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German Pages 184 [170] Year 2009
J O H N J A C O B A S TO R
ALEXANDER EMMERICH
J O H N JACO B A S TO R Der erfolgreichste deutsche Auswanderer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: init, Büro für Gestaltung, Bielefeld, unter Verwendung von Abbildungen von Melissa Miletic (Schriftzug und Panorama vom WaldorfAstoria, New York) und Jupiter Images (Flagge der Vereinigten Staaten). © 2009 Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten Kartographie: Peter Palm, Berlin Redaktion: Ricarda Berthold, Freiburg Satz und Gestaltung: primustype Hurler, Notzingen Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm ISBN: 978–3-8062–2265–4 Besuchen Sie uns im Internet: www.theiss.de
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EINLEITUNG
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HERKUNFT (1763–1780) ……………………………………………… 13 Familie und Jugend………………………………………………………… 15 Der Entschluss zur Auswanderung …………………………………… 18
INSTRUMENTENBAUER (1780–1784) …………………………… 22 Lehrjahre in London ……………………………………………………… 23 Nach Amerika! ……………………………………………………………… 25
EINWANDERER (1784–1800)
……………………………………… 29
Ankunft in New York ……………………………………………………… 32 Auf Indianerpfaden in die Wildnis ……………………………………… 39 Familie und gesellschaftliches Netzwerk ……………………………… 44
VISIONÄR (1800–1815)………………………………………………… 51 Einstieg in den Chinahandel …………………………………………… 52 Ausbau der Immobiliengeschäfte ……………………………………… 57 Die Gründung der American Fur Company ………………………… 60 Astoria, Oregon …………………………………………………………… 65 Der Krieg von 1812 und der Verlust des Außenpostens …………… 79 Astor und der Friedensvertrag von Gent ……………………………… 85
GLOBAL PLAYE A R (1815–1834) ……………………………………… 89 Der Aufbau der Second Bank of the United States ………………… 90 Wirtschaftsmagnat ………………………………………………………… 93 Rückkehr nach Europa …………………………………………………… 99
Expansion in den Wilden Westen …………………………………… 109 Rückzug …………………………………………………………………… 117
NEW YORKER (1834–1848)
……………………………………… 122
The Astor House ………………………………………………………… 124 Washington Irvings Astoria …………………………………………… 129 W Wirtschaftskrise und Einwanderungsströme ……………………… 136 Alter und Tod T ……………………………………………………………… 139 TTestament und Nachleben …………………………………………… 143
INS RECHTE LICHT GERÜCKT – EIN RESÜMEE …………… ANHANG
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Nordamerika um 1812 ………………………………………………… 157 Zeitleiste …………………………………………………………………… 158 Stammbäume …………………………………………………………… 160 Bibliographie ……………………………………………………………… 162
REGISTER ……………………………………………………………………
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uf die Frage, was zu dem Namen „Astor“ einfällt, erhält man vielfältige Antworten. Häufig werden Verbindungen zur Populärkultur hergestellt: Hieß das Kino in der ARD-Serie Lindenstraße nicht so, und eines der Traumschiffe des ZDF? Wer sich näher mit der Kinowelt auskennt, nennt vielleicht die bis 1956 existierende amerikanische Filmproduktionsgesellschaft Astor Pictures oder die Schauspielerin Lucile Langhanke, deren Karriere erst begann, als sie sich 1921 den Künstlernamen Mary Astor gab. Auch Margret kommt in den Sinn, Kosmetik aus dem Hause Astor. Oder die Zigarettenmarke Astor mit der eleganten roten Packung. War da nicht ein John Jacob Astor IV., der im Jahr 1912 beim Untergang der Titanic starb? Was aber den meisten nach kurzem Nachdenken einfällt, ist das Waldorf-Astoria, das berühmte Hotel – und man taucht in Gedanken ein in den Glamour und die Eleganz der New Yorker Schönen und Reichen. In allen bedeutenden Städten der Welt trifft man heute auf Nachahmer, die sich im Glanz dieses Namens sonnen. Leuchtende Augen bekommen auch diejenigen, die schon in New York waren: Astor Place, Astor Boulevard, der Stadtteil Astoria, die ehemalige Astor-Library – der Name weckt Erinnerungen. Auch heißen viele Städte in den USA Astoria. Aber manche kennen auch das süddeutsche Städtchen Walldorf bei Heidelberg. Hier ist der Name allgegenwärtig: das Astorhaus, die Johann-Jakob-Astor-Straße, der örtliche Fussballverein FC-Astoria Walldorf.
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Und damit sind wir schon mitten in der Geschichte, haben quasi die geographischen Eckpunkte gesetzt. Die Astors waren eine New Yorker Familie, die zusammen mit den Rockefellers, Vanderbilts, Morgans und Carnegies im Gilded Age, dem von Mark Twain so betitelten vergoldeten Zeitalter, am Ende des 19. Jahrhunderts den Geldadel der Metropole ausmachten. Sie lebten dort wie diesseits des Atlantiks die europäischen Fürsten, genossen ihren Reichtum, förderten Kunst und Kultur und kümmerten sich ebenso um soziale Belange. Aber die Astors waren mehr als das, sie waren die erste Familie, die diesen legendären Status der Superr reichen erlangte. Doch woher kamen sie? Wo liegt der Ursprung dieser Dynastie? Und woher kam ihr immenser Reichtum? Der Wohlstand der Astors geht auf den Stammvater der Familie zurück: Johann Jacob Astor (1763–1848). Er war nahezu mittellos aus Walldorf bei Heidelberg nach Amerika ausgewandert. Und als er starb, hinterr ließ er neben Aktien, zwei Hotels, einem Theater und unzähligen bebauten und unbebauten Grundstücken auf Manhattan die für die damalige Zeit unvorstellbare Summe von 20 Millionen Dollar. Das Forbes Magazine berechnete für das Vermögen und den Besitz zum Zeitpunkt seines Todes den heutigen Gegenwert von 110 Milliarden Dollar. Somit kann Astor als der viertreichste Amerikaner aller Zeiten gelten, doppelt so reich wie Microsoft-Gründer Bill Gates. Nie zuvor hatte ein amerikanischer Einwanderer einen vergleichbar steilen Aufstieg erlebt, niemand hatte vor ihm annähernd so viel Geld – und niemand konnte sich ein derartiges Vermögen vorstellen. Johann Jacob Astor ist dabei keinem Vorbild gefolgt, weil es schlicht und einfach vor ihm keine vergleichbare Karriere gegeben hatte. Weder die Idee noch der Begriff des American Dream existierten, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war noch nicht als solches benannt, die Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär beschrieb Horatio Alger erst in den 1860 er Jahren – zwei Jahrzehnte nach Astors Tod. Selbst der Gebrauch des ursprünglich französischen Wortes millionaire ist für die Vereinigten Staaten erst für die 1840 er Jahre belegbar, als Astor bereits ‚Multimillionär‘ war.
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Er hatte seinen amerikanischen Traum von Aufstieg und wirtschaftlicher Freiheit verwirklicht, bevor andere, Amerikaner wie Europäer, davon zu träumen begannen. John Jacob Astor stand als erfolgreichster Geschäftsmann seiner Zeit natürlich im Licht der Öffentlichkeit. Obwohl ihm sein gutes Ansehen immer sehr wichtig war, wurde ihm nicht nur Bewunderung zuteil, der unglaubliche Reichtum forderte ebenso Kritik heraus. Nach seinem Tod gewannen Neid und Missgunst bis hin zur Diffamierung die Oberhand. Zu seinen Lebzeiten schilderten Autoren seine Karriere vom armen Einwanderer zu einer der führenden Persönlichkeiten der amerikanischen Wirtschaft noch weitgehend unkritisch und durchweg positiv. So zum Beispiel die Kurzbiographie von David Jacques aus dem Jahr 1844 im Hunt’s Merr chant Magazine, einem der meistgelesenen Magazine dieser Zeit, oder die Darstellung seines Lebens von Moses Yale Beach in Wealth and Biography of the Wealthy Citizens of the City of New York von 1845. Danach entstand in der öffentlichen Wahrnehmung ein anderes Bild: Das Image des geizigen, alten Millionärs, wie er uns in der Figur des Ebeneezer Scrooge in der Erzählung A Christmas Carol von Charles Dickens begegnet. Als der berühmte englische Schriftsteller zum ersten Mal die USA bereiste, kam er auch nach New York, wo die High Society ihm einen rauschenden Empfang bereitete. Zu seinen Ehren wurde ein großer Ballabend sowie in den Wochen danach mehrere Dinner organisiert. Bei einem festlichen Abendessen am 19. Februar 1842 im City Hotel, dem ersten Hotel John Jacob Astors, lernte er den schon hochbetagten Mann persönlich kennen. Dickens zeigte sich während seines Aufenthaltes äußerst höflich und von der amerikanischen Lebensweise beeindruckt. Als er aber wieder nach England zurückgekehrt war, begann er, sich öffentlich in negativer Weise über New York City, die New Yorker Gesellschaft und die USA im Allgemeinen zu äußern. Neben mehreren antiamerikanischen Zeitungsartikeln veröffentlichte Charles Dickens nur wenige Monate nach seiner Rückkehr seine berühmt gewordene Weihnachtsgeschichte. Die Begegnung mit John Jacob Astor soll ihn zu der Geschichte des reichen, aber
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geizigen alten Mannes inspiriert haben, der durch den Geist der Weihnacht wieder zu Mitgefühl und Hilfsbereitschaft gebracht wird. Seither wurde dieses Image häufig in oberflächlichen Dokumentationen zu Astor, in Sammelbiographien von Millionären oder in populären Darstellungen bemüht. Warum geriet das zunächst positive Bild Astors in seinem Alter ins Wanken? Weshalb kehrte es sich nach seinem Tod Ende März des Jahres 1848 in sein Gegenteil? Welches Bild konnte sich in der Öffentlichkeit bis heute behaupten? Was trug die historische Forschung zur Wahrheit über John Jacob Astor bei? Die New Yorker Tageszeitungen berichteten damals wochenlang über das Leben John Jacob Astors auf ihren Titelseiten. Mit der Veröffentlichung des Testaments in der New York True Sun am 30. März 1848 wurde die Höhe des Nachlasses bekannt, an der sich die Gemüter der New Yorker Öffentlichkeit erhitzten. Da nie zuvor eine solch unvorstellbare Summe vererbt wurde, mussten die ethischen Grundsätze und auch gesetzliche Reglementierungen erst ausdiskutiert werden. In einer Reihe von Artikeln wurden die Ideale des Republikanismus zum ersten Mal mit den Auswirkungen des Wirtschaftsliberalismus konfrontiert. Astor kam dabei schlecht weg, er wurde als geldgieriger Kapitalist und unrepublikanischer Geizhals dargestellt: „Er war tüchtig im Geldscheffeln, aber er war geizig und knauserig. Was er kriegen konnte, behielt er, und verschloss es bis zum Tag seines Todes.““ In einem Leitartikel vom 5. April gipfelten die Angriffe in der Forderung: Da der Verstorbene sein Vermögen mit Grundstücksspekulationen, also auf Kosten der New Yorker Bürger gemacht habe, müsse ein Großteil des Vermögens an die New Yorker Gesellschaft zurückfließen. Nach einigen Wochen verebbte die Berichterstattung der New Yorker Zeitungen schließlich, die öffentliche Diskussion aber hielt an. Ein Jahr später diente Astor dem Father of American Education und Mitglied des Parlaments von Massachusetts, Horace Mann, in einem berühmt geworr denen Vortrag zum 29. Jahrestag der Boston Mercantile Library Association als Negativbeispiel, um eindringlich vor den Gefahren eines Millio-
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nenvermögens zu warnen: „Astor war der Bekannteste, der Vermögendste, und – berücksichtigt man seine unermesslichen Geldmittel – der Geizigste seiner Klasse in diesem Land. Nichts außer Unzurechnungsfähigkeit kann dies entschuldigen.“ Im Gegensatz dazu propagierten auf der anderen Seite des Atlantiks deutsche Auswandererzeitschriften das gesamte 19. Jahrhundert hindurch Astor stets als Paradebeispiel einer geglückten Auswanderung und erklärten seinen Erfolg durch seine ‚deutschen Tugenden‘. Dagegen stellte die Propaganda des Dritten Reichs Astor als ‚undeutsch‘ dar. Emil Bode charakterisierte die Familie in einer nationalsozialistischen Schrift gar als „Deutsche, die ihr Deutschtum aufgegeben haben“. Im Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums wird Astor vorgeworfen, er habe die Entfaltungsmöglichkeiten in den USA nur für seinen eigenen Machtgewinn und Wohlstand genutzt. Der „deutsche Betrachter [schaut] mit Schrecken und Trauer auf das Leben dieses Mannes“, bei dem der Autor „keine Verbindung zwischen dem Geist des deutschen Volkes und diesem Manne“ sah. Für so jemanden sei in der ‚Volksgemeinschaft‘ kein Platz. Seine Karriere diente der NS-Propaganda als Stereotyp für die Dekadenz der amerikanischen Plutokratie, um zu zeigen, dass die USA moralisch und ideologisch marode und geschwächt seien. Von Historikern wurde Astor trotz seiner Berühmtheit kaum beachtet. Eine Ausnahme bilden die 1920/30 er Jahre, die Zeit der Großen Depression und der Weltwirtschaftskrise in Amerika. In jener Zeit erschien die zweibändige Lebensdarstellung Astors von Kenneth Wiggins Porter, einem Professor an der Harvard University. Allerdings stand in Porters Studie nicht die Person Astors, sondern vielmehr die Geschäftspolitik seiner Unternehmungen im Mittelpunkt. Diese wirtschaftsgeschichtlich ausgerichtete Biographie beruhte erstmalig nicht nur auf Anekdoten und Gerüchten, die in der Öffentlichkeit kursierten. Porter verwendete für seine Studie Geschäftspapiere sowie private und geschäftliche Briefwechsel. Die zweite wissenschaftliche Studie wurde im Jahr 1991 von John D. Haeger verfasst. Haeger konzentrierte sich mit
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seiner wirtschaftshistorischen Studie auf den Aufbau des Pelzhandels und die Immobiliengeschäfte Astors. Er führte somit die von Porter begonnene Arbeit fort und modernisierte die Darstellung von Astors unternehmerischen Aktivitäten. Auch in seiner Studie fehlen jedoch alle Aspekte, die über den reinen Gelderwerb Astors hinausgehen und seinen Weg als Einwanderer oder seinen gesellschaftlichen Aufstieg beschreiben. In jüngster Zeit erschien in den USA noch das populärwissenschaftliche Buch des Bestsellerautors Axel Madsen. Diese Biographie aus dem Jahr 2001 beschäftigt sich zwar mit der Person Astors, bleibt dem historischen Astor aber so fern wie die meisten Veröffentlichungen. Madsen fügt den kolportierten Anekdoten einige historische Ereignisse hinzu, die jedoch für eine Lebensdarstellung Astors nicht relevant sind. Im deutschsprachigen Raum ist Astor bislang meist übersehen worden. Es existiert lediglich eine Festschrift der Stadt Walldorf, die Herr bert C. Ebeling im Jahr 1998 zum 150. Todestag Astors verfasste. Und 2007 erschien eine Gesamtdarstellung der Familie Astor, die aber zum großen Teil fiktional ist, deren Dialoge frei erfunden sind und die ihren Fokus auf die Frauen der Familie richtet. Die folgende Biographie stützt sich nun erstmals auf eine Auswertung aller zugänglichen Archivmaterialien auf beiden Seiten des Atlantiks, die es ermöglichten, John Jacob Astor von seinen Wurzeln in Walldorf über alle Stationen seines erfolgreichen Lebens zu begleiten. Neben Hunderr ten von Briefen wurden Kirchenbücher, Tageszeitungen, Tagebücher, Memoiren, Schiffsbücher, Passagierlisten, Testamente, zeitgenössische Publikationen und Werbeanzeigen eingesehen und ausgewertet. Aus diesen primären Quellen kristallisierte sich nach und nach die historische Person John Jacob Astor heraus, die sich von den kolportierten Legenden doch deutlich abhob. Die ursprüngliche Studie wurde 2005 als Dissertation an der Universität Heidelberg eingereicht. Für das vorliegende Buch wurde die Geschichte John Jacob Astors nach den wissenschaftlichen Ergebnissen noch einmal neu erzählt.
HERKUNFT (1763–1780)
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ohann Jacob Astor stammt aus dem kurpfälzischen Walldorf, das südlich von Mannheim und Heidelberg gelegen ist. Seit dem Mittelalter spielte die Pfalz eine bedeutende Rolle in der Politik des Heiligen Römischen Reiches. Nach dem erbittert geführten Pfälzer Erbfolgekrieg (1688–1697), in dem unter anderem die Hauptstädte Mannheim und Heidelberg von den Franzosen zerstört wurden, zog für acht Jahrzehnte eine Zeit des Friedens und der kulturellen Blüte ein. Anders als seine Vorgänger konnte sich Kurfürst Carl Theodor (Regierungszeit 1742–1799) daher ausführlich seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Interessen widmen. Große Namen sind mit seiner Regentschaft verbunden: Mozart und Schiller besuchten die pfälzische Residenzstadt Mannheim ebenso wie Voltaire und Lessing. Die erst kurz zuvor prachtvoll wieder errichtete Stadt Mannheim erlebte deshalb einen umso tieferen Fall, als Carl Theodor nach der Vereinigung der Pfalz mit dem Königreich Bayern wegzog, um das Erbe des Hauses Wittelsbach anzutreten: Fortan residierte er in München. Die einst so bedeutende Pfalz am Rhein wurde nach der Verlegung der kurpfälzischen Residenz zu einem politischen Nebenschauplatz in Deutschland. Durch die friedliche Zeit war die Einwohnerzahl der Kurpfalz rapide angestiegen. Doch extreme Wetterbedingungen, Überschwemmungen, Frost und große Hitze brachten Missernten und Seuchen in die Region, was dazu führte, dass in weiten Teilen Hunger und Elend herrschte. Die Bauernhöfe wurden durch die traditionelle Realerbteilung, die gleich-
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mäßige Aufteilung des Bodens unter allen Erben, immer weiter verr kleinert, bis sie schließlich so klein waren, dass sie in schlechten Zeiten keine ertragreiche Familienwirtschaft mehr erlaubten. Auch waren Innovationen wie die Stallfütterung und neuere Düngemethoden, die in anderen Regionen bereits zu einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion geführt hatten, in der Kurpfalz noch unbekannt. Viele Pfälzer sahen angesichts ihrer schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Auswanderung nach Nordamerika ihre einzige Chance auf ein besseres Leben. Diejenigen, die zurückblieben, hatten kaum eine Möglichkeit, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Das Bildungswesen unterlag seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, als der katholische Kurfürst Carl Theodor die Macht in der einst protestantischen Kurpfalz übernommen hatte, einer konfessionellen Spaltung. Dies hatte zur Folge, dass in den einzelnen Ortschaften mindestens zwei, in manchen Fällen sogar drei Schulen eingerichtet wurden. Eine allgemeine Schulpflicht wurde dennoch nicht eingeführt, da sich Carl Theodor zwar am Hof in Mannheim der Wissenschaft und Kunst widmete, das Bildungswesen aber nicht reformierte. Entsprechend ärmlich blieb die Ausstattung der Schulen, und entsprechend gering war die fachliche Qualifikation der Lehrer. Das Dörfchen Walldorf bestand in dieser Zeit aus etwa 250 Familien und hatte knapp über 1000 Einwohner, die in etwa 200 Häusern lebten. Für das ausgehende 18. Jahrhundert war es ein verhältnismäßig großes Dorf. In Walldorf gab es die für die damalige Zeit üblichen drei Kirchen, die katholische, die reformierte und die lutherische, sowie eine jüdische Synagoge. Das dörfliche Leben war vollständig auf die Erträge der eigenen Landwirtschaft ausgerichtet und daher immer abhängig von den Launen der Natur.
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Familie und Jugend In den Kirchenbüchern der reformierten Gemeinde Walldorfs findet sich am 17. Juli 1763 der Geburtseintrag Johann Jacob Astors. Er wurde als sechstes Kind der Eheleute Maria Magdalena und Johann Jacob Astor dem Älteren in Walldorf geboren. Astors Familie war sehr arm. Der Vater übte den Beruf des Metzgers aus, was im 18. Jahrhundert bedeutete, dass er von Hof zu Hof zog, um dort das Vieh der Bauern zu schlachten. Gewinnbringend war sein Beruf nur im Vorfeld der alljährlichen Feste, da es sich die Bewohner und Bauern Walldorfs nur dann leisteten, ihr Vieh zu schlachten. So hatte Vater Astor im Laufe eines Jahres nur vor Weihnachten und Ostern, vor Hochzeiten, Taufen, der Erstkommunion und der Konfirmation ausreichend Arbeit, um seine Familie angemessen ernähren zu können. Sonst hungerte die Familie meist. Die Eltern des kleinen Johann Jacob waren seit dem 15. April 1749 verheiratet. Ein Jahr nach ihrer Hochzeit gebar Maria Magdalena im März 1750 das erste Kind, Peter Astor, der noch im Säuglingsalter starb. Das zweite Kind wurde zwei Jahre später geboren und in Erinnerung an das erste auf den Namen Georg Peter getauft. Ihm folgten Heinrich, Catherina, Melchior und schließlich im Jahre 1763 Johann Jacob. Er erhielt den Namen seines Vaters. Die Familie Astor erlitt einen schweren Schicksalsschlag, als wenige Monate nach der Geburt Johann Jacobs die Mutter am 1. Mai 1764 im Alter von nur 33 Jahren starb. Johann Jacob war gerade zehn Monate alt. Viele Familien wurden in dieser Zeit von solchen Schicksalsschlägen ereilt. Hohe Geburtenraten, zugleich eine hohe Sterblichkeit der Kinder und auch der Ehepartner gehörten zum Leben einer Familie. Waisenkinder und zweite Ehen waren ein trauriger, doch normaler Bestandteil des familiären Lebens. So heiratete auch Vater Astor nach einer zweijährigen Trauerphase erneut. Die Hochzeit zwischen ihm und der 24jährigen Christina Barbara Seybold fand am 8. Juli 1766 in Walldorf statt. Das Paar bekam in den
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Folgejahren sechs Kinder, wodurch sich die Familie Astor mehr als verr doppelte. Die Familie musste in dem kleinen Haus immer enger zusammenrücken. Oft saßen alle Kinder hungernd um den wärmenden Ofen. Doch auch das erstgeborene Kind der zweiten Ehe, Maria Magdalena, das den Namen von Johann Jacobs erster Frau erhielt, überlebte das Säuglingsalter nicht und wurde nur wenige Wochen alt. Das zweite Kind dieser Ehe wurde ebenfalls auf den Namen Maria Magdalena getauft. Ihr folgten Anna Eva, Elisabetha, Sebastian und schließlich Maria Barbara. Da es im Hause Astor allmählich zu eng wurde, entschieden sich die ältesten der Kinder, Georg Peter und Heinrich, das Elternhaus zu verlassen und auszuwandern. Nach dem bitteren Verlust der Mutter musste der junge Johann Jacob nun den Fortgang seiner beiden ältesten Brüder hinnehmen. Heinrich war der erste Astor, der seine Heimat verließ. Im Jahre 1775 schloss er sich als Söldner einem hessischen Regiment an, das von den Briten angeheuert wurde, um in Nordamerika gegen die amerikanischen Revolutionäre zu kämpfen. Henry, wie er sich bald nannte, genoss dadurch eine freie und kostenlose Überfahrt in die nordamerikanischen Kolonien, die er an Bord eines britischen Marineschiffes verr brachte. Der älteste Bruder, Georg Peter, emigrierte 1777 nach London und wurde dort Instrumentenbauer. Im gleichen Jahr verließ auch noch der dritte Bruder, Melchior, der bei seinem Vater das Metzgerhandwerk gelernt hatte, das Elternhaus. Er machte sich in der Nachbargemeinde Oftersheim als Metzger selbstständig. Zu Hause blieben nun nur noch Catherina und Johann Jacob und die Kinder aus der zweiten Ehe. Astor und seine Geschwister erhielten eine für die damalige Zeit typische, schlichte Schulbildung in der reformierten Kirche in Walldorf. Zwar behaupten einige Autoren, Astor habe eine vorzügliche Schulausbildung genossen. Sie nahmen allerdings an, dass Walldorf zu diesem Zeitpunkt bereits zum Großherzogtum Baden gehörte, wo der wohlwollende Markgraf Karl Friedrich von Baden im Jahre 1771 eine umfassende Schulreform durchführte. Immerhin gab es in Walldorf seit dem Jahr 1737 eine reformierte Schule, die aus einem kleinen Raum bestand, in dem alle
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Schüler aller Jahrgänge gemeinsam unterrichtet wurden. Die widrigen Umstände und Unterrichtsbedingungen der reformierten Schule und die Tatsache, dass keine allgemeine Schulpflicht bestand, waren jedoch der Grund, dass kaum jeder Zehnte der Dorfkinder Lesen und Schreiben lernte. Sie mussten vielmehr ihren Eltern bei der Arbeit helfen. Den Sinn einer Schulbildung sahen die Wenigsten. Geleitet wurde die Schule von Johann Valentine Jeune, einem Nachkommen geflüchteter französischer Hugenotten, der dieses Amt 1740 übernommen hatte. Jeune blieb bis zu seinem Tod 1783 Lehrer an dieser Schule. Zusammen mit dem reformierten Dorfpfarrer Johann Philip Steiner unterrichtete er die Schüler der Kirchengemeinde. Die frommen und gebildeten Männer förderten Johann Jacob, da sie in ihm einen besonders talentierten und neugierigen Schüler erkannten, dessen Fähigkeiten die der anderen Mitschüler übertrafen und der offen für ihre Lehren und Ideen war. Allerdings war Johann Jacob verhältnismäßig selten in der Schule. Umso mehr versuchte Jeune, den jungen Astor mit seiner Fürr sorge zu unterstützen. Er führte Astor in die Grundzüge der calvinistischen Religionslehre ein, für die seine Vorfahren in Frankreich verfolgt worden waren. Mit Fleiß und Arbeitseifer könne man Wohlstand erreichen, der ein Zeichen der Auserwähltheit durch Gott darstelle. Ebenso sei eine asketische Lebensführung für diese Auserwähltheit unverzichtbar. Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr lebte Johann Jacob das gewöhnliche Leben eines armen Jungen. Seine Zeit verbrachte er teils in der Schule, zu Hause und bei den gelegentlichen Schlachtungen seines Vaters. Mit der Konfirmation am Ostersonntag 1777 aber endete diese Zeit. Das Glaubensfest markierte nicht nur das Ende der Schulzeit, von diesem Zeitpunkt an musste ein junger Mann selbst die Verantwortung für sich und sein Leben übernehmen. Der Tradition entsprechend begann nun eine Handwerkslehre, zumeist an einem fremden Ort. Die weniger Begabten heuerten als Knecht oder als Landarbeiter auf einem Bauernhof an. Astor sah sich im Frühsommer mit genau dieser Entscheidung konfrontiert. Nach seiner Konfirmation musste er nun die Weichen für sein
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weiteres Leben stellen. Seine beiden Lehrer hatten erkannt, dass er ein intelligenter, junger Mann war, der seinen Weg machen würde. Und Astor sollte seine beiden Mentoren nicht enttäuschen. In ihm war das Interesse erwacht, etwas aus seinem Leben zu machen. Doch die ärmlichen Verhältnisse seiner Familie schienen ihm jede Möglichkeit zu verwehren. An die Finanzierung einer Ausbildung war in keiner Weise zu denken. Nachdem seine beiden ältesten Brüder bereits ausgewandert waren und Melchior in der Nachbargemeinde lebte, bestand sein Vater darauf, dass Johann Jacob ihn bei seinen Schlachtungen unterstützte. Johann Jacob hatte seinem Vater schon während der Schulzeit in all den Jahren zuvor immer wieder geholfen. Ihm widerstrebte aber der Gedanke, dass dies nun seine Lebensaufgabe werden sollte. Doch letztlich akzeptierte er den Wunsch seines Vaters. Fortan arbeitete er für ihn als Laufbursche. Das Verhältnis von Vater und Sohn war seit einiger Zeit belastet. Schon als Kleinkind litt Johann Jacob unter seiner Stiefmutter, mit der er oft aneinander geriet. Daher entfloh der junge Johann Jacob häufig dem Elternhaus. William Oertel von Horn berichtet in seinem 1854 erschienenen Büchlein davon, dass Valentin Kamm, der zusammen mit Astor konfirmiert wurde, erzählte, dass Johann Jacob oft tagelang gehungert habe und seinem Vater nur während der Arbeit unter die Augen getreten war. Nachts habe sich Johann Jacob oft zum Schlafen in einen Heuschober zurückgezogen. Wenn er unter allzu großem Hunger litt, wurde er von seinen früheren Schulfreunden versorgt.
Der Entschluss zur Auswanderung Johann Jacob Astors Entscheidung, seine Heimat zu verlassen war weder religiös noch politisch motiviert, er wollte in erster Linie seine eigene Lebenssituation verbessern und dem Leben in Armut entkommen. Auch die familiäre Situation spielte dabei wohl eine bedeutende Rolle. Nach dem frühen Tod seiner Mutter fehlte ihm die Bindung an die leibliche Mutter.
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Christina Barbara, die zweite Frau seines Vaters, konnte diesen Verlust nie auffangen. Schließlich beeinflusste ihn sicher die Auswanderung seiner Brüder. Einerseits hatte er weitere, ihm nahe stehende Menschen verloren. Andererseits zeigten sie ihm, dass es nicht unmöglich war, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Besonders die Briefe seines Bruders Heinrich vermittelten ihm ein Bild aus der Neuen Welt, das seine Hoffnungen und Erwartungen weckte. Der junge Astor wollte nicht so werden wie sein Vater, der mürrisch und verärgert auf den Fortgang seiner Söhne reagiert hatte und nicht zuletzt durch den Tod seiner ersten Frau zu einem rauen, schweigsamen Mann geworden war, der die Freude am Leben verloren zu haben schien. Häufig hielt er sich bis spät in die Nacht in einem der Walldorfer Wirtshäuser auf und suchte dort nach Ablenkung. Zu Astors zerrütteter Familiensituation kam hinzu, dass er nach seiner Konfirmation weder Ziele hatte, noch Perspektiven für sich sah. In Walldorf würde sich für ihn nichts ändern. Er musste fort von hier. Die Briefe seiner beiden Brüder aus der neuen, weiten Welt weckten in ihm Neugierde und Spannung. Heinrich berichtete von dem aufregenden Kriegsgeschehen in Nordamerika. Schließlich erreichte die Familie ein Brief, in dem Heinrich schrieb, dass er sich von den britischen Soldaten gelöst und in New York niedergelassen hatte. Johann Jacob atmete auf, als er dies las. Sein Bruder befand sich nicht mehr im Kampf. Der andere Bruder, Georg, schrieb von der blühenden Wirtschaftsmetropole London, der größten Stadt dieser Zeit, und von seinen Erfolgen als Instrumentenbauer. Ihren Briefen zufolge ging es den beiden Brüdern nach ihrer Auswanderung erheblich besser als zuvor. Vor allem Heinrichs Berichte von den politischen Ereignissen der Amerikanischen Revolution und den neuen Ideen der Unabhängigkeitsbewegung interessierten Johann Jacob sehr. Vor einem Jahr hatten sich die ehemals nordamerikanischen Kolonien für unabhängig erklärt und wurden zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Von da an war jeder Bewohner dieser Staaten seines eigenen Glückes Schmied.
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Die Briefe aus der Ferne hielten Astor vor Augen, dass dort die große Chance auf eine bessere Zukunft auf ihn wartete. Eines Tages schlug Georg vor, dass Johann Jacob zu ihm nach London kommen, das Handwerk des Instrumentenbauers lernen und ihm beim Instrumentenbau helfen könnte. In mehreren Briefen versicherte Georg seinem Vater, dass dies der richtige Schritt für den jüngeren Bruder sei, die Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten in London wären um so vieles besser als in Walldorf. Doch Vater Astor wollte der Auswanderung seines Sohnes nicht zustimmen. Nachdem drei seiner Söhne das Haus verlassen hatten, sollte der jüngste bei ihm bleiben, um ihm zur Hand zu gehen. Die Kinder aus der zweiten Ehe waren noch zu klein, um ihm zu helfen. Aus seiner Schulzeit wusste Johann Jacob, dass er mit seinen Ideen und Sorgen immer zu seinen Lehrern Jeune und Steiner kommen konnte. Er erzählte ihnen von seinem Vorhaben und bat sie, mit seinem Vater zu sprechen. Beide erklärten sich gerne dazu bereit. Sie waren davon überr zeugt, dass der junge Astor auswandern sollte und dass er in der Lage sei, diese Chance für sich zu nutzen. Gemeinsam überzeugten sie den Vater, der schließlich einwilligte. Johann Jacob sollte zu Georg nach London gehen, dort die englische Sprache erlernen und zum Instrumentenbauer ausgebildet werden. Ob er anschließend zu Heinrich weiterziehen würde, blieb offen. Noch tobte der Unabhängigkeitskrieg in Nordamerika. Johann Jacob aber war von dem Gedanken der Gleichheit der Menschen in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung fasziniert. Die Ideen der perr sönlichen und politischen Freiheit und der Gleichheit der Bewohner waren etwas, das er weder in Walldorf noch im Europa jener Zeit finden würde. Sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten zu können, dafür sah er in den Vereinigten Staaten eine reale Chance. Den amerikanischen Zeitungen, die im März 1848 über Astors Tod berichteten, ist zu entnehmen, dass Astor 1780 Walldorf verlassen haben soll. Nur mit einem Bündel Kleider und ein paar Münzen in der Tasche nahm Johann Jacob Abschied von seiner Familie und seinen Freunden, die ihn unter Tränen bis an den Ortsrand Walldorfs begleiteten. Er holte
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tief Luft, sah noch einmal in die vertrauten Gesichter, bevor er sich umdrehte und fortzog. Während sich Astor vom Dorf entfernte und allmählich am Horizont verschwand, wandte sich Jeune an die kleine Gruppe mit den tröstenden Worten: „Er wird seinen Weg durch die Welt machen. Er hat einen klaren Verstand und ist nicht mehr grün hinter den Ohren.“ Nach dem tränenreichen Abschied von der ihm bekannten Welt wanderte Astor zunächst die wenigen Kilometer in Richtung Rhein, hielt aber noch einmal in Sichtweite seines Heimatdorfes auf einer kleinen Sanddüne in der Nähe des Nachbarortes Sandhausen an und setzte sich unter einen Baum. Der Abschied und die Tränen der Freunde hatten ihn berührt. Würde er sein Glück wirklich in der Ferne finden? Doch sein Entschluss stand fest. Er ließ seine Gedanken schweifen, richtete sie auf seine Zukunft und die Reise nach London. Nach einer Weile stand er auf und schwor sich in Gedanken an seinen Lehrer Jeune, „immer ehrlich zu sein, immer eifrig zu sein und nicht verschwenderisch zu leben“. Ein letztes Mal blickte er auf Walldorf und beschloss, die Armut seiner Jugend für immer hinter sich zu lassen.
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äufig ziehen Auswanderer dorthin, wo sie bereits jemanden kennen, der ihnen den Einstieg in die Fremde erleichtert. So folgte auch Astor seinem Bruder Georg nach London. Die britische Hauptstadt war in dieser Zeit das Zentrum und die bevölkerungsreichste Stadt der atlantischen Welt und herrschte über ein koloniales Weltreich. Die Einwohnerzahl Londons war im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgrund des Wirtschaftswachstums des British Empire stark angestiegen. Die Stadt verzeichnete ein Bevölkerungswachstum von 575 000 Einwohnern um das Jahr 1700 auf 900 000 am Ende des 18. Jahrhunderts. Damit übertraf London erstmals die französische Hauptstadt Paris. Als Zentrum des britischen Merkantilismus bildete London den Mittelpunkt eines globalen und kolonialen Handelsnetzwerks. Die Metropole war Dreh- und Angelpunkt der britischen Wirtschaft, die sich auf die ganze Welt erstreckte. Hierher mussten alle britischen Handelskompanien ihre Waren aus den Kolonien bringen, um sie verzollen zu lassen. Erst dann konnten sie weiter verschifft werden. Ein Ausweis der Vormachtstellung und des Wohlstandes der Stadt waren auch die baulichen Verbesserungen, die in der britischen Hauptstadt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vorgenommen worden waren. So wurden vor allem die mittelalterlichen Stadttore zur City of London beseitigt, um allen Einwohnern, nicht nur autorisierten Handelsgesellschaften, freien und direkten Zugang zum Herzen und Handelszentrum Londons zu gewähren. Durch diese Maßnahme wurde das Handelswesen der Stadt
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für die allgemeine Bevölkerung geöffnet, Geschwindigkeit und Effizienz des Handels innerhalb der Stadt wurden beschleunigt. Viele neue Läden und Hersteller eröffneten in dieser Zeit ihre Geschäfte in der City of London. Die neue, ungehinderte Zirkulation von Waren an die Käufer und von Menschen zu den Produkten führte zu einem Wirtschaftsboom innerhalb der Stadt. Der Gegensatz zu dem Ort von Astors Kindheit und Jugend konnte kaum größer sein. Von einem kleinen Dorf mit etwas mehr als 1000 Einwohnern war Astor in die Hauptstadt der damaligen Welt unterwegs. Das geschäftige Treiben, so hoffte Astor, würde ihm ganz neue Möglichkeiten bieten.
Lehrjahre in London Um von Walldorf nach London zu gelangen, plante der junge Astor, den Rhein flussabwärts zu einem der großen Nordseehäfen zu fahren. Seine Reise führte ihn daher zunächst ins nahe gelegene Speyer am Rhein. Da er kein Geld besaß, um die Reise an die Nordsee, geschweige denn nach London zu finanzieren, musste er sich etwas einfallen lassen. Er war bereit, sich die Reise durch harte Arbeit zu verdienen und heuerte daher bei einigen Flößern an, die Holz aus dem Schwarzwald auf dem Wasserweg in die Niederlande transportierten. Als Gehilfe dieser Flößer gelangte er innerhalb von zwei Wochen nach Rotterdam, dem größten Hafen auf dem europäischen Festland nahe der Rheinmündung. Zusätzlich verdiente er sich mit der Arbeit auf den Flößen das benötigte Geld für die Überfahrt nach London. In seinen Taschen hatte er durch diese Arbeit nun mehr, als er jemals zuvor besessen hatte. Er hatte es alleine geschafft! Ohne Kenntnis der fremden Sprache und nur durch Georgs Briefe über England und London informiert, kam Astor nach nicht einmal drei Wochen Fahrt in der britischen Metropole an. Als Johann Jacob schließlich London erreichte, wurde er herzlich von seinem Bruder und dessen junger Frau empfangen. George, wie sich Astors
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Bruder jetzt nannte, war es in den Jahren seit seiner Einwanderung gelungen, sich als Instrumentenbauer einen Namen zu machen. Da er gleichermaßen musikalisch wie handwerklich begabt war, entsprach dieser Beruf genau seinen Talenten. Am 9. November 1779 hatte er die 17jährige Engländerin Elizabeth Wright geheiratet. Da die Braut bei der Hochzeit noch minderjährig war, musste ihr Vater der Eheschließung zustimmen. Vater Wright tat dies gerne – nicht zuletzt, weil er den jungen Deutschen aufgrund seiner aufrechten und fleißigen Art ins Herz geschlossen hatte. Elizabeths Vater wusste seine Tochter gut aufgehoben. George war für Johann Jacob eine große Hilfe und erleichterte ihm die ersten Schritte in der Fremde. Er musste nicht ganz von vorne anfangen, sondern konnte auf die Erfahrungen seines Bruders zurückgreifen. Elizabeth lehrte den dankbaren jungen Deutschen die englische Sprache, während George ihn als Instrumentenbauer ausbildete. Schließlich erweiterten die beiden Brüder den kleinen Instrumentenhandel und eröffneten die Instrumentenbaufirma George & John Astorr in der mittlerweile überrbauten Wych Street 26 in der florierenden City of London. Ihren jeweiligen Talenten entsprechend beschlossen die beiden Brüder folgende Arbeitsteilung: George stellte die Flöten, Klarinetten und Tasteninstrumente her, während es Johann Jacobs Aufgabe war, diese im Laden zu verkaufen. Johann Jacob lernte so die Grundzüge der Unternehmensführung und Buchhaltung. Astor fand sich schnell in der Weltstadt London zurecht. Offensichtlich hatte er keinerlei Berührungsängste mit der Fremde. Im Gegenteil, er fühlte sich prächtig in seiner neuen Heimat. Als ein äußeres Zeichen seines Wohlbefindens anglisierte er stolz seinen Namen in John Jacob. Trotz dieser glücklichen Jahre ging ihm die Vorstellung von den Vereinigten Staaten nie aus dem Kopf, und er versuchte weiterhin, mehr über dieses Land zu erfahren.
