Johann Gustav Droysen und die preussisch-deutsche Frage 9783486761801, 9783486761771


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German Pages 154 [156] Year 1931

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Table of contents :
VORBEMERKUNG
INHALTSÜBERSICHT
Einleitung
1. Kapitel: Droysens politische Gedankenwelt zu Beginn der 30er Jahre
2. Kapitel : Die Fortbildung der geschichtstlieoretischen Anschauungen Droysens 1832—1842
3. Kapitel : Droysens politisches System 1840—1847
4. Kapitel : Der Zusammenbruch des Systems in der Deutschen Revolution. Berlin und Frankfurt 1848/49
Schluß: Droysens „Geschichte der Preußischen Politik"
Exkurs über die Bearbeitung der „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte"
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Johann Gustav Droysen und die preussisch-deutsche Frage
 9783486761801, 9783486761771

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JOHANN GUSTAV DROYSEN UND DIE PREUSSISCH-DEUTSCHE FRAGE VON

FELIX GILBERT

M Ü N C H E N U N D B E R L I N 1931 VERLAG VON R. OLDENBOURG

B E I H E F T 20 D E R H I S T O R I S C H E N

ZEITSCHRIFT

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten D R U C K V O N R. O L D E N B O U R G , M Ü N C H E N U N D B E R L I N

VORBEMERKUNG.

Die folgende Arbeit wurde am 20. Dezember 1929 der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität als Dissertation eingereicht; kurz nach ihrem Abschluß erschienen — veranlaßt durch die Publikation des Droysen-Briefwechsels — verschiedene Aufsätze und Dissertationen, die sich mit Droysen als Politiker und Historiker beschäftigten, und die Notwendigkeit, diese Literatur einzuarbeiten, ist der Grund dafür, daß die Arbeit erst jetzt erscheint. Insbesondere der Droysen-Aufsatz Friedrich Meineckes in der Historischen Zeitschrift hat mich veranlaßt, die Bedeutung des christlichen Elements schon für die Anfänge von Droysens historischem Denken stärker zu betonen, während ich es ursprünglich gegenüber dem Einfluß Hegels hatte in den Hintergrund treten lassen; deshalb habe ich in dem vierten Abschnitt des ersten Kapitels und in der ersten Hälfte des zweiten Kapitels größere Änderungen vorgenommen. Sonst ist — von einigen stilistischen Glättungen abgesehen — keine weitere Umarbeitung notwendig gewesen, nur wurde die inzwischen erschienene Literatur in den Anmerkungen vollständig verwertet. Von der Beigabe eines Literatur-Verzeichnisses mußte ich absehen, weil es zu umfangreich geworden wäre; bei den sehr verschiedenen Gebieten, die in der Arbeit berührt werden, wäre auch auf keinem derselben irgendwelche Vollständigkeit erreichbar gewesen, und so wäre der Wert für den Benutzer nicht groß geworden. Dagegen habe ich die Literaturangaben möglichst ausführlich gehalten und mich auch bemüht, jeweils eine neuere Arbeit anzuführen, von der aus die Orientierung in der vorher erschienenen Literatur leicht ist. Von ungedruckten Quellen benutzte ich für die Arbeit den Nachlaß Droysens und Akten des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem; dafür bin ich Herrn Geh. Rat R. Hübner in Jena sowie der Leitung des Geheimen Staatsarchivs, insbesondere Herrn Archivrat Dr. Dehio für die mir dort gewährte Unterstützung, aufrichtig dankbar. — Herrn Geh. Rat Hübner fühle ich mich auch für die Anteilnahme, die er meiner Arbeit widmete,

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IV

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für die Auskünfte, mit denen er meine häufigen Anfragen beantwortete, für eingehende Besprechung einzelner Probleme der Arbeit sehr verpflichtet. Vor allem möchte ich aber an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Herrn Geh. Rat F. Meinecke, für das Interesse und die Ratschläge danken, mit denen er die Abfassung der Arbeit begleitete; daß sie durch die Anregungen, die ich von ihm in meiner Studienzeit empfing, in ihrer Art weitgehend bestimmt worden ist, bin ich mir dankbarst bewußt. B e r l i n , im Dezember 1930. FELIX GILBERT.

INHALTSÜBERSICHT.

Seite

Einleitung 1. K a p i t e l : D r o y s e n s p o l i t i s c h e d e r 30er J a h r e

i G e d a n k e n w e l t zu

Beginn 5

1. Droysens politische Äußerungen. Ihre Beziehung zu dem politischen Denken der Zeit. Rankes Historisch-Politische Zeitschrift und Pfizers Briefwechsel zweier Deutschen. — 2. Droysens geschichtstheoretische Ansichten. Das Geschichtsbild der klassischen Philologie. Droysens Beziehung zu diesem Geschichtsbild. — 3. Der Einfluß der Hegeischen Geschichtsphilosophie auf Droysen. Die Beziehung der Hegeischen Geschichtsphilosophie zu Droysens politischen Anschauungen. — 4. Die Hellenismuskonzeption. Die Bedeutung des christlichen Elements in Droysens historischem Denken. Der politische Gehalt von Droysens Alexander. 2. K a p i t e l : D i e F o r t b i l d u n g der g e s c h i c h t s t l i e o r e t i s c h e n A n s c h a u u n g e n D r o y s e n s 1832—1842

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Droysens geschichtsphilosophische Position im 1. Band des Hellenismuswerkes. Die Abwendung von Hegel. — Die „Privatvorrede". 3. K a p i t e l : D r o y s e n s p o l i t i s c h e s S y s t e m 1840—1847 . . . .

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1. Droysens Berufung nach Kiel. Der „System"-Zusammenliang seines Denkens. Das preußisch-deutsche Problem in der Publizistik jener Jahre. — - 2. Die Grundgedanken von Droysens politischem System. Preußen als Teil des Systems. Die schleswigholsteinische Frage und die innere Entwickelung Preußens. 3. Droysen als Vertreter der politischen Historie. Droysens Unterscheidung von ,,Staat" und „Macht" und Rankes Lohre von den Großen Mächton. Ranke und Droysen. 4. K a p i t e l : D e r Z u s a m m e n b r u c h des S y s t e m s in d e r D e u t s c h e n R e v o l u t i o n . B e r l i n und F r a n k f u r t 1848/49. . . 1. Erste Eindrücke bei den Nachrichten des Umschwungs. Droysens Aktion zur Schaffung einer provisorischen Exekutivgewalt. Der Gedanke der Auflösung Preußens. Droysens Stellung in der Paulskirche. — 2. Die Bildung des Reichsministeriums. Die Wiedererhebung Preußens. 3. Die Paragraphen 2 und 3

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VI

Seite

der Reichsverfassung. Droysen in Berlin. Heinrich von Gagerns Werben um Preußen. — 4. Die Wandlung in den Anschauungen Droysens von der preußisch-deutschen Frage nach der Oktroyierung der preußischen Verfassung. Der Ausgang der Paulskirche. S c h l u ß : D r o y s e n s „ G e s c h i c h t e der P r e u ß i s c h e n P o l i t i k " . Droysens Anschauungen nach der Revolution. „Preußen und das System der Großmächte." Entstehungsgeschichte der „Geschichte der Preußischen Politik". Der Wandel in den Anschauungen Droysens über die preußische Geschichte. Das Wesen von Droysens „borussischer Geschichtsauffassung". E x k u r s über die B e a r b e i t u n g der „ B e i t r ä g e zur n e u e s t e n deutschen Geschichte"

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EINLEITUNG.

Der hier folgenden Untersuchung liegt keine biographische Fragestellung zugrunde: das Leben Johann Gustav Droysens ist schon oftmals dargestellt worden. Noch zu Droysens Lebzeiten hat sein Schüler Alfred Dove in seiner einprägsamen Art ein Bild von dem attischen Reichtum und der preußischen Strenge dieses Lebens umrissen1), nach Droysens Tode hat ihm Max Duncker, seit dem 48er Jahre Droysens Freund und politischer Kampfgenosse, einen Nachruf gewidmet, der durch die schlichte Wiedergabe der Tatsachen dieses Lebens, durch die Vermeidung jeder psychologischen Deutung das Wesen des alten, hinter seiner Sache zurücktretenden Droysen greifbar deutlich werden läßt2). Wieder ein Schüler Droysens, Otto Hintze, hat den Artikel über seinen Lehrer in der Allgemeinen Deutschen Biographie3) verfaßt und in dieser Erzählung des Lebens zugleich auch die Grundlinien für die Bestimmung seiner Bedeutung für die politische Entwicklung und für die geschichtliche Wissenschaft gezogen. Endlich ist sein Sohn Gustav Droysen in einer ausführlichen Biographie, vor deren Vollendung er allerdings durch den Tod abberufen wurde, und von der nur der erste Band vorliegt4), Hebevoll allen Etappen dieses Lebens bis zur Revolution von 1848 nachgegangen. Seit kurzem liegt nun auch in zwei starken Bänden der Briefwechsel x)

bei

In der Wochenschrift, I m neuen Reich, 1878; wieder abgedruckt

Dove,

Leipzig, 2)

Ausgewählte

Schriftchen

vornehmlich

historischen

Inhalts,

1898, 369 ff.

In den Preußischen Jahrbüchern, B d . 54, 1884; wieder abgedruckt

bei' Duncker, Abhandlungen aus der Neueren Geschichte, Leipzig,

1887,

350 ff. Historische

und

Politische Aufsätze, Bd. 4 (Deutsche Bücherei B d . 100/101), 87 ff. —

3)

B d . 48,

S. 82 ff., wieder abgedruckt bei Hintze,

Ich

möchte an dieser Stelle gleich betonen, wieviel ich dem A u f s a t z Hintzes verdanke, und wie sehr ich in meiner Untersuchung

auf

Hintzes

Dar-

stellung aufbaue. 4)

G. Droysen,

Johann G u s t a v Droysen.

Erster T e i l :

ginn der Frankfurter T ä t i g k e i t , Leipzig und Berlin, Beiheft d. H. Z. 20.

B i s zum

1910. 1

Be-

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2

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Droysens vor 1 ), und diese Veröffentlichung hat von neuem eine eindringende literarische Behandlung Droysens hervorgerufen 2 ): das Leben und die Persönlichkeit Droysens steht ungewöhnlich klar vor uns. In dieser Untersuchung wurde von einer politischen Frage ausgegangen : die Entwicklung des Gedankens der preußischen Hegemonie in Deutschland und die Bedeutung Droysens für diese Entwicklung zu klären. Durch die Untersuchungen Meineckes3) ist auf die Vielgestaltigkeit dieses Problems hingewiesen worden, ist die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Strömungen gelenkt worden, die als Ziel der deutschen Entwicklung zwar die nationale Monarchie der Hohenzollern ansahen, die aber jede Hegemonie des preußischen Staates ablehnten, für die die Auflösung des preußischen Staates die Bedingung für die Übertragung der Kaiserwürde an die Hohenzollern bedeutete, und Meinecke hat l ) Johann Gustav Droysen, Briefwechsel, herausgegeben von Rudolf Hübner, Berlin und Leipzig, 1929; ich zitiere künftig „ B r f . " . l ) Ein Verzeichnis der über Droysen erschienenen Schriften findet sich Brf. I, X V I ; ich vervollständige es hier durch die seit Veröffentlichung des Briefwechsels erschienene Literatur: O. Hintze, Johann Gustav Droysen und der deutsche Staatsgedanke im 19. Jahrhundert in Brodnitz' Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 88,1930,1—21; Fr. Meinecke, Johann Gustav Droysen. Sein Briefwechsel und seine Geschichtsschreibung in Historische Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 249—287; H. Ulmann, Johann Gustav Droysen als Abgeordneter zur Paulskirche in Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 42, 1929, 263—273; dann die Rezensionen des Briefwechsels von L. Dehio in Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 42, 1929, 164 bis 167, von H. Herzfeld in Deutsche Literaturzeitung 1930, 414—418, von J.Heyderhoff in Zeitschrift für Politik, Bd. 19, 1930, 815—818, von W. Mommsen in Göttingische gelehrte Anzeigen, Jahrg. 192, 1930, 14 bis 21. — Ferner die Dissertationen: B. Becker, Johann Gustav Droysens Geschichtsauffassung, Hamburg, 1929; W. Fenske, Johann Gustav Droysen und das deutsche Nationalstaatsproblem, Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. II, 1930; A. Meetz, Johann Gustav Droysens politische Tätigkeit in der Schleswig-Holsteinischen Frage, Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. III, 1930. — W.Andreas hat in Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins Neue Folge, Bd. 42, 1929, 557—587, die Briefe Erdmannsdörffers an J. G. Droysen veröffentlicht. *) In „Weltbürgertum und Nationalstaat. Zweites Buch. Der preußische Nationalstaat und der deutsche Nationalstaat", auch in „Preußen und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, München und Berlin, 1918"; Meineckes „Weltbürgertum" zitiere ich nach der 1928 erschienenen 7. Auflage.

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gezeigt, daß auch Johann Gustav Droysen, einer der frühesten und leidenschaftlichsten Vorkämpfer von Preußens deutschem Beruf, der klassische Darsteller der Geschichte der preußischen Politik, zu denen gehört hat, die im Jahre 1848 an Preußen die Forderung auf Aufgehen in Deutschland richteten. Bei der Untersuchung dieser Zusammenhänge stellte sich bald heraus, daß die Ansichten Droysens in der preußisch-deutschen Frage eng verknüpft mit seinen wissenschaftlichen Anschauungen waren, und daß wieder von der Wandlung seiner politischen Auffassung ein entscheidender Einfluß auf die Entwicklung seiner wissenschaftlichen Gedanken ausgegangen ist: nur auf dem Hintergrunde von Droysens gesamter geistiger Entwicklung ist die Darstellung des politischen Problems möglich, das Thema erweiterte sich zu einer Darstellung von der Entstehimg von Droysens „borussischer Geschichtsauffassung''. Aber in diesem Persönlichen liegt auch etwas Allgemeines: die Reichsgründung von 1871 bedeutete nicht nur einen Abschluß in der politischen, sie bedeutete einen Einschnitt auch in der geistigen Entwicklung Deutschlands. Denn darin beruht ja die Einzigartigkeit der deutschen Geschichte im vorigen Jahrhundert seit den Befreiungskriegen, daß sich in der Welt des Geistes die Wendung zur Politik vollzog, daß von der W'elt des Geistes her das politische Leben die Zielsetzungen empfing, die mit der Gründung des deutschen Nationalstaates verwirklicht wurden. ') Droysens Stellung in der Geschichtswissenschaft und als Vertreter der „borussischen Geschichtsauffassung" betrachten E. Fueter, Geschichte der Neueren Historiographie, München und Berlin, 1925 (im Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, herausgegeben von Below und Meinecke), dann G. P. Gooch, History and historians in the nineteenth Century, London, 19x3 (Cap. VIII behandelt The Prussian School, als deren Vertreter Droysen S. 134—140 charakterisiert wird) und G. von Below, Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen, 2. Auflage, 1924 (auch im Below-Meinecke-Handbuch). — Fueter widmet Droysen einen besonderen Abschnitt (Droysen und die Begründung der preußischen Schule, S. 492—496), aber seine Ausführungen beruhen sichtlich auf einer völlig unzureichenden Kenntnis Droysens; z. B. ist für den, der den „Alexander" gelesen hat, der Satz: „Auf die geographischen Voraussetzungen geschichtlicher Begebenheiten ging er so gut wie gar nicht ein", eine Unmöglichkeit. Daß ich der Auffassung Belows über Art und Bedeutung der Droysenschen Geschichtsschreibung (S. 47— 50) nicht beipflichten kann, wird meine gesamte Darstellung zeigen; deshalb enthalte ich mich auch jeder Polemik in den Einzelheiten. Auf die übrige, Droysen behandelnde Literatur wird jeweils an der sie betreffenden Stelle eingegangen. 1*

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Es ist ein Zusammenhang, der die Entwicklung der deutschen Geistesgeschichte im vorigen Jahrhundert weitgehend bestimmt hat: aus ihm erklärt sich die überragende Stellung, die die politische Historie in Deutschland im vorigen Jahrhundert eingenommen hat. Aber aus diesem Zusammenhang erklärt es sich auch, daß jede Betrachtung der politischen Gedanken in eine Betrachtung der individuellen Entwicklung derer, die sie vertraten, ausmündet: bis in die Mitte des Jahrhunderts hinein tragen sie die individuelle Freiheit und Vielgestaltigkeit des geistigen Lebens an sich. Seit dem Aufbau des deutschen Nationalstaats haben die Voraussetzungen des politischen und geistigen Lebens sich gewandelt: Droysens borussische Geschichtsauffassung gehört einer Periode an, die abgeschlossen hinter uns liegt, sie ist für uns nicht mehr lebendig — weder im Sinne einer Anerkennung ihrer Gültigkeit noch im Sinne einer notwendigen Auseinandersetzung —, sie ist eine geschichtliche Tatsache, die es historisch zu werten, die es „forschend zu verstehen" gilt. Aber damit, daß diese L ö s u n g des Problems der Beziehung von Denken und Leben, von Politik und Geschichte für uns ihre Gültigkeit verloren hat, daß wir sie in ihrer Einmaligkeit erkennen, öffnet sich auch der Blick erst wieder für die Bedeutung der P r o b l e m e , mit denen ringend sie entstand, und der Impuls, dem diese Untersuchung entstammt, ist eben die Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit dieser Probleme.

I. K A P I T E L .

DROYSENS POLITISCHE GEDANKENWELT ZU BEGINN DER 30 er JAHRE.

Johann Gustav Droysen war Preuße. Voller Stolz erinnerte er sich im Mannesalter daran, daß einst Blücher und Scharnhorst in seines Vaters Studierstube geweilt hatten, daß Blücher ihn vor sich auf sein Pferd gehoben hatte 1 ). Und Glaube an Preußens geschichtliche Bedeutung ist auch der Inhalt des ersten historischpolitischen Gedankens, der uns von ihm erhalten ist: in einem Aufsatze, mit dem er die Wiedererweckung der Matthäus-Passion begleitete, weist er auf die enge Verbindung hin, die Preußen mit dem Protestantismus eingegangen sei; dadurch sei es „eine wahrhafte Angel und Herd der Geschichte"2). Erst drei Jahre später finden sich die nächsten, für die Öffentlichkeit bestimmten politischen Äußerungen Droysens. Seine 1832 erschienene Äschylus-Übersetzung enthält in ihrer historischen Einleitung zahlreiche politische Anspielungen auf die Gegenwärt, die seine Zugehörigkeit zu der großen Zahl derer, die eine „Liberalisierung" Preußens forderten, erkennbar werden lassen: er übt hier Kritik an der absolutistischen Regierungsmethode und der Unselbständigkeit der preußischen Politik3) und preist die Vorzüge eines freiheitlichen Verfassungslebens4). Aus diesen Äußerungen läßt sich nicht erkennen, daß Droysen ') Brief an Theodor von Schön vom 9. III. 1850, Brf. I, 615. *) Berliner Conversationsblatt für Poesie, Literatur und Kritik, 14. März 182g, Nr. 52. ') Des Aischylos Werke übersetzt von Joh. Gust. Droysen, Berlin, 1832, I, 169: „Der gewaltigste Umschwung in allen griechischen Verhältnissen war die unmittelbare Folge dieser Siege; die neu geweckten Kräfte, die sie errungen hatten, konnten durch keine Reaktionen zurückgedrängt werden, da der Staat, in dem sie ihre Wurzel hatten, weder fremder Politik noch mißtrauischer Regierungsweisheit unterworfen, in der Rüstigkeit des steten Vorwärtsstrebens das Palladium seiner Demokratie erkannte." *) Äschylus-Übersetzung a. a. O., I, 162: „ J e n e steten Parteiungen im Staate, weit entfernt beklagenswerte Störungen der Ruhe zu sein, waren Äußerungen innerer Kraft und seiner geschichtlichen Lebendigkeit; ohne Partei zu sein galt mit Recht für ehrlos." Vgl. auch Äschylus-Übersetzung a. a. O., I, 180.

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in der Erfüllung dieser Wünsche auf „Liberalisierung" Preußens zugleich einen Schritt auf dem Wege zu einer festeren nationalen Einigung Deutschlands sah; daß schon damals dieser Zusammenhang liberaler und nationaler Forderungen bei ihm bestand, können wir nur den privaten Äußerungen seines Briefwechsels — und zwar kommen hier vor allem zwei Schreiben aus dem Sommer 1831 in Betracht — entnehmen. In einem Schreiben vom 28. Mai1) entwickelt er den Plan der Herausgabe eines „Journals historischpolitischen Inhalts", für das er auch schon mehrere Aufsätze verfaßt habe: „Der erste stellt Preußen als le juste milieu Europas dar, als Mitte zwischen den Polen der Magnetnadel der europäischen Achse, freilich leider auch den Punkt jenes schnöden Staatszeitungsindifferentismus: weder zuviel noch zu wenig, das heißt gar nichts, nicht einmal ein Prinzip zu haben. Der andere handelt von dem Lebensprinzip Preußens, dem heftigen Vorwärts." Ein Einschreiten der Zensur hoffe er dadurch zu vermeiden, daß er „über die schlimmsten Prinzipien, z. E., daß das Volk ein Teil des Staates, daß Preßfreiheit nicht ein Unsinn ist usw., wie über allgemein anerkannte Fakta" spräche. Wie wir einem späteren, vom 31. Juli 2 ) datierten Briefe entnehmen können, ist dieser Plan dann doch an Zensurschwierigkeiten gescheitert. Aber in diesem Briefe schreibt Droysen auch schon von einem neuen literarischen Projekt: es ist die Publikation eines Briefwechsels, in dem Staat und Religion, Kunst und Wissenschaft im gegenwärtigen Deutschland — als der „Allgemeinheiten, die jedem unmittelbar eigen sind oder eigen sein sollten" — betrachtet werden sollen: „Laß uns beginnen mit der Möglichkeit, daß wir in Deutschland noch unsere Geschichte zu hoffen haben, damit wir uns den Weg zu den anderen Untersuchungen bahnen; laß uns genau und scharf darstellen, was in jeder der bezeichneten vier Sphären geleistet ist, welche Irrtümer begangen, welche Reformen nötig sind." Als Ziel stellt er die Überwindung der „fadesten Atomisierung" hin, die in diesen Gebieten eingetreten sei. In dieser Veröffentlichung soll dann auch eine Untersuchung über die Pairie, d. h. über die Frage des Ein- oder Zweikammersystems, Platz finden, die er gerade beendigt hatte, und deren Ergebnis er kurz skizziert. Für die höchste Legislative, die Volksvertretung, will er nur eine Kammer zulassen, da das Volk die Gemeinschaff bedeute, der der einzelne als Persönlichkeit — in dem, was *) Brf. I, Nr. 14, 33 ff. Der Ausdruck „Journal historisch-politischen Inhalts" im Brief an Arendt, Nr. 16, 37. 2 ) Brf. I, Nr. 16, 37 ff.

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er ist — angehört, und ein solcher Begriff keine Unterschiede und Rangabstufungen erlaube. In seiner Besonderheit — mit dem, was er habe —, gehöre der einzelne einer anderen Gemeinschaft, der durch lokale und Standes-Unteischiede gebildeten Gesellschaft an. Auch diese müsse ihre Vertretung haben, und die Erfüllung dieser Aufgabe weist er den Provinzialständen zu. „Du siehst, ich fundiere so den Wert, den für unsere Zukunft die bis jetzt noch lächerliche Institution der Provinzialstände hat . . . Natürlich ein Unglück, so lange diese Verschiedenheit der Provinzen die letzte Stufe der Einheit ist; aber innerhalb der Reichsgemeinsamkeit die wertvollste Garantie, die persönliche Freiheit, die lokalen Interessen, die wesentliche Berechtigung der Geburt und des Glückes nicht kompromittiert oder gar in ihrer Existenz gefährdet zu sehen. Selbst die Vereinzelung Deutschlands darf ja kein ewiges Unglück, sie muß eine Stufe zu höherer, vollkommenerer Gestaltung sein, oder wir sind die Narren unsrer Hoffnung. Vielleicht, daß eine Zukunft diese Apologie der lokalen Zersplitterung rechtfertigt. Ich wenigstens behaupte, Braunschweig, Kassel etc. mache sich durch seine Konstitutionen nur würdig, dereinst Glieder des preußischen Reiches zu sein. Ich denke, die Geschichte fordert das. Freilich ist der Weg weit, mühevoll, vielleicht blutig und voll Schande; doch die Hoffnung ist stärker als die Angst und der Glaube heller als die Nacht, in der wir träumen und verzagen möchten." — Dies ist das Material, aus dem wir uns das Bild der politischen Gedankenwelt Droysens zu Beginn der 30er Jahre, am Ende seiner Studienzeit, zusammensetzen müssen; für das Problem dieser Untersuchung, die preußisch-deutsche Frage, handelt es sich also vor allem um die beiden Briefe aus dem Sommer 1831, die, wie sie die ersten ausführlichen politischen Betrachtungen Droysens sind, für eine Reihe von Jahren auch seine einzigen ausführlichen politischen Betrachtungen bleiben. Daß diese politischen Briefe gerade aus dem Sommer 1831 stammen, ist wohl kein Zufall, sondern es dokumentiert sich darin, daß sie der Welle politischen Interesses angehören, die die Julirevolution nach Deutschland brachte, die aber auch bald danach wieder verebbte. Und auch der radikale Ton, der in diesen Äußerungen mitschwingt, gehört der Stimmung dieser Jahre an: wie einst die Generation Hegels und Hölderlins in der Französischen Revolution von 1789 einen „herrlichen Sonnenaufgang"1) sah. l ) Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte (Sämtliche Werke, herausgegeben von Georg Lasson, Bd. VIII), Leipzig, 1920, 926.

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der den Beginn einer neuen Zeit ankündigte, so glaubte auch jetzt die junge Generation, mit der Julirevolution den Anbruch eines neuen Zeitalters zu erleben. Wenn wir betrachten; was sich als Inhalt dieser politischen Äußerungen ergibt, so sind es — auf dem Hintergrunde einer historischen Deduktion^- zugleich liberale und nationale Forderungen: es findet sich also auch hier bei Droysen jene Verbindung des Zieles eines deutschen Nationalstaates mit dem Ideal einer allgemeinen staatlichen Erneuerung, wie sie dem deutschen Einheitsstreben von vornherein eigen gewesen war 1 ). Und im Mittelpunkt seiner Ideen steht schon hier, als wir zum ersten Male Einblick in seine politischen Gedanken erhalten, die Überzeugung, daß Deutschlands Zukunft verbunden und abhängig von der Politik Preußens sei. Aber gerade der Ausdruck „preußisches Reich", mit dem er diesen künftigen Nationalstaat auf deutschem Boden bezeichnet, ist undeutlich und birgt die verschiedensten Fragen in sich; will er damit sagen, daß er sich den künftigen deutschen Nationalstaat äals ein erweitertes Preußen vorstellt, soll der Weg dazu eine VerSchlingung der übrigen deutschen Staaten sein? Oder will er damit nur ausdrücken, daß die künftige deutsche Entwicklung allein auf Preußen, nicht mehr auf Österreich gestellt ist ? Allein aus dem Zusammenhange seiner Äußerungen heraus sind diese Fragen nicht zu beantworten, erst in Beziehung mit dem politischen Denken seiner Zeit gewinnen seine Vorstellungen deutlichere Gestalt. Über die Einwirkungen, unter deren Einfluß sich diese nationalen und liberalen Anschauungen Droysens herausgebildet haben, können wir, da vor den Briefen aus dem Sommer 31 keinerlei Zeugnisse über das Werden seiner politischen Ansichten vorhanden sind, nur Vermutungen aufstellen: Als Siebzehnjähriger war Droysen nach Berlin gekommen und hat hier seine gesamte Studienzeit verbracht. Doch nicht nur durch sein Studium ist er mit den geistigen Strömungen, die damals die preußische Hauptstadt bewegten, in Berührung gekommen. Er gehörte zu dem engsten Kreise des Mendelssohnschen Hauses2), das damals ein Mittelpunkt des wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens des bürgerlichen Berlin war. In politischen ') Vgl. Alexander Scharff, Der Gedanke der preußischen Vorherrschaft in den Anfängen der deutschen Einheitsbewegung, Bonn, 1929, 2. *) Hierzu vgl. G. Droysen, Johann Gustav Droysen und Felix Mendelssohn Bartholdy in Deutsche Rundschau, Bd. 28, 1902.

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Fragen herrschte hier eine liberale Gesinnung1). Hier kam er mit Vamhagen und Gans, entschiedenen Liberalen, die auf die politische Meinungsbildung in Berlin damals großen Einfluß ausübten, in nähere Berührung, hier lernte er Börne und Heine, die „Väter des jungen Deutschland" kennen2). Vor allem wird sich aber Droysen durch seine künstlerischen Neigungen und Talente dem Mendelssohnschen Hause verbunden gefühlt haben. In den folgenden Jahren scheinen künstlerische Probleme den Hauptinhalt seines Lebens zu bilden, so daß man von seiner Berliner Zeit geradezu als von einer „ästhetischen Periode" seines Lebens gesprochen hat 3 ). Aber gerade die Beschäftigung mit der Kunst kann zu einer Quelle für sein deutsches Nationalgefühl geworden, gerade von solchen kulturellen Zusammenhängen aus mag ihm der deutsche Nationalstaat zu einer lebendigen Notwendigkeit geworden sein. Das Grundelement seines politischen Denkens aber bildete ein schon in seinem Vaterhaus lebendiger, vom Ethos der Reformzeit und den Erinnerungen der Freiheitskriege neu belebter preußischer Patriotismus4). Diese Gesinnung mußte durch den Aufenthalt in Berlin, im Zentrum des preußischen Staates, wo in Männern und Institutionen noch der Geist jener Jahre fortwirkte, neue Nahrung erhalten, und jedes Denken über die künftigen Geschicke Deutschlands mußte dadurch von vornherein in ganz bestimmte Bahnen gelenkt werden. In Droysens Studienzeit lebten und wirkten in Berlin noch Schleiermacher, Eichhorn und Reimer, in deren Kreis in den Jahren der Erniedrigung aus diesen Gesinnungen heraus der Gedanke der preußischen Führung in Deutschland erwachsen und gepflegt worden war*), und obwohl sich eine Verbindung Droysens zu jenen Männern nicht nachweisen läßt, so ist doch auch die Möglichkeit einer Anregung von jenem Kreis her nicht ausgeschlossen. Jedenfalls wird aber von den ') Vgl. z. B. die Äußerungen Abraham und Lea Mendelssohn Bartholdys Ober die Julirevolution bei S. Hensel, Die Familie Mendelssohn, 18. Auflage, Leipzig, 1924, I, 325 und Varnhagen von Ense, Blätter aus der preußischen Geschichte, Leipzig, 1869, V, 304. *) Zu Börne bei Mendelssohns vgl. Hensel a. a. O., I, 208. Zu den Beziehungen Heines zu Droysen vgl. Brf. I, Nr. 2, 9. ') £ . Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften, 2. Auflage, Tübingen, 1930, 172, Anm. 1. *) Dieses Erbteil hebt Duncker in dem in seinen „Abhandlungen aus der Neueren Geschichte" abgedruckten Aufsatz über Droysen besonders stark hervor. ') Vgl. Scharff a . a . O . 13 ff. und die dort angegebene Literatur.

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Schriften, in denen diese Gesinnungen ihren Niederschlag gefunden hatten, dem jungen Philologen die politische Broschüre des Meisters Niebuhr, in der zum ersten Male der Ton borussischer Geschichtsauffassung erklang1), bekannt gewesen sein und ihm tiefen Eindruck hinterlassen haben. In jenen Gedanken über Preußens deutschen Beruf war deutsches Nationalgefühl und preußische Staatsgesinnung zu einem Ausgleich gelangt, die auf ein aus den gleichen Elementen gemischtes politisches Wollen die tiefste Wirkung ausüben mußte. Aus solchen Zusammenhängen heraus mag sich ihm seine politische Gedankenwelt auferbaut haben. In der Form, wie sie sich uns im Jahre 1831 zeigt, trägt sie allerdings deutlich das Gepräge dieses Jahres an sich. Die politischen Fragen, die er in seinem Briefe berührt — Pairie, Reform, juste milieu —, sind typische Beispiele für die Gegenstände, die damals das Interesse des Berliner Publikums erregten2). So deuten auch seine literarischen Projekte auf ganz bestimmte Anregungen der damaligen Zeit hin: Ist es wirklich ein Zufall, daß Droysen die Zeitschrift, deren Herausgabe er plant, ab ein „Journal historisch-politischen Inhalts" bezeichnet, ihr also fast den gleichen Namen gibt, wie sie Rankes berühmte „Historisch-politischeZeitschrift" tragen sollte? Es ist wohl möglich, daß Droysens Plan durch dieselbe Anregung ausgelöst wurde, der Rankes Zeitschrift ihr Entstehen verdankt8). Der Gedanke zu Rankes Zeitschrift ist von Friedrich Perthes ausgegangen, der ihn im November 1830 in einem Schreiben an den preußischen Außenminister, den Grafen Bernstorff, entwickelt, dann aber auch — im Dezember 1831 — Vamhagen von Ense ') So Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 7. Auflage, München und Berlin, 1928, 217, über Niebuhrs „Preußens Recht gegen den sächsischen Hof". *) Es sind z. B. die gleichen Gegenstände, die Ranke in der Denkschrift, die er am 1. November Bernstorff einreichte, als die Fragen bezeichnete, die das Publikum beschäftigen, vgl. Historische Zeitschrift, Bd. 99, 1907, 56. *) Vgl. C. Varrentrapp, Rankes Historisch-politische Zeitschrift und das Berliner Politische Wochenblatt, in Historische Zeitschrift, Bd. 99, 1907, und — unter stärkerer Hervorhebung des Gegensatzes von Perthes und Ranke — O. Diether: Leopold von Ranke als Politiker, Leipzig, 1 9 1 1 , 121 ff. Die Korrespondenz von Perthes mit Varnhagen bei W. Dorow: Krieg, Literatur und Theater, Leipzig, 1845, 145 ff., im übrigen Cl. Th. Perthes, Friedrich Perthes' Leben, Hamburg und Gotha, 4. Auflage, III, 373. Daselbst S. 356—358 Perthes über den deutschen Beruf Preußens.

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ausführlicher von den Tendenzen, die er mit diesem Plane verfolgte, Mitteilung gemacht hatte. Durch historische Darlegungen, die sich auf Aktenkenntnis aufbauten, sollte politisches Verständnis erweckt und zugleich auch die damalige Politik der preußischen Regierung gerechtfertigt werden, andererseits wollte Perthes aber auch in der Zeitschrift den deutschen Beruf Preußens betont und auf Preußen in Richtung einer entschiedenen deutschen Politik eine Einwirkung ausgeübt sehen. Es ist sehr möglich, daß Droysen durch Varnhagen selbst oder durch Eduard Gans, der mit Varnhagen befreundet war, von Perthes Vorschlägen erfahren hat, und als sich die Ausführung verzögerte, mag bei ihm der Gedanke entstanden sein, sie von sich aus zu verwirklichen. Es hat einen eigenen Reiz zu glauben, daß der gleiche Plan auf Ranke wie auf Droysen tiefen Eindruck gemacht hat, daß aber Ranke von den Tendenzen der Perthesschen Anregung den Gedanken, durch historische Darlegung die Erklärung und Erkenntnis der gegenwärtigen politischen Lage zu fördern, herausgriff 1 ), während für Droysen — so dürfen wir aus den Bemerkungen, die er über sein Zeitschriftenprojekt macht, schließen — durchaus die Zukunft, das politische Ziel, im Vordergründe gestanden hätte. In dieser verschiedenen Aufnahme der gleichen Anregung scheint sich vor allem eine gegensätzliche politische Auffassung auszusprechen. Aber im Hintergrund steht doch die Verschiedenheit zweier Temperamente, die eine verschiedene Anschauung über die entscheidenden geschichtlichen Kräfte schafft und damit einen Gegensatz hervorruft, der ihr Leben hindurch währen sollte. — Von der Perthesschen Anregung her mag auf Droysens Anschauung über die Zukunftsaufgaben der preußischen Politik ein Einfluß ausgegangen sein, allerdings konnte er über den deutschen Beruf Preußens aus ihr nicht mehr entnehmen, als daß Preußen die Bahnen einer volkstümlichen Politik einschlagen sollte, und daß alsdann Preußen und Deutschland ineinanderwachsen und der Boden für die preußische Hegemonie bereitet sein würde. 1831 war aber auch Pfizers „Briefwechsel zweier Deutschen" erschienen, in dem in der Öffentlichkeit mit größter Überzeugungskraft die Vgl. H. Oncken, Zur inneren Entwicklung Rankes, in Bilder und Studien aus drei Jahrtausenden, Gothein-Festgabe, München und Leipzig, 1923, vor allem S. 210: „Denn aus diesen Studien ergab sich ihm der Gedanke, der Politik der doktrinären Parteien etwas Drittes entgegenzusetzen, aber nicht etwa ein juste milieu, das nur die äußerliche Diagonale zu halten suchte, sondern eine selbständige Haltung: ,die Facta, wie sie sind, just wie sonst die Historien, zu erkennen, zu durchdringen und darzustellen. Die wahre Lehre liegt in der Erkenntnis der Tatsachen'."

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Notwendigkeit der preußischen Hegemonie für den künftigen deutschen Nationalstaat verkündet wurde. Wenn im allgemeinen als erster notwendiger Schritt auf diesem Wege die Konstitutionalisierung Preußens galt, so liegt eine glänzende Beobachtung von Pfizers „Briefwechsel zweier Deutschen" ja gerade darin, daß er zum ersten Male auch die Probleme, die in diesen Forderungen auf Konstitutionalisierung Preußens versteckt waren, andeutet: daß daraus eine Erstarkung der preußischen Staatspersönlichkeit hervorgehen müßte, und daß jede solche Erstarkung die Gegensätze zwischen Preußen und Deutschland vergrößern und den Aufbau des künftigen Nationalstaates erschweren müßte1). Pfizers Buch, das 1831 in erster Auflage erschienen war, hat deutlich auf das andere literarische Projekt Droysens, den Plein der Publikation eines politischen Briefwechsels, eingewirkt. Denn nicht nur die äußere Form, eben die Veröffentlichung eines Briefwechsels, weist darauf hin. Auch die Analyse der geistigen Lage im gegenwärtigen Deutschland, die den Inhalt der Droysenschen Schrift bilden soll, scheint als eine Ausführung der Gedanken gedacht zu sein, die Pfizer in seinem 13. Brief über den „gegenwärtigen Zustand Deutschlands in Beziehung auf Literatur, Kirche, Staat und Leben" nur kurz angedeutet hatte: daß die Unnatürlichkeit und Unproduktivität auf diesen Gebieten dadurch hervorgerufen sei, daß es in Deutschland an dem „rechten Lebensmittelpunkt"2) fehle. Und endlich läßt sich der Einfluß Pfizers auch darin erkennen, daß Droysen ebenso wie Pfizer der provinzialständischen Verfassung Preußens eine besondere Bedeutung für die Zukunft Deutschlands zumißt3). Wenn wir also berücksichtigen, daß Droysen seinen Brief mit den Gedanken über das „preußische Reich" unter dem Eindruck des Pfizerschen Buches geschrieben hat4), so liegt in diesem Ausdruck wohl vor allem ein ') Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 339 ff. *) P. A. Pfizer, Briefwechsel zweier Deutschen. Neu herausgegeben und bearbeitet von Georg Küntzel (Deutsche Literaturdenkmale Nr. 144), Berlin, 1 9 1 1 , 108. *) Pfizer a. a. O. 164: „Dabei glaube aber auch ich, daß Deutschland nicht umsonst so lange zersplittert und getheilt bleiben mußte, und in dieser Beziehung ist es mir höchst merkwürdig, daß der aus verschiedenen Stämmen zusammengesetzte preußische Staat bis jetzt noch keine allgemeine Volksvertretung, sondern bloße Provinzialstände besitzt." ') G. Droysen, Johann Gustav Droysen, Leipzig und Berlin, 1910, 100, schreibt, daß das Projekt des Briefwechsels „sichtlich von Pfizers Buch angeregt" war, während er S. 97 über eine Stelle desselben Briefes schreibt, daß damals Droysen Pfizers Briefwechsel „noch nicht zu Gesicht gekommen

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Bekenntnis zu der Grundanschauung des Pfizerschen Buches, daß Österreich aus der künftigen deutschen Entwicklung ausscheiden muß und es sich darum handele, den Aufbau des Reiches mit nur einer Großmacht im Bunde, Preußen, ins Auge zu fassen. Das Problem der Vergliederung Preußens mit dem übrigen Deutschland will Droysen dadurch lösen, daß er die preußischen Provinzen den deutschen Staaten gleichstellt und ihnen — unter der Reichsgemeinsamkeit — eine eben durch die Provinzialstände gewährleistete abgesonderte Entwicklung zubilligt. Die Aufrechterhaltung einer besonderen preußischen Staatseinheit hält er also in dem zukünftigen nationalen Reiche nicht für notwendig, er zieht also aus der Anregung Pfizers über die Bedeutung der Provinzialstände dieselbe Folgerung, die Pfizer in der i. Auflage seines Briefwechsels nur kurz angedeutet hatte, und die er in den späteren Auflagen seines Buches erst ausführlich darlegen sollte, und so kann man das, was man über Pfizer gesagt hat, auch von Droysen sagen, daß er wohl für die nationale Hegemonie der Hohenzollern, nicht aber für die Hegemonie des preußischen Staates kämpfte 1 ). Aber in dieser Gemeinsamkeit liegt doch ein Problem verborgen. Die Forderung auf Auflösung Preußens entsprang bei Pfizer der Furcht, daß das norddeutsche Element im künftigen Deutschland dominieren würde, hatte den realpolitischen Zweck, die süddeutschen Widerstände gegen die preußische Hegemonie zu beseitigen, und zugleich sprach sich darin auch ein durchaus realer Instinkt für die Autonomie der preußischen Staatspersönlichkeit und für die Schwierigkeiten, die sich von hier aus gegen die Begründung eines deutschen Nationalstaates erheben konnten, aus. Wie kam es nun aber, daß der Preuße Droysen, bei dem doch diese Motive des Süddeutschen Pfizer keinen Einfluß haben konnten, dieselbe Forderung an den preußischen Staat richtete, und wie konnte ihm die Aufopferung der preußischen Staatspersönlichkeit für das deutsche Ziel eine Selbstverständlichkeit sein? In dem Aufbau des deutschen Nationalstaates, wie wir ihn eben skizzierten, sieht Droysen zugleich die Verwirklichung einer neuen höheren Staatsgestaltung, wie sie bisher noch nicht vorhanden war, für die aber eben in Deutschland die Grundlage gegeben, und zu der die geschichtliche Entwicklung hinführen war". Die von mir oben dargelegten Übereinstimmungen scheinen mir die Bekanntschaft Droysens mit Pfizers Buch zu beweisen. *) Meinecke, Preußen und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, München und Berlin, 1918, 7.

