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German Pages 185 [190] Year 2021
Johann (Hans) Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus:
Frühe Neuzeit Franz Steiner Verlag
Anmerkungen zu den metaphysischen Meditationen von René Descartes Aus dem Polnischen /Lateinischen von Adam Galamaga Herausgegeben von Christoph von Wolzogen und Martin Mulsow Mit einem Vorwort von Christoph von Wolzogen
Sozinianismus und Heterodoxie ─ 1
Sozinianismus und Heterodoxie Quellen und Forschungen zur Frühen Neuzeit Herausgegeben von Kęstutis Daugirdas, Martin Mulsow, Sascha Salatowsky und Friedrich Vollhardt Band 1
Johann (Hans) Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus: Anmerkungen zu den metaphysischen Meditationen von René Descartes
Aus dem Polnischen/Lateinischen von Adam Galamaga Herausgegeben von Christoph von Wolzogen und Martin Mulsow Mit einem Vorwort von Christoph von Wolzogen
Franz Steiner Verlag
Coverabbildung: Georg Ludwig Oeder aus der „Catechesis Racoviensis“, Seu, Liber Socinianorum Primarius (Frankfurt u. Leipzig [Nürnberg] 1739; Catech. 121 m, Urn:nbn:de:bvb:12-bsb10389219-4, VD18 15341461): Ein genealogischer ‚Baum‘ der wichtigsten Vertreter des Sozinianismus © Bayerische Staatsbibliothek Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12199-6 (Print) ISBN 978-3-515-12203-0 (E-Book)
Inhalt Christoph von Wolzogen Vorwort Das verschwundene Meisterwerk oder: Wer war der Sozinianer Hans Ludwig von Wolzogen? Johann (Hans) Ludwig Freiherr v. Wolzogen und Neuhaus Anmerkungen zu den metaphysischen Meditationen von René Descartes . . . . . . . Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung von Ludwik Chmaj . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dritte Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vierte Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfte Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sechste Meditation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang Ludovici Wolzogenii Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartis Faksimile des lateinischen Textes in der Edition von Ludwik Chmaj
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Kommentierte Liste der Schriften des Johann (Hans) Ludwig von Wolzogen Aus Alfred v Wolzogen: Geschichte des Reichsfreiherrlich von Wolzogen’schen Geschlechts Bd 1
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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Titelseite zu Wolzogens Anmerkungen in der Bibliotheca (trium) fratrum Polonorum
Vorwort Das verschwundene Meisterwerk oder: Wer war der Sozinianer Hans Ludwig von Wolzogen? Christoph von Wolzogen Dann wie dich kein fremder Glaub gerecht vnd selig machen kan / also kan dir frembde arbeit / ohne zuthuung deines eigenen Fleisses zu rechter vnterweisung deines Verstandes wenig nutzen. (Hans Ludwig von Wolzogen: Vorrede an den Christlichen Leser, in: Johannis Crellii Franci: Von dem einigen Gott dem Vater / zwey Bücher, 1645) Darumben nun schluß-warnungs-endlich, für iederman, stolz, Fraw und Mann, Ja groß und klein sowol Papist als Luther-Hanß, sambt Bischof und Bader allzugleich, Zugleich, Zugleich Frucht-rechtschaffene war-Johaniten-buß, buß, buß, oder bald, bald, bald wird das nachgeschrey durch den Nord-Südenglischen luftstrich fer[n]er also anerfolgen. rein ab, rein ab, rein ab biß auff den grund etc, etc, etc. Die ganze Apokalypsin hinauß. ( Johann Permeier an Sigmund Permeier, 1631)
Wenn Namen, wie Elias Canetti einmal gesagt hat, in der Luft abgewogen werden, so ist der Sozinianer Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus (als auctor auch bekannt als Johannes Ludovicus Wolzogenius) dafür ein schönes historisches Beispiel. Aufgewachsen in einer Übergangszeit zwischen Protestantismus und Gegenaufklärung, führte er ein intellektuell reiches, aber unstetes Leben zwischen seiner Heimat Niederösterreich, Holland, Polen und Schweden, das ihn, den prominenten Vertreter der Polnischen Brüder, in Kontakt zu Comenius, zu illustren Gestalten wie dem DadaChiliasten Johann Permeier, vor allem aber zu Samuel Hartlib, dem ersten europäischen Netzwerker, brachte. Es verwundert nicht, dass ein Gelehrter, dessen Schriften
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Christoph von Wolzogen
oft schon vor ihrer Drucklegung verbrannt wurden, und der, wie damals üblich, in der Regel anonym arbeitete, bis in die jüngste Literatur nicht bei seinem genauen Namen genannt wird. Auch über die Themen seiner Lebensarbeit herrscht Uneinigkeit: War er Theologe, Philosoph oder Mathematiker, gar, wie in Polen gelegentlich gesagt worden ist, ein Vorgänger der Logischen Schule von Lemberg-Warschau?1 Man muss sich schon in die feinen Verästelungen der Forschungen zu Comenius, Hartlib und John Pell vertiefen, um hier Klarheit zu bekommen. Dennoch bemerkt man gerade hier den circulus vitiosus des falschen Namens, der nicht ohne Grund geschlossen worden ist – vielleicht durch Wolzogen selbst. Eine Nennung des Namens mag angesichts der subtilen Aufdeckung der Netzwerke einer europäischen Protoaufklärung – wie sie maßgeblich in den Forschungen Martin Mulsows vorliegt – bescheiden genug klingen; aber vor einer Aufklärung über Wolzogens Herkunft und Leben wird man nicht wirklich im Klaren sein über sein intellektuelles Streben. Die Regel eines alten Lateinkurses verletzend, nie zu sagen, wie es nicht zu machen sei, sondern stets, wie es zu machen sei, beginnt man am besten mit den Irrtümern über Wolzogens Namen, die sich wie ein Virus in der Literatur verbreitet haben (wobei man sich immer wieder nur wundern kann, wie wenig auch in der historischen Forschung vom Autopsie-Prinzip Gebrauch gemacht wird). Die Grundlage dafür bildet immer noch die Darstellung von Wolzogens Leben, wie sie sein erster Biograph, Alfred von Wolzogen, aufgrund der Akten im Familienarchiv zusammengestellt hat, die allerdings mit den überlieferten Handschriften zu kollationieren ist.2 Erst dann wird es möglich sein, Wolzogens Freundschaft mit Samuel Hartlib und vor allem seine interessante Beziehung zu Comenius wirklich zu würdigen, dessen Pansophia der Sozinianer seinem Projekt einer großen mathematischen Didaktik zuarbeitete, der sich aber gleichzeitig im ideologischen Streit mit ihm befand. So lässt sich dann auch eine Brücke schlagen von Comenius versus Wolzogen zu Wilhelm Diltheys großer Eloge auf den Sozianismus und ihrer Widerlegung durch Peirces Semiotik, die sich nicht zuletzt auf die heilige Trinität beruft, die Wolzogen so eifrig bekämpft hat.
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Vgl. Jacek Juliusz Jadacki: Warsaw: the Rise and Decline of Modern Scientific Philosophy in the Capital city of Poland (Papers on the Lviv-Warsaw School), in: Axiomathes 2–3 (1994), S. 225–241. Alfred Freiherr von Wolzogen und Neuhaus: Geschichte des Reichsfreiherrlich von Wolzogen’schen Geschlechts, Bd. 1. Leipzig 1859. Vgl. den biographischen Überblick bei Roberto Bordoli: The Socinian Objections: Hans Ludwig Wolzogen and Descartes, in: Martin Mulsow, Jan Rohls (Hg.): Socianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and cultural exchange in seventeenth-century Europe. Leiden [u. a.] 2005, S. 177–186; hier 177–178. Bezüglich des fingierten Druckortes von Wolzogens Descartes-Schrift, Irenopoli (= Amsterdam), ist Bordoli nicht ganz präzise, wenn er Irenopolis schreibt; dieser fiktive Ort ist aber nicht griechisch (polis), sondern eher italienisch (poli) zu lesen. Nach Emil Weiller (Die falschen und fingierten Druckorte, Bd. 1, Leipzig 1864) taucht dieser Name bei Balei: Carfennae Hylandri, Irenopoli 1578 und bei Fausto Socini: De Officio Hominis Christiani, Irenopoli 1610, erstmals auf. Man könnte also vermuten, dass bei dieser Erfindung des Druckortes ein Zusammenhang mit Franciscus Junius d. Ä.: Eirenicum de Pace Ecclesiae Catholicae, 1593, besteht.
Vorwort
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Greift man nach der Methode des Bibelstechens zu einer der vielen Enzyklopädien, in diesem Fall zum Neuen Historisch-Biographisch-Literarischen Handwörterbuch des Samuel Baur von 1810, so findet man im Ansatz einen durchaus korrekten Eintrag: Wolzogen ( Joh. Ludw.) Freyherr auf Neuhauß, Fahrenfeld etc., aus dem Oesterreichischen gebürtig. Er bekannte sich anfangs zur reformierten Kirche, weil er aber darüber angefochten wurde, so gieng er nach Polen, und trat das.[elbst] zu den Socinianern. Nach mehrern Gesandschaftsreisen lebte er an verschiedenen Orten als Privatmann, u. gab die festeste Ueberzeugung von den Lehrsätzen, die er durch eine beträchtliche Anzahl von größtentheils vor ihrer Bekanntmachung verbrannten Schriften zu erläutern und zu vertheidigen gesucht hatte, noch im Tode zu erkennen. Denn er starb 1661 zu Schlichtingsheim, der Erbstadt seines Freundes Schlichting, unter ernsthaften Gesprächen mit dem lutherischen Prediger des Orts, den er selbst foderte, u. mit dem er zuerst, ihm seine volle Besinnung zu zeigen, mathematische Materien abhandelte.3
Doch schon im folgenden Artikel zu dem Theologen Ludwig von Wolzogen (1635– 1690), einem außerordentlichen Professor für Kirchengeschichte und Prediger an der wallonischen Kirche zu Utrecht, dessen Auseinandersetzung mit Jean de Labadie über eine Schrift des Spinozafreundes Lodewijk Meijer zur rationalen Auslegung der Bibel bis zu Leibniz drang,4 gibt es eine folgenreiche Verwirrung:
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Samuel Baur: Neues Historisch-Biographisch-Literarisches Handwörterbuch […], 5. Band. Ulm 1810, Sp. 868–869. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Reimund Sdzuj: „Adamus in filiis lucis non peccavit“. Die ersten Reaktionen der reformierten Orthodoxie auf Lodewijk Meyers Programmschrift Philosophia sacrae scripturae interpres (1666), in: Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt (Hg.): Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Berlin [u. a.] 2005, S. 157–186. Sdzuj überträgt, wenn er (S. 161) von „Kontroversschriften“ redet, wie allgemein üblich den modernen Begriff der Kontroverstheologie auf die Diskussionen des 17. Jahrhunderts. Indessen scheint es noch gar nicht geklärt zu sein, ob man auf das Genre der Polemica genannten Schriften (z. B. bei Wolzogen) diesen Begriff umstandslos anwenden kann (vgl. Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert, Tübingen 2005, S. 7, der darauf hinweist, dass die Germanistik in Bezug auf Polemik „bis heute keine befriedigende Klärung dieses Begriffs erzielen konnte“). Zu klären wäre dies vor allem unter Berücksichtigung des Begriffes der Öffentlichkeit; Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Darmstadt und Neuwied 1982, der sich ganz auf die Geschichte des Kritik-Begriffes konzentriert, blendet theologische Kontroversen, überhaupt den Begriff der Kontroverse gänzlich aus. Vielleicht kommt man der Antwort, welchen Begriff von Öffentlichkeit man bei den Polemica des 17. Jahrhunderts voraussetzen muss, durch eine Analogie näher, die regelmäßig im Zusammenhang mit den Hartlib Papers verwendet wird: Hier scheint mir die Metapher des Netzwerkes durchaus im modernen Sinn angebracht, indem man die Hartlib’sche Korrespondenz mit einem Rechnerverbund vergleicht, in dem E-Mails (Briefe) hin und hergehen; wie es ja bekannt ist, dass Gelehrte dieser Zeit sich vor allem unter Kollegen verständigt haben. Interessanter- und kurioserweise war damals und ist heute der Status dieses kollegialen und polemischen Austausches als ‚Öffentlichkeit‘ prekär.
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Christoph von Wolzogen
Wolzogen (Ludwig von) Prof. u. franz. Pred. zu Utrecht, geb. 1632 zu Amersfort von adel. Eltern, die ursprüngl. aus Oesterreich waren. Sein Vater, Joh. Ludw. v. Wolzogen, Freyh. von Neuhauß, ein geschickter Mathematiker, erzog ihn sorgfältig.5
Hier irrt das Handwörterbuch: Ludwigs Vater war vielmehr Hans von Wolzogen (geb. 1596) aus der – nicht freiherrlichen – sog. Missingdorfer Linie, der als eines der zu Rebellen erklärten Mitglieder der protestantischen Stände Niederösterreichs um 1628 nach Holland auswanderte und sich dort in Amersfoort niederließ. Wie kam es aber zu diesem Irrtum, von dem übrigens der andere abhängt, dass man die beiden Ludwigs in der Literatur häufig verwechselte, obwohl dem schon die Geburtsdaten widersprechen? Zweifellos hat Baur den locus classicus der Nachrichten über den Utrechter Prediger, Pierre Isarn de Capdevilles Schrift Lettres sur la vie et la mort de Monsieur Louis de Wolzogue zurate gezogen,6 wo auf S. 6 tatsächlich von der sorgfältigen Erziehung des Sohnes durch den Vater die Rede ist. Eine weitere Verwirrung hat Joseph Reber in seiner Einleitung zu Comenius’ Lebensregeln (Regulae vitae) gestiftet,7 die Comenius’ Aufenthalt in Elbing 1642–1648 betrifft. Neben interessanten Einzelheiten, etwa dass Wolzogen ein Agent der schwedischen Regierung gewesen sei, der sich in Norrköping aufgehalten und zwischen Comenius und den Wünschen seines Patrons und Geldgebers Louis de Geer vermittelt habe, scheint Reber über Wolzogens Herkunft und Stand völlig im Unklaren gewesen zu sein. Er nennt ihn „vom niederen Adel“, wahrscheinlich „aus dem Ostseegebiete“, wie „schon sein Name“ besage.8 Daher scheint die Angabe zu kommen, die man in der neuesten Literatur zum Netzwerk zwischen Comenius, Hartlib und John Pell lesen kann: Dort wird ein Brief Pells an Hartlib zitiert, in dem dieser über „a curious and accommodatious Weaving-Instrument … which the Swedish Baron Wolzogens wife
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Diese Information übernimmt Samuel Baur aus dem Zedler’schen Universallexikon, Leipzig und Halle 1748, wo übrigens jeder Hinweis auf Wolzogens mathematische Tätigkeit fehlt. [Pierre Isarn / Ysarn de Capdeville]: Lettres sur la vie et la mort de Monsieur Louis de Wolzogue, pasteur de l’Eglise Wallone d’Amsterdam, & professeur en l’histoire civile & sacrée dans l’Ecole Illustre de la même ville. Amsterdam 1692. Diese Schrift wird in den Bibliographien und Bibliotheken immer ohne den Autor genannt. Joseph Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln (Regulae vitae) mit einem einleitenden Berichte über des Comenius Aufenthalt und Thätigkeit in Elbing vom Jahre 1642–1648. Aschaffenburg 1894. Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln, S. 3–4. Der Vermutung, dass der Name Wolzogen slawischen Ursprungs sei, ist schon Hans v. Wolzogen (1848–1938) nachgegangen; sie findet genealogisch keine Bestätigung, obgleich neben der zweifelsfreien urkundlichen Herkunft der Familie aus Niederösterreich sich in Friedrich Wigger: Geschichte der Familie von Blücher, Bd. 1, Schwerin 1870, Urkundenanhang S. 47, eine Lauenburger Urkunde vom 30. April 1271 findet, wo ein Hernesti de Wolszhowe als „militum“ erwähnt wird.
Vorwort
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did vse in Holland to get her subsistence by“ berichtet.9 In Hartlibs Ephemerides vom April 1651 lautet die Stelle vollständig: A curious and accomodatious Weaving-Instrument mentioned by Mr Pell which the Swedish Baron Wolzogens wife did vse in Holland to get her subsistence by much used in Bohemia wherby waiscots in all manner of colours are exactly woven. as likewise any other matter.10
Es wäre sicher reizvoll, der Frage nachzugehen, inwiefern Wolzogens Frau sich ihren Unterhalt (subsistence) mit der Seidenweberei verdiente,11 wobei es vielleicht dem Reich der Legenden angehört, dass sich, wie die Wolzogen’sche Familienüberlieferung sagt, ein Baron, dessen Papiere durch einen Wasserschaden vernichtet worden seien, mit dem Hinweis ausgewiesen habe, dass er nie einer Arbeit nachgegangen sei. Aber das wäre das Thema einer eigenen Abhandlung. An dieser Stelle soll nur von Interesse sein, dass es sich hier um eine Verwechslung handeln könnte. Denn Johann Morian schreibt am 26. Mai 1639 aus Amsterdam an Hartlib: Baronis Wolzogen Schwager vnd Vetter gleiches stands vnd Nahmens ist allhier bey vnsz heuszlich vnd fòngt an nach H Comenij vestibula vnd Ianua etlicher leuthe kinder zue Instruirn dem Ich so viel müglich zue hand gehen vnd verschaffen will damit beide diesze bucher auch ins Niederteutsch transferiret werden.12
Da Schwager und Vetter zugleich in der Familie eine relativ seltene Kombination sind, kann es sich nur um Hans v. Wolzogen aus der Missingdorfer Linie, den Vater des Theologen Ludwig (Louis) v. Wolzogen handeln, dessen Frau Sophia Freiin v. Wolzogen-Neuhaus (geb. 1604) war.13 Somit muss es also zwischen Hans Ludwig v. Wolzogen 9
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Noel Malcolm, Jacqueline Stedall: John Pell (1611–1685) and his correspondence with Sir Charles Cavendish. The mental world of an early modern mathematician. Oxford 2005, S. 107. Allerdings relativieren die Autoren (ebd., Anm. 26) diese Aussage: „Wolzogen was ‚Swedish‘ in the sense that he later lived in Stockholm under the protection of Louis de Geer (who had major trading manufacturing, and mining interests in Sweden).“ HP 28/2/20A. Hier und im folgenden zitiert nach der online-Edition der Hartlib-Papers: https:// www.dhi.ac.uk/hartlib/ (25.1.21) Mit waiscots sind wohl waistcoats, d. h. (Herren)westen gemeint. Nur darum kann es gegangen sein. Vgl. HP 61/7/6B: „Ad Titulum Silke-Worms / Description of Wolzogen of Petty-mystery / with the Figure / for Weaving of Silke Worms.“ HP 37/24A. Ob nun Pells Bemerkung über die „subsistence“ der Baronin Wolzogen in Holland sich auf Sophia (geb. Freiin v. Wolzogen-Neuhaus) bezieht, von der ein (undatiertes) „Briefel“ an ihren Bruder Hans Paul I. – ein einziges „inniges seufzen“ – in diesem Sinne gelesen werden könnte, oder auf ihre Schwägerin Elisabeth (geb. Schrattenbach) – beide hatten trotz Emigration noch Anteile an dem sehr bedeutenden Wolzogen’schen Erbe, so dass für beide ganz allgemein zu bedenken gilt, was die Familiengeschichte über die Ausstattung der adeligen Damen der damaligen Zeit zu berichten weiß: wie etwa Sibylla, geb. v. Schrattenbach (also die Schwester von Hans Ludwigs Frau Elisabeth) von all ihren Goldketten, Perlen und Diamanten (nicht zu vergessen „die gehörige Anzahl von Atlas-, seidenen und Pelzgewändern“, wie sie nur bei den Damen der Fürstenhäuser und haute finance noch zu finden sei) geradezu „gestrotzt“ habe. Wolzogen: Geschichte,
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Christoph von Wolzogen
und Hans v. Wolzogen regen Austausch über die Verbreitung von Comenius’ pansophischer Lehre gegeben haben – wodurch die Verwechslung der beiden Ludwigs (des Utrechter Reformierten mit dem Sozinianer) wenigstens einen realen Boden hätte (wobei man natürlich in Kauf nehmen muss, dass der Amersfoorter Vater mit seinem Sohn verwechselt wird). Da hier der Boden der Spekulation betreten wird, gehe ich über zu den von Alfred v. Wolzogen gesammelten urkundlichen Nachrichten.14 Hans Ludwig Freiherr v. Wolzogen und Neuhaus15 wurde am 28. Mai 1600 als ältester Sohn des Hans Christoph I. Freiherr v. Wolzogen und Neuhaus (1557–1620) und der Sophia Freifrau v. Wolzogen und Neuhaus, geb. Herrin von Dietrichstein (gest. 1612) geboren – in einer Zeit des Übergangs, die von der wachsenden Macht der Gegenreformation geprägt war. Diese repräsentierte vor allem der Schwager seines Vaters, der Kardinal von Dietrichstein, der allerdings seinem erzprotestantischen Schwager, bis 1601 niederösterreichischer Postmeister und danach kaiserlicher Hofkammerrat, versicherte: „In allen occasionibus vnd in allen standt bleib ich meinen Herrn schwager verbunten.“ Aber auch er konnte nicht verhindern, daß die Wolzogen ihren Besitz liquidieren und Österreich verlassen mussten.16 Dies prägte die Kindheit Hans Lud-
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Bd. 1, S. 227. – Während allerdings die Kostümgeschichte sich darauf beschränkt, die Bekleidung des Adels im Vergleich zum Hof und zum sich entwickelnden Bürgertum im Hinblick auf soziale Differenzierung zu untersuchen (vgl. Annemarie Bönsch: Adelige Bekleidungsformen zwischen 1500 und 1700, in: Herbert Knittler, Gottfried Stangler, Renate Zedinger (Hg.): Adel im Wandel. Politik, Kultur, Konfession 1500–1700 [Ausstellungskatalog. Niederösterreichische Landesausstellung Rosenburg 12.5.–28.10.1990], Wien 1990, S. 169–187), wäre hier die Frage, inwiefern Pells Erwähnung eines Seiden-Webstuhles für die „subsistence“ einer Baronin im Hinblick auf den von Max Weber beschworenen protestantischen Geist des Kapitalismus zu interpretieren wäre, welcher eine Maria Sibylla Merian im Geiste eines Calvin und Jean de Labadie zu ihren Forschungen inspirierte, die freilich beide jeweils von dem Sozinianer v. Wolzogen und von seinem Neffen, dem Prediger Ludwig v. Wolzogen, bekämpft wurden. Vgl. im Folgenden von Wolzogen: Geschichte, Bd. 1, S. 251–302, bes. S. 251–270. Wolzogens kommentierte Liste der Schriften Hans Ludwigs folgt im Anhang als Faksimile. Neben dem dort aufgeführten Originalmanuskript der Christlichen Unterweisung in der Universitätsbibliothek zu Breslau ist noch ein anderes Manuskript erwähnenswert. Vgl. Elemér Lakó (Hg.): The Manuscripts of the Unitarian College of Cluj/Kolozsvár in the Library of the Academy in Cluj-Napoca, Bd. 1: Catalogue. Szeged 1997, S. 16, Nr. 35/B: „Wolzogen, Johann Ludwig: Brevissima Epistola Judae expositio. Latin; end of 17th c.; P[ossessor]: KUF [Unitarian College and Library in Cluj], pp. 111–136 (p. l.; pp. 129–136 blank); 155×105; vellum; a fragment.“ Das ist die durch das Preußische Heroldsamt Ende des 19. Jahrhunderts genutzte Form des Namens. Wolzogen unterschreibt stets „Hanß Ludwig Wolzogen Freyherr zu Neuhauß etc.“ Kardinal Franz v. Dietrichstein an Hans Christoph I. v. Wolzogen, Cremsir, 9. November 1611, ÖNB, ehem. Freiherrlich von Wolzogen’sches Familienarchiv. Aufschlussreich auch ein undatierter Brief des Kardinals vom Herbst 1612, dessen Autograph im ÖNB ich in das heutige Deutsch übertrage: „Großes Unrecht hat mein Herr Schwager, dass er, unangesehen ihm bewusst ist, wie sehr ich demselben und den seinigen zu dienen begehre, so oft repliziert, und bitte, was mir eine große Freude und Freundschaft ist und ich darum bitten soll, dass meines Herrn Schwagers Sohn [Hans Paul I.] mir viel fleißiger und mit größerer Sorge und Respekt aufwartet als meine eigenen besoldeten Diener. Die Freiin aber wird von meiner Gretl [Franzisca Margaretha, verh. Lobkowitz] wie eine Schwester geliebt und ist man ihr in allem, ausgenommen die Religion [sic!], billig
Vorwort
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wigs, über die nichts weiter bekannt ist. Man muss annehmen, dass er auf dem väterlichen Schloss Neuhaus bei Wien erzogen wurde. Im Stammbuch des Clemens Hizler, Magister aus Ravensburg und Präzeptor in Steyr, taucht er unter Steyr, den 20. Mai 1612 (immerhin im zarten Alter von 12 Jahren) mit einer Eintragung auf.17 Nach seinem Studium in Wittenberg18 ging er, wie sein Biograph angibt, um 1625 nach Polen an den Königshof. Etwa aus dieser Zeit könnte sein Porträt stammen, das einen zeitypischen Edelmann zeigt. Ebenfalls zu dieser Zeit heiratete er Elisabeth von Schrattenbach aus einer alten schlesischen Familie; mit ihr hatte er zwei Töchter. Aus einigen noch erhaltenen Schreiben kann man Stationen seines Lebens verfolgen. Wichtig ist ein Brief vom 7. September 1625 an seinen Bruder Hans Paul I. (1591–1658), der die Verbundenheit mit seinem Schwager Hans von der Missingdorfer Linie bestätigt, die aus dem schon zitierten Brief des Johann Morian aus Amsterdam hervorgeht, der aber auch Einblicke gibt in die Mentalität der evangelischen Stände in Österreich, mit deren strikter Trennung zwischen privat und öffentlich es sich absolut vertrug,19 dass ein
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geneigt. Ist Gott weiß ein frommes, schönes, tugendhaftes Fräulein und der Herr Schwager hat wohl Ursache, sich ob solcher Kinder glückselig zu schätzen.“ – Was mit den Familien passierte, die nicht soviel Glück hatten – darunter auch Matthias von Wolzogen (1588–1665), der sein Gut Missingdorf verlor und umgehend das Land verlassen musste –, kann man nachlesen bei Karl G. Kryspin: Neuhaus im Wienerwalde und die Wolzogen, in: Berichte und Mitteilungen des Alterthums-Vereins zu Wien 30 (1894), S. 78–100, hier S. 94. Am 16. September 1620 verkündete ein Herold auf den Plätzen von Wien, daß 31 Mitglieder des österreichischen Adels ihres Lehens und ihrer Güter für verlustig und durch kaiserliches Patent für vogelfrei erklärt wurden. Vgl. Copia Der Röm: Kays: May: Declaration de dato 12. Septemb. Anno 1620. Dadurch 31. Oesterreichischer Herren und Ritterstandts / für Rebellen / vnd das Sy Leib / Ehr / Haab vnd Gut verwürckt haben / erklärt worden. Augsburg 1620. Was mit diesen Familien, aber auch sonst durch die kaiserlichen Kriegsvölker geschah, teilt Kryspin aus einer Klageschrift der Stände mit, in der wirklich alles beschrieben wird – entsetzliche Grausamkeiten, wie sie später bei Goya sich gerade nur angedeutet finden. Württembergische Landesbibliothek, StB-Nr. 84: „Johann Ludwig Frh. von Wolzogen“. Es scheint, als habe Hans Ludwig sein Studium auf Umwegen aufgenommen: in Straßburg (wie schon sein Bruder Hans Paul 1605–1607). Jedenfalls findet sich unter Straßburg, 24. Juni 1617, ein Eintrag von ihm im Stammbuch des Balthasar Schönberger von Steinfeld, der von 1615–1618 an der Straßburger Akademie studierte, sich aber im Mai 1619 in Tübingen immatrikulierte, da Straßburg zwar ein breites Fächerspektrum (Logik, Ethik, Mathematik, Physik, Geschichte, Jurisprudenz, Theologie und Musik) anbot, aber keinen akademischen Abschluss. Vgl. Germanisches NationalMuseum Nürnberg (Hg.): Die Handschriften des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Bd. 5: Die Stammbücher. Teil 1: Die bis 1750 begonnenen Stammbücher, beschrieben von Lotte Kurras. Wiesbaden 1988, S. 57 (Hs 6037c). So wird wohl auch Hans Ludwig gewechselt haben. Allerdings lassen sich von den Wolzogen aus den gedruckten Matrikeln Vitebergensis nur zwei Missingdorfer nachweisen: Ostern 1597 „Andreas Wolzogen [geb. 1581] iunior Viennensia Austriacus“ (gemeinsam mit seinem Cousin „Matthias Hoe [1580–1645] Viennensis Austriacus“) und 1632 „Paulus Wolzogen in Missingsdorff nobilis Austrius Wiennensis donatus civitate“. Es kam aber durchaus vor, dass Eintragungen ohne Namensnennung vorgenommen wurden. Wolzogen: Geschichte, Bd. 1, S. 215, Anm. 1, gibt dafür ein interessantes Beispiel, dass nämlich Briefe in der Regel breves waren und der eigentliche Inhalt vom Überbringer mündlich vorgetragen wurde.
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Christoph von Wolzogen
katholischer Herr von Dietrichstein eine erzprotestantische Hochzeitsfeier ausrichten konnte. Hans Ludwig schreibt, dass verschinenen 27. Augusti ein Ansehnliche Geselschaft von theils unsrer befreunten, theils andre Herrn alhiro nach Neuhauß uns zu besuchen ankommen, Unter welchen Herr Carl Küssel, Herr Fernberger, Herr Stauber, Herr Ander und Herr Paull Wolzogen, Neben andre mehr Herrn, Frawen … gewesen. Nachdeme es aber gleich also die occasion gegeben, habe ich mich unterstanden, Unsers fr. villgeliebten Herr Vettern, Herrn Hannsen Wolzogen, Undt unserer Schwester, (nunmehr) Frawen Sopherl, in Ihren schon Lang gehabte desiderijs zu uergnüegen, und zugleich beder iezt gemelte Verliebten Persohnen Hoche Zeit in Gottes nahmen anzustellen. Seind also selbige Verwichenen 28. Augusti in bey sein ieztgedachter Hochansehnliche Geselschafft nach Ordnung der Christlichen Kirche, Von N. Pfarherrn Zu Urselone (weillen Herr Haselmayr nicht zur stell gewest) copulirt, undt also solches Ehrenfest, ohne sonder Ceremonien undt gebrauch (gott lob) gar woll und still vollzogen worden. Und habe ich mich solches Zuthun umb desto ehunder Unterfangen, weillen es gleich die gewünschte gelegenheit gegeben, das Herr … Von Dietrichstein in Landt ist, welcher nach dem Ich Ihme die Sachen fürgetragen, und seines Raths gepflogen, es Ihme (so woll als auch Herr von Grüenthall) michs allein gar woll gefallen Laßen, sondern auch selbsten den Heyratsabendt gefertiget.20
Am 11. September 1631 hielt sich Wolzogen in Amersfoort bei seinem Vetter und Schwager auf, am 6. Januar 1636 in Posen und im März 1639 in Wien, wo er an einem adligen Faschingsfest, einer ‚Bauernhochzeit‘, teilnahm, über das das Wiener Fremden-Blatt vom 2. Februar 1896 ausführlich berichtet: Sein Bruder Hans Paul gab den ländlerischen Bauer, er selbst einen „Studenten von Wittenberg“, hinter den das Fremden-Blatt ein dezentes Ausrufezeichen setzt, konnte man doch immerhin hier alle Mitglieder einer jeunesse dorée (sprich Gegenreformation) aufgeführt sehen: die Starhemberg, Hoyos, Polheim, Trautson, Dietrichstein, Truchseß, Liechtenstein und andere mehr unter der Schirmherrschaft des Kaisers Ferdinand III. Dies gibt immerhin ein anderes Bild von Wolzogen, als man es durch die überlieferten Stiche eines alten, weisen Mannes gewohnt ist, den man in geistigen Welten, nicht aber im wirklichen Leben wähnt, wobei eben genau diese Einschätzung eine Projektion der Moderne ist, die den Sozianismus gerne unter die Begriffe ‚Flucht und Vertreibung‘ subsummiert, während er doch ein farbiges Experimentierfeld war, das nicht zuletzt – über alle ideologischen 20
Hans Ludwig v. Wolzogen an seinen Bruder Hans Paul, Schloss Neuhaus bei Wien, 7. September 1625, Privatbesitz. Wolzogen: Geschichte, S. 253–254, übersetzt diese Passage zwar elegant, nimmt ihr aber auch etwas die Farbe: Wolzogen berichte, „daß er am 28. August [1625] im Beisein einer großen, hochadeligen Gesellschaft, jedoch sonder Ceremonien, beider jetzt gemeldeter verliebter Personen, unsers vielgeliebten Herrn Vettern, Herrn Hannßen Wolzogen, und unserer Schwester, nunmehr Frawen Sopherl, Ihren schon längst gehabten desideriis zu genügen, Hochzeit in Gottes Namen habe anstellen lassen, daß aber, da der Neuhauser Schloßprediger, Herr Haselmeyer, nicht zur Stelle gewesen, ein fremder Pfarrer die Trauung vollzogen habe“.
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Gräben hinweg – auch die Didaktik des Comenius mit ihrer ganz neuen Verbindung von Text und Bild (vielleicht die erste moderne Produktion von Bildern überhaupt)21 beerbte. Unter diesem Vorbehalt, der erst dem Bild dieses österreichischen Edelmannes die rechte Schattierung gibt, muss man die biographische Vorrede lesen, die ein G. T., der sich selbst einen „Curator“ von Wolzogens Nachlass nennt, zu Wolzogens Schrift Christliche Unterweisung geschrieben hat: Denn ob Er wol auch im Fleische vertrauen kunte / als der von geburth und Stande ein FreyHerr von Neuhäusel in Oestereich / von nicht geringen vermögen und Landgütern / in Kayserl May. Gnaden wegen Angebotener beföderung unter gewöhnlicher Condition im Babstthum / von ungemeiner Erudition beym Herren stande / von sehr angenehmen Qualitäten und Eigenschafften / von holdseeligen Lippen / daß nicht nur die Grossen im Königreich Pohlen seine Conversation hoch beliebet / sondern Er auch in Königlichen und Fürstlichen Heyraths Gesandschaften gebrauchet worden: so hat doch die Liebe zur Wahrheit Gottes und zur Erkenntnis Jesu Christi seines Sohnes / sein Hertz so gar eingenommen / daß Er in Wahrheit / umb Christum zu gewinnen / und in Ihm erfunden zu werden / allen diesen Zeitlichen Gewinn / gegen der Vortrefflichkeit dieser Erkenntnis vor außkericht ja schaden geachtet. Und ob Er auch in denen Philosophischen Wissenschaften / vornehmlich in Mathematicis hochkommen war / so hat Er doch die ruhe und Ergetzung sines gemüthes nicht darin; sondern allein in der Theologia und Erforschung der Wahrheit und erkenntnis der Lehre / die nach der Gottseeligkeit ist / gesuchet und gefunden. Und ist die Heylige Schrifft / sein auffenthalt / freude / und Leben / ja sein alles in allem gewesen / wie seine Arbeit in Christo und viele Schrifften außweisen / derer Er einige selber bey seinem Leben durch den Druck herauß gegeben / andere unter eigner Hand hinterlassen / worüber Er mich bey seinem Seeligen Abschiede zum Vollmächtigen Curator gesetzet.22
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Immerhin von jemandem, dem „das Copernikanische Weltsystem als ungeheuerlich, ‚monstrosus‘ erschien“ und der gegenüber Galilei „an der Bewegung der Sonne um die Erde festhielt“. Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln, S. 5. G. T.: Anrede zu dem Wahrheit liebenden Leser, Joh. Ludwig von Wolzogen Freyherrn von Newhäusel in Oesterreich: Christliche Unterweisung / Wie diejenigen Oerter H. Schrifft Alten und Neuen Bundes / welche die heutige Christen ins gemein zu Behaubtung der drey Persönlichkeit des Einigen und allein wahren GOttes mißbrauchen / Schrifftmäßig zu verstehen seyn. Allen die den Herrn JESum in Unverweßlichkeit lieb haben zur Erbauung gegeben, Im Jahr 1684. Zu dieser Schrift (und zu den anderen) vgl. im Anhang das Faksimile der kommentierten Bibliographie Alfred v. Wolzogens. Diese Schrift scheint übrigens die Quelle zu sein, aus der noch heute die Bibliographien schöpfen, wenn sie Wolzogens Namen den „Freiherren von Neuhäusel“ anhängen. In meinem Exemplar hat ein Vorbesitzer um die Mitte des 18. Jahrhunderts unter Berufung auf Michael Lilienthal: Biblisch-Exegetische Bibliothec, 8. Stück, Königsberg 1748, S. 1018, notiert: „Ein gar rares Buch. Einige lateinische Schriften des Wolzogens stehen in der Bibliotheca Fratrum Polonis, aber dieses deutsche und desto gefährlichere Scriptum ist darinnen nicht anzutreffen; und kommt selten zu Gesichte.“
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Aber zurück zur Darstellung der Lebensstationen Wolzogens seit seiner Zeit um 1625, als er am polnischen Hof mit Staatsgeschäften befasst war.23 Über die genauen Umstände, wie er mit den Sozinianern in Kontakt kam, gibt die Familiengeschichte keine nähere Auskunft. Sie nennt aber neben Martin Ruarus den von den Sozinianern als „philosophus excellentissimus“ gerühmten Arzt Florian Crusius als Freund und Korrespondenten Wolzogens. Der Kontakt scheint sehr eng gewesen zu sein, denn Crusius schreibt am 21. Juli 1628 in einem Brief: Ich selbst habe kein System der Theologie geschrieben. Wol aber schrieb Baron Wolzogen eine Confessio und gleichsam Summa der christlichen Religion in deutscher Sprache. Aber auch dieses Werk nahm einen solchen Umfang an, daß es sich nicht so leicht und nicht in so kurzer Zeit, wie Du glaubst, beschreiben läßt. Ich aber – schrieb eine Abhandlung über Religionsfreiheit und vor dieser eine andere über die Trinität bis zur Hälfte. Das Uebrige hat Wolzogen aus meinen Bemerkungen ergänzt.24
Wolzogen, „der ein unstetes Leben führte und bald in Polen, bald in Holland, bald in Schlesien und der Mark seinen Wohnsitz nahm“,25 scheint sich, bevor Martin Ruarus 1643 wegen Sektiererei von dort vertrieben wurde, eine Zeitlang in Danzig aufgehalten zu haben, jedenfalls zitiert die Familiengeschichte einen Brief von Abraham Opalinski an Ruarus in Danzig: „Generosum Dominum Volzogen vel fuisse, vel esse Dantisci autumno.“26 Wolzogens Ansichten scheinen besonders radikal gewesen zu sein. Dieselbe Synode zu Raków, die Wolzogen 1647 zu einer Missionsreise aufforderte, ließ ihm 1649 über Martin Ruarius einen Beschluss zukommen, wonach er künftig keine Schrift mehr veröffentlichen solle, die nicht die Zensur der Polnischen Brüder passiert habe27 – was nicht zuletzt die komplizierte Edition seiner Schriften innerhalb der Bibliotheca fratrum polonorum erklären würde –, denn immerhin hatte er in seiner Schrift über die Erklärung der beyden unterschiedlichen Meinungen von der Natur und 23
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Wolzogen: Geschichte, S. 260, berichtet, dass Hans Ludwig besonders beim König Wladislaw VII. „gut accreditirt“ gewesen sei, von dem er ebenso wie von Johann Casimir für Staatsgeschäfte eingesetzt worden sei, etwa als Legationssekretär (ab epistolis legatis) bei zwei großen Gesandtschaften 1625 und 1638 (letztere in Paris mit dem Wojwoden von Posen, Christophorus Opalinski, wegen der zweiten Gemahlin des Königs, Ludoisca Maria, Tochter des Herzogs Carlo Gonzaga von Mantua und Nevers) – ohne allerdings dafür eine Quelle anzugeben. Zweifellos bezieht er sich dabei auf Samuel Friedrich Lauterbach: Ariano-Socinismus Olim in Polonia. Der ehemalige Polnische Arianische Socinismus […]. Frankfurt [u. a.] 1725, S. 346–347. Lauterbach gibt zwar die Daten zu Hans Ludwigs Vater korrekt wieder, ist aber mit Vorsicht zu genießen, da er ebenfalls die Neuhauser Linie mit den Missingdorfern verwechselt und hier einiges durcheinanderbringt. Zit. n. Wolzogen: Geschichte, S. 278. Die in älteren Quellen (so auch bei Lauterbach, s. o.) ventilierte – richtige – Behauptung, Crusius sei ein Schwager Wolzogens gewesen, da er dessen Schwester geheiratet habe (s. u.), bemüht sich die Familiengeschichte (ebd., S. 266–267) als Irrtum nachzuweisen. Ebd., S. 268. Ebd. Ebd.
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dem Wesen des einigen allerhöchsten Gottes (1646) im 10. Kapitel, S. 68, die These aufgestellt, „es wäre leichter, daß ein Mensch ein Esel, als daß Gott Mensch wäre“.28 Im Jahr 1655 hielt sich Wolzogen in Basel auf, wo er gegen die von dem Theologen Johann Heinrich Hottinger verteidigte Dissertation De scriptura sacra et gratuita peccatoris per Christum iustificatione als Opponent auftrat. Ein später Brief von 1658, ein Kondolenzschreiben zum Tode Hans Pauls I. von Wolzogen an seinen Vetter Hans und Neffen Hans Paul II., zeigt ihn, nun im Breslauer Exil, schon ganz abgeklärt, wenige Jahre vor seinem Tod am 16. September 1661:29 Hochwolgeborener Herr, Herr, / Sonders Hoch und vielgel. Herr Vetter30 und Herr Sohn, Wie tieffe wunden sein angenehmes schreiben vom 31. Januarij mihr in mein Herz geschnitten, durch den Bericht von dem tödtlichen abgang, weiland seines vielgeliebten Herrn Vatters, meines so werthen Bruders, das kan der Herr Vetter leichtlich erachten und abnemen aus der Betrachtung der grossen liebe die zwischen uns allzeit geblüet hat. Aber was soll ich alhier anders sagen, als daß diese der Weg ist, den alles Fleisch gehen muß, und darauff auch ich allezeit mit dem einen Fuß stehe? Und ist derselbige gar nicht für unselig zuschäzen, der die Thür seines Lebens seliglich und mit Gott zugeschlossen hat, ob es schon den Hinterlassenen schmerzlich fellt. Und trage ich keine Zweiffel, derselbige Gott der meines Herrn Bruder sel. Gott gewesen, dem er er treulich gedienet hat, werde auch seines samens Gott sein, Und auch den Herrn Vettern samt seinen Freilein schwestern also versorgen, daß sie seiner Barmherzigkeit zuerkennen werden Ursach haben, wenn sie anders in seinen Wegen, wie ich nicht Zweiffele, wandeln, und ihr leben in warer Heiligkeit ohne welche niemand den Herrn sehen wird, zubringen werden. […] Aber nun lebe ich im exilio, von allen mitteln entblöset, muß auch das meinige, das mihr gewaltsamer weise abgenommen worden, mit dem verdrießlichen Recht wieder suchen. Gott der allerhöchste wolle dem Herrn Vetter samt seinen Freilein Schwestern, die durch diesen todtfall billich betrübt worden, wieder trösten, und sie mit seinem vätterlichen segen so wol leiblich als geistlich erfüllen. In dessen gnadenreichen Schuz ich den Herrn Vettern, neben dienstlichen grus von mihr und meiner Gemahlin an ihn und seiner Freilein Schwestern treulichst, mich aber in seiner liebe befehle. Breslaw d 23. Febr. 1658 / Meines Wolgeb. Herrn Vetter und Herrn Sohns / treuster Vater und Diener / Hanß Ludwig Wolzogen / Freyherr31
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Ebd. Wolzogen: Geschichte, S. 270, beruft sich aus Plausibilitätsgründen dabei auf Friedrich Samuel Bock: Historia Antitrinitariorvm, Bd. 1, Tl. 1, Leipzig 1779, S. 1033, während die handschriftliche Kurtze Nachricht von Hans Paul II. von Wolzogen als Todesjahr 1662 angibt. Hans v. Wolzogen-Missingdorf in Amersfoort (geb. 1596, s. o.) lebte also zu dieser Zeit noch. Hans Ludwig v. Wolzogen an seinen Vetter Hans und seinen Neffen Hans Paul II., Privatbesitz. – Dieser Kondolenzbrief ist um so bemerkenswerter, als der verstorbene „so werthe Bruder“ in einem Ermahnungsbrief (Dresden, 2. Januar 1645, Privatbesitz) seinen Sohn Hans Paul II. ganz auf seine reine lutherische Linie gegenüber „irrigen Lehren“ (worunter er zweifellos auch den Sozinianismus rechnete) eingeschworen hatte: „Weillen so woll mein Alß deiner Muetter sehligen Freunde die Meisten Catholisch, Calvinisch, Vnd anderer Irrigen Lehr sein, vnd man sich nach
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So weit die Familiengeschichte, die nicht zuletzt durch ihre Lücken ein getreues Abbild der Forschungslage bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist. Bedeutend erweitert worden ist die Biographie Hans Ludwigs durch die Studien von Theodor Wotschke, die freilich auch etwas über den endzeitlichen Geist um 1930 verraten. So ist es kein Zufall, dass Wotschke sich besonders mit Johann Permeier (1597–1644?),32 diesem entschiedenen Antisozinianer und ‚umtriebigen Spiritualisten‘ (Mulsow) beschäftigt hat,33 mit ihm, der „nach Luther, dem Schwan, nun der Adler“ werden wollte, der aber mit den Sozinianern, vor allem Wolzogen, in engem familiärem Kontakt stand. Die Briefe an ihn und von ihm, die Wotschke gesammelt und kommentiert hat, sind neben der Familiengeschichte eine unverzichtbare Quelle für die Biographie des Sozinianers von Wolzogen, aus der ich hier nur einen kurzen Überblick geben kann – leider, wie man sagen muss, da es, wie schon Gottfried Arnold in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie geschrieben hat, „wunderbare Briefe“ sind.34
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Meinen Tod auf alle Weiß bemühen würdet, Wie man dich Von der Reinen Euangelischen Lehr abwenndig Machen könnte, also Wollestu dich so viel In deiner Möglig Keit sein wird Vor solchen Leutten Hütten, deine Bibel Vnd andere Euangelische buecher fleißig lesen, Vmb bestendigkeit deines glaubens Gott Vnachlaßlig anruffen, Vnd dich weder geschenck noch gab, weder guette Noch böse Wort, Ja weder leben noch tod bewegen laßen, sondern bei der Reinen erKannten Vnd bekanten Euangelischen Warheit biß an dein sehligs End bestendig verbleiben.“ Wie die Renaissance war das 17. Jahrhundert eben „eine Zeit der Fülle, weil sie noch beisammenhält, was später getrennt wird“, zumal durch die „Überspitzungen des Autonomismus“. Peter Sloterdijk: Konsultanten sind die Künstler der Enthemmung, NZZ, Feuilleton, 18.2.2017. Bei der Durchsicht der Briefe an Permeier fand ich folgende Namensvarianten: Permeyr (Matthias v. Wolzogen), Permejer, Permeieron (Crusius) und Peermayr (Hans Ludwig v. Wolzogen). Martin Mulsow: Bisterfelds ‚Cabala‘. Die Bedeutung des Antisozinianismus für die Spätrenaissancephilosophie, in: Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570–1650. Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik. Tübingen 2009, S. 13–41, S. 38. Vgl. im Folgenden Theodor Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel mit den märkischen Enthusiasten, in: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 22 (1931), S. 1–66. Vgl. ebenso den seltener zitierten, aber wichtigen Aufsatz von Theodor Wotschke: Johann Permeier. Der Primarius der christköniglichen Triumphgesellschaft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 56 (1937), S. 565–592. Wotschkes stark bearbeitete Edition der Briefe ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da er die Handschriften nicht immer wörtlich genau zitiert, sondern nicht selten kompiliert, zudem auch Latinisiertes eindeutscht, wenn er etwa Crusius notorisch „Krause“ nennt. Die von Wotschke eingesehenen Autographen befinden sich im Archiv der Franckeschen Stiftung zu Halle (Studienzentrum A. H. Francke): AFSt/H B 17b. – Ergänzend und kritisch zu Wotschke vgl. Richard van Dülmen: Prophetie und Politik. Johann Permeier und die ‚Societas regalis Jesu Christi‘ (1631–1643), in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 418–473. Zwar reiht sich van Dülmen nicht ein in die Schar derer, die Permeier umstandslos als Phantasten abtun, aber gegenüber Wotschke, der Permeiers Sprechakte immerhin ‚auskostet‘, bleibt bei ihm diese historische Figur seltsam blass. Auch bemerkt er nicht, dass er in seiner Korrespondentenliste (ebd., S. 448) den Amersfoorter Hans mit dem Sozinianer Hans Ludwig von Wolzogen amalgamiert. Und die „Toleranz“, die van Dülmen (ebd., S. 421, 423, 440) zur Erklärung der engen Freundschaft Permeier–Wolzogen bemüht, steht in seltsam abstraktem Gegensatz zum konkreten Krieg, der gleichzeitig wütete. – Im Übrigen liest van Dülmen häufig falsch (vgl. unten, Anm. 47), jedenfalls nicht besser als Wotschke.
