, ihre Kunden zu zwingen, solche zweifelhaften Dienste in Anspruch zu nehmen, immer noch von der Polizei gewährleistet. Und es sammeln sich die Truppen, die dafür eintreten, diese Rechte noch 66

weiter auszudehnen - trotz all der Beweise dafür, dass die Schule in ihrer gesamten Geschichte ein Desaster war. Was der Atmosphäre von abgelegenen Städtchen auf dem Lande und anderen Provinznestern die berauschende Note eines entscheidenden Unterschiedes verleiht, ist nicht einfach der radikaler Wechsel der Landschaft im Vergleich zu Städten und Vorstädten, sondern die Verheißung, die in der beträchtlichen Freiheit jenseits institutionalisierter Eingriffe ins Familienleben liegt. Vater Staat wacht über solche Orte nicht so streng. Am deutlichsten ist seine Gegenwart immer noch in der Schule fühlbar, die selbst dort ihre gnadenlose Botschaft von Wut, Neid, Konkurrenz und Kastendenken in der Form von Klassenstufen und verschiedenen Schulniveaus verbreitet. Aber als Gegengift existieren an solchen Orten noch Familienleben und Gemeinwesen. Das Geschäft, das wir »Bildung« nennen - obwohl wir eigentlich »Beschulung« meinen -, bietet ein interessantes Beispiel für den Konflikt zwischen den Werten von Netzwerken und den traditionellen Werten von Gemeinschaften. Einhundertfünfzig Jahre lang hat institutionalisierte Bildung als ihren Hauptzweck die Vorbereitung auf ökonomischen Erfolg ausgegeben. Gute Bildung bedeutet guter Job, gutes Geld, gute Sachen. Dies ist zum universalen, landesweiten Banner geworden, gehisst von Harvard genauso wie von High Schools. Nach diesem Rezept sind Eltern und Schüler leichter regierbar und in Schach zu halten, solange der Zusammenhang unhinterfragt bleibt. Interessanterweise formuliert der amerikanische Lehrerverband, es sei eine seiner Aufgaben, die Wirtschaft davon zu überzeugen, Einstellungen und Beförderungen auf der Basis von Schulabschlüssen vorzunehmen, so dass die Formel »guter Schulabschluss = viel Geld« erhalten bleibt, so wie dies nach Jahren politischer Lobbyarbeit im Bereich Medizin und Jura erreicht wurde. Bis jetzt hat der gesunde Menschenverstand der Geschäftsleute sie davon abgehalten und sie veranlasst, auf »altmodische« Weise einzustellen und zu befördern, nämlich vornehmlich nach Leistung und ihrem persönlichen Urteil, aber wer weiß, wie lange sich der gesunde Menschenverstand noch behaupten kann? 67

Wie absurd es ist, Bildung als ökonomische Ware zu definieren, wird deutlich, wenn wir uns fragen, was gewonnen wird, wenn wir Bildung als einen Weg sehen, um die Wegwerfgesellschaft, die unsere Erde, die Luft und das Wasser unseres Planeten bedroht, noch weiter zu stabilisieren. Sollten wir den Menschen weiterhin weismachen, sie könnten Glück kaufen, angesichts der erdrückenden Beweise, dass dies nicht möglich ist? Sollen wir die Beweise dafür, dass Drogensucht, Alkoholismus, Teenagerselbstmorde, hohe Scheidungsraten und andere Entsetzlichkeiten so viel mehr die Krankheiten der Wohlhabenden sind als der Armen, weiter ignorieren? An dieser Frage nach dem Sinn, vor der wir uns so lange gedrückt haben, hängt sowohl ein Verständnis für die Krankheit, die uns umbringt, als auch für die Heilung, nach der wir suchen. Was soll nach all der Zeit der Zweck der Kollektivbeschulung sein? Lesen, Schreiben und Rechnen kann nicht die Antwort sein. Denn richtig angegangen lassen sich diese Dinge in weniger als hundert Stunden erlernen - und wir haben genügend Hinweise darauf, dass sie sich im richtigen Umfeld und zum richtigen Zeitpunkt ganz leicht selbst erlernen lassen. Warum schließen wir dann die Kinder zwölf Jahre lang in einem unfreiwilligen Netzwerk mit Fremden ein? Doch sicher nicht deswegen, damit ein paar von ihnen reich werden können? Selbst wenn es so funktionieren würde, was ich bezweifle - würde nicht jede gesunde Gemeinschaft ein solches Erziehungswesen als definitiv falsch ansehen? Es unterteilt und klassifiziert die Menschen und fordert von ihnen die Pflicht, miteinander zu konkurrieren, etikettiert die Verlierer öffentlich, indem sie buchstäblich degradiert und als Verfügungsmasse der »Unterklasse« zugeordnet werden. Und den Gewinnern winkt die Verheißung, mehr Zeug kaufen zu können! Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der darüber nachdenkt, sich mit einem so dummen Ergebnis wohl fühlt. Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube: Wenn wir erst die Frage beantworten können, was genau wir von diesen Kindern wollen, die wir wegschließen, dann würden wir plötzlich erkennen, wo wir falsch abgebogen sind. Ich habe genug Vertrauen in unsere Fantasie und unseren Erfindungsreichtum, um zu glauben, 68

dass wir an diesem Punkt einen besseren Weg finden würden - um nicht zu sagen, einen ganzen Supermarkt besserer Wege. Eines jedoch weiß ich: Die meisten von uns möchten - wenn sie auch nur ansatzweise liebevolle Familien erlebt haben -, dass unsere Kinder Teil einer solchen Familie sind. Und ich weiß, dass wir letztendlich Teil eines Ortes werden müssen - Teil unserer Hügel und Straßen, Gewässer und Menschen - oder wir leben als ewige Exilanten ein sehr, sehr trauriges Leben. Die Entdeckung des Sinnes im eigenen Leben und die Entdeckung befriedigender eigener Ziele ist ein großer Teil dessen, was Bildung ausmacht. Wie wir dies bewirken können, indem wir unsere Kinder von der Welt wegschließen, geht über meinen Verstand.

V Ein wichtiger Unterschied zwischen Gemeinwesen und Behörden besteht darin, dass Gemeinwesen natürliche Grenzen haben; sie hören auf zu wachsen oder sterben. Dafür gibt es einen guten Grund: In den besten Gemeinschaften ist jeder eine besondere Person, die früher oder später Spuren im Bewusstsein aller anderen hinterlässt. Diese beständige Aufmerksamkeit führt dazu, dass sich alle - arm oder reich - wichtig fühlen, denn diese Bedeutung können wir nur wahrnehmen, wenn uns andere Menschen ihre Aufmerksamkeit geben. Man kann Aufmerksamkeit natürlich kaufen, aber es ist nicht dasselbe. Ein Pseudogemeinschaftsleben, wo wir neben anderen herleben, ohne sie wahrzunehmen, und wo Fremde uns ständig in offensiver Weise bedrängen, ist genau das Gegenteil. In einem Pseudogemeinschaftsleben sind wir überwiegend anonym, und wir wollen es sein, weil andere Menschen eine Gefahr darstellen können, wenn sie von unserer Existenz Notiz nehmen. Um überhaupt in einer Pseudogemeinschaft Aufmerksamkeit erhalten zu können, müssen wir sie kaufen, denn ansonsten herrscht Gleichgültigkeit vor. Eine Pseudogemeinschaft ist nur eine andere Art von Netzwerk: Ihre Freundschaften und Loyalitäten sind kurzlebig; ihre Probleme werden allgemein als die Probleme anderer angesehen (von anderen, die dafür bezahlt werden sollten, um sie 69

zu lösen); junge und alte Menschen werden größtenteils als lästig empfunden, und der häufigste gemeinsame Traum ist, den Ort zu verlassen, um an einen besseren zu gelangen. Es ist der Traum vom endlosen »Aufstieg«. Anders als echte Gemeinschaften expandieren Pseudogemeinschaften und andere ergänzende Netzwerke wie Schulen immer weiter, solange wir das zulassen. »Mehr« ist nicht unbedingt »besser«, aber »mehr« ist immer profitabler für die Menschen, die von dem Netzwerk leben. Das versteckt sich hinter dem aktuellen Ruf nach weiterer Ausweitung der Schule: Sehr viele Menschen profitieren davon, wenn dieses Wachstum sich fortsetzt. Anders als die verzwickten, manchmal abgründigen Befriedigungen in echten Gemeinschaften und Familien werden die Erfolge von Netzwerken immer in mathematischen Begriffen gemessen: Wie viele gute Noten? Wie viel Gewicht verloren? Wie viele Anfragen erzeugt? Wettbewerb ist das Lebenselixier von Netzwerken, und die Präzision, die von einer Leistungsrangliste suggeriert wird, ist ihr bevorzugter Stil. Der Qualitätswettstreit der Wirtschaft (wenn er wirklich stattfindet) ist im Allgemeinen eine gute Sache für Konsumenten; er hält Firmen auf Trab, und diese geben ihr Bestes. Der Wettbewerb innerhalb einer Institution wie der Schule ist etwas ganz Anderes. In einer Schule wird um die Gunst der Lehrer konkurriert, und diese kann anhand unzähliger subjektiver Parameter gewonnen oder verloren werden. Es ist immer ein bisschen Glückssache und manchmal wesentlich bösartiger als das. Dies gibt Anlass zu Neid, Unzufriedenheit und einem Glauben an Magie. Auch Lehrer müssen um die willkürlich verteilte Gunst ihrer Vorgesetzten konkurrieren, in der die Verheißung guter oder schlechter Klassen liegt, guter oder schlechter Räume, Zugang zu Unterrichtsmaterialien oder deren Verweigerung. So werden Wohlverhalten, Unterordnung und Unterwürfigkeit erzeugt. Die Kultur der Schulen funktioniert nur durch ein System materieller Belohnungen und Bestrafungen: Einsen, Sechsen, Sternchen, A-Kurse und Zugang zum Fotokopierer. All unser Wissen darüber, warum Menschen dazu motiviert sind, Dinge zu verstehen und ihr Bestes zu geben, wird an diesen Orten auf den Kopf gestellt. 70

Die Wahrheit selbst ist eine andere wichtige Unterscheidungslinie zwischen Gemeinschaften und Netzwerken. Wenn Sie in einer Gemeinschaft Ihr Wort nicht halten, merken das alle, und Sie haben danach ein großes Problem. Aber für den persönlichen Vorteil zu lügen ist in allen großen Institutionen Normalität und gilt in Schulen als Teil des Spiels. Eltern werden größtenteils angelogen oder bekommen Halbwahrheiten erzählt, da sie normalerweise als Gegner betrachtet werden. Jedenfalls galt dies für alle Schulen, in denen ich jemals gearbeitet habe. Nur die dümmsten Angestellten greifen nicht auf das Lügen zurück; wenn man dabei erwischt wird, gibt es kaum Strafen aber die Belohnungen für erfolgreiches Lügen können beträchtlich sein. Wer auf Missstände hinweist, wird kaltgestellt oder umbarmherzig verfolgt. Nestbeschmutzer werden in keiner Institution jemals befördert, denn da sie einmal einem öffentlichen Interesse gedient haben, könnte dies unter Umständen wieder passieren. Die Kathedrale von Reims ist für mich der beste Beweis dafür, was eine Gemeinschaft leisten kann und was wir aufs Spiel setzen, wenn wir den Unterschied zwischen diesen Wundern der Menschheit und der sozialen Maschinerie, die wir als »Netzwerke« bezeichnen, nicht kennen. Reims wurde ohne moderne Maschinen von Menschen erschaffen, die hundert Jahre lang Tag und Nacht arbeiteten. Jeder arbeitete freiwillig, niemand war ein Sklave. Es gab keine Schule, in der das Fach Kathedralenbau unterrichtet wurde. Was trieb die Leute dazu, hundert Jahre lang zusammenzuarbeiten? Was es auch war, es könnte sich lohnen, dass wir uns damit befassen. Wir wissen, dass die Arbeiter damals als Familien und Freunde sehr nah beieinander lebten, und als Freunde wussten sie, was sie im Hinblick auf ihren Kirchenbau wirklich wollten. Päpste und Erzbischöfe hatten damit nichts zu tun. Die gotische Architektur selbst wurde aus reiner Inspiration heraus erschaffen - die gotische Kathedrale steht wie ein Leuchtturm, der erhellt, was möglich ist, wenn Menschen sich ohne Zwang vereinen. Dies ist ein Meilenstein, an dem wir unser Leben messen können. In Reims bestückten die Leibeigenen und Bauern und Tagelöhner gigantische Räume mit den unglaublichsten bunten Glasfenstern der 71

Welt, machten sich aber nie die Mühe, auch nur eines von ihnen zu signieren. Niemand weiß, wer sie entworfen oder hergestellt hat, denn unsere moderne Form des Prahlens als Korruption eines Gemeinschaftsgefühls existierte noch nicht. Nach all den Jahrhunderten stehen sie immer noch dafür, was es bedeutet, wirklich Mensch zu sein.

VI Gemeinschaften sind Ansammlungen von Familien und Freunden, die einen übergeordneten Sinn darin finden, den Familienverband zu einem Band von Brüdern und Schwestern ehrenhalber zu erweitern. Sie sind komplexe Verflechtungen von Gemeinsamkeit und Verpflichtung, die sich über den Umkreis des eigenen Herdes hinaus ausdehnen. Wem die Vervollständigung des Lebens, die darin liegt, dass man in einem Gemeinwesen in eine Familie integriert ist, unerreichbar bleibt, der hat - wenn er sein Leben nicht in Isolation verbringen will - nur die Alternative, nach der unechten Integration in eines der vielen Netzwerke zu streben, die gegenwärtig zur Verfügung stehen. Aber das ist ein schlechter Tausch! Unnatürliche Integration im Reich menschlicher Vereine - denken Sie an Studentenwohnheime oder Klosterorden - wirken stark, sind aber in Wirklichkeit ganz schwach. Sie wirken engmaschig, haben aber in Wirklichkeit lose Enden. Sie suggerieren Dauerhaftigkeit, sind aber normalerweise kurzlebig. Und sie sind oft sehr schlecht an die Bedürfnisse von Menschen angepasst, obwohl sie oft den gegenteiligen Anschein erwecken. Willkommen in der Welt der Schule! Wir sollten über die Schulreform nachdenken, indem wir diese Orte nicht länger wie Geschwülste funktionieren lassen, wie undurchdringliche, isolierte Körper, die unser Geld, unsere Kinder, unsere Zeit nehmen und nichts zurückgeben. Wollen wir mehr davon? In den letzten Jahren habe ich viel über das Problem nachgedacht, wie das Netzwerk der Pflichtschule in eine Art emotional lohnenswerte Gemeinschaft verwandelt werden könnte, denn es scheint eine Bewegung in Richtung des Gegenteils zu geben: Die Schule soll von der 72

Zeit, die ein junger Mensch für die Familie, für die Gemeinschaft und für sich selbst hat, immer noch mehr bekommen. Ständig werden in der Presse und im Fernsehen Versuchsballons gestartet, das heißt, irgendwelche einflussreichen Gruppen bereiten sich darauf vor, den Griff der Pflichtschule trotz ihrer bisherigen, wirklich grausigen Bilanz noch auszuweiten. Meine jüdischen Freunde würden das Chuzpe13 nennen, aber ich nehme es als ein Zeichen dafür, wie sehr diese Leute darauf vertrauen, dieses Ziel erreichen zu können. Schulen, so lautet das Argument, würden effektiver werden und bessere Ergebnisse zeigen, wenn sie von neun bis fünf Uhr arbeiten würden oder sogar von neun bis neun Uhr, das ganz Jahr hindurch. Wir sind keine bäuerliche Gesellschaft mehr, höre ich, und müssen den Kindern keine Ernteferien mehr geben. Diese Beschulung gemäß einer Neuen Weltordnung würde das Abendessen und die abendliche Erholung mit einschließen, Therapien und medizinische Versorgung anbieten und eine ganze Reihe anderer Dienste. Die Schule würde sich in eine richtige synthetische Familie für Kinder verwandeln. Es heißt, das wäre für viele arme Kinder besser als ihre leibliche Familie - und es würde die Chancen der Söhne und Töchter aus sozial schwachen Familien erhöhen. Aber für mich als Lehrer sieht es eher so aus: Die Schulen an sich sind bereits eine Hauptursache für schwache Familien und schwache Gemeinschaften. Sie trennen Eltern und Kinder von der lebenswichtigen Interaktion miteinander und von echter Neugierde auf das Leben der jeweils anderen. Die Schulen ersticken die Originalität von Familien, indem sie die Zeit, die für tief greifende Familienbande benötigt wird, begrenzen - und dann geben sie der Familie die Schuld dafür, dass sie scheitert. Es ist, als würde jemand das Fotopapier zu früh aus dem Entwicklungsbad nehmen und dann den Fotografen als unfähig bezeichnen. Ein Senator in Massachusetts sagte vor einer Weile, dass sein Staat, bevor er die Schulpflicht einführte, eine höhere Alphabetisierungsrate hatte als hinterher. Darüber sollten wir wirklich nachdenken: Schulen haben den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit vor langer Zeit erreicht, und das bedeutet, dass »mehr« Schule die Dinge nur verschlimmert. 73