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müsse ). Dies war das Endergebnis seiner historischen Untersuchung über die Pairie, die — wie er schreibt — von dem allgemeingeschichtlichen Satz ausgegangen war, daß „die neue Zeit die Persönlichkeit durch den Staat zur Freiheit erheben soll", daß dies das „suum cuique der Geschichte" sei2). Er stellt somit seine politischen Forderungen als notwendiges Ergebnis der historischen Entwicklung hin und begründet sie dadurch. In seiner Geschichts- und Staatsauffassung liegen also die Wurzeln für seine politischen Gedanken, liegt auch die Erklärung für die Art, in der er das preußisch-deutsche Verhältnis betrachtet. II. Handelt es sich hier um einmalige geschichtstheoretische Gedanken, die durch den Einfluß des Pfizerschen Buches ausgelöst sind, oder handelt es sich um ein fest verwurzeltes historisches Weltbild? Das ist die erste Frage, die wir uns stellen müssen. — Die geschichtliche Einleitung von Droysens Äschylus-Übersetzung, an der er schon in seiner Studienzeit zu arbeiten begonnen hatte 3 ), und die 1832 erschien, ist so deutlich auf dem Grund einer bestimmten Geschichtstheorie aufgebaut, daß wir in ihr ein ausreichendes Material aus der gleichen Zeit zur Beantwortung dieser Frage haben. Hier schreibt er, daß die Geschichte Griechenlands einen bestimmten Inhalt umfaßt: sie füllt „den weiten Raum zwischen der traumgleichen Selbstlosigkeit des Morgenlandes und der Erkenntnis absoluter Freiheit und Berechtigung des Individuums" 4 ); es heißt dies, daß auch diese Darstellung von dem Gedanken beherrscht ist, der seinen politischen Betrachtungen zugrunde lag, — daß der Inhalt der Weltgeschichte die Verwirklichung der Freiheit sei, — und daß die griechische Geschichte am Anfange dieser weltgeschichtlichen Entwicklung steht. In Griechenland ist zum ersten Male der Geist erwacht und hat sich „dem Natürlichen und Gegebenen" entgegengesetzt5); denn geschichtliches Leben bedeutet für ihn Kampf zwischen Natur und Geist, es beginnt, wenn sich der Geist dem Naturzustand entgegensetzt und ihn überwindet, aber als Endergebnis der geschichtlichen Arbeit kehrt auch *) „Selbst die Vereinzelung Deutschlands darf ja kein ewiges Unglück, muß eine Stufe zu höherer, vollkommenerer Gestaltung sein." Siehe diese Arbeit S. 7. *) Brf. I, 39. 3 ) G. Droysen a. a. O. 75. 4 ) Äschylus-Übersetzung II, 278. ') Äschylus-Übersetzung I, 163. Auf dieser Seite auch die folgenden Zitate.

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der Naturzustand wieder — denn der Geist ist nicht müde geworden, „gegen jedes Bestehende sein furchtbares Warum geltend zu machen; er rüttelt und untergräbt und zerstört, bis er endlich allen Unterschied hinweggearbeitet, alles Seiende in das Niveau des Neides, der Selbstsucht, der Aufklärung herabgezogen und bis zur Atomistik ochlokratischer Gleichheit zersetzt hat; vor dieser Gleichheit, diesem wüsten, medusenhaften Zerrbilde der Freiheit, erstarrt er selbst, und die entgeistete Masse sinkt in langsamer Verwitterung zu dem alten vegetierenden Naturstande zurück", — es ist ein K r e i s l a u f , den er in der Geschichte eines jeden Volkes verwirklicht sieht, den er als ein „ewiges Gesetz geschichtlicher Entwicklungen und ihr notwendiges Resultat" betrachtet. — Aber trotzdem bleibt die Weltgeschichte für ihn doch eine einheitliche Entwicklung, und zwar sieht er den weltgeschichtlichen Zusammenhang zwischen der Geschichte der einzelnen Völker dadurch gewahrt, daß eben im Verlauf der Geschichte eines Volkes ein geistiges Prinzip verwirklicht, eine „ T a t " erarbeitet wird 1 ) — es ist dies die „Scheitelhöhe" 2 ) der Entwicklung, zu der die Geschichte eines Volkes aufsteigt, bei der aber auch wieder der Abstieg beginnt — , und daß zwischen diesen „Prinzipien" eine fortschreitende Entwicklung, deren Inhalt eben die Verwirklichung der Freiheit ist, besteht. In dieser Herausarbeitung seines geistigen Prinzips gipfelt aber auch die gesamte kulturelle und geistige Entwicklung eines Volkes — vor allem Poesie und Philosophie dokumentieren für ihn die Entwicklungen des Geistes3), und sie müssen also eine „mit der allgemeinen Geschichte übereinstimmende, man möchte sagen begriffsmäßige Entwicklung" darstellen4) — , und so bildet die Grundlage für historische Forschung in diesem weltgeschichtlichen Sinne die Überzeugung, „daß von der Zeit gerettet ist, was mußte, daß sie keine Lücke gelassen hat, wo die allgemeine EntWickelung des Geistes in lückenlosem Fortgange erkannt werden muß" 5 ). — Diese geschichtstheoretischen Ansichten stehen durchaus in Übereinstimmung mit seiner historisch-politischen Gedankenwelt; man kann seine politischen Äußerungen geradezu als die Verlängerung dieser historischen Ansichten in die Zukunft ansehen: Preußen trägt das Prinzip in sich, in dem Reich auf deutschem Boden eine neue höhere ') Äschylus-Übersetzung I, 163: „Ich glaube die Tat Athens ist das Bewußtsein der Freiheit errungen und betätigt zu haben." l ) Äschylus-Übersetzung I, 175. *) Äschylus-Übersetzung II, 276. 4) Äschylus-Übersetzung II, 277 f. •) Äschylus-Übersetzung II, 277.

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Staatsform zu verwirklichen und dort eine neue Stufe in der Entwicklung des allgemeinen Geistes zu erarbeiten. Damit wird aber die Frage nach der Entstehung und den Zusammenhängen seiner politischen Gedankenwelt zu der Frage nach den entscheidenden Anregungen seines wissenschaftlichen Bildungsganges. — Als Droysen diese Ubersicht über die Geschichte Athens verfaßte, hatte er gerade seine Studien an der Berliner Universität beendet, in denen er sich — ein Schüler Böckhs — der klassischen Philologie gewidmet hatte. Die Philologie war damals nicht nur eine einzelne Wissenschaft, sondern Vertreterin einer bestimmten weltanschaulichen Haltung, eine der beherrschenden geistigen Bildungsmächte1), und also wohl imstande, das geistige Weltbild des jungen Droysen zu formen und zu beherrschen. Aber eine Betrachtung der damaligen deutschen Philologie wird uns zeigen, daß von ihr nicht die entscheidende Anregung zu Droysens geschichtstheoretischen Anschauungen ausgegangen ist, daß diese sich vielmehr im Gegensatz zu ihr gebildet haben. Die wirklich bestimmenden Einflüsse in Droysens Geschichtsbild werden aber durch diese Gegenüberstellung um so deutlicher hervortreten. — Aus der Anschauungswelt der klassischen deutschen Literaturepoche, die in der Antike Regel und Vorbild des gesamten menschlichen Lebens sah, war die „Begriffsbestimmung der klassischen Altertumswissenschaft" erwachsen2). F. A. Wolf, der als der Begründer dieser neuen klassischen Altertumswissenschaft gilt8), bezeichnet als das Ziel, auf das die verschiedenen unter dem Namen der Altertumswissenschaft zusammengefaßten Kenntnisse ausmünden sollen: „Die Kenntnis der altertümlichen Menschheit selbst, welche Kenntnis aus der durch das Studium der alten 1 ) Als eine derart selbständige geistige Großmacht faßt auch Rothacker a. a. 0 . 3 8 die Philologie:, .Trägerin einer n o r m a t i v e n H a l t u n g , einer bestimmten Gewöhnung und Tradition die Dinge zu betrachten, Nährboden und Quellpunkte grundsätzlicher Wertungen und Ablehnungen." Wenn auch in den Werken der führenden Vertreter der damaligen Altphilologie die verschiedensten geistigen Strömungen — Romantik, Hegeische Philosophie usw. — erkennbar werden, so war doch die Einheit des philologischen Weltbildes damals noch nicht gesprengt, und so suche ich in der hier folgenden Darstellung der damaligen Altertumswissenschaft die einheitliche Richtung der historischen Anschauungen der Philologie herauszuarbeiten. Durch die Blickrichtung auf Droysen ist es bedingt, wenn in dieser Skizze Böckh als Lehrer Droysens stärker hervortritt. 2 ) Kärst, Studien zur Entwicklung und Bedeutung der universalgeschichtlichen Anschauung, Historische Zeitschrift, Bd. 106, 1911, 498 f. 3 ) Vgl. F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, 2. Auflage, Leipzig, 1897, Bd. II, 208 f.

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Uberreste bedingten Beobachtung einer organisch entwickelten bedeutungsvollen Nationalbildung hervorgeht" 1 ); bedeutungsvoll aber erscheint sie ihm deshalb, weil nur im alten Griechenland sich fände, „was wir anderswo fast überall vergeblich suchen", „Völker und Staaten, die in ihrer Natur die meisten solchen Eigenschaften besaßen, welche die Grundlage eines zu echter Menschlichkeit vollendeten Charakters ausmachen"2). — Das Altertum besitzt also für diesen Begründer der klassischen Altertumswissenschaft einen durchaus normativen Wert, und in der „Umarbeitung der ästhetischen und absoluten Schätzung des Altertums in die historische und relative"3) beruht zum großen Teil die innere Geschichte der klassischen Philologie im vorigen Jahrhundert. Schon Böckh und Niebuhr, die zusammen mit vVolf dieser neuen, auf die Erkenntnis des gesamten antiken Lebens hinzielenden Wissenschaftsrichtung gegenüber der auf das Gebiet der alten Sprachen beschränkten, bis dahin herrschenden Forschungsweise zum Siege verholfen hatten 4 ), wenden sich gegen die übertriebene Idealisierung der Alten5) und gegen die Anschauung, daß hier ein für alle Zeiten gültiger Maßstab vorläge6). Mit der Altertumsanschauung des deutschen Klassizismus blieben sie aber darin verbunden, daß sie die Welt des Altertums, vor allem die griechische Welt, als eine große Einheit ansahen, in deren Erscheinungen auch eine einheitliche Idee erkennbar wäre7). Im Zusammenhang ') F. A. Wolf, Darstellung der Altertums-Wissenschaft im Museum der Altertums-Wissenschaft, herausgegeben von Wolf und Buttmann, Berlin, 1807, Bd. 1, 124 f. 2 ) F. A. Wolf a. a. O. 132. s ) Aus einem Brief Erwin Rohdes. Zitiert bei W. Kroll, Geschichte der klassischen Philologie, 2. Auflage, Berlin und Leipzig, 1919, 142. — Es ist interessant, daß dagegen Werner Jäger, Die geistige Gegenwart der Antike, Berlin, 1929, jetzt wieder den normativen Charakter des Altertums hervorhebt. 4 ) Diesen Gegensatz bezeichnet G. Droysen a. a. 0 . 4 5 mit den Ausdrücken „Sachphilologie"und,,Sprachphilologie". AllerdingsscheintermirdieBedeutung dieses Gegensatzes für die Entwicklung J. G. Droysens zu überschätzen. 6 ) Böckh, Staatshaushaltung der Athener, Berlin, 1817, Bd. II, 158: „Nur die Einseitigkeit oder Oberflächlichkeit schaut überall Ideale im Altertum." Niebuhr, Kömische Geschichte, Berlin, 1811, Bd. I, 13. •) Böckh, Staatshaushaltung I, 492, Niebuhr a. a. O. II, 402. 7 ) Böckh, Enzyklopädie und Methodologie der Philologischen Wissenschaften, herausgegeben von E. Bratuscheck, Leipzig, 1877, 56: „Es muß ein Gemeinsames gefunden werden, in welchem alles Besondere enthalten ist. Es ist dies dasjenige, was die Philosophen das P r i n z i p eines Volkes oder Zeitalters nennen, der innerste Kern seines Gesammtwesens." — J. Wach, Das Verstehen. Grundzüge einer Geschichte der hermeneutischen Beiheft d. H. Z. 20.

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mit diesem Gedanken einer einheitlichen antiken Kulturidee steht dann der weitere, daß es sich hier um eine völlig abgeschlossene Kulturentwicklung handelt 1 ), und daß die ihr zugrunde liegende Idee zu völliger Verwirklichung gelangt ist. Diese Idee des Antiken wollte Böckh im „Hellen" darstellen — ein literarischer Plan, dem er sein Leben lang nachgegangen ist2), solche Erkenntnis sollte auch das Ziel der griechischen Geschichte sein, die der große Lebensgedanke Otfried Müllers war, und zu der seine „Geschichten der hellenischen Stämme und Städte" nur Bausteine liefern sollten3). Wenn sich Böckh auch durchaus bewußt war, daß diese Humanitätsidee — denn sie bildete für ihn den einheitlichen Mittelpunkt der antiken W elt4) — nur aus der Entwicklung des Altertums erkannt werden und nur für diese Entwicklung als Maßstab gelten konnte5), lag doch darin, daß hier zum ersten und einzigen Male eine solche Kulturidee zu voller Ausprägung gelangt war6), von vornherein ein normatives Moment. Und dieser normative Charakter der damaligen Altertumswissenschaft zeigt sich besonders deutlich, wenn in den historischen Untersuchungen Altertum und Gegenwart miteinander verglichen werden7). Bei solchen Gegenüberstellungen — mit besonderer Vorliebe betreffen sie das Gebiet des politischen Lebens — erscheinen die Einrichtungen des Altertums dann als ein nachahmenswertes Beispiel. Es liegt allerdings im Wesen solcher normativen Betrachtungen, daß in ihnen weniger die wirklichen Verhältnisse geschildert werTheorie im 19. Jahrhundert, Tübingen, 1926, Bd. I. 189, macht mit Recht darauf aufmerksam, daß hier der Geist der Objektivationsgesamtheit, der Kultur, nicht von der sozialpsychischen Kollektivindividualität, der Volksseele, geschieden ist. ') Böckh, Enzyklopädie, 12. Vgl. auch K. O. Müller, Kleine deutsche Schriften, ed. Ed. Müller, Breslau, 1847, Bd. I, 8, 15 f. *) Vgl. M. Hoffmann, August Böckh, Leipzig, 1901, 35. *) K. O. Müller, Geschichten Hellenischer Stämme und Städte, Breslau, 1820, Bd. 1 , 8 , 1 5 . Vgl. A. Baumeister in Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 22, 664. ') Böckh, Enzyklopädie, 299: „erreichte hier der Geist die volle Stufe der Humanität"; auch 257. ') Böckh, Enzyklopädie, 257: „wenn daher die höchste Aufgabe der Kritik darin besteht, das gesammte geschichtliche Leben einer Nation oder Zeit nach dem Ideal der Humanität zu messen, so darf letzteres doch wieder nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern muß aus der Entwickelung selbst gewonnen werden." *) Vgl. Joachim Wach a. a. O. 184. ') Böckh sagt (Enzyklopädie, 6): „Auch ist die alte Zeit ohne die neuere als ihr Complement nicht verständlich."

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den als politische Ideale des Forschers zutage treten 1 ). So zeigt Niebuhrs Römische Geschichte — den Verfassungsexperimenten der französischen Revolution gegenüber2) — das Idealbild einer im organischen Wachsen entstandenen, die Stände in ihrem natürlichen Gleichgewicht haltenden Verfassung3). Auch Otfried Müller stellt „die hohe Freiheit des Spartiaten wie des Hellenen überhaupt", die nichts anderes „als ein lebendiges Glied des Ganzen" sein wollte, dem gegenüber, „was man in neuerer Zeit gewöhnlich Freiheit nennt", was aber darin besteht, „vom gemeinen Wesen möglichst wenig in Anspruch genommen zu werden; oder mit andern Worten: den Staat nach seinem Teile möglichst aufzulösen" 4 ). Böckh endlich sagt ausdrücklich: „Das Altertum lehrt die wahre politische Freiheit und die echten Grundsätze derselben"5). Und seine freiheitliche Staatsanschauung läßt sich erkennen, wenn er den Vorzügen des athenischen Freistaats die Willkürlichkeiten des modernen absolutistischen Systems gegenüberstellt4) und den Freiheitssinn der Alten preist7). Wenn auch die Altertumswissenschaft im einzelnen weitgehend auf Droysen eingewirkt haben mag, in die Augen fällt vor allem der Gegensatz, in dem seine Anschauungen zu denen der klassischen Philologie stehen. Denn was den besonderen Charakter des Geschichtsbildes der Philologie ausmachte, daß sie die Welt der Antike als eine Einheit auffaßte und das geschichtliche Leben l ) Vgl. darüber E. Spranger, Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee, 2. Auflage, Berlin, 1928, 457 f.: „Jede Forschung auf geistigem Gebiet, in die die leise Absicht eines subjektiven Nutzens hineinfließt, verwandelt damit die Erkenntnis der Tatsachen in Regeln und Vorbilder: es kommt ein n o r m a t i v e s Moment in die Geschichte hinein, und statt der wirklichen Menschen gibt sie Ideale und ethische Aufgaben." ') Niebuhr a. a. O. I, 322, 418 f. *) Vgl. G. Küntzel, Niebuhrs Römische Geschichte und ihr zeitgenössischer politischer Gehalt, in „Festschrift fflr F. C. Ebrard", Frankfurt a. M., 1920. — In der Einleitung der Briefe Barthold Georg Niebuhrs, herausgegeben von D. Gerhard und W. Norvin, Berlin, 1926/29, spricht D. Gerhard (Bd. I, LII) von den „politisch-pädagogischen Antrieben" des Werks. — Vgl. auch Niebuhr-Briefe Bd. II, 229, Niebuhrs eigene Äußerung im Brief an Perthes vom 9. November 1811 über die politischen Anspielungen der Römischen Geschichte. «) K . Otfried Müller, Geschichten Hellenischer Stämme und Städte. Bd. III, Die Dorier, Breslau, 1824, 6. ') Böckh, Enzyklopädie, 28. ') Böckh, Staatshaushaltung, I, 56, 159, 221, 306. In einem gewissen Gegensatz dazu betont er an anderer Stelle die einmaligen historischen Vorbedingungen der athenischen Demokratie (I, 162; II, 156—158). ') Böckh, Staatshaushaltung, II, 159.

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in den Gegensatz antiker und moderner Kultur auflöste, gerade das ist dem dynamischen Geschichtsbilde Droysens, für den das geschichtliche Leben eine mit der Geschichte des griechischen Volkes beginnende und bis in die moderne Zeit fortschreitende Entwicklungsreihe bedeutete, durchaus entgegengesetzt. In dieser Abwendung von der philologischen und Hinwendung zu einer historischen Betrachtung des Altertums spricht sich aber nicht nur eine andere Forschungsweise aus, es deutet sich darin die Betrachtungsweise einer neuen Zeit an, die nicht mehr von dem individuellen Ideal aus, vor dem die Erscheinungen der geschichtlichen Welt meßbar und wertbar waren, die Welt betrachtete, sondern für die das Gefühl überwog, einer Gemeinschaft angehörig zu sein. — Droysen empfand seine Anschauung als einen Fortschritt gegenüber der Altertumswissenschaft. In der programmatischen Antrittsvorlesung, mit der er seine akademische Lehrtätigkeit begann1), sagt er, das Altertum könne nicht mehr Vorbild der Gegenwart sein, weil die erste Bedingung für den Wert einer Zeit sei, Ergebnis eigener Entwicklung zu sein, und der Name „Philologie" bedeute jetzt nur noch eine „Chimäre", weil es nicht mehr möglich sei, die Geschichte und Sprache der klassischen Völker „als ein geschlossenes Ganzes, als eine Entwicklung für sich" zu betrachten. „Das mannigfache Durcheinander vergangener Zustände und Bestrebungen" müsse die heutige Wissenschaft nur „als eben so viele Durchgangspunkte geschichtlicher Entwicklungen" ansehen, „deren Endresultate sich nach tausendfachem Wechsel zu dem großen Netz der Gegenwart zusammenschürzten". Jede wissenschaftliche Erforschung der Antike dürfe sich allein darauf richten, das Altertum in seiner historischen Bedeutung zu begreifen. — Mit aller Deutlichkeit zeigen diese Betrachtungen aber, daß Droysens Wertung des Altertums als eine Erscheinung von rein historischer Bedeutung nicht etwa aus einer empirischen Versenkung in die Welt der Antike hervorgegangen ist, sondern daß die Anwendung des geschichtsphilosophischen Gedankens der Entwicklung der Weg war, auf dem „der erste ganze Historiker den Griechen in Deutschland erstand" 2 ). In den Mittelpunkt unserer ') Ihr Inhalt bei G. Droysen a. a. O. 89—92. Die Quelle, auf die sich die Darstellung G. Droysens stützt, war leider nicht mehr auffindbar. — Sehr deutlich spricht sich in den Ausführungen über die Linguistik der Einfluß Bopps aus. Bopp und Carl Ritter sind die wissenschaftlichen Fachvertreter, die am stärksten auf Droysen eingewirkt haben. 2 ) So U. v. Wilamowitz-Moellendorf, Geschichte der Philologie (Einleitung in die Altertumswissenschaft, herausgegeben von Gercke und Norden, Bd. I, 1), Leipzig und Berlin, 1 9 2 1 , 69 über Droysen.

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Betrachtung rückt aber damit der Einfluß, den die andere geistige Großmacht, die in Droysens Studienzeit die Berliner Universität beherrschte, auf ihn ausgeübt hat: die Hegeische Philosophie. III. Droysen hatte schon in seinem dritten Semester die Hegelschen Vorlesungen zu besuchen begonnen und hat in seiner Studienzeit fast alle bedeutenden Kollegs Hegels gehört 1 ). Aber, wie er selbst später einmal schreibt, war er nie ein Glied der Hegelschule2), noch hat er je in der „Sprache der Schule"3) geschrieben: die philosophischen Grundlagen des Hegeischen Systems, in dem die gesamte Erscheinungswelt, Natur wie geschichtliches Leben, zur Gestaltung des Geistes wurde und diese Verbindung durch die Allgemeingültigkeit eines neuen logischen Gesetzes, des Dreitakts ') U. a. „Logik und Metaphysik", „Geschichte der Philosophie", „Geschichte des Geistes", „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte", G. Droysen a. a. O. 49. — In diesem Abschnitte handelt es sich allein darum, die Berührungspunkte der Droysenschen Geschichtstheorie mit der Lehre Hegels nachzuweisen, und auf das Hegeische System gehe ich nur so weit ein, als es notwendig ist, um die merkwürdige Stellungnahme Droysens zu Hegel in dieser Zeit — scharfe Ablehnung in seinen Briefen trotz weitgehender Annahme seiner Lehren — zu erklären. Allerdings ist eine etwas eingehendere Betrachtung des Hegeischen Einflusses schon deswegen notwendig, weil bisher in der Literatur noch nirgends — auch G. Droysen a. a. O. 50 scheint mir nicht genug zu sagen, wenn er schreibt: „Nur anfangs ließ er sich von Hegels gewaltigem, aber einseitigem Genius stärker fesseln" — hervorgehoben ist, wie bedeutungsvoll dieser Einfluß war. So sehr ich auch mit der Formulierung E. Meisters in seinem Aufsatz, Die geschichtsphilosophischen Voraussetzungen von J. G. Droysens Historik, Historische Vierteljahrschrift, Bd. 23, 1926, 219, daß es in betreff der Beziehungen Droysens zu den geschichtsphilosophischen Ideen des deutschen Idealismus richtiger sei, „von einer geistigen Angrenzung als von einer Abhängigkeit" zu sprechen, einverstanden bin, so möchte ich doch die Beziehung Droysens zu Hegel davon ausnehmen; hier scheint mir einige Jahre geradezu ein Abhängigkeit vorzuliegen, und auch später sind die Spuren des Hegeischen Einflusses nie völlig verwischt worden. — Von der nach Veröffentlichung des Droysen-Briefwechsels erschienenen Literatur betont H. Herzfeld in seiner Rezension in der Deutschen Literaturzeitung, 1930, 413 f-, den Hegeischen Einfluß, während Meinecke in seinem Aufsatz über Droysen in der Historischen Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 263, ihn gegenüber den religiösen Antrieben von Droysens historischem Denken in den Hintergrund treten läßt. *) Brf. I, 335: „Mein alter unvergeßlicher Hegel hat wohl nie mich mehr als zu den &vgooifoyoi gezählt." ») Brf. I, 38.

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der Dialektik, bewiesen, d. h. die Welt „logisiert" wurde, hat er nie angenommen.1) Allerdings lassen sich auch in seinen geschichtlichen Darstellungen Anwendungen der Dialektik 2 ) nachweisen, aber sie bedeutet für ihn keineswegs den einzigen logischen Ausgangspunkt, an dem sich die Entwicklung der historischen Erscheinungen aufreihen ließ. Auch von jener, sich aus ihren metaphysischen Grundlagen ergebenden Grundstimmung Hegelscher Geschichtsbetrachtung, für die von jeder historischen Erscheinung nur der geistige Gehalt blieb, und für die die geschichtliche Wirklichkeit letzten Endes nur eine Scheinwelt war, ist in Droysens Geschichtsempfinden nichts zu spüren. Von dem Hegeischen System hat also nur ein Segment, die Hegeische Geschichts- und Staatsbetrachtung, auf ihn Einfluß ausgeübt3), und diese vor allem durch die Begriffe und Anschauungsart, mit der sie das historische Leben durchdrang. Die geschichtstheoretischen Ansichten Droysens, wie sie sich in seiner Ubersicht der Geschichte Athens zeigten, werden von dem spiritualistischen Grundgedanken der Hegeischen Geschichtsphilosophie beherrscht, der das geschichtliche Leben zu einer Hervorbringung des Geistes macht. Auch die weiteren Grundzüge des Droysenschen Geschichtsbildes, die mit diesem Gedanken in enger Verbindung stehen: Geschichte als Entwicklung des Weltgeistes, als Prozeß, dessen Inhalt eine fortschreitende Verwirklichung des Prinzips der Freiheit ist, in einer Stufenfolge, die von Volk zu Volk zu immer höheren Gestaltungen dieses Prinzips aufsteigt, — es sind die Gedanken, die das Gerüst der Hegeischen Weltgeschichtsdarstellung bilden. Wie weit aber dieser Einfluß geht, wie tief er Droysens gesamtes historisch-politisches Denken durchwirkt, dafür können die Mitteilungen, die er von seiner Unter*) Vgl. Brf. I, 33: „Man muß beginnen, ephemer und empirice zu leben, zu denken, zu hoffen und zu verzweifeln." 2) Vgl. dazu die in dieser Arbeit S. 39 zitierte Vorrede des ersten Bandes der Geschichte des Hellenismus, aber auch noch den Aufbau des ersten Bandes der „Geschichte der Preußischen Politik"; über den in der preußischen Politik noch spürbaren Einfluß Hegels sagt Gooch, History and historians in the nineteenth Century, London, 1913, 139: „ H e had sat at Hegel's feet, and the leading conception of the, History of Prussian Policy' — the national idea working itself out through the centuries over the heads of men — was thoroughly Hegelian." 3) Die Beziehung Droysens zu Hegels Staatsanschauung behandelt H. Heller in seinem Buch: Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland, Leipzig, Berlin, 1921, 1 7 6 — 1 8 2 , nur unter alleiniger Berücksichtigung des Machtstaatsgedankens, den Droysen, wie im folgenden gezeigt wird, erst seit dem 48er Jahre angenommen hat.

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suchung über die Pairie macht, als ein Beispiel 1 ) gelten: nicht nur in den Begriffen, mit denen er in dieser Betrachtung des Verfassungslebens arbeitet — Gegensatz von Gesellschaft und Staat,ständische Gliederung in Gewerbe, Bauern, Adel — , und die den Begriffen der Hegeischen Rechtsphilosophie2) entsprechen, zeigt sich diese Abhängigkeit, sondern vor allem in der Art, in der die Institutionen eines Landes — Englands, Frankreichs — als Ausfluß eines bestimmten, in diesem Lande verwirklichten Prinzips gedeutet werden: ja, seine Auffassung von England als dem „Land der nur persönlichen Freiheit" berührt sich eng mit den Gedanken, die Hegel in seinem Aufsatz über die englische Reformbill über das „englische Prinzip des Positiven" 3 ) entwickeln sollte. Von der Gedankenwelt der Hegeischen Geschichtsphilosophie ist also das Geschichtsbild Droysens abhängig. Wenn aber für die politische Gedankenwelt Droysens dieses Geschichtsbild gerade deshalb bedeutungsvoll erschien, weil Droysen es für möglich hielt, aus der geschichtlichen Entwicklung den Gang der zukünftigen Entwicklung zu erkennen, und er seine politischen Ziele als notwendiges Ergebnis der historischen Entwicklung hinstellte, so erhebt sich die Frage, wie weit auch hierbei die Einwirkungen Hegels spürbar sind. Für Hegel war die geschichtliche Entwicklung abgeschlossen; die Voraussetzung seiner Geschichtsphilosophie bildet gerade die Überzeugung, daß der „Geschichtsprozeß mit der christlich-germanischen Periode bereits zu seiner wesentlichen und wenigstens *) Da ich später bei Droysens „Geschichte Alexanders des Großen" auf die Einzelheiten des Hegeischen Einflusses in einem Geschichtswerk Droysens eingehe, will ich — um Wiederholungen zu vermeiden — für die Einleitung der Äschylus-Übersetzung nicht das gleiche tun. Immerhin möchte ich hier auf Äschylus-Übersetzung I, 228 („der entschiedene Gegensatz der letzten Extreme, zu denen sich die Entwicklung erheben muß, um die Versöhnung möglich zu machen"), II, 210, 211 („Rhythmus des Weltgeistes"), 276 („Die Jahrhunderte haben sich für wenige entschieden . . . sie hören auf, Personen zu sein, um in sich den Geist ihres Volks und ihres Jahrhunderts zu personifizieren") und die folgende ästhetische Betrachtung (vor allem S. 277, 278, 280, 281, 290) als Beispiel für den Hegelschen Einfluß hinweisen. *) Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, herausgegeben von G. Lasson, 2. Auflage, Leipzig, 1921, 154 (die bürgerliche Gesellschaft); 165, § 202—205 (Die Ständelehre). Zu Hegels Ständelehre vgl. F. Rosenzweig, Hegel und der Staat, München und Berlin 1920, II, 120 ff. *) Hegel, Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, herausgegeben von G. Lasson, Leipzig, 1913, 292.

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grundsätzlichen Vollendung gekommen" 1 ) wäre und damit für den philosophischen Betrachter der gesamte geistige Gehalt der Geschichte sich überschauen lasse. Und sein Denken über den Staat, mit dem eine Zeit neuer realistischer Staatsbetrachtung beginnt, mündet in die Lehre, daß der Idealstaat dieser letzten Geschichtsperiode sich in Preußen auf den Boden der Realität herabgesenkt, daß das Staatsprinzip der modernen Zeit in dem protestantischen und monarchischen Preußen der Restauration seine Verwirklichung gefunden habe 2 ). So ist wohl das Zukunftsbild Droysens in seinen Grundzügen von dem Bilde, das Hegel von der modernen Zeit entwirft, bestimmt : die neue Staatsgestaltung, die zum Träger des gesamten kulturellen und geistigen Lebens wird, und das protestantische Preußen als der Boden für diesen neuen Staat — als das weltgeschichtliche Volk der neuen Zeit; das sind eben die entscheidenden Elemente der politischen Gedankenwelt Droysens. Aber während Hegel im damaligen Preußen den neuen Staat schon in den Grundzügen verwirklicht sieht, verlegt Droysen die Verwirklichung dieses Staatsprinzips erst in die Zukunft, verbindet sie mit der Schaffung eines deutschen Nationalstaates. Und so ergibt sich, daß das Gesetz der Notwendigkeit, das die rückwärts gewandten Konstruktionen der Hegeischen Geschichtsphilosophie beherrschen mußte, sich bei Droysen auch auf die zukünftige Entwicklung ausdehnte. Seine liberalen und nationalen Überzeugungen, die sich unter der Einwirkung anderer geistiger Strömungen gebildet und im Rahmen des vollendeten Hegeischen Systems keinen Platz fanden, vor allem aber das Lebensgefühl einer neuen Generation, die die Arbeit ihres Lebens erst vor sich sah, mögen ihn zu dieser Abwendung von den Lehren Hegels, zu dieser Umdeutung seiner Geschichtstheorien in die Zukunft geführt haben — es ist eine Wendung, die ihm ') Vgl. E. Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme, Tübingen, 1922, 254. Es gilt dies nur für den späteren Hegel, und auch dieser glaubte natürlich nicht, daß das geschichtliche Leben zu Ende, betrachtete aber doch als seinen weiteren Inhalt nur noch Ausgestaltung und Vollendung des bisher Errungenen; vgl. darüber J. Löwenstein, Hegels Staatsidee. Ihr Doppelgesicht und ihr Einfluß im 19. Jahrhundert, Berlin, 1927, 50—52. l ) Rosenzweig a. a. O. II, 161 ff. lehnt zwar ab, daß der preußische Staat das Vorbild Hegels für seine Staatslehre gewesen sei, aber auch er gibt zu, daß eine weitgehende Übereinstimmung seiner Lehren mit den Institutionen des preußischen Staates geherrscht habe; insoweit muß der Eindruck auf den Hörer doch der einer weitgehenden Verherrlichung des damaligen Preußen gewesen sein, was Hegel z. B. im Aufsatz über die englische Reformbill auch offen getan hat.

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mit der gesamten Hegeischen Linken gemeinsam ist 1 ). Aber hieraus erklärt sich auch die ablehnende Art, mit der er in seinen Briefen zu dieser Zeit von Hegel spricht: seinem politischen Zukunftsglauben erschien der Denker, dem jetzt „die Zeit des Begreifens" anstelle „der Zeit des schaffenden Handelns" gekommen war 2 ), als der „Philosoph der Restauration" 3 ), dessen Weise mit der Julirevolution ein Ende habe4). Aber gerade aus diesen Zusammenhängen heraus wird deutlich, wie stark sein nationalstaatliches Denken noch an überstaatliche Gedankengänge gebunden und in ihnen befangen ist: erst als Ziel der allgemeinen Menschheitsentwicklung gewinnt der deutsche Nationalstaat Berechtigung. Gegenüber dem heißen, lebendigen Gefühl, mit dem er seinen Glauben an die deutsche Zukunft ausspricht, scheint diese Ideologie zu verblassen, scheint sie nur eine äußere Umhüllung zu bedeuten, die er bald abwerfen wird. Aber in diesen universalen Gedankengängen liegt doch der Ausgangspunkt für die Art, in der er die Pfizersche Anregung über die Bedeutung der Provinzialstände verwertete, und damit für die Ideen über die „Auflösung" Preußens, die sein politisches Denken bis in die Revolution von 1848 hinein bestimmt haben. Erst eine lange innere Entwicklung, erst eigene politische Erfahrungen waren notwendig, damit das Recht der Staatspersönlichkeit und das Recht auf nationale Selbstgestaltung eine von ihnen unabhängige Bedeutung gewann. IV. Mit dieser Auffassung einer so starken universalistischen Bindung des Droysenschen Denkens steht allerdings ein Gedanke im Widerspruch, der oftmals ausgesprochen ist: daß Droysen in seiner Geschichte Alexanders des Großen, in der Schilderung der Beziehungen Mazedoniens zu Griechenland, auf das Ziel der preußischen Hegemonie über Deutschland hätte hindeuten wollen, daß in dem Nachweis, daß die Verbindung der mazedonischen Militärmacht mit den griechischen Staaten notwendig war, auch eine Rechtfertigung der Notwendigkeit des preußischen Militär- und Beamtenstaates für Deutschland gelegen hätte5). Wenn diese *) Vgl. Troeltsch a. a. O. 254. ») Troeltsch a. a. O. 255. •) Brf. I, 38. 4 ) Brf. I. 44. s ) Hintze schreibt in seinem Aufsatz Ober Droysen a. a. O. 97, daß im Alexander „die Stellung der mazedonischen Militärmonarchie gegenüber dem zersplitterten, partikularistischen Hellenentum fast als ein Seitenstück zu dem von patriotischen Männern gewünschten Supremat Preußens

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Auffassung richtig ist, so hätte hier im Alexander der Ansatz zu einem realpolitischen und machtstaatlichen Denken gelegen. Erst durch eine Nachprüfung dieser Anschauung wird also das Bild der politischen Gedankenwelt Droysens zu Beginn der 30er Jahre vollständig. Aber eine Betrachtung des Alexander ist auch noch aus einem anderen Grunde wesentlich: sie öffnet den Blick für die Bedeutung, die dem religiös-christlichen Element im historischen Denken Droysens zukommt. Droysen sah den Alexander nur als eine Vorarbeit, eine Einleitung an zu der Geschichte des Hellenismus1), deren Erforschung er sich schon in seiner Studienzeit als Aufgabe gestellt hatte 2 ). Die Geschichte Alexanders des Großen ist somit aus dem Hellenismus-Gedanken hervorgewachsen und gehört in den Zusammenhang der ersten der drei großen historiographischen Konzeptionen, „auf denen sein wissenschaftlicher Ruhm beruht" 3 ). Bis dahin hatte diese Periode auf Historiker und Philologen keinerlei Anziehungskraft ausgeübt; sie galt als die über die deutschen Kleinstaaten" erscheint; nach Below, Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen, 2. Auflage, München und Berlin, 1924, 48 f., „vollzieht sich hier in Droysen ein bedeutsamer Fortschritt in realpolitischer Erkenntnis", Alexander wurde „für die Griechen ein Zwingherr zur Einheit", „wie Fichte in seinem politischen Vermächtnis einen ,Zwingherrn zur Deutschheit" vorausgesagt hatte"; Fueter, Geschichte der Neueren Historiographie, München und Berlin, 1925, 494, will von Droysen im Alexander angedeutet sehen, daß „republikanische Kleinstaatwirtschaft und sittliche Verkommenheit enge verbunden seien", und „daß Nationalitäten, die sich nicht an einen militärisch starken Großstaat (wie Preußen) anlehnten, untergehen müßten"; Rothacker a. a. O. 165 faßt diese Gedanken prägnant zusammen: „Droysens Alexander bewies das Hecht Preußens auf die nationale Führung"; Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 258 f. schreibt: „ E s ist bekannt, daß das Alexanderbuch, das Werk des 25 jährigen (1833), einen politischen Sinn hatte, ein Symbol dafür war, daß der Zeiger der eigenen Zeit auf die Einigung Deutschlands durch die straffe preußische Militärmonarchie stand." ') „Da Du weißt, daß ich die Geschichte Alexanders in der Absicht, die Zeit der Diadochen und weiter die des Hellenismus zu bearbeiten, entworfen habe . . ." Vorrede der „Geschichte Alexanders des Großen". *) Vgl. Brf. I, 24, ferner die Vorrede seiner Dissertation: De Lagidarum regno Ptolemaeo V I Philometore rege, abgedruckt in Droysens Kleine Schriften zur Alten Geschichte, Leipzig, 1894, 351; auch G. Droysen a. a. O. 101 und Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 25g. *) Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 257. — S. 257—265 hat Meinecke eingehend Droysens Hellenismus-Konzeption behandelt; meine Darlegung ist von diesen Ausführungen weitgehend bestimmt worden.