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Anfang 1629 sei Permeier mit Hans v. Wolzogen-Missingdorff und seinem Cousin Hans Ludwig nach Raków gezogen, wo sich seine Begleiter dem Sozianismus angeschlossen hätten, während er ihn schroff abgelehnt habe, dann im Winter nach Emden, wo die verschiedensten Bekenntnisse nebeneinander bestanden hätten. Da die Emdener gegenüber diesen ‚großen Fischen‘ misstrauisch gewesen seien, zumal gegenüber sozinianischen, seien Permeier und seine Begleiter weiter nach Amersfoort in Holland gezogen. Auch dort sei man misstrauisch gewesen, und die Empfehlungsbriefe, die die Wolzogen in Polen an die Führer der Arminianer bekommen hätten, hätten mehr geschadet. So habe sich Permeier von seinen Begleitern getrennt und sei Ende 1630 wieder nach Emden gezogen. Dass diese Erzählung so nicht ganz stimmen kann, geht schon aus einem Brief des Hans von Wolzogen-Missingdorf hervor, dessen theologische Haltung man gewiss nicht als radikal ansetzen darf (Permeier nennt ihn auch den „Luther-Hanß“35); jedenfalls schreibt er über die Permeier’schen „Phantastereien“ (Wotschke), die diesen in der Literatur in die Nähe der Rosenkreuzer brachten, am 4. Oktober 1631: Zu des Herrn hohen fürhabendem Werke weiß Ich, weillen Ich es nicht faßen kan, nicht viel zu sagen, Wenn mirs der Herr zu gut halten wolte, wie Ich es aus treuem Herzen, zu seinem beßten, meine, so wolte ich Ihme mein einfalt nicht verhalten, daß Er in sich selbst gienge, und aus dem, daß das Jenige, was Er bishero verhofft, oder fürgeben, nicht erfolgt, wie auch, daß Jedermann sich an seinem ungewöhnlichen fürhaben stoßet, auch fromme Herzen, abnehme und sich erholete, ob nicht etwan solcher Reformations Proceß unzeitig und selbst gesucht, und der Herr beßer thete, wenn Er in seinem vorigen Beruff der Einsamkeit bliebe, dadurch Er mit fürleuchtung seines Gottseligen wandls mehreres erbauen und frucht schaffen, und sein Gewißen und Gemüt auch in beßere Ruhe stellen würde.36
Schon am 3. Mai 1631 hatte er an Permeier geschrieben: So pflegt wol zugeschehen, daß Sie sich in der wissenschafft übersteigen, mit verachtung anderer, und mehrers erhebung Ihrer selbst, alß Christlicher Lieb und Demut eignet, weill diese nur allezeit suchet was beßert, und sich nicht viel mit hohen Reden herfürthut, und mit fremden Fragen bemühet, wodurch nur Zertrennung37 erwecket. […] Wer Christum lieb hat, der liebe doch auch sein Gebot, welches ist, daß wir uns unter einander lieben. Was wollen wir erst viel frembde, und der Schrifft unbekandte art zureden fürstellen, dadurch die Unschuldigen nur verstöret werden. Man bleibe bey dem alten Unterricht und Vermahnung zur Lieb und Gottseeligkeit. […] Ein Jeglicher sehe auf seinen Beruff. Wer was neues fürgibt, der prüfe sein selbst werck, daß es dem Glauben ehnlich seye. Sonst
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Vgl. oben das zweite Motto. Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 7, Anm. 9. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 128v. Wotschke liest: „Zerstreuung“; was in den 30er Jahren nicht zuletzt durch Heidegger Zeitgeist war.
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werden die Stoppeln verzehrt werden. Ich verstehe weiter nicht, alß was mir von Christo, seinen Wolthaten, und heiligem wandl38 gesagt wird, und daß, und wie wir seine nachfolger seyn sollen, kein andere Stimme kenne ich nicht, was Sie auch von wunderdingen predigen mag.39
Es ist also gewiss kein Zufall, dass Ludwig (Louis) von Wolzogen, der Sohn von Hans, der reformierte Cartesianer, kein Sozinianer war. Doch das schmälert den Quellenwert von Wotschkes Sammlung keineswegs, man erfährt zum ersten Male nähere Details über das Leben des Sozinianers Wolzogen und seiner Familie. Immerhin kommt man mit zwei Briefen des Florian Crusius dem Rätsel um den Webstuhl der Frau von Wolzogen und der Identität von Crusius’ Ehefrau näher. Er entschuldigt sich am 30. Januar 1630 in einem Brief an Permeier, dass er dessen Schreiben nicht sogleich beantwortet habe: „Daher ich damals nur dem H. Wolzogen geantwortet habe und ihm das begehrte Gewand, von meiner Frau ausgefertigt, zugeschickt.“40 Die Frage, welcher Wolzogen dieses Gewand nun bekommen habe, kann hier offen bleiben, jedenfalls scheint die von Pell erwähnte Baronin Wolzogen nicht die einzige Frau mit einem Webstuhl gewesen zu sein. Die Identität von Crusius’ Frau wird indessen klar, denn sie selbst gibt den Hinweis. „Meine vielgeliebte Frau“, schreibt Crusius am 25. September 1636 an Permeier, bittet den Hn. auch zum freundlichsten grüssen undt bittet ihn, er wolle ihm ihre sache aufs beste lassen befohlen sein, undt solche bey ihrem Hn. Vetter H. Maximilian Hoë aufs beste zu recommendiren helffen: wir müssen zimlich viel bey unserem iezigen bedrengten Zustande ausstehen, undt haben wenig Hülfe von menschen, ohne was Gott wider verhoffen schicket. […] Es ist alles allhie gar theuer, sonderlich die Häuser undt Wohnungen, und wäre wohl von nöthen das wir stark undt gesundt weren, damit wir desto weniger bedürftig undt der nahrung desto beßer nachgehen könten.41
Crusius ist also (was die Familiengeschichte irrtümlich bestreitet) mit einer Wolzogen verheiratet gewesen. Ihre Tante Helena (geb. 1553), Schwester des Vaters von Hans Ludwig, war mit dem Dr. Leonhard Hoë von Hoënegg verheiratet, und einer ihrer Söhne war Maximilian Ferdinand Hoë von Hoënegg (1623–1657). Der Nachsatz gibt einen deutlichen Blick frei auf die Situation der adeligen Exilanten im 17. Jahrhundert, die ein häufiges Thema dieser Briefe ist. Eine wichtige Rolle spielte dabei Hans Paul I., der älteste Sohn des Hans Christoph I., der, solange es noch ging, zurückgezogen vom 38 39 40 41
Wotschke liest: „Werk“. Wotschke: Johann Permeier, ebd. S. 573. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/h B 17b, Bl. 126r. Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 22. Dieser Brief findet sich nicht in der Sammlung der Franckeschen Stiftung. Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 32, Anm. 67. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: ADSt/H B 17b, Bl. 111r–111v.
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Lärm der Weltgeschichte in Schloss Neuhaus bei Wien wohnte (aber auch er ging ins Exil und musste sogar Kredit bei seiner Frau aufnehmen). In der Frage des Erbes muss es nicht immer gerecht zugegangen sein, zumal der Vater zweimal verheiratet war. Jedenfalls heißt es einmal über die Antwort des mittlerweile in Dresden lebenden Hans Paul auf den Brief, den Permeier wegen Crusius’ Frau Katharina, geb. Freiin von Wolzogen (1588–1642), geschrieben hatte, dass „derselben darin weniger als einer Toten gedacht worden“.42 Die Zeiten waren schwierig und bewegt, und wer hier feste Grenzen einzeichnen will, gerät in Verwirrung. Man umreiße nur die Bemerkung des Florian Crusius an Permeier, „der Hr. werde nun woll sehen das seine Lutheraner noch schlechte progressus zu ihrer monarchia haben“, und er fürchte, „der conventus werde auch zurück bleiben“, – und die Anmerkung Permeiers am linken Rand dazu: Vielleicht darumb weil aus seinen ohne Göttliche absendung, neben anderen noch etwas zu frühe fürgelaufenen Arrian-Photin-Sozinianischen reformationsfratribus außer seines und des Doctor Hoens wie auch des fürstlichen Cardinals von Dietrichstein p Herrn Schwagers und Vetters Herrn Hanß Ludwig Wolzogen Freyherrn p. keiner unter den 24 Mitrichtern zu einem Aßeßohr nahmhaft gemacht worden.43
Es ist wenig sinnvoll, hier nach einem Sinn ‚hinter‘ diesen Worten zu suchen. Permeier beherrscht die rhetorische Kunst der Fuge (Bewegung und Fügung in eins) meisterhaft, und „nie“, ruft schon Wotschke aus, „hat vor ihm und nach ihm sich einer so seltsamer Wortgebilde bedient, solche Wortungeheuer gebaut wie er“.44 Und nie hat nach ihm jemand eine solch sprechende Beschreibung des Sozinianers Hans Ludwig von Wolzogen gegeben, eines „socinianchristethikanische[n] und mit scheinprätendierten Arminiansfedern habilitierte[n] Reformationspolitikus“, der „gleichsam durch neue Geburt so gelehrt und überwitzig abgeflogen“ sei:45
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Crusius an Johann Permeier, 19. Februar 1638, Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 41. In der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung, AFSt/H B 17b, Bl. 120: „Ich spür auß der vom Hn. beygeschickten abschrift desjenigen schreibens, welches er für andtwordt von Hn. Hans Paul von Dresden bekommen, das der Hr. auff das, was er meiner Frawen halber an gemeldeten Herrn geschrieben, keine andtwort bekommen, den[n] derselben darin weniger als eines todten gedacht worden; darauß scheinet, das sie Ihm noch schlecht genug angelegen sein: aber es muß also gehen, so die schrift solle erfüllet werden.“ Crusius an Permeier, Danzig, 25. Novemer 1635, Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 31. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 110. Wotschke: Johann Permeier; Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 572. Was übrigens nicht ganz stimmt: Dem Philosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832), Fichte-Schüler und Begründer des sog. ‚Krausismo‘, verdanken wir so schöne Begriffsungeheuer wie ‚Urmählgeistleib‘, was ihm gelegentlich den Titel eines ‚krausen‘ Denkers eingebracht hat. Permeier an Hans Ludwig von Wolzogen, Emden, 27. Mai 1631, Wotschke: Johann Permeier, S. 582. Diese Passage ist auch interessant für Permeiers wohl bäuerliche Herkunft: „Denn gleich wie mein Vater selbst unter freier Himmelswohnung hinter den Schafen (da er vielleicht niemals die Universität zu Jerusalem vorher betreten) viel absonderliche Griffe auf der Laute künstlich erlernet, die andere königliche Saulshelden zu Hof nicht also geschicklich imitieren können, also hab ich auch
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Seit Er der newen religion zugethan und gleichsam zu einem mit-Bawmeister darinnen promovirt worden, hat Er sich auch selbiger vernunft-sorgfeltigen Rechenkunst bey seinen Christl[ichen] Libs-bezeigungen viel genawer als weil Er noch ein Zel[l]erischer glaubdiscipel gewesen, beflißen, inmaßen Er dergleichen specifications-form eben deßelbigen Herrn Sohn und deßen gewesenen praeceptorem, den Crusium, betr[effend] mir zu Crakaw einsmals eingehändiget, und so Er auch mit mir wegen voriger Cost-zeit oder sonsten derley intendiren möchte, sonderlich weil meine rekommendationes seinethalben durch Gottes scheinbarliche selb-verhinderung der Zeit noch nicht nach wolgefallen ersproßen, trag Ich gar kein bedenken nach meiner rechtschaffenen gutwilligkeit, solches also gerne hin-passiren zulaßen, und nichts dagegen zu estimieren das Ich förderst umb seinetwillen wol ein mehrers spendirt, will nicht sagen, dabey sonsten viel ein merkliches verabsäumet, und noch darzue über die tausend Meil hin und wider lebens-gefährliche Reisen zu waßer und Lande, so trewherzig und recht-liebs-artig auff mich genommen und vollendet habe.46
„Nach disem“, so heißt es schon früher in dem Brief, hat sich also der dissident-handel zwischen unß erhoben, das sich mein guter herr HannßLudwig mit meinem von selbiger Zeit an durch den lezt-Noachischen süß-rausch occupirten humor nimmer eigentlich der Dialectical-geregelten Religions-Puncten halber berechnen können, Zumahl Er durch bey-verspürte widergeburts-Menschen-Söhnliche Elias-Kraft, nach recht-gewissen, gnugsam zuermeßen gehabt, das die bevorstehende allgemeine Christenthumbs-scharf-reformation eingebildetermaßen gar nicht nach dem new-san-ration-angestrichenen Sozianischen falsch-schein, sonder nach der that-Craffts wirklichen und fleisch-vernunft Gott-frieds-höchlich übersteigen auch im übrigen AltLuther-Arndtisch-vier-Buchs-wol-distinguirte Catholisch-Christ-glaub-starcken heiligkeits-geist-new-Creaturs-treiberey in eventum effective außchlagen, sowol alß auß der Höhe selbs mit defension-gehandhabet werden wölle.47
Die Zeiten, die Permeier endzeitlich gestimmt sieht, waren eben nach dem Vorbild des theatrum mundi immer auch gut für einen schönen Vortrag, wenn Daniel Rudolf an Permeier über eine Schrift des Chiliasten Paul Felgenhauer (1593–1677) bemerkt: „Des Felgenhauer Apologia wider Anonymum, der des Oraculi Dodonaei autor auch
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die Erforschung meiner Reichskunst mit nichten bis hieher noch auf die hohe Schule zu Raków (davon Ihre Gnaden, Herr Hans Ludwig gleichsam durch neue Geburt so gelehrt und überwitzig abgeflogen) versparet, sondern noch lange zuvor gewußt, ja (wenn menschliches Rühmen keine Torheit wäre) in Wahrheit mit meinem neun- oder zehnjährigen Alter allbereit ziemlicher Maßen in mir befunden, wie die Welt von dem Himmel regiert und nach sich gezogen werde.“ Permeier an seinen Bruder Siegmund, 1. September 1631, Wotschke: Johann Permeier, ebd. S. 591. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 72–75; hier:73v. Permeier an seinen Bruder Siegmund, 1. September 1631, Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 73v. In dieser Passage bei van Dülmen: Prophetie und Politik, S. 425, Anm. 25, allein 19 Lesefehler!
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ist, ist gedruckt in causa von himmlischen neuen Propheten. Der Autor trinkt gern das beste calvinische Bier, wo er den Keller am nächsten hat. Scharfe Scripta“, obwohl man sich in seine Theologie „nicht wohl richten“ könne, da sie ungereimt und wider die Schrift sei.48 Aber gute Vorträge sind eine schlechte subsistence, um der Nahrung, wie Crusius schrieb, desto besser nachgehen zu können. Hans Ludwig von Wolzogen, der sich 1633 nicht in Frankfurt halten konnte und nach Bobelwitz eingeladen wurde,49 lebte inzwischen in Polen. Über seine Situation gibt ein Brief von ihm an Permeier vom 9. Juli 1640 aus Bnin Auskunft: Mit erbietung meiner willigen Dienste habe ich des des Herrn Schreiben vom 30. May vor wenigen Tagen zurechts empfangen, Vnd daraus vernohmen, daß der verwichene Ostermarckt abermal ganz unfruchtbar für mich abgangen. Muß es Gott und der Zeit befehlen, weil mihr anizo diese Hoffnungen feil geschlagen, so bin ich gleich an der spiz, bemühe mich anizo umb einen guten Mietman, der mihr eine Summe gelds, umb meine Creditors umb etwas noch zu contentiren, auf g[ute] zeit leihen möchte. Wohin ich aber entzwischen die meinigen bringen werde, weis ich selbst nicht. Innerhalb 2 oder lengst 3 Wochen verreise ich, geliebts Gott, hinein in Podolien, ist bei 120 Meil von hier, Vnd von dann nach Tentschin in Klein Polen, 4 Meil von Crackow, Vmb eine oder die andere gelegenheit für mich auszusuchen. Weil ich mein gutt aus den Händen geben mus, und ich auch sonsten keine Mittel habe, die Meinigen zu erhalten, so muß ich sehen, was gestalt ich etwan durch meine wenige Wissenschaft aus bey vornehmen Herrn erwerbe, davon ich den Meinigen ihre Unterhaltung verschaffen kan. Die Ungelegenheit und mein Mangel an ihm selbst ist
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Daniel Rudolf an Permeier, 26. Februar 1638, Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 42. Permeier an Crusius, 20. Oktober 1638, ebd. S. 50. Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 23, Anm. 40: Hans von Wolzogen-Missingdorf an Permeier, 17. Februar 1633: „H. Hans Ludwig hat sich zu Frankfurt wegen Ungelegenheit selbiger Gegend, wie zu erachten, nicht lange aufhalten können. Hab Schreiben von ihm vom 10. Dezember, daß H. Sack, ein Schlesier vom Adel, ihn mit seiner Familie zu sich auf sein Gut, so er in Polen, genannt Bobelwitz, auf eine Zeit genommen, bis er etwa andere Gelegenheit ersiehet.“ Wotschke: Johann Permeier, S. 575, Anm. 17, zitiert einen Brief des „Matthäus Wolzogen“ an Permeier vom 8. Oktober 1632: „Unser lieber Herr Hans Ludwig nimmt mit den Seinen seinen Weg nach Schlesien und Polen. Gott begleite ihn in Gnaden und laß ihm diese Reise nicht allzuschwer werden.“ Bei diesem Matthäus kann es sich nur um Matthias von Wolzogen (1588–1665) handeln, seit 1617 Besitzer des Gutes Missingdorf und seit 1632 als Rath des Grafen Anton Günther in Oldenburg angestellt. Wolzogen: Geschichte, S. 32–43. Mit seinem Bruder Andreas (geb. 1581) musste er spätestens nach 1620 emigrieren, als die protestantischen Landstände – darunter auch „Andre“ und „Matth[ias]“ von Wolzogen – im sogenannten „Horner Bund“ dem Kaiser die Erbhuldigung verweigerten, um ihre protestantischen Freiheiten einzuklagen. Vgl. Silvia Petrin: Die niederösterreichischen Stände im 16. und 17. Jahrhundert, in: Adel im Wandel, S. 285–300. Auf S. 289 (recto) und S. 303 (verso) die Abbildungen des Horner Bundbriefes von 1608 (auf S. 303 sieht man auf dem rechten Blatt, 2. Reihe v. u., 4 und 5 v. links Siegel und Unterschrift von „Andre“ und „Matth.“ Wolzogen). – Beide oben zitierten Briefe finden sich nicht in der Sammlung der Franckeschen Stiftung.
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mihr schmerzlich, aber vielmehr der Spot und die schand, daß ich wieder iedermann Vermuten und Verhoffen also zum Bankoroten werden mus.50
Wenige Tage später aus Posen die Nachricht über einen Hoffnungsschimmer: In meinen äussersten nöthen hat mihr Gott noch einen trewen Freundt zugeschickt, durch deßen Hülff ich meiner gegenwärtigen Ungelegenheit noch etwas Rath schaffen kan, nemblich den Herrn Woiwoden von Posen, welcher mihr auf mein hohes Bitten, nachdem ich Ihme mein anliegen entdeckt, 800 Reichst. gelihen, Welches wie es mihr eine sehr große wolthat ist, also stehet mihr nun zu, mich äusserst dahin zubemühen, daß ich meinen credit bei diesem Herrn erhalte, Vnd solches geld wieder zur rechten Zeit abgebe. Derentwegen nun Meine sorge und Kummer nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur auf eine kurze Zeit aufgeschoben, denn Ich habe Ihm die Versicherung geleist, solches gelt aufs lengst zu Martini wieder abzugeben. Vnd kan der Herr gedencken, daß mihr bei einem solchen grossen Herrn, bei deme ich andermal wieder Meine Zuflucht haben kan, meinen credit und gegebenes wort Zuhalten mehr angelegen sein soll als anderswo.51
Auch der Schwager Crusius machte schwere Zeiten durch, 1642 war Katharina bei der Geburt eines Kindes gestorben, denn „ihre Kräfte sindt darüber so zu grunde gegangen, das sie den dritten tag nach der Erlösung hett ihren geist aufgeben müssen“: Itzundt bin ich hir in meiner vorigen betrübten Herberge eine meile von der Stadt, undt führe ein sehr traariges leben mit meines armen töchterlein, welche mir von meiner Hochgeliebten verblieben und nun nur fünff viertheil iahr alt ist, und erwardte des H. Hans Ludwig Wolzogen, das ich mich mit ihm unter rede, wo ich ferner mich hinwenden solle.52
Doch Wolzogens Situation hatte sich grundlegend verbessert, und es berührt aus moderner Sicht seltsam, dass er, der sich noch 1640 am Rande des Bankrotts sah, seit 1642 in der Rolle des hochverehrten Förderers des Amos Comenius wiederfand. Die Beziehung zu Comenius fehlt in der Sammlung von Theodor Wotschke ganz,53 also Wolzogens späterer Aufenthalt in Stockholm und Norrköping54 (der ihm, wie 50 51 52 53 54
Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 51. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 131r. Hans Ludwig von Wolzogen an Permeier, Posen, 16. Juli 1640, Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 59. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung: AFSt/H B 17b, Bl. 133r. Crusius an Permeier, Straschin, 14. Mai 1843, Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel, S. 65. Hier nach der Handschrift im Archiv der Franckeschen Stiftung Halle: AFSt/H B 17b, Bl. 124r–124v. Was nicht bedeutet, dass er nicht präsent war. Ich erinnere nur an den Brief von Johann Morian aus Amsterdam vom 26. Mai 1639 (s. o. Anm. 12). Hans Ludwig von Wolzogens letzter in der Sammlung der Franckeschen Stiftung überlieferter Brief an Permeier (AFSt/H B 17b, Bl. 140) datiert vom 22. Februar 1642 aus Warschau und ist eine Art Abschiedsbrief an Permeier. Der erste von Patera überlieferte Brief von Comenius an Wolzo-
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schon erwähnt, den Titel eines schwedischen Barons einbrachte), vor allem aber der aus Elbing gebürtige Samuel Hartlib (in dessen Papieren der Name Permeier ein einziges Mal auftaucht), mit dem ein Schlüsselthema des Sozianismus fehlt – die Mathematik: Sie ist spätestens seit der cartesischen Weise, clare et distincte zu denken, die lingua franca eines europäischen Netzwerkes – die Freiheit, aber auch die Gewissheit, dass 2+2 gleich 4 ist (während bekanntlich in religiösen Disputen manchmal 5 herauskommt). Was wissen wir also über Wolzogens verschwundenes Meisterwerk, sein Magnum opus mathematicum, das die Familiengeschichte noch nicht kennt? Die großen Geister des Historismus, deren treuer Sohn Alfred v. Wolzogen war, hatten eben noch damit zu tun, groß zu werden und zu sein, und die kleineren sah man noch nicht. Aber auch die großen Geister kämpften in den Niederungen des Alltags, bezahlten (wenn sie konnten) Rechnungen, planten Bücher, plagten sich mit Krankheiten oder Exil. Samuel Hartlibs Papiere, in denen all dies getreu verzeichnet wird (eben auch der Webstuhl der Frau v. Wolzogen), sind ein Spiegel davon. Hier finden wir auch Nachrichten über Wolzogens verschollenes mathematisches Projekt, mit dem er Comenius unterstützen wollte. Doch wie konnte es sein, dass ein Unitarier einen Trinitarier, wenn man einmal Comenius so nennen darf, unterstützte? Dazu muss man wissen (was die Familiengeschichte nicht weiß), dass Wolzogen eine Zeitlang (etwa 1642 bis 1650) Comenius eng verbunden war. Wolzogen hielt sich in den 40er Jahren als Agent der schwedischen Regierung (namentlich des Kanzlers und des Bischofs Matthiä) in Stockholm und vor allem Norrköping auf und fungierte als ein Vermittler zwischen Comenius und dessen „Patron“ Louis de Geer, der für Comenius’ Projekte offenbar der Geldgeber war; jedenfalls trat Wolzogen in de Geers Auftrag als Mahner auf, wenn Comenius’ Schreibfluss zu versiegen drohte.55 1638 besuchte Wolzogen Comenius in Leszno und schlug ihm vor, ihm bei der Entwicklung einer neuartigen Didaktik der Mathematik behilflich zu sein.56 Eine Abschrift von Wolzogens Entwurf ging am 13./23. Mai 1638 an Sa-
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gen datiert vom 11./21. Oktober 1642. Dazwischen also beginnt für Wolzogen ein neuer Lebensabschnitt. Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Brief von Crusius an Permeier vom 12. Dezember 1641 (Archiv der Franckeschen Stiftung AFSt/H B 17b, Bl. 137): „Auß Schweden ist mir von des Reichs Canzlers medico Hn. Adamo Hirtenio durch einen anderen gutten Freund, der vor wenig wochen zu Stockholm bey ihm gewesen, diese mündtliche andtwordt undt Bericht wegen des vom Hn. an die Königin in Schweden überschickten büchleins worden, das er, H. v Hirtenius, solches büchlein der Königin habe präsentiren lassen; habe lange auff andtwordt gewartet und solche zu vernehmen gehoffet, hatte aber keine andere bekommen, den das ihm zu ohren kommen, es were nicht angenehm gewesen, weil es für ein Bäpstisches büchlein gehalten worden.“ Abgesehen von diesem Missgeschick, könnte man vermuten, dass Hans Ludwig von Wolzogens Wechsel von Polen nach Schweden nicht zuletzt mit Verbindungen seines Schwagers Crusius dorthin zusammenhing. Vgl. Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln, S. 3–4, 19. Malcolm/Stedall: John Pell, S. 70.
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muel Hartlib. Dieses Manuskript ist das einzige, was von Wolzogens mathematischen Arbeiten überliefert ist, es lohnt sich deshalb, dieses Papier vollständig zu zitieren: MAGNUM OPUS MATHEMATICUM i. e. totius Arithmetica et Geometriae absolutissimum systema, quo quiquid in isto scientarium genere, cum ab antiquis mathematicis et philosophia, utpote Archimede, Apollonio, Euclide, Serene, Menelao, Pappo, Theodosio, Diophanto et alijs, tam a modernis litterarum monumentis extat, aut quae aliunde a totius Europa mathematicis nova reperta impetrari potuerunt, quaeque ab ipso quoquo authore inventa sunt, methodo, quantum pro immensa rerum varietato fieri potuit, accurata ordineque peculiari disposita, discussis omnibus difficultatum nebulis, perspicue et clare proponuntur. Opus iis cum primis utile atque necessarium qui brevi tempore viaque regia ad interioria divinarum Mathematum penetralia contendunt, et ad solidam earundem cognitionem adspirant; quippe quod non solum amplissimae Bibliothecae mathematicae, sed et in omnes antiquos Mathematicos perpetui commentarii vice, fungatur. Mandato et sumptibus, indefesso studio et plurium annorum pertinaci industria elaboratum a J[ohannes] L[udovicus] W[olzogen] L[iber] B[aro] in N[euhaus]. 1. Primus tomus, praeter absolutorum et surdorum numerorum perfectam fructationem, continet absolutissimum systema Magnae artis seu Analyticae (vulgo Algebra dictae), tam vulgaris quam speciosae. 2. Alter tomus Geometricus est theoreticus; plus quam ter mille Theorematum. 3. Tertius tomus Geometricus practicus est; problematum plus quam bis mille quingentorum. 4. Quartus tomus splendidissimum instrumentorum mathematicorum apparatum exhibet, et novam rationem docet cujuscunque instrumenti gradus vel partes in alias partes minutissimas secandi. 5. Quintus continet magnum canonem triamgulorum ad radii taxationem 1.00000.00000.00000 et singula scrupula secunda, tanta accuratione elaboratam, ut ne unius canonis numerus integra unitate a vero recedat. 6. Sextus tomus eundem canonem in logarithmis pari accuratione exhibebit. [verso]: A Monsieur Monsr Hartlib, demeurant franco per Anvers à Londres to bee delivered at Msr Bournes, booksellers shop, neere the Rojal Exchange.
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franco per Anversa 13/23 May 1638 De magne opere mathematico.57
Es ging um eine klare und verständliche (clare et perspicue) Darstellung hinsichtlich eines absoluten Systems der ganzen Arithmetik und Geometrie, wie es sich in ganz Europa in den mathematischen, auch philosophischen Bemühungen seit Archimedes’ Zeiten bis zu den modernsten Entdeckungen wiederspiegelt, mit ihren Schwierigkeiten, Abwegen und Methoden. Gedacht war an eine Folge von 6 Büchern (tomi): Tom. 1: System der Algebra, Tom. 2: Behandlung der theoretischen Geometrie, Tom. 3: Angewandte Geometrie, Tom. 4: Darstellung der hervorragendsten mathematischen Instrumente, Tom. 5: Trigonometrische Tafeln, Tom. 6: Logarithmische Tafeln. Wann Hartlib das Manuskript erhielt, das die bisher verborgenen Geheimnisse der Mathematik mit ihren Dornen und Labyrinthen ans Licht bringen sollte,58 ist nicht genau bekannt (auch, was das weitere Schicksal dieses Entwurfs betrifft). Noel Malcolm und Jacqueline Stedall vermuten, dass Teile dieses Entwurfs in John Pells Schrift An Idea of the Mathematics, erschienen 1650 in 12 Büchern, eingegangen sind.59 Jedenfalls würde dies den Brief erklären, den Hartlib im August 1638 an den Hamburger Mathematiker Johann Adolf Tassius schrieb: Des H. Wolzogen Delineation seiner Conatuum habe ich durch H. Pohmers communication auch zu sehen bekommen. Ist ein groszes weit aussehendes Werck. An dessen stat schicke ich hierbey eine andre Idæam Conatuum Mathematicorum eines andern Authoris, darvon ich des H. vnparteyliches judicium mit dem ersten erwarte. Summa es kommen izo allerhand herliche dinge her fur vnd scheinet als wan dz liecht der wahren weiszheit auf einen höheren leichter solle gesezet werden, damit es der gantzen Weld scheine, darzu seine gnade von oben herab verleihen wolle der Vatter der lichter.60
Vielleicht muss man überhaupt die Idee einer Brüderschaft ernster nehmen (wie sie sich auch mutatis mutandis in Husserls Projekt der Husserliana verkörpert hat), als 57 58 59 60
London, British Museum, ms Sloane 652, fol. 100r und 100v; zit. n. C[ornelis] de Waard: Wiskundige bijdragen tot de pansophie van Comenius, in: Euklides 25 (1950), S. 278–289; Beilage zu S. 277. Wolzogen an Hartlib, 21. September 1639, HP 49/ 47/ 1A. Malcolm/Stedall: John Pell, S. 70. Samuel Hartlib an Johann Adolf Tassius, London, 10. August 1638, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sup. Ep. 100, 63A. Wolzogen scheint sein Projekt eines Opus Mathematcum nie aus den Augen verloren, aber nicht vollendet zu haben, wie er an Hartlib (HP 8/ 48/ 2A) am 8. Mai 1655 aus Zawada schreibt: „Das grosse vndt letzte Systema Mathematicum ist nicht nur eines menschens arbeit, auch erfordert es mehr alss eines privati vnkosten; Von Fürsen vnd grossen Herren aber ist nichts zu dieser zeit zu hoffen. Den wer hat wol zu solchen dingen weiniger geldt als die Fürsten? Ich wolte aber, daß das grosse Systema anfangs nur in Geometria vndt Algebra gemacht würde. Den es ist das vornemste vndt weitleufftigste.“
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dies bisher in der Literatur geschehen ist, und von der modernen Auffassung eines Wettstreites der Autoren absehen, was auch die häufige Anonymität der Schriften der Polnischen Brüder viel eleganter erklären würde, die eben nicht nur einer religiösen Verfolgung geschuldet war.61 Immerhin verband Hartlib ein europäisches Netzwerk unter der Idee einer comenianischen Pansophia, in dem auch alle Assistenten des großen Meisters, darunter Cyprian Kinner, Petrus Figulus, Daniel Nigrinus und Johann Adolf Tassis sowie Wolzogen als Vermittler des ‚Patrons‘ Louis de Geer, erscheinen.62 Über alle ideologischen Brücken hinweg (von denen, wie gesagt, nicht die geringste die seltsame Vorstellung des Meister war, dass die Sonne auch weiter um die Erde kreise) verband sie die pansophische Idee, alle alles zu lehren – und das in einer genuin cartesischen Weise: clare et distincte. Die Welt war eben noch nicht in rational und irrational streng geschieden, wie eine moderne Perspektive insinuiert (mit den entsprechenden Verfallstheorien), sondern ein Kontinuum geistiger Anstrengung.
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Überhaupt können, schreibt Wolzogen (Geschichte, S. 280), „auch die Confessionsschriften der Socinianer, wie der Rakower Katechismus, der von Valentin Schmalz aus Faustus Socin’s Manuscripten und Druckschriften compilirt und componirt war, sowie andere mehr, nicht als eigentliche Bekenntnißschriften im Sinne und Zwecke der symbolischen Schriften der orthodoxen Kirchen betrachtet werden; sie sind vielmehr nur Darstellungen des Glaubens, dessen eigenes Princip ihre bindende Autorität für die Parteigenossen ausschließt. Hatten aber auch die jeweilig erschienenen Glaubensbekenntnisse im Grunde nur die Form von Apologien, so löste sich doch der positive socinianische Glaube keineswegs in blos individuelle Ansichten Einzelner auf; im Gegenteil waren die Häupter des Unitarismus über die hauptsächlichen Artikel einverstanden, und es können die in der Bibliotheca Fratrum Polonorum gesammelten Schriften als der gemeinsame Ausdruck Aller gelten, dem zwar keine kirchliche, aber doch eine gemeinsame theoretische Dignität zu vindiciren ist.“ – Damit hängen auch die 4 bekannten Auflagen der Bibliotheca Fratrum Polonorum zusammen, die man sich eben nicht als Werkausgabe im Sinne des 19. Jahrhunderts vorstellen darf, da sie sozusagen occasionell die Autoren versammelt: Während in der 1. und 2. Auflage (Irenopoli = Amsterdam, 1656 = 1668) Johannes Crell, Fausto Sozzini, Jonas Schlichting und Wolzogen in differierenden Reihenfolgen erscheinen, enthält die 3. Auflage von 1656 = 1668 nur Sozzinis, Crells und Wolzogens Schriften unter dem paradoxen Titel Bibliotheca Trium Fratrum Polonorum auf dem Titelblatt. Vgl. die Übersicht bei Philip Knijff, Sibbe Jan Visser: Bibliographia Sociniana. A Bibliographical Reference Tool for the Study of Dutch [and Polish! CvW] Socianism and Anttrinitarism. Hilversum [u. a.] 2004, ab S. 55. – Der Antiquar Bernard Richter (Baden-Baden), mit dem ich 2000 wegen seines Exemplars der Trium Fratrum korrespondierte, das er 1999 aus der Fürstenbergischen Bibliothek (Donaueschingen) ersteigerte, der sich aber leider nicht mehr erinnern kann, an wen er es verkaufte, teilt mir über dieses „so außergewöhnlich komplette“ Exemplar Folgendes mit: „Vermutlich, weil es alle Varianten der fingierten Druckorte Eleutheropoli und Irenopoli enthielt. Die bei Knijff und Visser abgebildeten Titelblätter zeigen als Verlagsort Irenopoli an, aber in den Kollationen der verschiedenen Werke mit zahlreichen eigenen Titelblättern taucht (bei Crell und Schlichting z. B.) auch Eleutheropoli auf. So erklärt sich auch das Trium-Fratrum-Mysterium. Bayerische Staats-Bibliothek: ‚Vol. 2–4 u. 7 in Eleutheropolis [i. e. Amsterdam] erschienen. – Auch mit dem Tit.: Bibliotheca Trium Fratrum Polonorum quos Unitarios Vocant. – Der Gesamttitel, der nur am Anfang des Werks erscheint, wurde in verschiedenen Fassungen gedruckt. Bibliogr. Nachweis: NUC; Estreicher XIII, S. 45–48‘.“ (E-Mail an den Verf., 31.1.2017.) Zu Comenius’ Mitarbeitern vgl. Adolf Lindner: Johann Amos Comenius Große Unterrichtslehre mit einer Einleitung: J. Comenius, sein Leben und Wirken. Wien [u. a.] 1892, S. XLIV, XLV.
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Alfred v. Wolzogens Familiengeschichte ist noch ganz vom liberalen Geist des Historismus geprägt, wenn sie Hans Ludwig von Wolzogens in seiner Auseinandersetzung mit Descartes Meditationen als einen „in principiellen Erwägungen gewandten Dialektiker“ darstellt, während längst schon – und dann kritisiert – die Erkenntnistheorie als prima philosophia eingesetzt war.63 In der 1. seiner Annotationes zu Descartes habe Wolzogen, wiewohl als „scharfe Kritik“ verstanden, nur sagen wollen, dass uns die Sinne nicht täuschten; der Irrtum falle vielmehr „in die Urtheilskraft, sofern diese letztere nämlich nicht umsichtig genug verfährt und ein Urtheil fällt ohne die erforderliche Berücksichtigung der Umstände“. Und wer könne leugnen, „daß uns auch die Urtheilskraft (iudicium) nicht selten täuscht?“64 Auch wenn man zugibt, dass die ältere Semantik von iudicium noch sehr viel weiter war als der deutsche Gebrauch bei Kant,65 so fällt doch immerhin auf, dass der Sozinianer Wolzogen gerade diese Stelle kommentiert, die dem Sinn nach dann zu Kant führt: „At falsum et verum in sensus non cadunt, qui objecta simplici apprehensione recipiunt absque ulla dijudicatione, quod res recepta sit hoc vel illud, sed judicio subjiciuntur, cujus functio est de objectorum veritate aut falsitate decenere. Sensus igitur non falluntur.“66 Die Urteilskraft
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Vgl. Dominik Perler: René Descartes. München 1998, S. 34. Ob Hans Ludwig von Wolzogen Descartes, der sich seit Sommer 1649 in Stockholm aufhielt (ebd., S. 30), dort persönlich noch kennenlernte, ist nicht bekannt. Dass ihn ein Problem intensiv beschäftigte, das Descartes in seiner Schrift La Géométrie (EA Leyden 1636) aufgeworfen hatte, wie nämlich das Verhältnis von Geometrie und Algebra zu denken sei (vgl. Sybille Krämer: Über das Verhältnis von Algebra und Geometrie in Descartes’ „Géomètrie“, in: Philosophia Naturalis 26/1 (1989), S. 19–40; hier: S. 21), geht aus einem Brief aus Zawada (Polen) vom 8. Mai 1655 hervor (HP 8/48/3A), wo Wolzogen seinem unbekannten Briefpartner an einem Beispiel demonstriert, wie Descartes ein gegebenes geometrisches, schon seit der Antike aufgeworfenes Problem durch Algebra zu lösen versucht habe, wobei er einwendet, dass Descartes dabei nicht mehr habe finden können als die Alten: „Exemplo sit Problema ab antiquis tentatum sed non perfectum, de Loco ad tres aut quator lineas positione datas, quod Cartesius in sua Geometriâ per Algebram solvisse putat: at Sylvius [Alexij Sylvij] noster ostendit Cartesium plus non invenisse quam veteres, problematique ex voto[altered] Veterum non satisfecisse.“ Mit unüberbietbarem Selbstbewusstsein – für das auch Descartes bekannt war – schreibt Wolzogen seine Position fest: „Also ich sage, daß niemand ein perfekter Algebraiker sein kann, der nicht auch ein exzellenter Geometer sei“ („Sic dico nullum esse posse prfectum Algebraistam, qui non sit excellens Geometra“). Die Tätigkeit dabei ist eine doppelte, wie Wolzogen schreibt: Lösung und Demonstration („solvit et demonstravit“). Denn „algebraische Ausdrücke dienen Descartes nicht einfach dazu, gewisse Probleme geometrischer Konstruktion zu lösen, vielmehr dazu, deren allgemeine Lösbarkeit mit algebraischen Mitteln zu demonstrieren“ (Krämer: Verhältnis von Algebra und Geometrie, S. 20). Das aber ist genau die didaktische Grundidee, die Comenius auch bei seinem Orbis pictus leitet. Wolzogen: Geschichte, S. 274–275. Vorl. Übersetzung betont mit „Urteilsvermögen“ die Nähe zu Descartes. Wie jeder Leser Kants weiß, hat der Philosoph bei seinen begrifflichen Distinktionen die lateinische Terminologie streng beachtet. Das deutsche Wort „Urteilskraft“ scheint erst seit Gottsched gebräuchlich. Vgl. Alfred Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Halle 1923, ND Darmstadt 1981, S. 86. Ludovicii Wolzogenii: Annotationes in Meditationes Methaphysicas Renati Des Cartis, Irenopoli, Post annum Domini 1656, Meditatio I. – Dieses Argument des wahrhaft erfahrenen Wolzo-
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aber ist Ausgangspunkt und Ziel einer Enzyklopädie im Geiste des Comenius: nicht mehr nur wie bei Quintilan ‚orbis doctrinae‘, sondern ‚eruditio‘, d. h. Unterweisung oder Bildung. Wie aber passt zu diesem gemeinsamen Ziel eine Kontroverse, die den Sozinianer Wolzogen und den ‚Antisozinianer‘ Comenius als zwei feindliche Lager begreift? Dies jedenfalls ist die Behauptung Erwin Schadels, der eine Sammlung der „antisozinianischen“ Schriften von Comenius angelegt hat, die den Comeniologen ein „Buch mit sieben Siegeln“ seien. Im Rahmen dieses Vorwortes kann es nicht um eine Widerlegung dieser Ansicht gehen, die eine eigene Publikation erforderte. Meine biographische Intervention ist bescheidener, aber ich denke, sie trifft den Nerv einer Polemik, die die Welt in eine Ontotriadik auf der einen Seite und einen rationalistischen, auf Descartes zurückgehenden Dualismus auf der anderen Seite teilt.67
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gen nimmt der Nautiker Michel Serres in unseren Tagen wieder auf, und jetzt wird deutlich, wie schlagend es ist: „Die Sinne täuschen nicht. Der Gaumen eines Feinschmeckers urteilt besser als tausend Maschinen, die feinste Maschine von allen besteht aus lebendem Fleisch, die künstliche Intelligenz ist nur deshalb schwächer, weil ihr der Körper fehlt, bestimmte Organe von Insekten oder Schlangen nehmen Gemische von molekularer Größenordnung wahr. Man urteilt immer nur wissenschaftlich über den Empirismus. Und wenn man einmal empirisch über den Rationalismus urteilte? Der Zweifel, den Descartes als methodisches Prinzip praktizierte, war keine bloße Schulübung und auch kein Akt einsamer Askese. In dieser gewaltigen historischen Bewegung schaltete sich auch die Macht ein. Das Sichtbare verschwand im Unsichtbaren. Man verachtete die Qualitäten. Ein anderes Sichtbares trat vor unsere Augen. Niemand sah mehr das Moiré des Meeres, alle Welt suchte nach fernen, nach tiefliegenden Dingen und machte sie den Sinnen zugänglich. Man löschte gewissermaßen das Nahe und Unmittelbare aus.“ Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische. Frankfurt 1993, S. 339. Das Argument ist allerdings erst vollständig, wenn sich das Sichtbare mit dem Unsichtbaren fügt (das eine nicht auf das andere reduziert wird) – wie Sinnlichkeit und Macht gefügt sind, ohne aufeinander reduziert werden zu können (so dass Macht die andere Seite der Sinnlichkeit ist). Bleibt so nicht die Gottesfrage offen? Descartes, der im Vorwort der Meditationen den „Ruhm Gottes“ hervorhebt, „auf den sich all dies bezieht“, hat sie nicht ausgeschlossen. Johann Amos Comenius: Wiederholte Ansprache an Baron Wolzogen/Iteratus ad Baronem Wolzogenium sermo. Übers. v. Otto Schönberger, mit einem Kommentar und einer Einführung in die antisozinianische Kontroverse des Comenius, hg. v. Erwin Schadel. Frankfurt 2002. Der Titel täuscht: Der Titeltext umfasst nur einen Bruchteil des 550-seitigen Bandes, der eine überaus materialreiche Kommentierung der ‚antisozinianischen‘ Schriften des Comenius enthält, die allerdings mit einer gewissen Umsicht gelesen werden will, da Schadel die trinitarische Kontroverse im Sinne eines ‚onto-trinitarischen‘ eigenen Ansatzes als beteiligte Partei fortsetzt. Biographische Daten, zudem fehlerhaft, erfährt man auf lediglich zwei Seiten; Wolzogens Familiengeschichte erscheint nicht in der Bibliographie. Was den Leser erwartet, will ich nur an einem Beispiel zeigen: Zur Kopernikanischen Wende Kants bemerkt Schadel (Comenius: Wiederholte Ansprache, S. 47, Anm. 60), dass sie „auf einem schief angesetzten Vergleich beruht. Denn die von Kant geforderte Hinwendung zum erkennenden Subjekt wäre eher mit dem geozentrischen Weltbild vergleichbar, das Kopernikus gerade überwunden hat“. Ich kann darin nur eine groteske Verkürzung von Kants Position sehen, der ja im Beschluss seiner Kritik der Praktischen Vernunft (A 289) gerade schreibt, dass die „zunehmende Bewunderung und Ehrfurcht“ vor dem „bestirnten Himmel über mir“ und dem „moralischen Gesetz in mir“ die „Verknüpfung, darin ich stehe [sic!], ins unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen“ erweitere.