VII Was immer Bildung ist, sie sollte aus Ihnen ein einzigartiges Individuum machen, keinen Mitläufer. Sie sollte Ihnen einen originellen Geist ermöglichen, mit dem Sie die großen Herausforderungen annehmen können. Sie sollte Ihnen erlauben, Werte zu finden, die Ihnen auf dem Weg durchs Leben eine Landkarte liefern. Diese sollten Sie reich im Geiste machen, zu einer Person, die liebt, was sie tut, wo immer Sie sind und mit wem. Sie sollte Ihnen beibringen, was wichtig ist: wie man lebt und wie man stirbt. Was sich der Bildung bei uns in den Weg gestellt hat, ist eine Theorie des sozialen Engeneerings, die besagt, dass es einen richtigen Weg gibt, wie man mit Erziehung umgeht. - Das entspricht einer alten ägyptischen Idee, die durch die Pyramide mit einem Auge auf der Spitze symbolisiert wird, so wie sie auf der Rückseite der amerikanischen Ein-Dollar-Note - mit George Washington auf der Vorderseite - zu sehen ist. Danach ist jeder von uns ein Baustein und durch seine Position in der Pyramide definiert. Diese Theorie ist schon auf viele verschiedene Weisen präsentiert worden, aber im Grunde signalisiert sie eine Weltanschauung von Menschen, die davon besessen sind, andere Menschen unter ihre Kontrolle zu bringen, besessen davon, zu herrschen und von Strategien, um diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. Das mag für die Pharaonen funktioniert haben, ist für uns aber offensichtlich nicht so gut. Tatsächlich weist nichts in den Chroniken daraufhin, dass eine einzige Idee die Entwicklungszeit aller Jugendlichen beherrschen sollte, und doch stehen diejenigen, die diese Zeit zu ihrem Monopol machen wollen, kurz vor dem Ziel. Das Summen des großen Bienenstocks - unserer Gesellschaft -, das schon Francis Bacon vorhersah, und H. G. Wells in Wenn der Schläfer erwacht, war noch nie lauter zu hören als heute bei uns. Wenn wir die gefeierten westlichen Ideale von Privatsphäre, Vielfalt und Individualität verteidigen wollen, müssen wir darauf blicken, wie wir unsere Kinder aufziehen. Kinder lernen, was sie leben. Stecken Sie Kinder in eine Klasse, und Sie werden ihr ganzes Leben in einem 74

unsichtbaren Käfig leben, getrennt von ihren Möglichkeiten im Gemeinwesen. Unterbrechen Sie Kinder ständig mit Pausenglocken und anderen Taktgebern, und sie werden lernen, dass nichts wirklich wichtig ist. Sorgen Sie dafür, dass Kinder um das natürliche Recht, zur Toilette zu gehen, bitten müssen, und Sie ziehen Lügner und Schmeichler heran. Setzen Sie Kinder der Lächerlichkeit aus, und sie werden sich von der Menschheit zurückziehen; beschämen Sie Kinder, und sie werden hundert Wege finden, um sich zu rächen. Die Gewohnheiten, die in großen Institutionen gelehrt werden, wirken tödlich. Individualität, Familie und Gemeinschaft andererseits sind per definitionem Ausdruck von Einzigartigkeit, statt Pauschallösungen im großen Maßstab zu sein. Zeit für sich zu haben ist absolut entscheidend, um eine private Identität entwickeln zu können, und genauso wichtig ist private Zeit für die Entwicklung einer Garnitur von persönlichen Werten, ohne die wir keine wirklichen Individuen sind. Kinder und Familien brauchen Entlastung von der Beaufsichtigung und der Einschüchterung durch den Staat, wenn individuelle Ausdrucksformen, die zu ihnen gehören, sich entwickeln sollen. Ohne solche Originalität wird Freiheit bedeutungslos. Die Lektion meines Lebens als Lehrer lautet: Theorie und Struktur der Massenbeschulung sind in fataler Weise falsch; sie können die Logik der demokratischen Idee nicht unterstützen, denn sie verraten das demokratische Prinzip. Das demokratische Prinzip ist immer noch die beste Idee für ein Land, auch wenn wir es im Moment noch nicht vollständig ausschöpfen. Kollektiverziehung kann nicht zu einer gerechten Gesellschaft führen, denn ihre tägliche Praxis ist eine Einübung in erzwungener Konkurrenz, in Unterdrückung und Einschüchterung. Die Schulen, deren Entwicklung wir zugelassen haben, können keine ideellen Werte lehren, obwohl erst diese Werte unserem Leben überhaupt Sinn geben, ob wir reich oder arm sind, denn die Struktur der Schule wird von einem byzantinischen 14 System von Belohnung und Drohung, von Zuckerbrot und Peitsche, zusammengehalten. Staatliche Vergünstigungen, Abschlüsse oder andere Instrumente der Unterordnung 75

haben keinen Zusammenhang mit Bildung; sie sind die Werkzeuge der Knechtschaft, nicht der Freiheit. Die Massenbeschulung schädigt Kinder. Wir brauchen davon keinesfalls noch mehr. Und unter der Vorgabe, es handele sich um Bildung, hat sie unsere Kassen geleert, genauso wie Sokrates dies vor Jahrtausenden vorhersagte. Eines der zuverlässigsten Kennzeichen echter Bildung ist die Tatsache, dass sie nicht viel kostet und nicht auf teures Spielzeug oder kostspielige Instrumente angewiesen ist. Die Erfahrungen, die Bildung hervorbringen und die Selbsterkenntnis, die Bildung vorantreibt, sind nahezu kostenlos. Es ist schwer, einen Dollar für Bildung auszugeben. Beschulung hingegen ist eine wunderbare Investitionsmaschine, die ständig ausgefeilter wird. Vor fünfundsechzig Jahren erkannte Bertrand Russell, einer der großen Mathematiker des zwanzigsten Jahrhunderts, dessen größter Philosoph und ein enger Verwandter des Königs von England obendrein, dass die Massenbeschulung in den Vereinigten Staaten eine zutiefst antidemokratische Zielrichtung hatte, dass sie ein Programm war, mit dem künstlich nationale Einheit geschaffen werden sollte, indem menschliche Vielfalt eliminiert wurde und auch die Kraft, die Vielfalt hervorbringt: die Familie. Nach Lord Russell produzierte die Massenbeschulung einen erkennbar amerikanischen Studenten: antiintellektuell, oberflächlich, ohne Selbstbewusstsein und weniger mit dem ausgestattet, was Lord Russell »innere Freiheit« nannte, als Studenten in jeder anderen ihm bekannten Nation - früher wie heute. Diese beschulten Kinder wachsen, so sagte er, zu Bürgern mit einem oberflächlichen »Massencharakter« heran, mit einer Verachtung für Exzellenz wie für Ästhetik, und sind den persönlichen Krisen ihres Lebens nicht gewachsen.15 Die nationale Einheit war immer das zentrale Problem des amerikanischen Lebens. Dies liegt an unseren gleichsam synthetischen Anfängen und an der Eroberung einer kontinentalen Landmasse. Das galt 1790 und gilt 200 Jahre später genauso, vielleicht noch etwas mehr. Irgendwann um die Zeit des Bürgerkriegs erfanden wir Abkürzungen, um die gewünschte Einheit mit künstlichen Mitteln schneller zu erlangen. Die Schulpflicht war eine dieser Abkürzungen, vielleicht die wich76

tigste. »Bekommt die Kinder zu fassen!«, sagte John Cotton damals im kolonialen Boston, und das erschien als eine so gute Idee, dass die Leute, die »Einheit« mit fast religiöser Inbrunst verfolgten, genau das taten. Es dauerte dreißig Jahre, bis der erbitterte Widerstand niedergeschlagen werden konnte, aber um 1880 war es geschafft - »sie« hatten die Kinder. Während der darauf folgenden 110 Jahre haben die Anhänger von »Pauschallösungen für alle« versucht, herauszufinden, was sie mit den Kindern tun sollen, und sie wissen es noch immer nicht. Vielleicht ist es an der Zeit, etwas anderes auszuprobieren. »Gute Zäune machen gute Nachbarn«, sagte Robert Frost16. Der natürliche Weg, um das Zusammenleben in einer Gemeinschaft zu lernen, besteht darin, dass man erst einmal lernt, in Gemeinschaft mit sich selbst als Individuum und mit einer Familie zu leben. Nur wenn du dich mit dir selbst wohl fühlst, kannst du dich auch mit anderen wohl fühlen. Aber wir sind das Problem der Einheit mechanisch angegangen, als ob wir eine ingenieurhafte Lösung erzwingen könnten, indem wir die verschiedenen Familien und Gemeinschaften unter dem breiten, vereinheitlichenden Schirm von Institutionen wie Pflichtschulen vereinen. Das Ergebnis dieses Plans war, dass die demokratischen Ideen, einzige Rechtfertigung für das Experiment unserer Nation, verraten wurden. Der Abkürzungsversuch setzt sich fort und ruiniert Familien und Gemeinschaften heute genauso wie damals. Bauen wir diese Dinge wieder auf, und die jungen Menschen werden beginnen, sich mit unserer Hilfe selbst zu bilden - genau so, wie sie es in den Anfängen unserer Nation taten. Sie können heute nur noch für Geld arbeiten, und das war noch nie ein guter Motivator. Brecht diese institutionalisierten Schulen auf, schafft das Lehrerexamen ab, lasst jeden, der Freude am Unterrichten hat, seine Dienste anbieten, privatisiert die ganze Sache - vertraut dem freien Markt! Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber wir haben keine andere Wahl. Wir brauchen weniger Schule, nicht mehr.

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Kapitel Fünf DAS PRINZIP DER SELBSTVERWALTUNG. DER ANFANG EINER LÖSUNG FÜR UNSER SCHULPROBLEM Diese Rede, die schließlich zu einem meiner beliebtesten Pfeile in meinem Köcher als umherreisender Redner wurde, erblickte das Licht der Welt in leicht veränderter Form als Essay in der Zeitschrift The Maine Scholar.

Wir leben in surrealistischen Zeiten. Das wissenschaftliche Schul-Establishment bringt ständig Pläne für eine noch stärkere Zentralisierung hervor, in Form von landesweiten Standards, einem landesweiten Lehrplan und verbesserten landesweiten Standardtests. Magische Versprechen überall: Maschinen sind die Antwort, massive Interventionen sind die Antwort, neue Formen der vorschulischen Frühförderung sind die Antwort, Baseballschläger, Megafone und Vorhängeschlösser sind die Antwort. Auch nachdem wir anderthalb Jahrhunderte erfolglos danach gesucht haben, scheint niemand auch nur eine Minute lang zu bezweifeln, dass es sie gibt: eine einzige Antwort. Die eine einzig richtige Antwort. Vielleicht stimmen Sie mir zu, vielleicht nicht. Aber wenn es in Ihrem Bewusstsein irgendwo einen leisen Zweifel gibt an der Idee, ein zentrales Rezept könne jemals die Krankheit der Schule beheben, dann kommen Sie mit mir. Wir gehen ins New England der Kolonialzeit zurück, wo eine ganz andere Vorstellung von Institutionen herrschte. Dieses Konzept könnte unter Umständen zur besten Form von Umdenken oder Reform führen: Ein Verfahren, bei dem schwere Fehler sich selbst begrenzen und aufgrund natürlicher Marktmechanismen schnell ausgemerzt werden. Begleiten Sie mich an die Küsten New Englands zur 78

Kolonialzeit, in Städte wie Salem und Marblehead, Framingham und Dedham, Wellfleet und Provincetown. Nehmen Sie eine andere Perspektive ein, die auf dem Boden einer Neuen Welt gewachsen ist und andere Völker mit der Produktivität ihres Genies überrascht hat. Dieses neue System begann mit der ersten puritanischen Kirche in Salem, die 1629 nach dem so genannten »Salem-Verfahren« organisiert wurde. Ubergeordnete Hierarchien, welche die Entscheidung der Kirchenautoritäten hätte bekräftigen können, gab es nicht, also übernahm die Gemeinde selbst die Verantwortung. Mit diesem einfachen Vorgehen haben die Menschen eine Macht übernommen, die traditionell irgendwelchen ausgewiesenen Experten zugeordnet gewesen war, und sie haben diese Macht in die Hände der Menschen gelegt, die zur Kirche gingen. Das war das einzige Kriterium dieser Regierungsform der Selbstverwaltung: dass der Wählende den Kirchgang ernst nahm und zu den Gemeindeversammlungen kam. Es war ein monumentaler Akt lokalen Handelns. Für die nächsten zweihundert Jahre hat diese schlichte Abschaffung der traditionellen Autorität die Monopolmacht von Staat und Kirche, Einheitsversionen der Wahrheit zu verbreiten, gebrochen. Jede einzelne Gemeinde übernahm durch die Diskussion von Laienmitgliedern eine entscheidende Rolle in der Ausgestaltung ihrer eigenen Kirchengemeinde. Es erfolgte keine Zentralisierung, wie sie mit den Erlassen einer äußeren Autorität automatisch einhergeht. Jede einzelne Kirchengemeinde oder Kongregation übernahm die Verantwortung für die Lösung ihrer eigenen Probleme - in Fragen der Erziehung, der Wirtschaft oder der Lehre -, anstatt sich der alten Autorität Englands oder der neuen Aristokratie der Experten zu unterwerfen. Letzten Herbst habe ich in Dedham gesprochen - in einer Kirche, die 1638 erbaut worden war, nur neun Jahre, nachdem das Schiff Arbella die nichtanglikanischen Abweichler nach Boston brachte. Diese Kirche gehörte zur Gruppe der Unitarischen Universalisten, war jedoch ursprünglich kongregational gewesen. Die Einfachheit und Gradlinigkeit der Architektur der selbstverwalteten Kongregationalkirchen ist absolut unverwechselbar, erinnerbar und einheitlich. Es ist Ihnen vielleicht nicht bewusst, dass der Stil der Anbetung, der 79

mit diesem architektonischen Stil einherging, mehr als zweihundert Jahre lang, vom Salem-Verfahren bis zum Jahre 1834, die ursprüngliche und ausschließliche Religion in der Kolonie von Massachusetts Bay war. Oberflächlich gesehen war dies eine Religion des »einen richtigen Einheitsweges«. Entweder war man ein Kongregationalist, oder man war etwas, worüber man öffentlich lieber nicht sprach, wenn man nicht riskieren wollte, ausgeschlossen, verfolgt oder sogar auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. So weit klingt dies noch erheblich schlimmer als das Schulmonopol, das uns heute ruiniert, nicht wahr? Diese Kongregationalisten hüteten ihr Monopol so eifersüchtig, dass vor einhundertsiebzig Jahren, als das Gerücht umging, Unitarier seien aus dem Inneren der Hölle unterwegs, Lyman Beecher durch die Straßen ritt wie Paul Revere und warnte: »Die Unitarier kommen! Die Unitarier kommen!« Sie ahnen schon, dass Pfarrer Beecher über ihre Ankunft nicht besonders begeistert war. Aber im Verlauf des nächsten Jahrhunderts geschah etwas Erstaunliches. Die Kongregationalisten änderten langsam ihre Meinung, ohne dazu gezwungen zu werden. Vierzig Jahre später waren die Unitarier in ganz New England wohl gelitten. Die meisten Menschen glauben, dass die Kolonialzeit in New England die größte Periode von Konformität verkörpert, die dieses Land jemals gesehen hat. Aber das Wesen des Kongregationalismus mit seinen selbstverwalteten Gemeinden birgt eine große Ironie: Diese Lebensart erfordert von seiner Struktur her Individualität, nicht militärische Gleichförmigkeit. Der Gottesdienst ist fast frei von Liturgie, und der Schwerpunkt liegt auf lokalen Predigten über regionale Angelegenheiten. Dies garantiert geradezu Dissonanz innerhalb der Gemeindeversammlung. Der ständige Kampf um Klarheit, in dem jedes Kirchenmitglied als sein eigener Priester fungiert, als sein eigener Experte, führt ohne Unterschied zu einem Fortschritt in Richtung Wahrheit. Warum sage ich das? Nun, was ich gerade beschrieben habe ist der Prozess, den Aristoteles, Karl Marx, Thomas Hobbes und eine große Anzahl weiterer kreativer Denker als »Dialektik« bezeichnet haben. Diese Kongregationsprozedur der Selbstverwaltung war von 80

