Kampf der Schachideen [Reprint 2019 ed.] 9783111710556, 9783110099669


145 92 27MB

German Pages 223 [224] Year 1986

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Danksagungen
Zur deutschen Ausgabe
Der Autor
Kampf der Schachideen
1. Schach: Ursprung und Bedeutung
2. Die romantische Epoche
3. Systematische Ideen im Schach
4. Die hypermoderne Revolte
5. Die Suche nach einer Synthese
6. Die neue dynamische Methode und die sogenannte sowjetische Schule
7. Botwinnik: Der Marsch der Wissenschaft
8. Reshevsky: Der Geist der Selbstbehauptung
9. Keres: Der Mann mit dem Angriffsgeist
10. Bronstein: Die Freude an der Erfindung
11. Smyslov: Entdeckerfreude
12. Tal: Die Psychologie der Magie
13. Petrosjan: Das Zeitalter des Anti-Helden
14. Larsen: Die Lebenskraft der Romantik
15. Spasski: Das Geheimnis Caissas
16. Fischer: Die Grenzen des Genies
17. Karpov: Den Nutzen der Genauigkeit genießen
18. Kortschnoj: Gefahren der Provokation
19. Kasparov: Die Wiedergeburt des Schöpferischen
20. Die Zukunft des Schachs
Register der Partien und Stellungen
Recommend Papers

Kampf der Schachideen [Reprint 2019 ed.]
 9783111710556, 9783110099669

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Anthony Saidy • Kampf der Schachideen

Anthony Saidy

Kampf der Schachideen Übersetzt von Rudolf Teschner

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1986

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Saidy, Anthony: Kampf der Schachideen / Anthony Saidy. Übers, von Rudolf Teschner. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. Einheitssacht.: The battle of chess ideas ¡31 ¡g¡ H 1i • WM H £ ¿ ü H BaH HAH H B ™

18. L e 3 - d 2 Er ist bereit, 18. ... L c 8 - f 5 mit 19. Ld2 x a5 Dd8 x a5 20. D d 3 - c 3 vorteilhaft zu beantworten. 18. ... Sa5xb3 19. Se5—c6! In Voraussicht der vier Züge später entstehenden Stellung hätte der phantasiebegabte Tal sie wohl auf jeden Fall angesteuert, auch wenn diese Variante nicht, wie hier, die beste praktische Chance geboten hätte. Denn nach dem normalen 19. Dd3 x b3 Le7 — f6 stünde Schwarz recht gut. Tal holt sich darum die Dame für einen Turm und zwei Figuren, weil er Angriffschancen behält. Schwarz muß sich darauf einlassen. 19. 20. 21. 22. 23.

... Sc6xd8 Dd3-f3 Tel x e7 Ld2xf4.

Sb3 x al Lc8-f5! Ta8xd8 Lf5 x bl

Eine unheimliche Stellung! Botwinnik hat gesagt: „Die größte Kunst des Spielers besteht darin, die Möglichkeiten zu erforschen, wie auf dem Brett eine Stellung herbeigeführt werden kann, in der die normalen, relativen Werte nicht mehr gelten." Und keine Maschine 96

Tal könnte solche Stellungen fabrizieren, wie Tal es tut. Mit den normalen Werten kann man hier nicht operieren, weil Schwarz auf gl bedroht ist und die Springer weiter denn je entfernt sind. Außerdem ist die Dame sehr gefahrlich, wenn der Gegner ungedeckte und verstreut stehende Bauern und Figuren hat. Zum Beispiel scheitert das verführerische 23. ... c5 x d 4 an 24. b 2 - b 3 Lbl — g6 (wenn 24. ... d3, so 25. Dg4) 25. b3 x c4 d 4 - d 3 26. D f 3 - g 4 ! T f 8 x f 4 (besser 26. ... d3—d2 27. T e 7 - d 7 ) 27. D g 4 x f 4 d3—d2 28. Te7xg7f! K g 8 - h 8 (oder 28. ... Kg7: 29. D f 4 - c 7 f ) 29. Tg7 —d7! und Weiß gewinnt. Panno setzt seinen wachsamen Kampf fort. 23. 24. 25. 26.

... Df3-g4 Dg4-e6f De6-f5!

Td8xd4 Lbl — g6 Lg6-f7 Sal-c2!

Auf 26. ... L f 7 - g 6 ? kann Weiß Turm und Läufer hergeben, um zwei Türme und zwei Bauern zu ergattern: 27. Te7xg7f K g 8 x g 7 28. Lf4-h6f Kg7xh6 29. D f 5 x f 8 f K h 6 - g 5 30. Df8xc5f K g 5 - h 6 31. Dc5xd4.

auch 35. ß - f 3 f L e 4 x f 3 36. D f 8 - c 8 f K g 4 - h 5 37. D c 8 - f 5 f K h 5 - h 6 38. D f 5 - g 5 matt! 34. ... 35. D f 8 - f 6

Le4-f5!

Er unterläßt den Läufergewinn mit 35. f 2 - f 3 t K g 4 x f 3 36. D f 8 x f 5 f K f 3 - e 3 (37. Dc2:? Td2|), weil der Schwarz ist bereits in Zeitnot und Freibauer dann dem Schwarzen erlaubt hier Weiß, seinen König mindestens das Remis verspricht. bloßzustellen. Einfacher ist 27. ... Wer wird diese Partie gewinnen?! Td4—dl| 28. Kgl — h2 S c 4 - d 2 mit Alles, was wir sagen können, ist, Dauerschachdrohung und gleichem daß Tal, wie gewöhnlich, angreift. Spiel. 35. ... h7 —h6 36. D f 6 e 5 Td4-e4 28. Te7xg7f K g 8 x g 7 27. b2 —b3

Lf7 —g6

29. L f 4 - h 6 | K g 7 x h 6 30. D f 5 x f 8 f K h 6 - g 5 31. b 3 x c 4 b5xc4 32. g 2 - g 3 Obgleich er nur noch Dame und Bauern hat, plant er die Vernichtung des Gegners: f2 —f4f — f5. 32. ... 33. h 3 - h 4 |

Lg6-e4 Kg5-g4!

Hier könnte auch Weiß matt werden. 34. Kgl — h2 Doch nun droht er 35. D f 8 - f 4 f K g 4 - h 5 36. D f 4 - g 5 matt und

Verhindert Matt in einem Zuge und ist noch immer bereit, den Läufer nach 37. f2 —f3f aufzugeben. 37. Df6 — g7f K g 4 - f 3 38. D g 7 - c 3 f S c 2 - e 3 Leichter ist 38. ... K f 3 x f 2 39. Dc3 x c2f K f 2 - f 3 und Schwarz braucht keine Angst zu haben. Nun rechnet Schwarz vielleicht mit 39. f2 x e3 Te4 x e3 40. Dc4 x c4 Te3 — e 2 | 41. K h 2 - g l T e 2 - e l f und Remis. Doch der Zauberkünstler hat noch ein paar Tricks im Ärmel. 39. Kh2—gl! L f 5 - g 4 40. f2 x e3 h6 —h5! 97

Vermeidet die letzte Falle: 40. ... Te4 x e3? 41. Dc3 - föf K ß - e2 42. Df6—flf K e 2 - d 2 43. D f l - f 4 ! h6—h5 44. K g l - ß mit Turmgewinn. Panno

H 11 H H 11 B II Hü AB ' 11 H 1 HP 9 H HA • a ¡Bs IP AB H B a « " AH h h n H H H S Tal 41. Dc3 — el

42. 43. 44. 45.

Del-flf Dfl x c4f Dc4 — fl f Dfl x a6

Kf3-e4 Ke4-f3 Kf3-e4 Ke4-d4

Diesmal aber mag Panno, indem er den offensichtlichen Zug verschmähte, seine letzte Chance vertan haben, das Spiel zu retten. Vukovic hat eine lange Analyse veröffentlicht und behauptet, daß Schwarz remis halten kann mit 45. ... Te3 x g3f 46. Kgl - f 2 T g 3 - f 3 f , denn der weiße König kann nicht auf den Damenflügel fliehen, und nach 47. K f 2 - g 2 K e 4 - d 4 kann Schwarz den a-Bauern bremsen. Es gibt jedoch zuviele Abzweigungen dabei für eine genaue Berechnung.

Te4xe3?

Der offensichtliche Zug, um das Matt im nächsten Zug zu verhindern, jedoch Pannos erster schlechter Zug in der Partie, obwohl er bereits die Zeitkontrolle hinter sich hatte! Wahrscheinlich behielt er ganz impulsiv das schnelle Spiel bei, oder er hatte, was oft passiert, die Zahl der geschehenen Züge nicht verfolgt. Vielleicht war er auch erschöpft. (Man vergleiche Gellers 25. Zug in der vorigen Partie!) 41. ... Te4 —e6 (gegenseitige Dekkung) hätte leicht Remis gemacht, denn Weiß kann keinen wie immer gearteten Fortschritt erzielen. Doch

98

nun verschafft er sich einen Freibauern.

46. 47. 48. 49. 50. 51.

Da6 — d6f Kd4—c4 a2—a4 Te3-elf Kgl — f2 Tel — e2f Kf2—fl T e 2 - a 2 Dd6-a6fKc4-d4 a4 —a5 c5 —c4

Falls hier 51. ... L g 4 - e 2 f 52. D a 6 x e 2 Ta2xe2 53. K f l x e 2 Kd4—d5 54. g3 —g4 und der „nutzlose" g-Bauer gewinnt. 52. 53. 54. 55. 56.

Da6 — b6f Kd4—d5 a5-a6 Ta2-alf Kfl — f2 c4—c3 a6—a7 c3-c2 Db6—b3f Kd5 — d6

57. D b 3 - d 3 f Schwarz auf.

gab

Weil der Turm nach 57. ... Kd6—e6 58. Dd3 x c2 Tal x a7 59. D c 2 - e 4 | einem Doppelangriff zum Opfer fällt. Und so schritt Tal zum Turniersieg und qualifizierte sich für das Kandidatenturnier 1959 gemeinsam mit Petrosjan, Fischer und anderen. Einen Dänen namens Larsen ließen sie weit hinter sich... *

Tal ist kaum erfinderisch in Eröffnungen, wenngleich er mit einem glänzenden Gedächtnis begabt ist, das ihm gestattet, fast die gesamte gegenwärtige Eröffnungspraxis abzurufen. Er weiß, daß das Mittelspiel die eigentliche Arena ist, wo die überwiegende Zahl der Kämpfe durch eigenes Können entschieden werden. Zwar bevorzugt er natürlich zweischneidige Abspiele wie die Ben-Oni-Verteidigung, doch begnügt er sich damit, irgendeine vernünftige Eröffnung zu spielen und ist bestrebt, an das „Fleisch" der Partie zu gelangen. In dieser Partie, einem Edelstein, der bekannt zu werden verdient, geht er als Nachziehender bereitwillig auf eine Variante ein, die wenige Runden zuvor Polugajevski einen Punkt gekostet hat angesichts eines brillanten Angriffs, den niemand anders als — Tal selbst entworfen hat.

Nikitin-Tal 26. UdSSR-Meisterschaft, Tiflis 1959 Sizilianische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

e2—e4 Sgl — f3 d2 —d4 Sf3 x d 4 Sbl — c3 Lei — g5.

c7-c5 d7 —d6 c5xd4 Sg8-f6 a7—a6

Der schärfste Zug gegen die Najdorf-Variante. Die übliche Antwort ist 6. ... e7 —e6, die nach 7. ß — f 4 D d 8 - b 6 8. Ddl — d2 D b 6 x b 2 9. Tal - b l D b 2 - a 3 10. e 4 - e 5 zu einigen der trickreichsten Abspiele der Eröffnungspraxis seit der Blütezeit des Königsgambits führt. Doch Schwarz macht einen anderen Zug. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

... Lfl — c4 Ddl — d2 0-0 Lg5-h4 Tal — el

Sb8-d7 Dd8-a5 e7 —e6 h7 —h6 Lf8-e7

Tal bevorzugt 11. Tal—dl, das logischer zu sein scheint. Schwarz kann nun e5 als starken Punkt verwenden. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

... Lc4-b3 Lh4-g3 f2 —f4 Lg3xf4 Sd4-f3

Sd7-e5 g7 —g5 Lc8-d7 g5 x f4 Da5—c7 99

Den h-Bauern zu schnappen, würde nur dem Gegner in die Hände spielen. Weiß wählt hier aus einer Vielzahl von verfügbaren Plänen eine wirkungslose Zugserie, die dem Gegner zuviel Spielraum überläßt. 16. ...

17. 18. 19. 20. 21.

0 - 0 - 0

K g l - h l Th8-g8 L f 4 - e 3 Ld7—c6 D d 2 - d 4 Tg8-g6 Tel — e2 T d 8 - g 8 De3 — a7?

Nachdem er Tal erlaubt hat, in Windeseile starken Druck gegen g2 zu entwickeln, versucht Nikitin nun einen Gegenangriff und hält seinen e-Bauern für unantastbar. Es erfordert eine neunzügige Tal-Kombination, um nachzuweisen, daß er etwas übersehen hat! (Oder vielleicht betrachtete Tal lediglich ein paar Möglichkeiten und fühlte instinktiv, daß der Angriff gegen g2 die Oberhand behalten muß.) 22. ... 23. L e 3 - b 6

Sf6xe4!

Unzureichend ist 22. Sf3 x e5 d6 x e5 23. T f l x f 7 Se4xc3 24. b2 x c3 D c 7 - d 6 ! 25. Lb3-a4?! Lc6 x a4 26. Te2 - d2 Dd6 x d2! 27. L e 3 x d 2 Tg6xg2 28. D a 7 - a 8 | (oder 28. Te7: Tglf 29. Dgl: Lc6f 30. Dg2 Tg2: und gewinnt) 28. ... Kc8 — c7 29. T f 7 x e 7 t K c 7 - d 6 und Schwarz gewinnt.

100

Tal

Nikitin 23. ... 24. Lb6 x c7

Se4xc3!

Weiß hat keine andere Wahl als die Dame anzunehmen, denn auf 23. Sf3xe5? setzt 23. ... Sc3xe2 24. Se5xg6 Tg8xg6 25. L b 6 x c 7 Lc6 x g2 matt. 23. ... 24. L c 7 - b 6

Sc3xe2 Tg6xg2

Tal hat materielles Gegengewicht für die Dame und scheinbar überwältigenden Angriff. Wenn 25. Sf3xe5, so Tg2 —gl matt. Aber jetzt schlägt der junge russische Meister zurück. 25. L b 3 - a 4 ! Indem er die Verteidigung des bBauern untergräbt, droht Weiß nun selbst ein Matt in vier Zügen! Doch Tal verfügt über eine notwendige Vereinfachungs-Ressource.

25. ... Tg2-glf! 26. Lb6 x gl Tg8 x gl f 27. Da7 x gl Gibt Weiß seine Dame nicht zurück, werden die Figuren nach 27. T f l x g l Lc6 x f3f 28. Tgl — g2 Se2 — f4 zu stark (vergleiche Smyslov — Botwinnik, Seite 87). 27. 28. 29. 30.

... Lc6xf3f Tfl x ß Se2 x gl Tf3-c3f Kc8-d8 Khl x gl

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Tal gerade diese Endspielstellung im 21. Zug vorhergesehen hat. Er hat einen geringen Materialvorteil in zwei (verbundenen) Freibauern für die Qualität. Er beherrscht auch genügend Raum, um die Tätigkeit der weißen Figuren so gering wie möglich zu halten. Insbesondere kann der Läufer nicht mit seinem Gegenüber ins Gehege kommen (wegen der ungleichen Felderfarbe). Also hat Schwarz schöne Gewinnchancen.

32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

... La4-b3 c2 —c3 a2 —a4 Tg3-h3 a4 x b5 Kgl — f2 Kf2-e2

b7 —b5 £7—f5 Kd8-e7 f5-f4 Se5—c4 a6 x b5 Ke7-d6

Falls 39. L b 3 x c 4 b 5 x c 4 40. T h 3 - h 5 L g 5 - f 6 41. T h 5 x h 6 Lf6xc3, so marschieren die verbundenen, zentralen schwarzen Freibauern schneller als die weißen Fußtruppen auf beiden Flanken. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

... Lb3 x c4 Th3-h5 h2-h4 Ke2 — dl Th5-f5

e6-e5 b5xc4 e5—e4 f4—f3f Lg5-f4 und Weiß gab gleichzeitig auf.

Nachdem er seinen Zug beim Abbruch abgegeben hatte, überzeugte er sich von der Hoffnungslosigkeit seiner mißlichen Lage, zum Beispiel 44. ... L f 4 - e 5 45. K d l - c 2 d 5 - d 4 46. c 3 x d 4 L e 5 x d 4 47. T f 5 - f 8 c4—c3 48. b4—b5 e 4 - e 3 49. 30. ... d6 —d5 Tf8 x f 3 e 3 - e 2 und Schwarz erhält 31. T c 3 - g 3 L e 7 - g 5 eine neue Dame. 32. b2—b4 Die beiden kontrastierenden PhaWeiß verschlimmert seine Lage sen dieser Partie machen einen sehr durch Schwächung seiner Bauern. ästhetischen Eindruck, wie das Besser 32. c 2 - c 3 S e 5 - c 4 33. fröhliche pastorale Finale einer turTg3 — g2, gefolgt von der Rückkehr bulenten Symphonie. des Läufers auf den Kampfplatz. 101

Die auffallendste Eigenschaft, die man bei Tal zuerst bemerkt, ist die unglaubliche Schnelligkeit, mit der er analysiert. Obgleich er die kompliziertesten und trickreichsten Partien spielt, verbraucht er weniger Zeit als irgendein anderer. Zeitnot kommt in seinen Partien oft vor — aber bei seinen Gegnern. Nehmen wir dieses Beispiel seiner analytischen Fähigkeiten: Trifunovic

flügelmehrheit ist blockiert. Normale Fortsetzungen scheinen nichts einzubringen, zum Beispiel 45. K (oder T) h2 f 6 x e 5 46. f 4 x e 5 Th8 — h5 und Schwarz hält remis. In einer solchen Lage, nach fünfstündigem Spiel, pflegt ein gewöhnlicher Spieler 45. e 5 x f 6 f in den Umschlag zu geben und sich zurückzuziehen, um die Stellung nach Gewinnchancen zu untersuchen. Tal indessen berechnet eine zehnzügige Kombination. 45. e5 —e6ü

Tal Palma 1966 An diesem Punkt war es Zeit für Tal, seinen Zug abzugeben (Übers.: Beim Abbruch wird der Zug in der Regel nicht auf dem Brett ausgeführt, sondern „geheim" aufs Partieformular geschrieben und in einem verschlossenen Umschlag dem Turnierleiter übergeben). Weiß hat zwar einen Bauern mehr, doch Schwarz hat einen vorgerückten Freibauern, und die weiße Damen102

Ein elegantes Bauernopfer mit einem Verstellungsmotiv: Die beste Chance für Schwarz ist 45. ... Ke7 x e6 (verstellt seinen Läufer und verliert so seinen Schlüsselbauern) 46. L f l x h 3 f f6 —f5 (erzwungen) 47. Ta2—e2f K e 6 - f 6 48. Te2 —d2 und Weiß wird gewinnen (Trifunovic), weil beide schwarzen Bauern ihren („schlechten") Läufer behindern. Schwarz macht statt dessen den logischen Antwortzug — doch Tal hat die Lage mit vollendeter Akkuratesse analysiert. 45. ... Ld7xe6 46. T a 2 - a 7 f L e 6 - d 7 47. Kg3 —h2! Blockiert den schwarzen Bauern und droht b4 —b5, zum Beispiel 47. ... T h 8 - h 4 48. b 4 - b 5 K e 7 - d 8 (oder 48. ... c 6 x b 5 49. c 5 - c 6 ) 49. b5 —b6 Kd8 — c8 50. L f l - a 6 f und

gewinnt. Stünde der schwarze Turm nicht auf der Grundlinie, könnte seine Partei sich mittels 47. ... Ke7 —d8 retten, das jetzt an 48. Ta7 — a8f L d 7 - c 8 49. L f l - a 6 Kd8 — c7 50. L a 6 x c 8 T h 8 x c 8 51. Ta8 x c8f K c 7 x c 8 52. K h 2 x h 3 K d 8 - d 7 53. f 4 - f 5 scheitert: das Bauernendspiel ist leicht gewonnen. Schwarz versucht ein anderes Heilmittel. 47. ... 48. b4 —b5 49. Lfl x h3

Th8-h5 Th5xc5

Jeder Zug ist jetzt zwingend, gespielt in der genauen Reihenfolge. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.

... b5 x c6 Lh3xf5 Kh2-g3 Ta7xd7 Lh3 x d7f Kg3-g4 Kg4-g5 Kg5—f5.

f6—f5 Tc5xc6 Tc6-d6 Ke7-e8 Td6xd7 Ke8 x d7 Kd7-e6 Ke6-f7 Schwarz auf.

gab

Denn Tal hatte vorausberechnet, daß sein Freibauer sich umwandeln wird, nachdem alle anderen Steine vom Brett verschwunden sind. *

Wir haben oben den Versuch gemacht, eine vernünftige Erklärung für jene unheimlichen Augenblicke

zu finden, in denen einige der größten Spieler unerwartet in kritischen Stellungen zusammengebrochen sind, die der Ränkeschmied Tal hervorgebracht hat. Die nächste Partie jedoch widersteht wiederum jeder Erklärung, die dem gesunden Menschenverstand entspricht. Smyslov, der überragende Verteidiger, spielt mit dem Feuer, indem er wiederholt Gelegenheiten ausschlägt, die Partie zu vereinfachen. Er scheint äußerst bereitwillig Tals Wunsch nach einem scharfen, angespannten Duell zu erwidern. Dann im entscheidenden Moment unterläuft ihm ein überraschender Fehlgriff und er wirft die Partie weg. Der Grund liegt in Tals unbezähmbarem Siegeswillen. Ein solcher Wille scheint eine fast greifbare Kraft zu sein, die gegen den Partner gerichtet ist. Doch untersuchen wir die Partie und urteilen dann.

Tal-Smyslov Kandidatenturnier Bled 1959 Caro-Kann-Verteidigung 1. e 2 - e 4 2. d2—d3

c7-c6

Schon ist der Psychologe am Werk und raubt dem Gegner sofort seine Buchweisheit in dieser erprobten und zuverlässigen Verteidigung. 2. ... 3. Sbl — d2

d7-d5 e7 —e5

103

Etwas zweifelhaft. Der Zug ermöglicht dem Gegner, der Partie einen offeneren Charakter zu verleihen. Gesund ist 3. ... g7—g6. 4. Sgl — f3 5. d3—d4!

Sb8-d7

Kein wirklicher Zeitverlust, weil der schwarze Springer auf d7, wie sich zeigt, die Entwicklung seiner Partei behindert. Neun von zehn Meistern hätten 5. g2 — g3 gewählt, doch Tal ist nie an Regeln gebunden. (In einer Partie mit Pachman, Bled 1961, berührte er in den ersten acht Zügen nicht eine einzige Figur: 1. e2 —e4 c7—c6 2. d2 — d4d7 — d5 3. e 4 - e 5 L c 8 - f 5 4. h2—h4!? h7—h6 5. g 2 - g 4 L f 5 - d 7 6. h4—h5!? c 6 - c 5 7. c2—c3 e7—e6 8. f 2 - f 4 - und er gewann.) Die angezeigte Antwort ist 5. ... e5xd4 6. e 4 x d 5 c6xd5 7. Sf3 x d4. Smyslov möchte den vereinzelten Bauern vermeiden, gesteht Weiß jedoch einen großen Entwicklungsvorsprung zu. 5. 6. 7. 8. 9.

... Sd2xe4 D d l x d4 L e i — g5 0-0-0

d5 x e4 e5xd4 Sg8-f6 Lf8-e7

Besser ist 9. S e 4 - d 6 | L e 7 x d 6 10. D d 4 x d 6 D d 8 - e 7 | 11. D d 6 x e 7 f Ke8 xe7 12. 0 - 0 - 0 mit überlege-

104

nem Endspiel, aber Tal zieht etwas Aufregenderes vor. Ist diese Vorliebe ein Mangel an Objektivität? Nein — ein Krieger ist berechtigt, seine eigenen Lieblingswaffen zu benutzen. 9. ... 10. S e 4 - d 6

0-0 Dd8-a5

Einfacher ist 10. ... S f 6 - d 5 11. L g 5 x e 7 D d 8 x e 7 12. S d 6 x c 8 Tf8 x c8 13. L f l — c4 S d 7 - b 6 mit nur geringem Vorteil für Weiß. Doch nun droht Schwarz 11. ... D a 5 x a 2 und 11. ... L e 7 x d 6 12. Dd4 x d6 S f 6 - e 4 . Tal begegnet beiden Drohungen mit der für ihn typischen zweischneidigen Antwort, und Smyslov ist bereit. 11. L f l — c4!? b7—b5! 12. L g 5 - d 2 ! Nicht 12. L c 4 - b 3 ? (um den a-Bauern weiter gedeckt zu halten) 12. ... c6 —c5 13. D d 4 - e 3 L e 7 x d 6 14. T d l x d ö c5—c4 und Schwarz erobert eine Figur. Anstatt nun die Damen zu tauschen mit 12. ... D a 5 - b 6 oder 12. ... D a 5 - a 4 13. Sd6xc8 T a 8 x c 8 14. L c 4 - b 3 D a 4 x d 4 15. S f 3 x d 4 Sd7—c5 mit leichtem Spiel, hält Smyslov seine Drohungen aufrecht. 12. ... 13. S d 6 - f 5 !

Da5-a6!? Le7-d8!

Smyslov

Tal Ein wichtiger Verteidigungszug, zum Beispiel 13. ... Le7-c5? 14. D d 4 - h 4 b 5 x c 4 15. L d 2 - c 3 ! Da6 x a2 16. Tdl x d7 Lc8 x d7 (oder 16. ... S f 6 x d 7 17. D h 4 - h 6 ! ) 17. Sf5-h6f Kg8-h8 18. Dh4 x f6! gl x f6 19. Lc3 x f6 matt. 14. D d 4 - h 4 ! b 5 x c 4 15. D h 4 - g 5 ! Tal war entschlossen, die Dame in den Angriff auf den feindlichen König hineinzuwerfen. Durch reine Willenskraft hat er diese Stellung zustande gebracht, auf Kosten eines Läufers. Die Möglichkeiten sind zu verwikkelt, um sie vollständig berechnen zu können, sogar für Tal. Auf 15. ... Sf6 - e8 hat er 16. Dg5 x d8 Se8 - f6 (nicht 16. ... D a 6 x a 2 17. L d 2 - c 3 S e 8 - f 6 18. Tdl xd7! L c 8 x d 7 18. S f 5 - h 6 f ) 17. D d 8 - a 5 mit besserem Endspiel vorbereitet. Auf 15.

... g7 —g6 16. S f 5 - h 6 f K g 8 - g 7 hat er mindestens remis mit 17. Sh6—f5f und wird wohl gewinnen mit 17. Ld2—c3 D a 6 x a 2 18. Sf3 —h4! nach einer Analyse Clarkes. Wenn 15. ... S f 6 - h 5 16. D g 5 x h 5 S d 7 - f 6 17. D h 5 - g 5 L c 8 x f 5 18. D g 5 x f 5 D a 6 x a 2 , so hat Schwarz wohl den Angriff abgewehrt und einen Bauern gewonnen — doch für diesen Fall hat Tal eine Finesse in petto, wobei er wieder eine Figur opfert. 15. ... Sf6-h5 16. S f 5 - h 6 f ! K g 8 - h 8 17. D g 5 x h 5 Da6xa2!? Auf Hieb und Stich! Smyslovs Zug ist von manchen Kommentatoren in Frage gestellt worden und scheint eine zu leicht zu parierende Drohung zu sein, ist aber nicht klar falsch. Der Bauernschutz des schwarzen Königs muß intakt bleiben, wie aus 17. ... Sd7 —f6? (oder sofort 17. ... g7xh6) 18. D h 5 - c 5 S f 6 - d 7 19. D c 5 - d 6 g 7 x h 6 20. D d 6 x h 6 L d 8 - f 6 21. L d 2 - c 3 Lf6 x c3 22. SO - g 5 ! Lc3 x b 2 | 23. Kcl — bl nebst matt hervorgeht. Vielleicht besser und sicher bedachtsamer ist 17. ... L d 8 - f 6 18. Sh6xf7f K h 8 - g 8 19. S f 7 - g 5 h7 —h6 (nicht 19. ... Lf6xg5? 20. D h 5 x g 5 D a 6 x a 2 21. L d 2 - c 3 T f 8 - f 7 22. T h l - e l S d 7 - f 8 23. Tel — e7 S f 8 - e 6 24. Te7xf7!) 20. S g 5 - e 4 D a 6 x a 2 21. S e 4 x f 6 | S d 7 x f 6 22. D h 5 - a 5 D a 2 x a 5 23.

105

Ld2 x a5 mit wahrscheinlichem Remis im Enspiel. 18. Ld2—c3 Sd7-f6? Wieder gleitet ein mächtiger Gegner an dem Abgrund aus, zu dem ihn Tal getrieben hat! Die richtige Verteidigung ist offensichtlich 18. ... L d 8 - f 6 19. Sh6xf7f (besser als 19. Sg5 Lg5:f 20. Dg5: f6 21. Dh5 Se5!) 19. ... K h 8 - g 8 20. Sf7-g5 h7 —h6 (nicht 20. ... Lf6xg5f 21. Dh5 xg5!) 21. Sg5-e6 Lf6 xc3 22. b2 x c3 Tf8 — f6 und mit zwei unsicheren Königen ist die Stellung unklar. Weiß konnte in diesem Abspiel sogar ernstlich fehlgreifen mit 20. Sf3-g5 Lf6xg5f 21. Sf7xg5 S d 7 - f 6 22. Lc3xf6 Lc8-f5! 23. Lf6—c3 (oder 23. L f 6 - e 7 c4-c3!) 23. ... Da2 — a4 und es ist Schwarz, der mächtig angreift. Aber Smyslov konnte diesen Fehler irgendwie nicht vermeiden gegenüber dem grimmigen Siegeswillen Tals.

21. 22. 23. 24. 25. 26.

Sh6xf7f Tdl x al Sf3-c5f Se5 x c6 Kd2-e3 Lc3 —d4.

Kh8-g8 Kg8 x f7 Kf7 —e6 Sf6-e4f Ld8-b6f Schwarz gab auf.

Tals Lieblingspartie des Turniers. Dies war das unerbittliche Spiel eines Mannes, der bereits seine Bestimmung fühlte. Er fuhr fort, auch diese Ausscheidung zu gewinnen und so Caissas höchste Ehre in Reichweite zu bringen. *

Und so geschah es im Jahre 1960, daß Michail Tal sich mit Michail Botwinnik um die Weltmeisterschaft auseinandersetzte. Die fachmännischen Prognostiker machten Bilanz. Auf der einen Seite stand der reife Botwinnik, der überragende Techniker, dem an schachlichem Wissen niemand gleichkam, Vorbild für drei Generationen so19. Dh5xf7! wjetischer Schachspieler. Auf der Was Smyslov übersah: Die Dame anderen Seite der 23 Jahre alte Tal, ist nun unantastbar wegen 20. der Spieler von höchstem Glanz in Tdl x d8f und matt, während 19. der ganzen Schachgeschichte, von ... T f 8 - e 8 20. Df7-g8f Te8xg8 Awerbach als Apostel des neuen 21. Sh6 — f7 zum erstickten Matt psychologisch - kombinatorischen führt. Schwarz ist deshalb gezwun- Stils beschrieben, der mit zauberigen, entscheidenden Materialver- scher Leichtigkeit jeden anderen Anwärter beiseite schob. lust in Kauf zu nehmen. Die Traditionalisten sagten, daß Tals Glanzpartien inkorrekt seien, 19. ... Da2—al| der Probe objektiver Analyse nicht 20. Kcl — d2 Tf8xf7 106

standhalten, daß ihm strategische Tiefe und Endspieltechnik mangele. Botwinnik, der große wissenschaftliche Denker, würde diesen unverschämten jungen Burschen zurechtweisen. Das Wesen dieses Wettkampfs wurde in einem kristallklaren Augenblick eingefangen, bereits in der sechsten Partie: Tal

was riskiert und nicht nur Holz schiebt." Und so ist er nicht einmal auf dieser olympischen Plattform unbeeinflußt von dem prall gefüllten Theater und den Fernschreibern, die jeden Zug nach Kiev, Riga, Leningrad übertragen ... 21. ...

Sh5-f4!?

Lieber als den Springer, als Antwort auf die Drohung g3 — g4, zurückzuziehen, gibt Tal ihn gegen einen Bauern und eine offene Linie für seinen Königsläufer preis. Kann ein solches Opfer gegen den „eisernen Logiker" durchdringen? 22. g3 x f4 e5xf4 23. L e 3 - d 2

Botwinnik Weltmeisterschaftskampf Moskau 1960 Nach dem 21. Zug von Weiß Tal führt im Wettkampf bereits mit einem Punkt. Nachdem er eine gute Stellung mit mäßigem Druck am Damenflügel aufgebaut hat, gibt es für ihn in dieser Lage bestimmt keinen Grund, große Gefahren auf sich zu nehmen. Aber er sagte einmal: „Die Schachliebhaber, die Zuschauer und die Leser, sind nur glücklich, wenn der Großmeister et-

Nicht 23. Le3xa7 b 7 - b 6 , gefolgt von Db4 — a5 und günstigem Rückgewinn der Figur. Die wichtige Alternative ist jedoch 23. a2 —a3 D b 4 - b 3 24. Le3xa7, auf die die Analytiker viel Zeit verwandt haben. Tals Absicht war, darauf 24. ... Lg7—e5! zu spielen, und er gibt die folgenden Varianten: a. 25. Kh2 —gl? b 7 - b 6 26. De2 — dl D b 3 x b 2 27. T a l - a 2 Tc4 x c3! und Schwarz gewinnt. b. 25. f 2 - f 3 b7 —b6 26. D e 2 - d l Db3 x b2 27. Tal - a 2 Tc4 x c3! 28. Ta2xb2 Tc3xcl 29. D d l - d 2 Le5 x b2 30. Dd2 x b2 Tel - c 2 31. D b 2 - d 4 Tc8-e8 32. D d 4 x f 4 Te8-e2 33. D f 4 - g 3 Te2 xg2f mit ausgeglichenem Endspiel. 107

24. T a l - b l ! c. 25. L g 2 - f 3 b7 —b6. (Hier kann Schwarz annähernden Ausgleich erzielen mit 25. ... Tc8-a8! 26. Ein starkes Rückopfer der Qualität. De2—dl! Db3 x dl 27. Sc3xdl Schwarz ist nun in Schwierigkeiten, Tc4 x cl 28. Tal x cl Ta8 x a7 29. denn auf 24. ... L f 5 x b l 25. Tel — c7 L e 5 - d 4 30. K h 2 - g 2 Tel x bl Db2—c2? 26. Lg2-e4! b7 —b5. Analyse von Schamko- Tc4xe4 (oder 26. ... D 27. Dc4:!) witsch 1971.) 27. De2 x e4 Dc2 x d2 28. De4 - e6f 26. De2 —dl Db3 xb2 27. Tal - a 2 ' erobert Weiß einen Turm. Darum Tc4 x c3 28. Ta2xb2 Tc3xcl 29. öffnet Tal den Weg, um die e-Linie Ddl — e2 (nicht 29. Dd2 Le4!) 29. , via Lg7—e5f verstellen zu können. ... Tc8—c3 und der scharfe Kampf wird fortgesetzt trotz der Tatsache, 24. ... f 4 — f3! daß Schwarz im Augenblick für die 25. Tbl x b2? Dame nur einen Turm besitzt! Baturinski setzt die Analyse mit 30. La7 x b6 (oder sonst 30. Td2 Tb3 Ein entscheidender Fehler. Die 31. Kg2 Tc7 32. Lb8 Tc8 und Krise löst sich in der nun schon Schwarz sollte nicht verlieren — vertrauten Weise, der „Zauberer" Konstantinopolski) 30. ... Tc3 x f3 triumphiert wiederum! 31. De2xf3 Le5xb2 32. K h 2 - g 2 Mittels 25. Lg2 x f3 hätte BotwinL b 2 - e 5 33. L b 6 - a 5 T c l - c 4 34. nik das bessere Spiel erhalten könDf3 —b3 „und Schwarz wird das nen, mit der von Flohr vorgeschlagenen Folge 25. ... Lf5 x bl 26. Remis nicht so leicht erreichen". Mit welcher Nichtachtung sich Tal Tel x b l Db2—c2 27. Lf3-e4! Tc4xe4 28. Sc3xe4 Lg7-e5f in Gefahrenlabyrinthe stürzt! (oder 28. ... Dbl: 29. Sd6: Tf8 30. De6| Kh8 31. Sf7f Tf7: 32. Df7:) 29. K h 2 - g 2 Dc2 x bl 30. Se4 x d6! 23. ... Db4xb2(?) Le5 xd6 31. De2 - e6f Kg8 - g7 32. De6 —d7f und Weiß sollte gewinDie falsche Fortsetzung des Opfers! nen. Richtig ist 23. ... Lg7-e5 24. L g 2 - f 3 (24. f3 Db2: gibt Schwarz 25. ... ß xe2 mehr Möglichkeiten) 24. 26. Tb2 — b3 Tc4-d4! Db4xb2 25. S c 3 - d l (Ein Remis könnte sich aus 25. Tabl Lbl: 26. Tbl: Dc2 27. Tel Db2 28. Tbl erge- Die Pointe. Der vorgerückte Bauer ben) 25. ... D b 2 x a l und Schwarz sichert den Rückgewinn der Figur; hat ausreichende Gegenwerte für wenn 27. Ld2 —e3, so 27. ... die Figur. Tc8 x c3! 28. Tb3xc3 T d 4 - d l . 108

27. Ld2—el 28. Kh2 — gl

Lg7-e5f Le5 — f4(?)

Rascher gewann 28. ... Tc8 x c3! 29. Tb3 x c3 Td4—dl 30. T c 3 - c 4 Le5 —b2. Doch alles ist noch in Ordnung, weil jetzt auf 29. Tel — al Tc8xc3, gefolgt von 30. ... Td4—dl geschähe (Ende). 29. Sc3xe2 30. Se2xd4 31. L g 2 — f l

Tc8xcl Tclxelf Lf5-e4

Schützt den Bb7 indirekt über die Drohung Le4—d3. 32. S d 4 - e 2 33. f 2 - f 4 34. T b 3 x b 7

Lf4-e5 Le5-f6 Le4xd5

Und nun scheidet 35. Tb7 x a7 aus wegen 35. ... Tel x e 2 36. L f l x e 2 Lf6—d4f. So gewann Schwarz mit einem Bauern mehr und der besseren Stellung leicht in weiteren zwölf Zügen.