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Ich lasse zunächst Comenius selbst zu Wort kommen hinsichtlich seiner Einstellung zur Toleranz in Religionsstreitigkeiten. An Hartlib schreibt er 1646 über ein Buch des Thomas Edward mit dem sprechenden Titel Gangraena, Krebsgeschwür: Daß er gegen die anwachsenden Häresien den weltlichen Arm anruft und ihn mit so großem Eifer auffordert, dem Uebel entgegenzutreten, was soll dies? Ist der Irrtum der Gemüter nicht eine geistige Krankheit? […] Und wenn ihr kein anderes Mittel als Verbote anwenden werdet, so werdet ihr den Verdacht erregen, daß es nicht widerlegt werden kann.68
Mit anderen Worten: konsequent sein in der Sache, aber tolerant im Persönlichen – das ist eine Maxime, die der Moderne mit ihrer Verwischung der Grenzen zwischen öffentlich und privat fremd geworden ist. Richard Sennett gibt für diese Haltung, ohne die das Leben im 18., aber auch 17. Jahrhundert unverständlich bleibt, ein aufschlussreiches Beispiel: Der englische Großhofmeister Lord Talbot fordert den Lebemann John Wilkes (1727–1797) wegen einer vermuteten Verleumdung zum Duell. Bevor die Schüsse gewechselt werden, steigert sich Talbot in Wut und fordert Wilkes auf, zu gestehen, der dies verweigert, aber in das Duell einwilligt. Die geübten Schützen verfehlen sich, und daraufhin gesteht Wilkes seine Schuld. Anschließend wechseln beide Komplimente und gehen mit den Zeichen bester Laune zum nächsten Gasthaus, wo man eine gute Flasche Wein trinkt: Öffentliche Beleidigung und öffentliche Satisfaktion als Ritual, die unabhängig neben Freundschaft und Geselligkeit standen – ohne ein Verständnis für diese Gestensprache bliebe ein großer Teil des politischen Verhaltens im Paris und London der Mitte des 18. Jahrhunderts unerklärlich.69 Und man kann hinzufügen: auch der Disput zwischen Comenius und Wolzogen im 17. Jahrhundert. Tatsächlich gibt es zwischen den beiden Ansichten, oder um in der Terminologie Sennetts zu bleiben, Gesten. Ich beginne mit den persönlichen Gesten in zwei Briefen des Comenius an Wolzogen aus den 40er Jahren von Elbing und Danzig, die auch einiges über das Hartlib-Netzwerk verraten: Der Friede Gottes möge über unsere Herzen wachen! Edler Herr und von mir hochzuachtender Förderer [sic!]! […] Deinen Brief habe ich nicht nach Danzig weitergeleitet, sondern dem Herrn Niclassius zur Weiterbeförderung in die Hand gegeben (auf freundschaftliche Weise nämlich besorgt er die Übermittlung). Ich hatte meine kleinen geschäftlichen Dinge zu regeln, die sich durch drei Bündel Schriften noch vermehrt hatten, die Hartlib aus England geschickt hatte. Nachdem etliche von der Hand meines Peters [Petrus Figulus] exzerpiert worden waren, sende ich Euch, damit Ihr seht, wie eifrig der gute Hartlib die Dinge handhabt. Es ist wahr, ich habe ihn übergangen, weil ich, nachdem von den
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Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln, S. 11. Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt 1983, S. 22–23.
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Londoner Buchhändlern zweihundert Pfund zur Beschleunigung unsres pansophischen Werkes zugesagt worden waren, und ich diese für sicher hielt, Hartlib und Fundanius dies für die gemeinsamen Aufwendungen zugewiesen hatte. Aber nachdem dies so unsicher wurde, und ich erfuhr, daß Fundanius (ebenso wie Hartlib) Mangel litt, so habe ich zu bitten gewagt, daß es unserem überaus wohlwollenden Patron [Louis de Geer] gefallen möge, ihnen einzeln 200 Reichstaler anzuweisen, wenigstens für ein Jahr, bis für Fundanius auf andere Weise gesorgt sei. […] Dies schnell zwischendurch, damit Dir nicht verborgen bleibt, was (hier) geschieht. Mehr werde ich, so Gott will, schreiben, wenn ich zurückgekehrt bin. Lebt wohl, und von mir sei der verehrungswürdige Herr Patron diensteifrig gegrüßt, wie auch die Freunde. Eurer Erlaucht, ergebenst Comenius.70
Der zweite Brief ist, was das Persönliche angeht, vielleicht noch aufschlussreicher: Schwierigkeiten bestanden auch zum Teil darin, daß ich versucht war, Euch zu verlassen … Es kamen Leute, die mich von Euch wegziehen wollten und mich daher zu überreden versuchten, ich könne die Arbeiten anderswo durchführen und für andere arbeiten; sie zögerten nicht, ihre Versuche auf verschiedene Weise zu wiederholen und mich mit großen Versprechungen zu drängen, und immer noch ist dies nicht beendet. Ich bleibe aber fest: Ich will lieber von hier fortgehen, als ein Beispiel der Unbeständigkeit zu geben. Dazu bin ich fest entschlossen. Glaube mir, Du wärest entsetzt, wenn Du alles wüßtest. Du wirst es aber erfahren, wenn Gott uns noch einige Monate leben läßt. Ich habe mir nämlich vorgenommen – nachdem ich die kleinen didaktischen Arbeiten hier zu Ende gebracht habe –, zu Euch hinüberzufahren (wenn auch der Patron diesen Entschluß noch billigen muß), bevor diese Arbeiten zum Druck befördert werden. Ich werde Sie Euch, die Ihr Anteil daran nehmt, alle zur Beurteilung vorlegen.71
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Comenius an Wolzogen, Elbing, 11./12. Oktober 1642, zit. nach Johann Amos Comenius: Leben, Werk und Schriften. Autobiographische Texte und Notizen. Ausgewählt, übers., eingel. und hg v. Gerhard Michel, Jürgen Beer. Sankt Augustin 1992, S. 72–73. In den Briefen des Comenius (Korrespondence Jana Amosa Komenského, hg. v. Adolf Patera, Prag 1897) an Wolzogen zwischen 1642 und 1650 wird der Baron überhaupt mit einer Suite sich rhetorisch überbietender Anreden bedacht: Generose Domine!; Nobilissime Amice et Fautor [Gönner]; Generose Vir, Domine et Fautor honorandissime; Nobilissime Fautor, Domini mihi dilecte; Eximie Fautorum; Nobilissime Fautor, Domine mihi perpetuo [sic!] observante; Generose Domine, Amice et Fautor observante. – Sollte es möglich sein, dass Comenius seinen heftigen sermo gegen Wolzogen zurückhielt, solange der Nobilissime Fautor dem kleinen didaktischen und großen pansophischen Werk mit Rat und Tat beistand? Das wäre freilich der moderne zwielichtige Blick auf eine durchaus ungeteilte Welt, die noch nicht (durch Rousseau inspiriert) obsessiv hinter die Rede eines ehrenwerten Mannes schaute und danach handelte. Comenius an Wolzogen, Danzig, 21. April 1643, zit. nach Comenius: Leben, Werk und Schriften, S. 79. Rätsel, aber auch Farbe gibt ein von Patera (Comenius: Korrespondence, S. 69–70) veröffentlichter Brief von Wolzogen an Louis de Geer vom 25. April / 6. Mai 1643, in dem zuerst von den aktuellen Aktionen des Meisters berichtet wird. Am Ende des Briefes geht es um die laufende Korrespondenz, die der diensteifrige („obligé“) Wolzogen quasi als Sekretär mitteilt, darunter einen Brief seines polnischen Vetters („Cousin de Pologne“), der ihm geschrieben habe, dass er
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Und hier nun die andere Ansicht, nämlich die der Edition von Comenius’ Iteratus ad Baronem Wolzogenium sermo.72 Comenius berichte, heißt es im Kommentar, über seine „erste Begegnung“ mit Wolzogen in seiner Schrift Continuatio § 43: Es geschah nun, daß ein unerwarteter Gast (ein österreichischer Baron, der seiner Glaubensüberzeugung wegen in Polen als Exulant lebte, J. L. W.) neue unerwartete Ermutigungen in mir hervorrief. Er sagte, er befinde sich gerade auf einer Rückreise von Wien und sei dort von verschiedenen Gesandten deutscher Fürsten und Städte gefragt worden, was Comenius nach der Veröffentlichung seiner Pforte der Sprachen [Leszno 1631] betreibe. Er sei, berichtete er, vor Scham errötet, weil er – aus Polen kommend – nichts von dem, was in Polen geschah, mitteilen konnte. Auf der Rückreise habe er deshalb einen Abstecher zu mir gemacht, da er von mir selbst alles erfahren wollte. Er bat mich, ihm nichts zu verheimlichen. Ich gab ihm also meine bereits übersetzte Didaktik zum Lesen … Nach zwei Tagen brachte er sie mir zurück und riet mir, den Titel der Widmung folgendermaßen zu ändern: ‚Dem Römischen Kaiser und allen Königen, Fürsten und Staaten des christlichen Erdkreises usw.‘ Ich antwortete lächelnd [auf Deutsch]: ‚Mein Herr, wer einen Gesang hoch anfengt, musz eine gute Stimme haben, oder bald aufhören‘ … er entgegnete: ‚Die Jesu-
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eine Tonne Calamine („un tonne de chalmine“) an ihn angewiesen habe und frage, ob die Sendung an „Monsieur Clements à Danzig“ gehen solle. Rätselhaft ist dieser Brief, weil die Absenderbezeichnung „de Pologne“ eigentlich auf Hans Ludwig zutreffen sollte; es handelt sich aber um einen weiteren Cousin aus der Missingdorfer Linie, Friedrich Günther (gest. 1680), den Lauterbach (Ariano-Socinismus, S. 345) fälschlich als Bruder angibt, richtig aber sein Gut in Blumenrode bei Breslau im Fürstentum Liegnitz verortet. Farbe bekommt dieser Brief, zumal in Französisch geschrieben, durch seinen ganz anderen, geschäftsmäßigen Stil, wie man zu dieser Zeit nach dem Vorbild des theatrum mundi seine Mitteilungen eben nicht darauf anlegte, ob sie ‚authentisch‘, sondern ob sie gut vorgetragen waren. So berichtet er also von „un tonne de chalmine“, d. i. mit Eisen(III)-Oxid eingefärbtes Zinkoxydpulver, wie man es damals für die Herstellung von weißer Farbe und Puder benutzte. Louis de Geer betrieb also neben seinen frühindustriellen Unternehmungen auch den Handel mit chemischen Produkten und knüpfte als Mäzen des Comenius eine Verbindung zwischen Ökonomie, Theologie, Philosophie und Wissenschaft. Schadel (Comenius: Wiederholte Ansprache, S. 34) gibt in seiner weitläufigen Edition zum Druck dieses Briefes lediglich den allgemeinen Hinweis, dass er im März 1659 als Anhang zur „zweiten Schrift“ Comenius’ erschienen sei, „die er in Amsterdam gegen die Sozinianer veröffentlichte“. Doch erst wenn man Schadels Edition der Antisozinianischen Schriften zurate zieht, erfährt man den Titel von Comenius’ Schrift: Zur Frage, ob unser Herr Jesus aus eigener Kraft von den Toten auferstanden ist, Amsterdam, 21. März 1659. Vgl. Johann Amos Comenius: Antisozinianische Schriften. Deutsche Erstübersetzung. In Zusammenarbeit mit Jürgen Beer [u. a.] kommentiert u. hg. von Erwin Schadel, Teil 1. Frankfurt 2008, S. 7. Der Originaltitel dieser Schrift lautet: De Quaestione Vtrvm Dominus Jesus Propriâ Virtute à mortuis Resurrexerit, Ad Melchiorem Schefferum Socianistam, breve ac solidum Joh. A. Comenii Responsum. Amsteldodami, Apud Joannem Janssonium, 1659. [8] Bl., 71 S. (darin S. 45–71: ITERATUS AD D. BARONEM WOLZ. SERMO, sowie am Anfang der Schrift eine Widmungsadresse an Wolzogen). Die Schrift war schon früher in Lissa erschienen: Auff den Kurtzen (ungegründeten) Bericht Von der Frage / Ob der Herr Jesus / als Er gestorben / und todt gewesen / sich selbst auß eigener Krafft von den Todten aufferwecket habe. (So von einem Socinisten gestellt / vnd im Jahr 1637 in Druck außgangen) kurze und gründliche Antwort. Im Jahr CHRisti MDC XXXVIII [1638]. [1] Bl., 86 S., 80 (Nürnberg, Stadtbibliothek, Solg. 8. 716).
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iten haben sich zu den Herren im schulischen Bereich aufgeschwungen, obwohl sie nichts anzubieten haben, was dem vergleichbar wäre, was wir hier [in Polen] erreicht haben.‘ Er begann mir anzuraten, ein Didaktisches Kollegium zu begründen. Dafür bot er mir seine persönliche Unterstützung an, vor allem in der Mathematik, welche er in vorzüglichem Maße kultiviert hatte. Als er jedoch sah, daß ich mich solchem Ansinnen gegnüber zögerlich verhielt, ließ er ab, mich zu bedrängen, und ging von dannen.73
Was Comenius hier im Abstand von fast 40 Jahren schreibt, scheint tatsächlich im Kontrast zu seinen Kontakten zum Hartlib-Kreis und zu Wolzogen zu stehen, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass seine Continuatio eine Schrift gegen seine Widersacher war. Doch geht daraus zweifelsfrei nur hervor, dass Wolzogen ihm ein Angebot machte, das er nicht annahm („bedrängen“ könnte man auch im Sinne von persuadere = überreden oder sogar überzeugen lesen). Schärfer klingt allerdings der Ton in seinem Sermo von 1659: Im Jahre 1641 hast Du selbst, Edler Herr, mich angegriffen [abgressus me fuisti], indem Du neben vielem anderen mich auch fragtest, wie der Artikel über die Trinität (im pansophischen Werk) zu behandeln sei. Ich antwortete: Nach der Schrift. Du fragtest hinwiederum: Also nach volkstümlichen Annahmen [juxta vulgares hypotheses]? Ich entgegnete mit dem Apostel: Wir vermögen nichts gegen die Wahrheit, sondern vermögen nur etwas für die Wahrheit [2. Kor. 13, 8]. Darauf meintest Du: Irrtum ziemt sich nicht für einen so großen Mann. Ich: Mein Herr, in göttlichen Dingen täuscht sich keiner leichter als der, der sich oder anderen wegen seiner Bildung gefällt. Du dagegen bedrängtest mich derart zudringlich und warfst mir starres Verharren im Irrtum vor, daß ich ziemlich zornig sagte: Euch muß man wahrlich Starrköpfigkeit vorwerfen, da Ihr, selbst wenn Ihr überführt seid, dennoch nicht nachgebt. Da wolltest Du wissen: Wo sind wir denn überführt? Ich antwortete: Zum Beispiel seid Ihr neulich in der Schrift gegen Scheffer [1637] so vieler falschen Ansichten überführt worden; und doch hört Ihr nicht auf, die Wahrheit zu bekämpfen. Du erwidertest, daß man meinen Namen schone; wenn ich aber widerlegt werden wolle, dann könne das geschehen. Ich entgegnete: Das mag durchaus geschehen! Schont mich nicht! Aber seht! Bis heute kam da nichts außer Eurer Bemitleidung meiner Person. Ich stelle dies offen, aber wahrheitsgemäß dar; denn man muß Eurer andauernden Selbstverherrlichung endlich einmal die Maske abreißen.74
Das ist allemal ein Disput, bei dem es um ähnliche Dinge wie Verleumdung geht, die man in einem öffentlichen Duell regeln kann – die versöhnende Flasche Wein setzt freilich ein Zugeben voraus, dass man im Unrecht sei. Und so bleibt immerhin ein Misston gegenüber Wolzogen, den Otto Schönberger treffend übersetzt:
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Comenius: Wiederholte Ansprache, S. 116. Ebd., S. 97, 99.
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Nicht unwillkommen wäre die so beständige Bitte um Freundschaft, käme sie von einem Freunde und nicht von einem Schleicher [insidiatoris]. Da ich aber so lange Jahre hindurch erfahren mußte – was Herr Baron selbst nicht leugnen (er wird es nämlich gleich eingestehen) –, welches Ziel Ihr Euch mit Eurer Freundschaft zu mir gesteckt habt (nämlich mich durch Eure Beweihräucherung vom allgemeinen Weg der Wahrheit zu Euren Abwegen hinüberzuzerren), so war mir Eure Freundschaft aus gutem Grunde stets verdächtig; und sie ist es immer noch.75
Wie soll man diesen seltsamen Widerspruch auflösen? Am besten überhaupt nicht, oder mit einem Wort von Bruno Liebrucks: auf ihn auflaufen. Und da es um letzte Dinge geht, versuche ich zum Schluss der Sache auf den Grund zu gehen. Dieser Grund hängt mit Descartes und der heiligen Trinität zusammen, die mich zur modernen Logik eines Charles Sanders Peirce führt. Einen modernen Leser der Peirce’schen Semiotik wird es vielleicht erstaunen, in ihrem zentralen Lehrstück der dreifachen Zeichenrelation den Nachhall einer Auseinandersetzung um den Begriff der ‚göttlichen Trinität‘ zu finden, die am Beginn der europäischen Aufklärung steht; und den pädagogischen Leser wird es erstaunen, Comenius, den Begründer eines modernen Begriffs von Didaktik, darin maßgeblich verwickelt zu sehen. Peirce hat diesen Bezug in seiner 11. Lowell-Vorlesung (1866) ausdrücklich hergestellt, wo er seinen Zeichen-Begriff anhand der Triade Objekt, Interpretant, Grund entwickelt und diese auf die Lehre von der Dreieinigkeit bezieht. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Frage nach dem Wesen des Symbols, die er mit dem dreifachen Zeichenbezug beantwortet: Hier gibt es […] eine göttliche Trinität des Objekts, des Interpretanten und des Grundes. Ein jedes begründet das Symbol, und dennoch sind alle drei dazu erforderlich. Außerdem sind sie nicht daßelbe Ding, das man nur von verschiedenen Gesichtspunkten sieht, sondern drei Dinge, die ihre Identität erlangen, wenn das Symbol unendliche Information erwirbt. In vielen Hinsichten stimmt diese Dreiheit mit der christlichen Trinität überein; ich bin mir in der Tat nicht eines einzigen Unterschieds bewußt. Der Interpretant ist offenbar der göttliche Logos oder das Wort, und falls die […] Vermutung richtig ist, daß der Bezug auf einen Interpretanten Vaterschaft ist, so wäre er auch der Sohn Gottes. Der Grund, dessen Anteil an jeglicher Kommunikation mittels eines Symbols erforderlich ist, entspricht in seiner Funktion dem Heiligen Geist.76
Peirce will hier keineswegs seine Semiotik theologisch fundieren, denn er stellt sein „Argument für die Heilige Trinität“ ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass man dabei beachten müsse, „daß zuerst das System der Logik akzeptiert werden muß, auf dem
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Ebd., S. 73. Charles Sanders Peirce: Semiotische Schriften, hg. v. H. Pape, Bd. 1. Frankfurt 1986, S. 144.
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es basiert“. Aber die Tradition trinitarischen Denkens ist für Peirce die stärkste Verbündete gegen den Dualismus des Aristotelismus, der zwar nach dem ‚Was‘ (der Materie) und dem ‚Wie‘ (der Geschichte) fragt, nicht jedoch nach der Aufmerksamkeit, die vorher auf ein Objekt gerichtet werden müsse, mit anderen Worten: nicht nach der Rolle des Interpreten.77 Es liegt also auf der Hand, Comenius’ historische Rolle als Vorläufer der Peirce’schen Zeichentheorie hervorzuheben, zumal er mit seiner in der Didactica Magna formulierten Maxime „Alle alles zu lehren“ die Definition Peirces in seiner 11. Lowell-Vorlesung vorwegnimmt, wonach Philosophie der Versuch ist, „einen umfassend aufgeklärten Begriff von Allem zu bilden“.78 Das führt zu den Grundsätzen, die Comenius bei der Konzeption seines Orbis Pictus leiten. Die Enzyklopädie ist, wie Klaus Schaller zusammenfasst, für Comenius „die in der Ordnung des Wissens versichtbarte Ordnung des Seienden selbst“.79 Damit ist aber weder ein ‚Realismus‘ noch ein ‚Verfügbarmachen‘ gemeint, sondern ein umfassend ausgebildetes Sichtbarmachen dessen, was es heißt, seine Aufmerksamkeit auf ein Objekt zu richten. D. h. die Enzyklopädie verknüpft nicht Dinge, sondern Vorstellungen von Dingen. Und dementsprechend sind es nicht die Bilder, die bilden, sondern ihre pädagogische Wirkung setzt notwendig ein Gespräch über diese Bilder voraus.80 Die zeitgenössischen Kritiker scheinen nicht verstanden zu haben, dass Comenius (ganz im Sinne von Peirces Semiotik) den Interpreten zu einem integrierenden Moment des Enzyklopädischen macht, vielmehr hatten sie den Eindruck, dass er ihnen „mit künstlichen […] Enzyklopädien, Pansophien und Polymatien auf den Hals komme“.81 Die eigentliche Sprengkraft dieser Vorstellung von Bildung wird deutlich, wenn man sie auf den Begriff des ‚Grundes‘ bei Meister Eckhart bezieht. Dieser grunt ist die letzte Quelle des Intellekts, und deshalb ist dieser die einzige Kraft, die fähig ist, in diesen ‚Grund‘ einzutreten. Eckhart drückt dies auch so aus: „Das Auge, in dem ich Gott sehe, ist daßelbe Auge, in dem Gott mich sieht“.82 Wichtig dabei ist, dass man diesen ‚Grund‘ des göttlichen Auges nicht als ein ‚Warum‘ und ein ‚Was‘ verstehen darf, sondern als ein Drittes. In diesem Sinne ergänzt Peirce die aristotelische Frage nach dem Was der Materie und dem Warum der Geschichte durch den Namen, der erst die Forderung, „daß vor dem Fragen die Aufmerksamkeit auf ein Objekt gerichtet werden muß“, erfüllt.83 Diese Vorgängigkeit der
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Vgl. ebd., S. 143. Ebd., S. 128. Vgl. Jürgen Hennigsen: „Enzyklopädie“. Zur Sprach- und Bedeutungsgeschichte eines pädagogischen Begriffs. Archiv für Begriffsgeschichte 10 (1966), S. 271–363; hier S. 299. Hennigsen: Enzyklopädie, S. 300–301. Ebd., S. 299. Bernard McGinn: Zu Sermo XXIX: Deus unus est, in: Georg Steer, Loris Sturlese (Hg.): Lectura Eckhardi, Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, Bd. 2. Stuttgart 2003, S. 215–232; hier S. 231. Peirce: Semiotische Schriften, Bd. 1, S. 143.
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Aufmerksamkeit oder, wie Peirce sagt, des Interpretanten entspricht der dritten Erkenntnisweise, die Eckhart bei Augustinus findet: Die erste ist körperlich. Sie nimmt Bilder auf wie etwa das Auge, das sieht und d. h. Bilder aufnimmt. Die zweite ist geistig; aber sie bedient sich doch der körperlichen Dinge als Bilder. Die dritte vollzieht sich im Innern des Geistes; sie erkennt ohne Bilder und Gleichnisse; und diese Erkenntnis entspricht derjenigen der Engel.84
Die Sprache der Engel oder das Nennen des Namens ist eine Metapher für Liebe; Liebe aber steht für Aufmerksamkeit oder den Interpretanten. Genau hier scheidet sich der Cartesianismus, d. h. das Denken der Aufklärung seit Descartes von der Trinität. Deutlich wird dies an dem berühmten Brief von Descartes an Mersenne vom November 1640: Sie haben mich zu Dank verpflichtet, daß Sie mich auf eine Stelle beim heiligen Augustin [De civitate Dei XI, c. 26] hinwiesen, mit der mein Ich denke, also bin ich einige Beziehung hat. Ich habe sie heute in der hiesigen Stadtbibliothek gelesen, und finde wirklich, daß er sich ihrer bedient, um die Gewißheit unseres Seins zu beweisen, und um daraufhin zu zeigen, daß es in uns irgendein Abbild der Dreieinigkeit [image de la Trinité] gibt, und zwar in der Weise, daß wir dadurch, daß wir sind, wissen, daß wir sind, und daß wir dieses Sein und Wissen, das in uns ist, lieben; während ich mich meines Gedankens bediene, um erkennbar zu machen, daß dieses Ich, das denkt [moy, qui pense] eine immaterielle Substanz ist, die nichts Körperliches hat; was zwei sehr verschiedene Dinge sind.85
Damit ergibt sich ein komplexer historischer Zusammenhang: Während die Entstehung der Aufklärung nicht zu verstehen ist ohne ihre Auseinandersetzung mit der Trinität, ist das nachkantische Denken wesentlich geprägt durch eine Rückgewinnung trinitarischen Denkens: von Hegels Entwicklung von der ‚Liebe‘ über die ‚Anerkennung‘ zur Dialektik, über die Entdeckung der ‚Intersubjektivität‘ bei Husserl, bis hin zur Diskurstheorie, die ohne Peirces triadischen Begriff des Zeichenhandelns nicht denkbar wäre. Beiden aber – und das ist entscheidend –, Trinitariern und Antitrinitariern, geht es um die Entdeckung des Interpreten oder Lesers, der mit dem Gebrauch der Vernunft vor allem gemeint ist. Beispielhaft dafür ist die Auseinandersetzung des comenianischen trinitarischen Denkens mit dem Sozinianismus oder Unitarismus in Polen. Dieser verteidigte die absolute Einheit Gottes mit dem logischen Argument, dass das, was ein einziges und einfaches Wesen ist, nicht mehrere Dinge bzw. Grundlagen enthalten könne,86 und bezog
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Wolfgang Haug: Predigt 72: ‚Videns Iesus turbas‘, in: Steer/Sturlese (Hg.): Lectura Eckhardi, Bd. 2, S. 111–138; hier S. 117. René Descartes: Briefe, hg. v. Max Bense, Köln [u. a.] 1949, S. 214. Zbigniew Ogonowski: Der Sozianismus und die Aufklärung, in: Paul Wrzecionko (Hg.): Reformation und Frühaufklärung in Polen. Studien über den Sozianismus und seinen Einfluß auf das westeuropäische Denken im 17. Jahrhundert. Göttingen S. 78–136; hier S. 90.
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sich dabei ausdrücklich auf das „Licht der Vernunft“.87 Comenius hingegen entwickelte ein Denken, das – hinsichtlich der totalen Selbstdurchdrungenheit des trinitarischen Prozesses – einen „im Höchstmaß mitteilsamen Gott“ (Deus summe communicativus) als den Horizont desjenigen in Rechnung setzte, worin jeder sachrelevante zwischenmenschliche Diskurs seine Begründung erfährt.88 Während Comenius’ ‚kommunikatives‘ Denken in seiner methodischen Tiefenstruktur erst heute, im Licht der Peirce’schen triadischen Zeichenrelation, wirklich rekonstruierbar wird, hat Dilthey den Verdiensten des Sozinianismus ein bleibendes Denkmal gesetzt als Kritik der symbolischen Vernunft: Die Dogmenkritik der Arminianer und Sozinianer ist der Ausdruck der Mündigkeit der menschlichen Vernunft, welche sich vorbereitet, alle Tradition der Prüfung zu unterwerfen. […] Religion als Lebendigkeit schafft sich eine Sprache der Dogmen ersten Grades. Solche bestehen in großen, gleichsam bildlichen Symbolen. Dieselben bezeichnen vorstellungsmäßig, sonach inadäquat, dennoch aber unvermeidlich das religiöse Erlebnis. Symbole dieser Art sind für das Christentum die Begriffe: Schöpfung, Sündenfall, Offenbarung, Gesetz Gottes, Gemeinschaft Christi mit Gott, Erlösung, Opfer, Genugtuung. Wie es ein Wörterbuch dieser religiösen Sprachzeichen gibt, so gibt es auch eine Grammatik derselben: Regeln ihrer Beugung und ihrer Verknüpfung. Diese Sprachzeichen gehören einer ganz anderen Region als der des Verstandes an. […] Und das ist nun die große Leistung dieser Kritik gewesen, daß sie den anmaßlichen Anspruch dieser Dogmen auf eine absolute Geltung ein für allemal vernichtet hat. […] Die schärfste und tiefstschneidende Kritik traf die zentralen Dogmen: die Bildersprache oder Symbolsprache, welche schon in der heiligen Schrift selber vorlag. […] Der […] Zusammenhang zwischen Sündenfall, Erbsünde, Opfer Christi und Genugtuung Gottes in der kirchlichen Lehre wurde einer […] vernichtenden Kritik unterworfen. […] Ein Schwarm von Schriften gegen die Trinität ist von Faustus Socinus, Joh[an]n Crell, Ostorod und geringeren Sozinianern ausgegangen. Sie heben alle den in dem Trinitätsbegriff enthaltenen Nonsens hervor, daß in einer Substanz drei Personen enthalten sein sollen. […] Der Begriff der ewigen Zeugung enthält ebenfalls einen Nonsens. […] Auch diese metaphysischen Dogmen der Trinität und Zeugung waren damit abgetan. In dieser Bildersprache ist nur die Lebendigkeit des letzten Grundes der Dinge, sein lebendiger Zusammenhang mit dem menschlichen Geiste ausgedrückt. Und auch diese Dogmen hat in ihrem wörtlichen Verstande nach der sozinianischen Kritik kein aufrichtiger und klarer Denker zu erneuern versucht.89
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Crell zit. nach Ogonowski: Der Sozianismus, S. 105. Comenius: Wiederholte Ansprache, S. 25. Wilhelm Dilthey: Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Göttingen 1964, S. 90–245, hier S. 136–144.
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Christentum also als symbolische Form: Hier ist der Ort, auf die Anrede zu dem Wahrheit liebenden Leser in Wolzogens Christlicher Unterweisung zurückzukommen. Diese Schrift des sozinianischen Theologen und Mathematikers ist ein Rarissimum; nicht nur, weil wie bei seinen ‚Polnischen Brüdern‘ viele seiner Schriften vor der Drucklegung verbrannt wurden, sondern weil sie mit ihrer radikalen unitarischen Kritik an der Trinität gegen eine christliche Welt stand, die nicht einmal das Wesen Jesu bestimmen könne. Es war und bleibe, schreibt der Anonymus G. T. in seiner Anrede, ungewiß, ob Er vom Höchsten Gotte gemacht, oder geschaffen, oder gezeugt, oder geboren, oder entsprungen, oder ausgesprochen worden. Ob Er aus etwas, oder aus nichts, oder aus dem Gestirn des Firmaments oder aus Gottes Wesen entstanden, und wenn: ob vor dem Anfange, oder im Anfange, oder nach dem Anfange, oder ohne Anfang, ob vor der Zeit, von Ewigkeit, oder in der Zeit, ob kurz vor der Schöpfung der Welt und anderer Kreaturen, oder lange zuvor? Und wie Er heiße, ob Eingeborener, oder Kreatur, oder Werk, oder Gemächte, oder Werkmeister, oder Licht, oder Leben, oder Sinn, oder Vernunft, oder Verstand, oder Weisheit, oder Geist, oder Engel, oder Ebenbild, oder Rede, oder Wort, oder Sohn, oder Kraft, oder Ausfluß? Ob Er hernach der Mensch Jesus worden, oder in Ihn verwandelt worden, oder denselben an sich genommen, oder in Ihn gefahren, oder in Ihn sich einverleibet, oder in Ihm gewohnt, oder Ihm beigewohnt oder beigestanden.90
Die Kritik an diesen ‚Reden‘ gelangt über den Historiker D. Friedrich Strauss, einen Kenner des Sozianismus, schließlich zu Nietzsche: „Man hüte sich, [im Christentum] mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik […] zu sehn.“91 Im Lichte dieser Problematik (d. i. die Geburt des Lesers) stellt sich die Frage nach Wolzogens unbekanntem Meisterwerk wieder neu. Die Antwort liegt jetzt auf der Hand – und das geht letztlich aus Comenius’ Pansophie und der sozinianischen Kritik des Christentums als symbolische Form hervor –: Dieses Meisterwerk ist der Interpret, der Leser selbst – dem Wolzogens Schrift keine doctrinae gibt, sondern eruditio, Unterweisung und Belehrung eines freien Geistes. Bei diesem allein liegt es, jetzt und künftig zu entscheiden, was Comenius in der Widmung an Wolzogen in seiner Schrift über die Frage, ob unser Herr Jesus aus eigener Kraft von den Toten auferstanden ist, in den geschichtlichen Raum stellt: „Indem wir nun beide übereinander zu Gericht sitzen, wer wird zwischen uns entscheiden?“ Während Comenius findet, „daß wir das Urteil dessen abwarten, dem der Vater jegliches Urteil anvertraut hat“,92 sucht Wolzogen die Entscheidung allerdings schon hinieden im iudicium der Vernunft. Adam Galamaga M. A. aus Szczecin (Stettin) habe ich zu danken für seine sorgfältige und umsichtige Übersetzung von Wolzogens Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartes. Ein glücklicher Umstand meiner Lehre hat ihn in meine 90 91 92
G. T.: Anrede, unpaginiert. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA), Bd. 6. Berlin 1980, S. 203. Zit. nach Comenius: Antisozinianische Schriften, S. 126.
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Seminare geführt, so dass mir Gelegenheit gegeben war, ihm die Übersetzung der polnisch-lateinischen Edition des bedeutenden Sozianismusforschers Ludwik Chmaj vorzuschlagen,93 wodurch auch gleichzeitig dokumentiert wird, wie lebendig die Rezeption des Sozianismus in Polen bis heute ist.94 Martin Mulsow danke ich für die freundliche Aufnahme dieser Schrift meines illustren Vorfahren in die Reihe der von ihm herausgegebenen Werke dieser bedeutenden europäischen Geistesrichtung, die die Aufklärung nicht unmaßgeblich beeinflusst hat.
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Jan Ludwik Wolzogen: Uwagi Do Medytacji Metafizycznych René Descartes’ a, przełożył Leon Joachimowicz, przekład przejrzała Daniela Gromska, wstępem i przypisami opatrzył Ludwik Chmaj, Państwowe Wydawnictwo Naukowe (Biblioteka Klasyków Filozofii) 1959 / Iohannis Ludovici Wolzogenii: Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartes (Irenopoli 1656), Recenserunt Daniela Gromska et Leo Joachimowicz, Panstwowe Wydawnictwo Naukowe (Biblioteka Klassykow Filozofii) MCMLIX. – Eine italienische Übersetzung hat Elisa Angelini vorgelegt: Johannes [sic!] Ludwig Wolzogen: Annotationes in meditationes metaphysicas Renati Des Cartis. Edizioni di Storia e Letteratura (Collana Sociniana – Temi e Testi 104). Roma 2012. Aus einem aktuellen Papier (Un commento eccentrico: Hans Ludwig Wolzogen e la lettura sociniana delle Meditationes de Prima Philosophia: http://edizionicafoscari.unive.it/media/pdf/ chapter/978-88-6969-133-1/978-88-6969-133-1-ch-04.pdf) referiere ich ihre Ergebnisse. Angelini geht aus von der antiplatonischen Haltung Wolzogens, über den man wenig wisse (ebd., S. 84): „[…] del Barone Wolzogen non si sa molto.“ Er unterschätze die grundlegende Funktion des Zweifels; eine radikale Skepsis scheine ihm dem gesunden Menschenverstand entgegenzustehen. Erfahrung und Wissenschaft können nach Wolzogen Vorurteile nicht vertreiben, ebenso wie Rationalität und Wissenschaft nicht von Geschichte zu trennen seien. Dabei seien Gassendis Einwände und Empirismus der gemeinsame Bezugshorizont. Für Wolzogen könne das Unendliche nur negativ gedacht werden, während bei Descartes die Idee Gottes sein Ideatum übersteigt (was, wie ich hinzufügen möchte, für Emmanuel Levinas gerade die große Einsicht des Descartes gewesen ist). Aus den Annotationes gehe klar hervor, dass sich der Glaube nicht auf eine rationale Erkenntnis Gottes stützen kann, noch auf seine Idee (was, wie ich hinzufüge, Jacobi später mit seinem belief aufnimmt). Wolzogen akzeptiere also keine Öffnung des Sozinianismus auf die Elemente des theologischen Rationalismus; sein Empirismus ergebe sich schon am Anfang des Kommentars. Wolzogen lehne aus epistemologischen, psychologischen und anthropologischen Gründen gemäß aristotelischer Matrix den Dualismus ab. Wolzogens Annotationes sind Angelini zufolge eine Destruktion der rationalen Theologie, die das Herz der Meditationes darstellt. Offenbarung sei ihm die einzige Quelle der Wahrheit über Gott. Wolzogens Annotationes manifestierten insgesamt einen im Sozinianismus ungewöhnlichen Widerstand gegen die Impulse des modernen Rationalismus; wobei man sagen muss, dass eine Restringierung des Sozinianismus auf eine vereinzelte Position („insolita nel secondo socinianesimo“, ebd. S. 96) angesichts der kommunikativen Verhältnisse einer Bruderschaft (s. o.) zu diskutieren wäre. Angelini scheint mir in ihrem gründlichen Kommentar des Wolzogen’schen Antirationalismus die Funktion der Urteilskraft (iudicium) zu vernachlässigen, die ein wichtiges Thema seiner Schrift ist, und mit welchem Kant immerhin die cartesianschen Grenzen einer reinen Vernunft überschreitet. Dazu bedarf es über die Nachfrage nach den genauen Umständen des Wolzogen’schen Kommentars hinaus, wie Angelini sie untersucht hat, auch der Beleuchtung des weiteren Kontextes mit seinen Konstellationen, Diskussionen und Texten, wie es hier in biographischer Absicht versucht worden ist. Vgl. Jakub Wozinski: Jan Ludwik Wolzogen, le premier libertarien polonais?, in: Contrepoints, 2. Septembre 2013 (https://www.contrepoints.org/2013/09/02/137164-jan-ludwik-wolzogen-pre mier-libertarien-polonais, 19.1.2021): „Il est temps malgré tout que les Polonais découvrent Johann Ludwig von Wolzogen, dont l’euvre reste pour l’instant en grande parti non traduite.“
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Unbek. Meister: Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus (1600–1661/62), um 1625, Maße unbek., Öl auf Leinwand, verschollen, Foto Privatbesitz
Unbek. Meister: Elisabeth Freifrau von Wolzogen und Neuhaus, geb. Freiin von Schrattenbach, um 1625, Maße unbek., Öl auf Leinwand, verschollen, Foto Privatbesitz
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Christoph von Wolzogen
Johann Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus, zeitgenössischer Stich, Frontispiz zu Wolzogens Christliche Unterweisung, 1684
Anmerkungen zu den metaphysischen Meditationen von René Descartes Johann (Hans) Ludwig Freiherr v. Wolzogen und Neuhaus Editorische Notiz Die Annotationes in meditationes metaphysicas Renati Des Cartis des Johann (Hans) Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus erschienen in zwei Ausgaben (in mehreren Auflagen): 1. in der sogenannten Bibliothek der Polnischen Brüder, deren Titel in der 3. Auflage lautet: Bibliotheca trium fratrum Polonorum quos unitarios vocant, continens Fausti Socini Senensis, nobilissimi Itali, opera omnia, in II Vol: Joannis Crellii Franci, opera omnia, in III Vol: J Ludovici Wolzogenii, Baronis Austriaci, in II Vol: Quae omnia simul juncta Veteris & totius Novi Testamenti, nec non universae Theologiae explicationem complectuntur Irenopoli, post annum domini 1656 [= 1668]. Und in der 2. Auflage: Bibliotheca fratrum Polonorum qui unitarii apellantur continens opera omnia, Johannis Crellii Francii, Ludovici Wolsogenii, Fausti Socini Senensis & exegetica Jonae Schlichtingii a Bucowiec Contenta singulis voluminibus sunt praefixa Irenopoli, post annum domini 1656 [= 1668]. Die Annotationes befinden sich im Tomus alter der Wolzogenschen Opera omnia, der hier der Übersichtlichkeit halber nach dem Scan des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek (in Klammern jeweils die Seitenzahl des Adobe readers) vollständig zitiert wird: Titel: JOHANNIS LUDOVICI / WOLZOGENII, / Baronis Austriaci, / OPERUM TOMUS ALTER / Commentarium in / ACTA APOSTOLORUM / Et reliqua ejus scripta / DIDACTICA / ET / POLEMICA / Comprehendens / IRENOPOLI, / Post annum Domini 1656 Inhalt: A W[issowaty] / COMMENTARIUS / IN / ACTA / SANCTORUM / APOSTOLORUM, S. 1–176 (187) – PROOEMIUM / IN EPISTOLAM / PAULI APOSTOLI / AD ROMANOS, S. 177 (188)–178 (189) – Titel (190): A W[issowaty] / Commentarius / in / EPISTOLAM / JACOBI APOSTOLI / CATHOLICAM, S. 179
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(192)–224 (239) – Titel (240): A W[issowaty] / Commentarius / in / EPISTOLAM / JUDAE / APOSTOLI, S. 225 (242)–237 (254) – Titel (256): LUDOVICI WOLZOGENII / Praeparatio ad utilem / S S LITERARUM / LECTIONEM / In qua de natura / & / proprietatibus / REGNI CHRISTI / disseritur, S. 239 (258)–356 (375) – Titel (376): LUDOVICI WOLZOGENII / Compendium / RELIGIONIS / CHRISTIANAE, S. 1 (378)–14 (391) – Titel (392): LUDOVICI WOLZOGENII / Declaratio / duarum Contrariarum Sententiarum / de / UNO DEO PATRE / & /de / Uno Deo in essentia / & / tribus personis, S. 17 (394)–40 (417) – Titel (418): LUDOVICI WOLZOGENII / Tres Conciones / in / JOHANNIS / EUANGELII / Cap XVII vers 3 , S. 41 (420)–63 (442) – Titel (444): LUDOVICI WOLZOGENII / Annotationes / ad / QUESTIONES / JONAE SCHLICHTINGII a BUCOWIC / de / Magistratu, / Bello, / Defensione, S. 65 (446)–78 (459) – Titel (460): LUDOVICI WOLZOGENII / Annotationes / in / MEDITATIONES / METAPHYSICAS / RENATI DES CARTIS, S. 79 (462)–89 (472) – Titel (474): LUDOVICI WOLTZOGENII [sic!] / RESPONSIO / ad / JONAE SLICHTINGII à BUCOWIETZ / Annotationes in Annotationes / de / Bello, Magistratu / & / Privata Defensione, S. 92 (483)–132 (523) – INDEX RERUM (526 ff.). Das Exemplar der Württembergischen LB endet schon bei S. (375), d. h. mit einem Gesamtumfang von 356 Seiten, enthält also die Annotationes zu Descartes nicht. Das Exemplar der Biblioteka Śląska, Katowice (Silesian Digital Library/ Śląska Biblioteka Cyfrowa: https://sbc.org.pl/dlibra/publication/3317/edition/3076 [letzter Aufruf 05.11.2017]), das wir zum Vergleich herangezogen haben, enthält ein abweichendes Titelblatt: JOHANNIS LUDOVICI / WOLZOGENII, / Baronis Austriaci, / OPERUM TOMUS ALTER, / Complectens reliqua ipsius scripta / DIDACTICA, / ET / POLEMICA / IRENOPOLI, / Post annum Domini 1656; auch enthält es nicht den Zwischentitel des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek sowie der Polnischen Nationalbibliothek in Warschau. Der Text der verschiedenen Exemplare scheint jedoch identisch (das gilt auch für die Separatausgabe, bei der allerdings die Kursivierung und Zeichensetzung variiert). Johann (Hans) Ludwig von Wolzogens Werke (jedenfalls die des I. Teils der Opera omnia in der Bibliotheca fratrum Polonorum) wurden von Joachim von Stegmann dem Jüngeren ins Lateinische Übersetzt. 2. in einer Separatausgabe: BREVES L W / IN / MEDITATIONES / METAPHYSICAS / RENATI CARTESII / ANNOTATIONES / AMSTELAEDAMI, / Apud JOHANNEM HENRICI / 1657, 34 p. [Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen]. 1959 veröffentlichte Ludwik Chmaj eine polnisch/lateinische Ausgabe in der Biblioteka Klasyków Filozofii unter dem Titel Uwagi do Medytacji Metafizycznych René Descartes’a (Panstwowe Wydawnictwo Naukowe). Dieser Version des Textes liegt die zweite lateinische Ausgabe der Annotationes in meditationes metaphysicas Renati des Cartis im Rahmen der Bibliotheca fratrum Polonorum zugrunde, die von den Sozinianern im Jahre 1656 (faktisch 1668) beim Irenopoli-Verlag in Amsterdam veröffentlicht wurde, und von der in der Polnischen Nationalbibliothek in Warschau (Biblioteka Na-
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rodowa w Warszawie) ein Exemplar aufbewahrt wird. Der besseren Lesbarkeit halber bringen wir im Anhang ein Faksimile des lateinischen Textes in Chmajs Ausgabe. Mit der vorliegenden Erstübersetzung aus dem Polnischen erscheint Wolzogens lateinischer Text zugleich erstmals in deutscher Sprache. Dabei wurde der polnische Text mit der lateinischen Fassung abgeglichen. Wichtige lateinische Termini, die beim Verständnis des Textes von Relevanz sein können, wurden in der deutschen Fassung in eckige Klammern gesetzt. Eine deutsche Herausgabe der polnischen Edition des namhaften Descartes-Forschers Ludwik Chmaj aus dem Jahre 1959 mit gleichzeitigem Abdruck des lateinischen Urtextes hat den seltenen Vorteil, die polnische Rezeption der cartesianischen Philosophie sowie die historische Bedeutung der Sozinianer für die polnische Philosophie unter die Lupe zu nehmen. Die Anmerkungen zu Wolzogens Kommentar sind von Ludwik Chmaj übernommen und – wo dies kenntlich gemacht wurde – vom Übersetzer dieser Edition vervollständigt und erweitert worden.