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Nach Amerika! Während John Jacob in London die ersten Gehversuche als Kaufmann machte, tobte in Nordamerika noch immer der Unabhängigkeitskrieg. Frankreich war 1778 in den Krieg eingetreten und stritt nun auf der Seite der nordamerikanischen Kolonisten, die in diesem Konflikt allmählich die Oberhand gewannen. Die Kapitulation des britischen Generals Lord Cornwallis bei Yorktown im Jahr 1781 beendete zwar die bewaffneten Kämpfe und führte zu den ersten Friedensverhandlungen, zum Friedensschluss kam es aber erst am 3. September 1783 im Friedensvertrag von Paris. Die ehemaligen britischen Kolonien in Nordamerika waren nun unabhängig, und nach acht Jahren Krieg zog Friede in die Vereinigten Staaten ein. Vieles wurde neu aufgebaut, es herrschte Aufbruchsstimmung. Als John Jacob in London vom Ende des Krieges in Nordamerika hörte, war er nicht mehr zu halten. Er wollte die Neue Welt sehen und endlich dahin gelangen, von wo sein Bruder Heinrich ihm seit Jahren die verheißungsvollen Briefe schrieb. Nun hatte er seine Ausbildung in London beendet, besaß genügend Geld für die Überfahrt und wartete ungeduldig darauf, endlich aufbrechen zu können. Astor vermutete, dass durch den soeben geschlossenen Frieden für Nordamerika und die endgültig gewonnene Freiheit der ehemaligen Kolonisten ein Markt für neue Luxusgüter, Kunstgegenstände und somit auch für seine Instrumente entstehen könnte. Auf diese Weise würden die Astor-Brüder einen neuen Absatzmarkt erschließen können. Ihr gemeinsamer Plan lautete: George würde weiter in London Instrumente herstellen und John Jacob würde sie der interessierten reichen Oberschicht von New York verkaufen. Er war so ungeduldig, dass er nicht einmal den nächsten Frühling abwarten wollte. John Jacob wollte sofort los und nahm in Kauf, dass der Atlantik über Winter durchaus seine rauen Seiten zeigen konnte. Im November 1783, nur zwei Monate nach dem offiziellen Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, ging der mittlerweile 20 Jahre alte John Jacob Astor in Southampton an Bord des Segelschiffes North Carolina. Es sollte das
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südlicher als New York gelegene Baltimore ansteuern, um dem gefährr lichen Packeis auf dem Nordatlantik aus dem Weg zu gehen. Für fünf Pfund schiffte sich Astor auf dem Zwischendeck ein. Im Gepäck hatte er ein Sortiment von sieben Flöten, zwei Klarinetten und etwas Geld für die Reise, die aufgrund des harten Winters fünf Monate dauern sollte. Aus den Erlebnissen seiner Überfahrt entstand eine Anekdote, die zum einen seine unkonventionelle und pragmatische Denkweise verdeutlicht, ihm aber auf der anderen Seite in negativer Weise als materialistisches, rein besitzorientiertes Denken ausgelegt wurde. Der Winter des Jahres 1783/84 war äußert streng und kalt, die Überquerung des Atlantiks gefährlich, anstrengend und zermürbend. Das Schiff brauchte wesentlich länger als eingeplant. Während der Überfahrt geriet die North Carolina immer wieder in Stürme und Unwetter. An einem besonders stürmischen Tag wurde das Schiff bedenklich nahe an treibende Eisschollen gedrängt. Die Passagiere an Bord rechneten jeden Augenblick damit, dass das Schiff entzweibrechen und untergehen würde. In dieser Situation erschien Astor in seinem besten Anzug auf Deck. Auf die Frage, warum er dies tat, antwortete er, dass er, falls er mit dem Leben davon kommen würde, wenigstens seine beste Kleidung noch besäße. Der unglückliche Höhepunkt dieser unruhigen und langen Überfahrt bestand jedoch darin, dass das Schiff Ende Januar, einen Tag bevor es Baltimore erreichte, in der Chesapeake Bay vor der Küste Virginias mit einem halben Dutzend weiterer Schiffe im eisigen Wasser festfror. Nach einigen Tagen wagten sich die ersten Passagiere auf das Eis und wanderten zu den anderen Schiffen. Astor blieb allerdings vorerst an Bord, da der Kapitän vertraglich verpflichtet war, für sein leibliches Wohl zu sorr gen, bis sie den Hafen erreichen würden. Er nutzte die Zeit, indem er weitere Informationen über Amerika zu erhalten versuchte, und unterhielt sich mit den anderen Passagieren über die vor ihm liegende Neue Welt. So lernte er einen jungen Deutschen kennen, der nur wenige Jahre älter war als er selbst. Da er sich schon einige Zeit in Nordamerika aufgehalten hatte, nannte er sich in amerikanischer Schreibweise John Nicholas
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Emerick. Der Fremde erzählte Astor, dass er im Norden des Staates New York mit Pelzen handele und gerade aus Europa zurückkehre, wohin er die Pelze verkaufe. Der große Profit an diesem Geschäft liege darin, dass er für wenig Geld den Indianern die Pelze abkaufe, um sie für ein Vielfaches des ursprünglichen Preises in Europa wieder zu verkaufen. Emerick empfahl Astor, selbst das Kürschnerhandwerk zu lernen und in den Pelzhandel einzusteigen. Darin, so Emerick, läge ein schneller und lukrativer Weg, in der Neuen Welt reich zu werden. Astor hörte seinem Landsmann aufmerksam und interessiert zu. Als das Eis auch nach vielen Tagen nicht zu schmelzen begann, wurde Astor ungeduldig. Er wog das Risiko ab, gab schließlich seinem Tatendrang nach, packte seine wenigen Sachen und marschierte vorsichtig über das Eis in Richtung Baltimore. Der Marsch war nicht ungefährlich, da das Eis an einigen Stellen brüchig war. Er folgte daher den Spuren der Wagemutigen, die vor ihm aufgebrochen waren, und erreichte so unverr sehrt das Land. Durch diese riskante Wanderung kam Astor mehrere Tage vor den restlichen Passagieren der North Carolina am 24. März des Jahres 1784 in der Neuen Welt an. In Baltimore streifte er durch die Stadt und sah sich den fremden Hafen an. Als er sich auf der Market Street nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsah, trat ein kleiner, dicker Mann aus seinem Laden und sprach ihn an. Der Fremde hatte Astors deutschen Akzent bemerkt. Er stellte sich ihm als Schweizer mit Namen Nicolaus Tuschdy vor und war vor wenigen Jahren selbst nach Nordamerika ausgewandert. Beide waren sich auf Anhieb sympathisch, und so lud Tuschdy John Jacob Astor zum Abendessen ein. Astor freute sich über diese Einladung. Sein erster Tag in Nordamerika schien einfacher zu verlaufen, als er erwartet hatte. Tuschdy brachte Astor zu sich nach Hause, wo er den jungen Einwanderer mit seiner Frau bekannt machte. Während des Essens schlug er dem freudig überraschten Astor vor, solange er in Baltimore bliebe, könne er seine Musikinstrumente in Tuschdys Laden zum Verkauf anbieten, ohne dass er dafür eine Kommission zahlen müsse, und er könne bei den Tuschdys wohnen.
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Dieses überaus freundliche Angebot konnte Astor nicht ablehnen. In den drei Wochen, die Astor bei Tuschdy blieb, gelang es ihm, alle seine Instrumente zu verkaufen, um sich damit die Weiterreise nach New York zu finanzieren. Mitte April 1784 konnte er schließlich in Richtung New York aufbrechen.
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egen Ende des 18. Jahrhunderts konnten sich die Menschen noch nicht vorstellen, dass ganz Manhattan besiedelt und die Stadt einmal berühmt für ihre Wolkenkratzer sein würde. Ihnen bot sich noch ein völlig anderes Bild: Nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges waren große Teile der Stadt zerstört. Von der berühmten Trinity Church am Broadway, dem damals höchsten Gebäude der Stadt, standen lediglich noch die Grundmauern. Zudem waren viele Einwohner während der sieben Jahre währenden britischen Besatzung aus der Stadt geflüchtet. Doch nun, nach dem Friedensschluss, strömten tausende Menschen zurück in die Stadt, um sich wieder dort niederzulassen. Zusätzlich kamen viele neue Einwohner, die sogenannten „New“ New Yorker, r und verdoppelten die Einwohnerzahl der Stadt schnell von 12 000 Ende des Jahres 1783 auf 24 000 zwei Jahre später. Dennoch war New York nur eine kleine Stadt, die lediglich aus wenigen Straßen an der Südspitze Manhattans bestand. Die größten Teile Manhattans waren brache Ländereien und landwirtschaftlich genutzte Felder. Doch nach und nach wurden sie in den nächsten Jahren der schnell wachsenden Stadt einverleibt. Auf ihnen entstanden neue Straßen, Wohnblöcke und Häuser. 1784 beschloss der Zweite Kontinentalkongress, die provisorische Regierung der Vereinigten Staaten, New York zu ihrer ersten Hauptstadt zu erklären. Damit zogen nun die politische Prominenz, die Beamten und deren Familien in die Stadt. Schon bald war New York ein überaus lebendiger Ort. Das Herz der Stadt war schon damals der Broadway, der sich
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quer durch die Stadt und weiter hinaus über ganz Manhattan zog. Wer Rang und Namen hatte, wohnte am südlichen Teil des Broadway, nahe der Trinity Church und der Wallstreet. Kaufleute und Reeder der alten angelsächsischen und niederländischen Familien und auch die neu hinzugezogenen Politiker bildeten die Elite der Stadt. Sie waren damit beschäff tigt, den Handel New Yorks wieder aufzubauen und sorgten für ein reges Treiben in der Stadt. Die Straßen waren voller Leben: Kutschen, Karren, Pferde und Fußgänger bevölkerten die gepflasterten Straßen und kämpften sich durch den Verkehr. Im Hafen von New York, der nahezu die ganze Stadt umgab, legten die ersten Handelsschiffe an und versorgten die Stadt mit Waren aus den anderen Staaten oder aus der Karibik. In New York lebte bereits seit dem frühen 18. Jahrhundert eine größere Anzahl deutscher Einwanderer. Seit 1748 gab es eine deutsch-lutherische Kirche und bald darauf auch die German Reformed Church of New York. Im Alltag dieser Zeit fielen die Deutschen als Gruppe allerdings kaum auf. Sie waren zum großen Teil in die Gesellschaft integriert, denn die frühen Immigranten waren zumeist Kaufleute, die zur Oberschicht oder zum gehobenen Mittelstand gehörten. Erst viel später, mit dem starken Zustrom an deutschen Einwanderern in der Mitte des 19. Jahrr hunderts entstand an der New Yorker Lower East Side, dort wo heute China Town und Little Italy liegen, ein deutsch-amerikanischer Stadtteil: Little Germany. Bereits während des Unabhängigkeitskrieges war unter den Gründerr vätern eine Diskussion darüber entfacht, wie sich der amerikanische Staat wirtschaftlich orientieren sollte. 90 Prozent der Bevölkerung lebten zu diesem Zeitpunkt noch von der Landwirtschaft. Alexander Hamilton aber, der erste Finanzminister der USA und ein treuer Gefolgsmann des ersten Präsidenten George Washington, hatte weitsichtigere Pläne. Für ihn lag die Zukunft der USA nicht in der Landwirtschaft, sondern vielmehr in den Geschäften der Banken. Steuern betrachtete Hamilton nicht als einen Gewinn des Staates, er wollte sie sofort re-investieren, um den Staat voranzubringen. In seiner Vision der wirtschaftlichen Zukunft der
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jungen amerikanischen Republik unterschied sich Alexander Hamilton nur allzu deutlich von seinem politischen Gegner Thomas Jefferson, der später zum dritten Präsidenten der USA gewählt wurde. Jefferson war der Kopf der politischen Opposition und befürwortete eine agrarische Ausrichtung der Vereinigten Staaten, die sich einmal über den ganzen Kontinent erstrecken sollten. Seine Vorstellung des amerikanischen Bürr gers war die des common man, eines gewöhnlichen Farmers, der mit seiner Hände Arbeit sein Land bewirtschaftete und die Gemeinschaft voranbrachte. Zwischen beiden Politikern und ihren Anhängern kam es zu einer Debatte um den zukünftigen Sitz der Regierung. Im Compromise of 1790 einigten sich Hamilton und Jefferson – und somit beide politischen Lager – auf eine neue Hauptstadt. In der bisherigen Hauptstadt New York sollten Kultur und Handel bleiben, ansonsten wurde die Stadt, wie spätere Historiker urteilten, „förmlich von der Last der Politik befreit“. Auf Drängen der Südstaaten und deren Angst vor einem Verlust ihrer landwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftsform schlug Thomas Jefferson vor, die neue Hauptstadt weiter südlich am Potomac River zu gründen. Sie erhielt den Namen des ersten Präsidenten Washington und befand sich geographisch zwischen beiden Lagern. In der Zeit, bis die Regierungsgebäude in Washington fertig gestellt sein würden, sollte Philadelphia als Hauptstadt fungieren. Damit änderte sich das Gesicht New Yorks gewaltig. Die Stadt war fortan nicht mehr eine Hauptstadt nach europäischem Vorbild, also Sitz der Regierung und wirtschaftliches Zentrum in einem. Der wirtschaftliche Aspekt der Stadt trat immer weiter in den Vordergrund. Dies beschleunigte ihre Entwicklung zu einer globalen Wirtschaftsmetropole und zum Knotenpunkt zwischen der Alten und der Neuen Welt. Selbst für Astor, der gerade aus London, dem wirtschaftlichen Zentrum eines riesigen Imperiums, kam, war das geschäftliche Treiben sowie die Aufbruchstimmung in New York überwältigend. New York blieb bis heute, ganz dem Wunsche Alexander Hamiltons entsprechend, das Zentrum der ame-
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rikanischen Wirtschaft und auch die kulturelle und intellektuelle Hauptstadt der USA.
Ankunft in New York John Jacob Astor war nicht, wie die meisten deutschen Immigranten seiner Zeit, weiter nach Pennsylvania gezogen, wo er sich in einer deutschen Gemeinde hätte niederlassen können, ohne sich mit der amerikanischen Gesellschaft seiner neuen Heimat auseinandersetzen zu müssen. Astors Ziel war New York und nicht ein mögliches „New Walldorf“. Er wollte in das pulsierende Leben dieser amerikanischen Stadt eintauchen, die er aus Heinrichs Briefen kannte. Unter der zahlungskräftigen Oberschicht vermutete er genügend Kundschaft und Kaufkraft für seine Instrumente, denn diese Schicht hatte das Geld und die Zeit, sich mit Musik zu beschäftigen. Darüber hinaus erhoffte er sich von seinem Bruder eine ähnliche Unterstützung, wie er sie von George in London erfahren hatte. Im Frühling des Jahres 1784 erreichte Astor New York und freute sich, nach neun Jahren endlich den Bruder wieder zu sehen. Henry, wie sich Astors Bruder Heinrich in der neuen Welt nannte, hatte seit seinem Aufbruch aus Walldorf ein aufregendes Leben geführt. Er hatte sich freiwillig als Söldner gemeldet und war für die Briten in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gezogen. Aufgrund ihrer Herkunft wurden diese Soldaten Hessians, hessische Soldaten, genannt, auch wenn sie nicht alle aus Hessen stammten. In Nordamerika angekommen, folgte Henry zunächst seinem Auftrag und kämpfte für die englische Krone. Nach kurzer Zeit als Soldat verließ er die Truppen jedoch und ließ sich in New York als Metzger nieder. Nach dem Frieden von Paris im Jahr 1783 wurde er, wie alle Bewohner der ehemaligen Kolonien, amerikanischer Staatsbürger. Bereits einige Wochen zuvor, am 14. März 1784, hatte Henry mit der Deutsch-Amerikanerin Dorothy Pessenger den Bund fürs Leben geschlossen. Dorothy war die Stieftochter des deutschstämmigen Metzgers John Pessenger.
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Den Gewohnheiten dieser Zeit entsprechend, verkaufte Henry seine Ware täglich an einem Marktstand am Bull’s Head. Jeden Morgen baute er seinen kleinen Stand auf und verkaufte das frisch geschlachtete Fleisch. Mit der Hilfe seiner Gattin schaffte er es schließlich, einen Stand am größeren Fly Markett am East River in Lower Manhattan zu ergattern, wo er mehr Profit erwirtschaften konnte. Im Laufe der Zeit hatte Henry Astor mit seiner Arbeit Erfolg. Die bescheidene Schubkarre, mit der er in der Anfangszeit das Fleisch zu seinem Stand brachte, ersetzte er durch ein Pferd und einen Wagen und konnte somit einen größeren Stand unterhalten. Er und seine Frau ergänzten sich in Fleiß und Sparsamkeit. Doch finanziell ging es Henry in der Zeit, als John Jacob in New York ankam, bei weitem nicht so gut wie George in London. Er lebte zusammen mit seiner Frau in einem kleinen Haus an der Ecke First/Fischer Street an der Lower East Side zur Miete. Erst später erarbeiteten sich Henry und Dorothy das Geld für ein eigenes Haus an der Bowery Lane im späteren Little Germany und heutigen China Town. Wegen des Platzmangels brachte Henry seinen jüngeren Bruder bei einem Freund, dem deutschstämmigen Bäcker George Dieterich, unter. John Jacob konnte nicht nur bei Dieterich wohnen, er half ihm auch als Laufbursche für die Bäckerei. Durch diese Tätigkeit lernte John Jacob in kurzer Zeit die neue Stadt kennen. Täglich lief er durch ihre Straßen und lieferte Brot und Kuchen aus. Mit der Hilfe Henrys und Dieterichs wurde John Jacob schnell in den Kreis der Deutsch-Amerikaner in New York eingeführt. Die Fremde schien ihm nicht allzu fremd, da sich neben seinem Bruder und dessen Frau auch Dieterich darum bemühte, ihm einen guten Start in New York zu ermöglichen. Außerdem brachte Astor einen großen Vorteil mit, der ihn von den meisten anderen deutschen Einwanderern unterschied: Er sprach bereits Englisch und konnte sich so mit fast jedem – nicht nur mit den Deutsch-Amerikanern – verständigen. Henry führte seinen Bruder auch in die Kirchengemeinde der German Reformed Church of New York ein, in der sich John Jacob in den nächsten Jahren stark engagierte. Er war nicht nur ein regelmäßiger Besucher der
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Kirche, von 1791 bis 1797 übernahm er auch das Amt des Schatzmeisters und verwaltete die Finanzen der Gemeinde, in deren Dienst er seine kauff männischen Talente ehrenamtlich stellte. Mit der Gründung der German Society of the City of New York im Jahr 1784 entstand ein weiterer Bezugspunkt für die Deutschen in New York. Die nach dem Vorbild der German Society of Philadelphia gegründete Gesellschaft machte es sich zum Ziel, deutschen Einwanderern eine Starthilfe in New York zu geben und durch eigene Schriften bereits in der deutschen Heimat über das Wesen und die Gefahren der Auswanderung auff zuklären. Henry Astor trat dieser Gesellschaft 1785 bei. Dem Beispiel des älteren Bruders folgend, wurde auch John Jacob zwei Jahre später ein Mitglied der German Society. Allerdings blieb John Jacob den meisten Jahrestreffen bis in die 1830er Jahre hinein fern. Das deutsch-amerikanische Leben interessierte ihn bei weitem nicht so sehr wie das der etablierten amerikanischen Oberschicht. Astor bemühte sich, in New York geschäftlich Fuß zu fassen. Hier gab es jede Menge Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten für ihn. Anders als in der alten Heimat spielten in New York weder seine Religionszugehörigkeit noch sein sozialer Status eine Rolle. Auch Astors deutsche Wurzeln waren in dieser Zeit kein gesellschaftliches Hindernis. Die Botschaft der Unabhängigkeitserklärung und die darin proklamierten unveräußerr lichen Rechte auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück beherrschten die Vorstellung einer funktionierenden Gesellschaft. Es lag nun in seinen eigenen Händen, den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg aus eigener Kraft zu schaffen. Astor spürte, dass er in dieser Stadt eine Chance hatte. So verließ er die Dienste von George Dieterich nach wenigen Monaten. Sein Ehrgeiz ließ ihm keine Ruhe. Oft dachte er dabei an seinen alten Lehrer Jeune zurück, der stolz auf ihn gewesen wäre. Der Verdienst als Bäckerjunge hatte ihm einen guten Start ermöglicht, doch nun wollte er den Instrumentenhandel mit George ausbauen und sich zudem mit dem Markt für Pelze beschäftigen, von dem Emerick ihm auf dem Schiff erzählt hatte. Vorsichtig
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beobachtete er die wenigen, kleinen Pelzhändler in New York. Wer waren die Kunden? Woher kamen die Pelze und wie groß war das Angebot? Wie konnte man am besten Gewinn erzielen? Um all das zu erfahren, begab er sich in die Dienste des erfolgreichen Pelzhändlers Robert Bowne. Der Kaufmann nahm Astor gerne an, er schätzte den Ehrgeiz und Fleiß des jungen Deutschen. Bereitwillig gab er ihm seine Erfahrungen aus dem Pelzgeschäft weiter. John Jacob machte in Bownes Laden die Pelze verr kaufsfertig und übernahm zugleich einige kaufmännische Aufgaben. Zudem lernte er von ihm, wie Pelze zu verarbeiten waren, wo sie günstig zu erwerben waren und wer in New York an ihnen interessiert war. In der Zwischenzeit hatte George die erste Lieferung Instrumente aus London geschickt, die Astor nun in seinem neuen kleinen Zimmer, das er von der reichen Witwe Sarah Todd gemietet hatte, aufbewahrte. Um seine Käufer zu erreichen, inserierte er ab dem 20. September 1784 regelmäßig in der wichtigen New Yorker Zeitung New York Packett folgende Zeilen: „Deutsche Flöten von allerbester Qualität – zu Erwerben im Verlagshaus.“ Diese Werbung wiederholte er in unregelmäßigen Abständen bis zum 10. März 1785. Da er nur ein kleines Zimmer und noch keine eigenen Geschäftsräume besaß, verkaufte er seine Produkte gegen eine kleine Provision im Verlagsgebäude der Zeitung. Die Flöten verkauften sich so gut, dass George und John Jacob es riskierten, weitere und größere Instrumente von London nach New York zu verschiffen. Kurz nach Neujahr kam die nächste Lieferung. Astor hatte nun etwas mehr Geld zur Verfügung und konnte sich ab dem 27. Januar ein längeres Inserat leisten. Zudem wurden die Instrumente, die er importierte, immer größer. Er hatte eine Orgel von London über den Atlantik gebracht: „Gerade importiert und zum Verkauf bereit: Eine Zimmerorgel mit Orgelregister, deutsche Flöten mit Silber verziert.“ Der Import von Instrumenten aus Europa war von Beginn an sehr lukrativ, und Astor konnte die Geschäfte neben der Anstellung bei Bowne abwickeln. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft hatte es der ehrgeizige junge Mann geschafft, sich – noch in bescheidenem Maße – im Transatlantikhandel zu etablieren.
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Auch in seinem Privatleben sollte sich bald etwas bewegen: Seit kurzer Zeit war John Jacob die Tochter seiner Vermieterin aufgefallen, die wie ihre Mutter Sarah hieß. Ihr Vater Adam Todd war bereits 15 Jahre zuvor gestorben, und ihre Mutter freute sich über das Interesse des geschäftstüchtigen jungen Deutschen an ihrer Tochter. Sarahs Familie war schottischer Abstammung und lebte schon lange in Nordamerika. Sie war fest in New York verankert und unterhielt vorzügliche Kontakte zu Kaufleuten und Reedern. Der umtriebige junge Deutsche gefiel Sarah, auch wenn er keinesfalls ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprach. Dennoch verr liebten die beiden sich ineinander und beschlossen nach einigen Monaten zu heiraten. Auf die Frage einer Enkelin, warum John Jacob Sarah geheiratet habe, soll der alternde Astor mit einem Seufzer der Erinnerung an seine verstorbene Frau geantwortet haben: „Weil Sie so schön war, meine liebe Enkelin.“ Nachdem Astor um die Hand Sarahs angehalten hatte, fand die feierr liche Hochzeitszeremonie am 19. September 1785 in der deutsch-reforr mierten Kirche New Yorks statt. Mit dieser Ehe zeigte sich einmal mehr Astors Ausnahmerolle als Einwanderer. Üblicherweise heiratete die erste Generation der Einwanderer innerhalb ihrer Gruppe, wie beispielsweise sein Bruder Henry. John Jacob demonstrierte mit der Wahl seiner Gattin sein hohes Bestreben, ein Teil der Neuen Welt zu werden. Fortan wurde in seinem Haus englisch gesprochen. Bereits in der Chronik der Gemeinde Walldorf von 1888 erkannte Pfarrer Ludwig Stocker dieses ungewöhnliche Verhalten. Für den Walldorfer Chronisten war Astor von diesem Zeitpunkt an kein deutscher Einwanderer mehr, sondern ein wirklicher Amerikaner: „Mit einer Amerikanerin verheirathet und selbst so Amerikaner geworden.“ Die Ehe mit Sarah hatte für John Jacob noch weitere, rein materielle Vorteile. Sarah brachte neben einer Mitgift vor allem ein eigenes Haus in der Queen Street 81 mit Geschäftsräumen im Erdgeschoss mit in die Ehe und bescherte so ihrem ehrgeizigen Mann wirtschaftliche Unabhängigkeit. Bald nach der Hochzeit verließ Astor daher die Dienste Bownes und
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richtete zusammen mit seiner Frau einen gemeinsamen Laden ein. Die fromme und geschäftstüchtige Sarah war für John Jacob nicht nur eine liebevolle Ehefrau, sondern zudem eine wichtige Geschäftspartnerin, die sich während der Abwesenheit ihres Gatten in den kommenden Jahren selbstständig um den gemeinsamen Laden und die Kundschaft kümmerte. Doch als viel wichtiger als das kleine Vermögen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit erwies sich Sarahs soziales Netzwerk. Ihre gesellschaftlichen Beziehungen zu den hohen Kreisen New Yorks waren für Astors Karriere von entscheidender Bedeutung. Gerade die Verbindungen über Sarahs Bruder Adam, der als Kapitän enge Geschäftsbeziehungen zu diversen anderen Kapitänen und Reedern hatte, waren für John Jacobs Importgeschäfte von großem Wert. Darüber hinaus ergaben sich für Astor über Sarahs Halbgeschwister aus der ersten Ehe ihres Vaters weitere nutzbare, geschäftliche Verbindungen zu wichtigen New Yorker Kaufleuten. Sarahs Neffe, John Whetten, war Schiffsoffizier und besaß ebenfalls gute Kontakte zum Reedereigeschäft. Im Laufe seiner Karriere arbeitete Astor häufig mit ihm zusammen und beauftragte ihn wiederholt mit dem Kommando über eines seiner Schiffe. Dieses gesellschaftliche und vor allem wirtschaftliche Netzwerk war der Grundstock für Astors späteres Handelsimperium. Von nun an handelte der frischgebackene Ehemann ausschließlich als selbstständiger Kaufmann. Wenn gerade keine Instrumentenlieferung aus London kam, verkaufte er Spielsachen und andere kleinere Waren deutscher Herkunft. Wie er es vorausgesehen hatte, war die New Yorker Oberschicht nach dem langen Unabhängigkeitskrieg stark an hochwertigen Luxusgütern aus Europa interessiert. Astor spürte das und weitete den Import von Instrumenten aus, wie seine Inserate im New York Packett ab dem 22. Mai 1786 zeigen: „Gerade aus London eingetroffen: Ein elegantes Sortiment an Musikinstrumenten. Pianofortes, Spinette, die besten Violinen, deutsche Flöten, Klarinetten… und weitere Saiteninstrumente, Musikbücher und Notenblätter.““ Diese Anzeige wiederholte er mit
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Unterbrechungen in den nächsten zwei Monaten. Auch im nächsten Jahr erschienen Anzeigen gleicher Art im New York Packet. Dem jungen Deutschen war es mit seinem Sortiment gelungen, eine zahlungskräftige Bevölkerungsschicht anzusprechen, deren Bedürfnisse zu wecken und diese zu bedienen. Immerhin besaßen die US-Präsidenten Thomas Jefferson, James Monroe und James K. Polk alle ein Astor-Klavier. Zudem eröffnete er sich auf diese Weise weiteren Zugang zu den Kreisen der höheren New Yorker Gesellschaft, der er selbst gerne angehören wollte. Doch Astor gab sich mit dem gut laufenden Instrumentenhandel nicht zufrieden. Er ahnte, dass unter seiner Kundschaft auch eine Nachfrage nach Pelzen bestand. Dieses Luxusgut war überaus begehrt, und die New Yorker zahlten immense Summen dafür. Nun wollte Astor seine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Bowne nutzen und Pelze in die Verr einigten Staaten importieren. Zu jener Zeit war dieser Markt allerdings noch fest in den Händen der britischen Handelsgesellschaften in Kanada. Sie beherrschten den gesamten nordamerikanischen Markt. Aufgrund dieser starken Konkurrenz aus dem Norden sowie ihrer effektiven Organisation hatten bislang nur wenige amerikanische Händler versucht, im großen Stil im Pelzgeschäft Fuß zu fassen. Kaum ein amerikanischer Kaufmann begab sich ins kanadische Montreal, wo sich der größte Umschlagplatz für Pelze in der damaligen Zeit befand. Die dort gekauften Waren mussten von den amerikanischen Händlern aufgrund des britischen Zollgesetzes zunächst nach London verschifft werden, um dort verzollt zu werden. Dann durften sie wieder in die USA eingeführt werr den. Doch Astor hatte mittlerweile genügend Erfahrung im Import von Gütern aus London gesammelt, um sich auf dieses lukrative wie riskante Geschäft einzulassen. Zudem konnte er auf die Unterstützung seines Bruders George in London zählen, der die Verzollung der Pelze überwachen und sie weiter nach New York verschicken sollte. Am 29. April 1788 erschien erstmals eine Werbeanzeige im New York Packet, in der Astor nicht nur seine aus London importierten Instrumente
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anbot, sondern für den An- und Verkauf von Pelzen warb. Dem üblichen Text seiner Anzeige fügte Astor folgende Zeile hinzu: „Ich kaufe und verkaufe gegen Bargeld jede Art von Pelz.“ Das Importgeschäft der Instrumente bildete für Astor das Grundkapital und zudem die finanzielle Freiheit, sich intensiver mit dem amerikanischen Pelzhandel zu befassen. Astor witterte seine Chance, da andere Kaufleute zunächst vor dem Pelzhandel zurückschreckten. Sukzessive besetzte er die Nische. John Jacob Astors Urenkel, der Viscount William Waldorf Astor, formulierte die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immens gewachsene Bedeutung des Pelzhandels rückblickend folgendermaßen: „Die lukrativen Gewinne des Pelzhandels sind mit dem späteren Goldrausch in Kalifornien vergleichbar. Beide waren das ‚El Dorado‘ ihrer Zeit. Beide gaben Tausenden direkt oder indirekt Arbeit. Und in beiden Feldern herrschte ein intensiver Wettbewerb.“
Auf Indianerpfaden in die Wildnis Noch siedelten die Amerikaner nur in den östlichen Gebieten des Kontinents bis zum Kamm der Appalachen. Was für die Indianer ihr angestammter Lebensraum war, stellte für die Amerikaner eine zwar atemberaubend schöne, doch auch gefährliche Wildnis dar. Daher hatten sich bislang nur wenige Amerikaner im Hinterland an der Siedlungsgrenze, der sogenannten frontier, niedergelassen. Es war mühevoll, in diese Gebiete zu reisen, da es noch keine ausgebauten Verkehrswege gab. Die Trapper und Fallensteller drangen mit Kanus entlang der Flüsse vor oder wanderten zu Fuß oder mit einem Pferd auf alten Indianerpfaden. Im Frühsommer 1788 machte sich auch Astor in das nahezu unbewohnte Hinterland des Staates New York auf. Doch was veranlasste ihn, sich auf dieses gefährliche Abenteuer an der amerikanischen Siedlungsgrenze einzulassen?
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Der kalte Winter 1787/88 brachte eine erhöhte Nachfrage nach Pelzen in New York mit sich. Astor hätte Pelze verkaufen können, wenn er welche auf Lager gehabt hätte. Also entschloss er sich, eigenhändig Pelztiere zu jagen. In New York kaufte er sich eine Ausrüstung als Fallensteller und machte sich auf den Weg in die unbekannte Wildnis. Zu Fuß zog er durch weite Teile des Staates New York bis hin zur kanadischen Grenze und den Großen Seen, und legte sich auf die Lauer nach Bibern und Waschbären, deren Felle er später zu Pelzmänteln, Mützen, Muffs und Handschuhen verarbeiten wollte. Zunächst folgte er auf seiner Reise alten, indianischen Pfaden, später erwarb er ein Kanu und dann ein Pferd, um schneller vorr anzukommen. Auf seinen Reisen schlief er unter freiem Himmel und err nährte sich von Fischen oder selbst erlegten Tieren. Tagelang lag er im Dickicht auf der Lauer und wartete, bis sich die Tiere in seinen Fallen verr fingen. Nach mehreren Wochen in den Wäldern kehrte er von seiner ersten Wanderung mit einer stattlichen Anzahl an Fellen zurück. Sarah Astor war erleichtert, als sie ihren Mann unversehrt wieder sah. Zusammen verr arbeiteten sie nun die Felle zu den begehrten Pelzen und verkauften sie in ihrem Laden. Astor hatte Recht behalten, er konnte mit den selbst erlegten Pelzen seinen Umsatz deutlich vergrößern. Der Erfolg beflügelte ihn, und er schmiedete einen neuen Plan. Was wäre, wenn er nicht nur Fallen stellen würde, sondern Felle direkt mit den Indianern tauschen würde? Könnte er selbstständig Kontakte mit den Indianern aufnehmen? Vor seiner nächsten Reise packte er bunte Perlen, verschiedene Kleidungsstücke und Holzspielzeuge ein, die er gegen die begehrten Pelze einzutauschen gedachte. Da er sich nur mit Händen und Füßen verständigen konnte, nahm er eine kleine Flöte mit, um mit Hilfe der Musik das Vertrauen der Indianer zu gewinnen. Tatsächlich gelang es Astor, erste Kontakte mit den Indianern herzustellen und eine größere Anzahl Pelze zu ertauschen. Auf diesen Wanderungen konnte der junge Kaufmann wertvolle Erfahrungen über den Handel und den Erwerb von Pelzen sammeln. Zudem lernte er viel über
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die Verhältnisse vor Ort, die Verkehrswege, die an den Tauschgeschäften beteiligten Personen. Er wusste nun, wie man sich den Indianern friedlich zeigte und wie man mit ihnen verhandeln konnte. Mit viel Gespür war es ihm gelungen, mit ihnen zu kommunizieren und eine persönliche Verbindung aufzubauen. Dieses Wissen unterschied ihn später deutlich von allen anderen amerikanischen Pelzhändlern. Die unberührte Wildnis, die John Jacob Astor in den späten 1780 er Jahren durchstreifte, blieb allerr dings nur noch für wenige Jahre ein ‚unzivilisiertes‘ Gebiet. Weitere Kauff leute folgten den Pfaden Astors, und bald wurden sie zu offiziellen Handelswegen und später zu Eisenbahnlinien ausgebaut. Dazu gehörten Routen nach Long Island, Wege durch das Tal des Hudson River zum Lake Champlain, zu den Niagara-Fällen und nach Montreal, eine Strecke von Albany nach Buffalo sowie verschiedene Handelswege in New Jersey und Pennsylvania. Die Größe und Bedeutung zukünftiger Städte wie Buffalo und Rochester sind somit auch auf die von Astor erschlossenen Handelsrouten zurückzuführen. Die Zeiten der einsamen Wanderungen durch die Wildnis, in denen John Jacob Astor die Grundlagen für seinen Reichtum durch den Pelzhandel legte, boten der Nachwelt reichlich Anknüpfungspunkte für Anekk doten und Legenden. In den 1860 er Jahren kursierte eine Geschichte in der Öffentlichkeit, die der Publizist James Parton festhielt und 1864 im Harper’s Monthly Magazine veröffentlichte: James Wadsworth, der Vater des Bürgerkriegsgenerals James S. Wadsworth, habe eines Tages John Jacob Astor in der Wildnis getroffen, als sich dieser in einer äußersten Notlage in den Wäldern im Westen des Staates New York befand. Der junge Pelzhändler war nach erfolgreichen Tauschgeschäften mit einer Karre voll Gold in einen Sumpf geraten. Verzweifelt habe er versucht, seine Karre herauszuziehen. Beinahe wäre er dabei ums Leben gekommen. Nur indem er schließlich von seinem Wagen und dem Gold abgelassen habe, konnte er sich retten. Diese absurde Geschichte zeigt die Legendenbildung um John Jacob Astor, wie seine Vorreiterrolle mit traditionellen Motiven über die Verführungskünste des Reichtums verbunden wurde und
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seine Figur zur Verbreitung moralischer Lehren im Umgang mit Reichtum diente. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erfuhren die Wanderungen Astors aber auch eine positive Würdigung, als William Waldorf Astor 1899 eine kurze Darstellung über das Leben seines Urgroßvaters schrieb. Wenige Jahre zuvor hatte Frederick Jackson Turner seinen Essay The Significance of the Frontier in American Historyy veröffentlicht, in dem er die berühmt gewordene „Frontierthese“ aufstellte, der zufolge die europäischen Einwanderer erst durch die Urbarmachung der Wildnis und der permanenten Konfrontation mit der Natur an der Siedlungsgrenze die typisch amerikanische Lebenseinstellung entwickelten, so zu Amerikanern wurden und schließlich die alte Welt hinter sich ließen. Diese These hatte nicht nur unter Historikern jener Zeit für großes Aufsehen gesorgt. In einem Auff satz, der 1899 in der Juni-Ausgabe des Pall Mall Magazine erschien, beschrieb William Waldorf Astor die Frontier-Erfahrungen und Abenteuer John Jacob Astors. Er portraitierte seinen Urgroßvater als einen europäischen Einwanderer, der durch die unberührte Wildnis an der nordamerikanischen Siedlungsgrenze wanderte, dort lebte und auf ehrliche Weise von den Häuptlingen verschiedener Stämme seine Pelze erstand: „Wo auch immer er hinkam, sprach er mit den Häuptlingen, verhandelte mit Fairr ness und Menschlichkeit. Außerdem verbot er seinen Agenten, jemals Alkohol als Tauschmittel einzusetzen.““ Weiter schilderte er, wie John Jacob in der Wildnis zu einem echten Amerikaner wurde und stellte ihn in die Tradition des amerikanischen Pioniergeistes und der Frontierthese. Ab 1789 tauschte Astor nicht mehr nur selbst von den Indianern, sondern schickte auch Agenten zu ihnen. Zusätzlich reiste er in das Zentrum des Pelzhandels nach Montreal, da seine Handelsgeschäfte mittlerweile so weit vorangeschritten waren, dass er sich zutraute, auch Pelze aus Kanada über London nach New York zu importieren. Er würde der kanadisch-britischen Konkurrenz standhalten. In Montreal machte er sich mit den Rahmenbedingungen des internationalen Pelzhandels vertraut, err fuhr, wo er günstig Pelze einkaufen konnte, und knüpfte sich allmählich
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ein Netzwerk an Agenten, die für ihn den Handel übernehmen sollten, wenn er wieder in New York war. Schließlich überwachte er den Einkauf und den Versand der Pelze nach London. Jedes Jahr zwischen Juni und August brach er nun nach Kanada auf und reiste im Oktober oder November wieder zurück nach New York City. An diesem Rhythmus hielt er bis 1808 stets fest. Während Astor unterwegs war, leitete seine Frau den Laden in New York. Für den Rest des Jahres heuerte Astor den unabhängigen Pelzhändler Alexander Henry aus Montreal an. Er war erfahren und verfügte über gute Verbindungen, so dass er Astors Geschäfte beauff sichtigen und ihm aus Montreal berichten konnte, solange sich Astor in New York aufhielt. Schließlich mietete Astor in Montreal ein Warenhaus, in dem er und Alexander Henry die Pelze lagerten. Der Import von kanadischen Pelzen schlug sich auch in den Werbeanzeigen in New York nieder. Hier bewarb Astor nun die neuen Pelze und bot seinen Kunden bei einem Großeinkauf verschiedene Rabatte an. Sukk zessive verfestigten sich die Handelskontakte, und er baute sein Geschäft zu einem Großunternehmen aus, das sich nun nicht mehr nur auf New York konzentrierte, sondern auch auf die Städte Montreal und Albany ausweitete. Die aufblühende Wirtschaftsmetropole New York bildete das Zentrum seiner Unternehmungen, und dort befand sich auch der größte Teil seiner kaufkräftigen Kunden sowie verschiedene Abnehmer aus der Textilindustrie. Daneben entwickelte sich die Stadt Albany, die Hauptstadt des Staates New York, zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt für die Pelzgebiete an den Großen Seen. Von dort aus organisierte Astors langjähriger Agent und Geschäftspartner Peter Smith den Pelzhandel mit den Indianern und Trappern. Im Laufe der Zeit expandierten Smiths Unternehmungen entlang des Mohawk River bis hin zum Lake Ontario. Um die Kontrolle über diese Region zu behaupten, besuchte Astor alljährlich auf seinem Weg nach Montreal seinen Geschäftspartner Smith und besprach mit ihm die nächsten Schritte. Bis 1796 blieb der Export aus dem kanadischen Montreal allerdings eine aufwendige Angelegenheit. Da Kanada zur britischen Krone gehörte,
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musste sich Astor bis zum Abschluss des Jay Treatyy mit den ungeregelten Altlasten des Unabhängigkeitskrieges abfinden. Mit diesem Vertragsabschluss änderten sich jedoch die aufwändigen Unternehmungen. Nun konnte Astor seine Waren direkt von Montreal nach New York transportieren, ohne den Umweg über London. Darüber hinaus fielen durch diesen Vertrag die Städte Mackinac und Detroit an der kanadisch-amerikanischen Grenze an die USA und eröffneten ihm einen neuen Zugang zu den Ressourcen im Gebiet um die Großen Seen im Mittleren Westen der USA, das bis zu diesem Zeitpunkt unter britischem Einfluss gestanden hatte. Nachdem er erfahren hatte, dass der Jay Treaty in Kraft getreten war, soll er jubelnd gesagt haben: „Jetzt werde ich ein Vermögen mit dem Pelzhandel machen.““ Allerdings brachte die Vereinfachung des Imports auch neue Konkurrenz mit sich. Verschiedene amerikanische Händler versuchten nun ihrerseits, im Pelzgeschäft Fuß zu fassen. Doch durch seine Erfahrung war ihnen Astor deutlich voraus.