Tal ging einem überzeugenden Wettkampfsieg entgegen. Später gab er zu, sich der Psychologie bedient und manchmal schlechte Züge gemacht zu haben, die Botwinnik veranlaßten, viel Zeit zu verbrauchen. Die Kritik der „Experten" war soweit richtig, aber ihre Vorhersage war falsch. Wieder einmal hatten sie vergessen, daß Schach ein menschlicher Kampf ist, eine intellektuelle Auseinandersetzung nicht mit irgendeinem Ideal ohne Makel — das wird nur in wenigen Partien der besten Spieler erreicht — sondern mit einem Gegner aus Fleisch und Blut, einem Menschen mit Gemütsbewegungen, Vorurteilen, toten Punkten. Und so wurden die Anbeter der Technik beschämt durch den „fröhlichen Magier". Einige Jahre später führte Botwinnik diesen Ausgang allein auf Tals „computerhafte" analytische Fähigkeiten zurück und ignorierte dabei ganz die menschlichen Faktoren. Im Rückkampf 1961 war er, wie er sagte, in der Lage, das Ergebnis umzukehren, indem er Tal in geschlossene Stellungen mit beschränkter Tätigkeit der Figuren brachte. Nach Verlust seiner Weltmeisterkrone trat im Spiel Tals eine merkliche Veränderung und ein Nachlassen ein. Es wurde konventioneller. Er war nicht länger auf die Strapazen einer fortgesetzten Anspannung erpicht. Die glänzenden Ideen waren nicht mehr die tägliche Routine, wenngleich er noch immer die begeisterten Zuschauer in der Welt des Schachs auf sich zog. Er kämpfte nun seine schwerste Schlacht mit dem unbarmherzigsten aller Gegner: der schlechten Gesundheit. Doch noch immer spielte er Schach wie jemand, der weiß, daß das Matt weit entfernt ist.

109

13. Petrosjan: Das Zeitalter des Anti-Helden „Sie sagen, meine Partien sollten ,interessanter' sein. Ich könnte auch .interessanter' spielen — und verlieren." — T. Petrosjan Auf einem Flughafen in Südamerika verläßt ein schüchterner Passagier die Maschine. Zu seinem Entsetzen nimmt ihn eine lärmende Menschenmenge auf die Schultern und singt ein armenisches Lied. Der verlegene Empfanger dieser Huldigung wünscht, er wäre irgendwo anders. Es ist Tigran Petrosjan, Schachgroßmeister. Sich selbst zum Trotz ist ihm bestimmt, Weltmeister zu werden. Zu anderen Zeiten umgaben sich große Schachspieler gern mit Geheimnissen und Legenden, die einen Heldenkult aufkommen ließen. Der unbemittelte Steinitz sagte zu Epstein, einem der wohlhabendsten Männer der Welt: „Im Schach bin ich Epstein und Sie sind Steinitz." Capablanca lehnte es ab, mit der berühmtesten Schauspielerin der damaligen Zeit zu erscheinen und sagte: „Warum sollte ich für sie werben?" Aljechin sagte einmal zu einem Grenzbeamten: „Ich bin Aljechin, Schachweltmeister. Ich brauche keinen Paß." Man stelle sich die Verzagtheit der geringeren Sterblichen vor, die sich am Schachtisch niedersetzten, um gegen solche Helden zu spielen, von denen der eine „der Unbesiegbare" genannt wurde oder „die Schachmaschine", der andere „der größte Angriffsspieler aller Zeiten" und so fort. Doch in unseren Tagen ist die ganze Welt durch die technologische Revolution umgeformt worden. In unseren eigenen Wohnungen treten mittels elektronischer Wunder Präsidenten und Könige auf und sprechen zu uns. Wir nehmen sogar an Reisen zum Mond teil, der nicht mehr lebendig ist für Dichter und Liebhaber, sondern ein Stück toten Felsgesteins zum Analysieren für Wissenschaftler. 110

Ja, wie es scheint, hat der Verstand die Romantik besiegt. Sogar der tapfere Astronaut, den wir stellvertretend zum Himmel begleiten, stellt sich bald als ein ganz gewöhnlicher Mensch heraus, wie wir selbst. Die einzigen übriggebliebenen Helden sind, wie es scheint, die toten. Im Schach wird dieser Trend der Welt von heute durch Petrosjan verkörpert. In einem Bündel von Superlativen verdient er diesen: der bescheidenste Weltmeister aller Zeiten. Ungleich den Gestalten der romantischen Vergangenheit, denen das Geheimnisvolle anhaftete, ist dieser Meister gern bereit, uns seine Denkweise offenzulegen. Er war es, der Angst verspürte, als er sich niedersetzte, um im Jahre 1963 Botwinnik herauszufordern. Er fühlte, daß er einer „nationalen Institution" gegenübersaß. In jener ersten Wettkampfpartie spielte er wie ein „ungezogenes Kind". Er erwartete nicht, Weltmeister zu werden. Es scheint, daß er beinahe die Hoffnung hatte, früher auszuscheiden, so daß er ein Buch schreiben konnte. 21 Partien danach aber nahm er die Weltkrone entgegen. Es war der Triumph des Anti-Helden. Es ist vielleicht keine Überraschung, daß seine Herkunft bescheiden war. Er wurde 1929 in Tiflis als Kind armenischer Eltern geboren. Während des Krieges wurde er zum Waisenkind und mußte Straßen fegen, um zu leben. Während das Schachspiel für viele große Spieler ein Mittel ist, die eigene Identität zu finden, war für Petrosjan das Schach zunächst ein Weg heraus aus dem Elend. Geld für Nahrungsmittel gab er aus für ein Schachbuch, das er des Nachts unter seinem Kissen verbarg. So begann der allmähliche, unauffällige Aufstieg eines einzigartigen und tiefen Schachtalents an die Spitze. Petrosjans erste Partien fielen kaum auf. Der strahlende Glanz der Jugend, den viele der Großen entfalteten, war in seinen Partien nicht zu finden. Die offene Feldschlacht mit Hauen und Stechen war nichts für ihn. Am meisten beeinflußten ihn die Hinterlassenschaften zweier großer Strategen — der eine war Capablanca, der den reinen, eleganten Klassizismus verkörperte, und der andere Nimzowitsch, der Schöpfer eines schmucken, hypermodernen Systems. Aus einem der vielen kleinen Motive des letzteren — der „Prophylaxe" — bezog Petrosjan das Samenkorn für seinen Hauptbeitrag zum Marsch der Schachideen — die Vorbeugung. Die Philosophie entwickelte sich organisch durch seine eigenen Partien. Von Anfang an war er mehr mit den Möglichkeiten des Gegners beschäftigt als mit seinen eigenen Figuren. Er griff selten an, und viele seiner Partien schienen fast ohne das Bemühen um den Sieg unentschieden auszugehen. Bald wurde jedoch bekannt, daß er sehr schwer zu schlagen war. Für ihn waren heldenhafte Turniersiege ebenso selten wie schlechte Ergebnisse.

111

Petrosjan entfaltete seine Streitkräfte nicht gemäß irgendeinem Dogma, sondern elastisch, bereit, irgendwelchen Drohungen zu begegnen. In seinem Spiel tauchen langzügige Figurenmanöver auf, undurchdringlich für den Zuschauer. Er haßt es, Gefahren auf sich zu nehmen. Er scheint „nichts zu tun" und wiederholt oft die Züge (die Bereitschaft andeutend, den Punkt zu teilen). Manchmal scheint es, als ob er gute Gelegenheiten zu gewinnen mißachtet. Der Gegner findet zunächst alle seine aggressiven Absichten vereitelt und wird dann von einem Gefühl des Behagens eingelullt. Ihm wird vielleicht remis angeboten, besonders, wenn er Angriffschancen behält. Falls er sich aber auch nur die geringste Blöße gegeben hat, muß Petrosjans Gegner bereit sein, Stunden oft langweiliger Verteidigungen zu verbringgn, um die Niederlage zu vermeiden. (Ein großmeisterlicher Gegner, der mit einem schwachen Bauern sitzen geblieben war, gab lange bevor eine Entscheidung in Sicht war, mit der Erklärung auf, er sei das „Katz'- und Mausspiel" leid.) Im wesentlichen ist Petrosjans Philosophie der Vorbeugung eine negative. Ihr Ziel ist defensiv; seine Strategie ist jedoch so tief und fein gesponnen, daß er sich gewöhnlich nicht zu verteidigen braucht — den aggressiven Möglichkeiten des Gegners ist er zuvorgekommen, er hat sie vorhergesehen und ausgeschaltet, lange bevor es zum Angriff gekommen ist. Sobald er sich einmal vollständig sicher fühlt und den Gegner ausreichend im dunkeln hinsichtlich der wirklichen Absichten seiner langen Manöver weiß, beginnt Petrosjan die feindliche Stellung abzutasten. Manche haben gesagt, daß der „Tiger" Petrosjan auf die Öffnung einer Zufahrtsstraße wartet, bereit zu springen und loszuschlagen, oder daß er es vorzieht, wie eine Pythonschlange, seine Opfer langsam zu erwürgen. Die witzigste Metapher jedoch ist bei Spasski zu finden: „Petrosjan erinnert mich an einen Igel. Wenn man denkt, man hat ihn, läßt er seine Stacheln heraus." Betrachten wir nun ein typisches und verhältnismäßig klares Beispiel Petrosjanschen Spiels. Die Wahl eines ziemlich geschlossenen Eröffnungssystems ist charakteristisch. Er bindet sich an keinen festen Plan und wartet auf die gegnerischen Absichten. Awerbach, dem nichts wirklich zu tun bleibt, gibt allmählich die Führung ab und wird dann

112

in die Verteidigung gezwungen. Petrosjan zieht die Schlinge allmählich zu. Der Gegner, vor der trüben Aussicht eines langen und aufreibenden Verteidigungskampfes, begeht einen groben Fehler und bricht zusammen. Wir haben das Glück, bei dieser Partie auf die erhellenden Anmerkungen des Siegers zurückgreifen

zu können, die sein Denken erklären. Die Partie verhalf ihm, bei seinem achten Versuch, zum Titel „Meister der Sowjetunion". Awerbach—T. Petrosjan 26. UdSSR-Meisterschaft, Tiflis 1959 Sizilianisch 1. 2. 3. 4. 5. 6.

e2—e4 Sgl — f3 d2-d4 SO x d4 Sbl — c3 Lfl — e2

c7-c5 d7 —d6 c5xd4 Sg8-f6 a7 —a6 e7 —e5

wäre 11. Dd3, das den schwarzen Springer zwingt nach c6 zu gehen, einem „weniger elastischen" Platz. 11. ... Sb8-d7 12. Ddl — d3 Ta8—c8 13. c2—c3 Lf6-g5! Auf typische Weise begrenzt der Zug die Auswahlmöglichkeiten des Weißen, indem er den Tausch auf f6 oder 12—f4 vermeidet. 14. T a l - d l Petrosjan

Die Najdorf-Variante, von Petrosjan bevorzugt. Das Ziel ist, die Tätigkeit der weißen Figuren zu behindern und dabei auf die Gelegenheit zu einer Ausdehnung am Damenflügel zu warten. Der rückständige d-Bauer und die auf d5 geschaffene Schwäche sind von Weiß nicht leicht zu verwerten. 7. Sd4 — b3

Lf8-e7

8. 0 - 0

0 - 0

9. Lei — g5 L c 8 - e 6 10. L g 5 x f 6 L e 7 x f 6 11. S c 3 - d 5 Der Figurentausch hat die Kontrolle des Weißen über den schwachen Punkt erhöht, den er nun direkt besetzt. Bezeichnend ist, daß Petrosjan diesen Zug als „zu direkt" bezeichnet; durchdachter, sagt er,

Awerbach 14. ...

Kg8-h8

„Ein Wartezug, der dem Weißen das Recht anbietet, seinen nächsten Spielplan zu definieren". Petrosjan, wie er leibt und lebt! Wäre uns der Name des Führers der schwarzen Steine nicht bekannt, könnten wir ihn nun erraten.

113

An der weißen Stellung ist nichts auszusetzen. Nun aber sieht er keinen Weg, wie er sie verbessern soll, und beginnt, den Faden zu verlieren und rückwärts zu gehen. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Le2—f3 g7 —g6 Sd5-e3 Tc8-c6 Tfl-el Sd7-f6 Dd3-e2 b7-b5 Tdl-al Dd8-b6 Sb3-d2 a6 —a5 Sd2—fl Tf8—c8

Das passive Spiel des Weißen hat Schwarz erlaubt, handfeste Fortschritte in Richtung auf den Durchbruch b5 — b4 zu machen. Hier bietet sich 22. Tecl an, um b5—b4 mit c3 — c4 zu beantworten. Statt dessen läßt Weiß zu, daß sein aBauer künstlich vereinzelt wird. 22. 23. 24. 25. 26.

a2 —a3 b5-b4 c3xb4 a5xb4 a3 —a4 Db6-a7 Tel-dl Tc6-a6 Tdl — d3 b4—b3!

Hindert Weiß daran, sich mit b2—b3 zu festigen. Die Alternative 26. ... L e 6 - d 7 wird nicht mit 27. b2-b3? L d 7 - b 5 , sondern mit 27. Tal - dl Ld7 x a4 28. Td3 x d6! beantwortet. 27. a4 —a5 28. De2 — dl

Tc8-c6 Da7-c7

Schwarz strebt nach dem Gewinn des a-Bauern, nicht nach dem 114

Tausch gegen den Bd6. Um materiellen Gleichstand zu wahren, schließt Awerbach nun die d-Linie, deckt damit die einzige kleine Schwäche und findet sich mit zwei vereinzelten Bauern ab. 29. Se3-d5 30. e4xd5 31. Td3xb3

Le6xd5 Tc6-c5 Ta6xa5

Stärker ist 31. ... e 5 - e 4 32. L f 3 - e 2 Ta6xa5 33. T a l x a 5 Tc5xa5 34. T b 3 - b 5 Ta5xb5 35. Le2xb5 D c 7 - c 5 36. L b 5 - c 6 e4—e3! Petrosjan ist jedoch nie in Eile und auch kein Perfektionist. Stets sachlich eingestellt, ist er ganz zufrieden zu wissen, daß der Gegner dauerhafte Schwächen aufweist. 32. Tal x a5 33. Tb3—c3 34. Tc3-b3

Tc5 x a5 Dc7-b6 Db6-a7

Petrosjan liebt es gewöhnlich, seinen Gegner durch Zugwiederholungen zu verwirren. Typisch wäre 34. ... Db6—c7 35. Tb3—c3 D c 7 - b 6 36. Tc3 — b3 Db6 — a7 (nur zweimalige Stellungswiederholungen). Aber Awerbach war in Zeitnot. 35. T b 3 - b 4 K h 8 - g 7 36. h2 —h4 Lg5 — h6 37. b2 — b3? Ein schwerer Fehlgriff, der die Partie abkürzt. Nach 37. g2 —g3 wäre ein langer Kampf in Sicht.

37. ...

Ta5-a2

38. D d l - e l

Da7-a5

Die Drohung Lh6—d2 entscheidet. 39. Del — bl Ta2 — al 40. T b 4 - b 5 D a 5 - c 3 Weiß gab auf. Plötzlich ist seine Dame gefangen.

Man sollte nicht glauben, daß Petrosjan immer auf die gleiche Art gewinnt. Auch derjenige, der nicht vornehmlich an künstlerischem Spiel interessiert ist, kann eine schöne Partie spielen. Hier ist Petrosjans Lieblingspartie. Das hochoriginelle Manöver des Turms, das ein Viertel der Partiezüge ausfüllt, zeigt wirkliches Künstlertum.

Petrosjan—Taimanov 22. UdSSR-Meisterschaft, Moskau 1955 Abgelehntes Damengambit (Halbslawisch) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

d2-d4 c2 —c4 Sgl — f3 Sbl — c3 e2—e3 L f l — d3 0-0 Ddl — c2

Sg8-f6 e7—e6 d7 —d5 c7—c6 Sb8-d7 Lf8-b4 0-0

Lb4-d6(?)

Unlogisch. Die Idee Zuges 6. ... LfB — b4 ist, den Zug b2 — b3 zu verzögern, der das weiße Zentrum verstärkt. Daher ist 8. ... d5xc4 9. Ld3 x c4 Lb4 — d6, gefolgt von e6—e5, besser. 9. b2 —b3 d5xc4 10. b3xc4 e6—e5 11. Lei — b2 Tfi8 — e8(?) Die schwarze Stellung ist bereits unbequem; aber 11. ... e5 x d4 bietet bessere Aussichten auf erfolgreiche Verteidigung. 12. Sc3-e4! 13. Ld3xe4 14. T a l - d l

Sf6xe4 h7-h6 e5xd4

Hofft auf eine Atempause nach 15. T d l x d 4 Sd7 — f6 (16. c4-c5? Sf6 x e4). Auf 14. ... Dd8 - e 7 stattdessen hätte Weiß stark 15. T f l - e l erwidert. 15. Ld3—h7f Kg8—h8 16. T d l x d 4 Ld6—c5 Das ist die Pointe: jetzt wird 16. ... Sd7 —f6 mit 17. c4—c5! Sf6xh718. Td4xd6 D d 8 - e 7 18. Td6xh6 beantwortet. Die Alternative 16. ... D d 8 - e 7 läuft in 17. T d 4 - e 4 D e 7 - f 8 18. Te4-h4 Sd7-e5 19. Sf3 —g5! mit siegreichem Angriff hinein, zum Beispiel 19. ... f7 — f5 20. Lh7 - g6! Se5 x g6 21. Th4 x h6f K h 8 - g 8 22. Th6xg6. 115

17. T d 4 - f 4 !

Dd8-e7

Die Verteidigung ist schwierig. Eine Möglichkeit ist 17. ... T e 8 - f 8 18. Tfl-dl Lc5 — e7 (verhindert T f 4 - h 4 ) 19. S f 3 - e 5 D d 8 - e 8 20. Tdl x d7! Lc8 x d7 21. Tf4 x f7! und Schwarz muß materiellen Nachteil mit 21. ... D e 8 x f 7 in Kauf nehmen, denn auf 21.... Tf8 x f7 würde er mattgesetzt werden: 22. S e 5 - g 6 f K h 8 x h 7 23. S g 6 - f 8 f K h 7 - g 8 24. D c 2 - h 7 | K g 8 x f 8 25. D h 7 - h 8 . 18. T f 4 - e 4

De7-f8

Oder 18. ... D e 7 - d 8 19. T e 4 - h 4 S d 7 - f 6 20. T f l - d l D d 8 - e 7 21. S f 3 - e 5 ! L c 8 - e 6 (21. ... Sf6xh7? 22. Th4xh6! g 7 x h 6 24. S e 5 - g 6 f nebst matt) 22. Th4xh6ü g 7 x h 6 23. S e 5 - d 7 ! Le6 x d7 24. Tdl x d7! und gewinnt Material (24. ... De7 —e6 25. Lh7 — f5 und erobert die Dame). Petrosjan hat einen tiefen Einblick in taktische Verwicklungen, obwohl gewöhnlich zu dem Zweck, sie zu vermeiden, wie der Steuermann das Schiff von einem Sturm fortsteuert. 19. T e 4 - h 4

f7-f6

Die Drohung 20. Th4 x h6 machte diesen Zug nötig, der ein häßliches Loch auf g6 verursacht. Weiß braucht nur mit dem Springer dieses Feld anzuvisieren (zunächst

116

muß er gl — g5 verhindern), um den Widerstand zu brechen. 20. Lh7 — g6 21. T h 4 - h 5

Te8-e7

Taimanov

wüp A

üt ü ¡¡¡¿gl 9 I AHH i i H HS il All H u H 11 ¡3^11 HAB • H HfiS

mm*

m

Petrosjan

Der Turm ist am Ende seiner eigenartigen schrittweisen Reise angelangt. Die Hilflosigkeit des Gegners bei Anwesenheit fast aller Figuren erinnert an die große Zugzwangstrategie von Nimzowitsch. 21. 22. 23. 24.

... Tfl-dl Lb2-a3 Sf3-h4.

Lc5-d6 Ld6-e5 c6-c5 Schwarz auf.

gab

Zuviele schwarze Figuren sind einer Springergabel auf g6 ausgesetzt. Auf 24. ... D f 8 - d 8 geschieht 25. L a 3 x c 5 und 24. ... D f 8 - g 8 läuft

in 25. Lg6 —h7!, gefolgt von 26. Sh4—g6f und Sg6xe7f hinein. Petrosjan, der seine Partien „alte Freunde" nennt, sagte von dieser: „Ich werde nie die Freude vergessen, die mir die sich lange hinziehenden Manöver meines Turms machten... Ich glaube, ein Künstler hat das gleiche Gefühl, wenn er deutlich erkennt, daß seine Idee auf der Leinwand verwirklicht worden ist." *

Petrosjan ist ein Experte für die Möglichkeiten geschlossener Stellungen. Routiniert richtet er sein Spiel zuerst darauf ein, die Chancen des Gegners zu begrenzen. Erst nachdem er sie gering gehalten hat, geht er ernsthaft dazu über, Angriffshandlungen zu unternehmen. In der folgenden Partie sehen wir seine tiefe Strategie.

Petrosjan—L. Schmid Erewan 1965 Königsindisch 1. d2 —d4 2. c2 —c4

Sg8-f6 c7—c5

Dieser „Ben-Oni"-Zug überläßt Weiß einen sofortigen Raumvorteil. Das ist ganz nach dem Geschmack Petrosjans. 3. d4—d5 4. Sbl — c3

d7—d6 g7 —g6

5. e 2 - e 4 6. Lei — g5

Lf8-g7

Ein Lieblingszug Petrosjans. (In einer anderen Variante trägt der Zug seinen Namen.) Der Läufer leistet nicht viel, ruft jedoch gewöhnlich schwächende Bauernzüge hervor. 6. ... 7. L g 5 - f 4 8. L f 4 - d 2

h7 —h6 Dd8-a5

Ziemlich oft zieht Petrosjan die gleiche Figur in der Eröffnung mehrmals. In geschlossenen Partien ist der Zeitfaktor nicht wesentlich. Schwarz trifft nun die nicht sehr weise Entscheidung, seine Läuferdiagonale zu blockieren und vergibt damit die Chance, sein Spiel mit e7 — e6 zu befreien. In den nächsten paar Zügen werden alle Chancen des Schwarzen, aktiv zu werden, insbesondere f7 — f5, bekämpft. 8. 9. 10. 11. 12.

... e7—e5(?) Lfl — d3 S f 6 - h 5 Sgl — e2 S b 8 - d 7 g2 —g3 Sh5-f6 h2 —h4 h6 —h5

Schwarz möchte seine Lage erleichtern, indem er auf h6 die Läufer tauscht. Dieser Trost wird ihm nicht gestattet. 13. D d l - c l S f 6 - g 8 14. Sc3 —dl! D a 5 - d 8 15. Del — c2 L g 7 - h 6

117

16. Sdl —e3 17. T h l - f l 18. f 2 - f 3

Dd8-f6 Sd7-b6

Ein langsamer Aufbau. Der Bauer geht erst dann nach f4, wenn die Figuren am günstigsten stehen. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

... Tfl-ß 0-0-0 Tdl-hl Kcl-bl D-f4

Lc8-h3 0-0-0 Kc8 — b8 Lh3—c8 Sg8-e7

Öffnet die erste Angriffsfront. Schwarz kann nur die Entwicklung abwarten. 23. ... 24. Ld2—c3 25. a2—a3!

Sb6-d7 Df6-g7

ständig wird. Aber wenige Spieler lieben es, sich passiv zurückzulehnen, während der Angreifer die Tonart bestimmt und auf beiden Brettseiten Chancen hat. Daher strebt der deutsche Großmeister noch einige Aktivität an. 28. 29. 30. 31. 32.

h4 x g5 f4 —f5 Se3-g2 Sei — b3 K b l — a2

f6 x g5 g5 —g4 Lh6 — g5 b7 —b6 Lc8-b7?

Unterschätzt eine Möglichkeit des Weißen. Nötig war 32. ... L g 5 - f 6 . 33. b4 x c5

Sd7xc5

Schmid

Bereitet die zweite Front am anderen Flügel vor. Das Vorgehen auf einem Flügel allein könnte sich als unzureichend für den Sieg erweisen; aber die Notwendigkeit, beide Flügel zu schützen, überbeansprucht die Verteidigung. 25. ... 26. b2—b4 27. Se2—cl

f7—f6 Td8-f8 g6 —g5

Zweifelhaft, weil Weiß einen gedeckten Freibauern auf f5 erhält und der schwarze h-Bauer rück118

Petrosjan

Danach wird die Gefahrdung des eBauern kritisch, aber 33. ... b6 xc5 34. Sb3 — a5 läßt auf die Dauer we-

nig Hoffnung. Petrosjan scheut normalerweise taktische Scharmützel, weil sie von dem glatten Fluß seiner tiefen Strategie ablenken und das gefährliche Element der Chance einführen. Diese Politik stimmt mit dem Hang zur Vorbeugung überein, der seine Partien beherrscht. Wenn jedoch genaue Berechnung ein klares Ergebnis hat, zeigt er, daß es nicht an fehlenden Möglichkeiten liegt, wenn er gewöhnlich dem Kombinationsspiel aus dem Wege geht. 34. 35. 36. 37.

Sb3 x c5 b 6 x c 5 Sg2-f4! Lg5xf4 g3xf4 g4—g3 Tf2-g2.

Petrosjan hat tief gerechnet und sieht, daß er das lebenswichtige Feld e5 erobern wird, bevor die verbundenen Freibauern seines Gegners gefährlich werden können. Falls nun 37. ... h5 —h4, so 38. f 4 x e 5 h4—h3 39. e5xd6! h 3 x g 2 40. Thl—gl! und Weiß gewinnt leicht. 37. 38. 39. 40.

... Se7 — c8 f4xe5 d6xe5 Dc2-b2 Tf8-e8 f5 — f6!

Der Freibauer, den Schwarz im 32. Zug zu blockieren versäumte, entscheidet jetzt die Partie. Am besten für Schwarz ist nun 40. ... Dg7 x f6, obwohl nach 41. Tg2 x g3 einer der

schwachen Bauern bald fallen wird und mit ihm die Partie. Stattdessen läßt er Petrosjan den Gewinn demonstrieren, den er im 35. Zuge vorhergesehen hat. 40. 41. 42. 43.

... Dg7-g5(?) f6-f7 Te8-e7 Thl — h3 h5 —h4 Tg2xg3!

Schwarz gab auf. Wegen 43. ... h4 x g3 44. T h 3 x h 8 Te7xf7 45. L c 3 x e 5 | K b 8 - a 8 46. T h 8 x c 8 f Lb7 x c8 47. D b 2 - b 8 matt. *

Petrosjans intuitive Fähigkeit, die Angriffschancen des Gegners zu vermindern, gibt keinem geringeren seiner Rivalen als Botwinnik Rätsel auf, als beide im Titelkampf aufeinandertreffen. Nachdem er seinen Zweck erreicht hat, geht er daran, die geringsten Schwächen im gegnerischen Lager aufs Korn zu nehmen. Bezeichnend ist die 5. Partie, die mit einer Grünfeld-Verteidigung anhebt: 1. c 2 - c 4 g 7 - g 6 2. d 2 - d 4 S g 8 - f 6 3. Sbl — c3 d 7 - d 5 4. Sgl — f3 L f 8 - g 7 5. e2 —e3 (ein bescheidener Zug) 0 — 0 6. Lfl—e2 d5 x c4 7. Le2 x c4 c7—c5 8. d4 —d5 e7—e6 9. d 5 x e 6 (der Tausch der Damen zu einem leicht vorteilhaften Endspiel garantiert wenigstens das Remis) Dd8 x dlf 10. Kel x dl Lc8 x e6 11. Lc4 x e6 f7 x e6.

119

Botwinnik

Petrosjan Weiß hat einen minimalen Vorteil — den starken Punkt auf e4 für

einen Springer, vor einem vereinzelten schwarzen e-Bauern gelegen. Vollendete Verteidigung hätte die Partie vielleicht gehalten, doch Petrosjan gewann in 48 Zügen. So glich er im Wettkampf aus und betrat danach die Siegerstraße. Bemerkenswerter Weise ist genau diese Stellung schon bei den Vorbereitungen auf den Kampf vorhergesehen worden, und Petrosjan sagte seinem Sekundanten, daß er sie gewinnen würde. So ist seine Einschätzung der tieferen Bedeutung des Stellungsspiels.

Klagen, sein Spiel sei langweilig und neige zum Remis, nahm er nicht zur Kenntnis. Schöpferisches, kämpferisches Schach bedeutet Verlustgefahr; die Niederlage vermeiden ist für ihn wichtiger als der Gewinn. Das Schauspiel eines Weltmeisters, der an Turnieren teilnahm, ohne sie zu gewinnen, enttäuschte ein Publikum, das sich dem Zeitalter des AntiHelden nicht anzupassen vermochte. Sein Vorgehen auf die Fähigkeit zu gründen, jede Drohung des Gegenspielers vorherzusehen und ihr vorzubeugen, ist ein eindrucksvoller und origineller Beitrag zur Entwicklung des Schachdenkens. Es ist jedoch keine schöpferische, künstlerische Errungenschaft. Es ist eine Verneinung der Schönheit und des Reichtums Caissas. Ein weiser Mann erzählte einmal dem Verfasser: „Es genügt nicht zu leben, indem man etwas verhindert." Letzten Endes kann die Vorbeugung nicht genügen. In dem immerfrischen schöpferischen Reichtum des Schachs werden neue Angriffsideen entworfen. In den Aufregungen des Kampfes wird die vollendete Verteidigung nicht immer gefunden werden. Wenigstens im Schach können wir optimistisch sein und dem Trend der modernen Welt trotzen. Helden der neuesten Zeit mit Träumen vom Ruhm können noch den Schacholymp erstürmen. Und so, sechs Jahre, nachdem er den Thron bestiegen hatte, wurde der Anti-Held besiegt. Petrosjan legte seine Krone Spasski zu Füßen.* * Den Gipfel hat er nie mehr erreicht, fuhr jedoch fort, elegante Partien zu spielen, wie etwa sein schneidiger Sieg über Fischer in der zweiten Partie ihres Wettkampfs von 1971. Petrosjans Witz und Tiefe hat uns im Jahre 1984 verlassen.

120

14. Larsen: Die Lebenskraft der Romantik „Schach ist eine schöne Frau, zu der wir ständig zurückkehren, gleichviel, wie oft sie uns zurückweist." — B. Larsen In der Periode unmittelbar nach Kriegsende kam Bronstein in Rußland als der brillanteste Fahnenträger des romantischen Erbes hoch. In den späteren Jahren der wissenschaftlichen Botwinnik-Ära ging ein neuer schöpferischer Stern in einer Himmelsgegend auf, wo man ihn nicht erwartete. Dieser junge Spieler erzielte nicht immer hervorragende Turnierergebnisse, doch Schachkenner begannen, seine Partien auszusondern. Denn hier war ein Kämpfer, der jede Partie als neue schöpferische Herausforderung betrachtete. Sein äußerst originelles Eröffnungsspiel führte zu schwierigen Mittelspielkämpfen. Er suchte immer zu gewinnen, verabscheute das Remis und schien immun gegenüber der Pein der Niederlage. Es ist Bent Larsen, geboren 1935 in Dänemark. Auch nachdem er zum Großmeister ernannt wurde, nahmen ihn die Prognostiker nicht sehr ernst. Seine Ergebnisse waren zu wechselhaft. Ein witziger Ausspruch war, daß Überoptimismus sein größter Trumpf sei. Gleichwohl, wer konnte annehmen, daß eine Person aus dem Westen, die weder die Unterstützung der Regierung noch systematisches Training genoß, eines Tages den sowjetischen Koloß herauszufordern vermochte? Einem Künstler, der seine Kunst liebt, sind dennoch große Dinge möglich. Die folgende Partie hätte ein Warnsignal sein sollen. Larsen ignoriert „die Bücher", um den Kampf auf neuen Eröffnungspfaden zu führen. Hier benutzt er Methoden, die sich an Réti anlehnen, indem er seinen Gegner dazu verlockt, ein Bauernzentrum

aufzubauen, und er macht Anstalten, es zu unterminieren und zu zerstören. Schließlich erleidet sein Gegenspieler, einer der kraftvollsten Angehörigen der sowjetischen Elite, eine nicht alltägliche Zerstö-

121

rung seiner Königsstellung und einen Mattangriff. Larsen—Geller Kopenhagen 1960 Réti-Eroffnung 1. g 2 - g 3 Diesen hypermodernen Zug machte Réti in einer berühmten Partie gegen Aljechin. In neuerer Zeit ist er von dem Hungaro-Amerikaner Pal Benkö populär gemacht worden. 1. ... 2. Lfl — g2 3. Sgl — ß

d7—d5 e7—e5

Lädt Schwarz ein, in eine Art Aljechin-Verteidigung mit vertauschten Farben einzulenken mittels 3. ... e 5 - e 4 4. S f 3 - d 4 c 7 - c 5 5. S d 4 - b 3 f7 —f5. Doch Geller beißt nicht an. 3. ... 4. 0 - 0 !

Sb8—c6 Sg8-f6

Noch immer keine heftige Antwort. Nach 4. ... e 5 - e 4 5. S f 3 - e l steht Weiß bereit, mit d2 — d3 und c2—c4 vorzugehen. Jetzt entsteht eine Art „Ben-Oni" mit vertauschten Farben. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 122

c2 —c4 d5 —d4 d2-d3 Lf8-d6 Sbl — a3 0 - 0 Tal — bl T f 8 - e 8 Sa3—c2 a7 —a5 b2—b3

Vorzuziehen gegenüber 10. a2—a3 a5 —a4 11. b 2 - b 4 a 4 x b 3 e. p. Weiß droht nun mit der üblichen Entfaltung am Damenflügel, der Schwarz mit 10. ... S c 6 - b 4 11. a2 —a3 Sb4xc2 12. D d l x c 2 D d 8 - e 7 13. D c 2 - b 2 c 7 - c 5 be7 gegnen sollte. Statt dessen erlaubt sich Geller einigen Luxus, und der Springer, den er abzutauschen versäumte, wird auf ein äußerst ungeschicktes Feld getrieben. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

... a2—a3 b3-b4 a3 x b4 b4 —b5 e2 —e3!

h7 — h6(?) Lc8-f5 a5xb4 Dd8-d7 Sc6—d8 d4xe3

Das Bauernzentrum beginnt zwangsläufig auseinanderzufallen. 16. 17. 18. 19.

Sc2xe3 L f 5 - h 7 Lei — b2 c 7 - c 6 Tbl — al Ta8 x al Ddl x al! Geller

Larsen

Retis Schatten! Der e-Bauer ist nicht lange zu halten, während 19. ... Lh7xd3? 20. T f l - d l e 5 - e 4 21. L b 2 x f 6 sehr schlecht für Schwarz ist. Alle weißen Figuren springen nun dynamisch auf den Kriegsschauplatz.

f 7 - f 6 29. g4 x f5 f 6 x e 5 30. Ld4xe5, oder 27. ... f 7 - f 6 28. S e 5 - d 7 D b 3 - a 3 ? 29. Ld4xf6!. Und das Endspiel nach 27. ... Db3 — a3 28. Dal x a3 Lf8 x a3 29. Tel — c8 ist düster. 28. S e 5 - d 7

19. 20. 21. 22.

... Sf3xe5 Se5-f3 Tfl-cl

c6xb5 Dd7-c7 Ld6-e7

Bereitet Se3 —d5 vor, um einen Freibauern und starken Druck gegen den feindlichen g-Bauern zu erlangen. Außerdem fehlt der schwarzen Dame ein sicherer Hafen in der Mitte. Falls 22. ... Lh7 x d3, so 23. Se3-d5. 22. 23. 24. 25. 26.

... d3 x c4 Se3-d5 c4xd5 Lb2 — d4

b5xc4 Dc7-b6 Sf6xd5 Le7-f8 Db6-b3?

Nötig war der Defensivzug 26. ... Db5. Geller scheint die Kraft des kommenden Zuges Se5—d7 zu unterschätzen und spielt den Rest der Partie wie jemand, der sich in Zeitnot befindet. 27. S f 3 - e 5

b7-b5(?)

Immer noch war 27. ... Db3 —b5 besser. Die Auswahl des Schwarzen ist bereits gefährlich schmal, zum Beispiel 27. ... L h 7 - f 5 28. g 3 - g 4

Lf8-a3

Relativ besser ist es, mittels 28. ... f7 —f6 29. L d 4 x f 6 L h 7 - f 5 einen Bauern herzugeben. Larsen vermeidet nun die Falle 29. Tel—c3 L a 3 - b 2 30. Tc3xb3 L b 2 x a l 31. Ld4 x al Te8 — el + 32. L g 2 - f l Tel x a l 33. T b 3 - e 3 L h 7 - f 5 ! und Schwarz bleibt am Leben. Der Däne schließt dagegen den Angriff am Königsflügel ab. Dies ist der letzte der drei Sektoren des Schlachtfeldes, den er in dieser Partie, einen nach dem andern von links nach rechts, beherrscht. 29. 30. 31. 32.

Ld4xg7! L a 3 x c l Sd7-f6f Kg8xg7 Sf6xe8f K g 7 - f 8 Dal — h8f Kf8 — e7

Hoffnungslos ist auch L h 7 - g 8 33. Se8 — f6. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39.

d5-d6t Se8-f6f Lg2-h3f Dh8xd8 Kgl — g2 Lh3-c8f Dd8-a5|

32.

...

Ke7 — d7 Kd7-c8 Kc8-b7 Db3-dl| Lh7-d3 Kb7-a8 Schwarz gab auf. 123

Die erbarmungslose Königsjagd endet mit Matt in zwei weiteren Zügen. *

Am Anfang seiner Laufbahn schlug Larsen seinen eigenen Weg ein; er experimentierte und erforschte die unbeschränkten Möglichkeiten des Schachspiels. Er fürchtete sich nie, Gefahren heraufzubeschwören oder zu verlieren, er lernte allmählich die Grenzen zwischen unternehmendem und lediglich tollkühnem Spiel zu erkennen. Seine Furchtlosigkeit zeigt das nächste Beispiel recht gut.