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Einleitung von Ludwik Chmaj1 Cartesius triumphans Nachdem Descartes auf Reisen verschiedene Erfahrungen gesammelt und intensiv über die Reformierung der Wissenschaften und deren Neubegründung reflektiert hatte, ließ er sich im Jahre 1628 in den Niederlanden nieder. Um die für seine Forschung nötige Muße zu finden, wechselte er dort häufig seinen Aufenthaltsort, wobei er den Städten die kleineren Orte, in denen er sich in aller Ruhe mit wissenschaftlichen und philosophischen Fragen beschäftigen konnte, vorzog. Descartes machte unterschiedlichste Erfahrungen auf den Gebieten der Physik, Chemie und Medizin, führte mit Interesse Leichenschauen durch, studierte Werke von Bacon, Kepler und Gassendi. Dadurch bestärkte er sich in der Überzeugung, dass seine philosophische Methode richtig sei, und schrieb die Ergebnisse seiner Untersuchungen und Reflexionen in den zu publizierenden Abhandlungen nieder. Aus seiner Arbeit machte Descartes keinen Hehl. Es wussten nicht nur die Pariser Freunde darüber Bescheid (insbesondere Mersenne, mit dem er ununterbrochen im Briefwechsel stand), sondern auch niederländische Gelehrte, die der Philosoph wegen der ähnlichen wissenschaftlichen Interessen näher kennengelernt hatte. Unter ihnen waren die Mathematiker Golius und Hortensius sowie der Anatom Plempius, der Descartes in Amsterdam in den Jahren 1630–1631 des öfteren besuchte und ihm dort einmal beim Schreiben, einmal bei der Durchführung von Obduktionen zusah. Obwohl Descartes die Ruhe über alles schätzte, suchte er nicht – wie er im Discours de la méthode selbst bekennt – seine Untersuchungen zu verheimlichen und „ergriff auch keine besonderen Maßnahmen, um unbekannt zu bleiben“. Wenn er mit der Bekanntgabe seiner Philosophie eine Zeitlang zögerte, dann aus dem Grund, weil er sich darüber im Klaren war, dass sie mit der bisher vorherrschenden scholastischen Philosophie2 und den Vorurteilen des gemeinen Denkens nicht übereinstimmte und von seiten der Kleingeister, die keine intellektuelle Anstrengung wagen und sich mit dem Wahrscheinlichen zufrieden geben, auf Widerstand stoßen würde. Nichtsdestoweniger meinte Descartes, er dürfe die Grundsätze seiner philosophischen Methode „nicht
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Ludwik Chmaj (1988–1959) gilt als einer der herausragendsten polnischen Descartes-Forscher und gleichzeitig als großer Kenner des Sozinianismus. Seine Dissertation aus dem Jahr 1915 trug den Titel Wolzogen gegen Descartes, die Habilitationsschrift (1930) – Philosophische Entwicklung von René Descartes. Für einen ausführlichen Überblick von Chmajs Beiträgen siehe Einleitung des Übersetzers. In einem Brief an Pater Dinet (einen französischen Jesuiten – Anm d Übers ) wird Descartes Folgendes schreiben: „Mit Hilfe einzelner Regeln der peripatetischen Philosophie ist wahrlich niemals eine Frage derart gelöst worden, dass ich nicht beweisen könnte, dass die Lösung inkorrekt und falsch war“.
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verbergen, um nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, das uns gebietet, den größtmöglichen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten“.3 Überzeugt davon, dass seine Methode zu für die Menschheit nützlichen Erkenntnissen führen könnte, weihte Descartes interessierte junge Menschen in seine Philosophie ein und spornte sie zu weiterer Arbeit an wissenschaftlichen und philosophischen Problemen an. So kam es dazu, dass Descartes’ Philosophie schon 1634, also einige Jahre vor Veröffentlichung seines Discours de la méthode, gelehrt wurde, und zwar zunächst in Deventer und dann an der Akademie Utrecht. Vorgetragen wurde sie von einem Schüler Descartes’ namens Hendrik Renéri, der unter der Leitung seines Meisters Philosophie studierte.4 Renéri rühmte den Philosophen in Briefen an seine Freunde und prophezeite den Triumph seiner philosophischen Methode. Er ließ ihnen eine Ausgabe des gerade veröffentlichten Discours de la méthode zukommen und arbeitete gleichzeitig an der Popularisierung dieser Philosophie unter seinen Schülern. So konnte er den Arzt Peter Regius (1598–1679) gewinnen, der die Philosophie Descartes’ in seinen Privatvorlesungen referierte. Die Vorlesungen wurden so berühmt, dass Regius im Jahre 1638 auf einen Lehrstuhl in Utrecht berufen wurde und die Überlegenheit der cartesianischen Philosophie gegenüber der scholastischen öffentlich verteidigen konnte. In einigen seiner Werke (Fundamenta Physices, 1646, und Explication de l’espirit humain ou de l’âme raisonnable, 1644) interpretierte Regius die Lehre seines Meisters auf materialistische Weise und stellte fest, dass die Seele nur eine Akzidenz des Leibes sei, dass die Ideen mechanische Bewegungen seien, dass der Mensch keine angeborene Idee von Gott habe, und dass er nur ein zufälliges Wesen sei, da seine Denkfähigkeit nicht eine notwendige Eigenschaft darstelle. Descartes musste diese Ansichten als seinen eigenen widersprechend richtig stellen, was jedoch den Bekanntheitsgrad der „Neuen Philosophie“ nicht schmälerte. In Franeker, Groningen und vor allem in Leiden fand sie unter Philosophie- und Theologieprofessoren zahlreiche Anhänger. Von der Verbreitung beunruhigt, versuchte der fanatische Aristoteliker Gisbert Voetius, Rektor der Universität Utrecht, mit diversen gegen Descartes und seine Philosophie gerichteten Pamphleten und sogar durch Dekrete, die von den Universitätsund Stadtbehörden erlassen wurden, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Trotz der
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Zitat aus dem Discours de la méthode Descartes wohnte in Deventer seit Sommermonaten 1632 bis Ende 1633, wodurch Renéri von Descartes selbst über die Grundzüge seiner Philosophie erfahren konnte. Renéri schreibt in einem seiner Briefe: „Das war für mich ein Ansporn zu einer vertieften Beschäftigung mit philosophischen Fragen. Ich sah, dass die Philosophie ohne das Licht der mathematischen Wissenschaften in der Dunkelheit verbleiben muss und begann mit großem Eifer ebendiese Wissenschaften zu studieren. Ich ließ alle anderen Interessen, vor allem das Interesse an der Theorie oder Praxis der Medizin nicht etwa deshalb, weil ich über sie vorher nichts gewusst, sondern deshalb, weil ich sie nicht tief genug ergründet hatte. Und ich tue es umso eifriger, wenn ich die einzigartige Gelegenheit habe, mit dem hervorragendsten Mathematiker, den es je gab, Herrn Descartes als meinem Freund zu großen Fortschritten zu gelangen“. Aus Charles Adam, Vie et oeuvres de Descartes, Paris 1910.
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offiziellen Verbote überwand die Philosophie Descartes’ jedoch alle Widerstände und Schwierigkeiten und beherrschte in den Jahren 1650–1670 beinah alle Hochschulen. Obgleich es nach dem Jahr 1670 allerlei Verbote unmöglich machten, sie in den Schulen zu unterrichten, überschritt der erfolgreiche Cartesianismus bereits die Grenzen der Niederlande und gewann neue Anhänger in Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern. Politisch-soziale Verhältnisse und der Charakter der „Neuen Philosophie“ Das 17. Jahrhundert war in Westeuropa ein Jahrhundert des an Bedeutung gewinnenden Großbürgertums und wachsenden Kapitals. Während auf dem Lande immer noch das feudale Herrschaftssystem bestand, das auf hierarchischem Bodeneigentum basierte, wurden in den Städten kapitalistische Manufakturen begründet, die vormals selbständige Handwerker einstellten und die Aufhebung der Zünfte und die Einstellung der protektionistischen Politik vom Staat verlangten. In den von der spanischen Herrschaft befreiten Niederlanden erlebte das junge und machtvolle Bürgertum eine Periode großartiger Konjunktur. In Frankreich unterstützte der Erste Minister der absoluten Monarchie Richelieu (1624–1641) größere Betriebe, Übersee-Kompanien und koloniale Expeditionen mit Subventionen. Um einheimische Produkte vor der niederländischen und englischen Konkurrenz zu schützen, gewährte er verschiedenen Industrieunternehmen Sonderrechte und Garantien. Das Bürgertum, das sich mit den Einnahmen aus der Industrie und dem Handel nicht zufrieden gab, erhandelte vom Staat das Recht auf die Erhebung von Steuern, erstand neue Grundstücke, betrieb Wucher und beutete die Stadt- und Landbevölkerung aus. Im Gegenzug für die Unterstützung der absoluten Monarchie legte der Staat dem Bürgertum keine Hindernisse in den Weg. Der Absolutismus, der Engels zufolge Ausdruck eines politischen Kompromisses zwischen der höfischen Aristokratie und dem Bürgertum ist, verkörperte die allgemeinen Interessen der privilegierten Klassen, welche die Bevölkerung ausbeuteten, wogegen diese immer häufiger revoltierte. Das der Aristokratie kulturell angepasste Handelsbürgertum erlangte öffentliche Ämter und Titel, wurde in seinen Ansichten konservativ und gab sich mit dem status quo zufrieden. Um den Einfluss der Feudalherren einzuschränken, unterstützte es die Monarchie als Garanten für die Erhaltung der erlangten Privilegien. Die Handels- und Industriegeschäfte erforderten eine Entwicklung der Erfahrungswissenschaften, wovon der technische Fortschritt im Zuge der Entfaltung nationaler Produktivkräfte abhing. Die physikalischen Wissenschaften und die darauf basierende Naturphilosophie waren für das Bürgertum ein notwendiges Mittel, um die Produktion auszuweiten und den schon erlangten politischen Einfluss nicht zu verlieren. Aus diesem Grund musste eine jede Ideologie, die
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im Interesse des Bürgertums stehen sollte, notwendigerweise den merkwürdigen, zugleich konservativen und fortschrittlichen Charakter aufweisen. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Philosophie Descartes’. Als Bürgerlicher von Geburt teilte Descartes zweifelsohne die Denkart seiner Klasse. Auch wenn er der Aristokratie gegenüber nicht übel gesonnen war, so war er von ihrer geistigen Überlegenheit nicht überzeugt. Er behauptete, die Vernunft sei bei allen Menschen von Natur aus gleich verteilt und jeder könne auf der Suche nach Wahrheit auf seinen eigenen Verstand vertrauen, ohne auf die in den Schulen vorherrschende Scholastik zurückzugreifen. Über Scholastik sprach Descartes mit Ironie, dass sie über alle Dinge nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip zu urteilen und auf diese Weise minder Gelehrte zu beeindrucken erlaube, und dass es in der Scholastik „kein Thema gäbe, über welches man nicht streiten würde“.5 Deshalb zog er der Scholastik „einfache und ungelehrte Reflexionen eines vernünftigen Menschen, den plagende Fragen angehen“ als der Wahrheit näher vor. Nicht nur gegenüber Tradition und Autorität nahm Descartes eine Gegenposition ein. Um seinen Verstand nicht zu gefährden, schenkte er dem durch Erziehung und Gewohnheit Vermittelten generell wenig Vertrauen. Er bezweckte keine Reformierung des Staates und sprach kein Lob aus an „die trüben und aufgewühlten Gemüter, die zur Lenkung öffentlichen Geschehens weder durch Geburt noch durch Schicksal berufen sind und trotzdem nicht aufhören, immer neue Ideen in die Tat umzusetzen“. Er war der Meinung, wenn der Staat Mängel aufweise, dann würden diese durch die „Praxis“ behoben, weil es „in der Welt kein solches Ding [gibt], das immer in demselben Zustand“ bliebe. Diese Mängel seien außerdem „fast immer erträglicher als deren Behebung es wäre“. Er selbst entschloss sich, „den Gesetzen und Sitten [seines] Landes gehorsam zu sein“, behielt die Religion, in der er erzogen worden war, und bemühte sich „stets sich selbst zu überwinden als das Schicksal abzuwenden, und eher die eigenen Begierden denn die Ordnung der Welt zu verändern“. Trotz dieses Konservatismus trug Descartes in sich „den ganzen intellektuellen Schwung eines aufkommenden und fortschreitenden Bürgertums, das arbeitsam, stolz und an Talenten reich ist, ungeduldig nach neuen Errungenschaften trachtet“,6 und die Unterwerfung der Naturkräfte durch den Menschen anstrebt. Da er glaubte, wahrhaft tugendhaft seien nur diejenigen, die „das Allgemeinwohl wollen“,7 beabsichtigte Descartes der Menschheit eine Philosophie zu hinterlassen, die frei vom Übernatürlichen und Dogmatischen war: Eine praktische Philosophie, mit deren Hilfe – um Energie und Funktionsweise des Feuers, des Wassers, der Luft, der Sterne, des Himmels und aller anderen Körper wis-
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Dieses und die weiteren aufgeführten Zitate stammen aus dem Discours de la méthode Aus M. Thores, Über Descartes Abhandlung über die Methode (vollständige bibliographische Angabe fehlt). Dieses und die weiteren aufgeführten Zitate stammen aus dem Discours de la méthode
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send – diese Körper zu allen von uns bestimmten Zwecken eingesetzt werden könnten, um dadurch Herrscher der Natur zu werden. Hinter der praktischen und humanistischen Auffassung von Wissenschaft verbarg sich zugleich der Glaube an die menschliche Vernunft und an die schöpferischen Kräfte des Menschen, die ihm enorme Perspektiven eines technischen und moralischen Fortschritts eröffnen und Glückseligkeit auf Erden sichern sollten. Dieser Glaube resultierte aus dem cartesianischen Prinzip „Ich denke, also bin ich“. Dieses Prinzip war Ausdruck der Autonomie der Vernunft, der Selbständigkeit des menschlichen Verstandes, der keine Offenbarungswahrheiten mehr benötigte und sich ausschließlich auf sich selbst stützen konnte. Durch methodologisches Zweifeln hatte dieses Prinzip eine bahnbrechende Bedeutung, denn nach der Widerlegung all dessen, was bislang als wahr gegolten hatte, wurde es zur Grundlage für eine Neubegründung des Wissens mit Hilfe einer sehr einfachen, klaren und für jeden Menschen einleuchtenden Methode. „Ich will nicht – schrieb Descartes über sich selbst – zu den leidigen Künstlern gehören, die sich bloß mit der Reparatur alter Werke befassen, weil sie sich nicht imstande fühlen, neue zu errichten“. Im Grunde war sein ganzes philosophisches Schaffen ein Suchen nach dieser klaren und deutlichen Methode – einer universalen Methode, mit Mathematik als Vorbild, die sich zu all den Forschungen eignen würde, welche die Erlangung sicheren Wissens zum Ziel haben. Die Wissenschaft, an deren Etablierung Descartes fast sein ganzes Leben lang arbeitete, war daher die Physik, also eine Wissenschaft über die Welt, „über die Natur der materiellen Dinge“ und über die ewig geltenden Gesetze, nach denen notwendigerweise alles in der Welt geschieht, wie in der unsrigen, so auch in jeder anderen Welt, falls es sie gibt. Um die Wissenschaft auf eine sichere Grundlage zu stellen, suchte Descartes nach Naturgesetzen auf apriorischem Wege: Durch geometrische Deduktion aus den als selbstverständlich vorausgesetzten Axiomen. Das Kriterium der Selbstverständlichkeit war durch Gott als vollkommenes Wesen, das uns nicht täuschen kann, vorgegeben. Wenn man bedenkt, dass Descartes der Metaphysik nur wenig Zeit seines Lebens widmete und den jungen Burman8 davor warnte, dass sich die Beschäftigung mit metaphysischen Themen als schädlich erweisen könnte, wird wohl die Vermutung richtig sein, dass die Wissenschaft von Gott Descartes lediglich als Ausgangspunkt für die Begründung sicheren Wissens diente. Sie war nur eine Konzession zugunsten der Tradition, eine Art Kompromiss. Dieser Kompromiss war der Preis, für den Descartes auf die Anerkennung seiner Physik hoffte. Auf die Nachricht von der Verurteilung des Galileo Galilei durch die Inquisition im Jahr 1638 reagierte Descartes mit großer Vorsicht und nahm die Veröffentlichung 8
Der zwanzigjährige Student Franz Burman (1628–1679) hatte in Leiden die Gelegenheit, mit Descartes zu speisen und ihm eine Reihe von Fragen zu stellen. Einige Tage später schrieb er seine Fragen zusammen mit Descartes’ Antworten nieder. Auf das veröffentlichte Gespräch wurde in der Descartesforschung im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach zurückgegriffen. – Anm d Übers
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seiner Abhandlung über die Welt vorerst zurück. Der Abhandlung über die Methode stellte er die Anmerkung voran, er überlasse die ganze Welt den Disputen der Gelehrten, damit er selbst sich freier äußern könne, „was in einer neuen Welt passiert, wenn Gott irgendwo in einem vorgestellten Raum genug Materie schafft, um sie einzurichten, und den verschiedenen Elementen dieser Materie eine inkonstante und unordentliche Bewegung einhaucht, so dass daraus ein trübes Chaos entsteht, das nur Poeten zu ersinnen vermöchten; und wenn er der gewohnten Natur nur helfen wollte und sie nach den eigens festgelegten Gesetzen wirken ließe“. Mit dem Begriff von einer fiktiven Welt wollte sich Descartes vor dem Vorwurf unrechten Denkens schützen, vor dem er übrigens zu Recht Angst hatte.9 In seiner Physik schreibt er nämlich der Materie eine selbstständige Schöpfungskraft zu und in der mechanischen Bewegung sieht er Anzeichen ihrer Wirkung. In der Physik ist für ihn Materie die einzige Substanz, die einzige Grundlage des Seins und der Erkenntnis. Durch eine mechanistische Interpretation der toten und lebendigen Materie und durch die Annahme, Tiere seien bloße Maschinen, setzte sich Descartes dem mittelalterlichen teleologischen Erklärungsversuch der Lebensphänomene entgegen und bereitete den Naturwissenschaften den Weg zu selbstständiger Forschung frei von theologischen Mutmaßungen. Die einzige Ausnahme in dieser mechanistischen Welt bildeten, so Descartes, psychische Phänomene als Erlebnisse der Seele, die von einem anderen Wesen sei als der Leib. „Der Verstand ist nämlich ein universelles Instrument, das in allen möglichen Fällen Anwendung findet“, und alle mechanischen Werkzeuge „benötigen eine besondere Einstellung für jede bestimmte Tätigkeit, so dass es grundsätzlich unmöglich ist, dass es in der Maschine genügend Vielfalt davon gibt“.10 Dieser metaphysische Dualismus, der die Seele als „absichtlich erschaffen“ und „unsterblich“ dem Körper entgegensetzt, stellte eine Abweichung in Descartes’ materialistischer Erläuterung der Welt dar. Ähnlich der Lehre von Gott war auch seine Lehre von der Seele ein Zugeständnis gegenüber der scholastischen Tradition, ein Kompromiss, mit dessen Hilfe Descartes kirchliche Kreise von seiner Physik überzeugen wollte. Dieser Kompromiss ging so weit, dass sich Descartes bei der Begründung seiner metaphysischen Thesen sogar der Argumente und Begriffe aus der Scholastik bediente. Meditationen über die Erste Philosophie Das erklärt uns, warum Descartes im Jahr 1640 die Meditationen über die Erste Philosophie schrieb. Ursprünglich sollte das Werk den Titel Über die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele tragen. Obwohl Descartes das Problem der Unsterblichkeit
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Im Jahr 1663 wurden seine Werke auf den Index Librorum Prohibitorum gesetzt. Zitat aus dem Discours de la méthode
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der Seele in seinem Werk nicht anspricht, entschied er sich bei der Erstausgabe für diesen Titel in dem Glauben, dass es so einfacher sein würde, die Anerkennung seitens der Sorbonne zu erlangen. Er trat zunächst an zwei Theologen aus Haarlem mit der Bitte heran, sein Werk zu begutachten; erst danach schickte er das Manuskript an die theologische Fakultät in Paris. Die Haarlemer Gelehrten gaben das Manuskript Caterus, dem Prälat aus Alkmaar, der in theologischen Fragen bewanderter war. Dieser brachte erste Einwände vor, auf die Descartes sofort antwortete. Das Manuskript zusammen mit den Einwänden von Caterus und seinen Antworten schickte Descartes mit einem Brief an die Sorbonne.11 In diesem Brief begründete Descartes seinen Versuch zur Lösung metaphysischer Fragen auf folgende Weise: „Ich glaubte immer, dass es von den Fragen, die eher von der Philosophie als der Theologie beantwortet werden sollten, zweierlei gibt: nämlich die Frage nach Gott und die Frage nach der Seele. Wiewohl es uns Gläubigen ausreicht, kraft des Glaubens zu bekennen, dass die menschliche Seele nicht mit dem Körper zusammen stirbt, und dass Gott existiert, so wird sicherlich den Ungläubigen darüber, wie ich denke, keine Religion und wohl auch keine moralische Vollkommenheit davon überzeugen können, solange diese beiden Wahrheiten ihnen nicht mit Hilfe der angeborenen Vernunft bewiesen werden“. Damit der Standpunkt, dass die Existenz Gottes durch Vernunft bewiesen werden könne, Descartes nicht übel genommen würde, berief er sich nicht nur auf die Ansichten der Theologen, sondern auch auf die Heilige Schrift. „Ich weiß – schrieb er weiter – dass viele Gottlose es nicht glauben wollen, dass es Gott gibt, und dass sich die menschliche Seele vom Körper unterscheidet, weil, wie sie behaupten, niemand es geschafft hat, diese Dinge zu beweisen. Deshalb, obgleich ich mit ihnen gar nicht übereinstimme, bin ich im Gegenteil der Meinung, dass fast alle Überzeugungen, die verschiedene große Männer in diesen Dingen vertraten, Beweiskraft haben, sobald man sie nur recht versteht […]; ich denke, dass nichts Nützlicheres in der Philosophie getan werden kann, als einmal emsig die besten von allen diesen Überzeugungen herauszufiltern und sie so exakt und überschaubar darzulegen, dass für die Zukunft für alle klar wird, dass es Beweise sind. Und schließlich sah ich es deshalb als eine Pflicht, mich ein wenig auf diesem Gebiet zu erproben, weil mich dazu manche kräftig ermuntert haben, und zwar diejenigen, denen es bewusst war, dass ich eine bestimmte Methode, beliebige Problemfälle in der Wissenschaft zu lösen, erfunden hatte – eine Methode, die zwar nicht neu war, weil es nichts Älteres gibt als die Wahrheit, aber eine solche Methode, die, wie sie sahen, in anderen Fällen nicht ohne Erfolg Anwendung fand“. Von in seinem Werk präsentierten Beweisen hielt Descartes so viel, dass er behauptete, die menschliche Vernunft würde keinen besseren Weg finden, eines Tages noch bessere Beweise vorzubringen.
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Er tat es durch Vermittlung von Mersenne, dem Huygens das Manuskript zukommen ließ.
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Trotz dieser Argumente erfuhr Descartes keine Anerkennung der Meditationen durch die Sorbonne. Den Gelehrten war, wie auch schon in dem besagten Brief, der hohe Stellenwert des menschlichen Denkvermögens aufgefallen, so dass man darin zu Recht eine antitheologische Tendenz erkennen konnte. Inzwischen gab Mersenne durch die Veranlassung von Descartes das Manuskript den ihm bekannten Pariser Theologen zum Lesen und brachte zusammen mit ihnen auch einige Zweifel vor, die uns heute unter dem Namen „Zweite Einwände“ bekannt sind. Mit den dritten Einwänden kam Thomas Hobbes, der das Manuskript von Mersenne bekommen hatte, ohne dass Descartes davon gewusst hätte. Hobbes war Descartes nicht wohlgesonnen, er zeigte sich als entschiedener Gegner seiner Philosophie. Auf die Einwände ging Descartes ein, da er Mersenne gegen sich nicht einnehmen wollte. Erfreut wiederum war Descartes über kritische Anmerkungen des jungen Theologen Antoine Arnauld, der Jansenist und Professor am Pariser Kollegium war und das cartesianische Werk nicht nur aus philosophischer, sondern auch aus theologischer Sicht beurteilte.12 Arnaulds Einwände, die Vierten an der Reihe, betrachtete Descartes als die bisher besten und nahm zu ihnen mit unverhohlener Genugtuung Stellung. Der wohlwollende Mersenne beließ es jedoch nicht dabei. Um der cartesianischen Philosophie den größtmöglichen Erfolg zu verschaffen, stellte er das Manuskript allen Interessenten zur Verfügung. So lasen es der Mathematiker Fermat13 in Toulouse und der Epikur-Verfechter Gassendi sowie eine ganze Reihe von Mathematikern und Theologen um Mersenne. Der erstere schickte Descartes keine Bemerkungen zu, um mit diesem nicht in einen Meinungsstreit zu geraten. Gassendi dagegen legte alle seine Zweifel bezüglich des cartesianischen Werkes ausführlich dar. Auf diese Einwände antwortete der Autor der Meditationen ungern. Er schätze Gassendi als Philosophen nicht und drückte sich in einem Brief an Mersenne mit gewisser Missachtung aus, Gassendi könne nicht folgerichtig denken. Als Gassendi wiederum auf Descartes’ Antworten seine umfangreichen Instanzen schrieb, reagierte dieser nicht nur mit Schweigen, sondern verlangte, dass in der in Vorbereitung befindlichen französischen Übersetzung der Meditationen alle Vermerke zu Gassandi entfernt werden. In Antwort auf die letzten (sechsten) Einwände, die vom Personenkreis um Mersenne hervorgegangen waren, sagte Descartes offen, dass er künftig auf keine Einwände mit Bezug auf Bibelzitate antworten würde, es sei denn sie stimmten mit einer seinen Überzeugungen
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„[…] ich werde hier eine doppelte Rolle spielen: zunächst sage ich, welche Einwände meiner Ansicht nach die Philosophen in Bezug auf die wichtigsten Fragen, die die Natur unseres Geistes und Gott betreffen, erheben können. Ferner werde ich die Zweifel thematisieren, auf die ein Theologe in Bezug auf das Gesamtwerk kommen könnte“. Einwände IV. Gemeint ist der französische Mathematiker und Jurist Pierre de Fermat (1607–1665), der unter anderem wichtige Beiträge zur Geschichte der Mathematik und zur Zahlentheorie und Wahrscheinlichkeitslehre leistete. – Anm d Übers
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nicht überein – er habe sich nicht mit theologischen Studien befasst, wenn sie nicht zu seiner eigenen Bildung beigetragen haben. Alle Einwände wurden zusammen mit Descartes’ Antworten in die erste Ausgabe der Meditationen, die bei Michel Soly in Paris im Jahre 1641 erschienen, aufgenommen. Während das Buch im Druck war und auch danach erhielt Descartes von vielen Seiten weitere kritische Bemerkungen, auf die er nur noch brieflich antwortete. Manche von ihnen, insbesondere die des Jesuiten namens Bourdin14, erweckten in ihm ein Gefühl tiefer Verbitterung. Dieser Professor am Pariser Kollegium setzte zu einem Kampf gegen seine Philosophie an, und zwar nicht durch „Argumente, sondern [durch] Verleumdung“. Descartes konnte auf diese Einwände nicht mit Schweigen reagieren. Er ließ sie deshalb als die siebenten Einwände zusammen mit seinen Antworten und einem Brief an den Provinzial der Jesuiten Dinet in der zweiten Ausgabe der Meditationen veröffentlichen (erschienen bei Ludwig Elsevier in Amsterdam im Jahre 1642). In dem Brief verteidigte er seine Philosophie vor dem Vorwurf, sie wäre – als eine mit Scholastik nicht konforme Philosophie – der Religion feindselig und führe zu unnötigen Streitigkeiten in den Schulen. Die zweite Ausgabe erschien schon unter dem geänderten Titel Meditationen über die Erste Philosophie, in welcher die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird. Wenngleich Descartes die Anerkennung seines Werkes durch die Sorbonne vorenthalten wurde, schmälerte dies den Einfluss seiner Philosophie auf den Zeitgeist in keiner Weise und trug im Gegenteil zu ihrer Verbreitung in verschiedenen Ländern noch bei. Erstes Interesse an der „Neuen Philosophie“ in Polen Die Polen wurden auf die cartesianische Philosophie unmittelbar in den Niederlanden aufmerksam, und zwar zu der Zeit, als an dortigen Universitäten Verfechter der cartesianischen Philosophie lehrten und ein heftiger Streit darum vor sich ging. Polnische Studenten kamen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts recht oft und in hoher Anzahl zum Studieren in die Niederlande. Es existierten lebendige Beziehungen zwischen den niederländischen Theologen und den Anhängern der Doktrin von Fausto Sozzini, die in Raków nahe Sandomierz eine blühende Stätte des fortschrittlichen Denkens bildeten. Die Polnischen Brüder, die in den Niederlanden intensiv tätig waren und unter den Remonstranten viele Freunde hatten, schickten nicht nur ihre Jugend zum Studieren in das Land, sondern reisten zwecks Verbreitung eigener religiöser Ansichten auch selbst dorthin. Wenngleich sie sich hauptsächlich für die theologische Literatur und
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Pierre Bourdin (1595–1653), lat. Petrus Burdinus, war ein französischer Mathematiker und Militärtechniker – Anm d Übers
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die Möglichkeit eines interreligiösen Friedens interessierten, zeigten sie doch Neugier an der Neuen Philosophie, die, ihren Ansichten ähnlich, die Prüfung strittiger Fragen durch die Vernunft anstrebte. Die bloße Tatsache, dass zu ihrem Freundeskreis Personen zählten, die im engen Kontakt mit Descartes standen (wie etwa Mersenne und de Courcelles15) legt nahe, dass ihnen die cartesianische Philosophie nicht fremd gewesen sein kann. In der Tat zeigen uns die Informationen, die uns über die Auslandsstudien der Polnischen Brüder vorliegen, dass manche von ihnen die Werke von Descartes mit Begeisterung lasen, und dass einige den Philosophen sogar persönlich kannten. Adrien Baillet, der herausragende Descartes-Biograph, schreibt,16 Descartes sei nach der Herausgabe des Discours de la méthode im Juni 1637 zum Ausruhen nach Flandern gereist, wo er de la Bassecourt, den Bürgermeister der Stadt Douai, traf. Auf dieser Reise soll Descartes von einem Polen begleitet worden sein. Der Bürgermeister, der sich für Philosophie interessierte, bot ihnen Unterkunft für über eine Woche an und, damit sie sich nicht langweilten, lud er Franz Silvius, einen Thomisten und Professor an der dortigen Universität, zu einer philosophischen Diskussion ein. So wurden jeden Abend gelehrte Gespräche geführt, an denen vorwiegend Silvius und der Pole, Descartes’ Begleiter, teilnahmen. Die Gespräche führten fast immer zu hitzigen Diskussionen und dauerten bis in die späte Nacht. Baillet gibt den Namen des Polen nicht an, man kann daher nur vermuten, wer es gewesen ist, der lange und erregte Diskussionen mit dem thomistischen Theologen führte. Es gilt als wahrscheinlich, dass es sich um Andrzej Wiszowaty17 handelt, der im Jahre 1637 in den Niederlanden weilte, und von dem man weiß, dass er Grotius, Hobbes, Gassendi und Mersenne persönlich kannte. Samuel de Sorbière18, der in der französischen Hauptstadt regelmäßigen Umgang mit den Polnischen Brüdern pflegte, benachrichtigte Patin, den Dekan der medizinischen Fakultät, im Jahr 1644 mit einem Brief darüber, er hätte in Amsterdam in der Elsevier-Buchhandlung zwei von ihrem Pariser Studium zurückkehrende Polen getroffen. Der jüngere von ihnen hätte in Paris ein Medizin-, der ältere ein Theologiestudium belegt. Der letztere soll sich einst für Philosophie interessiert haben und „findet jetzt immer noch Gefallen an der Prüfung natürlicher Dinge gemäß der cartesianischen Methode“.19 Weitere Vertreter der Polnischen Brüder, die sich mit wissenschaftlichen Fragen beschäftigten, suchten in den Werken Descartes’ entsprechende Lehren oder verfolgten Diskussionen, die von den Anhängern und Gegnern seiner Philosophie geführt
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Gemeint ist wohl der calvinistische Theologe Étienne de Courcelles (1586–1659) – Anm d Übers Baillet, Adrien: La vie de M Des-Cartes, Paris 1691. Lat. Andreas Wissowatius (1608–1678), ein polnischer Adeliger, Verleger der „Bibliotheca Fratrum Polonorum“. – Anm d Übers Philosoph und Übersetzer der Werke von Thomas More und Thomas Hobbes ins Französische (1615–1670) – Anm d Übers Sorbière, de Samuel: Lettres et discours de M De Sorbière sur diverses matieres curieuses, Paris 1660.
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wurden. So auch Stanisław Lubieniecki20, der mit besonderer Vorliebe Astronomie studierte und im Jahre 1649 kurz vor Descartes’ Abreise nach Schweden eine engere Bekanntschaft mit ihm schloss und Gespräche über die Drehbewegung der Erde mit ihm führte.21 Er hielt Descartes für einen großen Denker und las seine Les Météores und Principia philosophiae sehr genau durch, bevor er das Werk Theatrum Cometicum niedergeschrieben und Descartes dort mehrfach zitiert hat. Mit Freude nahm Lubieniecki später, nachdem er sich nach langem Herumirren als Verbannter in Hamburg niedergelassen hatte, Kenntnis von den Niederlagen der Gegner Descartes’ in Diskussionen über astronomische Themen. Davon berichtete Lubieniecki Tobiasz Morsztyn22, Teilnehmer jener Diskussionen im Jahre 1665 in Franeker, wo er mit seinem Zögling Rej gastierte. Der Gegenstand der Dispute, die vom Mathematikprofessor Abraham de Grau23 mit einem Anhänger der Scholastik, der Descartes stark kritisierte, geführt wurden, war das Kometenproblem. Morsztyn war erfreut über die Überlegenheit des Cartesianers und schrieb nicht ohne Genugtuung Lubieniecki darüber. Lubieniecki teilte seine Freude und bestritt nicht, dass Descartes in der Tat ein großer Gelehrter sei und die cartesianische Analytik die von Viete in Klarheit übertreffe. Um Morsztyn jedoch davon abzuhalten, Descartes’ Werke unkritisch zu lesen, wies er darauf hin, dass manche seiner Lehren falsch seien. In dieser Warnung von Lubieniecki waren mittlerweile kritische Stimmen zu hören, die von mehreren Seiten gegen verschiedene Ansichten Descartes’ laut wurden. Charakteristisch in dieser Hinsicht war der Standpunkt von Joachim Stegmann24. Während seines Aufenthaltes in Mannheim führte er mit einem uns namentlich unbekannten Anhänger der cartesianischen Philosophie mehrfach Diskussionen über diverse physikalische Fragen. Wenn der Cartesianer zum Beispiel behauptete, der Raum sei nichts anderes als ein Körper von dreifacher Ausdehnung und so etwas wie Vakuum sei unmöglich, dann wies Stegmann diese Ausführungen mit dem folgenden Argument zurück: Wenn der Raum ein Körper wäre, dann würde diese Tatsache eine Durchdringung von Körper und Ausdehnung implizieren, was von den meisten Philosophen für einen Unsinn gehalten wird. Das Wesen des Problems bestehe, so Stegmann, sowieso nicht in der Frage, was der Raum sei, sondern ob das, was wir als Raum bezeichnen, körperlos, mithin leer sein kann. Fragen dieser Art könnten nicht durch 20 21 22 23 24
Ein polnischer Astronom, Historiker und Schriftsteller (1623–1675). – Anm d Übers Siehe Lubienieckis Theatrum Cometicum. In einem Brief an Jan Placentinus-Kołaczek (1630–1683) vom 20. April 1666 bezeichnet Lubieniecki Descartes als seinen Freund. Magnus procurator arcis cracoviensis und Richter am Oberhof des deutschen Rechts auf der Burg zu Krakau (Lebensdaten 1624–1664); Bruder des Sekretärs von Ludwig XIV. Jan Andrzej Morsztyn. – Anm d Übers Niederländer, Autor der Historia philosophica (1632–1683). – Anm d Übers Deutschstämmiger Professor für Mathematik und Rektor der Sozinianer-Schule Gymnasium Bonarum Artium in Raków (1595–1633). – Anm d Übers
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Begriffsbestimmung, sondern nur durch experimentelle Forschung beantwortet werden. Daraus ist ersichtlich, dass sich die Polnischen Brüder bereits darüber im Klaren waren, dass es zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der philosophischen Spekulation einen Unterschied gibt. Sie setzten sich daher für diejenigen ein, die natürliche Phänomene durch Erfahrung und Experiment zu erklären suchten statt durch bloße Anwendung begrifflicher Differenzierungen. Diese Position sollte in den Ausführungen von Johann Ludwig Wolzogen, die gegen Descartes gerichtet waren, ihren stärksten Ausdruck finden. Allerdings geschah dies erst, nachdem man auch im Westen die Grenzen des philosophischen Rationalismus eingesehen hatte. Derweil breitete sich in Polen der Leserkreis von Descartes’ Schriften aus. Seine Werke wurden von aus dem Ausland zurückkehrenden Studenten mitgebracht und auch durch Mersenne, den wahren Botschafter der Philosophie Descartes’, an Marcin Ruar25 verschickt. Mersenne, der gegen Atheismus in jeder Form kämpfte, war davon überzeugt, dass Descartes’ Philosophie den Atheismus endgültig entkräftet, indem sie neue Beweise für die Existenz Gottes und seine Vorsehung liefert. Aus diesem Grund schickte Mersenne die Werke des französischen Denkers an alle seine ausländischen Freunde. Unter ihnen befand sich der erwähnte Marcin Ruar aus Polen. Aus seinem Brief an Mersenne vom 20. Juni 1644 geht hervor, dass die Werke von Rene Descartes in polnischen Buchhandlungen erhältlich waren. Ruar schrieb: „Die Reflexionen und Einwände Deines Gassendi und der anderen Gelehrten, die gegen Descartes gerichtet sind, suchte ich bei einem Freund und habe sie sodann gefunden; ich konnte Gassendis Apologie26, die Du erwähnst, allerdings nicht ausfindig machen. Ich werde bei den Buchhändlern nachfragen. Wenn ich nur Zeit habe, werde ich alles fleißig aufsammeln“. Mersenne gelang es, das Interesse nicht nur an religiösen und philosophischen, sondern auch an wissenschaftlichen Fragen in Ruar zu wecken, und zwar vor allem auf dem Gebiet der Physik. Seitdem las Ruar mit Vorliebe Gassendis Werke und bat Mersenne immer wieder um neue. Als er Gassendis Abhandlung De apparente magnitudine solis fertig studiert hatte, sprach er sich, von seinen Argumenten überzeugt, für die Erdrotation aus und verteidigte seinen Standpunkt in Hinsicht auf Mersennes Verwunderung wie folgt: „Dass ich, durch so viele Argumente überzeugt, die Kopernikus, Galilei, Kepler und dein Gassendi vorgebracht haben, die Erdrotation anerkenne (bezüglich des jährlichen Umlaufs der Erde habe ich noch meine Zweifel), sollte Dich gar nicht wundern. Wir sehen doch, dass sehr viele zeitgenössische Mathematiker dieser Ansicht bereits gefolgt sind. Deine Meinung, dass man damit bis zur Stellungnahme der römischen Kirche abwarten solle, scheint mir von einem unterlegenen und beinah 25 26
Dt. Martin Ruarius, Rektor des Gymnasium Bonarum Artium in Raków (1589–1657). – Anm d Übers Gemeint sind die Instanzen, die 1644 unter dem Titel Disquisitio Metaphysica erschienen.