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Zeit der Knechtung Griechenlands und des Untergangs der griechischen Kultur — als Zeit des Verfalls und damit als bedeutungslos im Rahmen der Geschichte der antiken Welt 1 ). Droysen ist der erste, der einer anderen historischen Wertung dieser Periode Bahn brach: er sah sie als notwendige Zwischenstufe der geschichtlichen Entwicklung an, in der der Orient mit griechischem Leben erfüllt und damit eine einheitliche Kultur geschaffen wurde, die die Basis für die christliche Weltreligion und das römische Weltreich bildete2). Er hat die Auffassung der Hellenismuszeit geschaffen, von der dann jede weitere Erforschung dieser Periode ausgegangen ist3). Es ist ein für sein geschichtliches Denken entscheidendes Problem, wie er zu der neuen Wertung dieser Periode gekommen ist, weshalb er sich gerade die Bearbeitung dieses in seiner Zeit für unfruchtbar und undankbar gehaltenen Gebietes zur Lebensaufgabe gewählt hat ? — Auch Johann Gustav Droysen gehört zu den Großen des deutschen Geisteslebens, die aus dem protestantischen Pfarrhause hervorgegangen sind, und die protestantische Gesinnung seines Vaterhauses hat sich seinem Wesen tief eingeprägt; sein religiöser Glaube hat sein ganzes Leben hindurch den festen Untergrund seines Handelns und Denkens gebildet. Von inneren Krisen, die seine gesamte geistige Existenz in Frage gestellt hätten, wissen wir in seinem Leben nichts; sein ') Vgl. Niebuhr, Historischer Gewinn aus der armenischen Übersetzung der Chronik des Eusebius in Abhandlungen der Berliner Akademie 1820/21, 60: „Nach der Schlacht von Chäronea wendet sich die Aufmerksamkeit von dem unglücklichen Griechenland ab . . . " — Niebuhr in dieser AkademieAbhandlung und W. von Humboldt (Werke, Akademie-Ausgabe, VII, 2, 616 f.) sind die einzigen, die die hellenistische Epoche einer eingehenderen Betrachtung für würdig befanden, ohne daß sie aber zu einer neuen Wertung dieser Epoche gekommen wären; für Niebuhr ergibt sich dies aus der oben erwähnten Abhandlung S. 60/61, für Humboldt läßt sich dies wohl aus dem Motto schließen, das er der von ihm beabsichtigten Arbeit voranstellen wollte. 2) Erst n a c h Droysen ist die schöne Formulierung J. Burckhardts in seiner Griechischen Kulturgeschichte, herausgegeben von F. Stähelin, Gesamtausgabe Bd. VIII, Berlin und Leipzig, 1930, 51, denkbar: Das Griechenvolk „im Verlauf der Zeiten dazu bestimmt, alle Völker zuerst zu verstehen und dies Verständnis der Welt mitzuteilen, gewaltige Länder und Völker des Orients zu unterwerfen, seine Kultur zu einer Weltkultur zu machen, in welcher Asien und Rom zusammentrafen, durch den Hellenismus der große Sauerteig der alten Welt zu werden." ') Vgl. R. Laqueur, Hellenismus, Akademische Rede, Gießen, 1925, der die Schaffung des Hellenismus-Begriffes durch Droysen und die Wandlungen dieses Begriffs im Laufe eines Jahrhunderts der Hellenismusforschung behandelt.

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D e n k e n scheint allmählich herangewachsen u n d gereift und sich organisch weitergebildet zu haben. A b e r wir wissen a u c h nicht, w e l c h e n E i n d r u c k auf d e n i m s t r e n g e n G l a u b e n s e i n e s E l t e r n h a u s e s e r z o g e n e n j u n g e n B e r l i n e r S t u d e n t e n der f r e i e G e i s t g e m a c h t h a t , d e r i h m a u s d e n L e h r e n ü b e r die V o r b i l d l i c h k e i t d e s Altertums, der ihm aus der mit der Anschauungswelt des Klassizismus eng verbundenen klassischen Altertumswissenschaft entg e g e n w e h t e . W e n n sein L e b e n v o n einer K r i s e e r s c h ü t t e r t w o r d e n ist, so w i r d es d a m a l s g e w e s e n sein 1 ), u n d v i e l l e i c h t d ü r f e n w i r v e r m u t e n , d a ß a u s diesen G e g e n s ä t z e n , d a ß a u s d e m B e m ü h e n , die W e r t w e l t der A n t i k e m i t d e r W e r t w e l t des C h r i s t e n t u m s a u s z u g l e i c h e n , sein H e l l e n i s m u s g e d a n k e h e r v o r g e g a n g e n ist, i n d e m e b e n diese G e g e n s ä t z e z u einer e i n a n d e r b e d i n g e n d e n E i n h e i t z u sammengebogen wurden2). E r s t d u r c h die E r k e n n t n i s d e r religiösen G r u n d h a l t u n g D r o y sens 3 ) w i r d die E i g e n a r t seines h i s t o r i s c h e n D e n k e n s v ö l l i g s i c h t b a r : die U n m i t t e l b a r k e i t seiner g e s c h i c h t l i c h e n A n s c h a u u n g , d e r S i n n f ü r die E i n z e l h e i t e n d e s g e s c h i c h t l i c h e n L e b e n s , sie s c h ö p f e n ') Darauf deutet vielleicht auch die Unzufriedenheit mit den Berliner Verhältnissen in seinem ersten Semester; vgl. G. Droysen a. a. O. 50 ff. 2) ,,Mag Droysens ursprüngliches Interesse an der hellenistischen Zeit auch die ausdauernde, bis zum Letzten treue Liebe für das sterbende Griechentum gewesen sein, zu der großartigen welthistorischen Entdeckung ihres eigenen, neuen und großen Gehaltes und ihrer Mittlermission zwischen Antike und christlich-abendländischer Welt kam er als gläubiger Christ." Meinecke in Historischer Zeitschrift a. a. O. 262; vor Meinecke hatte schon Laqueur a. a. O. 4 auf die Bedeutung des christlichen Elements für die Schaffung des Hellenismus-Begriffes durch Droysen hingewiesen. — Daß im Christentum von Anfang an eine geschichtliche Gesamtanschauung angelegt ist, dazu vgl. Kärst, Studien zur Entwicklung und Bedeutung der universalgeschichtlichen Anschauung in Historische Zeitschrift, Bd. 106, 1911, 483. —• Durch die eingehenden Darlegungen Meineckes über die Bedeutung des christlichen Elements für das historische Denken Droysens bin ich zu einer schärferen Betonung dieses Elements veranlaßt worden; damit scheint mir aber, wie ich im folgenden darlege, ein starker Einfluß Hegels keineswegs ausgeschlossen zu werden. *) Ob nun diese religiöse Geschichtsdynamik Droysens auch durch einen von der Theologie herkommenden wissenschaftlichen Einfluß wie den Schleiermachers gefördert worden ist, vermag ich nicht zu entscheiden; die nur einmalige Erwähnung Schleiermachers im Briefwechsel (Brf. I, 60) scheint mir eine nähere persönliche Bekanntschaft auszuschließen, auch bildete — bei den engen Beziehungen Droysens zum HegelKreis •— die Feindschaft Hegels mit Schleiermacher für eine Einflußnahme Schleiermachers zu Anfang der 30 er Jahre doch wohl ein unüberwindbares Hindernis. Wenn E. Meister, der in seinem Aufsatz: Die geschichtsphilo-

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ihre Rechtfertigung eben aus der Überzeugung, daß diese geschichtliche Welt in jeder ihrer Äußerungen von Gott geschaffen und deshalb zu bejahen sei, und von hier aus strömt in seine historischen Darstellungen Lebendigkeit und Wärme ein1). Durch den Glauben an Gottes Leitung der Geschichte konnte er sich ganz der „ruhelosen Dynamik der Geschichte, die zerstört, um aufzubauen und aufbaut, um zu zerstören"2), hingeben. — Damit stellt sich aber auch schon die Frage, wie das religiöse Element seines historischen Denkens zu dem Einfluß steht, der von der Hegelschen Geschichtsphilosophie auf ihn ausgegangen war ? In seinem christlichen Glauben ist es sicher begründet, daß Droysen, wie wir sahen, das Hegeische System in seiner Gesamtheit, als geistigweltanschauliche Zusammenfassung, nie angenommen hat, daß nur die Geschichts- und Staatsphilosophie Hegels auf ihn einwirkte 3 ) ; aber auch hier mußte sich ein Gegensatz auftun zwischen den Anschauungen einer Philosophie, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht hatte, die Welt zu „beweisen" 4 ), und der aus dem sophischen Voraussetzungen von Joh. G. Droysens Historik in Historische Vierteljahrschrift Bd. 23, 1926, Droysens Historik nahe an Schleiermacher heranrückt, Hecht hat, so muß die nähere Bekanntschaft mit Schleiermachers System in den 40er Jahren (Vermittlung durch Dorner?) oder in den 50er Jahren stattgefunden haben; die bei Meister a. a. O. 41 f. gegebene Charakterisierung des „Alexander" muß ich ablehnen. ') Vgl. Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 263: „Gerade der Gottesglaube in der lutherischen, aber von Orthodoxie befreiten Form, in der ihn beide [Ranke und Droysen] in sich aufnahmen, stimmte sie enthaltsam und bescheiden gegenüber der abgründigen Unerforschlichkeit des göttlichen Willens, befähigte sie, dem neuen realistisch induktiven Zuge des Geistes sich hinzugeben, nicht mit der überheblichen Meinung des späteren Positivismus, durch Empirie und Methode das Ziel des Wissens zu erreichen, aber mit dem sicheren Tröste einer Auflösung aller Welt- und Forschungsrätsel in Gott und mit der inneren Berufsfreudigkeit im strengen Forschen, die lutherischer Art entsprach." — Ganz ähnl ch schre bt Max Weber in seinem Aufsatz: Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen National konomie, abgedruckt in seinen Gesammelten Aufs .t en zur Wissenschaftslehre. Tübingen, 1922, 21, über Roscher, daß diesen ein religi ser Glaube „gegen Hegels panlogistisches Bed rfnis, welches den pers nlichen Gott im traditionellen Sinn in einer far ihn bedenklichen Weise verflüchtigte, immunisiert" habe, und ..so die Unbefangenheit der historischen Arbeit gegenüber der Spekulation gewahrt" bleiben konnte. *) Meinecke in Historischer Zeitschrift a. a. O. 258. ») Vgl. darüber S. 22. *) Ausdruck Droysens im Brief an Moser vom 10.—29. November 1831, Brf. I, 47.

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religiösen Erlebnis stammenden Überzeugung, daß die Ereignisse der geschichtlichen Welt gegebene Tatsachen seien. Die Verschiedenheit dieser, sein historisches Denken konstituierenden Elemente mußte zur Auseinandersetzung führen; sie bewirkte es, daß die Herrschaft Hegels über Droysen nur in der ersten Hälfte der 30er Jahre bestand, daß er zu neuen geschichtsphilosophischen Positionen getrieben wurde, bis er endlich in der „Historik" zu einer endgültigen Lösung der ihn beschäftigenden geschichtsphilosophischen Probleme gelangte. — Aber das war eine allmähliche, sich im Laufe seiner geschichtlichen Arbeiten ergebende Entwicklung; man darf nicht übersehen, daß zu Anfang der 30er Jahre, bei Droysens ersten Schritten in der geschichtlichen Wissenschaft, das religiöse Element seines Denkens den Einfluß der Hegeischen Geschichtsphilosophie noch verstärkt haben kann. Wenn, wie wir vermuteten, die Hellenismuskonzeption aus dem Problem, Christentum wie Antike ihr Recht zu geben, erwachsen war, so gab ihm die Möglichkeit zu der Lösung dieses Problems durch den Hellenismusgedanken eben die Hegeische Philosophie: hier behielt ja — bei aller Betonung einer Wertsteigerung und Fortentwicklung — jede Epoche doch ihren eigenen individuellen Sinn, und hier erschien eine jede Epoche als ein notwendiges Glied in der Kette der geschichtlichen Entwicklung. Und dann läßt sich doch auch nicht verkennen, daß, wenn man sagen kann, daß die „alte Idee des christlichen Heilsplans" in Droysens Hellenismuskonzeption noch einmal durchbricht1), auch von hier aus eine Berührung mit der Hegeischen Philosophie stattfinden konnte: war doch auch diese eine der Säkularisierungen dieses Gedankens, hatte sie sich doch auf der gleichen Basis, der religiösen Problematik von Hegels Jugendzeit, aufgebaut2). Auf einen gläubigen Protestanten wie Droysen, dem die Geschichte stets Rechtfertigung Gottes, „Theodizee", gewesen ist3), konnte eine Geschichtsphilosophie, die die Notwendigkeit und Sinnhaltigkeit des geschichtlichen Prozesses nachweisen zu können vermeinte, als gegebener Rahmen geschichtlicher Forschung erscheinen. Wenn also auch in Droysens Protestantismus von Anfang an ein Element vorhanden war, das — unabhängig von der Hegeischen Philosophie — seine geistige Haltung bestimmte, so ist es doch wichtig festzustellen, daß dies keineswegs einen Einfluß der Hegeischen Staats- und Geschichtsphilosophie unmöglich machte oder von vornherein in Gegensatz zu ihr treten mußte. *) So Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 263. *) Wie Dilthey in seiner „Jugendgeschichte Hegels" nachgewiesen hat. *) Darüber siehe Kap. II, S. 46 und das Schluß-Kapitel.

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Der „Alexander" 1 ) gehört noch ganz in die Periode der Herrschaft Hegels hinein: alle entscheidenden Gesichtspunkte des Buches entstammen dem Gedankenkreis der Hegeischen Geschichtsphilosophie. Hegel hat zum ersten Male die große universalhistorische Kulturidee, die sich an den Namen Alexander knüpft, ausgesprochen und ihn damit aus den Händen der „Philister unter den Historikern" 2 ), die seine Geschichte zu moralisierenden Betrachtungen ausnutzten, befreit und seiner historischen Wertung Bahn gebrochen. Für Hegel war Alexander „der wirkliche Jüngling", der — wie einst Achilles am Anfang — so am Ende der griechischen Geschichte stand und sie vollendete, indem er die Rache gegen Asien vollführte3). „Nach einer Seite hat er dem Morgenlande so das Übel vergolten, das Griechenland von ihm erfahren hatte, nach der anderen ihm auch für die Anfänge der Bildung, die von daher gekommen waren, das Gute tausendfältig zurückgegeben, indem er die Reife und Hoheit der Bildung über den Osten verbreitete und das von ihm besetzte Asien gleichsam zu einem hellenischen Lande umstempelte"4). In der Erfüllung dieser Aufgabe bestand auch für Droysen die historische Bedeutung Alexanders5), und die Darstellung dieser Tat betrachtete er als das Ziel seines Buches, das, wie er in der Vorrede ausdrücklich sagt, keine Monographie oder Biographie sein sollte, sondern eine „Geschichte" Alexanders, eine Geschichte seiner Tat, „der Ansicht gewiß, daß seine Persönlichkeit nur das Organ seiner Tat" wäre. Und so kennt er auch ihm gegenüber nur einen historischen, keinen moralischen Maßstab: „Indeß haben große Männer das Recht, nach ihrem Maße gemessen zu werden, und in dem, was man ihre Fehler nennt, liegt ein tieferer Sinn als in der ganzen Moral, gegen die sie zu verstoßen den Mut haben. Träger der Gedanken ihrer Zeit und ihres Volkes, handeln sie mit jener dunklen Leidenschaft, die, ebensoweit als ihr Beruf über den Horizont der Alltäglichkeit hinaus, sie in die einsame Region der geschichtlichen Größe trägt, die nur der Blick der Bewunderung Eine ausführliche Analyse von Droysens „Alexander", mit der ich allerdings nicht durchweg übereinstimme, bei B. Becker, Johann Gustav Droysens Geschichtsauffassung, Hamburg. 1928, 25—41. *) Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, herausgegeben von G. Lasson, Leipzig, 1920, 652. *) Hegel, Vorlesungen, 529 f. *) Hegel, Vorlesungen, 650. ') Für den Kampf Asiens gegen Griechenland vgl. z. B. Alexander, Kap. I.

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zu erreichen vermag" 1 ). — Hinter diesen Gedanken von der Persönlichkeit, die repräsentativ für ihre ganze Zeit sei, und die allein in ihren Taten sich äußert, steht Hegels Bild von dem weltgeschichtlichen Helden, dessen eigene Ziele mit dem Willen des Weltgeistes zusammenfallen2). Bei Droysen wirkt sich dies dahin aus, daß er in Alexanders Charakter und Leben ein besonderes Wirken der Vorsehung erkennbar werden läßt 3 ). Und so betrachtet er auch wie Hegel den Erfolg als Kriterium wahrhaft weltgeschichtlichen Berufes und als Rechtfertigung für die Taten des Helden4). Und auch die andere Konsequenz dieser Lehre, daß sie „kein Herz für das Heldentum des Unterliegenden" habe5), zeigt sich in Droysens Buch. Hier vollzieht er die Umwertung des Demosthenes aus dem heldenhaften Vorkämpfer griechischer Freiheit, für den er bisher galt, in einen kurzsichtigen und eigensinnigen Demagogen, in eine „so traurige Gestalt", wie es nur wenige in der Geschichte gibt6). — Die Durchdringung Asiens mit hellenischem Leben als notwendige Stufe des weltgeschichtlichen Prozesses und Alexander als der vom Weltgeist mit dieser Aufgabe betraute Held — das sind die Grundgedanken von Droysens Alexander-Buch. — Hegel hat die moderne philologisch-kritische Richtung der GeschichtsAlexander, 248, Anm. 53. *) Hegel, Vorlesungen 68: „Deren eigene partikuläre Zwecke das Substanzielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist." *) Alexander, 46: „ S o schien das Schicksal aus der Vereinigung der äußersten Gegensätze, zu denen das Griechentum sich entwickelt hatte, den erzeugen zu wollen, in welchem dem Griechischen Geiste die Welt zu überwinden und sich zu erfüllen bestimmt war." 64: sein Schicksal ist zu preisen „das nicht ihm die Schuld aufbürden wollte, die Keime neuer Zwietracht erstickt zu haben" (in Übereinstimmung mit Hegel, Vorlesungen, 648). Am interessantesten kommt diese Auffassung aber S. 486 zum Ausdruck; dort wird Alexanders Charakterwandlung zum Despoten als notwendig für sein Werk hingestellt. 4) Alexander, 205: „Stets ist das stolze Recht des Sieges der Sieg eines höheren Rechtes . . . die geschichtliche Größe, die höchste Herrlichkeit des Menschengeistes, ist mächtiger als Recht und Gesetz, als Tugend und Pflicht, als Raum und Zeit." Vgl. Hegel, Vorlesungen 76, und E. Simon, Ranke und Hegel, Beiheft 15 der Historischen Zeitschrift, München und Berlin, 1928, 137. s ) Treitschke, Deutsche Geschichte Verlag, Leipzig, 1927, Bd. III, 702.

•) Alexander, 13.

im

19. Jahrhundert,

Hendel-

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Wissenschaft nicht geliebt 1 ), sie entzog ihm den festen Grand, den er für seine Geschichtskonstruktionen brauchte, und so ist es verständlich, daß auch Droysens Buch, das von den Hegeischen Gedanken über die Bedeutung Alexanders ausging, keinen Fortschritt in dem Sinne kritischer Geschichtsschreibung bedeutet. Man könnte es als eine anschauliche Umschreibung der Quellen unter Hineinarbeitung und Hervorhebung allgemeingeschichtlicher Gesichtspunkte bezeichnen2). Droysen hat selbst in der Vorrede geschrieben, daß er mit diesem Buche von den „schönen Jahren der Jugend" Abschied nähme; es ist ein Jugendwerk darin, daß gegenüber der Kraft, mit der seine Phantasie das Bild seines Helden und seiner großen geschichtlichen Aufgaben umfaßte, alle kritischen Erwägungen in den Hintergrund traten. Aber es ist ein Jugendwerk auch darin, daß über ihm der ganze Zauber begeisterter, genialer Jugend liegt. Kehren wir nun aber zu der Frage zurück, um derentwillen eine eingehendere Betrachtung des „Alexander" in diesem Zusammenhang nötig wurde; worin besteht der politisch-aktuelle Gehalt des Buches? Zweifellos ist die Darstellung im „Alexander" an einigen Stellen durch Anschauungen Droysens von den politischen Vorgängen seiner Zeit gefärbt worden. Die Verachtung, mit der Droysen die deutsche Kleinstaatspolitik betrachtete, hat seinen Blick für die Unzulänglichkeit der Politik der griechischen Staaten zur Zeit Alexanders geschärft3) und damit die Umwertung, die er gegenüber den bisher herrschenden Anschauungen vornahm, mitbestimmt. Die Schilderung der Vorzüge der mazedonischen Wehrverfassung ist von seiner Ansicht über die segensreichen Folgen der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen deutlich beeinflußt 4 ). Auch hinter einer absprechenden Schilderung der Reaktionspartei am mazedonischen Hofe scheint die preußische Parallele sichtbar zu sein6). Aber damit ist nichts ausgesagt über die Frage, ob die Führerstellung der mazedonischen Militärmonarchie über die griechischen Staaten ein Symbol sein soll für die Rolle, die Droy>) Vgl. z. B. Hegel, Vorlesungen, 176, 551 („Man sollte doch meinen, daß Herodot und Thukydides es besser gewußt haben als alle neuesten Kritiker"); vgl. auch Simon a . a . O . 160 f. l ) Ähnlich Hintze in seinem Aufsatz über Droysen a. a. O. 97. Die späteren Auflagen des Alexander sind gegenüber der ersten weitgehend verändert. ') Vgl. z. B. Alexander, 11 f. 4) Alexander, 41. 5) Alexander, 38. Beiheft d. H. Z. 20.

3

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sen Preußen im künftigen deutschen Nationalstaat zuwies, ob der Alexander eine Verkündung der Notwendigkeit der preußischen Hegemonie über Deutschland enthält. Wie sich für Droysen die deutsche Geschichte seiner Zeit noch nicht erfüllt hatte, so war auch vor Alexanders Auftreten die nationale Aufgabe der griechischen Geschichte noch nicht vollendet, darin liegt eine Gemeinsamkeit, aber das „Nationalwerk" 1 ) der griechischen Geschichte war für ihn die Hellenisierung Asiens, nirgends kommt zum Ausdruck, daß er dieser mazedonischen Hegemonie über Griechenland eine vom Zweck der Unterwerfung Asiens unabhängige, selbständige Bedeutung beimaß 2 ), daß in der Verbindung der mazedonischen Militärmonarchie mit dem griechischen Geiste die Realisierung eines \\ ertes gelegen hätte, daß er sie als etwas anderes ansah wie als das W erkzeug, mit dem der Held Alexander seine weltgeschichtliche Aufgabe erfüllte. Die Darstellung des weltgeschichtlichen Helden steht im Mittelpunkte seines Buches, und hinter dieser Erkenntnis steht ein ganz anderes Erlebnis seiner Zeit: das Auftreten Napoleons hat, wie er selbst schreibt, erst wieder „den Sinn für geschichtliche Größe erschlossen" 3 ). Diese ganz unzweifelhafte Beziehung mahnt, in solchen Anklängen an die Politik seiner Zeit nicht Analogien zu suchen, sondern darin jene innere Anteilnahme mit dem Leben der Gegenwart zu erkennen, aus der jede Beschäftigung mit der Vergangenheit ihre besten Kräfte zieht. ') Alexander, 2)

13.

Alexander, 15 (über P h i l i p p ) : „ E r verschmähte es, Griechenland zu

einer P r o v i n z Macédoniens zu m a c h e n ; nur für den einen P l a n des Perserkrieges h a t t e er alles begonnen und v o l l b r a c h t . "

V g l . auch S. 61 : der K ö n i g

„wollte nichts, als die Hegemonie freier S t a a t e n und den R u h m , a n der Spitze der Griechen die Barbaren zu b e k ä m p f e n und die S c h ä n d u n g der Hellenischen Heiligtümer zu r ä c h c n . "

V g l . auch S. 62.

Dagegen

scheint

zu sprechen, wenn G . Droysen a. a. O. 103 schreibt: „ S o sah er die A u f g a b e , den Beruf des makedonischen bewegtem

Militärstaates darin, ,das in sich zu

Einzelleben atomistisch

monarchischen H o h e i t Makedoniens zu überwölben'." bar folgendes Z i t a t (Alexander, Freiheit noch

viel-

aufgelöste freie Griechenland m i t der

16):

„Die

E r meint aber o f f e n -

Griechen wurden weder ihrer

Selbständigkeit beraubt, nur mußte diese

Selbständigkeit,

die in sich o h n m ä c h t i g und nicht mehr das Höchste der Zeit war, m i t der monarchischen H o h e i t Macédoniens überwölbt, und ihre Freiheit, in jener endlosen Zersplitterung und Beweglichkeit, zu der einen T a t , die ihre Erfüllung sein sollte, vereint werden."

Eine auf die preußische

Hegemonie

hinzielende T e n d e n z liegt also a u c h in dieser Stelle nicht. ') In seiner Besprechung des „ C h y s , commentarius geographicus" Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche K r i t i k 1833, B d . I, 4 7 1 . auf Kapoleon i m Alexander, 422.

in

Hinweis

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So bringt auch der „Alexander" keinen neuen Zug in das Bild seines politischen Denkens1). Es liegt überhaupt eine Verkennung, entstanden in einer späteren Zeit realpolitischer Denkweise, darin, den damaligen Militär- und Beamtenstaat Preußen mit dem gleichzusetzen, was das Wort Preußen für Droysen in sich schloß. Schleiermacher schreibt 1807 an Friedrich von Raumer: „Aber freilich geht meine Leidenschaft auf eine Idee von Preußen, welche vielleicht in der Erscheinung die wenigsten kennen"2). Auch für Droysen stand eine Idee von Preußen im Mittelpunkt seiner politischen Gedankenwelt, die sich mit der Erscheinung des damaligen Preußen keineswegs deckte, nur bedeutete die Verwirklichung dieser Idee für ihn — und darin schied er sich von Schleiermacher und seiner Zeit — nicht nur sittliche Pflicht, sondern vor allem historische Notwendigkeit. Aber eben in diesem historischen Denken ist es auch begründet, daß die Frage nach der Realisierung der politischen Ziele, die für uns durchaus im Vordergrunde steht, für ihn zurücktrat. W enn nur das Ziel richtig erkannt war, noch stets hatte die Geschichte die Mittel zur Verwirklichung ihrer Zwecke gefunden. Aber eben aus dieser Geschichtsauffassung heraus, für die die Wirklichkeit der geschichtlichen Kräfte in ihrem geistigen Gehalt und sittlichen Kraft lag, sah er in dem Verhältnis von Preußen zu Deutschland nicht eine Auseinandersetzung lebendiger Staatspersönlichkeiten, sondern geistiger Ideen, und die „Auflösung" Preußens im künftigen deutschen Nationalstaat bedeutete in diesem Sinne kein Opfer, sondern die Verwirklichung der preußischen Idee. Preußen und Deutschland fielen dann zusammen, und für die Kräfte des geschichtlichen Lebens bedeutete es Schicksal und Erfüllung, in einer höheren Einheit aufgehoben zu werden. *) S. 538 enthält ein Bekenntnis zur Monarchie, wie in so ausgesprochener Weise wir von Droysen bis dahin nicht besaßen: „Das Reich Alexanders ist der erste Versuch eines monarchischen Organismus, wie ihn bisher weder das Morgenland noch die Theorien Hellenischer Philosophen geahnt hatten . . . [man darf nicht vergessen], daß in der Vollendung dieses Systems selbst die Geschichte unserer Gegenwart noch immer ihre höchste Arbeit findet." 2 ) Aus Schleiermachers Leben. In Briefen, ed. W. Dilthey, Berlin, 1863, Bd. IV, 132. Zitiert bei Scharff a. a. O. 7.

3

II. K A P I T E L .

DIE FORTBILDUNG DER GESCHICHTSTHEORETISCHEN ANSCHAUUNGEN DROYSENS. 1832—1842.

Der enge Zusammenhang, in dem wir Droysens politische Gedankenwelt mit seinen geschichtstheoretischen Ansichten verbunden fanden, zwingt, in dieser Untersuchung seiner politischen Meinungsbildung auch das folgende Jahrzehnt seines Lebens eingehender zu betrachten, aus dem wir über die Fortentwicklung seiner politischen Überzeugungen fast nichts erfahren, in dem aber eine Veränderung seiner geschichtstheoretischen Anschauungen vor sich geht und diese ihre entscheidende Prägung erhalten. Denn an diese Veränderung knüpft sich die für unsere Untersuchung wesentliche Frage, ob er an seinem Glauben, daß es möglich sei, aus der Geschichte den notwendigen Gang der zukünftigen Entwicklung zu erkennen, festhalten wird. Es handelt sich um die Jahre, da Droysen an der Geschichte des Hellenismus arbeitete, und eben die Verschiedenheit der beiden Bände, die von diesem Werk im Laufe dieses Jahrzehnts erschienen1), ist ein deutliches Zeichen der Wandlung seiner geschichtsphilosophischen Anschauungen. Denn die Veränderungen in der geschichtlichen Arbeitsweise, durch die der unterschiedliche Eindruck der beiden Bände bedingt wird — Fortfall der den antiken Autoren entnommenen Reden, Zurücktreten ausführlicher wortreicher Schilderungen des historischen Details, und dafür stärkeres Hervortreten der quellenkritischen Unterbauung im zweiten Teil — waren nicht nur Fragen der Geschichtsmethodik, die sich bei Droysen in der langen Zeit, die zwischen der Abfassung der beiden Manuskripte liegt, allmählich verfeinert haben könnte, sondern methodische Fragen waren damals so eng mit allgemeinen geschichtsphilosophischen Problemen verknüpft, daß eine solche veränderte Arbeitsweise bei einem Historiker wie Droysen, bei 1)

folger

1836 erschien in H a m b u r g bei Perthes die „ G e s c h i c h t e der N a c h Alexanders,

Geschichte

des

Hellenismus,

Erster

Teil"

(künftig

zitiert: Hellenismus I ) ; 1843 erschien ebendort die „ G e s c h i c h t e der Bildung

des

hellenistischen

Zweiter Teil"

Staatensystems,

Geschichte

(künftig zitiert: Hellenismus II).

des

Hellenismus,

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dem sein ganzes Leben hindurch Denken über die Geschichte mit der geschichtlichen Arbeit Hand in Hand gegangen ist, nur aus einer geschichtsphilosophischen Wandlung hervorgegangen sein kann. Wenn wir von dem Wesen dieser geschichtsphilosophischen Neuorientierung ein Bild gewinnen wollen, so müssen wir also von der geschichtsphilosophischen Position ausgehen, die sich im ersten Bande des Hellenismus zeigt: Hat diese sich gegenüber dem „Alexander" geändert, ist Hegels Geschichtsphilosophie noch herrschend oder werden Anregungen sichtbar, die den Einfluß Hegels brechen oder von ihm wegführen ? Die Untersuchung der geschichtstheoretischen Grundlagen des ersten Bandes des Hellenismuswerkes ist auch deshalb besonders interessant, weil er den ersten Versuch zur Realisierung von Droysens Hellenismuskonzeption darstellt: es mußte sich nun zeigen, ob die Verbindung, die der christlich-teleologische Gedanke, der der Hellenismuskonzeption zugrunde lag, mit der Hegeischen Geschichtsphilosophie eingegangen war, sich bewähren würde, ob sich überhaupt die konstruktiven Gedankengänge mit der Forderung historischer Empirie vertragen würden? Der erste Band des Hellenismus ist in dieser Hinsicht kein einheitliches Buch: er enthält weite Partien, die nichts von geschichtlicher Konstruktion unter Hegelschem Einfluß erkennen lassen, die reine Wiedergabe der historischen Tatsachen, soweit sie sich auf Grund der Quellen feststellen lassen, die reine Erzählung zu sein scheinen. Aber daneben finden sich dann auch Partien, in denen die Tatsachen geschichtsphilosophisch gedeutet werden und der Hegeische Einfluß sichtbar wird 1 ): es erscheint dann als Hauptaufgabe des Historikers, die bei den antiken Autoren überlieferten Tatsachen als gegeben hinzunehmen und ihnen dadurch, daß sie in den Rahmen des Entwicklungsschemas eingespannt werden, Sinn und Bedeutung zu verleihen. Dies sind dann die Stellen, wo die Persönlichkeiten zu Werkzeugen der Geschichte werden2), wo ihr eigenes Wollen von dem, was sie im ZusammenJ) Ich führe in den folgenden Anmerkungen einzelne Beweisstellen für den Hegeischen Einfluß an; im allgemeinen vgl. aber die Rezension Adolf Schmidts: Uber Droysens Geschichte der Nachfolger Alexanders, erschienen 1837 in den Neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik und wieder abgedruckt in A. Schmidts Abhandlungen zur Alten Geschichte, herausgegeben von F. Rühl, Leipzig, 1888, 131 ff. *) Hellenismus I, 4 (Alexander „war ein Werkzeug in der Hand der Geschichte"); 257 (Kassander „zum Henker des königlichen Geschlechtes ausersehen").

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hang der Geschichte bedeuten, durchaus unterschieden und demgegenüber auch gleichgültig ist 1 ), wo Naturereignisse, wie die Pest, als geschichtliche Macht aufgefaßt und ihre Notwendigkeit im geschichtlichen Zusammenhang nachgewiesen wird. 2 ) — In dieser Inkongruenz zeigt sich für uns, daß Droysens von Hegel bestimmte geschichtsphilosophische Haltung zur historischen Durcharbeitung eines einzelnen großen historischen Zeitraums nicht ausreicht. Aber Droysen war sich dieses Gegensatzes wohl noch nicht bewußt. Methodisch — in der Frage der Quellenkritik usw. 3 ) — steht er der Hegeischen Auffassung noch durchaus nahe, und auch in den geschichtsphilosophischen Gedanken, die er in dem Werke äußert, klingen durchaus Hegeische Gedankengänge an. „Die historische Kunst hat eine ungleich höhere Aufgabe; Kritik und Gelehrsamkeit sind nur ihre Technik; ihr Wesen ist, daß sie den Gedanken geschichtlicher Entwickelungen erkennt und in Beziehung auf ihn den Verlauf des äußerlich Faktischen begreift, daß sie in diesem Sinn die Nähe und Feme ihres Gemäldes abtönt, die Gruppen ordnet und zueinander bezieht, auch die Nebenwerke, auch das Kostüm, auch das kleinste Detail in dem Sinne des Ganzen behandelt, und durch die rechte Verteilung der Massen, des Lichtes und Schattens, der Farbe und Bewegung, das Ganze als eine vielgegliederte Einheit darstellt, die ein Bild von dem Werden und der Gestaltung eines einigen und wesent') Hellenismus I, 7 („Wie auch die menschlichen Kräfte, Zwecke und Leidenschaften heißen, die in den Kämpfen der Diadochen gegeneinander arbeiten, sie sind die Werkzeuge, deren sich die Geschichte bedient h a t . . ."); 188 („Man sagt, die Geschichte ist gerecht; sie ist es gegen die Prinzipien, nimmermehr gegen die Persönlichkeiten"); 433 (Unterscheidung von biographischen und historischen Charakteren); 629 („Das eben ist die Art geschichtlicher Entwicklungen, daß sie, während um ganz andere Fragen gekämpft wird, ruhig und sicher ihre Stadien durchlaufen"). 2) Hellenismus I, 647: „Oft tritt die Pest als eine große geschichtliche Macht auf, sie schließt dann eine Periode, indem sie die Reste einer Vergangenheit, die sich überlebt hat, hinwegtilgt und neuen Entwicklungen freie Stätte bereitet. Es ist bedeutsam, daß die Pest dieser Jahre die Städte der achäischen Landschaft verschont; gerade in ihnen sollte ein neues Leben für Griechenland erwachen . . ." s ) Vgl. dazu die Einleitung zu der Beilage über die Quellen der Geschichte der Diadochen Hellenismus I, 667 f.; sehr charakteristisch dort 668: „Die Kritik muß vor allem beachten, daß auch die unmittelbarste und ausführlichste Überlieferung doch nur eine kurze und summarische Bezeichnung des Geschehenen ist, und daß die Richtigkeit der Tatsachen stets nur eine relative Wahrheit hat."

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liehen Gedankens in der Erinnerung haften läßt" 1 ). Den geschichtsphilosophischen Zusammenhang, aus dem diese Auffassung „historischer Kunst" hervorgegangen ist, hatte er am Schlüsse der Einleitung dargelegt: „Auch die Geschichte hat ihre Logik; sie entwickelt jedes Prinzip nach seinen wesentlichen Bestimmungen, und in ihnen ist der organische Zusammenhang der Begebenheiten, die sonst nur Zufälligkeiten sein würden. In solchen durchaus konsequenten und erschöpfenden Folgerungen bewegt sich die Geschichte der Nachfolger Alexanders, die Geschichte des Reichs nach dem Tode des großen Gründers; sie ist die Antistrophe zu der Geschichte seiner Gründung, sie entwickelt die negativen Bestimmungen, die sich an dem großen Werke Alexanders herausstellen mußten. Man klagt über die Verworrenheit in diesem Teile der Geschichte; sie ist da, wenn man nicht über die menschlichen Zwecke und Leidenschaften hinaus die höheren Fügungen der Vorsehung erkennt; je wilder, selbstischer und gottloser die Menschen, desto mächtiger und sichtbarer ist Gottes Hand über ihnen"2). Wohl lassen sich diese Worte auch aus dem christlich-teleologischen Element seines Denkens deuten, aber man wird doch dazu geführt, in ihnen den Einfluß Hegeischen Gedankengutes zu erkennen, wenn man beachtet, daß diese Sätze ihre volle Spitze erst dadurch erhalten, daß in ihnen eine deutliche Anspielung auf die Schlußworte einer anderen Einleitung enthalten ist, auf die berühmten Sätze, die am Ende der Vorrede von Rankes „Geschichten der romanischen und germanischen Völker" stehen3). Droysen will auch äußerlich den Gegensatz, in dem er sich zu Ranke und der Rankeschule fühlt, bekunden. — Von einer verschiedenen Auffassung über das Wesen und die Bedeutung historischer Tatsachenerkenntnis leitet sich dieser Gegensatz her. Da J)

Hellenismus I, X I I ; im selben Sinn auch 668. Hellenismus I, 9 f. *) Sämtliche Werke Bd. 33/34, V I I I : „ E s gibt für sie ein erhabenes Ideal: das ist die Begebenheit selbst in ihrer menschlichen Faßlichkeit, ihrer Einheit, ihrer Fülle; ihr wäre beizukommen: ich weiß, wie weit ich davon entfernt geblieben. Man bemüht sich, man strebt, am Ende hat man's nicht erreicht. Daß nur Niemand darüber ungeduldig werde! Die Hauptsache ist immer, wovon wir handeln, wie Jakobi sagt, Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich: das Leben des Einzelnen, der Geschlechter, der Völker, zuweilen die Hand Gottes über ihnen." — Gegen den „Gott, der nur zuweilen die Hand aufhebt", hatte sich schon Leo in seiner Polemik gegen Ranke gewandt; vgl. E. Simon, Ranke und Hegel, Beiheft 15 der Historischen Zeitschrift, München und Berlin, 1928, 96. 2)

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für Droysen das oberste Ziel geschichtlicher Wissenschaft die Erkenntnis des Sinnes der historischen Entwicklung ist, und da mit dieser Annahme eines Zieles und Sinnes der Geschichte bei ihm die Überzeugung verbunden ist, daß auch jedes einzelne historische Ereignis sinnvoll und notwendig ist, genügt es also für ihn nicht, eine Tatsache festzustellen; jede historische Tatsache ist in ihrer Bedeutung erst dann vollständig erkannt, wenn sie in Verhältnis zu der geschichtlichen Entwicklung gesetzt und als notwendig im geschichtlichen Zusammenhang bestimmt worden ist. In dieser Auffassung von einer die Geschichte durchwaltenden Notwendigkeit oder von der Möglichkeit und Bedeutung, die Notwendigkeit in der geschichtlichen Entwicklung zu erkennen, scheidet sich Droysen von der Rankeschule. — Darin sieht auch Adolf Schmidt1), der in einer Rezension der „Diadochen" im Namen der Rankeschule den Fehdehandschuh, den ihr Droysen hingeworfen hatte, aufnahm, den entscheidenden Gegensatz: von den Voraussetzungen einer geistigen, d. h. philosophischen, Betrachtungsweise, die in dem Begriff der Notwendigkeit kulminiere2), neige Droysen dazu, den Geschichtsverlauf zu konstruieren, während zu fordern sei, daß erst nach Vollendung der kritischen Arbeit die geistige Betrachtungsweise einsetze, und er weist ausdrücklich darauf hin, daß das von ihm geforderte Ideal zum ersten Male in den Werken Leopold Rankes verwirklicht sei3), während sich bei Droysen ein Anklang an die „Philosophie und ihre heutige konstruierende Methode" heraushören lasse4). So scheint sich dieser Gegensatz in der Formel: Hegel gegen Ranke zusammenfassen zu lassen. Wenn eine solche Einreihung Droysens in die Hegelschule für die Zeit der Abfassung des ersten Hellenismusbandes, wie wir sahen, eine gewisse Berechtigung hat, so war sie schon im Jahre 1837 — als die Rezension A. Schmidts erschien — nicht mehr zutreffend. Denn — wie aus den Äußerungen seines Briefwechsels hervorgeht — distanziert Droysen sich bald nach Erscheinen der Diadochen ganz prinzipiell von der Hegeischen Geschichtsphilosophie. Die Loslösung von Hegel und das Suchen einer eigenen geschichtsphilosophischen Position ist das geistige Vgl. über ihn Löwenfeld in Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3 1 , 703 ff. Wenn Löwenfeld hier allerdings schreibt, man könne Schmidt nicht einen Rankescholer nennen, da er sich nicht mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigt habe, so möchte ich gleich betonen, daß ich das Wort „Rankeschule" hier nicht in solchem engeren Sinne gebrauche. *) Adolf Schmidt a. a. O. 138 f. •) Adolf Schmidt a. a. O. 134. 4 ) Adolf Schmidt a. a. O. 133.