Bronstein—Larsen Interzonenturnier Amsterdam 1964 Königsindische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

d2—d4 c2—c4 Sbl — c3 e2—e4 Lfl — e2 Lei — g5

Sg8-f6 g7 — g6 Lf8-g7 d7-d6 0-0

Die Awerbach-Variante. 6. 7. 8. 9.

... d4 —d5 Sgl — f3 Lg5-f4

c7—c5 e7—e6 h7 —h6

Dieser Zug ist zweifelhaft. Es ist besser, die Fesselung mit 9. Lg5—h4 aufrechtzuerhalten. 124

9. ... 10. e4 x d5

e6xd5

Hier wird 10. c 4 x d 5 mit 10. ... b7 —b5! 11. L e 2 x b 5 Sf6xe4! 12. Sc3 xe4 Dd8 —a5f beantwortet. 10. ... 11. S f 3 - d 2

Tf8-e8

Um Sf6—e4 zu vermeiden, eine gute Antwort auf 11.0 — 0. Gut für Schwarz ist auch 11. Ddl—d2 g6 —g5 12. Lf4 — e3 S f 6 - g 4 . 11. ...

Sf6-h5!

Ganz richtig geht Larsen auf ein vielversprechendes Qualitätsopfer aus: wenn 12. Lf4—e3, so Te8 xe3! 13. f 2 x e 3 D d 8 - h 4 f 14. g 2 - g 3 Sh5xg3 15. Sd2 —ß D h 4 - h 3 . 12. 13. 14. 15.

Lf4—g3 0-0 h2 x g3 Sc3xe2

Lc8-g4 Sh5xg3 Lg4xe2 Lg7xb2!?

Schwarz steht wegen seines starken Läufers eine Kleinigkeit besser. (Laut Polugajevski hätte er nach 15. ... S b 8 - d 7 „ein vollwertiges Spiel" gehabt. Anm. d. Übers.) Anstelle ruhiger Entwicklung ruft Larsen damit Myriaden von Verwicklungen hervor. 16. Tal — bl 17. Tbl x b 7 18. S e 2 - f 4 !

Lb2-g7 Sb8-d7

Bronstein lehnt es ab, den Geist zurück in die Flasche zu bannen, indem er seinen Turm zurückzieht, was die starke Antwort Dd8 —a5 zur Folge gehabt hätte. Er läßt zu, daß er abgeschnitten wird im Gefühl, daß er ihn mit Hilfe von Gegendrohungen behaupten kann. 18. ... 19. T f l - e l

Sd7-b6 Lg7 —c3!

Bedroht den Bc4 und führt jählings zu einer Krise... Larsen mußte das folgende Opfer vorhersehen und seine Gegenmöglichkeiten abschätzen. 20. Sd2-e4! 21. S f 4 - e 6 !

Lc3xel

Larsen

Äjül KXHNrH HS §1 H i l l H iü 11 BAll « • A B 9 m m 11 H ü A l Hܧ1 B £ l l L— p WMWk IS

praktisch einem Springer, der nicht gut genommen werden kann, in die Falle gegangen, während sein König plötzlich Mattdrohungen ausgesetzt ist, zum Beispiel: a. 21. ... Te8xe6 22. d 5 x e 6 f7 x e6 23. D d l - g 4 D d 8 - e 8 24. Se4—f6f. b. 21. ... f7 xe6 22. D d l - g 4 Lei xf2f 23. K g l - h l ! g 6 - g 5 24. D g 4 - h 5 T e 8 - e 7 (oder 24. ... Sb6-d7 25. Tb7xd7) 25. D h 5 - g 6 | K g 8 - f 8 26. S e 5 - f 6 Te7 x b 7 27. D g 6 - g 8 f K f 8 - e 7 28. D g 8 - g 7 matt. c. 21. ... Lei — b4 (in der Hoffnung, Gegenwerte für die Dame zu erhalten) 22. Ddl — f3 f7—f5 23. Df3 — f4! mit überwältigendem Angriff. Wie wendet Larsen den Untergang ab? 21. ...

Lelxßfü

Schwarz am Zug

Ein Ablenkungsopfer. Wird es mit 22. Kgl—h2 abgelehnt, beabsichtigt Larsen 22. ... L f 2 - d 4 ! Nachdem dieser Läufer ideal steht, hat Weiß nichts Besseres als die Dame zu nehmen, wonach Schwarz mehr als genug Gegenwerte besitzt. Außerdem muß der Springer auf e4 stehen bleiben, damit Weiß 22. ... Dd8 — c8 mit 23. Se4xd6 beantworten kann. Bronstein macht den besten Zug.

Im Augenblick hat Schwarz einen Turm mehr; seine Dame ist jedoch

22. K g l x f 2 f 7 x e 6 23. Ddl — g4 T e 8 - f 8 |

1

Bronstein

125

Die Pointe des Läuferangebots — Schwarz hat nun Zeit, sich gegen das Matt zu verteidigen.

würde 29. ... Tf5—e5? verlieren wegen 30. Se4—f6f, und der Bauer wandelt sich mit Schachgebot um oder Weiß setzt matt) 30. Se4 x d6 T f 5 - e 5 31. S d 6 x c 8 S b 6 x c 8 32. 24. Kf2 —gl T f 8 - f 6 T a 7 - a 8 Te5xe7 33. Ta8xc8f K g 8 - f 7 34. Tc8 x c5 T e 7 - a 7 und Larsen Schwarz hält das Endspiel remis. b. 25. ... h6 —h5. Das war die Remisvariante, die Larsen in Reserve hatte, zum Beispiel 26. e6—e7 Dd8xe7 oder 26. Dg4-h3 Dd8—f8 und macht remis wie in a. c. 25. ... Sb6x c4 (!?) Diesen Zug WB ft' überschätzte Larsen später. cl. 26. e6—e7 Tf6 —flf! 27. Kgl — h2 (27. Kgl x fl S c 4 - e 3 f begünstigt Schwarz) 27. D d 8 - e 8 28. D g 4 - e 2 ! T f l - f 5 29. g3 —g4 De8 —f7! 30. g4xf5 Bronstein T a 8 - e 8 31. f 5 x g 6 (31. f 5 - f 6 d6 — d5 und Schwarz ist im Vorteil, 25. D g 4 - h 3 ? Larsen) 31. ... D f 7 - e 6 32. De2 x c4! (Saizevs Behauptung, daß Ein Zeitnotfehler, der Bronsteins 32. De2—fl gewinnt, wird widermutig vorgetragenes Angriffsspiel legt durch 32. ... S c 4 - e 5 ! 33. De6xf6!) 32. ... verdirbt. Später wirbelte um diese S e 4 - f 6 f ? Stellung eine analytische Schlacht D e 6 x c 4 33. S e 4 - f 6 f nebst 34. zwischen den Partnern und ande- Sf6 x e8 und Schwarz muß remis ren. Richtig war 25. d5 x e6, wo- machen (I. Saizev). nach der gesetzmäßige Ausgang des c2. 26. D g 4 - h 4 g 6 - g 5 ! 27. aufregenden Kampfes, wie wir nun D h 4 - h 5 ! D d 8 - f 8 28. e 6 - e 7 (Auch 28. Se4xf6f D f 8 x f 6 29. sagen können, ein Remis wäre: a. 25. ... D d 8 - f 8 26. e 6 - e 7 e6 —e7 D f 6 - e 6 30. T b 7 x a 7 mit Tf6 —flf 27. Kgl — h2 D f 8 - f 5 28. Verfolgung des Turms genügt, SaiDg4 x f5 Tfl x f5 29. Tb7 x a7! zev) 28. ... Tf6 —flf 29. Kgl — h2 (Bronstein) T a 8 - c 8 (oder 29. ... D f 8 - f 7 30. e 7 - e 8 D | T a 8 x e 8 31. T a 8 - b 8 30. T a 7 - b 7 ! und Schwarz T b 7 x f 7 Tfl x f7 32. D h 5 - g 6 f ! kann nicht gewinnen, obwohl er ei- Kg8 - f8 33. Dg6 x h6f Kf8 - e7 34. nen Turm mehr hat! — dagegen S e 4 x g 5 S c 4 - e 5 ! 35. D h 6 - e 6 |

xiü B fl^rfl fHHH fl H 1 AI I i i Hü fl AH fl m/^rnwm H B Wk ö AH fl HAH fl B 11 IS

126

K e 7 - f 8 36. De6xd6f Tf7—e7 37. Dd6 x c5 und Weiß hat einen geringen Materialvorteil. Der gewählte Zug ist klar unzureichend. 25. 26. 27. 28. 29. 30.

... Se4-g5 Kgl — h2 Sg5xe6 Dh3xh5 Se6 x f8

Dd8-f8 Tf6-flf Tfl — f5 Tf5-h5 g6xh5 Ta8 x f8.

Weiß gab auf. Ein Kampf zweier schöpferischer Riesen unserer Zeit. Er zeigt die immergrüne Vitalität des romantischen Erbes, ein Bollwerk gegen jene, die das Schach zu einer schalen technischen Übung herabwürdigen wollen. *

Die obige Partie verhalf Larsen zur Teilung des ersten Preises mit so leuchtenden Sowjetsternen wie Tal, Smyslov und Spasski. Sogar bei Abwesenheit Fischers war die sowjetische Hegemonie nun klar gebrochen. Larsen, ein Mann mit großen Geistesgaben und universalen Interessen, traf um diese Zeit einen Entschluß, den man für jeden, der in der kapitalistischen Welt lebt, als mutig bezeichnen kann: Er gab sein Ingenieurstudium auf und wurde Berufsspieler. Nur so konnte er sich seiner Kunst widmen und gegen die

Besten unter gleichen Bedingungen antreten. Der dem unabhängigen Studium aufgeschlossene Larsen hat ein ganz neues Eröffnungs-Repertoire hervorgebracht, das von der zeitgenössischen Theorie abweicht. Er ist beispielsweise der erste Großmeister seit Jahrzehnten, der die Läufer- (1. e2 —e4 e 7 - e 5 2. L f l - c 4 ) und Bird-Eröffnung (1. f 2 - f 4 ) benutzte. Als er gegen Olafsson in Beverwijk 1961 Holländisch verteidigte, brachte seine Phantasie folgendes hervor: 1. Sgl —f3 f7 —f5 2. g 2 - g 3 g 7 - g 6 3. Lfl — g2 L f 8 - g 7 4. d2 —d4 S g 8 - f 6 5. 0 - 0 0 - 0 6. b2—b3 b7 —b5!? 7. c 2 - c 4 b 5 x c 4 8. b 3 x c 4 c 7 - c 5 ! ? Nimzowitsch, in Dänemark wohnhaft, erfand die Eröffnung 1. Sgl - ß S g 8 - f 6 2. b2 —b3. Larsen hat jetzt 1. b2 — b3 eingeführt und verweist humorvoll auf die „Dänische Schule" als Gegenmittel zu bestimmten Angebereien aus dem Osten. Er nennt 1. b2—b3 den „Baby-Orang-Utan" („Orang Utan" war Tartakowers Bezeichnung der Eröffnung 1. b2 —b4, die er nach einem Zoobesuch spielte). Mit den weißen Steinen gegen Calvo in Palma 1968 verwies Larsen über die Hypermodernen hinaus auf das „Schach der Zukunft": 1. g 2 - g 3 g 7 - g 6 2. Lfl — g2 L f 8 - g 7 3. Sbl — c3 c 7 - c 5 4. d 2 - d 3 Sb8—c6 5. a 2 - a 3 (Ein Angebot, die Panno-Variante mit vertauschten Farben der Königsindi127

sehen Verteidigung zu spielen —, mit 5. oder 6. e2 — e4 konnte er in den „Sizilianer" übergehen) 5. ... e7—e6 6. S g l - f 3 d 7 - d 6 7. Lei - g5 Dd8 -d7(?) 8. 0 — 0 f7 —f6 9. L g 5 - d 2 S g 8 - h 6 10. T a l - b l 0 - 0 ( ? ) (besser 10. ... b 7 - b 6 ) 11. b2—b4.

m

Calvo

!.• 1 *m gp^jp i§§ 1 i §1 |A s ¡Ü H ¡Ü 11 ü • • 11 ¡5 lOAM^Il HüAll AEIii B ig • 2 •

Larsen Larsen nennt das „den verzögerten Orang Utan" und erinnert daran, daß die Hypermodernen den Zug e2 —e4 für stärker ansahen, wenn er im zehnten Zug geschah anstatt im ersten Zug; man könnte nun das gleiche über b2 — b4 sagen! Nach dem weiteren 11. ... c5 x b4 12. a3 x b4 S h 6 - f 7 13. b 4 - b 5 S c 6 - e 7 14. D d l - c l ! e 6 - e 5 15. Del — a3 D d 7 - d 8 16. T b l - b 4 ! L c 8 - e 6 17. T b 4 - a 4 S e 7 - c 8 18. T f l - b l f6 —f5 19. b5 —b6! a 7 - a 6 20. Sf3 — el hatte Larsen in dieser futuristischen Partie das weitaus bessere Ende für sich und gewann. * 128

Der Zweite Piatigorsky-Cup von 1966 war das am verschwenderischsten ausgestattete und eines der stärksten Turniere aller Zeiten. Dort machte der stets ehrgeizige Larsen auf prachtvolle Weise Anstrengungen, den ersten Preis zu erringen. Zweimal schlug er den Weltmeister in schönen Partien, um durch Niederlagen gegen geringere Sterne zu scheitern. Er versuchte, diese in remisträchtigen Stellungen zu schlagen und vermied auch die geringste Vorbeugungsmaßnahme. Er wird darum „der große Optimist" genannt. Tatsächlich ist Objektivität in der Einschätzung der Stellung, oder vielmehr der gegnerischen Chancen, nicht seine Stärke. Zu jener Zeit schrieb ich: „Bent Larsen ... ist ein astronomisches Phänomen. Er ist weder eine warme Sonne, die jederzeit hell erstrahlt, noch ein ständiger, zuverlässiger Abendstern, sondern eine Supernova (Stern mit plötzlichem Lichtausbruch, Anm. d. Übers.), die sich ausdehnt und ausbrennt, wenn er im Geiste des großen Marshall den zweifelhaften geteilten Punkt nicht mag. Larsen muß immer beide Hände der Göttin halten." *

Larsen erreichte die Spitze in der Ära Petrosjans. Aus allem, was gesagt worden ist, muß klar geworden sein, daß ihre Philosophien diametral entgegensetzt sind. Dennoch

schlägt er ihn in dieser Partie, als ob er noch eine weitere Facette seines vielseitigen Talents vorweisen wollte, gerade mit einigen der Waffen, die Petrosjan selbst zu gebrauchen pflegt — mit Nimzowitschs Prophylaxe, Hemmung, Blockade und schließlich Vernichtung. Frei von taktischen Scharmützeln, ist sie ein fleckenloses, strategisches Kunstwerk.

Petrosjan—Larsen 2. Piatigorsky-Cup 1966 Santa Monica Königsindische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

c2—c4 Sbl — c3 g2—g3 Lfl — g2 d2 —d4 e2 —e3

Sg8-f6 g7 —g6 Lf8-g7 0-0 d7 —d6

Ein typisch bescheidener Petrosjanzug. Beiden Seiten gelingt in der Eröffnungsphase die harmonische Entwicklung. 6. 7. 8. 9. 10.

... c7 — c6 Sgl — e2 a 7 - a 5 b2 —b3 Sb8-a6 0-0 e7 —e5 Lei — b2 T f 8 - e 8

Td8 — e8, gefolgt von Sd7—c5, zu fürchten. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

a2 —a3 Ta8-b8 h2 —h3 h7 —h5 Ddl — c2 L c 8 - e 6 Kgl — h2 Dd8 — c7 Tal — cl b7 —b5 c4xb5 c6xb5 Dc2 —dl(?)

„Sehr passiv. Ich erwartete 17. Sc3—e4" (Larsen). Das hätte zu einem gleichen Endspiel geführt. Petrosjan scheint sich übermäßig um seinen b-Bauern zu sorgen. 17. ... Dc7-e7 18. Sc3 —bl L e 6 - d 7 19. Sbl —d2 e5 — e4! Larsen

M I ^Sü Ii flMLH A H m . A • ¿H ¡Ii ¡Ü H Iii in Bill H Q A II ¡5 H A B S^HASS



Petrosjan

Larsen, im Endspiel hervorragend, sieht keinen Anlaß, 11. d 4 x e 5 Erstmals greift Schwarz in das gegd6 x e5 12. D d l x d 8 Te8xd8 13. nerische Gebiet hinein. Der Zug beSc3 — a4 S f 6 - d 7 14. T f l - d l schränkt die weißen Figuren, be-

129

sonders den Königsläufer, und gibt Schwarz überlegenen Manöverraum. 20. 21. 22. 23. 24.

Se2-f4 Ddl — e2 Tel — c2 Tfl-cl Tclxc2

d6—d5 De7-d6 Te8—c8 Tc8 x c2 h5 — h4!

Weil sich 25. g3—g4 wegen g6 —g5 verbietet, erhält Schwarz einen weiteren Vorteil — eine leichte Schwächung des Punktes g3. Dieser ist zwar nicht einmal bedroht — doch die sich langsam herausschälende Hemmung dieses Bauern bis zu seiner endlichen Zerstörung ist das Thema der Schlußphase der Partie. 25. Se2—fl 26. f2 x g3

h4xg3| b5 —b4

Legt den Damenflügel fest. Larsen sagte, daß eine Idee dieses Zuges die Möglichkeit Ld7 — b 5 x f l oder Ld7—c8—aöxfl war, um den Bg3(!) zu unterminieren. Weiß begegnet dem. 27. a3 —a4 Tb8-c8 28. Tc2 x c8f Ld7xc8 29. h3 —h4 Wahrscheinlich früher oder später notwendig, um g6—g5 zu unterbinden. Damit taucht aber eine neue Schwäche auf: der Punkt g4. 29. ... 30. L g 2 - h 3 130

Sa6—c7 Lc8xh3

31. S f 4 x h 3 L g 7 - f 8 32. K h 2 - g 2 Dd6 — c6 33. De2 —dl L f 8 - d 6 Die erste Figur, die sich auf den Schicksalsbauern richtet. 34. S h 3 - f 2 S c 7 - e 6 35. Lb2 — cl S e 6 - g 7 36. Lei — d2 S g 7 - f 5 Der zweite Angreifer. 37. K g 2 - h 3 Dc6—c8 38. K h 3 - g 2 An sich wäre 38. g3 —g4 wünschenswert; aber nach 38. ... S f 5 - h 6 , gefolgt von S f 6 - h 7 und f7—f5 oder g6—g5 fiele die weiße Königsstellung auseinander. Weiß kann nichts unternehmen, sondern nur zappeln, während die Schlinge enger wird. 38. 39. 40. 41. 42.

... Sf2—hl Ld2—el Shl — f2 Ddl — d2

Kg8-g7 Sf5-h6 Dc8-a6 Sh6 — f5

Larsen weist hier auf die Möglichkeit 42. Lei — d2 S f 6 - h 5 43. g3 —g4 Sf5xh4f 44. K g 2 - h 3 Sh4—f3 45. g 4 x h 5 D a 6 - c 8 f 46. Kh3-g2 Dc8-f5 hin, und Schwarz gewinnt. 42. ... 43. Sf2—dl

Ld6-b8 Sf6 — g4

44. Kg2—gl f7 —f6 45. Kgl — g2 g 6 - g 5 !

Larsen

Damit beginnt die letzte Etappe, für die die Öffnung der h-Linie erforderlich ist. Rückt Weiß den h-Bauern vor, geht er verloren. 46. Sei — f2 Sg4 — h6 47. h4 x g5 f6 x g5 48. Sf2 —dl Kg7-g6! Der König wird für die Blockade gebraucht. 49. Sfl — h2 50. D d 2 - c 2

g5 —g4 Lb8-d6

Der weißen Dame wird solange keine Wirksamkeit zugestanden, bis es für sie zu spät ist. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.

Sh2 — fl S h 6 - g 8 Sfl — h2 S g 8 - f 6 Sh2—fl K g 6 - h 5 Sfl — h2 K h 5 - g 5 Sh2 — fl S f 6 - h 5 Lei — f2 S h 5 - f 6 Lf2—el S f 6 - h 5

Nach einer kleinen Zugwiederholung, um die Zeitkontrolle zu überstehen, wird die dritte Angriffsfigur herangeführt. Noch immer scheint es, als sei der Bauer verteidigungsfahig... 58. Lei — f2 59. Lf2—el

Da6-a8

Petrosjan Schwarz am Zug

Der sich allmählich aufbauende schwarze Druck hat seinen Gipfel erreicht. Die Zeit ist reif zum Kombinieren. 59. ... Da8-h8! 60. Dc2 — c6 Ld6xg3! 61. L e l x g 3 Sh5xg3. Weiß gab auf. Der Schluß könnte lauten: 62. S f l x g 3 D h 8 - h 3 f 63. K g 2 - f 2 Dh3xg3f 64. K f 2 - e 2 Dg3xe3f! 65. S d l x e 3 Sf5xd4f 66. K e 2 - d 2 Sd4xc6 67. Se3xd5 Sc6 —d4 nebst Sd4xb3 und gewinnt. Auf dieses strategische Meisterstück war Larsen stolzer als auf die nächste Glanzpartie, wie er selbst sagte. Der Leser mag ein eigenes Urteil fällen.

131

Zu diesem Turnier kam Petrosjan frisch von seiner ersten erfolgreichen Verteidigung des Weltmeistertitels. Das Schachpublikum meinte, eine Ära der Vorbeugung sei heraufgezogen. Doch hier traf die unwiderstehliche Kraft Larsens auf das unbewegliche Objekt — und das Objekt machte Platz. Dies ist die Partie, die um die Schachwelt ging und die Schönheit Caissas neu bestätigte. (Um gerecht zu sein, muß erwähnt werden, daß auch Petrosjan seinen Anteil an Siegen über seinen philosophischen Rivalen aufzuweisen hat.)

Schwarz hat eine bekannte Vereinfachungsmethode angewandt. Doch seine einzige gutstehende Figur ist der Königsläufer, während Weiß ein freies Spiel hat. 10. Ddl — d2 d7 —d6 11. Lfl — e2 L c 8 - d 7 12. 0 - 0

0-0

13. T a l - d l 14. S c 3 - d 5

Ld7—c6 Tf8-e8

Schwarz hat keinen guten Plan, sondern muß abwarten, was Weiß unternimmt. Petrosjan überdeckt hier seinen Be7. Larsen ist wie gewöhnlich bereit zu aktivem Spiel. 15. f 2 - f 4

Larsen—Petrosjan 2. Piatigorsky-Cup 1966 Santa Monica Sizilianische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

e2-e4 Sgl — f3 d2 —d4 Sf3xd4 Lei — e3 c2—c4

c7-c5 Sb8 — c6 c5xd4 g7 —g6 Lf8-g7

Das Maröczy-System. Weiß nimmt das Zentrum in den Griff und versucht, Schwarz auf drei Reihen zu beschränken. 6. 7. 8. 9. 132

... Sbl —c3 Ddl x g4 Dg4 —dl

Sg8-f6 Sf6-g4 Sc6 x d4 Sd4-e6

Se6—c7

Wenn 15. ... S e 6 - c 5 , so 16. e4 —e5 (notwendig und stark: 16. ... L c 6 x d 5 17. D d 2 x d 5 b 7 - b 6 18. Dd5 —f3). Das vorbereitende 15. ... b7 —b6 ist beachtenswert, obgleich Weiß die Möglichkeit a2 —a4 —a5 erhält. 16. f4 —f5

Sc7-a6?!

Nachdem nun Larsen sich erklärt und scheinbar die Chance e4—e5 eingebüßt hat, glaubt Petrosjan, daß er ein Zentrumsspiel einleiten und den starken Punkt e5 ausnützen kann. Die Idee ist plausibel und nicht ohne Ehrgeiz. Sie erweist sich jedoch als zu zeitaufwendig. Es ist besser, statt dessen Erleichterung zu suchen in 16. ... Sc7xd5

17. e 4 x d 5 Lc6 —d7. Die schwarze Königsstellung ist dann verwundbar, aber er hat ein Gegenspiel mit b7 —b5. Auf Larsen macht diese Vorbeugungsmaßnahme keinen Eindruck. Er ist bereit zu einer Folge von kraftvollen Zügen und diktiert die Antworten. 17. L e 2 - g 4 ! Sa6-c5! 18. f5 x g6 h7 x g6 19. D d 2 - f 2 T e 8 - f 8 Petrosjan

Larsen

drohungen Sc5 x e4, e7 — e6 und vielleicht f7 —f5 die Herrschaft im Zentrum zu erlangen. Spielt Weiß 20. Le3xc5 d 6 x c 5 21. S d 5 - f 6 f (oder 21. D f 2 x c 5 L c 6 x d 5 22. Tdl x d5 Dd8 —b6 mit wahrscheinlichem Remis) 21. ... L g 7 x f 6 22. Tdl x d8 Ta8 x d8 23. D f 2 - e 2 oder c2 Td8 —d4, so hat Schwarz reichlichen Gegenwert für die Dame. Ein Techniker würde schließen, daß der weiße Angriff sich verbraucht hat. Larsen andererseits verdankt einen Teil seines geistigen Erbes den alten romantischen Spielern, die sich an der Suche nach schönen Kombinationen erfreuten. Sie sorgten sich nicht um wissenschaftliche Gewißheiten. Im Streben nach ihrem Ideal waren sie bereit, weit mehr als nur „Lappalien", wie schwache Felder und Bauerneinbußen, zu riskieren. So findet Larsen, treu seiner Göttin, deren Gunst er stets erwartete, einen trefflichen Weg, den Angriff fortzuführen. 20. e4—e5ü

Weiß am Zug

Eine inhaltsreiche Stellung! Wiederum erleben wir den ewigen Zusammenprall zweier widerstreitender Schachauffassungen. Im verfeinerten Geist Petrosjans, wo die Kontrolle von Schlüsselfeldern alles andere überragt, haben die schlangenartigen Manöver des Schwarzen den Angriff abgefangen, und er steht bereit, mit den Gegen-

Ein außergewöhnliches Opfer, die Pointe der letzten drei Züge. Es öffnet keine neue Linie, sondern lenkt den schwarzen Läufer lediglich auf ein Feld, von dem er bald wieder weichen muß. Der Zug gewinnt daher nur ein einziges Tempo. Aber nachdem Schwarz zwei Züge verbraucht hat, um seinen Turm von f8 weg und wieder zurück nach f8 zu bewegen und drei Tempi, seinen

133

Springer von e6 nach c5 zu bringen, bedeutet dieses eine Tempo einen entscheidenden Unterschied. Lehnt Schwarz den Bauern ab, ist er positioneil verloren.

Petrosjan

20. ... Lg7xe5 21. D f 2 - h 4 ! Lc6xd5 Er muß dem feindlichen Turm den aggressiven Vorposten d5 einräumen, denn 21. ... Tfi8 —e8 führt nach 22. Tfl x f7! Kg8 x f 7 23. Dh4 — h7f zum Matt. 22. T d l x d 5

Sc5 — e6

Der Springer eilt zum Schutz des Königs herbei. 22. ... e7—e6 23. Dh4 x d8 würde zwei Figuren gegen einen Turm einbüßen. Auf 22. ... S c 5 - e 4 23. Tfl - f 3 L e 5 - g 7 (hätte Weiß das Opfer e4—e5 nicht gebracht, wäre in der jetzt erreichten Stellung Schwarz am Zug — der kritische Unterschied eines Tempos) 24. T f 3 - h 3 S e 4 - f 6 25. Lg4—f3 und die weißen Drohungen Td5—b5 und Le3—h6 entscheiden. 23. Tfl — ß ! L e 5 - f 6 * 24. D h 4 - h 6 L f 6 - g 7

Larsen Scheinbar hat Schwarz den Angriff zurückgeschlagen. Es sieht so aus, als habe Weiß nichts Besseres als Stellungswiederholung mit 25. Dh6-h4. Die Szene ist vorbereitet für einen der schönsten Züge der Schachgeschichte. 25. Dh6xg6ü Ein erregtes Wispern breitete sich unter den Zuschauern aus — Larsen hat die Dame gegen den Weltmeister geopfert! Der Anhänger Caissas kann kein größeres Angebot machen, als sich von dem mächtigsten Offizier seiner

* In ihrem Buch „4 x 25" (Estland 1975) stellen Keres und Nei diesen Zug zu Recht in Frage und schlagen eine bessere Verteidigung vor: 23. ... f7—f5 24. Tf3 —h3 Kg8 — f7 25. L g 4 x f 5 g6 x f5 26. D h 4 - h 5 f K f 7 - f 6 27. g 2 - g 4 S e 6 - g 7 ! 28. L e 3 - g 5 t K f 6 - e 6 29. Dh5 — g6f L e 5 - f 6 30. g4 x f5f K e 6 - d 7 31. Lg5 x f6 Tf8 x f6 32. Dg6 x g7 D d 8 - g 8 und Schwarz flüchtet sich ins Endspiel mit nur einem mageren Bauern mehr für Weiß. Daher ziehen sie 17. b2—b4 vor. Caissa hatte andere Pläne.

134

Armee zu trennen. Das Damenopfer ist ein wiederkehrendes Thema in Larsens Partien. Für ihn muß es eine starke symbolische Bedeutung haben. Die Antwort des Schwarzen verlagert lediglich die Stellung des weißen Turms von f3 nach f4. (Wenn 25. ... Se6—c7, so 26. D g 6 x g 7 | ! und Matt in zwei Zügen.) 25. ... Se6-f4 26. Tf3 x f4 f7 x g 6 27. Lg4—e6f T f 8 - f 7 Die Alternative ist 27. ... K g 8 - h 7 28. T f 4 - h 4 f L g 7 - h 6 29. L f 4 x h 6 Tf8 —f5 (vermeidet das Matt im nächsten Zug — wenn 29. ... g6 — g5, so 30. T d 5 x g 5 D d 8 - b 6 f 31. c4 — c5) 30. T d 5 x f 5 g 6 x f 5 31. Le6 —f7ü e7—e5 32. T h 4 - h 3

D d 8 - b 6 f 33. K g l - hl nebst matt durch L h 6 - f 8 . 28. T f 4 x f 7 29. T d 5 - g 5 !

Kg8-h8 b7-b5

Oder 29. ... L g 7 - e 5 30. T g 5 x g 6 D d 8 - a 5 31. T g 6 - h 6 f K h 8 - g 8 32. Tf7 —f6f K g 8 - g 7 33. T f 6 - g 6 | K g 7 - f 8 34. T g 6 - g 8 matt. 30. T g 5 - g 3 . Schwarz gab auf, denn er kann das Matt nur durch Preisgabe der Dame abwenden. Eine neue „Immergrüne", die fortfahren wird, Generationen von Schachspielern zu entzücken, lange nachdem die nebelhafte Errungenschaft der „Vorbeugung" in die verstaubten Lehrbücher verbannt worden ist.

Im Jahre 1967 stellte Larsen einen modernen Rekord auf, indem er vier große Turniere hintereinander gewann. Und 1971 erreichte er zum drittenmal hintereinander das Halbfinale der Kandidaten-Wettkämpfe. So gebot er jenen „Realisten" Einhalt, die jedes Bestreben, den Schachschwerpunkt von Moskau wegzuverlagern, als unpraktikablen Idealismus abtaten. Die höchsten Ehren gebühren nicht nur den Wettkämpfern, die den Gipfel erreichen, sondern den Liebhabern des Schachspiels, die unsere Freude am Königlichen Spiel bereichern und die Entwicklung des schachlichen Denkens beleben. Wie ein gewisser großer russischer Spieler an der Jahrhundertwende bestätigt Larsen das romantische Erbe der Vergangenheit und deutet auf die Zukunft frischer, schöpferischer Schachkunst, zu einer Zeit in der Geschichte, in der entgegengesetzte Ideen vorherrschen. In Larsens Partien können wir in der Tat die schöpferische Statur eines neuen Tschigorin erkennen.

135

15. Spasski: Das Geheimnis Caissas „Schach, mit all seiner philosophischen Tiefe, seinem ästhetischen Reiz, ist zuallererst ein Spiel im besten Sinne des Wortes, ein Spiel, das den Intellekt, den Charakter, den Willen verrät. — B. Spasski Wer zum Mystizismus neigt, könnte die Hand Caissas während der Belagerung Leningrads mitwirken sehen. Denn ein kleiner Junge, 1937 dort geboren, befand sich unter den Glücklichen, die aus der belagerten Stadt evakuiert wurden. Viele Jahre später war Boris Spasski dazu bestimmt, der herausragende Spieler dieses symbolischen Kriegsspiels zu werden. Spasski stammt aus dem Volk der Russen, Menschen, die wegen ihrer Herzenswärme gefeiert werden. Und man kann in seinem Spiel jene legendäre Leidenschaft der russischen Seele entdecken, die historisch in die größten Kunstwerke umgewandelt worden ist. In den Partien Spasskis sind keine kleinmütigen Ideen des gierigen Punktesammlers zu erkennen, sondern vielmehr der kühne, schöpferische Vorwärtsdrang eines Liebhabers der Caissa. Sein Talent wurde natürlich frühzeitig erkannt und kultiviert. Selten gab es einen sowjetischen Spieler, der im Alter von 16 Jahren auf der internationalen Schachbühne debütierte. Doch Spasski tat es in Bukarest 1953, wo sein schöner Sieg gegen Smyslov ein wichtiges neues Talent ankündigte. Er zeigte dort Mut und kraftvolle Ideen, wie in der folgenden Stellung. Auf die vorzeitige Entwicklung der weißen Dame folgt eine scharfe Antwort.

136

Spasski

Troianescu Bukarest 1953 Schwarz am Zug

7. ... 8. D e 3 - d 2

Sf6-g4!

8. De3 —g3 erfahrt die kraftvolle Antwort 8. ... d 7 - d 5 ! nebst Le7-h4. 8. ... 9. Sc3 —dl

Le7—c5

Lei x d2 Lg4xe2 17. S d l - c 3 Le2—h5 erfreut sich Spasski des besseren Endspiels. Nach weiteren scharfen Schlagabtauschen siegte er in 40 Zügen. Glänzende und höchst originelle Ideen sollten zum Markenzeichen Spasskis werden. In der folgenden Stellung machte er einen der unglaublichsten Züge, die jemals aufgezeichnet wurden.

Falls 9. 0—0, so gewinnt 9. ... Dd8-h4. 9. ... 10. f 2 - ß

Dd8-e7 De7-h4fü

Kostet scheinbar eine Figur, doch Spasski hat tiefer gerechnet. 11. g2—g3 12. g3 x h4 13. K e l - f l

Sg4-e5! Se5xDf d7 —d5!

Die erste Pointe — es droht Matt in einem Zug und der Läufer wird angegriffen. 14. Kf1 — g2 15. L c 4 x d 5

Sf3xd2

Ist nicht der schwarze Springer gefangen? 15. ...

Lc8-g4!

Die zweite Pointe des 10. Zuges. Die Figur ist gerettet, und nach 16.

Spasski

1 MMI H^rH Jf A ¡ü ¡¡j m i i fü n j | i j | H Hü Aüi HA 11A H A 4 H H SS H ^ H H B H • Bn O Awerbach UdSSR-Meisterschaft 1956, Stichkampf Nach dem 16. Zug von Weiß

16. ...

Sb8—c6ü?

Wer sonst würde daran gedacht haben, in solcher Stellung eine Figur für lediglich einen Bauern herzugeben, mit nur schemenhaften Angriffsaussichten? Spasski überlegte

137

so: Schwarz hat eine sehr beengte Stellung ohne Gegenspiel. Mit normalen Zügen sieht er einem Erstikkungstod entgegen und verliert auf der h-Linie. Positionen ist er bereits verloren. Doch nach Preisgabe des Springers erhält er wenigstens eine offene Linie und kann eine Figur auf ein anständiges Feld bringen mit Sc7—e6—d4. Spasskis Idee ist so ungewöhnlich, daß die Zuschauer protestiert haben müssen, das Demonstrationsbrett möge korrigiert werden. (Erstaunlicherweise vermochte Großmeister Awerbach die gewonnene Figur nicht zu verwerten. Nach vielen Wechselfällen endete die Partie nach 73 Zügen unentschieden.) Es wurde klar, daß Spasski kein Dogmatiker ist, sondern zur schöpferischen Schule gehört. •

Es ist ein altes Werkzeug der psychologischen Kriegführung, dem Gegner mit seinen eigenen Lieblingswaffen zu begegnen. Aber die Wahl einer so romantischen Eröffnung wie das Königsgambit gegen Bronstein, dessen modernen Verfechter, bedeutete, daß Spasski seinem Gegner Tribut zollte und zu sagen schien: „Laß uns Ideen verknüpfen und etwas Unterhaltendes hervorbringen, vielleicht etwas Schönes, wie die Partien der romantischen Ära." 138

Spasski—Bronstein UdSSR-Meisterschaft 1960 Königsgambit 1. 2. 3. 4. 5.

e2—e4 £2—f4!? Sgl — f3 e4 x d5 Sbl —c3

e7-e5 e5xf4 d7-d5 Lf8-d6 Sg8-e7

Es ist typisch für Bronstein, daß er etwas Ungewöhnliches erforschen will. Gebräuchlich ist 4. oder 5. ... Sg8-f6. 6. d2—d4 7. Lfl — d3 8. 0 - 0

0-0 Sb8-d7 h7 — h6(?)

Zeitverschwendung und eine Schwächung. Vielleicht plant er g7 —g5, aber Weiß entfaltet nun eine große Initiative. Angezeigt ist 8. ... S d 7 - f 6 . 9. 10. 11. 12. 13.

Sc3-e4! S e 7 x d 5 c2—c4 Sd5-e3 Lclxe3 f4xe3 c4—c5 Ld6-e7 Ld3—c2

Bereitet eine banale Mattdrohung vor. Weil der Punkt g6 seine Dekkung eingebüßt hat, wäre nun 13. ... f7 —f5 14. S e 4 - g 3 f 5 - f 4 ? 15. Ddl — d3 zu riskant für Schwarz. 13. ... Tf8-e8 14. Ddl — d3 e3 —e2

Bronstein

Spasski Weiß am Zug

Bronstein benützt den (dem Untergang geweihten) Bauern als ein Ablenkungswerkzeug zwecks Zeitgewinn. Weiß kann gefahrlos eine gute Partie erhalten mittels 15. Tfl — f2 S d 7 - f 8 16. Sß-e5 L c 8 - e 6 17. Tal - e l . Doch Spasski ist ein junger Mann, der bereits die Verlockung der Unsterblichkeit verspürt. 15. Se4-d6ü? Nicht einmal auf Kosten eines Turms unterbricht er einen Augenblick seinen Angriff. In dieser Lage sind normale Werte außer Kurs, und ein Tempo ist in der Tat so viel wert wie ein Turm. Nur ein außergewöhnlicher Schachverstand ist zu einer solchen Schlußfolgerung in der Lage. 15. ...