Grund auf dialektisch in einer Weise, die hierarchischem Denken geradezu feindlich gegenüberstand. Verfechter zentralistischer Planung jeder Epoche verabscheuen Dialektik, weil sie der wirksamen Verbreitung der »einzig richtigen Art«, die Dinge zu tun, im Weg stehen. Vor einem halben Jahrhundert hat Bertrand Russell darauf hingewiesen, dass die Vereinigten Staaten das einzige größere Land auf der Erde seien, das bewusst vermeide, seinen Kindern dialektisches Denken beizubringen. Er sprach natürlich über das Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts, das Land der verpflichtenden Staatsschulen, nicht über das New England der unterschiedlichen selbstverwalteten Gemeinden. Haben Sie sich je gefragt, wie die »Yankees« ihren dauerhaften Ruf von Starrsinn, Hartnäckigkeit und raffinierter Haarspalterei erworben haben? Nun wissen Sie es. Roger Williams 17 sah es so klar wie keine anderer in seiner Zeit und erkannte die unausweichliche Verbindung zwischen Dissonanz und Lebensqualität. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Die historische Forschung hat gezeigt, dass die kleinen Städte im Massachusetts des 17. Jahrhunderts überhaupt nicht uniform waren, sondern Laboratorien lokaler Entscheidungen und regionaler Stile. Jede dieser Städte verfügte über eine beträchtliche Flexibilität im Hinblick auf die Abweichung von den Grundsätzen einer Zentralregierung. Die ersten Siedler des Städtchens Dedham, wo ich im letzten Herbst sprach, stammten aus East Anglia in England, einem Ort, wo Privatbesitz und individuelle Entscheidungen viel galten. Die Gepflogenheiten von East Anglia etablierten sich sehr schnell auch in der Neuen Welt. Andererseits war die Nachbarstadt Sudbury von Kolonialisten sächsischer und keltischer Herkunft bevölkert worden, die traditionellerweise gemeinsam arbeiteten. Genauso wie sie es in Britannien getan hatten, hielten sie auch in Amerika an kollektivem Besitz fest. Im kolonialen Massachusetts gab es damals eine schöpferische Spannung zwischen regionaler Gemeinschaftskultur und lokaler Dorfkultur. Wie es auch in Musik und Dichtkunst bei Spannungen zwischen einem regelmäßigen Muster und kreativen Abweichungen der Fall ist, führte diese Spannung zwischen den kleinen Städtchen, unter den unterschiedlichen Kirchengemeinden und innerhalb jeder ein81

zelnen Gemeinde zu einer erstaunlichen Dynamik und brachte eine fruchtbare und vielfältige Eigenständigkeit hervor. Diese war typisch für die besondere Geisteshaltung, die das Massachusetts der Kolonialzeit auszeichnete. Nun lassen Sie uns einem Umstand im bürgerlichen Leben New Englands nachgehen, der befremdlich erscheint. Und doch glaube ich, dass dieser Umstand paradoxerweise ein Geheimnis großer Kraft birgt. Die Konstrukteure unserer Gesellschaft, welche die Monopolschulen unserer Regierung errichten und aufrechterhalten, sind gezwungen, dieses Geheimnis zu übersehen: Jede Stadt war frei, unliebsame Menschen auszuschließen! Die Menschen konnten wählen, mit wem sie arbeiten wollten. Sie konnten sich eigenständig zu einem lebendigen Lehrplan sortieren, der für sie funktionierte. Die Worte der ersten Dedham-Gesetzessammlung fangen dieses Gefühl perfekt ein: Die ursprünglichen Siedler wollten Menschen ausschließen (und sie taten das auch), deren »Gesinnung nicht zu uns passt und deren Gesellschaft uns schadet«. Diese frühen Städtchen funktionierten also auf merkwürdige Weise wie elitäre Vereine oder Akademien, wie heute das MIT und die Harvard University. So wurde die menschliche Vielfalt eingeengt auf einen Bereich, den die Beteiligten auf humane Weise organisieren konnten. Wenn Sie den unglaublichen Stress berücksichtigen, der durch den dialektischen Prozess in jedem Fall entsteht - wo alle Menschen ihre eigenen Priester und ihre eigenen Herren sind -, konnte eine selbstverwaltete Gesellschaft kaum anders handeln. Wenn Sie jeden akzeptieren müssen, egal wie feindselig er Ihrer eigenen Persönlichkeit, Philosophie oder Mission gegenübersteht, dann würde jedes Vorhaben schnell durch fatale Zwistigkeiten gelähmt werden. Die üblichen Anliegen und Ziele, für die sich Menschen im besten Fall zusammenschließen, würden sich dann auf die wenigen harmlosen Unternehmungen beschränken, die keine politische Dimension besitzen, wenn es so etwas überhaupt gibt. Es ist ein feiner Unterschied: Ein dialektisches Leben, wie die Bewohner New Englands es damals führten, bringt spektakuläre Errungenschaften hervor und fördert die starken individuellen Qualitäten von Charakter und Geist des Einzelnen, aber eine solche Orga82

nisationsform ist dort nicht möglich, wo die gesamte Vielfalt menschlicher Wesen beliebig oder zwangsweise zusammengewürfelt wird, wie es beim staatlichen Schulmonopols Alltag ist. Um an diesen Orten Chaos zu vermeiden, muss das Management es darauf anlegen, im Guten wie im Schlechten, alles vorzugeben -Zeit, Ort, Inhalte und Vorgehensweisen -, alles möglichst einheitlich. Die griechische Mythologie kennt die Geschichte des Riesen Prokrustes, der genau das tat: Er hackte Reisenden, die zu groß waren, die Füße ab oder zog die zu kleinen in die Länge, damit sie in sein Gästebett passten. Das System funktionierte wunderbar, richtete aber entsetzliche Schäden unter den Reisenden an.18 Diese Neu-Engländer entwickelten also ein System, in dem diejenigen Menschen, die miteinander leben und arbeiten wollten, dies tun konnten. Die gesamte Region schien in wunderbarer Weise zu gedeihen: materiell, geistig und sozial. Es war fast so, als würde durch die Tatsache, dass sich jeder um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, in geradezu magischer Weise auch für die Angelegenheiten der Allgemeinheit gesorgt. Die Gepflogenheiten von Eigenständigkeit, Selbstrespekt, Furchtlosigkeit, Demokratie und lokaler oder regionaler Loyalität brachten gute Bürger hervor. Die staatlichen Monopolschulen arbeiten heute natürlich nach einem anderen Modell. Die Menschen werden nolens-volens19 aus riesigen »Erfassungs«-Gebieten zusammengezogen und in Abteilungen gepfercht, die nach Geburtsjahr und Ähnlichkeit der Punktzahl in standardisierten Tests geordnet sind. Dort werden sie dazu angehalten, nach den Vorgaben von Fremden zu lernen und sich zu benehmen. Christopher Lasch schreibt in The True and Only Heaven: Die Fähigkeit der Loyalität wird zu sehr strapaziert, wenn man versucht, sie auf die hypothetische Solidarität der gesamten Menschheit anzuwenden. Loyalität muss sich auf bestimmte Menschen und bestimmte Orte richten, nicht auf ein abstraktes Ideal universaler Menschenrechte. Wir lieben bestimmte Männer und Frauen und nicht die Menschheit im Allgemeinen.

Dies erfasst ein Stück weit, was mit den Pflichtschulen nicht stimmt, die so groß sind wie früher in New England ganze Städte und in denen weder Lehrplan, Philosophie noch Klassenkameraden wählbar sind. 83

Wendeil Berry gibt in einem Brief an den Herausgeber einer Zeitschrift einen anderen Aspekt wieder: Ich glaube nicht, dass »globales Denken« vergeblich ist, ich denke, dass es unmöglich ist. Sie können nicht über etwas nachdenken, was Sie nicht kennen, und niemand kennt diesen Planeten. Manche Menschen kennen ein bisschen, ein paar kleine Teile von ihm ... Die Menschen, die global denken, tun dies, indem sie den Globus abstrakt auf Statistik und Quantitäten reduzieren. Politische Tyrannen und industrielle Ausbeuter haben dies sehr erfolgreich betrieben. Ihre Konzepte und ihre Gier sind abstrakt, und ihre Abstraktionen führen mit erschreckender Direktheit und Einfachheit zu Handlungen, die ohne Ausnahme zerstörerisch sind. Wenn Sie etwas Gutes und Bewahrendes tun wollen, müssen Sie lokal denken und handeln. Die Bemühung, etwas Gutes zu tun, bedeutet Verzicht auf das Globale. Man kann nicht eine gute Handlung vollführen, die global ist ... damit eine gute Handlung gut sein kann, muss sie akzeptabel sein für das, was Alexander Pope den »Genius des Ortes« nannte. Dies verlangt nach regionalem Wissen, regionalen Fähigkeiten und regionaler Liebe, die so gut wie niemand von uns hat, und die niemand von uns bekommen kann, indem wir global denken. Wir bekommen sie nur durch eine Treue zur Region, die wir über mehrere Lebensspannen aufrechterhalten müssen ... ich wünsche mir nicht, dass Menschen mich lieben, die mich nicht kennen; wenn ich ein Planet wäre, würde ich genauso empfinden.

Regionale Techniken, regionales Wissen, regionale Liebe und regionale Treue waren etwas, was die selbstverwalteten Kirchengemeinden in New England in wunderbarer Weise hervorbrachten, aber es gab auch eine negative Seite an diesem Regionalismus: Die religiöse Diskriminierung des frühen New Englands war eine Methode, genügend lokale Harmonie sicher zu stellen, damit es einer Gemeinschaft von Menschen, die zueinander passten, gelingen konnte, eine gemeinsame Vision voranzutreiben. Hier ist eine Szene, die man vor dreihundert Jahren in dem Städtchen Dedham, Massachusetts, die von genau derselben Kirche, in der ich meine Rede hielt, hätte beobachten können: Drei Quäkerfrauen werden an einen Karren gebunden und mit entblößtem Oberkörper durch die ganze Stadt gepeitscht. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass eine solche Behandlung die Tatsache unterstrich, dass die Gesinnung der Quäker 84

als unpassend für Dedham empfunden wurde. Aber damals war das auch mit der presbyterischen Verfassung nicht der Fall. John Milton 20 selbst hatte geschrieben, dass »der neue Presbyter ganz offensichtlich nur der alte Priester ist«, und so wurden alle Presbyterier in die Wildnis von New Jersey vertrieben, wo sie Princeton gründeten. Natürlich war es in Dedham genauso ungesund, katholisch zu sein oder ein Leveller 21 , ein Digger 22 oder ein Hutterer 23 . Auf so verabscheuenswürdige Weise konnte Dedham 234 Jahre lang religiöse Reinheit genießen, bevor das Kongregationsmonopol gebrochen wurde. Nun, was bedeutet all dies? Einfach dies: die Negativseite regionaler Entscheidungsstrukturen ist sehr leicht zu sehen und sogar leicht vorherzusagen. Wir sehen sie illustriert am Beispiel von Dedham zur Kolonialzeit. Aber die ganze Angelegenheit ist viel zu komplex, um jetzt einfach jede Form sozialer Wahlmöglichkeiten zu verwerfen, die eine bestimmte Art menschlicher Zusammenschlüsse vorschreibt und begrenzt. Wo könnte zum Beispiel eine Erklärung dafür liegen, dass diese Menschen allmählich toleranter wurden und dahin kamen, andere Formen der Religionsausübung zu akzeptieren? - Sie änderten ihre konservative Sichtweise sogar bis zu einem Punkt, dass Massachusetts sich einen landesweiten Ruf als liberalster Bundesstaat der Union erwarb. Das ist angesichts der Abwesenheit von Zwang, Abschreckung oder strenger diesbezüglicher Gesetzgebung schon eine erstaunliche Wandlung, nicht wahr? Wie haben Dedham und der Rest dieser Städte sich selbst gelehrt, sich zu reformieren, ohne dass Experten sie dazu gezwungen haben, und ohne zentrale Eingriffe? Denken Sie daran, sie erlaubten nur den aktiv Ausübenden einer einzigen Religion die Wahl, und doch haben sie sich geändert! Und niemand hat sie dazu gezwungen! Etwas Geheimnisvolles innerhalb der Struktur des selbstverwalteten Gemeindewesens hat bewirkt, dass sie einen Teil der Exklusivität, die das Kleben an elitären himmlischen Dogmen sie gelehrt hatte, losließen. Ich bin sicher, dass dieses »Etwas« die fast bedingungslose Regionalität aller Entscheidungen war. Und diese wirkte selbstkorrigierend! Weil die Stadtkirchen sich nicht zusammenschlossen, um eine insti85

tutionelle Orthodoxie zu bilden, die alle Städte einander gleichgemacht hätte - so wie es die monopolistischen staatlichen Regelschulen häufig tun -, konnte der Irrtum in einer Kirche durch seine Korrektur in einer anderen ausgeglichen werden. Solange die Menschen die Wahlmöglichkeit hatten, mit ihren Füßen abzustimmen, bestrafte der freie Markt schwere Irrtümer, weil die Gemeinde dann schrumpfte, und begünstigte gute Orte, indem immer mehr Menschen dort hinzogen. Und selbst wenn sich genügend verkommene Menschen fanden, um eine verkommene Stadt oder Gemeinde zu bilden, konnte daraus nur sehr begrenzter Schaden für die Menschen entstehen, solange es keinen Automatismus gab, aufgrund dessen eine einzige Idee alle anderen zur Unterwerfung verpflichten konnte. Nur in Situationen, die eine zentrale Orthodoxie ermöglichen, wie in einer Pyramide, besteht wirklich die Gefahr, dass irgendein zentrales Gift alle vergiftet. *

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Ja, die negativen Aspekte regionaler Entscheidungsbefugnisse sind leicht auszumachen, und das überwältigende Argument zu ihren Gunsten - dass ohne sie der Genius der Demokratie nicht existieren kann - ist schwer zu erkennen. Denn weil es auch viel regionale Tyrannei gibt, besteht die Versuchung, die Macht im Namen der Fairness an eine zentrale Autorität zu verlagern, damit aus der Zentrale ein bester Weg für alle angeordnet werden kann. Genau das soll ein landesweiter Lehrplan für Schulen sein: eine rationale, faire Art, schlechte Schulen per Gesetz aus der Welt zu schaffen. Ein landesweiter Lehrplan hätte es Dedham, Sudburry, Framingham oder Wellfleet niemals ermöglicht, sich so zu entwickeln, wie es geschehen ist; das wäre gefährlich gewesen, unvorhersagbar, abweichlerisch - nein, sie wären zentral reguliert worden, wie unsere Schulen es heute sind, auch ohne einen landesweiten Lehrplan und landesweite Standards. Und hier kommt die Dialektik ins Spiel. Die Erfahrung mit unserem zentral durchgeplanten Jahrhundert war für die meisten Menschen nicht sehr gut. Einige sind sogar der Ansicht, der Planet selbst sei in Gefahr. Und der Versuch, Dinge wie Alkohol, Drogenmissbrauch oder Rassismus per Gesetz aus der Welt zu schaffen, scheint 86

nicht so gut zu funktionieren, wie die religiöse Exklusivität in New England unter einer lokal gewählten Regierung funktionierte. Stattdessen scheint das Gesetz schlechten Gewohnheiten geradezu ein bösartiges neues Leben zu injizieren. Denken Sie an die großen Siege des Fortschritts, die vor Gericht errungen wurden, weil die Konstrukteure der Gesellschaft nicht in der Lage waren, öffentlichen Konsens herzustellen oder nicht warten wollten: Fördermaßnahmen, Aufhebung der Rassentrennung, Schutz der Jugend vor Pornographie, verschiedene Frauenrechte und so weiter. Sind dies wirklich Siege für die Gruppen, die von den Gerichtshöfen so geschützt werden sollten? Und haben diese Siege wirklich denselben Wert, den sie hätten, wenn sie durch einen Wandel in der öffentlichen Meinung errungen worden wären? Bezüglich der meisten Parameter scheint sich zum Beispiel die Misere der Afroamerikaner heute gegenüber 1960 noch verschlechtert zu haben. Darüber hinaus scheint überall eine Art Böswilligkeit zu existieren, auch in unseren Schulen, die weitere Bemühungen, den Nachkömmlingen der Sklaverei die Hand zu reichen, mit Verachtung und Ignoranz straft. Die unerfreuliche Lage der Frauen ist etwas schwieriger zu sehen, aber wenn ein starker Anstieg der Selbstmordrate, die Zunahme von Herzkrankheiten, psychischen Störungen und Sterilität und anderen pathologischen Zuständen ein Indikator sind, ist die massenhafte Anstellung von Frauen an UnisexArbeitsplätzen kein ungetrübter Segen. Außerdem gibt es einige besorgniserregende Belege dafür, dass das Einkommen arbeitender Paare im Jahre 1990 kaum mehr Kaufkraft besitzt als das Einkommen des durchschnittlichen berufstätigen Mannes um 1910. Demzufolge arbeiten heute zwei Arbeitskräfte zum Preis von einer - ein Ergebnis, das Nationalökonomen wie Adam Smith oder David Ricardo eventuell hätten vorhersagen können. Der unbeachtete gesellschaftliche Preis dafür war die Zerstörung des Familienlebens, der Verlust des Zuhauses als Heiligtum oder Hafen, und die Verunsicherung von Kindern, die seit frühester Kindheit von Fremden aufgezogen werden. Bringt zentrale Abschreckung durch Gesetze die gesellschaftlichen Ergebnisse, die man sich davon verspricht? Vor noch nicht allzu langer Zeit waren Drogen in den Vereinigten Staaten legal. Sie waren 87

immer schon eine bösartige Plage, wurden aber erst zur Epidemie, als es eine Gesetzgebung gab, die ihren Gebrauch verbot. Bewirkt möglicherweise die Tatsache, dass man die Menschen zwingt, etwas zu tun, dass sie es dann schlecht tun, mit schlechter Motivation oder Gleichgültigkeit - es sei denn, man ist bereit, so wie die Armee, die meisten Menschenrechte außer Kraft zu setzen und jeden erforderlichen Grad an Einschüchterung zu verwenden? Und wenn das Letztere die einzige Art ist, wie Zwang Ergebnisse hervorbringen kann, worin liegt dann der Wert eines solchen Tuns für die Menschen, wenn es die Qualität des menschlichen Lebens vermindert? Vielfältige Einschränkungen der Wahlfreiheit im Hinblick auf Bildung sind heute gesetzlich vorgeschrieben und sichern das Einkommen einer exklusive Bürokratie staatlich geprüfter Lehrer und Verwalter sowie buchstäblich Hunderte unsichtbarer Bürokraten, die notwendig sind, um die Institution eines staatsmonopolistischen Schulwesens aufrechtzuerhalten. Den Lektionen des Marktes trotzend ist dieser psychopathische Megalith immer machtvoller geworden, obwohl er in seinen Bildungsbemühungen während seiner gesamten Geschichte in unglaublicher Weise gescheitert ist. Er schafft es nur zu überleben, weil er die Polizeikräfte der Bundesstaaten dazu heranzieht, seine leeren Klassenräume zu füllen. Er verbietet regionale Wahlmöglichkeiten und Vielfalt, und diese Prohibition hat furchtbare Auswirkungen auf das moralische Geflecht unseres Landes gehabt. Ich hoffe, die Wirkung der landesweit gesetzlich verordneten Alkoholprohibition auf den sozialen Zusammenhalt und die gemeinsamen Werte ist eine Lehrstunde, die noch frisch genug ist, um nicht vergessen zu werden. Und verglichen mit der Prohibition, die das staatsmonopolistische Pflichtschulwesen den Kindern und Familien in unserem Land auferlegt, ist die Alkoholprohibition eine Bagatelle. Indem ein freier Bildungsmarkt verhindert wird, hat eine Handvoll Gesellschaftsdesigner, bestärkt von den Branchen, die von der Zwangsbeschulung profitieren - pädagogische Hochschulen, Lehrbuchverlage, Lehrmittelfirmen und andere -, dafür gesorgt, dass die meisten unserer Kinder keine echte Bildung bekommen, obwohl sie sehr gründlich beschult werden. 88