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Problem, das ihn in den nächsten Jahren beherrscht hat. Wir hatten darauf hingewiesen1), daß das religiöse Element seines historischen Denkens zwar anfangs dem Einfluß der Hegeischen Geschichtsphilosophie Vorschub leisten konnte, daß aber im Grunde hier ein Gegensatz vorhanden war, der mit einem tieferen Eindringen in die historische Arbeit zutage treten mußte; wir hatten auch gesehen, daß im ersten Bande des Hellenismus eine gewisse Inkongruenz seiner geschichtstheoretischen Ansichten und seiner praktischen Geschichtsarbeit sichtbar wurde. Ein Durchdenken der geschichtsphilosophischen Probleme lag also durchaus in der Richtung seiner inneren Entwicklung. Aber daß diese Besinnung so bald nach dem Erscheinen der Geschichte der Diadochen eintrat, darauf wirkte wohl eine äußere Veranlassung hin: im Jahre 1835 war das „Leben Jesu" von David Friedrich Strauß erschienen, das eine lebhafte Bewegung, eine Scheidung der Parteien im Hegellager, im ganzen deutschen Geistesleben hervorrief 2 ). In dem für Droysens geschichtsphilosophische Entwicklung so aufschlußreichen Briefwechsel mit Perthes müssen wir auch den Widerhall der Auseinandersetzungen sehen, die durch Strauß hervorgerufen waren3). Eine gewisse Distanz zu seinen bisherigen Anschauungen zeigen schon die Einwände, die er am 30. Oktober 1836 in einem Briefe an Perthes gegen die geschichtlichen Ansichten Heinrich Leos erhebt, die ja zugleich auch Einwände gegen Hegel sind: „Indem sie nur die Richtung der Entwicklungen, ihre Wege und Abwege zu verfolgen scheint, gibt sie, glaube ich, die Wahrheit auf. Daß jede geschichtliche Erscheinung, so nahe oder ferne sie auch von dem einigen und wahrhaften Mittelpunkt entfernt ist, nicht bloß nach dieser Entfernung zu bestimmen, sondern in derselben vielmehr eine wesentliche Stufe ist: in diesem Positiven ist ihre Wahrheit und ihre geschichtliche Berechtigung, hierin die Seele ihrer l

) Siehe Kap. I, S. 730. ) Darüber vgl. Julius Löwenstein, Hegels Staatsidee, ihr Doppelgesicht und ihr Einfluß im 19. Jahrhundert, Berlin, 1927, 75 f. *) Darauf hat schon hingewiesen O. Hintze in seinem Aufsatz: Johann Gustav Droysen und der deutsche Staatsgedanke im 19. Jahrhundert, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, herausgegeben von Brodnitz, Bd. 88, 1930, 9. — Zu dem Folgenden vgl. auch G. Droysen a. a. O. 164 f., wenn ich auch mit seiner Analyse des Droysen-Perthes sehen Briefwechsels nicht völlig übereinstimme. — H. Herzfeld in seiner Rezension des DroysenBriefwechsels, Deutsche Literaturzeitung, 1930, 4 1 3 betrachtet ebenso wie ich den Briefwechsel mit Perthes als entscheidendes Merkmal für Droysens Abwendung von Hegel. !

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Existenz und die Gewißheit, daß auch in ihr nicht Gottes Geist unbezeugt geblieben"1). Wenn wir in einem späteren Briefe an Perthes, in dem er sich mit den kritischen Einwänden Schmidts auseinandersetzt, lesen, „daß der Mensch in seiner Willensfreiheit, in seinem Kampf und Zwiespalt zwischen Gutem und Bösem nur das Organ ist zu Gottes ewigem Willen"2), so scheint in diesen Worten etwas von Hegels Gedanken über die „List der Vernunft" wiederzuklingen. Aber in dem gleichen Briefe rückt Droysen auch von den Grundgedanken der Hegeischen Philosophie ab, und es wird sehr deutlich, wie entscheidend für diese Distanzierung das religiöse Element seines Denkens war: er wendet sich gegen den der Hegeischen Philosophie zugrunde liegenden Gottesbegriff: für ihn ist der Gott, der sich in der Bibel offenbart hat, eine lebendige Wahrheit und kann nicht zusammenfallen mit einem sich in Natur und geschichtlichem Leben entfaltenden Geist. Aus seiner religiösen Haltung heraus wurde ihm eine Geschichtsauffassung zum Problem, die die Geschichte zu einer Entfaltung sich logisch auseinander ergebender Prinzipien und einer Summe von Resultaten machte. Wenn wir aber diese Äußerungen von dem Hintergrunde der religiösen und weltanschaulichen Betrachtung loslösen und allein auf ihren Gehalt an geschichtstheoretischer Problematik hin betrachten, so stellt sich als Gegenstand seines geschichtstheoretischen Interesses einerseits das Problem heraus, wie bei der Annahme eines Zieles der geschichtlichen Entwicklung dennoch jede vergangene Epoche ihren individuellen Wert und ihre eigene Bedeutung behalten kann, und andererseits ist es die Frage nach dem Verhältnis von Spekulation und Empirie, d. h. die Frage, in welchem Verhältnis der letzten Endes doch spekulativ gewonnene Entwicklungsgedanke zu der auch von ihm als notwendig angesehenen Voraussetzung rein empirischer Forschung steht. Daß Droysen in dem Widerstreit dieser Probleme eine neue Stellung gewonnen hat, daß die verschiedenen Elemente seines historischen Denkens zu einem Ausgleiche gelangt sind, dazu möchte ich die erste Andeutung im Jahre 1838 in einer Besprechung in den Halleschen Jahrbüchern3) sehen. Die Grundlage jeder historischen Forschung müsse, so betont er auch hier, ein „Bewußtsein des Allgemeinen" und Klarheit über die „wesentlichsten !) Brf. I. 104. 2 ) Brief an Perthes vom 8. Februar 1837, Brf. I, 119. s ) „Zur griechischen Literatur"; wieder abgedruckt: Kleine Schriften zur Alten Geschichte, Leipzig, 1894, Bd. II, 62—74.

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Entwicklungen" bilden ), und er führt aus, was er darunter für die antike Geschichte versteht: „Sehr schön hat man die Geschichte der Menschheit ein .Suchen Gottes' genannt. Durch die eigene freie Menschenkraft sucht ihn das Heidentum. . . Erst wenn alle seine Mittel und Kräfte entwickelt sind und in höchster Anstrengung und Vollendung gearbeitet haben . . ., erst da kommt der trostbedürftigen Menschheit die Gnade der göttlichen Offenbarung entgegen"2). Wenn er auch den Glauben an einen bestimmten Inhalt der Weltgeschichte weiterhin aufrecht erhält, so sind diese Gedanken doch sehr viel allgemeiner geworden und umspannen nur noch in losem Rahmen das Bild des geschichtlichen Lebens. Damit ist auch der Hellenismusgedanke zu einer neuen Bedeutung im Zusammenhang seines geschichtlichen Denkens gelangt. Er schreibt darüber an einer anderen Stelle dieses Aufsatzes: „Solche Erscheinungen [wie das Christentum] sind für den Forscher wie hervorragende Zielpunkte, nach denen er auf seiner Wanderung den Weg abmißt und lenkt; wenn er zu ihnen gelangt ist, mag er von der Höhe aus das Vorwärts und Rückwärts überschauen und den Weg, den er mühsam zurückgelegt, mit allen Krümmungen und Umgebungen, die er wandernd fast übersehen, im Zusammenhang erkennen"3). Das Ziel, an dem der Forscher seine Fragestellung orientieren soll, — im Falle des Hellenismus das Christentum — faßt Droysen jetzt als eine einmalige historische Tatsache auf, deren Zusammenhang und Stellung in der geschichtlichen Entwicklung sich erst dem rückschauenden Betrachter erschließt; der Inhalt der historischen Entwicklungsstufen ergibt sich nicht mehr mit logischem Zwang aus der Annahme eines bestimmten Inhalts der Weltgeschichte, der verwirklicht werden muß; der Maßstab zur Beurteilung der geschichtlichen Epoche wird jetzt der geschichtlichen Welt selbst entnommen, und insoweit scheint der Entwicklungsgedanke für Droysen jetzt nur noch ein heuristisches Prinzip zu sein. Für die Stellung, die er jetzt zu dem Problem einer der Geschichte immanenten Logik einnimmt, ist eine Äußerung aus dem Jahre 1842 in einem Brief an Heydemann sehr charakteristisch, die sich zwar gegen Hegel und die Hegelianer richtet, die aber, wenn wir ihr seine Äußerung über die Logik der Geschichte im ersten Band des Hellenismuswerkes entgegenstellen, eben auch «) A. a. O. 62. ) A. a. O. 64. ») A. a. O. 63. l

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ein Dokument der inneren Entwicklung Droysens ist und zeigt, wie für ihn vor dem unbegreiflichen und unerschöpflichen Reichtum des geschichtlichen Lebens die abstrakten und konstruktiven Gedanken der philosophischen Spekulation verblassen: „Was wir notwendig nennen, heißt nicht ein produzierender Zwang, sondern eine rückwärts begreifende Konstruktion. Wahrlich nicht die drei Jahrhunderte von Alexander an haben Christus hervorgebracht, aber daß er kommen konnte, haben sie bewirkt, und das ist keine Kleinigkeit. Meine Freunde von der Hegelei begreifen nicht, daß das Wort notwendig ein schnurrig Wort ist, und damit verderben sie die Geschichte. Das letzte in derselben ist doch immer wieder ein neuer unbegreiflicher Schöpfungsakt: Mann und Weib gehört dazu, damit ein Kind erzeugt wird, aber daß es erzeugt wird ist ein unauflösliches Rätsel, unberechenbar und ein Gegenbeweis, über den selbst die Michelets nicht fortkommen müßten" 1 ). Alle Momente, die das historische Denken Droysens bestimmten, sind in dieser Äußerung wie in einem Prisma vereinigt: wenn sich in ihr auch schärfste Ablehnung Hegelscher Methode ausspricht, so kommt doch auch in ihr zum Ausdruck, daß eine bestimmte Haltung der Geschichte gegenüber bei ihm immer Hegelsch geblieben ist. Die Geschichte ist eine sich erst dem rückschauenden Betrachter erschließende Einheit, und so wird die weltgeschichtliche Entwicklung zu einer gedanklichen Gegenwart, die zu klären, an der weiterzuarbeiten Bedeutung und Wert der geschichtlichen Wissenschaft ist; an dieser Auffassung der Geschichte hat Droysen bis zu seinem Tode festgehalten. Wir wissen nicht, ob er sich selbst bewußt war, wie weit er durch diese Haltung Hegel verbunden geblieben ist; daß er aber Hegel als ein bestimmendes Element seiner geistigen Bildung ansah, das beweist die auf Hegel hinzielende Bemerkung aus dem Jahre 1842: „Von einem Napoleon mag man sich einmal knechten lassen, man bringt dann einen großen Gewinn in die wiedergewonnene Freiheit mit" 2 ). — Aber auch das religiöse Motiv seines Denkens, das, wie wir sahen, für die Loslösung von Hegel entscheidend gewesen war, klingt in der Äußerung an Heydemann über die Notwendigkeit wieder: das Erscheinen Christi in der Welt war Droysen als gläubigem Christen unableitbar, ein aus Gottes freiem Willen hervorgehender Schöpfungsakt, und von hier aus wird sich ihm der Blick für die Unableitbarkeit der historischen Ereignisse, ihre Individualität und Spontaneität geöffnet haben. Die Erkenntnis, daß zwar jedes >) Brf. I, 219. ») Brf. I, 214.

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historische Ereignis in einem kausal erklärbaren Wirkungszusammenhang steht, sein Wesen aber jeder kausalen Erklärung unzugänglich bleibt, schafft dem Glauben an die Leitung der Geschichte durch einen persönlichen Gott freien Raum. Damit war die Geschichte aber auch an die ethische Welt gebunden, neben dem geschichtlichen Zusammenhang stand ein historisches Ereignis zugleich in der ethischen Ordnung, von der aus es seine Bedeutung erhielt. So war eine Lösung erreicht in den geschichtsphilosophischen Fragen, die hinter diesen Auseinandersetzungen gestanden hatten. Durch ihre ethische Beziehung besaß jede einzelne Stufe der geschichtlichen Entwicklung ihren eigenen Wert und war bedeutungsvoll, nicht nur wegen des in ihr erarbeiteten Resultats, sondern wegen der sich in ihr entfaltenden Kraft 1 ); von hier aus ist es aber auch klar, daß Droysen jetzt der Empirie sehr viel mehr Raum gönnen konnte als bisher und eine Annäherung an die philologisch-kritische Richtung der Geschichtswissenschaft möglich war. Es ergibt sich so ganz zwangsläufig, daß er, als er im Jahre 1841 eine neue Auflage des Äschylos zu veranstalten hatte, gerade die geschichtsphilosophischen und konstruktiven Gedankengänge, die den Einfluß der Hegeischen Geschichtsphilosophie spiegelten, fortgestrichen hat2), und daß der 1843 erscheinende zweite Band des Hellenismus ein so anderes Gepräge trägt als die Geschichte der Diadochen. Wenn er an einer Stelle dieses Buches ausführt, daß es ein „bequemer Glaube" sei, zu denken, es sei von jeder Zeit „gerettet, was wichtig und für den Fortschritt menschlicher Entwickelung bedeutsam gewesen"3), und wir dagegen an die in der ersten Auflage der Äschylus-Ubersetzung ausgesprochene Überzeugung Droysens zurückdenken, „daß von der Zeit gerettet ist, was mußte, daß sie keine Lücke gelassen hat, wo die allgemeine Entwickelung des Geistes in lückenlosem Fortgang erkannt werden muß"4), so zeigt dieser Widerspruch deutlich die Wandlung von geschichtlicher Konstruktion zur Anerkennung ' ) Daß die Wertung einer historischen Erscheinung nach der in ihr sich entfaltenden Energie ein besonderes Charakteristikum von Droysens historischer Dynamik sei, hebt eindringlich Meinecke in seinem Aufsatz in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 258 hervor. *) Darüber vgl. auch Brf. I, 1 8 8 : „daß ich so mit Todesverachtung alle meine besten Sachen von ehedem totgeschlagen habe, zwar gedankenvolle Jugendheftigkeiten, die um so mehr aufgeblasen waren, je weniger dahinterstak." ®) Hellenismus II, 429. 4 ) Äschylos-Übersetzung II, 2 7 7 ; vgl. diese Arbeit Kap. I, S. 1 5 .

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der geschichtlichen Spontaneität, von der Spekulation zur Empirie, die sich in ihm vollzogen hat. — Nachdem wir so dem Entstehen einer eigenen geschichtsphilosophischen Position in Droysen nachgegangen sind, haben wir uns Zugang geschaffen zum Verständnis der nur in einer kleinen Anzahl von Exemplaren gedruckten geschichtsphilosophischen Einleitung der Epigonengeschichte, der,, Privat vorrede''*), die eine Zusammenfassung seiner geschichtstheoretischen Ansichten darstellt. Auf Grund dieser Zusammenfassung muß sich dann auch die für unsere Untersuchung entscheidende Frage beantworten, wie es bei dieser Veränderung seiner geschichtstheoretischen Anschauungen um seinen Glauben, aus der Geschichte den Gang der zukünftigen Entwicklung erkennen zu können, bestellt ist, wie er ihn mit der neuen Anschauung, daß erst aus der Frage nach dem W oher und Wohin sich das Bild einer Zeit entwerfen lasse, vereinen kann. Den Ausgangspunkt der Betrachtungen der Privatvorrede bildet auch hier wieder der Gedanke, daß es das Ziel der geschichtlichen Forschung sei, „den Zusammenhang geschichtlicher Entwickelungen" 2 ) zu erkennen, und daß in diesem Sinne „Theodizee" die höchste Aufgabe aller Geschichtswissenschaft sei3). Was er in der Rezension der Halleschen Jahrbücher als seine Ansicht über den Inhalt der weltgeschichtlichen Entwicklung angedeutet hatte, legt er jetzt ausführlicher dar: die Antike sei die Zeit des natürlichen und diesseitigen Menschen, das Mittelalter die Zeit des jenseitigen Menschen, und Aufgabe und Ziel der Gegenwart sei die Versöhnung von Diesseits und Jenseits 4 ). Darin zeigt sich aber noch einmal deutlich, daß das Christentum zu seiner Bedeutung als Zielpunkt, nach dem er seine Geschichte des Hellenismus ausrichtete, nicht nur als eine empirische historische Tatsache gekommen war, sondern daß durch den absoluten und allgemeingültigen ethischen Wert, den es in sich schloß, es für ihn zu einer Scheide der Weltgeschichte geworden war. ') Sie ist abgedruckt Kleine Schriften zur Alten Geschichte I, 298—314 und jetzt in dem von Rothacker besorgten Neudruck von Droysens Grundriß der Historik, Halle, 1925, 87—104. — Auch G. Droysen setzt Droysens Abwendung von Hegel in die Zeit der Arbeit am 2. Bande des Hellenismus (211 ff.), aber es ist nicht möglich, wie er es tut, die gesamte „Privatvorrede" als eine Polemik gegen Hegel aufzufassen. — Vgl. jetzt auch die Würdigung der „Privatvorrede" durch Meinecke in der Historischen Zeitschrift a. a. O. 279 f. 2) Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 299. *) Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 300. *) Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 303—306.

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Wenn aber eben in dieser Weise die Entwicklung in der Weltgeschichte an die ethische Welt geknüpft war, wenn eben in dem Durcharbeiten der ethischen Forderungen die Arbeit des geschichtlichen Fortschritts lag, so besaß er in der Allgemeingültigkeit der ethischen Normen auch weiterhin einen Maßstab zur Erkenntnis und Beurteilung der Gegenwart. So wird ihm die Weltgeschichte zu einem Schauplatz der Vollendung ethischer Ideale, und diese Auffassung tritt dann auch in seiner Forderung auf eine „Historik, eine Wissenschaftslehre der Geschichte" 1 ), zutage. „Uns täte ein Kant not, der nicht die historischen Stoffe, sondern das theoretische und praktische Verhalten zu und in der Geschichte kritisch durchmusterte, etwa in einem Analogon des Sittengesetzes, einem kategorischen Imperativ der Geschichte, den lebendigen Quell nachwiese, dem das geschichtliche Leben der Menschheit entströmt" 2 ). Diese „Historik" soll also nicht nur eine Klarlegung der erkenntnistheoretischen Grundlagen und eine Klärung der historischen Begriffe enthalten, sondern sie soll die entscheidenden Kräfte des geschichtlichen Lebens aufdecken und nachweisen, daß es sich in der geschiehthchen Welt um eine ethische Welt handelt: wenn der Name nicht Mißdeutungen ausgesetzt wäre, würde er eine solche Historik am liebsten „Theologie der Geschichte" 3 ) benennen. — In den sich an diese Gedanken anschließenden Betrachtungen der „Privatvorrede", die offenbar als Fragmente aus der von ihm geforderten Historik gedacht sind, nimmt er zu den bisher herrschenden verschiedenen historischen Theorien Stellung: er polemisiert gegen den Organismusgedanken4), gegen die Lehre vom Volksgeist5), gegen die historische Schule6) und ihre Lehre vom historischen Recht 7 ), und schließt sie mit dem Satze ab: „Denn allein eine w a h r h a f t h i s t o r i s c h e A n s i c h t der Gegenwart, ihrer Aufgabe, ihrer Mittel, ihrer Schranken wird imstande sein, die traurige Zerrüttung unserer staatlichen und sozialen Verhältnisse auszuheilen und die rechten Wege zu einer froheren Zukunft anzubahnen"8). Den Gedanken, daß ') Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 306. *) Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 307. •) Kl. Sehr. z. A. Gesch. I, 307. *) K l . Sehr. z. A. Gesch. I, 307 f. «) K l . Sehr. z. A. Gesch. I, 308 f. •) K l . Sehr. z. A. Gesch. I, 309 f. ') Schon im „Alexander" (205) hatte er gegen die Lehre vom historischen Recht polemisiert. B) K l . Sehr. z. A. Gesch. I, 311.

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aus der Anschauung der geschichtlichen Vergangenheit sich die Ziele der Zukunft ergeben, hält er also aufrecht, aber diese Anschauung hat sich in der Weise variiert und vertieft, daß die Einsicht in die geschichtlichen Kräfte zu einer Erkenntnis über die geistig-sittlichen Ziele der Gegenwart führen soll, die die Richtschnur für das Handeln der Menschen bilden müssen, deren Durchsetzung allein dem Werke des geschichtlich Handelnden Dauer verleiht. Wenn wir uns noch einmal die Motive vergegenwärtigen, die diese Umwandlung von Droysens geschichtlicher Gedankenwelt hervorgerufen haben, so scheint sie vor allem aus den Erfordernissen der historischen Arbeit hervorgegangen zu sein: während der empirisch-kritischen Arbeit an seinem Hellenismus-Werke stellte sich für Droysen die Notwendigkeit heraus, die gedankliche Konstruktion der geschichtlichen Entwicklung zu lockern und das Einmalig-Schöpferische in den geschichtlichen Erscheinungen anzuerkennen; so kam er zu einem Verzicht auf die Auffassung der Geschichte als logisch notwendige Fortentwicklung bestimmter Gedanken und zu einer stärkeren Hervorhebung der ethischen Mächte und Kräfte des Willens in der Geschichte. Aber wir hatten auch gesehen, wie aus der Unausgeglichenheit der Motive, die sein historisches Denken konstituierten, wie aus dem Ringen der ihm in Hegelschem Gewand gebotenen geschichtlichen Weltanschauung des deutschen Idealismus mit den christlich-religiösen Momenten seines Denkens eine innere Auseinandersetzung hervorgehen m u ß t e . — Aber in dieser Entwicklung kann noch ein anderes Motiv mitgesprochen haben: bei der engen Verbindung, in der politisches und geschichtliches Denken bei ihm stand, drängt sich der Gedanke auf, daß der Ausgang, den die politischen Bewegun*) Absichtlich haben wir uns in diesem Kapitel darauf beschränkt, die Entwicklung der geschichtstheoretischen Gedankengänge Droysens abzuzeichnen, ohne sie auf ihre Bedeutung im Zusammenhang moderner geschichtsphilosophischer Problematik zu prüfen. Daß es sich hier um der Weltgeschichtsschreibung immanente Probleme handelt, dazu vgl. G. Masur : Rankes Begriff der Weltgeschichte, Beiheft 6 der Historischen Zeitschrift, München und Berlin, 1926; über den Zusammenhang jeder materialen Geschichtsphilosophie mit ethischen Zielen vgl. E. Troeltsch: Der Historismus und seine Probleme, Tübingen, 1922, 112 f.; daß endlich das Ringen mit diesen Problemen weitgehend durch die Grundvorstellungen des Christentums bedingt ist, dazu vgl. Emanuel Hirsch, Die idealistische Philosophie und das Christentum, Gütersloh, 1926, und zwar vor allem den ersten Aufsatz: Grundlegung einer christlichen Geschichtsphilosophie 20 ff.

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gen von 1830 genommen hatten, und der so wenig Droysens Erwartungen entsprach, ihn auch zu einer Revision seiner mit diesen Erwartungen eng verknüpften geschichtstheoretischen Anschauung zwang, und in der Hervorhebung der ethischen Kräfte und der Kräfte des Willens würde damit zugleich ein Bekenntnis zu den Mächten liegen, von denen er jetzt die Erfüllung seiner politischen Ziele erwartete. Aus der inneren Bedingtheit seines politischen und geschichtlichen Denkens ergab es sich jedenfalls, daß jetzt, nachdem er in seinen geschichtstheoretischen Anschauungen zu einem systematischen Abschluß gekommen war, der Aufbau seines politischen Systems begann.

Beiheft d. H. Z. 20.

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III. K A P I T E L .

DROYSENS POLITISCHES SYSTEM 1840—1847.

I. Im Jahre 1840 ist Droysen als Professor der Geschichte nach Kiel berufen worden. Den Jahren, die er dort bis zur Revolution von 1848 verbracht hat, hat er selbst später besonderes Gewicht für seine Entwicklung zugemessen1). E s waren die Jahre, in denen er den zweiten Band des Hellenismus-Werkes vollendete und die „Vorlesungen über die Freiheitskriege" 2 ) herausgab, in denen er an der Biographie Yorcks zu arbeiten begann und in ihm der Plan der „Preußischen Politik" entstand 3 ); die Gegenstände des Altertums, die bisher seinen Lebensinhalt gebildet hatten, und das Thema der neueren Geschichte, das von nun an das „Tagewerk seines Lebens" werden sollte, umfaßte er beide mit derselben Intensität auf diesem Höhepunkte seines Lebens. In den gleichen Jahren tat er aber auch die ersten Schritte auf der Bahn aktiver politischer Tätigkeit 4 ), und es schien sich ihm damit ein neuer Wirkungsbereich und neue Ziele zu eröffnen. Wie sich 1) Brf. II, 931) Die erste Auflage — Kiel 1846 — heißt „Vorlesungen über die Freiheitskriege", erst die — 1886 erschienene •— zweite Auflage heißt ,, Vorlesungen über das Zeitalter der Freiheitskriege"; ich zitiere immer nach der ersten Auflage, und zwar abgekürzt „Freiheitskriege". ') Vgl. darüber das Schlußkapitel dieser Arbeit. *) Seine politischen Aufsätze in diesen Jahren sind: Schreiben an den Herausgeber, die „Geschichte Deutschlands von 1806—1830 von Prof. Friedrich Bülau, Hamburg, 1842" betreffend, in A. Schmidts Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. I, 1844, 481—517 (künftig zitiert „BülauRezension"); Politische. Fragmente in Schweglers Jahrbüchern der Gegenwart, Jahrg. 1844, 397—419; Die politische Stellung Preußens in der Hallischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Jahrg. 1845, Bd. I, 1—32, 38—40;Die Preußische Verfassung in der Hallischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Jahrg. 1847, Bd. II, 193—232. Dazu kommen noch die im Zusammenhang mit der schleswig-holsteinischen Bewegung stehenden Arbeiten Droysens: er verfaßte 1844 die Kieler Adresse, er arbeitete an der Kritik des Kommissionsbedenkens mit, und kurz vor Ausbruch der Märzrevolution erschien seine Flugschrift: Die gemeinsame Verfassung für Dänemark und die Herzogtümer, eine deutsche Frage. 2

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so seine Lebensaufgaben in diesen Jahren weiteten und er sich seines Berufes in Geschichte und Politik bewußt ward, so begann er jetzt auch nach außen hin hervorzutreten und seine Gestalt in der Öffentlichkeit ihre endgültige Prägung zu erhalten: als Darsteller der neueren Geschichte, als Vorkämpfer eines klassischen norddeutschen Liberalismus, vor allem als deutscher Patriot, der zugleich ein leidenschaftlicher Preuße war, und der deshalb wie kein anderer immer wieder den Blick auf die Beziehungen Preußens zu Deutschland hinlenkte. Das Hervortreten politischer Probleme im Denken Droysens scheint vor allem in den Verhältnissen begründet, in die er sich in seiner neuen Umwelt, in Schleswig-Holstein, gestellt sah 1 ); mit der Thronbesteigung Christians VIII. im Jahre 1840 war das Erlöschen der Manneslinie des dänischen Königshauses ganz in die Nähe gerückt und der Kampf um die Neuregelung der Beziehungen zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein, damit aber auch um die Rechte und Unabhängigkeit der Herzogtümer, zu einer unvermeidlichen Notwendigkeit geworden. Droysen fühlte sich in seinem neuen Amte als Erbe Dahlmanns2), der vor einem Menschenalter, auch Lehrer der Geschichte an der Kieler Universität, diesen Kampf um die Rechte der Herzogtümer eröffnet hatte. Das Ziel, das sich Droysen in diesem Kampfe gesteckt, war die Erhaltung Schleswig-Holsteins für die deutsche Nation: wie er es 1846 in einem Briefe an Justus von Gruner formuliert3), handelt es sich für ihn darum, „daß man die Frage aus der provinziellen Fassung zu der allgemein deutschen erhebt, in der sie ihre Bedeutung, ihre Stärke, aber, das verkenne ich nicht, auch ihre Gefahr findet". In diesen Bemühungen trat ihm die Unzulänglichkeit des Deutschen Bundes immer wieder hemmend in den Weg, mußte er die Notwendigkeit eines starken deutschen Nationalstaates ganz lebendig und praktisch empfinden: schon Vgl. — neben G. Droysen, Johann Gustav Droysen, Leipzig und Berlin, 1910, 195 ff. — O. Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins. Ein Grundriß, 2. Auflage, Kiel, 1926, und im besonderen J . Brock, Die Vorgeschichte der Schleswig-Holsteinischen Erhebung von 1848, Göttingen, 1916, sowie A . Meetz, Johann Gustav Droysens politische Tätigkeit in der Schleswig-Holsteinischen Frage (Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. III), Erlangen, 1930, 3—8. ! ) Darauf weist schon Brock a. a. O. 132 hin. Dies hindert natürlich nicht, daß sich das Eintreten beider für die Rechte Schleswig-Holsteins auf ganz verschiedenen Grundlagen aufbaute und, den verschiedenen Zeiten entsprechend, verschiedene Ziele hatte. ») Brf. I. 337.

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1843 schreibt er ): „Erst seitdem ich hier in meinem kleinen deutschen Winkel lebe, sehe ich und empfinde ich, daß wir ebenso daran sind, wie die Griechen kurz vor der Zeit der römischen Eroberung" — eine Analogie, die er im zweiten Bande des Hellenismus oftmals anklingen läßt2). Andererseits ist aber die Steigerung des Interesses für politische Fragen ein allgemeines Kennzeichen der 40er Jahre. Die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. hatte „dem Zwange, der Stille des alten Systems" 3 ) ein Ende bereitet: die Gegensätze auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet, in kulturellen und religiösen Fragen, die sich seit langem entwickelt hatten, die aber unter dem Druck der bisherigen Regierungsweise niedergehalten waren, begannen hervorzutreten und äußerten sich, in der Erregung und Enttäuschung darüber, daß den vielversprechenden Anfängen des mit Begeisterung begrüßten neuen Königs keine Weiterentwicklung zu folgen, daß er seine Politik im Gegensatz zu den liberalen Zeitanschauungen führen zu wollen schien, in Polemiken von nie gekannter Schärfe. Es war die Unfertigkeit der deutschen Zustände, die diese Zerrissenheit mit herbeiführte, und im Hintergrunde dieser Gegensätze stand, sie beherrschend, das ungelöste Problem der deutschen Einheit. Aber mit dem Nachweis der politischen Bewegung, in die Droysen in den 40er Jahren hineingestellt war, ist die Frage, die für ihn ebenso wie für fast jede einzelne führende Persönlichkeit aus den Anfängen der liberalen Bewegung gilt, „ob sie mehr durch innere Bewegung des Geistes oder mehr durch die Erfahrungen und Erlebnisse der politischen Umwelt auf ihre Bahn geführt worden ist" 4 ), keineswegs entschieden. In dem Abschlüsse seiner J) Brf. I, 234 f. ) Vgl. Geschichte der Bildung des hellenistischen Staatensystems, Hamburg, 1843, 5 5 4 — 5 5 8 , auch 300—304, 5 7 1 — 5 8 4 usw. E r weist auf die Analogien zur Gegenwart ausdrücklich hin, auch gebraucht er — im Gegensatz zur Geschichte der Nachfolger Alexanders, wo ich mir nur zweimal moderne Ausdrücke notiert habe (149, 458) — oftmals moderne Ausdrücke und Vergleiche (48, 56, 87, 91, 139, 233, 256, 263, 350, 383, 403, 447, 464, 469, 752, 754 usw.) — ein charakteristisches Zeichen, wie sich in ihm die Gegenwartsinteressen vordrängten. 2

') Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Hendel-Verlag, Leipzig, 1927, Bd. V , 14 f.

Jahrhundert,

4 ) Meinecke, Zur Geschichte des älteren deutschen Parteiwesens in Preußen und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, München und Berlin, 1 9 1 8 , 156.

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geschichtstheoretischen Gedankenwelt lag die Notwendigkeit, nun auch die Konsequenzen dieses Systems für das politische Leben zu ziehen, und so bedeutet das Hervortreten der politischen Probleme die Weiterführung und den Ausbau seiner bisherigen Gedanken. So scheinen auch die politischen Ereignisse der 40er Jahre für ihn oftmals nur der Stoff zu sein, auf den er sein politisches System anwandte, und an dem er es erprobte, und seine verschiedenen politischen Betrachtungen in seinen Briefen, Aufsätzen oder in seinen „Vorlesungen über die Freiheitskriege" erscheinen als Glieder einer einheitlichen politischen Gedankenwelt, als Teile eines historisch-politischen Systems. In dieser Unterordnung der Tatsachen unter ein System zeigt sich die Verbundenheit und Zusammengehörigkeit mit dem politischen Denken seiner Zeit: auch Dahlmanns politische Lehren sind in der gleichen Weise von einem systematischen Grundgedanken beherrscht1), und Max Dunckers historische Studien verdichteten sich im Jahre 1843 zu einem „System der Politik" 2 ). Rein äußerlich läßt auch der häufige Gebrauch des Wortes „System", dem man in den Schriften jener Jahre immer wieder begegnet, den Wert erkennen, den man damals dem „Denken im System" beimaß, — in der Feststellung, ob eine Politik ein System zeige oder nicht, lag zugleich ein über sie entscheidendes Werturteil3). Geistesgeschichtlich gesehen zeigt sich darin die Nähe und die Herkunft von den großen deut') Vgl. darüber O. Westphal in seiner Einleitung zu Dahlmanns Politik (Klassiker der Politik, Bd. 12), Berlin, 1924, vor allem S. 6 f., und O. Westphals Aufsatz: Zur Beurteilung Hegels und Dahlmanns in der Historischen Zeitschrift, Bd. 129, 1924, vor allem S. 268: „Das innere Bündnis dagegen von staatlicher und geschichtlicher Gesinnung und die Möglichkeit, dem Staate ein System zu geben", auch S. 262 und 279. l ) R. Haym, Das Leben Max Dunckers, Berlin, 1891, 47. *) Für Droysen vgl. z. B. Brf. I, 569: „Was die Berliner Kammern anbetrifft, so ist, weiß Gott, nicht viel davon zu sagen. Es war ja recht schön, daß sie in den deutschen Dingen ein tapferes Votum machten, aber von einer positiven Kraft, von einem System, von einem nec plus ultra sehe ich nichts"; oder auch Ranke, Die großen Mächte, Sämtliche Werke, Bd. 24, 6, über die Politik Ludwigs X I V . : „ E s war alles ein System." — Einige Bemerkungen über „das Verhältnis Rankes und der politischen Historiker zum System" bei G. von Below, Das gute Recht der politischen Historiker in Preußische Jahrbücher, Bd. 193, 1923, September-Heft, 286 f. — Von einer solchen Einordnung und Begründung politischer Forderungen in einem weltanschaulichen System ist das „politische System" als Begriff zur Erkenntnis geschichtlicher Wirklichkeit zu unterscheiden, den F. Kuberka, Über das Wesen der politischen Systeme in der Geschichte, Heidelberg, 1913, untersucht.