Sd7-f8?!

Jeder andere in der Welt würde zuerst den Turm schlagen und später hinsehen — außer Bronstein! Hier jedoch kostet ihn seine Vorliebe, anders zu sein, wahrscheinlich die Partie. Die richtige Verteidigung hat Spasski später gezeigt: 15. ... e 2 x f l D | 16. Tal x fl L e 7 x d 6 17. Dd3 — h7f K g 8 - f 8 18. c 5 x d 6 c 7 x d 6 19. D h 7 - h 8 f K f 8 - e 7 20. T f l - e l f S d 7 - e 5 21. D h 8 x g 7 T e 8 - g 8 22. D g 7 x h 6 D d 8 - b 6 23. Kgl-hl L c 8 - e 6 24. d 4 x e 5 d6—d5 und dem schwarzen König kann nicht mehr angetan werden als ein Dauerschach. 16. Sd6xf7! e2 x f l D f 17. T a l x f l Lc8-f5 Der Tfl ist nicht fortgelaufen, aber doch der Springer, denn 17. ... Kg8 x n führt zum Matt nach 18. S f 3 - g 5 t K f 7 - g 8 19. L c 2 - b 3 f . Schwarz benutzt daher seinen Läufer wie der Mann in dem russischen Märchen, der sein Kind den reißenden Wölfen vorwirft — und nur einen Moment Aufschub gewinnt. Die beste praktische Chance lag in 17. ... D d 8 - d 5 18. L c 2 - b 3 D d 5 x b 3 (nicht 18. ... D d 5 - h 5 19. Sf7xh6f K g 8 - h 8 20. S h 6 - f 7 f K h 8 - g 8 21. S f 7 - g 5 f K g 8 - h 8 22. Lb3-f7 nebst Lf7xe8) 19. D d 3 x b 3 f L c 8 - e 6 20. Sf7xh6f g 7 x h 6 mit drei Figuren für die Dame; doch die drei Bauern, die Weiß nach 21. D b 3 x b 7 mehr besitzt, wiegen schwer.

139

18. D d 3 x f 5 19. D f 5 - f 4 20. S f 3 - e 5

Dd8-d7 Le7-f6 Dd7-e7(?)

Schwarz könnte seinen Widerstand verlängern, wenn er hier die Qualität zurückgibt (20. ... L f 6 x e 5 21. Sf7xe5 Te8xe5). Nun geht es schnell zuende, weil nichts den mächtigen weißfeldrigen Läufer aufhalten kann. 21. Lc2 — b3 L f 6 x e 5 22. S f 7 x e 5 t K g 8 - h 7 Oder 22. ... K g 8 - h 8 23. D f 4 - e 4 (droht 24. Tfl x f 8 f ) 23. ... g 7 - g 5 24. Tfl —f7 D e 7 - d 8 25. D e 4 - h 7 f Sf8xh7 26. S e 5 - g 6 | K h 8 - g 8 27. Tf7 — d7f T e 8 - e 6 28. L b 3 x e 6 matt. Erwähnenswert ist auch 22. ... S f 8 - e 6 23. S e 5 - g 6 D e 7 - d 7 24. D f 4 - e 4 ! , drohend 25. Tfl - f 8 f 23. D f 4 - e 4 f . Schwarz auf.

gab

23. ... g7 —g6 24. Tfl x f8 nebst De4xg6f führt ebenso zum Matt wie 23. ... K h 7 - h 8 24. Tfl xfBf. Eine Schachpartie, wie sie gespielt zu werden pflegte, bevor die Ära der Technik anbrach. *

Opfer kamen reichlich in den Partien des jungen Spasski vor; doch 140

für ihn waren sie nicht zwanghaft wie bei Tal. Sie flössen aus seinem natürlichen Wunsch nach Angriff. Als er heranreifte, vervollkommnete er die Kunst, anhaltende Angriffe zu bekommen, so regelmäßig wie der große Keres. Mit den weißen Steinen war er sehr schwer zu stoppen. Hier überwältigte er einen für seine Verteidigungskraft bekannten Gegner.

Spasski—L. Evans Olympiade Warna 1962 Königsindische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5.

d2-d4 c2—c4 Sbl — c3 e2 —e4 f2—f3

Sg8-f6 g7 — g6 Lf8-g7 d7-d6

Während Petrosjan die Sämischvariante zum Zwecke eines langsamen, mit Raumgewinn verbundenen Stellungskriegs anwandte, benutzt Spasski sie für einen weitoffenen Überfall auf den feindlichen König. 5. ... c7 —c6 6. Lei—e3 a7 —a6 7. Ddl — d2 b7 —b5 Ein Verteidigungssystem, dessen Wirksamkeit der Amerikaner Robert Byrne nachgewiesen hat.

8. 0 - 0 - 0

b5 xc4(?)

Evans

Aber dieser Tausch ist unüberlegt, ganz gewiß vor einem Zug des Lfl. Besser ist 8. ... D d 8 - a 5 9. K c l - b l S b 8 - d 7 ; die Frage der Rochade bleibt offen. 9. Lfl xc4 10. h2—h4

0-0 d6 — d5(?) Spasski

Theoretisch ist ein Schlag in der Mitte als Antwort auf den weißen Flügelangriff geboten. An dieser Stelle wäre jedoch 10. ... h 7 - h 5 , um ihn zu verlangsamen, klüger gewesen. 11. L c 4 - b 3 d 5 x e 4 12. h4 — h5! Spasski ist in seinem Element. Sich mit dem Rückgewinn des Be4 aufzuhalten, würde den Angriff nach 12. f3 xe4 Lc8 —g4 ins Stocken geraten lassen. Jetzt würde 12. ... Sf6xh5 13. Le3 —h6 schnell verlieren, zum Beispiel 13. ... Sh5 —g3 14. Lh6 x gl Sg3 x hl 15. Lg7xf8 D d 8 x f 8 16. Sc3xe4 L c 8 - f 5 17. Tdl — fl und eine Figur sitzt in der Falle. 12. ... 13. h 5 x g 6

e4xf3 h7xg6

Weiß am Zug

14. Le3-h6! Ein Zug, der Spasskis Kaltblütigkeit beweist. Gibt man einen zweiten Bauern auf, ist man zu raschem Erfolg im Angriff verpflichtet oder zur wahrscheinlichen Niederlage verdammt. Auch in seinen schicksalsschwersten Begegnungen zögert Spasski nicht, die Niederlage zu riskieren. Er ist ein überragender Kämpfer, dessen Nerven standhalten. Hält er sich hier mit 14. Sgl x f3 auf, verteidigt sich Evans mit 14. ... Sf6-g4. 14. ... f3xg2 15. Thl — h4! Hält die Drohung des dreizügigen Matts aufrecht. Falls 15. ... Sf6 —h5?, so 16. T h 4 x h 5 g 6 x h 5 17. D d 2 - g 5 . 141

15. ... 16. L h 6 x g 7 17. D d 2 x g 2

Sf6-g4 Kg8xg7 Sg4-h6(?)

Der amerikanische Landesmeister hält zäh an dem eroberten Material fest. Verhältnismäßig am besten war es, einen Teil davon zurückzugeben und 17. ... T ß - h 8 18. T h 4 x g 4 L c 8 x g 4 19. D g 2 x g 4 Dd8 — d7 zu spielen; gleichwohl behielte Weiß mit seinen beiden Figuren für den Turm einen Mittelspielvorteil. Andere Versuche werden rasch widerlegt, wie 17. ... Sg4—e3 18. D g 2 - h 2 T f 8 - h 8 19. T h 4 x h 8 D d 8 x h 8 20. D h 2 - e 5 f , oder 17. ... f7 —f5 18. Sgl — f3 T f 8 - h 8 19. Tdl - hl Th8 x h4 20. T h l x h4, gefolgt von D g 2 - h 3 oder S f 3 - g 5 mit überwältigendem Angriff. Es war jedoch nicht leicht zu sehen, daß der Angriff nach dem Textzug bereits entscheidend ist. 18. Sgl — f3 19. T h 4 - h 2

Sh6-f5 Dd8-d6

In der Hoffnung, mit Dd6 — f4f im trüben Wasser fischen zu können. Unwesentlich besser ist 19. ... D d 8 - c 7 , während 19. ... T f 8 - h 8 wegen 20. Lb3 x f7! verliert und 19. ... Sg4—e3 wegen 20. Dg2—g5. Spasskis Schlußzüge sind direkt und vernichtend. 20. S f 3 - e 5 21. S c 3 - e 4 22. T d l - h l

142

Sb8-d7 Dd6—c7 Tf8-g8

Oder 22. ... S d 7 - f 6 23. L b 3 x f 7 nebst matt. 23. Th2 — h7f K g 7 — f8 24. Th7 x f7f K f 8 - e 8 25.Dg2 x g6 Sd7 x e5 Oder 25. ... T g 8 x g 6 26. T h l - h 8 f . 26. T f 7 —f8f. Schwarz auf.

gab

Er ist im nächsten Zug matt. Die folgende Partie ist die letzte und beste eines höchst bemerkenswerten Trios, die sich alle in einem Wettkampf ereigneten. Spasski entwarf einen breiten, strategischen Plan in der geschlossenen Variante der Sizilianischen Verteidigung. Er überließ Schwarz den Damenflügel und setzte ganz auf den Königsangriff. M i t schlagender Beständigkeit hatte er die ersten beiden Partien mit Hilfe glänzender Opfer vor der Festung des Königs gewonnen.

Spasski—Geller Kandidaten-Wettkampf 1966 Sizilianische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

e2-e4 Sbl — c3 g2 —g3 L f1 — g2 d2—d3 £2—f4

c7-c5 d7 —d6 Sb8 — c6 g7 —g6 Lf8-g7 Sg8-f6

Hartnäckiges Festhalten an dem gleichen Verteidigungs-System. In der nächsten Partie spielte Geller endlich das elastischere 6. ... e7 — e6 und 7. ... Sg8—e7 mit befriedigendem Ergebnis. 7. 8. 9. 10.

Sgl — ß 0-0 h2—h3 a2 —a3

... a7 —a5 Lei — e3 b5 —b4 a3xb4 a5xb4 Sc3-e2 Lc8-b7 b2 —b3

Der erste neue Zug — im vorangegangenen Spiel war 14. Ddl—d2 geschehen. Weiß bildet eine feste Bauernkette, deren Basis, der cBauer, er solange festhält, bis es keine Rolle mehr spielt. 14. ...

Geller

0-0 Ta8-b8 b7 —b5

Wie gewöhnlich rückt Schwarz am Damenflügel vor, Weiß am Königsflügel. Spasskis Beitrag hier ist die Idee von a2 —a3, die zur Öffnung der a-Linie führt, die Schwarz benutzt, um mit seinen Figuren einzudringen. Routinemäßig läßt Weiß den Bauern unangetastet auf a2, doch später wird er Angriffen ausgesetzt sein oder Schwarz drückt b4 —b3 oder a4 — a3 durch. Spasskis originelle Idee bedeutet, daß er seine Linie „opfert". Er rechnet auf seinen Aufmarsch am Königsflügel. 10. 11. 12. 13. 14.

15. T a l - c l ! Ta8 — a2 16. g 3 - g 4

Tb8-a8

Spasski Der weiße Angriff auf der anderen Brettseite beginnt bescheiden. Es ist durchaus nicht klar, wer zuerst durchdringt. (Man sehe Retis poetische Erörterung einer ähnlichen Lage in der berühmten Partie Pillsbury—Tarrasch.) Schwarz unternimmt nun ein Damenmanöver, das sich schließlich als nicht sehr wirkungsvoll herausstellt und allzu wenige Verteidiger für den König zurückläßt. Zu versuchen war das sofortige 16. ... Sc6 —a7 oder 16. ... e7—e6. 16. ... Dd8 — a8(?) 17. Ddl — el D a 8 - a 6 18. Del — f2 Vermeidet die Falle 18. D e l - h 4 ? Ta2xc2 (auch einfach Sf6xe4 ist 143

gut, der Übersetzer) 19. T c l x c 2 Da6 x d3 und das weiße Spiel fallt plötzlich auseinander. 18. ...

23. Tfl x f6! e7 x f6 24. Dh4—h7f Kg8—f8 25. Sg5 x f7ü

Sc6 — a7(?)

Gnadenlos entblößt Spasski den Hier versäumt Geller die letzte gute schwarzen König. Falls nun 25. ... Chance für e7 — e6 (ohne Furcht Kf8 x f7, so 26. L e 3 - h 6 T c 8 - g 8 vor den Verwicklungen nach 19. 27. S e 2 - f 4 ! d 6 - d 5 ! 28. e4xd5! e4 — e5 d6 x e5) und sattelt zu einem f6 —f5 29. S f 4 - e 6 und Weiß, der Springermanöver, gegen das es noch immer einen Turm weniger keine Verteidigung gibt — außer ei- hat, gewinnt leicht, zum Beispiel 29. ... Ta2 x c2 30. Tel x c2 Sa3 x c2 31. nem siegreichen Angriff. Lh6 x gl und so fort. 19. f 4 - f 5 Sa7-b5 20. f5 x g6 h7 x g6 25. ... Ta2 x c2 21. S f 3 - g 5 S b 5 - a 3 22. D f 2 - h 4 Tf8 —c8 Zu spät! Aber es gibt keine VerteidiSchwarz gibt seinem König das be- gung. nötigte Fluchtfeld, bevor er den preisgegebenen c-Bauern schlägt. 26. L e 3 - h 6 ! T c 2 x c l f Der sich langsam entwickelnde 27. Se2 x cl K f 8 x f 7 weiße Angriff hat seinen Höhe28. D h 7 x g 7 f K f 7 - e 8 punkt erreicht — neuerlich wird 29. g 4 - g 5 ! eine Kombination gefordert ... Geller p x p ^ I P

V/S//S/S.

'-///Ji/M

¡ P ^ i P § 1 ¿>11 'BP •//////.

Spasski 144

Der stille Zug, der zwei verbundene Freibauern einbringt und damit die Partie entscheidet, denn auf 29. ... f6 x g5 würde 30. Lh6 x g5 zum Matt führen. 29. 30. 31. 32.

... f6 —f5 Dg7xg6|Ke8-d7 Dg6 — f7f Kd7 — c6 e 4 x f 5 f . Schwarz gab auf.

Nach 32. ... K c 6 - b 6 33. L g 2 x b 7 D a 6 x b 7 34. D f 7 x b 7 | K b 6 x b 7

35. f5 — f6 ist der Rest für Weiß ein Spaziergang. Der schwarze Springer steht sinnlos auf a3 als schweig-

samer Zeuge der törichten Jagd auf Bauern, während der eigene König sich in tödlicher Gefahr befand.

Im Alter von 19 Jahren qualifizierte sich Spasski für das Weltmeisterschafts-Kandidaten-Turnier. In den nächsten beiden Zyklen ist er jedoch nicht so weit gekommen. Sein Ehrgeiz und seine Liebe zum Schach ließen während dieses Zeitraums nicht nach, trotz einiger bitterer Enttäuschungen. Er verbreiterte das Fundament seines Könnens, erwarb Erfahrungen in verschiedenen Systemen einschließlich geschlossener Partien. Im Jahre 1966 dann, nach entscheidenden Wettkampfsiegen über einige der größten Spieler, gewann er das Recht, sich mit Weltmeister Petrosjan in einem Titelkampf auseinanderzusetzen. In dieser ersten Begegnung schien Spasski sich geändert zu haben. Sein gewöhnlich dynamisches Angriffsspiel trat nicht in Erscheinung. Er begab sich in geschlossene Stellungen, in weitläufige Manöver, die als Petrosjans Stärke bekannt waren. Er schien stillschweigend einzugestehen, daß seine eigenen Lieblingswaffen nicht scharf genug waren, um den „Großen Verhinderer" zu schlagen, und suchte darum Petrosjan auf dessen eigenem Gebiet zu begegnen. Spasski strapazierte seine Vielseitigkeit zu sehr und unterlag dem Weltmeister knapp. Spasski wurde von enttäuschten Parteigängern der romantischen Schule bald zur Rede gestellt. Sie ließen den Verdacht des Verrats anklingen. Was sie nicht einsahen, war der gewaltige Ehrgeiz und der psychologische Mut, der hinter seiner Strategie verborgen lag — er versuchte, den Weltthron als Meister aller Facetten des Schachs zu besteigen — als universeller Spieler. Spasski erschütterte der Rückschlag nicht. Er konnte seinen hohen Ehrgeiz auf Caissas begehrtesten Lorbeer nicht aufgeben, weil er die Schachmuse zu sehr liebte. Zwei Jahre später kämpfte er sich über drei weitere aufreibende Kandidaten-Wettkämpfe zu einem zweiten Titelkampf durch, dem er ein Studium der Schachpsychologie vorangehen ließ. Statt des Grabenkriegs des ersten Wettkampfs zwang Spasski das Spiel, wenn immer möglich, in offene Kanäle und suchte einen weiten Angriffs-Spielraum. Eine Sensation rief hervor, daß er die verpflichtende Tarrasch-Verteidigung mit ihrem aktiven Figurenspiel erfolgreich als Überraschungswaffe ausgrub. Es folgt die entscheidende und den Wesenskern zeigende Partie des Weltmeisterschaftskampfs. 145

Obwohl Spasski früh mit aggressivem Spiel die Führung an sich riß, schlug Petrosjan zurück, indem er den Konflikt in die von ihm selbst bevorzugten Kanäle steuerte. Vor dieser neunzehnten Partie hat Spasski nur einen einzigen Punkt Vorsprung. Gewinnt Petrosjan sie und wahrt bis zur 24. Partie den Gleichstand, behält er seinen Titel. Die Lage ist hochdramatisch: diese Partie kann für Spasski den Höhepunkt einer Karriere bedeuten, die ihn mit der Anstrengung eines Herkules auf den Gipfel führt. Weniger große Gemüter würden in Furcht erstarren und wären geneigt Vorsicht walten zu lassen. Statt dessen werden wir erleben, aus welchem Stoff Helden gemacht sind.

Spasski—Petrosjan Weltmeisterschaftskampf 1969 Sizilianische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5.

e2—e4 Sgl —f3 d2-d4 Sf3 x d 4 Sbl — c3

c7-c5 d7 —d6 c5xd4 Sg8-f6 a7 —a6

Die Eröffnungswahl des Weltmeisters ist nicht ohne Mut. Er hofft vielleicht, daß der Herausforderer den Bogen überspannen wird. 6. Lei — g5

Sb8 — d7

Schwarz vermeidet das gewagte 6. ... e7—e6 7. f 2 - f 4 D d 8 - b 6 8. 146

Ddl — d2 D b 6 x b 2 und hofft, das Spiel geschlossener zu halten. 7. Lfl — c4 8. Ddl — d2

Dd8-a5 h7—h6

Die übliche Fortsetzung ist 8. ... e7—e6. Spasski gewinnt nun ein Tempo, indem er seinen Läufer gegen einen Springer tauscht. 9. Lg5xf6! S d 7 x f 6 10. 0 - 0 - 0 e7 —e6 11. T h l - e l Nun hängt die Öffnung der e-Linie in der Luft, vielleicht über ein Figurenopfer auf d5. Der Zug drängt Petrosjan, die Absichten seines Königs zu erklären. 11. 12. 13. 14.

... Lf8-e7 f2 — f4 0-0 Lc4-b3 Tf8-e8 Kcl-bl

Die letzten beiden Züge des Weißen sind etwas langsam. Jedoch war der Läufer auf c4 dem Vorstoß b7 — b5 — b4 oder einem Damenzug ausgesetzt. Außerdem fördert der Königszug die Möglichkeit 15. S c 3 - d 5 D a 5 x d 2 (ohne Schach!) 16. Sd5xe7f und schützt gegen Überraschungen wie 14. f4—f5? Sf6-g4!, drohend L e 7 - g 5 . 14. ... 15. g2—g4!?

Le7-f8

Spasski greift furchtlos an. 15. ...

Sf6xg4!?

Es scheint, als ob auch Petrosjan gewinnen will! Sonst würde er das Bauernopfer ablehnen und seinen König nicht dem kommenden Überfall, vor dem ihn sein Instinkt hätte warnen müssen, aussetzen. Eine vernünftige Verteidigung bestand in 15. ... e6 —e5 16. S d 4 - f 5 Lc8 x f5.

hungen 20. D g 2 - g 6 und 20. Tdl x d6 (stünde nicht der Läufer auf d7, könnte Schwarz sich mit 19. ... Da5 — c7 verteidigen). 19. T d l - f l

Da5-d8?

Für 19. ... e6—e5 war es zu spät wegen 20. S d 4 - e 6 ! f 7 x e 6 21. f5 x e6 Ld7 x e6 22. Tfl x f6. Recht gute Hoffnungen verblieben ihm aber mit 19. ... Da5—e5. Dieser Zug verteidigt den Springer, während er e4—e5 aufhält. Schwarz wäre vorbereitet auf 20. Sd4—f3 16. D d 2 - g 2 S g 4 - f 6 De5—c5 oder 20. f 5 x e 6 L d 7 x e 6 17. T e l - g l Lc8-d7 21. L b 3 x e 6 f 7 x e 6 22. S d 4 - f 3 Nach 17. ... K g 8 - h 8 18. T d l - f l De5—h5. Die Lage ist schwer zu (nicht 18. f4 —f5 e6 x f5 19. Lb3 x f7 beurteilen. Te8-e7) D a 5 - c 7 19. f 4 - f 5 Der Textzug gibt Spasski Gelegene6—e5 20. Sd4—e2 konnte Schwarz heit zu einer eleganten Kombinadie Stellung festigen und seinen zu- tion. sätzlichen Bauern behaupten. Weiß würde dann aber d5 mit dem Sprin20. f5 x e6 f7xe6 ger besetzen und die Führung behaupten. Petrosjan unterschätzt selten die Petrosjan gegnerischen Drohungen. Hinter seiner Partieführung mag sich der unterbewußte Gedanke verbergen, daß seine Gastrolle bei der Vorsehung sich dem Ende nähert. 18. f4 —f5

Kg8-h8

Hier wird 18. ... e 6 x f 5 stark mit 19. e 4 x f 5 beantwortet, und 18. ... e6 — e5 wird einfach durch 19. S d 4 - e 2 (nicht 19. D g 2 - g 6 ? Kg8—h8!) widerlegt mit den Dro-

Spasski

21.e4-e5! 22. Sc3-e4!

d6xe5 Sf6-h5

Jeder andere Springerzug gestattet 23. T f l x f B f nebst Matt auf gl, während 22. ... e5 x d4 die vernichtende Antwort 23. Se4xf6, drohend Dg2 —g6, zur Folge hat.

folge der Gegendrohung auf fl Zeit zu Df5) 26. ... Ld7—c6 (oder 26. ... h6 xg5 27. Se4 xg5 nebst matt) 27. Se4 — f6 L c 6 - e 4 (Schwarz hat nichts anderes) 28. Dg6xh6f gl x h6 29. T g 5 - g 8 matt (Geller). Vielleicht möchte Petrosjan die heroischen Dimensionen des Sieges Spasskis begrenzen.

23. D g 2 - g 6 ! e 5 x d 4 24. Se4-g5. Es ist schade, daß Petrosjan 23. ... Sh5 —f4 vermeidet, einen Zug, der Spasski Gelgenheit gäbe, die Kraft und Schönheit seiner mit dem 21. Zug eingeleiteten Kombination zur Schau zu stellen. Es würde folgen: 24. Tfl x f4! e 5 x f 4 25. S d 4 - f 3 ! Dd8 - b6 (sonst 26. S4g5 nebst matt oder Damengewinn) 26. Tgl— g5ü (mitten im Mattangriff ein Verteidigungszug — nicht 26. Tgl—g2/4? Db6—b5! und Schwarz gewinnt in-

Schwarz gab auf. Falls 24. ... h6 x g5, so 25. D g 6 x h 5 f K h 8 - g 8 26. Dh5 —f7f K g 8 - h 8 27. T f l - f 3 und es gibt keine Rettung. Dieser in der großen Angriffstradition von Marshall, Aljechin und Keres errungene Sieg hatte den Kampf so gut wie entschieden. Nach vier weiteren Partien hatte die Welt der Caissa einen neuen Champion: Boris Spasski.

Spasskis Odyssee bis zum Gipfel war die schwierigste und aufreibendste Leistung der Schachgeschichte. In ihrem Verlauf mußte er nicht weniger als acht Einzelkämpfe gegen einige der besten Spieler der Welt ausfechten, von denen er sieben gewann. Aus seinem ersten erfolglosen Ansturm, bei dem seine strategische Psychologie sich im Widerstreit mit seiner wahren Natur als Schachkünstler befand, stieg er zu größeren schöpferischen Höhen auf. Sein schließlicher Sieg ist eine schlagende Bestätigung seiner schöpferischen Methode im Schach. Diese Errungenschaft beweist, daß Spasski das Geheimnis Caissas herausgefunden hat: jeder Künstler muß den wahrsten Anstößen seiner inneren Natur folgen. Nur getreu dieser Erkenntnis kann er jede seiner Möglichkeiten im Schach ausschöpfen. Spasskis Bestimmung war, über die Schachwelt zu herrschen, ein Leitstern für all jene Liebhaber unseres Spiels, für die Schach eine schöne Kunst bleibt. 148

16. Fischer: Die Grenzen des Genies „Sie haben das Schach beinahe zugrunde gerichtet". — R. J. Fischer In der Geschichte blühte das Schachspiel unter den Völkern auf, die sich auf dem Gipfel ihrer Kultur und ihres Einflusses befanden. Somit war das Königliche Spiel vor mehr als tausend Jahren unter den Persern und später den Arabern im Schwange. Als Europa im Mittelalter zum beherrschenden Mittelpunkt der Kultur wurde, verlagerte sich auch das Schachzentrum der Welt nach Europa. In der Mitte des 20. Jahrhunderts, als Rußland sich zur ersten Weltmacht entwickelte, zog die Schachhauptstadt gen Osten. Auf der anderen Seite des Ozeans, in den Vereinigten Staaten, deren Bürger in der Welt auf vielen Gebieten führend waren, blieb Schach irgendwie fremd. Es hat dort nie eine Aristokratie wie in der Alten Welt gegeben, die ihre Mußestunden in plüschbezogenen Wohnräumen mit dem Spiel der Könige und Ritter vertändeln konnte. Das individualistische Pionierleben Amerikas war einem anspruchsvollen intellektuellen Spiel nicht förderlich. Der aggressive Antrieb, der einen Kontinent unterwarf, erforderte kein symbolisches Ventil. Daher fehlte dem Salonspiel par excellence, obgleich es das Nützlichkeits-Interesse des Gründungsvaters Benjamin Franklin beanspruchte, in der neuen Nation die Volkstümlichkeit. Dennoch spielten einige Leute in Amerika Schach. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts Paul Morphy hervortrat und die besten Spieler der Alten Welt bezwang, hieß ihn bei der Heimkehr eine kleine, aber stolze Brüderschaft von Schachspielern willkommen. Es gab damals jedoch keinen offiziellen Welttitel, und Morphys Laufbahn war allzu kurz. Sein Endspiel im Leben war eine Tragödie. Langsam wuchs im Land eine Schachtradition heran, genährt von Gastaufenthalten europäischer Spitzenspieler. Kurz vor der Jahrhundertwende stieg ein neuer amerikanischer Stern, Harry Nelson Pillsbury, wie ein 149

Komet am internationalen Schachhorizont herauf. Nach einigen sensationellen Triumphen ging auch er wieder unter und starb früh. In den dreißiger Jahren beherrschten die Mannschaften der Vereinigten Staaten die olympischen Turniere. Dennoch entging der am höchsten geschätzte Titel der Schachwelt, die Einzel-Weltmeisterschaft, dem amerikanischen Zugriff. Nach dem Krieg gab Reuben Fine den wirtschaftlichen Gegebenheiten nach und zog sich aus dem Berufsschach zurück. Samuel Reshevsky führte einen tapferen Kampf gegen eine gewaltige sowjetische Übermacht, um den Gipfel zu erstürmen und scheiterte. Die amerikanische Gesellschaft ist kein guter Gastgeber für den Schachspieler, aus vielen Gründen. Wer aufbaut und dynamisch Handel treibt, schätzt eine rein ästhetische und intellektuelle Beschäftigung ebenso wenig wie einen Sport ohne Spektakel. Der Künstler ist in unserem Land eine fremdartige Gestalt geblieben, der die Wahl hatte, seine Erfüllung im Ausland zu suchen oder in der Heimat auf kümmerliche Weise eine schwierige Existenz zu fristen. Ebenso ergeht es dem Schachspieler. Die Künste in Amerika — und Schach ist keine Ausnahme — kämpfen um das Wohlwollen der Reichen. In unserem Wertesystem unterliegt ein junger Mann, der gern sein Leben dem Schach widmen möchte, starkem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Druck, etwas Herkömmlicheres zu tun. Réti bemerkte im Jahre 1922: „Unter einem Schachmeister stellen sich die meisten einen Stadtmenschen vor, der sein Leben in der Rauch- und Spielatmosphäre der Kaffeehäuser und Klubs verbringt, einen Neurastheniker, dessen Nerven und Gehirn fortwährend angespannt arbeiten, einen Einseitigen, der seine ganze Seele dem Schach verschrieben hat." Die Mehrheit der Amerikaner weiß wenig von Schachmeistern, sondern glaubt, Schach sei ein Spiel für „Kluge" oder ältere Herren, die Stunden für jede Partie brauchen. Nur einen körperlichen Kampf sehen sie als Sport an. Es ist unvorstellbar, daß ein amerikanischer Schachspieler als „Sportler des Jahres" gewählt werden könnte, wie es vor einigen Jahren dem Landesmeister von Jugoslawien widerfuhr und neuerdings auch dem Russen Karpov. Dennoch nimmt das Schachinteresse in den Vereinigten Staaten zu. Eine noch immer kleine, aber wachsende Gruppe von Amerikanern widmet sich diesem Spiel. Für viele ist Schach Leben. Auch wenn sie in anderen Berufen arbeiten müssen, um zu leben, sind das für sie Nebensächlichkeiten: die wahre Liebe gehört Caissa. Nehmen wir als gegeben an, daß das amerikanische Milieu im Grunde dem Schach nicht wohlgesinnt ist, so gibt es dennoch eine Persönlichkeit, 150

die als Reaktion gegen die amerikanische Einstellung erscheint und doch ein ganz und gar typischer Amerikaner ist. Denn er hat den Individualismus zu seiner äußersten Grenze geführt. Das ist nur eines der Paradoxe von Bobby Fischer, den viele als das größte Schachgenie aller Zeiten betrachten. Außerdem ist er der rätselhafteste Schachspieler, manche fürchten, daß er auch der tragischste sein wird. Robert James Fischer wurde 1943 in Chikago geboren. Der Psychologe wird festhalten, daß er seinen Vater nie gekannt hat. Nach der Scheidung nahm seine Mutter Regina das Kind energisch und tüchtig in ihre Obhut. Über die Bedeutung, die ihr lateinischer Name „Königin" hat, läßt sich streiten. Doch ihr Kind sollte durch Vorsehung mit dem Königlichen Spiel in Berührung kommen. Mit sechs Jahren lernte er die Züge, der Faszination des Spiels aber erlag er erst vier Jahre später, in einem Alter, wenn Jungen für die Verlockungen Caissas besonders anfällig zu sein scheinen. Zu seinem Glück lebte er in New York, wo es berühmte Klubs gab, wo sein ganz besonderes Talent bald erkannt und gegen starke Partner erprobt wurde. Als er zwölf war, spielte er bereits wie ein Meister. Mit 13 gewann er die Nationale Juniorenmeisterschaft. Doch wichtigere Dinge ereigneten sich unter der Oberfläche. Bobby Fischer schloß mit sich selbst einen Vertrag. Von dieser Zeit an war Schach das Leben selbst, war Schach fast das Universum für ihn. Und Caissa sollte sich für diese Hingabe in reichem Maße erkenntlich zeigen. Die amerikanische Schachgemeinde machte eine wichtige Entdekkung, als Fischer die folgende Partie spielte. Es gibt bestimmte Partien in der Schachgeschichte, die gewaltige Wellen der Anerkennung in der Schachwelt auslösen. Sie sind so spektakulär, daß die internationalen Nachrichtendienste sich in der Verkündigung vereinigen: ein großer neuer Stern ist geboren. Eben solch eine Anerkennung erfuhr diese Partie, gespielt von dem 13 Jahre alten Bobby Fischer. Ein Fehltritt seines Gegners löste bei Bobby das scharfe Spiel aus, das

ihn später allgemein gefürchtet machen sollte. D. Byrne—Fischer New York 1956 Grünfeld-Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5.

Sgl — f3 c2—c4 Sbl —c3 d2—d4 Lei — f4

Sg8-f6 g7-g6 Lf8-g7 0-0 d7-d5 151

Eine automatische Reaktion auf den letzten weißen Zug wäre 5. ... d7—d6. Aber Bobby möchte nun Grünfeld. 6. Ddl — b3 Weiß vermengt zwei Systeme. Die beiden letzten Züge passen nicht harmonisch zusammen. Angemessener ist 6. Tal — cl.

Fischer

•a» ¡¡¡p W H4rH ^m H l 11 A i i1, i % Ai i ü ä §H n S H iü H EIÄNMUN « S3 fl^H AB p 1 HÄÖ ¡P §¡2SAHfi D. Byrne

6. ...

7. Db3 x c4 8. e2—e4 9. T a l - d l

d5 x c4 c7 —c6 Sb8-d7

Befestigt den d-Bauern, weil der Damenläufer sich nicht auf dem natürlichen Feld e3 befindet. Wenn 9. e4—e5, so 9. ... S f 6 - d 5 ! 10. Sc3xd5 c 6 x d 5 11. D c 4 - b 3 (11. D c 4 x d 5 Sd7xe5!) S d 7 - b 6 , gefolgt von Lc8 —f5 oder g4 und Schwarz hat ein bequemes Spiel. 9. ... 10. Dc4—c5

Wohl darüber beunruhigt, daß Schwarz nach 11. L f l - e 2 S f 6 - d 7 12. D c 5 - a 3 L g 4 x f 3 13. L e 2 x f 3 e7 —e5 14. d 4 x e 5 D d 8 - e 8 klaren Ausgleich erlangt, vernachlässigt Byrne seine Entwicklung. So wird er der letzte Gegner, der mit Fischer ohne Vorsicht spielt. Damenläufer und Dame befinden sich nun in einer Stellung, in der sie „aufgegabelt" werden können ... nur der Damenspringer muß abgelenkt werden.

Sd7-b6

Stellt die Dame auf ein angreifbares Feld. Sicherer ist 10. D c 4 - d 3 Lc8—e6 mit etwa gleichem Spiel. 10. ... Lg8-g4 11. L f 4 - g 5 ? 152

Schwarz am Zug

11. ...

Sb6-a4ü

So müssen Sie einen Angriff einleiten, der Sie zu Weltruhm katapultieren wird. Die objektiv beste Antwort von Weiß ist, sich mit 12. Sc3xa4 Sf6xe4 13. D c 5 - b 4 Se4xg5 (nicht 13. ... L g 4 x f 3 14. Lg5xe7) 14. Sf3xg5 L g 4 x d l 15.

Kel x dl Lg7 x d4 16. Kdl - e l abzufinden, wonach er trotz unsicherer Königsstellung und geringem Materialnachteil infolge der beiden Leichtfiguren Chancen hat, sich zu behaupten. 12. D c 5 - a 3 13. b2 x c3 14. Lg5xe7

Sa4xc3 Sf6xe4! Dd8-b6!

Wenn nun 15. ... Tf8—e8, so beseitigt die Rochade die Sorgen des weißen Königs. Doch nun folgt eine zweite Kombination, die einen klaren Bauern einbringt — mit der Dame als Einsatz! 15. ...

Se4xc3ü

Falls nun 16. Da3 x c3, so T f 8 - e 8 , oder 16. Le7xf8 L g 7 x f 8 17. Da3 x c3? L f 8 - b 4 . Doch nach Byrnes nächstem Zug sieht es so aus, als habe Fischer sich „verkombiniert".

Nicht 14. ... D d 8 - e 8 15. T d l - d 3 ! (Hätte Weiß seine Dame im 12. Zug nach b4 gestellt, wäre diese Verteidigung unzureichend wegen 15. ... c6—c5! 16. D b 4 x b 7 Se4-d6). Fischers kühnes Qualitätsopfer deckt 16. Le7—c5 T f 8 - e 8 t auf, in welch übler Lage sich Weiß 17. Kel — fl befindet. Auf der e-Linie droht Vernichtung, zum Beispiel 15. Lfl—e2 T f 8 - e 8 16. 0 - 0 D b 6 - c 7 17. Fischer Le7 —h4 Se4xc3 mit Bauerngewinn, oder 15. Lfl—d3 Se4xc3! Wie durchdacht der Entwurf des Jungen ist, zeigt die von ihm angegebene Variante, wenn Weiß das Qualitätsopfer annimmt: 15. L e 7 x f 8 L g 7 x f 8 16. D a 3 - b 3 Se4xc3! (ein wiederkehrendes Thema) 17. D b 3 x b 6 a 7 x b 6 18. T d l - a l Ta8 — e8f 19. K e l - d 2 Sc3 — e4f 20. K d 2 - c 2 Se4xf2 21. T h l - g l Lg4—f5f und Schwarz sollte, mit reichlichen Gegenwerten D. Byrne und einer beherrschenden Stellung, gewinnen. Doch der einfallsreiche Byrne hat noch einen Tropfen Gift Schwarz hat einen Bauern erobert, übrig. aber Dame und Springer sind angegriffen. Das offensichtliche 17. ... 15. Lfl — c4!? S c 3 - b 5 wird mit 18. Lc4 x f7f! und 153

Qualitätsgewinn widerlegt (18. ... K g 8 - h 8 19. D a 3 - d 3 ) , denn 18. ... Kg8xf7 verlöre nach 19. D a 3 - b 3 | L g 4 - e 6 20. S f 3 - g 5 f glatt. Der Vorhang hebt sich für den Zug, der um die Welt ging. 17. ...

21. K f l - g l Sonst ist nur 21. T d l - d 3 a 7 x b 6 22. Da3—c3 S d 4 x f 3 23. D c 3 x c 4 Te8 — el matt möglich. Weiß ist bemitleidenswert vielen Abzugsangriffen ausgesetzt.