Befreit von ihrem religiösen Hintergrund ist das Prinzip der sich selbst verwaltenden Gemeinde eine psychologische Kraft, die Individuen dazu antreibt, ihr maximales Potenzial zu erreichen, während sie in kleinen Menschengruppen arbeiten, mit denen sie sich in Harmonie fühlen. Wenn man darüber nachdenkt, ergibt sich die Frage, welcher Zweck damit verfolgt wird, die Dinge auf irgendeine andere Art zu ordnen. Die sich selbst verwaltenden Kongregationalisten verstanden von Grund auf, dass gute Dinge dem menschlichen Geist dann widerfahren, wenn er in Ruhe gelassen wird. Der eindrücklichste unmittelbare Beweis, den ich dafür bieten kann, dass es am besten ist, die Leute in Ruhe zu lassen, damit sie ihre eigenen regionalen Entscheidungen treffen und dass dies eine großartige Idee ist, liegt in den außergewöhnlichen Umständen meiner Anwesenheit als Redner letztes Jahr in Dedham. In dieser Gemeinde, die halbnackte Quäkerfrauen durch die Stadt gepeitscht hatte, stand ich - ein Römisch-Katholischer mit einer schottisch-presbyterischen Frau, begleitet von meinem guten Freund Roland, der halb heidnisch, halb jüdisch ist - in einer Unitarischen Universalisten-Kirche, die früher einmal den Kongregationalisten gehört hatte. Dies hatte nicht die Gesetzgebung von Massachusetts bewirkt, kein Urteil des höchsten Gerichts. Die Menschen in Dedham haben gelernt, Nachbarn zu sein, weil sie dreihundert Jahre lang die Möglichkeit hatten, echte Entscheidungen zu treffen und dabei ihre eigenen Lernerfahrungen zu machen. Sie haben gelernt, dass es eine bessere Art gibt, mit Unterschieden umzugehen, als die anderen auszuschließen, weil sie Zeit hatten, darüber nachzudenken und es durchzuarbeiten - Zeit, die sich in Generationen bemisst. Aber wenn ihnen der Wandel befohlen worden wäre, wenn ihnen befohlen worden wäre - wie es bei anderen Emigranten heute geschieht -, ihr Verhalten zu ändern und ihre Kultur aufzugeben, in Pflichtschulen, die zu diesem Zweck errichtet wurden, wäre wohl eher Folgendes geschehen: Manche von ihnen hätten einen scheinbaren Wandel vollzogen, wären aber so wütend gewesen, weil man ihnen keine Wahl gelassen hatte, dass sie einen Weg gefunden hätten, um sich zu rächen. Und die meisten, denen keine Wahl gelassen wurde und denen 89

ihre Entscheidungsbefugnisse, ihre Sitten, ihre Familien und ihre Wurzeln genommen wurden, hätten auf vielerlei Art auf diesen sozialen Druck reagiert. Sie wären ein bisschen verrückt geworden oder sehr vereinfacht denkende Menschen, geeignet zum Steineschleppen und vielleicht, um für andere Menschen die Pyramiden zu bauen oder sich simple Fantastereien im Fernsehen anzugucken, aber sie wären zu wenig Anderem in der Lage. Trotz der Lippenbekenntnisse, die wir den regionalen Wahlmöglichkeiten seit den Tagen der sich selbst verwaltenden Kongegrationalisten weiterhin zollen, werden unsere Schulen zentralistisch konzipiert und haben indirekt bereits einen landesweiten Lehrplan, vermittelt durch die Lehrbuchindustrie und die standardisierte Ausbildung der Lehrer. Dass unsere Schulen in spektakulärer Weise damit gescheitert sind, unseren Kindern die Bildung zu geben, die wir uns für sie wünschen, ihnen die eigenständige Entwicklung zu ermöglichen, die wir uns für sie wünschen oder den Traum der demokratischen, klassenlosen Gesellschaft zu verwirklichen, nach der wir uns immer noch sehnen, liegt auf der Hand. Was wir vermissen, ist die Konsequenz aus diesem Scheitern. Indem wir die Einflussnahme zentraler Stellen zulassen, die völlig außerhalb unserer Kontrolle liegen, haben wir die Lektion des Selbstverwaltungsprinzips immer wieder versäumt: Menschen sind nicht wirklich sie selbst, wenn sie sich nicht freiwillig zusammenschließen, in Gruppen miteinander harmonierender Seelen. Wenn sie sich selbst zusammenschließen, um individuelle, familiäre und regionale Träume zu verwirklichen, die zu ihrer privaten Menschlichkeit passen, dann werden sie wirklich sie selbst; nur Sklaven versammeln sich auf Befehl. Und diese Träume müssen eine regionale Handschrift tragen, denn wenn wir ohne eine solche Verankerung umfassendere Bestrebungen verfolgen, verlieren wir den Kontakt zu dem, was unserem Leben Sinn gibt: uns selbst, Familie, Freunde, Arbeit und vertraute Gemeinschaft. * * *

Mir scheint, es gibt zwei »offizielle« Arten, um den Zustand der Bildung bei uns heutzutage zu betrachten, und beide sind falsch. 90

Erstens sehen wir ihn als ein technisches Problem an, das wir mit einer pragmatischen, handwerklichen Herangehensweise lösen können. Von diesem Standpunkt aus gibt es schlicht eine richtige und eine falsche Art der Beschulung, niemals die tausend privaten, individuellen Möglichkeiten, an die unsere selbstverwalteten Kongregationalisten von New England vielleicht geglaubt haben mögen. Zweitens betrachten wir Schule, als wäre sie Teil eines endlosen Krimis, bei dem wir nach den Bösewichtern suchen, die unsere Kinder vom Lernen abgehalten haben. Schlechte Lehrer, schlechte Lehrbücher, inkompetente Verwaltung, böse Politiker, schlecht vorbereitete Eltern, böse Kinder - wer die Bösewichte auch sind, wir werden sie finden, vor Gericht stellen, verfolgen und sie vielleicht sogar umbringen! Dann wird alles gut sein. Aus diesen beiden starrköpfigen Betrachtungsweisen haben sich riesige Industrien entwickelt, die behaupten, die Massenbeschulung im Austausch gegen bare Münze von ihren Problemen oder von ihren Dämonen befreien zu können. Zu diesem Karneval aus magischem Denken trägt mittlerweile ein Heer von Profitsuchenden bei: Analysten, Berater, Forscher, akademische Einrichtungen, Autoren, Experten, Kolumnisten, Lehrbuchausschüsse, Schulverbände, Testentwickler, Journalisten, pädagogische Hochschulen, Bildungsministerien, Schulaufsichtsbeamte, Koordinatoren, Produzenten, staatlich geprüfte Lehrer und Schulleiter, Schulfernsehanstalten und Horden von weiteren Institutionen, die von der Schule leben - sie alle sind parasitäre Auswüchse des staatlichen Monopols über die Idee von Schule. Für viele von uns besteht die größte Anziehungskraft von ingenieurtechnischer Gesellschaftsformung und antisozialer Dämonenlehre darin, dass beide im Wesentlichen eine schnelle Reparatur versprechen. Das war immer die dunkle Seite des amerikanischen Traums, diese Suche nach einem leichten Ausweg, der Glaube an Zauberei. Eine endlose Abfolge von Versprechen bildet den Kern der amerikanischen Werbeindustrie, die eine der größten Branchen in unserem Land ist. Sie zeugt von dem Abgrund an Aberglauben, der an der Wiege unserer Nation stand und in der Werbung institutionalisiert worden ist. Schnelles Geld, schnelle Gesundheit, schnelle Schönheit, 91

schnelle Bildung - wenn nur der richtige Zauberspruch gefunden wird. Hinter der Magie verbirgt sich ein Bild vom Menschen als einer Maschine, die gebaut und repariert werden kann. Das ist unser calvinistisches Erbe, das uns seit Jahrhunderten verfolgt und behauptet, die Welt mit all ihrer Vielfalt sei nur eine leicht zu bedienende Maschine, wenn wir die Sentimentalität beiseite lassen und die Bösewichte feuern, entweder symbolisch oder mit tatsächlichen Scheiterhaufen, je nachdem, in welchem Jahrhundert wir uns befinden. Die Schulreform sehen die meisten von uns wie einen Mechaniker, der nach dem richtigen Schraubenschlüssel greift oder Perry Mason 24 , der endlich den entscheidenden Hinweis findet, den er braucht, um den Bösewicht festzunageln. * * *

Letztlich hängt es von unserem Menschenbild ab, wie wir gesellschaftliche Probleme einschätzen: Was sind Menschen, wozu sind sie fähig, welchem Zweck - wenn überhaupt vorhanden - dient das menschliche Dasein? Wenn die Menschen Maschinen sind, dann kann die Schule nur ein Weg sein, um diese Maschinen verlässlicher zu machen. Die Logik von Maschinen diktiert, dass die Teile gleichförmig und austauschbar sein müssen, alle Vorgänge zeitgebunden, vorhersagbar und ökonomisch. Klingt das für Sie nach den Schulen, die Sie besucht haben und in die Ihre Kinder gehen? Der Amerikanische Bürgerkrieg hat leider ohne jeglichen Zweifel bewiesen, dass die Uniformität sowohl finanziell als auch gesellschaftlich sehr nützlich ist. Die Sichtweise des Menschen als einer Maschine existiert zwar schon seit Jahrtausenden, aber erst seit dem Ende des Ersten Weltkriegs ist sie wirklich vorherrschend. Die amerikanische Erziehung lehrt durch ihre Methodik, dass die Menschen Maschinen sind. Glocken läuten, Stromkreise öffnen und schließen sich, Energie fließt oder wird zurückgehalten, Qualitäten werden auf ein Zahlensystem reduziert, ein Plan wird verfolgt, von dem die Einzelteile der Maschinen nichts wissen. Octavio Paz aus Mexiko, der Gewinner des Literaturnobelpreises von 1990, sagt über unsere Schulen: 92

Im nordamerikanischen System werden Männer und Frauen von Kindheit an einem unaussprechlichen Prozess unterworfen, bestimmte Prinzipien, die in kurzen Formeln enthalten sind, werden in Presse, Radio, Fernsehen, Kirchen und speziell in Schulen endlos wiederholt. Ein in diesen Schemata gefangener Mensch ist wie eine Pflanze in einem zu kleinem Topf. Sie kann nicht wachsen oder reifen. Diese Art von Verschwörung muss letztlich eine heftige individuelle Rebellion provozieren.

Wir können nicht wachsen oder reifen, wie Pflanzen in zu kleinen Töpfen. Wir sind süchtig nach Anleitung; während der derzeitigen landesweiten Entwicklungskrise scheinen wir auf den Lehrer zu warten, der uns sagt, was wir tun müssen, aber der Lehrer erscheint nie. Brücken brechen zusammen, Männer und Frauen schlafen auf den Straßen, Bankiers betrügen, zwischenmenschliche Werte zerfallen, innerhalb der Familien herrscht Betrug, systematische Lügen der Regierung sind Teil der Politik Korruption, Verstrickung, Wahnsinn und Sensationalismus nisten überall. Keine Schule hat einen Lehrplan, der hier eine schnelle Reparatur ermöglicht. Die alten Kongregationalisten wären in der Lage gewesen, ihren Finger sofort auf die Wunde zu legen: Pyramidenförmige Gesellschaften wie unser monopolistisches Schulsystem müssen immer in Apathie und Desorganisation enden. Denn sie basieren auf der Lüge, es gebe »einen einzigen richtigen Weg« für das Menschsein, und das Thema Bildung könne der dauerhaften Leitung durch Experten anvertraut werden. Dies ist eine Lüge, weil die wechselnde Dynamik von Zeit, Situation und Ort das Wissen der Experten irrelevant macht und es veralten lässt, sowie die Experten gesalbt wurden. Die Monopolschule ist die Dressureinrichtung der Bienenstockgesellschaft. Sie beglaubigt Dauerexperten, deren privilegierter Status von den Ergebnissen, die sie erzielen, nicht gerechtfertigt wird. Weil diese Privilegien, wenn sie einmal erlangt wurden, nicht ohne weiteres wieder hergegeben werden, sind ganze Privilegiensysteme geformt worden, die jedem Wandel trotzen. Selbst unter der schwersten Kritik wachsen sie immer weiter und werden immer gefährlicher, weil sie wichtige Teile unseres politischen und wirtschaftlichen Systems ernähren. Sie sind buchstäblich unreformierbar, weil sie aufgehört haben menschlich zu sein. Stattdessen wurden sie in abstrakte Strukturen 93

von unglaublicher Effizienz verwandelt, Überlebensmechanismen außerhalb nachhaltiger menschlicher Kontrolle. Das monopolistische Schulwesen ist kein Teufel, mit dem man ringen kann, wie Daniel Webster es mit Old Scratch tat, sondern einer, der ausgehungert werden muss, indem man ihm die Opfer entzieht. Das Schulmonopol ist der Hauptgrund für unseren Verlust an nationaler und individueller Identität. Dass wir die Unterteilung in soziale Schichten institutionalisiert und ein Kastenwesen befördert haben, ist für unsere Gründungsmythen und für die Wirklichkeit unserer Gründungsphase beschämend. Die Stärke des Schulwesens entstammt vielen Quellen, von denen die antikindliche und antifamiliäre Strömung der Geschichte eine ist - aber die größte Kraft zieht es daraus, dass es unserer Wirtschaft, die ständig unzufriedene Konsumenten braucht, auf natürliche Weise zuarbeitet. *

*

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Es ist an der Zeit aufzuhören. Dieses System funktioniert nicht und ist eine der Ursachen dafür, dass unsere Welt zerfällt. Keine Reparatur, wie gründlich sie auch sein mag, wird dafür sorgen, dass die Schulmaschinerie wirklich gebildete Menschen entlässt; Bildung und Beschulung sind, wie wir alle erfahren haben, Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Schon 1930 hat Thomas Briggs25 in Harvard die Beschuldigung erhoben, dass »die große Investition der Nation in höhere Schulbildung keine nennenswerten Ergebnisse gebracht hat«. Zwei Jahrzehnte später, 1951, enthüllte eine Studie an dreißigtausend Schulkindern in Los Angeles, dass fünfundsiebzig Prozent der Achtklässler auf einer Landkarte nicht den Atlantischen Ozean lokalisieren konnten und kaum jemand fünfzig Prozent von Sechsunddreißig ausrechnen konnte. Aus meiner persönlichen Erfahrung stehe ich als Zeuge dafür ein, dass die Situation heute mit Sicherheit nicht besser ist. Was um alles in der Welt geht hier vor? Jede echte Debatte würde sich mit dem einhelligen Scheitern jeder Art von regierungsmonopolistischer Schule zu befassen haben. Zusammen mit dem Fernsehen ist die Zerstörungskraft der Beschulung heute grauenvoll und vollkommen außer Kontrolle geraten. Das Fernsehen hat sich - ganz ähn94

lieh wie die Struktur der Massenbeschulung - so erfolgreich ausgedehnt, dass alle früheren Fluchtwege heute blockiert sind. Wir haben Geist und Charakter unserer Kinder zerstört, indem wir ihnen ihre Jugend geraubt und die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, vorenthalten haben. Selbst wenn ein Weg gefunden wird, um die Pyramide zu überwinden, werden wir noch ein weiteres Jahrhundert einen immens hohen Preis an verlorener Menschlichkeit für dieses Verbrechen bezahlen. Das Monopol loszuwerden ist der allererste Anfang. Was ist zu tun? Blicken Sie nach Dedham, nach Sudbury, Marblehead und Provincetown: Alle unterschiedlich und doch alle in der Lage, die Bedürfnisse ihrer Gemeinwesen zu erfüllen. Wenden Sie sich von landesweiten Pauschallösungen ab und hin zu Familiengemeinschaften als erfolgreichen Laboratorien. Lassen Sie uns nach innen gehen, bis wir die erste Direktive jeder Philosophie meistern, die diese Bezeichnung verdient: »Erkenne dich selbst.« Wir müssen begreifen, dass erfolgreiche Gemeinschaften die Wahrheit der Maxime »Gute Zäune machen gute Nachbarn« beherzigen. Gleichzeitig sind sie in der Lage, sich gegenseitig anzuerkennen, zu respektieren, zu verstehen, wertzuschätzen und aus den Unterschiedlichkeiten zu lernen. Blicken Sie auf das Prinzip der sich selbst verwaltenden Kongregationsgemeinden, um Antworten zu finden. Ermutigen und unterstützen Sie Experimente. Vertrauen Sie darauf, dass Kinder und Familien selbst wissen, was für sie am besten ist. Beenden Sie das Wegsperren von Kindern und Alten in umzäunten Einrichtungen. An der Bildung der nächsten Generation sollten sich in jedem Gemeinwesen alle beteiligen: Firmen, Institutionen, alte Menschen und Familien. Suchen Sie nach regionalen Lösungen und ziehen Sie eine persönliche Lösung immer einer institutionalisierten vor. Sie brauchen keine Bildungskonsequenzen zu fürchten: Lesen, Schreiben und Arithmetik sind nicht sehr schwer zu unterrichten, wenn wir dafür sorgen, dass nicht Zwang und Stundenpläne die private Verabredung eines jeden Individuums mit sich selber, diese Dinge zu lernen, behindern. Es gibt überreichlich Beweise dafür, dass weniger als hundert Stunden ausreichen, um schreib- und lesekundig sowie ein Selbstlerner zu werden. Lassen Sie sich nicht durch Einschüchte95

rungstaktiken dazu verleiten, ihre Kinder panisch irgendwelchen Experten auszuliefern. Unterrichten muss, glaube ich, so schnell wie möglich unabhängig von staatlichen Beglaubigungen geschehen. Der Glaube, nur im Beisein zertifizierter Lehrexperten wie mir könnte Lernen geschehen, ist Lug und Trug. Schauen Sie sich um: Die Ergebnisse von pädagogischen Hochschulzertifikaten können Sie an allen Schulen ablesen. Lassen Sie jeden unterrichten, der es möchte; geben Sie den Familien ihre Steuergelder zurück, um selbst auszuwählen - wer könnte ein besserer Einkäufer sein, wenn es Vergleichsmöglichkeiten gibt? Stellen Sie das Selbstverwaltungssystem wieder her, indem Sie Wettstreit nach dem wirklich unmanipulierten Modell des freien Marktes ermutigen - so dass die gesellschaftliche Dialektik wieder zum Leben erweckt werden kann. Vertrauen Sie auf Familien, Nachbarschaften und Individuen, damit diese der wichtigen Frage, wozu Bildung dient, Sinn geben. Wenn Sie andersgeartete Reaktionen vernehmen, als-Ihnen lieb wäre, geht Sie das wirklich nichts an und sollte nicht Ihr Problem sein. Unsere Art der Beschulung hat absichtlich die Tatsache verschleiert, dass eine solche Frage gestellt werden muss und eine Antwort nicht als selbstverständlich angenommen werden kann, wenn irgendetwas genährt werden soll, was mehr als nur ein Zerrbild von Demokratie ist. Es ist nicht legitim, dass ein Experte diese Frage für Sie beantwortet. Es war unser eigenes Vertrauen in unser eigenes Potenzial, das uns damals zur Kolonialzeit geholfen hat, gute Grundlagen zu legen. Ich bin sicher, dass die Struktur, die wir damals entwickelt haben, immer noch machtvolles Potenzial birgt. Lassen Sie uns dieses Potenzial wieder nützen und eine echt amerikanische Lösung für den großen Schulalbtraum erschaffen.