Familie und gesellschaftliches Netzwerk Die Jahre 1788 und 1789 stellten eine bedeutende und richtungsweisende Zäsur in Astors Leben dar. Wegen des Handels mit Luxusgütern hatte er sich von Beginn an nicht an die eigene ethnische Gruppe der DeutschAmerikaner gebunden, sondern hatte sich an die amerikanische Oberschicht New Yorks gewandt, zu der er durch seine Heirat die Tür weit aufgestoßen hatte. 1788 wurde Sarah schwanger und gebar eine Tochter, die das Paar nach John Jacobs Mutter Magdalen nannte. Insgesamt sollten John Jacob und Sarah acht Kinder bekommen. Drei von ihnen überlebten das Kindesalter nicht: Sarah, geboren 1790, und Henry, geboren 1797. Auch der letzte Sohn, der am 13. November 1802 das Licht der Welt erblickte, verstarb vermutlich noch vor seiner Taufe. Sein Name ist nicht überliefert. Von den fünf überlebenden Kindern kam nach Magdalen als erster Sohn John Jacob II. im Jahr 1791 zur Welt. In der Tradition der Na-
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mensgebung der Familie Astor hätte dieser Sprössling eigentlich der Dritte sein müssen, da bereits Astors Vater den gleichen Vornamen trug. John Jacob hatte aber den Bruch mit der alten Heimat schon in der Anglisierung seines Namens deutlich gemacht. Und so sah er sich selbst als Stammvater und Oberhaupt seiner Familie. Mit der Namensgebung bekräftigte er die Gründung einer eigenen amerikanischen Dynastie der Astors. Allerdings erfüllte John Jacob II. nicht die Erwartungen des Vaters an einen männlichen Erben. Das Kind war von Geburt an geistig behindert und benötigte sein Leben lang die Betreuung und Hilfe seiner Familie sowie spezieller Ärzte. Ihm folgte nur ein Jahr später William Backhouse Astor, der nach einem befreundeten Geschäftspartner Astors benannt wurde und endlich die Hoffnung erfüllen sollte. Den beiden Söhnen folgten noch zwei weitere Töchter. 1795 erblickte Dorothea, benannt nach der Frau von Astors Bruder Henry, das Licht der Welt. Sechs Jahre später, im Jahr 1801, wurde schließlich Eliza Astor als jüngstes Kind des Paares geboren. Das Nesthäkchen war Astors Lieblingskind, sie sollte ihn später auf seinen Europareisen begleiten. Wie ihre Geschwister verbrachte Eliza ihre Kindheit und Jugend im elterlichen Haus. In diesem finanziell wohl behüteten Nest genoss sie eine für die damalige Zeit vorzügliche Err ziehung durch mehrere Hauslehrer. Zusätzlich schickte John Jacob seine jüngste Tochter auf eine weiterführende Schule in Philadelphia und später auf die damals bedeutendste Schule für junge Frauen in Middletown, Connecticut. Die Astors waren in den letzten Jahren sehr schnell reich geworden. Ihr genügsamer Lebensstil hatte dazu geführt, dass sich ihr Vermögen immer weiter vergrößert hatte. Doch es kam John Jacob Astor auch jetzt nicht in den Sinn, verschwenderisch zu leben. Er suchte vielmehr nach einem Weg, sein Vermögen sicher zu verwahren. In einem Gespräch machte ihn sein Bruder Henry auf die verhältnismäßig günstigen Immobilienpreise in New York aufmerksam. Die Mieteinnahmen eines Wohnhauses waren eine willkommene Einkunft, hinzu kam, dass beide Astorr brüder davon ausgingen, dass die Grundstückspreise in New York zwin-
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gend steigen mussten, denn es kamen immer mehr Zuwanderer aus der Umgebung und jährlich eine größere Zahl Einwanderer aus Europa. Seit Henry in New York lebte, hatte sich die Stadt ständig vergrößert – und ein Ende war nicht abzusehen. Auf Anraten seines Bruders begann John Jacob Astor noch 1789, Grundstücke auf Manhattan zu erwerben, und err öffnete somit neben dem Pelz- und dem Instrumentenhandel mit dem Immobiliengeschäft seinen dritten, gewinnbringenden Geschäftszweig. Allerdings betätigte er sich zunächst nur äußerst vorsichtig auf dem Grundstücksmarkt. Er kaufte am 18. Mai 1789 von seinem Bruder Henry ein Grundstück an der Ecke Bowery Lane/Elizabeth Street. Im August des gleichen Jahres erwarb er zusätzlich von dem Gastwirt James Bolmer die Nachbargrundstücke zu seinem ersten Kauf. Ein Jahr später erwarb er weitere Grundstücke. Die Möglichkeit „Grund und Boden“ zu besitzen faszinierte Astor sehr. Er erinnerte sich noch an das feudale System seiner deutschen Heimat, wo ihm der Grunderwerb verboten war. Es waren noch nicht einmal zehn Jahre seit seiner Auswanderung vergangen, und er hätte es sich damals nicht träumen lassen, dass er einmal selbst Grundstücke in der Neuen Welt besitzen würde. Mit der intensiven Ausweitung seiner Geschäfte war schließlich der Laden im Haus seiner Frau in der Queen Street allmählich zu klein geworden. Astor verfügte nun über genügend Kapital, um sich neue, größere Geschäftsräume in der Little Dock Street 40, heute Water Street, anmieten zu können. Ebenfalls in das Jahr 1789 fiel die Einbürgerung Astors. Die gesetzlichen Regelungen sahen zu dieser Zeit vor, dass alle weißen, männlichen Immigranten fünf Jahre nach ihrer Ankunft in den USA die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangen konnten. Hierzu mussten sie eine entsprechende Absichtserklärung abgeben, zwei Jahre später ihre frühere Staatsbürgerschaft aufgeben, und der amerikanischen Verfassung die Treue geloben. Auf diesen Moment hatte John Jacob lange gewartet. Er hatte ordnungsgemäß den Antrag auf Einbürgerung gestellt, und nun, am 28. Februar 1789, wurde er – fast genau fünf Jahre nach seiner Einwanderung – zu einem Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Den
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inoffiziellen ‚Ritterschlag‘ erhielt Astor aber von behördlicher Stelle. Als Kaufmann hatte er sich ja bereits in den letzten Jahren weit emporgearr beitet und einen Namen gemacht. Er wurde fortan als Kaufmann in das New York Directory and Register aufgenommen, in dem alle wichtigen Perr sönlichkeiten der Stadt aus den Bereichen Handel und Politik verzeichnet waren. Während der 1790er Jahre versuchte Astor, sein Warensortiment zu erweitern, um unabhängig von der jeweiligen Konjunktur des Importgeschäfts zu bleiben. Als es auf dem Atlantik wiederholt zu Unruhen zwischen britischen, französischen und amerikanischen Schiffen kam, sah Astor die Möglichkeit, auch im Waffenhandel Geld zu verdienen. Neben seinen beiden Hauptwaren bot er einer Werbeanzeige der New York Gazette and General Advertiserr vom 4. August 1797 zufolge 14 000 Pfund englisches Kanonenpulver erster Qualität und die entsprechenden Kanonen zur Aufrüstung amerikanischer Schiffe zum Verkauf an. Doch der Waffenhandel erwies sich als nicht sonderlich lukrativ. Bereits ab 1800 reduzierte Astor den Handel mit Kanonen und Munition wieder. Doch die anderen Geschäftszweige blühten weiter auf, und Astor musste erneut seine Geschäftsräume verlegen. Mitte der 1790 er Jahre kam für einen so angesehenen Kaufmann wie ihn nur noch ein Standort in Frage: der Broadway im Herzen New Yorks. Astor überlegte nicht lange und nutzte die Gelegenheit, in das kommerzielle Zentrum der Stadt zu ziehen. 1794 kaufte er am Broadway 149 in attraktiver und prestigeträchtiger Lage im betriebsamen Herzen der Stadt zusammen mit seiner Frau ein neues Haus für seine Familie und für seine Geschäfte. Wie viele einflussreiche und mächtige Personen der frühen Republik interessierte sich auch Astor für die Freimaurerei. Am 24. Juni 1717 hatten sich vier seit Jahren bestehende Logen in London zu einer Großloge zusammengeschlossen und begründeten damit die moderne Freimauerei. In den Folgejahren hatte sie sich in ganz Europa ausgebreitet. Die Besonderheit einer Loge bestand darin, dass sich in ihr Mitglieder der verr schiedenen Gesellschaftsschichten trafen und austauschen konnten.
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Ebenso waren in den 1730 er Jahren in den britischen Kolonien Nordamerikas erste Freimaurerlogen entstanden. Viele einflussreiche Politiker in Astors Zeit waren Mitglieder in den nordamerikanischen Logen: Henry Clay, DeWitt Clinton, Benjamin Franklin sowie die Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, James Monroe, James Madison und Andrew Jackson. Der Großteil der freimaurischen Werte entstammte den Idealen der Aufklärung, die von den Logenmitgliedern – Menschen aller Klassen und Stände – im Alltag gelebt werden sollten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität. In der alten Welt, vor allem in den katholischen Gebieten, wurde die Freimaurerei als antiklerikal verstanden und verurteilt. Papst Clemens XII. erließ am 28. April 1738 die Bulle In eminenti. Mit ihr verbot der Papst jegliche Geheimbünde mit der Begründung, sie würden „Böses tun“, “ denn sonst „würden sie das Licht der Welt nicht scheuen“. Auch in den Vereinigten Staaten wurde die Freimaurerei öffentlich nicht toleriert und von Teilen der Bevölkerung als revolutionär oder gar religionsfeindlich angesehen. Nachdem Astor 1789 zunächst einige Veranstaltungen der Freimaurer besucht hatte, wuchs sein Interesse an der Freimaurerei. Er entschloss sich, den Freimaurern beizutreten, da er von den Amerikanern ernst genommen werden wollte und über ihr Netzwerk an bedeutende Personen herantreten konnte. Dabei spielte es keine Rolle, ob er ein Einwanderer oder deutschstämmig war. Nur wenige Monate später, im Frühjahr 1790, wurde er in eine Freimaurerloge, die Holland Lodge No. 8, die zur Grand Lodge of the State of New York gehörte, aufgenommen. Astor fühlte sich in diesem geheimen Netzwerk schnell sehr wohl und besuchte regelmäßig die Treffen. Ihm gefiel das freimaurerische Credo: Wie ein Metz einen Stein bearbeitet und daraus schließlich eine Skulptur formt, so sollte auch jeder Freimaurer sein Leben lang hart an sich arbeiten, um den Idealen der Freimaurerei näher zu kommen. Diese Haltung rief in ihm vieles wach, was er von seinem Lehrer Jeune in der reformierten Schule in Walldorf gelernt hatte. Die Freimaurerei entsprach dem aufgeklärten Geist der Neuen Welt. Mit der Mitgliedschaft bei den Freimaurern distanzierte sich Astor ein weiteres
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Stück von den anderen Deutsch-Amerikanern und wandte sich gleichzeitig einem neuen Umfeld zu, in dem sich wieder vorzugsweise Amerikaner bewegten. Nach sieben Jahren wurde Astor zum Senior Warden gewählt und ein Jahr später schließlich zum Master of the Holland Lodge. Über die New Yorker Großloge wurde Astor auch mit dem späteren Bürgermeister und Gouverneur von New York sowie Initiator des Erie-Kanals, DeWitt Clinton, und dessen Onkel George Clinton, dem Vizepräsident Thomas Jeffersons, bekannt. In diese Zeit fallen auch die Anfänge der New Yorker Börse. Seit Juli 1791 handelten verschiedene New Yorker Kaufleute drei Mal in der Woche auf einer geschlossenen Auktion im Long Room of the Merchant’s Coff fee House mit Wertpapieren. Nach mehreren Marktunsicherheiten schlossen sie sich schließlich am 17. Mai 1792 zusammen und unterzeichneten gemeinsam das Buttonwood Agreement. Dieses Abkommen regelte den Ablauf und die Bedingungen des New Yorker Wertpapierhandels. Im Frühjahr 1793 bezog man die oberen Räume des Tontine Coffee House in der Wall Street. Auch wenn John Jacob Astor nicht zu den Unterzeichnern des Buttonwood Agreement gehörte, besuchte er häufig das Tontine Coffee House und kaufte für sich und seine vier Jahre alte Tochter Magdalen verr schiedene Wertpapiere. Astor wusste nicht, was aus dieser modernen Art zu handeln werden würde und verhielt sich zunächst vorsichtig, indem er den Wertpapierhandel genau beobachtete und sich häufig im Tontine Coff fee House oder in Mrs Keese’s Boardinghouse aufhielt, das auf dem Broadway Ecke Wall Street lag. An beiden Treffpunkten kam Astor mit der New Yorker Prominenz aus Wirtschaft und Politik zusammen und erweiterte somit sein gesellschaftliches Netzwerk. Die Bekanntschaft mit DeWitt Clinton bildet den Kern einer weiteren Anekdote über Astor: Auf die Frage nach seinem größten Gewinn habe Astor einmal geantwortet, der größte Gewinn, den er nichtt erzielen konnte, sei der Kauf von Louisiana gewesen. Man erzählte sich, dass er zusammen mit DeWitt Clinton und Governeur Morris dem Präsidenten Thomas Jefferson zuvorkommen wollte, der das riesige Gebiet vom Mis-
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sissippi bis zu den Rocky Mountains für 15 Millionen Dollar von Napoleon für die Vereinigten Staaten kaufte. Die drei hätten angeblich geplant, die riesige Landmasse später gewinnbringend an den Staat weiterzuverkaufen. Diese Geschichte, die wiederum nicht der Wahrheit entspricht, war im 19. Jahrhundert sehr populär und wurde seither stets unkritisch kolportiert. Die Vermögen Astors, DeWitt Clintons und Gouverneur Morris’ reichten allerdings im Jahr 1803 noch nicht annähernd an die Summe von 15 Millionen Dollar heran. Die Geschichte birgt aber gleich mehrere interessante Aspekte, wie sich nach Astors Tod sein Andenken färbte. Zum einen spiegeln sich die Ängste der Öffentlichkeit vor einem derartigen Vermögen wider. Zum anderen diffamierten die Kolporteure dieser Geschichte Astor als unpatriotisch. Sie unterstellten ihm, entweder hinter dem Kauf die Absicht zu verbergen, eine eigene „Nation“ gründen zu wollen oder sich mit dem Weiterverkauf des Gebietes auf Kosten der Vereinigten Staaten bereichern zu wollen. Wieder malten seine Kritiker das Bild eines habgierigen, skrupellosen Mannes.
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Astors Aufstieg vollzog sich in einer Phase, in der die amerikanische Wirtschaft zwar nahezu uneingeschränkt den Ideen des Wirtschaftsliberalismus folgen konnte, die Moral der amerikanischen Öffentlichkeit aber noch die Ideen des Republikanismus aus der Revolutionszeit verinnerlicht hatte, die im Wesentlichen antikapitalistische Züge trugen. Unter ‚Republikanismus‘ verstanden die Revolutionäre der Unabhängigkeitserklärung mehr als nur den bloßen Widerstand gegen die englische Monarchie. Es war eine Utopie, die sich auf ein sittenstrenges, sich selbst regierendes Volk stützte. Das Staatswesen gründete sich vollständig auf seine tugendhaften Bürger, wobei die Regierenden sich nicht als Herrscher, sondern lediglich als Vermittler und Treuhänder dieses Volkes verstanden. Das Volk selbst sollte nicht im Überfluss leben, sondern immer in letzter Instanz der Republik dienen. Der wirtschaftliche Erfolg eines Einzelnen sollte demnach der gesamten Gemeinschaft zugute kommen und nicht innerhalb einer Familie oder an einzelne Personen weitergegeben und vererbt werden – wie es in der heutigen Zeit üblich ist. Doch im Laufe von Astors Karriere verstärkten sich die liberalen Ideen in der amerikanischen Gesellschaft. Die beginnende Demokratisierung und der Umbruch von Mentalitäten waren die Stütze dieses Prozesses. Es entstand eine Gesellschaft, die zunehmend individualistisch, egalitär und gewinnorientiert ausgerichtet war und sich immer weiter von den Vorstellungen des Republikanismus entfernte, ja ihnen konträr entgegenstand. Es bildete sich eine Kultur des Kapitalismus heraus, die von einer
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neuen, aufstrebenden Klasse getragen wurde, der auch Astor angehörte. In der neuen, heranwachsenden Generation von Amerikanern verblassten die republikanischen Ideen der Gründerväter und Revolutionäre. Sie forderte ein neues Amerika, das nicht den antiquierten Staaten der alten Welt nacheifern solle, sondern sich losgelöst von Europa zu einer florierenden Gemeinschaft entwickeln müsse, die wirtschaftlich auf dem Erwerbsdrang der Allgemeinheit beruhe. Die Ideen des Liberalismus schützten in erster Linie die individuellen Freiheiten eines Einzelnen vor dem Staat sowie vor anderen Bürgern. Für Astor war natürlich die Möglichkeit des uneingeschränkten Handels essentiell, ebenfalls eine zentrale Idee des Liberalismus. Den Kern des Liberalismus jedoch bildete das Recht auf privates Eigentum im Sinne John Lockes, da nur so die Freiheit des Einzelnen gewährleistet werden konnte. Locke begründete dies mit dem unwiderruflichen, unveräußerlichen und natürlichen Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum. Thomas Jefferson formulierte diese Rechte in der von ihm verfassten Unabhängigkeitserklärung um. Anstelle des Rechts auf Eigentum trat nun das Recht, nach dem eigenen Glück zu streben. Er fügte in der Unabhängigkeitserklärung den Elementen life und libertyy an dritter Stelle den pursuit of happiness hinzu.
Einstieg in den Chinahandel Der Pelzhandel lief gut für Astor. Doch der rastlose und ehrgeizige Kaufmann gab sich damit nicht zufrieden. Auf der Suche nach neuen Märkten fiel sein Blick auf den Pazifikraum, insbesondere auf China. China schien ihm als neuer Absatzmarkt genauso lukrativ wie der unberührte Pelzhandel 15 Jahre zuvor. Lange Jahre hatte Astor die zunächst zaghaften Geschäftsversuche anderer Kaufmänner im Chinahandel beobachtet. Nun fühlte sich der 37 Jahre alte Astor stark genug, selbst in das Geschäft einzusteigen, und baute ab 1800 einen intensiven Handel mit China auf. Als Ideengeber fungierte das Beispiel der Empress of China, des ersten ameri-
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kanischen Handelsschiffes, das im Jahr 1784 nach Asien gesegelt war. Zwei Jahre zuvor hatte der Kaiser von China einer Vereinigung von Kauff leuten in Canton die Erlaubnis gegeben, Handel zu treiben. Ein Unternehmen dieser Gestalt wäre vor dem Unabhängigkeitskrieg undenkbar gewesen, viele Märkte und Häfen der Briten waren für die Händler der amerikanischen Kolonien noch nicht geöffnet. Ähnlich wie im Pelzhandel besaß die British East India Companyy eine Monopolstellung im transpazifischen Handel. Hierzu zählten auch die britischen Besitztümer auf den Westindischen Inseln, die in der Zeit vor der amerikanischen Revolution sowohl als Absatzmarkt wie auch als Rohstofflieferanten gedient hatten. Nun waren sie weggefallen, und an ihre Stelle rückte allmählich China. Astor beobachtete diese Entwicklung und sah den Zeitpunkt gekommen, in den Chinahandel einzusteigen. Aufgrund der Informationen, die er sich von anderen Reedern und Kaufleuten einholte, beschloss Astor, Pelze und hawaiianisches Sandelholz nach China und von dort Seide, Tee und Gewürze nach New York zu liefern. Er wollte es sich zunutze machen, dass auf beiden Seiten eine große Nachfrage nach diesen Waren bestand und somit beide Schiffswege Erträge einbringen konnten. Ein weiterer Vorteil im Chinahandel bestand darin, dass er seine Handelsrouten in den pazifischen Raum legen konnte, um so den aufkommenden Auseinandersetzungen auf hoher See zwischen England und Frankreich während der napoleonischen Kriege zu entgehen. So konnte er seine Schiffe und Handelswaren vor europäischen Übergriffen schützen. Auch über den Ursprung von Astors Chinahandel kursierten nach seinem Tod Anekdoten. Offensichtlich wollte niemand glauben, dass Astors Erfolg auf Weitsichtigkeit beruhte. Der Publizist Joseph A. Scoville sprach in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Astor den Spürsinn für gute Geschäfte ab und veröffentlichte in seinem mehrbändigen Werk The old Merchants of New York Cityy eine Geschichte, die Astors Erfolge im Chinahandel erklären sollte: Astor sei um 1795 nach London gereist, um dort eigenhändig seine Pelze zu verkaufen. Nachdem er alle seine Geschäfte
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getätigt hatte, musste er ein paar Tage auf das Schiff warten, das ihn wieder nach New York zurückbringen sollte. In dieser Zeit besuchte er diverse Handelsplätze in London, um Neuigkeiten und Informationen für seine Geschäfte in Erfahrung zu bringen. Während eines Besuches des British East India House sei Astor aufgefallen, dass einer der Direktoren den gleichen Namen trug wie ein alter Schulfreund aus seiner deutschen Heimat. Neugierig habe sich Astor einen Termin bei ihm besorgt, und als sich beide nun trafen, habe sich herausgestellt, dass dieser Direktor, den Scoville als Wilhelm from Germanyy bezeichnete, wirklich Astors Schulfreund gewesen sei. Erfreut, ihn wieder zu sehen, habe er Astor im Laufe des Gespräches die Handelserlaubnis mit China, den Permit No. 68, gegeben. Der Besitzer dieses Papiers war privilegiert, mit allen Häfen der British East India Company zu handeln. Zurück in New York City habe Astor zusammen mit seinem Geschäftspartner James Livermore beschlossen, ein beladenes Schiff ins chinesische Canton zu schicken, um mit Hilfe der in London erhaltenen Erlaubnis die Ladung im dortigen Hafen zu verkaufen. Laut dieser Geschichte sollen die beiden Kaufleute aus jener ersten Chinareise einen Gewinn von je 55 000 Dollar erwirtschaftet haben. Wie die vielen anderen Anekdoten über Astor birgt auch diese Geschichte nicht einmal einen wahren Kern. Der Permit No. 68 galt ausschließlich in der Zeit vor der Amerikanischen Revolution, als der Handel mit China noch der British East India Company vorbehalten war. Als Astor seine Chinaunternehmungen aufnahm, benötigte man schon lange keine Genehmigungen dieser Art mehr. Das erste Schiff, das Handelsgüter im Auftrag Astors nach China exportierte, war die Severn, an der sich Astor eine Teilhaberschaft erkaufte. Doch Astor war nicht wohl vor diesem Unternehmen, er scheute unberechenbare Risiken. Aber die Gewinne, die er dabei erzielen konnte, waren zu lukrativ. Am liebsten wäre er selbst mit dem Schiff gesegelt, um alles kontrollieren zu können. Da dies aber aus zeitlichen Gründen nicht in Frage kam, beauftragte er einen Menschen, dem er vertraute: Captain Stewart Dean, der Mann einer Nichte von Sarah Astor, wurde mit der Lei-
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tung des Schiffes beauftragt. Nach langen Beobachtungen, Recherchen und Planungen war es am 29. April 1800 endlich soweit. Die Severn verr ließ den Hafen von New York und stach in Richtung China in See. Die Reise war lang und gefährlich. Sie führte die ganze Küste Amerikas entlang nach Süden, um das Cap Horn, über Hawaii quer durch den Pazifik. Ungeduldig blieb Astor zurück und wartete darauf, dass das Schiff mit den erwarteten Luxusgütern und einem satten Gewinn aus Canton zurückkehren würde. Die Severn verließ Canton Ende Dezember 1800 und erreichte nach einer Reise von 130 Tagen am 11. Mai 1801 wieder den Hafen von New York. Etwas mehr als ein Jahr nach dem Aufbruch des Schiffes stand Astor im Hafen von New York und wurde Zeuge seines Erfolges: Die Severn war aus China zurückgekehrt, die Pelze waren verkauft, das Schiff führte eine Ladung Gewürze, Tee und Seide und brachte auch den erwarr teten Gewinn mit sich. Sein Spürsinn hatte sich bewahrheitet! Voller Freude über die Erträge der ersten Reise der Severn verstärkte er seine Handelsgeschäfte mit China. In den nächsten Jahren wiederholte die Severn für Astor die Reise nach China, bis er schließlich am 25. Mai 1804 die restlichen Anteile an dem Schiff erwarb. Aus den Gewinnen der Reisen kaufte er am 7. Mai 1805 zusätzlich die Beaver, die speziell für den transpazifischen Handel gebaut worden war. Mit seinen beiden eigenen Schiffen intensivierte Astor den Handel mit China weiter. Doch der Embargo Actt vom 22. Dezember 1807, den Präsident Jefferson erlassen hatte, unterband Astors expandierenden Außenhandel zunächst abrupt, da er ein generelles Handelsverbot für amerikanische Schiffe mit fremden Häfen umfasste. Präsident Thomas Jefferson reagierte mit diesem Verbot auf die seit Jahren häufiger werdenden europäischen Übergriffe auf amerikanische Schiffe. Nach dem neuen Gesetz war es keinem amerikanischen Schiff erlaubt, mit einer der Kriegsparr teien der Napoleonischen Kriege in Europa oder ihren Verbündeten Handel zu treiben. Jefferson schützte damit zwar die amerikanischen Schiffe und Seeleute, allerdings unterband er vorübergehend vollständig den amerikanischen Außenhandel. Für Astor kam dieser Schritt einer Kata-
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strophe gleich. Er konnte nun weder mit China noch mit London handeln. Der seit Jahren funktionierende Import von Instrumenten aus London und die Handelsbeziehungen zu seinem Bruder George fanden ein jähes Ende. Die Ladung Klaviere, die am 2. Dezember 1807, knapp drei Wochen vor dem Embargo Act, in New York ankamen, markierten das Ende des seit 20 Jahren erfolgreichen Instrumentenimports. Doch es gelang dem cleveren Astor einmal, das Verbot geschickt zu umgehen. Zusammen mit dem in der deutschsprachigen Schweiz geborenen Albert Gallatin, dem Finanzminister unter Jefferson, fand er einen Weg, ein beladenes Schiff nach China zu schicken. In diesem Zusammenhang spielte der in Washington weilende chinesische Kaufmann und Mandarin Punqua Wingchong eine entscheidende Rolle. Einige Zeitgenossen behaupteten, Wingchong sei gar kein Kaufmann gewesen, und Astor habe ihn dafür bezahlt, in Kontakt mit Präsident Jefferson zu treten, um so eines seiner Schiffe nach China schicken zu können. Welche Absichten Wingchong auch immer hatte, er konnte sich durch mehrere Briefwechsel die Gunst Thomas Jeffersons erwerben. Der Präsident sah diplomatische Vorteile darin, Wingchongs Wunsch nachzugeben und ihn trotz des Embargos auf einem amerikanischen Schiff nach China zurückk reisen zu lassen. Jefferson beauftragte Gallatin damit, dem chinesischen Kaufmann eine Genehmigung für die Verschiffung einer größeren Menge Pelze sowie anderer Waren nach China auszustellen. Albert Gallatin musste nicht lange nach einem geeigneten amerikanischen Schiff für den Mandarin suchen. Er fand in dem deutschen Einwanderer Astor den geeigneten Mann. Gallatin und Astor waren sich auf Anhieb sympathisch. Sie hatten beide die gleiche Muttersprache, waren Einwanderer und hatten eine ähnliche Geschichte. Aus dieser Begegnung entstand eine enge Freundschaft, die bis zu Astors Tod hielt. Gallatin err teilte Astor den Auftrag, Punqua Wingchong zurück nach China zu bringen. Dies war eine einmalige Gelegenheit für Astor, der den Auftrag dankend annahm. Unter dem Protest vieler amerikanischer Kaufleute, die Astor diese Möglichkeit neideten und sich ungerecht behandelt sahen,
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nutzte er sie. Am 17. August 1808 verließ die Beaverr mit ihrer ungewöhnlichen Fracht den Hafen von New York in Richtung China. An Bord des Schiffes befand sich neben dem Mandarin und seinen zur Ausfuhr frei deklarierten Gütern eine ganze Schiffsladung von Astors feinsten Pelzen, die er in Canton für 200 000 Dollar verkaufen ließ.
Ausbau der Immobiliengeschäfte Da ihm nun der Außenhandel per Gesetz verboten war, konzentrierte sich Astor auf inneramerikanische Geschäfte. Ihm blieben der Pelzhandel und die Immobilienspekulation. Erst mit den finanziellen Erfolgen aus dem Chinahandel verstärkte er sein Engagement im Grundstücks- und Immobiliengeschäft in New York. In den letzten Jahren hatte er die Stadt weiter wachsen sehen. Zusammen mit seinem Freund DeWitt Clinton diskutierte er oft über die Zukunft New Yorks. Beide nahmen an, dass mehr und mehr Einwanderer aus Europa kommen würden. Sie behielten Recht: Zwischen 1790 und 1800 verdoppelte sich die Einwohnerzahl von 33 000 auf 60 000. Eines Abends teilte Clinton seinem Freund Astor seine Vision von New York mit: Er träumte davon, dass einmal ganz Manhattan besiedelt sein könnte. Astor hörte dem Politiker aufmerksam zu und erzählte ihm von den modernen Planstädten Karlsruhe und Mannheim in seiner alten Heimat, die nicht so unübersichtlich waren wie mittelalterliche Städte, sondern in Form eines Fächers beziehungsweise in Quadrate eingeteilt geplant waren. Diese Vorstellung begeisterte Clinton so sehr, dass der Gedanke in ihm reifte, den noch unbesiedelten größeren Teil Manhattans kraft seines Amtes schachbrettartig in Blöcke aufzuteilen. Damit gab DeWitt Clinton der Stadt New York sein noch heute charakteristisches Erscheinungsbild, was sich dann auf die meisten amerikanischen Städte auswirkte. Auch wenn Astor nicht sicher war, ob die Stadt sich wirklich einmal über ganz Manhattan spannen könnte, witterte er doch ein Geschäft. Schließlich hatte er mit dem Chinahandel entsprechend viel verdient. Er
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wagte also den Schritt, die brachliegenden Grundstücke außerhalb der Stadtgrenze aufzukaufen. Astor wollte sich das Wachstum der Stadt zunutze machen und investierte bis 1819 insgesamt 715 000 Dollar in Grundstücke auf Manhattan – einen Großteil seines Vermögens. Heute wären dies beinahe 12 Millionen Dollar. Auch dieses Risiko lohnte sich. Während er sich weiter dem Pelzhandel widmete, wuchs die Stadt von 60 000 Einwohnern im Jahre 1800 auf 312 000 im Jahr 1840 an. Sehr schnell war bei dieser Menschenmasse Grund und Boden eines der gefragtesten Güter, die in New York gehandelt wurden. Auch später investierte Astor weiter in Grundstücke und Immobilien. Seine zweite Investitionsphase erstreckte sich von 1819 bis zu seinem Rückzug vom Pelzhandel im Jahr 1834. In dieser Phase investierte Astor weitere 445 000 Dollar an Profiten in Immobilien und Grundstücke. Die dritte und letzte Phase reichte von seinem Rücktritt vom Vorsitz der American Fur Companyy 1834 bis zu seinem Tod im Jahr 1848. Nun war er sicher, dass diese Spekulationen ein gutes Geschäft waren. Jedes Jahr strömten Tausende neue Einwanderer in die Stadt. Er investierte erneut 832 000 Dollar in Grund und Boden. Insgesamt kaufte er also während seines ganzen Lebens Grundstücke auf Manhattan im Wert von rund zwei Millionen Dollar. Die Grundstücks- und Immobilienspekulationen in New York bildeten letztendlich den Kern des Reichtums von John Jacob Astor. Seine Voraussicht bezüglich des Wachsens und Expandierens der Stadt New York sowie sein Mut, in unbebautes Farmland auf Manhattan zu investieren, katapultierten ihn an die Stelle des reichsten Mannes der Vereinigten Staaten. Astor verdiente im Verlauf seines Lebens lediglich insgesamt 2 Millionen Dollar mit seinen Handelsgeschäften, den Großteil seines Vermögens machte er mit Immobilien und Grundstücken. Doch nicht nur der Grundstückskauf hatte es Astor angetan, er galt unter seinen Freunden auch als großer Theaterliebhaber. „Selten verpasste er eine gute Aufführung in den glorreichen Tagen des guten, alten Park Theatres“, “ wurde im 19. Jahrhundert über ihn berichtet. Schon früh interes-
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sierte sich Astor für das Unterhaltungsprogramm der New Yorker Oberr schicht, seiner Kundschaft, und ließ sich häufig zusammen mit seiner Frau bei gesellschaftlichen Anlässen in der Öffentlichkeit sehen. Zu dieser Zeit traf sich die gesellschaftliche Elite New Yorks, vor allem die alten aristokratischen Familien holländischer und angelsächsischer Herkunft sowie die Mitglieder der neuen aufstrebenden Klasse des Geldadels, im Park Theatre, dem beliebtesten Theater seiner Zeit, das am 29. Januar 1798 mit Shakespeares Drama Wie es euch gefälltt eröffnet worden war. Das drei Rang hohe Theater zog die Eleganten und Reichen magisch an. Selbst diejenigen, die sich nicht für das Geschehen auf der Bühne interessierten, kamen aus gesellschaftlichen Gründen ins Park Theatre. Astors Vorliebe für Theater, Literatur und Musik mag eine Rolle gespielt haben, als er zusammen mit John K. Beekman am 21. April 1806 das New Yorker Park Theatre am Broadway für 50 000 Dollar aus dem Gewinn des Chinahandels kaufte. Mit diesem Kauf machte er sich zum Besitzer des wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunktes der Stadt. Weder unterr nahm er den Versuch, die Leitung des Theaters zu übernehmen, noch übte er Druck auf die künstlerische Leitung aus. Er wollte sich mit diesem Kauf lediglich noch weiter in der obersten Gesellschaftsschicht verankern, der er spätestens seit diesem Zeitpunkt voll und ganz angehörte. Die beiden Geschäftspartner Astor und Beekman verpachteten das Theater an den Manager Thomas A. Cooper und seinen Geldgeber Stephen Price für eine Miete von 8400 Dollar im Jahr. Nachdem das Gebäude 1820 ausgebrannt war, restaurierte Astor das Theater wieder und verr pachtete es schließlich 1828 an den neuen Manager Edmund Simpson. Auch diese Investition lohnte sich für Astor. Durch verschiedene Renovierungen stieg der Wert des Gebäudes auf 150 000 Dollar. Unter der Leitung von Simpson prosperierte das Theater und rangierte schließlich auch künstlerisch unter den besten Theatern der Stadt. Das Theater erlaubte sich den besonderen Luxus, Schauspieler aus England und Opernsänger aus Italien zu engagieren. Damit überflügelte es die Konkurrenz und stand weiterhin ganz oben in der Gunst der New Yorker.
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Die Gründung der American Fur Company Der Embargo Act hatte Astor gezwungen, seinen Außenhandel einzustellen. Er konzentrierte sich deshalb neben den Grundstücksspekulationen wieder verstärkt auf den inneramerikanischen Pelzhandel. Dabei war er vor allem mit der britischen Vormachtstellung konfrontiert: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kontrollierten zwei große britisch-kanadische Unternehmen den Pelzhandel auf dem nordamerikanischen Kontinent: die größere Northwest Companyy und die alteingesessene Hudson’s Bay Company. Erstere wurde im Jahr 1783 von den Pelzhändlern Benjamin und Joseph Frobisher sowie ihrem Partner Simon McTavish gegründet. Von Beginn an stand sie in starker Konkurrenz zur wesentlich älteren Hudson’s Bay Company, die bereits im Jahre 1670 von König Charles II. ihre Handelserlaubnis erhalten hatte. Ihre Handelsposten waren um die Hudson Bay konzentriert, so dass sowohl diese wie die in sie mündenden Flüsse als Verkehrswege genutzt werden konnten. Von den kanadischen Wäldern im Hinterland wurden so die Pelze an die Handelsposten und schließlich von dort nach London gebracht. Die Northwest Companyy siedelte ihr Handelsgebiet etwas weiter südlich an. Ihr Einflussbereich erstreckte sich von den Großen Seen über Montreal und den St. Lorenzstrom bis in die nördlichen Gebiete des Staates New York. Beide Handelsgesellschaften kämpften seit dem Ende des 18. Jahrhunderts um die Vorherrschaft im Pelzhandel. Teilweise kam es dabei zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Rivalen, die gegenseitig Handelsschiffe und Forts des jeweiligen Konkurrenten angriffen und zerstörten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging es den Konkurrenten in erster Linie darum, neue Jagdgebiete zu erschließen und es dem Gegner unmöglich zu machen, in die gleiche Richtung zu expandieren. Um die Erweiterung ihrer Kompanien voranzutreiben und um neue Pelzgebiete zu entdecken, schickten beide Waldläufer und Fallensteller in die Gebiete zwischen dem Mississippi und den Rocky Mountains, die nun durch den Louisiana Purchase zu den Vereinigten
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Staaten gehörten. Dabei drangen sie so weit auf amerikanischen Boden vor, dass drei Viertel der Pelze, die von den beiden Unternehmen gehandelt wurden, aus den Gebieten der USA kamen. Weder die amerikanische Politik noch Geschäftsmänner wie Astor waren über diesen Umstand glücklich. Darüber hinaus waren die amerikanischen Pelzhändler weiterr hin von der Preispolitik Montreals abhängig. Dieser Zustand hemmte den US-amerikanischen Pelzhandel gewaltig und stand im starken Widerr spruch zu den staatlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen der Politik Thomas Jeffersons. Als junger Kaufmann musste sich Astor den Bedingungen der beiden mächtigen Gesellschaften beugen. Je mehr Erfahrungen er sammelte und je wohlhabender er wurde, desto größer wurde sein Interesse an einer eigenen organisierten Pelzhandelsgesellschaft auf amerikanischem Boden, die der britischen Konkurrenz standhalten konnte. Nur so konnte in seinen Augen die britisch-kanadische Vormachtstellung im Pelzhandel aufgebrochen und die kanadischen Pelzhändler vom amerikanischen Boden verdrängt werden. Da ihm der Außenhandel untersagt war, sah der mittlerweile 45 Jahre alte Astor den Zeitpunkt gekommen, seinen kühnen Plan, gegen das britische Monopol im Pelzhandel vorzugehen, zu verwirklichen. In diesen Jahren hatte er mit Interesse die Aussagen Thomas Jeffersons über das riesige Louisiana-Territorium im Westen verfolgt. Nach dem Kauf dieses Gebietes, das das Staatsgebiet der USA nahezu verdoppelte, hatte der Präsident im Mai 1804 Meriwether Lewis und William Clark zu einer Überlandexpedition durch unbesiedeltes Gebiet bis an den pazifischen Ozean geschickt, um das neue Gebiet zu erforschen. Jefferson erhoffte sich vor allem, einen Wasserweg nach Westen zu finden, wissenschaftliche Erkenntnisse über den Westen zu erhalten und Kontakte zu den verr schiedenen Indianerstämmen aufzunehmen. Lewis und Clark sollten auch den Grundstein für enge Handelsbeziehungen mit ihnen legen. Obwohl die Expedition nach der Rückkehr der Gruppe als großer Erfolg gefeiert wurde, entstanden in den Jahren danach keine weiteren Handels-
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beziehungen zu den einzelnen Stämmen. Hier sah Astor nun die nächste Nische, die er besetzen konnte. Er wollte vom Mississippi aus den ganzen Westen mit Handelsstützpunkten bis an die Pazifikküste überziehen und Verkehrswege entwickeln. Von den Stützpunkten aus sollte Handel mit den Indianern betrieben werden und sie sollten zugleich als Verteidigung vor allem gegen britische Angriffe dienen. Das gesamte Unternehmen, so plante Astor, sollte unter der Leitung eines amerikanischen Kaufmannes stehen, um die britischen Pelzhändler aus den neuen amerikanischen Besitzungen in Louisiana zu verdrängen. Die Kette der Handelsstationen sollte bis zum Pazifik reichen, um so darüber hinaus den amerikanischen Anspruch auf Oregon zu erhöhen. Dies würde die britische Konkurrenz deutlich schwächen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Spanier im Besitz von Kalifornien, und im Norden saßen neben den Briten die Russen, die alle ebenfalls den nordpazifischen Raum beherrschen wollten. Astor wollte das Risiko einer solchen Unternehmung jedoch nicht alleine tragen. Er würde die Rückendeckung des Präsidenten und den militärischen Schutz der Vereinigten Staaten benötigen – zu sehr fürchtete er sich vor den Angriffen der britischen Pelzhändler. Er war überzeugt davon, mit seinem Vorhaben im Sinne Thomas Jeffersons zu handeln. Der Präsident würde von seinem Plan begeistert sein. Nur einen Monat nachdem Jefferson den Embargo Act erlassen hatte, schrieb Astor am 25. Januar 1808 mit diesem Anliegen einen Brief an seinen Freund DeWitt Clinton. Er teilte ihm seine Pläne mit und hoffte, dass er ihn unterstützen und eine Verbindung zu Jefferson herstellen würde, da Astor den Präsidenten bislang nicht persönlich kannte. Darüber hinaus bat er seinen Freund um Verschwiegenheit, da Astor fürchtete, die britisch-kanadische Konkurr renz könne von seinem Vorhaben vorzeitig erfahren. Clinton gefiel der Plan Astors. Da sein Onkel George Clinton als Vizepräsident unter Thomas Jefferson diente, fiel es ihm leicht, seinem Freund Zugang zum Präsidenten zu verschaffen. In seinem ersten Brief an Thomas Jefferson vom 27. Februar 1808 bat Astor selbstbewusst und offiziell um die Erlaubnis, jenseits des Mississippi
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mit den verschiedenen Indianerstämmen Handel treiben zu dürfen. Zudem erbat er sich von der Regierung militärischen Schutz in Notfällen, seien es Angriffe der Briten oder der Indianer. Als Thomas Jefferson den Brief las, reagierte er erfreut; das Vorhaben des New Yorker Kaufmanns entsprach seiner Vision von der Zukunft des Westens. Im darauf folgenden Briefwechsel beschrieb Astor sein vollständiges Vorhaben. Er und der Präsident stellten fest, dass sie in vielen Punkten die gleichen Ansichten hatten. Vor allem die Monopolstellung der kanadischen Pelzhandelsgesellschaften war dem Präsidenten ein Dorn im Auge. Darüber hinaus beabsichtigte Jefferson, den Handel mit den Indianern in dem durch den Louisiana Purchase erworbenen Gebiet weiter voranzutreiben, und freute sich über den Tatendrang des New Yorkers. Astor strebte an, innerhalb der nächsten Jahre mit einer neuen Handelsgesellschaft den Pelzhandel im noch relativ unerschlossenen Gebiet bis zum Pazifik zu kontrollieren. Das Hauptquartier für seine Unternehmungen sollte in New York sein. Von hier aus beabsichtigte er, die verr schiedenen Handelsposten, die er von St. Louis bis an den pazifischen Ozean entlang der Route der Lewis-und-Clark-Expedition plante, zu koordinieren. Mit seinem Vorhaben wollte Astor aber nicht nur die Errungenschaften und Erfahrungen der Expedition von Lewis und Clark nutzen, er zog auch die verkehrstechnischen Vorteile des Louisiana Purchase für die Wirtschaft der USA bei seinen Überlegungen in Betracht. So sollte der Mississippi, der sich seit 1803 nun vollständig auf dem Staatsgebiet der USA befand, als zentraler Handelsweg für die Gebiete der Siedlungsgrenze dienen. Mit einem derartigen Netzwerk versprach sich Astor einen direkten Zugriff auf den Pelzhandel im Gebiet jenseits des Mississippi. Die nach St. Louis gebrachten Pelze sollten auf dem Mississippi in den Golf von Mexiko und von dort über das Meer nach New York verschifft werden. Schließlich konnte Astor von seinem Hauptquartier aus die Pelze in verhältnismäßig kurzer Zeit an jeden Absatzmarkt in Asien oder Europa exportieren.
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Mit seinen Briefen hatte es Astor geschafft, das Interesse des amerikanischen Präsidenten zu wecken. Doch Thomas Jefferson war trotz des err sten guten Eindrucks etwas unsicher bezüglich der Person Astors und wandte sich daher in einem Schreiben an General Henry Dearborn, den Kriegsminister seiner Administration. Dearborn bestätigte dem Präsidenten den guten Eindruck, den er von Astor hatte: „Astor ist ein Mann mit großem Besitz und einem guten Charakter. Er ist bestens vertraut mit dem Pelzhandel.““ Jefferson war nun überzeugt. Er dankte seinem Minister für die Bestätigung und ermutigte Astor wohlwollend zu seinem Unterr nehmen. Er schrieb ihm: „Mit großer Zufriedenheit höre ich von der Aufstellung unserer Pelzhändler, um endlich ein Unternehmen zu formen, das den Handel mit den Indianern in unserem Territorium aufnimmt.““ Und er bekräftigte ihm in einem weiteren Brief vom 13. April 1808 seine Zuversicht: „Alle Gebiete jenseits des Mississippi gehören ausschließlich uns. Und es liegt in unserer Macht, unseren Kaufleuten Vorteile gegenüber den anderen Mitbewerbern zu ermöglichen.“ Um so schnell wie möglich mit dem Unternehmen anfangen zu können, bemühte sich Astor ungeduldig um eine staatliche Zulassung bei den Verantwortlichen des Staates New York. Wiederum gelang es ihm mit der Unterstützung DeWitt Clintons, der gerade seine zweite Amtszeit als Bürgermeister von New York angetreten hatte, die Genehmigung des Staates zu erhalten. Am 6. April 1808 bekam Astor die Charter zur Bildung einer amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft, die er American Fur Companyy nannte, um seine patriotischen Motive zu unterstreichen. Die Handelsgesellschaft wurde für 25 Jahre inkorporiert und ruhte auf einem Kapitalstock von zwei Millionen Dollar für die folgenden zwei Jahre. Um auch finanziell weiterhin die Kontrolle zu behalten, entschied sich Astor dagegen, einen größeren Aktienanteil dem Börsenhandel zu überlassen. Er sah keinen Vorteil darin, mit weiteren Aktionären den Kapitalstock seines Unternehmens zu erhöhen. Die Aktionäre würden nur seinen Einfluss schwächen. Außerdem wollte er niemanden am Erfolg beteiligen, trug aber auch das finanzielle Risiko alleine. Die Struktur der
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American Fur Companyy wurde exakt auf die Person Astors zugeschnitten, der seine Macht über die Pelzhandelsgesellschaft weder mit den ihm untergeordneten neun Direktoren noch mit weiteren Aktionären teilen wollte. Mit patriotischen Worten und der Betonung der Dienlichkeit der Unternehmung für die Vereinigten Staaten hatte Astor die Unterstützung des Präsidenten für seine Ideen und Pläne erhalten, und hatte ihn sehr beeindruckt. Am 17. Juli 1808 schrieb Thomas Jefferson an seinen alten Freund Meriwether Lewis, der mittlerweile das Amt des Gouverneurs des Missouri-Territoriums innehatte, und berichtete von der Gründung der American Fur Company. Diese Gesellschaft sollte nun endlich die Grundlagen und Strukturen für den von ihm angestrebten Handel schaffen. Jefferson lobte in dem Schreiben einen „äußerst exzellenten Mann, einen Mr. Astor, Kaufmann aus New York, der schon sehr lange in diesem Geschäftsbereich operierte und solche Aufgaben perfekt meistert“. Für Thomas Jefferson stand fest, dass sowohl die Gründung wie auch die Organisation der American Fur Companyy von nationaler Wichtigkeit für weitere Schritte der Westexpansion waren. Das neu erworbene Gebiet des Louisiana Purchase war zu diesem Zeitpunkt weder vollständig erkundet noch annähernd für den amerikanischen Markt oder nachrückende Siedler erschlossen. Mit einer neuen Pelzhandelsgesellschaft, die die britischen Gesellschaften aus dem Einflussgebiet und dem Staatsgebiet der USA verdrängen würde, sah er die Möglichkeit, den Westen des Kontinents für die USA zu erschließen.