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unterwürfigen Gemüt zu zeugen. Warum sollen wir bei einem mathematischen Streit eher auf die Zuständigen der Kirche, die sich mit solchen Fragen oftmals gar nicht auskennen, denn auf die Mathematiker hören? Mir scheint es, dass Gassendi selbst diese strittigen Fragen dem Urteil der Kirche überlässt, um ihr nicht zu missfallen, und nicht, weil er wirklich so denkt“. Vergeblich wartete Mersenne auf Raurs Urteil über die Meditationen. Obgleich er Descartes’ Werk in seinen Händen hatte, fand er keine Zeit, es genauer zu lesen. Wahrscheinlich fand er die Meditationen zu abstrakt und gab die Lektüre auf. Um Mersennes Bitte irgendwie nachzukommen, gab er das Werk offenbar Wolzogen und animierte ihn dazu, seine Anmerkungen zu schreiben. Wolzogen und seine Anmerkungen In dem Maße, wie die Polnischen Brüder persönliche Kontakte mit Gassendi, Mersenne, Sorbière und Mydorge27 knüpften und immer mehr Interesse an den Erfahrungswissenschaften zeigten, wurde ihr Standpunkt bezüglich der cartesianischen Philosophie immer kritischer. Sie sympathisierten zwar mit Descartes’ Kampf gegen die scholastische Tradition, die auch sie durch Kritik an Dogmen und Verweis auf deren inhaltliche Unvereinbarkeit mit der Heiligen Schrift zu untergraben suchten. Die Autonomie des Selbst, die der Philosophie von Descartes zugrunde liegt, war zwar auch für sie ein Postulat, von dem sie die Erlangung der wahren Erkenntnis abhängig machten. Allerdings fanden die Polnischen Brüder trotz dieser Gemeinsamkeiten nicht so viel Interesse an dieser Philosophie, dass man sagen könnte, sie wären deren Anhänger gewesen. Im Gegenteil überzeugten sie die Streitigkeiten, welche Descartes’ Philosophie provozierte, endgültig davon, dass der Verstand ohne Anlehnung an die Erfahrung nicht in der Lage ist, das Wahre zu erkennen. Aus diesem Grund verfolgten sie mit größerer Neugier die Entwicklung der Erfahrungswissenschaften und hatten mehr Interesse an Gassendis Werken als an denen von Descartes. Dies lässt sich nicht nur im Falle von Ruar, sondern in nicht geringerem Maße auch im Falle von Wolzogen feststellen. Johann Ludwig Wolzogen (1599–1661) befasste sich in seiner Jugend mit mathematischen und theologischen Fragen gleichermaßen. Die Vorliebe zur Mathematik blieb bis Ende seines Lebens lebendig. Bei mehrmaligen Aufenthalten im Ausland (1638 in Paris, 1646 in Amsterdam, und 1655 in Basel) muss sich Wolzogen mit der damaligen wissenschaftlichen und philosophischen Bewegung durch die Vermittlung seiner Freunde Mydorge und Mersenne vertraut gemacht haben. Bei dem Ersteren kaufte er einige optische Vorrichtungen und brachte sie nach Polen; den Zweiteren bat er
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Claude Mydorge (1585–1647), ein französischer Mathematiker und Optiker. – Anm d Übers
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um Hilfe beim Umtausch dieser Vorrichtungen, da sie sich als defekt erwiesen hatten. Nach seiner Rückkehr nach Polen im Jahre 1646 begann Wolzogen kritische Anmerkungen zu den Meditationen von Descartes zu schreiben. Diese Anmerkungen wusste Stanisław Lubieniecki hoch zu würdigen, wie es auch andere Polnische Brüder taten. Allerdings reagierte Descartes auf ihre Veröffentlichung nicht, da er, als das Werk unter dem Titel Breves in Meditationes Metaphysicas Renati Cartesii Annotationes im Jahre 1657 in Amsterdam die Druckerei verließ, nicht mehr am Leben war. Unter dem verkürzten Titel Anmerkungen wurde es von den Polnische Brüdern in den Bestand der Bibliotheca Fratrum Polonorum aufgenommen. In seinen Anmerkungen griff Wolzogen mehrfach auf die Kritik der cartesianischen Meditationen durch Gassendi, Caterus und Arnauld zurück; am meisten angetan war er von Gassendis Ansichten. Die Einwände, die Wolzogen erhob, deuten darauf hin, dass er Anhänger der sensualistischen Erkenntnistheorie war, von welcher er sich offenbar durch die Lektüre von Gassendis Werken überzeugen ließ. Ähnlich wie Gassendi geht Wolzogen davon aus, dass der Mensch immer in seinem konkreten Ganzen als Person bestehend aus Seele und Körper begriffen werden müsse. Nur in diesem konkreten Ganzen könne er seine verschiedenen Lebensfunktionen erfüllen. Da die Seele nur in Verbindung mit dem Leib eine vollständige menschliche Person ausmache, könne eine Person ohne körperliche Organe nicht denken, begreifen, reflektieren oder sonstige Tätigkeiten ausüben. Indem Descartes die Tätigkeiten der Seele losgelöst vom Leib und von den körperlichen Gegebenheiten betrachte, verwickle er sich in eine Reihe von unlösbaren Problemen. Einen Ausweg suche er dann in rein verbalen Differenzierungen, die jeder Grundlage entbehrten. Wolzogen zufolge ist es diese Losgelöstheit vom Körper, die Descartes zur Suche nach einem Erkenntniskriterium veranlasst, welches sicherer als die sinnliche Erkenntnis wäre. Descartes trenne die Vernunfterkenntnis von der sinnlichen Erkenntnis zu weit ab und versuche zu zeigen, dass der Geist uns vertrauter sei als der Körper. Allerdings könne uns Descartes nichts weiter sagen, als dass der Geist ein denkendes Ding sei. Auf Irrwegen suche Descartes nach einem neuen Gottesbeweis, um sein relatives Erkenntniskriterium zu untermauern. Er nehme die Existenz von angeborenen Ideen im Geist unnötigerweise an und zeige auf einen qualitativen Unterschied zwischen Vorstellungskraft und Verstand, um die Existenz der physischen Welt zu beweisen. Künstlich und haltlos sei Wolzogen zufolge auch der Zweifel Descartes’ an den schon erlangten Inhalten der Erkenntnis: Statt daran zu zweifeln, solle man eher die Bedingungen untersuchen, unter denen sinnliche Illusionen und falsche Urteile entstünden. Die Art und Weise, wie sich Wolzogen bei der Analyse dieser Probleme mit den Ausführungen Descartes’ auseinander setzt, weist darauf hin, dass er entweder Gassendis Denken treu bleibt oder gemäß seines sensualistischen Standpunktes argumentiert. Wiewohl er zugibt, dass uns die Sinne manchmal täuschen können, zumal sie krank sind oder wenn der Geist nicht besonders wach ist, war er in Wirklichkeit doch davon überzeugt, dass nur sinnliche Eindrücke die Quelle unseres Wissens über die
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Welt sind, und dass die Untersuchung der Bedingungen für die Entstehung dieser Eindrücke und deren verstandesmäßige Verarbeitung auch zu den Aufgaben des Geistes gehören. „Wahrheit und Falschheit – behauptet Wolzogen – fallen nicht unter die Sinne, die Gegenstände direkt wahrnehmen und kein Urteil darüber fällen, welche Gegenstände es konkret sind. Vielmehr unterliegen sie dem Urteilsvermögen, dessen Funktion es ist, über die Wahrheit oder Falschheit der Gegenstände zu urteilen.“. Wenn der Geist also nicht zu schnell oder zu langsam arbeite, könne er aufgrund der Inhalte der sinnlichen Eindrücke nach entsprechender Verarbeitung das sichere Wissen über die Welt erlangen. Wir irrten uns auch in unseren Urteilen, unser Gedächtnis lasse uns manchmal im Stich (ohne das Gedächtnis wäre Schlussfolgern unmöglich), doch kein vernunftbegabter Mensch zweifle an der Möglichkeit, mit Hilfe von Urteilsbildung zu der wahren Erkenntnis zu gelangen. Die cartesianische Regel also, der zu Folge die Besonnenheit uns niemals erlaubt demjenigen Glauben zu schenken, der uns einmal betrogen hat, sei nur dann von Bedeutung, wenn es nicht in unserer Kraft liegt, einen ähnlichen Betrug zu vermeiden. Wolzogens Ansichten sind durchzogen von der Vorsicht des gesunden Menschenverstandes, der mehr alltäglichen Lebenserfahrungen als subtilen apriorischen Überlegungen vertraut. Diese Common Sense-Philosophie ließ ihm Gassendis Standpunkt natürlich und klar und Descartes’ Standpunkt merkwürdig und unverständlich erscheinen. Indem er Gassendi folgt und die sensualistische Erkenntnistheorie annimmt, hält Wolzogen, ähnlich wie Gassendi, das cartesianische Kriterium für Erkenntnis für relativ und rein subjektiv. Mit seinem materialistischen Standpunkt hinterfragt Wolzogen Descartes’ These, dass die Seele ein vom Körper verschiedenes Ding sei, indem er behauptet, dass die Seele eine bloße Modifikation bestimmter Körperfunktionen ist, die vom Körper stark abhängig und mit ihm verbunden sind. Mit Gassendi übereinstimmend behauptete Wolzogen ebenfalls, dass die geistige Erkenntnis gleichzeitig eine Art sinnliche Erkenntnis sei, und dass wir Dinge nach ihren Merkmalen bestimmen könnten, ohne allerdings etwas über diese Dinge selbst aussagen zu können. Wie Gassendi bestreitet auch Wolzogen die Existenz der im Intellekt angeborenen Ideen, insbesondere die Existenz der Idee von Gott, und behauptet, dass alle unsere Ideen empirischen Ursprungs seien. Trotz der Abhängigkeit von Gassendi vermochte Wolzogen doch selbständig zu denken und schwache Stellen in der Philosophie Descartes’ zu erkennen. So behauptete er, dass die bloße Tatsache, dass man denkt, kein berechtigter Grund sei, daraus auf die Verschiedenheit der Seele und ihre völlige Unabhängigkeit vom Körper zu schließen. Die Idee von mir selbst sei eine Idee des Denkens im Sinne eines Attributs, nicht aber der Substanz der Seele. Die Forderung Descartes’, von Eigenschaften und sinnlichen Dingen zu abstrahieren, resultiere aus der falschen Annahme, dass das, was man mit Hilfe verschiedener Begriffe auffasst, auch in Wirklichkeit verschieden sein muss. Das Erkennen von denselben Gegenständen sei möglich sowohl durch die Vor-
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stellungskraft, als auch durch den Verstand. Eine rücksichtslose Gegenüberstellung dieser Vermögen und die Schlussfolgerung, dass die mit ihrer Hilfe erkannten Entitäten wesentlich verschieden seien, führe fälschlicherweise zu einer Suche nach den Quellen der wahren Erkenntnis nur im Verstand. Descartes habe nicht gesehen, dass ohne sinnliche Inhalte eine Erkenntnis überhaupt nicht möglich wäre. Wolzogen hält die Behauptung, wir würden mit Hilfe des Verstandes klar und deutlich die Substanz erkennen, für falsch. Wenn irgendeine Erkenntnis der Substanzen möglich sei, dann handle es sich dabei lediglich von einer Erkenntnis über deren Eigenschaften, unter denen sie wie hinter einem Vorhang verborgen lägen und jeden Blick des menschlichen Geistes scheuten. Wenn wir von Akzidenzien, das heißt von den Eigenschaften eines Dinges abstrahierten, dann würde der Begriff von dem Ding sehr allgemein werden und umso weniger klar, je klarer der Begriff von seinen Eigenschaften würde. Indem Wolzogen die Existenz angeborener Ideen ablehnt, behauptet er zu Recht, dass der Mensch mit einem unklaren Gefühl über sein eigenes Dasein auf die Welt komme: Es könne nicht von angeborenen Ideen die Rede sein, wenn man darunter etwas mehr verstehe als bloßes Denkvermögen. Interessant und scharfsinnig ist Wolzogens Anmerkung darüber, dass der Gedanke an die Unendlichkeit und an das absolute Sein in einer ständigen Grenzüberschreitung, einer Unmöglichkeit von Reihenschaltung bestehe. Egal welche Grenze ich festlege, wird immer die Frage kommen, was hinter dieser Grenze liegt. Meine Idee von unendlichem Raum wird nicht den Raum selbst, sondern einen Begriff von meiner Handlung der Grenzverschiebung darstellen. Genauso wie meine Handlung endlich ist, so ist auch die Idee selbst endlich. Wenn eine Idee endlich ist, wie etwa die Idee von Gott, dann kann sie aber kein absolutes Sein darstellen. Bemerkenswert ist Wolzogens Versuch, einen Gottesbeweis auf einem einfacheren Wege als dem, den Descartes gegangen ist, zu liefern. Wolzogen zufolge lege das jedem Menschen angeborene Verlangen nach Glück und Unsterblichkeit nahe, dass dieses Verlangen nur von Gott gestillt werden könne. Da dieses Verlangen allgemein, allen Menschen gemeinsam und somit durch die Natur vorgegeben sei, könne es nicht vergeblich und der Gegenstand unseres Verlangens nicht unmöglich zu erreichen sein. Einen toten Menschen wieder ins Leben zu rufen und ihn unsterblich zu machen könne aber nur durch etwas sehr Gewaltiges geschehen: durch die Natur oder etwas außerhalb von ihr. Wenn wir von Natur aus sterblich und dem Leiden ausgeliefert seien, könne die Ursache nur in einem Wesen liegen, das vollkommener sei als die Natur selbst, also Gott. Somit erkannte Wolzogen die Unsterblichkeit der menschlichen Seele nicht an und machte ein Leben nach dem Tod von Gottes Willen abhängig. Man muss hinzufügen, dass Wolzogen die Behauptung Descartes’, die Dauer und Existenz der Dinge ließen sich ausschließlich durch eine übernatürliche Ursache erklären, nämlich durch unaufhörliche Hervorbringung durch Gott, ablehnte. Das cartesiansiche Argument, von einer Analyse von Zeit abgeleitet, wurde von ihm mit der richtigen Bemerkung entkräftet, dass bestimmte Zeitpunkte untrennbar miteinander
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verbunden seien und eine fortwährende und geschlossene Reihenfolge bildeten. Die These Descartes’ lege keine Omnipotenz Gottes nahe, sondern führe eher zu der Mutmaßung, dass ein Schöpfer, der seine Werke ständig mit seiner Kraft aufrecht erhalten müsse, damit sie existierten, ein dürftiger Schöpfer sei. Um die Kontinuität unseres Daseins zu verstehen, genüge es, dass wir eine natürliche Verfassung hätten, die so lange existiert, bis sie durch eine zerstörerische Ursache vernichtet würde. Die Tatsachen, auf die sich Wolzogen dabei beruft, sind uns aus Erfahrung bekannt und liefern den Beweis dafür, dass er Anhänger einer natürlichen Erklärung der Phänomene ohne Rückgriff auf übernatürliche Faktoren war. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Anmerkungen von jemandem verfasst wurden, der dem Kreis der Polnischen Brüder angehörte, das heißt jener gesellschaftlichen Gruppierung, die vor allem darauf bedacht war, das Leben im Geiste authentischer christlicher Liebe zu reformieren und zu verändern. Während sie die mathematische Wissenschaft wegen des unbedingten Charakters ihrer Urteile sehr hoch schätzten, hielten sie andere Wissenschaften, deren Urteile sie nur als wahrscheinlich erachteten, nur dann für nützlich, wenn sie zur Vervollkommnung des sozialen Miteinanders und der persönlichen Entfaltung beitrugen. Dieser Standpunkt wird auch bei Wolzogen in seinen abschließenden Bemerkungen deutlich. Wolzogen war der Meinung, den größten Ruhm verdienten die Untersuchung dessen, was richtig und falsch, was edel und niederträchtig sei, die Verhinderung von List und Betrug, sowie überhaupt die Förderung all dessen, was dem Frieden und der Sicherheit des menschlichen Lebens zuträglich ist. Deshalb erregte Descartes’ Philosophie gewissen Unmut in ihm. Er glaubte, sie bringe wegen des Subjektcharakters des cartesianischen Erkenntniskriteriums Streitigkeiten hervor und zerstreue die menschlichen Kräfte, statt sie auf Fragen von praktischer Natur, die ständig vom Leben selbst aufgeworfen werden, zu lenken. Es kann vermutet werden, dass dies die Motive waren, die Wolzogen zum Auftreten gegen Descartes’ Philosophie bewogen hatten. Warschau, im Jahre 1957
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Erste Meditation Woran man zweifeln kann Da uns die Sinne häufig täuschen und die Besonnenheit es uns gebietet, denen nicht ganz zu vertrauen, die uns schon einmal getäuscht haben, ist alles Wissen, das durch die Sinne vermittelt wird, unsicher Es dünkt zwar, dass manche Dinge, die sinnlich wahrgenommen werden, keinerlei Zweifel erlauben, wie etwa, dass ich einen Körper, ein Paar Hände, Augen, und einen Kopf habe; dass ich hier bin und am Feuer sitze und dergleichen Da es aber schwierig ist, den Wach- vom Schlafzustand zu unterscheiden, weil mir die Gewissheit fehlt, ob Gott – für den, wie sie sagen, alles möglich ist – mich so geschaffen hat, dass ich mich in allem irre, oder ein böser Geist [Genius malignus] alle seine Kräfte danach ausrichtete, um mich zu täuschen, gibt es kein sicheres und beständiges Wissen, das durch die Sinne vermittelt würde Alles könnte nämlich nur Täuschung, Träumerei, Betrug, oder eine Einbildung von Dingen sein, die nirgendwo existieren 28 Anmerkung: Die vom Autor empfohlene Methode der Zurückstellung voreiliger Urteile [praejudicia] ist nicht von einer Art, die jeden dazu verpflichten würde, sie für nachahmenswert zu halten. Vielmehr scheint es, dass diese Methode an sich nicht anwendbar ist. Voreilige Urteile werden wir nämlich nicht durch einen Willensakt los, so wie wir einer Kleidung bar werden, sondern sie stecken hartnäckig in unserem Geist [mens], sind darin durch starke Argumente gestützt verwurzelt, und lassen sich nur mit Hilfe von stärkeren Argumenten verdrängen. Diese Argumente entspringen jedoch nicht daraus, dass Sinne täuschend und der Wachzustand ungewiss wären, oder dass uns der omnipotente Gott täuschen oder ein böser Geist betrügen würde. Was die Sinne angeht, wird zwar seit langem29 gestritten, ob sie irren und täuschen können. Meiner Meinung nach ist die Klärung dieses Dilemmas freilich nicht mit so
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Die Passage ist kein direktes Zitat, sondern Wolzogens eigene Zusammenfassung von Descartes’ Hauptthesen in der Ersten Meditation. – Anm d Übers Bei den Fußnoten, die nicht mit dem Zusatz „Anmerkung des Übersetzers“ versehen sind, handelt es sich um Fußnoten des Herausgebers der polnischen Edition Ludwik Chmaj. Einer der ersten bekannten griechischen Philosophen, die Zweifel gegenüber der sinnlichen Erkenntnis erhoben, war Heraklit von Ephesos, der zwischen dem 6. und 5 Jahrhundert v. Chr. lebte. Der uns überlieferte Satz besagt, dass „die Augen und Ohren für diejenigen, die eine Seele von Barbaren haben, schlechte Zeugen sind“. Auch Demokrit äußerte sich kritisch über die sinnliche Erkenntnis, die er für subjektiv hielt. Platon traute den Sinnen nicht, wiewohl erst die Skeptiker (Pyrrhon von Elis 376–286 v. Chr. und dessen Schüler) die sinnliche Erkenntnis einer genaueren Analyse unterzogen und ihr nur eine relative Gültigkeit einräumten, und zwar in Abgrenzung zu Epikur (341–270 v. Chr.), dem zu Folge allein Sinnesempfindungen uns wahre Erkenntnis bringen.
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vielen Schwierigkeiten verbunden wie die, auf welche die Stoiker30, Epikureer31 und Akademiker32 bei der Auseinandersetzung mit dem Problem aufstießen. Wenn man nämlich das Wesen des Problems tiefer ergründet, wird man feststellen, dass die Sinne in Wirklichkeit weder irren noch täuschen: Es irrt sich nur derjenige, der das Falsche für wahr nimmt und umgekehrt. Wahrheit und Falschheit fallen nicht unter die Sinne, die Gegenstände direkt wahrnehmen und kein Urteil darüber fällen, welche es konkret sind. Vielmehr unterliegen sie dem Urteilsvermögen [iudicium], dessen Funktion es ist, über die Wahrheit oder Falschheit der Dinge zu urteilen. Die Sinne irren also nicht. Auch täuschen sie den Geist durch falsche Mitteilung oder Darstellung der wahrgenommenen Gegenstände nicht. Wenn sie ihn täuschten, täuschten sie ihn nur darin, dass sie wahrgenommene Gegenstände dem Geist anders darböten, als sie ihnen erscheinen, was unmöglich ist, sofern allerdings die Sinne gesund sind; wenn sie krank sind, können sie höchstens einen nicht genügend umsichtigen Verstand täuschen, ein bedachter Geist wird gesunde von kranken Sinnen jedoch leicht unterscheiden können. Aller Irrtum also, den ganz viele Menschen üblicherweise den Sinnen zuschreiben, muss, wie es scheint, seinen Ursprung im Geiste, d. h. im Urteilsvermögen selbst haben, wenn der Geist nicht umsichtig genug arbeitet und über ihm erscheinende Dinge Urteile fällt, ohne zunächst die Umstände genau erkannt und geprüft zu haben. Der Geist wiederum beginnt in Bezug auf Gegenstände zu irren, wenn er nicht merkt,
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Die Wegbereiter der Stoa, Zenon von Kition (336–264 v. Chr.), Kleanthes sowie Chrysippos von Soli, philosophierten zwar auf der Grundlage der sensualistischen Erkenntnistheorie und bestritten die Existenz angeborener Ideen. Allerdings hielten sie nicht alle Sinneseindrücke für unumstößlich richtig, sondern nur solche, die wir in einem normalen Zustand gewinnen, die also aus einer gewissen Distanz gemacht werden, über eine längere Zeit präsent sind und sich durch andere Sinneseindrücke überprüfen lassen – Sinneseindrücke also, deren Gültigkeit nur schwer in Frage gestellt werden kann. Ausschließlich anhand von Eindrücken dieser Art können sichere und offenkundige Urteile entstehen. Die Schüler und Anhänger des Epikur Metrodoros von Lampsakos, Zenon von Sidon, Philodemos von Gadara, und der Römer Lucretius Carus behaupteten, alle Eindrücke seien absolut wahr, da sie die Wirklichkeit so widerspiegelten, wie sie an sich ist. Alle Täuschungen und Irrtümer hätten ihren Ursprung nicht in Eindrücken, sondern in den Urteilen. Nichtsdestoweniger war sich Epikur darüber im Klaren, dass der ein und derselbe Gegenstand unterschiedliche Eindrücke hervorrufen kann. Dieses Faktum erläuterte er mit Hilfe einer Abbildtheorie, die er Demokrit entlehnte. Die Eindrücke entstünden, indem von den Gegenständen ihre „Abbilder“ jeweils abgekoppelt und in die Sinnesorgane hineingelangen würden. Aus diesem Grund erkennen wir keine Gegenstände an sich, sondern nur indirekt durch das Ähnliche, so dass die Eindrücke stets eine nur subjektive Bedeutung haben. Der Autor meint an dieser Stelle die Anhänger von Arkesilaos (315–241 v. Chr.) und Karneades (214–129 v. Chr.), die den Skeptizismus Pyrrhons in die Platonische Akademie einführten und ihn weiterentwickelten. Ihre Schriften sind nicht erhalten, nur die Werke von Sextus Empiricus, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, sowie die von Cicero machen es möglich, mehr über ihre Lehre zu erfahren. Sie behaupteten, dass alle Eindrücke relativ seien, weil sie nicht nur vom Gegenstand, sondern auch vom Subjekt abhängten. Folglich sei wahre Erkenntnis nicht möglich, da wir nicht wissen könnten, wie der Gegenstand beschaffen sei. Aus diesem Grund empfahlen sie, auf diesbezügliche Urteile zu verzichten.
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dass er krank ist, und zum Beispiel die weiteren von näheren oder die in Bewegung gesetzten von stillstehenden Dingen nicht mehr unterscheiden kann. Dasselbe gilt in Bezug auf die Umwelt, wenn der Geist es nicht merkt, ob ihm Wasser, Rauch, Nebel, Luftbewegung, Buntglas oder dergleichen im Wege stehen. In all dem kann der Geist [animus], der nicht genügend umsichtig ist, in den Irrtum getrieben werden, und zwar nicht durch die Sinne, sondern durch selbstverschuldete Unachtsamkeit oder Fahrlässigkeit. Die Schuld an einem Irrtum gibt man doch zu Recht demjenigen, der sich trotz der Möglichkeit ihn zu vermeiden hat täuschen lassen. Wenn wir aber ganz damit übereinstimmen, dass die Sinne uns manchmal täuschen, wird es doch kein Zeichen von Besonnenheit sein, ihnen jegliches Vertrauen abzusprechen. Und wer will schon bestreiten, dass uns auch das Urteilsvermögen nicht selten täuscht? Niemand unter den Menschen wird wahrlich derart hochmütig sein, um zu behaupten, dass ihn das Urteilsvermögen kein einziges Mal im Leben getäuscht hat. Soll das Urteilsvermögen aus diesem Grund keinen Anspruch auf Wahrheitsfindung erheben? Das Gedächtnis ruft die ihm anvertrauten Dinge ebenfalls nicht immer mit gleicher Genauigkeit auf, und der Autor schließt es aus seinen Überlegungen als täuschend nicht aus, da sich nach Zurückstellung des Gedächtnisses die Denkfähigkeit [facultas ratiocinatrix] selbst auflösen würde. Ich kann doch aus einem Argument keine Schlussfolgerungen ziehen, wenn ich mir nicht sicher bin, dass es sich genau um dieses Argument handelt, über welches ich gerade reflektiert habe. Die Regel, die es verbietet, denen ganz zu vertrauen, die uns einmal getäuscht haben, findet Anwendung da, wo es uns nicht möglich ist, einen Betrug zu vermeiden. Wenn mir zum Beispiel irgendein Besserwisser absichtlich eine Lüge erzählt, wird es natürlich ein Gebot der Besonnenheit sein, ihm nie wieder einfältig Glauben zu schenken, sooft er mir Dinge erzählt, deren Echtheit ich nicht zu ermessen imstande bin, zumal wenn es immer noch einen Grund geben sollte, der ihn dazu veranlasste, mich in die Irre zu führen. Wenn mir allerdings dieselbe Person einhundert Dukaten bezahlt und ich sie auf einer Waage abwiegen kann und selber zu erkennen vermag, dass sie echt und nicht gefälscht sind, dann wäre es höchst unvernünftig, ihm keinen Glauben zu schenken und die Dukaten als Bezahlung nur deshalb nicht anzunehmen, weil er mich einst durch falsche Erzählung in die Irre führte. Ähnlich ist es, wenn ich aufgrund des mir optisch Vermittelten der Meinung wäre, dass der von Weitem betrachtete Turm von runder Gestalt sei, obwohl er in Wirklichkeit viereckig ist. Es wäre ein Beweis der Besonnenheit, nie eine Aussage über die Gestalt eines Turmes, den man nur von Weitem sieht, zu treffen. Es wäre jedoch äußerst unvernünftig wegen dieses Irrtums meines Urteilsvermögens meinen Augen nie wieder zu vertrauen, auch wenn ich so nah am Turm wäre, dass ich seine Ecken genau zählen könnte. Soviel über die Sinne. Was die Ungewissheit des Wachzustandes anbelangt, so kann man ihn vom Schlafzustand nicht schwieriger unterscheiden als das Mittags- vom Abendlicht oder ein Quadrat von einem Kreis, den man nah und deutlich sieht. Für eine in Schlaf versunkene Person erscheint dies zwar unmöglich, da der tiefe Schlafzustand deren Erkenntnis-
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fähigkeit einschränkt; ein Wachender kann hingegen so leicht erkennen, dass er nicht schläft, dass wohl nur ein tollkühner oder geistloser Mensch diesbezüglich Zweifel hegen könnte. Der Autor selbst zeigt doch mit diesem Prinzip den Unterschied zwischen dem Schlaf- und Wachzustand im Schlussteil der Sechsten Meditation33 auf. Der Unterschied besteht darin, dass das Gedächtnis Träume mit allen anderen Lebensereignissen nie derart verknüpfen kann, wie es mit ihnen das, was im Wachzustand geschieht, verknüpft. Da dieses Prinzip von den Inhalten der vorigen Meditationen unabhängig ist, sehe ich nicht ein, auf welche Weise der Autor an dieser Stelle, gleich am Anfang seiner Reflexionen, die Gewissheit der Dinge, die sehr deutlich im Wachzustand wahrgenommen werden, in Zweifel ziehen kann. Denn schließlich wer, ob allmächtiger Gott, oder ein sehr hinterlistiger Dämon, täuschte mich so sehr, dass ich wirklich zweifelte, dass diese meine Hände, mit deren Hilfe ich diese Worte aufschreibe, dass diese meine Augen, mit deren Hilfe ich auf dieses Papier schaue, zu mir gehören oder tatsächlich existieren? Es sei denn mein Geist [mens] wäre nach Verlust seiner Gesundheit durch Wahnsinn geblendet – dieser bloße Umstand machte mich aber unfähig zu Überlegungen metaphysischer Art, für die ich mich voreiliger Schlüsse enthalten soll. Wer nämlich zu beweisen versucht, dass einem Menschen von gesundem Verstand ein ähnlicher Betrug oder eine ähnliche Täuschung widerfahren können, der wird damit die gleichzeitige Existenz widersprüchlicher Dinge annehmen müssen, was gemäß den Ausführungen aller plausibel denkenden Philosophen nicht einmal in der Reichweite der göttlichen Gewalt [in Dei potentiam] liegt.34
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„[…] niemals verknüpft das Gedächtnis die Träume mit allem anderen, was wir im Leben tun; bei dem jedoch, was wir im Wachen erleben, ist dies der Fall. (…) Begegnen mir aber solche Dinge, bei denen ich deutlich bemerke, woher sie kommen, wo sie sind und wann sie sich ereignen, und steht ihre Wahrnehmung durchaus in stetigem Zusammenhang mit meinem ganzen übrigen Leben, so weiß ich gewiss, daß ich dabei nicht träume, sondern wache“ – aus der Sechsten Meditation. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, übers. u. hrsg. von Gerhart Schmidt, Stuttgart 2004, S. 213. Alle direkten Zitate aus den Meditationen beziehen sich auf diese Ausgabe – Anm d Übers Wolzogen scheint an dieser Stelle auf den mittelalterlichen Disput anzuspielen (an dem unter anderem Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus beteiligt waren) über die Frage, inwiefern ewige Wahrheiten von Gott abhängig sind, also letztendlich über die Frage nach der Grenze der göttlichen Freiheit. Thomas von Aquin behauptete, dass die Substanz Gottes unveränderlich sei, da Gottes Wissen Gottes Substanz sei, so dass auch Gottes Wissen unveränderlich sein müsse (Summa Theologiae I, 4, 5). Daraus würde resultieren, dass die ewigen Wahrheiten vom notwendigen Charakter sind und von Gott nicht geändert werden können, da sie von seinem Willen unabhängig sind. Descartes behauptete dagegen, dass die ewigen Wahrheiten von Gott geschaffen worden und genauso wie alle seine anderen Geschöpfe von ihm abhängig seien. Der Wille Gottes könnte sie nur dann ändern, wenn der Wille selbst änderungsfähig wäre. Man muss betonen, dass Descartes den Substanzbegriff aus der Scholastik übernahm, ihn aber derart umgestaltete, dass mit Substanz keine selbstständige und von Akzidenzen unabhängige Entität (ens per se existens) gemeint ist. Ihm zufolge drücke sich das Wesen der Substanz vollständig in einer bestimmten Eigenschaft aus und das Erkennen dieser Eigenschaft sei unmittelbares Erkennen der Substanz selbst. Indem er also
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Wenn der gesunde Geist [mens] keinen einzigen legitimen Grund dafür hat, an der Existenz der sinnlichen Dinge zu zweifeln (von anderen werde ich schon gar nicht sprechen, da sie für den Autor von gleichem Wert sind), aber hingegen sehr gute Gründe hat, die ihn von deren Existenz und Echtheit überzeugen können, nämlich das zuverlässige Zeugnis der Sinne selbst (wenn nur der Geist sich selbst nicht täuscht), feststellte: Ich bin ein Ding, mithin eine denkende Substanz, begriff Descartes das Denken in zwei verschiedenen Bedeutungen: a) als alleinige mentale Substanz (res cogitans), b) als Attribut, also eine Tätigkeit dieser Substanz (actus cogitandi). Es stellt sich die Frage, in welcher Beziehung Denkakte zu der denkenden Substanz stehen. Wolzogen erkannte dieses Problem nicht. Überzeugt von der alltäglichen Erfahrung der konkreten Einheit der Seele mit dem Körper fragte er Descartes, auf welcher Grundlage er den Geist von dem Körper trennt, und warum er den Geist nicht zu begreifen versucht, indem man über die körperlichen Phänomene hinausgeht, sondern macht sich die unnötige Mühe, über den abgekoppelten Begriff von der Seele als denkendes Ding zu räsonieren. Gegen diesen Einwand von Wolzogen sollte man klarstellen, dass Descartes (ähnlich wie Wolzogen) die Einheit von Seele und Körper durchaus annahm, wobei es sich bei Descartes um die Einheit des Zusammenhangs (unitas compositionis) und nicht um die Identität der Natur (identitas naturae) handelte, während Wolzogen zur Annahme des Letztgenannten neigte (vgl. seine Worte: „Man sollte den Geist nicht von der Reflexion über körperliche Dinge abhalten, um ihn zufällig nicht von dem abzulenken, was nicht minder als das Denken zu seiner Natur gehören könnte“). Um das der cartesianischen Erkenntnistheorie zugrunde liege Axiom zu erläutern, gegen welches Wolzogen seine Einwände erhebt, sollte man die Unterschiede berücksichtigen, die den Standpunkt des französischen Denkers einerseits von dem Standpunkt der scholastischen Philosophie und andererseits von dem Sensualismus von Gassendi und Wolzogen trennte. Die Scholastik definierte die Erkenntnis als eine Verknüpfung des Verstandes mit dem Gegenstand vermittels der Sinneseindrücke. Der Sensualismus bestand hingegen darauf, dass wir vermittelst der Eindrücke, die uns die Gegenstände so erscheinen lassen, wie sie in Wirklichkeit sind, die äußeren Gegenstände auffassen. Descartes, der Sinneseindrücken nicht traute, da er sie für täuschend und ungewiss hielt, musste sowohl den ersten, als auch den zweiten Standpunkt ablehnen. Seiner Meinung nach kommt das Erkennen der Wirklichkeit mit Hilfe von angeborenen Ideen und ewigen Wahrheiten zustande. Nur die angeborenen Ideen machen es uns möglich, das Wesen der Dinge zu erkennen. Ist es aber sicher, dass den angeborenen Ideen eine Wirklichkeit entspricht? Der Jesuit Bourdin machte den Einwand, dass aus dem, dass wir das Wesen eines Dings kennen, gar nicht resultiert, dass das Ding existiert: aus der Erkenntnis kann keine Aussage über die Existenz hergeleitet werden (a nosse ad esse non valet consequentia). Descartes hielt diesen Einwand für falsch und lehnte ihn ab. Er behauptete im Gegenteil, dass man aus der Erkenntnis auf Existenz schließen kann, denn es ist ganz und gar unmöglich, dass wir ein Ding erkennen, wenn dieses in Wirklichkeit nicht so ist, wie wir es erkennen. Wenn also der Sensualismus behauptete, dass wir das Seiende vermittelst der Eindrücke begreifen, dann war Descartes der Meinung, dass wir dies mit Hilfe von Ideen tun. Um das zu begründen, berief er sich auf das Kausalitätsgesetz, wonach die objektive Realität einer Idee ihren Ursprung außer mir haben muss, da aus dem Nichts nichts entsteht (nihilo nihil fit); da aber der Wille Gottes unveränderlich und ewig ist, sind auch die Wahrheiten, die er geschaffen hat, unveränderlich und ewig. „Nicht deswegen wollte Gott, dass drei Ecken des Dreiecks zwei Geraden gleich sind, da er einsah, dass es nicht anders sein könnte, etc. Im Gegenteil: […] er wollte, dass drei Ecken des Dreieckes zwei Geraden gleichen, somit kann es nicht anders kommen […]. So wird die größte Unentschlossenheit Gottes zu dem größten Beweis Seiner Existenz“. Zitiert aus den Erwiderungen auf die Einwände VI. Für deutsche Komplettausgabe siehe Descartes, Rene: Meditationen Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen, hrsg. v. C. Wohlers, Hamburg: Felix Meiner Verlag 2009 – Anm. d. Übers. Vgl. zu der Fußnote: E. Gilson: La liberté chez Descartes et la théologie, Paris 1913.
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so ist mir unklar, auf welche Weise man die Falschheit all dieser Dinge oder bestenfalls deren zweifelhafte Echtheit vorab als die Grundlage für alle weiteren Überlegungen annehmen kann.
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Zweite Meditation Über die Natur des menschlichen Geistes; dass er der Erkenntnis näher steht als der Körper Wenn ich annehme, dass alles, was ich sehe, fühle, etwas in Erinnerung rufe, falsch ist, so bin ich mir darüber im Klaren, dass es zumindest mich gibt, dass ich also, der das annimmt, mithin so denkt, existiere Selbst wenn ich mich in allem irren sollte, könnte ich dies nicht tun, ohne zu existieren 35 Erste Anmerkung: Diese These hätte der Autor ohne die Vorüberlegungen in der vorigen Meditation als Prinzip annehmen können und niemand bei Sinnen hätte mit ihm darüber streiten wollen.36 Wer bin ich also, von dem ich weiß, dass es ihn gibt? Ist es die Zusammenstellung von Gliedern, die als Körper bezeichnet wird, oder bin ich Wind, Feuer, Äther, oder noch etwas anderes, was materiell und körperlich ist? Einst dachte ich, ich sei etwas Derartiges Jetzt aber, wenn ich im Schlafzustand oder durch irgendwelche Vorstellungen berauscht bin, nehme ich an, dass all das falsch ist, dass ich in Wirklichkeit nicht existiere, und dass ich keins dieser Dinge bin; ich habe nur einen Begriff von mir, dass ich ein „Ding“, ein „Etwas“ bin – höchstens könnte ich sagen, dass ich eine „Substanz“, das heißt „etwas wahrhaft Existierendes“ bin Welche Substanz aber? Es kommt mir keine andere Eigenschaft in den Sinn, die dem Körper in irgendeiner Weise verwandt oder eigen wäre – weder die Ausdehnung [extensio], noch Gestalt, noch Bewegung, etc Ich schließe von mir auch die Ernährung, den Gang, die Einbildungskraft und alle Empfindungen und Eindrücke, die mir Sinne verschaffen können, aus, weil ich annahm, all das sei falsch Bleibt also nichts anders übrig, um auszudrücken, was ich bin? Doch Was ist es dann? Das Denken [cogitatio] Dies allein kann von mir nicht abgenommen werden durch jemandes Macht oder Hinterlist, es sei denn ich werde selbst gleichzeitig dahinschwinden und aufhören zu existieren Das Denken ist so stark mit meiner Existenz verbunden, dass ich davor nicht fürchte, es als Ausgangspunkt für alle meine Ausführungen anzunehmen: Ich denke, also bin ich [cogito ergo sum] Solange ich denke, solange existiere ich 37 Zweite Anmerkung: Zu Beginn der Untersuchung dessen, was er ist, behauptet der Autor, dass er weder ein Ding noch eine Eigenschaft des Körpers sei. Warum? Weil er vor-
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Die Passage ist eine Paraphrase von Descartes’ Worten in der Zweiten Meditation. Ähnlich Gassendi: „Es scheint mir allerdings nicht, dass du so große Mühe benötigst, wenn du es dir anderweitig sicher warst und es auch stimmte, dass du existierst“. Einwände V. Die Passage bildet eine Zusammenfassung der Ersten und der Zweiten Meditation, sowie einen Auszug aus Descartes’ Principia philosophiae, von wo die Worte „Cogito, ergo sum“ stammen.
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ausgesetzt hatte, dass all dies in Wirklichkeit nicht existiert. Diese Auffassung fußt aber auf unsicherer Grundlage. Wenn der Geist [mens] des Autors tatsächlich und wirklich vom Körper abgekoppelt mit dem Denk- und Erkenntnisvermögen ins Jenseits übertragen werden würde und irgendwo unter all diesen Dingen existierte, von denen er selbst, wie er meint, keins ist, und wenn er, wie ich noch hinzufügen will, sogar in der Leere existierte, in der diese von ihm verschiedene Dinge aufgrund der bloßen Natur des Ortes nicht existieren könnten38 – so wäre an derartiger Schlussfolgerung nichts auszusetzen. Da aber der Autor die wirkliche Existenz dieser Dinge nicht tatsächlich und wirklich, sondern nur aufgrund einer Prämisse bestreitet, frage ich: Welche Begründung hat diese Schlussfolgerung denn? Es entsteht doch der folgende Syllogismus39: (O) Was ich auch immer als etwas in Wirklichkeit nicht Existierendes voraussetzen kann, ist dies mein Geist wahrlich nicht; (U) Ich kann nämlich voraussetzen, dass keine Dinge und auch keine Eigenschaften des Körpers in Wirklichkeit existieren; (S) Also ist mein Geist weder körperlich noch eine Eigenschaft des Körpers. Wer wird dem Untersatz seine Zustimmung geben? Aus einer Voraussetzung [suppositio] von irgendetwas resultiert doch keine Wahrheit oder Falschheit eines Dings, es sei denn, man kann beweisen, das Ding sei tatsächlich so, wie man annimmt – auf diese Weise aber gäbe es keine Voraussetzung mehr. Man nimmt nämlich nur das an, was anders sein könnte als das, was man annimmt. Die obige Voraussetzung ist an dieser Stelle vor allem deswegen inkorrekt, weil der Autor von vornherein annimmt, er sei es gerade nicht, die Existenz von welchem er zu ermitteln sucht: Er unternahm ja darzulegen, dass der menschliche Geist nicht körperlich sei und mit dem Körper nichts gemein habe. Nimmt er aber, indem er die Falschheit aller körperlichen Dinge annimmt, gleichzeitig von vornherein nicht an, dass der menschliche Geist nicht körperlich ist? Er nimmt also von vornherein die Falschheit dessen an, die Falschheit von welchem er aufzuzeigen unternahm. Es ist als wollte jemand etwa beweisen, dass Peter kein Mensch ist, und nähme dabei von vornherein an, dass es in Wirklichkeit überhaupt keine Menschen gibt. In der Tat, wenn die Frage, ob der Geist körperlich ist, bislang unbeantwortet blieb, so wird es immer noch einen Streit darüber geben, ob es falsch ist, dass Körper in Wirklichkeit existieren. Wie kann man also von vornherein annehmen, dass dies falsch ist? Damit die Schlussfolgerung [ratiocinatio] in sich richtig ist, sollte man daher ganz unwiderlegbar beweisen und nicht bloß annehmen,
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Da Descartes den Körper als ein ausgedehntes Ding auffasst, bezieht er es auf den Raum und bestreitet daher die Existenz der Leere. Die Leere wäre also das, was ausgedehnt, aber kein Körper ist, was der Definition der Materie widersprechen würde. Der Syllogismus stammt von Wolzogen.
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dass in Wirklichkeit überhaupt keine Körper existieren, oder, wenn dies nicht bewiesen werden kann, sollte man andere Argumente anführen, um diese These zu belegen. Der Autor könnte antworten, dass ihn zu dieser Annahme wichtige Gründe veranlasst haben, und zwar diejenigen, die er in der vorigen Meditation dargelegt hatte, und die dafür ausreichend sind, dass man zumindest an die Existenz körperlicher Dinge zweifeln dürfte. Da er jedoch zu der Erkenntnis gekommen ist, dass er selbst zweifellos ein denkendes Ding sei, jedoch gute Gründe dafür habe, an die Existenz anderer Dinge zu zweifeln, so resultiert daraus offensichtlich, dass sich keins von diesen Dingen, deren Existenz zweifelhaft ist, auf ihn, der ganz ohne Zweifel existieren soll, bezieht. Allerdings, um eine Wiederholung der im Zusammenhang mit der Ersten Meditation vorgestellten Anmerkungen zu den Ursachen des Zweifels zu vermeiden, ist auch diese Schlussfolgerung genauso unstichhaltig wie die vorige. Solange nämlich kein sicheres und beständiges Wissen [certa et indubitata scientia] über die Falschheit, das heißt über die Nichtexistenz eines Dings besteht, und man nur zweifelt (auch wenn die Gründe für den Zweifel angebracht sind), solange wird es keine Gewissheit darüber geben, dass dieses Ding nicht existiert. Wenn es jedoch noch nicht sicher ist, dass keine Körper existieren, auf welche Weise kann man dann die Gewissheit haben, dass der Geist, also das denkende Ding, nicht körperlich ist? Aber um die Antwort des Autors klarer darzulegen, hat er keine Absicht direkt zu beweisen, dass der Geist nicht körperlich ist, sondern indirekt, indem er zunächst aufzeigt, dass die Erkenntnis von sich selbst, die er – wie er meint – erlangt hat, nichts Körperliches enthält. Erst daraus schließt er, dass die Natur des Geistes mit keinem Körper, den man sich mit seiner Einbildungskraft [imaginatio] nur wähnen kann, irgendetwas zu tun hat. Die folgenden Vorwürfe bringt er nämlich gegen sich selbst vor: Könnte es vielleicht sein, daß eben die Momente, die ich gleich nichts setze, weil ich sie nicht kenne, in Wahrheit der Sache doch mit diesem mir bekannten Ich zusammenfallen?40 Und er antwortet sich selbst: Ich weiß es nicht und streite nicht mehr darüber; nur was mir bekannt ist, kann ich beurteilen Ich weiß, daß ich bin, und ich frage mich, was dieses Ich sei, das ich kenne Ganz sicher ist die Kenntnis dieses so genau erfassten Sachverhalts nicht abhängig von Dingen, deren Existenz mir noch nicht bekannt ist, mithin von nichts, was ich mir durch meine Einbildungskraft ausdenke. Warum das? Bildlich vorstellen heißt lediglich, die Gestalt oder das Bild eines körperlichen Gegenstands zu betrachten Ich weiß aber bereits ganz gewiß, daß ich bin, und weiß gleichzeitig, daß möglicherweise alle jene Vorstellungsbilder und überhaupt alles, was sich auf die Natur des Körpers bezieht, bloße Traumbilder sind.41 Und ferner sagt er: So erkenne ich denn, daß nichts von alledem, was ich mit Hilfe der Einbildungskraft auffassen kann, zu jener Kenntnis gehört, die ich von mir habe, und der
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Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 85. Ebenda.
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Geist muß sorgfältigst davon ferngehalten werden, wenn er seine eigene Natur ganz deutlich erkennen will.42 Dritte Anmerkung: Der Sinn ist folgender: Ich weiß mit voller Gewissheit, dass ich als denkendes Ding existiere, weiß aber nicht, ob darüber hinaus irgendein körperliches Ding existiert. Ich weiß somit, dass ich nur ein denkendes Ding bin. Dieser Schlussfolgerung (die sich in den Worten äußert: So erkenne ich denn, daß nichts von alledem, was ich mit Hilfe der Einbildungskraft auffassen kann, zu jener Kenntnis gehört, die ich von mir habe…) kann man leicht zustimmen, denn bis zu diesem Moment weiß der Autor nichts mehr über sich selbst, als dass er ein denkendes Ding ist. Allerdings hat die weitere Schlussfolgerung, die von ihm gezogen wird, einen breiteren Umfang als die Prämisse, aus der sie gezogen wurde, nämlich, wenn er meint, dass der Geist sorgfältigst davon ferngehalten werden [muss] (d. h. von körperlichen Dingen, die durch die Einbildungskraft aufgefasst werden können), wenn er seine eigene Natur ganz deutlich erkennen will, d. h. wenn der Geist am deutlichsten erkennen und auffassen will, dass er nicht körperlich ist. Es ist merkwürdig, dass dem Autor derartige Ideen in den Sinn kommen konnten. Seine Konklusion ist nämlich von der Art, als würde ich behaupten: Ich weiß, dass dieses Gras grün ist, darüber hinaus kenne ich keine weiteren Eigenschaften von ihm. Mein Wissen [scientia] um dieses Gras hängt von den Eigenschaften, die ich noch nicht kenne, nicht ab, also bezieht sich auf mein Wissen um das Gras nichts anderes mehr. Die Schlussfolgerung ist zwar richtig; zu diesem unklaren und sehr unvollkommenen Wissen gehört allerdings nichts, was für eine vollkommenere Erkenntnis dieses Grases unerlässlich wäre. Lächerlich aber machte sich einer, der weiter schlussfolgerte, man solle den Geist möglichst weit von allen anderen Eigenschaften abhalten, um die Natur dieses Grases am klarsten zu erkennen – als ob eine sehr klare Erkenntnis von Gras ausschließlich darin bestünde, dass es grün ist. Die Schlussfolgerung des Autors basiert auf dem falschen Axiom: Was wir mit Hilfe unterschiedlicher Begriffe erkennen, ist tatsächlich unterschiedlich.43 Da im Begriff vom Denken der Begriff vom Körper nicht enthalten ist, schlussfolgert er, dass der Geist, der nur als denkendes Ding begreift, nicht körperlich ist. Indessen kann man die Eigenschaften, also die Merkmale einer bestimmten Substanz, als unterschiedlich und separat auffassen, in Wirklichkeit sind sie aber von ihr nicht verschieden. Der Geist ist eine Substanz, deren bestimmtes Vermögen das Denken ist. Weil der Autor dieses Vermögen bereits kennt, bleibt ihm noch übrig, dies als Substanz zu prüfen und zu fragen, ob es sich um eine körperliche oder
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Ebenda. Wolzogen formuliert das Axiom auf zutreffende Weise. Dieses Axiom liegt der cartesianischen Erkenntnistheorie zugrunde und ist Ergebnis der Beeinflussung durch den Platonismus über die Oratorianer (de Bérulle, Gibieuf), mit denen Descartes in engem Kontakt blieb.