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NACHWORT Für die Ausgabe zum zehnjährigen Jubiläum Viele Grüße! Während ich hier sitze, um zu überlegen, wie ich die Wirkung verdeutlichen kann, die Dumbing Us Down immer noch auf mein Leben und das Leben von anderen hat, haben Faxe, Briefe, E-Mails, Anmerkungen und Manuskripte mein Sechs-Zimmer-Apartment in Manhattan vollständig mit Beschlag belegt, und auch meine 50 ha-Farm im Staat New York. Sie alle haben mit irgendeinem Aspekt der Institutionensuppe zu tun, in der ich zu rühren begann, indem ich dieses Buch veröffentlichte. Die Menschen, die mir schreiben, ehren mich mit Worten, die ich kaum verdiene: »Vielen Dank, dass Sie sich der Pflicht widmen, diese Pestilenz zu entlarven. Mir kommen die Tränen in einer merkwürdigen Mischung aus Freude und Wut.« Ein früherer Lehrer schrieb mir dies: »Dieses Buch verknüpfte viele lose Enden, die ich intuitiv fühlte, aber nicht festmachen konnte. Ich habe zwölf Ausgaben gekauft und sie an viele Kollegen und Freunde verteilt. Wegen Ihres Buches hat eine dieser Familien die Entscheidung getroffen, Homeschooling zu machen, und mehrere andere erwägen es ebenfalls.« Im Laufe der Jahre habe ich fast tausend Briefe aus aller Welt bekommen, in denen die Entscheidung, Homeschooling zu machen, an die zufällige Begegnung mit Dumbing Us Down geknüpft wurde. Aus Cuajimalpa in Mexiko kam dieser Brief: »Ich hatte mich der Idee meiner Frau, mit unseren Kindern Homeschooling zu machen, widersetzt, bis ich Ihr Buch gelesen habe. Was hat das für einen Einfluss auf mein Leben gehabt! Nun bin ich glücklich, die schnelle Entwicklung meiner Töchter in der liebevollen Atmosphäre unseres Heimes zu erleben.« 97

Ist es also falsche Bescheidenheit, die mich dazu zwingt zu sagen, dass ich dieses Lob kaum verdiene? Nein, denn nur ich weiß, wie wenig ich bewusst mit dem Schreiben dieses Buches zu tun hatte. Ehrlicherweise sollte es als ein Buch gesehen werden, das sich selbst schrieb und mich als Schreiber und Beichtvater benutzte. In dem Jahrzehnt, seit Dumbing Us Down das Licht der Welt erblickte, haben fünfzehntausend seiner Leser es auf sich genommen, dafür zu sorgen, dass ich ihre persönlichen Reaktionen auf die Ideen des Buches kennen lernte und meine Einsichten in die verrückte Realität erzwungener Beschulung um ihre Erfahrungen erweiterte. Ein verwirrender, erschöpfender, wehmütig stimmender, auszehrender Strom von Protest - ein Aufschrei, destilliert aus Jahren der Begrenzung, Einschränkung und Erniedrigung, Jahren der Einschüchterung, des Einheimsens von Preisen, die es nicht wert waren gewonnen zu werden, von verlorenen Gelegenheiten, ruinierten Beziehungen, oft zu den eigenen Eltern, zu der eigenen Familie, den Nachbarn, Freunden und sich selbst, so dass diese Flut mich manchmal fast in Gram ertränkte. Ich konnte nur einen Bruchteil dieser Briefe beantworten, aber ihre massive Gegenwart und die Tatsache, dass Jahr für Jahr beständig weitere dieser Berichte bei mir eintrafen, weckten mein Bewusstsein dafür, wie weit gefächert der Schaden ist, den institutionalisierte Beschulung uns wirklich zufügt - und wie grimmig sich ihre Opfer der Dinge bewusst sind, die sie deswegen verloren haben. Zu den vielleicht wichtigsten gehören Selbsterkenntnis und die Fähigkeit, voll und ganz zu lieben. Dumbing Us Down war der Katalysator, der lang begrabene Erinnerungen an die Oberfläche schwemmte: Er erinnert Tausende von Männern und Frauen an die Momente, als sie darum kämpften, sie selbst zu sein, nur um durch Pausenglocken, Beleidigungen und standardisierte Tests gedemütigt und zerbrochen zu werden. Die Angehörigen einer sonst schweigenden Mehrheit schrieben mir, weil sie wollten, dass wenigstens ein anderer Mensch wusste, wie sehr sie getäuscht worden waren.

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Wie kam es dazu, dass ich Dumbing Us Down schrieb? Als ich 1990 erstmals zum »Lehrer des Jahres« erklärt wurde, hatte ich die Absicht, bei der Preisverleihung nur dem Überbringer des Auszeichnung zu danken und meiner Tochter im Publikum zuzuwinken oder sie, wenn ich mich trauen würde, für eine öffentliche Umarmung aufs Podium zu bitten. (Ich war mutig genug und tat es.) Aber am Abend vor der Preisverleihung rief ein ehemaliger Schüler an, um seinen Glückwunsch auszusprechen. Er fragte mich so nebenbei, was ich denn anmerken wollte. Anmerken? Ich setzte ihn auf den Topf oder dachte es zumindest. »Niemand«, sagte ich ihm, »möchte eine Rede von einem staatlichen Lehrer hören.« Es würde keine Anmerkungen geben. »Aber Sie müssen eine Rede halten«, forderte er. »Sie müssen für mich sprechen, für Wendy, für Amy, für Bruce, für Tamir, für Janet, Jane, Jill, Andy und für all Ihre Klassen der vergangenen Jahre, Sie müssen aufsummieren, was es alles bedeutet hat.« »Niemand wird zuhören«, sagte ich. »Ich werde zuhören«, sagte er. Und so entstand Die Psychopathische Schule, im Rausch einer einzigen leidenschaftlichen, mit Kaffee angereicherten nächtlichen Sitzung. Wie ich erwartet hatte, hörten die Beamten des Schuldistrikts, die mir am nächsten Abend in einer Schule in Harlem die Auszeichnung verliehen (und die mich nicht ausstehen konnten), weder zu, noch kommentierten sie meine Worte. Aber in den nächsten sechs Monaten erhielt ich Hunderte von Anfragen, ob der Text abgedruckt werden könnte. Ein Auszug schaffte es sogar in den Kongressbericht von Senator Bob Kerrey aus Nebraska. »Die Psychopathische Schule«, das Schlüssel-Essay in diesem Buch, beschäftigt sich mit einer Anzahl pathologischer Muster, die ich bei Schulkindern im Laufe der Jahre bemerkt hatte, und zwar bei reichen ebenso wie bei armen Kindern. Die schnelle Verbreitung meiner Rede im gesamten Land durch Mund-zu-Mund-Propaganda und durch den Abdruck in einigen regionalen Zeitschriften führte schnell zu Anfragen nach einer Erklärung, welche spezifischen Mechanismen für diese Störungen verantwortlich seien. 99

Das war eine wirkliche Herausforderung, und ich habe achtzehn Monate lang mit mir gerungen, um sie zu beantworten. Gerade rechtzeitig für die Zeremonie in Albany, die mich zum Lehrer des Jahres 1991 im Staat New York machte, begann ich meine eigene Rolle in dem Verbrechen klar zu erkennen. »Die Sieben Lektionen des Lehrers« gibt Teile meiner Rede anlässlich der Preisverleihung durch den Staatskommissar für Bildung wieder - und bald wurde auch dieser Text in Hunderten von Zeitschriften nachgedruckt, kopiert, in Homeschool-Magazinen und Foren wiedergegeben. Diese beiden Reden wurden in letzter Minute fertig gestellt, kosteten mich schwere Seufzer beim Schreiben und stammten nicht aus irgendeinem Prozess der mir vertrauten Reflexionsprozesse. Sie »erschienen« in den frühen Morgenstunden vor meinen Fingerspitzen und überraschten mich selbst genauso wie meine Zuhörerschaft. Diese Reden (es gab noch andere, jede bildet ein Kapitel in diesem Buch) führten direkt zu einem weiteren Phänomen, das einige meiner liebsten Annahmen in Frage stellte: Es gab eine Vielzahl von Einladungen, vor Gruppen zu sprechen, die so unterschiedlich waren, dass sie sich, wenn sie in einem Raum versammelt gewesen wären, sicherlich gegenseitig umgebracht hätten! Es reicht anzumerken, dass ein Kerl aus Monongahela in Pennsylvania, der den Großteil seines Erwachsenenlebens damit zugebracht hatte, zu dreizehnjährigen Kindern zu sprechen, plötzlich kurz nacheinander in einer Residenz des amerikanischen Präsidenten sprach, im Old Senate Office Building, im Cato Institute, im Nashville Center for the Arts, dem »Ingenieur-Colloquium« des NASA Space Center, bei Apple Computers, im Eagle-Forum, in der United Technologies Corporation und der Farm Commune, sowie vor Regierungskreisen in Singapur, Kuala Lumpur, Bogota und anderswo - ich war an so vielen Orten, dass ich in den letzten zehn Jahren über zwei Millionen Kilometer gereist bin. Obwohl ich die rhetorische Verkleidung jeweils den verschiedenen Zuhörern und Situationen angepasst habe, war und bleibt meine Kernbotschaft, dass institutionalisierte Zwangsbeschulung absolut unreformierbar ist, weil sie bereits ein absoluter Erfolg ist! Sie bewirkt 100

mit brillanter Genauigkeit das, wozu sie ursprünglich entwickelt wurde, nämlich die »Bildungs«-Säule einer zentralisierten - auf Massenproduktion angelegten - Wirtschaft zu sein, die von einer Handvoll Kommandozentralen gesteuert wird. Damit eine solche Wirtschaft funktioniert, ist eine bestimme Art von »Humankapital« nötig. Sie braucht Menschen, die darauf dressiert wurden, sich selbst über den Erwerb von Dingen, durch den Besitz von »Sachen«, zu definieren, und die alles unter dem Gesichtspunkt Bequemlichkeit, Sicherheit und Status betrachten. Schulen sind ein großartiger Mechanismus, um die neuen Generationen darauf zu trimmen, dass sie totale Verwaltung akzeptieren, und um die meisten von uns im Interesse der wissenschaftlichen Verwaltung lebenslang kindisch zu halten. Effiziente Verwaltung braucht unvollständige Menschen, denn ganzheitliche Menschen oder jene, die nach Ganzheit streben, weisen ausufernde Bevormundung zurück. Unter totaler Verwaltung ist es unmöglich, erwachsen zu werden, ob es sich hierbei um totales Qualitäts-Management handelt oder um irgendeine andere Version. Die Ökonomie einer zentralisierten Massenproduktion kann, wenn sie überleben will, auf unselbstständige Menschen also keinesfalls verzichten.. Das Kapitel »Green Monongahela« wurde wie die anderen als Reaktion auf die beständigen Fragen meiner Zuhörer geschrieben, wer ich sei und wie ich dazu gekommen sei, so zu denken. Darin liegt eine verborgene Absicht, die ich jetzt bereit bin zu enthüllen: All den Menschen, die Narben aus ihrer Vergangenheit mit sich herumtragen (aus denen die Experten verschiedener Richtungen Theorien über lebenslange Beschränkungen spinnen), wollte ich zeigen, dass die ganzen Sozial-»Wissenschaften« überwiegend Mumpitz sind - und gefährlicher Mumpitz dazu. Sozialwissenschaft existiert, um pseudowissenschaftlich die vielfache Unterordnung zu rechtfertigen, die moderne Verwaltung den Verwalteten auferlegt. Ich wollte anhand meines eigenen Beispiels demonstrieren, dass ich letztlich ganz gut geraten bin, obwohl ich aus einer Familie exzentrischer Genies stamme, die einander jeden Tag bis auf die Zähne bekämpften; dass ich unabhängig, selbstbewusst, zivilisiert bin und vernünftige Prinzipien habe, obwohl 101

wir große Schwierigkeiten bekommen hätten, wenn die Behörden von manchen Dingen, die hinter unserer Tür stattfanden, etwas mitbekommen hätten. So kann ich vielleicht ein Spiegel sein, in dem andere ihre eigene Geschichte wiedererkennen und sich bestätigt fühlen. Mit meinem eigenen Beispiel hoffte ich, ein lebender Gegenbeweis zum Kult der gesalbten Experten zu werden, der jeden Aspekt unserer Freiheit vergiftet hat. Es war an der Zeit, dass wir das mal erledigten. Dies war einst ein Land, in dem jeder gesunde Mensch wusste, wie man eine Hütte errichtet, Gemüse anbaut und sich miteinander vergnügt. Heute sind wir zu ewigen Kindern geworden. Dafür sind die Architekten der Zwangsbeschulung verantwortlich. Bei meinem Versuch, jungen Menschen hilfreich zu sein, verdanke ich jeden Erfolg meiner Familie und dem Umstand, dass ich an einem Ort aufgewachsen bin - Monongahela -, wo die Menschen auf jeden, der sich zu sehr in ihre Angelegenheiten mischte, mit Fäusten losgingen. Und der Tatsache, dass mein freiheitliches Aufwachsen mich unversehens zu einem Saboteur von Unterdrückungsmechanismen gemacht hat. Auch wenn das als eitle Übertreibung angesehen wird, möchte ich hier bekennen, dass ich mir an jedem einzelnen Tag meines Lehrerdaseins morgens beim Rasieren eine Litanei vorsang, in der ich darum flehte, an diesem Tag eine Gelegenheit - wie klein auch immer - zu finden, um Sand in das Getriebe des Systems zu streuen. Eines Tages werde ich mehr über die Einzelheiten schreiben, aber wahrscheinlich unter Pseudonym, denn die Details würden mich sicherlich hinter Gitter bringen! Ich dränge all jene von Ihnen, die mich fragen, was man in unseren Schulen tun kann, solche Saboteure zu werden, Wassertröpfchen, die dieses wüste Land der erzwungenen, institutionalisierten Beschulung aufweichen. Die letzen beiden Essays im Buch, »Wir brauchen weniger Schule, nicht mehr« und »Das Prinzip der Selbstverwaltung«, stellen meine Versuche dar, die groben Umrisse einer Lösung für das Problem der modernen Beschulung zu finden. Vor langer Zeit haben wir ein Problem gelöst und wurden deswegen zu Hoffnungsträgern für andere. Die entstehende Industriegesellschaft - mit billiger, unbegrenzter Energie, die ungeahnten Reich102

tum versprach, wenn nur die Freiheitsimpulse der kleinen Leute unter Kontrolle zu bekommen wären - begrub die Spuren dieser früheren Entdeckungen, aber nicht so tief, dass man sie nicht wieder freilegen kann, dass sie nicht wieder belebt und erneut wegweisend werden können. Lesen Sie diese Essays langsam. Vergessen Sie, wie vollständig Schule Ihr Streben nach dem lebenswichtigen historischen Verständnis zerstört hat, setzen Sie sich mit den Nuancen meiner Argumentation auseinander - das beste Amerika handelt von Argumenten, nicht von voreiliger Zustimmung. Beide Kapitel erkunden preiswerte Alternativen zu der sinnlosen Institution, die unseren Kindern das Leben aussaugt. Nach Dumbing Us Down habe ich vier andere Bücher geschrieben. Eines ist noch unveröffentlicht, ein anderes ist ein episches Gedicht mit dem Titel »The Adventures of Snider, the CIA Spider«. Aber Dumbing Us Down bleibt mein Lieblingswerk, weil es mir die Augen für den Schaden geöffnet hat, den ich angerichtet hatte, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Derzeit versuche ich auf 50 ha, die mir im Hinterland von New York gehören, einen ländlichen Rückzugsort und eine Bibliothek zu erschaffen,. Ich möchte den Ort »Solitude« nennen- »Einsamkeit« und dieser Name erklärt fast alles. Wenn ich dieses Stück Land nicht gehabt hätte und nicht in der Lage gewesen wäre, dem Missklang von New York City zu entrinnen, um von Zeit zu Zeit mit mir allein zu sein, wäre mein Geist mit Sicherheit zerbrochen, und meine Seele wäre irreparabel verstümmelt worden. Ich muss nur noch ungefähr hunderttausend Dinge erledigen, um fertig zu werden. Wenn Sie also von einem Engel hören, dann sagen Sie mir Bescheid. Ich hoffe, dass ich den ersten Solitude-Rückzugsort dazu benutzen kann, um jeder Stadt, jedem Dorf und jedem Großstadtquartier zu zeigen, wie einfach und wertvoll es ist, eine solche öffentliche Kraftquelle herzustellen - einen Ort, wo wir mit uns allein sein können, ohne Plan, ohne Stundentakt, ohne Unterrichtstunden, ohne Klassen und ohne organisierte Erholung. Und ich versuche, einem großen Missstand abzuhelfen, indem ich einen langen, wegweisenden Dokumentarfilm über die Geschichte 103

und die Anomalien (sowie die Gegengifte) für die moderne institutionalisierte Zwangsbeschulung produziere. Dafür muss ich nur noch sechs oder sieben Millionen Dinge tun - aber es gibt ein Skript, ein landesweites Netzwerk von Assistenten, ein Produktionsteam und einen Trailer. Wenn Sie an Ken Burns Film Civil War denken, bekommen Sie eine Idee vom Umfang des Projektes. Zufällig ist der frühere Schüler, der mich dazu gedrängt hat, »Die Psychopathische Schule« und dadurch letztlich dieses ganze Buch - niederzuschreiben, ein guter Filmemacher; er wird das Ganze leiten. Diese beiden Vorhaben werden in einiger Ausführlichkeit auf meiner Website www.johntaylorgatto.com diskutiert, wohin Sie mir, wenn der Teufel Sie reitet, auch von Zeit zu Zeit Ihre Gedanken senden können. Ich kann allerdings keine Antwort versprechen, denn wie Sie bin ich oft überwältigt von allem, aber ich verspreche, dass ich jede Mitteilung zweimal lesen und gut über Ihre Worte nachdenken werde - und wenn unsere Pfade sich jemals kreuzen, geht das erste Iron City26 auf mich. Gott sei uns gnädig, John Taylor Gatto Oxford, New York Januar 2002