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sehen Systemphilosophen, die Verbundenheit mit der Welt des deutschen Idealismus, aber in dieser Betrachtungsart spricht sich doch auch eine ganz bestimmte Ansicht über die Kräfte aus, die die Welt regieren: der selbstherrliche Glaube jener Zeit an die Macht der Vernunft und des Denkens über das Leben 1 ). Also in ihren systematischen, nicht in ihrem genetischen Zusammenhange, der dem systematischen gegenüber nur eine ganz sekundäre Bedeutung hat, müssen die politischen Äußerungen Droysens betrachtet werden 2 ); erst dadurch erscheinen sie aber auch in ihrer charakteristischen Eigenart. Denn diese liegt nicht etwa in einer besonders tiefen Einsicht in die damalige politische Situation oder in der Erkenntnis neuer politischer Aufgaben. Die Fragen, die Droysen in seinen politischen Äußerungen behandelt, sind in der literarischen Diskussion, die sich — vor allem im Anschluß an das Buch Bülow-Cummerows „Preußen in seinem Verhältnis zu Deutschland" 3 ) — zu Anfang der 40er Jahre entspann, fast alle zur Sprache gekommen. Als Ziel der deutschen Entwicklung wird fast allgemein die Schaffung eines Bundesstaates angesehen, der als ein absolutes Ideal staatlicher Gestaltung galt 4 ), l ) „Wir glauben nicht mehr an die Macht der Vernunft Ober das Leben, wir glauben, daß das Leben die Vernunft beherrscht." Nietzsche. % ) So sind die 1846 erschienenen „Vorlesungen über die Freiheitskriege" schon 1842/43 als Kolleg gehalten worden; da diese die umfassendste Äußerung seiner politischen Anschauungen sind, so weist auch dies daraufhin, daß diese von Anfang an vollständig und systematisch durchdacht waren. *) Der genaue Titel lautet: Preußen, seine Verfassung, seine Verwaltung, sein Verhältniß zu Deutschland, Berlin, 1842, 2 Bde.; im selben Jahr erschien noch die 3. erweiterte Auflage, die ich im folgenden benutze. Der Titel der Gegenschrift Steinackers heißt: Über das Verhältniß Preußens zu Deutschland, mit Rücksicht auf die Schrift des Herrn v. Bülow-Cummerow: Preußen, seine Verfassung usw., Braunschweig, 1842. Im selben Jahr erschienen auch Pfizers Gedanken über Recht, Staat und Kirche, Stuttgart, 1842, 2 Bde. — Dann wird das Problem der preußischen Hegemonie erörtert bei Brüggemann, Preußens Beruf in der deutschen StaatsEntwicklung, Berlin, 1843, und in denselben Jahren kämpfte auch Karl Biedermann in der „Deutschen Monatsschrift" für die preußische Hegemonie (vgl. Treitschke a. a. O. V, 191). — In charakteristischer Form zusammengefaßt erscheinen die Gedanken der Liberalen dann bei Gervinus, Die Preußische Verfassung und das Patent vom 3. Februar 1847, Mannheim, 1847. — Ich zitiere im folgenden diese Schriften einfach „Bülow", „Steinacker", „Pfizer", „Gervinus". 4 ) Dieser Gedanke stammt aus Rotteck-Welckers Staatslexikon; vgl. Bd. I I I den Artikel „Bund", vor allem S. 78: „Föderativsystem" ist „die höchste und reichste politische Organisation" und S. 9 1 : das „partikuläre Interesse und die allgemeine Nationaleinheit und Nationalfreiheit

mit dessen Errichtung eine neue Friedensära der Weltpolitik beginnen würde: Deutschland würde, gestützt und im Bunde mit den umliegenden kleinen Staaten, den Frieden der Welt beherrschen und diktieren 1 ). Auch über den Weg zur Schaffung des deutschen Nationalstaates herrschte weitgehende Übereinstimmung: Österreich war durch seine italienischen und slawischen Interessen undeutsch geworden und mußte aus dem Zusammenhange der zukünftigen deutschen Entwicklung ausscheiden2). Damit war Deutschland auf Preußen, aber Preußen war — durch die Unfertigkeit seiner staatlichen Zustände — auch auf Deutschland angewiesen3). Hier aber lag nun — auch dieser Gedanke kehrt oftmals wieder — noch ein Hindernis, das aus dem Wesen der preußischen Politik, ihrer Doppelpoligkeit, hervorging: Preußen war nicht nur eine deutsche Macht, sondern auch eine europäische Großmacht, und aus seiner europäischen Stellung ergab sich die Tendenz, sich selbständig, unabhängig von der deutschen Entwicklung zu halten, eine preußische Nation, unabhängig und im Gegensatz zur deutschen, herauszubilden und seine Stellung in Deutschland zu einer Hegemonie Preußens über Deutschland auszunutzen 4 ) — eine Tendenz, für die der Ausdruck „spezifisches sollen stets harmonisch vermittelt werden"; vgl. auch Bd. I, 2. Auflage, S. 40. — Für Droysen ist auch der Artikel über den Acholischen Bund von Interesse, z. B. I, 196: „Eine so tüchtige Bundeseinrichtung stimmt im Wesentlichen ganz mit der Natur eines wahren nationalen Bundesstaats, und namentlich auch mit der vortrefflichen n o r d a m e r i k a n i s c h e n Bundesverfassung überein" — auch für Droysen sind der Bund der griechischen Staaten und der nordamerikanische Bundesstaat die für die deutschen Verhältnisse richtigen Analogien. ') Vgl. im allgemeinen Rotteck-Welcker I, 40, für Dahlmann Westphal a. a. O. 17, H. Christern, Dahlmanns politische Entwicklung bis 1848, Leipzig, 1921, 131; dann Balow Bd. I, 292, 316 f., Steinacker 14, 247 („Im Besitze der Freiheit wird Deutschland einig werden und, im Herzen Europas liegend, den europäischen Frieden dictieren"), Pfizer Bd. II, 153, 354, Gervinus 120. — Nach Treitschke a. a. O. Bd. V, 195 f. sprach auch die Rheinische Zeitung diesen Glauben aus. 2) Bülow Bd. I, 7, Steinacker 49, Pfizer Bd. II, 331 f. ') Bülow Bd. I, 319 f., Steinacker 33, Pfizer Bd. II, 317, 320. 4) So fordert Bülow (Bd. I, 278), „daß Preußen . . . den Kern bildet, an welchen sich das übrige Deutschland fest anschließen kann". Dagegen dann Steinacker 35: „Preußen wollte nicht nur ein deutscher Bundesstaat sein, sondern auch eine europäische Macht werden und bleiben, wollte auch außerhalb des Bundes eine Stellung einnehmen." 38: „ D a s preußische Volk . . . wußte sich selbst noch nicht recht in die perplexe Aufgabe zu finden, deren Lösung nur darin zu bestehen schien, entweder neben der angebornen deutschen zugleich noch eine preußische Nationalität, also

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Preußentum" aufkam 1 ). Die Vereinigung Preußens mit Deutschland schloß also den Verzicht Preußens auf seine europäische Politik, auf sein „spezifisches Preußentum", in sich — ein Verzicht, der nach Ansicht der Liberalen durch eine Konstitutionalisierung Preußens, die ja zugleich seine Loslösung von den reaktionären Ostmächten bedeutete, endgültig ausgesprochen würde2). Auf diese Gedanken mündet auch Droysens politisches Denken aus; sie erscheinen bei ihm als logisches Ergebnis der bisherigen geschichtlichen Entwicklung, ihre Verwirklichung sah er als den Sinn des geschichtlichen Lebens an. Eben darin, daß er diese Gedanken mit wissenschaftlicher Beweiskraft ausstattete, liegt seine Bedeutung, und dazu bildete ihre Zusammenfassung zu einem historisch-politischen System die Vorbedingung. Die Historie kommt hier bei ihm zu jener Rolle einer politischen Führerin, die sie in Deutschland über ein Menschenalter hindurch bewahren sollte, aber es zeigt sich auch gleich die Bedingtheit und Problemhaftigkeit, auf der diese Stellung der politischen Historie beruht. — Aus dem systematischen Zusammenhang seines Denkens ist dann auch allein jener Gedanke zu erklären und zu verstehen, mit dem er über die politischen Forderungen der Liberalen jener Jahre hinausgekommen ist, und der zugleich für die zukünftige Entwirklich zwei getrennte Nationalitäten, anzunehmen, oder die deutsche Volkstümlichkeit gegen die preußische zu vertauschen." S. 61: „Die Frage, welche seit längerer Zeit in der Geschichte geschwankt hat, ist, ob Preußen deutsch oder Deutschland preußisch werden soll", auch S. 253. Pfizer Bd. II, 319: „ A l s Macht des Fortschritts und als werdende Großmacht errang Preußen seine europäische Stellung; einmal stabil geworden hat es seine Rolle unter den Weltmächten ausgespielt." Gervinus 119: „ D a s politische System Preußens in Beziehung auf Deutschland sollte nach dem Haupt- und Grundsatz der erwähnten Denkschrift seinem europäischen Systeme untergeordnet werden; aber Preußen wird eine europäische Politik von Selbständigkeit und Gewicht erst ausüben können, wenn seine Politik eine deutsche geworden, wenn sein europäisches System seinem deutschen untergeordnet i s t " ; auch S. 3, 12. l ) Nach O. Ladendorf, Historisches Schlagwörterbuch, StraßburgBerlin, 1906, 252 f. trat dieser Ausdruck im Herbst 1847 auf. Bei Steinacker findet sich der Ausdruck „Stockpreußentum" (S. 259), Pfizer gebraucht im selben Sinne einfach das Wort „Preußentum" (z. B. Bd. II, 284), ebenso wie Droysen (Politische Stellung Preußens 31).

*) Steinacker 262: Wenn sich Preußen dem konstitutionellen System zuwendet, „so ist seine leitende Stellung in Deutschland unschädlich, mag man sie Hegemonie oder anders nennen", ebenso Pfizer Bd. II, 287 f., 320-

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wicklung von der folgenschwersten Bedeutung war: der Gedanke über das Aufgehen Preußens in Deutschland 1 ). — II. Wie für Droysen das geschichtliche Leben der Menschheit die Stätte der Verwirklichung ethischer Ziele geworden war, so steht jetzt ein ethisches Ziel im Mittelpunkt seines politischen Systems: die Forderung auf Verwirklichung der „königlichen Vollfreiheit des sittlichen Menschen" 2 ); aber dieser Gedanke hat bei ihm ein doppeltes Gesicht, das auf seine verschiedenen Wurzeln aus dem Geiste der Aufklärung und der Romantik hinweist. E r enthält einerseits ein rationalistisches Element, er zielt auf Hinwegräumung aller ständischen Schranken und auf Schaffung einer für alle Menschen gleichen Rechtsgrundlage hin, andererseits aber schließt diese Forderung für ihn die Anerkennung der Einmaligkeit und Besonderheit jeder Persönlichkeit in sich ein. Wie ihm schon im Jahre 1 8 3 1 als die Aufgabe des staatlichen Lebens erschienen war, das Allgemeine und das Besondere zu vereinen 3 ), so liegt auch jetzt seinem Denken dieselbe Fragestellung zugrunde; mit der Konstituierung alles Gemeinschaftslebens auf dem Prinzip der Persönlichkeit und mit der Anerkennung des Rechts der Persönlichkeit auf Selbstbestimmung scheint sich ihm dieser Gegensatz in eine natürliche Harmonie verwandeln zu müssen. Daraus •) Zu dem Folgenden vgl. jetzt den Abschnitt IV von Meineckes Aufsatz über Droysen in Historische Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 265 ff., wo er die „preußisch-nationale Gruppe" der Werke Droysens behandelt. — W. Fenske sendet seiner Studie: Johann Gustav Droysen und das deutsche Nationalstaatsproblem, Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. II, 1930, einen 1. Teil: Droysens allgemeine Anschauung vom Staat und den staatlichen Mächten, voraus, in dem er — bei einzelnen richtigen Beobachtungen, zu denen ich vor allem die starke Betonung des sittlichen Charakters des Staates rechnen möchte — doch dadurch, daß er Droysens politische Anschauungen von ihrem geschichtlichen und weltanschaulichen Hintergrund loslöst, Wesentliches und Unwesentliches durcheinandermischt und zu keiner klaren Einsicht in die entscheidenden Gedanken von Droysens politischen Forderungen gelangt; auch behandelt er Droysens Auffassung vom preußisch-deutschen Verhältnis in einem besonderen, zu Droysens Tätigkeit im Revolutionsjahr gehörigen Teil (S. 49 bis 64) und zerreißt damit völlig den zum Verständnis notwendigen Zusammenhang. *) Freiheitskriege II, 728: „Sie und nur sie ist ,der unerschütterliche Pfeiler jedes Thrones'; sie und nur sie ist das Maß, an dem der Staat seine Macht, der Bürger seine Pflicht, die Geschichte ihr Urtheil messe." ') Vgl. diese Arbeit Kap. I, S. 7.

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ergibt sich auch, daß er keine Omnipotenz des Staates kennt, sondern das staatliche Leben nur eine von den großen Gemeinsamkeiten ist, in die der einzelne hineingestellt1), und die es gilt, auf dem Prinzip der Persönlichkeit neu zu gründen. Er unterscheidet drei verschiedene Gemeinschaftssphären: das öffentliche, das soziale und das religiöse Leben und ordnet ihnen die Begriffe Staat, Volk und Kirche zu: „Wohlstand, Sittlichkeit, Geistesleben des Volkes, Lehre, Frömmigkeit, Erhebung durch die Kirche, Gerechtigkeit, Sicherung und geschichtliche Weiterbildung durch den Staat, das ist es, was das Leben des Einzelnen und des Ganzen gesund sein läßt und lebenswert macht" 2 ). Jede dieser Sphären ist autonom3). Aber die Entwicklung der einen ist doch von der der anderen bedingt, und so kommt es, daß das staatliche Leben in den Mittelpunkt seines Denkens tritt; denn während die Durchführung des Prinzips der Persönlichkeit in den anderen Sphären schon eingeleitet ist, während hierin die Bedeutung der Reformation für ihn beruhte, gilt es ihm auf dem Gebiet des Staatslebens erst die Bahn zu eröffnen4). Aus der Art seines Freiheitsbegriffes, aus dem Ziel der Durchführung des Prinzips der Persönlichkeit im Staatsleben ergeben sich dann auch die Forderungen, die er für das Gebiet des staatlichen Lebens erhebt: die Forderung auf „allgemeines Staatsbürgertum", in der sich für ihn die Summe der dem einzelnen zukommenden politischen Rechte zusammenfaßt 8 ), die Begründung des Staates auf der Nation als umfassend*) Freiheitskriege II, 728: „Gerechte Autonomie in allen Lebenskreisen, deren Zweck nicht der Staat ist"; auch Verdun-Rede 25, 28. 2) Rede zur tausendjährigen Gedächtnisfeier des Vertrages zu Verdun, Kiel, 1843, 28. *) „Die wahre Macht des Staates wird in demselben Maße wachsen, als er [Volk und Kirche] aus seiner inadäquaten Bevormundung zu entlassen weiß zu der Selbständigkeit, die sie ein Recht haben zu fordern." VerdunRede 27; auch 28. 4) Verdun-Rede 14: „Jene von der Reformationszeit begonnene, zunächst den innersten Bereich der Persönlichkeit erfüllende Wandelung . . . aufzunehmen, und nach den erschütternden Anlässen der Revolution auch auf die staatlichen und sozialen Verhältnisse gewandt weiterzuführen, das ist der Beruf unserer Zeit." — In diesen Zusammenhang gehört auch die Aufmerksamkeit, die er den religiösen Bewegungen seiner Zeit widmet; vgl. Brf. I, 211, die interessante Bemerkung zu F. Mendelssohn Bartholdy über die Neuerweckung der „protestantischen Musik", aber auch Brf. I, 307, die Äußerung über die „deutsch-katholische Musik", die zeigt, wie wenig einseitig er in seinem Protestantismus damals war. 6) Eine Zusammenfassung dessen, was für Droysen der Begriff des „allgemeinen Staatsbürgertums" in sich schließt, findet sich Verdun-Rede 26.

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ster Gemeinschaft, in die das individuelle Leben verflochten ist 1 ), und die besondere Art, wie sich der innere Staatsaufbau gestalten soll: die Selbstverwaltung der Gemeinden bildet für ihn die entscheidende Grundlage2), es ergibt sich eine Zusammenfassung in kleineren Kreisen, in denen die allgemeinen Bestimmungen mit den jeweiligen Besonderheiten ausgeglichen werden, und diese sollen dann durch ein föderatives System ineinandergeschlossen und zu staatlicher Einheit verbunden sein3). Verfassung und Verwaltung, der Gedanke des Bundesstaats und der Gedanke einer sich aus Selbstverwaltung, Provinzialständen erhebenden allgemeinen Ständevertretung sind für uns scharf zu trennen und unvereinbar: bei Droysen sind diese Gedanken noch nicht genau geschieden, sie scheinen sich für ihn gegenseitig zu ergänzen, und er empfand es gewissermaßen als Fortbildung seines Staatsideals, wenn ihm als ') Z. B. Verdun-Rede 32: „Und nur eine feste unauflösliche, nicht bloß diplomatische, sondern nationale Einheit kann ihn schirmen." s ) Zu dem Gedanken Droysens, daß der Staat sich aus Gemeinden auferbaut vgl. Freiheitskriege II, 727: „ein wahrhaftes Staatsbürgertum, gegründet auf der Basis kommunaler Ordnung, gegipfelt in dem ständischen Antheil an Gesetzgebung, Besteurung, Verwaltung"; auch 644: „die Staaten selbst in verfassungsmäßiger Ordnung, Zusammenfassungen sich selbst regelnder Gemeinden; denn sie, nicht die Einzelnen sind die Monaden des Staates". Dann Brf. I, 353: „Habe ich recht mit der Ansicht, daß der Staat nicht aus Individuen, sondern aus Gemeinden besteht, so gibt es keine wichtigere Frage, als den Bereich beider und ihrer Autonomie ins Auge zu fassen"; vgl. auch den Aufsatz: Die attische Kommunalverfassung, wieder abgedruckt bei Droysen, Kleine Schriften zur Alten Geschichte, Leipzig, 1893, I, 384, und Preußische Verfassung 219. ') Daß auch für Droysen eine bundesstaatliche Verfassung ein Ideal bedeutete, dazu vgl. Hellenismus II, 402, über den Bund griechischer Staaten: „Völliger wie in irgendeiner Monarchie der Zeit war hier die Idee einer einheitlichen Bildung durchgeführt, aber verbunden mit den Vorzügen freistaatlicher Autonomie" — durchaus analog dem Rotteck-Welcker! Vor allem aber Freiheitskriege I, 278: „ W i e lehrreich ist für unsere deutsche Gegenwart überall die Entwickelung Nordamerikas!" es folgt dann eine ausführliche Analyse der nordamerikanischen Verfassung und eine Idealisierung der amerikanischen Verhältnisse, die als Vorbild hingestellt werden (284), Auch kompositorisch bildet diese Betrachtung Amerikas das Kernstück des 1. Bandes, während der 2. Band einerseits in einer Schilderang der Militärdespotie Napoleons als Vollendung des Alten, andererseits in einer Darstellung der preußischen Reformen als Beginn des Neuen inhaltlich und kompositorisch kulminiert. Daß diese bundesstaatlichen Gedanken mit Droysens Anschauung von der Bedeutung der Gemeinden in einer inneren Übereinstimmung stehen, dazu vgl. Freiheitskriege II, 644: „wie Preußen begonnen hat, den Staat aus einem föderativen System von Gemeinden neu zu erbauen . . ."

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Ziel der Geschichte eine bundesstaatliche Weltorganisation von Nationalstaaten vor Augen stand 1 ). Aber diese Forderungen erscheinen bei ihm nicht als logische Folgen eines philosophischen Systems. Daß die geschichtliche Welt die Stätte der Verwirklichung ethischer Werte und Ziele sei, war die Uberzeugung gewesen, die sich in ihm in der Entwicklung seiner geschichtstheoretischen Anschauungen im Verlauf der 30er Jahre immer mehr befestigt hatte 2 ); so entnahm er jetzt auch der Geschichte das Material, um die Ziele aufzuzeigen, die er von der Entwicklung der Zukunft forderte, um nachzuweisen, wie sich in der Vergangenheit die Gestaltungen angekündigt hätten, die es zu vollenden gälte. Immer wieder betont er, welchen Wert die Geschichte für das Leben habe: „Ein mächtiger Strom folgt sie ewigen Gesetzen, unbezwinglichen Notwendigkeiten, ihres Zieles gewiß" 3 ). Diese erkennen und seinem Volke darzulegen, damit es sich seiner Aufgabe bewußt werde und sich als lebendiges Glied der geschichtlichen Entwicklung einreihe, ist die Aufgabe des Historikers. „[Der Gegenwart] Deuterin ist die Geschichte; sie ist ihr yi'oitfi aat-clv, ihr Gewissen" 4 ). Durch diese Anschauung ist die Art seiner Geschichtsbetrachtung und Geschichtsdarstellung von vornherein in ganz bestimmter Weise festgelegt: sie besteht auch weiterhin in einer Spiritualisierung des geschichtlichen Lebens, die Darstellung des geistigen Gehaltes einer Epoche bildet die Hauptaufgabe des Historikers. Es ergibt sich für ihn, daß die außenpolitische oder innenpolitische Entwicklung eines Staates nicht gesondert darzustellen ist, daß die Außen- oder Innenpolitik keine selbständige ihr immanente Kausalität besitzt; beide sind nur verschiedene ') Freiheitskriege II, 644: „Und wie Preußen begonnen hat, den Staat aus einem föderativen System von Gemeinden neu zu erbauen, wie Nordamerika das Beispiel gibt, die Autonomie der Staaten in der Gemeinsamkeit wiederkehrender Kongresse zu bewahren, ja erst recht zu sichern, so oder ähnlich wird Europa eine große Friedensunion bilden, in sich mannigfach nach der Mannigfaltigkeit der Volksindividualitäten, staatlich gegliedert nach deren U n t e r s c h i e d . . . " ; vgl. auch Politische Fragmente 413, Die gemeinsame Verfassung für Dänemark und Schleswig-Holstein. Eine deutsche Frage, Bremen, 1848, 30. l ) Vgl. diese Arbeit Kap. II. ') Politische Fragmente 404. 4) Verdun-Rede 5. Aus dieser Auffassung der Geschichte ergibt sich dann auch der „Plan einer deutschen Geschichte" (vgl. darüber G. Droysen a. a. O. 285 ff.), in diesen Zusammenhang gehört auch seine Forderung auf Öffnung der deutschen Archive, vgl. Freiheitskriege I, Vorwort.

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Ausdrucksformen des gleichen, die gesamte Epoche beherrschenden Geistes. Dies zeigt sich deutlich in dem Bilde, das er von der Epoche des Absolutismus entwirft 1 ) : der dynastischen Richtung der Außenpolitik, die zu der Herausarbeitung einer Herrschaft der Großmächte geführt hatte, die die kleineren Staaten nach den Grundsätzen einer künstlichen Gleichgewichtspolitik unter sich verteilten, entsprach die mechanische Regierungsweise im Innern, für die das Volk rein zum Objekt der Regierung geworden war, und die eine Kluft zwischen Herrschern und Beherrschten aufgerissen hatte, die in der Aufstellung des Gegensatzes von Herrscher- und Volkssouveränität ihren geistigen Ausdruck gefunden hatte. Gewalt, Betrug, Rechtlosigkeit waren die Kennzeichen dieses Systems, „welches, man darf es behaupten, durch und durch krankhaft, unheilbar, monströs war" 2 ). In der Militärdespotie Napoleons vollendete es sich3). Aber damit ließ sich auch erwarten, daß die Zeit reif zum Bruche mit dem Bisherigen, reif für eine neue Ära geworden sei. Schon durch den Absolutismus waren die Grundlagen für die Entwicklung des Neuen gelegt worden: er hatte die ständischen Schranken hinweggeräumt und die Massen so „durchgearbeitet", daß sie nur noch aus isolierten Individuen bestanden4) : durch die Begründung des Staates auf dem freien Willen jedes einzelnen sollte der Gegensatz von Regierung und Volk überwunden, sollte der Staat des Volkes werden, durch die Errichtung von Nationalstaaten das System der Gewalt beseitigt und eine Zeit der Gleichberechtigung hinaufgeführt werden: die Zeit der „Mächte", die auf Gewalt und Unterdrückung beruhten, war vorüber; die Zeit der „Staaten", die sich auf Recht und Freiheit gründeten, gekommen5). In der Gegenüberstellung von „Macht" und „Staat" 6 ) zeigt sich die ganze Eigenart Droysens in seiner Bedeutung für seine 1 ) Zu der folgenden Charakterisierung vgl. vor allem Freiheitskriege I die Kapitel: „Das alte Europa" und „Die Anfänge der europäischen Revolution". 2) Freiheitskriege I, 180. ') Freiheitskriege II, 347; der gleiche Gedanke auch in einer Denkschrift aus dem Herbst 47 (liegt im Nachlaß; ich zitiere künftig „Denkschrift"): „Die Revolution setzte nur das Werk des despotisme éclairé fort, vollendete es in Napoleon . . ." 4) Freiheitskriege I, 310; vgl. dazu Freiheitskriege I das Kapitel „Der Staat". 6) Politische Stellung Preußens 29. •) Sie findet sich zum ersten Male in seinem Aufsatz über die „Politische Stellung Preußens" 10, dann 29; sie findet sich in den Freiheits-

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Zeit und seiner Abhängigkeit von seiner Zeit: sie atmet etwas vom Hegeischen Geist durch die Art, wie er hier nicht längsschnittartig von der Gegenwart aus in die Vergangenheit schaut, sondern querschnittartig die Summe aus der Zeit des Absolutismus zieht und sie erst dann in Verhältnis zu der Entwicklung setzt, durch den Glauben, daß eine neue Zeit, die Endzeit, jetzt gekommen sei; aber in der Überzeugung, daß es die hohen ethischen Werte des antiken Staatsgedankens, bereichert um den Persönlichkeitsgedanken des Christentums, wiederzugewinnen gälte, klingt auch etwas von den Motiven seines philologischen Studiums hindurch. Vor allem zeigt sich in dieser Gegenstellung aber die Denkweise einer Zeit, die vom Geistigen aus zum politischen Leben kam: erst als Stätte ethischen Lebens sind die politischen Gemeinschaften gerechtfertigt, und so werden sie in radikaler Weise vergeistigt und ethisiert, wird über ihre natürlichen Bedingtheiten und Gebundenheit hinweggesehen; Macht und Gewalt sind keine notwendigen Attribute des Staatsbegriffs, sie stehen im Gegensatz zu ihm. Aber darin, daß überhaupt eine Stellungnahme zum politischen Leben eine geistige Notwendigkeit geworden war, spricht sich die Kraft des nationalen Gefühls, der Drang, sich zu ihm bekennen zu dürfen, aus, und es ist eine logische Folge dieser Zusammenhänge, daß sein Vaterland, daß Deutschland und Preußen in den Mittelpunkt seines Systems rückten. Denn PreußenDeutschland war das Land, das bisherige Zeitalter zu überwinden und die Zeit des „Staates" heraufzuführen. Die übrigen Großmächte beruhten in ihrer Existenz auf den Grundlagen des bisherigen Systems: Österreich war eine dem nationalen Gedanken durchaus entgegengesetzte, auf dynastischen Prinzipien beruhende Macht1). Ebenso zeigte sich in Englands Politik gegenüber Irland2) und in seinem Kolonialsystem3) das bisher herrschende kriegenl, 16: „Die alte Weise der Staaten, nur Mächte zu sein. . . 180:,,Ihr erstes Ziel war nicht Staat, sondern Macht zu sein", 284 über Amerika: „ein Staat, der nicht Macht sein will", II, 252, 360 („Aber ist es die Aufgabe des Staats, Macht zu sein ? ist das der Lebensinhalt der Völker, Gewalt zu üben oder zu leiden ?"), 440. Es ist also keine einmalige Unterscheidung, sondern eine sein ganzes Denken durchziehende Begriffsbildung. — Vgl. dazu auch Meineckes Aufsatz über Droysen in Historische Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 268 f. Freiheitskriege I, 194 ff., II, 724. 2) Freiheitskriege I, 205 ff., auch II, 319, 360, 526 ff. Diese Abschnitte sind in bewußtem Gegensatz zu der damals üblichen Idealisierung der englischen Zustände (Dahlmann!) gehalten; vgl. Brf. I, 345. *) Kolonialfragen stehen damals im Mittelpunkt der Diskussion, standen sie doch sogar auf der Tagesordnung des 2. Germanistentages in

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System der Gewalt, in Rußland war das Prinzip der Herrschersouveränität 1 ), in Frankreich das der Volkssouveränität zur Durchführung gelangt2). In der Auffassung, daß Preußen die Aufgabe habe, diese Gegensätze zu überwinden, die Entwicklung der Friedensära, die durch die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika in der neuen Welt schon eingeleitet war3), nun auch in der alten Welt heraufzuführen 1 ), gipfelt Droysens politisches System; Erkenntnis der tatsächlichen Situation Preußens, seine eigenen politischen Wünsche und seine weltanschauliche Überzeugung sind in dieser Anschauung der preußischen Geschichte und der Aufgaben der preußischen Politik in ganz einzigartiger Weise ineinandergewoben. Durch die Notwendigkeiten seiner eigenen politischen Lage war Preußen auf seinen Beruf hingewiesen: es war die kleinste unter den Großmächten, keine Macht, die „auf sich selber ruhend und für sich stehend ihr Interesse, ihre Machtentwicklung auch den andern gegenüber geltend machen könnte" 5 ). Unter dem Gleichgewichtssystem6), als Mitglied der Pentarchie der Großmächte befand es sich als kleinste Macht stets in Abhängigkeit von den stärkeren Mächten und war in der Selbständigkeit seiner Entwicklung gebunden, da die anderen Mächte keine Machtsteigerung Preußens, die es aus dieser Abhängigkeit befreite, zulassen würden7). Es durfte nicht versuchen, sich diesem System der Pentarchie einzugliedern, sondern es mußte sich nach einer anderen Stütze umsehen. So beruhte die Bedeutung Friedrichs des Großen für Droysen darin8), daß er diese Lage Preußens durchschaute, daß Lübeck; zu der Stellungnahme Droysens zu Kolonialfragen vgl. Brf. I, 300 und Hellenismus II, 753—755. ') „Rußland ist das fixirte 18. Jahrhundert", Freiheitskriege II, 542, auch I. 65, II, 538—542. s ) Politische Stellung Preußens 17 f. *) Freiheitskriege I, 289. *) Freiheitskriege II, 440. 5) Politische Stellung Preußens 26. •) „Die ganze Lehre von dem Gleichgewicht ist eine Lügenlehre . . ." Brf. I, 310; auch 354; Politische Stellung Preußens 15 f.: „Man mußte erst zu jener völlig mechanischen Auffassung des Staates als einer durch Einnahmesummen und Truppenzahlen darstellbaren Macht kommen, um die eigenthümliche Lehre eines politischen Gleichgewichts aufstellen zu können, welche in Wahrheit der sittlichen Bedeutung des Staates zuwider ist." ') Politische Stellung Preußens 26, 29. Brf. I, 288 f. •) Politische Stellung Preußens 16: „Friedrich der Große war es, der der Vorstellung von dem, was der Staat sei und sein müsse, eine neue Wen-

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er mit seiner Außenpolitik den Weg zeigte, durch den sich Preußen aus dieser europäischen Fesselung befreien konnte. Der Siebenjährige Krieg 1 ) und der Fürstenbund2) erscheinen ihm als Taten von wegweisender Bedeutung, die sich aus den außenpolitischen Ereignissen des absolutistischen Zeitalters weit herausheben. Sie bedeuten den Verzicht Preußens auf Unterwerfung der kleineren Mächte, Preußen nahm die Stellung eines Vorkämpfers der Unabhängigkeit der kleinen Staaten gegen die Ausdehnungsgelüste der Großen, eines Schützers der Gerechtigkeit, ein3). Bei einer derartigen defensiven Politik, im Bunde und als Schutzmacht der kleineren, vor allem der deutschen Staaten, war Preußen nach Droysens Auffassung auf die Großmächte nicht mehr angewiesen und konnte sich selbständig gegen sie behaupten. Aus der politischen Lage Preußens ergab sich also die Notwendigkeit eines ehrlichen Verzichts auf jede gewaltsame Machterweiterung und auf jede Antastung der Selbständigkeit der kleineren Staaten, ergab sich der Beginn einer neuen außenpolitischen Ära der Gerechtigkeit. Seine Gedanken über die Möglichkeiten der preußischen Politik fassen sich in dem Satz zusammen: „Es gibt nicht leicht eine merkwürdigere politische Gestaltung als den preußischen Staat . . . Es sind zwei Naturen, die in ihm miteinander ringen. Darf man, allerdings nicht ohne Spitzfindigkeit unterscheidend, die Begriffe Staat und Macht einander gegenüberstellen, so könnte man sagen, Preußen schwankt, ob es Staat oder Macht, ob es deutsch oder europäisch, ob es staatsbürgerlich oder dynastisch sein will" 4 ). Aus den Begriffspaaren, die er hier einander gegenüberstellt, interessiert uns vor allem der Gegensatz „deutsch" oder „europäisch". Denn darin, daß er den Begriff dung gab. Man kann sagen, er stellte Preußen als einen Staat den Mächten gegenüber . . ." vgl. auch Brf. I, 289. ') Freiheitskriege I, 185; Politische Stellung Preußens 16: „Zum ersten Male seit Jahrhunderten brachte ein großer Friede keine Gebietsveränderungen." 2) Freiheitskriege I, 321 f.; auch Politische Stellung Preußens 29, Brf. I, 289. In der Beurteilung der Bedeutung des Fürstenbundes ist Droysen stark von Joh. von Müllers Darstellung des Fürstenbundes beeinflußt worden; darüber vgl. das Schlußkapitel dieser Arbeit. s ) Politische Stellung Preußens 17: „Preußens Bedeutung war es, gegen die wachsende Anmaßung der großen Mächte sich selbst und die kleineren Staaten zu vertreten und ohne Verlangen nach äußerer Machterweiterung . . . den Frieden Europas zu erhalten, den es stark genug war, fordern zu können." *) Politische Stellung Preußens 10.

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„deutsch" auf dieselbe Ebene stellt wie die Begriffe „Staat" und „staatsbürgerlich", deren Bedeutung im System Droysens wir betrachtet hatten, zeigt sich ganz deutlich, daß ihn wohl die Einsicht in die Lage der preußischen Politik, deren Entwicklungsmöglichkeiten durch den Bund mit Rußland und Österreich abgeschnitten waren, die europäisch-universale Fesselung Preußens verwerfen ließ, daß aber in der deutsch-nationalen Fesselung, durch die er sie ersetzen wollte, sich zwei Gedankenelemente begegneten: nämlich daß der deutsche Beruf Preußens der innersten Lebensautonomie dieses Staates entspricht, daß aber andererseits das deutsche Ziel ein Menschheitsziel sei und deshalb auf jeden Fall zu erstreben wäre1). Die Wahl zwischen den Möglichkeiten, die die preußische Politik in sich birgt, ist damit aus der Ebene der politischen Diskussion, des „Richtig" oder „Falsch", in die Höhe der ethischen Entscheidung über „Gut" oder „Schlecht" gehoben — eine Anschauungsweise, die nicht nur den Schlüssel zum Verständnis der politischen Haltung Droysens in die Hand gibt, sondern auf der die Haltung der führenden Männer der Paulskirche im Jahre 1848 überhaupt beruht. Erst diese Unterordnung der Politik unter das Ethische macht seine Auffassung des preußisch-deutschen Verhältnisses verständlich: nicht allein durch seine außenpolitischen Gegebenheiten, durch sein Interesse war und mußte Preußen auf eine engere Verbindung mit den übrigen deutschen Staaten hingewiesen sein. Das Entscheidende war, daß Preußen und Deutschland sich der Idee nach decken mußten, daß der universal-ethische Gehalt, den die Idee des deutschen Staates für Droysen in sich trug, auch schon im preußischen Staate im Keime vorhanden sein mußte. — Hier setzt nun seine Auffassung vom Werte der Steinschen Reformen ein, die für die Innenpolitik dieselbe Bedeutung haben, wie Friedrich der Große für die Außenpolitik: auch durch sie wird eine neue weltgeschichtliche Ära eingeleitet2). Die Auf' ) Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 7. Auflage, München und Berlin, 1928, 364: „Die europäisch-universale Fesselung Preußens verwarf er, aber seine deutsch-nationale Fesselung verlangte er . . . " Ich würde die überstaatliche Idee, die dieser deutschen Fesselung Preußens innewohnte, lieber etwas stärker betont sehen. *) Bülau-Rezension 490: „ N i c h t ein w e n i g a n d e r s als andere Staaten der Zeit, nicht ein w e n i g b e s s e r in diesen und jenen Einrichtungen war dies Preußen nach 1807; es bildete sich dort ein q u a l i t a t i v a n d e r e s , es ward das wiedergeborne Preußen ein Staat der neuen Zeit, der erste, der den großen Gegensatz, zu dem die Revolution Europa polarisiert hatte, auf p o s i t i v e Weise zu vermitteln begann." Beiheft d. H. Z. 20.

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gäbe war, die unfruchtbare Alternative der Herrscher- und Volkssouveränität mit ihrer überspitzten Zentralisation zu überwinden, den Staat auf den „Willen freier Menschen" zu gründen und neben den Aufgaben, die eine einheitliche Regelung notwendig machten, und für die die Einheit der monarchischen Gewalt der Ausdruck war, durch die Durchführung der Selbstverwaltung möglichste Freiheit und Dezentralisation im einzelnen herrschen zu lassen. Wie der künftige deutsche Nationalstaat durch seine bisherige Entwicklung, durch die Verschiedenheit seiner Staaten dazu bestimmt war, ein solches Ideal staatlicher Gestaltung darzustellen, so war diese Entwicklung durch Stein in Preußen eingeleitet1). Aber daß Preußen sich in dieser Weise reformierte, daß es in dieser Weise die künftige deutsche Entwicklung vorbildete, war notwendig, entsprach der innersten Lebensautonomie des preußischen Staates. Denn dieser war für Droysen ein künstliches, kein natürliches Gebilde, aus den verschiedensten deutschen Stämmen zusammengefügt, und so konnten alle seine Gegensätze allein in einer deutschen Bindung ihren natürlichen Ausgleich finden. „Die fortschreitende innere Entwickelung im preußischen Staat wird nie . . . zu einem .Preußentum' führen, sondern nur als Deutsche werden sich Ostpreußen und Rheinländer und Sachsen einander verwandt und vereint fühlen" 2 ). Es war eine Lebensnotwendigkeit des preußischen Staates, sich zu deutschen, föderativen Formen hindurchzuarbeiten, an die sich dann die übrigen deutschen Staaten angliedern könnten: Preußen wird „in dem deutschen l ) Vgl. darüber vor allem den Abschnitt über die preußischen Reformen in Freiheitskriege II, 399—446, der sicher ganz bewußt so ausführlich gehalten und in das Zentrum des 2. Bandes gestellt worden ist. Auch Politische Fragmente 414, Politische Stellung Preußens 29: „Preußens ganze innere Existenz, wie sie sich seit dem Tilsiter Frieden durch eine Reihe großer Gesetze zu entwickeln begonnen hat, ist im Widerspruch mit einer derartigen Machtstellung, die da verdammt, ungerecht zu sein"; auch Brf. I, 364. l ) Politische Stellung Preußens 31. Sehr ähnlich Freiheitskriege II, 679: „Und welche inneren Aufgaben, die das so neue Preußen über sich nahm! nur in wahrhafter Staatlichkeit und lebendiger Selbständigkeit aller Glieder kann das Ganze gedeihen, ja gedeihen nur und mit sich selber versöhnen, wenn es sich selbst als Glied des kräftiger erneuten deutschen Gemeinwesens weiß und betätigt; nur in dem deutschen Namen können sich die Rheinländer und Sachsen und Ostpreußen einander verwandt fühlen; und in dem Maaße als das alte exclusive Preußentum in dem deutschen Namen untergeht, vertritt Preußen das deutsche Land und Volk gegen die dynastischen Sonderinteressen . . . "

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Namen aufgehen" ) — wie einst zu Anfang der 30er Jahre, so war auch jetzt noch für Droysen Preußen „der Staat der Idee", der mit der Erfüllung seiner Aufgabe auch erlöschen konnte. Auch jetzt noch war das für ihn die Lösung des großen Rätsels des preußisch-deutschen Reiches ohne preußische Hegemonie2). — Und auch jetzt noch stand, wenn er auch nie davon geschrieben hat, als letztes Ziel hinter seinen politischen Gedanken die nationale Monarchie der Hohenzollern — eine logische Folge seiner bundesstaatlichen und monarchischen Ideale3). Und wenn dieser deutsche Nationalstaat im Herzen Europas gegründet war, so würden sich die umliegenden kleinen Staaten an ihn anlehnen, und im Bunde mit ihnen würde er den Frieden der Welt schützen und eine neue Ära des Rechts einleiten. Nachdem wir damit das politische System Droysens in seinem Zusammenhang überschaut haben, bleibt uns noch, es in seiner Anwendung auf die einzelnen politischen Fragen, von denen in den 40 er Jahren ein neuer Anstoß auf das politische Leben Norddeutschlands ausgegangen war, und in die Droysen mitten hinein gestellt worden ist, in seiner Anwendung auf die schleswig-holsteinische Frage und die innere Entwicklung Preußens, zu betrachten; es fällt dadurch auf die Voraussetzungen, von denen sein politisches Handeln diktiert ist, noch schärferes Licht. Die Beschäftigung mit der schleswig-holsteinischen Frage4) ließ ihn vor allem die außenpolitische Bedeutung der deutschen l

) „Erst wenn Preußen in dem Deutschen Namen aufgehen will, kann aus dem Bunde jener große Friedensstaat werden . . . " Politische Stellung Preußens 38. *) Vgl. diese Arbeit Kap. I, S. 13 f. Aus diesen Darlegungen wird hervorgehen, daß ich mit der Analyse, die G. Droysen (a. a. O. 348—350) über die Auffassung seines Vaters von den preußisch-deutschen Beziehungen gibt, nicht übereinstimme. Er scheint mir — wie die meisten bisherigen Darstellungen der preußisch-deutschen Gedanken J . G. Droysens — zu übersehen, daß der Droysen vor 1848 ein durchaus anderer ist wie der Droysen nach 1849. Die ganze Bedeutung dieses Jahres für Droysens Entwicklung war auch kaum zu erkennen, solange nicht festgestellt war, daß die „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte" nur eine spätere Bearbeitung von Droysens April-Denkschriften bringen, vgl. darüber den Exkurs. 3 ) Freiheitskriege II, 409 f.: „ S o ergab sich die Möglichkeit aller der freiheitlichen Entwicklung, die Nordamerika auszeichnen, aber mit dem Vorzug der erblichen Monarchie, das ist der gegebenen, nicht bloß immer erst resultierenden Staatlichkeit." *) Der Darstellung der Haltung Droysens in der schleswig-holsteinischen Frage, die ich hier nur in ganz großen Linien andeute, liegt vor 5*

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Einigung erkennen. Hier sah er, daß die Einheit wichtiger sei als die Freiheit1), und das außenpolitische Programm, das für ihn mit seinen deutschen Zielen verbunden war, war sicher durch die Betrachtung der Lage der Herzogtümer mitbestimmt. Dänemark im Bunde mit Rußland und England bedeutete die Möglichkeit zur Durchführung des Gesamtstaates, bedeutete die Unterjochung der deutschen Nationalität in den Herzogtümern und eine Umklammerung Deutschlands im Norden. So war die Aktivierung der deutschen Mitte, vor allem ein Vorangehen Preußens, dessen eigene Interessen hier mit denen Deutschlands identisch waren, und das hier seinen deutschen Beruf beweisen konnte, notwendig, um die Möglichkeit zu einem erfolgreichen Widerstand in den Herzogtümern zu schaffen. Aber — und das ist eben für das Denken Droysens äußerst charakteristisch — aus dem Vorangehen Preußens bzw. Deutschlands mußte, wenn Dänemark sein Interesse nur richtig verstand, durchaus kein Konflikt mit Dänemark entstehen, denn auch die Interessen Dänemarks und Deutschlands gingen parallel. Die Herzogtümer Schleswig-Holstein würden dem künftigen deutschen Bundesstaat angehören, aber sie konnten auch mit Dänemark in Personalunion verbunden bleiben, da ja auch Dänemark sich mit Deutschland verbünden sollte, das es in seinen Rechten und seiner Selbständigkeit schützen würde. Auch hier zeigt sich wieder, wie sein politisches Denken in seinen universalistischen Anschauungen verankert war: der Gedanke, daß Dänemark den Bund mit Rußland oder England, wenn er ihm den unbedingten Besitz der Herzogtümer versprach, dem Bunde mit Deutschland vorziehen mußte, kam ihm nicht. Die Länder waren für ihn nicht von den in ihnen verwirklichten geistigen allem Droysens Flugschrift aus dem Februar 48: Die gemeinsame Verfassung für Dänemark und Schleswig-Holstein. Eine deutsche Frage, zugrunde, und zwar besonders der letzte Abschnitt, S. 27—31. Daneben aus dem Brf. X die Briefe an Gruner Nr. 170, S. 288; Nr. 179, S. 301; Nr. 236, S. 381; Nr. 240, S. 386 und an Arendt Nr. 186, S. 309; Nr. 204, S. 335. — Eingehend wird Droysens Tätigkeit für Schleswig-Holstein in den 40er Jahren untersucht bei A. Meetz a. a. O. 8—40. Wenn hier S. 12 geschrieben wird: „Über dem ausgeprägten Empfinden für die politische und kulturelle Verbundenheit Schleswig-Holsteins mit Deutschland entgeht ihm der Gedanke von der Wichtigkeit der Herzogtümer für die Existenz des dänischen Gesamtstaates und dessen Problematik", so versuche ich zu zeigen, daß aus Droysens ideenpolitischem System heraus er gar nicht einen so scharfen Gegensatz zwischen deutscher und dänischer Staatsraison sehen k o n n t e ; es entsteht ein schiefes Bild, wenn man Droysens Tätigkeit für SchleswigHolstein isoliert. Verdun-Rede 31.