Astoria, Oregon Am 1. März 1809 nahm Präsident Jefferson das Embargo-Gesetz wieder zurück. Wenige Tage später folgte ihm James Madison in das Amt des amerikanischen Präsidenten, der sich zuvor im Wahlkampf gegen Astors Freund DeWitt Clinton hatte durchsetzen können. Zugleich reduzierte
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der Kongress das Embargo im Non-Intercourse Act von 1809 auf ein Handelsverbot mit England und Frankreich. Den amerikanischen Kaufleuten war es nun wieder erlaubt, mit anderen Ländern, außer den beiden besagten europäischen, Handel zu betreiben. Doch Astor konnte sich nicht über die Änderung der gesetzlichen Lage freuen und war noch immer unzufrieden mit der Situation. Zwar konnten nun seine Schiffe wieder nach Canton segeln, den Instrumentenhandel konnte er aber immer noch nicht wieder aufnehmen. Schweren Herzens verabschiedete er sich von diesem Geschäftszweig nun endgültig, der ihm und seinem Bruder George über Jahrzehnte hervorragende Einkünfte beschert hatte. Seit John Jacob ihn 1783 verlassen hatte, hatte George seine Instrumentenfirma ständig verr größert und profitierte vom Handel mit New York. Bald hatte er einen neuen, größeren Laden in der Cornhillstreet 79 angemietet und fusionierte schließlich mit einem Partner zu Astor & Harwood. Sie erweiterten ihre Geschäfte und stellten neben Flöten und Klavieren fortan auch Notenhefte her. Georges Unternehmungen expandierten, bis er schließlich ab 1800 durch die Kämpfe auf hoher See, durch die er mehrere Ladungen verlor, in finanzielle und unternehmerische Schwierigkeiten geriet. George verstarb schließlich im Dezember 1813. Nach seinem Tod führte seine Witwe Elizabeth die Geschäfte der Firma bis in das Jahr 1831 fort. Sie starb 1842. Astor nahm deshalb den ertragreichen Handel mit China wieder auf, der ihm in den Jahren vor dem Embargo so große Gewinne eingebracht hatte. Zugleich hegte er die Absicht, ihn auszuweiten und zu optimieren. Eine der Maßnahmen war, seine beiden Geschäftsfelder – den Chinahandel und den amerikanischen Pelzhandel – miteinander zu kombinieren, um so Synergieeffekte zu erzielen. Ihm schwebte ein Handelsdreieck zwischen Canton, New York und einem Stützpunkt an der amerikanischen Pazifikküste vor. Dieser Stützpunkt würde als westlichste Handelstation der American Fur Company sowohl als zentrale Sammelstelle der Pelze im Nordwesten dienen, als auch den Handel mit China deutlich erleichtern und die Versorgung der Segelschiffe erheblich verr bessern.
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Auch wenn Astor in der Korrespondenz mit Thomas Jefferson die Err richtung einer amerikanischen Handelsstation am Pazifik nie explizit err wähnt hatte, so dachte er schon lange über dieses Unterfangen nach. Er hatte nur darauf gewartet, dass das Handelsembargo endlich zurückgenommen wurde, um diese Vision anzugehen. Doch woher kam diese Vision? Wie konnte ein deutscher Einwanderer den Schneid besitzen, die Westexpansion seiner neuen, amerikanischen Heimat so entscheidend mitzuprägen? Neben Fleiß und Ehrgeiz besaß Astor die Gabe zu beobachten und zuzuhören. Es fiel ihm sein ganzes Leben lang leicht, wichtige Informationen von unwichtigen zu trennen. Bereits als junger Pelzhändler hatte er auf seinen Expeditionen nach Montreal verschiedene andere Kaufmänner von einer solchen Station reden hören. Viele Pelzhändler, auch Mitglieder der britischen Handelsgesellschaften, träumten von einer Niederlassung am Columbia River am Pazifik. Aber niemand sah sich in der Lage, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen – bis sich Astor entschloss, dieses Vorhaben anzugehen. Für ihn war dies eine der seltenen Möglichkeiten, etwas Großes zu vollbringen – vielleicht sogar in die Geschichte einzugehen. Seine Vision hatte aber noch größere Dimensionen: Durch eine amerikanische Niederlassung am Pazifik könnte die ganze Region von den Vereinigten Staaten beansprucht und besiedelt, vielleicht sogar später als Bundesstaat ein Teil des Landes werden. Und er, der ehemals mittellose, deutsche Einwanderer, wäre der Gründer der err sten amerikanischen Stadt am Pazifik! In dieser Zeit war die Pazifikküste bis auf wenige spanische Missionsstationen noch unbesiedelt. Zudem waren die Besitzverhältnisse im Westen jenseits des Louisiana-Territoriums in dieser Zeit noch ungeklärt; einige Landstriche befanden sich zugleich in den Einflussgebieten mehrerer Mächte. Im Nordwesten des Kontinents machten nicht nur die beiden rivalisierenden britischen Pelzunternehmen ihren Einfluss geltend, auch das russische Zarenreich beanspruchte Ländereien nördlich des Oregongebiets bis nach Alaska für sich. Schließlich grenzte Oregon im Süden an Kalifornien, das zu dieser Zeit noch zur spanischen Krone gehörte und
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immer weiter nach Norden vorrückte. Die Beanspruchung des Oregongebiets, das nicht Teil des Louisianakaufes war, stellte zu Beginn des 19. Jahrr hunderts die einzige Möglichkeit für die Vereinigten Staaten dar, das Staatsgebiet bis an den Pazifik auszudehnen. Doch nur wenige Politiker waren so weitsichtig wie Astor und Jefferson, die meisten hielten dies bis in die 1840 er Jahre für unmöglich. Um eine Handelsstation vor Angriffen zu schützen, begann Astor, sich nach potentiellen Partnern und Allianzen gegen die Briten umzuschauen. Die Russen schienen ihm die geeigneten Bündnispartner zu sein. Zu Astors Glück kam im Juni 1809 der russische Generalkonsul Andrew Daschkoff zu einem diplomatischen Besuch in die Vereinigten Staaten. Auch ihm lag eine friedliche Koexistenz am Pazifik am Herzen, daher beschwerte er sich bei der Regierung in Washington über einige amerikanische Händler, die Waffen und Munition an die Indianer nahe dem russischen Einflussgebiet verkauft hatten. Die unabhängigen, amerikanischen Händler würden so das Leben der russischen Siedler gefährden, sollten diese Waffenlieferungen zu einem Indianeraufstand führen. Der neue Präsident James Madison sah sich jedoch nicht in der Lage, etwas gegen diese Waffenlieferungen zu unternehmen und entließ den Generalkonsul wieder. Für den kurzsichtigen Madison waren die Gebiete jenseits der Rocky Mountains nicht von Interesse. Eine Expansion der Vereinigten Staaten kam für ihn ebenso wenig in Frage wie er eine Kooperation mit dem russischen Zaren für notwendig hielt. Astor war extra aus New York angereist, um den russischen Abgesandten zu treffen. Als er hörte, dass die Verhandlungen gescheitert waren, reagierte er rasch und verhandelte eigenständig mit Daschkoff. Mit seinem Anliegen stieß Astor bei Daschkoff auf offene Ohren. Beide Parteien einigten sich schnell und verr standen, dass eine Kooperation von beidseitigem Vorteil wäre. Als gemeinsames Ziel gaben sie aus, die britischen Handelsgesellschaften von der Pazifikküste verdrängen zu wollen. Das Geschäftsbündnis sollte nach Ansicht der beiden Handelspartner von der amerikanischen Regierung befürwortet werden. Dies stellte
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James Madison, der sich bei den Verhandlungen von Astor übergangen fühlte, vor die Frage, ob das Abkommen zwischen dem Pelzhändler und Daschkoff einen öffentlichen oder privaten Charakter habe. Für Madison war klar, dass Astor ein privates Abkommen eingegangen war, das er nicht unterstützen musste. Er wollte mit dieser Angelegenheit nichts weiter zu tun haben und ließ Astor durch seinen Freund Albert Gallatin, der auch nach Jeffersons Präsidentschaft Finanzminister geblieben war, ausrichten, dass er als Präsident der Vereinigten Staaten weder das Abkommen mit Daschkoff noch die American Fur Company in irgendeiner Weise unterstützen würde. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Jefferson sah Madison in Astors Unternehmungen keinen patriotischen Akt, sondern den unlauteren Versuch einer Monopolbildung. Der New Yorker Kaufmann war daher schnell ein rotes Tuch für ihn geworden. Astor zu unterstützen, wäre, so Madison in seinem Brief an Gallatin vom 12. September 1810, gegen die Prinzipien der Verfassung der Vereinigten Staaten. Zudem empfand Madison den uneingeschränkten Wirtschaftsliberalismus dieser Zeit als unpatriotisch. Kaufleute wie Astor sollten seiner Meinung nach stärker besteuert werden. Die Antwort des Präsidenten traf Astor hart. Er verstand seine Abneigung nicht, und hielt ihm vor, zu steif zu sein, da ihm jegliche Vorstellungskraft für seine Vision fehlte. Sollte der Außenposten im Oregongebiet nicht von Amerikanern gegründet werden, würde der Anspruch der Vereinigten Staaten auf das Gebiet deutlich sinken. Wie konnte dieses Vorhaben gegen die Prinzipien der Verfassung sein? Und warum bezichtigte ihn der Präsident einer Monopolbildung, wo es doch gerade sein Ziel war, gegen die britischen Monopolisten vorzugehen? Enttäuscht von Präsident Madison trauerte der Pelzhändler den angenehmen Briefwechseln mit Thomas Jefferson nach, der die Größe des Vorhabens verstanden hatte. Letztlich blieb Astor aber keine andere Wahl, er musste sein Vorhaben ohne die Unterstützung des Präsidenten verwirklichen. Da er nicht mehr auf die Regierung zählen konnte, war es für Astor umso wichtiger, die weiteren Verhandlungen mit dem russischen Generalkonsul selbst zu
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führen und erfolgreich zu beenden. Um weiteren Ärger mit Madison zu vermeiden, vereinbarte Astor im Namen der American Fur Companyy mit Andrew Daschkoff im Namen der Russian-American Company, sich gegenseitig zu unterstützen und jeweils nicht mit den Indianerstämmen zu handeln, die in den Einflussbereichen der anderen Gesellschaft lebten. Astor hatte mit der Russian-American Company den gewünschten Partner gefunden, um seinen Außenposten in Sicherheit zu wissen. In einem Brief vom 7. November 1809 bekräftigte Daschkoff gegenüber Astor noch einmal die gemeinsame Absicht, die Northwest Companyy aus ihrem Einflussbereich zu verdrängen. Als nächster Schritt war vorgesehen, dass Astor eines seiner Schiffe zum russischen Stützpunkt New Archangel – heute Sitka, Alaska am Norfolk Sound – mit Verpflegungswaren schicken sollte. Astors Kapitän und der dortige Gouverneur Alexander Baranoff sollten im Namen der beiden das besprochene Abkommen – fern der amerikanischen Regierung – unterschreiben. Astor stattete Captain John Ebbets, einen Mann seines Vertrauens, mit der Vollmacht aus, dieses Abkommen zu unterschreiben. Der Kapitän kannte den russischen Gouverneur bereits von früheren Reisen und qualifizierte sich für diese Mission zudem durch seine langjährigen Erfahrungen mit den Indianern. Am 15. November 1809 verließ Ebbets mit Astors neuem Schiff Enterprise den Hafen von New York. Er segelte zunächst auf direktem Weg an den Columbia River, dessen Mündung Astor als Standort für seine Handelstation auserwählt hatte. Ebbets sollte dort im Auftrag Astors erste friedliche Kontakte mit den Indianern knüpfen. Nach 204 Tagen auf hoher See erreichten Ebbets und seine Crew das indianische Dorf der Newetee an der pazifischen Nordwestküste. Ganz im Sinne Astors stellte er mit den Bewohnern dieses Dorfes einen ersten Kontakt her und brach nach wenigen Wochen Aufenthalt am 23. Juni 1810 weiter nach New Archangel auf, das er schließlich Ende Juni/Anfang Juli erreichte. Der zweite Teil der Mission sollte schwieriger werden. Als Ebbets den Vertrag mit der Russian-American Company unterschreiben wollte, stellte
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Baranoff neue Forderungen und verlangte weitere Vorratslieferungen von Astor. Ebbets war darauf weder vorbereitet noch hatte er von Astor die Erlaubnis, weiter mit den Russen zu verhandeln. Er verlangte darauff hin eindringlich von Baranoff, dass der Vertrag in der Form unterschrieben werden sollte, wie Astor und Daschkoff es zuvor ausgehandelt hatten. Das Gespräch eskalierte, und da die beiden alles andere als geschickte Diplomaten waren, kamen die Verhandlungen zu einem schnellen Ende. Erzürnt verließ Ebbets mit der Enterprise den Hafen des russischen Stützpunktes. Das Abkommen mit der Russian-American Company war gescheitert, dennoch wurde von beiden Pelzhandelsgesellschaften der Status quo aufrechterhalten, so dass es nie zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern kam. In der Zwischenzeit ging Astor auf seiner alljährlichen Reise nach Montreal im Jahre 1809 eine neue, sehr risikoreiche Verbindung ein. Die amerikanische Regierung hatte ihn im Stich gelassen, die Liste seiner Verr bündeten war kurz. Auf der Suche nach einer neuen Allianz kam ihm der Gedanke, diejenigen, die er am meisten fürchtete, vertraglich an sich zu binden: die britisch-kanadischen Pelzhändler. Wenn es ihm gelingen würde, sie an Bord zu holen und an der Handelsstation zu beteiligen, dann müsste sein Vorhaben doch gelingen und der Außenposten vor britischen Übergriffen sicher sein. Er würde einen Teil des Profits an die britischen Partner abgeben. Da ihm der amerikanische Präsident zu verstehen gegeben hatte, dass er keinerlei Interesse an dem Außenposten habe, konnte sich Astor vorstellen, auf den patriotischen Charakter seines Planes zu verzichten. Wenn Madison seine Vision nicht teilte, dann wollte auch er sich nur noch um seine eigenen Geschäfte kümmern. Mit dieser Einstellung stieß er bei den Kaufleuten in Montreal schnell auf Interesse, und es gelang ihm, einige Mitglieder der britischen Handelsgesellschaften neugierig zu machen. Ein halbes Jahr später in New York ließ er die Mitglieder der Northwest Companyy Alexander McKay, Donald McKenzie und Duncan McDougall nach New York kommen und unterzeichnete mit ihnen am 10. März 1810
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einen Vorvertrag über eine mögliche Zusammenarbeit. Bis zur Unterr zeichnung des endgültigen Abkommens verhandelte Astor mit weiteren potentiellen Mitgliedern, die er zu einer neuen Pelzhandelsgesellschaft, der Pacific Fur Company, die der American Fur Companyy untergeordnet sein sollte, zusammenführte. Auch der Name der neuen Gesellschaft sollte das nationale Motiv weiter in den Hintergrund rücken und seinem neuen Partner die Möglichkeit zur Identifikation mit dem Vorhaben geben. Astor gelang es unterdessen, weitere Mitglieder anzuwerben: Wilson Price Hunt, einen Geschäftsmann aus St. Louis, Robert McClelan und Joseph Miller, die im Pelzhandel am Missouri aktiv waren, David Stuart und seinen Neffen Robert Stuart aus Kanada und Ramsay Crooks. Am 23. Juni 1810 schlossen sich all diese Pelzhändler, Kaufleute und Trapper in New York unter Astors Führung feierlich zur Pacific Fur Companyy zusammen. Nach der Gründung der neuen Gesellschaft stand Astor nun nichts mehr im Wege, er konnte mit dem Aufbau der Pelzhandelsstation am Columbia River beginnen. Das Unternehmen begann mit zwei Expeditionen: Eine Expedition, so Astors Plan, sollte auf seinem Schiff Tonquin, beladen mit dem Material und der Verpflegung für den Aufbau der Station, um Kap Horn herum an die Nordwestküste zur Mündung des Columbia gelangen. Dort angekommen, sollte sie mit der Errichtung des Außenpostens beginnen. Die andere Expedition, die sogenannte Astor Expedition, erhielt den Auftrag, von St. Louis aus entlang den von der American Fur Companyy errichteten Handelsposten den amerikanischen Kontinent zu durchqueren, wie es nur wenige Jahre zuvor die Expedition von Lewis und Clark getan hatte. Während der Durchquerung des Kontinents sollte die Expedition unter der Leitung von Wilson Price Hunt und Donald McKenzie ein freundschaftliches Verhältnis zu denjenigen Indianerstämmen aufbauen, denen sie begegneten. Sie sollten das Vertrauen der Indianer gewinnen und err ste Handelskontakte mit ihnen knüpfen. Im Oktober des Jahres 1810 reiste Astor zum letzten Mal nach Montreal, um Verhandlungen über eine friedliche Koexistenz mit der North-
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west Companyy zu führen. Bis zu diesem Zeitpunkt war er es stets gewesen, der sich aktiv um eine Einigung und Zusammenarbeit mit der Northwest Companyy bemühte. Seit die Gründung des Außenpostens an die Ohren der Verantwortlichen der Northwest Companyy gedrungen war, befand er sich in einer Position der Stärke. Nun bemühte sich die britisch-kanadische Seite um eine Aussöhnung und friedliche Koexistenz. Beide Seiten stimmten am 28. Januar 1811 einem Abkommen zu, das die American Fur Companyy im Bereich der Großen Seen zu einem Verbündeten der Northwest Companyy machte. Das Abkommen galt allerdings nicht für die Gebiete jenseits der Rocky Mountains am Pazifik. Jenes Gebiet, so hoffte Astor, würde er alleine beherrschen. In der Zwischenzeit versammelte sich die wagemutige Überlandexpedition in St. Louis, am Rande der damaligen Zivilisation. Niemand der Beteiligten wusste so recht, was vor ihm lag. Hunt, McKenzie und Crooks waren am 3. September 1810 in St. Louis eingetroffen und warr teten auf die restlichen ‚Astorianer‘. Am 21. Oktober 1810 brach die Expedition an den Columbia River auf. Solange sie konnten, nutzten sie den Wasserweg. So fuhren sie zunächst den Mississippi hinauf und folgten dann dem Missouri River, an dessen Ufer sie am 16. November das Winterlager errichteten. Hier gesellte sich nun auch der frontiersman Robert McClelan zu ihnen. Hunt kehrte über Winter nach St. Louis zurück, um Astor Bericht zu erstatten, der ihm nun die alleinige Führung der Expedition übertrug. Während die Überlandexpedition unterwegs war, stattete Astor die zweite Expedition, die um Kap Horn herum nach Oregon gelangen sollte, aus. Er entschied sich, sein neues Schiff Tonquin einzusetzen und das Kommando an Captain Jonathan Thorn zu übertragen, der in der Navy den Rang eines First Lieutenantt innehatte. Thorn war ein disziplinierter, sturer und mitunter rücksichtsloser Mensch, dessen einziges Interesse der Navigation seines Schiffes galt. Er war weder ein Entdecker, noch Visionär oder gar Kaufmann. Astor entschied sich für ihn, da Captain Ebbets noch nicht mit der Enterprise aus New Archangel zurückgekehrt war, und
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er den militärisch ausgebildeten Kapitän mit Kampferfahrung auf hoher See bevorzugte, da er sich vor kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Engländern oder mit den Indianern fürchtete. Astor stellte Thorn vier Mitglieder der Pacific Fur Companyy zur Seite: Alexander McKay, Duncan McDougall sowie David and Robert Stuart. Aufgrund der seit Jahren währenden politischen Spannungen zwischen den USA und der britischen Krone und den damit verbundenen kriegerischen Übergriffen auf den Meeren, die wenige Jahre zuvor zum Embargo Act geführt hatten, waren die britischen Mitglieder der Pacific Fur Companyy vor dem Aufbruch stark verunsichert. Waren sie Teil einer amerikanischen Unternehmung geworden? Oder konnte man Astor trauen und es ging nur ums Geschäft? Ohne Astors Wissen suchte Alexander McKay daher vor seiner Abreise in New York den britischen Abgesandten in den USA, Francis James Jackson, auf. McKay erkundigte sich bei ihm, was mit ihm und seinem Eigentum passieren würde, sollte ein Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und dem britischen Imperium ausbrechen. Der Abgesandte versicherte ihm, dass er im Falle eines Krieges vom britischen Militär als Brite und nicht als Assoziierter einer amerikanischen Handelsgesellschaft behandelt würde und keine Bedenken haben müsse. McKay war beruhigt. Er konnte sich auf das Unternehmen einlassen. Jackson pflanzte damit aber die Möglichkeit in die Köpfe der britischen Mitglieder der Pacific Fur Company, sich im Zweifelsfalle loyal zur englischen Krone zu verhalten und Astor zu verraten. Wie würde das Unternehmen verlaufen? Würde das Bündnis der Kaufleute den Belastungen standhalten? Am 8. September 1810 stach die Tonquin in Richtung Columbia River in See. Zunächst wurde sie von der amerikanischen Fregatte Constellation aus dem Hafen von New York begleitet. Die Tonquin sollte über Winter Kap Horn umrunden und dann Kurs auf die Inseln von Hawaii nehmen. Nach einem kurzen Aufenthalt sollte sie von dort weiter an den Columbia River segeln. Doch durch das harte und rücksichtslose Kommando von Captain Thorn kam es auf dieser Seereise immer wieder zu Auseinanderr
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setzungen zwischen ihm, der Mannschaft und den Passagieren der Pacific Fur Company. Schließlich brachen offene Streitigkeiten zwischen dem hartgesottenen Kapitän und McDougall, McKay und David Stuart aus. Die Situation konnte nur dadurch entschärft werden, das McDougall schließlich eine Pistole zog und den Kapitän zum Einlenken zwang. Thorn war eine derartig rebellische Haltung von seinen Passagieren nicht gewöhnt und fürchtete eine offene Eskalation oder gar Rebellion der ‚Astorianer‘, die sich wiederum im weiteren Verlauf der Fahrt teils aus Missachtung teils aus Angst vor dem cholerischen Kapitän absonderten. Trotz dieses Zwischenfalls verlief die weitere Reise wie geplant und ohne die Begegnung mit einem britischen Kriegsschiff. Schließlich err reichte die Tonquin Hawaii und setzte am 1. März 1811 wieder die Segel in Richtung Columbia River. Nach einer relativ ruhigen Phase kam es nun erneut zu Querelen zwischen Captain Thorn und den Mitgliedern der Pacific Fur Company, die Situation an Bord blieb angespannt. Am 22. März kam schließlich die ersehnte Küste Oregons in Sicht, und Captain Thorn ließ die Anker werfen. Während die Tonquin nun vor Anker lag, suchten die Männer der Pacific Fur Companyy einen geeigneten Lagerplatz. Dem Auftrag Astors folgend, suchten sie Kontakt zu den in der Nähe lebenden Newetee-Indianern, zu denen Captain Ebbets von der Enterprise ein Jahr zuvor friedliche Handelsbeziehungen aufgenommen hatte, und begannen mit ihnen einen Tauschhandel. Die Newetee erwiesen sich als friedliche Tauschpartner und zeigten keinerlei Feindseligkeiten. Nachdem die Pelzhändler Astors Anweisungen gefolgt waren, begannen sie mit ihrer historischen Aufgabe: der Errichtung des Außenpostens am Pazifik. Sie verließen unter der Leitung von Duncan McDougall am 12. April den Einflussbereich der schützenden Tonquin und erkundeten für einen weiteren Monat die Region an der Mündung des Columbia River. Nach ihrer Rückk kehr begann die kleine Gruppe, das für die Niederlassung ausgewählte Land urbar zu machen. Nach einigen Wochen harter Arbeit wurde die Siedlung am 18. Mai 1811 von den Pionieren auf den Namen Astoria getauft. Der Name sollte
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deutlich auf den Initiator des kühnen Unternehmens hinweisen, der es wie kein anderer repräsentierte. Astor freute sich insgeheim auf den Moment, wenn Präsident Madison von der erfolgreichen Gründung der Station erfuhr, die er noch wenige Monate zuvor verurteilt hatte. Allerdings dauerte es eine Weile, bis die Neuigkeiten von der Siedlungsgründung bis an die Ostküste vordrangen. Fast auf den Tag genau ein Jahr später gratulierte der ehemalige Präsident Thomas Jefferson in einem Schreiben vom 24. Mai 1812 John Jacob Astor zu der Errichtung der Pelzhandelsstation an der Pazifikküste. Noch immer teilten beide die gleiche Vision: „Ich err innere mich gut, Ihren Vorschlag einer amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft angenommen zu haben. Ich habe Sie ermutigt und Euch die Unterstützung jeder Einrichtung der Vereinigten Staaten und den Schutz der Regierung, soweit es ihr möglich war, zugesichert. Ich habe die Gründung einer Siedlung an diesem Ort der Westküste als eine großartige Errungenschaft betrachtet und schaue noch immer mit Vorfreude auf die Zeit, wenn sich Menschen aus der Siedlung über die ganze Westküste ausbreiten, um diese mit freien und unabhängigen Amerikanern zu besiedeln, […] die die Souveränität des Volkes genießen werden.“ Während die Errichtung des Handelspostens voranschritt, brach die Tonquin unter dem Kommando von Thorn mit Alexander McKay von der Pacific Fur Companyy an Bord am 1. Juni 1811 auf, um weitere Teile der Pazifikküste zu erkunden. Die restlichen Pelzhändler blieben in Astoria. Wochenlang hatten sie keinerlei Kunde von dem weiteren Verbleib des Schiffes und ihres Geschäftspartners. Voller Ungeduld verharrten sie in dem kleinen Stück ‚Zivilisation‘, das sie geschaffen hatten. Mitte August erreichten durch indianische Tauschpartner erste Gerüchte vom möglichen Untergang der Tonquin Astoria. Diese Gerüchte wurden im Oktober durch einen weiteren Indianer bestätigt, der behauptete, den Untergang des Schiffes selbst gesehen zu haben. Diese Neuigkeit versetzte die kleine Schar Astorianer in Angst und Schrecken. Sie befürchteten nun, dass Thorn den Stamm so sehr beleidigt und provoziert hatte, dass sich dessen Krieger nun auch gegen Astoria wenden und es angreifen würden.
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Doch was war wirklich geschehen? Auf ihrer Erkundungsreise war die Tonquin mit weiteren Indianerstämmen am Clayoquot Sound in Berührung gekommen. Beim Erstkontakt zeigte Captain Thorn keinerlei diplomatisches Feingefühl und behandelte die Fremden stattdessen mit Verr achtung und ohne Rücksicht auf und Verständnis für ihre Bräuche und Sitten. Thorn schien seinen Verstand verloren zu haben, als er bei einem abendlichen Treffen mit dem Häuptling, dessen Gesicht in ein Bündel Pelze drückte und sich somit den Hass des Häuptlings zuzog. An friedliche Handelsbeziehungen, so wie von Astor angeordnet, war nun nicht mehr zu denken. Entgegen Astors eindringlicher Warnung ließ Thorn am nächsten Morgen die Indianer an Bord kommen. Doch sie kamen nicht, um mit Thorn zu verhandeln, wie dieser annahm. Sie kamen, um an ihm und seinen Männern Rache zu nehmen. Sie griffen Thorn und die Crew an. Während der Auseinandersetzung fing die Tonquin Feuer, was schließlich zur Explosion des Pulvermagazins führte. Die restlichen Teile des Schiffes versanken im Meer. Weder Thorn noch McKay noch die Crew überlebten diese Tragödie. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis Astor von den schlechten Neuigkeiten erfuhr. Als ein Mitarbeiter ihm die Nachricht vom Verlust der Tonquin berichtete, befand er sich gerade im Park Theatre. Später wurde Astor einmal von Washington Irving, einem berühmten Schriftsteller dieser Zeit, gefragt, warum er den Theaterbesuch nicht abgebrochen habe und nach Hause gegangen sei. Astor antwortete entrüstet: „Warum hätte ich das tun sollen? Hätte ich zu Hause Tränen vergießen sollen für etwas, das ich nicht ändern kann?““ Dennoch wog der Verlust des Schiffes schwer. Ohne das schützende Schiff saßen die Astorianer am Columbia River fest und hatten durch den Untergang Personal und Vorräte verloren. Außerr dem fürchteten sie sich nun vor weiteren Racheakten der fremden Indianer. Ihre einzige Hoffnung war das nächste Versorgungsschiff, das laut Plan Astoria im Folgejahr erreichen sollte. Bis dahin saßen sie in der neu errichteten Handelsstation fest – ohne auch nur die weitere Küste erkunden zu können.
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Astors ursprünglicher Plan sah vor, dass das zweite Versorgungsschiff etwa zum gleichen Zeitpunkt am Columbia River ankommen sollte wie die Überlandexpedition. Hierfür stattete er die Beaverr aus, die am 11. Okk tober 1811 von New York nach Oregon aufbrach. An Bord der Beaverr befand sich auch Astors Neffe George Ehninger, der Sohn seiner Schwester Catherina, die als letzte ihrer Geschwister Walldorf verlassen hatte. Sie war seit 1782 mit dem ebenfalls aus Walldorf stammenden Georg Ehninger verheiratet. 1783 kam ihr gemeinsamer Sohn zur Welt, der nach dem Vater benannt wurde. Catherinas Familie ließ sich später zunächst in New Jersey nieder, bevor sie nach New York übersiedelte. Catherina verlor jedoch schon früh ihren Mann, der bei einer Explosion in seiner eigenen Destille auf tragische Weise ums Leben kam. Auf Catherinas Wunsch hin hatte John Jacob seinen Neffen George als Pelzagent in seine Geschäfte eingebunden. Doch das Verhältnis zu seinem Neffen bekam bald Risse, da George nicht den gewünschten Ehrgeiz zeigte und mehrere Geschäfte in den Sand setzte. Als er begann, mit dem Geld seines reichen Onkels zu protzen, und sich einen verschwenderischen Lebensstil zulegte, brach Astor den Kontakt zu seinem Neffen ab. Über ein dreiviertel Jahr war seit dem Untergang der Tonquin verr gangen, als die Beaverr Astoria am 10. Mai 1812 erreichte. Tapfer hatte die kleine Schar der Pioniere durchgehalten. Mit der Ankunft der Beaverr begann nun der Aufschwung in Astoria. Zuvor waren auch die ersten Mitglieder der Überlandexpedition eingetroffen, die sich unterwegs in vier Gruppen aufgeteilt hatte, um die Chancen zu erhöhen, dass zumindest eine der Gruppen bis Astoria durchkommen würde. Drei dieser Gruppen erreichten Astoria bereits im Frühjahr 1812, die vierte traf nur einen Tag nach der Ankunft der Beaverr am 11. Mai 1812 an der Pelzhandelsstation ein. Somit war die Durststrecke, die der Untergang der Tonquin verursacht hatte, überwunden. Mit der Ankunft der Handelspartner sowie der neuen Vorräte blühte der kleine Pelzhandelsposten am Rande der amerikanischen Welt auf: Am 26. September 1812 wurde das neue Handelskontor
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fertiggestellt und der neu gebaute Schoner Dollyy erstmalig als Transportmittel auf dem Columbia River eingesetzt. Astors Vision war damit Wirklichkeit geworden. Mit der Gründung Astorias erreichten seine Unternehmungen den Pazifik – lange bevor die Westexpansion der USA richtig einsetzte.
Der Krieg von 1812 und der Verlust des Außenpostens
Seit Jahren schwelte der Konflikt zwischen England und Frankreich auf hoher See, worunter die amerikanische Schifffahrt sehr litt. Wie sein Vorgänger war auch Präsident James Madison mit diesem Umstand mehr als unzufrieden. Mehrfach sprach er sich dafür aus, die Situation notfalls mit Waffengewalt zu lösen. Während seiner ersten Amtszeit häuften sich Stimmen im amerikanischen Kongress, die einen Krieg mit England forderten. Die angespannte Situation erfüllte Astor seit Jahren mit großer Sorge. Aus seiner Sicht lag die Lösung aber nicht in einem neuen Krieg, der sowohl seinen Chinahandel wie auch Astoria gefährden würde. Hilflos musste er im Frühjahr 1812 beobachten, wie Kriegstreiber, die vor allem aus dem Süden und dem Westen der USA kamen und weder von den Handelsgeschäften der Kaufleute noch von der Seefahrt etwas verstanden, die Stimmung gegen England anheizten. Mit aufpeitschenden Reden entfachten sie im Senat der USA eine kriegerische, nahezu hysterische Stimmung. Den Auslöser für die amerikanische Kriegserklärung an Großbritannien gab dann schließlich ein von den Siedlern im Westen befürchteter Aufstand einer wiederbelebten Indianerkonföderation unter dem Shawnee Häuptling Tecumseh, der von den Briten unterstützt wurde. Seit 1805 bemühten sich Tecumseh und sein Bruder Tenskwatawa, eine panindianische Konföderation ins Leben zu rufen, um gegen das Vordringen der
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Amerikaner Widerstand zu leisten. Tecumseh versuchte, unter den verr bleibenden Stämmen im Osten eine militärische Allianz zu begründen, vor der sich die amerikanischen Siedler fürchteten und die von England unterstützt wurde. Am 4. Juni 1812 sprach sich schließlich das Repräsentantenhaus mit 79 zu 49 Stimmen für den bewaffneten Kampf gegen die Briten aus. Die große Mehrheit der Gegenstimmen zu diesem Beschluss stammte aus den seefahrenden Händlerstaaten des Nordostens, die um eine Deeskalation der Situation bemüht waren. Zwei Wochen später, am 18. Juni 1812, erklärte Präsident Madison im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika England offiziell den Krieg, der bis zum Friedensschluss im Vertrag von Gent an Weihnachten 1814 dauern sollte. Nach Kriegsende wurde schließlich der Status quo ante wieder hergestellt. Doch die amerikanische Regierung nutzte den Friedensschluss und bewertete ihn in ihrer Propaganda als amerikanischen Sieg, obwohl es de facto keinen Sieger gab. In der vergangenen Dekade hatte es John Jacob Astor geschafft, mit den wichtigen Politikern seiner neuen Heimat in Kontakt zu treten und sich mit ihnen auszutauschen. Mit Thomas Jefferson, Albert Gallatin, Henry Clay, DeWitt und George Clinton und James Monroe pflegte er eine rege Korrespondenz. Mit dem kriegstreibenden Präsidenten James Madison hatte Astor jedoch seine Schwierigkeiten. Im Gegensatz zum direkten Schriftwechsel mit Thomas Jefferson kommunizierte Astor mit Präsident Madison hauptsächlich über Dritte. Neben Albert Gallatin und James Monroe war es vor allem Madisons einflussreiche Gattin Dolley, die trotz der Abneigung ihres Gatten den New Yorker Kaufmann sehr verr ehrte. Mit der Kriegserklärung an England machte sich Madison nun endgültig zur persona non grata im Hause Astor. Ein Krieg mit England drohte Astors Geschäfte und seinen Handel lahmzulegen. Darüber hinaus befürchtete Astor, dass die Vereinigten Staaten dem britischen Imperium nicht standhalten konnten. Um nicht tatenlos zusehen zu müssen, wie seine zweite Heimat in einen Krieg steuerte, entschloss sich Astor zu handeln. Mit Briefen versuchte er den Präsidenten zu beeinflussen. Doch Ma-
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disons arrogante Abneigung gegen Astor hatte sich nicht gelegt. Er weigerte sich entschieden, die warnenden Briefe Astors, die den amerikanischen Außenhandel betrafen, an das Department of State weiterzuleiten. Über seinen Minister Gallatin ließ der Präsident Astor mitteilen, dass er nicht vergessen hatte, dass sich Astor über seine Machtbefugnisse und Autorität hinweggesetzt hatte, als Andrew Daschkoff zu Verhandlungen über mögliche Kooperationen in Washington weilte. Der Krieg von 1812, der auch als Zweiter Unabhängigkeitskrieg oder Mr. Madison’s Warr in die Geschichte eingegangen ist, versetzte den Atlantik in einen Kriegsschauplatz. Zudem versuchten die Amerikaner, Kanada zu erobern und überzogen somit die Handelswege Astors entlang des Hudson River in Richtung Montreal sowie seine Außenposten an den Großen Seen mit kriegerischen Auseinandersetzungen. An Pelzhandelsgeschäfte war zu dieser Zeit nicht mehr zu denken. Astors größte Sorge war allerdings, dass auch der pazifische Nordwesten in das Interessenfeld der Engländer rücken könnte und Astoria zu einem Kriegsschauplatz werden würde. Dort wusste die kleine Gruppe Pelzhändler nichts von der Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an England. Ein erster Vorbote des drohenden Unheils erschien am 15. Juli in der Person David Thompsons, eines Mitglieds der Northwest Company, in Astoria. Er brachte die Neuigkeiten des Krieges und forderte die britischen Mitglieder der Pacific Fur Companyy auf, sich loyal gegenüber der Krone zu verhalten. England habe, so Thompson, bereits die Region am Columbia River für sich in Anspruch genommen. Die verunsicherten Astorianer wussten nicht, ob sie Thompson Glauben schenken sollten. Vor einem britischen Angriff fürchteten sie sich allerdings. Die positive Aufbruchstimmung kippte, und Robert McClelan, Joseph Miller und Ramsay Crooks traten aus der Pacific Fur Companyy aus. Die übrigen Astorianer berieten am 27. Juni 1812 die nächsten Schritte zum weiteren Ausbau der Station. Demnach sollte Wilson Price Hunt mit dem zweiten Versorgungsschiff, der Beaver, weiter nach Canton segeln, um dort einige Waren zu tauschen. In seiner Abwesenheit sollte der Kanadier Duncan McDougall, den Astor der
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Northwest Companyy abgeworben hatte, Astoria leiten. David und Robert Stuart wurden über Land zurück nach New York geschickt, um Astor Bericht zu erstatten. Die berühmt gewordene Überlandexpedition der beiden Stuarts err reichte am 30. April 1813 St. Louis und schließlich am 23. Juni des gleichen Jahres New York. Als erste Europäer hatten sie den amerikanischen Kontinent von West nach Ost durchquert. Die Zeitungen waren voll von dem abenteuerlichen „American Enterprize“ und sie unterstrichen die patriotische Vision Astors und seiner Partner. Der Außenposten Astoria geriet zum ersten Mal in die Schlagzeilen der amerikanischen Presse. Die Vorstellung, dass Amerikaner den Kontinent überquert und dort eine Siedlung gegründet hatten, weckte neue Ideen. Es war möglich, in den Westen zu ziehen und dort zu siedeln. Da die Stuarts auf ihrem Rückweg den später als South Pass of the Oregon Trail bekannt gewordenen Pass entdeckt hatten, der auch mit einem Planwagen befahren werden konnte, wurden zum ersten Mal Gedanken an einen Überlandtreck nach Oregon in der Öffentlichkeit geäußert und diskutiert. All diese Zeit hatte Astor in großer Sorge in New York verbracht. Er hatte keine Ahnung vom Verbleib seiner Schiffe Tonquin und Beaver, wusste nicht, wie weit Astoria schon aufgebaut war und fürchtete sich vor dem Krieg mit England. Doch bevor er die Berichte der Stuarts hörte, err hielt er im März 1813 durch einen alten Bekannten in London beunruhigende Nachrichten. Die Northwest Companyy und die britische Regierung hatten ein Kriegsschiff ausgestattet, um Astoria am Columbia River in Besitz zu nehmen! Seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Vor wenigen Jahren hatte er noch die Unterstützung Thomas Jeffersons und somit der amerikanischen Regierung gehabt, und nun hatte sein Nachfolger die Vereinigten Staaten in einen Krieg geführt, der die Existenz seiner Handelsstation bedrohte. Die Northwest Companyy hingegen hatte die Unterstützung ihrer Regierung. Es musste doch möglich sein, dass auch Präsident Madison nun seinerseits ein Schiff nach Oregon senden würde, um die erste amerikanische Siedlung am Pazifik vor den
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Engländern zu beschützen. Vielleicht hatte er ja jetzt die Bedeutung des Außenpostens erkannt? Da Madison mit ihm nur über Dritte kommunizierte, wandte sich Astor mit einem Schreiben an Außenminister James Monroe, betonte die patriotischen Motive des Unternehmens und bat um Hilfe: „Ich denke, dass ich in Friedenszeiten mit der Northwest Company zurecht gekommen wäre; in der gegenwärtigen Situation zweifle ich aber daran. Es ist viel zu gefährlich. Im Falle eines Angriffs durch die britische Regierung wird es für einen Einzelnen unmöglich sein, den Besitz eines Landes zu behaupten, das einmal die Quelle für Reichtum und Vermögen von vielen sein wird. . . Ich bin sicher, dass die Regierung erkennt, was es bedeutet, die Macht über den weitreichenden und bedeutenden Columbia River zu haben.““ Darüber hinaus flehte er Monroe eindringlich um militärische Unterstützung an und bat ihn, Präsident Madison über die kriegerischen Pläne der Briten zu informieren. Doch die Regierung in Washington zögerte. Sie hatte den Krieg unterr schätzt. Das Interesse der Kriegstreiber hatte lediglich dem östlichen Teil Kanadas gegolten, doch die amerikanische Offensive wurde zurückgeschlagen. Es fehlte an militärischen Ressourcen, um zudem ein Stück Land am Pazifik zu verteidigen. Oregon war für die meisten Politiker zu weit entfernt. Niemand konnte sich vorstellen, dass es einmal zu den Vereinigten Staaten gehören würde. Als sich in Washington nichts rührte, wandte sich Astor in seiner Verr zweiflung an Thomas Jefferson. Wie schon Jahre zuvor versuchte er, Jefferson mit patriotischen Argumenten zu überzeugen. In seinem Brief an den ehemaligen Präsidenten beschwor er Astoria als „unser gemeinsames Unternehmen… unser Plan… und unser Eigentum“. Doch es stand nicht in Thomas Jeffersons Macht, ihm zu helfen. Bevor es für Astoria zu spät war, entschloss sich Astor, selbst zu handeln. Erneut war er enttäuscht von der amerikanischen Regierung. Aber er konnte auch nicht tatenlos zusehen, wie seine Vision von den Briten zunichte gemacht wurde, das entsprach nicht seinem Charakter. Auf die Schnelle rüstete er die Enterprise, die den Astorianern sowieso als drittes Versorgungsschiff
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dienen sollte, mit Kanonen und Waffen auf, so dass sie sich unter Umständen gegen einen englischen Übergriff schützen konnte. Vielleicht würde es der Enterprise gelingen, Astoria zu retten. Doch Astors Rettungsmission scheiterte. Die Briten blockierten den Hafen von New York, so dass kein Schiff mehr in See stechen konnte. Hoffnungslos saß Astor nun in New York und musste damit rechnen, dass seine Vision durch den Krieg zerr stört würde. Unter den übrig gebliebenen Bewohnern Astorias machte sich unterr dessen Unsicherheit breit. Sie befanden sich mitten auf einem umstrittenen Landstrich. Sollte aufgrund des Krieges das dritte Versorgungsschiff zerstört werden und ausbleiben, würde dies das sichere Ende der Station bedeuten. Zu diesem Zeitpunkt erreichten einige Mitglieder der Northwest Company, die über Land an den Columbia River gekommen waren, Astoria. Sie zeigten sich darüber hinaus überrascht, am Columbia River nicht bereits eine englische Fregatte vorzufinden. Nachdem die Northwest Companyy von Astor in den letzten Jahren in die Defensive gedrängt worden war, sahen ihre Mitglieder nun die Chance zurückzuschlagen. Sie konnten die Oberhand in Oregon gewinnen und nutzten die desolate und hoffnungslose Situation Astorias aus. Durch das Ausbleiben des Versorgungsschiffes und die Furcht vor kriegerischen Auseinandersetzungen schwand die Loyalität des stellvertretenden Leiters Astorias, Duncan McDougall, zur Pacific Fur Company schnell. Als ehemaliger Kaufmann der Northwest Companyy wechselte er nun zurück in sein altes Lager und gab die in der Station gelagerten Waren am 16. Oktober 1813 an seine ehemaligen Mitstreiter der Northwest Companyy zu einem äußert niedrigen Preis ab. Die Northwest Companyy bezahlte den Astorianern für Waren im Wert von an die 200 000 Dollar lediglich 42 000 Dollar. Als Astor später davon erfuhr, war er über den Verr tragsbruch seines Partners McDougall und den erlittenen Verlust erzürnt und verteufelte dessen unloyale Haltung. Das Schicksal Astorias war endgültig besiegelt, als schließlich die von Astor lange befürchtete britische Fregatte, Raccoon, am 30. November 1813 am Columbia River auftauchte
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und die Niederlassung am 12. Dezember offiziell für die britische Krone in Besitz nahm. Für Astor bedeutete der Verlust seiner Pelzhandelsstation die Aufgabe seiner Vision einer Kette von Handelsstationen über den ganzen nordamerikanischen Kontinent. Darüber hinaus war Astoria fortan im Besitz der kanadisch-britischen Konkurrenz, die den Außenposten in St. George umbenannte, um die Verbindung mit Astor auszulöschen. In dieser ganzen Frage hatte Astor seinen Einfluss auf die amerikanische Regierung überschätzt. Doch er gab nicht auf und traf sich mit James Monroe, um über einen möglichen Friedensvertrag zwischen den USA und Großbritannien zu sprechen. Aus dieser Begegnung entstand eine Korrespondenz, in deren Verlauf Astor Monroe immer stärker drängte, auf Präsident Madison einzuwirken, den Krieg zu beenden und Oregon für die USA zu beanspruchen. Letztlich war es Astors Hauptziel sicherzustellen, dass Astoria in einem möglichen Friedensvertrag zurückgegeben werden musste. An Weihnachten 1814 einigten sich beide Seiten schließlich auf einen Friedensvertrag und beendeten den Krieg.