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POSTSCRIPT des amerikanischen Verlegers, 2005

Am 7. April 2004 stand in der Mid-Hudson Highland Post ein Artikel über einen Auftritt von John Gatto in der Highland High School. Unter der Uberschrift »Sprachlos gemacht« trug der Bericht den Untertitel »Fürsprecher einer Bildungsreform bringt Kontroverse nach Highland«. Der Artikel schildert die Ereignisse des 25. März jenes Jahres, als die zweite Hälfte von John Gattos Abendvortrag vom Schulsuperintendenten »nach Klagen des Highland-Lehrerverbandes, die Präsentation sei zu kontrovers«, abgesagt wurde. Vordergründig war die Absage eine Reaktion auf eine Videopräsentation, die einige Gewalttätigkeiten zeigte. Aber der ehemalige Studentenberater Paul Jankiewicz bat darum, zu differenzieren und führte aus, keiner der zahlreichen Schüler, mit denen er hinterher gesprochen hatte, habe sich von diesem Video zu Gewalt inspiriert gefühlt. Meiner Meinung nach hatten nur wenige der Menschen, die Gatto widersprachen, die Videopräsentation gesehen. Stattdessen »übernahmen sie die Position der Lehrergewerkschaft, die über den Grundton des Vortrages erbost war.« Er fuhr fort: »Mr. Gatto teilte ihnen im Wesentlichen mit, dass sie den Kindern keinen guten Dienst erwiesen. Man müsse den Schülern die Wahrheit erzählen, ihnen Erfahrungen im wirklichen Leben vermitteln, und die Kinder sollten für ihre eigenen Erziehung verantwortlich sein. [Gatto] stellte den Wert und die Bedeutung standardisierter Tests infrage, konstatierte eine Gefängnisatmosphäre in den Schulen und einen Mangel an relevanten Erfahrungen, die den Schülern ermöglicht würden.« Jankiewicz fügte hinzu, dass Gatto auch eine wichtige Botschaft für Eltern hatte: »Sie müssen die Kontrolle über die Erziehung Ihrer Kinder übernehmen.« 105

Der Leiter der Highland High School, Chris Hart, lobte den Schulausschluss, weil er Gatto eingeladen hatte und wünschte, dass mehr Schüler seine Botschaft hätten hören können. Vorstandsmitglied Katie Hanley fand die Ansprache gut, weil sie eine »neue Perspektive« vermittelte und fügte hinzu, dass »sie wichtig war, weil sie einen Gedankenaustausch in Gang setzte und die Schüler veranlasste, für sich selbst zu denken. High-School-Junior Qing Guo fand Gatto »inspirierend«. Highland-Lehrerin Aliza Driller-Colangelo fühlte sich von Gatto ebenfalls inspiriert, lobte diejenigen, die das »Risiko« auf sich genommen hätten und berichtete, ihre Klasse habe nach der Rede einen regen Gedankenaustausch gehabt. Jankiewicz schloss, die Schüler wären »sehr eifrig bei der Sache gewesen, die aufgestellten Thesen zu diskutieren. Leider ließ unsere Schule diesen Dialog nicht zu, abgesehen von einigen wenigen Lehrern, die den Mut hatten und die Schüler dazu ermutigten«. Was in der Zeitung nicht berichtet wurde, ist die Tatsache, dass die Schulbehörden die Polizei riefen, um zu intervenieren und »den Frieden wieder herzustellen«, der ironischerweise nicht im Mindesten bedroht war, da die Schüler die ganze Zeit ruhig und aufmerksam zuhörten. Eine geplante Abendveranstaltung in der Schule mit Gatto und dem Elternverband wurde von den Schulbehörden ohne Diskussion unter krasser Missachtung der Rede- und Versammlungsfreiheit verboten ... Die nachhaltige Bedeutung der Arbeit und dieses kleinen Buches von John Taylor Gatto hätte nicht besser demonstriert werden können als durch diese traurige Geschichte. Welche Kraft Gattos Ideen haben, wie dringlich sie sind und wie bedeutsam sie bleiben, wird daran deutlich, dass die Schulbehörden zwölf Jahre nach ihrer ersten Veröffentlichung immer noch versuchen, sie zum Verstummen zu bringen und Angst davor haben, auch nur darüber zu diskutieren. - Möge der Kampf weitergehen! Chris Plant Gabriola Island, B. C. Februar 2005 106

ANHANG In der US-Ausgabe ist ein Vorwort von Thomas Moore, eine Einführung von David Albert und eine Anmerkung des Herausgebers enthalten. Da uns das deutsche Vorwort von Vera F. Birkenbihl wichtig war und wir das Buch nicht mit vorangestellten Texten überladen, aber auch nicht auf sie verzichten wollten, haben wir sie in den Anhang genommen.

Vorwort zur Jubiläumsausgabe »Zehn Jahre Dumbing Us Down« Von Thomas Moore

Mein Vater ist der geborene Lehrer. Er gehört zu den Menschen, die einen potenziellen Lernenden schon aus der Ferne ausmachen können und sofort aktiv werden. Als ich schon über vierzig war, lehrte er mich das Bowlingspielen auf der Bahn. Auf seine typische Art sagte er: »Nimm die Kugel und lasse sie ins Zentrum der aufgestellten Kegeln rollen.« Das war alles. Er wusste, dass ich diese relativ einfache Kunst alleine würde lernen können. Er glaubte an das, was John Gatto »Selbstunterrichtung« nennt. Mit meinem Vater als Lehrmeister und seinem Blut in den Adern war ich vierzig Jahre lang Lehrer und habe diese Aufgabe immer gerne gelebt. Mit achtundachtzig, als er schon lange nicht mehr an der Berufsschule angehende Klempner unterrichtete, brachte mein Vater Erwachsenen den Umgang mit Computern bei. Ich hoffe, dass ich auch noch so viel Leidenschaft in mir trage, wenn ich achtzig bin. 107

Doch auch mein Vater ist vergeblich gegen die betonköpfige Bürokratie angerannt, die John Gatto so scharf kritisiert. Einst wandte er sich an eine Schule mit dem Anliegen, als früherer Abwasserspezialist vor einer Schulklasse darüber zu sprechen, woher ihr Trinkwasser kommt und wie es als Abwasser aufbereitet wird. Sein Angebot wurde dankend abgelehnt mit dem Hinweis, der Stundenplan biete keinen Raum dafür. Ich glaube, die Schule hat auf vielen Ebenen den Anschluss verpasst. Mein Vater versteht es, mit Kindern zu sprechen, und er weiß, dass Kinder etwas Praktisches lernen wollen. Wer weiß, welche reiche Belohnung es für diese Kinder gewesen wäre, einfach nur mit einem echten Lehrers zusammen zu sein, der mit Liebe zu Kindern und mit Begeisterung über ein bestimmtes Thema spricht? Hätte er diese Klasse unterrichtet, wäre dies ein Akt von Gemeinschaft gewesen. John Gatto weist auf den wichtigen Punkt hin, dass eine Gemeinschaft das Miteinander von Jung und Alt braucht. Als Lehrer habe ich einige relativ ungewöhnliche Dinge getan, aber nichts so grundlegend Erzieherisches wie die Bemühungen von John Gatto. Ich habe Klavierunterricht gegeben, Kinder dazu ermutigt, ihre eigene Musik zu komponieren und dabei auch auf ihrem Instrument herumzutrommeln, wenn sie wollten. Ich habe einmal eine College-Studentin in meinem Büro beraten, die sich aufgrund ihrer Schüchternheit hinter den Vorhang am Fenster stellte. Als ein Kollege hereinkam und ein paar Schuhe unter dem Vorhang hervorschauen sah, fragte er sich natürlich, was hier wohl los sei. Der schönste Unterricht, den ich jemals gab, fand in einem unbestuhlten Klassenraum mit dickem Teppichboden statt. Meine dreißig Schüler hatten keine Lehrbücher, keinen Stundenplan und kein Ziel. Ich nahm auf, was immer in dem Raum an irgendeinem Tag entstand, und ging dem nach. Niemals wieder habe ich so intensives Lernen erlebt, weder für mich noch für meine Schüler. Eine Ärztin sagte mir einmal, dass Heilung immer dann stattfindet, wenn sie sich gerade weggedreht hat. Für mich geschieht Lernen, wenn der Lehrer etwas Anderes im Kopf hat. Ich glaube, diese Art von Lernen kann geformt und sogar gelehrt werden. Jedoch nicht an 108

Schulen, wie wir sie kennen, sondern so, wie John Gatto es an dem Beispiel einer Mutter benennt, die gemeinsam mit ihrer Tochter ein Gespräch mit einem Polizeikommissar führt, oder wenn Kinder lernen, eine Zeitung zu machen, indem sie für einen Verleger arbeiten. Lernen kann nicht in Zeitfetzen stattfinden, die auf die Bedürfnisse einer Institution zugeschnitten sind oder in Unterrichtsstunden, in denen die Schüler von der Welt isoliert sind. Wir lernen nicht, wenn das Leben in Abschnitte unterteilt ist, die kaum Verbindung zueinander haben. Ich habe John Gatto vor etwa zehn Jahren bei einer kleinen Versammlung von Erziehern kennen gelernt. Im Laufe des Tages wurden wir gebeten, ein Objekt zu präsentieren, das uns etwas bedeutete. Ich erinnere mich, wie John nach einer alten Brieftasche griff, ich glaube, er sagte, sie habe seinem Vater gehört. Sie hatte eine wunderbare Patina und trug überall Spuren von jahrelangem liebevollem Gebrauch. Als John diese Brieftasche hochhielt, flog mein Herz ihm zu. Es erinnerte mich so sehr an meinen Vater, einen Gegenstand so wertzuschätzen und eine Vorliebe, die vom Vater zum Sohn zum Enkel weitergegeben wird, zu spüren. Eine Geste wie diese enthüllt inneren Reichtum. Mein Vater konnte nie Englisch unterrichten, wie John Gatto es tut, aber die beiden haben eine ähnliche Art, die Dinge zu sehen, eine Art, die überaus kostbar ist und immer in Gefahr, verloren zu gehen. Was ich an Johns Schreibstil liebe, ist die lebendige Kombination von Respektlosigkeit und einer allgegenwärtigen kühlen Intelligenz: Die Leichtigkeit, mit der er Schule als Gefängnis, als Strafe, als Zelle bezeichnet, als ein blutsaugerisches Netzwerk, dem ein Holzpfahl durch das Herz gestoßen werden sollte; die Pausenglocken, die jedes Kind ohne Unterscheidung impfen. Als Leser kann man nicht im Zweifel darüber bleiben, wo Johns Standpunkt ist. Und er hat Recht - es reicht nicht, an den Schulen herumzufeilen und Verbesserungen zu probieren. Wir müssen ganz von vorne anfangen und neu überlegen, was Bildung bedeutet. Ich würde es so sagen: Ich wünsche mir, dass wir den Geist bilden und nicht nur den Verstand. Das Ergebnis wäre ein Mensch, der die Fähigkeit hat, in dieser 109

Welt kreativ zu sein, gute Freundschaften zu leben, an einem Ort zu leben, den er liebt, Arbeit zu tun, die sich für ihn lohnt und einen Beitrag zum Gemeinwesen zu erbringen. Die Menschen sagen, das Wort »Erziehen« meine »Herausziehen« - und zwar das Potenzial eines Menschen. Aber ich mag den »duc«-Teil in der Mitte des Wortes education, der mit »führen« zu tun hat. Education bedeutet, jemand ganz Eigenes zu werden, eine Person mit Statur und Farbe, einer Gegenwart und einem Charakter. Ich bin froh, dass dieses leidenschaftliche Buch von neuem das Licht der Welt erblickt. Das ist ein Fest für mich. Ich denke, es sollte Lehrern und Erziehern und Eltern überall laut vorgelesen werden. Ich weiß, es verlangt von uns, dass wir mit neuen Augen sehen, was wir vielleicht für natürlich und offensichtlich halten, aber wir brauchen originelle Ideen. Zerfallene Schulgebäude sagen uns, wie müde sie sind. Die Gewalt in unseren Schulen mahnt uns, dass wir mit dem, was wir »lehren« nennen, aufhören sollen. Der traurige Stand der öffentlichen Diskussion zeigt uns, dass die Vorstellungskraft unserer Bürger von der verzweifelten Wirkungslosigkeit der Schulen verhöhnt wird. Ich bin John Gatto dankbar, dass er die Visisonen und den Mut hat, uns zu sagen, was falsch ist, und uns einige gute Ideen gibt, wie wir es richtig stellen können. Oktober 2001 (Thomas Moore ist ein in den USA bekannter Autor)

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Einführung David Albert

Als sein Herausgeber und früherer Verleger hätte ich mir gerne damit geschmeichelt, dass John Taylor Gattos Buch Dumbing Us Down sowohl sein erstes Buch als auch sein erfolgreichstes war. Leider und von jeher ist beides nicht wahr. Das wird viele überraschen, die mit diesem Buch in seiner früheren, grün-schwarzen Covergestaltung oder mit Johns beiden neueren Büchern The Underground History of American Education (das ist das große dicke) und A Different Kind ofTeacher (blauer Umschlag) sehr vertraut sind. Johns erste Arbeit war eine Reihe von Kompendien. Einige von Ihnen erinnern sich vielleicht an diese Dinger in der High School, eine Möglichkeit, im Literaturunterricht durchzukommen, ohne den vorgeschriebenen Stoff zu lesen! Jedenfalls war Gattos erstes Buch 1975 ein Kompendiumsführer zu Ken Keseys Einer flog über das Kuckucksnest. John vertraute mir einst an - nachdem er mein Buch signiert hatte, mit einer Handschrift, die kaum leserlicher war als meine eigene (wir beide hatten offenbar in der sechsten Klasse Mr. Louis als Lehrer gehabt und haben uns offensichtlich von dieser Erfahrung noch nicht erholt) und nachdem er hineingeschrieben hatte: »Erhelle die Dunkelheit, bewahre den Glauben und lass' den Schweinen das Geschäftliche!« -, dass der Kompendiumsführer, nach sechsundzwanzig Jahren immer noch im Druck, sich schon über zwei Millionen Mal verkauft hat, so dass es sein bei weitem meistgelesenes Werk ist. Das einzige, was er selbst davon gehabt hat, ist eine Burmakatze. Wenn Sie jemals die Gelegenheit haben, zu einem seiner Vorträge zu gehen, müssen Sie ihn danach fragen. 111