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nicht körperliche Substanz handelt.44 Vor der Beantwortung dieser Frage sollte man den Geist nicht von der Betrachtung der körperlichen Dinge abzuhalten suchen, um ihn dabei zufällig nicht davon abzulenken, was zu seiner Natur nicht weniger gehören könnte als das Denken selbst. Außerdem nimmt der Autor von vornherein an, dass alles, was durch die Einbildungskraft aufgefasst wird, körperlich, und alles, was der reine Verstand [intellectus] auffasst, nicht körperlich sei. Ohne diese vorherige Voraussetzung hätte er nämlich vergeblich versucht, den Geist von den vorstellbaren Dingen abzulenken, um, indem er seine Natur mit dem bloßen Verstand untersuchte, zu bemerken, dass er nicht körperlich sei. Wenn nämlich Körper auch Gegenstände der Erkenntnis des reinen Verstandes sein können, dann könnte es dazu kommen, dass der Geist, obwohl sorgfältigst abgelenkt von den vorstellbaren Dingen, trotzdem erkannte, dass seine Natur doch körperlich ist. Dass aber der zweite Teil der Voraussetzung [suppositum] falsch ist, wird bereits durch das Beispiel mit dem Wachs bewiesen, mit dessen Hilfe der Autor sie begründen wollte. Er zeigt nämlich durch explizite Ausführungen, dass wir mittels Einbildungskraft lediglich Eigenschaften des Wachses auffassen können, die veränderlich sind. Die wahre, die innere Natur des Wachses können wir hingegen nur mit dem Verstand wahrhaftig und deutlich [veram et distinctam] erkennen. Daraus schließt er, dass der Verstand von der Einbildungskraft verschieden und die wahre und deutliche Erkenntnis des Geistes nur mit Hilfe des Verstandes, nicht mit Hilfe der Einbildungskraft erreichbar sei. Wenn man ihn aber durch die Einbildungskraft nicht auffassen kann, kann man seiner Meinung nach daraus schließen, dass nichts von alledem, was die Einbildungskraft aufzufassen vermag, das heißt nichts Körperliches, zur Natur des Geistes gehört. Dies ist aber eine sonderbare Philosophie des Autors. Dasselbe Beispiel mit dem Wachs weist doch klar darauf hin und auch bloße Vernunft [ratio] gibt vor, dass Körper ebenfalls Gegenstände der Erkenntnis des reinen Verstandes sind. Fassen wir Wachs, wenn wir daran denken, nicht als eine körperliche Substanz auf? Gewiss, wenn wir Wachs als solches nicht begreifen, dann haben wir überhaupt keine Erkenntnis von ihm, sondern nur eine Erkenntnis von irgendeinem anderen spirituellen Ding, das mit der Natur des Wachses nichts zu tun hat. Überdies, sogar in demselben Kommentar über die Natur des Wachses, nimmt der Autor wieder von vornherein zwei falsche Voraussetzungen an: Die erste, dass der Verstand von der Einbildungskraft unterschiedlich sei, und die zweite, dass man eine Substanz ohne Eigenschaften auffassen, also erkennen könne.45 44 45
Einen ähnlichen Einwand brachte Gassendi vor, der behauptete, dass es nicht reicht, die Seele als denkendes Ding zu bezeichnen, da man zunächst beweisen müsste, dass der Körper zum Denken gar nicht beiträgt und man ganz unabhängig von ihm denken könnte. Siehe Einwände V Wolzogen wiederholte auch hier den Einwand von Gassendi, der schrieb: „[…] alle sind allgemein der Meinung, dass man den Begriff von Wachs und dessen Substanz aus dem Begriff der Eigenschaft ableiten könne. Begreift man aber dadurch die Substanz selbst oder die Natur des Wachses deutlich genug? Wir begreifen zwar, dass es neben der Farbe, Gestalt, Löslichkeit, etc. etwas gibt,
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Die Falschheit der ersten Voraussetzung werden wir später in den Anmerkungen zu der Sechsten Meditation aufzeigen. Was die zweite Voraussetzung angeht, so glauben wir gar nicht, dass man eine klare und deutliche Erkenntnis der Substanz als Substanz erlangen kann, und dass in unserem sterblichen Zustand die Erkenntnis oder das Wissen um sie existiert. Wenn es überhaupt irgendeine Erkenntnis von Substanzen gibt, dann beschränkt sie sich auf die Erkenntnis von den Eigenschaften, unter denen sich die Substanzen verhüllen und sich wie hinter einem Vorhang aller Ergründung des menschlichen Verstandes entziehen.46 Deshalb, wenn ich das Wachs betrachte und von allen seinen Eigenschaften abstrahiere, werde ich darüber nicht mehr erfahren als über einen Stein oder ein Stück Holz oder irgendeinen anderen eigenschaftslosen Stoff – bis zu dem Ausmaß, dass der Begriff [conceptus] von allen Substanzen als Substanzen eins, allgemein, und dazu sehr trüb und nebulös ist, wenn hingegen viel klarer und vollkommener der Begriff von der Eigenschaft ist, da er auch eine deutliche Erkenntnis unterschiedlicher Dinge durch ihre Eigenschaften ermöglicht. Schließlich kommt der Autor zu der Schlussfolgerung: Und siehe da, so bin ich schließlich ganz von selbst dahin gekommen, wohin ich wollte Ich weiß jetzt, daß die Körper nicht eigentlich von den Sinnen oder von der Einbildungskraft, sondern von dem Verstand alleine wahrgenommen werden, und zwar nicht, weil wir sie berühren und sehen47; […] und so erkenne ich, daß ich nichts leichter oder evidenter wahrnehmen kann als meinen Geist. Vierte Anmerkung: Zwei Probleme werden in der Überschrift dieser Meditation angekündigt: Das von der Natur des menschlichen Geistes, nämlich die Frage, was er ist, also worin seine Natur besteht; sowie das Problem, dass der menschliche Geist bekannter sei als der Körper. Was das erste Problem angeht, sehen wir nicht, was eigentlich Neues der Autor in dieser weitschweifigen Meditation zur genaueren Erläuterung der Natur des Geistes beigetragen hat, bis auf die Schlussfolgerungen, die bereits in der Ersten Meditation
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was als Subjekt für die wahrgenommenen Eigenschaften und Änderungen fungiert, wissen jedoch nicht, was es ist und auf welche Weise. Wahrlich bleibt es immer verborgen und man glaubt nur, gleichsam durch einen Akt der Vermutung, dass ihnen etwas zugrundeliegt“. Einwände V. Darauf antwortete Descartes: „Ich glaubte nie, dass es für die Erscheinung der Substanz etwas nötig wäre außer ihrer unterschiedlichen Eigenschaften, so dass wir die Natur der Substanz besser verstehen, je mehr Eigenschaften von ihr wir kennen lernen“. Erwiderungen auf die Einwände V Wolzogen setzt, ähnlich wie die scholastische Philosophie, die Verschiedenheit der Substanz von ihren Eigenschaften voraus, wobei er die Substanz im Gegensatz zur Scholastik, die das Erkennen der Substanz vom Erkennen ihrer Eigenschaften abhängig machte, für unerkennbar hält. Descartes hingegen trennt die Substanz von ihren Eigenschaften nicht; seiner Meinung nach drückt sich das Wesen der Substanz ganz in ihrer Eigenschaft aus: das Wesen der Substanz des Geistes also im Denken, das Wesen der Substanz des Körpers in der Ausdehnung. Deshalb entkräftet Wolzogens sehr vager und unklarer Einwand, dass die Begriffsbestimmung aller Substanzen als Substanzen ein und dasselbe sei, Descartes' These nicht. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 97. Wolzogen ließ die Wörter „sondern lediglich, weil wir sie denken“ aus – Anm d Übers
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gemacht wurden. Dort stellte er fest, er sei ein denkendes Ding; hier behauptet er dasselbe und nichts mehr. Die Erkenntnis von sich selbst wurde also nicht größer. Seine Behauptung, dass er keine Zusammenstellung von Gliedern, kein Wind, keine Luft, kein Äther, etc. sei, ist nur eine rhetorische Weitschweifigkeit, die in der Ablehnung anderer Begriffe besteht, aber keine bessere Definierung des Geistes und keine deutlichere Erklärung von diesem ist. Verneinungen bringen nämlich keine deutliche Erkenntnis der Dinge48, zum Beispiel wird mir die Natur des Steins nicht klarer, wenn mir jemand sagt, dass er kein Baum, keine Pflanze, kein Mensch etc. ist. Außerdem resultiert diese erste Behauptung, nicht weniger als die zweite (dass er ein denkendes Ding sei) aus der Ersten Meditation, als notwendige Schlussfolgerung. Der Autor hatte nämlich angenommen, dass in Wirklichkeit überhaupt keine Körper existieren, woraus notwendigerweise folgt, dass er selbst, von dem er weiß, dass er existiert, nicht körperlich ist, also weder Körper, noch Wind, noch Luft etc. sein kann. Dieses einzige Ding lehrt uns also der Autor über die Natur des Geistes, dass er ein denkendes Ding sei, er lehrt uns also dasselbe, was er schon vorher über sich selbst gewusst hat, und was niemandem bei Sinnen in irgendeinem Moment unklar oder zweifelhaft vorkommen würde. Was für ein Ding es aber ist, das ein Denkvermögen besitzt, ob körperlich oder unkörperlich, bleibt für den Autor immer noch verborgen in der tiefen Dunkelheit des Unwissens.49 Was das zweite Problem anbetrifft, dass der Geist bekannter sei als der Körper, so resultiert diese Schlussfolgerung aus den Prämissen, deren Falschheit genügend aufgezeigt worden ist. Dessen ungeachtet: Wenn der Autor beweisen wollte, dass der Geist bekannter sei als der Körper, dann müsste er gerade von vornherein annehmen, dass der Körper ihm überhaupt bekannt ist. Zu behaupten, dass der Geist bekannter sei als der Körper, bedeutet soviel wie die Behauptung, dass die Kenntnis von dem Geist, über die er verfügt, klarer sei als die Kenntnis von seinem Körper. Der Autor muss also die Kenntnis von seinem Körper haben. Welche Kenntnis von dem Körper kann jedoch derjenige haben, der über die Existenz irgendwelcher Körper in Wirklichkeit nichts weiß, und der den Geist von aller Betrachtung der Körper sorgfältigst ablenkt, um seine eigene Natur am deutlichsten erkennen zu können? Er kann über seinen Geist im Vergleich zum Körper nichts aussagen, aber was auch immer er weiß, weiß er einfach und er kann von seinem Geist sagen, dass er ihm bekannt ist, jedoch nicht, dass 48
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Auch hier folgte Wolzogen Gassendis Gedanken: „Was hast du aber endgültig über dich gesagt? Du bist kein Körperteil, keine Luft, kein Wind, kein gehendes, fühlendes oder sonstiges Ding. Nähme man all das an (wovon aber Vieles auch von dir abgelehnt wurde), dann ist das doch nicht das, was wir gesucht haben. Das sind nämlich nur Verneinungen, es kommt aber nicht darauf an, was du nicht bist, sondern darauf, was du letztendlich bist“. Einwände V Vgl. Gassendi: „[…] indem du von dir als etwas Denkendem sprichst, sagst du freilich etwas Bekanntes, was jedoch früher nicht unbekannt war und von dir auch nicht gesucht wurde. Wer zweifelt denn daran, dass du denkst? Was vor uns verborgen bleibt und wonach man sucht, ist deine innerliche Substanz, deren Eigenschaft das Denken ist“. Einwände V
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er ihm bekannter ist als der Körper. Wenn hingegen ein Körper existierte, oder wenn man zumindest von vornherein annähme, dass er existiert, dann folgte wahrlich aus diesem Grübeln und Vergleichen des Autors eine Schlussfolgerung, die der Behauptung, die er beweisen wollte, geradewegs entgegenliefe, nämlich die Schlussfolgerung, dass der Körper bekannter ist als der Geist. Er sagte nämlich kurz vor dem Abschluss der Zweiten Meditation, dass man aus Sichtbarkeit, Tastbarkeit und anderen Eigenschaften des Körpers Eigenschaften des Geistes erkennen könne.50 Allgemein bekannt ist doch das Axiom, die Ursache ist in vollerem Maße das, was die Folge ist.51 Wenn also die Eigenschaften des Geistes dank der Eigenschaften des Körpers bekannt sind, dann sind die Eigenschaften des Körpers bekannter als die Eigenschaften des Geistes. Und weiter: Dieses Ding ist bekannter als das andere, dessen Eigenschaften bekannter sind; weil die Eigenschaften des Körpers bekannter sind als die Eigenschaften des Geistes, ist der Körper bekannter als der Geist.
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Descartes schrieb: „Denn, wenn ich urteile, daß das Wachsstück existiert, weil ich es sehe, so folgt sicherlich noch viel klarer auch mein eigenes Dasein genau daraus, daß ich das Wachs sehe. […] Ebenso, wenn ich urteile, das Wachsstück sei, weil ich es berühre, so folgt wiederum dasselbe, nämlich daß ich bin; und ganz dasselbe ergibt sich auch, wenn ich das Dasein des Wachsstücks aus meinem bildhaften Vorstellen von ihm oder aufgrund einer anderen Zugangsweise erkenne“. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 95 u. 97. Wortwörtlich heißt es im lateinischen Text: „Das, weswegen jedes Ding so ist, ist das[selbe] umso mehr so“. – Anm d Übers
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Dritte Meditation Über das Dasein Gottes Ich habe die Gewissheit, dass ich ein denkendes Ding bin Woher kommt aber diese Gewissheit? Weil ich es klar und deutlich auffasse Wenn ich aber auch in dieser Hinsicht von Gott so getäuscht werde, dass es mir scheint, dass ich klar und deutlich das auffasse, was allerdings in Wirklichkeit falsch ist? Natürlich kann das sein 52 [Ich] muß daher, sobald sich Gelegenheit dazu bietet, untersuchen, ob ein Gott ist, und falls er ist, ob er ein Betrüger sein kann 53 Erste Anmerkung: Unnötige Mühe gab sich bislang der Autor und vergeblich waren seine mühseligen Ausführungen in den beiden vorigen Meditationen, die nachweisen sollten, dass er ein denkendes Ding sei. Bevor er nämlich beweist, dass es Gott gibt, der kein Täuscher sein kann, gibt es keine Gewissheit darüber, ob das, was er, wie es ihm schien, in seiner Natur klar und deutlich erkannte, wirklich wahr ist. Ferner, selbst wenn die Existenz Gottes bewiesen wäre, bliebe das Prinzip, nach dem alles, was ich klar und deutlich erkenne, wahr sei, ungewiss. Es könnten nämlich für den Umstand, dass es einen dünkt, er würde etwas klar und deutlich erkennen, was jedoch falsch ist, andere Ursachen vorliegen als Täuschung Gottes. Dies könnten ein schwaches Urteilsvermögen wie auch eine Unkenntnis von vielen Dingen, von denen die Wahrheit abhängt, sein. Daher gibt es in fast allen Wissenschaften so große Meinungsverschiedenheiten und so viel Rechthaberei, dass manche sogar bei der Verteidigung ihrer Ansichten nicht zögern, den Tod in Kauf zu nehmen.54 Es bedarf somit eines anderen Prinzips, d. h. einer anderen Methode, die den Geist leitet oder ihm die Gewissheit gibt, dass wir uns nicht irren, sooft es uns dünkt, dass wir etwas klar und deutlich auffassen. Von einer solchen Methode ist aber in der Gesamtheit der vorgelegten Meditationen [meditationum systema] keine Spur zu erkennen. Wenn ich die Existenz Gottes beweisen will, muss ich zunächst meine Gedanken in bestimmte Arten einteilen Meine Gedanken sind entweder Ideen, also Bilder von Dingen, oder Gefühle oder Urteile Von den Ideen wiederum sind manche angeboren, wie etwa wenn ich verstehe, was Ding, was Wahrheit, oder was Denken ist; andere Ideen sind erworben, durch
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Die Passage ist eine Paraphrase von Descartes’ Worten in der Dritten Meditation. Der Satz ist ein direktes Zitat aus Descartes. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 103. Auch an dieser Stelle ähnelt der Gedankengang dem von Gassendi: „[…] warum gibt es unter den Menschen so viele unterschiedliche Meinungen? Jeder glaubt klar und deutlich aufzufassen, was er vertritt. Sag nicht, dass sich die Menschen überwiegend unschlüssig sind oder sich etwas ausdenken, denn es gibt auch solche, die sogar für ihre Überzeugungen in den Tod gehen, obwohl sie sehen, dass andere mit gegenteiligen Überzeugungen dasselbe tun. Einwände V
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äußere Dinge gestaltet; noch andere sind schließlich von mir selbst eingebildet wie etwa Chimären und Sirenen 55 Zweite Anmerkung: Mit Recht wird daran gezweifelt, ob irgendeine angeborene Idee, d. h. (wie der Autor sie bestimmt) ein uns durch die Natur eingeimpftes Bild von einem Ding existiert.56 Was die Idee von einem Ding [idea rei] anbetrifft, die der Autor an erster Stelle nennt, versteht er die Dinge entweder im allgemeinen [rem universe] oder im singulären Sinn [rem singularem]. Wenn er ein allgemeines Ding meint, dann ist es falsch und unmöglich, dass er eine Idee von dem Ding hat, die dazu noch nicht durch langes Lernen, Reflektieren, Üben und Erfahren erworben, sondern natürlich und bei Geburt eingeimpft worden wäre. Die Idee von einem Ding, das man allgemein auffasst, beinhaltet nämlich in sich die Ideen aller singulären Dinge, aller Bäume, Pflanzen, Tiere, Steine, Erze, und von all dem, was irgendwo in der Natur existiert, oder vom Weltanfang an existierte, oder in Zukunft existieren wird.57 Wenn der Autor das Ding wiederum im singulären Sinne begreift, dann ist dieser Satz Tautologie und leeres Gerede, denn er bedeutet so viel als würde er feststellen „Ich bin ich“. Wie auch immer das Ding beschaffen sein mag, kann man mit derselben Leichtigkeit leugnen, dass im Geiste des Autors irgendeine angeborene Idee existiert, mit der er ebendies behauptet, und zwar ohne es beweisen zu können. Über die Idee der Wahrheit, die vom Autor an zweiter Stelle erwähnt wird, ließe sich eine Aussage liefern auf der Grundlage dessen, was wir bereits über die Idee von einem Ding gesagt haben. Wenn nämlich die Wahrheit nichts anderes ist als die Übereinstimmung einer Aussage mit dem Ding58, über welches geurteilt wird, erscheint es klar, dass sich die Idee der Wahrheit von der Idee von einem Ding nicht unterscheidet, sondern für die beiden die ein und dieselbe ist. Und da es keine angeborene Idee von einem Ding gibt, gibt es deshalb auch keine angeborene Idee von der Wahrheit. 55 56 57
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Die Passage ist eine Paraphrase von Descartes’ Worten in der Dritten Meditation. Gassendi behauptete eben, dass „alle Ideen erworben werden“. Einwände V Wolzogens Ausführungen sind Gassendis ähnlich: „Du sprichst also von der Idee des Dings, über welches allgemein nachgedacht wird, und sofern es synonym mit dem Seienden ist und sich so weit erstreckt, wie das Seiende selbst. Ich frage dich also: auf welche Weise kann diese Idee im Geist sein, falls es mit ihr zusammen nicht so viele Einzeldinge und viele Arten davon gäbe, von denen der Geist abstrahiert und einen Begriff bildet, der keinem einzelnen Sein eigen ist und doch allen entspricht? Wenn die Idee von einem Ding angeboren ist, so wird dies zweifelsohne die Idee von dem Tier, der Pflanze, dem Stein, und allen Universalien auch sein. Und die Mühe, zwischen vielen einzelnen Entitäten zu unterscheiden, wird nicht mehr nötig sein. Indem verschiedene Unterscheidungen verworfen werden, wird noch das bestehen bleiben, was allen gemeinsam erscheinen wird oder, was dasselbe ist, die Idee der Gattung“. Einwände V. Wolzogen wiederholt Gassendi an dieser Stelle beinah wörtlich: „[…] wenn die Wahrheit nichts anderes ist als die Übereinstimmung des Urteils mit dem Ding, auf welches sich das Urteil bezieht, dann ist die Wahrheit ein bestimmtes Verhältnis, und das Urteil nichts Verschiedenes […] von der Idee des Dings selbst, die sich selbst und das Ding so, wie sie sind, erscheinen lässt. Deshalb ist die Idee von der Wahrheit nicht anders als die von dem Ding. Einwände V
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Ganz unklar ist die Behauptung des Autors über angeborene Ideen von Gedanken. Mit Gedanken59 meint der Autor – wenn ich mich nicht irre – so viel wie die Tätigkeiten des Geistes [actiones mentis]. Dass es irgendeine angeborene Idee davon gibt, werden wir so lange leugnen, bis er beweist, dass es eine angeborene Idee des Geistes gibt.60 Wenn der Autor wiederum sagt, dass mit der Idee von einem Ding, von der Wahrheit, von einem Gedanken den Begriff davon meint, durch welchen wir die Erkenntnis gewinnen, dass etwas existiert, dass etwas die Wahrheit oder der Gedanke ist, und dass dieser Begriff ganz natürlich ist, dann kann dieser Begriff nicht mehr eine Idee in dem Sinne sein, in welchem der Autor sie auffasst. Ich freilich fürchte mich gar nicht zu behaupten, dass ein Mensch, der ohne Sinnesorgane geboren wäre und nur über das Denkvermögen verfügte, keine Möglichkeit hätte, an irgendein Ding zu denken, undeutliche und gleichsam animalische Auffassung der eigenen Existenz ausgenommen. Nach einigen solchen einleitenden Überlegungen kommt der Autor dazu, die Existenz Gottes grundlegend zu beweisen. Der Inhalt dieser allzu weitschweifigen Argumentation ist ungefähr so: 1. Ich bin ein Geist, das heißt ein denkendes Ding. 2. Dank meiner Denkfähigkeit habe ich verschiedene Ideen in mir, vor allem die Idee von einem unendlichen und perfekten Seienden. 3. Die Ursache von ebendieser Idee bin ich selbst nicht, da ich die objektive Realität61, die ihr gleichen würde, nicht besitze. 4. Es existiert also eine andere Ursache davon außerhalb von mir selbst und sie ist viel vollkommener als ich selbst. Wohlgemerkt: In der Ursache der Idee muss es mindestens so viel formale Realität62 geben, wie viel objektive Realität in der Idee selbst enthalten ist.
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Descartes definierte den Gedankenbegriff folgendermaßen: „Mit Hilfe der Bezeichnung „Gedanke“ begreife ich all das, was in uns auf die Weise ist, wie wir dessen direkt bewusst sind. So sind Gedanken alle Tätigkeiten des Willens, des Verstandes, der Vorstellungskraft und der Sinne. Ich fügte aber das Wort „direkt“ hinzu, um das auszuschließen, was aus ihnen resultiert: zum Beispiel liegt einer freiwilligen Bewegung ein Gedanke zugrunde, sie selbst ist aber kein Gedanke.“ Erwiderungen auf die Einwände V Bei Gassendi heißt es: „Man soll erwarten, dass ein Ding bezüglich des Geistes selbst, also der Seele, bewiesen wird“. Einwände V Unter „objektiver Realität“ der Idee verstand Descartes das Sein des durch die Idee vorgestellten Dings, sofern es in der Idee enthalten ist. […] Was auch immer wir als dasjenige auffassen, was in den Gegenständen der Idee ist, so existiert dieses etwas in den Ideen selbst auf objektive Art und Weise (Erwiderungen auf die Einwände II). Anders gesagt, die objektive Realität ist das, was wir heute Inhalt des Begriffs nennen. Mit „formaler Realität“ meinte Descartes das, was wir heute als objektive Realität bezeichnen. Deutlich wurde dieser Unterschied zwischen der objektiven Realität und der formalen Realität von Gassendi formuliert: „äußere Dinge existieren subjektiv, also formal an sich selbst; objektiv, also ideal, existieren sie im Verstand“. Einwände V
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Erste Anmerkung: Der Autor weiß zunächst nicht sicher, ob das, was er als Erstes behauptet, dass er nämlich ein denkendes Ding sei, völlig richtig ist, weil er noch nicht bewiesen hat, dass es Gott gibt, der nicht täuscht. Die Wahrheit des Satzes „Ich bin ein denkendes Ding“ hängt doch ab von der Regel „Es ist alles wahr, was ich klar und deutlich erkenne“. Diese Regel wird jedoch erst in der Vierten Meditation als gewiss angenommen, nachdem die Existenz Gottes bewiesen wurde. Diese erste Grundlage der gesamten Argumentation und deren archimedischer Punkt sind unsicher63 und unsicher ist auch alles, was in den nächsten Meditationen darauf errichtet wird. Zweite Anmerkung: Dank meiner Denkfähigkeit habe ich verschiedene Ideen in mir, etc Der Autor meint angeborene Ideen. Wenn diese Ideen aber nur ein Wunschdenken sind, das, will ich nicht sagen, durch einen täuschenden Gott oder bösartigen Geist (obwohl der Autor die Möglichkeit solcher Geister nicht leugnet, solange er nicht weiß, dass Gott kein Täuscher ist), sondern durch seine eigene Einbildungskraft hervorgerufen ist? Der Autor befindet sich doch nicht wirklich in diesem Zustand, den er sich in seinen Träumereien zuschreibt, nämlich, dass er aller Sinne beraubt sei, und dass er aus seinem Geist alle Bilder von körperlichen Dingen entfernt habe. Was aber, wenn der Geist die Reste der vormals durch die Sinne vermittelten Trugbilder sieht, die er gerade für angeborene Ideen hält? Wenn er behauptet, dass er tatsächlich sämtliche Spuren alter Sinnesempfindungen entfernt hat, wie kann er den Ungläubigen hiervon überzeugen? Wird man sich auf die Autorität eines so würdigen Mannes verlassen müssen? Urteile, die auf menschlicher Autorität gestützt sind, sind freilich bisweilen wahrscheinlich, dennoch genießen sie keine selbstverständliche Beweiskraft. Mathematische Beweise beruhen auf eindeutigen, klaren, leicht verständlichen, von Natur aus allen mit Vernunft begabten Menschen bekannten Prinzipien. Auch hier hatten wir solche erwartet. Allerdings werden die Ideen des Autors von so vielen herausragenden Männern nicht geteilt. Der Autor verspricht, einen solchen Beweis der Existenz Gottes zu liefern, dass er nicht meint, dass sich irgendein anderer Weg vor dem menschlichen Geist
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Diese Bemerkung Wolzogens erinnert an den Einwand von Arnauld, der schrieb: „An einer Sache zweifle ich noch, nämlich daran, wie es möglich ist, dass er sich in keinen Teufelskreis verwickelt, wenn er sagt, dass es für uns gewiss ist, dass das, was wir klar und deutlich erkennen, nicht minder wahr ist von dem, dass es Gott gibt. Dass aber Gott existiert, kann für uns nur dann gewiss sein, wenn wir das klar und deutlich auffassen; bevor wir also sicher sind, dass Gott existiert, sollte es für uns klar sein, dass all das wahr ist, was wir klar und deutlich erkennen“. Einwände IV Auf diesen Einwand antwortete Descartes: „[…] ich erläuterte es schon ausreichend in meiner Erwiderung auf die Einwände II Nr. 3 und 4. Indem ich zwischen dem, was wir wirklich klar erkennen, und dem, wenn wir uns daran erinnern, dass wir vorhin etwas klar erkannten, habe ich den Fehler des Teufelskreises nicht begangen […]. Wir wissen nämlich sofort, dass es Gott gibt, da wir auf die Argumente unsere Aufmerksamkeit lenken, die seine Existenz beweisen, später reicht es wiederum, dass wir uns daran erinnern, dass wir eines Dings klar bewusst waren, um sicher zu sein, dass es wahr ist. Dies würde aber nicht reichen, wenn wir nicht wüßten, dass Gott existiert, und dass er uns nicht täuscht“. Erwiderungen auf die Einwände IV.
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ebnen würde, auf dem sich irgendwann bessere Beweise finden ließen 64 Allerdings unterscheidet sich die Grundlage dieses Beweises nicht viel von nächtlichen Träumereien. Wenn Menschen, die im Schlafzustand sind und überhaupt keine Sinne gebrauchen, Phantasmen und Bilder der vorhin durch Sinne erfassten Dinge erscheinen, wie kann der Autor beweisen, dass seinem Geist, abgekoppelt von sämtlichen Sinnen und lediglich kraft sehr starker Abstraktion, die wohl nur wenige nachahmen könnten, keine Bilder dieser Art erscheinen, wie es den in der Nacht Träumenden geschieht? Schauen wir uns aber an, was der Autor zu seinem Standpunkt im Besonderen sagt: Meine Ideen nun, außer der Idee von mir selbst, was hier keine Schwierigkeit bereitet, beinhalten auch Ideen von Gott, von körperlichen, leblosen Dingen, Engeln, Tieren und von mir ähnlichen Mitmenschen.65 Anmerkung: Hier behauptet er zum ersten Male, dass die Idee von ihm selbst keine Schwierigkeiten darstellt, weil sie so sicher ist, dass kein Mensch daran zweifeln kann. Freilich ist die Sache nicht so klar. Die formale Realität dieser Idee ist doch, wie der Autor selbst zugibt, im Geist enthalten; über den Geist weiß er aber nur so viel, dass er ein denkendes Ding ist. Das Denken wiederum ist lediglich eine Fähigkeit, d. h. eine Eigenschaft des Geistes, nicht aber der Geist selbst, der für den Autor in seinem tiefsten Wesen ein Geheimnis bleibt. Die Idee, die er als Idee von sich selbst nennt, ist also nur eine Idee des Denkens und auf ihrer Grundlage lässt sich noch nicht erkennen, ob die Substanz des Geistes körperlich oder unkörperlich ist. Ferner, auf welche Weise kann er einem Zweifelnden beweisen, dass das, was er sagt, wahr ist, nämlich, dass er neben der Idee von Gott auch die Ideen von Engeln, Tieren, und anderen Dingen hat? Es unterliegt keinem Zweifel, hätte er nie von den Engeln etwas gehört und keine Tiere oder andere körperliche Dinge gesehen, dann hätte er überhaupt keine solchen Ideen gehabt, genauso wie es keine Ideen von uns unbekannten Sternen oder irgendwelchen unentdeckten Inseln auf den Meeren oder von unzähligen körperlichen Dingen gibt, die er nicht gesehen, oder von denen er noch keine Nachricht bekommen hat. Drittens ist es ebenfalls sehr schwierig zu verstehen, auf welche Weise der Autor die Ideen von körperlichen Dingen von sich selbst ableiten kann, wenn er selbst – wie er behauptet – eine unkörperliche Substanz ist. Wenn er nämlich nur die unkörperliche Substanz kennt, wie kann es sein, dass er auch die körperliche Substanz begreifen kann?66 Diese Schwierigkeit eingesehen, sagt der Au64 65 66
Das kursiv markierte Zitat stammt aus dem Brief an die Sorbonne, den Descartes seinem Manuskript der Meditationen voranstellte, bevor dieses nach Paris verschickt wurde. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 117. Vgl. Gassendi: „Ich werde nur unschlüssig, sobald es um die Ideen von körperlichen Dingen geht, denn die Schwierigkeit, wie du sie aus der Idee von dir selbst – da du dich als unkörperlich begreifen willst und dich auch so siehst – ableiten kannst, ist nicht gering. Wenn du nämlich nur die unkörperliche Substanz kennst, dann wie kann es sein, dass du außerdem die körperliche Substanz begreifst? Besteht zwischen dieser und jener irgendeine Analogie?“. Einwände V
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tor Folgendes: […] zwar verstehe ich mich selbst als denkendes, nicht ausgedehntes Ding, und es besteht somit eine sehr große Verschiedenheit zwischen beiden Auffassungen; in ihrer Substantialität aber besteht für mich kein Unterschied 67 Wenn er jedoch von den zwei Dingen nur so viel weiß, dass sie Substanzen sind, wie kann er wissen, dass Steine, Tiere, Bäume etc. körperlich sind? Es existieren doch auch unkörperliche Substanzen. Derjenige, der nur die unkörperliche Substanz kennt, besitzt also keine Idee von körperlichen Dingen. Was endlich die Idee von Gott, d. h. vom unendlichen und vollkommensten Seienden anbetrifft, bringt er ein durchaus unglaubliches, da in sich widersprüchliches Argument ein. Die Idee sei nämlich – dem Autor selbst zufolge – ein Bild [imago], d. h. etwas Bestimmtes und ganz deutlich Aufgefasstes. Die objektive Realität der Idee soll also bestimmt sein. Bestimmt, d. h. endlich ist somit auch die subjektive Realität, die im Archetypus enthalten ist; der Autor behauptet jedoch, dass diese unendlich sei. Wenn der Autor behauptete, die Idee stellte die ganze Größe der Unendlichkeit nicht dar, dann wäre diese Idee keine Idee von einem unendlichen Seienden, genauso wie ein Bild, das nur eine Haarspitze oder ein inneres Organ darstellt, kein Bild vom Menschen wäre. An einer anderen Stelle versucht der Autor diese Schwierigkeit zu beheben, indem er sagt: das, was unendlich ist, soviel es unendlich ist, kann in keiner Weise begriffen werden, wir können es jedoch in dem Maße erkennen, in welchem wir klar und deutlich erkennen können, dass irgendein Ding so beschaffen ist, dass man in ihm keine Grenzen bestimmen kann [es heißt zu erkennen, dass es unendlich ist] 68 Mit den etwas anderen Worten behauptet er hier freilich dasselbe. Worin unterscheidet sich doch die Unendlichkeit von dem, was keine Grenzen hat? Worin unterscheidet sich ein Blinder von dem, der seiner Sehkraft beraubt ist? Der Geist verfügt zwar über das Vermögen, ein Ding zu vergrößern und zu erweitern, er kann zum Beispiel einen Begriff von einem auf dem Boden schreitenden Menschen so entwickeln, dass dessen Kopf zu den Sternen reicht. Der Geist kann jedoch nicht unendlich in einer solchen Erweiterung fortschreiten und hat überhaupt keine Idee von einem derart vergrößerten Ding, die dieses Ding klar darstellen würde. Wenn jemand fragt, wie viele Ellenbogen Höhe der so schreckliche Polyphem zählt, und wenn er sogar eine Zahl nennt, welche den Durchmesser des Universums um Vielfaches überschreitet, so wird er lediglich eine Zahl nennen, jedoch keine Idee haben. Auf diese Weise kann ich verstehen, dass der Raum, der sich jenseits des Universums erstreckt, unendlich ist, das aber nicht dank einer Idee, die meinem Geist diesen Raum präsentieren würde, und auch nicht dank irgendeinem anderen klaren und deutlichen Begriff. Vielmehr ist dies deswegen, dass nämlich, sobald ich mir den entferntesten Stern in diesem Raum vorstelle, die Über67 68
Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 119. Erwiderungen auf die Einwände I. Wolzogen lässt die in eckige Klammern gesetzten Wörter aus. In „Erwiderung auf die Einwände I“ lauten sie so: (…) inveniri, est clare intelligere illam esse infinitam. Die Auslassung dieser Wörter macht den lateinischen Text unverständlich.
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legung gleich darüber auftaucht, was jenseits dieser Grenze liegt, und wenn ich dann die Grenze ferner festlege, so kommt derselbe Zweifel wieder. Wenn ich also durch solche Denkweise eine Idee finde, so wird diese Idee nicht jenen unendlichen Raum, sondern lediglich einen Begriff darstellen, der Produkt meines Denkens ist. Dieser Begriff, sobald das Denken, also die Tätigkeit des Ausdehnens [amplificationis actus] endet, ist begrenzt, und so ist auch die Idee selbst begrenzt. Solange nun meine Tätigkeit des Ausdehnens dauert, solange habe ich keine Idee von dem Ding. Die Idee ist nämlich ein Bild, das ungefähr das Ding abbildet, so wie es ist, also sie ist bereits etwas Bestimmtes und Vollkommenes, d. h. Vollendetes. Eine aktuell vollendete Idee kann indes ein unendliches Sein nicht darstellen. Ich möchte also hinzufügen, dass viele bekannte Philosophen gerade aus dem Grund, weil das unendliche Sein alle weiteren Entitäten ausschließt, der Behauptung, dass Gott in seinem Wesen unendlich sei, widersprechen. Da aber so viele Dinge existieren, die von Gott erschaffen wurden, Gott selbst aber nicht sind, schließen sie daraus, dass das Wesen Gottes nicht unendlich sei. Die Ursache dieser Idee bin ich nicht ich selbst, etc. Nehmen wir an, man könnte als Idee einen jeden beliebigen Begriff bezeichnen, den der Autor, wie er behauptet, über das unendliche und vollkommene Sein verfügt. Diese Idee ist allerdings nicht dergestalt, dass man nach ihrer Ursache außerhalb des Verstandes suchen sollte. Der Autor sagt nämlich über die Natur der Idee selbst Folgendes: […] da ja die Natur der Vorstellung69 selbst nur derjenigen formalen Realität bedarf, die sie als Modus meines Denkens entlehnt.70 Die ganze formale Realität dieser Idee geht also darauf zurück, dass sie ein Modus des Geistes mithin des Denkens ist. Ein Modus ist aber etwas nicht Existierendes und nicht Reales; die Idee hat somit überhaupt keine Realität, sondern nur eine Modalität. Wenn der Geist diese oder jene formale Realität oder Modalität aus dem Denken schöpft, wird er aus diesem Denken auch die objektive Realität haben. Das Denken wird somit die Ursache der Idee sein sowohl in Bezug auf die formale, als auch auf die objektive Realität. Wofür sucht also der Autor nach der Ursache dieser Idee außerhalb von ihm selbst? Diesen Zweifel, der auch vom Autor der Ersten Einwände71 (wiewohl in einem anderen Sinne) erhoben wurde, versucht unser Autor in seinen Antworten auf die Einwände aufzulösen. Der Mann wendete nämlich ein, dass da es72 nur aufgefasst wird und nicht aktuell besteht (das heißt: da es nur eine Idee ist und nicht ein Ding, das jenseits des Verstandes existierte)73, kann es zwar begriffen werden, kann jedoch keine Ursache haben, 69 70 71 72 73
Im lateinischen Original ist stets von „Idee“ die Rede. Schmidt übersetzt das Wort mit „Vorstellung“. – Anm d Übers Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 113. Von Caterus. Siehe die Einleitung von Ludwig Chmaj. – Anm d Übers Es handelt sich um das „gedankliche Sein“, von dem (und nicht von der „Idee“) Caterus hier spricht. Die in Klammern gesetzte Wörter sowie folgende Zitate stammen aus einer Erwiderung von Descartes.
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das heißt es verlangt nach keiner Ursache, die außerhalb des Verstandes existieren würde Unser Autor antwortet hierauf: Damit bin ich einverstanden, dieses Ding verlangt aber sehr wohl nach einer Ursache, damit es aufgefasst werden kann – nur in diesem Sinne ist hier die Rede davon Die Antwort verstehe ich so, dass es irgendeine Ursache geben muss, für welche der Geist eine solche Idee schafft, die etwas weit Größeres und Vollkommeneres als er selbst darstellt. Wenn es nämlich überhaupt keine Ursache gäbe, so könnte der Geist die Idee nicht auffassen [concipere], d. h. erzeugen [formare]. Die angeführte Antwort erklärt der Autor am folgenden Beispiel: Wenn also jemand – sagt er – im Verstand die Idee von einer Maschine hätte, die mit Hilfe der höchsten Kunst konstruiert wäre, so könnte man sehr wohl danach fragen, was die Ursache dieser Idee ist Und derjenige, der sagt, dass sie außerhalb des Verstandes gar nichts ist und sie deshalb keine Ursache haben kann, wird auf die Frage keine zufriedenstellende Antwort geben – es wird dabei nämlich nach nichts anderem gefragt, als nur danach, was die Ursache dessen ist, dass sie aufgefasst werden kann Auch derjenige wird uns nicht zufrieden stellen, der sagt, dass der Verstand selbst als Ursache seiner Aktivität, die Ursache dieser Idee ist – daran wird nämlich nicht gezweifelt, und es geht nur um die Ursache der objektiven Kunstfertigkeit [artificium], die in dieser Idee steckt Die Tatsache nämlich, dass diese Idee von der Maschine in sich gerade diejenige und keine andere objektive Kunstfertigkeit enthält, muss ihr aus irgendeiner Ursache gehörig sein – genauso verhält sich die objektive Kunstfertigkeit zu dieser Idee wie die objektive Realität zu der Idee Gottes In der Tat lassen sich verschiedene Ursachen dieser Kunstfertigkeit nennen: Sie stellt nämlich entweder eine solche schon früher gesehene real existierende Maschine dar, auf der Ähnlichkeit von welcher die Idee erzeugt worden ist, oder die diesem Verstand zugehörige weitgehende Kenntnis von Mechanik, oder vielleicht eine große Weitsichtigkeit des Geistes, dank welcher er diese Maschine ohne vorausgegangenes Wissen zu erdenken imstande war Man muss auch betonen, dass die ganze Kunstfertigkeit, die in dieser Idee nur objektiv steckt, sich aus Notwendigkeit in ihrer Ursache befinden muss, ungeachtet dessen, was sie ist, entweder in formaler oder eminenter Weise (im angeführten Beispiel ist diese Kunstfertigkeit formal im Geiste des Ingenieurs selbst enthalten); dasselbe sollte man auch über die objektive Realität denken, die in der Idee Gottes steckt (sie steckt darin dergestalt, dass sie in ihrer Ursache formal oder eminent ist). Aber worin wird das so sein, wenn nicht in einem wirklich existierenden Gott? Fürwahr, in keiner anderen Ursache als nur im Verstand [in intellectu], dessen Frucht sie ist. Diese Idee von Gott ist nämlich keine Idee von irgendeinem wirklich existierenden Ding, sondern nur eine Idee von einem Gedanken, der im Geist mittels jenes Vermögens geboren wird, das ein jedes angetroffene Ding auszudehnen und zu vergrößern vermag, nicht anders als eine Hand Teig ausrollen und Lippen Glas blasen können. Wenn diese Idee eine Idee von wirklich existierendem Gott wäre, so wäre sie unendlich und somit für den Verstand nicht fassbar: Sie könnte kein Modus des Denkens sein, wie der Autor sie selbst bezeichnet. Allerdings, durch die Annahme selbst, dass die Idee ein Modus des Denkens sei, ist sie nicht unendlich, sondern endlich, weshalb sie weder die Idee Gottes ist, noch wissen wir dank dieser Idee um dessen Existenz. Dieses Ding, das die
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Idee darstellt, befindet sich also formal im Verstand, objektiv in der Idee, und subjektiv nirgendwo. In seiner Antwort führt der Autor fort: All das hat dieser scharfsinnige Mann sehr gut erkannt und deshalb erlaubt er sich die Frage zu stellen, warum diese Idee eher die objektive Realität enthält und nicht eine andere, und auf die Frage antwortet er, dass die Ursache dessen die Unvollkommenheit unseres Verstandes sei, die darin bestünde, dass er nicht unendlich sei; ohne mit einer Erkenntnisleistung sämtliche Dinge, die alle auf einmal und gleichzeitig sind, begreifen zu können, teilt er auf und zerkleinert alles Gute Auf diese Weise wird das, was er nicht als Ganzes fassen kann, vom Verstand stufenweise, oder wie man sagt, inadäquat, etc begriffen 74 Da diese Antwort dem Autor nicht gefällt, wird vielleicht eine andere klarer: wenn man nämlich sagt, dass die Ursache, wegen welcher die Idee Gottes eher diese als eine andere objektive Realität enthält, das ist, dass sie die Idee von diesem Ding darstellt, die der Verstand gerne erzeugt hat durch die Ausdehnung von angetroffenen Vollkommenheiten. Ähnlich ist es, wenn jemand fragt, warum die Idee von einem Engel oder vom Menschen eine solche objektive Realität und keine andere enthält, so wird man als Ursache das nennen, dass die erste die Idee von einem Engel, die zweite von einem Menschen ist; wenn sie also die Idee von einem anderen Ding wäre, so würde sie es gerade darstellen. Es kommt also die Frage auf, warum diese Idee, die der Autor Idee Gottes nennt, eher diese als eine andere objektive Realität darstellt. Sie ist der folgenden Frage ähnlich, die jemand anders stellen könnte: Warum enthält dieses Bildnis (das den Kaiser repräsentiert) die objektive Realität des Kaisers als die einer anderen Person, zum Beispiel des Königs Spaniens oder Frankreichs etc. Würden wir nicht antworten: Weil er vom Maler so dargestellt wurde? Ähnlich sollte man auch an dieser Stelle antworten: Weil der Geist, der Schöpfer dieser Idee ist, sie so geschaffen hat. Auch diese Antwort des scharfsinnigen Mannes ist nicht so unplausibel, wie es dem Autor erscheint. Der Mann zielt nämlich darauf ab: Wenn unser Verstand als unendlich die allgemeine Idee von sämtlichen Dingen mit einem Mal gleichzeitig erzeugen kann, aber aus Notwendigkeit Ideen von den einzelnen Dingen nacheinander erzeugen muss, so bekommt die eine Idee eine solche, die andere aber eine andere objektive Realität, unabhängig von dem Willen oder der Tätigkeit des schaffenden Verstandes. Der Autor hatte also keinen Grund dafür, der Antwort dieses Mannes so viel Absurdität zuzuschreiben, wenn er sagt: Fürwahr ist es nicht mehr wahrscheinlich, dass die Ursache dessen, warum in uns die Idee Gottes enthalten ist, die Unvollkommenheit unseres Verstandes sei, wie auch das, dass der Mangel an Erfahrung in der Kunst der Mechanik die Ursache dessen ist, dass wir uns eher eine überaus originelle Maschine vorstellen als eine andere, die minder vollkommen ist 75 Dieser Mann behauptete doch nicht, dass
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Aus Erwiderungen auf die Einwände I. Erwiderungen auf die Einwände I.