Astor und der Friedensvertrag von Gent Neben Außenminister James Monroe hatte Astor noch einen weiteren guten Kontaktmann und Informanten in Madisons Kabinett: Albert Gallatin, der schon seit längerer Zeit ein enger Freund Astors war. Nach dem Kriegsende handelten er und Monroe den Friedensvertrag in Europa aus. Zur gleichen Zeit saß Astor ungeduldig in New York. Als er bis Oktober 1815 keine neuen Informationen über den Stand der Friedensverhandlungen hatte, hakte er noch einmal bei Gallatin nach, der mittlerweile zu Verhandlungen nach Europa gereist war. Fast täglich schrieb er ihm Briefe, in denen er noch einmal eindringlich um die Rückgabe Astorias an sein Unternehmen bat.
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Im Friedensvertrag von Gent fand die Pelzhandelsstation Astoria trotz Astors Bemühungen keine Erwähnung. Darüber hinaus argumentierte die Northwest Companyy in den Verhandlungen, dass Astoria legal gekauft wurde und somit kein verlorenes Kriegsgut der Amerikaner darstelle. Um des Friedens Willen kam es daher im Friedensvertrag nicht zu einer klaren Regelung für Astoria und in der Folge zunächst auch nicht zu einer eindeutigen Aufteilung des Interessensgebietes zwischen den kanadischbritischen Pelzhändlern und den Amerikanern. Astor war enttäuscht. Seine Vision war zerbrochen, das geplante Unternehmen gescheitert. Doch er wollte sich nicht hängen lassen und nahm zu den Aussagen der Briten Stellung: Auf der einen Seite nahm er nach außen hin Verhandlungen mit der Northwest Companyy über eine Teilung des Gebietes am Pazifik und einer friedlichen Koexistenz beider Handelsgesellschaften auf, andererseits versuchte er, seinen politischen Einfluss in Washington geltend zu machen. Er bedrängte die amerikanische Regierung, mit der Entsendung eines Kriegsschiffes die Rückgabe Astorias nachdrücklich einzufordern. Den Behauptungen der Northwest Company entgegnete Astor, dass die Übergabe der Pelzhandelsstation unter Waff fengewalt und der drohenden Ankunft der Kriegsfregatte vollzogen worr den war. Außerdem habe sein ehemaliger Partner Duncan McDougall die Pacific Fur Companyy hintergangen und die britische Konkurrenz unterrstützt. Nur durch sein Überlaufen und den militärischen Druck sei Astoria in die Hände der Briten geraten. Präsident Madison und sein Außenminister Monroe versicherten Astor das Interesse der USA an einer Rückgewinnung Astorias. Allerdings fürchteten sich beide vor einer erneuten militärischen Auseinandersetzung mit der britischen Krone. Gerade war der Krieg von 1812 beendet, und ein Militäreinsatz am Columbia River, r um die amerikanischen Ansprüche auf dieses Gebiet deutlich zu machen, könnte den gerade erreichten Frieden gefährden. Schließlich akzeptierte Astor den Verlust seines Außenpostens und konzentrierte sich fortan nur noch auf den Pelzhandel an den Großen Seen, wo Mackinac Island das Zentrum seiner Operationen wurde.
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Ohne eine politische Lösung blieb Astoria für Astor und somit zunächst auch für die Vereinigten Staaten verloren. Sein Unternehmen hatte aber den amerikanischen Anspruch auf das umstrittene Gebiet, das die heutigen amerikanischen Staaten Oregon, Washington und Idaho, aber auch Teile von British-Columbia in Kanada umfasste, deutlich gemacht. Bereits 1818 handelte Albert Gallatin, mittlerweile amerikanischer Botschafter in Paris, in der Anglo-American Convention of 1818 unter anderem eine gemeinsame Kontrolle der beiden ehemaligen Kriegsgegner über Oregon aus. De facto aber beherrschte die Hudson’s Bay Companyy in den 1820 er und 1830 er Jahren das Oregon-Gebiet. Um ihre Macht zu festigen, zogen sie sich aus Astoria zurück und errichteten weiter nördlich Fort Vancouver, das als zentraler Handelsposten für die ganze Region fungierte. In den 1840 er mehrten sich die amerikanischen Bemühungen um Oregon wieder. 1842 begannen amerikanische Siedler, die in organisierr ten Wagentrecks den Kontinent überquerten, mit der Besiedlung Oregons, weshalb die Regierung in Washington bereits ein Jahr später von den Briten abermals verlangte, sämtliche Ansprüche auf das Gebiet südlich von 54 Grad und 40 Minuten nördlicher Breite aufzugeben. Da die Briten einen erneuten Krieg vermeiden wollten, offerierten sie 1846 die Teilung des Oregon-Gebiets entlang des 49. Breitengrads. Außenminister James Buchanan unterschrieb 1846 den Oregon Treatyy zwischen den USA und Kanada, der diese Grenze endgültig festlegte. Vor diesem Vertrag war im amerikanischen Kongress eine Debatte um Oregon entbrannt. Thomas Hart Benton, der Senator von Missouri, ging hierbei mehrfach in seinen Reden auf die Leistungen Astors und die Bedeutung seiner Handelsstation Astoria ein. In der Diskussion um Oregon ergriff er 1846 im Senat Partei für Astor und beanspruchte das Gebiet für die USA: „Das Tal des Columbia River gehört uns. Wir haben es entdeckt und wir haben es durch Astoria besiedelt.“ Mit diesen Worten und seinen weiteren Reden im US-Senat erwarb er sich natürlich auch die Sympathie John Jacob Astors. Durch seinen Sohn William ließ Astor ihm wiederholt seine besten Wünsche ausrichten und äußerte sich erfreut darüber, dass
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endlich seine Vision der Nordwestküste in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Die gleichen Ansichten waren kein Zufall. Astor hatte Bentons politische Karriere wiederholt finanziell gefördert. 1848 erhielt Oregon den Status eines Territoriums, aus Teilen dieses Gebiets wurden später die heutigen Bundesstaaten Washington sowie Teile Idahos, Montanas und Wyomings gebildet. Ohne die Gründung von Astoria und den Pelzhandel wäre dies nicht möglich gewesen. Die Trapper trugen Geschichten von den schönen und fruchtbaren Gebieten in Oregon in den Osten und sie bewiesen, dass die Westküste in Expeditionen und mit Wagentrecks erreicht werden konnte.
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ie jüngere Forschung bezeichnet die Phase der amerikanischen Geschichte von 1815 bis 1848 als Zeit der „Marktrevolution“. Diese Revolution, die zeitlich zwischen der politischen und der industriellen Revolution angesiedelt ist, wurde von vier sich gegenseitig bedingenden Faktoren ausgelöst: dem raschen Anstieg der Bevölkerung, dem kontinuierlichen Ausbau des Verkehrswesens, dem Ausbau der Landwirtschaft und der beginnenden Industrialisierung. Das Zusammenspiel dieser Faktoren ließ vor allem im Nordosten der USA ein wirtschaftliches Wachstum entstehen. Hunderttausende common men arbeiteten, handelten, kauften und verkauften, um dem zu folgen, was die Zeitung Niles’ Weekly Registerr 1815 als allgemeine Aufstiegsregel erkannt hatte: „Kaufen und Verkaufen war der universelle, ehrgeizige Weg um vorwärts zu kommen.“ Der neue Geist des Wettbewerbs nahm wenig Rücksicht auf die republikanischen Ideale der Gründungsväter, die auf eine starke Gemeinschaft gleichwertiger Mitglieder baute. Nun strebte jeder nach seinem eigenen Glück, das Wohl der Allgemeinheit trat in den Hintergrund. Nach 1815 unterschieden sich die USA fundamental vom kolonialen Nordamerika der 1760 er Jahre und der revolutionären Zeit der 1770 er und 1780 er Jahre. Sie entfernten sich deutlich von dem moralischen Idealbild einer „tugendhaften Republik“ Thomas Jeffersons. Nach dem Krieg von 1812 wurde die amerikanische Gesellschaft individualistisch und erwerbsorientiert. Die alten aristokratischen Hierarchien lösten sich auf, und der durchschnittliche Amerikaner, der common man, trat handelnd
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in das Licht der Öffentlichkeit. Dieser Transformation fielen die Vorstellungen einer tugendhaften und schützenden Republik sowie einer überschaubaren Gemeinschaft selbstloser Bürger zum Opfer. Dafür gab es im Amerika der Marktrevolution keinen Platz mehr. Als Ausgleich bot die amerikanische Gesellschaft jedem Einzelnen seiner weißen und männlichen Bürger unvergleichbar gute Aufstiegschancen. Karrieren wie die von John Jacob Astor suggerierten der Öffentlichkeit, dass in Amerika – losgelöst von Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen des alten Europa – gute Chancen bestanden, den eigenen wirtschaftlichen und sozialen Status zu verbessern.
Der Aufbau der Second Bank of the United States
Die Etablierung von Finanzinstitutionen, die nach heutigen Maßstäben notwendigerweise mit einem modernen Staat verbunden sind, war für die Politik und Wirtschaft der frühen Republik allerdings keine Selbstverständlichkeit. Es bedurfte der politischen und wirtschaftlichen Vision Alexander Hamiltons, um in das politische System der USA die entsprechenden Finanzinstitutionen einzubauen. So wurde die erste Zentralbank der Vereinigten Staaten als Teil des von Hamilton propagierten Finanzsystems begründet. Der Kongress erließ eine Charter für diese erste Bank, obwohl es zuvor heftige politische Stimmen gegen eine Zentralbank gab. Diese Gegenstimmen kamen vor allem von Seiten der Jeffersonians, die eine Entwicklung weg von der Landwirtschaft hin zu einer Finanzwirtschaft befürchteten. Trotzdem wurde die Bank of the United States 1791 eingeführt und für eine Dauer von 20 Jahren inauguriert. 1811 sorgte die Intervention der Opposition dafür, dass die Charter nicht verlängert wurde. Im Zusammenhang mit der Finanzierung des Krieges von 1812, die zum großen Teil über Kriegsanleihen lief, traten in Washington finan-
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zielle Probleme auf, die nach Kriegsende zu einem Umdenken der Opposition führten. John Jacob Astor war einer der Befürworter einer neuen Zentralbank. Häufig teilte er seine Ansichten einzelnen Politikern aus dem Kongress und auch Mitgliedern der Regierung mit. Bereits im Jahre 1811 nach dem Auslaufen der Charter der ersten Bank, diskutierten Astor und Gallatin eine Verlängerung der ersten beziehungsweise die Einführung einer zweiten Zentralbank. Zwei Jahre später, also noch während des Krieges, traf sich Astor mit den möglichen Investoren Steven Girard, David Parish sowie Jacob Barker und den Regierungsvertretern John C. Calhoun, Alexander Dallas und Albert Gallatin, um die Möglichkeit und den finanziellen Rahmen einer Zentralbank zu diskutieren. Die Gesprächsteilnehmer einigten sich auf ein vages Gerüst, jedoch sah sich die Regierung unter Präsident Madison zunächst nicht dazu veranlasst, weitere Schritte in diese Richtung zu unternehmen. Astor und seine Partner warteten derweil ungeduldig und richteten schließlich 1814, als das Kriegsende abzusehen war, erneut Gesuche an den Präsidenten, um sich für die Errichtung einer zweiten zentralen Nationalbank stark zu machen und ihre Entwicklung voranzutreiben. Im Nachhinein betrachtet waren es diese beharrlichen Versuche der drei Investoren, die ausschlaggebend für die Errichtung der Zentralbank wurden. Das Triumvirat Astor, Girard und Parish gilt noch heute als der entscheidende Antrieb einer Reihe von miteinander verknüpften Ereignissen, die schließlich zur Etablierung der zweiten Zentralbank führten. Der Kongress nahm die Initiative der drei Investoren ernst. Deshalb diskutierte Präsident Madison mit seinem Vertrauten und Nachfolger Monroe wiederholt die Möglichkeiten für ein solches Projekt. Währenddessen entbrannte aber im Kongress eine heftige Debatte. Die Gegner einer Zentralbank befürchteten, dass Astor und seine Partner die Situation für ihre eigenen Interessen ausnutzen wollten und warfen ihnen vor, dass eine Zentralbank nur der Deckung und der Sicherheit ihrer eigenen Finanzen dienen würde. Denn während des Krieges hatten die drei Investoren den größten Anteil der Kriegsanleihen gekauft.
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Im Jahr 1815 beruhigte sich die Stimmung im Kongress wieder, und die konkrete Etablierung der Second Bank of the United Staates wurde wieder ernsthaft ins Auge gefasst. Schließlich einigte man sich darauf, den neuen Finanzminister und Nachfolger Gallatins, Alexander Dallas, sowie John C. Calhoun damit zu beauftragen, einen Entwurf vorzubereiten. Die beiden zogen Astor und seine Partner als Berater heran, um im kleinen Kreis über den Rahmen und die Form einer nationalen Zentralbank zu diskutieren. In einem Schreiben an Stephen Girard, dem nach Astor zweitreichsten Mann in den Vereinigten Staaten, erkundigte sich Astor noch einmal, wie dieser zur Etablierung einer Zentralbank stand. Astor wollte von Seiten der Investoren keine unterschiedlichen öffentlichen Aussagen, sondern eine klare Linie – unter seiner Führung. In der Diskussion mit Calhoun forderte Astor von der amerikanischen Regierung, schnellstmöglich und endgültig eine Zentralbank einzuführen, da die Regierung nur so den Vorhaben einiger Privatbanken zuvorkommen könnte. In der Zwischenzeit berichtete Albert Gallatin Präsident Madison davon, dass Astor zusammen mit Parish und Girard bereit war, mit einer Summe von zwei Millionen Dollar in eine solche Bank einzusteigen, um so der Zentralbank einen ersten Handlungsspielraum zu ermöglichen. Mit dem Entwurf, den Calhoun und Dallas erarbeitet hatten, und der Unterstützung der Investoren gerieten schließlich die Zweifler im Kongress in die Minderheit, sodass der Errichtung einer zweiten Zentralbank nichts mehr im Wege stand. Am 10. April 1816 wurde die Second Bank of the United States in Philadelphia eingerichtet. Ihr erster Präsident wurde William Jones, der zuvor unter Präsident Madison in den Jahren 1813 und 1814 das Amt des Secretary of the Navyy bekleidet hatte. Nachdem die Second Bank im April 1816 ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurden von der Regierung in Washington fünf Direktoren ernannt, 20 weitere wurden von den Investoren eingesetzt. Die insgesamt 25 Direktoren bekamen jeweils einzelne, lokale Abteilungen der Second Bank of the United States zugewiesen. Aufgrund seiner mehrmaligen Initiative zur Errichtung und Ausarbeitung der Bank verständigten sich John Smith
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und Albert Gallatin darauf, dem Präsidenten vorzuschlagen, Astor zu einem der fünf Direktoren zu ernennen. Obwohl zwischen Madison und Astor seit Jahren Spannungen herrschten, konnte der Präsident den Investor Astor nicht zurückweisen und nahm den Vorschlag Gallatins an. Damit befanden sich unter den fünf Direktoren, die von der Regierung eingesetzt wurden, sowohl John Jacob Astor wie auch Stephen Girard. Astor kam zudem die Leitung der bedeutendsten Zweigstelle der neuen Zentralbank in New York zu. Bei der Etablierung der Zweiten Zentralbank zeigte Astor wie zuvor bereits bei der Gründung der American Fur Companyy eines seiner charakteristischen Verhaltensmuster. Wieder versuchte er, seine Interessen mit denen der amerikanischen Regierung auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Er suchte nach den Vorteilen für den Staat und passte diesen Vorteilen seine Argumente an. Der entscheidende Beweggrund mag für Astor die Möglichkeit gewesen sein, endlich seine Kriegsanleihen bei der Zentralbank einzulösen. Seine persönlichen finanziellen Interessen befanden sich aber im glücklichen Einklang mit seinen patriotischen Motiven. Doch nach nur drei Jahren trat Astor vom Vorsitz der New Yorker Niederlassung der Second Bank of the United States zurück und legte auch das Amt als Direktor nieder. Er hatte sich geehrt gefühlt, dieses Amt innezuhaben und zum Kreis der Finanzexperten der USA aufgestiegen zu sein, dennoch faszinierte ihn das Bankgeschäft nicht so sehr wie seine eigenen Handelsunternehmungen, die ihm eigentlich keine Zeit für andere Dinge ließen.
Wirtschaftsmagnat Die Zeit der Marktrevolution umfasste nicht nur die Erneuerung der American Fur Companyy nach dem Krieg von 1812, sondern auch die letzte und endgültige Expansion von Astors Handel. Der 52jährige Astor baute seine Aktivitäten zu einem weltweit operierenden Unternehmen aus – heute
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würde man Astors Handelsgesellschaft ein Unternehmen der Global Economyy nennen. Sein Erfolg war hierbei an den allgemeinen Aufschwung der Marktrevolution gebunden. Allerdings beschränkte sich Astor in dieser Phase auf den Ausbau seiner bisherigen Geschäftsaktivitäten und unterstützte nicht mehr wie zuvor neue Projekte, wie beispielsweise den Bau des Erie Canal, l der New York mit Chicago verband. Zu sehr hatte ihn der Verlust Astorias getroffen, als dass er in dieser Phase in neue, risikobeladene Projekte investiert hätte. Zunächst konzentrierte Astor seine Außenhandelsbemühungen wieder auf den Chinahandel, den er während des Krieges von 1812 hatte unterbrechen müssen. Das Ausbleiben von Astors Schiffsladungen in den Jahren 1812 bis 1814 hatte in China zu einer großen Nachfrage nach amerikanischen Pelzen geführt. Auf amerikanischer Seite war in dieser Zeit ein erhöhter Bedarf an chinesischen Gewürzen, Seide und Tee entstanden. Um die Bedürfnisse des Marktes auf beiden Seiten zu decken, investierte Astor in den Ausbau seiner Flotte und kaufte neue Schiffe. Er wollte nachholen, was er in den letzten Jahren verpasst hatte. 1815 besaß er dann acht Schiffe: die Enterprise, die Beaver, die Fingal, die Boxer, die Pedler, die Forester, die Hannibal und die Seneca. Darüber hinaus kaufte Astor nach dem Verlust der Fingal 1816 die William and John. Mit dieser Flotte erzielte Astor in kurzer Zeit erhebliche Gewinne. Auch ohne Astoria baute er den Handel mit China allmählich zu einem globalen Handelsnetzwerk aus. Er begann Schiffe nach Südamerika und Europa zu schicken. Im Zentrum seines Handelsnetzwerks lag New York, von wo aus er alles kontrollierte. Hierher ließ er die nordamerikanischen Pelze, die chinesischen, südamerikanischen und europäischen Produkte verschiffen, um sie von dort wieder auf den Weltmarkt zu verteilen, jenachdem auf welchem Kontinent welche Ware den größten Gewinn versprach. Seine Schiffe belieferten die Häfen von Valparaiso, Canton, St. Petersburg, Bordeaux, Le Havre, Hamburg, Izmir, London und Amsterdam mit chinesischen, europäischen und amerikanischen Produkten.
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Doch seine Handelsbeziehungen zu Südamerika nahmen schon bald ein jähes Ende. Nach den chilenischen Aufständen gegen die Spanier unter der Führung von General Bernado O’Higging erhoffte sich der New Yorker Kaufmann neue Märkte in den nunmehr von Spanien unabhängigen Staaten in Südamerika. Er wollte eine führende Rolle im Handel mit Chile spielen. Wenn er diese Nische besetzen könnte, so glaubte Astor, ließen sich ähnliche Gewinne wie mit China erzielen. Chile war reich an Bodenschätzen. Er könnte Tee, Samt, Pelze und Zinn aus China und Nordamerika gegen Kupfer und Silber handeln. In New York stattete er die Beaverr aus und schickte sie nach der chilenischen Hafenstadt Valparaiso. Doch diesmal war Astor zu schnell: Lateinamerika befand sich noch immer inmitten der Unabhängigkeitskämpfe. Als die Beaverr ihr Ziel errreichte, geriet sie zwischen die kämpfenden Fronten und wurde schließlich, als sie vor Valparaiso lag, von den Spaniern angegriffen und geentert. Die Besatzung wurde freigelassen, doch die Ladung und das Schiff blieben verloren. Astor konnte den finanziellen Verlust verschmerzen, dennoch wollte er keine weiteren Risiken eingehen und stellte den Handel mit Südamerika ein. Die Situation in Südamerika war noch zu gefährlich. Daher konzentrierte er sich wieder auf China, Nordamerika und Europa, das nach der Neuordnung durch den Wiener Kongress einer eher friedlichen Zeit entgegensehen konnte. Parallel zum Ausbau seines Handelsnetzwerks trieb Astor auch die inneramerikanische Erweiterung der American Fur Companyy voran. In den nächsten Jahren versuchte er, die Gebiete bis zu den Rocky Mountains für sich zu erschließen. Die ersten Schaufelraddampfer befuhren den Hudson und verkürzten die Fahrtzeit erheblich. Die Strecke von Albany nach New York dauerte statt einer Woche jetzt nur noch zwei Tage. Der Erie Canal, dessen Bau Astors Freund DeWitt Clinton als Gouverneur des Staates New York federführend vorantrieb, wurde 1819 teilweise und 1825 endgültig fertiggestellt. Der Kanal verband New York mit Buffalo, den Großen Seen und schließlich mit Chicago, verringerte die Transportkosten um 95 Pro-
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zent und machte einen regelmäßigen Warenaustausch zwischen Chicago und New York erst möglich. Der Mittlere Westen war somit an die Atlantikhäfen angebunden, und beide Städte profitierten davon. 30 Jahre zuvor war Astor noch alleine durch die Wildnis des Staates New York gezogen, wo nun der Kanal für eine neue Welle der Besiedlung sorgte und Städte wie Buffalo und Rochester zum Aufblühen brachte. Im Krieg von 1812 waren viele Handelsstationen der American Fur Company von den Briten zerstört worden, die Astor nun wieder aufbauen ließ. In dieser ganzen Entwicklung stand ihm der erfahrene Charles Gratiot aus St. Louis, der seine Offiziersausbildung in der berühmten und elitären West-Point-Akademie erhalten hatte, als Berater zur Seite. Gratiot hatte im Krieg von 1812 gekämpft und war während der Kampfhandlungen damit beauftragt, die ehemals französischen Forts St. Joseph und Meigs, die sich an der Siedlungsgrenze befanden, wieder zu errichten. Seit der Gründung der American Fur Companyy hatte er zudem Astor wertvolle Beraterdienste geleistet und ihm stets wichtige Informationen aus dem Mississippi-Gebiet und von den Großen Seen zukommen lassen. Über die Jahre entwickelte sich Gratiot daher zu Astors wichtigster Inforr mationsquelle im amerikanischen Westen. 1816 trafen sich beide in New York, um über die Lage des Pelzhandels nach dem Krieg und über dessen Expansion nach Westen zu sprechen. In diesem Gespräch schlug Gratiot dem New Yorker vor, den Anspruch auf den Columbia River und Astoria fallen zu lassen und sich stattdessen auf den Ausbau von St. Louis als Zentrum des Pelzhandels und wichtigen Verkehrsknotenpunkt im amerikanischen Westen zu konzentrieren. In St. Louis floss der Missouri River in den Mississippi, zudem mündeten auch der Arkansas River und der Ohio River in den Fluss. Mit diesem Wasserweg und den neuen Dampfschiffen, die in den nächsten Jahren auch den Mississippi befahren sollten, konnten in kurzer Zeit Pelze aus den Rocky Mountains, den Great Plains, den Appalachen und den Großen Seen nach St. Louis gebracht werden. Die Stadt wäre ein idealer Standort für die American Fur Company. Astor dachte lange über den Vorschlag seines Beraters nach. Mit der Einfüh-
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rung der Dampfschifffahrt auf dem Mississippi könnte sich St. Louis wirkk lich zu einem Handelszentrum im Westen entwickeln. Außerdem könnten die Pelze von St. Louis über New Orleans nach New York und von dort nach Canton oder Europa gelangen. Er ließ sich schließlich von Gratiot überzeugen und begann, seinen Vorschlag umzusetzen. Jedoch wollte Astor zunächst etwas anderes abwarten. Seit Jahren hoffte er, die Vormachtstellung im Pelzhandel auf US-amerikanischem Boden zu erlangen, doch bis jetzt war es der Regierung nicht gelungen, die kanadischen Gesellschaften und Händler aus dem Gebiet der USA zu verdrängen. Durch seine Freunde in der Politik hatte er erfahren, dass sich in dieser Frage etwas tue. Der Kongress plante ein Gesetz zu verabschieden, das den kanadischen Pelzhändlern verbieten würde, auf amerikanischem Boden Pelze zu handeln. Dieses Mal wurde er nicht von der amerikanischen Politik enttäuscht. Das Gesetz zum Ausschluss kanadischer Pelzhandelsunternehmen von den organisierten Territorien der USA wurde schließlich zu Astors vollster Zufriedenheit verabschiedet. Mit dieser Rückendeckung begann Astor, St. Louis als sein neues Handelszentrum aufzubauen. Hierzu teilte er den Einflussbereich der American Fur Companyy im Westen in zwei Gebiete: Robert Stuart sollte von Michilimackinac aus den Pelzhandel im Gebiet um die Großen Seen und entlang des Missouri kontrollieren. In St. Louis wurde ein zweites Hauptquartier der American Fur Company eingerichtet und gleichsam zum Zentrum des Pelzhandelsgebietes am Mississippi aufgebaut. Die Leitung dieser Niederlassung übertrug Astor seinem langjährigen Handelspartner Ramsay Crooks. Astor lag mit seiner Entscheidung richtig. Nur ein Jahr nachdem er den Mittelpunkt seiner Handelsinteressen nach St. Louis verlegt hatte, err reichte am 27. Juli 1817 die Pike, der erste Raddampfer des Mississippi, den Verladehafen von St. Louis. Die Einführung der großen Raddampfer beschleunigte und vereinfachte fortan die Handels- und Transportwege auf dem Mississippi und seinen Nebenflüssen. Nach dem Desaster der vergangenen Jahre ging es für Astor wieder bergauf. Er hatte zum rich-
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tigen Zeitpunkt das Richtige getan und schaffte es nun endlich, seine Pelzhandelsgesellschaft zur führenden auf amerikanischem Boden zu machen. Doch sein Unternehmen war mittlerweile so groß geworden, dass er neben Ramsay Crooks und Robert Stuart weitere Partner suchte, an die er Verantwortung abgeben konnte. Seine erste Wahl fiel auf seinen langjährigen Freund Albert Gallatin, der nun nicht mehr das Amt des Finanzministers innehatte. Astor offerierte ihm die lukrative Stelle als Geschäftspartner der American Fur Company. Doch Gallatin lehnte zu Astors Enttäuschung ab und ging als amerikanischer Botschafter nach Paris. Astor überlegte weiter, wer ihn tatkräftig bei der Leitung der Pelzhandelsgesellschaft unterstützen könnte und wem er bedingungslos vertrauen konnte. Eigentlich hatte er mit diesem Schritt noch einige Jahre warten wollen, aber vielleicht war nun doch der richtige Zeitpunkt für seinen Sohn gekommen? Er zögerte nicht lange und machte William Backhouse Astor zu seinem Partner und Stellvertreter. Vater und Sohn Astor sollten fortan gemeinsam mit den langjährigen Geschäftspartnern Ramsay Crooks und Robert Stuart die Geschäfte der American Fur Company leiten. Crooks bestimmte vorrangig die Geschäftspolitik im Westen und den Handel mit den Indianern. William leitete fortan in ständiger Rücksprache mit seinem Vater die weiteren Geschäfte und den Außenhandel. William Backhouse Astor war von 1808 bis 1815 in Deutschland gewesen, wo er an der Universität Göttingen vom 25. August 1810 an Sozialwissenschaften studiert hatte. Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Europa heiratete der damals 24 Jahre alte William die 18jährige Amerikanerin Margaret Rebecca Armstrong. Ihr Vater, General John Armstrong, gehörte als Kriegsminister während des Krieges von 1812 zum inneren politischen Zirkel Präsident Madisons. Von 1804 bis 1810 war er darüber hinaus als Botschafter der Vereinigten Staaten in der französischen Hauptstadt Paris. Mütterlicherseits war Williams Frau mit den großen New Yorker Familien Livingston und Beekman verwandt.
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Seit William aus Deutschland zurückgekehrt war, zeigte sich Astor von seinem Sohn sehr angetan. Aus dem kleinen Jungen war in Deutschland ein erwachsener, gebildeter Mann geworden. Er war sehr stolz und freute sich, dass seine Kinder nicht wie er in Armut aufwachsen mussten. Mit seinem Vermögen konnte er ihnen Bildung und Komfort ermöglichen. Wenn er William betrachtete, dann sah er nicht das Kind eines armen deutschen Einwanderers, er sah ein gebildetes, vornehmes Mitglied der amerikanischen Oberschicht. In einem Schreiben an Dolley Madison aus dem Jahre 1815 beschrieb er seinen Sohn der First Lady, und betonte dessen Loyalität gegenüber der amerikanischen Nation, bevor William selbst nach Washington reiste, um sich dem Präsidenten vorzustellen: „Er ist jung und kann es kaum erwarten sich in die Dienste seines Heimatlandes zu stellen. [. . .] Er kann es ebenso kaum erwarten, Ihnen und dem Präsidenten seinen Respekt zu bekunden. Daher wird er bald nach Washington aufbrechen.“ Astor wollte sicher sein, dass William einmal nicht nur sein Vermögen sondern auch seine Kontakte und Verbindungen zu den hohen politischen Kreisen erben würde. Mit William an seiner Seite stand John Jacob Astor im Jahre 1819 auf dem Höhepunkt seiner Handelsaktivitäten. Williams Einbindung brachte noch weitere Vorteile. Da er mit seinem Sohn nun auch seinen Erben an seine Seite geholt hatte, konnte er sukzessive seine Geschäfte übergeben, ohne sofort die Kontrolle über seine geschäftlichen Aktivitäten aus der Hand zu geben.
Rückkehr nach Europa Die letzten Jahre hatten John Jacob Astor viel Kraft gekostet, und er spürte allmählich, dass er älter wurde. Am 17. Juli 1818 feierte er immerhin seinen 55. Geburtstag. Nach den vielen Querelen und Kämpfen, vor allem dem Ringen um Astoria, fühlte er sich ausgebrannt und leer. Deshalb beschloss er, mit seiner Tochter Eliza und seinem Enkel, dem sieben Jahre alten John Jacob Bentzon, über den Winter eine Reise nach Phila-
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delphia und Washington zu unternehmen. John Jacob Bentzon war der älteste Enkel Astors, der Sohn seiner Tochter Magdalen und ihres Mannes Adrian Benjamin Bentzon, einem ehemaligen Gouverneur der Insel Santa Cruz. Astor genoss die Zeit fern der Geschäfte und Verpflichtungen in New York, führte lange Gespräche mit seiner Lieblingstochter und widmete sich ausführlich seinem Enkelsohn. Der Winter in Washington war kalt, und als sein Enkel sich unerlaubt mit einem anderen, älteren Kind davonschlich, um auf dem zugefrorenen Tiber Creek Schlittschuh zu laufen, passierte das Unfassbare. Das Eis brach unter den Kindern und beide ertranken. Nur einen Augenblick hatte Astor nicht auf den Kleinen aufgepasst und schon geschah das schreckliche Unglück. Durch dieses Ereignis stürzte Astor in tiefe Trauer und Schuldgefühle. All seine Erfolge und all sein Reichtum konnten den Verlust des Kindes nicht wieder gutmachen. Durch seine Unachtsamkeit war es zu diesem Unfall gekommen, an dem auch die Ehe seiner Tochter Magdalen zerr brach. 1819 ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. Über Monate hin machte Astor sich schwere Vorwürfe. Er vernachlässigte seine Handelsgeschäfte und fühlte sich gesundheitlich und psychisch schwer angeschlagen. In seiner Trauer schrieb er seinem Freund Gallatin nach Paris: „Mein Enkel war nicht einmal fünf Minuten weg, als ich ihn zu suchen begann. Aber bevor ich ihn finden konnte, war er schon ertrunken.““ Gallatin versuchte, ihn in seiner Antwort zu trösten und brachte ihn schließlich auf die Idee, nach Europa zu reisen. Vielleicht konnte er dort, weit weg von allen Pflichten und der ständigen Erinnerung an seinen Enkel, Ablenkung finden. Etwas Abstand täte ihm gut – vor allem, nachdem er 35 Jahre lang nahezu ununterbrochen, ehrgeizig und mit allem Fleiß, der ihm vorhanden war, Tag und Nacht gearbeitet hatte. Er hoffte, dass er sich in Europa erholen und wieder zu Kräften kommen würde. Aber es gab noch einen anderen Grund: Er wollte die großen Städte Europas sehen, besonders Rom mit seinem antiken Erbe. Nicht zuletzt war er durch seine Korrespondenz mit Gallatin neugierig auf Paris.
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Der Wunsch nach Europa zu reisen, war Astor nicht neu. Früher hatte er oft davon geträumt – und sobald er das Geld dafür hatte, dachte er ernsthaft über eine Reise nach. Doch 1803 verwarf er diesen Plan zunächst wieder. Er musste sich um die Entwicklung seiner Geschäfte kümmern, eine längere Abwesenheit konnte er sich nicht leisten. Nun, sechzehn Jahre später, hatte Astor in seinem Sohn einen Stellvertreter gefunden und die Organisation der American Fur Companyy auf mehrere Schultern verteilt. William übernahm in der Abwesenheit des Vaters kommissarisch die Leitung der Geschäfte. Darüber hinaus gab Astor seinen beiden Geschäftspartnern Ramsay Crooks in St. Louis and Robert Stuart in Michilimackinac, dem wichtigen Handelsposten am Übergang vom Lake Michigan zum Lake Huron, genaue Richtlinien zur Geschäftsführung. Die American Fur Companyy war gut strukturiert und die Geschäftspartner hatten klare Zuständigkeitsbereiche, die eine weitere Expansion des Pelzhandels im Bereich der Großen Seen erlaubte. Astors präzise und detaillierte Arbeitsweise zeigt sich in einem Memorandum, das er bei seiner Abreise in New York zurückließ. Er gab hierin auch genaue Anweisungen, wie William die Geschäfte weiterzuführen hatte, falls ihm in Europa etwas zustoßen sollte. Nach der Niederlage von Napoléon Bonaparte hatten sich die Fürsten Europas unter der Führung des österreichischen Außenministers Klemens Wenzel Graf von Metternich zum Wiener Kongress (1814–1815) zusammengefunden, um die Grenzen nach den Kriegen neu festzulegen und die Staaten zu definieren. Ziel war es, die politische Ordnung, die vor der Französischen Revolution herrschte, wieder herzustellen. Die Fürsten und Gesandten aus über 200 Territorien hatten sich zudem zum Ziel gesetzt, ihre Herrschaft wieder zu legitimieren und durch Solidarität unter den Adelshäusern Europas zu festigen. Die demokratischen und republikanischen Umsturzversuche sowie die Forderung nach Volkssouveränität in großen Teilen der Bevölkerung sollten einem restaurierten Europa weichen. Tatsächlich gelang es den Fürsten, für eine längere Zeit des Friedens zwischen den Staaten zu sorgen. Innerhalb der Bevölkerung allerr
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dings brodelten die niedergeschlagenen Ideen der Französischen Revolution weiter. Die Forderungen nach politischer Mitbestimmung, Abschaff fung der Monarchie und rechtlicher Gleichstellung der Einwohner waren zunächst verstummt, sollten aber bald wieder an das Licht der Öffentlichkeit treten. Am 2. Juni 1819 verließ John Jacob Astor als amerikanischer Bürger und in Begleitung seiner Tochter Eliza auf der Stephania den Hafen von New York und segelte zurück in die Alte Welt. Er ließ seine Frau, den Großteil seiner Familie und die Alltagsgeschäfte zu Hause zurück. Ende des Monats kam er im französischen Le Havre an und betrat nach 36 Jahren zum ersten Mal wieder den europäischen Boden. Von Le Havre aus reiste Astor mit der Kutsche weiter nach Paris, wo er sich einige Monate aufhielt. Nachdem im Aachener Kongress 1818 von den europäischen Großmächten der sofortige Abzug der Besatzungstruppen beschlossen worden war, erholte sich die französische Hauptstadt und blühte kulturell auf. In Paris genoss Astor in den nächsten Monaten das angenehme Leben eines wohlhabenden Mannes. In einem Schreiben an Ramsay Crooks schwärmte er von der Stimmung in Paris und seinem dortigen Lebensstil. Nach seiner Ankunft hatte Albert Gallatin ihn mit der Pariser High Society bekannt gemacht. Gallatins Sohn James schrieb in seinem Tagebuch, dass Astor sich besonders gut mit Elizabeth Patterson Bonaparte, der ersten Frau von Napoleons jüngstem Bruder Jérôme, verstand. Neben ihrer gegenseitigen Sympathie hätten es die beiden offensichtlich gerne gesehen, wenn sie eine Verlobung ihrer Kinder hätten arrangieren können. Ende August reiste Astor weiter in Richtung Rom und weilte im September einige Zeit am Genfer See, wo es ihm sehr gut gefiel. Vielleicht, dachte er, würde er hier gerne einmal leben wollen. Ab November hielt er sich in Rom auf, von wo er bald nach Neapel weiterreiste, um im März des folgenden Jahres wieder in die Ewige Stadt zurückzukehren. Von den antiken Stätten Roms war Astor sehr beeindruckt und beschloss, bis Ende Juni 1820 in der Stadt zu bleiben.