Jedenfalls ist dieses Kompendium - das einzige Buch von Gatto, das für Schüler gedacht war, während sie in dem, was heutzutage als »Bildungsinstitution« durchgeht, ihren langsamen Tod erleiden - ein aufrührerisches Werk. Keseys großartige Novelle, genauso wie der hervorragende Film mit dem jungen Jack Nicholson (unbedingt erst das Buch lesen!), ist die Geschichte eines Rebellen - er heißt Randall Patrick McMurphy -, der sich in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt der sechziger Jahre wieder findet (oder eher: der einen Weg findet, um dorthin zu gelangen). Bald entdeckt er, dass ihn ein Netz von Regeln, Prozeduren und Vorschriften fesselt - wirklich mit Samthandschuhen -, hinter dem eine eiserne Faust von Gewalt und Unterdrückung steht, die natürlich alles »zum Wohl des Patienten« entwickelt. In jeder Szene testet er die Grenzen der Kräfte aus, die hinter der Institution stehen - »das System« - symbolisiert durch die »Große Schwester«, die den Isolationsblock kontrolliert und letztlich das Schicksal jedes Patienten in ihren Händen hält. Ich will Ihnen den Spaß am Buch nicht verderben. Ich schlage Ihnen vor, es zusammen mit Ihrem Teenager, wenn Sie einen haben, zu lesen. Und wenn Sie es schon gelesen haben, lesen Sie es noch einmal mit neuen Augen. Keseys Roman wendet sich gegen eine Zwangsjacke aus erbarmungslosen institutionellen Konditionierungen. Während Versammlungen in der Abteilung scheinbar demokratisch organisiert sind und die Insassen - nein, sie heißen hier »Patienten« - zu Verlässlichkeit gedrängt werden, merkt man schnell, dass es im Irrenhaus keine Demokratie gibt und dass die Nachvollziehbarkeit nur vorgetäuscht ist. Die Insassen werden ohne ihre Zustimmung in klar abgegrenzte Gruppen als »Akute« und »Chronische« aufgeteilt und dann weiter unterteilt in »Geher«, »Roller« und »Vegetierer«. Der höchste Wert für das System ist weder Demokratie noch Nachvollziehbarkeit, sondern schlicht und einfach Regelbefolgung, und ihre Lieblingsstrategie lautet »Teile und herrsche«. Und wenn das nicht funktioniert, gibt es immer noch Drogen. Hmm. Ich bezweifle, dass ein Kompendiumen jemals zuvor mit literarischem Lob überhäuft worden ist, aber das Kompendium von Gatto ist 112

wirklich lohnend. Seine Beschreibung der institutionellen Welt ist in seiner aufrührerischen Zusammenstellung von Fußnoten (er zitiert sogar Che Guevara: »Erziehe deinen Feind, töte ihn nicht, denn er ist für dich lebendig mehr wert als tot.«) so durchschlagend wie der Roman selbst. Er beschreibt das System, die diese kleine Welt kontrolliert, als eine »allmächtige, erdumspannende, gehirnzerstörende Vereinigung von Technokraten (...), entschlossen, eine Welt der Präzision, Effizienz und Ordentlichkeit zu erbauen (...), einen Ort, wo die Vorschriften alles sind«. »In einer solchen Welt«, schreibt er, »gibt es weder Trauer noch Freude; niemand stirbt - sie brennen nur aus und werden recycelt; es ist wirklich ein ziemlich sicherer Ort, alles ist geplant - es gibt weder Risiken noch Überraschungen.« Gatto argumentiert, dass in dieser Welt »Worte und bedeutungslose Routineabläufe die Menschen vom wirklichen Leben trennen, sie blind machen für das, was um sie herum geschieht, und ihre moralischen Fähigkeiten abtöten.« Die Verteidigung gegen diesen Vorwurf - ironisch natürlich, wie er anmerkt - besteht darin, dass die »Große Schwester« Wohltätigkeitskörbe für die Armen austrägt. Entscheidend für Keseys Roman ist nach Gatto »die katastrophale Enthüllung, dass die Insassen des Irrenhauses nicht gezwungen wurden, sondern aus eigenem freien Willen hier sind.« Und kontrolliert werden sie letztlich durch Schuld, Scham, Angst und Erniedrigung. Hmmhmm. Und jetzt? Die nächsten fünfundzwanzig Jahre seiner Berufslaufbahn vorwegnehmend, beschreibt Gatto uns den Ausweg: »Der Ausweg aus dem Irrenhaus«, schreibt er, »besteht buchstäblich darin, die Kontrollstation rauszuschmeißen, die sicherheitsverstärkten Fenster ganz real einzuwerfen und auf einer symbolischen, geistigen Ebene, von Regeln, Befehlen und dem Drängen anderer Leute unabhängig zu werden.« »Selbstvertrauen«, schließt er, »ist das Gegengift für die institutionalisierte Dummheit.« Wir sollten alle unsere Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen, dass John Gatto seinem eigenen Rat gefolgt ist und es unternommen hat, uns zu sagen, worum es im Leben wirklich geht, »innerlich«, als ob wir das im tiefsten Herzen nicht bereits wüssten. Wie Häuptling Bromden - der angeblich taube und demente Indianer in Keseys 113

Roman, der schließlich seine eigene Stimme findet - hat er es geschafft, sich hinwegzustehlen. Na ja, vielleicht ist das nicht die adäquate Beschreibung, denn John hat schon einen ziemlich lauten Platsch gemacht! Und ich hatte das Privileg, der daraus resultierenden Welle zur Ausbreitung zu verhelfen. Als ich Ende 1989 die ersten Entwürfe für das Manuskript von Dumbing Us Down las, lieferten sie mir eine ganz besondere Antwort auf ein Rätsel, das ich selbst nicht hatte lösen können. Meine ältere Tochter war damals zwei Jahres alt und mein eigenes Buch über Homeschooling noch nicht einmal ein Glitzern in meinem Auge. Ich fing an Erziehungsliteratur zu lesen, sowohl die am ganz linken Ende des Spektrums als auch die in einer weniger »extremen« Richtung. Was mir damals am meisten auffiel - und das ist bis heute so geblieben -, war, wie sehr sie alle ins gleiche Horn blasen. Ihre Beschreibungen von der Welt öffentlicher Erziehung gleichen einander sehr, auch wenn sie unterschiedliche Gründe dafür annehmen. Sie alle betonen die offensichtlichsten Mängel öffentlicher Bildung. Sehr oft, wenn auch mit unterschiedlichem Schwerpunkt, sprechen sie über die Langeweile, die geistlose Konkurrenz, die erzwungene gesellschaftliche und ökonomische Schichtung, den Mangel an jedem wirklichen - akademischen oder anderem -Engagement, über die Brutalität und Gewalt, die »Seelenlosigkeit«, die das charakterisiert, was heutzutage als Bildung durchgeht. Von Alfie Kohn (liberal) bis zu Thomas Sowell (konservativ) schreiben sie wortreich über die Mängel moderner Schulen, obwohl die von ihnen vorgeschlagenen Gegenmittel oft Welten auseinander liegen. Und alle meine Freunde konnten eigene Geschichten von ihrer Zeit als Insassen (Entschuldigung, ich meinte »Schüler«) erzählen und darüber berichten, wie sie beschämt, bloßgestellt, erniedrigt, brutalisiert, unter Drogen gesetzt, mit Langeweile gequält oder einfach nur ignoriert worden waren - und sie erinnerten sich an diese Erfahrungen weit lebhafter als an alles, worin sie angeblich unterrichtet worden waren. Und doch ergab die Idee, dass Schulen versagen, für mich keinen Sinn. Letztlich werden die Schulen von hoch bezahlten und gut gebildeten öffentlichen Angestellten betrieben, die von regionalen Schul114

behörden angestellt werden - meinen Nachbarn -, bevölkert von Menschen, die in unseren pädagogischen Hochschulen ausgebildet wurden, wo sie umgekehrt ihrerseits von Lehrern unterrichtet werden, die an unseren Elite-Privatuniversitäten wie Yale oder der Universität Chicago studiert haben. Lehrer werden geehrt, Schuladministratoren mit Jahresgehältern um die hunderttausend Dollar erhalten leistungsabhängige Beförderungen, immer wieder werden die Schulausschüsse gewählt, immer wieder beschließen die Gewählten, den Schulen mehr Geld zu geben, die pädagogischen Hochschulen wachsen. Wenn diese Institutionen versagen, haben sie wirklich eine merkwürdige Art, das deutlich werden zu lassen! Gatto liefert damals wie heute den Schlüssel für die Lösung dieses Rätsels. Zentral für dieses Verständnis ist die Tatsache, dass Schulen nicht versagen. Im Gegenteil, sie sind ungeheuer erfolgreich darin, genau das zu tun, worauf sie angelegt sind und was sie schon seit ihrer Einführung tun sollen. Das System, das an Orten wie der Universität von Chicago, dem Columbia Teachers College, Carnegie Mellon und Harvard perfektioniert worden ist und von den Industriekapitänen finanziert wird, wurde erklärterweise eingerichtet, um eine leicht beherrschbare, formbare Arbeiterschaft zu gewährleisten und so den wachsenden, sich wandelnden Anforderungen des Industriekapitalismus zu begegnen - »um den neuen Herausforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts gewachsen zu sein«, wie sie damals gesagt haben würden. Das System (huch, wieder ausgerutscht!) stellt eine Arbeiterschaft sicher, die nicht rebellieren wird - die größte Angst an der Wende des zwanzigsten Jahrhunderts -, die physisch, intellektuell und emotional, für ihr Einkommen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Unterhaltung von Firmen und Institutionen abhängt - und die gelernt hat, gesellschaftliche Bedeutung in ihrem Leben ausschließlich in der Produktion und dem Verbrauch materieller Güter zu finden. Wir alle sind in diesen Institutionen aufgewachsen und wir wissen, dass sie funktionieren. Sie haben sich seit 1890 nicht groß verändert, weil das nicht nötig war - sie leisten genau das, was sie leisten sollen. In einem kürzlichen Vortrag, bei dem ich die einführenden Worte sprach, zitierte John Statistiken aus dem amerikanischen 115

Arbeitsministerium, welchen Beschäftigungen die Amerikaner heute am häufigsten innehabennachgehen. Der Job, den die größte Anzahl von Individuen hat und bei dem es in den letzten dreißig Jahren das größte Wachstum gegeben hat, ist der des Verkäufers bei Wal-Mart, dem größten Supermarkt der USA. An zweiter Stelle ist steht der Burgerverkäufer bei McDonald' s. An dritter der Verkäufer bei Burger King. Und welcher Job kommt dann? Grundschullehrer. Es gibt hauptsächlich einen Unterschied zwischen diesen Jobs heute und jenen in den Tagen von Henry Ford am frühen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts: Henry Ford wollte in der Lage sein, seinen Arbeitern so viel zu zahlen, dass sie sich neue Autos (und Essen und Häuser und medizinische Versorgung) kaufen und so die Konsummaschinerie antreiben konnten, die den Profit der Firma garantierte. Heute, wo der Markt globalisiert ist, ist unübersehbar, dass das Wohlergehen der Arbeitnehmer den Industriekapitänen nicht mehr wichtig ist. Was ist ihnen denn dann wichtig? Dass die öffentliche Erziehung öffentlich ist. In anderen Worten, dass wir - und nicht sie - dafür zahlen. Firmen haben ihren grundlegenden Ausbildungsbedarf auf uns abgewälzt, und wir zahlen freiwillig dafür, die Ketten unserer eigenen Sklaverei zu schmieden. So weit so gut. Aber daraus folgt die offensichtliche Frage: Wenn die Erziehungsinstitutionen so nachweislich erfolgreich sind, warum hören wir dann immer, sie würden scheitern? Und hier könnte Gatto die Antwort geliefert haben, denn in dem Beruf, den er ausübte, bevor er ein Lehrer in New York City wurde, ein Jahrzehnt vor dem Schreiben des Kompendiums und fast vier Jahrzehnte, bevor er dieses Buch hier herausgab, war er ein Werbetexter, »ein junger Kerl«, wie er im Kapitel Der grüne Fluss Monongahela schreibt, »mit einer besonderen Begabung, Dreißig-Sekunden-Werbespots zu kreieren.« Der Werbetexter weiß, dass man, um ein Produkt oder einen Dienst verkaufen zu können, den Eindruck erzeugen muss, es bestünde ein Bedarf, sowie das intensive Gefühl, dieser Bedarf könne ausschließlich durch den Erwerb des beworbenen Produktes oder Dienstes erfüllt werden. Die vereinfachende Bemerkung, »Unsere Schulen ver116

sagen« verwandelt sich also schlicht in einen unbegrenzten Bedarf an mehr Ressourcen für die Institution und ihre Hilfsmittel: mehr Bücher, Lehrer, Computer, Gebäude (und damit mehr Buchverlage, mehr pädagogische Hochschulen, mehr Computerhersteller und mehr Makler) - und nach mehr Zeit: mehr Vorschule, mehr Hausaufgaben, längere Schultage, längere Schuljahre, weniger Freizeit und halb (und bald ganz) verpflichtende Sommerschulen. Und zur Freude des Werbetexters ist das Ganze ein Nullsummenspiel:. Das System erzeugt nicht nur einen endlosen Strom von Konsumenten fast oder ganz ohne institutionalisierte Erinnerung und mit einem absolut unersättlichen Konsumhunger, sondern die Wahrheit ist: Egal, wie viel in den Bildungsmarkt investiert wird, fünfzig Prozent der Schulen bleiben »unterdurchschnittlich«, wobei jene, die als Versager gebrandmarkt werden, jedes Jahr wechseln, und jene, die über dem Durchschnitt liegen, immer in der Angst leben, in den Abgrund zu stürzen. Und der Werbetexter hat seinen Job gut gemacht, denn es wird überall geglaubt, die einzige Reaktion auf einen Absturz unter das Mittelmaß sei, sich einen Weg herauszukaufen. Diese Strategie ist außerordentlich elegant, aber so durchsichtig, dass immer die Gefahr besteht, dass sie als der Schwindel sichtbar wird, der sie im Grunde ist. Deshalb muss sie auf die einzelnen Kinder angewandt werden. Mit anderen Worten, das System macht Jagd auf unsere elterlichen Instinkte. Und so wird die letzte Ausgabe der »Bildungsreform« (die fünfte in meiner kurzen Lebenszeit) mit neuen (in Wirklichkeit alten) Teststrategien einhergehen, die sicherstellen, dass große Mehrheiten der Kinder regelmäßig »versagen«, entweder im Vergleich untereinander oder im Vergleich mit den Kindern einer anderen Schule oder mit Kindern, die in den viel produktiveren Ökonomien von Tunesien oder Slowenien leben. Die »Antwort« auf solche Defizite und die beständige Unzufriedenheit, die sie hervorrufen, ist einfach »mehr desselben«, ähnlich wie das Trinken von Schnaps, um den Kater zu vertreiben. Die Reformen werden daher niemals abgeschlossen. Dies zu tun hieße, Scheitern zuzugeben, oder noch schlimmer, deutlich werden zu lassen, dass dieses Scheitern gar kein Scheitern ist, sondern nur 117

eine weitere Runde in der gesellschaftlichen Erzwingung intellektueller und emotionaler Abhängigkeit, von der Gatto so beredt schreibt. In der Zwischenzeit ist es, als würden wir von unseren Kindern verlangen, in Gebäuden zu leben, die nie fertig sind und es nie sein werden, und die giftigen Dämpfe und den Dreck und Staub der nie endenden Bautätigkeit einzuatmen. Aber unsere Kinder verdienen die Chance herauszukommen und frische Luft zu schnappen. *

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Frische Luft ist allerdings schwer zu finden. Daniel Greenberg, der Gründer der Sudbury Valley School - einer erfolgreichen, dreißig Jahre alten Lerngemeinschaft nach den Prinzipien des selbstbestimmten Lernens und demokratischer Selbstverwaltung - hat geschrieben, dass sich führende Erziehungswissenschaftler, Führungskräften der Wirtschaft und Regierungsbeamte offenbar vollkommen einig darin sind, welche Grundeigenschaften eine Erziehung haben muss, um den Bedürfnissen der Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu genügen. Er sieht Konsens in sechs Punkten: • Da sich die Gesellschaft schnell verändert, werden die Individuen in der Lage sein müssen, gut in einer Welt zu funktionieren, die immer im Fluss ist. Das Wissen wird sich mit sSchwindel erregender Schnelligkeit weiter vermehren. Dies bedeutet, dass ein auf Inhalten basierender Lehrplan mit einem festgesetzten Set von Informationen absolut ungeeignet ist, um Kinder auf ihre Rollen als Erwachsene vorzubereiten. • Die Menschen werden mit größeren individuellen Verantwortlichkeiten für die Steuerung ihres eigenen Lebens konfrontiert sein. Kinder sollten in einer Umgebung aufwachsen, die Selbstmotivation und Eigenständigkeit betont. Schulen, die sich auf äußere Motivationsfaktoren konzentrieren wie Belohnung und Strafe für die Erfüllung von Zielen, die andere gesetzt haben, enthalten Kindern die Werkzeuge vor, die sie am dringendsten brauchen, um zu überleben.

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zugeben, zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen, ist entscheidend. Gespräch -, das ultimative Mittel der Kommunikation, - muss ein zentraler Teil einer soliden Bildung sein. • Da die Welt sich auf universale Anerkennung individueller Rechte innerhalb einer demokratischen Gesellschaft hin bewegt, müssen die Menschen lernen, an jeder Unternehmung, bei der sie sich engagieren, als gleichwertige Partner teilzunehmen. Studierende (und Lehrer) brauchen die volle Beteiligung bei der Organisation der Bildungsinstitute sowie auch das Recht, die Form, wenn nötig, radikal zu ändern. • Die Technologie ermöglicht es heute allen Individuen, alles zu lernen, was sie wollen, wann immer sie wollen und auf die Art und Weise, wie sie es wollen. Den Schülern sollte sowohl die Technologie als auch die Verantwortlichkeit für ihr eigenes Lernen und ihren Lernplan gegeben werden. • Kinder haben eine ungeheure Kapazität, sich zu konzentrieren und hart zu arbeiten, wenn sie mit Leidenschaft dabei sind. Die Fähigkeiten, die sie auf den Gebieten, an denen sie interessiert sind, erwerben, sind leicht auf andere Gebiete zu übertragen. Schulen müssen daher viel mehr Toleranz für individuelle Abweichungen aufbringen und sich viel mehr auf selbst initiierte Aktivitäten verlassen. Gatto teilt Greenbergs Bildungsvision (und unterstützt alle Vorhaben, die sie erblühen lassen, und sei es nur für einige wenige). Aber da er fast drei Jahrzehnte in den Schützengräben verbracht hat, ist seine Ansicht darüber, welchen Zwecken Bildung dienen soll, viel realistischer, wenn auch düsterer. Er sieht Schule, wie er in The Underground History of American Education schreibt, »als einen Konflikt, der die Bedürfnisse der sozialen Maschinerie über jene des menschlichen Geistes stellt, einen Krieg der Mechanismen, die nur einen menschlichen Architekt brauchen, um sich in Bewegung zu setzen, gegen Fleisch und Blut.« Sagen wir es offen: Aus Gattos Sicht braucht das System dumme Erwachsene, und so sorgt sie für Nachschub, indem sie die Kinder dumm macht. Aus dieser Perspektive ist es klar, dass Dan Greenberg sich täuscht. Es gibt zwar immer einen Bedarf an einer sehr begrenz119

ten Zahl von Technokraten, die sich selbst ersetzen, jedoch hat das System kaum Bedarf an Hunderten von Millionen selbstbewusster, kritisch denkender Individuen, die sich im Gespräch engagieren und ihre eigenen Bedürfnisse als Individuen und Gemeinschaften frei von den Einflüsterungen und Befehlen des Systems festlegen. Solche Individuen fürchtet das System sogar. Es mag gelegentlich Lippenbekenntnisse geben, wie wertvoll sie sind, aber letztlich hat das System keine Verwendung für Künstler, Tänzer, Dichter, sich selbst versorgende Bauern, Baumliebhaber, hingebungsvolle Anhänger irgendwelcher nicht-materialistischer Kulte - ob christlich oder nicht -, an Handwerkern, Menschen, die ihr eigenes Bier brauen oder, wo wir schon dabei sind, an Müttern und Vätern, die zu Hause bleiben. Alle diese Menschen bewegen sich, wenn sie es überhaupt schaffen, am Rand und der Peripherie des Wirtschaftssystems. Was das System vor allem braucht, sind Supermarktverkäufer und Burgerbrater und hingebungsvolle, aber schlecht bezahlte, staatlich besoldete »Außendienstler«, die stolz auf ihre Titel als Lehrer sind und die unruhigen Eingeborenen daran hindern, zu rebellieren, während die Abschöpfung von Ressourcen und Kapital, menschlichem und anderem, ungehindert fortschreitet. Bei der Analyse bezahlt das System die außergewöhnlichsten Spindoktoren und Apologeten, es macht keine Kompromisse und nimmt keine Gefangenen, bevor es nicht jede einzelne Nervenendung unter Kontrolle hat - jeden Minutenbruchteil und jede Geisteshaltung - so wie es sich über jeden Quadratzentimeter dieser wunderbaren Erde ausgebreitet hat. Aber die Strategie geht nicht ganz auf. Für jeden McMurphy, dem das Gehirn gegrillt wird, gibt es die Möglichkeit eines Häuptlings Bromden, der entkommt. Es wachsen Gräser in den Spalten der Autobahnen, die nicht zermalmt werden. Wir - die Gräser - sind hier: Sie und ich und Daniel Greenberg und der Autor unseres aufrührerischen Buches. Es gibt heute allein in den USA eine Million Homeschooler, und bald wird es eine weitere Million ehemaliger Homeschooler geben. Und mit uns, vielleicht, nur vielleicht, und anders als bei den fehlgeschlagenen Alternativschulbewegungen des letzten Jahrhunderts, wird die Kraft kommen - wenn genügend Sprösslinge zu hohen 120