Lg4-e6ü

Die Pointe! Falls nun 18. Da3 xc3, so Db6xc5!, oder 18. L c 4 - d 3 Sc3 —b5 und Schwarz behält den gewonnenen Bauern mit leichtem Spiel, während 18. Lc4xe6 zum „erstickten Matt" nach 18. ... D b 6 - b 5 f 19. K f l - g l Sc3-e2f 20. Kgl - f l Se2-g3f 21. Kfl - gl Db5 —flf 22. T d l x f l S g 3 - e 2 führt. Der Zwischenzug 18. d4—d5 Le6 x d5 ändert wenig; falls dann 19. Tdl xd5, so D b 6 - b l f nebst matt. In einer „zeig mir's"-Stimmung nimmt Weiß die Dame an. 18. L c 5 x b 6 Le6xc4f 19. K f l - g l Sc3-e2f 20. Kgl — fl Se2xd4f

21. 22. 23. 24.

Sd4-e2f ... Kgl — fl Se2 — c3f K f l - g l a7xb6 D a 3 - b 4 Ta8-a4!

Die Schlußpointe der Kombination Fischers, die seinen Materialvorteil überwältigend werden läßt. Weiß kann seinen Turm nicht verteidigen. Nach 25. D b 4 x b 6 S c 3 x d l 26. h2 —h3 T a 4 x a 2 27. K g l - h 2 Sdl x f2 spielte Byrne bis zum bitteren Ende weiter (Matt im 41. Zug). Fischers spätere Laufbahn rechtfertigte Kmochs hochtrabende Bezeichnung dieses Spiels als „Partie des Jahrhunderts". Eine große amerikanische Hoffnung, einst durch Morphy und später durch Pillsbury personifiziert, war neu geboren.

Was man sich von Fischer versprach, ging bald in Erfüllung. Im Alter von 14 Jahren erstaunte und entzückte er seine Bewunderer, indem er Vorkämpfer der Vereinigten Staaten wurde. Diese Errungenschaft ist so gewaltig, daß sie als einmalig in der Schachgeschichte bezeichnet werden kann. Die gesamte Streitmacht der amerikanischen Elite wetteiferte um den Titel — doch er fiel an einen 14 Jahre alten Knaben, der ohne Niederlage durch das Turnier marschierte und einen Platz im Weltmeisterschafts-Interzonenturnier 1958 errang. Keine große nationale Meisterschaft ist jemals von einem so jungen Spieler erstritten worden. 154

Amerikanische Schachspieler, die ihren Meistern kühl gegenüberstehen, konnten die Erregung, die Fischers Leistung hervorrief, nicht abstreiten. Sie begannen, einen alten Traum wiederzubeleben, den man als undenkbar ansah, seit das sowjetische Schach vorherrschte — den Traum von einem amerikanischen Weltmeister. Solche großartigen Ideen, die in Schachklubs und den Boulevardblättern kursierten, mußten ihren Widerhall im Geist eines Heranwachsenden finden. Man betrachtet es schließlich als ganz normal, daß die Jugend einen grandiosen Ehrgeiz entwickelt. Gereift, pflegen wir solchen Ideen zu entsagen. Jene, die sich in zwecklose, kleinliche Kritik einiger späterer Handlungen Fischers einließen, sollten sich fragen: Wie reagiert jemand, der 14 Jahre alt ist, wenn die Welt ihn als einmaliges Genie auf seinem Feld ausruft? Fischer glaubte, was die Leute über ihn sagten. Doch ihre Vorhersagen waren oberflächlich: Fischer war derjenige, der ihnen am wahrhaftesten glaubte. Er vertiefte sich in das Schachspiel, als ob es sonst nichts auf der Welt gäbe. Er verschlang jeden Fetzen Schachliteratur, den er ergattern konnte, studierte und analysierte unaufhörlich, gab die Schule auf. Er widmete sich dem Schach, denn das Schachspiel liebte er. Und bis dahin hatte ihm Caissa nichts gegeben außer der angenehmen Hochstimmung des Triumphs. Und was für ein Schach er zu spielen vermochte! Er wußte fast alles über bestimmte Eröffnungen und fügte seine eigenen Entdeckungen hinzu. Sein Mittelspiel behandelte er so geschliffen wie der frühe Capablanca, und er glänzte mit schönen Angriffen wie Aljechin. Er spielte stets scharf und aggressiv, überspannte aber selten den Bogen, weil er ein angeborenes Verständnis für positioneile Korrektheit besaß. Das Endspiel scheute er nicht; kam es dazu, konnte er eine Stellung stundenlang und ohne Fehltritt erforschen, um jede letzte Gewinnchance herauszuholen. Es gibt jedoch viele Spieler, die einen guten Angriff zu führen vermögen. Wenn die Sonne scheint, glänzen sie. Wird aber ihre Stellung von Stürmen heimgesucht, gehen sie unter. Zu diesen gehört Fischer nicht. Am beeindruckendsten, wenn man mit ihm spielt, ist die Konzentration, der eiserne Wille, der in unbequemen Stellungen von ihm ausgeht. Er hält sich mit aller Macht, bis der Angriff nachläßt, und dann schlägt er ohne Gnade zurück. Als es ihm einmal gelungen war, eine gefährdete Stellung zu retten, fragte ihn ein Reporter, ob er Angst gehabt habe zu verlieren. Fischer antwortete: „Nehmen Sie mir gegenüber das Wort,verlieren' nicht in den Mund. Ich ertrage es nicht, daran zu denken!" Die Abneigung gegen die Niederlage verleitet ihn jedoch nicht zu vorsichtigem Manövrieren, dem wohlbekannten „Hölzchenschieben", dem sich 155

einige der besten Spieler manchmal widmen. Es gibt ein Merkmal in seinem Spiel, das ihn von allen anderen unterscheidet: er spielt immer auf Gewinn. Das bedeutet in der Praxis, daß er einen minimalen Vorteil auch hundert Züge lang ausspielen wird, sogar wenn ihm bereits der erste Preis sicher ist. Es bedeutet, daß er fast niemals ein Remis annimmt. Und in einem langen, anstrengenden Turnier bringt er sich niemals über kurze „Großmeister"-Remisen voran. Rätselhaft ist die Tatsache, daß er, der furchtbare Kämpfer, in einer Liste der zehn größten Spieler aller Zeiten den legendären Namen von Emanuel Lasker ausließ, den er einen „Kaffeehausspieler" nannte. Für Lasker war die Haupteigenschaft des Schachspiels der Kampf. Es erhob sich ein kleiner Aufruhr, als die Anhänger Laskers aufstanden und ihren Helden verteidigten. Ich glaube, die Erklärung liegt im Zögern Fischers, einen sehr realen Bestandteil des Schachspielens, insbesondere seines eigenen, anzuerkennen, den rohen Tötungsinstinkt. Für Fischer ist Schach ein unendlich tiefes Medium schöner Ideen. Eine Fischer-Partie ist ein logisches, organisches Ganzes, dessen taktische Momente auf natürliche Weise aus richtiger Strategie fließen und nicht aus zufälligen Gegebenheiten. Schach ist für ihn nicht Mittel zum Zweck, sei es für diesen der Lebensunterhalt, für jenen ein subventionierter Sport, noch ein Forum zur Prüfung philosophischer Hypothesen oder ein Ventil für niedrigere Gefühle. Für Fischer ist Schach Selbstzweck. Betrachten wir nun noch etwas von seiner schöpferischen Kunst und das Fortschreiten des „Traums". Fischers vollständige Hingabe für das Schach führte ihn zu intensivem Studium der Eröffnungen, auch jener, die in alten Zeiten beliebt waren. Anfangs für ein paar „Lieblingsvarianten" voreingenommen, erweiterte er sein Repertoire sogar soweit, daß es eine gelegentliche Überraschungswaffe wie das Königsgambit einschloß. Mit Weiß eröffnete er (fast) immer mit dem eBauern — „aus Prinzip". Hier ist ein Beispiel für einen seiner außerordentlichen Einfälle, mit de156

nen er die gängige Theorie auslöschte. Fischer—Gligoric Kandidatenturnier Bled 1959 Sizilianische Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.

e2 —e4 Sgl — f3 d2 —d4 Sf3 x d 4 Sbl — c3 Lfl — c4

c7-c5 Sb8 — c6 c5xd4 Sg8-f6 d7 —d6

Gegen Fischer Sizilianisch zu spielen, ist eine mutige Tat und zweifelhafte Weisheit. Hier erhält er Gelegenheit, die von ihm bevorzugte Entwicklungsweise des Königsläufers anzuwenden — den LeonhardtSsosin-Angriff. Die normale Antwort ist 6. ... e7—e6, die schärfste 6. Dd8 —b6, während 6. ... g7—g6 in 7. Sd4 xc6 b 7 x c 6 8. e 4 - e 5 (8. ... d6 x e5?? 9. L c 4 x f 7 f ) hineinläuft. Gligoric bereitet die Drachenvariante vor.

Gligoric

¡ ü l l ! # ¡Ü ¡¡f B mxm ¿fül H • III ¿IIP

11 H §1 §1

¡¡¡¡iE! A§1 §1

•A¡3i sAll SH¿ HA B p

Ö S 11 Fischer

Weiß am Zug

6. ... 7. L c 4 - b 3 8. f2 —f3

Lc8-d7 g7-g6 Sc6-a5

Angezeigt ist die Vereinfachung 8. ... Sc6xd4 (Fischer). Doch Schwarz folgt einem bekannten System, das dazu bestimmt ist, den kommenden Königsangriff des Weißen aufzuheben. 9. Lei — g5 L f 8 - g 7 10. Ddl —d2 h7 — h6(?) Die Finesse des Läuferzuges nach g5, auf die sich Gligoric einläßt, bestand darin, eine Bauernschwäche hervorzurufen. 10. ... 0—0 würde sicherlich einen starken Angriff mit L g 5 - h 6 und h 2 - h 4 - h 5 erlauben. Schwarz sollte am Damenflügel vorgehen und den König eine Zeitlang in der Mitte lassen. 11. L g 5 - e 3 12. 0 - 0 - 0

Ta8—c8 Sa5—c4

Ähnliche Stellungen sind aus zahllosen Partien bekannt. Einhellig beseitigte Weiß hier den Springer, um den starken Damenläufer zu behalten, der nach h6 zielt und eventuell einmal die wichtigste Verteidigungsfigur des Schwarzen, den Königsläufer, abzutauschen droht. Der 16 Jahre alte Fischer, seinen eigenen Ideen treu, zertrümmert hier eine in der Großmeisterpraxis geheiligte Auffassung. 13. D d 2 - e 2 ! Eine außerordentliche Erfindung. Jeder hat zuvor in dieser Art von Stellung unterschätzt, was Fischer zeigen wird — die Kraft des weißfeldrigen Läufers. 13. ... 14. D e 2 x e 3

Sc4xe3 0-0? 157

Ein wirklicher Fall von „Hineinrochieren"! Viel besser ist 14. ... D d 8 - b 6 oder D d 8 - a 5 . Fischers Strategie hat Gligoric in ein falsches Gefühl der Sicherheit eingelullt. Nun kommt der direkte Angriff. 15. g2 —g4 16. h2 —h4

Dd8-a5 e7—e6

oder Lg7 — f8, dann wird 24. f 4 - f 5 in Verbindung mit Sc3—d5 und/ oder Thl x h5 gewaltig, wie Fischer gezeigt hat. — Der geschehene Zug schließt jedoch das Opfer eines Bauern und der Qualität ein und erfordert tiefe Voraussicht. 23. ... 24. Se2 x c3 25. D d 3 - f 3

Lg7xc3 Sh5 x f4 Sf4-h5

Früher oder später notwendig, um Sc3 —d5 zu verhindern. Aber die Schwächung des d-Bauern ist wich- Nach 25. ... e 6 - e 5 26. Sc3-e2! tig. Die h-Linie geschlossen zu hal- zertrümmert Weiß alle Hindernisse. ten mit 16. ... h 6 - h 5 17. g 4 - g 5 Sf6 — e8 18. f 3 - f 4 , führt zu einem beengten Spiel. Gligoric 17. S d 4 - e 2 18. g4—g5 19. h 4 x g 5

Tc8-c6 h6 x g5 Sf6-h5

Wer Fischer kennt, weiß, daß er nun zuversichtlich auf ein Qualitätsopfer auf h5 warten kann, um die h-Linie zu öffnen und an den König heranzukommen. Wenn die Stellung die Chance bietet, ist er ein erbarmungsloser Königsjäger. 20. 21. 22. 23.

f3 —f4 Tf8—c8 Kcl-bl Da5-b6 De3-f3 Tc6-c5 Df3 —d3ü

Der geplante Durchbruch mit f4 — f5 wäre hier unklar. Weiß „kitzelt" darum den d-Bauern. Verteidigt ihn Schwarz mit 23. ... Tc5 — c6 158

¡¡¡¡Sil ÜÜ +H ÜPA% À. A II M HAH A H H H » H HAH 11 HÜlQ WM11 ABAli H 11 •m^m^m, r f i S n v •fi Fischer

Weiß am Zug

26. Thl x h5! g6 x h5 27. D f 3 x h 5 L d 7 - e 8 Der König entkommt nicht: 27. ... Kg8 - f 8 28. Dh5 - h 8 f Kf8 - e 7 29. D h 8 - f 6 | K e 7 - e 8 30. T d l - h l und so fort. Nun aber droht er es.

28. D h 5 - h 6 ! Tc5xc3 29. b2 x c3 Die Mattdrohung 29. T d l - h l würde 29. ... Db6—d4 vollständig ausschalten. Die „Verbesserung" eines Kommentators 29. g5 —g6 wird durch 29. ... Tc3xb3! widerlegt (Anm. d. Übers.: Zu prüfen ist dann 30. Dh6 —h7f K g 8 - f 8 31. g 6 - g 7 f K f 8 - e 7 32. D h 6 - h 4 | f 7 - f 6 33. g 7 - g 8 S f K e 7 - f 8 34. D h 4 x f 6 f K f 8 x g 8 35. a 2 x b 3 D b 6 - c 5 ! 36. T d l - h l L e 8 - h 5 37. Df6xe6f K g 8 - g 7 38. Thl x h5 Dc5 x h5 39. De6xc8 Dh5 —hlf 40. K b l - a 2 Dhl x e4 41. D c 8 - d 7 f K g 7 - g 8 42. Dd7xd6 De4xc2 43. D d 6 - b 8 f und Weiß hat noch kleine Gewinnchancen.).

29. ...

Tc8 x c3

Mehr Widerstand leistet 29. ... Db6 —e3, aber nach entweder 30. Tdl-hl D e 3 x c 3 31. g 5 - g 6 D c 3 - g 7 32. D h 6 - h 2 ! (Bronstein) oder 30. T d l - d 3 D e 3 - f 4 31. T d 3 - h 3 Df4 — e5 32. g 5 - g 6 D e 5 - g 7 33. g 6 x f 7 f L e 8 x f 7 34. D h 6 - h 4 K g 8 - f 8 35. D h 4 - h 8 f D g 7 - g 8 36. D h 8 - f 6 dringt der weiße Angriff durch (Barcza). f7 x g6 30. g5 —g6 31. T d l - h l D b 6 - d 4 32. D h 6 - h 7 f Schwarz gab auf. „Der Drachen" wird seitdem gegen Fischer nur noch selten angewandt.

Indem er sich im Alter von 15 Jahren für das Kandidatenturnier qualifizierte, wurde Bobby Fischer der jüngste Großmeister der Geschichte. Er wurde in dieser Veranstaltung, in der die stärksten Weltmeisterschaftsanwärter aufeinandertrafen, „nur" Fünfter. Der Traum schritt in guter Ordnung voran, ja er war sogar dem Zeitplan voraus. An der Heimatfront fegte er weiterhin alle hinweg und sammelte eine Reihe von nationalen Meistertiteln wie noch keiner zuvor in der amerikanischen Schachgeschichte. Der Trommelwirbel erregender Leistungen begann eines Tages von disharmonischen Tönen begleitet zu werden. Fischer klagte über Fragen der Turnierleitung, er erhob ungewöhnliche Forderungen, bevor er einverstanden war zu spielen. Sie wurden leicht erklärt als die Überspanntheiten eines Wunderknaben. Die erste öffentliche Krise trat während eines Wettkampfs mit Reshevsky im Jahre 1961 auf. Es erhob sich ein bitterer Streit über die Ansetzung der Partien. Gegen den Willen Fischers traten Elemente auf wie die Bequemlichkeit der Geldgeber und die buchstabengetreue Auslegung der Regeln durch die Schiedsrichter. Dem Genie war nicht gestattet, besondere Vorrechte zu beanspruchen! Hier wurde ein 159

unglücklicher Einfall eingeführt: die Idee, „Fischer zu zwingen, vernünftig zu sein". Ihn konnte man nicht zwingen. Er schien zu glauben: „Ich bin der Auserwählte Caissas. Wenn auch die Welt protestiert, ich gehe meinen eigenen Weg. Sie wird mich rechtfertigen." Und innerhalb seiner Wertskala hatte er recht. Solche Erfahrungen verschärften die Isolierung eines jungen Mannes, der sich vom konventionellen amerikanischen Leben abgeschnitten hatte, um sich seiner wahren Liebe zu widmen: dem Schach. Während der sowjetische Koloß seine Herrschaft über das Weltschach fortsetzte und jeden Vorteil kollektiver Anstrengungen nutzte, stemmte sich ihm ein Individualist entgegen. Seine unbegrenzten Möglichkeiten und die von ihm ausgehende Gefahr wurden durchaus anerkannt. Fischers noch immer nicht unterbrochener Aufstieg erreichte 1962 einen weiteren Meilenstein, als er das Interzonenturnier weit vor seinen sowjetischen Rivalen gewann. Das brachte ihm eine seltene Umarmung ihres gewöhnlich grollenden Sprechers ein — „Fischer wird Weltmeister!" So fand ein amerikanischer Traum sein russisches Echo und wurde ein internationales Thema. Wenige Skeptiker blieben. Das Reich Caissas wimmelte nun von Jüngern des Fischerkults. Und der Rang der Gläubigen reichte von Moskau bis Kalifornien, von Großmeistern bis zu Amateuren. Der Traum näherte sich seiner Krise auf der tropischen westindischen Insel Curaçao, dem Austragungsort des Kandidatenturniers 1962. Viele erwarteten zuversichtlich, daß Fischers Aufwind anhalten würde. Er selbst, der wahrste Gläubige, erwartete seinen Turniersieg und den Aufstieg in die Rolle des offiziellen Herausforderers des Weltmeisters, im Alter von 19 Jahren. Fischers Einstellung in dieser Marathon-Veranstaltung unterschied sich gewaltig von der seiner fünf sowjetischen Gegenspieler. Während sie ihren Weg mit einer Folge von freundschaftlichen und bedeutungslosen Remispartien machten, spielte er jede Partie angespannt auf Gewinn. Er überanstrengte sich, beging manche Fehler, die seine wohlausgeruhten Gegner rasch wahrnahmen. Die Folge war, daß er zwar viele Partien gewann, aber trotzdem nicht über einen Mittelplatz hinauskaum. Der erste Platz fiel dem Antihelden Petrosjan anheim. Fischer, das Kind der Vorsehung, war gestoppt worden. Die meisten von uns lernen, reif geworden, Träume zu verschieben. Stimmt die Wirklichkeit nicht mit unseren Hoffnungen und Sehnsüchten überein, heben wir sie für später auf. Für Fischer jedoch nahm der Rückschlag von Curaçao einen üblen Beigeschmack an: es gab keine Gerechtigkeit. Was ihm zustand, war ihm gestohlen worden. In den Rahmen seines 160

Denkens paßte die Möglichkeit nicht, daß er nur einen zeitweiligen Rückschlag erlitten habe und daß er die menschliche Schwäche teilte. Waren schlimme Kräfte am Werk? Sehr bald veröffentlichte er seine Anschuldigung: „Die Russen haben das Weltschach arrangiert."* Es gab genügend objektive Beweise, die sein Gefühl des Verdrusses bestätigten. Fischer schwor, nie wieder an einem System des WeltmeisterschaftsWettbewerbs teilzunehmen, das zugunsten einer Nation „manipuliert" wurde. *

Im Herbst jenes Jahres, in dieser gestörten Atmosphäre, bewies er seine anhaltende Fähigkeit zu glanzvollen Zügen. Am Tage bevor diese Partie gegen Najdorf gespielt wurde, sagte Fischer, er würde seinen berühmten Gegner in 25 Zügen schlagen. Reine Angeberei? Kolossale Überheblichkeit? Psychologische Kriegsführung mit dem leicht zu beeindruckenden Najdorf? Oder war es ein mystischer Glaube? Glauben besaß Fischer in der Tat. Und viele Mitgläubige. Was er jedoch anzukündigen versäumte, war die Enthüllung eines der Edelsteine der schöpferischen Tradition im Schach, eine Partie von erstaunlicher Originalität.

Fischer—Najdorf Schacholympiade Warna 1962 Sizilianische Verteidigung

(Die klassischen Regeln würden einen Entwicklungszug fordern.) 6. h 2 - h 3

1. 2. 3. 4. 5.

e2—e4 Sgl-ß d2 —d4 Sf3xd4 Sbl —c3

c7—c5 d7-d6 c5 x d 4 Sg8-f6 a7 —a6

Mutig spielt Najdorf seine eigene Patentvariante. Fischer, wie stets wohlvorbereitet, erprobt eine unübliche Antwort, die gewöhnlich auf einen raschen Königsangriff zielt.

b7-b5

Ein hitziger Zug, auf den eine typische scharfe Fischer-Antwort folgt. Bequem wäre 6. ... e7—e6 7. g2 — g4 h7 — h6. 7. Sc3-d5!? Zieht eine entwickelte Figur noch einmal — etwas, was Morphy nicht getan hätte. Fischer hat schon einen

* Sports Illustrated, 20. August 1962.

161

neuen Plan — den schwarzen Damenläufer nach 7. ... S f 6 x d 5 8. e4 x d5 zu hemmen. Die normale Antwort 7. ... e7—e6 erweist sich nach 8. Sd5xf6f D d 8 x f 6 9. c2—c4 als nachteilig. In seinen Anmerkungen sagte Fischer später, daß der beste Zug von Schwarz die Annahme des Angebots ist: 7. ... Sf6xe4! 8. D d l - ß Se4—c5 9. b2 — b4! (besser als 9. S d 5 - f 6 f g7 x f6 11. D f 3 x a 8 L c 8 - b 7 ) 9. ... e7—e6 10. b 4 x c 5 e 6 x d 5 11. D f 3 x d 5 T a 8 - a 7 und diese zweischneidige Stellung betrachtet Fischer als ausgeglichen. Solche Verwicklungen würden gegen ihn nur wenige riskieren. Stattdessen erlaubt Najdorf eine Schwächung seiner Bauernstruktur. 7. ... 8. Sd5xf6f 9. c2—c4!

fer in der Luft, zum Beispiel 12. ... T h 8 - g 8 13. Tel xe4! d 5 x e 4 14. Ddl — h5! Die beste Verteidigungshoffnung bestand in 12. ... d5 x c4 13. Tel x e4 D d 8 - d 5 14. Ddl — f3 e7 — e6. Auf 12. ... Le4xg2 13. K g l x g 2 d 5 x c 4 14. Ddl— f3 erhält Weiß siegreichen Stellungsdruck (Fischer). 13. D d l - a 4 f S b 8 - d 7 Oder 13. ... D d 8 - d 7 14. L c 4 - b 5 .

Najdorf

Lc8 — b7(?) g7 x f6

Getreu seiner energischen Partieanlage gewinnt Fischer Zeit und offene Linien auf Kosten eines Bauern.

Fischer Weiß am Zug

9. 10. 11. 12.

... Lflxc4 0-0 Tfl-el

b5xc4 Lb7xe4 d6-d5 e7-e5?

Schwarz hat Druck im Zentrum auszuhalten und versucht daher, es zu blockieren. Es liegen bereits Op162

14. Tel xe4! Ein elegantes, spekulatives Opfer, das sehr schön Fischers meisterhafte Beherrschung des ganzen Bretts zeigt. Keinesfalls hat er die Folge bis zum Ende durchschaut;

er begreift dagegen, daß der unerschütterliche, wunderbar plazierte Springer auf f5 mehr wert sein wird als ein Turm. Inzwischen wird der schwarze, in der Mitte gefangene König von den auf offenen Linien stehenden Figuren Rippenstöße erhalten. 14. 15. 16. 17.

... Sd4-f5 Sf5 — g7f Sg7-f5f

d5xe4 Lf8—c5 Ke8-e7 Ke7-e8

Dem König ist das Rochaderecht genommen worden. Wie soll der Angriff jetzt fortgeführt werden? 18. Lei — e3! Der Angriff wird einen Zug warten! Mit äußerster Einfachheit tauscht Fischer lediglich die Schlüsselfigur der Verteidigung. 18. 19. 20. 21.

... Lc5xe3 f2 xe3 Dd8-b6 T a l - d l Ta8 — a7 Tdl — d6 D b 6 - d 8

Najdorf findet keine Rettung, zum Beispiel 21. ... D b 6 x b 2 22. Lc4xf7f! K e 8 x f 7 23. Td6xd7f Ta7 x d7 24. Da4 x d7f K f 7 - g 6 25. D d 7 - g 7 f K g 6 x f 5 26. D g 7 - g 4 matt. 22. D a 4 - b 3

Najdorf

Fischer Schwarz am Zug

Schwarz ist gegen den direkten Angriff machtlos, denn auf 22. ... T h 8 - f 8 23. Sf5 — g7f K e 8 - e 7 24. Db3 — a3 wäre alles vorbei. 22. ... Dd8—c7 23. Lc4 x f7f K e 8 - d 8 24. Lf7—e6. Schwarz auf.

gab

Gerade rechtzeitig, denn nach 24. ... T a 7 - b 7 (wenn 24. ... D c 7 - c 8 25. Db3-b6f Ta7-c7 26. Td6xd7f) 25. D b 3 - a 4 D c 7 - c 8 26. Da4-a5| Kd8-e8 27. D a 5 x a 6 K e 8 - d 8 28. Le6xd7 (noch direkter ist 28. Da6 —a5f K d 8 - e 8 29. T d 6 - d l ! , d. Übers.) 28. ... T b 7 x d 7 29. Td6xd7f Dc8xd7 30. Da6xf6f K d 8 - c 7 31. Df6 x e5f Kc7 - b6 32. De5 x h8 Dd7 x f5 und Weiß hat im Endspiel drei Bauern mehr (Fischer). Die geschliffene, organische Führung die163

ser Partie wäre eines jungen Capablanca würdig. *

Die Schachwelt stand nun einem aufrührenden Paradoxon gegenüber: Fischer, weithin als Caissas vielversprechendstes Talent gepriesen, weigerte sich, um ihre Krone zu kämpfen. In seinen seltenen Auftritten frappierte er seine Anhänger weiterhin mit erstaunlichen Zügen. In der folgenden Stellung brachte er einen Zug hervor, der in der ganzen Schachgeschichte unübertroffen ist an Schönheit und Originalität. Benkö m wmw HP ü ~ HP A B 1 HP ÉR É¡¡ § § H Tjfflf H I B A wrn. H HP //VMM 11 BA.M A 13 A H H A BH S W3Í B

>m 1 ¡II i in ¿ I P l i H ü ü¡

Fischer New York 1963-64 Hier würde 19. e4—e5 f7—f5 nichts einbringen. Fischer spielte: 19. Tfl — f6ü mit raschem Gewinn. *

164

Es gibt gewisse Gipfelleistungen in der Schachgeschichte von einigen wenigen, die so turmhoch über ihren Zeitgenossen stehen, daß sie alles vor ihnen hinwegfegen. Ein solcher Augenblick in der Laufbahn Fischers ereignete sich in einer amerikanischen Meisterschaft, in der er alle elf Gegner besiegte, ohne auch nur, bei Anwesenheit mehrerer Großmeister, ein einziges Remis zuzulassen. Die folgende Partie gegen einen seiner zähesten Rivalen in dieser Veranstaltung zeigt eine unwiderstehliche Kraft. Aus einer fast symmetrischen Eröffnungsstellung heraus braut Fischer innerhalb weniger Züge einen überwältigenden Angriff zusammen.

R. Byrne—Fischer Amerikanische Meisterschaft, New York 1963-64 Grünfeld-Verteidigung 1. 2. 3. 4.

d2 —d4 c2 — c4 g2—g3 Lfl — g2

Sg8-f6 gl — g6 c7—c6

Mit diesem und dem nächsten Zug gibt sich Weiß mit Ausgleich zufrieden. Bei einer früheren Begegnung der gleichen Spieler setzte Byrne mit 4. d4 —d5 b 7 - b 5 5. d 5 x c 6 b5 x c4 c 6 x d 7 | Sb8xd7 7. Lfl — g2 T a 8 - b 8 fort und das schwarze Figurenspiel war ein (un-

zureichendes) Gegengewicht den vereinzelten Bauern. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

c4xd5 Sbl —c3 e2—e3 Sgl — e2 0-0 b2 —b3 Lei — a3 Ddl — d2

für

d7—d5 c6 x d5 Lf8-g7 0-0 Sb8 — c6 b7 —b6 Lc8-a6 Tf8-e8

Die Fast-Symmetrie scheint anzudeuten, daß wir dabei sind, ein paar weitere bedeutungslose Züge und eine friedliche Einigung zu erleben. Doch nun geht Fischer zu einem gewagten Plan über, um der Partie dynamische Chancen einzuspritzen. Mit 12. Tal — cl oder sogar 12. f2 — f4 hätte Weiß Ärger vermeiden können. 12. ...

e7-e5!

Fischer ist furchtlos und spielt immer scharf auf Gewinn. Der gespielte Zug erfordert eine ungewöhnliche Urteilskraft. Kein gewöhnlicher Meister würde seinen Damenbauern gegen einen hervorragenden Gegner so schwächen. Byrne muß in der Tat sehr überrascht gewesen sein. Fischer, mit der Fähigkeit des Genies, die Elemente einer außerordentlichen Lage zu erspähen, schätzt richtig ein, daß seine dynamischen Chancen das Wagnis rechtfertigen — ob-

wohl sein Urteil, wie wir sehen werden, vielleicht auf einer unrichtigen Berechnung beruhte. 13. d4 x e5

Sc6xe5

Fischer

'S ÜP p i p a l i HP W 11 h a h ip ip JLfü ¡¡j ni 11 IH l i SAgj B Q B^Blfl « a m HfiS

m

mimi

R. Byrne 14. T f l - d l ? Der falsche Turm. Eine internationale Kontroverse erhob sich über die Folgen des richtigen Zugs 14. Tal — d l . Ursprünglich gab Fischer die Fortsetzung 14. Tal—dl S f 6 - e 4 15. Sc3xe4 d 5 x e 4 16. L g 2 x e 4 D d 8 x d 2 17. T d l x d 2 Se5 — c4 18. L e 4 x a 8 S c 4 x d 2 19. Tfl-dl Sd2 — c4 20. b3xc4 Te8 x a8 an und stellte fest, daß Schwarz das bessere Endspiel hat; Doch dann wies Großmeister J. Awerbach, der damit verschiedene Widerlegungen sowjetischer Analysen seitens Fischer „rächte", auf einen riesigen Irrtum hin: 20.

165

La8—c6 gewinnt für Weiß! (20. ... Sc4xa3 21. Lc6xe8 L a 6 x e 2 22. Tdl—d7!). Fischer gab später zu, schockiert gewesen zu sein und die Stellung stundenlang angestarrt zu haben, „nicht willens, meine Glanzpartie auf den Abfall werfen zu lassen". Die Bemerkung zeigt die Reinheit seiner Hingabe zum Schach. Er beurteilt sich nicht nach dem effektvollen Abschlußopfer, sondern nach der Richtigkeit des vorangegangenen Spiels. Er fand schließlich 14. Tal—dl Dd8—c8!, eine indirekte Verteidigung des d-Bauern, die es Schwarz erlaubt, die Führung festzuhalten. Er gibt die folgenden Varianten:

Byrne muß gesehen haben, was auf ihn zukommt und verwarf es als ungesund. Aber Fischer pflegt ganz sicher nicht unbedacht einen Springer auf ein unhaltbares Feld zu stellen. Besser war 15. Se2 — f4 oder 15. Se2—d4, obgleich Schwarz nach 15. ... Sf6—e4 seinen Druck festhält. Tatsächlich hat Fischer eine zehnzügige Kombination berechnet.

a. 15. Sc3 x d5 Sf6 x d5 16. Lg2 x d5 T e 8 - d 8 17. f 2 - f 4 Td8xd5! 18. D d 2 x d 5 L a 6 - b 7 ! und Weiß muß in ein schlechteres Endspiel mit 19. Dd5 —d8f einlenken im Hinblick auf 19. D d 5 - d 2 D c 8 - h 3 20. Se2—d4 Se5 —g4 „und Schwarz sollte gewinnen". b. 15. Dd2—cl S f 6 - e 4 ! 16. Sc3xd5 L a 6 x e 2 17. Lg2xe4 K g 8 - h 8 ! 18. Del xc8 Ta8xc8 19. Sd5—e7 Tc8 —b8 und Schwarz erobert die Qualität für einen Bauern. c. 15. Tdl — cl D c 8 - d 7 ! 16. Tel - dl T a 8 - d 8 und Schwarz hat ein Tempo gewonnen. d. 15. La3 —b2 (relativ am besten) Dc8 —f5 und „Schwarz behält die Führung".

Xül fliJKW&W H H Hi l i AB jH ¡Bill H Í¡ü i H ÌH m ü¡ 11 H B¿¡2 JH H AH ¡BAH B 11 Sil S

14. ... Se5-d3 15. Dd2—c2?

166

15. 16. 17. 18.

... Sd3xf2! K g l x ß Sf6-g4f Kf2—gl Sg4xe3 Dc2-d2 Fischer

R. Byrne Soweit hat Byrne vorausgesehen und die Stellung als gesund eingeschätzt. Nimmt Schwarz nun die Qualität, so werden die weißen Figuren in beherrschende Stellungen gelangen. Weiß hat jedoch die Stärke des nächsten Zuges Fischers übersehen, den er als „Schocker" bezeichnete.

18. ... Se3xg2! 19. Kgl xg2 d5 — d4! Erzwingt die Öffnung aller Linien in Richtung auf den weißen König. 20. Se2xd4 L a 6 - b 7 | 21. Kg2 — fl Auf 21. Kg2—gl folgt die eigentliche Pointe: 21. ... Lg7xd4f 22.

D d 2 x d 4 Te8—elf und gewinnt. Hoffnungslos ist auch 21. Kg2 —f2 D d 8 - d 7 ! gefolgt von D d 7 - h 3 mit siegreichem Angriff. 21. ...

Dd8-d7!

Weiß gab auf. Fischer plante das folgende Schlußspiel: 22. D d 2 - f 2 D d 7 - h 3 f 23. K f l - g l T e 8 - e l | ! 24. Tdl x el Lg7 x d4 mit Mattangriff.

Als er erwachsen wurde, vergrößerte sich der Widersinn. Obgleich Fischer mehr als ein anderer Lebender sich mit dem Schach identifizierte, zog er sich mehr und mehr vom Spiel zurück. Er stellte Bedingungen, auf deren Erfüllung die Organisatoren nicht vorbereitet waren: finanzielle Abmachungen und solche, die seine Person betrafen und Sicherheitsklauseln gegen zufällige Ergebnisse. Zum Beispiel erklärte er, daß ein Wettkampf erst durch sechs direkte Siege entschieden werden sollte — eine Bedingung, die das Zustandekommen des Kampfes verhindert, es sei denn, man plant ein monatelanges Ringen (siehe Wettkampf Karpov—Kasparov in Moskau 1984/85, der über fünf Monate dauerte, der Übers.). Die Welt stempelte ihn als Exzentriker ab; wie er selbst es sah, war die Welt im Unrecht, wenn nicht böse. Als die Regelung des Weltmeisterschaftskampfes so drastisch geändert wurde, daß seine Einwände nicht mehr galten, weigerte er sich trotzdem, teilzunehmen. Ein Essay kam heraus unter der Überschrift: „Das Selbstmatt des Bobby Fischer".* Dennoch blieb der Traum lebendig und erhielt Nahrung durch weitere legendäre Triumphe seines Helden. Den größten Ansporn bedeutete der Verlauf des gewaltigen Piatigorsky-Cup-Turniers 1966. Manche seiner anhänglichsten Bewunderer waren aufgeschreckt, als Fischer nach der ersten Hälfte an letzter Stelle lag. Sie konnten über seine Leistung in der Schlußhälfte nur staunen — er wartete mit einer Folge von Siegen auf, die ihm beinahe den ersten Preis einbrachten. Es war das größte Comeback in der Schachgeschichte.

* E. Hearst, „The Seif-Mate of Bobby Fischer", Chess Life, Juli 1964.