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Danach drängte es ihn weiter nach Deutschland – in die alte Heimat. Die Rückkehr dorthin war nicht sein oberstes Ziel gewesen, dennoch wollte er vor allem seinen Bruder Melchior wiedersehen. Astor überr querte mit seiner Tochter die Alpen und reiste weiter durch den Schwarzwald. Die nächste Spur findet sich erst wieder in Frankfurt am Main; von dort schrieb er am 5. September 1820 einen Brief an James Monroe. Es bleibt leider ein Geheimnis, ob Astor auf dem Weg auch Walldorf besuchte. Fürchtete sich Astor vor alten Erinnerungen oder sah er einfach keinen Grund, Walldorf zu besuchen, weil er kaum mehr jemanden kannte? Sein Vater war, wie der Eintrag im Kirchenbuch verrät, am 18. April 1816 gestorben, wie auch seine Stiefmutter Barbara bereits Jahre zuvor am 15. November 1809. Von seinen Halbgeschwistern lebte niemand mehr in Walldorf. Oder weilte er dort unerkannt als anonymer Reisender? Vielleicht traf er doch alte Schulfreunde? Schriftliche Zeugnisse hat er darüber nicht hinterlassen. Der einzige Hinweis auf einen Aufenthalt in Walldorf während dieser Reise entstammt der Lebensdarstellung, die William Oertel von Horn im Jahr 1854 über Astor schrieb. Diese Textstelle löste alle weiteren Spekulationen hierzu aus. Doch Horn hatte Astor nie persönlich getroffen und hatte auch nicht beabsichtigt, eine historische Lebensdarstellung zu schreiben. Er verfasste vielmehr ein Lehrbuch für die Jugend und benutzte Astors Leben dafür als Beispiel. Die Rückkehr des tüchtigen, zu Reichtum gekommenen Astor in die alte Heimat, die er nie vergessen hatte, passte einfach in seine Geschichte. Auch Eliza berichtet in ihren Memoiren von der Reise mit ihrem Vater. Einen Abstecher nach Walldorf erwähnt auch sie nicht, stattdessen err zählt sie, wie sie mit ihrem Vater vom Schwarzwald nach Neuwied reiste, um dort ihren Onkel Melchior, dessen Frau Verona sowie die beiden Töchter Maria Magdalena und Maria Sophia zu besuchen. Nachdem Melchior von 1777 bis 1783 in Walldorfs Nachbargemeinde Oftersheim als Metzger gearbeitet hatte, hatten ihn seine beiden Brüder George und John Jacob nach London eingeladen. Er sollte in das gemein-
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same Instrumentengeschäft einsteigen. Im April 1783 war er aufgebrochen und entlang des Rheins in Richtung London gereist. Am 18. April kam er nach Neuwied. Hier lernte er die dort ansässige Herrnhuter Kirr chengemeinde kennen. Die Herrnhuter Brüdergemeinde ist eine christliche Glaubensrichtung, die zur evangelischen Kirche gehört und weltweit verbreitet ist. Ihre pazifistische Lebensweise entstammt den Ideen des Calvinismus und des Pietismus. Eine Gemeinde wird von einem Ältestenrat geleitet und zeichnet sich durch einen engen Zusammenhalt und einer intensiven Zusammenarbeit von Laien und Geistlichen aus. Als Melchior in Neuwied Station machte, begeisterte er sich für das starke Gemeindeleben der Herrnhuter. Er blieb nicht nur eine Nacht. Zwar quälten ihn die Gedanken an seine Brüder, er hatte sich auf das Wiedersehen gefreut und war bereit, in London in den Instrumentenbau einzusteigen. Sollte er nun wirklich in Neuwied bleiben und George und John Jacob absagen? In einem Brief teilte er seinen Brüdern schließlich schweren Herzens mit, dass er nicht nach London kommen, sondern der Herrnhuter Brüdergemeinde beitreten werde. Der Ältestenrat Neuwieds stellte ihn als Gemeindekoch an, ein Beruf, den Melchior 1805 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. 1796 heiratete er Verona Weber, die aus Beinwil im Kanton Bern stammte und seit 1781 in Neuwied lebte. Mit ihr zusammen hatte er sechs Kinder, von denen vier das Kindesalter nicht überlebten. John Jacob und Melchior trafen sich nun nach über 40 Jahren zum ersten Mal wieder. Beide waren alt geworden, hatten Familien und lebten seit dem Aufbruch aus Walldorf äußerst unterschiedliche Leben. Der eine war der reichste Mann Nordamerikas, der andere lebte umsorgt von der Brüdergemeinde in Neuwied. Während die beiden jüngeren Astorbrüder sich viel zu erzählen hatten, freundete sich Eliza, die trotz ihrer Bildung nicht fließend Deutsch sprach, mit ihren Cousinen Sophia und Maria Magdalena, die ein Jahr später unerwartet sterben sollte, an. John Jacob und Eliza blieben den ganzen Oktober in Neuwied und brachen Anfang November wieder nach Paris auf. Das schicke Leben in Paris gefiel Astor
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so sehr, dass er über ein Jahr in der französischen Hauptstadt blieb. Hier traf er auf den bekannten amerikanischen Schriftsteller Washington Irr ving, der seit Jahren in Europa lebte und auf der Suche nach holländischen und deutschen Volksmärchen war, die ihm zur Inspiration dienen sollten. Im 19. Jahrhundert war Irving neben James Fenimore Cooper der auch international am meisten gelesene amerikanische Autor. Noch heute gilt Irving als Erfinder der Kurzgeschichte. Er schuf im Laufe seines Lebens viele Charaktere und Orte, die in die amerikanische Populärkultur Eingang fanden. In seinen Schriften gab er beispielsweise der Metropole New York den Spitznamen Gotham und ihren Einwohnern den der Knickerbocker. Astor erinnerte sich, dass er Irving schon 1803 in Montreal über seinen Angestellten Henry Brevoort kennen gelernt hatte. Jetzt in Paris wurden er und der Schriftsteller gute Freunde. Während beider Europareisen führte Astor einen regen Briefwechsel mit den wichtigsten amerikanischen Politikern. Allen voran stand James Monroe, der 1817 James Madison ins Amt des Präsidenten nachgefolgt war. Mit ihm war Astor schon seit mehreren Jahren bekannt. Er hatte ihm einmal für seine politische Karriere 5000 Dollar geliehen; der Präsident brauchte 15 Jahre, bis er die Summe vollständig zurückgezahlt hatte. Ein weiterer sehr einflussreicher Politiker dieser Zeit war Henry Clay. Er hatte verschiedene politische Ämter inne, war Sprecher des Repräsentantenhauses, Außenminister, Führer der neuen politischen Opposition, der Whig Party, und kandidierte – allerdings erfolglos – für das Amt des Präsidenten. Astor hegte große Sympathie für den Whigg Politiker und Freimaurer Henry Clay, den er 1814 über David Parish, einen der Investoren der Second Bank of the United States, kennen gelernt hatte. Seither stellte er ihm immer wieder Geld für seine politischen Aktivitäten zur Verfügung. Auch während John Jacobs Aufenthalten in Europa in den 1820 er Jahren stand Clay in engem Kontakt mit der Familie Astor. Im Auftrag seines Vaters unterstützte William Backhouse Astor den Politiker weiterr hin mit Zahlungen und Zuschüssen für die Politik der Whigs. Der Politiker fühlte sich Astor gegenüber offenbar sehr verbunden. In einem Brief an
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seinen Sohn Henry Clay Jr. bezeichnete er ihn als einen guten Freund, der ihm stets als Berater zur Seite stehe. In New York kursierte eine Anekdote über die Beziehung von Astor zu Clay. Im Präsidentschaftswahlkampf 1843 habe der Whigg seinen Freund Astor wieder einmal um finanzielle Unterstützung gebeten. Hierzu habe er ein Komitee zu Astor ins Büro nach New York geschickt. Auf die Bitte des Wahlkampfhelfers soll Astor geantwortet haben: „Ich bin nicht wirkk lich an Politik interessiert. Für mich macht es keinen Unterschied, wer regiert. Ich habe aufgehört, Geld zu verdienen, und ich hege auch keinerlei Absichten in diese Richtung.“ Einer von Clays Leuten soll daraufhin geantwortet haben: „Sie sind wie Alexander der Große, als er weinend feststellte, dass es keine Länder mehr zu erobern gab. Sie haben alles Geld der Welt verr dient, und jetzt gibt es nichts mehr zu verdienen.““ Astor gefiel der Vergleich mit Alexander dem Großen. Er fühlte sich sehr geschmeichelt und soll dem Komitee einen Scheck von 1500 Dollar überreicht haben. Vor der Europareise hatten Clay und Monroe Astor gebeten, ihnen Informationen über die politische Situation Europas zukommen zu lassen. Nach der Restauration durch den Wiener Kongress, dem Scheitern der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen waren sie an möglichen demokratischen Freiheitsbewegungen interessiert und fürchteten sich zugleich vor europäischen Bestrebungen, die Vereinigten Staaten wieder zu rekolonisieren. Astor gefiel sich in der Rolle des amerikanischen Beobachters in Europa. Dies machte ihn zu einem Teil der Neuen Welt, in deren Auftrag er nun die politische Situation des alten Europa betrachten konnte. Selbstbewusst bot Astor dem Präsidenten an, politische Aufgaben für die amerikanische Regierung in Europa zu überr nehmen. „Wenn ich von Nutzen sein sollte, wäre ich mehr als glücklich, helfen zu können,““ schrieb er Monroe. Doch der Präsident beließ es dabei, Astor als Beobachter einzusetzen. In einem Schreiben vom 5. April 1820 führte Astor dem Präsidenten die Bedeutung der Vereinigten Staaten für europäische Intellektuelle vor. Stolz schrieb er an Monroe: „Alle Menschen mit Verstand und genügend Information haben Hoffnung und schauen auf
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unser geliebtes Land als einen Ort der Sicherheit.“ Im Untergrund brodelte es bereits wieder in Europa, und Astor spürte das. Daher schilderte er dem Präsidenten ebenfalls, dass Europa kurz vor entscheidenden Umbrüchen hin zur Demokratie stand: „Die Monarchen, die die Macht haben, zittern schon […] Eine weit reichende Revolution könnte bereits in naher Zukunft passieren.““ Astors Äußerungen über die angespannte, politische Situation in Europa waren sicherlich keine wertfreien Feststellungen eines neutralen Beobachters. Astor befürchtete, dass kriegerische Auseinandersetzungen wirtschaftliche Folgen für Europa und den transatlantischen Handel haben würden. Zudem könnten revolutionäre Unruhen die europäischen Reiche in einen verheerenden Krieg ziehen, in dem sie sich alle gegenseitig bekämpften. Astor goss mit seinen Berichten Öl ins Feuer von James Monroes Bestrebungen einer isolationistischen Außenpolitik der USA. Zwei Jahre später, am 2. Dezember 1823 erklärte der fünfte Präsident seine Doktrin aus Sorge vor einer möglichen Rekolonisation der westlichen Hemisphäre. Die USA würden jede Intervention europäischer Mächte als unfreundlichen Akt auffassen. Gleichzeitig beinhaltete die „Monroe-Doktrin“, dass sich die USA aus allen europäischen Konflikten heraushalten würden. Henry Clay, der besonders wegen der Freiheitsbewegungen in Lateinamerika an der politischen Situation in Spanien interessiert war, schrieb Astor aus Florenz: „Ich nehme an, dass die Neuigkeiten aus Spanien unser Verhältnis mit diesem Land nicht zum Schlechten verändern werden.““ Im gleichen Schreiben äußerte er sich wie bereits in seinen Berichten an Monroe wieder über die revolutionären Tendenzen: „In Europa wird die Revolution bewundert und verehrt… Ich denke, in weniger als zwölf Monaten wird der Geist der Freiheit sich wieder über dem Kontinent zeigen.“ Auch als Präsident der American Fur Companyy pflegte Astor eine rege Korrespondenz über den Atlantik. Seine Briefe zeigen, dass Astor trotz seiner Abwesenheit und der Übertragung der Tagesgeschäfte auf William die Aufsicht über die Geschäfte nicht ganz aus der Hand geben konnte. Formell hatte er den Geschäftspartnern seinen Sohn als seinen Stellverr
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treter in New York vorgestellt. Dennoch hatte er sich vorbehalten, die wichtigen Entscheidungen der American Fur Companyy selbst zu treffen. Zwar fühlte er sich noch immer kraftlos, dennoch wollte er auf keinen Fall die Kontrolle über die Geschäfte verlieren. Daher bestellte er im Frühling 1821 Ramsay Crooks zu sich nach Paris, um mit ihm die weiteren Schritte der American Fur Companyy zu besprechen. Gemeinsam erneuerten sie am 27. März 1821 ihre vertraglichen Abmachungen und die damit verbundene Zusammenarbeit um weitere fünf Jahre. Im April 1822 kehrten John Jacob und Eliza Astor wieder in die Vereinigten Staaten zurück. Die Gründe für die Rückkehr nach New York waren rein geschäftlicher Natur, um die Expansion der American Fur Companyy in den westlichen Gebieten der USA koordinieren zu können. Astor blieb nur knapp ein Jahr in den Vereinigten Staaten. Die Geschäftstätigkeiten zehrten schnell wieder an seinen Kräften, wie er in einem Brief vom 18. Oktober 1822 an seinen Freund Albert Gallatin schrieb: „Ich kann hier meine Zeit nicht anders verbringen, als permanent in meine Geschäftsaktivitäten verstrickt zu sein. Das wird zunehmend zu einem Problem für mich und verursacht eine Anspannung, die ich gerne vermeiden würde. […] In Europa kann ich abschalten und mich erholen.““ Da Astor mit seinen Partnern wie auch mit William sehr zufrieden war, leistete er sich den Luxus eines zweiten Aufenthaltes in Europa und kehrte am 1. Juni 1823 zusammen mit seiner Tochter Eliza wieder nach Europa zurück. Auf hoher See feierte Astor seinen 60. Geburtstag. Nachdem Vater und Tochter Astor sicher in Le Havre angekommen waren, reisten sie nach Antwerpen und danach direkt an den Genfer See. Während ihrer ersten Reise hatten die beiden bereits Genf besucht und waren überwältigt von der Schönheit des Bergsees. In dieser Zeit hatten sie Marc Turrettini kennen gelernt, der einer alten Genfer Patrizierfamilie entstammte, und sich mit ihm angefreundet. Als John Jacob im Januar 1824 zurückkehrte, half Turrettini ihm dabei, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und eine Villa zu kaufen. Für 50 000 Dollar erwarb Astor das Anwesen Saugy in Genthod von der russischen Gräfin Catherine de Bruce.
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Diese Villa war für die nächsten zwei Jahre nicht nur das inoffizielle Hauptquartier der American Fur Company, sondern ebenfalls Astors erholsamer Altersruhesitz – weit entfernt von seinem Haus am lebhaften Broadway. Nun korrespondierte er von Genf aus mit seinen Geschäftspartnern in New York, Michilimackinac und St. Louis. Ursprünglich hatte Astor geplant, nur bis Herbst 1825 in Europa zu bleiben und dann wieder in die USA zurückzukehren. Doch am 20. August 1825 schrieb er Ramsay Crooks, dass er in Genf bleiben werde, denn es gab etwas zu feiern. Eliza hatte während eines Aufenthalts in Paris den Abgesandten der Hanse, Vincent Rumpff, kennen gelernt. Astors Tochter und der gebürtige Schweizer Rumpff verliebten sich ineinander und beschlossen, nachdem sie John Jacobs Segen erhalten hatten, zu heiraten. In Vincent Rumpff fand Astor den perfekten Gentleman für seine geliebte Tochter. Am 25. Oktober 1825 heiratete das Paar in Anwesenheit John Jacob Astors in Paris. Zur Hochzeit schenkte Astor seiner Lieblingstochter die Villa am Genfer See, in der sie in den nächsten Jahren zusammen mit ihrem Gatten in den Sommermonaten residierte. Den Winter und den Frühling verbrachten die beiden jedes Jahr in Paris, wo Vincent Rumpff seinen geschäftlichen Pflichten nachging. Während Eliza in Europa blieb und New York endgültig den Rücken kehrte, war es nach beinahe sieben Jahren nun Zeit für Astor, nach New York zurückzukehren. Er überquerte auf der Danube den Atlantik und erreichte am 9. April 1826 den Hafen von New York. Damit endete Astors Abwesenheit von seiner Familie, von New York und von den Vereinigten Staaten.
Expansion in den Wilden Westen Das Gesicht des amerikanischen Westens begann sich deutlich zu ändern. Es war die Hochphase des Pelzhandels. Schreckten in den 1780er Jahren amerikanische Händler vor diesem Geschäft noch zurück, so stürzten sie
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sich nun alle auf dieses Feld. Die Trapper und Agenten der großen Pelzhandelsgesellschaften und die unabhängigen Pelzhändler durchquerten die Prärien und die Rocky Mountains auf der Suche nach indianischen Tauschpartnern. Die Mehrheit der indianischen Stämme war es gewohnt, mit den Weißen Pelze zu tauschen. Jetzt aber entbrannte ein Konkurrenzkampf um den Pelzhandel. Unter den Trappern gab es Amerikaner, AfroAmerikaner, Hawaiianer, Europäer verschiedener Herkunft und auch Indianer nicht dort ansässiger Stämme. In Oregon beispielsweise waren ein Drittel der Trapper Irokesen und Delawaren aus dem Osten. Sie alle lebten an der amerikanischen Siedlungsgrenze, teils in der Wildnis, teils in den Forts und Außenposten, und waren die Vorboten der Westexpansion. In Astors Abwesenheit veränderte sich das Verhältnis der American Fur Companyy zu den Indianern im amerikanischen Westen drastisch. Waren bis dahin nur Tauschgeschäfte mit Perlen, Stoffen und holzgeschnitzten Spielzeugen gemacht worden, so handelten die Agenten nun mit Alkohol. Viele Indianer waren dieser Droge verfallen und konnten sich ihrer Sucht nicht erwehren. Innerhalb kurzer Zeit schwand das Ansehen von Astors Kaufleuten und Unterhändlern und wandelte sich in Verachtung gegenüber der Pelzhandelsgesellschaft. Zeitgenossen beschimpften die American Fur Companyy als „die größten Schurken der bekannten Welt“. Der Aufschrei kam allerdings nicht von indianerfreundlichen Politikern in Washington, sondern von der ebenfalls nicht unschuldigen Konkurrenz, die mit allen Mitteln versuchte, gegen die American Fur Company vorzugehen. Sowohl die britisch-kanadischen Rivalen in den Grenzregionen wie auch kleine, unabhängige amerikanische Pelzhändler waren in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten, die American Fur Company hatte den Markt vollständig unter Kontrolle. Daher hatten die unabhängigen Pelzhändler schon lange vorher damit angefangen, Alkohol als Tauschmittel einzusetzen. Sie pantschten Whisky, Maisschnaps oder Rum, streckten den Alkohol mit Wasser und süßten ihn mit Zucker, um ihn schmackhaft zu machen. Die ohnehin angeschlagenen indianischen Stämme waren nun einer neuen Bedrohung ausgesetzt. Ihnen waren Al-
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kohol und seine Wirkung völlig unbekannt. Sie hatten keinerlei Erfahrung, mit dem Rauschmittel umzugehen, und zeigten schnell eindeutige Symptome der Sucht. Dies nutzten die Pelzhändler aus, brachten Nachschub oder brannten neuen Schnaps direkt in den Indianergebieten. So konnten sie ganze Stämme von sich abhängig machen und größere Gewinne als zuvor erzielen. Die American Fur Companyy geriet ins Hinterrtreffen. John Jacob Astor hatte im Jahre 1810 während des Aufbaus von Astoria seinen Agenten ausdrücklich verboten, Alkohol als Tauschmittel mit den Indianern einzusetzen. Noch 1819 hatte Crooks sich in Abwesenheit Astors an den einflussreichen Politiker und damaligen Kriegsminister John C. Calhoun gewandt und ihn gebeten, ein Gesetz zum Verbot von Alkohol in den Indianerterritorien der Mississippi-Region wie auch in der Umgebung der Großen Seen, wo die American Fur Companyy mit der Hudson’s Bay Companyy konkurrierte, zu erlassen. Natürlich wollte Crooks damit in errster Linie der American Fur Company ihre Vormachtstellung sichern. In den nächsten zwei Jahren verlor Astors Pelzhandelsgesellschaft jedoch immer weiter an Boden. Da sich innerhalb dieser Zeit auch in Washington nichts bewegte, änderten sich im Jahr 1821 die Geschäftspraktiken der American Fur Companyy unter dem Druck der Konkurrenz schlagartig. Nun setzte auch sie Alkohol in den Indianergebieten ein. In einem Schreiben an den Kongressabgeordneten William H. Ashley legte Astor seine Gründe für den plötzlichen Umschwung seiner Geschäftspraktiken dar und machte die Hudson’s Bay Companyy für den Griff zu diesem Mittel verantwortlich: „Wenn die Hudson’s Bay Company nicht hochprozentigen Alkohol gegen uns eingesetzt hätte, würden wir es auch nicht tun […] Sollten die britischen Händler dieses Verführungsmittel alleine in der Hand haben, werden sie ohne Frage alle Indianer unter ihren Einfluss bekommen und sie gegen uns aufhetzen.“ John Jacob Astor sah also sich gezwungen, Alkohol als Tauschmittel einzusetzen, um konkurrenzfähig zu bleiben und den Status quo der Mächteverteilung im Pelzhandel aufrechtzuerhalten. Er befürchtete,
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dass sich seine indianischen Handelspartner von ihm abwenden würden, wenn er nicht ihren Forderungen nachkommen würde. Thomas L. McKenney, der Superintendant des Indian Bureau, brachte die Verhältnisse in einem Schreiben vom 14. Februar 1826 an den Secretary of War, James Barbour, auf den Punkt: „Die Händler mit Whisky, das muss betont werden, erhalten mehr Pelze.“ Nachdem sich die Geschäftspraktik der unabhängigen Pelzhändler an der Siedlungsgrenze etabliert hatte, zogen auch die größeren Handelsgesellschaften nach. Der Vorteil, den sich die kleinen Händler durch den Tausch von Alkohol verschafft hatten, wurde damit ausgeglichen. Ihr Zorn richtete sich nun gegen die American Fur Company, die diese ‚innovative‘ Geschäftsidee der unabhängigen Pelzhändler nun zu ihrer eigenen Geschäftspraktik machte. Die Regierung in Washington beobachtete diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Sie fürchtete sich vor Unruhen, Indianeraufständen und Stammesstreitigkeiten, die durch den vehementen Missbrauch von Alkohol unter den indianischen Stämmen hervorgerufen werden konnten und die innere Stabilität der Vereinigten Staaten empfindlich stören würr den. Die gesetzlichen Maßnahmen Washingtons, den Alkoholhandel mit den Indianern zu unterbinden, blieben aber zum größten Teil ohne Err folg. Zu uneins und unentschlossen war der Kongress, wie die Versuche, den Alkoholhandel zu verbieten, zeigten. Bereits im Jahr 1802 war es zur Verabschiedung eines Gesetzes gekommen, das den Tausch von Alkohol mit den Indianern nicht explizit verbot, sondern dem Präsidenten lediglich die Vollmacht erteilte, ein solches Verbot auszusprechen, wenn er es für notwendig hielte. Es passierte allerdings nichts, weder Jefferson noch seine Nachfolger Madison und Monroe machten von diesem Gesetz Gebrauch. Allerdings wurde sich die Regierung nach den Indianerunruhen im Vorfeld des Krieges von 1812 auch bewusst, dass sie sich um die Belange und das Wohl der Indianer kümmern musste. Per Gesetz verbot sie daher 1815, in den Indianergebieten Destillerien zu errichten. Doch dieser halbherzige Versuch verhinderte nicht, dass ab 1819 die Verbreitung von Alkohol unter den Indianern von Landspekulanten wie von Händlern
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immer weiter vorangetrieben wurde. Im Jahr 1822 wurde das nächste Gesetz erlassen, durch das es künftig Händlern verboten war, Alkohol in die indianischen Gebiete zu transportieren. Grundsätzlich aber lagen die Schwierigkeiten bezüglich eines generellen Verbotes darin, dass juristisch nicht in die Angelegenheiten auf einem ‚Indianergebiet‘ eingegriffen werr den konnte und nicht klar war, welche Absicht jeweils hinter dem Transport von Alkohol lag. Astor setzte sich mit dieser neuen Geschäftspraktik der American Fur Company über das Gesetz der Vereinigten Staaten hinweg und folgte den Gesetzen des Marktes. Da die amerikanische Regierung weder in der Lage war, eine Einigung zwischen den beiden großen Pelzhandelsgesellschaften zu erzielen, noch das Verbot, Alkohol in die Indianergebiete zu bringen, praktisch umsetzen konnte, sah sich Astor im Recht. In seinem Schreiben an Ashley rechtfertigte er seine Politik gegenüber der Regierung: „Wo immer der Handel allein in unseren Händen ist, wird die Umsetzung eines solchen Gesetzes zweifellos für uns wie für die Indianer von Vorr teil sein. Aber in den Fällen, wo wir mit der Hudson’s Bay Company zu tun haben, müssen wir den Handel entweder aufgeben oder vollständig verr bieten.“ Durch die Alkoholgeschäfte kam die American Fur Companyy sehr bald in ernsthafte Schwierigkeiten. Der Indian Agent Major John Tipton erwischte William H. Wallace, einen Angestellten der American Fur Company, beim Verkauf von Alkohol an Indianer. Er ging daraufhin gezielt gegen die Handelsgesellschaft vor und entwickelte den Ehrgeiz, den Alkoholhandel der American Fur Companyy lahmzulegen. Im September beschlagnahmte Tipton mehrere Handelswaren der Pelzhandelsgesellschaft im Namen der Regierung. Die Versuche William Backhouse Astors, die Waren zurückzubekommen, schlugen fehl. Tipton ließ nicht locker und beschlagnahmte abermals Waren, worauf sich William Astor am 13. November 1824 erbost an John C. Calhoun, der sich in den letzten Wochen seiner Amtszeit befand, wandte und Tipton beschuldigte, ein größeres Interesse an einer Zerstörung der American Fur
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Companyy als an der Ausübung seiner Beamtenpflicht zu haben. Doch Tipton bekam Recht, und der beschlagnahmte Alkohol wurde vernichtet. Astors Partner sahen sich dem harten Wind aus Washington, der ihnen plötzlich entgegenschlug, nahezu ohnmächtig ausgesetzt. Sie unterr nahmen keinen ernsthaften Schritt, um sich zur Wehr zu setzen. Erst als John Jacob Astor 1826 aus Europa zurückkehrte, formierte sich der Widerstand der American Fur Companyy gegen die Vorgehensweise der Regierungsbeauftragten. Für Astor gab es hierfür nur einen Ausweg. Ein weiteres Mal bemühte er Albert Gallatin, um die Vorwürfe gegen sein Handelsunternehmen zu entkräften. Gallatin wandte sich sogleich an James Barbour, den Nachfolger Calhouns. In seinem Schreiben betonte er, dass Astor ein enger und langjähriger Freund sei, der sich stets selbstlos und aus patriotischen Gründen für die Anliegen der Nation eingesetzt habe. Gallatin bemühte hier auch das Beispiel des Außenpostens Astoria, den Astor auf eigenes Risiko und zur Stabilität der Wirtschaft der Vereinigten Staaten hatte errichten lassen. Der Verlust Astorias bedeutete für die USA, einen geringeren Einfluss im Oregon Gebiet zu haben, für den Pelzhändler Astor, so Gallatin, bedeutete es einen finanziellen Schaden von 100 000 Dollar, den Astor aus rein patriotischen Gründen erlitten hatte. Die Schuld, Alkohol bei den Indianer eingetauscht zu haben, liege in diesem Fall nicht bei der Leitung der American Fur Company, sondern bei einigen kleinen, ehrgeizigen Angestellten, die die Ausnahme bildeten. Sie gelte es aufzufinden und zu stoppen. Gallatin beendete seinen Brief mit der Bitte an die gesamte Regierung: „Diese Gesellschaft sollte eher von der Regierung unterstützt als behindert werden. Ich denke zudem, dass sie es zumindest verdient hätte, dass man ihr wohlwollend entgegen käme.“ Der neuen Regierung in Washington unter dem gerade gewählten Präsidenten Andrew Jackson kam die unstabile Situation aber gerade recht, da Jackson die Umsiedlung vieler Indianerstämme plante. Dennoch startete William Backhouse Astor einen Versuch, um die Last des
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Alkoholverkaufs von der American Fur Companyy zu nehmen, und ergriff die Initiative. In der Abwesenheit seines Vaters, der sich wieder nach Europa begeben hatte, unternahm er am 15. Dezember 1829 einen Versuch, den Gebrauch von Alkohol als Tauschmittel gegenüber den Indianern ganz verbieten zu lassen. Wenn die Regierung sich nicht dazu aufraffen konnte, vielleicht würde es ihm gelingen, mit den britisch-kanadischen Rivalen ein Abkommen auszuhandeln, an das sich alle halten sollten. William schrieb James Keith von der Hudson’s Bay Company, und schlug ihm seinen Plan vor. In seinem Schreiben forderte der junge Astor, „. . .dass in der Zukunft weder direkt noch indirekt Spirituosen zu den Indianern in dieser Region und ihrer Umgebung geliefert noch verabreicht werr den sollten – vorausgesetzt, dass die Hudson’s Bay Company sich selbst auch dieser Regelung verpflichten wird.“ Er appellierte an die Menschlichkeit der Verantwortlichen der rivalisierenden Pelzhandelsgesellschaft, beschwor seine eigenen, guten Absichten und gab mit diesem Anschreiben allerdings auch zu, dass die American Fur Companyy direkt wie indirekt an Alkoholgeschäften mit der indianischen Bevölkerung beteiligt war. Doch sein Versuch war vergebens. Die Hudson’s Bay Company sah keinerlei Veranlassung auf Williams Vorschlag einzugehen und lehnte ein Abkommen ab. Dem jungen Astor blieb keine andere Wahl. Er musste weiter mit Alkohol handeln, wollte er die Handelsgesellschaft seines Vaters nicht in den Bankrott führen. Doch Alkoholtauschgeschäfte waren nicht die einzige Möglichkeit, im Wettbewerb zu bestehen. Die Hudson’s Bay Companyy hatte es Astor vorrgemacht und inkorporierte 1821 die North West Company. Daraus entwickelte sich ein starker Rivale im Norden von Astors Einflusssphäre. Zudem hatten sich durch den Erfolg der American Fur Companyy in den letzten Jahren unabhängige, amerikanische Pelzhändler dazu berufen gefühlt, ihrerseits eigene Pelzhandelsgesellschaften zu gründen. Die Konkurrenzsituation verschärfte sich also. Um die American Fur Company zu stärken und seinen alten Traum von der Monopolstellung im amerikanischen Pelzhandel schließlich doch noch zu verwirklichen, be-
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gann John Jacob Astor, nach neuen Allianzen zu suchen. Er wollte hierr bei nicht das Risiko eingehen, neue Händler anzustellen und neue Handelsposten zu etablieren. Astor suchte nach Kooperationen mit kleinen, bereits existierenden Unternehmen, die er in die American Fur Company einzubinden gedachte. Im Auftrag Astors trat Ramsay Crooks sowohl an die Missouri Fur Companyy als auch an Berthold and Chouteau, zwei kleine Pelzunternehmen, heran. In beiden Fällen konnten sich die Verhandlungspartner aber nicht einigen. Nach diesem Misserfolg änderte Astor seine Suche nach weiteren Partnern. Ins Blickfeld seines Interesses war die wesentlich größere Pelzhandelsgesellschaft Stone, Bostwick and Companyy gerückt, von der auch die beiden oben erwähnten kleineren Unternehmen abhängig waren. Während seines kurzzeitigen Aufenthalts zwischen den ersten beiden Europareisen verhandelte Astor mit den Verantwortlichen von Stone, Bostwick and Companyy in New York und konnte schnell eine Einigung zu einer dreieinhalb Jahre andauernden Fusion beider Gesellschaften ab dem 1. April 1823 erzielen. Die Fusion beider Geschäftsparteien sah vor, dass alle Geschäfte im Namen der American Fur Companyy geführt werden sollten, Stone und Bostwick behielten ihre Einflussgebiete am Missouri River, in die sich weder Astor noch Crooks oder Stuart einmischen würden. Astor hatte somit sein erstes Ziel erreicht, er musste weder den Konkurrenzkampf am Missouri aufnehmen, noch neue Pelzhändler anstellen, geschweige denn neue Handelsposten errichten. Der ehemalige Konkurrent war nun für einige Zeit fest mit seinem Unternehmen verwoben. Zwei weitere Pelzhandelskompanien schafften es in den folgenden Jahren, sich als Konkurrenten auf dem Markt zu etablieren: die Rocky Mountain Fur Companyy und die Columbia Fur Company. Astor griff daher zu einem genauso simplen wie effektiven Mittel: Am 6. Juli 1827 kaufte John Jacob Astor die Columbia Fur Companyy auf und bezahlte deren Direktor Joseph Renville sowie seine Geschäftspartner aus. Er schaltete somit den Wettbewerb mit einer weiteren amerikanischen Pelzhandelsgesellschaft im Gebiet der Großen Seen wie auch am Oberlauf des Missis-
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sippi aus. Damit war die American Fur Companyy in den besagten Gebieten ohne ernstzunehmende Konkurrenz; und Astor erreichte das Ziel, in den betreffenden Gebieten eine Monopolstellung zu besetzen. Mit dieser Transaktion erhielt Astors Handelsgesellschaft sieben weitere Handelsniederlassungen sowie unzählige assoziierte Trapper, Buchhalter und Agenten, die nun in den Diensten der American Fur Companyy standen. Um auch äußerlich zu verdeutlichen, dass die Columbia Fur Company nicht länger existierte, benannte Astor sie in The Upper Missouri Outfit of the American Fur Companyy um.
Rückzug Im Jahr 1827 zeichneten sich wieder ernste Ermüdungserscheinungen bei dem nunmehr 64 Jahre alten Astor ab. Noch nicht lange aus Europa zurück, beschloss er, sich aus einigen Geschäftsbereichen zurückzuziehen. Zuerst stellte er den Handel mit China ein. Die Statistiken zeigten ab den 1820er Jahren in China eine stetig nachlassende Nachfrage nach Pelzen. Seine Handelsgeschäfte waren für ihn in den letzten Jahren lukrativ gewesen, doch nun verringerte sich die Gewinnspanne ständig. Als die Nachfrage nach Pelzen schwand, lohnten sich auch der Import von Seide und Gewürzen nicht mehr. Beide Wegstrecken für nur eine Ladung zu befahren bedeutete für den gleichen Aufwand einen wesentlich geringeren Gewinn. Hinzu kam die verstärkte Konkurrenz, die den Import von chinesischen Gütern übernahm. Zehn Jahre zuvor war Astor noch einer von wenigen Kaufleuten gewesen, die sich im China- wie im Transatlantikhandel betätigten, nun brachte die Konjunktur neue amerikanische Händler hervor, die in seinen Markt drängten. Astor analysierte die Situation richtig. Es war Zeit für den Rückzug, bevor sein Überseehandel nur noch geringe Profite erzielen konnte oder gar Verluste einfuhr. Im Jahr 1824 hatte er noch vier Schiffe nach Canton geschickt, ein Jahr darauf
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war es nur noch eines. Im Jahr 1826 schließlich schickte er die letzten zwei. 1827 verkaufte er alle Schiffe. In dieser Zeit entstanden in Neuengland und Pennsylvania die ersten Eisenbahnen. Auch in New York beschäftigten sich private Initiatoren mit dem Gedanken, eine kommerzielle Eisenbahn durch den Staat zu verlegen. Astor hatte sich aufgrund seiner Immobilien bislang stets für den Ausbau und die Modernisierung der Stadt New York interessiert. Kurz nach seiner Rückkehr aus Europa wurde Astor durch eine Zeitungsannonce von G. W. Featherstonehaugh auf den Eisenbahnbau der Mohawk & Hudson Railroad Company, die sich am 17. April 1826 gegründet hatte, aufmerksam. Featherstonehaugh versuchte mit dieser Anzeige finanzstarke Partner für seine Eisenbahngesellschaft zu gewinnen. Er plante zunächst eine Linie von Schenectady und Albany entlang des Hudson nach New York City. Auf dieser Strecke sollten einmal Personen- wie Güterwagen verkehren. Als Astor die Anzeige in die Hände fiel, war er von dem Projekt und den damit verbundenen Möglichkeiten sofort begeistert. Der verkehrstechnische Ausbau der Stadt würde viele Vorteile mit sich bringen, das Reisen in die Hauptstadt Albany vereinfachen und nicht zuletzt auch den Wert seiner Grundstücke in die Höhe treiben. Kurz entschlossen trat Astor mit dem Initiator in Kontakt und erwarb 500 von 3000 Aktien der Mohawk & Hudson Railroad Company. Er wurde somit zum zweitgrößten Teilhaber der Gesellschaft. Astors Beispiel waren noch weitere New Yorker gefolgt. Neben ihm und Featherstonehaugh hatten sich im Direktorium der Mohawk & Hudson Railroad Company einige einflussreiche New Yorker Kaufleute zusammengefunden, die alle ihren Vorteil darin sahen, den Staat eisenbahntechnisch zu erschließen. Für Astor err gab sich daraus nicht nur eine neue Aufgabe, er erhielt auch ein neues Amt: Am 29. Mai 1828 wurde er zu einem der neun Direktoren der Mohawk & Hudson Railroad Companyy gewählt. Von 1828 bis 1831 wurde Astor alljährlich in diesem Amt bestätigt. In dieser Zeit, als er die Geschäfte der Mohawk & Hudson Railroad Company führte, plante er den Bau der Eisenbahn für den Staat New York mit
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großem Engagement. Hierzu berief John Jacob Astor insgesamt 51 Treff fen des Direktoriums ein, die er meistens der Einfachheit halber in seinem Haus am Broadway abhielt. Astor beobachtete die Versuche der anderen Eisenbahngesellschaften, die im Nordosten der USA ihre ersten Strecken verlegten, und überwachte die Fortschritte der eigenen. Um sein neues Vorhaben auch finanziell abzusichern und schneller voranzutreiben, unterstützte er die Eisenbahngesellschaft jährlich mit 35 000 Dollar. Nach fünf Jahren Bauzeit war es dann am 24. September 1831 endlich soweit: Die Eisenbahn wurde feierlich eröffnet. Bei der Eröffnung dachte Astor an die Zeit zurück, als er zu Fuß in den unberührten Wäldern unterwegs gewesen war. Nun, ein halbes Jahrhundert später, war er einer der Initiatoren geworden, die auf diesen alten Pfaden Schienen verlegten. Doch sein Engagement war nur von kurzer Dauer. Zwar hatte er Einiges zum Erfolg des Projekts beigetragen, dennoch hatte er kein Interesse, die Eisenbahn, jetzt da sie existierte, zu leiten. Ihm war es vorrangig um den Wert seiner Grundstücke gegangen. So gab Astor, nachdem die Eisenbahngesellschaft ihren Betrieb aufgenommen hatte, seinen Posten als Direktor 1832 ab. Auch sein Alter mag ein Grund für den Rückzug gewesen sein. Mit nunmehr 69 Jahren verfügte er nicht mehr über die Kräfte früherer Jahre. Dennoch entschloss er sich, ein letztes Mal nach Europa zu reisen. Vor allem der Wunsch, seine beiden Töchter, Eliza und Dorothea, die mittlerweile zusammen mit ihrem Mann Walter Langdon und den acht Kindern in Europa lebte, wieder zu sehen, veranlassten John Jacob dazu. Zudem wollte er einen französischen Arzt konsultieren, den er auf seinen ersten Reisen kennen gelernt hatte. Astor brach daher am 20. Juni 1832 auf einem Segelschiff nach Le Havre auf, wo er nach einer Überfahrt von 19 Tagen wohlbehalten ankam. Verglichen mit seiner ersten Überquerung im harten Winter 1783/84 ging diese Reise sehr schnell. Die Schiffstechnik und der Komfort an Bord hatten sich in den letzten 50 Jahren deutlich verbessert, dennoch strengte die Reise Astor sehr an. Von Le Havre ging es mit der Kutsche weiter nach Paris, wo Astor den Rest des Jahres unter der Aufsicht und Pflege seines
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Arztes verbrachte und sich von den Strapazen der Überfahrt erholte. Schließlich machte er sich im Frühjahr des Jahres 1833 in einer Kutsche auf den Weg an den Genfer See zu Eliza und ihrem Mann. Astor freute sich auf die vertraute Umgebung am Genfer See und die Zeit mit seiner Tochter. Dort angekommen erhielt er die Nachricht vom Tode seines Bruders Henry, der Anfang April 1833 verstorben war. Henry Astor und seine Frau hatten keine Kinder, aber auch er hatte, wie seine Brüder, den sozialen Aufstieg geschafft. Allerdings stand er in New York City stets im Schatten des Erfolges seines Bruders John Jacob. Für das Ansehen und die Wertschätzung Henry Astors in der New Yorker Gesellschaft sprechen Angaben im Tagebuch von Philip Hone, einem ehemaligen Bürgermeister New Yorks und langjährigem Freund John Jacobs. Hone beschrieb in seinen Aufzeichnungen am Abend der Beerdigung am 25. April 1833 Henry Astor als einen feinen, alten und angesehenen Gentleman. Dieser hatte es mit seinem Metzgereibetrieb und später mit Bankgeschäften und Immobilienspekulationen geschafft, ein Vermögen von etwa 800 000 Dollar zu erwirtschaften. Henry vermachte sein gesamtes Vermögen einem einzigen Erben, seinem Neffen William Backhouse Astor, dem Sohn seines jüngeren Bruders. Eigentlich hatte Astor geplant, bereits Ende Oktober 1833 wieder nach New York zurückzukehren. Da er sich aber wieder gesundheitlich angeschlagen fühlte, entschied er sich auf Anraten seiner Ärzte, zunächst in Genf zu bleiben. Hier wollte er sich ausruhen, um sich auf die Strapazen der Seereise vorzubereiten. So verließ Astor erst im Frühjahr des Jahres 1834 Europa und überquerte ein letztes Mal den Atlantischen Ozean. Am 4. April 1834 kehrte er auf dem Schiff Utica von Le Havre nach New York zurück. Noch im Jahr seiner Rückkehr aus Europa trat Astor nun auch vom Vorsitz der American Fur Companyy zurück. Den Entschluss, sich von seinen geschäftlichen Aufgaben zurückzuziehen, hatte Astor auf seiner letzten Europareise gefasst und in einem Brief seinem Sohn William mitgeteilt. Gleichermaßen bat er ihn, alle Geschäftspartner davon in Kenntnis
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zu setzen und alles Notwendige für diesen Schritt nach seiner Rückkehr im Jahr 1834 vorzubereiten. Astor handelte hierbei ähnlich weitsichtig wie bei der Einstellung seines Überseehandels. Mit der kontinentalen Expansion nach Westen hatten sich die Rahmenbedingungen des Pelzhandels deutlich geändert. Die Verkehrswege waren besser ausgebaut und hatten mehrere Konkurrenten innerhalb der USA stark gemacht. Zudem hatte die Nachfrage nach Biberfellmützen und Pelzmänteln nachgelassen. Die Reichen in New York und Boston trugen mit Beginn der 1830 er Jahre mehr Seide und weniger Pelze. Das ehemals so lukrative Geschäftsfeld verlor im Laufe des 19. Jahrhunderts an Bedeutung. Zudem verr schärfte die amerikanische Regierung ihre Haltung gegenüber den Indianern. Der neue Präsident Andrew Jackson erhielt in dem 1830 vom USSenat beschlossenen Indian Removal Actt die Erlaubnis, mit den Indianerrstämmen östlich des Mississippi Verhandlungen zu beginnen. Die Indianer sollten auf ihr Land verzichten und in ein Reservat im Westen umgesiedelt werden. Die meisten Stämme beugten sich dem Druck der Regierung und unterzeichneten die Verträge zur Deportation.