Bäumen herangewachsen sind, um den Highway zu blockieren, wo das System mit ratternden Maschinen unseren Weg entlang fährt. Gatto macht es durch sein Schreiben, sein Leben und sein Zeugnis deutlich: Er glaubt nicht daran, dass individuelle Lösungen die Antwort auf umfassende soziale Probleme sind - sie für sich genommen mögen das System nicht zerstören. Aber er hat auch demonstriert - und die Jubiläumsausgabe zum zehnten Jahrestag des Erscheinens von Dumbing Us Down feiert diese Erkenntnis -, dass wir nur dafür einstehen können, stärker zu werden, indem wir die mageren spärlichen Zonen von Freiheit, in denen wir wohnen, schützen und vergrößern, das heißt, indem wir die Spalten im Asphalt erweitern und beginnen, die Energie, Kreativität und Vorstellungskraft zurückzuerobern, mit der Mutter Natur uns alle als Kinder ausgestattet hat und in denen die Verheißung künftiger besserer Zeiten liegt. Olympia, Washington 5. September 2001 David Albert, Homeschool-Vater und Autor von And the Skylark Sings With

Me: Adventures in Homeschooling and Community-Based Education

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Anmerkung des Herausgebers zur Ersten Ausgabe Die Gesellschaftsphilosophin Hannah Arendt schrieb einmal, »das Ziel einer totalitären Erziehung bestand nie darin, Uberzeugungen zu vermitteln, sondern darin, die Fähigkeit zur Bildung einer Uberzeugung zu zerstören.« Wenn man eine Umfrage unter den führenden Erziehungswissenschaftlern unseres Landes starten würde, was das Ziel unseres Erziehungssystems sei, vermute ich, dass so viele Ziele genannt würden, wie es Erziehende gibt. Aber ich vermute auch, dass die Fähigkeit, unabhängig vom Unterrichtsstoff eigene Uberzeugungen zu entwickeln sowie die Fähigkeit, auf Grundlage der eigenen Erfahrung kritisch zu denken, auf vielen Listen nicht an erster Stelle stünde. Tatsächlich würde die Idee, das Ziel von Bildung könnte wenig mit dem zu tun haben, was im Klassenzimmer vor sich geht, wahrscheinlich den meisten mit Bildung Befassten, welcher politischen Couleur auch immer, als Ketzerei erscheinen. Es ist leicht zu erkennen, dass kritisches Denken im Kontext unserer heutigen Kultur eine Bedrohung darstellt. Als Eltern wollen wir alle das »Beste« für unsere Kinder. Doch durch unsere eigenen Handlungen und durch unseren Lebensstil und durch die Anforderungen, die wir an unsere Bildungsinstitutionen stellen, wird klar, dass wir mit dem »Besten« nur allzu oft das »Meiste« meinen. Diese Verschiebung vom Qualitativen zum Quantitativen, von der Erwägung, was am besten der ganzheitlichen Entwicklung des individuellen Menschen dient, hin zur Erwägung, welche Ressourcen halbmonopolistische staatliche Bildungsinstitutionen benötigen, hält einer näheren Prüfung nicht stand. Sollten wir uns nicht fragen, welche Konsequenzen es haben wird, wenn wir danach trachten, in einer Welt schnell schwindender Ressourcen für unsere Kinder von allem das »Meiste« zur Verfügung zu stellen? Was lernen, angesichts des verrückten und oft brutalen Kon122

kurrenzkampfes um Ressourcen - für höhere Lehrergehälter, für bessere Ausstattung der Schulen- unsere Kinder über uns? Noch entscheidender, welche Botschaft vermittelt dieser verrückte Kampf jenen Kindern, die, obwohl es nicht ihre Schuld ist, in diesem Wettbewerb zu den Verlierern gehören? Und was wären die Kosten für das Gesellschaftsgewebe, wenn die Uberzeugungen unserer Kinder sich aus diesen Erfahrungen formen würden? (Vielleicht bezahlen wir bereits den Preis für die Entwicklung solcher Uberzeugungen, wenn sie auch schlecht artikuliert werden, - in Form von Gewalt, Abhängigkeit von chemischen Stoffen, Teenagerschwangerschaften und einer Vielzahl anderer sozialer Übel, die unsere Jugend heute beeinträchtigen?) Die Gedanken von John Taylor Gatto -, freimütig, bewegend und nicht leicht von der Hand zu weisen -, zwingen uns, einige unserer beliebtesten Annahmen im Lichte seiner alltäglichen Erfahrungen und der seiner Schüler - neu zu überdenken. Er liefert kaum fertige Lösungen oder optimistische Antworten für die Zukunft unserer Schulen. Was er jedoch durch das Beispiel seiner dreißigjährigen Lehrerfahrung liefert, ist zunächst eine Verpflichtung, qualitative Optionen für die Armen und Benachteiligten bereitzustellen, die sie am meisten brauchten, und zweitens Bewusstseinsbildung , so dass seine Schüler wenigstens zu einem gewissen kritischen Verständnis dafür gelangen, was ihnen im Namen der »Beschulung« angetan wird. Gattos Sichtweise unserer Gesellschaftsordnung mag düster sein, aber er liefert auch einen Hoffnungsstrahl mit seinem Beispiel und der Idee, dass frei denkende und kritisch bewusste Individuen, die sich freiheitlich in neu zu bildenden Gemeinschaften vereinen, die momentane soziale Schieflage korrigieren können und uns in eine Zukunft führen, die wirklich lebenswert ist. Weil wir die Überzeugung teilen, dass dies wünschenswert und möglich ist, sind wir von New Society Publishers stolz, dieses Buch zu veröffentlichen. David H. Albert für die New Society Publishers 13.Juni 1991

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Johannes Calvin: 1509-1564, Begründer des protestantischen »Calvinismus«, der für die strenge Arbeitsethik der westlichen Welt sehr einflussreich war. Im Calvinismus ist vorherbestimmt, ob das Individuum auf dem Weg zur Seligkeit oder auf dem Weg zur Verdammnis ist, und erkennen kann man das oft an dessen Wohlstand. Unter Erwachsenen in den USA ist es üblich, sich mit Vornamen anzureden. Das förmliche »Mr. Gatto« ist die Anrede von Schülern für ihre Lehrer. von Piaton von Kirchenvater Augustinus Institutio Christianae Religionis von Johannes Calvin von Francis Bacon von Thomas Hobbes »Die Rechte des Menschen« von Thomas Paine. »Spielzeuge sind wir«, eine Anspielung auf den Namen eines großen Spielwaren-

konzerns, Toys' R' Us. 10 Engl.: Social engineers 11 V-J-Day ist die Abkürzung für »Victory-over-Japan-Day« (engl.: Sieg über Japan-Tag) und steht für den 15. August 1945, den Tag der Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg. Wenige Tage vorher hatten die USA zwei Atombomben auf japanische Städte abgeworfen: am 6. August auf Hiroshima und am 9. August auf Nagasaki. 12 Engl, to bash: schlagen, prügeln 13 Chuzpe: jiddisch für Dreistigkeit, Frechheit, Unverschämtheit 14 Byzantinismus ist ein von Kritikern gebrauchter, abwertender Begriff für »kriecherische« Unterwerfung und Ergebenheit sowie für die Einführung besonders anspruchsvoller und ausgefeilter Rituale, die auf die äußerliche Betonung von so nicht bestehenden Rangunterschieden abzielen. 15 Seitdem hat das Bildungssystem auch in Deutschland immer weitere Elemente des amerikanischen übernommen, von der Einführung des Kurssystems bis zur Ganztagsschule und den Bachelor- und Master-Studiengängen. 16 Robert Frost, 1874-1963, US-amerikanischer Dichter und vierfacher PulitzerPreisträger. 17 Roger Williams (*1603 in London; gestorben 1683 in Providence, Rhode Island, heute USA) gilt als Vater des amerikanischen Baptismus und Vorkämpfer der Religionsfreiheit sowie als früher Vertreter der Trennung von Kirche und Staat. Williams dürfte neben Baruch Spinoza einer der ersten Menschen in der westlichen Welt gewesen sein, für die ein Leben außerhalb einer organisierten religiösen Gemeinschaft denk- und lebbar war.

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18 Als Prokrustesbett oder Bett des Prokrustes bezeichnet man sprichwörtlich eine Form oder ein Schema, in die jemand gezwungen wird, der dort eigentlich nicht hineinpasst. 19 Nolens-volens, lat.: nicht wollend-wollend (ob sie wollen oder nicht) 20 John Milton (1608-1674) war ein englischer Dichter und Staatsphilosoph, dessen von Puritanismus geprägte Schriften von großem Einfluss waren. Von ihm stammt das epische Gedicht Paradise Lost (Das verlorene Paradies). 21 Leveller (engl. »Gleichmacher«) Mitglied einer Organisation mit radikal demokratischen Zielsetzungen, die sich zur Zeit Cromwells formierte und sich für absolute Religionsfreiheit und uneingeschränkte Freiheit des Bürgers einsetzte. 22 Die Diggers waren eine der vielen englischen Dissidentengruppen des 17. Jahrhunderts. Sie versuchten, die Besitzstände einzuebnen, indem sie eine agrarische Lebensweise anstrebten, die mit der Gründung kleiner, ländlicher Kommunen einherging. 23 Die Hutterer-Kirche geht auf Jakob Hutter zurück. Ihre Anhänger leben in Gütergemeinschaft in Gruppen von maximal 120 Personen, heute nahezu ausschließlich in den USA und Kanada. Sie sprechen noch immer das Hutterische - einen alten deutschen Dialekt. 24 Perry Mason ist ein fiktiver Strafverteidiger in Romanen des amerikanischen Autors Erle Stanley Gardner (1889-1970) und Hauptfigur der gleichnamigen Fernsehserie (1957-1966). 25 Thomas H. Briggs, 1877-1971, in der Ausbildung von Schulleitern tätig. 26 Iron City, berühmte Pittsburger Biermarke.

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Gordon Neufeld & Gabor Maté

Unsere Kinder brauchen uns! Die entscheidende Bedeutung der Kind-Eltern-Bindung Softcover - 333 Seiten € 19,80 ISBN 978-3-934719-20-0

Kinder kommen mit dem instinktiven Drang zur Welt, sich an die Menschen zu binden, die sie versorgen, und sich an ihnen zu orientieren. Sie übernehmen zunächst die Werte ihrer Eltern und entwickeln erst auf dem Boden dieser Geborgenheit die Reife zu echter, selbstbewusster Eigenständigkeit. So funktionieren seit Menschengedenken das Heranreifen von Menschen und die Übermittlung kultureller Errungenschaften von Generation zu Generation. Seit ein paar Jahrzehnten werden unsere Kinder jedoch von klein auf ständig in Situationen gebracht, wo ihre zentralen Bezugspersonen nicht verfügbar sind und sie sich nicht an Erwachsenen orientieren können. Das hat fatale Folgen. »Gordon Neufeld hat mit diesem Wissen ein Umdenken in der Erziehung weltweit in Gang gesetzt.« (Zeitschrift Gesundheit)

Gordon Neufeld

Adoleszenz Vom Ziel der Pubertät oder Wie Kinder erfolgreich erwachsen werden 4 DVDs 149,00 € ISBN: 978-978-3-934719-36-1 Reifeprozesse verstehen beseitigen:

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John Holt & Patrick Farenga

Bildung in Freiheit Das John-Holt-Buch zum eigenständigen Lernen gebunden - 333 Seiten € 24,80 ISBN 978-3-934719-29-3

Der berühmte, früh verstorbene Pädagoge John Holt, Autor mehrerer auch in Deutschland vielgelesener Bücher (»Aus schlauen Kindern werden Schüler«, »Wie Kinder lernen«, »Wie Kinder scheitern« u.a.) und sein Schüler Pat Farenga, beide Pioniergestalten der US-Unschooling-Bewegung, schildern fundiert und mit unzähligen bewegenden Berichten frei lernender Kinder und ihrer Eltern, wie und warum eigenständiges familiäres Lernen funktioniert. Das Buch vermittelt einen hervorragenden Überblick über die vielen Varianten häuslichen Lernens ohne Schule - oder in loser Zusammenarbeit mit ihr. Sehr deutlich wird auch, dass die behördlichen und gesellschaftlichen Widerstände gegen freies Lernen ohne Schule vor fünfzehn bis zwanzig Jahren in vielen Staaten der USA ähnlich groß waren wie heute in Deutschland. Das macht Mut, denn mittlerweile ist freies Lernen in all seinen Varianten in allen Staaten der USA legal möglich, und ganz neue Formen der Zusammenarbeit mehrerer Familien untereinander und mit den Schulen vor Ort sowie im Internet entstehen. Möglich wurde dieser Wandel, weil so viele US-amerikanische Familien »es einfach getan haben« und die Auseinandersetzungen mit den Behörden entweder geschickt umgehen konnten oder bewusst in Kauf nahmen. Das Buch eignet sich für Eltern und Lehrer, die sich einen allgemeinen Überblick über informelle Lernformen verschaffen wollen, Anregungen für die eigene Lernbegleitung suchen oder mehr über wissenschaftlichen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründen des freien Lernens wissen möchten. »... Schließlich waren es keine Homeschooling-Versammlung, kein Buch und auch keine Studie, die meine Frau und mich überzeugten, Homeschooling zu versuchen, sondern das immer häufigere Zusammentreffen mit Homeschooling-Eltern, deren Kinder sich ganz offensichtlich körperlich, geistig und spirituell gut entwickelten.«

Grace Llewellyn

Das Teenager Befreiungs Handbuch Glücklich und erfolgreich ohne Schule Softcover - 475 Seiten € 19,80 ISBN 978-3-934719-25-5 »Dein Leben, deine Zeit und dein Gehirn sollten keiner Institution gehören, sondern dir. Dieses Handbuch ist für alle, die jemals zur Schule gegangen sind, aber es ist ganz besonders ein Buch für Teenager und Leute, die viel mit Teenagern zu tun haben.« Grace Llewellyn Dieses Buch ist gefährlich. Es widerspricht allen üblichen Weisheiten über Schulabbrecher und die Wichtigkeit von Schulabschlüssen. Es wirkt belebend und inspirierend. Lassen Sie dieses Buch auf keinen Fall in die Hände eines aufgeweckten, frustrierten Jugendlichen gelangen, den das Schulsystem anödet. Die Autorin kann für das daraus möglicherweise entstehende Glück und das Gefühl von Eigenverantwortung keinerlei Verantwortung übernehmen. Grace Llewellyn war eine gute Schülerin und wurde eine noch bessere Lehrerin. Doch irgendwann wurde ihr klar, dass Schule nicht notwendig die beste Antwort auf das Leben junger Menschen ist, und sie wurde zu einer Pionierin der freien Bildung, wie sie in den USA bereits 6% der Schulkinder nutzen - und ihre Zahl wächst rasant.

Dagmar Neubronner

Die Freilerner Unser Leben ohne Schule Softcover - 262 Seiten € 19,80 ISBN 978-3-934719-34-7 Die Schule ist in vielen Familien das Problemthema Nr. 1. Dagmar Neubronner, die Mutter der prominentesten »Schulverweigerer« Deutschlands, schildert spannend und anschaulich, wie es kam, dass sie und ihr Mann trotz großer Bedenken den beiden Söhnen Moritz und Thomas erlaubten, frei zu lernen - ohne Schule und mittlerweile ohne jeglichen Pflichtunterricht. Wie funktioniert freies Lernen, und wie muss sich Schule verändern, damit es auch dort funktioniert? Was können Eltern und Lehrer tun? - Mit ausführlichem Anhang zu pädagogischen und juristischen Fragen. Die Autorin, ursprünglich Diplombiologin, hat selbst Schule und Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Der besondere Lernweg ihrer Kinder, international als »Homeschooling« bezeichnet, und ihr mutiger Widerstand gegen den spezifisch deutschen Schulzwang machte die Familie über Deutschland hinaus bekannt.