167

Dann gab Fischer seine Zusage zum Interzonenturnier in Tunesien 1967. Rasch übernahm er die Führung, Optimismus kam wiederum auf — aber nur, um wieder zerstört zu werden. Er trat nach einem weiteren Streit über die Ansetzung der Partien zurück. (Diese Sache wurde dadurch kompliziert, daß er einer nur Eingeweihten bekannten religiösen Sekte angehörte und strikte Sabbatregeln zu befolgen hatte.) An Fischer denken heißt an Widersprüche denken — Reinheit und Verflochtenheit, entwaffnende Unschuld und peinigendes Mißtrauen, vollendetes Talent und qualvolles Zögern. Er übertrifft alle im Verständnis der Schachfiguren, aber im Verständnis seiner selbst hinkt er hinterher. Irgendwie ist seine Überzeugung, daß er zum Höchsten berufen sei, doch verknüpft mit einer Andeutung vorbestimmten Untergangs. *

Das Jahrzehnt der siebziger Jahre begann mit einem Zeichen hoher Hoffnungen, zumindest in der Schachwelt. Fischer wurde überredet, im Interzonenturnier von Palma de Mallorca mitzuspielen. Er fegte hindurch und erreichte die Weltmeisterschafts-Kandidaten-Wettkämpfe. Dann setzte er die Schachwelt in Erstaunen, indem er seine beiden ersten Wettkampfgegner mit unerhörten 6:0-Ergebnissen abkanzelte. Eine sowjetische Zeitschrift erklärte: „Ein Wunder ist geschehen" (und gab unbeabsichtigt das Signal für das baldige, noch nie dagewesene Erscheinen eines Schachspielers auf der vorderen Umschlagseite des beliebtesten amerikanischen Photo-Magazins). An einem Punkt erreichte seine Siegesserie den phänomenalen Gesamtstand von zwanzig aufeinanderfolgenden Partien. Fischer spielte nicht mehr so glanzvoll, sondern ein Schach, das in der zeitgenössischen Ära kaum jemals zu sehen war. Er schien sich einer Kategorie zu nähern, die nur dem legendären Capablanca zugeschrieben wurde — frei von schachlichen Fehlern. Im Kandidaten-Finale von 1971 wurde Fischers Aura der Unbesiegbarkeit frühzeitig durchbrochen. Nach fünf Partien stand es ausgeglichen und Exweltmeister Petrosjan war „moralisch" in Führung. Dann ließ Fischer erneut eine Siegesserie folgen und buchte die letzten vier Partien auf sein Konto. Er nahm „die Gunst der Stunde" wahr, und so wurde er offizieller Herausforderer des Weltmeisters für 1972. Die amerikanischen Schachliebhaber wachten aus ihrem „Traum" allmählich auf. Für sie war ein tragischer Morphy genug. In der Schachgeschichte sucht man vergebens nach einem Wettkampf, der schon vor seinem Beginn eine derartige Spannung verursachte wie der kommende: Spasski gegen 168

Fischer. Niemand konnte ein aufregenderes, kampfbetonteres Schauspiel verlangen, als diese beiden vollendeten, schöpferischen, streitlustigen Spieler in der Blüte ihres Lebens versprachen. Aber Fischer war bereits erfolgreich in seinem wichtigsten Kampf, dessen Ausgang immer allein in seinen eigenen Händen gelegen hatte. Das ist Fischers Kampf mit sich selbst. Ein Gespenst verfolgte das sowjetische Schach, der Geist Bobby Fischers. Der Rest ist zum bestbekannten Kapitel der Schachgeschichte geworden. Fischers entscheidender Sieg über Spasski war ein Geschenk für die Volkstümlichkeit des Spiels in den meisten Teilen der Welt.* Dennoch störten die aufsehenerregenden Begleithandlungen abseits des Schachbretts die künstlerische Harmonie des Spiels, hauptsächlich des Weltmeisters. Gleichwohl wurden auf dem Gebiet der Eröffnungstheorie neue Ideen entwickelt, wo Fischer seinem Gegner mit einer Anzahl von Neuerungen begegnete. Hervorragend war die 6. Partie, in der Fischer mit der größten Überraschung, dem Damengambit, aufwartete und in wahrhaft klassischem Stil siegte. Von Fischers Herrschaft hatte man reiche Ernte erwartet. Aber im Jahre 1975 dankte aus Gründen, die wir sehen werden, der König ab.

* Fischer gewann mit 12'/2:8!/2 Punkten, mit 7 Siegen, 2 Niederlagen und einem kampflosen Verlust.

169

17. Karpov: Den Nutzen der Genauigkeit genießen „Stil? Ich habe keinen Stil". — A. Karpov Die Jahre zwischen den beiden ersten englischsprachigen Ausgaben dieses Buches wurden von dem tumultuarischsten Ereignissen der Schachgeschichte markiert: Dem Wettkampf Fischer—Spasski 1972 in Reykjavik. Man zögert, dem Gebirge von Worten, die dazu bereits im Druck erschienen sind, einschließlich der eigenen, weitere hinzuzufügen. Betrachten wir aber die Auswirkungen des großen Wettkampfs. Spasskis einseitige Niederlage bewirkten Schockwellen im sowjetischen Schach- und Sport-Establishment. Wie erwartet, wurden er und, in geringerem Grade andere Großmeister, zu Sündenböcken gemacht. Er wurde in der Presse gezüchtigt, von einem hohen Staatskomitee kritisiert und viele Monate lang vom Spielen im Ausland ausgeschlossen. Für die Schach-Elite, der Trägheit geziehen, wurden die Schrauben auf der ganzen Linie angezogen. Bemerkenswert ist, daß jeder der führenden Spieler verpflichtet wurde, an der UdSSR-Meisterschaft 1973 teilzunehmen. Ironischerweise war der glänzende Gewinner dieser stärksten jemals abgehaltenen Meisterschaft kein anderer als der vielgeschmähte Boris Spasski. Ein Jahr später jedoch gingen wiederum viele der besten Spieler dem anstrengenden Wettbewerb aus dem Wege. Ein weniger strenges Regiment war offenbar zurückgekehrt: Fischer hatte bereits seinen FIDE-Welttitel aufgegeben. Die Welle der globalen Schach-Vorherrschaft kehrte in ihre „natürliche" Richtung zurück. Betrachten wir jedoch die Folgen des „Wettkampfs des Jahrhunderts" weiter westlich. Fischers dramatischer Sieg mit der nicht dagewesenen Börse von einer Viertelmillion Dollar und dem Aufschwung des Schachinteresses in der

170

ganzen Welt schien eine neue Ära für das uralte Spiel einzuläuten. Die Euphorie in den Vereinigten Staaten erreichte solche Höhen, daß Schachmeister, -schriftsteiler und -lehrer rasch zu dem Schluß kamen, daß sie nun einen lebensfähigen Beruf hätten. Sie spekulierten darauf, daß der Weltmeister aktiv auf verschiedenen Gebieten auftreten würde. Doch diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Obwohl das Schachspiel einen Grad der Aktivität wie nie zuvor behauptete, erwies sich die unmittelbare Aussicht auf einen gesicherten Status, wie in Ländern mit von Staats wegen gefördertem Schach, als eine Illusion. Und die Nachricht, daß Fischer seinen Titel im Jahre 1975 nicht verteidigen würde, erschütterte die wenigen noch verbliebenen Optimisten. Fischers Forderung eines Titelkampfs von unbeschränkter Dauer, entschieden durch zehn Siege bei nicht zählenden Remispartien, gewann die widerwillige Billigung stolzer Delegierter der FIDE, doch die harte, offizielle sowjetische Opposition gegen die Schlüsselforderungen Fischers und dessen eigene Weigerung, sich auf einen Kompromiß einzulassen, verurteilte den Wettkampf zum Scheitern. So begierig war die sowjetische Seite, „ihre" Weltmeisterschaft zurückzugewinnen, ob mit oder ohne Kampf, daß die Hifsmittel von drei Staatsministerien mobilisiert wurden, um die Wahl der Delegierten zu beeinflussen. In der alles entscheidenden Abstimmung wurde Fischers Forderung, daß der Weltmeister seinen Titel im Falle eines 9:9-Gleichstands behalten und die Börse geteilt werden sollte, abgeschmettert. Diese Forderung hätte bedeutet, daß der Herausforderer mindestens mit 10:8 gewinnen mußte, um den Titel an sich zu bringen. Die Abstimmung war ein bedauerlicher Sieg der Autorität über persönliche Freiheit, über die Sache des Schach-Fortschritts. Es war ein Rückfall in die alte Täuschung, „Fischer eine Lektion zu erteilen". Die Abstimmung annullierte die zweitgrößte Börse in der Geschichte des Sports — 5 Millionen Dollar boten die Philippinen — und braubte die Schachwelt ihres im dreijährigen Turnus wiederkehrenden Fests. Nie zuvor hat ein Mensch so viel Geld für eine Prinzipienfrage aufgegeben. Weil alle Weltmeister in der sowjetischen Ära in ihre Wettkämpfe mit eingebauten Vorteilen gingen, wollte sich Fischer nicht mit weniger zufriedengeben. Doch sein scheinbares Verlangen eines Zweipunkte-Vorsprungs führte zu Bezeichnungen wie „unerhört", „unsportlich" und so fort. Großmeister Flohr schrieb: „Ist Fischer ganz richtig im Kopf?" Diese Vorwürfe benötigen eine Antwort. Charles Kalme, ein Mathematiker an der Universität von Indiana, hat nachgewiesen, daß die 9:9-Remisbestimmung tatsächlich für den Herausforderer leichter ist als die alte 12:12-Remisbestimmung in den Wettkämpfen über 24 Partien, bei der Remispartien mitzähl171

ten; weil dort in der 11 Vi: 11 '/¡-Situation ein bloßes Remis das plötzliche Ende für die Hoffnungen des Herausforderers bedeutet. *

Die FIDE ging dann daran, einen neuen Weltmeister zu benennen. Anatoli Karpov, der in einer Reihe von Wettkämpfen das Recht errungen hatte, Fischer herauszufordern, war erst 23 Jahre alt, das Modell eines Sowjetbürgers. Den Beitrag eines so jungen Schachspielers zu charakterisieren, ist eine unerwartete Aufgabe, auferlegt durch die oben beschriebene unrühmliche Schlacht der Schachpolitiker. Der erste Anschein spricht dafür, daß Karpov, der erste ohne ein Titelmatch gekrönte Weltmeister, weniger leichtherzig über seinen Status denkt als die Moskauer Bürokraten, die ihn für ihren Landsmann erobert haben. Die Aufgabe des Kritikers, an Karpovs Schach heranzugehen, wird durch die Tatsache erleichtert, daß er von Anfang an wie ein kampferprobter Veteran gespielt hat. Das heißt, ihn hat nie die kombinatorische Schönheit angezogen (wie z. B. seinen Altersgenossen Ljubojevic aus Jugoslawien), sondern nur das ruhige Sammeln von Punkten. Man bezeichnete ihn darum als „sehr r e i f . Aber über das Thema „Jugend" wäre viel zu sagen. Junge Burschen, die sich wie ihre Väter verhalten und nur an ihre Laufbahn statt an hübsche Mädchen denken, sind nicht beliebt. Karpov wurde 1951 in Slatust, im Ural, geboren, und machte beständige Fortschritte, nachdem er die Züge im Alter von vier Jahren erlernt hatte. Mit zwölf machte er die glückliche Entdeckung eines Buches mit den Partien Capablancas, und seine Zukunft schien festzustehen. Vom größten aller Klassiker übernahm „Tolja" die Grundlage seines eigenen Spiels. Mit seiner späteren Pflege am Busen des sowjetischen Schachs, inklusive Lektionen mit Botwinnik selbst, war die Entwicklung seines großen Talents gesichert. Nähme man einen kleinen Capablanca, versähe ihn mit einem starken Siegeswillen und fügte das ganze vorhandene Eröffnungswissen hinzu, wie es von der „Sowjetischen Schule" ausgearbeitet worden ist, was käme heraus? Mancher würde behaupten: eine unbesiegbare menschliche Schachmaschine. Doch nein — es wäre lediglich ein studierter Capablanca, der sich stärker anstrengt. Aus solchem Holz können heutzutage keine Helden geschnitten werden.

172

Vor meiner ersten Partie mit Karpov, in San Antonio 1972, sah ich mir Dutzende seiner bisherigen Leistungen an. Ich fand ausgezeichnete Technik in der Verwertung kleiner Vorteile und eine sehr geringe Zahl von Verlustpartien. Aber wo waren die Opferangriffe, typisch für einen von der Vorsehung berührten Jugendlichen? Nirgends zu finden! Etwas fehlte in dieser „russischen Seele"; das war aber keinesfalls der Wunsch nach Punkten, die er mit bewundernswerter Kraft anhäufte. Während fast fünf Stunden in unserer Partie führten beide Seiten eine Serie von Manövern ohne greifbares Ergebnis aus.

37. ...

Tf8-d8

Ein tiefer Zug mit einer wichtigen positioneilen Pointe. In der verfügbaren Zeit war ich überfordert. Eine leichte Antwort war 38. Df2 —e2. Stattdessen zog ich das offensichtliche... 38. T g l - a l ? b4—b3!

Nach dem 37. Zug von Weiß

Das kam wie aus der Pistole geschossen. Es erzwingt den Tausch des weißen c-Bauern und damit eine kleine, möglicherweise entscheidende Schwächung des weißen Bauerngerüsts, die nach den weiteren Zügen 39. T a l - a 6 b 3 x c 2 40. Df2 x c2 S f 6 - d 5 zu Tage trat. Im Rest der Partie spielte Karpov erfolgreich gegen die gelockerten Bauern, erzwang weitere Schwächen und gewann. Zwei Dinge sind bei der obigen Partie bemerkenswert. Erstens, nur ein Spieler mit einem feinen positioneilen Spürsinn wird sehen, wie ernst die Schwächung der weißen Stellung nach dem drohenden b4—b3 ist. Zweitens, nur ein Spieler mit eminent sachlicher Einstellung wird einen an sich so harmlosen Zug (37. ... Td8) machen, der nur gegen einen in Zeitnot befindlichen Spieler gefahrlich ist.

Der Hauptnachteil des Weißen war die Zeit. Er mußte schnell ziehen. Anstatt, wie erwartet, die offene aLinie zu besetzen, zog Karpov

Die folgende Partie ist Karpovs Liebling und seine kühnste Leistung bis zum Erscheinen der 2. Auflage dieses Buches (1975). Ein einziges Mal weicht er von vollstän-

Karpov

Saidy

173

diger Berechnung ab und geht ein kleines, spekulatives Risiko ein. Man sollte diese Partie nicht als typisches Karpov-Schach betrachten, sondern als ein Anzeichen für einen Streifen von dem Glanz, der dialektisch versteckt in jedem Techniker vorhanden ist.

Karpov—Spasski Mannschafts-Dreikampf Moskau 1973 Spanische Partie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

e2—e4 Sgl — f3 Lfl — b5 Lb5-a4 0-0 Tfl-el La4-b3 c2—c3 h2 —h3

e7—e5 Sb8—c6 a7 —a6 Sg8-f6 Lf8-e7 b7 —b5 d7 —d6 0-0

Diese Eröffnungszüge sind heutzutage so banal wie das Orthodoxe Damengambit vor einem halben Jahrhundert. Spasski macht nun den modischen Springerrückzug Breyers, und Karpov wählt den weniger direkten, eingeschränkten Bauernzug. 9. 10. 11. 12. 13. 174

... Sc6-b8 d2 —d3 Lc8 — b7 Sbl — d2 S b 8 - d 7 Sd2 — fl Sd7—c5 Lb3 — c2 T f 8 - e 8

14. Sfl — g3 15. b2 —b4 16. d3 —d4

Le7-f8 Sc5-d7

Andernfalls befreit Schwarz sein Spiel, indem er selbst d6 —d5 durchsetzt. Nun wird er etwas beengt stehen, solange die zentrale Bauernphalanx des Weißen bestehen bleibt. 16. ... h7 —h6 17. Lei — d2 S d 7 - b 6 18. L c 2 - d 3 g7 —g6 Der erste neue Zug! Alle übrigen sind schon früher gespielt worden. So groß ist die Bürde des aufgespeicherten Wissens in heutigen Wettbewerben. Es bleibt jedoch viel Schach übrig. 19. Ddl — c2 S f 6 - d 7 20. T a l - d l L f 8 - g 7 Mit der Drohung des Befreiungszuges d6—d5. Spasskis Manöver haben ein Problem gestellt, das Karpov mit dem Blick auf Klarheit löst. 21. d4 x e5

d6xe5

Spasskis Weigerung, hier Figuren zu tauschen mit 21. ... Sd7 x e5, wie auch zwei Züge später, zeigt an, daß er kein Remis wünscht. 22. c3 —c4 23. L d 3 x c 4

b5xc4 Dd8-e7!?

Spasski muß es für zu mühsam gehalten haben, mit dem Problem des rückständigen Bc7 über 23. ... Sb6 x c4 24. Dc2 x c4 Ta8 - c 8 , gefolgt von D d 8 - e 7 , L g 7 - f 8 (falls nötig) und c7 — c5 fertig zu werden. Er beeilt sich, ihn sofort vorzustoßen, wobei er in Kauf nimmt, daß der „spanische Angriffsläufer" am Leben bleibt. Aber Karpov führt ein unerwartetes Qualitätsopfer im Schilde.

28. ...

Sb6—c8!?

Die Alternative ist 28. ... L a 4 x d l 29. Tel x dl S b 6 - a 4 30. L d 2 x h 6 Lg7 x h6 31. Del x h6, wo Karpov auf einen siegreichen Angriff nach 31. ... Sa4—c3 32. L a 2 x c 4 Sc3 x dl 33. Dh6 x g 6 | hingewiesen hat. Seine Feststellung jedoch, daß 31. ... S d 7 - f 8 32. T d l - c l dem Weißen „schöne Angriffschancen" einräume, erscheint höchst anfechtbar. Nach 32. ... T a 8 - c 8 oder 32. ... De7 x b4 sollte Schwarz die Ba24. L c 4 - b 3 c7 —c5 lance ohne Schwierigkeiten halten 25. a2 — a4!? c 5 - c 4 können dank des schönen Verteidigungsspringers auf f8. (Anm. d. Schwach ist 25. ... c5xb4? 26. Übers.: Auf 31. ... S d 7 - f 8 ist 32. Dc2 — c7 T a 8 - b 8 27. L d 2 - e 3 SO —g5 stark, zum Beispiel 32. ... L b 7 - a 8 28. a 4 - a 5 T e 8 - c 8 29. Sa4—c3 33. S g 3 - f 5 g 6 x f 5 34. e4 x f5 f7 — f6 (sonst 35. f 5 - f 6 ) 35. Dc7 —a7 mit Gewinn einer Figur. La2 x c4t und gewinnt.) 26. L b 3 - a 2

Natürlich nicht 26. Lb3 x c4? wegen Ta8—c8. 26. ... Lb7 — c6 27. a4 —a5 Lc6-a4 28. Dc2—cl Weiß muß die Qualität für einen Bauern geben. Ein großes Opferrisiko in der romantischen Tradition? Kaum. Aber wahrscheinlich ein größeres, als Karpov bisher in irgendeiner seiner Partien eingegangen ist.

29. L d 2 x h 6 30. Tel x dl

La4xdl Sc8-d6?

Ein Zug, der mit erstaunlicher Schnelligkeit zum Untergang führt! Er hat eine taktische Pointe (31. Lg6xg7 K g 8 x g 7 32. D c l - d 2 T a 8 - d 8 33. Dd2xd6? Sd7-f8), übersieht jedoch eine andere. Karpov gibt als bestes 30. ... Ta8 — a7, wobei Weiß „mehr als ausreichende" Kompensation für die Qualität nach 31. Lh6xg7 Kg8 x gl 32. Del x c4 hat. 31. Lh6xg7

Kg8xg7 175

Spasski

Nur wenige Monate vor dieser Partie waren die geschilderten öffentlichen Maßregelungen Spasskis erfolgt. Die Partie selbst war ein Vorbote künftiger Ereignisse.

Karpov 32. Del — g5! Die Dame dringt machtvoll ein und nutzt die Tatsache aus, daß der Damentausch den Schwarzen einen Springer kosten würde. Die Drohung ist nun 33. Tdl x d6 De7 x d6 34. Sg3 —f5f, sodaß Spasski sich zu einer tödlichen Schwächung seiner Königsstellung verstehen muß. 32. ... f7—£6 33. D g 5 - g 4 K g 7 - h 7 34. Sf3 — h4. Schwarz auf.

gab

Der gleichzeitige Druck auf der dLinie und am Königsflügel ist unerträglich. Falls 34. ... S d 7 - ß , so 35. Sh4 x g6 Sf8 x g6 36. D g 4 - h 5 f K h 7 - g 7 37. Tdl x d6, und falls 34. ... Te8-g8, so 35. L a 2 x c 4 T g 8 - g 7 36. Tdl x d 6 D e 7 x d 6 37. Sh4—f5 nebst Matt auf der h-Linie (Karpov). 176

In der Zeit der Nizza-Olympiade im folgenden Jahr ritt Karpov bereits auf hohem Roß. Am Schachbrett war er unbezwinglich. Abseits des Brettes war er kühl und selbstsicher, wenngleich sein Schicksal in den Geschichtsbüchern einen Stock höher bei der FIDE entschieden wurde. In der Arena brachte er diese Lektion hervor.

Karpov—Unzicker Nizza 1974 Spanische Partie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

e2—e4 Sgl — f3 Lfl — b5 Lb5-a4 0-0 Tfl-el La4-b3 c2-c3 h2 —h3 Lb3—c2 d2 —d4 Sbl — d2

e7 —e5 Sb8 — c6 a7 — a6 Sg8-f6 Lf8-e7 b7—b5 d7-d6 0 - 0

Sc6-a5 c7—c5 Dd8 — c7 Sa5—c6

Ein gebräuchliche Alternative ist 12. ... c 5 x d 4 . Karpov beschließt nun, die Mitte zu schließen und da-

mit die schwarzen Figuren zu beengen. 13. 14. 15. 16.

d4 —d5 a2 —a4 a4xb5 b2 —b4

Sc6-d8 Ta8-b8 a6xb5

23. Ld3 —bl

Schafft erneut eine Spannung am Damenflügel. Wir werden sehen, warum Weiß den Zug c5—c4 herbeizuführen wünscht. Der süddeutsche Großmeister konzentriert sich nun lediglich darauf, um die aLinie zu kämpfen und macht bis zum Schluß der Partie von den Chancen auf Gegenspiel mit S f 6 - e 8 , gl — g6, Se8 — g7 und f7 —f5 keinen Gebrauch. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

... Sd2 —fl Lei — e3 D d l — d2 Lc2-d3 Sfl — g3

c 3 x b 4 Dc7—c3 unterließ, denn weder 25. D a 2 - b l noch 25. Da2 — a7 war zu fürchten. Er spielt während der ganzen Partie wie hypnotisiert.

Karpov verzögert klug seinen Kampf um die offene a-Linie, um die Prophylaxe gegen Sf6 —e8 und f7—f5 aufrechtzuerhalten. Nun bereitet Schwarz die Übernahme der Linie vor... 23. ...

Dc7-d8 Unzicker

Sd8-b7!? Lc8-d7 Tb8-a8 Tf8—c8 g7 —g6 Le7-f8!?

Wiederum wäre aktives Spiel 21. ... Sf6 — e8 gewesen. 22. Tal — a2

c5-c4?!

Durch den Druck auf seinen c-Bauern zu lange „gekitzelt", beendet Schwarz auf nicht angebrachte Weise die Spannung. Der Vorstoß wird dem Weißen ein unerwartetes Kampfmittel einräumen. Nicht bekannt ist, warum Unzicker 22. ... T a 8 x a 2 23. D d 2 x a 2 c 5 x b 4 24.

Karpov 24. L e 3 - a 7 ! Die ungewöhnliche Ressource! Den Läufer benutzt Weiß als Schild, hinter dem er die Türme verdoppeln und so das Spektrum eines entscheidenden Eindringens behaupten 177

kann. Solche einfachen Strategeme sind Karpovs Handelsmarke. 24. ... Sf6-e8 25. Lbl — c2 Se8 —c7?! Der richtige Plan ist 25. ... Se8 - g7 und f 7 - f 5 . 26. Tel — al 27. Lc2 —bl 28. S g 3 - e 2

Dd8-e7 Ld7-e8

Sb7-d8 Lf8-g7 f7-f6?!

Schwarz scheint entschlossen zu sein, für den Rest der Partie keiner seiner Figuren zu erlauben, die letzten beiden Reihen zu verlassen. Die letzte Chance zur Aktivität liegt in 39. ... e 5 x f 4 mit einem starken Punkt auf e5. 31. f 4 - f 5

g6 —g5

Errichtet eine Barriere, die sich als Illusion erweist. Schlecht wäre 31. ... g 6 x f 5 32. e 4 x f 5 L e 8 - f 7 33. Lbl — e4 und die Bauern am Königsflügel kommen ins Rollen. Aber 178

32. Lbl — c2 L e 8 - f 7 33. S e 2 - g 3 S d 8 - b 7 Unglücklicherweise kann Schwarz den Punkt h5 nicht behaupten, wie 33. ... h7 —h5 34. L c 2 - d l D e 7 - e 8 35. D d 2 - e 2 zeigt. 34. Lc2—dl

Trotz der weißen Vorherrschaft am Damenflügel hat Schwarz alle lebenswichtigen Punkte dort verteidigt. Deswegen geht Karpov daran, eine weitere Front zu öffnen. Er weiß, daß eingeengte Figuren nur beschränkte Wirkung haben. 28. ... 29. S f 3 - h 2 30. f2 —f4!

ein besserer Versuch war das elastischere S d 8 - f 7 .

h7-h6

Schwächt das Feld g6; auf jeden Fall wäre aber Weiß immer in der Lage gewesen, mit h3 — h4 auf längere Sicht durchzubrechen. Der spanische Läufer erfahrt nun ein „happy end", indem er den Weg für den Zutritt der Dame vorbereitet. Schwarz vermag inzwischen die Zeit nur durch Wartezüge zu markieren. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42.

Ldl — h5 Dd2 —dl Ta2-a3 Tal — a2 Sh2-g4 Sg4-e3 Lh5 x f7f Ddl — h5

De7-e8 Sb7-d8 Kg8-f8 Kf8-g8 Kg8-f8 Kf8-g8 Sd8xf7 Sf7-d8

Ebenso verliert 42. ... S f 7 - h 8 43. Dh5 x e8f, gefolgt von S g 3 - h 5 , Ta3 —a5 und La7 —b6. 43. D h 5 - g 6 K g 8 - f 8 44. Sg3—h5. Schwarz auf.

gab

Die reifen Früchte fallen bald vom Baum, etwa nach 44. ... De8 —f7 45. S e 3 - g 4 S c 7 - e 8 46. T a 3 - a 5 , und Schwarz kann nicht alle seine

Bauern auf beiden Flügeln verteidigen. Den weißen Angriff hätte Tarrasch selbst nicht besser durchführen können.

In aller Geschwindigkeit stieg Anatoli Karpov, der einen Turniererfolg nach dem anderen errang, im Alter von 22 Jahren zum Weltmeisterschaftskandidaten auf. In den sich ergebenden Wettkämpfen gegen sowjetische Landsleute im Jahre 1974 machte er kurzen Prozeß mit Lev Polugajevski und fügte dann dem außer Form befindlichen Boris Spasski eine fabelhafte Niederlage zu. Im Finale stand er dem erfahrenen Konterboxer Viktor Kortschnoj gegenüber. Ein erregender Zusammenstoß entgegengesetzter Spielauffassungen war zu erwarten. Das Match Karpov—Kortschnoj verdient hauptsächlich als negatives Beispiel eines guten Wettkampfs Aufmerksamkeit, für die Art, wie ein Weltmeister ermittelt wird. Wenn Moskowiter, die begierigsten Schachliebhaber der Welt, nicht den Spielsaal aufsuchen, muß etwas verkehrt laufen. Das Schlimme war die Erhebung der unentschiedenen Partie zu neuer Übermacht: von den 24 Partien gab es eine Rekordzahl von 19 Unentschieden. Karpov, der sich in häuslicher Arbeit mit scharfen Eröffnungen vorbereitet hatte, ging mit zwei Siegen frühzeitig in Führung. Dann begann die Herrschaft des halben Punktes. Nach den Regeln brachte jedes Remis den Führenden dem Wettkampfsieg näher, und er machte keine Anstrengung, die fünf Partiegewinne zu schaffen, die allein das Match vor der 24Partien-Grenze entscheiden konnte. Der langweilige, kleinmütige Verlauf dieses Wettkampfs ist ein starkes Argument für Fischers beharrliches Bestehen darauf, daß in Wettkämpfen um die Weltmeisterschaft Remisen nicht zählen sollen, sondern nur Gewinne. Trotz Kortschnojs teilnahmsloser Eröffnungswahl versäumte er mögliche Siege in drei Partien vor seinem Wiedererstarken, das zu spät kam. Schließlich setzte sich Karpov mühevoll mit 3:2 durch. So errang er das Recht, Fischer herauszufordern, und die Weltkrone fiel ihm nach den FIDE-Regeln wegen Nichtantretens des Titelträgers zu. Dank der offiziellen Kurzsichtigkeit sah sich die Schachwelt einer weitgehend unbefriedigenden Lage gegenüber. Es gab nun zwei Päpste: einen in Rom und einen in Avignon. Doch die Gläubigen ließen sich nicht zum Narren halten. Außer den Redakteuren der Prawda betrachteten nur wenige Leute Anatoli Karpov als den besten Schachspieler der Welt. 179

Dieser konnte es sich gut leisten, sich zurückzulehnen, zufrieden mit dem künstlichen Lorbeer, den sein System so hartnäckig für ihn erkämpft hatte. Den Gedanken aber konnte er schwerlich unterdrücken: er hatte nie eine Partie mit Bobby Fischer gespielt. Was die Schachideen angeht, hat Karpov keine Vorliebe für brillante Einfalle oder ästhetische Schönheit. Seine ganze Praxis bisher liefert eine ziemlich einseitige Lektion für den Lernenden: die neueste Ausgabe in den Annalen der präzisen, positioneilen Wissenschaft. Eine Übersicht über Hunderte seiner Partien deckt auf, daß er sie durch hartnäckige Genauigkeit gewinnt. Er mag, sagen wir, 40 korrekte Züge machen, sein Gegner 39 korrekte und nur einen zweifelhaften. Der letztere mag dann ausreichen, einen Bauern oder ein Schlüsselfeld in einem Grade zu schwächen, daß der schließliche Untergang besiegelt ist. Karpovs Partien bringen uns zurück zu einem früheren Kapitel in der schachlichen Entwicklung, als große Denker die nun klassischen Prinzipien des Positionsspiels zur Vollendung führten. Diesen ist nichts hinzuzufügen; Karpov kann nur die Früchte ihrer Anwendung ernten, und er macht es besser als seine Rivalen. Man bewundert seine Meisterschaft im Brechen des Widerstands, aber nicht die Schönheit oder Originalität seiner Entwürfe. Er ist ein würdiger Repräsentant der sowjetischen Bürokratie, und er dient dazu, deren Prestige wieder zur Geltung zu bringen. Karpov ist jung, und sein Spiel mag sich noch neue Dimensionen aneignen. Aber sein Aufstieg, wenn er andauert, während sein Stil in seiner jetzigen Form einfriert, wird wenig zum Fortschritt der Kreativität im Schach beitragen. In der Tat, der Schatten aus dem Zeitalter des Anti-Helden tut sich wieder von ferne auf.

180

18. Kortschnoj: Gefahren der Provokation „Das menschliche Element, die menschliche Unzulänglichkeit und der menschliche Adel — das sind die Gründe, warum Schachpartien verloren oder gewonnen werden." — V. Kortschnoj Viktor Kortschnoj, der mittels unerbittlichen Kampfes den Gipfel der Schachwelt erklomm, hat ganz allein ein Faktum der Sowjetischen Schule ins Gegenteil verkehrt. Denn er beschuldigte das sowjetische System, von dem man bisher annahm, es liefere die bestmöglichen Begleitumstände zur Entwicklung schachlicher Spitzenkönner, der Feind seiner schöpferischen Laufbahn zu sein. Und er lieferte den Beweis seiner Behauptung, indem er im reifen Alter die höchsten Stufen erst erreichte, nachdem er seine Heimat verlassen hatte. Dieser bevorzugte Sowjetbürger, viermaliger Sieger in der gewaltig besetzten Meisterschaft der UdSSR, geschliffen und gefördert durch jene angesehene Schachschule, hatte im Jahre 1976 den Mut zu der provozierenden Erklärung, er sei kein Staatseigentum: Er setzte sich in den Westen ab. Damit brachte er den bösartigsten organisierten Verfolgungs-Feldzug in der Geschichte des Schachspiels ins Rollen, eine vollendete Politisierung des Sports. Die Moskauer Instanzen bezeichneten ihn als geldgierigen, unmoralischen Verräter und versuchten, ihn zu ruinieren, zunächst durch eine als öffentliche Rüge abgefaßte Erklärung, der, mit wenigen Ausnahmen, die Namen aller sowjetischen Großmeister angehängt waren. Der nächste Schritt war die Forderung, die FIDE möge ihn aus dem Wettbewerb um die Weltmeisterschaft ausschließen. Dann folgte ein Boykott aller Turniere, zu denen Kortschnoj eingeladen wurde. Den Höhepunkt bildete die Einsperrung seines Sohnes in ein Arbeitslager für zweieinhalb Jahre, den man beschuldigte, einem Einberufungsbefehl ausgewichen zu sein. Igor Kortschnojs wirkliche Missetat war, daß er und seine Mutter einen Ausreiseantrag stellten, um die Familie wieder zu vereinigen und so

181

Kortschnoj zu ermöglichen, unter fairen Bedingungen zu kämpfen. Moskau gab erst nach, nachdem Kortschnoj gezwungen war, seinen zweiten bitteren Titelkampf mit Karpov unter unfairem psychischem Druck auszufechten. Nach sechs Jahren der Sorge, Enttäuschung und zahlreicher internationaler Bittschriften konnte Kortschnoj seine Familie wiedersehen. Eine Würdigung des Gipfelschachs in der Nach-Fischer-Ära (man gebraucht diesen Ausdruck mit Bedauern) ist untrennbar verbunden mit der politischen Nebenvorstellung, die den Kampf auf dem Schachbrett ständig störte. U m damit zu beginnen, waren die Begegnungen zwischen Karpov und Kortschnoj keine sehr erfreuliche Mischung der Stilrichtungen. Sie waren schöpferisch bescheiden und zum Schluß verfälscht durch eine Atmosphäre gegenseitiger Abneigung. Der erste, der den Herausforderer des ausweichenden Fischer im Jahre 1974 bestimmen sollte, hatte hauptsächlich den „Erfolg", dem Remis zu einer nicht dagewesenen Vorherrschaft zu verhelfen: 79% der gespielten Partien endeten unentschieden. Karpov, um 20 Lebensjahre im Vorteil, stolperte zu einem 3:2-Sieg. Der Titelkampf von 1978 in Baguio, auf den Philippinen, war umrankt von einem Netz psychologischer Kriegführung, voll von Geheimagenten, Gurus, Parapsychologen und Propagandisten. Karpov, der zuletzt unfähig war, seinem Gegner aus einer Serie gewonnener Stellungen heraus den tödlichen Hieb zu versetzen, gestattete der überlegenen Endspieltechnik Kortschnojs, einen 2:5-Rückstand auszuradieren. Aber dann folgte der Niedergang, als der Herausforderer eine verheerende Verteidigung wählte, die 36. Partie, und mit ihr den Wettkampf 5:6 verlor. Die gewaltigen Hilfsquellen in der Eröffnungsvorbereitung durch ein das ganze Land umfassendes „Team" waren nur ein weiterer Beweis für die Ungerechtigkeit seiner Kämpfe mit Kortschnoj. Die entscheidende, offenkundige Schwäche in Kortschnojs Panzer war jedoch sein gewohnheitsmäßiges Ringen mit der Zeitnot. Kortschnoj führte einen unermüdlichen Werbefeldzug, um seine Familie frei zu bekommen. Er nannte Karpov ihren Gefängniswärter, während er fortfuhr, eine Serie anderer Anwärter auf die Weltkrone zu überwältigen. Sein kolossaler Wettkampfrekord bis Ende 1983 wies keine geringeren Opfer auf als Reshevsky, Tal, Geller, den brasilianischen Klassizisten Mecking, Petrosjan (dreimal bei einer Niederlage), Spasski (bei einer Niederlage), Polugajevski (zweimal), den launenhaften Hübner, Deutschlands leuchtendsten Stern seit den Tagen der Lasker und Tarrasch, und Ungarns Portisch. Zu Beginn des Titelmatchs 1981 in Meran telefonierte ein Helfer Kortschnojs mit Leningrad und berichtete (es bestätigte sich später nicht), 182

daß Sohn Igor in seinem Arbeitslager gerade geschlagen worden sei. Den Einfluß auf Kortschnojs Konzentration und Objektivität kann man sich leicht vorstellen. Er war nicht wiederzuerkennen und verlor drei seiner ersten vier Partien durch unerklärliche Schnitzer und Fehlbeurteilungen. Wenn auch die beiden späteren Siege Kortschnojs die interessantesten der Auseinandersetzung waren, unvermeidlich war Karpovs schließlicher Triumph mit 6:2 bei zehn Unentschieden. Wenn auch Karpov, der weitgereiste und erfolgreiche Turnierkämpfer und Held der sowjetischen Pressemedien, zweifellos Prestige und Einfluß bei der Jugend besitzt, bleibt seine Krone befleckt. Er erhielt sie, nicht indem er Fischer überspielte, sondern indem er ihn politisch ausmanövrierte, und er behielt sie durch Erfolge, die sich geschichtlich als Pyrrhus-Siege über einen verfolgten Gegner herausstellen werden. Seine Fürsprecher behaupten, daß er gegen die Staatsmaschinerie nichts ausrichten könne. (Ist er nicht ein Teil davon?) Wir sprechen jedoch von begangenen, nicht unterlassenen Aktionen. Karpov bot einmal Großmeister Boris Gulko einen Handel an, wenn er „lediglich" damit aufhören würde, zusammen mit seiner Frau, der früheren UdSSR-Frauenmeisterin Anna Achscharumowa*, Hungerstreiks zu inszenieren und seine Emigration zu verlangen. Ein weiteres Beispiel: 1982 fälschte das Magazin „64" die offizielle FIDEListe der Spieler mit der höchsten Elo-Wertung und strich die Namen der Flüchtlinge Lev Alburt, Igor Ivanov und Tatjana Lematschko und sogar der legalen Israel-Emigrantin Alla Kuschnir. Ein Michail Botwinnik hätte eine solche Entstellung der Geschichte nicht zugelassen. Der Chefredakteur der „64": Karpov. Karpovs ruhige passive Strategie, abzuwarten, bis unprovozierte Irrtümer ausgenützt werden können, genügte dreimal, um die Oberhand über Kortschnojs verwickelten, verpflichtenden, auf Gegenangriff abgestellten Stil zu gewinnen, der zudem mit fortwährenden Seiltänzen mit der Uhr verbunden war. Karpov, der kühle, pragmatische Favorit der Statistiker, nicht der Schachliebhaber, war gewöhnlich bereit zuzuschlagen, wenn Kortschnoj, der furiose Sucher des verworrenen Sieges im Wirbel der Zeitnot, unvermeidlich strauchelte. Ein Beispiel ist Partie 17 in Baguio, in der Kortschnoj seinen Rivalen vollständig überspielte und ein günstiges Endspiel erreichte, um dann auf ein einfaches Matt hereinzufallen. * In der UdSSR-Frauenmeisterschaft 1982 hatte Achscharumowa die Kühnheit, den Rückgewinn ihres Titels zu versuchen, indem sie Nana Josseliani schlug (durch Zeitüberschreitung). Ihr Sieg wurde jedoch von dem weit entfernten Schiedsrichter-Ausschuß der UdSSR annulliert.