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Astors Aufstieg war parallel zu den Anfängen der neuen New Yorker Bourgeoisie verlaufen. Ein deutlich sichtbares Zeichen dieser Geldelite war das Aufkommen der ersten Millionäre, für die die Stadt noch heute bekannt ist. Für viele Einwohner der unteren sozialen Schicht war der sagenhafte Reichtum des Geldadels unvorstellbar. Sie lebten in der gleichen Stadt und dennoch in einer anderen Welt. In den letzten Jahren hatte sich New York verändert. Geld regierte die Stadt. Das halbe Vermögen der Stadt lag in den Händen von vier Prozent der Bevölkerung. Durch die Einwanderung in den letzten Jahrzehnten lebten nunmehr über 200 000 Menschen in der Stadt Manhattan. Das Verkehrswesen, die Banken, die Schiffswerften, Versicherungen und andere Geschäfte erlebten in dieser Zeit einen unglaublichen Aufschwung. Die Stadt wuchs stetig nach Norden und erstreckte sich mittlerweile über den Teil, der heute Greenwich Village heißt. Der Broadway aber blieb das Herz der Stadt, hier wohnten weiterhin die Reichen. Astor war lange Zeit der einzige Millionär in New York. Doch ab Mitte der 1840 er Jahre schafften es immer mehr Geschäftsleute, ein Millionenvermögen zu erwirtschaften. Schon eine Dekade später gab es bereits Dutzende Millionäre in der Stadt. Der neue New Yorker Geldadel war sowohl für die alteingesessenen aristokratischen Familien wie auch für die sozial schwächeren Bewohner der Stadt eine neue Gesellschaftsschicht. Mit ihrem Entstehen verbanden sich in der New Yorker Öffentlichkeit auch neue Erwartungen an die Millionäre. Es wurde in der Bevölkerung
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diskutiert, wie der Geldadel sich in der Politik, Wirtschaft und Kultur der Stadt platzieren, der Stadt New York und der amerikanischen Republik etwas zurückgeben und den künftigen Kurs der Stadt bestimmen könnte. Da Astor seit Beginn der 1820er Jahre der reichste Mann der Vereinigten Staaten war, wurde er durch sein Vermögen zu einer öffentlichen Perr son. Vor ihm hatte es keinen anderen Millionär gegeben und somit auch keine Vorstellungen, Erwartungen und Ansprüche an eine so reiche Perr son. Nur ein Prozent der Bevölkerung New Yorks verfügte im Jahr 1828 über 34 000 Dollar und mehr. Verglichen mit Astors Millionen verblassten diese Vermögen. Die Forderungen, die verschiedene Journalisten nach seinem Tod stellten, dass er sein Vermögen ausschließlich gemeinnützigen Zwecken hätte vermachen sollen, trafen John Jacob Astor als Ersten und daher besonders vehement. Bis heute prägt dieser Anspruch das öff fentliche Bild Astors. Viele Journalisten forderten, dass grundsätzlich jede Einzelperson die Verpflichtung hätte, dem Wohl der republikanischen Gemeinschaft zu dienen. Für einen Millionär galt dies im Besonderen. Diese Idee war bereits eine der ideologischen Säulen der Amerikanischen Revolution gewesen. Jeder Einzelne sollte eine tiefe moralische Verpflichtung empfinden, sich der republikanischen Gemeinschaft anzuschließen und diese zu unterstützen. Nur so könnten soziale Stabilität und Engagement für die Gemeinschaft entstehen. Hierin ist auch die amerikanische Tradition des ursprünglich römischen Mäzenatentums, eben des Handelns und Spendens für die Gemeinschaft, begründet. Diese Haltung etablierte sich als ein wesentlicher Aspekt der amerikanischen Gesellschaft. Von dem Zeitpunkt seiner Einwanderung an hatte Astor versucht, ein Teil der New Yorker Oberschicht zu werden. Über 50 Jahre nach seiner Ankunft in New York war ihm das nun endgültig gelungen. Er hatte sich ein starkes wirtschaftliches, soziales und politisches Netzwerk aufgebaut, und nun war es sein Hauptanliegen, seine Familie durch die kluge Verr
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waltung seines Vermögens dauerhaft in der Oberschicht zu verankern. Keiner seiner Nachkommen sollte jemals in Armut aufwachsen, wie es ihm beschieden gewesen war. Zusätzlich förderte er durch Philanthropie und Mäzenatentum gezielt einzelne Projekte.
The Astor House Bereits am 3. April 1828 war John Jacob Astor mit dem Kauf des City Hotels für 101 000 Dollar in das Hotelgeschäft eingestiegen. Er versprach sich mit dieser Investition ein lukratives Geschäft, da das City Hotel in den 1820 er Jahren zu den besten und bekanntesten Hotels der Stadt gehörte. Reiche Besucher aus anderen Städten stiegen hier ab und brachten so ihr Geld nach New York. Auch hier zeigt sich wieder Astors typische Denkweise: Wende Dich mit deinen Geschäften an die reiche Oberschicht und biete ihnen Luxus. Der Pelzhandel und der Instrumentenhandel hatten ihm den Erfolg dieser Strategie bewiesen. Mit der Geschäftsführung betraute er Chester Jenings, der bereits seit 1817 als Hotelmanager arbeitete und somit die notwendige Erfahrung mitbrachte. Astor selbst hatte kein Interesse an dieser Aufgabe. Er fühlte sich bereits zu alt und wollte sich nicht in einen neuen Geschäftszweig stürzen. Das City Hotel lief fünf Jahre gut und brachte Astor den erwarteten Gewinn. Doch während er in Europa weilte, brannte es am 25. April 1833 bis auf die Grundmauern ab. Astor war bestürzt über den Verlust. Doch machte er die Not zur Tugend. Da die Versicherung den Schaden von 20 000 Dollar voll ersetzte, entschloss er sich, das Hotel neuer und moderner wieder aufzubauen. Als Astor am 4. April 1834 von seiner letzten Europareise nach New York zurückkehrte, erwarteten ihn zudem weitere traurige Neuigkeiten. Nachdem 1829 bereits Melchior verstorben war, starben während seiner Abwesenheit sowohl sein älterer Bruder Henry, seine Schwester Cathe-
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rina sowie seine Tochter Magdalen. Schließlich erfuhr er gleich nach seiner Ankunft, dass auch seine Frau Sarah vor wenigen Tagen im Alter von 72 Jahren aus dem Leben geschieden war. Philip Hone beobachtete besorgt seinen Freund Astor nach dessen Rückkehr. In seinem Tagebuch hielt er fest, welch angeschlagenen Eindruck Astor auf ihn machte: „Er sieht sehr schwach aus und ist sehr viel dünner als er war, bevor er nach Europa ging. Der Tod hat in seiner Abwesenheit viele seiner Geliebten zu sich geholt, die eine große Lücke hinterlassen haben.“ Nach der schönen Zeit in Europa fühlte sich Astor im Haus am Broadway einsam und verlassen. Hier hatte er Jahrzehnte zusammen mit seiner Frau und seiner Familie gelebt. Häufig war er in dieser Zeit auswärts gewesen, doch immer, wenn er nach Hause gekommen war, hatten Sarah und die Kinder auf ihn gewartet. Sein Entschluss war schnell gefasst. Zunächst nahm er den Sohn seiner verstorbenen Tochter Magdalen, den 14jährigen Charles Astor Bristed, zu sich und übernahm dessen Erziehung. Zudem wollte er nicht länger in seinem alten Haus wohnen bleiben, er hatte nun andere Pläne. Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft ließ er seine ehemalige Residenz am Broadway niederreißen. Schon vor seiner Europareise hatte er die Idee gehabt, das modernste Hotel der Vereinigten Staaten zu bauen. Dieses Gebäude sollte nun nach Astors Willen genau an der Stelle seines alten Hauses entstehen, und es sollte alle anderen Hotels übertreffen. Washington Irving berichtete in seinem Roman Astoria von einer Geschichte, die auf einer Erinnerung Astors beruhte. Als Astor als junger Einwanderer einmal den Broadway entlang schlenderte und die für ihn neuen Häuser der Stadt sah, soll er bei sich gedacht haben: „Irgendwann werde ich ein Haus bauen, das größer als alle anderen sein wird – in genau dieser Straße.““ Vielleicht erinnerte er sich nun daran, aber er errichtete nicht etwa eine Prunkvilla, sondern das zur damaligen Zeit größte Hotel der Vereinigten Staaten. Gerade an der Hotelsparte lässt sich sehr deutlich Astors Geschäftsphilosophie zeigen. Seit er sich aufgrund seines Alters immer mehr aus der aktiven Geschäftswelt zurückzog, agierte er hauptsächlich im Hinterr
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grund: Er selbst schuf den geschäftlichen Rahmen, leitete einen einzelnen Geschäftsbereich bis er erfolgreich lief und übertrug schließlich die Verantwortung für das Alltagsgeschäft auf andere. Darüber hinaus war es auch nicht seine Sache, neue Geschäftsfelder zu erfinden. Er beobachtete vielmehr funktionierende, gewinnbringende Systeme, kombinierte sie mit seinen Ideen und machte sie zu einem profitableren Unternehmen als das Original. So war auch das Astor House nur eine Kopie des berühmten Tremont Hotel in Boston. Jefferson Williamson, der Autor des Buches The American Hotel, beschrieb Astors Konkurrenzdenken und seine Liebe zu New York wie folgt: „John Jacob Astor […] dachte, dass, wenn es in Boston ein Hotel wie das Tremont gab, sollte die Metropole New York ein umso eleganteres haben.““ Um in New York das größte Hotel der Vereinigten Staaten zu erbauen, ließ Astor im Jahr 1832 durch seinen Sohn William den Arr chitekten Isaiah Rogers, den Erbauer des Bostoner Hotels, beauftragen, einen Bauplan für das New Yorker Hotel auszuarbeiten. Mit seinem Gespür, sich in Szene zu setzen, legte er öffentlichkeitswirksam in einer feierlichen Zeremonie am 4. Juli des Jahres 1834, dem amerikanischen Nationalfeiertag, den Grundstein des neuen Hotels. Nach zwei Jahren Bauzeit, während der die New Yorker stets neugierig an der Baustelle vorbeigingen, war es schließlich soweit, Astors Hotel konnte am 30. Mai des Jahres 1836 seine Tore öffnen. Philip Hones Tagebucheinträge zeugen davon, dass sich die New Yorker Öffentlichkeit auf das neue Gebäude freute. Er selbst nannte es achtungsvoll das „New York Palais Royal“. Jefferson Williamson zitierte in seinem Buch den amerikanischen Dichter Fitz-Greene Halleck, der 16 Jahre lang für Astor als Sekretär arbeitete und ihn in seinen letzten Lebensjahren begleitete: „Astor kopierte all die Besonderheiten des Tremont. . . Wie auch immer, das Astor House ist noch beeindruckender als das Vorbild in Boston. Es ist zwei Stockk werke höher, hat beinahe doppelt so viele Zimmer, und der Architekt konnte aus den Fehlern des Tremont lernen und die Erfahrungen in das Astor House einfließen lassen. Dies verbesserte sowohl die Fassade wie auch die Innenarr chitektur.“
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Das im Stil der griechischen Antike erbaute Hotel hatte sechs Stockk werke mit 300 Gäste- und 17 Badezimmern. Obwohl das Astor House auf den ersten Blick aussah wie eine Kopie des Bostoner Vorbildes, zeigte sich Astors Weitsicht in der konsequenten Weiterentwicklung des Baus. Wie so oft war es ihm gelungen, aus einem guten Produkt ein noch besseres zu machen. Nachdem der hochmoderne Bau fertig war, ließ Astor alle technischen Neuerungen seiner Zeit in dieses Hotel einbauen und überholte mit seiner New Yorker Kopie das Original in Boston an Komfort, Technik und Außendarstellung. Die Zeitung The New York Constellation berichtete über die luxuriöse Ausstattung und den technischen Fortschritt des Hotels: „Das Haus ist durch moderne Gasflammen erleuchtet, über die alle sprechen.““ Ein besonderer Luxus war fließendes Wasser in den oberen Etagen, das mit Hilfe eines neu entwickelten Dampfsystems dorthin gepumpt wurde. Das gab es in keinem anderen Hotel. Die extravaganten Möbel waren aus schwarzem Walnussholz und zeigten ebenso wie die weitere Aufmachung der Räume und Flure, dass Astor viel Geld in die mondäne Innenausstattung seines neuen Hotels investiert hatte. Astor ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er später die Manager des Tremont Hotel, das Brüderpaar Simeon und Frederick Boyden, als Geschäftsführer für das eigene Hotel engagierte. Vom Tag seiner Eröffnung an residierten bedeutende Persönlichkeiten auf ihren Reisen im neuen New Yorker Luxushotel. Darüber hinaus fanden dort häufig – aus unterschiedlichen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Anlässen – groß angelegte Dinner statt, zu denen die New Yorker Prominenz zusammenkam. Astors Vermarktungsgespür zeigte sich auch in der Namensgebung des Hotels. Bei seiner Eröffnung hieß es zunächst Park Hotel, erst nachdem es sich wirtschaftlich lohnte und öffentlich ein erfolgreiches Produkt darr stellte, gab Astor ihm den Namen The Astor House. Das Hotel war für Astors Verhältnisse keine große Einnahmequelle, aber aus der Perspekk tive der persönlichen Inszenierung heraus waren Bau, Führung und Prestige des Astor House für John Jacob Astor ein unbezahlbares Aushänge-
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schild. In einer Zeit, in der Werbung und Marketing von Namen und Produkten noch in den Kinderschuhen steckten, fand er so eine Möglichkeit, seinen Namen sichtbar im öffentlichen Leben New Yorks zu platzieren. Er beschritt vermarktungstechnisches Neuland, indem er seinen Namen mit Glanz, Reichtum und Erfolg in Verbindung brachte. Durch die Berichterr stattungen über das Astor House war auch sein Name in der New Yorker Öffentlichkeit mit prunkvollem Ambiente assoziiert. Von New York aus verbreitete der Name Astor die Vorstellung von Luxus und Exklusivität über den ganzen Kontinent und bis nach Europa. Wie wirksam verbunden der Name Astorr fortan mit Luxus und komforrtablen Hotels war, zeigte sich in einem Beispiel aus San Francisco zur Zeit des kalifornischen Goldrausches in den Jahren 1848/49. Dort entstanden Hotels, die den Strom an Zuwanderern aufnehmen sollten. Eines dieser Hotels hieß The Astor House. Obwohl es nicht von der Familie Astor betrieben wurde, suggerierte allein der Name den Goldsuchenden Luxus und Reichtum. Astor legte mit seiner Hotelgründung auch den Grundstein für eine Tradition innerhalb seiner Familie. So entstand das alte Waldorf-Astoria 1897 aus der Zusammenlegung der beiden Hotels Waldorff und Astoria, die sich beide im Familienbesitz der Astorerben, in den Händen der wetteifernden Cousins John Jacob Astor IV. und William Waldorf Astor, befanden. Um den Zusammenschluss und die Gleichwertigkeit der beiden Hotelhälften zu demonstrieren, entschloss man sich, ein Gleichheitszeichen zwischen beide Namensteile zu setzen. Das erste Waldorf=Astoria schloss im Mai 1929 mit einem großen Ball und einer Auktion, bei der Gegenstände aus dem Hotel für insgesamt 350 000 Dollar versteigert wurden, seine Pforten. Es war das berühmteste, modernste und größte Hotel seiner Zeit und besaß als erstes Hotel der Neuzeit eine Kapazität von mehr als 1000 Räumen. Auf dem Grundstück, auf dem es stand, wurde 1931 das Empire State Buildingg errichtet. 40 Millionen Dollar kostete das neue Waldorf-Astoria an der Park Avenue. Auch dieses Hotel war ein Bau der Superlative. Als es im Herbst 1931 eröffnet wurde, war es das
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höchste Hotel, das jemals gebaut worden war. Vor dem Haus gab es eine eigene Anfahrt für Autos, und im Unterbau des Hotels entstand eine Station für die New York Central Railroad. Die Ausstattung der 2253 Räume entsprach den höchsten Ansprüchen der 1930er Jahre und ist heute laut Etikette nach dem Weißen Haus und dem Sommersitz Camp David der dritte Ort, an dem der amerikanische Präsident Staatsgäste empfängt.
Washington Irvings Astoria Nachdem Astor seine alte Residenz am Broadway hatte abreißen lassen, um dort das Astor House zu errichten, zog er 1834 auf seinen Landsitz Hell Gate, der auf der anderen Seite des East River außerhalb der Stadt New York lag. Der Landsitz, der nicht mehr existiert, würde sich heute in dem 1839 nach John Jacob von der Stadt benannten Astoria, Queens, befinden. Astor wurde diese Ehre zuteil, nachdem er 500 Dollar an das Village’s Young Ladies Seminary, eine Schule für Mädchen, gespendet hatte. Die Stadt beabsichtigte mit dieser Namensgebung vor allem deutsche Einwanderer, die ihrem Vorbild über den Atlantik gefolgt waren, nach Astoria zu locken, um auch in diesem Teil der Stadt die Besiedelung voranzutreiben. Auf seinen Landsitz wurde er von seinem Enkel Charles Astor Bristed und seinem Sekretär, dem Dichter Fitz-Greene Halleck, begleitet, der in den nächsten Jahren mit ihm auf Hell Gate lebte. Seit seiner Rückkehr aus Europa spürte Astor, dass er in der Öffentlichkeit zunehmend für geizig gehalten wurde – immerhin war den New Yorkern seit langem bewusst, dass er der reichste Mann des Landes war. In einem Gespräch teilte er diese Sorge seinem Freund Philip Hone mit. Hone berichtet davon in seinem Tagebuch: „Ich freute mich über Mr. Astors Freigebigkeit sehr, gerade weil die Öffentlichkeit ihm die Großzügigkeit nicht glauben will.““ Hone erkannte in seinem Freund nämlich durchaus einen Wohltäter: „Er ist zu der
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weisen Einsicht gelangt, dass er sein Geld nicht mit ins Grab nehmen kann. Sein Leben ist noch nicht vorüber und er möchte armen Witwen und vaterr losen Kindern das Leben versüßen.““ Im Tagebuch Hones findet sich in diesem Zusammenhang am 5. November 1835 ein Eintrag über eine Spende in Höhe von 5000 Dollar an die Society for the Relief of Aged Indigent Females. Diese Summe entspricht der heutigen Kaufkraft von 122 000 Dollar. Weitere 20 000 Dollar folgten im Testament des Millionärs. Dieses Geld sollte in Hypotheken angelegt werden, und die Zinsen jährlich der Gesellschaft zugute kommen. Im Besonderen kümmerte sich Astor auch um seine Mitarbeiter und ihre Angehörigen. Wer fleißig, tugendhaft und sparsam war, der konnte sich seiner Unterstützung gewiss sein. Ein Beispiel für diese Fürsorge bietet die Hilfe für Familienmitglieder verstorbener Angestellter. So unterr stützte er nach dem Tod seines Mitarbeiters Jacob B. Taylor dessen Sohn Moses finanziell, bis dieser sich selbst ernähren konnte. Außerdem verr sorgte er den jungen John Jacob Astor Ebbets, einen Sohn seines alten Vertrauten und Kapitäns John Ebbets, der das Kommando des ersten Schiffes innehatte, das Astor an die Pazifikküste geschickt hatte, um den Außenposten Astoria zu gründen. Astor zahlte ihm das Studium an der Yale Universityy und bot ihm 1832 nach seiner Graduierung eine Stelle in der American Fur Companyy an. Aus Astors Briefen gehen weiterhin mehrere kleine Spenden an ähnliche Bedürftige hervor. Im Juni 1835 stiftete Astor 100 Dollar an die Überlebenden eines Tornados in New Brunswick, um den in Not Geratenen zu helfen. In seinen Briefen finden sich darüber hinaus zwei Spenden von 200 Dollar und 500 Dollar an den Fire Department Fund. Der volle Umfang von Astors Spenden ist allerdings nicht bekannt. Des Weiteren hinterließ er in seinem Testament jeweils 5000 Dollar an die Institution for the Blind und an die Society for the Relief of Half-Orphans and destitute Children sowie 2000 Dollar an das New York Lying-In Asylum. Im Jahr 1835 beauftragte Astor Washington Irving, eine Erzählung über die Gründung Astorias am Columbia River zu schreiben. Irving hatte
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die letzten 17 Jahre in Europa verbracht und war erst 1832 wieder in die USA zurückgekehrt, wo in Astors City Hotel ein großes Bankett zu seiner Begrüßung in New York gegeben wurde. Er fühlte sich von Astors Angebot geschmeichelt und schlug vor, dass ihm sein Neffe Pierre Irving assistieren sollte. Nachdem er sich auf zwei Reisen durch den amerikanischen Westen Eindrücke und Inspirationen für die Erzählung A Tour of the Prairies geholt hatte, passte Astors Auftragsarbeit genau in seine Schaffensphase. Die Erzählung sollte auf Astors Geschäftsdokumenten sowie auf seinen Aussagen basieren. Astors und Irvings Familien kannten sich bereits seit Jahren, wobei sich der Kaufmann und der Schriftsteller stets mochten und respektierten. Der Literaturwissenschaftler Peter Antelyes sprach sogar von einer unverhohlenen Bewunderung des Literaten für den Millionär. In seinem Vorwort zu Astoria beschrieb Irving die Motive seines Auftraggebers folgendermaßen: „Astor gab mir zu verstehen, dass er es bedauere, dass die wahre Natur und Größe seiner Unternehmung und ihr patriotischer Charakter und ihre nationale Bedeutung nie wirklich verstanden wurden. Er wünschte, dass Ich mich dieses Problems annahm.““ Astor beabsichtigte, sich mit dieser Erzählung in der Öffentlichkeit wieder ins rechte Licht zu setzen und seine ehrenvollen, patriotischen Motive und seine schöpferische Leistung bei der Etablierung Astorias der amerikanischen Gesellschaft zu erklären. Über den genauen Verlauf des Aufbaus dieser Station entstanden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Darstellungen. Vor der Auftragsarbeit, die Washington Irving 1836 im Auftrag Astors verfasste, waren die Schrift von Gabriel Franchère und die beiden Bände The Columbia Riverr von Ross Cox erschienen. Beide hatten den Aufbau Astorias vor Ort miterlebt und machten vor allem Astor selbst für das Scheitern des Unternehmens verantwortlich. Darüber hinaus err schien 1849 Alexander Ross’ Adventures of the First Settlers on the Columbia River. Auch in Deutschland beschäftigte diese Pioniergeschichte die Menschen. So entstand aus der Feder von Dr. W. F. A. Zimmermann ein Roman zum Aufbau der Pelzhandelsstation, der 1858 unter dem Titel
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Astoria oder Reisen und Abenteuer der Astorexpeditionen erstmals veröff fentlicht wurde. Nach dem Angebot Astors schrieb Washington Irving am 15. September 1834 seinem Neffen Pierre Irving, dass John Jacob beide eingeladen habe, während der Arbeit an der Erzählung auf Hell Gate zu wohnen, um Astors Geschäftspapiere einzusehen. Darüber hinaus berichtete Irving ihm, dass Astor beiden ein Jahresgehalt von 3000 Dollar angeboten habe. Unter diesen Bedingungen sagte er Astor zu und begann im Juni 1835 mit der Arbeit an der Erzählung. Im August zog er mit seinem Neffen nach Hell Gate, der das Leben dort sehr genoss. Seinem Bruder schwärmte er in Briefen häufig vom Champagner und den Austern in Astors Haus vor. In Hell Gate öffnete Astor dem Schriftsteller sein privates Archiv, so dass Irving während seiner Arbeit auf die Geschäftspapiere und Aufzeichnungen zugreifen konnte. Pierres Aufgabe bestand darin, die Quellen zu sichten und eine Vorauswahl für seinen Onkel zu treffen. So schaffte es Washington Irving, bis zum 8. Oktober 1835 einen ersten Entwurf der Auff tragsarbeit vorzulegen. Astor verlängerte derweil sein Angebot, und so verr brachten die Irvings zusammen mit ihm und seinem Lieblingsenkel Charles Astor Bristed, dem Astor mittlerweile ein Studium an der berühmten Yale Universityy finanzierte, sowie dem Dichter und Sekretär Astors, Fitz-Greene Halleck, auch den folgenden Winter in Astors Landhaus. Während seines Aufenthaltes bei Astor lernte Irving viele Pelzhändler, Entdecker und auch Politiker kennen, die auf Hell Gate ein- und ausgingen. Einer der Gäste war Captain Benjamin Louis Eulalie de Bonneville, ein Offizier der US Army, der Astor um finanzielle Unterstützung für seine dreijährige Entdeckungsreise durch den amerikanischen Westen gebeten hatte. 1832 war Bonneville aufgebrochen und kehrte nun nach New York zurück, um seinem Sponsor von der Expedition zu berichten. Irving war von den Geschichten, den handgezeichneten Landkarten und Aufzeichnungen so begeistert, dass er sich dadurch gleich für sein nächstes Buch The Adventures of Captain Bonneville inspirieren ließ – seinem dritten und letzten Werk zum amerikanischen Westen.
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Irving beendete im Februar 1836 seine Arbeit an Astoria. Das Buch schildert die Tragödie vom Untergang der ersten amerikanischen Siedlung am Pazifik. Dabei beschreibt Irving John Jacob Astor als gütigen Patriarchen, als den geistigen Vater des Unternehmens, und Captain Thorn, den der Autor persönlich aus seiner Jugendzeit kannte, als gereizten, undiplomatischen Mann, der für den Untergang der Tonquin verantwortlich war. Sein Ende fand Astoria schließlich, weil es wehrlos in die Hände der britischen Übermacht fiel. Ende Oktober war es dann soweit, das Buch erschien, und Astor sah mit Genugtuung, dass mehrere New Yorker Buchläden in den Zeitungen Inserate schalteten, um Astoria zu bewerben. Der New York Daily Express verkündete am 1. November 1836: „Washington Irvings neues Werk – heute erschienen! Astoria – oder Geschichten einer Unternehmung jenseits der Rocky Mountains, von Washington Irving, in 2 Bänden […] gerade eingetroffen und zum Verkauf!““ Obwohl sich Irving selbst mit dem literarischen Wert des Werkes nicht zufrieden zeigte, freute er sich über die positiven Rezensionen und die große Resonanz. Lukrativ war das Buch allemal. Sein amerikanischer Verleger zahlte ihm weitere 4000 Dollar und der britische 500 Pfund. Die Kombination der Namen Washington Irving und John Jacob Astor sorgte für große Resonanz in der Öffentlichkeit. Nur wenige Monate nach der Eröffnung des Astor House war Astor abermals im Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit. Wieder zeigt ein Blick in Philip Hones Tagebuch die Erwartungshaltung und öffentliche Stimmung: „Das Ergebnis von Irvings Arbeitsaufenthalt bei Mr. Astor im letzten Jahr erschien gerade in Form eines neuen Buches, das Astoria heißt. Ich habe es noch nicht gelesen, aber man sagt, dass es ein schönes Werk ist, eine solcher wahren Geschichten, in denen nüchterne Geschichte taktvoll mit den schönen Ornamenten seines Schreibstils versehen und so mit blumigen Girlanden seiner dichterischen Vorstellung bestückt ist.““ Es gab allerdings nicht nur Vorrfreude auf Irvings Werk. So sah sich Gabriel Franchère durch die Veröff fentlichung von Astoria dazu veranlasst, seine eigene, ursprüngliche Schilderung des Aufbaus der Handelsstation aus dem Französischen ins
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Englische übersetzen zu lassen und schließlich zu veröffentlichen. Seine Kritik richtete sich nicht gegen Irvings literarische Leistung an sich, sondern gegen den Inhalt Astorias, das er als ein Buch voller inhaltlicher Fehler betrachtete. Washington Irving war glücklich über Astors Zufriedenheit mit der Err zählung: „Der alte Mr. Astor scheint mir sehr zufrieden, was mich wiederum zufrieden stellt“, schrieb er seinem Neffen. „Auch William Backhouse Astor bedankte sich in den höchsten Tönen bei mir. Er schien überrascht, wie das ganze Unternehmen so unterhaltsam und spannend geschrieben werden konnte. Die Leute sprechen über dieses Werk mehr als über die anderen Verr öffentlichungen der letzten Jahre.““ Natürlich gefiel Astor die Darstellung seiner Person in dem Roman. Irving sparte nicht mit Lob für seinen Auff traggeber. Mit diesem Opus rehabilitierte er nicht nur Astor in der amerikanischen Öffentlichkeit, er machte ihn auch für nachfolgende Generationen unsterblich. Astors Rechnung schien also aufzugehen. Durch Irvings Erzählung würden seine Leistungen und sein Traum „Astoria“ in seinem Sinne für die Nachwelt überliefert werden. Schon vor der Auftragsarbeit an Astoria hatten Irving und Astor stets einen freundschaftlichen Umgang miteinander gepflegt und sich gegenseitig geachtet, durch die gemeinsame Zeit auf Hell Gate intensivierte sich die Freundschaft der beiden noch einmal. Im Dezember 1836 schrieb Irr ving von einem der zahlreichen Besuche in seinem neuen Wohnsitz Sunnyside am Hudson River: „Mr. Astor besuchte mich höchst unerwartet […] Er verbrachte zwei Tage hier und versprach mir auch in den nächsten Tagen wieder vorbeizukommen, sobald das Wetter wieder etwas besser sei.““ Astor genoss die Gespräche mit Irving. Gerne traf er sich mit dem Literaten, der ihm sehr ans Herz gewachsen war. Washington Irving hatte bei einem der vielen Treffen Astor im Frühjahr 1837 mit Joseph G. Cogswell bekannt gemacht. Der 1786 geborene Cogswell hatte in Harvard und in Göttingen studiert. 1820 übernahm er den Posten des Hauptbibliothekars an der Harvard Universität. Beide waren sich sofort sympathisch, und Cogswell zeigte sich von dem reichen Mann angenehm überrascht. Er entsprach
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nicht dem Bild, das in einigen Kreisen in der Öffentlichkeit über ihn kurr sierte: „Er ist bei Weitem nicht nur ein ‚Geldsammler‘, wie ich annahm. Er denkt sehr weise über viele Dinge und zeigt großes Interesse an Kunst und Literatur.“ Astor und Cogswell trafen sich im Oktober des gleichen Jahres wieder. Auf Hell Gate fand ihn Cogswell in guter mentaler Verfassung, aber körr perlich schwächlich vor. Er erfuhr, dass es in den letzten Monaten unzählige Gesuche um Geldspenden gegeben hatte, da, wie Cogswell selbst in einem Brief berichtete, seine Freigebigkeit in der Stadt bekannt war. Seit Jahren schon fühlte sich Astor alt. Nachdem seine Geschwister und seine Frau bereits verstorben waren, dachte auch er oft an den Tod. Dabei beschäftigte ihn die Frage, was er seiner Stadt New York überlassen könnte. New York war eine reiche, geschäftstüchtige Stadt geworden. Doch was fehlte, war eine öffentliche Bibliothek. Zwar hatten die Intellektuellen und die Reichen der Stadt enorme Buchsammlungen in ihrem Besitz, der Öffentlichkeit waren diese Bestände allerdings nicht zugänglich. Wie wichtig Bücher und Bildung für die Entwicklung der Persönlichkeit sind, hatte er in der eigenen Familie gesehen. Also beschloss Astor, aus seinem Vermögen der Stadt New York eine öffentliche Bibliothek zu stiften. Diese Bibliothek sollte zur Erinnerung und zu Ehre des Spenders seinen Namen tragen und The Astor Library heißen. Zu diesem Zweck zog er Cogswell bei dem Treffen zu Rate. Astor plante, 400 000 Dollar in eine gemeinnützige und öffentliche Bibliothek zu investieren. Um die Bibliothek ins Leben zu rufen, stellte er Cogswell für mehrere Jahre an, der nun mit dem Aufbau und dem Kauf der Bücher beauftragt wurde. 1839 arbeitete Cogswell einen Katalog aus, ein Jahr später finanzierte ihm Astor eine Reise nach Europa, um dort weitere Bücher im Gesamtwert von 60 000 Dollar einzukaufen.
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Wirtschaftskrise und Einwanderungsströme
Im Jahr 1837 wurden mehrere Länder Europas sowie die Vereinigten Staaten von einer Wirtschaftskrise heimgesucht, die sich zur schlimmsten Finanzkrise des 19. Jahrhunderts entwickelte. Gleich mehrere Faktoren in verschiedenen Ländern führten letztendlich zum Zusammenbruch der bereits eng miteinander verbundenen Finanzmärkte Nordamerikas und Europas. Auslöser der Krise waren unter anderem die Wirtschaftspolitik von US-Präsident Andrew Jackson und die Zahlungsunfähigkeit der Banken, die sich verspekuliert hatten. Mehr als 850 von ihnen mussten geschlossen werden. Die Konjunktur schwächte sich so stark ab, dass die USA die höchste Arbeitslosenquote ihrer Existenz verzeichneten, tausende Amerikaner verarmten. Die wirtschaftliche Depression dauerte fünf Jahre. Auch Präsident Jacksons Nachfolger Martin Van Buren konnte der Krise nicht Herr werden, und er weigerte sich zudem, staatliche Gelder zur Rettung der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Die Wirtschaftskrise traf New York, das Zentrum des amerikanischen Kapitals, besonders hart. Die Grundstückspreise auf Manhattan fielen ins Bodenlose. Doch Astor, der genügend Bargeld, Hypotheken und Immobilien besaß, geriet nicht in Panik. Zwar verlor sein Vermögen zeitweise immens an Wert, dennoch blieb er ruhig und suchte nach Möglichkeiten, die Wirtschaftskrise für sich zu nutzen. Zunächst half Astor seinem langjährigen Geschäftspartner Gerrit Smith, dem Sohn seines Agenten Peter Smith aus Albany, und lieh ihm 100 000 Dollar, um ihn finanziell zu stützen. Dann beschloss er, entgegen der allgemeinen Panik weiter zu investieren. Seit jeher hatte er großes Vertrauen in das Wachstum der Stadt und fand nun überall Grundstücke und Immobilien zu äußerst günstigen Preisen vor. Zu Beginn der 1840 er Jahre, als sich die Wirtschaft allmählich erholte und die Banken das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen
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konnten, vervielfachte sich der Wert der in der Krise erworbenen Grundstücke. In dieser Krisenzeit nahm die Einwanderung in die Vereinigten Staaten enorm zu. Die meisten deutschen Einwanderer dieser Zeit stammten wie Astor aus dem Südwesten Deutschlands. Umso mehr fühlten sie sich Astor verbunden und durch ihn angespornt. Viele glaubten fest daran, seinem Beispiel folgen und einen ähnlichen Aufstieg schaffen zu können. Sie alle kamen aufgrund der großen Hungersnöte und der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage nach Nordamerika. Allerdings gestaltete sich das Leben vieler Deutsch-Amerikaner anders als erhofft. Sie fanden in New York nicht den ersehnten Garten Eden vor, sondern eine janusgesichtige Stadt, die in großen Teilen deutlich unter der Wirtschaftskrise litt. Das Stadtbild wurde einerseits geprägt von den Ziegelbauten und Stadtvillen der Reichen, aber auch von den Holzhäusern und halb verfallenen Bretterbuden, in denen die Armen lebten. Durch den schnellen und unkontrollierten Zustrom der Einwanderer war es nötig geworden, auch Scheunen und Ställe umzubauen, damit Menschen in ihnen ein Obdach fanden. Sie wohnten in den New Yorker Slums eng zusammengedrängt und Seite an Seite mit Tieren, die frei auf der Straße herumliefen. Von den Hunderttausend vor allem irischen und deutschen Einwanderern, die im Hafen von New York angekommen waren, ließen sich viele in Manhattan nieder. Die Stadt breitete sich gewaltig aus. In den 1840 er Jahren hatte sich New York schließlich soweit ausgedehnt, dass Manhattan bis etwa zur 40. Straße besiedelt war. Astor hatte den Zustrom an Menschen seit jeher genau beobachtet. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einwanderung hatten sich seit seiner eigenen Ankunft in der Neuen Welt 1784 deutlich verschlechtert. Die Stadt war eine andere geworden und konnte nur schwer die Vielzahl an neuen Einwohnern aufnehmen. Astor erkannte, was für eine Rolle er für viele deutsche Einwanderer spielte. Schließlich war in vielen Auswandererzeitungen über ihn und seine Karriere berichtet worden. Die Auswanderungsagenten, die ihr Geld damit verdienten, verarmte Deutsche zur
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Migration zu bewegen, nutzen seine Karriere für ihre Zwecke. So sehr er sein Leben lang danach strebte, ein Amerikaner zu werden, so sehr lagen ihm die Menschen, die aus seiner Heimat kamen, nach wie vor am Herr zen. Daher entschied er, sich ein letztes Mal einer neuen Aufgabe zu widmen und sich aktiv um die deutschen Neuankömmlinge zu kümmern. Obwohl Astor seit 1787 Mitglied der German Society of the City of New York war, hatte er sich schon früh von den anderen Deutsch-Amerikanern entfernt und nicht einmal deren Jahreshauptversammlungen besucht. Nun schien ihm die German Societyy die richtige Plattform zu sein, von der aus er helfen konnte, die neuen Einwanderer in New York zu integrieren und in der deutschen Heimat über die Auswanderung nach Amerika zu informieren. Daher entschloss er sich 1837, das Amt des Präsidenten der German Society of the City of New York zu übernehmen. Er spendete der Gesellschaft während seiner Präsidentschaft, die er von 1837 bis 1841 innehatte, jährlich einen Betrag von 5000 Dollar. Auch in seinem Testament bedachte er später die German Societyy mit 20 000 Dollar. Dieses Geld diente dazu, ein ständig besetztes Büro einzurichten, das den Einwanderern aus Deutschland als Anlaufstelle diente, um ihnen die ersten Schritte in der neuen Heimat zu erleichtern. In den 1850 er Jahren wurde dieses Büro Teil der Einwanderungsbehörde, die in Castle Garden, dem ehemaligen Fort Clinton an der Südspitze von Manhattan, eingerichtet wurde und 1892 nach Ellis Island umzog. An der Lower East Side bildeten sich ganze Straßenzüge, an denen sich ausschließlich Deutsche ansiedelten. Hier gab es deutsche Läden und Lokale: Bäckereien, Metzgereien, Gasthäuser, Biergärten und Bierstuben entstanden entlang der Bowery. Little Germany wurde das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Deutschen. Es entstanden deutsche Schulen, Vereinshäuser und Theater. Nicht nur rein optisch, durch deutschsprachige Aushänge und deutsche Architektur, unterschied sich dieses Wohnviertel von amerikanischen. Ebenso eigentümlich wirkte die deutsche Lebensart auf die Amerikaner, die unzähligen Bälle, Sängerund Turnfeste der Deutschen.
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Kritiker warfen Astor später vor, das Amt des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft nur übernommen zu haben, um den Strom der Einwanderer nach New York zu lenken, damit er seine Grundstücke würde verkaufen können. Das soziale Engagement dieser Jahre lässt sich tatsächlich in verschiedene Richtungen deuten. Astor war besonnen genug, die Wirtschaftskrise zu überstehen und sogar mit großen Gewinnen aus ihr hervorzugehen. Aber nur deshalb konnte er sich in dieser Zeit um das Wohl derer kümmern, die am stärksten unter der Krise litten. Und statt nur prestigeträchtig Geld zu geben, setzte er seine Fähigkeiten ein und schuf unter anderem eine Institution, die den Menschen weitaus effektiver und nachhaltiger helfen konnte als Geldspenden. Was die Grundstückskäufe betrifft, sah er selbst sich eher als einen ‚Entwickler‘ New Yorks, indem er es ermöglichte, dass auf seinen Grundstücken neue Wohnhäuser, Geschäfte, Ämter, öffentliche Gebäude und Verkehrswege entstanden. Er verhielt sich dabei weder wie ein geifernder Kapitalist, als den ihn seine Gegner hinstellten, noch soll er zu einem reformierenden Philanthropen stilisiert werden, der eine ideale Stadt nach seinen Vorstellungen formen wollte. Er tat das für ihn Naheliegendste: Er unterstützte mit seinem Engagement seine Landsleute und New York, behielt dabei aber immer seine Geschäfte im Auge.
Alter und Tod Seit dem Tod seiner Frau im Frühjahr des Jahres 1834 fühlte sich Astor immer schwächer. Hone, dem Astors Gewichtsverlust bereits zuvor aufgefallen war, notierte in sein Tagebuch: „Mir tut es leid mit anzusehen, wie sich Mr. Astors Gesundheit seit seiner Rückkehr aus Europa verschlechtert hat. Er erscheint mir krank und kraftlos.““ Offensichtlich konnte sich Astor weder von den Strapazen der dritten Reise nach Europa noch von dem Verlust seiner Frau Sarah, seines Bruders Henry und seiner Tochter Mag-
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dalen richtig erholen. Vier Jahre später, im Jahre 1838, ereilte ihn ein weiterer Schicksalsschlag. Seine Lieblingstochter Eliza starb in Genf. Wie bereits der tragische Unfalltod seines Enkels John Jacob Bentzon im Jahr 1818 traf ihn diese Nachricht besonders hart. Trauernd zog er sich auf seinen Landsitz zurück. William Backhouse Astor berichtete in den Briefen an seine nach Eurr opa zurück gegangene Nichte Sarah und ihren Mann Robert Boreel Jahr für Jahr über die nachlassenden Kräfte des Familienoberhauptes. Auch Philip Hone notierte: „Es schmerzt, Mr. Astor als ein Beispiel gesundheitlicher Schwäche zu sehen. Er mit seinen 15 Millionen Dollar würde alles dafür geben, meine Stärke und körperliche Leistungsfähigkeit zu haben… Heute Abend saß er eingeknickt am Tisch, den Kopf ständig auf der Brust hängend, und sprach kaum ein Wort.“ Die nächsten Jahre verbrachte Astor zum größten Teil auf seinem Landsitz Hell Gate. Hier hatte er nach dem Rückzug aus dem Pelzhandel Zeit gefunden, die Früchte seiner jahrzehntelangen Arbeit zu genießen. Er ließ das Haus mit allem Komfort, wertvollen Kunstwerken, eleganten Möbeln und teuren Instrumenten ausstatten. Und dennoch vermied er es auch im hohen Alter, ausschweifend zu leben. Gelegentlich nutzte Astor das Ambiente seines Wohnsitzes und lud Gäste aus der New Yorker Prominenz zu sich ein. Außerdem traf er sich einmal pro Woche mit seinem ehemaligen Mitarbeiter und Leiter der Niederlassung der American Fur Companyy in St. Louis, Ramsay Crooks, und seinem ehemaligen Handelspartner Pierre Chouteau zum Kartenspielen. Schon seit seiner Zeit in London hatte ihm Musik viel bedeutet. Nun, im hohen Alter, veranstaltete er in regelmäßigen Abständen musikalische Abende auf seinem Landsitz, zu denen er Familien und Freunde aus der New Yorker Oberschicht einlud. Er engagierte professionelle Pianisten oder Streicherensembles, die ihn und die Gäste unterhalten sollten. An solchen Abenden liebte er es besonders, seine Enkel um sich zu haben. Und um ihrem Großvater eine Freude zu machen, traten Williams älteste Tochter Emily Astor Ward und ihre Schwägerin Julia Ward oft an diesen
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Abenden in Hell Gate als Gesangsduo oder als Solistinnen auf. Astor war bei jedem der Auftritte stolz und begeistert. Am 15. Dezember 1846 wurde New York Zeuge einer grandiosen Feier der Astor-Familie. John Jacob Astors Enkel, John Jacob III., hatte sich entschlossen zu heiraten. Der älteste Sohn und spätere Haupterbe William Backhouse Astors hatte zunächst an der Columbia University in New York studiert, war dann dem Beispiel seines Vater gefolgt und hatte sich in Göttingen eingeschrieben. Nach seiner Rückkehr graduierte er an der prestigeträchtigen Harvard Business School und verwaltete als Jurist das Verr mögen der Familie. John Jacob III. heiratete in Anwesenheit seines Großvaters Charlotte Augusta Gibbes, die einer reichen Familie aus South Carolina entstammte. An den Hochzeitsfeierlichkeiten nahm der gesamte New Yorker Geldadel teil. Bereits am Tag zuvor hatten die Astors zu Ehren ihres Sprösslings in das Haus von William Backhouse Astor am Lafayette Square, e eingeladen. Die Zimmer des geräumigen Hauses waren an diesem Abend mit Kerzen und vielerlei Dekorationen geschmückt und standen allen geladenen Gästen offen. Die Gäste trugen die teuersten und modischsten Kleider und Anzüge, die Damen wertvolle Juwelen und verr gnügten sich mit Gesellschaftstänzen zu Streichmusik. Anfang November des Jahres 1847 verließ Astor Hell Gate, um einige Zeit in seinem Stadthaus in New York am Broadway 585 zu verbringen. Dieses dreistöckige Stadthaus hatte er in den letzten Jahren erbauen lassen und ebenso die Nachbarhäuser für seine Familie gekauft. Am Broadway erhielt er noch einmal Besuch von Washington Irving, der seit wenigen Monaten wieder in New York lebte, nachdem er 1842 als amerikanischer Botschafter nach Spanien geschickt worden war. Irving war err staunt, wie sehr Astor in den Jahren seiner Abwesenheit gealtert war. Er fand den alten Freund gebückt und sehr gebrechlich vor, wie er in seinen Briefen schrieb. Ende Februar 1848 berichtete William seinem Schwager Vincent Rumpff in Paris vom Gesundheitszustand Astors: „Mein Vater leidet seit Wochen an einer starken Erkältung. Das hat ihn sehr geschwächt, und er hat dabei viel Gewicht verloren. Obwohl er sich von der Erkältung err
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holt hat, ist er so schwach, dass er sein Bett nur für kurze Zeit verlassen kann.“ Wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag starb John Jacob Astor am Mittwoch, den 29. März 1848 gegen 9 Uhr Vormittag, in seinem Haus am Broadway 585, den Zeitungsberichten zufolge an Altersschwäche und ohne Schmerzen zu erleiden. Wenige Tage später, am Nachmittag des 1. April 1848, fand Astors Beerdigung statt. Für die Feierlichkeiten verr sammelten sich im Hause seines Sohnes William Backhouse Astor neben sechs Geistlichen die Familie sowie viele Angehörige, Freunde und Weggefährten. Über diesen Kreis hinaus interessierte sich die ganze New Yorker Öffentlichkeit für dieses Ereignis. Die Straßen waren voller Menschen, die entweder aus Neugierde oder aus Anteilnahme gekommen waren. Von William Astors Haus am Lafayette Square, der nach John Jacobs Tod in Astor Place umbenannt wurde, bis zur St. Thomas Church am Broadway, wo Bischof Dr. Whitehouse die Beerdigungszeremonie abhielt, drängten sich die Menschen auf der Straße, um an den Feierlichkeiten teilzuhaben. Die Türen der St. Thomas Church wurden weit geöffnet, um dem Andrang standzuhalten. Astors Sarg war mit schwarzem Samt bedeckt, und durch ein Glasfenster konnte die Trauergemeinde ihn ein letztes Mal erblicken. Danach wurde Astor auf dem Friedhof dieser Kirche beigesetzt. Die Sargträger waren alle alte Weggefährten: Unter ihnen waren Philip Hone, Ramsay Crooks und Washington Irving, der sehr um seinen Freund trauerte. Später, so die Ankündigung in der New York Tribune, sollte er in einem Mausoleum auf einem anderen Friedhof beigesetzt werden. Über den Ort seiner letzten Ruhestätte herrschte später Unklarheit: Oft wird darauf verr wiesen, dass Astor im Trinity Churchyard am Broadway gegenüber der Wall Street neben Alexander Hamilton begraben sei. So konvenabel dieser Ort für Astor gewesen wäre, er fand an einem anderen Ort seine letzte Ruhe. Astors Mausoleum sowie die Familiengruft seiner Angehörigen wurr th den auf dem Trinity Cemetaryy in Washington Heights an der 155 Streett in Harlem errichtet. Dort befindet sich noch heute sein Grab. Auch die meisten seiner Familienmitglieder fanden dort ihre letzte Ruhe.