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Prinzipien, Rußland von dem des Despotismus, England von dem des Egoismus, Deutschland von dem des Rechts zu trennen. So bildet die schleswig-holsteinische Frage den Prüfstein, ob Preußen seinen deutschen Beruf ergreifen und den Weg zum „Staat" einschlagen will. Der Gegensatz „Staat" oder „Macht" bestimmt seine Beurteilung der preußischen Geschichte und der preußischen Politik: Seit dem Rücktritt Hertzbergs hatte die preußische Außenpolitik die Traditionen Friedrichs des Großen aufgegeben, hatte sich in die Koalitionspolitik der andern Großmächte eingelassen, eine ebenso eigensüchtige und gewaltsame Politik wie diese getrieben, und die Folge war die Niederlage von Jena gewesen1). — Den andern entscheidenden Einschnitt der preußischen Außenpolitik bedeutete für Droysen der zweite Pariser Friede, mit seinem Abschluß war Humboldt gegen Hardenberg unterlegen, hatte Preußen die deutschen Bahnen, die es nach dem Zusammenbruche eingeschlagen hatte, verlassen2) und war wieder in die „europäische" Richtung seiner Politik eingelenkt, in der es seitdem beharrte. Allein die Gründung des Zollvereins3) erweckte die Hoffnung, daß es von dieser Politik, die in einen erneuten Zusammenbruch führen mußte, wieder ablenken könnte. Derselbe Gegensatz, „Staat" oder „Macht", muß — seiner geschichtlichen Betrachtungsart entsprechend — auch die Beurteilung der preußischen Innenpolitik beherrschen. Hier ist es höchst wichtig, daß er als den Gegner der von ihm gewünschten Politik nicht nur den Absolutismus, sondern ebenso den Konstitutionalismus betrachtete4). Im Konstitutionalismus schlummerte die gleiche zentralisierende, die Freiheit der Persönlichkeit beschränkende Tendenz wie im Absolutismus, er ging mit der Bürokratie Hand in Hand. So gipfelte die innenpolitische Alternative der preußischen Politik für ihn in dem Gegensatze SteinHardenberg5). Stein ist der deutsche Staatsmann, der eine VerFreiheitskriege II, 678: „Wird Preußen nach solchen Erfahrungen ferner (len großen Mächten vertrauen ? war es nicht von ihnen im Unglück preisgegeben, im Glück übervorteilt worden? es mit ihnen gehalten zu haben, war das Unglück Preußens von 1787 bis zur Schlacht von Jena gewesen." Ebenso Politische Stellung Preußens 28. s ) Freiheitskriege II, 7 1 1 — 7 1 3 ; auch Politische Stellung Preußens 11. *) Politische Stellung Preußens 25; Bülau-Rezension 514 f. 4) Freiheitskriege II, 426. s ) Preußische Verfassung 218: „ D a s Verständniß der Gegenwart Preußens hängt, wie mir scheint, mit davon ab, daß man Beider (Hardenberg und Stein) Art und Thun scharf auseinander halte . . .", bei Harden-

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fassung aus dem ureigensten Geiste der deutschen Nation anstrebte, die etwas ganz Neues war, weder auf dem monarchischen Prinzip noch der Volkssouveränität beruhte 1 ). Hardenberg dagegen mit seinen zentralisierenden und bürokratisierenden Tendenzen „gehört seinem ganzen Wesen, seiner Bildung und seinen politischen Tendenzen nach ebenderselben Richtung an, aus der das konstitutionelle System, wie es Frankreich in einer Reihe von Exemplifikationen versucht hat, entsprungen ist" 2 ); wie in der Außenpolitik, so bedeutete auch in der Innenpolitik sein Regime den Abschluß Preußens gegen Deutschland, das Einlenken in die Bahnen der Macht. — A u s diesem Zusammenhang heraus ist auch die Heftigkeit zu erklären, mit der sich Droysen in den 40er Jahren in seinen Briefen immer wieder gegen die Bürokratisierung Preußens3) und gegen die „Anschwellung" Berlins 4 ) wendet. E s waren dies für ihn Zeichen, daß die Regierung noch immer bei der Politik beharrte, Preußen als Macht abzuschließen: „ E s ist das größte Unheil für Preußen und Deutschland, daß man nicht freien Sinn genug hat, über die Tendenz des Zentralisierens und Rationalisierens hinauszukommen, daß man die freie Bewegung der unteren und ferneren Kräfte nicht zulassen zu können meint, daß man sich berg: „diejenige Ansicht, deren Summa man als den Despotismus der Staatsidee bezeichnen darf . . . es ist eben diejenige Ansicht, die factisch durch Pombai, Struensee, Joseph II. geübt, im Verlauf der französischen Revolution zu einem staatsrechtlichen System ausgebildet, zum Ideal des Liberalismus geworden ist." Dieser Weg führt „entschieden nicht zu dem Punkt" hin, „von dem aus erst unsere rechte Zukunft, die Versöhnung unendlichen Jammers beginnt; dies Ziel erschaut, ihm mit unvergleichlicher Kühnheit sich zugewandt zu haben, das ist es, was Steins Namen unvergeßlich macht". . . „[aus den Gemeinden] so erkannte er richtig und mit ihnen allein sei die traurige Öde zwischen dem kleinen Einzelnen und dem großen Ganzen auszufüllen." Freiheitskriege II, 404 f.; dann Preußische Verfassung 218; siehe vorige Anmerkung. *) Preußische Verfassung 218; ebenso Freiheitskriege II, 406: „Bekennen wir es, Hardenberg neigte seiner ganzen Art nach zu jener rationellen und administrativen Auffassung des Staatslebens, wie sie sich gleichzeitig in und außer Deutschland in so vielen Versuchen darstellte . . ." Vgl. auch Preußische Verfassung 225 die Parallele Gervinus-Hardenberg; vgl. auch Brf. I, 287. *) Brf. I, 234 („Beamteten, die ja leider mit dem Staat identisch"), 289 („kreuzspinneartige System von Beamtenstaat"), 342 („bureaukratische Bevormundungsregierung"); Politische Fragmente 398, 418, BülauRezension 5 1 1 , Preußische Verfassung 219 f. 4 ) Politische Stellung Preußens 3 1 ; Brf. I, 249, 251, 332, 339.

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damit die notwendigen Übergangsformen zum übrigen Deutschland versetzt, daß man sich darauf kapriziert, die fadeste Lokalität Deutschlands zu einer Metropole des deutschen Geistes machen zu wollen" 1 ). Dieselben Grundsätze kehren auch in seiner Beurteilung des entscheidenden Ereignisses der preußischen Innenpolitik in dieser Periode, der Berufung der Vereinigten Stände im Jahre 1847, wieder. An dem Verhalten des Königs tadelte er, daß er nicht rückhaltloser seinen Untertanen vertraute, daß er nicht entschiedener den Weg zur Reform beschritten hätte2), aber er wandte sich auch gegen die, die dieses Ereignis nur danach bewerteten, ob damit ein Schritt auf dem Wege zum konstitutionellen System geschehen sei3). Von seinem Standpunkt aus — wir dürfen ihn wohl in seinem Sinne als den „deutschen" bezeichnen — schien ihm vor allem die Tatsache wichtig, daß Preußen überhaupt zu reformieren begann, aber mit dem Aufbau auf der Grundlage der Provinzialstände scheint ihm auch der richtige Ausgangspunkt für das preußische Verfassungswerk gewonnen zu sein4). Diesen „deutschen Standpunkt" vermißt er an all den liberalen Flugschriften, die sich mit diesem Ereignis beschäftigt hätten: keine habe auch nur den Versuch gemacht, „zu erörtern, was jenes preußische Ereignis dem deutschen Bunde bedeute, was es ihm, dem letzten und nur um so kostbareren Rest der politischen Einheit Deutschlands bedeutet hätte, wenn Preußen mit raschem Zuge die Hoffnungen des Liberalismus erfüllt, mit dem vollen Drittel deutscher Bevölkerung einen konstitutionellen Staat mit allen Konsequenzen des Systems gebildet hätte" 5 ). Die Konstitutionalisierung Preußens hätte — so können wir diesen >) Brf. I, 258. ') Preußische Verfassung 2 2 1 ; daselbst 222 f. auch eine interessante Polemik gegen Radowitz „Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche". — Brf. I, 354, auch eine vom Zweck der Publizistik freie Beurteilung der Vereinigten Stände. ' ) Preußische Verfassung 202. Derselbe Gedanke auch „Denkschrift": „Noch einmal, die gewiesenen Wege des Liberalismus werden hier verlassen, man muß es einsehen lernen, daß eine völlig neue Form staatlicher Anschauungen im Werden ist — schon seit 1808 ist." 4 ) Preußische Verfassung 209: „der Verlauf weniger Monate hat schon gelehrt, daß in jener Verfassung vom 3. Februar ein frischer Lebenskeim ist." ') Preußische Verfassung 230. Derselbe Gedanke auch „Denkschrift": „die seit lange wichtigste Begebenheit für Deutschland, die reichsständische Gründung für Preußen, hat auch nicht einen der vielen Publizisten, die sich über dieselbe geäußert, aufgefordert, deren Bedeutung für die Bundesverfassung Deutschlands ins Auge zu fassen . . . " (bricht hier ab).

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Gedanken vollenden — den endgültigen Ubergang Preußens zur „Macht" bedeutet1), Preußen hätte damit auf seinen deutschen Beruf verzichtet, aber zugleich auch seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten begraben. — Man hat den Scharfsinn Droysens bewundert, der — anders als die Liberalen, die von der Konstitutionalisierung Preußens einen wesentlichen Fortschritt für die deutsche Sache erhofften — erkannte, daß diese Konstitutionalisierung eine Verstärkung der preußischen Staatspersönlichkeit bedeute, daß damit eine Kluft zwischen Preußen und Deutschland aufgerissen werden würde, und der somit keine Konstitutionalisierung, sondern ein Aufgehen Preußens forderte; aber man darf auch die Voraussetzungen nicht vergessen, auf denen diese Anschauung Droysens beruht: Preußen in seiner damaligen Form war für ihn ein künstliches Gebilde, wenn es sich selbständig zu halten versuchte, als „Macht", war es nicht lebensfähig, aber es war der Staat des deutschen Prinzips; ihm mußte es gehorchen, wenn es sich nicht selbst aufgeben wollte. Hier zeigt sich aber auch wieder die Unterordnung des Politischen unter das Ethische: denn in die ethische Welt ragt allein der deutsche Gedanke hinein, und so konnte die Lebensfähigkeit Preußens nur in seinem deutschen Berufe beruhen. III. In dieser Anschauung des geschichtlichen Lebens sind gefährliche Folgen im Keime verborgen: wie die Politik, durch die Preußen emporgetragen war, sittlich gerechtfertigt, dagegen aber die Politik, durch die es in die Niederlage von Jena gestürzt war, sittlich verurteilt wurde, so kann diese Anschauung zu einer ethischen Rechtfertigung jedes Sieges, zu einer ethischen Aburteilung jedes Unterlegenen führen. Aber auf diesem Glauben, daß in der Welt des geschichtlichen Lebens sich auch die ethischen Kräfte durchsetzen, ruht das gesamte historisch-politische Denken Droysens. Es ist aber auch die Voraussetzung, auf der die „politische Historie" überhaupt beruht: allein bei solcher Identifizierung von Wertwelt und historischer Kausalität ist es möglich, einen in gleicher Weise für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gültigen Maßstab zu besitzen. Droysen ist der erste unter den deutschen Historikern, dem die Durchdringung des geschichtlichen Stoffes mit den Maßstäben seines politischen Denkens wirklich gelungen Meinecke, Weltbürgertum, 365, schreibt: „ S t a a t zu werden fiel für Preußen nach Droysens Auffassung mit der Aufgabe zusammen, deutsch zu werden, — aber gerade um ganz deutsch zu werden, durfte Preußen nach seiner Meinung nicht g a n z Staat werden!" In Droysens Sinn müßte die Formulierung lauten: durfte Preußen nicht M a c h t werden."

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ist. Denn für Dahlmann, der die Reihe der politischen Historiker Deutschlands eröffnet, sind die geschichtlichen Ereignisse noch nicht viel mehr als Beispiele und Illustrierung seiner politischen Lehrsätze 1 ). — Den politischen Historikern ist immer wieder der Vorwurf der Tendenz-Historie gemacht worden, und so wurde er auch gegen Droysen alsbald nach Erscheinen der „Vorlesungen über die Freiheitskriege" erhoben2): was aber zur Rechtfertigung der politischen Historiker schon oft gesagt worden ist3), gilt auch für dieses Werk: seine Bedeutung liegt nicht allein in den historischen Erkenntnissen, die es vermittelt, es war eine Waffe des politischen Kampfes, eine siegbringende Waffe, die den deutschen Nationalstaat mitgeschaffen hat. Aber es wäre auch nicht richtig, wie es mit solchem Urteil leicht geschieht, den historischen Erkenntniswert des Werkes als sekundär zu betrachten. Ganz abgesehen davon, daß in der Aufdeckung des Zusammenhanges von Bürokratie, Konstitutionalismus und Zentralisierung, daß in der Bewertung Hardenbergs bahnbrechende historische Leistungen vorliegen, „die Grundzüge, die leitenden Gedanken desselben stehen noch heute vollkommen aufrecht" 4 ). Droysen würde die Art der historischen Betrachtung, die er in diesem Buche übt, stets als die einzig berechtigte angesehen haben. Es rückt in die Reihe der Versuche, den Wert der geschichtlichen Erkenntnis für das Leben zu fundieren, auf Grund der geschichtlichen Erkenntnis eine Kultursynthese zu schaffen — gewiß ein zeitbedingter und *) Ebenso M. Lenz: „In Wahrheit hat aber auch Dahlmann die Historie nur als Beispielsammlung für die Begründung der Forderungen seiner Partei und ihrer Programme verwandt" in seinem Aufsatz: Die Bedeutung der deutschen Geschichtsschreibung seit den Befreiungskriegen für die nationale Erziehung in Kleine Historische Schriften, Bd. II, München und Berlin, 1920, 282. Damit soll natürlich keineswegs die Bedeutung Dahlmanns für eine historische Grundlegung der Politik herabgemindert werden. 2 ) Brf. I, 353: „Den Tadel der .Tendenzgeschichte' kann ich doch kaum akzeptieren . . . ." *) Z. B. E. Mareks in seinem Aufsatz über Dahlmann von dessen Revolutionsgeschichten: „Sie machen und bedeuten selber Geschichte" (Männer und Zeiten, Leipzig, 1911, Bd. I, 251). *) So Dunckers Urteil über die „Freiheitskriege" in seinem Aufsatz über Droysen in Abhandlungen aus der Neueren Geschichte, Leipzig, 1887, 370. Meinecke schreibt in seinem Aufsatz über Droysen in der Historischen Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 267, über die Freiheitskriege: „Die Einzelheiten des bedeutenden Werkes sind durch die emsige Forschung von acht Jahrzehnten selbstverständlich weit überholt worden. Aber es leistete im Gesamtplane und in Auswahl wie Ausdehnung des Stoffes etwas, was seither von der großen Geschichtsschreibung, soweit ich sehe, nie wieder geleistet worden i s t . . . "

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von der Zeit überwundener Versuch — , aber doch ein erstes Bemühen um dieselben Probleme, um die das geschichtsphilosophische Denken noch immer ringt. Ranke erscheint uns heute als der Historiker, dessen Werke den auf die reine Erkenntnis gerichteten historischen Forschungsdrang am klarsten und schönsten zeigen. Droysen fühlte sich in einem bewußten Gegensatz zu Ranke stehend, immer wieder kommt er in den 40er Jahren darauf zu sprechen und betont die Berechtigung seiner Anschauungsweise gegenüber der Rankes 1 ). E r hat damit selbst den Maßstab angegeben, an dem der historische Erkenntniswert seiner Versuche gemessen werden muß 2 ). In ihren Gedanken über die Aufgaben einer historisch-politischen Zeitschrift glaubten wir zum ersten Male einen Gegensatz zwischen Ranke und Droysen wahrnehmen zu können3). In einer Polemik über die Bedeutung der Quellenkritik trat er in den 30er Jahren offen zutage 4 ); jetzt, in den 40er Jahren, ist es doch vor allem Ranke, gegen den sich Droysen mit seiner Unterscheidung von „ S t a a t " und „Macht" wendet, den er auf seinem ureigensten Gebiete, in seiner Lehre von den Großen Mächten, angreift. ') Vgl. z. B. Brf. I, 333, das harte Urteil über „die tüpflige Miniaturmalerei jenes mit Recht hochberühmten Meisters", oder 364 die Ablehnung von Rankes Neun Bücher Preußischer Geschichte. 2 ) Als im folgenden der Versuch gemacht wurde, die Gegensätzlichkeit der Geschichtsanschauung Rankes und Droysens an einigen Hauptpunkten aufzuzeigen, war eine solche Gegenüberstellung erst einmal — von O. Diether in seinem Aufsatz: Ranke und Droysen, Preußische Jahrbücher, Bd. 142, 1910, 1—20 — versucht worden; in der seit Veröffentlichung des Droysenschen Briefwechsels erschienenen Literatur ist dieses Verhältnis in den verschiedensten Richtungen beleuchtet worden; vgl. Meineckes Droysen-Aufsatz in Historische Zeitschrift, Bd. 141, 1929, 283 f., dann auch H. Herzfelds Rezension des Droysen-Briefwechsels in Deutsche Literaturzeitung, 1930, 412 f., und L. Dehio in Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 42, 1929, 165. Vor allem hat aber G. Küntzel in seiner Einleitung zu Rankes Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, Akademie-Ausgabe, München, 1930, Kap. 4, S. XCIII—CLII. Rankes und Droysens verschiedene Auffassung vom Werden des preußischen Staates und die diese Differenz bedingende verschiedene Geschichtsanschauung beider eingehend untersucht. Immerhin mögen die hier folgenden Bemerkungen, in denen die Anschauungen der beiden Historiker in ihrer Frühzeit einander gegenübergestellt werden, stehen bleiben — als Hinweise für eine das Verhältnis Droysens zu Ranke in seiner Gesamtheit behandelnde Untersuchung, wie sie von Meinecke in seinem Aufsatz a. a. O. 283 gefoidert worden ist. s ) Vgl. diese Arbeit Kap. I, S. 10 f. 4 ) Vgl. diese Arbeit Kap. II, S. 39 f.

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Bei einer Gegenüberstellung von Droysens „Vorlesungen über die Freiheitskriege" und Rankes berühmtem Aufsatz über „Die großen Mächte" in der „Historisch-politischen Zeitschrift" 1 ) treten die Abweichungen scharf hervor: das europäische Gleichgewicht — für Droysen eine künstliche, aus dem Geist des Absolutismus entstandene Bildung, die es zu überwinden gilt — war für Ranke die natürliche und dauernde Form der ungeschriebenen europäischen Staatenverfassung2). Für Droysen beruhte die europäische Geschichte auf der Entwicklung einer bestimmten Nation, während für Ranke die Geschichte der neuen Zeit ein Konzert der verschiedenen europäischen Nationen bedeutete, in dem zwar bald die eine, bald die andere führte, deren wahren Inhalt aber doch erst der Zusammenklang aller ausmachte3). Das Zeitalter der französischen Revolution erschien Droysen als der Beginn einer neuen Zeit, während für Ranke in dieser Epoche zwar eine Verjüngung des Bisherigen vorgegangen war4), ihr Ergebnis nach der großen Erschütterung aber doch die „Wiederherstellung"6) der bisherigen Ordnung war. Beide erkannten, daß in dieser Periode eine Wandlung in den Beziehungen von Nation und Staat vor sich gegangen, daß Nation und Staat eine engere Verbindung eingegangen seien6). Aber gerade die dabei doch verschiedene Ansicht von dem natürlichen Verhältnis von Nation und Staat 7 ) läßt in die Eigenart der beiden hineinschauen: Der Nationalgeist bestimmt den Geist der Staatsverfassung, aus dem ureigenen Geiste der Nation muß die Staatsform erwachsen — darin herrschte zwischen ihnen Übereinstimmung; aber für Droysen muß sich Nation und Staat decken, während für Ranke auf dem Boden einer Nation verschiedene staatliche Bildungen, verschiedene Staaten erwachsen können8). Wenn der Begriff der Nation ein irrationales, der des Staats dagegen ein rationales Moment in sich trägt, so kommt in dieser Verschiedenheit schön zum Ausdruck, wie in Rankes Geschichtsanschauung ») Abgedruckt Ranke Sämtliche Werke, Bd. 24, 1 ff. s ) S. W. Bd. 24, 11: „Dahin bildete sich der Begriff des europäischen Gleichgewichtes aus . . . " *) S. W. Bd. 24, 11, unten. ') S. W. Bd. 24, 37 f.: „ E s müßte eine herrliche Arbeit sein . . ." ') Überschrift des letzten Abschnittes der „Großen Mächte". *) S. W. Bd. 24, 37: „Wenn es das Ereigniß der letzten hundert Jahre . . . " ; auch 39. 7 ) Über Rankes Begriff der Nation vgl. Meinecke, Weltbürgertum, Kap. 12 Ranke und Bismarck. *) S. W. Bd. 24, 39: „was wäre aus unseren Staaten geworden . . ."

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das Irrationale das Rationale überwiegt, während Droysen an die Rationalisierbarkeit selbst des Irrationalen glaubte — wie ihm ja das Prinzip eines Nationalstaates benennbar, aussprechbar erschien. Leicht erkennbar sind die verschiedenen philosophischen und religiösen Grundlagen dieses Gegensatzes; aber auch diese sind nur die Folge ursprünglich verschiedener Temperamente, gegensätzlicher Individualitäten. Vita activa und vita contemplativa treten sich hier gegenüber: eine Persönlichkeit, die erst im Wirken sich vollenden zu können glaubt, und die deshalb in die Gemeinschaft, in der sie wirkte, auch ihre gesamte Persönlichkeit, ihr geistiges Leben, ihr nationales Fühlen, ihr ethisches Wollen hineinlegte, und eine Persönlichkeit, die für das Reich des Erkennens, nicht des Handelns sich bestimmt fühlte, und die also wohl in ihrer Individualität von den verschiedenen Kräften der Gemeinschaft sich berührt und getragen fühlte, die sie aber doch nicht abwägen und ordnen mußte. In diesem ursprünglichen Gegensatze wurzelt die Verschiedenheit ihrer Geschichtsbetrachtung: bei Rankes persönlicher Zurückgezogenheit konnte ihm die Beziehung zu den ethischen Mächten Sache des persönlichen Lebens bleiben, mußte sich nicht in den Gegensätzen der Gemeinschaft erkennen lassen; es konnte j ede Epoche gleich nahe für sich zu Gott stehen, und er konnte unbefangen in den Kräften des geschichtlichen Lebens Gutes und Böses zusammengekoppelt und nebeneinanderstehend schauen: Droysen, für den das persönliche Wollen nicht vom W irken in der Gemeinschaft zu trennen war, mußte die Gemeinschaft ethisieren, mußte die Epochen der Geschichte benennen und „werten". Und bis ins einzelne dringt dieser Gegensatz hinein. Auch wenn beide dasselbe zu sagen scheinen1), ist er noch spürbar: für beide öffnet die Geschichte das Tor zum Verständnis der Gegenwart 2 ), aber wenn Ranke darunter das gesamte Sein in seiner scheinbaren Unbegreiflichkeit versteht, so zeigt sie für Droysen die zukunftsträchtigen Kräfte, auf denen die künftige Entwicklung beruht. Beide wenden auf die Geschichte das Bild des Stromes3) an, aber wenn Ranke darunter den W echsel der Wellen im ewig gleichen Bette, das Ewige im Dauernd-Wandelnden sieht, meint Droysen damit die Kräfte der Wogen, die den Strom dem ') Im folgenden führe ich Analogien an, auf die schon Diether in seinem Aufsatze hingewiesen hat. Aber wenn er glaubt, daß wirklich eine innere. Übereinstimmung vorhanden ist, möchte ich gerade den Gegensatz betonen, der trotz solcher scheinbarer Gleichheiten vorherrscht. l ) Ranke in der Einleitung der Historisch-Politischen Zeitschrift, S. W. Bd. 49/50, 7; vgl. Diether a. a. O. 10. ') Ranke, S. W , Bd. 53/54, 169; vgl. Diether a. a. O. 7.

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Ziele zutragen. Beiden erscheinen die Staaten als Träger v o n Prinzipien 1 ), aber diese Prinzipien sind für Ranke etwas Rätselhaftes, Unbenennbares, die das innerste Leben der Staaten tragen, für Droysen sind es benennbare und erkennbare Begriffe, die den Staaten eine bestimmte Wertstufe in dem großen Reiche der Vernunft zuweisen. Vor dem geheimnisvollen Rätsel der Weltgeschichte schrickt der eine ehrfurchtsvoll zurück, während der andere glaubt, den Schleier von dem Geheimnis heben z u können und das Bild der Wahrheit zu schauen. Kehren wir aber zu dem Ausgangspunkt dieser Gegenüberstellung zurück: hat Ranke recht, wenn er sagt, daß der Historiker nicht Politiker sein könnte 2 ) ? H a t Droysen unrecht, wenn er glaubte, mit der geschichtlichen Erkenntnis der Gegenwart dienen zu können ? Muß jede geschichtliche Erkenntnis Selbstzweck sein und bleiben? So gestellt, greift diese Frage über den Gegensatz von R a n k e und Droysen weit hinaus. Denn auch R a n k e glaubte mit der Wahrheit, die er ermittelte, dem Verständnis der Gegenwart zu dienen, und für uns sind jetzt auch in den Werken R a n k e s seine eigenen Wertungen sichtbar. Und so besteht trotz aller Gegensätze für den rückschauenden Betrachter zwischen R a n k e und Droysen eine große innere Einheit: sie waren vereint in der Überzeugung ihrer Zeit von der Identität von Denken und Leben, in dem Wissen von dem Gott, der sich in der Geschichte offenbarte, in dem Glauben, daß das Erkennen des Einzelnen in den objektiven Zusammenhang der Geschichte hineinreiche. Auf dem Hintergrunde dieser Einheit bleibt aber von dem Gegensatze Rankes und Droysens jene Antinomie lebendig, daß nur der Leidenschaftslose die reine Gestalt des geschichtlichen Lebens schauen, daß nur der Handelnde die K r ä f t e des geschichtlichen Werdens verstehen kann. U n d wenn R a n k e mit seiner Forderung recht hat, daß der Historiker „sein Selbst auslöschen" müßte, so hat auch Droysen recht, wenn er schreibt: „Man muß zur Geschichte ein Herz haben, und, wie Heraklit schon v o n seiner Wissenschaft gesagt, auch die Geschichte schreite daher und schaue .trunkenen Sinnes, unlachenden Mundes, eine Sybille'; und gar schön ist der Beisatz dia xov Üeov"z). Hanke, S . W . , Bd. 24, 39; vor allem aber „Politisches Gespräch", Historisch-Politische Zeitschrift II, 787: „als ursprünglich setzest Du das eigentümlich geistige Dasein des individuellen Staates, sein Prinzip." 2) „Der Historiker kann niemals zugleich praktischer Politiker sein." Bismarck-Jahrbuch, herausgegeben von Horst Kohl, Berlin 1895, Bd. II, 256. s ) Brf. I, 364.

IV. KAPITEL.

DER ZUSAMMENBRUCH DES SYSTEMS IN DER DEUTSCHEN REVOLUTION BERLIN UND FRANKFURT 1848/49.

Die Gegenwart ist sich der Bedeutung der Revolution von 1848 sehr viel stärker bewußt, als es die zwischen 1871 und 1914 Lebenden waren. Von dem sicheren Boden des Bismarckschen Reiches aus erschien die 48er Bewegung nur als ein erster, mit unzureichenden Kräften unternommener Anlauf zu einem Ziel, das mit der Reichsgründung von 1871 erreicht war. Erst der Zusammenbruch von 1918 offenbarte, daß auch das Bismarcksche Reich keine endgültige Lösung der Probleme des innerdeutschen Staatsaufbaues bedeutete, und wenn die Weimarer Verfassung von 1919 wieder an das Verfassungswerk der Frankfurter Nationalversammlung anknüpfte, so liegt dem die Erfahrung zugrunde, daß es der verhängnisvollste Fehler des Kidserreichs gewesen ist, daß es die demokratischen Kräfte der Masse, die durch die Verfassung der Paulskirche zum entscheidenden Träger der Reichspolitik geworden wären, in sich einzubauen unterließ. Andererseits bedeutet die Revolution von 1848 aber auch eine notwendige, nicht fortzudenkende Entwicklungsstufe auf dem Wege zur Bismarckschen Reichsgründung. Der Gedanke des kleindeutschen Staates unter einem Hohenzollernschen Erbkaiser, also der realpolitische Gedanke zur Verwirklichung des deutschen Nationalstaates, hat sich in der Paulskirche als die einzig mögliche Lösung des deutschen Einheitsproblems herauskristallisiert. Er wurde seitdem zu dem entscheidenden Programmpunkt einer großen politischen Partei und begann die deutsche Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Wie aber vor allem in der richtigen Erkenntnis des preußisch-deutschen Problems die Bedeutung der Paulskirche liegt, so ist mit ihm auch ihr Scheitern aufs engste verknüpft: mit der Verkennung der wahren Machtverhältnisse, die zwischen Berlin und Frankfurt bestanden, mit der falschen Einschätzung der Persönlichkeit, die damals den preußischen Thron innehatte. — Die Schranken, die die bürgerlichen Schichten Deutschlands bis dahin von der politischen Macht getrennt hatten, waren in den revolutionären Bewegungen des Februar und März mit einem

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Schlage zusammengebrochen. ) Die Verwirklichung der politischen Ziele der Liberalen, die ihnen bisher als Ergebnis einer langsamen und allmählichen Entwicklung vorgeschwebt hatte, schien in greifbare Nähe gerückt, war ihren eigenen Händen anvertraut. Das Jahr 1848 war das Jahr der Prüfung der politischen Fähigkeiten einer bisher vom politischen Handeln ausgeschlossenen Schicht, es war zugleich aber auch das Jahr der Erprobung einer politischen Gedankenwelt an der Wirklichkeit. Und was für die Generation im allgemeinen gilt, gilt für Droysen auch noch in besonderem Sinne: die Lösung des preußisch-deutschen Problems, die Schicksalsfrage der Paulskirche, war ja der Gedanke, der im Mittelpunkte seines politischen „Systems" stand, war — so können wir wohl sagen — das entscheidende Problem seines Denkens; es hat eine tiefe innere Berechtigung, wenn Heinrich Laube in seiner Charakteristik der Tätigkeit Droysens in der Paulskirche schreibt, daß ihm das Gelingen des Werkes das Gelingen seines Lebens war2). I.

„Österreich ist dem deutschen Vaterlande wiedergegeben wie ein verlorner Sohn. Aber bei dem Namen Preußen ist es, als ob das Blut uns heftiger wallend zum Herzen drängte. Ist es denn möglich, daß es uns entstehe? ist es denn möglich, daß es ohne Deutschland lebe und Deutschland ohne Preußen? Mit lautem Zuruf fordern die Ostpreußen ihren blutigen Ehrenplatz in dem nahenden Kampf Deutschlands gegen Rußland, fordern, was ihnen 1817 die Diplomatie vorenthalten, in den Deutschen Bund aufgenommen zu werden. Und was knüpft das Rheinland an den preußischen Namen, wenn nicht, daß sie Deutsche sind mit vollstem Herzen? Und Friedrich Wilhelm IV., wie wenige Fürsten hochbegabt, hellen Sinnes, weiten Blickes, hat er nicht immer den deutschen Namen vor allem hochgestellt . . . " 1 ) Genaue Darstellung dieser Ereignisse bei Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revo ution, Berlin, 1930, von der bisher der erste, bis in den April 1 8 4 8 hineinführende Band erschienen ist; er enthält auch eine vollständige Bibliographie der Revolutionsgeschichte. l ) Heinrich Laube, Das erste deutsche Parlament, Leipzig, 1849, II, 35. — Neben W . Fenske, Johann Gustav Droysen und das deutsche Nationalstaatsproblem, Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Erlangen, 1930, auf dessen Schrift ich im einzelnen eingehen werde, gibt der Aufsatz H. Ulmanns, Johann Gustav Droysen als Abgeordneter zur Paulskirche im Jahre 1848 in Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 42, 1929, 2 6 3 — 2 7 3 , einen kurzen Überblick Ober Droysens Tätigkeit im Revolutionsjahr.

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So schreibt Droysen am 20. März 1848 1 ), als die ersten Nachrichten über die Revolutionsbewegung in den deutschen Hauptstädten zu ihm gelangt waren. Daß auch die deutschen Staaten Österreichs dem künftigen Deutschen Reiche angehören werden, scheint ihm das erste Ergebnis der Revolutionsbewegung zu sein: ob er damals geglaubt hat, daß Österreich völlig zusammengebrochen wäre, oder ob er der Ansicht war, daß es sich in eine Personalunion seiner bisherigen Staaten auflösen würde und sich somit ein Eintritt seiner deutschen Staaten in den deutschen Bundesstaat ohne Schwierigkeiten vollziehen ließe, das läßt sich aus diesen Worten nicht entnehmen2). Aber soviel wird klar: an seinen Ansichten über die Zukunft Deutschlands hat sich damit nichts geändert: das Aufgehen Preußens im künftigen Deutschen Reich und die Übertragung der Herrschaft an die Hohenzollem steht deutlich als Ziel hinter seinen Worten. — Diese Gedanken haben für uns aber einen neuen Klang dadurch erhalten, daß es die gleichen Pläne sind, über die die süddeutschen Staaten damals amtlich mit der preußischen Regierung verhandelten: in denselben Tagen entwickelte Max von Gagern als Führer einer Gesandtschaft süddeutscher Regierungen dem preußischen Außenminister Heinrich von Arnim seinen Plan über das Aufgehen Preußens in Deutschland gegen Übertragung der deutschen Kaiserwürde an den preußischen König3), bezeichnete er Friedrich Wilhelm IV. gegenüber als das letzte Mittel, um eine völlige Anarchie zu vermeiden, den Krieg gegen Rußland4). Als allerdings die Regierungen der deutschen Mittelstaaten erkannten, daß sie an Preußen keinen Schutz gegen die Revolution finden würden, sondern daß auch Preußen in den revolutionären Strudel hineingezogen war, fanden diese Verhandlungen ein schnelles Ende. Ganz analog dazu ändern sich unter dem Eindruck der preußischen Revolution auch Droysens Gedanken: während aus den am 20. März niedergeschriebenen Worten doch die Ansicht durchzuklingen scheint, daß die Entscheidung über die künftige deutsche Entwicklung in den Händen 1

) Unvollendete Aufzeichnung. Im Nachlaß. ) Über die Ansichten Droysens über die Zukunft Österreichs vgl. diese Arbeit, Exkurs, S. 140. Im übrigen gibt W . Schüßler, Die nationale Politik der österreichischen Abgeordneten im Frankfurter Parlament, Berlin und Leipzig, 1 9 1 3 , 4 f., eine kurze Skizze der in Deutschland herrschenden Ansichten über die Zukunft Österreichs. 3 ) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 7. Auflage, München und Berlin, 1928, 358. 4 ) L. v. Pastor, Leben des Freiherrn Max von Gagern, Kempten und München, 1 9 1 2 , 234. 2

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der preußischen Regierang liegt, h a t sich, als er den preußischen Umsturz in seiner ganzen Größe und Bedeutung erkannte, als er am 2. April in Frankfurt eintrifft, u m als Vertrauensmann der schleswig-holsteinischen Regierung über den Entwurf der künftigen deutschen Verfassung zu beraten, sein Urteil über die Möglichkeit, zur deutschen Einheit zu gelangen, gewandelt. Dies läßt sich aus der Aktion entnehmen, die er im April 1848 in Frankfurt zur Begründung einer provisorischen Exekutivgewalt einleitete, und die er in den „Beiträgen zur neuesten deutschen Geschichte" ausführlich dargestellt hat 1 ). E r redigierte am 1 1 . April 2 ) einen Antrag an den I7er-Ausschuß, dieser möchte darauf hinwirken, daß der Bundestag für eine einheitliche Leitung des deutschen Heerwesens und der deutschen Außenpolitik und für die Schaffung einer deutschen Flotte Sorge trage 3 ). Droysen war zu diesem Antrage wohl vor allem auch durch die Lage SchleswigHolsteins veranlaßt worden 4 ), aber der Gedanke, daß es gegenüber den im Innern und von Außen drohenden Gefahren notwendig >) In einem besonderen Exkurs weise ich nach, daß die „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte" nur eine spätere Bearbeitung der von Droysen im April 48 verfaßten Anträge und Denkschriften wiedergeben; ich stütze mich also in der folgenden Darstellung der April-Aktion nicht auf die „Beiträge", sondern auf das ihnen zugrunde liegende, unzweifelhaft aus dem April stammende Material, soweit es uns durch andere Veröffentlichungen bekannt geworden ist (vgl. darober Exkurs S. 147). Wenn in den Äußerungen Droysens über diese Aktion gewissermaßen der Standpunkt des 17 er-Ausschusses zum Ausdruck kommt, so gibt K. Wild, Karl Theodor Welcker, Heidelberg, 1913, 242 ff., eine Darstellung vom Standpunkt des Bundestags, während K. Biedermann, Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte, Breslau, 1886, I, 342 f., den Anschauungen des 5oer-Ausschusses Ausdruck verleiht; im allgemeinen vgl. auch Veit Valentin a. a. O., Bd. I, 522. — Im übrigen gehe ich auf diese Aktion nur so weit ein, als es notwendig ist, um die Entwicklung der Anschauungen Droysens in der preußisch-deutschen Frage zu klären. Die eingehende Darstellung, die Fenske a. a. O. 72—93 der April-Aktion widmet, ist dadurch, daß er sich vor allem auf die „Beiträge" stützt, ungenau. *) Siehe R. Hübner, Aktenstücke und Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlaß von J. G. Droysen, Berlin und Leipzig, 1924, 795. *) Den Wortlaut siehe Bundestagsprotokolle 1848, 425—428. Wieder abgedruckt bei Roth und Merck, Quellensammlung zum Deutschen öffentlichen Recht seit 1848, Erlangen, 1850, Bd. I, 300 ff. *) Diese Rücksicht hebt er in seinem Brief an die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins vom 14. April besonders hervor, siehe Hübner a. a. O. 30; vgl. dazu auch A. Meetz, Johann Gustav Droysens politische Tätigkeit in der Schleswig-Holsteinischen Frage, Erlangen, 1930, 61 f. Beiheft d. H. Z. so.