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die Unvollkommenheit des Verstandes die Ursache dafür ist, dass diese Idee sich in uns befindet, aber, dass die Unvollkommenheit es bewirkt, dass diese Idee eher eine solche als eine andere objektive Realität enthält; als Ursache dessen nannte er, dass der Verstand wegen seiner Unvollkommenheit in dieser Idee nicht alles begreifen könne, für verschiedene Dinge aber unterschiedliche Ideen behalte. Ferner schreibt der Autor: Klar ist nämlich umgekehrt: Wenn jemand die Idee von der Maschine, in der sich alle Kunstfertigkeit, die aus dem Denken entspringt, zusammenfassen ließe, so wäre es am ehesten am Platze daraus zu schließen, dass diese Idee aus irgendeiner Ursache entstanden ist, in der alle Kunstfertigkeit, die aus dem Denken entspringt, wirklich existierte, auch wenn er in ihr (d h in der Idee) nur objektiv wäre 76 Sehr wohl: Es wurde ja bereits gesagt, dass sich alle denkbare Kunstfertigkeit, die objektiv in einer Idee existiert, formal und wirklich im Verstand des Schöpfers befindet, also nicht die Maschine selbst, sondern die Kunstfertigkeit, also die Kunst der Konstruktion einer solchen Maschine, die er von irgendeinem Meister lernte oder auch kraft seines eigenen Denkvermögens erwarb. Aus demselben Grund, wenn wir in uns die Idee Gottes haben (fürwahr, nicht Gottes, weil diese Idee endlich ist, Gott aber unendlich und kann nicht durch eine endliche Idee repräsentieret werden), in der alle denkbare Vollkommenheit enthalten ist (nur deshalb, weil diese Vollkommenheit denkbar ist, ist sie nicht so groß, dass sie den Namen der Idee von unendlicher Vollkommenheit Gottes verdienen würde. Wiewohl unser Geist Vollkommenheiten aufzufassen vermag, spiegeln sie uns lediglich den Schatten Gottes wider), so kann man daraus auf offensichtlichste Art und Weise schlussfolgern, dass diese Idee von irgendeiner Ursache abhängig ist, in der auch diese ganze Vollkommenheit vorkommt, und das zweifellos in dem wirklich existierenden Gott.77 Warum im existierenden Gott und nicht vielmehr im existierenden Verstand? Gott ist doch kein Schöpfer dieser Idee, sondern der Verstand dank seinem Denkvermögen [intellectus per cogitationem]. Die formale Realität dieser Idee ist nämlich nichts Anderes als das Denken selbst, sie ist also ein Modus des Geistes [modus mentis]. Der Autor könnte einwenden: Der Verstand ist unendlich und er ist also Gott. Keine solche Schlussfolgerung resultiert daraus, sondern nur die folgende, dass, wie ich schon oftmals betonte, der Verstand über das Vermögen des Ausdehnens und Vergrößerns von angetroffenen Vollkommenheiten hinsichtlich Menge, Qualität, Dauer etc. verfügt, das aber nicht in Unendlichkeit geht, so dass er von dieser Unendlichkeit eine Idee oder einen Begriff hat. Woher kommt aber dieses Vermögen? Aus der Natur des Geistes selbst, so, wie das Sehvermögen aus der Natur der Sehkraft und das Tastvermögen aus der Natur der Empfindungsfähigkeit entspringt. Woher kommt aber diese bewundernswerte Natur? Fürwahr, wenn man deren erste Ursache zu ermittelt sucht, wird man vom Vater auf den Großvater kommen, und man wird auf nichts anderes zurückkommen müssen
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Ebenda. Ebenda.
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als auf Gott, den Schöpfer aller Dinge. Richtig sucht man also auf diesem Wege die Existenz Gottes zu beweisen – wird der Autor sagen. Sehr richtig, aber nicht in einem höheren Maße auf der Grundlage jener Idee des Autors, die lediglich einen Schatten des unbegreiflichen Gottes darstellt, als aufgrund der unendlichen Menge von anderen Dingen, deren bewundernswerte Natur, Schönheit, Ordnung etc. auf den weisesten und mächtigsten Schöpfer verweisen. Diese Dinge sind mir doch noch nicht bekannt – wird der Autor entgegnen. Allerdings, sie sind bekannter als der Geist, sofern er nur kein Unwissen vortäuscht. Man sollte ohne Umschweife anmerken, dass zu seinem ähnlichen Paralogismus der folgende Satz des Autors den Impuls gab: In der Ursache der Idee ist zumindest soviel formale Realität drin, wie viel diese Idee an objektiver Realität besitzt.78 In diesem Sinne behauptet er an einer anderen Stelle ebendieser Meditation Folgendes: Es muss mindestens so viel Realität in der gesamten Wirkungsursache geben wie in ihrer Folge Der Autor ist nämlich der Meinung, der Verstand sollte in der Tat alle diese Vollkommenheiten haben, deren Ideen er zu erzeugen vermag, und da der Verstand solche Vollkommenheiten nicht besitzt, so folgt daraus, wie er meint, dass diese Idee, die er Idee Gottes nennt, aus einer anderen Ursache entspringt, in der durch die Idee objektiv dargestellte Vollkommenheiten in dem Ding selbst, also formal existieren. Eine solche Schlussfolgerung resultiert daraus allerdings nicht; es reicht nämlich, wenn die formale Realität in der Ursache potenziell steckt, auch wenn sie in ihr aktuell nicht existiert. Die formale Realität der Kunstfertigkeit, die objektiv in der Idee der Maschine enthalten ist, gibt es doch aktuell im Geist des Schöpfers nicht, d. h. das ist kein Ding, das aktuell im Geist existiert, sondern es befindet sich dort lediglich eine Möglichkeit [potentia], also eine Art Fähigkeit, dank welcher er nicht nur diese Maschine, sondern auch viele anderen konstruieren kann. Auch wenn er aber in der Tat viele ähnliche Maschinen bauen könnte, also solche, die durch dieselbe Kunst hervorgebracht, aber unterschiedlich groß wären, so kann man daraus nicht schließen, dass genauso viele formale Realitäten aktuell im Geiste selbst existieren. Was die Idee Gottes anbelangt, so reicht es auch, wenn die formale Realität auf dieselbe Art und Weise potenziell im Geiste wäre, so dass er nach Belieben eine solche oder andere, ihr ähnliche oder unähnliche, eine kleinere oder größere Idee erzeugen könnte, und es ist nicht nötig, dass das Ding selbst, im Geiste gedacht, das sich der Geist durch die Idee selbst vorstellt, in ihm wirklich existierte. In seiner Antwort schreibt der Autor weiter: Mit Sicherheit 78
Diese Behauptung resultiert aus den Axiomen, die Descartes in seiner Erwiderung auf die Einwände II formulierte: 1) Kein Ding und keine aktuell bestehende Vollkommenheit eines Dings kann zur Ursache seiner oder ihrer Existenz das Nichts, also ein nicht existierendes Ding haben. 2) Die gesamte Realität oder Vollkommenheit, die in einem Ding vorkommt, befindet sich formal oder eminent in dessen erster und adäquater Ursache. 3) Daraus resultiert auch, dass die objektive Realität unserer Ideen einer Ursache erfordert, in der eben dieselbe Realität nicht nur objektiv, sondern auch formal oder eminent enthalten ist.
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würde dieselbe Schwierigkeit in den zwei Fällen aufkommen, wenn so wie alle, die keine erfahrenen Mechaniker sind, die Idee von sehr originellen Maschinen nicht haben können, so würden auch nicht alle dieselbe Fähigkeit haben, die Idee Gottes aufzufassen Da aber diese Idee auf dieselbe Art und Weise in die Geister aller Menschen eingeimpft ist und wir nie werden sehen können, dass sie zu uns kommt auf einem anderen Wege als von uns selbst, so vermuten wir, dass sie zu der Natur unseres Verstandes gehört Diese Vermutung ist nicht falsch, wir verpassen dabei aber etwas anderes, was vor allem berücksichtigt werden sollte, und wovon die ganze Kraft und Klarheit dieses Beweises abhängt, dass nämlich dieses Vermögen in sich selbst die Idee Gottes zu haben, unserem Verstand nicht innewohnen könnte, wenn dieser Verstand nur ein endliches Sein wäre, das es in Wirklichkeit ist, und wenn er keine Ursache hätte, welche Gott wäre 79 Werden diese letzten Worte: welche Gott wäre auf die entfernteste und erste Ursache bezogen, dann führt er den Beweis richtig; der Verstand würde nämlich ein solches Vermögen, um eine solche Idee zu erzeugen, nicht haben, und, mehr noch, er würde auch kein Denkvermögen über irgendetwas haben, wenn Gott es ihm nicht eingeimpft hätte, ähnlich wie die Augen auch über kein Sehvermögen und die Ohren über kein Hörvermögen verfügten, wenn sie keinen Schöpfer – Gott – hätten. Wahrlich existierte weder der Geist noch das Auge noch irgendein anderes Ding überhaupt in Wirklichkeit, wenn eine riesige Ursache sie zum Dasein nicht gebracht hätte. Was Neues bringt hier der Autor ein? Worin unterscheidet sich dieses Argument von dem allgemein bekannten Argument, mit dessen Hilfe der heilige Paulus beweist, dass die Heiden auf dieser Grundlage nicht gerechtfertigt werden können, dass sie Gott nicht erkannt haben (Römer, Kapitel I, V. 19–20)? Der ganze Aufbau der Welt verweist doch auf einen sehr weisen und allmächtigen Schöpfer. Der Autor versteht allerdings unter den Worten: welche Gott wäre die naheste und unmittelbarste Ursache, nicht diejenige, kraft deren Gott im Mutterschoß den Geist in ihn einhauchte (wie einige christliche Philosophen behaupten, denen es unplausibel erscheint, dass die vernünftige Seele durch Zeugung [per traducem] geboren sein könnte)80, sondern diejenige Ursache, kraft deren Gott ihn in den einzelnen Momenten der Zeit immer wieder neu erschafft. Er tut dies, da er sonst die Absurdität, welche er hier um jeden Preis vermeiden will, nicht beseitigen könnte (jene nämlich, dass der Geist unendlich wäre). In der Dritten Meditation behauptet er: Weil nämlich die gesamte Lebensdauer in unzählige Teile eingeteilt werden kann, von denen die einen in keiner Weise von den anderen abhängig sind, so folgt daraus, dass ich vor einer Weile existierte, nicht,
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Erwiderungen auf die Einwände I. Es handelt sich an dieser Stelle um den sogenannten Generationismus bzw. Traduzianismus, der erstmals von Tertullian vertreten wurde. Die Seelenzeugungslehre, nach welcher die Seele des Kindes aus der Seele des Vaters hervorgeht, wurde zugunsten des Kreationismus von der Kirche abgelehnt. – Anm d Übers
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dass ich auch jetzt existieren muss, es sei denn irgendeine Ursache mich in diesem Moment gleichsam neu erschafft, also mich existieren lässt [conservet] 81 Welch größere Absurdität als das hätte man aber jemals aussprechen können? Wie könnte man ein Ding denken, dessen Teile sich schwieriger voneinander trennen ließen, also zwischen welchen eine im höheren Maße untrennbare Reihenfolge und Verknüpfung bestünden als Zeitintervalle? Zweitens, auf welche Weise schließt der Autor aus dieser Abhängigkeit oder auch Unabhängigkeit der Zeitintervalle auf ein unaufhörliches Wiederholen von denselben, also auf immer wieder neue Erschaffung in jedem kleinsten Moment? Daraus – sagt er –, dass ich vor einer Weile existierte, folgt nicht, 81
Um diese Behauptung Descartes' und die hier von Wolzogen vorgebrachten Einwände zu verstehen, muss man betonen, dass das Kausalitätsgesetz, das Descartes der scholastischen Philosophie entnahm, zwei Prinzipien beinhaltete: a) aus nichts entsteht nichts (ex nihilo nihil fit), b) verschwindet die Ursache, dann verschwindet auch die Wirkung (cessante causa cessat effectus), das heißt, wie es Descartes in der Dritten Meditation ausdrückt, „[…] es bedarf derselben Kraft und Tätigkeit, um irgendein Ding in den einzelnen Momenten zu erhalten, in denen es andauert, als wenn man dieses aufs Neue erschaffen würde“. Diesen Satz begründet Descartes mit der Nichtlinearität der Zeit, wonach das Gegenwärtige von dem vergangenen Moment nicht abhängig ist. Indem Descartes die zeitliche Abfolge aus dem Kausalitätsbegriff auf diese Weise verbannt, ändert er die physische Kausalität in eine metaphysische. Es geht nämlich nicht um die Untersuchung der Bedingungen, von denen Veränderungen einzelner Dinge abhängen, sondern um die Erläuterung des Fortbestehens eines Dings als Substanz, also um die Erkenntnis der ersten Ursachen desselben. Dies bedeutet nicht, dass Descartes physische Kausalität bestreitet. Er gibt zu, dass es in der Welt eine gewisse Aufeinanderfolge von wirkenden Ursachen geben muss. Wenn man aber diese Aufeinanderfolge unter die Lupe nimmt, dann können wir höchstens die Unvollkommenheit unseres Geistes erkennen, dem es schwer zu begreifen fällt, warum keine von diesen Ursachen die erste ist und die Existenz Gottes offensichtlicher sein soll als die Existenz der Dinge. Deshalb sieht Descartes in Gott sowohl die wirkende Ursache, als auch die formale, mithin metaphysische Ursache. Da jedes Ding nach einer Ursache für seine Existenz verlangt, schlussfolgert Descartes, dass 1) das Kausalitätsgesetz in keiner Weise beschränkt ist, und 2) die objektive Realität unserer Ideen von der Ursache abhängen muss, in der diese Realität nicht nur objektiv, sondern auch formal enthalten ist – anders gesagt, es muss zumindest so viel von der formalen Realität in der Ursache der Idee geben, wie viel es objektive Realität in der Idee selbst gibt. Gassendi erhob gegen diese letzte These den Einwand, dass sie sich eher auf die materielle statt auf die wirkende Ursache bezieht, da die wirkende Ursache eine andere Natur haben kann als deren Folge. Ein Bauplaner, wenn er ein Haus errichtet, verleiht diesem doch keine Realität, die er besitzt, sondern eine andere, die geplant und aus Materie gemacht ist. Gassendi vertrat somit den Standpunkt, dass Ursache und Wirkung zwei unterschiedliche Sachen sind, sowohl in ihrer zeitlichen Existenz, als auch in ihrem Wesen. Deshalb behauptete er, dass ein Haus nach Abschluss der Bauarbeiten ohne einen Eingriff seitens der ersten Ursache fortbestehen kann; dasselbe wird von Wolzogen wiederholt. Descartes wiederum, der das Sein und das Fortbestehen der Dinge von konstanter Einwirkung und Handlung Gottes abhängig macht, ist der Meinung, dass Gott die Ursache der Dinge ist, und zwar nicht nur bezüglich ihres Werdens (secundum fieri), sondern auch bezüglich ihres Seins (secundum esse). Deshalb muss Gott immer auf dieselbe Art und Weise auf die Folge einwirken, um sie zu erhalten. Die Unterscheidung zwischen der physischen und der metaphysischen Kausalität bewirkt übrigens, dass in der Philosophie Descartes' zwei Arten des Determinismus verbunden und miteinander verflochten sind: der physische und der metaphysische Determinismus, was auch als dualistischer Parallelismus der Phänomene bezeichnet werden kann.
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dass ich jetzt existieren muss, es sei denn irgendeine Ursache mich neu erschafft 82 Das folgt daraus nicht und es wird sich wohl niemand finden (vielleicht nur irgendein Hirnloser), der so dumm wäre, dass er die aktuelle Existenz von ihm selbst auf dieser Grundlage beweisen wollte. Weder ist der Beweis des Autors stark, noch nennt er die wahre Ursache, wenn er schlussfolgert: Ich existiere jetzt, weil ich neu erschaffen wurde. Dafür doch, dass ich, der vor einer Weile existierte, auch jetzt existieren kann, braucht man mich nicht neu zu erschaffen, es reicht nur, dass weder eine zerstörende Ursache besteht, die mich zu Grunde richtet, noch ein Nachlassen meiner Kräfte vor sich geht, in Folge welchem ich letztendlich aufhören würde zu existieren. Der Autor sagt aber: Fassen wir nämlich die Natur der Zeit ins Auge, so ist klar, daß dieselbe Kraft und Tätigkeit nötig ist, um ein Ding in den einzelnen Momenten seiner Dauer zu erhalten, als zu seiner Neuschöpfung erforderlich wäre, wenn es noch gar nicht existierte Der Satz, daß Erhalten und Schaffen sich nur der Auffassung nach unterscheiden, gehört nämlich zu den durch das natürliche Licht offenkundigen Wahrheiten 83 Dem angeborenen Licht der Vernunft [lumen naturale] leuchtet jedoch gerade etwas Entgegengesetztes ein: Wenn wir zum Beispiel einen Stein sehen, dann können wir begreifen, dass er entstanden sein muss. Dass er aber unaufhörlich im Entstehen ist, das wird niemand begreifen, auch wenn man es ihm zu erklären beginnt, und umso weniger wird ihm dies vom angeborenen Licht der Vernunft offenbart. Was auch immer entsteht, das, bevor es entstand, hatte es nicht gegeben, also das, was unaufhörlich entsteht, muss unaufhörlich nicht existieren, was offensichtlich ein Widerspruch in sich ist. Die Unterscheidung zwischen der Ursache, die das Werden betrifft, und der Ursache, welche die Existenz betrifft, die vom Autor (wie wir an einer anderen Stelle lesen)84 gemacht wird, bringt die Sache überhaupt nicht voran. Er behauptet nämlich: […] der Architekt ist die Ursache des Hauses, und der Vater die des Sohnes, nur als die Ursache, die das Werden betrifft, und wenn das Werk vollendet ist, kann es ohne Ursache dieser Art fortbestehen; die Sonne ist allerdings die Ursache des aus ihr kommenden Lichts und Gott ist die Ursache der erschaffenen Dinge nicht nur als Ursache, die das Werden betrifft, sondern auch als Ursache der Existenz, und deswegen sollte er immer derart auf die Folge Einfluss nehmen, so dass diese bestehen bleibt 85 Aber, mein Gott, auf welch eine unsichere Grundlage eine Sache von so großer Bedeutung gestellt wird! Wäre demzufolge Gott nicht in einer weitaus schlimmeren Lage als ein erster bester Kunsthandwerker, dessen Werk, sobald vollendet, ohne seine Hilfe fortbesteht? Sind die Werke des allmächtigen Gottes (dem Autor zufolge) dergestalt, dass sie nicht einmal den winzigsten Sekundenbruchteil
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Wolzogen lässt in dem kursiv markierten Text das Wort „gleichsam“ (quasi) vor dem Wort „erschafft“ aus. Die so entstandene Abweichung von der Version Descartes' ermöglicht Wolzogen die Behauptung, dass Descartes „auf unaufhörliches Wiederholen“ schließe. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 129. Erwiderungen auf die Einwände V. Ebenda.
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lang existieren können, sondern gehen in dem Moment, in dem sie erschaffen wurden, zugrunde? Was für ein Bedürfnis besteht, frage ich, dass man ein Ding, das an sich selbst klar ist, dermaßen verdunkelt? Möge aber niemand behaupten, dass er Gott der Erhaltungsfunktion der eigenen Werke und der Sorge für diese dadurch beraubt, dass er ihm solche Absurditäten zuschreibt. Gott lässt die von ihm erschaffenen Dinge bestehen, solange er sie in Bezug auf deren Stoffe nicht zerstört oder deren Kraft vermindert, welche sie erhält. Er herrscht und regiert mit seiner Vorsehung [providentia] über alles, so dass alle Dinge nur solange existieren, wie dies seinem Willen und dem sehr weisen Zweck, den er in seiner Vorsehung im Voraus selbst für die kleinsten Dinge bestimmt, entspricht. Aus diesem Grund kann Gott auch als Ursache von Existenz angesehen werden. Was die Ähnlichkeit mit der Sonne angeht, ist sie hier nicht korrekt, denn die Sonne ist keine Ursache des Lichts in Bezug auf dessen Existenz. Das Sonnenlicht, das nur scheinbar unveränderlich im Weltraum besteht, ist nach der Zahl nicht das ein und dasselbe, sondern immer wieder neu, ähnlich wie es auch einem vorkommen mag, dass das Wasser im Fluss ständig dasselbe sei, während es, von der Quelle kommend, doch stets neu ist. Deshalb wird die Sonne sehr richtig als Lichtquelle genannt. So muss ich mir nun selbst die Frage vorlegen – führt er weiter aus –, ob ich eine Kraft besitze, durch die ich bewirken kann, daß dieser Ich, der ich in diesem Momente bin, auch im folgenden Moment sein werde Da ich nämlich lediglich ein denkendes [=bewusstes] Ding bin, oder noch hier nur insoweit von mir rede, als ich ein bewußtes Ding bin, so müsste ich ohne Zweifel mir einer solchen Kraft bewußt sein, wenn ich sie besäße Ich bemerkte aber keine solche Kraft in mir und erkenne eben daraus aufs klarste, daß ich von einem von mir verschiedenen Seienden abhänge 86 Um mich selbst zu erhalten brauche ich keine so große Kraft zu besitzen, mit Hilfe welcher ich, so lange und auf eine Weise wie ich wollte, mich selbst als Wirkungsursache erhalten könnte (ähnlich wie ich das Öllampenlicht durch Zugabe am Brennen erhalten könnte, damit es nicht erlischt). Dafür reicht doch meine beschränkte Verfassung und Form, mit deren Hilfe ich mich solange erhalte, bis es zu einer Auflösung unter Einwirkung zerstörender Ursache kommt. Vorher meinte der Autor, dass ein Haus, das von einem Architekten errichtet wurde, ohne Mitwirkung der Ursache, die es hervorbrachte, existieren kann. In dem Haus gibt es also eine solche Kraft, durch welche es ohne einen neuen Aufbau bestehen bleibt. Diese ist eben die Form des Hauses selbst und dessen Struktur, dank welcher es solange steht, bis es durch eine zerstörende Ursache kaputt gemacht wird. Wenn sich die Sache mit dem Menschen anders verhielte, so wäre er in einer weitaus schlimmeren Lage als ein Haus oder ein Stall. Wenn eine solche Kraft in mir wäre, dann wäre ich ihr zweifelsohne bewusst. Fühlst du aber den Durst und den Hunger nicht, der dich dazu bringt, Nahrung aufzunehmen? Wenn du es tust, dann wirst du die geschwächten und die zu verkommen drohenden
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Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 129.
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Kräfte auffrischen. Wenn du aber die Mahlzeit versäumst, dann wirst du umsonst nach einer Neuerschaffung deines Selbst durch Gott Ausschau halten (es sei denn, es passiert durch ein Wunder und einen außergewöhnlichen Eingriff). Allerdings wird der Autor entgegen, dass er sich gegenwärtig in einem Zustand befinde, in welchem er sich selbst ausschließlich als ein denkendes Ding begreife und von jener Kraft, die ihn erhält, nichts wisse; den Hunger würde er wiederum auf den Körper beziehen. Angenommen das stimmt. Als ein denkendes Ding, das ist Geist, stürbe er also in den einzelnen Zeitintervallen; sein Körper bliebe durch die Nahrungsaufnahme erhalten. Der Geist, der einer solchen Kraft entbehrt, wäre somit kümmerlicher als der Körper, der sich selbst zu erhalten vermag. Erkennt aber der Geist nicht, dass er lebt? Ich erkenne es, wird er sagen, ich erkenne aber die Kraft nicht, dank welcher ich lebe. Das Leben selbst ist doch jene Kraft, dank welcher der Geist, also das denkende Ding erhalten bleibt, und wenn er zu existieren aufhört, so geht die Kraft selbst zugrunde. Möge mir aber der Autor sagen, falls er diese Erhaltungskraft nicht fühlt und kennt, ob er sich dieser Destruktion bewusst ist, aus welcher er immer wieder hervortaucht? Zweifelsohne vergegenwärtigt er sich dessen nicht, wenn er keinen Unsinn reden will. Warum also bedarf es, um die eigene unaufhörliche Existenz einzusehen, der Kenntnis einer anderen Kraft als derjenigen, dank welcher er weiß, dass er lebt und nicht stirbt, solange er lebt? Der Autor schlussfolgert, dass er von einem anderen Sein als er selbst abhängig ist. Die Schlussfolgerung ist richtig, aber nicht in dem Sinne, dass er dadurch immer wieder neu erschaffen wird, sondern in dem Sinne, dass er einmal dadurch erschaffen wurde. Wenn der Autor nach diesem Sein sucht, von welchem er direkt abhängt, dann ist seine Behauptung: Ein solches Sein sind keine Eltern und keine anderen Ursachen kurios.87 Warum sind es die Eltern nicht, wenn es doch ganz offensichtlich ist, dass er dank ihnen auf die Welt gekommen ist?88 Er fügt hinzu: Weil ich ein denkendes Ding bin und die Idee Gottes besitze. Die Seelen der Eltern waren aber doch auch denkende Dinge und hatten die Idee Gottes. Aus diesem Grund wendet er die These, die Ursache enthielte genauso viel wie deren Folge, an dieser Stelle inkorrekt an. Er fügt hinzu: Wenn außer Gott eine andere Ursache (natürlich eine unmittelbare) existierte, so könnte man fragen, ob sie von sich selbst, oder von einer anderen Ursache kommt; wenn von ihrer selbst nämlich, dann wird sie Gott sein Wenn sie wiederum von einer anderen Ursache kommt, so wird man
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Die kursiv markierten Wörter stellen kein direktes Zitat dar. Vgl., was Gassendi hierzu sagt: „Warum sind es aber keine Eltern, durch die – was dir natürlich wohl bewusst ist – du mit dem Körper erzeugt worden bist […]. Ich aber, sagst du, sei ein denkendes Ding, das in sich die Idee Gottes besitzt. Waren aber deine Eltern oder deren Geister nicht auch denkende Dinge, welche die Idee Gottes besaßen? Somit sollte hier dieser Satz, von welchem vorhin bereits die Rede war, nicht betont sein: Mindestens so viel Realität muss in der Ursache sein, wie viel es von ihr in der Wirkung gibt.
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solange fragen können, bis man endlich zu jener Ursache kommen wird, die von sich selbst kommt und Gott ist, denn man kann nicht ins Unendliche gehen 89 Diese Schlussfolgerung ist durchaus richtig, in nichts unterscheidet sie sich aber von der sehr abgedroschenen: In Ursachen, die durch sich selbst wirken, gibt es keinen Fortschritt ins Unendliche [progressus in infinitum]. Daraus folgt, dass sich die Reihenfolge von Vorfahren nicht ins Unendliche ausweiten lässt, auf der Weitersuche muss man schlussendlich zu irgendeiner Ursache kommen, die von niemandem geschaffen worden ist. Warum, frage ich, begibt sich der Autor durch so viele Umwege und schiefe Bahnen dorthin, wohin andere auf ausgetretenen Pfaden schon längst gegangen sind? Aber genug davon. Bei dem nächsten Schritt, die Quelle dieser Idee Gottes endlich aufzudecken, sagt der Autor Folgendes: Ich habe nun noch zu untersuchen, in welcher Weise ich jene Vorstellung von Gott erhalten habe Ich habe sie nicht aus den Sinnen geschöpft, auch hat sie mich nie überrascht wie die Vorstellungen sinnlicher Dinge, welche sich meinen äußeren Sinnesorganen darbieten oder sich ihnen darzubieten scheinen Ich habe mir auch die Gottesvorstellung nicht selbst gebildet, denn ich kann von ihr nichts wegnehmen und kann ihr nichts hinzufügen Es bleibt demnach nur übrig, daß sie mir angeboren ist, wie auch die Vorstellung meiner selbst 90 Anmerkung: Dass der Autor eine angeborene Idee von Gott besitzt zeigt er zunächst auf der Grundlage, dass er sie nicht mittels der Sinne erworben hat. Mit welchem Beweis wird er aber einen Zweifler in seinen Bann schlagen, damit dieser ihm glaubt? Er nahm zwar an, dass alle Sinnesempfindungen eine Illusion sind, dadurch hat er selbst aber deren Spur im Gedächtnis überhaupt nicht verwischt, er hätte es gar nicht machen können, sosehr er es auch gewollt hätte. Selbst wenn der Autor, der bis zu diesem Moment im Mutterschoß wäre, über den Rest der Welt mit Hilfe von Sinnesorganen nichts erkannt hätte, befände er sich doch in diesem Zustand nicht, wie es ihn dünkt. In jenem Zustand träumte er nicht einmal von den vielen Dingen, die er jetzt Gott zuschreibt. Zweitens behauptet er, dass er diese Idee nicht selbst erschaffen hat, als wenn keine Menschen oder Engel existieren könnten, die ihn über bestimmte ihm noch nicht bekannte Dinge, die Gott betreffen, nicht belehren könnten, gerade auch über solche, die man jetzt Gott fälschlicherweise zuschreibt.91 Gleichgültig, ob der Autor glaubt, dass diese Idee selbst das Wesen Gottes oder seine Eigenschaften und Vollkommenheiten darstellt, kann es doch nicht stimmen, dass man zu dieser Idee nichts hinzufü-
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Aus der Dritten Meditation. Passage nicht wortwörtlich. Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 133. Auch hier trifft man auf Gassendis Gedanken: „[…] denk daran, dass du sie im Anfang als vollkommen nicht in demselben Maße hattest. Denk daran, dass Menschen, Engel oder andere Wesen weiser von dir sein könnten, von denen du etwas über Gott lernen könntest, was du bisher nicht wußtest“. Einwände V.
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gen kann. Was das Wesen angeht, wie kann dessen Idee, die so sehr vollkommen wie endlich ist, so dass man zu ihr nichts mehr hinzufügen kann, derjenige haben, dem das Wesen der Stechmücke oder Fliege unbekannt ist, und der darüber nicht im Klaren ist, wie es ist? Es bleiben doch zahlreiche Eigenschaften Gottes ein Geheimnis für uns, die etwa ein Engel vom Himmel oder Gott selbst unter Vermittlung seines Geistes [spiritus] enthüllen könnte. Dies zu verneinen wäre ein allzu unverschämter Hochmut. Wie kann also der Autor behaupten, dass man zu dieser Idee nichts mehr hinzufügen kann? Aus dem Gesagten ist klar ersichtlich, dass der Autor auf der Grundlage seiner eingebildeten Idee die Existenz Gottes nicht bewiesen hat. Allerdings, wenn ich mich nicht irre, liefert die wundersame Natur des menschlichen Geistes einen Gottesbeweis auf einer anderen Grundlage. Bekannt ist nämlich das Argument, mit Hilfe dessen man wegen des in allen Menschen angeborenen Wunsches nach ewigem Leben darauf hinzuweisen pflegt, dass die Hoffnung auf ein anderes Leben, das ewig und glücklich wäre, in jedem Menschen steckt. Dieser Wunsch ist ein allgemeiner und allen Menschen gemeinsamer. Somit also ist er durch die Natur gegeben und kann nicht vergeblich sein: Es kann nicht unmöglich sein, die begehrte Sache zu erreichen. Einen toten Menschen ins Leben zurückzurufen, ihn mit Unsterblichkeit zu beschenken (die allerlei andere berauschende Freuden mit sich bringt), kann ausschließlich die mächtigste Ursache bewirken. Diese Ursache ist entweder Natur oder eine andere, die außerhalb der Natur liegt. Die Natur ist diese Ursache nicht, wegen ihr sind wir nämlich sterblich und Unvollkommenheiten ausgesetzt. Es ist diejenige Ursache, die vollkommener als die Natur selbst ist, und diese nennt sich Gott.
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Vierte Meditation Über das Wahre und Falsche Unter Hintanstellung sonstiger Fragen der Vierten Meditation, gegenüber welchen man ganz begründete Zweifel haben könnte, möchte ich an dieser Stelle nur einige besprechen. Zunächst über die Ursache des Irrtums, die der Autor im Willen [voluntas] verortet: Woraus also – fragt er – entstehen meine Irrtümer? Offenbar nur daraus, daß der Wille sich weiter erstreckt als mein Verstand [intellectus] und daß ich ihn nicht auf dessen Reichweite einschränke, sondern auch auf das Nichterkannte ausdehne 92 Zum Schluss der Meditation heißt es dann: Diese Ursache kann gar keine andere sein als die oben entwickelte, denn so wie ich den Willen beim Urteilen derart zügele, daß er sich nur auf das erstreckt, was ihm der Verstand klar und deutlich aufweist, ist ein Irrtum gänzlich unmöglich.93 Anmerkung: Es ist zunächst falsch, dass der Wille eine größere Reichweite habe als der Verstand. Der Wille wählt, begehrt und vermeidet nichts, sofern der Verstand ihm nicht zeigt, dass etwas zu begehren oder zu vermeiden ist.94 Ferner vermischt er den Willen mit Urteilsvermögen. Die Philosophen unterscheiden doch gemeinhin zwischen zwei grundlegenden Vermögen des menschlichen Geistes: dem Verstand und dem Willen. Der Verstand umfasst: (1) das einfache Auffassen eines Dings, durch welche wir etwas ohne Behauptung oder Verneinung begreifen, (2) das Urteilen, bei dem wiederum zwischen zwei Tätigkeiten unterschieden wird: a) Mitteilen, wenn wir etwas behaupten oder verneinen, b) Schlussfolgern, wenn wir etwas annehmen und daraus etwas anderes herleiten. Diese Tätigkeiten des Geistes haben mit dem Willen nichts gemeinsam, der Wille kann zu ihnen gar nicht beitragen, bis zu dem Grad, dass wenn man einen Irrtum begeht, entspringt er dann ganz und restlos aus dem Verstand, der entweder falsch auffasst oder urteilt.95 Wenn man den Verstand also als etwas Be92 93 94
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Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 151. Ebenda, S. 157. Vgl. Gassendi: „Warum hast du dem Willen oder der Entscheidungsfreiheit keine Grenzen gesetzt, dafür aber dem Verstand? Tatsächlich scheint es, dass die beiden Vermögen so weit reichen, der Verstand in jedem Fall in nicht geringerem Maße als der Wille, wenn doch der Wille zu keinem Ding strebt, das vom Verstand zuvor nicht eingesehen wurde“. Einwände V Auch hier folgt Wolzogen Gassendis Gedanken: „[…] das Wesen des Irrtums […] scheint auf der Nichtübereinstimmung des Urteils mit dem Ding, über welches geurteilt wird, zu beruhen. Diese Nichtübereinstimmung ist zweifelsohne darauf zurückzuführen, dass der Verstand dieses Ding anders auffasst als es an sich selbst ist. Deshalb scheint es, dass die Schuld nicht von der Entscheidung dafür, dass sie inkorrekt urteilt, sondern vom Verstand dafür, dass er falsch vorstellt, getragen wird. Denn so scheint die Abhängigkeit der Entscheidung vom Verstand zu sein, dass wenn nur der Verstand etwas klar auffasst oder klar aufzufassen scheint, ergibt die Entscheidung
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gehrenswertes bevorzugt, dann begehrt der Wille mit und trachtet danach, es zu erreichen; wenn er vorgibt, dass man etwas vermeiden soll, dann meidet der Wille dies und weicht dem aus. Die Ursache des Irrtums steckt also nicht in dem Willen, sondern im Verstand, und das auf eigentliche Art und Weise, nämlich vor allem in dem Urteil, wenn es mit dem Ding nicht übereinstimmt, über welches das Urteil gefällt wird. Drittens ist diese Regel, die man zwecks Vermeidung von Irrtümern empfiehlt, dass nämlich beim Fällen von Urteilen der Wille so weit im Zaume gehalten werden muss, dass er lediglich das umfasst, was ihm der Verstand klar und deutlich vorstellt96, etc., diese Regel, sage ich, als eine allzu allgemeine findet keine praktische Anwendung bei der Wahrheitssuche, wenn man keine anderen Regeln oder Methoden angibt, welche die klare und deutliche [clare et distincte] Erkenntnis unterscheiden lässt. Die meisten Menschen sind nämlich davon felsenfest überzeugt, dass sie sie besitzen, obwohl sie in schwerwiegendste Irrtümer verwickelt sind. Von einer ähnlichen Methode in dem gesamten Gefüge dieser Meditationen sieht man jedoch keine Spur, auf der man sicheren Schrittes schreiten könnte. Beim Fällen von Urteilen begeht man meistens Irrtümer bei wahrscheinlichen Dingen, am seltensten aber bei den Dingen, deren Wahrheit wir aus sicheren und angeborenen Prinzipien durch das Ziehen von notwendigen Schlussfolgerungen herleiten können. Es kommt daher selten vor, dass sich ein gar durchschnittlicher Kenner reiner Mathematik irrt, wenn er es dennoch bei irgendeiner Sache tut, so kann man ihm mit solcher Eindeutigkeit seinen Irrtum nachweisen, dass er ihn, auch wenn er es nicht wollte, eingestehen müsste. Bei wahrscheinlichen Dingen wiederum gibt es eine große Vielfalt an Urteilen, so dass was den einen als absolut selbstverständlich und gewichtig vorkommt, den anderen als dunkel und für die Erzwingung des Einverständnisses als völlig unbrauchbar erscheint. Als Beispiel möge eben die Philosophie des Autors dienen, die, daran zweifle ich nicht, mit einem weitaus geringerem Beifall von Seiten der Gelehrten aufgenommen wird, als er es sich erhofft hat. Was mich angeht, so gestehe ich die Schwäche meines Urteilsvermögens frei, da ich – obwohl ich die Kraft meines Geistes, soviel sie im menschlichen Vermögen liegt, anstrenge – doch keine Überzeugung von der Beweiskraft dieser Ausführungen erlangen kann, die der Autor für sosehr unübertroffen hält, dass er nicht glaubt, der menschliche Geist könnte auf irgendeinem anderen Wege Beweise finden, die treffender und plausibler wären. Die höchste Kraft und Vollkommenheit des menschlichen Urteilsvermögens zeigt sich übrigens bei den Dingen, die eher auf der Wahrscheinlichkeit basiert sind als auf unumstößlichen Beweisen. Auf diesem Felde erlangt man am ehesten die Ehre der Weisheit und Besonnenheit und daraus entspringt der größte Nutzen im ganzen Leben, nicht nur für die Bürgergemeinschaft, sondern auch bei der Frage der Erlösung.
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dann ein sicheres Urteil […] gleichgültig, ob das in Wirklichkeit wahr ist oder so zu sein scheint“. Einwände V Aus der Vierten Meditation. Die Passage ist nicht wortgetreu.
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Was ist wunderlich daran, wenn jemand sagt, dass zum Beispiel drei Winkel des Dreiecks zwei rechten Winkeln gleich sind, und dass Quadrat der Hypotenuse den Quadraten der Katheten gleich ist, wenn der Beweis so klar ist, dass sogar jemand, der schlummert, die Wahrheit ertasten wird? Durch eigenen Scharfsinn aber das Gerechte und das Ungerechte, das Edle und das Verwerfliche, das Wahrscheinlichere und das weniger Wahrscheinliche zu erkennen, ganz hinterlistige Absichten anderer, ihre Intrigen und Machenschaften zu durchschauen, mit besonderer Vorsicht unzählige Fälle von Hinterlist und menschlichem Verrat zu verhindern, mit Umsicht Ereignissen auszuweichen, die nur mit einem Wahrscheinlichkeitskalkül vorhergesehen werden können, ferner, was noch gewichtiger ist, die vorgesehenen und wohl nur mit der Sehkraft eines Adlers ermittelbaren Wege der göttlichen Vorsehung genau zu untersuchen, auf denen sie seit Anbeginn der Welt sowohl ihre Herrlichkeit offenbart wie auch für das Wohl des menschlichen Geschlechts sorgt – erst ein solch exzellentes und scharfsinniges Urteilsvermögen verdient die Ehre. Dieser Ehre und dieses Nutzens entledigen sich jedoch selbst und legen ein Zeugnis ihres schwachen Urteilsvermögens all diejenigen ab, die sich eigener Meinung bei allem enthalten, was nicht auf dem selbstverständlichen und greifbaren Beweis basiert ist – jene also, die jeglichen Glauben aus der Welt und mit ihm auch jeden Nutzen aus der Geschichtswissenschaft, einen Großteil der Medizin, alle Liebe, die zwischen Eltern und Kindern besteht, und die bewirkt, dass wir uns gemeinsam respektieren, und endlich auch die göttliche Weisheit selbst sowie die Gewissheit über künftiges Leben, das vor allem durch die Auferstehung Jesu gebürgt ist, vertreiben wollen. Die größte Auszeichnung für die sehr ehrenvolle Arbeit verdienen daher diejenigen, die so sehr eine sichere Methode für die Unterscheidung des Wahren vom Falschen oder der wahrscheinlicheren Wahrheit von der weniger wahrscheinlicheren den unmündigen Geistern liefern und den Weg zur zumindest teilweisen Beilegung und Milderung verhängnisvoller Auseinandersetzungen innerhalb der Religion und zur Wiederherstellung des Friedens in der Kirche Christi ebnen wollen.97 Diese Mühe ist auch Gott lieb und durch die Ursache seiner göttlichen Gnade wird sie nicht ganz in der Sache umsonst sein, deren schon überall verstreute Saaten derjenige erblicken kann, der mit dem vom Aberglauben befreiten Geist den neuesten Streitigkeiten zusieht, die um den Glauben geführt werden.
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Wolzogen verweist an dieser Stelle auf die Bemühungen der Polnischen Brüder, die sowohl auf eine Wiedervereinigung unterschiedlicher Konfessionen, als auch auf die Wiederherstellung des Friedens in der christlichen Welt durch Beseitigung der Intoleranz abzielten.
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Fünfte Meditation Vom Wesen der materiellen Dinge, und nochmals von der Existenz Gottes [Die Fünfte Meditation entfällt nach Original.]
Anmerkungen zu den metaphysischen Meditationen von René Descartes
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Sechste Meditation Vom Dasein der materiellen Dinge und von der realen Verschiedenheit des Geistes vom Körper Nach Auslassung der Fünften Meditation, die gewisse Zweifel erhebt, welche sich von denen, die in den vorigen Meditationen behandelt wurden, kaum unterscheiden, eile ich die letzte zu behandeln. Der Autor entwickelt darin die zweite Hauptthese, die er sich zu beweisen vorgenommen hat, nämlich die These von der realen Verschiedenheit des Geistes vom Körper. Dem Hauptbeweis gehen zwei Ausführungen des Autors voraus: Die erste über den Unterschied zwischen dem Verstand und der Vorstellungskraft, der zweite über Sinnestäuschungen. Über das letztere Thema haben wir bei den Anmerkungen zu der Ersten Meditation genug gesagt. Zu dem ersteren Thema werde ich an dieser Stelle einige Anmerkungen machen, die in ihrem Inhalt nicht so schwer zu verstehen sein werden. Der Autor sagt also: [Ich] prüfe zunächst den Unterschied zwischen dem bildlichen Vorstellen und dem reinen Erkennen Stelle ich mir z B ein Dreieck bildhaft vor, so sehe ich nicht nur ein, daß dies eine von drei Linien eingeschlossene Figur ist, vielmehr schaut zugleich auch mein geistiges Auge jene drei Linien an, als ständen sie vor mir, und dies nenne ich bildlich vorstellen Will ich mir aber ein Tausendeck denken, so erkenne ich es als eine aus tausend Seiten gebildete Figur, wie ich das Dreieck als dreiseitige Figur erkenne; ich kann mir die tausend Seiten aber nicht auf die gleiche Weise bildhaft vorstellen oder als gegenwärtig anschauen, etc. Und ferner: So wird mir offenbar, daß zum bildlichen Vorstellen eine besondere Geistesanstrengung erforderlich ist, deren ich beim Erkennen nicht bedarf.98 Anmerkung: Es scheint, dass der Autor ein zuverlässiges Kriterium angibt, durch welches das Vorstellen von dem Erkennen unterschieden werden kann. Dieses Kriterium, erklärt am Beispiel mit dem Dreieck, welches man sich deutlich vorstellen und verstehen kann, und am Beispiel des Tausendecks, welches wir zwar deutlich auffassen, aber uns nicht vorstellen können, besteht, wie der Autor betont, darin, dass man für das Vorstellen von Etwas einer besonderen Geistesanstrengung bedarf, die der Verstand nicht nötig hat. Der Autor benennt jedoch keine Ursache dafür, warum die Vorstellungskraft nicht über dasselbe Vorstellungsvermögen in Bezug auf ein Tausendeck verfügen sollte wie es in Bezug auf ein Dreieck der Fall ist. Wenn der Geist, sobald er an ein Tausendeck denkt, versucht, sich es vorzustellen, so strengt er sich in demselben Maße an, wie wenn er an ein Dreieck denkt, obwohl das Bild von einem Tausendeck aufgrund der hohen Anzahl an Ecken weniger klar ist als das von einem Drei-
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Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 177 u. 179.