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Testament und Nachleben John Jacob Astor war stets auf ein gutes Ansehen in der Öffentlichkeit bedacht. Häufig hatte er dieses Anliegen mit seinen Vertrauten diskutiert. Um sein Engagement und seine wirtschaftlichen Leistungen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, hatte er seine erfolgreichsten Projekte mit seinen Namen verbunden: Den Außenposten im weit entfernten Oregon nannte er Astoria, sein Hotel bekam den Namen The Astor House, die gestiftete Bibliothek The Astor Libraryy und das Armenhaus in Walldorf wurde Astorhaus genannt. Die größte seiner Stiftungen war die der Astor Library, die zunächst am Astor Place, e dem ehemaligen Lafayette Square ihre Heimat fand. John Jacob wollte mit dieser Stiftung auf der einen Seite den New Yorkern eine Bibliothek geben, die jedem offen stand, so dass Bildung nicht mehr nur einem elitären Kreis zugänglich war. Auf der anderen Seite wollte er aber auch seinen Namen im New Yorker Stadtbild verankern. Die Spende und Errichtung der Astor Libraryy wurde von den meisten Einwohnern New Yorks äußerst positiv bewertet. Unter den Intellektuellen gewann Astor damit besonders viele Sympathien. Der amerikanische Schriftsteller Herman Melville, der Autor von Moby Dick, schätzte die Einrichtung einer öffentlichen Bibliothek in New York und pries Astor im Vorwort zu seinem Roman Bartleby, der Schreiberr für seine Wohltätigkeit und dankte ihm für die Stiftung der Astor Library, die er selbst ständig besuchte: „John Jacob Astor, dessen Namen ich, wie ich zugeben muss, nur allzu gern wiederhole, denn ihm haftet ein volltönendes und wohlgerundetes Echo an.“ Dieser Ruhm war allerdings nur von relativ kurzer Dauer. Fast 50 Jahre nach Astors Tod wurden seine Pläne durchkreuzt, als 1895 die Verwaltung der Stadt New York die Astor Libraryy mit der Lennox Library und dem Tilden Trustt zur New York Public Libraryy zusammenlegte. Astors Bibliothek verlor mit dem neuen Namen den direkten Bezug zu ihrem Stifter. Allerdings prangt noch heute an der Frontseite der Bibliothek in großen Buchstaben der Hinweis auf John Jacob Astor: „The Astor Library
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founded by John Jacob Astor for the Advancement of usefull knowledge MDCCCXLVIII.” Betritt man die Bibliothek, so gelangt man in die Astor Hall, die zum Gedenken an ihren Stifter so benannt wurde. In das Gebäude der früheren Astor Library zog das Joseph Papp Public Theater. Die zweitgrößte, testamentarisch festgelegte Spende, 50 000 Dollar, hatte Astor für die Armen, Kranken und Behinderten seiner Heimat Walldorf vorgesehen. Die Summe sollte, so Astor in seinem Testament, auch dafür eingesetzt werden, die Ausbildungssituation der Jugend zu verbessern. Durch diese Stiftung wurde ab 1852 das Astorhaus in Walldorf gebaut, das schließlich 1854 als Armenhaus eingeweiht wurde. Auch für den akademischen Bereich hatte Astor Pläne. In der ersten Version seines Testaments hatte Astor die Stiftung eines Lehrstuhls an der Columbia Universityy in New York vorgesehen. Der Kapitalstock hierfür sollte 25 000 Dollar betragen. Diese Stiftung war allerdings an eine Bedingung gekoppelt. Er wollte einen kompetenten Professor, der an der New Yorker Universität sowohl die deutsche Sprache als auch deutsche Literatur unterrichten konnte. Aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen Astors Anwälten und der Universität wurde dieser Abschnitt des Testaments wieder zurückgenommen. Neben den Spenden für die Öffentlichkeit hatte Astors Testament ein klares Ziel: Es sollte in erster Linie seine Familie versorgen. Keiner seiner Nachkommen und Verwandten sollte das Elend seiner eigenen Kindheit und Jugend durchleben müssen. Als Haupterben setzte er seinen Sohn William ein, der nun durch das Vermögen seines Vater und seines Onkels Henry zum reichsten Amerikaner und zum Oberhaupt der Familie Astor aufstieg. Dadurch verankerte Astor seine Nachfahren fest in der Gesellschaft der New Yorker Plutokratie und begründete eine amerikanische Dynastie. John Jacob Astor verstand sich in erster Linie als Patriarch und Familienoberhaupt, der sich um seine Familie kümmerte und sie an seinem Reichtum teilhaben ließ. Aber er forderte von seinen Angehörigen auch Leistung und Disziplin. Mit Fleiß, Strebsamkeit und eigenen, unterneh-
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merischen Erfolgen konnten die Familienangehörigen Astors Anerkennung gewinnen. Es gefiel ihm nicht, wenn jemand unter seinen Möglichkeiten blieb und nicht aktiv an ihrem gemeinsamen Wohlstand arbeitete. Versagten Familienangehörige in diesen Punkten, wie sein Neffe George Ehninger, konnten sie keinen Zugang mehr zu Astor finden. Ehninger war der einzige nahe Verwandte, der nicht von Astor bedacht wurde. Obwohl Astor seinen Sohn William als Haupterben des Vermögens in seinem Testament einsetzte, waren die anderen vererbten Geldbeträge nicht unerr heblich und ermöglichten es dem jeweiligen Erben, fortan finanziell unabhängig zu sein. Während die Bevölkerung noch um Astor trauerte, entbrannte in der Presse eine Kontroverse über den Verstorbenen, die in eine wahre Hetzjagd mündete. Was hier über Astor in die Welt gesetzt wurde, beeinflusste alle weiteren Publikationen bis heute. Die Angriffe seiner Gegner waren hart, laut und provokant. Und ihre Artikel waren nicht zuletzt gedruckt, so dass sie – anders als die allgemeine öffentliche Meinung – die Jahrzehnte überdauerten und immer wieder durch Recherchen ans Licht geholt, zitiert und weiter verbreitet wurden. Dabei wurde leider nicht kritisch mit den Äußerungen umgegangen. Es gab damals noch keinen unabhängigen Journalismus, der sich bemühte, nüchtern und wertfrei Nachrichten zu liefern. Viele Daten und Namen waren erfunden, ganze Episoden hinzugedichtet. Den etwa 20 Tageszeitungen ging es lediglich darum, reißerische Geschichten zu präsentieren, um ihre Auflagen zu erhöhen. Die öffentliche Diskussion um Astors Vermögen kam der Boulevardpresse also gerade recht. Die Nachrufe waren anfangs noch facettenreich. Der Whigg Politiker und Journalist Horace Greeley lobte in der New York Tribune die harte Arbeit und die wirtschaftlichen Geschicke Astors. Er bezeichnete ihn nicht zuletzt als ein Vorbild für die Jugend. Doch er äußerte sich auch kritisch zu dem Ankauf von Kriegsanleihen während des Krieges von 1812 und beschuldigte Astor, dass er sich an dem Krieg nur hatte bereichern wollen. In Bezug auf die Landspekulationen machte er nicht ihm direkt einen Vorr
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wurf, schlug aber die Besteuerung des persönlichen Einkommens und eine Beschränkung des Landbesitzes von Einzelpersonen vor: „Männer seiner Art und seines scharfen Verstandes sollte es nicht länger erlaubt sein, Millionen Quadratmeter und Grundstücke in der Stadt zu besitzen.“ Aller Kritik voran standen die Leitartikel von James Gordon Bennett, dem Herausgeber des New York Herald, der mit seinem Boulevardblatt in den vorangegangenen Jahren das amerikanische Pressewesen revolutioniert hatte. Ihm ging es vor allem um Sensationen, mit denen er eine große Leserschaft erreichen konnte. Bennett schien allerdings mit seiner Berichterstattung ins Hintertreffen zu geraten, als mit der Veröffentlichung von Astors Testament in der Zeitung seiner Konkurrenz, der New York True Sun, am 30. März 1848 bekannt wurde, dass der ehemalige deutsche Einwanderer ein Vermögen von 20 Millionen Dollar hinterlassen hatte. Die Gemüter der New Yorker Öffentlichkeit erhitzten sich vor allem an der Höhe des Vermögens und weil Astor den Großteil davon seiner Familie vermacht hatte. Die Gesellschaft konnte mit einem solchen Phänomen noch nicht umgehen, niemals zuvor war ein Amerikaner so reich geworden wie Astor, und niemals zuvor hatte jemand ein dergestalt märchenhaftes Vermögen besessen oder gar vererbt. Bislang war Amerika von einer äußerst liberalen Wirtschaftspolitik geprägt gewesen, in der weder das Vermögen noch das Erbe besteuert wurden. Nun aber beschwor Bennett die alten republikanischen Wert- und Moralvorstellungen der Revolutionszeit und forderte entsprechende Steuergesetze. Die New York True Sun schien Bennetts Blatt den Rang abzulaufen, und so zögerte dieser nicht, in der nächsten Ausgabe seiner Zeitung am 5. April 1848 noch einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur ebenfalls das Testament zu veröffentlichen, sondern zudem Astors private Wünsche der Nachfolgeregelung und seine testamentarisch festgelegten Spenden und Zuwendungen, die er noch zu Lebzeiten wieder zurückgenommen hatte. Sie wurden nun Gegenstand der weiteren Auseinandersetzung in der Presse. In seinem Leitartikel stellte Bennett den Verstorbenen schließlich öffentlich an den Pranger: Der Journalist forderte nachdrücklich, dass ei-
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gentlich die New Yorker Gesellschaft von dem Erbe hätte profitieren und die Hälfte des Vermögens den Bürgern der Stadt New York hätte zukommen müssen, da der verstorbene Krösus sein Vermögen mit Grundstücksspekulationen gemacht habe. Dies sei aber nur aufgrund der Leistungen der Bürger von New York möglich gewesen: „Wenn ich einer der Berater von John Jacob Astor gewesen wäre, dann wäre der erste Gedanke, der in seinen Kopf hätte gesetzt werden sollen, derjenige gewesen, dass die Hälfte seines immensen Vermögens – also mindestens 10 Millionen Dollar – der Bevölkerung von New York hätte zugute kommen sollen. Seine Grundstücke haben nur durch den Fleiß der New Yorker Bürger so sehr an Wert gewonnen.““ Der Journalist empfand die von Astor testamentarisch festgelegte Stiftung der öffentlichen Bibliothek als in keiner Weise ausreichend. Und so zeichnete er von Astor das Bild eines geldgierigen Kapitalisten. Astors von der Presse öffentlich gemachtes Vermögen bot für die Kritiker des Wirtschaftsliberalismus eine hervorragende Angriffsfläche. Überr rascht und nahezu ungläubig über die Höhe des vermachten Vermögens stimmten einige Journalisten mit ein, Astor zu einem unrepublikanischen Geizhals zu stilisieren. Sie festigten damit das negative Bild des geizigen, habsüchtigen und egoistischen Greises, der keinen Gemeinsinn besaß. Nun fanden die verschiedenen Bilder und Anekdoten, von denen einige oben schon erwähnt wurden, ihren Weg in die Presse, manche so offensichtlich überzeichnet wie jene, in der er kurz vor seinem Tod noch einmal „money““ gebrüllt haben soll. Das Ziel der Journalisten war zu zeigen, dass Geld den Charakter eines Menschen verdirbt. Die öffentliche Diskussion um das Vermögen des Multimillionärs endete nicht, als das Interesse der New Yorker Zeitungen Ende April 1848 nachließ. Ein Jahr später verwendete Horace Mann in einen Vortrag zum 29. Jahrestag der Boston Mercantile Library Association Astor als Exempel: „Astor war der Bekannteste, der Vermögendste, und […] der Geizigste in diesem Land. Nichts […] kann die Verhaltensweise eines Mannes beschönigen, der […] 20 Millionen Dollar besitzt, aber nur eine halbe Millionen der Öff fentlichkeit gibt.““ Astor habe versagt, weil er sein Geld weder für die Ge-
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meinschaft noch für karitative Zwecke einsetzte. Darüber hinaus kritisierte Mann, dass Astor sein Vermögen ohne Steuerabgaben an seine Nachfahren vererben konnte. Dadurch habe er auch die nachfolgenden Generationen versklavt und an das verderbende Vermögen gebunden. Die Astors würden nun kein freies Leben mehr führen können. Mann behauptete, dass die ‚Superreichen‘ sich nur moralisch rehabilitieren könnten, wenn sie wohltätig und großzügig öffentliche Einrichtungen unterstützten oder ihr Vermögen für karitative Zwecke einsetzten. Er kam in seinem Urteil über Astor zu dem Schluss, dass er, verglichen mit seinem riesigen Vermögen, zu wenig in die Belange, Bedürfnisse und Interessen der Allgemeinheit investiert habe. Noch im selben Jahr veröffentlichte Mann diese Rede unter dem Titel A Few Thoughts for a Young Man und warnte damit seine Leser zugleich auch vor einer Herrschaft der Plutokratie: „Der Millionär stellt dieselbe Gefahr für die Wohlfahrt der heutigen Gesellschaft dar wie die adligen Fürsten für die unadligen Menschen des Mittelalters.““ Für Mann war John Jacob Astor kein Patriot und kein tugendhafter Bürger der amerikanischen Republik. Nach dieser Veröffentlichung reagierte die Familie Astor. Charles Astor Bristed, Publizist, Yale-Absolvent und Lieblingsenkel Astors, verteidigte r seinen Großvater in dem Pamphlet A Letter to Horace Mann, und versuchte, die Argumente Manns zu entkräften. Bristed führte aus, dass sein Großvater zum Beispiel mit der Stiftung der Astor Library in New York und dem Astorhaus in Walldorf sehr wohl etwas für die Öffentlichkeit und für karitative Zwecke getan habe. Darüber hinaus unterstrich er die patriotischen Motive seines Vorfahren, die sich vor allem beim Aufbau von Astoria und der Gründung der American Fur Companyy gezeigt hätten. Besonders empörte er sich über den Vergleich mit Stephen Girard, der neben Astor der zweitreichste Mann der Vereinigten Staaten und mit ihm zusammen einer der Initiatoren der Second Bank of the United States gewesen war. Nach seinem Tode hatte dieser nahezu sein ganzes Vermögen wohltätigen Einrichtungen in Philadelphia und New Orleans gestiftet. Girards Motive waren jedoch, so Bristed, antireligiös und somit unameri-
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kanisch. Er hatte nämlich ein College gestiftet, in dem er jeglichen religiösen Einfluss von vorneherein ausschloss. Weiter wies Bristed darauf hin, dass John Jacob Astor zwar einige Stiftungen wieder aus seinem Testament streichen ließ, dies aber nur auf Anraten seiner Anwälte getan habe. Diese hätten in den letzten Lebensjahren das Testament des altersschwachen Astor betreut und ihn stark beeinflusst. Astor selbst sei ein wohltätiger Mensch gewesen. Und schließlich konnte Stephen Girard sein Vermögen nicht an seine Nachfahren vererben, weil er keine Kinder hatte. Für ihn hätte sich die Frage der Nachfolgeregelung und der Versorgung der Familie nicht gestellt. John Jacob Astors Sorge hingegen habe in allerr erster Linie seinen Angehörigen gegolten. Der vielleicht größte negative Einfluss auf das öffentliche Erscheinungsbild Astors ist der fünfzehnseitigen Biographie von James Parton zu zuschreiben, die er erstmals im Jahre 1865 im Harper’s New Monthly Magazine veröffentlichte. Parton zementierte Astors Image als geiziger, alter Mann, indem er Anekdoten aufführte, die Astor als besonders herzlos, raffgierig und geizig beschrieben. Ihn zitierten die meisten der nachfolgenden Autoren und kolportierten seine ‚Astor-Legenden‘. Parton war einer der bekanntesten amerikanischen Autoren historischer Erzählungen. Er hatte bereits zuvor über Albert Gallatin, Thomas Jefferson, Benjamin Franklin, Andrew Jackson und Aaron Burr geschrieben und lieferte regelmäßig Artikel für Harper’s. Seine Lebensdarstellung von Astor zeichnete ein verwirrendes und widersprüchliches Bild des Millionärs. Er lobte durchaus Astors Geschäftstüchtigkeit, seinen Versuch, den Astoria Außenposten zu gründen, und Astors Baumaßnahmen in New York. Darüber hinaus brachte er Astor nie mit illegalen und unmoralischen Geschäftspraktiken in Verbindung. Dennoch bezeichnete er ihn als einen Geizhals, der durch seine Herkunft in Armut eigentlich hätte verstanden haben müssen, was Reichtum bedeutete. Laut Parton lag hierin Astors Scheitern. Er agierte insofern unmoralisch, als dass er unrepublikanisch und somit unamerikanisch seinen Besitz lediglich seiner Familie vermachte und nicht der amerikanischen Gemeinschaft. Um seine
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Aussagen zu stützen und besonders glaubwürdig zu wirken, behauptete Parton, in den 1860 er Jahren mit vielen Menschen gesprochen zu haben, die Astor noch persönlich kannten. Zusammen mit den in New York kurr sierenden Anekdoten stellte er diese Geschichten zu einer kurzen Biographie zusammen. Ob all dies aber der Wahrheit entsprach, prüfte er nicht. Ganz im Zeichen des Zeitgeistes der Progressive Era wurde Astors Perr son gleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Burton Hendricks Artikel The Astor Fortune im McClure’s Magazine erneut angegriffen. Das Magazin war ein Forum für fortschrittliche Leser und Schreiber, die die sozialen Missstände in den USA anprangerten. Allerdings bezogen auch die Autoren dieses Magazins in der Regel ihre Informationen aus zweiter Hand. Sie publizierten ihrer Meinung nach ‚investigative‘ Artikel über ausgewählte Wirtschaftsköpfe und Unternehmen. Mit seiner Kritik an Astor verfolgte Burton Hendrick, der von 1905 bis 1913 für das Magazin arbeitete, aber ein bestimmtes Ziel: Er wollte zeigen, dass Astor auf illegale, unmoralische Weise an seinen Reichtum gelangt war, indem er den Grundstücksmarkt in New York manipulierte. Im Gegensatz zu früheren Studien sprach er Astor sogar seine außergewöhnlichen wirtschaftlichen und merkantilen Fähigkeiten ab. Nur durch Geiz und Glück habe Astor sein Vermögen anhäufen können, nicht durch Weitsichtigkeit und Vision. Er untermauerte seine Argumente mit Anekdoten, die er zum größten Teil unkritisch James Partons Schilderung entnommen hatte. In seiner Darstellung wurde John Jacob Astor zu einem durchschnittlichen Kauff mann und Unternehmer, der seinen Reichtum weder durch Mühsal noch durch schlaflose Nächte und schon gar nicht durch harte Arbeit erlangt hatte. Im Jahre 1910 veröffentlichte Gustavus Myers sein dreibändiges Werk History of Great American Fortunes. In dieser Publikation porträtierte er neben anderen amerikanischen Wirtschaftsgrößen auch John Jacob Astor. Mit seinem Opus, das ebenfalls nur als eine Kapitalismuskritik in der Progressive Era verstanden werden kann, kritisierte der Sozialist My-
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ers den Millionär Astor nicht nur, er diffamierte ihn. Bedenkt man aber, dass Myers ein Kind armer, deutscher Einwanderer war, der nie den sozialen Aufstieg schaffte und stattdessen später ein Mitglied des New York City Social Reform Club wurde, so wundert man sich nicht über den wütenden Angriff gegen den erfolgreichen Aufsteiger. Sein ganzes Leben lang verstand sich Myers als ein Anwalt der Armen. Den hetzerischen Geschichten über Astor dichtete er Einiges noch hinzu: „So war Astors Geist bis zum letztem Augenblick mit den erbärmlichen Dingen beschäftigt, woraus er sich eine Religion gemacht hatte, und mit einem Blick voll strahlenden Entzückens auf die lange Liste seiner Besitzungen schied er dahin.“ Traurig ist, dass ausgerechnet diese Schrift ins Deutsche übersetzt und von unkritischen Journalisten stets als verlässliche Quelle über Astors Leben herangezogen wird. Ein negativer Aspekt ganz anderer Qualität geht auf James Gallatins Tagebuch A Great Peacemaker. The Diary of James Gallatin zurück, das 1915 erstmals veröffentlicht wurde. Wie beschrieben, stand James Gallatin dem New Yorker in keiner Weise so freundlich gegenüber wie sein Vater. Obwohl Albert Gallatin ein guter Freund Astors gewesen war, verachtete ihn sein Sohn James. In seinem Tagebuch mokierte er sich immer wieder über die schlechten Umgangsformen und das bäuerliche Verhalten Astors: „Ich bin nicht überrascht, weil Astor ja der Sohn eines Metzgers und ein Einwanderer ist. Er kam zum Essen und aß das Eis und die Erbsen mit einem Messer.“ James Gallatin bezeichnete sich selbst als ein Mitglied der internationalen Aristokratie, der die Etikette der französischen Lebensweise beherrschte. Seine Verachtung für den deutschen Einwanderer konnte er auf diese Weise zum Ausdruck bringen. Erinnert man sich aber, dass Astor immer wieder als ein Freund der klassischen Musik und der Literatur beschrieben wurde, fragt man sich nach dem Grund für diese ablehnende Haltung. Er scheint wohl eher persönlicher Natur gewesen zu sein, ein Fall gekränkter Mannesehre, denn James Gallatin hatte Astors jüngste Tochter Eliza auf deren erster Europareise erfolglos umworben.
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Die Frage nach dem Bild, das von John Jacob Astor in der öffentlichen Diskussion gezeichnet wurde, zeigt die Unsicherheiten der Publizisten im Umgang mit dem Phänomen des ersten Multimillionärs noch bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein. An seinem Beispiel wurden grundsätzliche ethische Fragen zum Verhältnis von Wirtschaftsliberalismus und republikanischen Werten erörtert, wobei die meisten nicht sachlich blieben, sondern ihn persönlich hart angriffen und diffamierten. Heutzutage ist die öffentliche Wahrnehmung von so genannten ‚Superreichen‘ differenzierter. Damals jedoch verstanden es weder die Presse noch andere Publizisten adäquat über ein solches Vermögen und seinen Besitzer zu berichten, was Astor diesen schlechten Ruf einbrachte. Um Astors Leben und Aufstieg richtig zu verstehen, war es daher notwendig, hinter das Image zu schauen und die vielen populären Geschichten über ihn zu hinterfragen und die sich dahinter verbergenden Motive der Autoren zu entlarven. Die andere und vermutlich realistischere Seite John Jacob Astors zeigt uns die Achtung, die ihm die New Yorker Bevölkerung bei seinem Tod entgegenbrachte, und die große Anteilnahme des Geldadels sowie der alten, aristokratischen Familien. Auch hier mag Philip Hones Tagebuch die Meinung seines Standes verdeutlichen. In den Einträgen lassen sich seine Begeisterung und Hochachtung vor der Karriere seines Freundes erkennen. Um den von Astor verwirklichten American Dream mit den heutigen Worten zu beschreiben fehlten ihm nur Begriffe wie „Millionär“ und Schlagwörter wie „from rags to riches““ und „from a dishwasher to a millionaire“, “ die sich erst noch herausbilden sollten. An Astors Todestag notierte er: „Er kam in dieses Land, als er 20 Jahre alt war – ohne jeden Penny, ohne Freund, ohne Erbe und ohne Bildung, aber er brachte den festen Willen mit, reich zu werden, und die Fähigkeit, dies auch in die Tat umzusetzen.““ Mit diesen Worten zog er ein kleines Resümee über das Leben John Jacob Astors. Nie zuvor hatte ein Amerikaner in seinem Leben so viel erreicht, kein Kaufmann einen vergleichbar steilen Aufstieg erlebt wie dieser deutsche Einwanderer. Er war der Erste, und mit seinem Beispiel sollte er noch viele weitere Einwanderer inspirieren und anspornen.
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John Jacob Astor setzte mit seiner atemberaubenden Karriere neue Maßstäbe in der amerikanischen Gesellschaft und wurde so Teil des amerikanischen Erfolgsmythos. Dass der Erfolg auch in seinem Fall zwei Seiten hatte, zeigte sich in der Überlieferung und in seinem Andenken. Die öffentliche Meinung spaltete sich in Bewunderung für sein wirtschaftliches Gespür und seine Durchsetzungskraft und in Neid und Verachtung dafür, dass er in erster Linie seine Angehörigen von dem Reichtum profitieren ließ. Die zwei grundlegenden ideologischen Strömungen der jungen Vereinigten Staaten von Amerika, der völlig unreglementierte Wirtschaftsliberalismus und der rigide Republikanismus fochten an seinem Beispiel eine Grundsatzdebatte aus. In dem Bild, das von Astor bis heute überliefert ist, scheint die ablehnende Seite den Sieg davon getragen zu haben. Der Blick hinter diese Fassade ließ uns jedoch einen John Jacob Astor kennen lernen, der weit über das Image des geizigen Millionärs hinausgeht. Die archivalischen Quellen zeigen einen Mann, der sich aus der Armut mit viel Enthusiasmus, Ideen und Durchhaltevermögen hocharbeitete und der bis ins hohe Alter seiner Familie und seinen Freunden eng verbunden war. Er hatte einen Riecher für lukrative Geschäfte, scheute allzu große Risiken und folgte verbissen seinen Visionen. Er bewies Weitsicht, indem er seine Projekte so breit fächerte, dass er sich bei Rückschlägen schnell neu orientieren konnte. Bei all dem verlor er aber seine Umwelt, seine Wahlheimat nie aus den Augen und setzte sich in dem ihm sinnvoll erscheinenden Umfang für die Allgemeinheit ein. Ständig war er
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bemüht, ein vollwertiges Mitglied der amerikanischen Gesellschaft zu sein, und schaffte es, persönliche Kontakte bis in die obersten politischen Kreise zu knüpfen. Er hatte als erster diesen Weg beschritten und damit den damals undenkbaren Aufstieg vom Einwanderer zum Millionär als möglich aufgezeigt. Im Hinblick auf seine Geschäftspolitik, war Astor ein Vorreiter für die amerikanische Wirtschaft. Im Gegensatz zu ihm nachfolgenden Wirtschaftsgrößen wie Cornelius Vanderbilt oder John D. Rockefeller hatte Astor nie in die Schwerindustrie oder in den Abbau von Bodenschätzen investiert. Bis auf die Jagd nach Tierfellen zu Anfang seiner Karriere, betätigte er sich ausschließlich im sekundären Wirtschaftssektor, also im produzierenden Gewerbe, und im tertiären, dem Bereich Handel. Die Mischung seiner Handelswaren – vornehmlich Tee, Seide, Pelze, Instrumente und Immobilien – machte ihn weitgehend unabhängig von der jeweiligen Konjunktur einzelner Waren. In gewisser Weise leitete Astor also einen vorindustriellen Mischkonzern. Seine Karriere hatte auch eine große Wirkung und Ausstrahlung auf Deutschland. Hier verbreitete sich das Bild des armen Einwanderers, der in der Neuen Welt zum reichsten Amerikaner aufgestiegen war, rasant. Auswanderungszeitschriften waren voll von Berichten über Astors Leben. Als sich die Situation in Deutschland wirtschaftlich weiter verschlechterte, trug sein Beispiel dazu bei, dass viele Menschen ihre Heimat und das Elend hinter sich ließen und nach Nordamerika auswanderten. Doch viele mussten in New York feststellen, dass eine Auswanderung alleine nicht ausreichte, um den sozialen Aufstieg zu schaffen. Viele strandeten in New York und träumten dort weiter von der sagenhaften Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär. John Jacob Astor nutzte die wirtschaftliche Freiheit dieser Zeit für seine Unternehmungen. Er entwickelte nicht völlig neue Geschäftsideen, Astor war vielmehr ein ‚Macher‘, der Ideen umsetzte, von denen andere nur zu träumen wagten. Seine Vorgehensweise bestand im Beobachten und Verbessern bestehender Märkte und Geschäftspraktiken. Hierbei
INS RECHTE LICHT GERÜCKT – EIN RESÜMEE
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musterte er vorhandene Strukturen und Geschäftszweige sowie die wirtschaftlichen Bemühungen und Versuche anderer Kaufleute. Sobald ihm ein Geschäftsfeld lukrativ erschien, vereinnahmte er es, gestaltete es nach seinen Vorstellungen neu, verbesserte es unter seiner eigenen Leitung und erzielte damit dann größere Gewinne. Er tauschte Pelze mit den Indianern zu einer Zeit, als die gerade unabhängig gewordenen Kolonien noch größtenteils agrarisch geprägt waren, verkaufte Luxusgüter an die nach dem Unabhängigkeitskrieg wieder aufblühende alte New Yorker Elite, partizipierte als Reeder und Großkaufmann an den Wirtschaftsbeziehungen mit dem alten Europa und dem neuen Markt mit China, schritt mit der Errichtung einer Niederlassung an der Pazifikküste der kontinentalen Westexpansion der USA voraus und verdiente ein beträchtliches Vermögen, indem er billiges Weideland vor den Toren New Yorks kaufte und wartete, bis mit den Einwanderungswellen die Grundstückspreise stiegen. Er bewies stets ein gutes Gespür für wirtschaftliche Veränderungen und konnte gesellschaftliche wie wirtschaftliche Entwicklungen voraussehen. Auch wenn seine Landspekulationen und seine Handelsgeschäfte ihn als einen ‚vorindustriellen‘ Kaufmann kennzeichnen, so weisen seine Methoden und Ziele ein sehr ‚modernes‘ wirtschaftliches Denken auf: Er etablierte ein Verkehrsnetz im amerikanischen Westen, er beschränkte seine Unternehmungen nicht nur auf einen Geschäftszweig, sondern baute seinen Konzern auf mehrere Säulen, er suchte ständig nach neuen Wegen zur Expansion seiner Geschäfte, und er erkannte die Wichtigkeit eines globalen Handelsnetzwerkes. John Jacob Astor war in vielerlei Hinsicht ein Gründungsvater der amerikanischen Wirtschaftskultur.
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Johann Jacob Astor wird am 17. Juli in Walldorf geboren. Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien gegen die englische Krone Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika Konfirmation Johann Jacob Astors Carl Theodor verlegt seine Residenz von Mannheim nach München. Johann verlässt Walldorf in Richtung London. George und John Jacob Astor betreiben einen Instrumentenhandel in der Londoner Wych Street 26. Friedensschluss zwischen den USA und England im Vertrag von Paris Im November verlässt Astor London und reist auf der North Carolina nach Amerika. Im März erreicht Astor Baltimore. Die Empress of China reist als erstes amerikanisches Handelsschiff nach China. John Jacob Astor und Sarah Todd heiraten. William Backhouse Astor wird geboren. Der Jay Treatyy vereinfacht den Import von Pelzen und Instrumenten nach New York. Astor beginnt seinen Chinahandel. Thomas Jefferson dritter Präsident der USA Präsident Jefferson kauft von den Franzosen das LouisianaGebiet. Damit verdoppelt sich das Staatsgebiet der USA. Überland-Expedition von Meriwether Lewis und William Clark Der Embargo Actt legt Astors Handelsgeschäfte lahm. Gründung der American Fur Company James Madison vierter Präsident der USA
ZEITLEISTE
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1811
Gründung von Astoria an der Mündung des Columbia River im späteren Bundesstaat Oregon
1812–14
Krieg von 1812, auch zweiter Unabhängigkeitskrieg genannt, zwischen den USA und England Verlust von Astoria Wiener Kongress Gründung der Second Bank of the United States James Monroe fünfter Präsident der USA Astor verbringt die meiste Zeit in Europa. Astor besucht seinen Bruder Melchior in Neuwied. Astor kauft das City Hotel.
1813 1815 1816 1817–25 1819–25 1820 1828 1832–34 1834
1836 1837 1837–41 1848 1849 1897
Astor bereist zum letzten Mal den europäischen Kontinent. Tod von Sarah Todd Astor. John Jacob Astor kehrt aus Europa zurück und tritt vom Vorsitz der American Fur Companyy zurück. Astor eröffnet das Astor House, das feinste Hotel in den USA. Im Oktober erscheint Washington Irvings Roman Astoria. „Panik von 1837“ führt zu einer mehrjährigen Wirtschaftskrise. Astor ist Präsident der German Society of the City of New York. Am 29. März stirbt John Jacob Astor. Märzrevolution in Deutschland Eröffnung der Astor Libraryy in New York Gründung des Waldorf-Astoria in New York
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ANHANG
Stammbäume der Familie Astor Die Geschwister John Jacob Astors
Peter (1750) Georg Peter/George (1752–1813) Johann Heinrich/Henry (1754–1833) Catherina (1757–1832) Melchior (1759–1829) Johann Jacob Astor, der Ältere (1724–1816)
Johann Jacob/John Jacob (1763–1848)
1. Maria Magdalena vom Berg (1730–1764) 2. Christina Barbara Seybold (1742–1809) Maria Magdalena (1767) Maria Magdalena (1768–?) Anna Eva (1770–?) Elisabetha (1773–1832) Sebastian (1775–?) Maria Barbara (1778–1780)
S TA M M B Ä U M E D E R FA M I L I E A S TO R
161
Die Nachfahren John Jacob Astors
Magdalen (1788–1832) 1. Adrian Bentzon 2. John Bristed
John Jacob Bentzon Sarah Bentzon Charles Astor Bristed
Sarah (1790) Johann Jacob Astor (1763–1848) Sarah Todd (1762–1834)
John Jacob Jr. (1791–1869) William Backhouse (1792–1875) Emily Em miily ly Astor Ast As sto to or Margaret Armstrong John Jo oh hn Jacob Jaaacob co ob Astor Ast Asto or III Laura Laura Mary Ma ary Alida Alid ida d da Williaam Baackhouse Jr Jr.r. He Henry enry Saarah raah Dorothea (1795–1853) Walter Langdon
Henry (1797–1799)
Eliza (1801–1838) Vincent Rumpff namenloser Sohn (1802)
Saaarah raah Boree Bo ore eel Joh Jo oh hn Eliz iza za LLouisa ouis isa sa Dorot Do oro rothea othea Waltlte Wa ter te Woodbury Wo oo odbury dbury Ce Cec ecilia Eu Eug Eugene uge ene
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Bibliographie Archive Baker Library, Historical Collection, Harvard University Beinecke Library, Western Americana Collection, Yale University Columbia University Library Archiv der Evangelischen Brudergemeinde Neuwied Generallandesarchiv Karlsruhe German Society of the City of New York Landeskirchliches Archiv Baden The Library of Congress Missouri Historical Society New York Custom House The New York Public Library The New York Historical Society Public Record Office (PRO) London Syracuse University Toronto Public Reference Library U. S. Bureau of the Census Zeitungen Bremer Zeitung Commercial Advertiser The Daily Advertiser, political, historical, and commercial The Independent Journal or The General Advertiser Mainzer Zeitung The Missouri Gazette National Freemason The New York Daily Express The New York Evening Post The New-York Gazette and General Advertiser The New York Herald
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Orts- und Personenregister
Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg 20, 25, 29, 32, 53 American Fur Company 58, 60, 64, 65, 67, 69, 70, 72, 73, 93, 95, 96, 97, 98, 101, 107, 108, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 120, 130, 140, 148 Astor Library 7, 135, 143 Astor Place 7, 141 Astor Catherina 15, 16, 78, 124 Astor, Dorothea 45, 119 Astor, Eliza 45, 99, 102, 104, 108, 109, 119, 139 Astor, Elizabeth 24, 66 Astor, George 15, 16, 18, 19, 20, 22, 24, 25, 32, 66, 103, 104 Astor, Henry 15, 16, 18, 19, 25, 32, 33, 46, 119, 120, 124, 139 Astor, John Jacob II. 45 Astor, John Jacob III. 140 Astor, John Jacob IV. 7, 128 Astor, Magdalen 45, 100, 124, 139 Astor, Melchior 15, 16, 18, 103, 104, 124 Astor, Sarah Todd 36, 44, 45, 124, 139 Astor, William Backhouse 45, 98, 99, 113, 114, 120, 139, 141, 144
Astor, William Waldorf 39, 42, 128 Astor-Expedition 72 The Astor House 124, 126, 127, 128, 129, 133, 142 Astorhaus 7, 143 Astoria, Oregon 66, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 94, 96, 99, 111, 114, 130, 134 Baltimore 26 Beaver (Schiff) 55, 57, 78, 79, 82, 94, 95 Bristed, Charles Astor 125, 129, 132, 148 Broadway 29, 30, 47, 49, 59, 108, 118, 122, 125, 129, 141, 142 Buffalo 41, 95, 96 Canton 53, 54, 57, 66, 67, 82, 94, 97, 117 Carl Theodor 13, 14 Charles Dickens 9 Chesapeake Bay 26 China 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 66, 67, 94, 95, 117, 155 The City Hotel 9, 124, 130 Clay, Henry 48, 80, 105, 106, 107
ORTS- UND PERSONENREGISTER
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Clinton, DeWitt 48, 49, 50, 57, 58, 63, 64, 66, 80, 95
Hawaii 53, 55, 75 Heidelberg 7, 8, 12, 13
Clinton, George 49, 63, 80 Cogswell, Joseph 134, 135 Columbia River 67, 70, 72, 73, 75, 76, 78, 79, 82, 83, 84, 85, 87, 88, 96, 130, 131, Crooks, Ramsay 72, 82, 97, 98, 101, 107, 109, 115, 140, 142
Hell Gate 129, 131, 132, 134, 139, 140, 141 Hone, Philip 119, 120, 125, 126, 129, 133, 139, 142, 152 Hudson River 41, 81, 95, 118, 134 Hudson’s Bay Company 60, 87, 111, 113, 114, 115 Hudson & Mohawk Railroad Company 117, 118, 119
Embargo Act 55, 56, 60, 62, 66, Emerick, John Nicolas 27 Empress of China (Schiff) 53 Enterprise (Schiff) 70, 71, 74, 84, 94 Erie Canal 94, 95 Expedition von Lewis und Clark 62, 63, 73 Frontier 39, 42 Gallatin, Albert 56, 69, 80, 81, 86, 87, 91, 92, 93, 98, 100, 102, 108, 114, 149, 150, 151 Genf 108, 109, 119, 120, 139 German Society of the City of New York 33, 137, 138, Halleck, Fitz-Greene 126, 129, 132 Hamilton, Alexander 30, 31, 90, 142
Irving, Washington 77, 104, 105, 125, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 141, 142 Jackson, Andrew 48, 135, 136, 149 Jay Treaty 44 Jefferson, Thomas 31, 38, 48, 49, 50, 55, 56, 61, 63, 64, 65, 67, 68, 69, 70, 76, 80, 83, 84, 89, 149 Jeune, Valentine 17, 18, 20, 21, 49 Kamm, Valentin 18 London 16, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 31, 32, 38, 43, 44, 53, 54, 60, 94, 103, 104 Locke, John 52
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Louisiana Purchase 50, 61, 62, 63, 68 Madison, Dolley 81, 99 Madison, James 48, 68, 69, 70, 73, 79, 80, 81, 83, 85, 86, 91, 92, 93, 105, 112 Mannheim 13, 14, 57 Mississippi River 62, 63, 64, 96, 97, 121 Missouri River 72, 73, 87, 96, 97, 116 Monroe, James 38, 48, 80, 81, 83, 85, 86, 91, 103, 105, 106, 107, 112 Montreal 38, 41, 42, 43, 44, 60, 61, 67, 71, 72, 73, 81, 105 Napoleon Bonaparte 50, 53, 55, 102 Niagara-Fälle 41 North Carolina (Schiff) 25, 26, 27 Northwest Company 60, 70, 72, 73, 81, 82, 83, 84, 85, 86 Oregon 62, 68, 66, 69, 74, 75, 83, 84, 85, 87, 88, 114 Pacific Fur Company 72, 74, 75, 76, 81, 82, 84, 86 Paris 22, 25, 98, 100, 102, 104, 119, 141 Park Theatre 59, 60, 77
Philadelphia 31, 34, 45, 92, 99, 148, Rhein 21, 23, Russian-American Company 70, 71 Severn (Schiff) 55 Steiner, Johann Philip 17, 18, 20 St. Louis 63, 72, 73, 96, 97, 101, 108, 140, Stuart, Robert 72, 74, 82, 97, 98, 101, Thorn, Jonathan 74, 75, 76, 77, 132, Titanic 7 Tonquin (Schiff) 72, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 82, Tontine Coffee House 49, Waldorf-Astoria 7, 128, Walldorf 7, 8, 12, 13, 14, 15, 16, 19, 20, 21, 23, 32, 36, 49, 78, 103, Yale University 130, 132, 148