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sei, eine provisorische Exekutivgewalt zu schaffen, lag überhaupt nahe1). Droysen verband aber mit diesem Antrage noch die besondere Absicht, durch die Ernennung eines Oberfeldherrn und eines Außenministers das künftige Reichsregiment zu antizipieren2), Preußen von vornherein die Möglichkeit, weiterhin „europäische" Politik im Gegensatz zu „deutscher" zu treiben, abzuschneiden3) und somit Deutschland als Einheit zu realisieren. Die Wandlung seiner Anschauung besteht darin, daß er glaubte, die Entscheidung sei den Regierungen, vor allem der Berliner Regierung, aus der Hand genommen, und es sei möglich, auf Grund der Autorität der 17 Vertrauensmänner und des 5oer-Ausschusses, legalisiert durch die Wahl durch den Bundestag, eine Reichsregierung einzurichten, die über den Einzelregierungen stände, und der sich die Einzelregierungen beugen müßten. Allerdings war Droysen sich durchaus darüber klar, daß es sich um eine einmalige Gelegenheit handele, über die alten Gegensätze von „europäischer" und „deutscher" Politik hinwegzukommen, daß die alten Machtgewohnheiten sehr bald wiederkommen würden4). Trotzdem überschätzte er wohl auch damals die Kraft der revolutionären Bewegung, unterschätzte die innere Kohärenz der deutschen Einzelstaaten — ein Irrtum, dem er wie die übrigen Liberalen immer wieder verfallen ist —, aber dieser April 1848, in dem die alten Gewalten noch völlig darniederlagen, war vielleicht doch die einzige Gelegenheit, um von ihnen die notwendigen Konzessionen zur Errichtung eines einheitlichen Deutschen Reiches zu erlangen5). Damit aber, daß Droysen unter dem Eindruck der revolutionären Bewegung dazu überging, für die künftige deutsche Entwicklung weniger von der Leitung der preußischen Politik als von der Einheitsbewegung, der auch die preußische Regierung nachfolgen müßte, zu erhoffen, hat sich an dem Inhalt seines politischen Programms nicht das geringste geändert. Im Gegenteil, er glaubte l

) Siehe Wild a. a. O. 242. , ) Siehe den Bericht an die provisorische Regierung vom 16. April, Hübner a. a. O. 32 f. 3 ) Vgl. darüber den Satz in seinem Antrage an die 17: Das preußische Kabinett, „das sich seinem Länderbestande nach immer noch als eine nicht bloß deutsche, sondern auch europäische Macht anzusehen scheint." *) Hübner a. a. O. 796: „Wir haben vielleicht nur noch vier Wochen Zeit, auf ihre Ohnmacht zu rechnen und ein gedeihliches Neues aufzurichten." s ) Erich Mareks, der in seinem Aufsatz: Die Europäischen Mächte und die 48 er Revolution in Historische Zeitschrift, Bd. 142, 1930, 73—87 einen Überblick über die außenpolitischen Möglichkeiten der deutschen Einigung gibt, hebt auch die März-April-Situation besonders hervor. l

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jetzt den Augenblick gekommen, sein politisches „System" in die Wirklichkeit umzusetzen. Mit seinem Antrage über die Errichtung einer provisorischen Exekutivgewalt verbindet er Vorschläge über die inhaltliche Richtung, die die Zentralgewalt in der Außenpolitik und im Heerwesen einschlagen sollte. Die deutsche Politik habe die Aufgabe, mit den umhegenden kleineren Staaten enge Beziehungen anzuknüpfen, mit Holland, Schweden, Belgien, vor allem aber mit Nordamerika: „Deutschland und Amerika sind für Krieg und Frieden die natürlich Verbündeten" 1 ). Und im Heerwesen gelte es, die Volksbewaffnung durchzuführen: „Nur die bisherige Machtpolitik hat das Bedürfnis ungeheurer stehender Heere notwendig gemacht. Ist man namentlich in Deutschland zu der Überzeugung gelangt, daß man nicht mehr erobern, noch unterworfene Völker behaupten, daß man nur sich und das Vaterland verteidigen will, so ist man — aber auch nur so ist man in den Stand gesetzt, mit Wahrhaftigkeit sich mit einer Volksbewaffnung genügen zu lassen" 2 ). Ebenso beharrt er aber auch bei seinen Ideen über den inneren Aufbau des künftigen Reiches: den preußischen Kriegsminister bittet er in einem Briefe, Preußen möge bei der Schaffimg einer deutschen Schiffsmarine voranschreiten, um „die sehr getrübte Popularität des Hohenzollemhauses" zu erneuen, um ihm „einen Anspruch mehr auf diejenige Stellung im künftigen Deutschland zu schaffen, die ohne größten Schaden an kein anderes Land kommen darf" 3 ). Und so war er auch bei der Ausarbeitung der Verfassung im I7er-Ausschuß einer der energischsten Vorkämpfer eines starken Erbkaisertums 4 ) und hat dort seine Anschauungen über die Bedeutung des preußischen Staates für Deutschland vertreten 8 ). Wenn es Droysen in diesem April 1848 zeitweise möglich erschienen war, in einem Anlauf die deutsche Einheit zu verwirklichen, so mußte ihn das Schicksal seines eigenen Antrags belehren, daß nur die wenigsten gleich stark die Forderung einer einheitlichen Reichsregierung allem übrigen voranstellten: im Bundestag fand der Antrag nicht nur den Widerstand der Vertreter Österreichs und Preußens, gerade Welcker, der Vertreter der !) Bundestagsprotokolle vom 18. April 1848, 427. *) Bundestagsprotokolle vom 18. April 1848, 429 aus einem besonderen Promemoria Droysens über die Volksbewaffnung. — Was Fenske, der offenbar dies Promemoria Droysens nicht kennt, a. a. O. 78 über Droysens Stellung zur Volksbewaffnung schreibt, ist falsch. 3) Brf. 1,407—409: Brief an Generalleutnant v. Reyher vom 18. April 1848! •) Hübner a. a. O. 53, 55, 58, 87 f. •) Hübner a. a. O. 63. Vgl. dazu auch Meinecke, Weltbürgertum 368.

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liberalen badischen Regierung, stumpfte ihn in der Weise ab, daß diese Reichsregierung aus drei Männern bestehen sollte, von denen Österreich, Preußen und die übrigen deutschen Staaten je einen ernennen sollten, so daß diese Reichsregierung weniger den Einzelregierungen übergeordnet als von ihnen abhängig geworden wäre 1 ), und als der so umgestaltete Antrag die Billigung des Bundestags gefunden hatte, stieß er auf den heftigsten Widerspruch im 5oer-Ausschuß, der von diesem Reichsregiment eine Bedrohung der neu errungenen Freiheiten befürchtete2). Partikularismus und Demokratie wirkten so zusammen, die Gründung einer Zentralexekutivgewalt vor Zusammentritt der Nationalversammlung unmöglich zu machen. — Diese Erfahrungen klingen in dem nach, was Droysen in einer Denkschrift, die er am 29. April verfaßte3), um sich über die „wesentlichen Zusammenhänge" klar zu werden, und von der er während eines kurzen Aufenthaltes in Berlin auch Heinrich von Arnim und dem Grafen Bülow, den leitenden Männern der preußischen Außenpolitik, Kenntnis gab, als das entscheidende Ergebnis des April-Monats darstellte: es wäre den Regierungen, „indem sie sich überall im populärsten Sinne erneuten und zufrieden, die Kontinuität der Dynastie zu retten, völlig neue Systeme und Personen an das Ruder brachten", gelungen, „inmitten des Rufes nach deutscher Einheit die Vielheit der Staaten, die Möglichkeit, sie aus sich und nicht aus diesem Gedanken der Einheit zu erneuen, ihre maßgebende Bedeutung für die künftige deutsche Verfassung zu retten". So sei jetzt die Situation verworren, gewitterschwer, man warte auf ein entscheidendes Ereignis4), und die einzige Garantie, daß die Einheitsbewegung fortschreite und nicht alles zum Alten zurückkehre, liege in der Tatsache des baldigen Zusammentritts der deutschen Nationalversammlung. — Es ließe sich nun vorstellen, daß Droysen dadurch, daß die Lebensfähigkeit des preußischen Staates auch diesem revolutionären Ansturm standgehalten hatte, zu einer anderen Anschauung über Preußen und das preußischdeutsche Verhältnis gekommen wäre. Schon der — allerdings J

) Vgl. Hübner a. a. O. 799. ) Vgl. Hübner a. a. O. 802; im übrigen vgl. die Darstellungen bei Wild a. a. O. 242 ff. und Biedermann a. a. O. I, 342 f. 3 ) Vgl. Hübner a. a. O. 803: Tagebuch, 29. April. Die Denkschrift liegt im Geheimen Staatsarchiv A . A . I, Rep. V I I , Nr. 4, Vol. 2. Ich zitiere im folgenden nach diesem Exemplar. 4 ) „ W e m es Trost ist, gestehe sich, daß Gottes Hand irgendein E r eignis senden muß, wenn die plötzlich aufgestaute und furchtbar anschwellende Strömung nicht allvernichtend überfluthen soll." s

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nur vorsichtig andeutende — Schluß seiner Heinrich von Arnim überreichten Denkschrift zeigt jedoch, daß er an seinen bisherigen Anschauungen über das preußisch-deutsche Problem festhält 1 ). Sehr viel deutlicher entwickelt er seine Ansichten in einem Entwurf dieser Denkschrift, der sich in seinem Nachlasse befindet. „Jetzt ist es möglich, daß Preußen in Deutschland aufgeht. Aber nur unter einer Bedingung ist es möglich. Die Zukunft Deutschlands hängt davon ab, ob es diese annehmen will. — Und wieder Deutschland darf an Preußen eine Bedingung stellen. Noch heut sprechen die preußischen Rheinlande nicht, als gehörten sie zu dem preußischen Namen, noch heut hat Breslau den Stolz, die Hauptstadt eines eigenartigen Landes zu sein, und die Preußen von Königsberg wissen sich scharf genug unterschieden von den Märkern, den Pommern. Es braucht das geeinte Deutschland, das Reich unter den Hohenzollern, keine preußische Monarchie mehr; löse sie sich auf in drei, vier territoriale Staaten, jeder mit eigenen Landständen, mit eigener Verwaltung, immerhin in der Personalunion ihres bisherigen Landesherrn — wie ähnliches ja in den sächsischen Herzogtümern vorhanden, wie anstatt des bisherigen Österreich präformiert ist." Zum ersten Male hat Droysen seinen Gedanken vom Aufgehen Preußens in Deutschland hier zu einem ausführlichen Plane ausgestaltet, und man kann wohl annehmen, daß die Verfassungsberatung unter den 17 Vertrauensmännern den Anlaß zu der exakten Ausführung dieses Gedankens gegeben hat. Aber es spricht sich darin doch aus, daß dieser Gedanke, der bei Droysen aus dem Geiste der Hegeischen Philosophie entstanden war, den er als Konsequenz eines historisch-politischen Systems entwickelt hatte, jetzt eine politische Forderung geworden war, deren Verwirklichung nahe zu sein schien, und so ist jetzt der Augenblick, sich umzuschauen, welche Bedeutung dieser Gedanke damals besaß, und welche Möglichkeiten für seine Realisierung vorhanden waren2). — Nach dem Verfassungsentwurf, der aus den Beratungen der 17 Vertrauensmänner im April 1848 hervorgegangen war3), sollte ein Erbkaiser an die Spitze des Deutschen Reiches treten, es kam für diese Stelle — darüber war sich die Mehrheit der Vertrauensmänner und die öffentliche Meinung durchaus klar — nur der preußische König in Betracht. Aber in der Bestimmung des Entwurfes, daß die künftige Residenz des Kaisers in Frankfurt *) Vgl. Meinecke. Weltbürgertum 366 Anm. 1. s ) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum 368 ff. ') Ausführliche Darlegung der Anteilnahme Droysens an den Verfassungsberatungen im 17er-Ausschuß bei Fenske a. a. O. 67—72.

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sein sollte, kommt doch zum Ausdruck, daß man keineswegs eine Hegemonie des preußischen Staates wünschte; diese Forderung ist, wie man gesagt hat 1 ), aus demselben Geiste entsprungen wie der Gedanke der Auflösung Preußens, sie verhalten sich zueinander wie ein milderes und schärferes Mittel für dasselbe Übel. Aber haben die geistigen Väter des I7er-Entwurfes nicht auch das schärfere Mittel für notwendig gehalten, hielten sie es nicht vielleicht damals nur für inopportun, mit diesem Gedanken hervorzutreten ? Daß solche Pläne auf Auflösung der preußischen Staatseinheit mit dem Verfassungsentwurf der 17 verbunden waren, hat man ja damals sehr bald vermutet. In preußischen Äußerungen zu diesem Verfassungsentwurf ist darauf hingewiesen worden 2 ), die Deutsche Zeitung hat diesen Gedanken Anfang Mai mehrfach erörtert und ausgeführt, daß Preußen nicht politisch handeln würde, wenn es diese Forderung nicht mit Freuden bewilligen würde3). Allerdings von den Mitgliedern des 17er-Ausschusses wissen wir außer Droysen nur von Max von Gagern, daß er damals zu den unbedingten Anhängern dieses Gedankens gehörte4), aber daß dieser Gedanke damals in Frankfurt noch weitere Verbreitung gefunden hatte, geht aus einem Bericht hervor, den der preußische Geschäftsträger in Frankfurt über eine Unterredung mit Duckwitz, der damals einflußreiches Mitglied des 50er-Ausschusses war, an seine Regierung erstattete 6 ). Danach habe Duckwitz gesagt, daß „die Vertrauensmänner übereinstimmend für Preußen sind. Der von den Gegnern der Idee im Fünfziger-Ausschuß laut gewordenen Besorgnis, daß Preußen nach dem Ausscheiden Österreichs den übrigen deutschen Staaten gegenüber ein zu mächtiger Koloß sei, als daß dieselben nicht Übergriffe in die ihnen verfassungsmäßig verbleibende Selbständigkeit zu besorgen hätten, will Herr Duckwitz durch eine Einteilung Deutsch') Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 368 unten. Siehe Meinecke, Weltbürgertum, 369. 3) Deutsche Zeitung, 6. Mai; vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 370. Interessant ist auch, was sie am 7. Mai schreibt: „Preußen hat den Anspruch aufgegeben, außerhalb Deutschlands irgend etwas sein zu wollen . . . wir möchten jenes in einer neuen Philosophie gerade in seiner Doppelsinnigkeit oft als bedeutsam hervorgehobene Wort darauf anwenden: es will in Deutschland a u f g e h o b e n sein, aufgehoben, d. h. aufhörend als das alte Preußen, aber auch aufgehoben, d. h. bewahrt und erhalten als ein neues deutsches Preußen." *) Neben seinen Verhandlungen im März in Berlin vgl. den Brief an Palmerston vom 21. Mai bei Pastor a. a. O. 482. s ) Bericht von Kamptz vom 5. Mai. Geh. Staatsarchiv A. A. I, Rep. VII, Nr. 4, Vol. 2. 2)



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lands in Kreise begegnen, infolge der Preußen etwa ebensoviele Kreise bilden würde, als es jetzt Provinzen hat, welche in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Reichszentralgewalt gebracht werden sollen." Duckwitz hat, so wissen wir aus einem Bericht Droysens an die schleswig-holsteinische Regierung1), an dem Antrag Droysens über die Schaffung einer deutschen Flotte mitgearbeitet, er erzählt aber femer in seinen „Denkwürdigkeiten", daß er im April besonders häufig mit den Männern des Verfassungsausschusses, mit G. Beseler, Dahlmann, Gervinus und Droysen, zusammen gewesen sei2), und so können die Äußerungen von Duckwitz vielleicht als ein Beweis dafür gelten, welche Bedeutung der Gedanke der Auflösung Preußens in diesem Kreise gehabt hat. Allerdings klingen die Äußerungen von Duckwitz weniger an Droysens Gedanken an, daß Preußen sich in eine Personalunion drei oder vier territorialer Staaten auflösen solle, als an den Plan vom mittelbaren und unmittelbaren Reichsland, den Ernst von Stockmar im gleichen Aprilmonat ausgearbeitet hatte 3 ), und mit dem er das Problem lösen wollte, das künftige Reich auf die Macht Preußens zu stützen, ohne eine Hegemonie Preußens über die übrigen Staaten zuzulassen. — Wenn wir Stockmars und Droysens Pläne vergleichen, so erscheint der Stockmars unitarischer; dadurch, daß er das ehemalige Preußen als unmittelbares Reichsland von der künftigen Reichsregierung und dem künftigen Reichsparlament regieren lassen wollte, schuf er der Reichsgewalt ja eine feste Machtgrundlage. Er bedeutete aber, so praktisch er für das neue einheitliche Reich geworden wäre, in der damaligen Situation etwas durchaus Umstürzendes. Droysens Plan der Zerschlagung Preußens in drei oder vier nur durch Personalunion verbundene Staaten schonte mehr die dynastischen Traditionen, war also vielleicht eher in die Wirklichkeit umzusetzen, wenn er auch deutlich auf einem doktrinären Elemente, seiner Anschauung vom Bundesstaat als idealer Verfassungsform, beruhte. — Wir sehen also, welche Verbreitung der Gedanke der Auflösung Preußens damals gehabt hat; wie weit er — so können wir zusammenfassend sagen — als notwendige Bedingung der Übertragung der Kaiserwürde an den preußischen König damals angesehen wurde, es aber nur für ') Vom 14. April. Hübner a. a. O. 29. 2) A. Duckwitz, Denkwürdigkeiten aus meinem öffentlichen Leben von 1841—1866, Bremen, 1877, 246; allerdings ist der Name G. Beseler ein Irrtum. Beseler war zwar später ein einflußreiches Mitglied des Verfassungsaasschusses der Nationalversammlung, dem 17 er-Ausschuß hat er aber nicht angehört, er war damals Oberhaupt noch nicht in Frankfurt. ') Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 372 ff.

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nicht opportun gehalten wurde, damals mit ihm hervorzutreten, das läßt sich nicht mehr erkennen. Aber als gemeinsamen Besitz aller derer, die von vornherein auf das Ziel des Hohenzollernschen Erbkaisers hinarbeiteten, können wir doch das diesem Gedanken zugrunde liegende Prinzip annehmen, daß Preußen sich der deutschen Sache völlig unterordnen, daß es sich ihr völlig hingeben müßte. Es war — und das kommt gerade in der Aufzeichnung, in der Droysen seinen Plan von der Zerschlagung Preußens in drei oder vier territoriale Staaten entwickelt, schön zum Ausdruck — eine do-ut-des-Politik, die man von Preußen erwartete, und diese Anschauung hat die Handlungen Droysens und seines Kreises — und es waren dies die leitenden Männer der Paulskirchenmehrheit — bis zum Ende November des Jahres 1848 bestimmt. Die Unterordnung Preußens unter die nationale Idee erschien ihnen als einzige Möglichkeit, preußisches und deutsches Interesse auszugleichen, erschien als notwendige und selbstverständliche Pflicht, schien ihnen aber auch der einzige Weg, um den Widerstand des übrigen Deutschland gegen die preußische Hegemonie zu überwinden und die Mehrheit für den Hohenzollernschen Erbkaiser zu gewinnen. Preußen mußte also den Beweis liefern, daß es zu dieser Hingabe an die deutsche Sache bereit sei, und deshalb ist ihre Politik in den folgenden Monaten darauf gerichtet, Preußen zu veranlassen, einen ersten Schritt auf dem deutschen Wege zu tun, einen unzweideutigen Beweis für seine Hingabe an die deutsche Sache zu liefern. Wir glaubten, so berichtet Haym aus dem Sommer 1848 über die Anschauungen der Kasinopartei, „daß die vollkommenste Hingebung Preußens an das gemeinsame deutsche Interesse der sicherste Weg sei, um für vorläufige Opfer spätere Anerkennung, für vorläufiges Selbstvergessen dereinstige Macht und Ehre einzutauschen . . . Diese Politik der großartigsten Hingebung, der Geduld und des Vertrauens schien nicht allein zweckmäßig, sondern sogar von einem höheren Standpunkte aus notwendig. Sie nicht einzuschlagen, mußte gefährlich scheinen, wenn es anders gefährlich ist, denjenigen Ideen sich entziehen oder widersetzen zu wollen, welche ja in einer historischen Bewegung die leitenden und die herrschenden sind" 1 ). Preußen hatte als starke, in sich geschlossene Staatspersönlichkeit eine solche risikoreiche Politik nicht nötig, es konnte und durfte sie nicht wagen; wie aber war es möglich, ihm eine solche Politik zuzumuten, zu glauben, daß es auf diese Pläne eingehen *) R. Haym, Die deutsche Nationalversammlung, Bd. I, Frankfurt a.M., 1848, 96.

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würde? Wir haben gesehen, aus welcher historisch-politischen Gedankenwelt heraus diese Anschauungen bei Droysen erwachsen waren, daß das Aufgehen Preußens in Deutschland für ihn das logische Ziel der preußischen Geschichte, ja überhaupt eine weltgeschichtliche Notwendigkeit bedeutete, daß dagegen das Beharren Preußens in seiner eigenen Staatspersönlichkeit für ihn das Ende der preußischen Entwicklung, den Untergang dieses Staates bedeutete1). Man darf aber nicht vergessen, daß alle solche Anschauungen, daß das Dogma von der Künstlichkeit des preußischen Staates durch die Ereignisse des Jahres 1848 bis in den November hinein bestätigt zu werden schien, daß im März 1848 ein Abfall des Rheinlandes und also wirklich ein Auseinanderfallen des Staates gedroht hatte, daß nach einer kurzen Beruhigung Ende April im Mai nach Zusammentritt der preußischen Kammer die revolutionären Bewegungen den Staat von neuem zu erschüttern begannen, so daß er von einer Regierungskrise in die andere taumelte. So schien er darauf angewiesen, an Frankfurt eine Stütze gegen seine eigene radikale Nationalversammlung zu gewinnen, schien das Aufgehen Preußens in Deutschland weniger eine Zumutung als eine Rettung zu sein, und es war daher ein verständlicher Irrtum zu glauben, daß es möglich sei, von Frankfurt her, aus der „Souveränität der Nation" 2 ), d. h. aus dem Gedanken der deutschen Einheit heraus, die Neuordnung des Reiches vorzunehmen. — Bei Droysen läßt sich aber beob') Vgl. darüber diese Arbeit Kap. I I I . *) Für Droysen war „Souveränität der Nation" keineswegs gleichbedeutend mit dem von ihm abgelehnten Begriff der Volkssouveränität. Vgl. dazu Hübner a. a. O. 809: „Souveränität der Nation, nicht Volkssouveränität, nicht Souveränität der Teile", vgl. auch einen Artikel Droysens in der Schleswig-Holsteinischen Zeitung, 18. Juni, Nr. 5 6 : „ . . . es w a r sehr viel wert, daß Gagern gleich in seiner Antrittsrede — und diese war großartig und von tiefster Wirkung — das Wort .Souveränität der deutschen Nation' aussprach. E r sagte nicht Volkssouveränität, nicht bloß weil damit Mißbrauch getrieben, sondern auch weil mit diesem Worte eine Gefahr verbunden ist, die nämlich, daß z. B. die Hannoveraner sagen können, wenn wir Volk von Hannover souverän sind, so sagen unsere Kammern und die aus ihr hervorgehende Regierung, was wir wollen und beschließen, und das gilt für uns." — Diese Anschauung Droysens entspricht genau den Ansichten H. v. Gagerns, wie sie A . Frahm in ihrem Aufsatz: Paulskirche und Volkssouveränität in Historische Zeitschrift, Bd. 130, 1924, 2 3 1 f. darstellt; vgl. auch E . Brandenburg, Die ReichsgrOndung, Leipzig, 1 9 1 6 , Bd. I, 2 1 7 , und Meinecke, Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin, 1 9 1 3 , 105 Anm. 2. — Droysens Äußerungen sind also ein weiterer Beweis dafür, daß sich der Kreis um Gagern durch

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achten, daß auch noch etwas anderes die Verständigung zwischen Frankfurt und Berlin erschwerte, der preußischen Regierung jedes Eingehen auf die Wünsche der Frankfurter bedenklich erscheinen ließ. Die preußische Regierung mußte eine Hingabe ihrer Machtmittel an Frankfurt schon deshalb für gefährlich halten, weil die Einheitsgewalt in die Hände von Österreich gelangen und damit Preußen in dauernde Abhängigkeit von Österreich geraten könnte; für Droysen schien es dagegen eine sich aus der Lage der Dinge ergebende Notwendigkeit zu sein, daß jede Stärkung der Zentralgewalt letzten Endes dem preußischen Monarchen zugute kommen würde; denn für Österreich gab es nach Droysens damaligen Anschauungen nur die Zukunftsmöglichkeiten1), daß es sich entweder zu einer ganz losen Personalunion seiner Staaten unter den Habsburgern umgestalten würde, die eine Übertragung der Kaiserwürde an diese von vornherein unmöglich machte, oder daß es, wenn der Versuch zu einer engeren Verbindung der Staaten, zum Beispiel durch eine Gesamtstaatsverfassung, gemacht würde, völlig auseinanderfallen müßte. Eine gewisse doktrinäre Anschauung über den Weg, den die Geschichte gehen müßte, hemmte auch hier das Verständnis für die Notwendigkeiten der preußischen Politik. So wird für den rückschauenden Betrachter die Haltung derer, die damals um der deutschen Einheit willen eine Auflösung Preußens forderten, zwar verständlich, aber es zeigt sich auch, auf welch irriger Grundlage diese Politik beruhte, und wie sie damit von vornherein zum Scheitern verurteilt war; dennoch liegt über diesen Verhandlungen zwischen Frankfurt und Berlin im Jahre 1848/49 ein ganz eigener Reiz, wenn man sieht, wie sich in ihnen in schnellem Wechsel die verschiedensten Perspektiven für die deutsche Zukunft eröffnen. — Nachdem wir die Voraussetzungen und die Ziele gesehen haben, die die Politik Droysens zu Beginn der Frankfurter Nationalversammlung bestimmten, handelt es den Ausdruck „Souveränität der Nation" durchaus von den Anhängern der Volkssouveränität distanziert zu halten glaubte. — Fenskes Darstellung von Drojrsens Anschauung Uber die „Souveränität der Nation" (a. a. O. 99—103) läßt den Zusammenhang mit den Frankfurter Parteiströmungen vermissen. *) Vgl. Denkschrift vom 29. April: „Österreich kann nicht anders als eine reine Personalunion seiner gemengten Staaten werden wollen. Die versuchte Gesamtstaatsverfassung, der liberalistische Lügenersatz des Metternichschen Systems, wird diese Gesamtmonarchie zersprengen wie die beabsichtigte dänische." Auch den oben S. 85 wiedergegebenen Schluß eines Entwurfes zu dieser Denkschrift; im übrigen vgl. diese Arbeit Exkurs S. 141 ff.

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sich jetzt darum, im einzelnen zu erforschen, welche Haltung Droysen in der Frankfurter Nationalversammlung zu der preußisch-deutschen Frage eingenommen hat, wie weit er an seinen Zielen festgehalten und sie durchzusetzen versucht hat, wie weit durch die Ereignisse dieses Jahres seine Stellungnahme in der preußisch-deutschen Frage gewandelt worden ist. Aber hier erhebt sich eine große Schwierigkeit: es ist zwar oft gesagt worden, daß Droysen zu den einflußreichsten Mitgliedern der Paulskirche gehört hat 1 ), aber dennoch ist er niemals in besonderer Weise hervorgetreten; seine einzige offizielle Stellung war die eines Protokollführers im Verfassungsausschuß2), von der Tribüne der Paulskirche aus hat er nie gesprochen. Er schreibt selbst einmal: „Ich habe mich für ehrgeiziger oder tatlustiger gehalten, als ich bin" 3 ). Aber diese Begründung zeigt gerade, daß dieses Verhalten tief im Persönlichen begründet ist, daß hier ein psychologisches Rätsel vorliegt. Wir wollen dieses Rätsel hier nicht zu lösen versuchen, sondern nur darauf hinweisen, daß seine politischen Anschauungen einen Kern enthalten, durch den einem solchen Verhalten Vorschub geleistet wurde; denn es stimmt mit einem Gedanken, den er in seiner Denkschrift vom 29. April äußert, und zu dem er sich in Augenblicken politischer Verworrenheit im Jahre 1848 immer wieder bekennen wird, merkwürdig überein: mit dem Gedanken, daß sich in solchen Augenblicken nicht handeln ließe, sondern daß man die Ereignisse abwarten müsse, die eine höhere Gewalt senden würde. Für ihn stehen auch die politischen Geschehnisse der Gegenwart im Strom der durch Gott bestimmten geschichtlichen Entwicklung, und so trat für ihn die Art der Ausführung der politischen Entscheidungen durch den einzelnen und im einzelnen zurück gegenüber der Erkenntnis und Vertretung der richtigen Anschauungen über das historisch-politisch Notwendige4). Vgl. Biedermann, Erinnerungen aus der Paulskirche, Leipzig, 1849, 2 6 4 ! ; Laube a . a . O . II, 36; Robert v. Mohl, Lebenserinnerungen, Stuttgart und Leipzig, 1902, Bd. II, 60; G. Beseler, Erlebtes und Erstrebtes, Berlin, 1884, 62. *) Daran liegt es wohl, daß er auch in den Protokollen des Verfassungsausschusses nicht besonders hervortritt, obwohl er den Berichten nach große Bedeutung gehabt hat; vgl. z. B. Biedermann, Erinnerungen, 266; Beseler a. a. O. 72 f. •) Brf. I, 485. 4 ) Vgl. auch die schöne Charakteristik der „Professoren" bei Biedermann, Erinnerungen, 261: „Aus einer weiten und großen Anschauung der Geschichte, des Rechts, der Politik suchten sie abzuleiten, was notwendig sei, was geschehen müsse. Freilich geschah dies dennoch nicht immer,

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Aus dieser Zurückhaltung Droysens ergibt es sich, daß wir die Untersuchung seines Verhaltens in der preußisch-deutschen Frage 1848/49 nicht an eine bestimmte hervorstechende Aktion anknüpfen können, sondern daß wir nur aus seinen Briefen, Tagebüchern und Zeitungsartikeln, aus den Spuren seiner Tätigkeit im Verfassungsausschuß und im Parteiwesen uns ein Bild seines Wirkens und der Entwicklung seiner Anschauungen in der preußisch-deutschen Frage machen können, daß wir somit den Gesamtkomplex des Problems verfolgen müssen, um sein Wirken und seine Äußerungen in ihren Einzelheiten zu verstehen. Daraus ergibt sich aber die Frage, welches der engere Kreis war, der die gleiche Politik wie Droysen verfolgte, und in dessen Zusammenhang wir die politische Tätigkeit Droysens einordnen müssen: schon im Mai sehen wir ihn zusammen mit Gagern und Mevissen die Organisation einer Partei versuchen1), aus diesen Anfängen hat sich dann die Partei der Paulskirchen-Mehrheit, das „Kasino", entwickelt, zu dessen leitenden Männern Droysen gehört hat; im Sommer finden wir ihn in besonders naher Verbindung mit Beckerath und Mevissen, im Laufe des Jahres entwickelte sich eine enge Freundschaft mit G. Beseler, mit dem er auch längere Zeit im gleichen Hause wohnte, wir sehen ihn in Korrespondenz mit Simson — alle diese Männer, und so auch Droysen, gehörten zu dem engeren Kreise Heinrich von Gagerns, der der eigentliche Träger der Politik der Paulskirche gewesen ist, und der den Erbkaisergedanken zum Siege geführt hat. Da also Droysen der die Paulskirchenpolitik bestimmenden Gruppe angehörte, so können wir sein Wirken auch auf all den verschiedenen Aktionsgebieten erkennen, auf denen um die Durchführung des Gedankens des preußischen Erbkaisers gekämpft wurde: bei den Verhandlungen zwischen der preußischen Regierung und der Zentralgewalt, bei der Arbeit, der preußischen Hegemonie die verfassungsmäßige Grundlage zu schaffen, bei den Parteikämpfen in der Paulskirche, dem preußischen Erbkaiser die Mehrheit zu gewinnen — finden weil die faktischen Zustände sich nicht nach jenen theoretischen Anschauungen richteten, und dann wußten sie für die Beseitigung dieser Hindernisse, für die Durchführung des von ihnen als richtig Erkannten keinen R a t und konnten nur an die geschichtliche Notwendigkeit, an die Zukunft, an den guten Willen und die Vernunft der leitenden Mächte appellieren." ') Vgl. Hübner a. a. O. 8 1 2 : Tagebucheintragung vom 22. Mai; zu dem dort erwähnten Committfe directeur, siehe auch J . Hansen, Gustav von Mevissen, Berlin, 1906, 379 ff., sowie Fenske a. a. O. 1 5 8 — 1 6 0 . •— Für die folgenden Angaben vgl. das bei Hübner veröffentlichte Frankfurter Tagebuch Droysens, der Brief an Simson steht Brf. I, 477, Nr. 296.

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wir ihn beteiligt. Wenn aber auch seine Bemühungen in diesen drei Richtungen nebeneinander hergehen, so wechseln sie doch in ihrer Bedeutimg, nur eins dieser Gebiete steht jeweils im Vordergrunde seiner Bemühungen, so daß sich von hier aus eine natürliche Gliederung seiner Tätigkeit in der Paulskirche ergibt: bis zum Waffenstillstände von Malmö ist er vor allem an den diplomatischen Verhandlungen beteiligt, in den nächsten beiden Monaten steht die Verfassungsarbeit im Mittelpunkt seines Interesses, und vom November an hegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf parteipolitischem Gebiet. II. In den Monaten nach Eröffnung der Nationalversammlung bis in den Herbst hinein tritt der Gedanke der Auflösung Preußens, den wir im April und Mai so oft erörtert fanden, ganz zurück 1 ). In dem Kampfe, der damals zwischen Berlin und Frankfurt ausgefochten wurde, stand die Frage im Vordergründe, ob Preußen sich der Zentralgewalt unterordnen würde. Für Droysen und seine Gesinnungsfreunde handelte es sich darum, Preußen zu einem Beweis seiner Hingabe an die deutsche Sache zu bewegen, zu einem ersten Schritte zu veranlassen, so daß es überhaupt möglich wurde, für den Hohenzollernschen Erbkaiser die Verantwortung zu übernehmen und die Mehrheit zu gewinnen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es wohl zu erklären, daß Droysen, als er nach einer kurzen Reise nach Berlin und Kiel Mitte Mai wieder nach Frankfurt, nun als Abgeordneter der Nationalversammlung, zurückkehrte, bei dem preußischen Bundestagsgesandten von Usedom — allerdings vergeblich — darauf hinzuwirken suchte, „daß Preußen die Befugnis des Parlaments, die deutsche Verfassung zu machen, unumwunden aussprechen solle" 2 ). Es wäre damit ein wichtiger Schritt geschehen, dem Mißtrauen gegen Preußen den Boden zu entziehen, und ein Beweis seiner Hingabe an die deutsche Sache erbracht worden3). Aber solche kleinen Mittel verblaßten bald gegenüber der dann in den Vordergrund tretenden Frage der deutschen Zentralgewalt und dem Problem, welche Stellung die deutschen Staaten, vor allem Preußen, zu dem in dieser Weise realisierten Gedanken der Einheit einnehmen würden. Eben die neu sich erhebenden revolutionären Kräfte, zugleich auch die hochgehende Begeisterung in Frankfurt machen es verständlich, daß es damals der J)

Vgl. zum folgenden Meinecke, Weltbürgertum, 374 ff. *) Tagebucheintragung vom 14. Mai, Hübner a. a. O. 807. s ) Vgl. auch Fenske a. a. O. 98.

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überwältigenden Mehrheit der Paulskirche möglich erschien, über die Regierungen der Einzelstaaten hinweg aus der „Souveränität der Nation" eine Zentralgewalt zu schaffen. Am 22. Juni, während der diese Frage entscheidenden Debatten in der Paulskirche, schreibt Droysen an Olshausen: „Es ist von namenlosem Schaden, daß weder Preußen noch Österreich sich neuerlich aufzuraffen vermocht haben und vermögen. Vielleicht für die Einheit Deutschlands die notwendige Vorbedingung1). . ." Wir können wohl sagen: es scheint ihm die Situation, aus der im April sein Antrag auf Errichtung einer provisorischen Exekutivgewalt entstand, wiedergekehrt, und er wendet sich auch jetzt gegen jeden DreiMänner-Vorschlag, tritt für die Darstellung der Einheit in einer einzigen Person ein2) und gehört zu den Anhängern von Gagerns „kühnem Griff" 3 ). Trotzdem scheint es unverständlich zu sein, daß er mit der Übertragimg der Stellung des Reichsverwesers, in der für ihn die künftige Stellung des preußischen Königs vorgebildet war, an einen Österreicher, den Erzherzog Johann, einverstanden war. Die verschiedensten Gründe mögen hier mitgewirkt haben: vor allem der Ruf, der von der Persönlichkeit des Erzherzogs ausging, gewisse sentimentale Erwägungen, daß dies ein letzter Dank für die von den Habsburgem dem Deutschen Reiche geleisteten Dienste sei; wohl auch Droysens Anschauung von der Ungefährlichkeit Österreichs für die künftige deutsche Entwicklung hat beigetragen, ihm diese Wahl zu erleichtern4). Zugleich steht aber auch noch eine andere Absicht dahinter, nämlich die, daß es, nachdem Österreich in dieser Weise abgefunden, möglich sei, die entscheidenden Ministerien der neuen ») Brf. I, 4342) Dies geht aus dem Bericht über eine Vorberatung bei Jürgens am 18. Juni (Hübner a. a. O. 815) hervor; ebenso vgl. auch Brf. I, 434. Wenn er dagegen in einem Brief an Arendt den Drei-Männer-Vorschlag zu verteidigen scheint (Brf. I, 429), so ist zu beachten, daß er in diesem Briefe ein Bild der allgemeinen Situation in Frankfurt gibt, nicht aber von seinen eigenen Ansichten berichtet. Vor allem aber: mit den Briefen an Arendt verfolgte Droysen politische Zwecke, sie sind zur Verwertung in Belgien, am Hofe usw. bestimmt (vgl. u. a. Brf. I, 491, II, 378) und bringen somit oftmals eine offizielle Erklärung der Politik der Paulskirche. Wenn Fenske a. a. O. 108 f. aus diesem Brief eine „völlig veränderte Stellungnahme" Droysens folgert, so ist das irrig. (Die gleiche Vorsicht ist auch gegenüber Droysens Brief an Arendt vom 6. Juni 1849 angebracht; vgl. das Schlußkapitel S. 121 Anm. 3: gegen Fenske a. a. O. 204—208.) ») Vgl. Hübner a. a. O. 815. 4 ) Vgl. die von ihm angegebenen Motive seiner Abstimmung Brf. I, 439 und 441.

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Reichsregierung Preußen in die Hände zu spielen1). Dies hieß aber zugleich, die preußische Diplomatie und das preußische Heerwesen mit dem deutschen zu identifizieren, sie von Frankfurt aus zu leiten und damit den alten Gegensatz von Preußens europäischer und deutscher Stellung aus der Welt zu schaffen. — Diese Auseinandersetzung mit der preußischen Regierung über die Besetzung des Reichsaußenministeriums und des Reichskriegsministeriums ist der erste große Versuch, das Aufgehen Preußens in Deutschland zu realisieren. An sich scheinen sich die preußische Regierung und der Kreis um Gagern, der die Richtlinien für die Besetzung der Reichsministerien festzulegen sich bemühte, in ihren Absichten zu begegnen. Denn kaum war der Erzherzog gewählt, als Preußen in einer Instruktion an seinen Gesandten in Wien die Forderung aufstellte, daß „Preußen bei der Wahl der Personen, welche dem Reichsverweser als Organe der Exekutivgewalt beigegeben werden sollen, vorzugsweise berücksichtigt werden wird" 2 ). Und zwar will die preußische Regierung auf dieselben Ministerien, Außenministerium und Kriegsministerium, Einfluß ausüben, die ihr von der Gagernschen Partei zugedacht waren. Aber in dem Bericht, in dem Usedom von der Beratung über die Ministerkandidaturen bei Gagern Mitteilung macht3), gibt er doch seinen Zweifeln darüber Ausdruck, ob dies im Interesse der preußischen Regierung liege, da doch weitgehende Auffassungsunterschiede zwischen Frankfurt und Berlin beständen: „Inzwischen darf ich nicht verschweigen, wie die Dinge hier in Frankfurt stehen und wie durch die Nationalversammlung in edlerer deutscher Weise von oben her dieselbe Vernichtung für die Selbständigkeit des preußischen Staates droht, welche die Berliner Kammer dessen gouvernemenl ) Vgl. Brf. X, 459: „Der fein kombinierte Plan, in der Zentralgewalt an Osterreich die ostensible Ehre, an Preußen in der Besetzung der Präsidentenstelle, des Auswärtigen und Kriegsministeriums die Macht zu g e b e n . . . " Daß eine solche Absicht bei der Wahl des Erzherzogs Johann bestanden habe, lehnt Biedermann, Erinnerungen, 77. schroff ab, während K . Jürgens, Zur Geschichte des Deutschen Verfassungswerkes, Hannover, 1856, Bd. I, 145 Anm. es annimmt. Daß bei Droysen diese Erwägungen mitgesprochen haben, ist nach der oben angegebenen Briefstelle wohl nicht mehr zu bezweifeln ; ob allerdings auch Gagern solche Pläne von Anfang an bei seinem „kühnen Griff" gehabt hat, ist eine andere Frage.

*) Nr. 7, *) Nr. 7,

Erlaß an Bernstorff vom 1. Juli: Geh. Staatsarch. A. A. I, Rep. VII, Vol. 1. Bericht Usedoms vom 11. Juli: Geh. Staatsarch. A. A. I, Rep. VII, Vol. 1.