183

Kortschnoj hat Emanuel Lasker als seinen Helden bezeichnet, und tatsächlich erhoben beide den elementaren Kampfgeist auf die höchste Stufe. Kortschnoj s Spiel wird jedoch noch durch einen anderen Umstand kompliziert, dem Lasker nicht zum Opfer fiel, zu dem sein „gesunder Menschenverstand" (Titel eines Lasker-Buches, der Übers.) nicht fähig war: der Eigenschaft, eine Stunde über einen einzigen Eröffnungszug nachzudenken in dem Versuch, sich in eine bekannte Stellung tiefer hineinzudenken als irgend jemand zuvor, nur um dann mit Blitzgeschwindigkeit die entscheidenden Züge 30—40 recht und schlecht auszuführen bei unvermeidlicher Verminderung der Qualität seiner Züge. (Im Blitzspiel haben Großmeister sogar gegen Schachcomputer verloren.) Reflexbewegungen der Hand sind kein Ersatz für das Nachdenken. Psychologisches Informbringen unter dem richtigen Trainer kann eine solche Verhaltensstörung (wie ich diesen Vorgang hier einmal nennen möchte) durchaus lindern. Wer es auf den zwiefachen Wahn des Perfektionismus (im 8. Zug) und der Allmacht (im 38.) ankommen läßt, verliert Punkte. Die Suche nach der letzten Wahrheit endet als reine Vorgabe an jeden Spieler, der seine Zeit vernünftig einteilt. U m das Wortspiel des jahrelangen amerikanischen Champions Walter Browne über Fischer zu benutzen — innerhalb der Kremlmauern in Moskau war Karpov der Schachgott, Kortschnoj — der Schachteufel. Der gewaltige Verwaltungs-, technische und Polizeiapparat des Sowjetstaats wurde in Bewegung gesetzt, um den konformistischen, russischen, der Arbeiterklasse entstammenden Weltmeister, ein Mitglied des Zentralkomitees der Komsomolzen festzuhalten, den Aufsteiger über den kosmopolitischen, teiljüdischen Undankbaren, der die Verschwörung des Schweigens gebrochen hatte. Kenner der Schachstrategie bevorzugen das Spiel Kortschnojs. Mit seinem Hang zur Gefahr wird er einen Bauern mitnehmen, dem überfallartigen Angriff widerstehen und im Endspiel die Oberhand behalten; oder er wird einen langsamen, schmucken Angriff am Damenflügel aufbauen. Weitoffene Königsbauernpartien und grobe Angriffe auf den König legte er in seiner Jugend ab. Er zieht jene Verteidigungen vor, die klassischen Prinzipien trotzen und nicht nach Ausgleich, sondern nach Gegenangtiff streben. Wir können feststellen: Kortschnoj wäre der Sieger, käme die Begegnung mit dem nicht wiedererstarkten Karpov auf einer platonischen Ebene zustande. Doch in der wirklichen Welt besiegte der überlegene Pragmatiker, nicht so sehr eine Persönlichkeit, sondern die Personifikation eines sozialen Systems, mit nur einer Idee — den Gewinn — den Individualisten, der immer eine Idee zuviel zu haben schien.

184

Was die Schachwelt braucht, ist Befreiung — von dem Eingriff der Politik in unsere weltweite Gemeinschaft, eine Sicherung der Rechte aller Spieler zu leben und ihrer Kunst nachzugehen, wo sie es wünschen, eine Rückkehr zum Schach für die Sache der Schachkunst. Eine Abwendung von der Kortschnoj-Karpov-Ära wäre für unser Spiel am zuträglichsten.

Kortschnoj—Najdorf Wijk aan Zee 1971 Damengambit 1. 2. 3. 4.

c2 —c4 Sbl — c3 Sgl — f3 d2 —d4

Sg8-f6 e7 —e6 d7 —d5 c7-c5

Die Halb-Tarrasch-Verteidigung, die zu einer offeneren Stellung führt, als Kortschnoj erstrebt. Doch die Herrschaft des Weißen in der Mitte und Angriffschancen am Königsflügel, der die schwarze Überlegenheit am Damenflügel gegenübersteht, wird das dynamische Ungleichgewicht herbeiführen, das Kortschnoj bevorzugt. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

c4xd5 e2 —e4 b2 x c3 c3xd4 Lei — d2 Ddl x d 2 Lf1 — c4

Sf6xd5 Sd5xc3 c5 x d4 Lf8-b4t Lb4xd2f 0-0

Die wohlbekannten Vereinfachungen haben die Aufgabe des Schwarzen erleichtert, doch Polugajevskis Ideen haben den Angriff verstärkt — in der Hauptsache das mögliche

Bauernopfer d4 —d5 e6xd5, e4 —e5 mit Blickrichtung auf den König. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

:.. b7 —b6 0-0 Lc8-b7 T f l - e l Sb8 — d7 T a l - d l Ta8—c8 Lc4-d3 Tf8-e8 Dd2-e3 Tc8-c3 e4 —e5!?

Das ist keineswegs nur mit der taktischen Drohung Ld3 x h7f verbunden, sondern ein typischer Kortschnojplan, in hohem Grade verpflichtend, denn der d-Bauer wird rückständig (auf Dauer?) und überläßt dem Gegner den starken Punkt d5, um den schwarzen Springer von f6 fernzuhalten und den Königsangriff zu verfolgen. „Eine charakteristische kompromißlose Entscheidung" — nach dem britischen Meister, dem Psychologen William Hartston. 17. 18. 19. 20. 21.

... Sf3-g5 Sg5-e4 De3xe4 h2 —h4

Dd8—c7 Sd7-f8 Lb7xe4 Te8-d8 Dc7 — e7?! 185

Der überschwengliche argentinische Veteran unterschätzt die Chancen des Weißen. Besser war 21. ... T d 8 - d 5 22. D e 4 - g 4 D c 7 - d 8 23. L d 3 - e 4 T d 5 - d 7 24. T e l - e 2 Tc3 — c4 25. T e 2 - d 2 und Weiß wäre zu sehr mit seinem rückständigen Bauern beschäftigt, als daß er die Überlegenheit seiner Leichtfigur ausnützen könnte. 22. D e 4 - g 4 T c 3 - a 3 23. Ld3 — c4 b6 —b5 24. L c 4 - b 3 a7 —a5?! Verschanzung war angewiesen, doch Najdorf erliegt der Illusion, auf diese Weise den thematischen Durchbruch verhindern zu können. Najdorf

§J in i m W AAA H H All • BAU B H Hü B HAH H H &1I 11 BAH H ÜÜÄ B S Kortschnoj 25. d4 —d5ü Strategisch ist dieser Zug klar; er erfordert jedoch eine 12 Züge tiefe 186

Berechnung, an deren Ende Kortschnoj vorhersehen mußte, daß er auf Gewinn steht, obwohl er im Endspiel einen Springer weniger hat. Man kann sich vorstellen, daß er fast die ganze ihm verbliebene Zeit drauf verwendete, obgleich die richtige Antwort, 25. ... e6xd5, ihm nicht mehr als ein ruhiges, positionelles Plus eingeräumt hätte. Najdorf „beißt zu". 25. ... 26. d5 x e6

a5 — a4?

Und nicht 26. d 5 - d 6 ? (27. D g 4 - b 4 ? a4xb3). 26. ... 27. e6 x f7f

Dc7-a7

a4xb3 Kg8-h8

Wenn 27. ... K g 8 x f 7 , so 28. Tdl x d 8 D e 7 x d 8 29. e 5 - e 6 f mit leichtem Gewinn. 28. Tdl x d8 De7 x d8 29. a2 x b3 Und nicht 29. e 5 - e 6 ? b 3 x a 2 30. e6 —e7 Dd8xe7. 29. ... 30. e5—e6 31. f 2 - f 4 !

Dd8-e7 Ta3 —a6

Die „stille" Pointe! Die logische Fortsetzung ist nun 31. ... Ta6xe6 (oder 31. ... Sf8xe6 32. T e l x e 6 Ta6 x e6 33. Dg4 x e6) 32. Tel x e6 D e 7 x e 6 (oder 32. ... Sf8xe6 33.

Dg4 x e6) 33. Dg4 x e6 Sf8 x e6 34. f 4 - f 5 S e 6 - f 8 35. h 4 - h 5 g 7 - g 6 36. h5 — h6!

ständigung der fünf noch zu machenden Züge sind Kortschnoj aber nur noch Sekunden geblieben; er sieht einen „schönen Gewinnzug" und macht ihn. 36. D c 7 - c 8 f ! ?

Kh8-h7

Vermeidet 36. ... Ta8xc8 37. Tel x c8f K h 8 - h 7 38. f 7 - f 8 S f ! Kh7 - g8 39. Sf8 - g6f Kg8 - h 7 40. T c 8 - h 8 matt. 37. Dc8xa8? Analysediagramm Man vergleiche dieses Diagramm mit dem vorigen. Beim ersten mußte Kortschnoj das zweite vorhersehen und wissen, daß Schwarz gegen den einmarschierenden weißen König im Endspiel wehrlos sein würde. Tief und elegant: der Kortschnojverstand auf dem höchsten Punkt. Najdorf hofft nun nur noch auf einen „Schwindel".

Die Zeitnot fordert ihren Tribut, das stolze Drama wird zu einer Farce herabgewürdigt. 37. ... 38. K g l - f l

Db4-d4f Dd4-f4|?

Najdorf verpaßt seine Chance auf Rettung über ein ewiges Schach: 38. ... D d 4 - d 3 f . Zeitnot ist die übliche Erklärung für solche Schnitzer, und auch, daß der Spieler in einer verlorenen Stellung oft innerlich aufgegeben hat, bevor der Kampf 31. ... h7 —h6 vorbei ist und so für eine letzte Ge32. f4 —f5 Sf8-h7 legenheit nicht aufnahmebereit ist. 33. Tel — cl T a 6 - a 8 Er schleppt das Spiel fatalistisch 34. D g 4 - f 4 S h 7 - f 6 weiter, lediglich, um das Publikum 35. D f 4 - c 7 D e 7 - b 4 zufriedenzustellen. Die Partie befinWeiß konnte nun seinen Gegner mit det sich nun wieder im richtigen 36. Dc7 — c5 zur Aufgabe zwingen, Gleis. weil die Freibauern sich als unwi39. Kfl — e2 D f 4 - e 5 | derstehlich erweisen. Zur Vervoll187

Oder 39. ... D f 4 x c l 40. f 7 - f 8 S f ! 40. Ke2 —dl. Schwarz auf.

gab

Kortschnojs Guillotine (Fähnchen auf dem Zifferblatt) ist oben geblieben, und sein König wird aus den Schachgeboten entfliehen. Die Drohung der Unterverwandlung entscheidet. Ein solches Werk Kortschnojs verkörpert mehr Künstlerschaft (und, leider, mehr Nervenanspannung) als ein Dutzend Karpovpartien. * Emanuel Lasker wählte absichtlich Spielweisen, die einem bestimmten Gegner am wenigsten lagen und unterschied sich damit von Steinitz, der feststellte, sein Gegner könne ebensogut ein Roboter sein. In dem folgenden Ringen, das entscheidenden Einfluß auf den Wettkampfausgang hatte, brachte Kortschnoj unerwartet eine vorbereitete Opfervariante hervor, um den hervorragenden Angreifer Spasski, in eine unbequeme Verteidigung zu drängen. Diese Huldigung an Laskers Psychologie war das Vorzeichen eines nicht dagewesenen psychologischen Krieges zwischen den Spielern — während dessen jeder von ihnen sich abwechselnd weigerte, am Brett während verschiedener Partien des Wettkampfs Platz zu nehmen. 188

Spasski—Kortschnoj Kandidaten-Wettkampf, Belgrad 1977 Französische Verteidigung 1. e2—e4 2. d2—d4 3. Sbl — c3

e7 —e6 d7-d5 Lf8-b4

Die zweischneidige Winawer-Variante ist das Signal zu einer kompromißlosen Schlacht. 4. e4 —e5 5. a2 —a3 6. b2 x c3

c7 —c5 Lb4xc3f Sg8-e7

Eine wichtige Alternative ist 6. ... Dd8—c7, um 8. D d l - g 4 mit f7 —f5 beantworten zu können. So verlief die zweite Matchpartie. In späteren Partien wird Spasski verschiedene Abweichungen im 7. und 8. Zug wählen, bis Kortschnoj in der 14. zu 1. ... e7—e5 umschaltete. 7. Ddl — g4

c5xd4

Die Bauernopfer beginnen. Als Kompensation zählt Schwarz auf rasche Entwicklung und offene Linien. Das ältere 7. ... Se7 —f5 8. Lfl — d3 h7 —h5 9. D g 4 - f 4 ist bequem für Weiß. Spasski nimmt die Opfer an und geht in die Verteidigung über. In Partie 12 wird er 8. c3 x d4 wählen. 8. Dg4xg7 T h 8 - g 8 9. D g 7 x h 7 Dd8 — c7

10. 11. 12. 13.

Sgl — e2 Sb8—c6 £2—f4 Lc8-d7 Dh7-d3 d4xc3 Lei — e3

Eine von mehreren bekannten Alternativen; sie bereitet den Sicherungszug Se2 —d4 vor — läuft jedoch in Kortschnojs Granate hinein.

Kortschnoj

16. D d 3 x d 4

b7-b6

Nach Kortschnojs Sekundanten Keene ist 16. ... L d 7 - c 6 17. D d 4 x a 7 T d 8 - d 2 18. L f 2 - b 6 D c 7 - b 8 oder 17. D d 4 x c 3 unklar. 17. L f 2 - h 4 Spasski strebt nach Vereinfachung. Nun wäre 17. ... S e 7 - f 5 18. L h 4 x d 8 S f 5 x d 4 19. L d 8 x c 7 Sd4 x c2f 20. Kel - f2 Sc2 x al 21. Lc7 — d6 schwach. 17. ... Ld7 — b5 18. D d 4 - e 4 L b 5 x f l 19. Thl x f l ! ? Stets kampfesmutig! Klüger war es, das Remis mit 19. De4 — a8| K c 8 - d 7 20. T a l - d l | S e 7 - d 5 21. T d l x d 5 f e 6 x d 5 22. D a 8 x d 5 f Kd7 —c8 23. Dd5 —a8f (ewiges Schach) mitzunehmen.

Spasski 13. ... 14. L e 3 - f 2

d5 —d4!

Dieses Ergebnis der Überraschung und langen Nachdenkens sieht gekünstelt aus. Eine schwerere Belastungsprobe für die Neuerung wäre vielleicht 14. S e 2 x d 4 S c 6 x d 4 15. D d 3 x d 4 S e 7 - f 5 16. D d 4 - c 5 , oder 15. ... b 7 - b 6 16. L c 3 - f 2 . 14. ... 15. S e 2 x d 4

0-0-0 Sc6xd4

19. ...

Td8-d5!?

Ebenso hier! Ein Gegen-Dauerschach war mit 19. ... T d 8 - d 2 20. L h 4 x e 7 Tg8xg2 21. L e 7 - d 6 D c 7 - b 7 22. De4 — c4f K c 8 - d 8 23. T a l - d l T g 2 - e 2 f 24. D c 4 x e 2 Td2xe2| 25. K e l x e 2 D b 7 - e 4 f 26. K e 2 - f 2 D e 4 x f 4 f (Keene) zu haben. 20. L h 4 x e 7 D c 7 x e 7 21. Tfl — f3 Kc8-b8 22. K e l - f l ! ? 189

Besser als 22. Tf3 x c 3 D e 7 - h 4 f 23. K e l - f l T d 5 - d 2 . Aber einfacher spielt sich Najdorfs Anregung 22. g2 —g3, zum Beispiel 22. ... Td5—d2 23. T ß x c3 Tg8 - d 8 „mit gleichen Chancen" (Keene). 22. 23. 24. 25. 26.

... Tf3-f2 De4-D Kflxß Kf2-g3

Td5-d2 Tg8-d8 Td2xf2f Td8 — d2f

Zu gefährlich ist 26. K f 2 - f l De7—c5. U m die Sicherheit seines Königs muß Spasski weiterhin besorgt sein, und so gerät er in ungewohnte Zeitnot, während er den Hieben Kortschnojs, fortwährenden direkten Drohungen, standzuhalten hat. 26. ...

De7-d8

Nicht 26. ... T d 2 x c 2 27. D f 3 - d 3 . 27. D f 3 - e 4

Dd8-g8f

28. K g 3 - h 3 29. K h 3 - g 3 30. K g 3 - h 3

Dg8 —h8f Dh8-g7f Td2-d8

Weil der g-Bauer auf g2 solide steht, zwingt Schwarz ihn zum Vorrücken. Spasski hatte jetzt nur noch 5 Minuten übrig für zehn Züge; Kortschnoj hatte 15. 31. 32. 33. 34.

190

g2—g4 Kh3-g3 De4-g2 Kg3-f3

Td8-h8| Dg7-h6 Dh6-h4f Th8-d8

Wieder zurück! Er vermeidet das Remis mit 34. ... D h 4 x h 2 . 35. D g 2 - g 3 ? ! Spasski beginnt unter dem Druck zusammenzubrechen. Besser war 35. Tal — f l (Gligoric) T d 8 - d 2 36. T f l — f2 Td2 x f2f 37. D g 2 x f 2 D h 4 - h 3 f 38. D f 2 - g 3 D h 3 - f l f 39. D g 3 - f 2 und Remis. 35. ... 36. g4 — g5?

Dh4-e7

Nun hat er das Gleichgewicht verloren. Den gewonnenen Bauern mit 36. Tal — el im Stich zu lassen hätte vielleicht dem Weißen ermöglicht, „mittels sehr genauer Verteidigung am Leben zu bleiben" (Keene). 36. ... 37. K f 3 - g 4 38. Dg3 x c3

Td8-d2 De7-b7

Verliert, doch nach dem etwas besseren 38. Tal - gl Td2 x c2 oder 38. ... Db7 —e4 scheint die Bloßstellung des Königs ebenfalls tödlich zu sein. 38. ... Td2-g2f 39. Kg4 — h3 T g 2 - f 2 40. K h 3 - g 4 D b 7 - e 4 Weiß gab auf. Denn auf 41. Dc3 —g3 folgt Tf2—g2. Tausend jugoslawische Schachfreunde spendeten dieser Titanenschlacht einen fünf Minuten langen stehenden A p plaus.

In einem dicken Buch über Karpovs Aufstieg mit dem Titel „Uralskii Samotsvet" gelang es Alexander Kotov, der Grauen Eminenz des sowjetischen Schachs, jede Erwähnung des verhaßten Namens Kortschnojs zu vermeiden (ebenso wie das russische Buch über das Turnier von Kiev 1978 Lev Alburt erfolgreich zu einer Unperson im klassischen Orwell-Stil machte und so ein Achtel der Partien ausließ). Zum Unglück für die Neuschreiber der Geschichte kämpft Kortschnoj weiter, eine Verkörperung des Laskerschen Kampfprinzips. Wenn ihm auch das Schicksal die höchste Ehre mit dem knappsten aller möglichen Ergebnisse verwehrte, ist er doch ein lebendes Denkmal dafür, daß Energie, Lebenskraft und Sieg nicht das ausschließliche Vorrecht der Jugend sind.

191

19. Kasparov: Die Wiedergeburt des Schöpferischen „Immer versuche ich, schöne Partien zu spielen ... Ich wollte immer Meisterstücke schaffen." — G. Kasparov Die Karpov-Ära war für die Schachwelt nicht ohne Nutzen. Zwar wünschte man sich einen Meister mit mehr Erfindungsgabe (und Großmut), aber kein aktiverer und erfolgreicherer Turnierspieler könnte besser geeignet sein für die Öffentlichkeitsarbeit, die seine Förderer brauchten. Die oft trockene Gelassenheit seiner Praxis ist sogar von ungewöhnlichen Glanzlichtern unterstrichen worden: gegen Polugajevski das spekulative Opfer zweier Bauern; gegen Hübner das Opfer eines ganzen Turms mit nicht ganz sicherem Ausgang (er gewann beide Partien). Doch am häufigsten blieb der Eindruck einer glatten, unerbittlichen Boa constrictor, eines Petrosjan der Königsbauern-Eröffnung, eines menschlichen Computers, programmiert mit der gründlichsten Analyse eines Teams von Eröffnungsspezialisten. Botwinnik, der anscheinend jede diplomatische Vorsicht über Bord geworfen hatte, gab 1983 ein Interview mit einer verblüffend negativen Einschätzung Karpovs: „Als er Weltmeister wurde, nötigte er alle schöpferischen Schachspieler in der Sowjetunion, ihm zu Diensten zu sein. Wurde ein Meister bekannt wegen seiner Ideen über eine bestimmte Eröffnung, wurde er nach Moskau gebracht und instruiert, weitere Forschungen in dieser Eröffnung für Karpov zu unternehmen und seine Funde zu Papier zu bringen, natürlich mit äußerster Diskretion. Kurz gesagt, wir können Karpov als Nutznießer der Ideen anderer sehen. Seine Fähigkeit, diese Ideen auszunützen, steht nicht zur Debatte; aber er selbst ist ungefähr so fruchtbar wie eine sterilisierte Frau." In den siebziger Jahren tauchte keine wirkliche Gefahr für die Vorherrschaft Karpovs auf. Kortschnoj konnte ihn auf intellektuellem, aber 192

nicht auf Wettkampfniveau herausfordern. Tal war zu wandelbar. Spasski, Petrosjan, Larsen befanden sich auf relativ absteigendem Ast. Im Westen konnten nur kompromißlose Kämpfer wie Hollands Jan Timman oder Jugoslawiens Ljubomir Ljubojevic gelegentlich einen Rückschlag Karpovs herbeiführen. Der ultraruhige Schwede Ulf Andersson konnte im besten Falle 90% Remisen gegen den Weltmeister erwarten, der ihn 1984 im zweiten Wettkampf UdSSR gegen den Rest der Welt (den die sowjetische Seite gegen ein nicht optimales Weltteam 21:19 gewann) mit 2 Vi: 1 Vi Punkten abfertigte. Ebensowenig der Aufgabe gewachsen, Karpov zu überwinden, waren Deutschlands Robert Hübner, dessen positioneile Tiefe durch ein Versagen der Nerven in Krisen gestört wird, Amerikas Walter R. Browne, der oft aggressiven Klassizismus in reinster Form hervorbringt, aber nicht mit der Uhr fertig wird, und Englands unbekümmerten Tony Miles, der einmal den Weltmeister furchtbar aufregte, indem er 1. ... a7 —a6(!) zog, dem aber genügend strategische Tiefe fehlt. Jedes einzelne dieser großen Talente wäre gesteigert worden, hätten sie die schachlichen Vorteile des Aufwachsens unter dem sowjetischen System genossen — was auch für den jungen amerikanischen Individualisten Yasser Seirawan zutrifft, dessen Aussichten durch seine Abneigung für geschichtliche Bemühungen gedämpft werden. Jetzt aber ist die trockene Aussicht einer endlosen Herrschaft Karpovs trügerisch geworden. Ihrer selbst zum Trotz hat die bürokratische Maschine von jenseits des Kaukasus ein erlösendes Genie ausgelesen, das von Leidenschaft erfüllt ist. Sein Name ist Garrí Kasparov. Kasparov wurde am 13. April 1963 in Baku, Aserbaidschan, geboren. Sein jüdischer Vater, K. M. Weinstein, und seine armenische Mutter, Klara Kasparjan, pflegten ihre Zeit mit dem Lösen von Schachproblemen zu vertreiben. Eines Abends scheiterten sie dabei; am nächsten Tag zeigte der sechs Jahre alte „Garik", dem die Schachzüge nie beigebracht worden waren, die Lösung. Näher befragt, verstärkte er dieses Stück Zauberei, indem er alle Felder des Brettes benannte. Ein Jahr später starb der Vater, und der Name des Knaben änderte sich in Kasparov. Vielleicht eine nützliche Änderung, wenn man dazu bestimmt ist, einem allrussischen Symbol die Stirn zu bieten. Bald spielte Garri Schach im unvermeidlichen Pionier-Palast, wo er wegen seiner impulsiven Eile bekannt wurde. Ein großer Auftrieb — etwas, von dem die westliche Jugend nur träumen kann — war mit seiner Auswahl für die berühmte Schachschule Botwinniks in Moskau verbunden. Dort

193

lehrte der zurückgetretene „Herr Sowjetschach" den Jungen zu denken, bevor er zog (hier fügte er anzüglich hinzu „damit Du nicht wie Larsen oder Taimanov endest"). Botwinnik stimmte zu, als der Junge Aljechin zu seinem Vorbild machte, eine natürliche Wahl. Erstaunliche Erfolge konnten bereits in so jungen Jahren erzielt werden, wie es niemandem zuvor gelang: Juniorenmeister der UdSSR mit 12, sowjetischer Meister mit 14, Sieger in seinem ersten großen internationalen Turnier, Banja Luka, mit 16 Jahren. Das genügte, die Schachwelt auf ein außergewöhnliches Phänomen aufmerksam zu machen. Mit 17 wurde der Großmeistertitel bestätigt und mit 18 war er Teilsieger in der Meisterschaft der UdSSR — der jüngste in der Geschichte. Nur Fischer und Spasski hatten mit solcher Frühreife gewetteifert (in der Jugend von Reshevsky und Capablanca gab es solche schweren Prüfungen noch nicht). Es war daher keine Überraschung, als Kasparov mit 19 Jahren zum Kandidaten für die Weltmeisterschaft aufstieg, indem er das Moskauer Interzonenturnier gewann. Doch die internationale Gefolgschaft, die er prompt in Massen auf sich zog, war nicht dem Zählen von Punkten zu verdanken. Nein, es war das Künstlerische in seinem Stil, das uns für ihn einnahm. Hier war die Brillanz des spekulativen Opfers, ein Genie für den Angriff und die Kombination, die an den jungen Aljechin erinnerte. Die brutaleren, direkten Angriffe der offenen Partie (1. e2—e4) wurden vermieden. Kasparovs Offensiven waren von verfeinertem Zuschnitt. Sie begannen meist mit 1. d2 —d4 und engagierten den Gegner zuerst am Damenflügel. Um die Initiative aufrechtzuerhalten, scheute er oft nicht, einen oder mehrere Bauern zu opfern. Erst dann wandte sich seine taktische Zauberkunst gegen den König. Sein Spiel war zugleich ein Triumph der Harmonie und Schönheit des Angriffs, unbeeinflußt durch Rücksichten auf wahrscheinliche Korrektheit, eher beflügelt von einer wagemutigen Bereitschaft, viel zu riskieren, um die Grenzen der Erfindungsgabe zu erforschen. Die Großen unserer Zeit unterscheiden sich in ihrer Haltung zum Kämpferischen. Petrosjan sah das Schachbrett als ein Minenfeld, das neutralisiert werden mußte, um Niederlagen zu vermeiden. Karpov handelte als stolzer Beherrscher des Schlachtfeldes, der geruht oder nicht geruht, dem Gegner ein Remis zu gestatten. Tal legte sein Spiel darauf an, Stürme zu entfesseln, die die Sicht vernebeln mit tödlicher Konsequenz, und soll der Teufel den holen, der den letzten Fehler macht. Schönheit des Spiels war ein Nebenprodukt ihrer Pläne und ergab sich mit geringerer oder größerer Häufigkeit. Kasparov jedoch überspielt das sportliche Element. Er spielt für die Sache der Schönheit im Schach. Und darum wird er geliebt. 194

Aber die Schöpferkraft wird nicht vom Augenblick eingegeben. Der andere Gesichtspunkt der Arbeit Kasparovs ist seine unermüdliche Erforschung der verwickelten Eröffnung. Er hat nicht alle seine Entdeckungen für sich behalten. Die englischsprachige Welt hat sich gefreut, sie mit Hilfe des Schachverlags B. T. Batsford Ltd. in London zu erhalten. Kasparov hat es außerdem nicht unterlassen, über die Natur des Schachs zu philosophieren — ungewöhnlich bei jemandem, der so jung ist. In „Meine Partien", dem ersten derartigen Buch eines Spielers von 19 Jahren, legt er in den späten 70er Jahren seine Ansichten kurz, aber kraftvoll dar. Er ist so kühn, die herrschende Mysthik Karpovs anzugreifen, den er als jemanden bezeichnet, der die sportliche Seite überbetont, den Pragmatismus" von Ergebnissen, der „vom schachlichen Inhalt ablenkt". Er kündigt ein neues Stadium der Kreativität an und bestätigt seine Teilnahme an dem sich noch immer entfaltenden Kampf der Ideen: „Die Diskussion der Ideen wird immer weiter voranschreiten, denn die Wahrheit kann nur aus dem Meinungsstreit hervorgehen, und es ist nicht schwer wahrzunehmen, wie sehr das Herz dieses Autors dem Schach ergeben ist...".

Im Knabenalter spielte Kasparov Partien wie die folgende, die zur Ankündigung Botwinniks führten: „Die Zukunft des Schachs liegt in den Händen dieses Jungen". Magerramov—Kasparov Trainingswettkampf, Baku 1977 Abgelehntes Damengambit 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Sgl — f3 d2 —d4 c2—c4 Sbl — c3 Lei — g5 e2-e3 Lg5-h4 Ddl — b3 Lh4 x f6 c4xd5 Tal-dl

Sg8-f6 e7 —e6 d7 —d5 Lf8-e7 0-0 h7 —h6 b7 —b6 Lc8-b7 Le7 x f6 e6xd5

Die Idee des Weißen in diesem Abspiel der Tartakower-Variante ist, den schwarzen d-Bauern zu blokkieren und den Damenläufer dahinter unter Kontrolle zu halten. Wenn 11. Lfl — d3 c7—c5! 12. d 4 x c 5 Sb8 — d7 und Schwarz hat ein gutes Spiel. Doch nun versucht Kasparov dieses „Experiment" trotzdem. 11. ... c7 — c5?! 12. d 4 x c 5 Sb8-d7 13. c5 — c6?! Die Annahme des Bauernopfers mittels 13. c5 x b6 war kein wirkliches Wagnis. Auf das beabsichtigte weitere Opfer 13. ... d 5 - d 4 ! ? 14. Sf3 x d4 Dd8 x b6 konnte Weiß sofort die stärkste Einheit mit 15. Db3 x b6 Sd7 x b6 tauschen und 195

dann 16. f2 — f3! folgen lassen, womit klargemacht ist, daß Schwarz genug für einen, aber nicht für zwei Bauern hat.

Lfl — e2 S f 4 x g 2 f 21. K e l - f l Lc6 — d7!, zum Beispiel 22. K f l x g2 D d 8 - g 5 f 23. Kg2 — fl L d 7 - h 3 f 24. K f l — el D g 5 - g 2 und gewinnt (Kasparov).

13. ... Lb7xc6 14. S f 3 - d 4 ? Kasparov Diese hastige Pseudo-Blockade ist schwächer als das einfache 14. Lfl — e2 oder das scharfe 14. S c 3 x d 5 Sd7—c5 15. S d 5 x f 6 f D d 8 x f 6 16. Db3—c3. 14. ... Lf6xd4 15. Tdl xd4!? Danach ist Kasparov in seinem Element. Wenn jedoch 15. e 3 x d 4 D d 8 - g 5 16. g2—g3 T f 8 - e 8 f 17. Lfl - e 2 D g 5 - g 4 , so muß Weiß einen Bauern geben, wenn er seinen König in Sicherheit bringen will. 15. ... Sd7—c5 16. Db3 —dl S c 5 - e 6 17. T d 4 - d 2 d5 — d4! Auf Kosten eines Bauern, für Kasparov unbedeutend, beginnt er plötzlich einen starken Angriff und bestraft den weißen Entwicklungsrückstand. 18. e3 x d 4 19. ß —f3

Tf8-e8

Er hofft, auf ß Sicherheit für seinen König zu finden. Hoffnungslos wäre 19. d 4 - d 5 S e 6 - f 4 f 20. 196

111 i in w m -k m B H ülj k H H H H H I3 H H H S3 HAH AU 1S HAH • mrtsiiis Magerramov 19. ...

Lc6xf3ü

Ein herrlicher Tartakower-Läufer, dessen Opfer eine lange, erzwungene Zugfolge einleitet. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

g2xf3 Td2-f2 Lfl — e2 Kel-fl Tf2-g2 Thl-gl Ddl-el?

Dd8 — h4f Se6xd4f Sd4xO| Dh4-h3t Sf3-h4 Ta8 — d8

Weiß konnte längeren Widerstand leisten mit 26. Ddl—a4, und falls 26. ... S h 4 x g 2 27. T g l x g 2 Te8—e5 28. Da4 — g4 mit nur gerin-

gern Materialrückstand im Endspiel. 26. ... Td8-d3! 27. Del — f2 S h 4 - ß ! Beinahe-Zugzwang! Wenn 28. L e 2 x d 3 S f 3 x h 2 matt. Oder 28. D f 2 - g 3 S ß - d 2 t 29. K f l - e l Td3xg3 30. Tg2xg3 S d 2 - ß f 31. Kel — f2 S ß x gl und gewinnt. 28. T g l - h l 29. T h l - g l

Td3-e3 Kg8-h8

Ein Gratis-Zug zwecks „Prophylaxe". Falls nun 30. a2 —a4, so a7 — a6 und so fort. Nun folgt die letzte Drohung, die das Ende markiert. 30. T g l - h l

b6—b5.

Weiß gab auf. *

Auf der höchsten Ebene ähneln echte Kämpfe heutzutage meistens Ringkämpfen, in denen beide Seiten handgemein werden und schwitzen, ohne viel zu erreichen — ein Remis ist das wahrscheinlichste Ergebnis. Schwedens Ulf Andersson ist einer der Großmeister, die am schwersten direkt zu besiegen sind. Hier gelingt Kasparov eine seiner Lieblingspartien mit seiner nun schon vertrauten Methode — einem frühzeitigen Bauernangebot zwecks Angriff.

Kasparov—Andersson Tilburg 1981 Damenindische Verteidigung 1. 2. 3. 4.

d2—d4 c2 — c4 Sgl-ß a2 —a3

Sg8-f6 e7 — e6 b7 —b6

Daß dieser bescheidene Zug Petrosjans heute als „Waffe" betrachtet wird, beweist die Verfeinerung der Eröffnungstheorie. Er ist ein Schritt im Kampf um das Feld e4, das Schwarz nun „opfert". 4. 5. 6. 7.

... Sbl —c3 Sc3xe4 Sß-d2!?

Lc8-b7 Sf6-e4!? Lb7xe4 Le4-g6!?

Andersson denkt seinen Königsflügel zu befestigen, der eines Springers beraubt ist. Paradoxerweise kann aber der Läufer diesen Dienst am besten von b7 aus leisten. 8. g 2 - g 3

Sb8—c6?!

Vorzuziehen ist 8. ... c7—c6 9. Lfl — g2 d7 —d5 10. 0 - 0 L f 8 - e 7 11. e2 —e4 mit nur geringem Plus für Weiß. 9. e2—e3 10. b2 —b4

a7 —a6 b6—b5

Andersson, der tiefe und gelassene Stratege, heckt einen Plan aus, um etwas Raum zurückzugewinnen 197

(Weiß kann nun nicht den b-Bauern erobern, weil die Deckung seines eigenen illusorisch wird). 11. c 4 x b 5 a6xb5 12. Lei — b2 S c 6 - a 7 Schwarz deckt seinen Plan auf: er möchte d7 —d5 spielen, um Sa7—c8 —d6—c4 folgen zu lassen und auszugleichen. Es gibt keinen normalen Weg, ihn daran zu hindern. 13. h2—h4!

h7 — h6?!

Mit Manövern beschäftigt, rechnet Schwarz nicht mit dem Kommenden. Eine bessere Verteidigung ist 13. ... h7 —h5, obgleich es danach schwer sein wird, zur Rochade zu kommen, zum Beispiel nach 14. Lfl — e2. 14. d 4 - d 5 ! Kasparovs Patent! (Man vergleiche die vorige Partie.) Er bringt wirkliche, spekulative Opfer, um den Kampf zu verstärken und sieht stets von einem klaren, garantierten Ergebnis ab. Hier wird der Plan des Gegners aufgehalten und er wird gezwungen, seinen Königsflügel zwecks Entwicklung zu schwächen angesichts des nun mächtigen Damenläufers. 14. ... e6xd5 15. L f l — g2 c7 —c6 16. 0 - 0 f7 —£6 198

Wenn 16. ... f7—f5, um die Öffnung der e-Linie aufzuhalten, so verfügt Weiß über verschiedene Angriffspläne: S d 2 - f 3 - e 5 oder d4; f 2 - f 3 und e3 —e4; h4 —h5 und g3 —g4; a3 —a4 im passenden Augenblick. Wahrscheinlich gibt es keine sichere Verteidigung mehr. 17. T f l - e l ! Eine klug gewählte Reihenfolge. Das sofortige 17. e3 —e4 würde 17. ... d5 x e 4 18. L g 2 x e 4 L g 6 - f 7 gestatten und eine Chance geben, die Stellung zu festigen. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

... D d l — g4 h4-h5 e3 —e4 Lg2xe4 Sd2xe4

Lf8-e7 Ke8-f7 Lg6-h7 d5xe4 Lh7xe4

Der Fall des Verteidigers auf g6 hindert Schwarz daran, künstlich zu rochieren. Hoffnungslos ist 22. ... T h 8 - f 8 23. T a l - d l d 7 - d 5 24. Se4 x f6! ebenso wie 22. ... Th8 — e8 23. D g 4 - g 6 f Kf7 —f8 und nun wird der Angriff mit dem eleganten 24. g3 —g4!, gefolgt von dem unwiderstehlichen Se4—g3 — f5, weitergeführt. Falls schließlich 22. ... d7 —d5, so 23. T a l - d l D d 8 - c 7 24. D g 4 - g 6 f K f 7 - f 8 (oder 24. ... K f 7 - g 8 25. L b 2 x f 6 ) 25. S e 4 x f 6 L e 7 x f 6 26. L b 2 x f 6 D c 7 - f 7 27. L f 6 - g 7 | D f 7 x g 7 28. D g 6 - d 6 f K f 8 - g 8 29. Tel — e7 D g 7 - g 4 30.

Tdl — d4 nebst matt. Kasparov sieht ein kombinatorisches Schlußspiel voraus und bringt nun seine letzte Reserve heran. 22. ... 23. T a l - d l

Sa7—c8 Ta8-a7

Andersson

27. 28. 29. 30.

Tdl — d4! Td4-g4 Lei x h 6 | Lh6 —g7.