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eck 99 Der Autor liefert also keinen Beweis dafür, dass durch den Verstand eine klarere und deutlichere Einsicht gegeben ist als durch die Vorstellungskraft. Die Behauptung des Autors, dass er es genauso gut einsieht, dass ein Tausendeck tausend Ecken hat wie das, dass ein Dreieck drei Ecken hat, legt nahe, dass er nicht die Figur, sondern nur die Bedeutung des Wortes, also die Etymologie100 auffasst; anders ausgedrückt legt dies nahe, dass er über das grammatische und nicht das mathematische Wissen von dem Dreieck verfügt. Ein Tausendeck aufzufassen bedeutet seine tausend Ecken und Winkel deutlich zu begreifen. Dass dies deutlicher und vollkommener durch den Verstand als durch die Vorstellungskraft verwirklicht wird, sollte aufgezeigt und nachgewiesen werden, dass diese Idee, also das Bild von einem Tausendeck, das, wie der Autor behauptet, ohne Zuhilfenahme der Vorstellungskraft in seinem Geist existiert, klarer und deutlicher ein Tausendeck darstellt als ein Bild, das durch den Geist mit Hilfe der Vorstellungskraft erzeugt wurde. Ich bin sicher, dass der Autor hier keinen Unterschied nachweisen wird. Ein deutliches Bild von einem Ding ist nämlich eines, das Teile dieses Dings deutlich und separat darstellt; ein solches Bild ist aber kein Bild von einem Tausendeck, auf welche auch immer Art und Weise es durch den Geist erzeugt wird, ob mit Hilfe des Verstandes oder der Vorstellungskraft. Nach diesen Präliminarien macht sich der Autor bereit, den Hauptbeweis für die Existenz des Geistes, der vom Leib verschieden ist, durchzuführen. Er sagt: Erstens weiß ich, daß alles, was ich klar und deutlich einsehe, von Gott so geschaffen sein könnte, wie es sich mir darstellt; wenn ich daher ein Ding klar und deutlich ohne ein anderes zu erkennen vermag, so genügt dies, um mich zu vergewissern, daß die beiden wirklich verschieden sind, da sie wenigstens jedes für sich von Gott gesetzt werden können Es kommt nicht darauf an, wodurch die Unterscheidung möglich wird Ich weiß von meiner Existenz und schreibe gar nichts anderes meiner Natur oder meinem Wesen zu, als daß ich ein denkendes Ding sei; daraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein Zwar habe ich vielleicht (bald werde ich sagen können: gewiß) einen Körper, mit dem ich aufs innigste verbunden bin Denn einerseits habe ich doch eine klare und deutliche Vorstellung meiner selbst, sofern ich lediglich denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin; anderseits habe ich eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er lediglich ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist 101 Anmerkung: Es kommt nicht darauf an, ob der Geist in seiner Substanz in einem dicken und berührbaren Leib präsent ist, sondern einfach darauf, ob er unkörperlich
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Die kursiv markierten Wörter sind eine Zusammenfassung von Descartes' Ausführungen in der Sechsten Meditation. 100 Vgl. Gassendi: „[…] dir ist wohl bewusst, dass mit „Tausendeck“ eine Figur mit tausend Ecken gemeint ist, es ist jedoch die Kraft der Bezeichnung, denn aus diesem Grund begreifst du die tausend Ecken in dieser Figur nicht besser als du sie dir vorstellt. Einwände V 101 Descartes, Rene: Meditationes de Prima Philosophia Meditationen über die Erste Philosophie, S. 189.
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und nicht ausdehnbar ist.102 Obgleich man leicht zustimmen kann, dass der Geist keine Knochen und Körper, keine Muskel, Nerven o. Ä. hat, bleibt es dennoch umstritten, ob er nicht außerordentlich feiner Dunst, Luft oder Äther ist, der diesen dicken Körper durchdringt. Der Autor bestreitet dies und spricht dem Leib jede Ausdehnung ab. Was die Argumentation anbelangt, mit der er seine These verteidigt, so schöpft diese ihre ganze Kraft aus dem folgenden Axiom: Dinge, die wir mit Hilfe unterschiedlicher Begriffe erkennen, sind im Grunde unterschiedlich und verschieden. Die Falschheit dieses Axioms wird durch zahlreiche Beispiele deutlich. Erkennen wir doch nicht unterschiedlichste Eigenschaften, Attribute, Merkmale und Arten von Körpern mit Hilfe unterschiedlicher Begriffe, von denen man aber in der Tat nichts vom Subjekt trennen kann? Mit diesem Einwand traten auch andere gegen den Autor auf, die gegen die Meditationen zu der Feder griffen, so unter anderem der Autor der Ersten Einwände.103 Nach Vorstellung der doppelten – formalen und realen – Differenz, die er Duns Scotus entnahm, behauptet er wie ebenjener, dass die formale und objektive Differenz ausreicht, um ein Ding als unterschiedlich und verschieden von dem anderen zu begreifen. Daraus zieht er den Schluss, dass, obgleich man den Geist als denkendes Ding als unterschiedlich und verschieden von einem körperlichen Subjekt denken mag, daraus nicht folgt, dass er von jedem körperlichen Subjekt real unterschiedlich ist. Die doppelte Differenz verwirft der Autor zwar nicht, wenn er sagt: die formale oder modale Differenz besteht zwischen unvollständigen Entitäten, in Bezug zu denen es ausreicht, eines als deutlich verschieden und distinkt von dem anderen durch die Abstraktion des Verstandes zu begreifen, der das Ding inadäquat (er will sagen: unvollständig) auffasst. Die reale Differenz besteht wiederum zwischen vollständigen Entitäten, die wir als derart verschieden und distinkt auffassen, dass wir „jede von ihnen als ein Sein in sich selbst eingeschlossen und von jedem anderen Sein verschieden verstehen“.104 Indem er diese Angelegenheit am Beispiel der Gestalt und Bewegung (das hier schlecht angewendet wurde) erläutert, beweist er, dass der Körper und Geist vollständige Substanzen seien, und zwar zu dem Zwecke, um auf dieser Grundlage eine Schlussfolgerung über ihre reale, aber nicht formale Differenz ziehen zu können. Und doch – sagt er – begreife ich ganz, was der Körper ist, indem 102
Gassendi: „Ich wiederhole, dass sich die Schwierigkeit nicht darauf bezieht, ob du vom Körper abgetrennt werden kannst […], sondern vom Körper, der du selbst bist“. Einwände V 103 Caterus machte Descartes auf die Unterscheidung von Duns Scotus (1270–1308) aufmerksam: „Dieser sagt: damit zwei Dinge als deutlich verschieden und distinkt aufgefasst werden können, reicht die Differenz, die er als formal und objektiv bezeichnet, und die er zwischen der realen und gedanklichen Differenz mittig verortet. Auf diese Weise unterscheidet er die Gerechtigkeit Gottes von Seiner Barmherzigkeit, er behauptet nämlich, dass schon vor jeglichem Tätigsein des Verstandes die Dinge verschiedene formale Wesen haben, so dass einer von diesen Gegenständen nicht der andere ist. Es folgt daraus aber nicht, dass man die Gerechtigkeit von der Barmherzigkeit separat auffassen kann, das sie also separat existieren“. Einwände I 104 Kursiv markierter Text ist eine Zusammenfassung der Ausführungen Descartes' in seinen Erwiderungen auf die Einwände I.
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ich nur behaupte, dass er ausdehnbar ist, eine Gestalt hat, bewegungsfähig ist, usw , und indem ich in Bezug auf ihn all das bestreite, was zur Natur des Geistes gehört Umgekehrt begreife ich, dass der Geist ein vollständiges Ding ist, das zweifelt, erkennt, will, etc , obwohl ich bestreite, dass in diesem Ding irgendetwas von dem existiert, was in der Idee des Körpers enthalten ist So könnte es gar nicht sein, wenn zwischen dem Geist und dem Körper keine reale Differenz bestünde.105 Anmerkung: Dies bedeutet: Um den Begriff vom Körper zu haben ist das Denken, das eine Eigenschaft des Geistes ist, nicht notwendig, und für den Begriff des Geistes ist die Ausdehnung, die dem Körper eigen ist, unnötig. Somit sind Geist und Körper zwei unterschiedliche vollständige Substanzen; sie unterscheiden sich real voneinander. Eine solche Antwort räumt aber die Zweifel nicht aus. Der Begriff nämlich, mit dessen Hilfe der Geist nur als denkendes Ding begreift, ist kein vollständiger Begriff des Geistes, da er nur das Denken umfasst, das ein Vermögen oder auch eine Folge irgendeines Dinges ist. Wie aber dieses Ding beschaffen ist, ob es körperlich oder nicht körperlich ist, weiß der Autor nicht oder nimmt bestenfalls frei und ohne Beweis an, es sei nicht körperlich. Aus diesem Begriff kann man also noch nicht schlussfolgern, dass der Geist ein vollständiges Ding sei, also von allen Körpern real verschieden. Diese Schlussfolgerung hat aber einen ähnlichen Sinn, als wenn jemand sagte: Ich begreife den Geist ausschließlich als ein denkendes Ding und kann nicht sehen, dass zu diesem Begriff auch noch die Ausdehnung gehören sollte. Der Geist als denkendes Ding ist also nicht ausdehnbar. Dieser Schluss ist genauso wahr wie der, den ich ziehen würde, wenn ich sagte: ich begreife einen vorbeigehenden Menschen, sehe aber nicht ein, dass zu diesem Begriff Fettleibigkeit gehören sollte. Somit ist der vorbeigehende Mensch nicht fettleibig. Es folgt doch nicht, dass er überhaupt nicht fettleibig ist. In der Schlussfolgerung des Autors steckt somit offensichtlich ein Sophismus, den die Logiker als ein Übergehen von einer wahren Aussage in Bezug auf etwas zu einer per se wahren Aussage bezeichnen.106 Ferner, da der Autor meinte, dass er versteht, dass der Geist ein vollständiges Ding ist, der zweifelt, räsoniert usw., wird es nicht verkehrt sein, diese Äußerungen zu untersuchen, in denen er bei der Erwiderung auf die Vierten Einwände erläutert, was er unter einem vollständigen Ding versteht. Er sagt also: Man kann hier aber mit Recht fragen, was ich unter dem vollständigen Ding verstehe und wie ich beweisen will, dass es für die reale Differenz langt, wenn zwei Dinge als vollständige Dinge separat aufgefasst werden.107 Es scheint, dass sich der Autor sehr allgemein und vorsichtig ausdrückt. Wenn man nämlich einen eindeutigen Beweis liefert, dass zwei Dinge vollständig sind, dann wird 105 Erwiderungen auf die Einwände I. 106 Dieser logische Fehler entsteht dann, wenn man eine auf bestimmte Fälle beschränkte Behauptung so verwendet als wäre sie ohne diese Beschränkung wahr. 107 Erwiderungen auf die Einwände IV.
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es keine Zweifel darüber geben, dass sie real verschieden voneinander sind. Wenn ich mich aber nicht irre, so scheint es mir nicht, dass der Autor beweisen wollte, der Körper und Geist seien tatsächlich zwei vollständige Dinge, und nicht nur, dass man sie als vollständig versteht. Dies beweist jedoch die reale Differenz nicht. Man kann nämlich mittels der Abstraktion eine unzählige Menge an Dingen als vollständig begreifen, die aber in Wirklichkeit nicht vollständig, mithin real nicht verschieden voneinander sind. Auf die erste Frage antworte ich hiermit, dass ich unter dem vollständigen Ding nichts anderes verstehe als eine Substanz, die mit solchen Formen, also Eigenschaften, ausgestattet ist, dass man auf dieser Grundlage erkennen kann, dass dieses Ding eine Substanz ist 108 Anmerkung: Seltsam ist diese Definition von der vollständigen Substanz, für die man bei der Begriffsbestimmung der Gattung Eigenschaften der Art anführt. Wenn das, was der Autor angibt, das Kriterium für eine vollständige Substanz sein soll, dann frage ich mich, worauf der Unterschied zwischen einer vollständigen und unvollständigen Substanz beruhen soll? Die obige Begriffsbestimmung der vollständigen Substanz durch den Autor ist überhaupt nicht zutreffender als die, die jemand liefern würde, der den Menschen zu definieren hätte, und behauptete, dass der Mensch lediglich als ein Tier ausgestattet mit Formen, also mit ausreichenden Eigenschaften, zu begreifen sei, um ihn auf dieser Grundlage als Tier zu erkennen – dass es also für das Erkennen des Menschen ausreichen würde zu sagen, dass er ein Tier ist. […] die Substanz erkennen wir doch nicht direkt, wie das an einer anderen Stelle gesagt worden ist, sondern nur auf dieser Grundlage, dass wir gewisse Formen, also Eigenschaften, sehen; diese sollten, sofern sie bestehen sollten, einem bestimmten Ding eigen sein – das Ding, dem sie eigen sind, nennen wir Substanz Wenn wir dann ebendiese Substanz von Eigenschaften bereinigen, auf deren Grundlage wir sie erkannten, dann richten wir unsere ganze Kenntnis von ihr zugrunde So könnten wir zwar gewisse Worte über sie sagen, aber nicht solche, deren Bedeutung wir klar und deutlich erkennen würden 109 Anmerkung: Der Autor behauptete zum Schluss der Zweiten Meditation anders, wo er sagte, dass er reines Wachs ohne Formen und Eigenschaften wahrlich vollkommener und deutlicher begreife als mit all den Formen und Eigenschaften, die Veränderungen unterliegen, während die Substanz des Wachses unverändert bleibe. Ich weiß wohl, dass manche Substanzen umgangssprachlich unvollständig genannt werden Wenn man sie aber als unvollständig bezeichnet, dass sie also an sich nicht existieren können, dann gestehe ich, dass es mir widersprüchlich erscheint, dass sie Substanzen, also Dinge, die an sich existieren, und gleichzeitig unvollständig, also unfähig zum selbstständigen Dasein, sein können Man kann aber von unvollständigen Substanzen auf andere Art
108 Ebenda. 109 Ebenda.
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und Weise sprechen, dass es nämlich in ihnen nichts Unvollständiges gibt, sofern sie Substanzen sind, insofern, wie sie sich auf eine andere Substanz beziehen, wenn sie zusammen etwas bilden, was an sich eins ist [qua unum per se componunt] Auf diese Weise ist die Hand eine unvollständige Substanz, wenn man sie auf den ganzen Körper bezieht, dessen Teil sie ist Sie ist aber eine vollständige Substanz, wenn wir sie separat betrachten Genauso auch Geist und Körper: Wenn man sie auf den Menschen bezieht, den sie bilden, dann sind sie unvollständige Substanzen Sie sind jedoch vollständige Substanzen, wenn man sie separat betrachtet 110 Anmerkung: Merkwürdiger Kunstgriffe bedient sich der Autor, um das Hindernis zu überwinden. Die Frage lautet: Ist der Geist körperlich oder nicht? Der Autor behauptet, er sei nicht körperlich, weil er ihn als ein denkendes und auch vollständiges Ding begreift. Man hat ihm vorgeworfen, dass ebensolches Wissen inadäquat sei, denn dieses Wissen sei lediglich die Kenntnis von Eigenschaften, nicht aber von dem Subjekt selbst, um welches der Streit vor sich geht, wie es ist: körperlich oder nicht körperlich. Ähnlich inadäquat ist der Begriff bzw. die Auffassung [conceptus vel noticia], wenn ich sage, dass die Kuh ein brüllendes Tier sei. In diesem Begriff ist nämlich nur die Kenntnis von dem Brüllen enthalten, nicht aber von dem Subjekt, über welches ich noch nicht weiß, ob es ein Rind, ein Löwe oder ein Hund ist. Die Ausführungen des Autors über die vollständige und unvollständige Substanz haben also mit dem Thema überhaupt nichts zu tun. Er scheint nämlich nur beweisen zu wollen, dass der Geist, der an sich und vom Körper losgelöst gedacht wird, eine vollständige Substanz ist, was jedoch gegenwärtig niemand bestreitet. Wenn wir dem nämlich sogar zustimmen (obwohl es falsch ist), dann wird die Hauptfrage, ob der Geist körperlich oder unkörperlich ist, immer noch ungelöst bleiben. Die Bezeichnung „vollständig“ oder „unvollständig“ hängt gänzlich vom Verhältnis zu etwas anderem als dem Ganzen ab, wegen welchem eine Substanz als vollständig oder unvollständig bezeichnet wird. Davon abgesehen pflegte man die Substanz doch nicht als vollständig oder unvollständig zu bezeichnen. Die Philosophen bezeichnen vollständige und unvollständige Substanzen auf die Art und Weise, dass sie mit der vollständigen Substanz diejenige bezeichnen, die dazu bestimmt ist, ein realer konstitutiver Bestandteil einer anderen Substanz zu sein, und die selbst keines anderen Dings für die eigene Vollständigkeit und Vervollkommnung bedarf. Mit einer unvollständigen Substanz sieht die Sache anders aus und demgemäß behaupten die Philosophen, dass die vollständige Substanz als ein Ganzes, die unvollständige Substanz wiederum als ein Teil existiert. Der Baumstamm ist zum Beispiel keine vollständige Substanz, ein ganzer Baum ist aber eine. Im Verhältnis zum Baum ist ein Ast eine unvollständige Substanz, im Verhältnis zu kleineren Ästen, die aus ihm erwachsen sind,
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ist der Ast aber eine vollständige Substanz. Und das nur, solange diese Äste an einem größeren Ast wachsen, dieser wiederum am (natürlich lebendigen) Baum wächst, dessen realer Bestandteil er sein soll. Ein vom Baum gefällter Ast verdient jedoch weder den Namen der vollständigen noch unvollständigen Substanz, da er in einem Zustand ist, in dem das Ganze nicht vervollständigt ist. Genauso die kleinen Äste, die an einem größeren Ast, der vom Baum abgeschnitten wurde, wachsen, sind keine unvollständigen Substanzen, da auch wenn sie eine Vervollständigung jenes größeren Astes darzustellen scheinen, doch den Baum selbst nicht vervollständigen können, was aber vor allem ihre Aufgabe wäre. Ähnlich ist der Mensch eine vollständige Substanz, der Körper und Geist wiederum sind unvollständige Substanzen, wie der Autor selbst zugibt. Der Körper ist eine vollständige Substanz im Verhältnis zu den Gliedmaßen, zum Beispiel im Verhältnis zu der Hand, die eine im Verhältnis zum Körper unvollständige, im Verhältnis zu den Fingern aber vollständige Substanz ist. Und das ist so, solange das konstitutive Ganze, also der Mensch, nicht in Teile zerlegt wird. Nach Auflösung der Verknüpfung von Körper und Seele [animus] sind weder der Körper noch die Seele sich vollständige Substanzen an. Insbesondere ist es nicht ihre Aufgabe, reale Bestandteile des Menschen zu sein. Der Körper aber wird zur Leiche, die bald zersetzt und zur Asche wird, die Seele bleibt eine Art Substanz (körperlich oder nicht körperlich – dies wurde vom Autor bislang nicht geklärt), die der Vollkommenheit nunmehr beraubt ist, es sei denn sie wird sich mit einem neuen Körper verbinden. Falsch ist also die Behauptung des Autors, dass es in Substanzen, sofern sie Substanzen sind, nichts Unvollständiges gibt, das heißt, dass sie alle vollständig seien, und dass die Hand separat begriffen, also als vom Körper losgelöst gedacht, eine vollständige Substanz sei. Der Zustand einer vollständigen Substanz ist nämlich umso vollkommener als der von einer unvollständigen Substanz, sofern das Ganze den Teil überragt, und das, was vollkommen ist, das überragt, was unvollkommen ist. Darauf verweisen schon die Bezeichnungen „vollständig“ und „unvollständig“, die etwas Vollkommenem respektive Unvollkommenem entsprechen. Wenn also die Hand, die mit dem lebendigen Körper verwachsen ist, keine vollständige Substanz ist, so ist sie eine Hand, die vom Körper abgetrennt wurde, umso weniger, da die mit dem lebendigen Körper verknüpfte Hand als Glied, d. h. Teil des Körpers mit ihm das Wunder und die Größe eines Naturwerks teilt. Ohne sie ist der Körper selbst ein Krüppel. Eine abgeschnittene Hand weist jene Größe nicht mehr auf und ist keine Hand mehr, sondern ein totes Ding, das für eine Zeit die Gestalt der Hand behält, dann aber zur modrigen Erde wird. Ähnlich die Seele, denn ihre Aufgabe ist es ein realer Bestandteil des Menschen zu sein. Im Verhältnis zu ihm ist sie ein Teil, keine vollständige Substanz und wird es umso weniger sein, wenn man sie von dieser Aufgabe losgelöst betrachtet. Vom Körper getrennt erscheint die Seele in einem weitaus unvollkommeneren Zustand als sie es in Verknüpfung mit dem Körper ist. Die Zersetzung eines natürlichen Gebildes (das ist eines Naturwerks) führt eine Unvollkommenheit nicht nur zu dem Ganzen, sondern auch zu dem Teil herbei. Davon zeugt nicht nur die angeborene Abneigung zu einer solchen Trennung
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der Seele vom Körper, die sogar vernunftlosen Tieren durch die Natur eingeimpft ist, sondern auch die Lage und der Zustand in jenem künftigen Leben, wenn sich nackte Seelen nicht eines glücklichen Lebens erfreuen, sondern vielmehr in neue unverderbliche Körper gekleidet sein werden, von denen sie sich für Jahrhunderte nicht trennen werden, damit die Unvollkommenheit, die den beiden Teilen durch den Tod gebracht wurde, überwunden wird, und das, was getrennt wurde, aufs Neue zusammengefügt werden kann. Daraus folgt eine weitere selbstverständliche Schlussfolgerung: Auch wenn wir dem voll zustimmten, dass der Geist eine unkörperliche und rein spirituelle Substanz ist, kann er doch ohne die Organe des Körpers nicht denken, begreifen, schlussfolgern und keine anderen Tätigkeiten ausüben. Eine zu solchen Tätigkeiten fähige Substanz ist eine vollständige Substanz, die keines Körpers bedarf – mehr noch, sie ist eine Person, die vollkommener und großartiger ist als die menschliche Person. Wenn sie durch die Natur dazu bestimmt ist, den menschlichen Körper zu vervollständigen, damit dieser eine vollkommene Person darstellt, dann ist es klar, dass sie ohne den Körper für die Ausführung der Tätigkeiten, die den Personen eigen sind im Körper ausgeübt werden, nicht fähig wäre. Die Verknüpfung der Substanz mit dem Körper, zumal mit jenem himmlischen Körper, mit dem sie sich eines Tages kleiden wird, hätte keinen Zweck, wenn sie ohne ihn eine durch und durch vollständige Person wäre. Ich mache hier Schluss. Es sei mir noch erlaubt beiläufig zu erwähnen, dass der Autor mehrmals sowohl in den Meditationen selbst, also auch in seinen Erwiderungen darauf besteht, dass der Geist unteilbar ist, und dass man nie von irgendeinem Philosophen gehört hätte, dass man den Geist in zwei- oder dreifach teilen könne. Man kann daraus, wie er behauptet, mit klarer Sicherheit schlussfolgern, dass der Geist nicht körperlich sei. Gleichwohl ist das Wort „Geist“ zweideutig. Wenn man nämlich den „Geist“ (wie es gewöhnlich Philosophen tun) im Sinne eines Vermögens der menschlichen Seele [animus] versteht, die man gemeinhin als „höheres Vermögen“ bezeichnet, also als Verstand und Willen im Unterschied zu dem so genannten „niedrigeren Vermögen“, das begehrlich [appetitio] ist111, so unterliegt es keinem Zweifel, dass der Geist unteilbar ist. Die Teilung im eigentlichen Sinne dieses Wortes betrifft nämlich die Menge, nicht die Qualitäten, auf die sich die besagten Vermögen beziehen. Wenn man aber mit „Geist“ die Substanz oder das Subjekt selbst meint, das über das Vermögen des Denkens und Wollens, das heißt über die menschliche Seele selbst verfügt, dann ist die Behauptung, dass der Geist teilbar sei, so lange absurd bis man beweist, dass er nicht körperlich ist.
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Schon Platon unterschied im Menschen zwischen der vernünftigen und der sinnlichen Seele und nur die erstere hielt er für vom Körper unabhängig, nicht zusammengesetzt und unsterblich. In der christlichen Philosophie werden anstatt der separaten Seelen einzelne Vermögen der Seele angenommen und es wird gewöhnlich von dem Verstand und dem Willen das niedere Vermögen, die Begehrlichkeit, unterschieden.
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Ludovici Wolzogenii Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartis Faksimile des lateinischen Textes in der Edition von Ludwik Chmaj (nach dem Text der Bibliotheca fratrum Polonorum)
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Bibliographie Archivalische Quellen Mark Greengrass, Michael Leslie, Michael Hannon (Hg.): The Hartlib Papers. Sheffield 2013. https://www.dhi.ac.uk/hartlib/view?docset=main&docname=28_02_12 (19.1.2021). Darin Hans Ludwig v. Wolzogens Briefwechsel mit Samuel Hartlib, John Pell und anderen. Archiv der Franckeschen Stiftung zu Halle (Studienzentrum A. H. Francke), Sign. AFSt/H B 17b: Briefwechsel des Johann Permeier mit Hans Ludwig von Wolzogen und der Wolzogen’schen Familie. Östereichische Nationalbibliothek (ÖNB): Briefwechsel Hans Christoph I. Freiherren von Wolzogen und Neuhaus mit dem Kardinal Dietrichstein (ehem. Freiherrlich von Wolzogen’sches Familienarchiv). London, British Museum, ms Sloane 652, fol. 100r u. 100v: Wolzogens Magnum Opus Mathematicum.
Gedruckte Quellen a) Schriften Wolzogens (vgl. die Liste Alfred v. Wolzogens) Johannis Ludovici Wolzogenii [Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus] Baronis Austriaci, Opera Omnia, Exegetia, et Polemica. Quorum Seriem versa pagina exhibet. Cum indicibus neccessariis. Irenopoli Post annum Domini 1656 [= 1668]. Bibliotheca Fratrum Polonorum [4 Ausgaben mit variierenden Titelblättern], [Tom. VIII der Gesamtausgabe, Tom. I der Wolzogenschen Opera Omnia], 1038 fol. [Exempl. der Biblioteka Śląska, Katowice]. Johannis Ludovici Wolzogenii [Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus] Baronis Austriaci, Operum Tomus Alter. Complectens reliqua ipsius scripta Didactica, et Polemica. Irenopoli, Post annum Domini 1656 [= 1668]. Bibliotheca Fratrum Polonorum [4 Ausgaben mit variierenden Titelblättern], [Tom. IX der Gesamtausgabe, Tomus Alter (II = 356 fol. und III = 140 fol.). In III, beginnend mit einer neuen Paginierung, S. 79–89: In Meditationes, Metaphysicas, R. C. Breves Annotationes [im Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek der Zwischentitel: Ludovici Wolzogenii Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartes. Irenopoli Post anno Domini 1656]. [hier Exempl. der Biblioteka Śląska, Katowice]. [Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus:] Breves L. W. in Meditationes Metaphysicas Renati Cartesii Annotationes. Amstelaedami, Apud Johannem Henrici. 1657. 34 fol. [Separatausgabe, Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen].
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Joh. Ludwig von Wolzogen Freyherrn von Newhäusel [= zu Neuhaus] in Oesterreich: Christliche Unterweisung / Wie diejenigen Oerter H. Schrifft Alten und Neuen Bundes / welche die heutige Christen ins gemein zu Behaubtung der drey Persönlichkeit des Einigen und allein wahren GOttes mißbrauchen / Schrifftmäßig zu verstehen seyn. Allen die den Herrn JESum in Unverweßlichkeit lieb haben zur Erbauung gegeben, Im Jahr 1684. [Herausgegeben von G. T.; noch Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich das Ms. dieser Schrift in einem Quartband von 541 Seiten im Besitz der Königlichen Universitätsbibliothek zu Breslau]. Hans Ludwig Freiherr von Wolzogen: Brevissima Epistola Judae expositio. In: Elemér Lakó (Hg.): The Manuscripts of the Unitarian College of Cluj/Kolozsvár in the Library of the Academy in Cluj-Napoca, Bd. 1: Catalogue. Szeged 1997, S. 16, Nr. 35/B: „Wolzogen, Johann Ludwig: Brevissima Epistola Judae expositio. Latin; end of 17th c.; P[ossessor]: KUF [Unitarian College and Library in Cluj], pp. 111–136 (p. l.; pp. 129–136 blank); 155×105; vellum; a fragment.“
b) Neuere Editionen Wolzogens Jan Ludwik Wolzogen: Uwagi Do Medytacji Metafizycznych René Descartes’a. / Iohannis Ludovici Wolzogenii: Annotationes in Meditationes Metaphysicas Renati Des Cartes (Irenopoli 1656). Przelozyl Leon Joachimowicz, Przeklad przejrzala Daniela Gromska, wstepem i przypisami opatrzyl Ludwik Chmaj. Panstwowe Wydawnictwo Naukowe (Biblioteka Klasykow Filozofii). Warszawa 1959. Elisa Angelini (Hg.): Johannes [sic!] Ludwig Wolzogen: Annotationes in meditationes metaphysicas Renati Des Cartis, Edizioni di Storia e Letteratura. (Collana Sociniana – Temi e Testi 104). Roma 2012.
c) Quellen zur Biographie [Stammbuch des Balthasar Schönberger von Steinfeld:] Germanisches National-Museum Nürnberg (Hg.): Die Handschriften des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Bd. 5: Die Stammbücher. Teil 1: Die bis 1750 begonnenen Stammbücher, beschrieben von Lotte Kurras. Wiesbaden 1988, S. 57 (Hs 6037c). De Quaestione Vtrvm Dominus Jesus Propriâ Virtute à mortuis Resurrexerit, Ad Melchiorem Schefferum Socianistam, breve ac solidum Joh. A. Comenii Responsum. Amsteldodami, Apud Joannem Janssonium, 1659. [8] Bl., 71 S. [Darin S. 45–71: Iteratus ad D. Baronem Wolz. Sermo mit einem deutschen Brief Wolzogens an Comenius, sowie am Anfang der Schrift eine Widmungsadresse des Comenius an Wolzogen.] [Pierre Isarn/Ysarn de Capdeville]: Lettres sur la vie et la mort de Monsieur Louis de Wolzogue, pasteur de l’église wallone d’Amsterdam, & professeur en l’histoire civile & sacrée dans l’école illustre de la même ville. Amsterdam 1692. Samuel Friedrich Lauterbach: Ariano-Socinismus Olim in Polonia. Der ehemalige Polnische Arianische Socinismus […]. Frankfurt [u. a.] 1725. Alfred Freiherr von Wolzogen und Neuhaus: Geschichte des Reichsfreiherrlich von Wolzogen’schen Geschlechts, Bd. 1. Leipzig 1859, S. 251–302.
Bibliographie
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Adolf Lindner: Johann Amos Comenius Große Unterrichtslehre mit einer Einleitung: J. Comenius, sein Leben und Wirken. Wien [u. a.] 1892, S. XLIV, XLV. [ Jan Amos Comenius:] Jana Amosa Komenského Korrespondence, hg. v. Adolf Patera. Prag 1892. Karl G. Kryspin: Neuhaus im Wienerwalde und die Wolzogen, in: Berichte und Mitteilungen des Alterthums-Vereins zu Wien 30 (1894), S. 78–100. Joseph Reber: Des Johann Amos Comenius Lebensregeln (Regulae vitae) mit einem einleitenden Berichte über des Comenius Aufenthalt und Thätigkeit in Elbing vom Jahre 1642–1648, Aschaffenburg 1894. Theodor Wotschke: Der polnischen Brüder Briefwechsel mit den märkischen Enthusiasten, in: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 22 (1931), S. 1–66. Theodor Wotschke: Johann Permeier. Der Primarius der christköniglichen Triumphgesellschaft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 56 (1937), S. 565–592. C[ornelis] de Waard: Wiskundige bijdragen tot de pansophie van Comenius, in: Euklides 25 (1950), S. 278–289; Beilage zu S. 277: Magnum Opus Mathematicum. Johann Amos Comenius: Leben, Werk und Schriften. Autobiographische Texte und Notizen. Ausgewählt, übers., eingel. und hg. v. Gerhard Michel, Jürgen Beer. Sankt Augustin 1992. Johann Amos Comenius: Wiederholte Ansprache an Baron Wolzogen / Iteratus ad Baronem Wolzogenium sermo. Übers. von Otto Schönberger, mit einem Kommentar und einer Einführung in die antisozinianische Kontroverse des Comenius hg. von Erwin Schadel. Frankfurt 2002.
Sekundärliteratur Elisa Angelini: Un commento eccentrico: Hans Ludwig Wolzogen e la lettura sociniana delle Meditationes de Prima Philosophia: http://edizionicafoscari.unive.it/media/pdf/chapter/978-886969-133-1/978-88-6969-133-1-ch-04.pdf (19.1.2021). Alfred Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Halle 1923, ND Darmstadt 1981. Annemarie Bönsch: Adelige Bekleidungsformen zwischen 1500 und 1700, in: Herbert Knittler, Gottfried Stangler, Renate Zedinger (Hg.): Adel im Wandel. Politik, Kultur, Konfession 1500–1700. [Ausstellungskatalog. Niederösterreichische Landesausstellung Rosenburg 12.5.– 28.10.1990.] Wien 1990, S. 169–187. Roberto Bordoli: The Socinian Objections: Hans Ludwig Wolzogen and Descartes, in: Martin Mulsow, Jan Rohls (Hg.): Socianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and cultural exchange in seventeenth-century Europe, Leiden [u. a.] 2005, S. 177–186. René Descartes: Briefe, hg. von M. Bense. Köln [u. a.] 1949. Wilhelm Dilthey: Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Göttingen 1964, S. 90–245. Richard van Dülmen: Prophetie und Politik. Johann Permeier und die ‚Societas regalis Jesu Christi‘ (1631–1643), in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 41 (1978), S. 418–473. Walter Haug: Predigt 72 ‚Videns Iesus turbas‘, in: Georg Steer, Loris Sturlese (Hg.): Lectura Eckhardi. Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, Bd. 2. Stuttgart 2003, S. 111–138.
182
Anhang
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Personenregister Aufgenommen wurden Personen im Text und den Kommentaren, sofern sie sich dort nicht lediglich auf die bibliographischen Angaben beziehen. Stellen mit hochgestellten Ziffern beziehen sich auf Anmerkungen. Der Sozinianer Ludwig von Wolzogen und Descartes wurden, weil omnipräsent, nicht aufgenommen. A Angelini, Elisa 4093 Anthon Günther, Graf von Oldenburg 2349 Arnold, Gottfried 18 Augustinus, Aurelio 37 B Baur, Samuel 9, 10, 105 Bordoli, Robero 82 C Calvin 12, 17, 23, 5515 Canetti, Elias 7 Capdevilles, Pierre Isarn de 10 Carlo Gonzaga, Herzog von Mantua und Nevers 16 Christina, Königin von Schweden 2554 Chmaj, Ludwik 40, 44 Comenius, Amos 7 f., 10, 12, 15, 24, 2454, 25, 2963, 30, 3067, 31, 32, 3270 71, 33, 3372, 34–36, 38 f. Crell, Johannes 7, 2861, 38 Crusius, Florian 16, 1624, 1832, 1834, 20 f., 23 f., 24, 2554 Crusius, Katharina, geb. Freiin von Wolzogen und Neuhaus 1624, 20 f., 2142 43, 24 f. D Dietrichstein (Familie) 14 Dietrichstein, Kardinal Franz von 12, 1216, 14, 21
Dilthey, Wilhelm 8, 38 Dülmen, Richard van 1834, 2247 E Eckhart, Meister 36 f. Edward, Thomas 31 F Felgenhauer, Paul 22 Ferdinand III., Röm. Kaiser 14 Figulus, Petrus 28, 31 G Galamaga, Adam 39 Galilei, Galileo 1521, 50, 57 Geer, Louis de 10, 119, 25, 32, 3271 Gottsched, Johann Christoph 2965 Goya, Francisco de 1316 H Habermas, Jürgen 9 Hartlib, Samuel 7 f., 8, 94, 10 f., 25–27, 2760, 28, 31 f., 32, 34 Heidegger, Martin 1937 Hirten, Adam von 2554 Hizler, Clemens 13 Hoë von Hoëneg, Matthias 1318 Hoë von Hoëneg, Maximilian Ferdinand 20 Hoe von Hoenegg, Leonhard 20 Hottinger, Johann Heinrich 17
184 Hoyos (Familie) 14 Husserl, Edmund 27, 37 J Johann Casimir, König von Polen 1623 Junius, Franciscus 82 K Kant, Immanuel 29, 3067, 4093 Kinner, Cyprian 28 Krause, Karl Christian Friedrich 2144 L Labadie, Jean de 9, 1213 Leibniz, G. W. 9 Liebrucks, Bruno 35 Liechtenstein (Familie) 14 Lobkowitz, Franzisca Margaretha (Gretl), geb. Herrin von Dietrichstein 1216 Ludoisca Maria, Königin von Polen 1623 M Malcolm, Noel 27 Meijer, Lodewijk 9 Merian, Maria Sibylla 1213 Morian, Johann 11, 13, 2453 Mulsow, Martin 18, 40 N Nietzsche, Friedrich 39 Nigrinus, Daniel 28 O Opalinski, Abraham 16, 1623 P Peirce, Charles S. 35–37 Pell, John 8, 10 f., 20 Permeier, Johann 7, 18, 1832 34, 19–21, 2145, 22, 23, 2454, 25 Permeier, Sigmund 7 Polheim (Familie) 14 R Reber, Josef 10 Richter, Bernhard 2861
Anhang
Rousseau, Jean Jacques 3270 Ruarus, Martin 16 Rudolf, Daniel 22 S Schadel, Erwin 3067, 3374 Schaller, Klaus 36 Schlichting, Johannes 9, 2861 Schönberger von Steinfeld, Balthasar 1318 Schönberger, Otto 34 Sdzuj, Reimund 94 Sennett, Richard 31 Serres, Michel 3066 Sozzini, Fausto 2861, 54 Spinoza, Baruch 9 Starhemberg (Familie) 14 Stedall, Jacqueline 27 T Talbot, Lord 31 Tassius, Johann Adolf 27 Trautson (Familie) 14 Truchseß (Familie) 14 W Wilkes, John 31 Wladislaw VII:, König von Polen 1623 Wolzogen (Familie) 108, 11 f. Wolzogen und Neuhaus, Alfred Freiherr von 8, 12, 1522, 25, 29 Wolzogen und Neuhaus, Elisabeth, geb. Freiin v. Schrattenbach 11, 1113 Wolzogen und Neuhaus, Hans Christoph I Freiherr von 12, 20 Wolzogen und Neuhaus, Hans Paul I. Freiherr von 1113, 14, 17, 20 Wolzogen und Neuhaus, Hans Paul II. Freiherr von 1731 Wolzogen und Neuhaus, Hans Paul Freiherr von 108 Wolzogen und Neuhaus, Helena Freiin von 20 Wolzogen und Neuhaus, Sibylla Freifrau von, geb. Freiin v. Schrattenbach 1113 Wolzogen und Neuhaus, Sophia Freifrau, geb. Herrin v. Dietrichstein 12
Personenregister
Wolzogen und Neuhaus, Sophia Freiin von, Ehefrau von Hans von WolzogenMissingdorf 11, 1113, 14, 1420 Wolzogen-Missingdorf, Andreas von 1318, 2349 Wolzogen-Missingdorf, Friedrich Günther von 3371 Wolzogen-Missingdorf, Hans von 10–12, 14, 1420, 1730 31, 1834, 19 f., 2349
Wolzogen-Missingdorf, Ludwig (Louis) von 9, 10, 1213, 20 Wolzogen-Missingdorf, Matthias von 1316, 2349 Wolzogen-Missingdorf, Paul von 1318 Wotschke, Theodor 18, 1824, 19–21, 24
185
Daniel Gehrt / Kathrin Paasch (Hg.)
Friedrich Myconius (1490–1546) Vom Franziskaner zum Reformator gotHaER FoRscHungEn zuR FRüHEn nEuzEIt – banD 15 2020. 392 Seiten mit 8 s/w-Abbildungen 978-3-515-12626-7 gEbunDEn 978-3-515-12631-1 E-book
Der ehemalige Franziskaner und evangelische Pfarrer Friedrich Myconius gehörte seit seiner Berufung nach Gotha im Jahr 1524 zu den führenden Akteuren der Wittenberger Reformation. Die Autorinnen und Autoren befassen sich mit dem Leben, Wirken und Werk von Myconius. Neben den Auseinandersetzungen der Franziskaner mit Reformbewegungen vor und nach 1517 und Myconius’ Beziehungen nach Wittenberg behandeln die Beiträge auch seine Bedeutung für die Organisation der evangelischen Kirchen in Thüringen. Ebenso werden seine kirchlichen und schulischen Aufsichtsfunktionen und seine Rollen bei überregionalen Religionsverhandlungen, der Reformation im albertinischen Sachsen sowie der Konfrontation mit den Täufern untersucht. Ferner bieten die Beiträge erstmals eingehende Studien zu Myconius’ Werken, etwa zu seiner Geschichte der Reformation und seinem weit bekannten Traum und
dessen Rezeption. Abgerundet wird der Band durch eine Neuedition des einflussreichen Visitationsberichts von 1526, eine detaillierte Bibliographie und ein erweitertes Verzeichnis von Myconius’ umfangreicher Korrespondenz. DIE HERausgEbER Daniel Gehrt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsbibliothek Gotha. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften, die Kirchen- und Bildungsgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert und die Rezeption der Reformation. Kathrin Paasch ist Direktorin der Forschungsbibliothek Gotha und arbeitet zur Kulturund Wissensgeschichte, insbesondere zur Bibliotheksgeschichte der Frühen Neuzeit und Neuzeit.
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Sascha Salatowsky / Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.)
De homine Anthropologien in der Frühen Neuzeit gotHaER foRscHungEn zuR fRüHEn nEuzEIt – banD 16 2021. 282 Seiten mit 2 s/w-Abbildungen 978-3-515-12891-9 gEbunDEn 978-3-515-12896-4 E-book
Die Anthropologie der Frühen Neuzeit war vielfältigen Entwicklungen unterworfen: Die Ideen von Renaissance, Humanismus, Reformation und Scholastik prägten in unterschiedlicher Intensität das Bild vom Menschen, der im 16. und 17. Jahrhundert zum bedeutenden Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und künstlerischer Darstellungen wurde. Die Folge war eine im Vergleich zum Mittelalter auffällige Ausdifferenzierung des Menschenbildes, die ganz gegensätzliche Tendenzen umfasste. Neu waren die konfessionellen Konflikte zwischen Katholiken, Protestanten und Dissidenten um das rechte religiöse Verständnis des Menschen, das wiederum von den (natur)philosophischen, medizinischen und juristischen Entwicklungen beeinflusst wurde bzw. auf diese zurückwirkte. Der Mensch geriet hiermit ins Spannungsfeld von ganz unterschiedlichen, teils entgegengesetzten Beschreibungen wie Sterblichkeit und Auferstehung oder Abhängigkeit und Gleichheit. Der Sammel-
band stellt exemplarisch die Vielfalt dieser Anthropologien im Rahmen eines inter- bzw. transdisziplinären Zugangs von Philosophie, Theologie, Medizin, Wissenschaftsgeschichte und Literatur dar. DIE HERausgEbER Sascha Salatowsky ist wissenschaftlicher Referent an der Forschungsbibliothek Gotha. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Philosophie und Theologie der Frühen Neuzeit mit einem besonderen Interesse am Aristotelismus und Sozinianismus. Wilhelm Schmidt-Biggemann ist emeritierter Professor für die Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Religionsphilosophie, Geschichte der Philosophie und Philologie in der Frühen Neuzeit, Geschichtsphilosophie, Geschichte der Metaphysik und Geschichte der politischen Philosophie.
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Luise Schorn-Schütte
Predigen über Herrschaft Ordnungsmuster des Politischen in lutherischen Predigten Thüringens/Sachsens im 16. und 17. Jahrhundert Gothaer ForschunGen zur Frühen neuzeit – band 17 2021. 95 Seiten mit 1 farbigen Karte, 1 s/w-Abbildung, 1 s/w- und 3 Farb-Grafiken sowie 2 Tabellen 978-3-515-12942-8 Gebunden 978-3-515-12945-9 e-book
Die Fülle von gedruckten Predigten, die im Protestantismus seit Mitte des 16. Jahrhunderts entstand, lässt nicht nur Einblicke in die Entwicklung der Theologie zu, sondern auch in die Veränderungen des politischen Denkens und in die Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit Alltagsproblemen. Die Forschung spricht von der Entstehung theologie-politischen Vokabulars, das auch in den Debatten um die juristischen Grundlagen der neuen protestantischen Gesellschaften Verwendung fand. Diesen Diskursen widmet sich Luise Schorn-Schütte auf der Grundlage von Predigten aus Thüringen und Sachsen seit der Mitte des 16. und im 17. Jahrhundert. Deutlich wird, wie stark die Theologen sich mit den Grundnormen gerade auch um die politische Ordnung bemühten – sie plädierten für eine „Politik aus der Bibel“. Schorn-Schütte zeigt, dass es eine dichte Debatte zwischen protestantischen Theologen und protestantischen gelehrten Juristen gegeben hat. Damit ist die
in der Forschung noch immer dominierende These von der alleinigen Deutungshoheit der Juristen relativiert. Stattdessen gab es einen lebhaften Austausch über die politisch-sozialen Normen, zu denen u.a. auch das Recht der Kritik an der Obrigkeit gehörte. die autorin Luise Schorn-Schütte ist emeritierte Professorin für neuere allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Frühen Neuzeit an der Goethe-Universität Frankfurt/M. Mitgliedschaften im Akademierat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, im Forschungsrat der Universität Hamburg, im Hochschulrat der Universität Osnabrück, im Beirat der Deutsch-polnischen Wissenschaftsstiftung. 2004–2010 Vizepräsidentin der DFG. Forschungsschwerpunkte: Religion und Politik in der europäischen Frühen Neuzeit, Politische Theorie der Frühen Neuzeit, Theorie der Geschichtswissenschaft.
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Hans (Johann) Ludwig Freiherr von Wolzogen und Neuhaus (1600–1606) gehört zu den herausragenden Gestalten des polnischen Sozinianismus bzw. der sogenannten Polnischen Brüder. In Polen rechnet man ihn noch heute wegen seiner Beschäftigung mit der Mathematik zu den Vorläufern der Lemberg-Warschauer Schule des logischen Rationalismus. Wolzogens Anmerkungen zu Descartes‘ Meditationen sind zunächst ein herausragendes Beispiel der zeitgenössischen Descartes-Rezeption. Sie verraten darüber hinaus auch ein eigenständiges philosophisches Interesse im Sozinianismus, der eine wichtige Quelle der Frühaufklärung ist. Um diese Kontinuität abzubilden, eignet sich die vorliegende Übersetzung der polnischen Edition von Ludwik Chmaj aus dem Jahr 1957 besonders gut. Während sich die Anmerkungen des Übersetzers Adam Galamaga auf Wolzogens Schrift konzentrieren, bietet Christoph von Wolzogen auf der Basis der neuesten Forschungen, aber auch bisher unbeachteter Quellen, zum ersten Mal einen biographisch-philosophischen Überblick über das Leben dieses illustren Autors, der im Gespräch mit seinem theologischen Gegner Comenius eine Didaktik der Mathematik entwickelte und durch seine frühaufklärerischen Schriften noch auf Wilhelm Dilthey wirkte.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-12199-6