Sc8-d6 Sd6-f7 Kf8-e8 Schwarz auf.

gab

Der h-Bauer marschiert. Der supersolide Andersson, niemals zuvor einer derartigen Niederlage ausgesetzt, rief aus: „Mit Kasparov spiele ich nicht mehr!" *

Kasparov

Scheinbar hat Andersson alles gedeckt, doch nun geht Kasparov daran, die schwarze Stellung mit Stumpf und Stiel zu zerstören (wieder ein Echo der vorigen Partie mit ihrem Springeropfer auf f3). 24. Se4xf6ü g 7 x f 6 Oder 24. ... Le7 x f6 25. D g 4 - g6f K f 7 - f 8 26. L b 2 x f 6 g 7 x f 6 27. Tel - e6! und gewinnt. 25. Dg4—g6f Kf7 — f8 26. Lb2 — cl! d7 —d5

Über das globale Netz von Schachspalten und Zeitschriften flogen dem Jungen aus Baku infolge solcher glänzenden Leistungen rasch Tausende von Anhängern zu. Doch kaum hatte er den Ruf erworben, beständig Glanzpartien zu liefern, begann Kasparov andere Facetten seiner abgerundeten Begabung vorzuweisen. Die nächste Partie gegen den feinsinnigsten Meister der Strategie schätzt er hoch.

Kasparov—Petrosjan Bugojno 1982 Bogoljubow-Indisch 1. d 2 - d 4 2. c2—c4 3. Sgl - f 3 4. L c l - d 2 5. g2 - g3 6. Ddl x d 2 7. L f l - g 2 8. 0 - 0

Sg8-f6 e7-e6 Lf8 - b4f Dd8-e7 Lb4 x d2f 0-0 d7-d5 d5xc4 199

Dieser Entschluß, die lange Diagonale für den weißen Läufer und bald zwei Linien für die weißen Türme zu öffnen, erweist sich als schicksalsschwer. Wird es Schwarz gelingen, seinen b-Bauern zu dekken und seinen eigenen Läufer zu entwickeln? 9. Sbl — a3

c7—c5

Annehmbar ist auch 9. ... Tf8—d8 10. Dd2—c2 c7 —c5. 10. d4 x c5 11. Tal — cl 12. Sa3 x c4

De7xc5 Sb8—c6 Dc5-e7(?)

Ein so kleiner Fehler — und doch schon ein entscheidender. Kasparov gibt 12. ... T f 8 - d 8 13. D d 2 - c 2 L c 8 - d 7 14. D c 2 - b 3 an mit nur minimalem Vorteil für Weiß. Wir werden nun Zeuge eines seltenen Schauspiels: Der größte Fachmann in der Begrenzung des gegnerischen Raums wird sich zunehmend auf hilfloses Hin- und Herschieben seiner Hölzer beschränkt finden. 13. S f 3 - e 5 14. Sc4xe5

Sc6xe5 Sf6-d5

Damit löst Schwarz das Problem der langen Diagonalen. Aber der zweiten Aufgabe, sich zu entwikkeln, weicht er weiterhin aus. Falls nun 15. Lg2xd5, so T f 8 - d 8 . 200

15. T f l - d l S d 5 - b 6 16. D d 2 - a 5 ! g 7 - g 6 17. Tdl — d3 S b 6 - d 5 Schon ist kein nützlicher Zug mehr zu finden! Wenn 17. ... T f 8 - d 8 , so 18. Da5 — c5! ähnlich wie in der Partie (Besetzung von c7). Das schwarze Angebot eines Bauern ist illusorisch. 18. e2 —e4 Sd5-b6 19. Lg2—fl! Auf den ersten Blick ein geheimnisvoller Zug. Kasparov zeigt, aus welchem Grund er geschah: Falls stattdessen 19. h2—h4?, so f7 —f6! 20. Se5 — c4 Sb6xc4 21. T c l x c 4 b7 —b6 22. Da5—c3?! L c 8 - a 6 23. Tc4—c7 D e 7 x c 7 24. D c 3 x c 7 L a 6 x d 3 mit unklarem Ausgang. Nun aber ist der Td3 geschützt, und Weiß behauptet die eiserne Umklammerung. Eine zweite Pointe von 19. Lg2 —fl wird am Ende offenbar. 19. ...

Tf8-e8

Als einzige Chance des Schwarzen, Atem zu holen, gibt Kasparov 19. ... f7 —f6 20. Se5 —c4 L c 8 - d 7 an, das einen Bauern kostet. 20. Td3 —dl 21. a2—a3 22. b2—b3!

Te8-f8 Kg8-g7

Sanft zieht er den Schraubstock enger. 22. ... 23. a3 —a4

Kg7-g8 Tf8-d8

Angesichts von Tel—c5 und Da5—c3 verliert Petrosjan seinen Mut. 24. Da5—c5. Schwarz auf.

gab

Denn nach 24. ... De7 x c5 (man beachte, daß 24. ... T d 8 x d l nicht schachbietet!) 25. Tdl x d8f D c 5 - f 8 26. Td8 x f8f Kg8 x f8 27. Tel - c7 f7 - f6 28. a 4 - a5! erzwingt Weiß entscheidenden Materialgewinn. Kenner mußten sich eigens vergewissern, daß Petrosjan die schwarzen Steine führte. Kasparov hatte sich augenfällig rasch ein breiteres Waffenarsenal angeeignet. In den Kandidaten-Wettkämpfen des nächsten Jahres wird er als klarer Favorit seine Fähigkeit nachweisen, die vom Gegner bevorzugten Waffen zu übernehmen, um über sie zu siegen: Gegen Beljavski mit taktischen Mitteln, gegen Kortschnoj mit der Katalanischen Eröffnung und positioneller Finesse, gegen Smyslov mit Endspielkönnen. Er schien, erstaunlich früh in seiner Laufbahn, die allseitige Entwicklung des großen Aljechin in kürzester Frist zu wiederholen. *

Botwinnik hat Kasparov mit dem ehrenvollen Titel eines „forschenden Spielers" versehen, das heißt seines Ebenbildes. Mit dieser Bezeichnung will er jene loben, die sich die Mühe geben, die aufreibende Arbeit häuslicher Untersuchungen und der Ausarbeitung neuer theoretischer Waffen zu leisten. Dazu paßt ausgezeichnet, daß das schlagendste praktische Beispiel der Forschungsarbeit Kasparovs in Botwinniks eigener „RadiomatchVariante" (Der Übers.: Von ihm in einem Radio-Wettkampf UdSSR gegen die USA 1945 angewandt.) des Abgelehnten Damengambits auftaucht. Dieses überscharfe, zweischneidige Schwert erfordert ausgiebige Vorbereitung beider Seiten. In zwei aufeinanderfolgenden „Zwillings"-Partien aus der UdSSR-Meisterschaft 1981 triumphierte Kasparov in dieser Variante mit den weißen Steinen. Bemerkenswert war die außergewöhnliche Tiefe seiner vorausgehenden Analyse, seine Fähigkeit, einen überraschenden Schlag am Brett zu widerlegen und sein Wagemut, das Abspiel gegen einen deutlich vorgewarnten Gegner zu wiederholen. In der ersten, 28(!) Züge tief vorbereiteten Partie hatte er sich mit Timoschtschenkos Neuerung 22. ... Sc6 — a5 auseinanderzusetzen. Nach 53 Minuten fand Kasparov 23. b2—b3!, opferte prompt eine Figur und drang mit seinem Angriff 201

in 43 Zügen durch. Als einige Spieler sich zum „post mortem" (Analyse nach der Partie) zusammensetzten, behauptete Sweschnikov, daß 30. ... Ld6 — e5 den Nachziehenden gerettet hätte. In der nächsten Runde war es Dorfman, der den Löwen in seiner Höhle aufsuchte: 1. d 2 - d 4 d 7 - d 5 2. c2—c4c7—c6 3. Sgl - ß Sg8 - f6 4. Sbl —c3 e 7 - e 6 5. L c l - g 5 d5xc4?! (Botwinnik 1945 zugeschrieben — doch das Abspiel bis Zug 12 ist bereits in Szabö —Euwe, Hastings 1938 — 39, vorgekommen) 6. e2 —e4 b 7 - b 5 7. e 4 - e 5 h 7 - h 6 8. L g 5 - h 4 g7 —g5 9. Sf3xg5 h 6 x g 5 10. L h 4 x g 5 S b 8 - d 7 11. e5 x f6 L c 8 - b 7 12. g 2 - g 3 c 6 - c 5 13. d4—d5 D d 8 - b 6 14. L f l - g 2 0 - 0 - 0 15. 0 - 0 b5 —b4 16. Sc3 — a4 D b 6 - b 5 ! 17. a 2 - a 3 ! S d 7 - b 8 18. a 3 x b 4 c 5 x b 4 19. L g 5 - e 3 L b 7 x d 5 20. L g 2 x d 5 Td8xd5 21. D d l - e 2 S b 8 - c 6 22. T f l - c l Sc6-a5!? 23. b 2 - b 3 ! c4—c3 24. Sa4xc3 b 4 x c 3 25. Tel x c3f K c 8 - d 7 26. D e 2 - c 2 L f 8 - d 6 27. Tal — cl D b 5 - b 7 28. b3 — b4! D b 7 x b 4 ! 29. T c l - b l ! Db4 — g4 30. Le3xa7ü Ld6-e5!? (Die vermeintliche Verbesserung — Bilguers Geist, hab acht! Timoschtschenko hatte 30. ... e6—e5 gezogen, versäumte jedoch, nach Kasparov, nach 31. Dc2—a2! die beste praktische Chance 31. ... Dg4—f5. Dorfman pariert die Drohung 31. f2 — f3 mit dem Läuferschach.) 31. Tc3 —c5! Td5 x c5 32. La7xc5! 202

Sa5—c6 33. D c 2 - d 3 f ! K d 7 - c 8 34. T b l - d l S c 6 - b 8 35. T d l - c l ! D g 4 - a 4 36. L c 5 - d 6 f S b 8 - c 6 37. L d 6 x e 5 T h 8 - d 8 38. D d 3 - b l ! Td8 — d5 39. D b l - b 8 f K c 8 - d 7 40. Db8-c7f Kd7-e8 41. Dc7 x c6f Da4 x c6 42. Tel x c6 Td5 x e5 43. Tc6 — c8|. Schwarz gab auf. Sollte jemand erwarten, daß diese Partie die Botwinnik-Variante zum Verstummen bringen würde, beweist er mangelndes Geschichtsbewußtsein. Zwei Jahre später wird der furchtlose Tal, der Kasparov in der Sowjetischen Mannschaftsmeisterschaft gegenübersaß, mit 22. ... Sc6—e5! abweichen und eine aufregende Schlacht nach wiederum 43 Zügen remis halten. Auch das war nicht das letzte Wort. Etwas später im gleichen Jahr in Niksic wird der Jugoslawe P. Nikolic dem Rigaer Großmeister viele unbehagliche Augenblicke mit der früheren Abweichung 17. d 5 x e 6 L b 7 x g 2 18. Kgl x g2! bereiten. Der Kampf der Schachideen ist mit unverminderter Kraft im Gange. *

Als das sowjetische Team während der Schacholympiade in Luzern 1982 gegen die Schweiz anzutreten hatte, beschloß Weltmeister Karpov, einen Ruhetag zu nehmen. So kam Kasparov zu seiner ersten Begegnung mit Kortschnoj. Die Historie bitterer Querelen zwischen

Kortschnoj und dem Sowjet-Etablissement und die Aussicht auf ihren nächstjährigen Wettkampf um das Recht, den Weltmeister herauszufordern, verlieh dieser Partie Leidenschaft. Es war das kompromißloseste Ringen der letzten Jahre. Ohne ein fehlerfreies Beispiel der Schachkunst zu sein, gibt es nur wenig Vergleichbares, was die Verwicklungen oder die Furchtlosigkeit angeht, wobei der Ausgang bis zu den letzten zej'iwofgeplagten Momenten im Zweifel war. Kasparov riß die Führung an sich und wählte ein bekanntes Figurenopfer in der überscharfen Modernen Ben-Oni-Verteidigung. Die Partie steckte voll unerschrockener Unternehmungen, deren Analysen in Zeitschriften und Büchern viele Spalten füllten. Allein der Sieger steuerte verschiedene Versionen bei. Raum, Bescheidenheit und eine Abneigung gegen das Plagiat bestimmen den Verfasser, seine Kommentare auf Satzzeichen zu beschränken. Der ungeschulte Beobachter mag die Verkettung glänzender Schläge bestaunen, etwa wie ein Steinzeitmensch eine Supernova am

Himmel bestaunt haben mag, die seine Fassungskraft übersteigen mußte. Kortschnoj—Kasparov: 1. d2—d4 S g 8 - f 6 2. c2—c4 g 7 - g 6 3. g 2 - g 3 L f 8 - g 7 4. Lfl — g2 c 7 - c 5 5. d4 —d5 d 7 - d 6 6. S b l - c 3 0 - 0 7. Sgl — f3 e7 —e6 8. 0 - 0 e 6 x d 5 9. c 4 x d 5 a7 —a6 10. a 2 - a 4 T f 8 - e 8 11. S f 3 - d 2 S b 8 - d 7 12. h 2 - h 3 T a 8 - b 8 13. S d 2 - c 4 S d 7 - e 5 14. S c 4 - a 3 S f 6 - h 5 15. e 2 - e 4 ! Te8-f8!? 16. K g l - h 2 f 7 - f 5 ? ! 17. f2 — f4 b7 —b5! 18. a4 x b5!? a6 x b5 19. S a 3 x b 5 f 5 x e 4 20. Lg2xe4! L c 8 - d 7 ! 21. Ddl — e2! D d 8 - b 6 ! 22. S b 5 - a 3 T b 8 - e 8 23. L c l - d 2 ? Db6 x b2! 24. f4 x e5? Lg7 x e5 25. Sa3—c4 Sh5xg3! 26. T f l x f 8 f Te8xf8 27. D e 2 - e l ! Sg3xe4f 28. K h 2 - g 2 Db2—c2!? 29. Sc4xe5 T f 8 - f 2 f ? 30. Del xf2! Se4xf2 31. Tal — a2! D c 2 - f 5 32. Se5xd7 S f 2 - d 3 33. Ld2 — h6? Df5 x d 7 34. T a 2 - a 8 | Kg8 —f7 35. Ta8-h8?! K f 7 - f 6 ! 36. K g 2 - f 3 ? D d 7 x h 3 | . Weiß gab auf. Ein Titanenkampf, der an die Partie Em. Lasker—Napier, Cambridge Springs 1904, erinnert.

Der Wettkampf Karpov — Kasparov von 1984 — 85 Als der Weltmeisterschaftskampf mit Karpov im Herbst 1984 begann, war Kasparov der jüngste Mann, der jemals einen Wettkampf um den Welttitel auszufechten hatte. Es war nicht ein Wettkampf, so schien es, sondern es waren deren zwei. 203

Im ersten kehrte sich die schwindelerregende Flugbahn dieses „Heldenlebens" auf verblüffende Weise um. Kasparovs ungesunder Angriff und hauchdünnes Entkommen in Partie 2, nachdem er sein Patentangebot d4—d5 gemacht hatte, machte ihn vielleicht zu einem Opfer der Selbsttäuschung des jungen Aljechin, daß er in jeder auch noch so prekären Lage immer eine Rettungskombination aus dem Hut ziehen könne. In Partie 3 war er ziemlich krank, und dementsprechend spielte er auch. In der sechsten griff er an, verpaßte einen verwickelten Gewinnzug und versäumte dann ein feines Remis in einem Turmendspiel (von Shamkovich entdeckt). In den Partien 7 und 9 führte die Anwendung der von ihm bevorzugten, aber theoretisch verdächtigen Tarrasch-Verteidigung zu zwei weiteren Niederlagen. Nach nur neun Partien lag der junge Mann 0:4 im Hintertreffen. Er hatte nur zu deutlich vorgeführt, wie unsinnig es war, Karpov überrennen zu wollen. Dann begann plötzlich ein neues Match, in dem Kasparovs Figuren von einem andersartigen Geist geführt zu werden schienen. Er bekam seine Nerven in die Gewalt und beschloß zu beweisen, daß er nicht besiegt werden konnte, wenn er keine aggressiven Wagnisse auf sich nahm. Mit Weiß versuchte er kaum etwas und mit Schwarz hielt er die längste Serie aufeinanderfolgender unentschiedener Partie in der Geschichte durch: 17. Die meisten waren von der blutleeren „Großmeister"-Art, ohne wirklichen Zusammenprall, in nur 15 Zügen. Entsprechend den Regeln zählten Remisen nicht mit, doch entgegen der Vorstellung Fischers nahm der Kampfgeist nicht zu, sondern ab. Kasparov offenbarte noch eine weitere Persönlichkeit, ganz unerwartet — den Psychologen der Langeweile. Als er in Partie 16 einen Angriff versuchte, übersah Kasparov zuerst eine Gewinnvariante und dann ein Endspiel mit einem Bauern mehr. Da er nicht in Zeitnot war, gerieten Beobachter über diese Irrtümer in Verwirrung. Karpovs Ziel schien es zu sein, nicht nur die benötigten sechs Siege zu sammeln, sondern die Psyche seines jungen Rivalen zu zerstören, indem er ihm nicht einmal einen einzigen gönnte. Als der Weltmeister in Partie 27 einen Bauern verspeiste und den Stand auf 5:0 schraubte, war dieser unglaubliche Ausgang nahezu erreicht. Indem er ein Endspiel mit einem Bauern weniger in Partie 31 rettete, entging Kasparov dem Sturz in den Abgrund. In Partie 32 nahm Kasparov endlich die Gelegenheit wahr, holte sich einen Bauern und errang den ersten Sieg seines Lebens über Karpov. Doch die Partie war keine Wasserscheide. In 14 weiteren Spielen bewegten sich die Kämpfer auf der Remisebene. Dennoch war ein unscheinbarer Wechsel eingetreten — der Herausforderer übernahm nun die Führung in 204

den meisten Partien. In der letzten von diesen war die Verteidigung schwach genug, um einen siegreichen Opferangriff (von McCambridge gefunden) zu erlauben. Doch das Genie des Angriffs ging an ihm vorbei, genauso, wie der Weltmeister an dem wettkampfentscheidenden 33. a5 — a6 (Shamkovich) vorbeiging. Von den letzten 37 Partien waren 35 remis ausgegangen! Angesichts der grollenden und pfeifenden Moskauer Schachliebhaber konnte dieser Rekord nicht umhin, die alte Frage des „Remistodes" ins Gespräch zu bringen. Sieht man aber von den „Fehlgeburten", den Kurzremisen, ab und zieht jene heran, in denen Gewinne ausgelassen wurden, erkennt man, daß Schach auch auf höchstem Niveau weit davon entfernt ist, sich zu erschöpfen. N u n machte sich die Anstrengung des fünfmonatigen Ringens bei Karpov bemerkbar. Er verlor zwei Partien nacheinander. Mit Weiß in der 47. Partie war er nicht er selbst und ging in einem damenlosen Mittelspiel unter. In der 48. bekämpfte Kasparov die Russische Verteidigung und gewann ein Bauern-Endspiel. Unvermittelt hatte sich der Abstand auf 5:3 vermindert und die Fans hofften auf ein Wunder. Stattdessen riefen die sowjetischen Offiziellen, stets eifrig bemüht, ihren allrussischen ModellWeltmeister zu schützen, den Deus ex machina auf den Plan. Es gab noch eine andere „Russische Verteidigung", die in Kasparovs und Keenes „Batsford Chess Openings" nicht zu finden ist. Vorangegangen war Schach ohne Faszination, ein apathisches Marathon. Die Hauptleistungen des Wettkampfs waren in den vorangegangenen Heimanalysen erbracht worden — die Verfeinerung der Eröffnungstheorie. Dennoch war es Schach. Was nun kam, war etwas anderes: Politik. In einer etwas chaotischen Pressekonferenz verblüffte FIDE-Präsident Florencio Campomanes die Welt, indem er erklärte, das Match sei zu Ende. Er erläuterte, daß es zu einer reinen Probe der „Ausdauer" geworden sei und „die psychischen, wenn nicht die psychologischen Reserven nicht nur der Teilnehmer, sondern all jener, die mit dem Match zu tun hatten, erschöpft" seien. (Wie müde waren die Offiziellen?) Er bestimmte, daß ein Wiederholungswettkampf sieben Monate später anberaumt wird. Dieser Abschluß mußte die lärmendste Kontroverse in der Geschichte des Spiels entfachen und konnte niemanden befriedigen außer Bürokraten und Psychiatern. Ein wütender Kasparov rief aus: „Die Schachwelt kann diese Art des Endes einfach nicht hinnehmen." Campomanes hatte den jungen Mann in Verdacht, ihn auf Russisch zu beleidigen. Karpov schrieb einen Brief und verlangte die prompte Wiederaufnahme des Matches. Die FIDE, ins Leben gerufen, um die Weltmeisterschaft zu regeln, war infolge 205

der Willkür gerade auf diesem Gebiet in Gefahr, ihre Legitimität einzubüßen. Den Schachspielern blieb nur die Hoffnung, daß sie im Herbst 1985 einem großen Zusammenprall entgegengesetzter Schachauffassungen, der in der seltsamen Affare von 1984 — 85 nur angedeutet war, beiwohnen können und ihnen Impulsivität, Nerven und politische Machenschaften erspart bleiben mögen. (Nachsatz des Übersetzers: Die Hoffnung hat nicht getrogen. In einem hochklassigen, spannenden Ringen, das erst in der letzten Partie entschieden wurde, siegte Kasparov mit 13:11 Punkten und ist neuer Weltmeister, der 13. in der Geschichte und mit 22 Jahren der bisher jüngste.)

206

20. Die Zukunft des Schachs Wir haben die Entwicklung der Schachideen von ihrem Ursprung bis zur Gegenwart verfolgt und dabei besondere Aufmerksamkeit den großen Spielern von heute und ihren einzigartigen Beiträgen gewidmet. Daraus wurde ersichtlich, daß es auch im Schach eine Dialektik der Gegenpole gibt, die in der Geschichte durch zwei Grundauffassungen, Tendenzen, Denkschulen charakterisiert sind: die technische und die schöpferische. Diese beiden schätzenswerten, einander gegenüberstehenden Richtungen kämpfen noch immer um die Vorherrschaft in der Welt des Schachs. Die Schachgeschichte hat sich in Zyklen entwickelt. Ihre optimistische Grundlage ist diese: Jedesmal, wenn es der technischen Schule, gestützt auf wissenschaftliche Entdeckungen, gelang, Schach innerhalb neuer Grenzen festzulegen und zu beschränken, erschienen große kreative Künstler und Denker, die von den anerkannten Regeln abwichen und arglos und mit Abenteuergeist in neue Regionen vorstießen. Im Schach wird so die uralte Spannung zwischen Geist und Materie, Kontrolle und Freiheit, Beherrschung (schachliche Meisterschaft) und Liebe (Schach als Geliebte) immer neu ausgetragen. Diese Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Auffassungen gibt es bei jedem großen Spieler. Ihre Auflösung erfolgt gewöhnlich in der einen oder anderen Richtung. Manche besetzen das äußerste Ende des Spektrums. Am schöpferischen Pol aber ist es, wo der neue Grund gebrochen und der Liebhaber des Schachs unaufhörlich bereichert wird. Der Beobachter verfolgt ungläubig die Bemühungen um einen „ComputerWeltmeister" — das eigentliche Konzept ist eine mechanistische Übertreibung der technischen Seite des Schachs. Seine Verwirklichung würde das sterile Ende der so fruchtbaren Entwicklung der Schachideen bedeuten. Doch sehen wir nicht einer mechanischen Welt entgegen, sondern der Fortsetzung des dramatischen, menschlichen Widerstreits der Ideen und neuen künstlerischen Errungenschaften. Wenn in der Welt der Zukunft die Menschen ihre Fähigkeiten benutzen, die Demokratisierung der Kultur 207

und einen gewaltigen Zuwachs an Freizeit herbeizuführen, wird das Schachspiel das Interesse neuer Millionen erregen und eine nie endende intellektuelle Herausforderung weitertragen — zum Entzücken jenes Teils der Menschheit, der stets dem Schönen zugewandt ist. Mit diesen Worten endete die erste englischsprachige Auflage dieses Buches, und sie brauchen nach 13 Jahren nicht geändert zu werden. Im Jahre 1960 gewann der Verfasser die Weltmeisterschaft. Nein, er schlug nicht den großen Tal. Er war nur ein Mitglied der siegreichen amerikanischen Studentenmannschaft in Leningrad. Wir kehrten damals in gehobener Stimmung nach Hause zurück, jedoch ohne irgendwelche grandiosen Illusionen, eine etwaige Überlegenheit unseres Gesellschaftssystems gezeigt zu haben. Die offizielle sowjetische Reaktion auf den zeitweiligen Rückschlag verriet eine andersgeartete Psychologie. Die Mannschaftsmitglieder wurden disziplinarischen Maßnahmen unterworfen. Bald danach führten die Behörden einen neuen scholastischen Feldzug, um Schachtalente zu „fabrizieren", was einen Protest von I. M. Panov in der Iswestia zur Folge hatte. Eine Möglichkeit schloß die offizielle Mentalität aus: daß das amerikanische Aufgebot bei dieser Veranstaltung einfach überlegen war. Eine solche Tatsache konnte nicht anerkannt werden, weil sie nicht der Ideologie entsprach, wonach sich die sowjetische Gesellschaft unbesiegbar auf einer historischen Mission befindet, die sie in allen Aspekten des Lebens überlegen machte; d. h. jedweder Rückschlag auf diesem Wege konnte nicht auf irgend einen Fehler im System zurückzuführen sein — er mußte dem Irrtum oder Hinterlist von Einzelnen zugeschrieben werden. Die Geschichte wiederholte sich im Anschluß an Spasskis vernichtende Niederlage durch Fischer im Jahre 1972. Gegen unsere ausdrückliche Hoffnung empfing ihn Moskau eisig, geißelte ihn in der Presse und hinderte ihn ein Jahr lang an Auslandsreisen. Inzwischen wurden seine stärksten Kollegen unter den sowjetischen Schachspielern gezwungen, ihr „sanftes" Leben zu beenden und an der Sowjetischen Meisterschaft teilzunehmen (der Gewinner im Jahre 1973: ein wiedergeborener Spasski). Spasskis Beziehungen zur Bürokratie erreichten im Jahre 1983 einen neuen Tiefpunkt, als er das Turnier von Linares gewann und die Verwegenheit besaß, dies vor Karpov zu tun. Jetzt vertritt Spasski seine Wahlheimat Frankreich. Im Westen trotzen junge Meister den ökonomischen Tatsachen des Lebens, indem sie ihrer Kunst in größerer Zahl als je zuvor nachgehen. (Ein Amerikaner im mittleren Alter, der es viele Jahre lang gewöhnt war, zu den zehn Spitzenspielern der Vereinigten Staaten gerechnet zu werden, 208

findet sich nun unterhalb der Nummer Fünfzig wieder). Der Einfluß der Dritten Welt hat sich schnell ausgebreitet. Im Jahre 1982 errang ein Philippine, Eugenio Torre, einen Platz unter den Kandidaten für den Welttitel. 1984 stieg China zu einem geteilten achten Platz unter 88 olympischen Mannschaften auf, gleichauf mit einigen der traditionsreichsten Schachmächte der Welt wie Jugoslawien und die Niederlande. Es war also kein Fehler, sich über die Wirkung des Eintritts von einem Viertel der Menschheit in das Reich des Schachspiels Gedanken zu machen. Außerdem kann man nun, wie nie zuvor, auch die Frau als Spielerin von Format willkommen heißen. Schwedens Pia Cramling und das erstaunliche ungarische Mädchen Zsuzsa Polgar, die beide nicht aus der sowjetischgeorgischen Fabrik für Schachamazonen stammen, haben sogar Weltmeisterkandidaten geschlagen. Sie illustrieren wiederum die neue Tatsache im Schachgeschehen der Gegenwart: das sowjetische Metropol ist gewichen, die Übermacht geblieben. Über Fischers Sieg mußte man frohlocken. Zum ersten Mal stieg ein Schachmeister zum Status eines Superstars auf, wie ein beliebter Schauspieler oder das Mitglied eines europäischen Königshauses. Doch die Fischer-„Epoche" erwies sich als vergänglich. Im Taumel des Dramas von Island sahen wenige vorher, daß Fischer niemals wieder öffentlich Schach spielen würde. Der Verfasser hatte eine Ahnung, was zu erwarten war, als er Zeuge von Fischers Ablehnung eines Angebots von einer halben Million Dollar wurde, das ihm eine Hollywood-Firma für einen Lehrkursus machte. Der Grund: „Angenommen, der Kurs ist nicht perfekt. In zehn Jahren wird man mich kritisieren." Soviel über den Mythos von Fischers Geldgier. Fischers Bewunderer müssen sich damit zufrieden geben, an jene aufregenden Tage von 1972 zurückzudenken, als er einen Spasski überwältigte, dessen Sportlichkeit größer war als seine Schärfe. Zuvor waren die Einwände des neuen Weltmeisters zu jedem vorgeschlagenen Wettkampf an sich plausibel, aber die Häufung fehlgeschlagener Verhandlungen führten schließlich zu der unausweichlichen Schlußfolgerung, daß eine gewisse schwere Blockade in seinem Inneren seine Kreativität lähmte. (Ironischerweise sind eine Reihe von Forderungen Fischers nach Änderungen der FIDE-Regeln, die zunächst abgelehnt worden waren, später zum Gesetz erhoben wurden — als er sich vom Turnierkampf zurückgezogen hatte; so z. B. Fischers Forderung, daß unentschiedene Partien nicht zählen dürfen. Der langweilige, in die Länge gezogene Verlauf des Wettkampfs um die Weltmeisterschaft zwischen Karpov und Kasparov in Moskau 1984/85 hatte jedoch zur Folge, daß diese Regel wieder abgeschafft wurde.) 209

Die Schachwelt wurde aufregender Schauspiele beraubt, wie es 1973 der quecksilbrige brasilianische Stern Henrique Mecking voraussagte: „Nur die junge Generation furchtloser Kämpfer vermag den Fischer-Mythos zu zerstören... Man darf sich nicht seinen Stil aufzwingen lassen, der wie Schlangengift wirkt. Der altmodische Weg voller Sicherheits-Ausflüchte ist gegen Fischer hoffnungslos." Manch amerikanischer Meister, der aus seinem Traum von einem sicheren Eintritt in die Mittelklasse jählings erwachte, wandte sich zwangsläufig anderen Erwerbsquellen zu. England, lange eine zweitrangige Schachmacht, erwachte aus seinem Schlaf, lieferte materielle Anreize — und begann bald, Großmeister hervorzubringen. Im Jahre 1984 stiegen die Vorkämpfer Albions zu Silbermedaillengewinnern in der Schacholympiade auf. Vergessen wir nicht, daß diese Renaissance begann, als Fischer es unternahm, das Zentrum der schachlichen Schwerkraft in seine Gewalt zu bekommen und in westliche Richtung zu ziehen. Die Ära Karpovs brachte keinen Helden hervor. Die Dekade hat gleichwohl ein atemberaubendes Anwachsen im Tempo des Weltschachs erlebt. Früher war es einem Großmeister ohne Hilfe möglich, alle wichtigen neuen Partien zu verfolgen; nun aber erforderte ihre arithmetische Multiplikation einen Computer, um Schritt zu halten. (Diese registrierende und abrufbare Funktion des Computers, sein Gebrauch zu unterhaltenden und lehrenden Zwecken und seine Fähigkeit, das menschliche Denken in sehr schnellen Partien und in der Führung bestimmter, ultraeinfacher Endspiele — wie Dame gegen Turm — zu übertreffen, bilden in soweit seinen Beitrag zum Schach — nicht, wie einmal vorausgesagt wurde, eine Herausforderung der spielerischen Überlegenheit des Menschen.) Die Eröffnungs„theorie", die einst in so behäbigem Tempo fortschritt, daß ein Lasker die Neuerungen eines ganzen Jahres an einem Tag Revue passieren lassen konnte, rückt heute so geschwind voran, daß sogar der enzyklopädische Geist eines Gligoric oder Portisch überfordert ist. Man kann nun Bücher kaufen, die beispielsweise alle „Englisch" eröffneten Partien eines gegebenen Jahres enthalten, statistisch analysiert nach dem Erfolg jedes besonderen Zuges. Welcher Fortschritt gegenüber alten primitiven Methoden, als mancher von uns einfach zwei Exemplare jedes der monatlich erscheinenden „Schachmatni Bulletins" erstand und mit Schere und Leim billige Notizbücher mit dieser oder jener Eröffnung füllte! Diese vornehmliche Beschäftigung mit der Eröffnungs„theorie" (eigentlich aus der Praxis bezogene Erfahrungswerte) hat unser Spiel bereichert und zugleich ärmer gemacht. Während es einerseits faszinierend ist, einen unbedeutenden, aber fleißigen Meister zu beobachten, wie er einen soeben noch gepriesenen Angriff widerlegt, ist es andererseits traurig, Legionen 210

junger, hoffnungsvoller Spieler zu sehen, die besser über die letzten Feinheiten der klassischen Verteidigung Bescheid wissen als über die Klassiker selbst. Die Entdeckungen der großen Pioniere, die kraft schöpferischer Arbeit entstanden sind, tauchen in den Partien der heutigen gewandten, aber unkultivierten jungen Meister als eingeübte Gewinnstrategeme auf, deren Ursprünge ihnen kaum bewußt sind. (Ein junger amerikanischer Stern ist einmal mit der Frage zitiert worden: „Wer ist Steinitz?") Der Verfasser rät: Die historische Methode behält ihren Wert. Wer die Vergangenheit ignoriert, verliert. Ein abgerundetes Wissen und die entsprechende Einstellung sind wertvoller als das Auswendiglernen der letzten Eröffnungsneuerungen . Die Zukunft gehört jenem unerschrockenen Neuerer, der gleichzeitig die ganze Geschichte jenes unaufhörlichen Suchens zusammenfaßt, das einen so beträchtlichen Anteil an unserem geistigen Leben beansprucht hat — den Kampf der Schachideen.

211

Bibliographie Clarke, P. H., Mikhail Tal's Best Games of Chess, G. Bell & Sons, London, 1961. Coles, R. N., Dynamic Chess and The Modern Style of Aggressive Play, Dover, New York, 1966. Euwe, M., The Development of Chess Style, G. Bell & Sons, London, 1968. Fine, R., The Psychology of the Chess Player, The Journal of Psychoanalytic Psychology, vol. 3, 1956. Fischer, R., My 60 Memorable Games, Simon & Schuster Inc., New York, 1969. Konig, I., Chess from Morphy to Botvinnik, Dover, New York, 1977. Kasparov, G., Fighting Chess, My Games and Career, Batsford, London, 1983. Kasparov, G., My Games, Batsford, London, 1983. Korchnoi, V., Chess is My Life, Batsford, London, 1977. Kotov, A., und Yudovich, M., The Soviet School of Chess, Meschdunarodnaja Kniga, Moskau, 1958, Dover, New York. Larsen, B., Larsen's Selected Games of Chess 1948 — 1969, G. Bell & Sons, London 1970. Murray, H. J. R., A History of Chess, Clarendon Press, Oxford, 1913. Reider, N., Chess, Oedipus and the Mater Dolorosa, Psychoanalysis and the Psychoanalytical Review, Vol. 47, 2, Sommer 1960. Reinfeld, F., The Human Side of Chess, Pellegrini & Cudahy, New York, 1952. Réti, R., Die neuen Ideen im Schachspiel, Rikola Verlag, Wien, 1922, Pitman, London, 1945, Dover, New York, 1960. — , Die Meister des Schachbretts, Jul. Kittls Nachf. Keller & Co., Mähr.Ostrau, 1930.

212

Register der Partien und Stellungen Aljechin 17, 28 Anderssen 7 Andersson 197 Awerbach 53, 113, 137 Botwinnik 37, 39, 42, 45, 86, 107, 120 Bronstein 71, 73f., 75, 76, 78, 124, 138 Byrne, D. 151 Byrne, R. 16, 164 Calvo 127 Capablanca 42, 63 Donner 55 Dorfman 202 Dubinin 71 Dufresne 7 Euwe 21, 28, 81 Evans, L. 140 Fine 25 Fischer, R. 151, 156, 161, 164 Flohr 21, 23 Geller 33, 67, 91, 122, 142 Gligoric 156 Karpov 173, 174, 176 Kasparov 195, 197, 199, 201, 202, 203 Keres 33, 56, 61-, 63, 65, 67, 76, 83 Konstantinopolski 45 Kortschnoj 185, 188, 203

Kotov 61 Larsen 122, 124, 128, 129, 132 Lasker 23, 51 Lilienthal 25 Magerramov 195 Najdorf 33, 161, 185 Nikitin 99 Pachman 73 Panno 33, 95 Petrosjan 113, 1.15, 117, 120, 129, 132, 146, 199 Pilnik 33 Porreca 78 Rabinowitsch 37 Reshevsky 51, 53, 55, 56 Saidy 16, 173 Schmid, L. 117 Smyslov 65, 81, 83, 86, 103 Spasski 33, 73, 136, 137, 138, 140, 142, 146, 174, 188 Taimanov 115 Tal 91, 95, 99, 102, 103, 107 Timoschtschenko 201 Trifunovic 102 Troianescu 136 Unzicker 176 Vidmar 39 Wolf, H. 17

213

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin - New York

K. Richter

Dr. Max Euwe

R. Teschner (Hrsg.)

Eine Auswahl seiner besten Partien mit Originalbeiträgen führender Meister 2. Auflage 14,7 x 21 cm. 160 Seiten. 1986. Gebunden DM 3 6 , ISBN 311 0108003 (Bibliothek Caissa)

M. Euwe

Urteil und Plan im Schach 4. Auflage 14,7 x 21 cm. 180 Seiten. 1986. Kartoniert DM 2 6 , - ISBN 3 11 0107996

E. Mednis

Die Macht des Königs im Schach 14,7 x 21 cm. VI, 215 Seiten. Mit 144 Diagrammen. 1985. Kartoniert DM 3 2 , - ISBN 311 0099659

s. Reshevsky

Meine Schachkarriere 2. Auflage 14,7 x 21 cm. 209 Seiten. 1986. Gebunden DM 39,80 ISBN 311 010797 X (Bibliothek Caissa)

E. Ridaia

Turniere, Taten und Erfolge Die Laufbahn des Großmeisters Paul Keres 2. Auflage 14,7 x 21 cm. 116 Seiten. 1986. Gebunden DM 29,80 ISBN 3110108127 (Bibliothek Caissa)

Tartakowers Glanzpartien 1905 — 1930 2. Auflage 14,7 x 21 cm. 227 Seiten. 1986. Gebunden DM 4 2 , ISBN 3110107988 (Bibliothek Caissa)

P r e i s ä n d e r u n g e n vorbehalten