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taler Autorität von unten her bereiten zu wollen scheint . . . So würde dann sowohl die Repräsentation der Staatspersönlichkeit in der europäischen Staatengesellschaft durch die Diplomatie als auch die Disposition über die materielle Kriegsmacht den Einzelstaaten aus der Hand genommen werden. — Was das für Preußen bedeutet, davon haben die Süddeutschen, denen nur ihre kleinen Staatszustände vor Augen stehen, keinen Begriff: selbst die Wohlgesinnten nehmen dabei auf Preußens Stellung keine Rücksicht: Preußen würde nur tun, heißt es, was es in seiner jetzigen politischen Lage doch nicht vermeiden könne, und habe ja das Versprechen gegeben, in Deutschland aufzugehen. Jedes Widerstreben wird als separatistischer Treubruch gedeutet." Hier ist schon ganz richtig angedeutet, daß, wenn auch preußische Regierung und Paulskirchen-Mehrheit dasselbe zu wollen scheinen, sie damit doch etwas ganz anderes meinen: die preußische Regierung wollte diese Ministerien in Anspruch nehmen als Gegenleistung für ihre Zustimmimg zu der Reichsverweserschaft des österreichischen Erzherzogs, als ein Mittel, die ihr in Deutschland gebührende Stellung zu wahren, die Frankfurter dagegen wollten ihr diese Ministerien zwar gewähren, verlangten aber dafür eine Gegenleistung: nämlich den Verzicht Preußens auf seine Stellung als selbständige europäische Macht, die Übertragung der Leitung seiner Diplomatie und seines Heerwesens an die Zentralregierung und damit an die Paulskirche, also seine Hingabe an Deutschland 1 ). Darauf zielen die Briefe, die Droysen in diesen Tagen der Kabinettsbildung, bei der er aufs eifrigste mitwirkte, an den Unterstaatssekretär im preußischen Außenministerium, den Grafen Bülow, schreibt 2 ): er nimmt hier noch an, daß Camphausen das Außenministerium übernehmen wird, und will die preußische Regierung zu dem Schritte, der sich daraus als notwendig ergebe, veranlassen: „Es ist vollkommen klar, daß, wenn Deutschland zu einem wahrhaften Bundesstaat werden soll, außer dem HeerVgl. dazu Hansen a. a. O. II, 401 ff., wo dann die Verhandlungen mit Camphausen in den Briefen Mevissens sehr ausführlich zur Sprache kommen; vgl. auch die Gründe, die Camphausen in seinem Brief an Hansemann für seine Ablehnung angibt: seine Furcht, „gebraucht und mißbraucht" zu werden, in Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Camphausen ed. Brandenburg, Berlin, 1906, 247 ff. 2) Brf. I, 442—446. — Auf diese Briefe wird übrigens auch nicht ohne Einfluß gewesen sein, daß in den gleichen Tagen im Verfassungsausschuß die auswärtigen Verhältnisse behandelt wurden; vgl. Droysen, Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der deutschen Nationalversammlung, Leipzig, 1849, 59 ff.

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wesen vor allem die auswärtigen Verhältnisse rein deutsch sein und als solche behandelt werden müssen. Es ist unendlich viel wert, daß Preußen in der Lage ist, in diesem Sinn zu verfahren. Ich glaube, daß Preußen ebenso weise wie zeitgemäß handeln würde, wenn es diese große Notwendigkeit anerkennend einen allerdings kühnen, aber zugleich würdigen Schritt täte. Will des Königs Majestät sein Wort wahrmachen, daß fortan Preußen in Deutschland aufgehe, so wende Er vor allem hierauf seinen Entschluß. Er verlege die auswärtige Politik Preußens ganz und rückhaltlos nach Frankfurt, lege sie nieder in die Hand der Reichsgewalt. Irre ich nicht, so ist dies der einzige Weg, den Ständen in Berlin einen entscheidenden Vorsprung abzugewinnen und die Monarchie da zu stützen, wo in der Tat — denn von Bürgerkrieg darf in diesen Betrachtungen nicht die Rede sein — ihre einzige Stütze ist. Aber mehr noch: es ist dies der kühnste und sicherste Griff in die Zukunft nicht bloß für Preußen, sondern und namentlich für das Haus Hohenzollem." Und er deutet auch den Preis an, der Preußen für solchen Einsatz zufallen würde: Preußen solle seine ganze Rechnung darauf wenden, „daß es sich das ganze Vertrauen Deutschlands erzwingt, daß es sich mit ganzem Vertrauen der neuen Entwickelung Deutschlands anschließt, daß es sich ganz und rückhaltlos aufgibt, um sich dann an der Spitze oder im Mittelpunkt der gesamten deutschen Macht wiederzufinden." Aber die Voraussetzung, auf der diese Schreiben beruhten, wurde alsbald hinfällig. In der ersten Unterredung zwischen Gagern und Camphausen waren die Gegensätze, die zwischen Frankfurt und Berlin in der Frage der Ministerposten bestanden, sofort zutage getreten. Vom Standpunkt der preußischen Regierung aus mußte Camphausen die Übernahme des Ministeriums ablehnen1). Aber auch vom Gagernschen Standpunkt aus war die Kandidatur Camphausens nach dieser Unterredung gar nicht mehr wünschenswert2). So war dieser erste Versuch, das Aufgehen Preußens in Deutschland zu realisieren, gescheitert; es kam zu der Bildung des Ministeriums Leiningen, bei der solche Absichten nicht mehr bestanden. E . Brandenburg, Untersuchungen und A k t e n s t ü c k e zur Geschichte der Reichsgründung, Leipzig, 1916, 110 f. führt eine Reihe von Gründen an, die Camphausen

zu seiner Ablehnung bestimmen

mußten;

entscheidend

war wohl, daß er die Absicht erkannte, er solle dazu gebraucht werden, „Preußen zu mediatisieren".

Vgl. auch Hübner a. a. O. 820.

*) Nach Sybel, Begründung des Deutschen Reiches, Berlin und Leipzig, 1890, Bd. I, 199, sagte Gagern:

„ U n t e r diesen Umständen kann auch ich

Ihren Eintritt in das Ministerium nicht mehr wünschen." Beiheft d. H. Z. so.

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Mevissen faßte dieses Geschehnis in dem scharfen Urteil zusammen: Camphausen lehnt ab, „weil er der deutschen Einheit nicht vertraut, sondern seine Kräfte dem partikularen Preußentum aufbewahren will" 1 ). Und der Enttäuschung, die Mevissen über die Haltung Camphausens äußerte, entspricht durchaus die Stimmung Droysens, der nach Empfang der Antwort auf seine Briefe an Bülow in sein „Tagebuch" notiert, daß sie ihn einen tiefen Blick in die Berliner „Mißstimmungen und die Kleinlichkeit der dortigen Verhältnisse" tun ließ2). Aber der Gegensatz, der sich in diesem Monat zwischen Mevissen und Beckerath auf der einen, zwischen Camphausen und Hansemann auf der anderen Seite, auftat 3 ), also zwischen Männern, die auf dem gleichen rheinischen Boden unter den gleichen Bedingungen zu liberalen Politikern geworden sind, — ist deshalb so interessant, weil er zeigt, daß diejenigen unter ihnen, die zu praktisch-politischer Mitarbeit am preußischen Staat berufen wurden, alsbald auch in das Gehäuse der preußischen Staatsraison schlüpften, während die, die sich in die Arbeiten der Paulskirche hineingestellt sahen, ohne Anlehnung an eine feste Staatsmacht, sehr viel länger in ihren theoretischen und doktrinären Gedankengängen befangen blieben. Es wird dadurch sehr deutlich, daß es nicht so sehr Mangel an politischen Fähigkeiten, sondern die zu keinerlei Korrektur doktrinärer Vorstellungen an der \\ irklichkeit zwingende Frankfurter „ L u f t " war, die die Verkennung der realen Machtfaktoren, die den völlig ergebnislosen Verlauf der 48er Bewegung bewirkte. V\ ie fest Droysen bei den Anschauungen beharrte, die er sich vor der Revolution gebildet hatte, wie die gleichen Gesichtspunkte seine Beurteilung der damaligen Situation beherrschen, geht aus ') Hansen a. a. O. II, 406. *) Tagebuch, 15. Juli, Hübner a. a. O. 820. *) Vgl. dazu Hansen a. a. O. II, 405 ff. Auf diesen seit Errichtung der Zentralgewalt hervortretenden Gegensatz weist schon hin A. Bergengrün, David Hansemann, Berlin, 1901, 566. — Im ganzen vgl. auch Bundestag und Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1848 nach Frankfurter Berichten des Bundestagsgesandten Clemens Theodor Perthes, herausgegeben von O. Perthes, Frankfurter Historische Forschungen, Frankfurt a. M., 1913, 73: „das vorläufig mehr in Camphausen-Hansemann als in Deutschland aufgegangene Preußen". Dort (149 ff.) auch ein interessanter Bericht von 27. Juli über eine Unterredung mit Heinrich v. Arnim, wonach Arnim gesagt habe: „Wenn nun das Reichsministerium mit Peucker, Bunsen, Stockmar besetzt sei, so werde PreuBen die Majorität haben, und am Ende könne es Preußen einerlei sein, ob es von Berlin oder von Frankfurt aus entscheide."



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einer Aufzeichnung ) hervor, die er in der gleichen Zeit verfaßt hat: „Noch einmal hängt das Schicksal Deutschlands von Preußen ab. Vielleicht zum letzten Mal. — Man scheint sich in Berlin über die Lage der Dinge zu täuschen wie 1805, zu glauben, daß man noch f r e i e Wahl habe, während doch nur der Entschluß, das allein Richtige zu tun, Preußen und Deutschland retten kann. — Freilich es bedarf dazu der Kühnheit höchster staatsmännischer i insicht, der Kühnheit des wahrhaftesten Patriotismus, nur alles daran gebend kann man alles gewinnen. . . Wir stehen am Anfange der einzigen Reaktion, die Deutschland zu fürchten hat. Nicht einer österreichischen; weiß Gott, was sich aus jenem Völkerknäul entwirren wird, die sieben Millionen Deutsche dort werden verloren sein, wenn sich das einige Deutschland nicht fest und unzweideutig zusammenfindet. Es ist eine wesentlich preußische Frage, um die es sich handelt. Preußen hat eine Geschichte; der preußische Partikularismus, der am stärksten berechtigte, darum allein gefährliche, beginnt sich zu erheben. Preußens Abkehr von der Einheit, der vollen, ganzen, rückhaltlosen, würde ein Rechtstitel für jedes andere Territorium, für jede andere Dynastie, das Gleiche zu fordern." In diesen W orten deutet sich schon das Ereignis an, das die zweite Hälfte des Juli völlig beherrscht hat: die \ iedererhebung des preußischen Selbstgefühls.2) Es waren ganz verschiedene Gründe, die die demokratischen wie konservativen Kräfte veranlaßten, sich gegen die Zumutungen Frankfurts zu wehren, die preußische Eigenstaatlichkeit zu betonen, aber der Eindruck, den diese einmütige Erhebung des spezifischen Preußentums machte, war groß. Droysen stand in dieser Zeit in engster Verbindung mit Beckerath und Mevissen; er erfährt alsbald von dem Brief Hansemanns an Beckerath vom 13. Juli 3 ), in dem steht, daß die zeit der inneren Anarchie in Preußen vorüber sei, daß das preußische Volk sich wieder stark fühle, und daß „von einem unbedingten Aufgehen Preußens in Deutschlands kein» Rede sein" könne. So wirkt er auf die Reise Beckeraths nach Berlin hin4), durch die die *) Aus dem Nachlaß. Undatiert; aber aus der Zeit der Bildung des Ministeriums. 2 ) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 378 ff. ') Tagebuch. 16. Juli, Hübner a. a. O. 820. Der Brief ist abgedruckt bei Hugo Kopstadt, Herman 1 von Beckerath. Braunschweig. it>7S, 87. Es ist offenbar auch dieser Brief, von dem Mevissen am 16. Juli an seine Familie schreibt. Hansen (a. a. O. 1], 406 Anm.) irrt sich, daß es sich um einen Brief Hansemanns an Haym handele. 4 ) Tagebuch, 17. Juli, Hübner a. a. O. 821.

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Mißverständnisse zwischen Frankfurt und Berlin behoben werden sollen, erfährt aber auch alsbald von den schlechten Berichten, die Beckerath über die Berliner Stimmung erstattet 1 ), von der Empörung, die dort über Peuckers Huldigungsbefehl herrscht. „Preußen verirrt sich sichtlich auf einem völlig falschen Wege", ist der Satz, mit dem er über diese Regungen des „exklusiven Preußentums" in seinem Tagebuch quittiert 2 ). So sind auch die beiden Artikel, die er am i. August in der Frankfurter Oberpostamtszeitung erscheinen ließ3), darauf gerichtet, auf Preußen beruhigend einzuwirken. Es könne sich ruhig der straff zentralisierten Reichsgewalt unterordnen, weil man ja die Absicht habe, es in Deutschland voranzustellen und ein Eingehen auf die Absichten Frankfurts — wir erkennen darin die Gedanken seines politischen „Systems" wieder — ja auch dem Sinn der preußischen Geschichte entspräche: „Nur in dem deutschen Namen finden sich Köln und Königsberg zusammen, nur in der Idee der deutschen Einheit kann Preußen die Vollendung seines hohen geschichtlichen Berufes suchen und finden. Noch einmal hat es das Schicksal Deutschlands in Händen, vielleicht zum letzten Mal." Welchen Eindruck diese Neugeburt des preußischen Selbstgefühls damals gemacht hat, zeigt sich sehr deutlich in der heftigen Oppositionsstimmung, in die Bunsen, der damals gerade aus England nach Preußen gekommen war, dort sofort gegen die Frankfurter und gegen seinen Freund Stockmar geriet4), und von der er erst bei einer persönlichen Begegnung abgebracht werden konnte. Und so lassen sich unter dem Eindruck der preußischen Vorgänge auch bei Droysen Äußerungen tiefsten Pessimismus, Zweifel an der Möglichkeit irgendwelchen Handelns erkennen. Die Lage der Frankfurter hält er für „nahezu heillos" und „möchte schier ver*) T a g e b u c h , 29. Juli, H ü b n e r a. a. O. 821.

Der B e r i c h t

Beckeraths

a n Schmerling a b g e d r u c k t bei Hansen a. a. O. I I , 409 f. 2)

T a g e b u c h , 30. Juli, H ü b n e r a. a. O.

') In Nr. 214.

821.

D i e A u t o r s c h a f t Droysens ergibt sich aus seiner T a g e -

bucheintragung v o m 29. J u l i ; H u b n e r a. a. O. 821. 4)

und

V g l . Christian Carl Josias Freiherr v o n Bunsen.

nach

eigener

Erinnerung

geschildert

A u s g a b e v o n F . Nippold, Leipzig,

von

seiner

A u s seinen Briefen Witwe.

Deutsche

1869, B d . II, 430: „ G a n z Preußen ist

in A u f r e g u n g gegen F r a n k f u r t wie ein M a n n " , dann vor allem 453 ff., 456. I c h führe hier das Beispiel Bunsens an, weil gerade d a m a l s die Verhandlungen m i t S t o c k m a r über seinen E i n t r i t t ins Ministerium spielten,

weil

Droysen a m 1. A u g u s t einen B e s u c h bei Stockmar in sein T a g e b u c h notiert und es sich denken ließe, d a ß er durch diesen N a c h r i c h t e n über Bunsen erhielt und diese auf den in i h m vorgehenden S t i m m u n g s u m s c h w u n g ohne E i n f l u ß gewesen wären.

nicht

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1

zweifeln" ). Und in dieser Stimmung bereitet sich in ihm auch eine ganz neue Einstellung zur preußisch-deutschen Frage vor: „Die Preußen haben ein berechtigtes Gefühl; aber es ist überspannt und übertrieben, was ihrer die Besten tun. Der ganzen Zankfrage ist eine Stellung gegeben, welche uns ebenso weit, als ihr Inhalt reicht, von dem, was wir sollen, entfernt. Gerade das Nichtdynastische, gerade die Märzbewegungen, wie sie auch sonst beurteilt werden mögen, waren das Feld der Einigung für alle. Dies gibt man mehr und mehr dahin. Ist vielleicht sehr notwendig und heilsam. Denn beurteile ich diese Versammlung recht, so kommt sie aus ihrer Machtvollkommenheit doch nicht dazu, eine Verfassung zu schaffen. Ereignisse werden erst kommen und reif machen müssen und dann wird dem armen Vaterlande eine Verfassung oktroyiert werden, im besten und heilvollsten Falle eine preußische"2)! Und einige Tage später schreibt er dann in einem Briefe an Arendt in einer Übersicht über die bisherige Lage: „Unsere Sachen hier stehen allerdings sehr schwierig. Der fein kombinierte Plan, in der Zentralgewalt an Österreich die ostensible Ehre, an Preußen in der Besetzung der Präsidentenstelle, des Auswärtigen und Kriegsministeriums die Macht zu geben, ist an Camphausen gescheitert. Die Folge davon war das stumpfe Reichsministerium vom 14. Juli, die unersetzliche Versäumnis aller äußern und innern Angelegenheiten, die Deutschland drei Wochen eine Zentralregierung haben Heß, deren Zügel am Boden schleiften. In diesen drei Wochen ist eine unglaubliche Veränderung geschehen, die Kulmination ist versäumt, die Idee des Reiches wird nicht mehr zu retten sein, wir werden Gott danken müssen, wenn wir es zu einem Bundesstaat, ja zu einem Staatenbund mit einer nationalen Vertretung statt der früheren diplomatischen bringen. Es ist das alles sehr beklagenswert, aber es ist einmal so. Preußen trägt die Schuld; es hat gehandelt, als wäre es München oder Hannover, nicht die erste, sondern vierte Macht Deutschland. Über die Stärke der Einheitsidee habe ich mich nie getäuscht, desto mehr in der Hoffnung auf staatsmännische Einsicht in Berlin. Mich bekümmern diese Dinge um so mehr, da sie in sich selber die Notwendigkeit größter weiterer Wirrnisse tragen. Man kann einen Staat wie Preußen nicht über denselben Bundesleisten wie Nassau schlagen; er muß entweder zerstören oder zerstört werden, entweder auffressen oder aufgefressen werden; nur so lange man sich auf dem parkettierten Diplomatenboden des Tagebuch, 6. August: Hübner a. a. O. 822. ) Tagebuch, 7. August: Hübner a. a. O. 823.

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Völkerrechts bewegte, gingen solche Incommensurabilitäten an; seitdem das Volk mitspricht, muß weiteres folgen. Am heilsamsten, wenn Preußen durch große Taten Gelegenheit fände, sich um Deutschland verdient zu machen, die Anerkennung erzwänge, daß es allein stark und in sich möglich ist — oder sei" 1 ). — Wir stehen an einem entscheidenden Wendepunkte des Droysenschen Denkens: unter dem Eindruck der preußischen Selbständigkeitsregungen erwacht in ihm der Gedanke, daß dem preußischen Staate eine eigene Lebensfähigkeit innewohne, und daß er auf sich selbst zu stehen vermöge. Damit fällt aber auch auf das deutsche Problem ganz neues Licht: preußischer und deutscher Gedanke müssen nicht mehr zusammenfallen, es gibt für den preußischen Staat eine Weiterentwickelung, auch wenn er sich nicht dem deutschen Ziele unterordnet, auch durch Angliederung und Unterordnung unter den preußischen Staat kann auf deutschem Boden eine festere staatliche Gestaltung entstehen, indem Preußen dem übrigen Deutschland sein Gesetz des Handelns aufzwingt. Für die Zukunft Deutschlands scheint es ihm jetzt eine Lösung vom deutschen und eine Lösung vom preußischen Zentrum aus zu geben. Diese neue Alternative, die in seiner Gedankenwelt auftaucht, erscheint ihm noch als durchaus unvollkommen, sie ist eine Hilfslösung für den Fall der Unmöglichkeit, die Einheit vom reinen deutschen Standpunkt aus zu verwirklichen, aber es deutet sich darin an, daß bei der Berührung mit der Wirklichkeit die absolute Gültigkeit seiner Ideen erschüttert zu werden beginnt. III. Diese neue Alternative zur Lösung der preußisch-deutschen Frage erscheint aber jetzt nur für einen Augenblick im Gesichtskreis Droysens. Die Verhältnisse wandelten sich so rasch, daß der Gedanke damals zu keiner weiteren Auswirkung gelangte. Die Annahme des Malmöer Waffenstillstands und die in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Ereignis stehende Ermordung Auerswalds und Lichnowskys bildete den ersten großen und entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung. Im allgemeinen bedeuteten diese Ereignisse eine Stärkung der gemäßigten Elemente gegenüber den radikalen, und einen Antrieb, die Verfassungsarbeiten zu einem baldigen Abschlüsse zu bringen. Für die preußisch-deutsche Frage war der Waffenstillstand deshalb von der größten Bedeu») Brf. I, 459 f.

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tung, weil er die Notwendigkeit, sich auf die Macht Preußens zu stützen, — die Machtlosigkeit der Paulskirche, wenn sie gegen Preußen handeln wollte, deutlich vor Augen stellte. Andererseits war aber der Waffenstillstand nach Droysens Ansicht „durch den Wahnwitz der preußischen Diplomatie" 1 ) verschuldet, — ein Beweis für die fortdauernde Eigensüchtigkeit der preußischen Politik und damit auch für die Notwendigkeit, ihr eine deutsche Fesselung anzulegen. Für diejenigen, die auf den preußischen Erbkaiser hinarbeiteten, handelte es sich also jetzt darum, ein nochmaliges Ausbrechen eines Konflikts zwischen Berlin und Frankfurt zu vermeiden, die Verhältnisse zwischen Berlin und Frankfurt endgültig zu klären, einen deutlichen Beweis zu liefern, daß Preußen in Frankfurt an die Spitze gestellt werden würde, so daß auch die preußische Außenpolitik zu einer stärkeren Anpassung an Frankfurt sich entschließen könnte. Gegenüber dem Frühjahr hat sich durch diese die Entblößung der Paulskirche von allen realen Machtmitteln zeigenden Vorgänge die Lage dahin verändert, daß, während damals die preußische Partei in Frankfurt von Preußen den ersten Schritt erwartete, sie jetzt bereit war, die Nationalversammlung selbst zum ersten Schritte zu veranlassen, der bewies, daß man Preußen in Frankfurt voranstellen wollte, und auf den hin dann sich die preußische Regierung der Paulskirche unterordnen könnte. Aus dieser Situation heraus ist die Aktion zu verstehen, in der Droysens Tätigkeit im Verfassungsausschuß kulminiert, und durch die sein und Dahlmanns Name mit der Verfassung der Paulskirche verknüpft geblieben ist: die Schaffung der Paragraphen 2 und 3 der Reichsverfassung. Droysen hatte bisher im Verfassungsausschuß nur selten das Wort genommen, vor allem, wenn es sich darum handelte, um Verständnis für die Lage Preußens zu werben oder die Notwendigkeit der preußischen Hegemonie nachzuweisen2). Jetzt verfaßte er zusammen mit Dahlmann die §§2 und 3 der Reichsverfassung3), in denen bestimmt war, daß kein Teil des Deutschen Reiches mit nichtdeutschen Ländern zu einem Staate vereinigt sein dürfe, und daß, wenn ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt habe, das Verhältnis zwischen beiden Ländern nach den Grund») Brf. I, 468. 2 ) Vgl. Droysen, Verhandlungen, 66, 6g f., m , 145 f., 177. •) Über die Entstehung der Paragraphen vgl. Droysen, Verhandlungen, 312 ff.; zur Autorschaft Dahlmanns und Droysens: A. Springer, Dahlmann, Leipzig, 1872, Bd. II, 308; Beseler a. a. O. 72; Haym a. a. O. Bd. II, 59.

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sätzen der reinen Personalunion zu ordnen sei1). — Diese Paragraphen scheinen vor allem aus doktrinären Anschauungen hervorgegangen zu sein2), sie entsprechen den Prinzipien der Bundesstaatstheorie, die durch das künftige Deutsche Reich verwirklicht werden sollte3), aber in Wirklichkeit bedeuteten sie doch eine Stellungnahme und eine Entscheidung über ganz aktuelle politische Fragen. Erstens waren sie von Bedeutung für die schleswig-holsteinischen Verhältnisse, sie errichteten hier einen festen Wall gegen die dänischen Ansprüche; vor allem aber berührten sie die Beziehungen Österreichs zu Deutschland, sie wurden von Droysen dem Verfassungsausschuß ausdrücklich als eine „Frage an Österreich"4) vorgelegt. — Die Wiederaufrichtung der Habsburgischen Macht in Böhmen und Italien durch die Siege Windischgrätz' und Radetzkys hatte eine Wandlung in den Anschauungen über die Zukunft Österreichs bewirkt. Die Wiederherstellung des alten Österreich oder eines zentralistischen Gesamtstaats war in den Bereich der Möglichkeit gerückt, und damit war auch die Frage, ob eine Eingliederung Österreichs in den deutschen Staatsverband möglich sei, in ein neues Stadium gekommen. So lief die Diskussion über die §§ 2 und 3 auf eine Debatte über die Zukunft Österreichs hinaus8). Bei strenger Durchführung dieser Paragraphen konnten Österreichs deutsche Staaten nur dann dem deutschen Bundesstaat angehören, wenn sie selbständige Verfassung und Verwaltung erhielten, wenn sich Österreich in eine reine Personalunion auflöste; bei jedem Versuch zu einer Gesamtstaatsverfassung mußte es aus dem deutschen Nationalstaat ausscheiden. — Sicher haben diese Paragraphen damals nur deshalb eine so starke Mehrheit gefunden, weil viele auf ihrer strengen Durchführung nicht bestehen wollten, weil sie als ein Mittel angesehen wurden, um von Österreich eine Erklärung darüber zu erlangen, unter welchen Bedingungen es zum Eintritt in den künftigen Bundesstaat bereit sei6); so bedeuteten diese Paragraphen l

) Vgl. den Entwurf Droysen, Verhandlungen, 415. ) Ihren „doktrinären" Bestandteil hebt schon Haym a. a. O. Bd. II, 62 hervor. •) Vgl. Droysen, Verhandlungen, 180: „Aber die Erörterungen, welche man gepflogen, hatten das Wesen des .Bundesstaates', dessen Formel man zu finden bemüht w a r . . . der Vorstellung näher gebracht." *) Vgl. Droysen, Verhandlungen, 313. 5 ) Vgl. vor allem die interessante Rede Dahlmanns bei Droysen, Verhandlungen, 324. •) So stimmte der spätere großdeutsche Jürgens für diese Paragraphen; vgl. auch G. Rümelin, Aus der Paulskirche, Berichte an den Schwäbischen Merkur aus den Jahren 1848 und 1849, Stuttgart, 1892, 1 1 2 f. l

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für viele wirklich nur eine „Frage an Österreich". Aber andererseits ist es ebenso sicher, daß die Anhänger des Hohenzollernschen Erbkaisers diese Regelung als endgültig ansahen, daß sie glaubten, daß Österreich diese Bedingungen ablehnen würde 1 ), und daß dann irgendein Zweifel, daß Preußen die Hegemonie zufallen müßte, nicht mehr bestehen könne2). Ein charakteristisches Zeichen dafür, daß in diesen Paragraphen ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur Hohenzollernschen Monarchie gesehen wurde, besteht auch darin, daß an einem Tage der Diskussionen über diese Paragraphen im Verfassungsausschuß Briegleb seinen, dem Plan Stockmars entsprechenden, Antrag über die mittelbaren und unmittelbaren Reichslande zur Sprache brachte 3 ), daß somit gleich die Bedingungen, die Preußen für die Kaiserkrone zu zahlen hätte, vorgelegt werden sollten. Für Droysen jedenfalls hieß, die Frage in dieser Weise stellen, sie auch lösen4). Der Anschluß der deutschen Staaten Österreichs, den „wir in dem Rausche glücklicher Hoffnungen, die uns der Frühling brachte, irgendwie erreichbar glaubten", scheint ihm jetzt unmöglich: „Die Gesamtmonarchie wird sich mit List und Gewalt, mit Schmeichelei und Schrecken zu erhalten wissen, wie einst, als die Erzherzöge den Kaiser Rudolf entsetzten. Dann doppelt not ist es, daß Deutschland die Bedingung fernerer Gemeinsamkeit an Österreich gestellt habe, nicht, damit sie erfüllt, sondern zurückgewiesen werde." ') Vgl. Brandenburg, Die Reichsgründung, 2. Auflage, Leipzig, 1922, I, 232: „Die Absicht der Mehrheit des Ausschusses, die diesen Antrag stellte, ging aber zweifellos dahin, die Oberhaupts würde dem König von Preußen zu übertragen und durch diese Bestimmungen Österreich zu der Erklärung zu nötigen, daß es dem neuen Reich nicht angehören könne." *) Vgl. dazu auch das Tagebuch von Ambrosch bei L. Bergsträßer, Das Frankfurter Parlament in Briefen und Tagebüchern, Frankfurt a. M., 1929, 44, und Fallatis Tagebuch vom 15. Oktober: „ . . . vorzüglich aber gewinnt die Ansicht immer mehr Boden, daß man Österreich nicht in den Bundesstaat werde aufnehmen können, sondern nur zum innigen Anschluß mit ihm gelangen werde. Dann ist Preußen unstreitig zu der Herrschaft, oder wenn dieser Ausdruck zu stark sein sollte, zu der Vorsteherschaft in Deutschland bestimmt. Alle Schwierigkeiten sind auch dann keineswegs beseitigt, einerseits bleibt die Schwierigkeit, den preußischen vereinigten Landtag zu beseitigen, der neben der Reichsversammlung nicht bestehen bleiben d a r f . . . " (Württembergische Vierteljahrshefte 1885.) *) Siehe Droysen, Verhandlungen, 346; zur Debatte über diesen Antrag kam es dann am 13. Oktober, Hübner a. a. O. 140 f. 4) Die folgenden Zitate stammen aus in Droysens Nachlaß befindlichen Entwürfen zu Zeitungsartikeln. Mitte Oktober.

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Nachdem also hiermit seiner Ansicht nach ein Beweis erbracht worden war, daß Preußen im künftigen Reich vorangestellt werden würde, schien es ihm an der Zeit, Berlin und Frankfurt wieder in nähere Verbindung zu bringen, schien es ihm auch für die preußische Regierung durchaus annehmbar zu sein, sich den Frankfurter Wünschen anzupassen. Er wirb(t jetzt um Bunsen als Reichsaußenminister1). Und als er nach der ersten Lesung der §§ 2 und 3 und ihrer Annahme durch die Nationalversammlung vom 29. Oktober bis zum 6. November in Berlin weilte, wies er dem preußischen Ministerpräsidenten Pfuel gegenüber auf die Bedeutung dieser österreichischen Beschlüsse und die Notwendigkeit offenster Verständigung zwischen Berlin und Frankfurt hin2) und drängt auf die Nennung einer der preußischen Regierung genehmen Persönlichkeit als Reichsaußenminister3). Droysens Berliner Reise4) trug keinen offiziellen Charakter: sie hatte familiäre Gründe und diente daneben dem Zweck politischer Information. Die Verhandlungen, die er damals trotzdem mit einzelnen Ministern des Kabinetts Pfuel führte, konnten aber schon deshalb kein Ergebnis haben, weil er in Berlin mitten in die große Krise hineingeriet, die zur Ernennung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten und zur Verlegung der preußischen Nationalversammlung nach Brandenburg führte. Wie von den inneren Verhältnissen Österreichs ein Anstoß auf das Frankfurter Verfassungswerk ausgegangen war, wie sich dadurch die Notwendigkeit der preußischen Hegemonie schärfer abgezeichnet hatte, so bildete die innere Entwickelung in Preußen in den letzten Monaten die Grundlage der neuen Verständigungsversuche zwischen Berlin und Frankfurt, so war dadurch eine Anlehnung der preußischen Regierung an Frankfurt wahrscheinlich geworden. — In Preußen hatte sich eine neue Revolutionswelle ausgebreitet. Das Königtum konnte sich der Linken der l ) Vgl. Brf. I, 468, Nr. 291. — Seine eventuelle Zustimmung zu einem Wahlkaiser ist rein taktisch zu werten, als Entgegenkommen gegen die von Bunsen in seinem „Sendschreiben" verkündeten Ideen. *) Hübner a. a. O. 827: „ B e i m Heimgang traf ich General Pfuel; ich suchte ihn von der Bedeutung unsres österreichischen Beschlusses, von der Stimmung Frankfurts für Preußen, von der Notwendigkeit offenster Verständigung zu überzeugen." — Ganz anders, meiner Ansicht nach abwegig, interpretiert Fenske a. a. O. 162 f. Droysens Besprechungen über die „österreichischen Beschlüsse". *) Brf. I, 4 7 2 : „ I c h bat dringend um Beschleunigung der Frage wegen des auswärtigen Ministeriums", auch 474, Hübner a. a. O. 827. *) Vgl. über dieselbe Hübner a. a. O. 826—830 und Brf. I, 4 7 1 — 4 7 7 .

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Berliner Nationalversammlung kaum noch erwehren, die auch gegen die ihr zu gemäßigte Frankfurter Nationalversammlung opponierte. Jetzt, Anfang November, kam der Konflikt zwischen Königtum und Nationalversammlung auf seinen Höhepunkt. Es schien fast selbstverständlich, daß das preußische Königtum, wenn ihm von Frankfurt aus ein Bündnis gegen den gemeinsamen Gegner, die Berliner Kammer, angeboten würde, dieses annehmen, daß es auch auf die Bedingungen Frankfurts eingehen würde, wenn dieses ihm nicht nur Beistand in seiner Bedrängnis, sondern eine Machterhöhung versprach. So schien der Augenblick gekommen, alle die Pläne, die man im April und Juli vergeblich in Angriff genommen hatte, jetzt zur Durchführung zu bringen. Der November 1848 hat für die Beziehungen Frankfurts und Berlins entscheidende Bedeutung erlangt. „Man sieht die Schiffe gleichsam in jäher Wendung, und die Kompaßnadel in zitternder Bewegung" 1 ). Mit welchem Eindruck von der Krise in Preußen kehrte Droysen nun nach Frankfurt zurück? Von beiden Seiten, vom König sowohl wie von der Linken, scheint ihm ein entscheidender Konflikt angestrebt zu werden2). Wenn aber der König den Kampf auf Ernennung des Ministeriums eröffnete, so glaubt Droysen nicht, daß sich dies Ministerium wird halten können3); offenbar hält er also den König für die schwächere Partei, er schätzte die Macht der radikalen Kräfte sehr hoch ein, und es geht ihm erst hier die Meinecke, Weltbürgertum, 395, der auch im ganzen zu vergleichen ist. — Fenske behandelt die Novembervorgänge a. a. O. S. 1 6 1 — 1 7 0 ; er stützt seine Darstellung fast ausschließlich auf das Tagebuch und den Briefwechsel Droysens, verkennt, daß sich die Äußerungen Droysens nur aus dem Zusammenhang der Bestrebungen des Gagernschen Kreises erklären lassen, und vermag so nicht zu sehen, was damals wirklich entscheidend und was gleichgültig war; deshalb erübrigt sich auch eine Polemik im einzelnen. 2 ) Brf. I, 4 7 5 : „ I c h glaube zu wissen, daß man in Potsdam nicht nachzugeben gemeint ist, sondern den Konflikt will. Tolle Wirtschaft: diese Versammlung bricht die Gelegenheit vom Zaun, die äußersten Maßregeln zu ergreifen, und die Krone tut das gleiche." 3 ) Brf. I, 47Öf.: „ E i n mir bekannter Mann von Einfluß hat gestern um 1 2 Uhr mit dem König und den Prinzen verhandelt und sie ohne Mühe überzeugt, daß es mit Brandenburg nicht gehen werde, daß man aus der Kammer ein Ministerium bilden müsse"; vgl. auch Hübner a. a. O. 830: „ I c h erfuhr, daß es bei Brandenburg noch geblieben sei. Doch hatte er Unruh gesprochen." E r glaubt also nicht, daß sich Brandenburg wird halten können, und nimmt seine Ersetzung durch ein gemäßigtes Ministerium aus der Kammer an.

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Größe der Gefahr auf, die von dieser Seite den Frankfurter Plänen droht1). So kulminiert seine Anschauung in dem Satz: „ E s ist mir völlig gewiß, daß Frankfurt bald die einzige Rettung für Preußen . . . sein wird" 2 ). Er glaubt, daß Frankfurt eine vermittelnde Stellung zwischen Reaktion und Revolution in Preußen einnehmen könne, daß es die Macht in Händen habe, durch seine Entscheidung der gefährdeten Krone gegen die revolutionären Kräfte das Ubergewicht zu verschaffen, und so wird er die Ansicht gehabt haben, daß es für seine Unterstützung auch seine Bedingungen stellen könne. Wir wollen nun keineswegs behaupten, daß Droysen diese Ansicht über die Lage der Dinge in Preußen im Gagernschen Kreise durchgesetzt habe. Sie lag in der ganzen Situation zu nahe, als daß es dazu besonderer Einwirkungen bedurft hätte. Aber diese Ansicht, die sich bei ihm durch seinen Berliner Aufenthalt festgesetzt hatte, und die er nach seiner Rückkehr in einer Zusammenkunft bei Gagern offenbar auch ausführlich dargelegt hat 3 ), gewährt einen tiefen Einblick in die Grundanschauungen, von denen der Gagernsche Kreis damals in den Novemberverhandlungen ausgegangen ist; durch diese irrige Anschauung über die Kräfteverteilung in Preußen ist auch das völlige Scheitern dieser Verhandlungen herbeigeführt worden. Gegenüber den Frühjahrsmonaten hatte sich die parteipolitische Situation in der Paulskirche völlig verändert. Die Stellungnahme zu der Frage des Eintritts der deutschen Staaten Österreichs in das künftige Reich bildete jetzt den entscheidenden Gegensatz, demgegenüber alle anderen Differenzen verblaßten. So war auch die ehemalige Mehrheitspartei der Paulskirche gesprengt, und Gagern, der am 26. Oktober zum ersten Male sein Programm vom engeren und weiteren Bunde dargelegt hatte, war jetzt nicht mehr der Repräsentant der Paulskirchen-Mehrheit, sondern der Führer der erbkaiserlichen Partei geworden. In dem engeren Kreis, der diese Partei leitete, und der sich um Gagern l ) Brf. I, 4 7 2 : „ D i e Versammlung hier ist scheußlich, banausisch. Aber die Linke hat so bedeutende Stimmenzahl, daß ihre wachsende Opposition gegen uns bedenklich wird."

*) Brf. I, 4 7 4 : der Satz heißt vollständig: „ E s ist mir völlig gewiß, daß Frankfurt bald die einzige Rettung für Preußen, ich meine den Staat, sein wird." Was Droysen mit dem Ausdruck „ich meine den S t a a t " sagen will, ist mir nicht klar; sollte er auf den Gegensatz: „ S t a a t " und „ M a c h t " anspielen ? ') Hübner a. a. O. 830, Tagebuch, 12. November.

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zusammengeschlossen hatte, sind, wie sich aus Droysens Tagebuch ergibt, am 12., 15. und 19. November Beratungen abgehalten worden1), in denen die sich aus der preußischen Krise ergebende Situation und die Möglichkeiten des Handelns erörtert worden sind. Uber diese Beratungen läßt sich nun das Folgende entnehmen: in den Briefen Mevissens und Droysens, die beide an ihnen teilgenommen haben, findet sich die Nachricht, daß die Verfassungsberatung aufs äußerste beschleunigt würde, daß es möglich sei, sie in zwei Wochen abzuschließen2), den Abschluß bildete für diese Partei aber eben die Übertragung der Kaiserkrone an den Hohenzollemschen Monarchen. Damit wurde aber auch die Frage der Auflösung Preußens von neuem aktuell. Auch sie ist in den Beratungen am 15. November erörtert worden3), und es mögen sich in diesem Augenblicke keine großen Widerstände gegen diesen Gedanken geregt haben, der sichtlich das beste Mittel war, alle weiteren Widerstände gegen die preußische Hegemonie zu besiegen. Wenn man hinzunimmt, daß am 19. November in einer Sitzung dieses Kreises der Antrag über den Konflikt in Preußen arrangiert worden ist4), durch den sich die Nationalversammlung eine schiedsrichterliche Stellung in dem Konflikt zwischen Krone und Parlament beilegte6), so wird deutlich, daß es diesem Kreise offenbar in der damaligen Situation möglich erschien, den Gedanken der Aufteilung Preußens bei der preußischen Regierung durchzusetzen. Der Rücktritt Schmerlings und statt seiner der Eintritt Gagerns in das Ministerium sollte dann zeigen. ») Vgl. Hübner a. a. O. 830, 8 3 1 . *) Für Droysen vgl. den zweiten Absatz des Briefes an Simson Brf. I, 4 7 7 f., auch 4 8 2 : „Schon waren wir daran, den König inmitten dieser Krisis zum Reichsoberhaupt zu proklamieren"; für Mevissen vgl. Hansen a. a. O. II, 444: „Binnen 14 Tagen ist, hoffe ich, die deutsche Verfassung definitiv festgestellt; die Beratung wird jetzt Hals über Kopf beschleunigt." — Vgl. auch Ambrosch bei Bergsträßer a. a. O. 52. ' ) Vgl. Tagebuch, 15. Nov., Hübner a. a. O. 831, vor allem aber Brf. I, 478, die in Betracht kommende Stelle zitiere ich ausführlich S. 1 1 0 . — Für die Bedeutung dieser Idee im November vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 396. *) Hübner a. a. O. 8 3 1 ; vgl. aber auch die Befriedigung, die Droysen über die Annahme dieses Antrages ausspricht, 832: „ E s war ein großer und so Gott will entscheidender Moment. Ich schrieb während der Sitzung flehentlich an Kopisch, daß man in Sanssouci uns nun auch souteniere." s ) „Schiedsrichterliches V o t u m " nennt Rümelin die Entscheidung der Paulskirche in der preußischen Sache, Rümelin a. a. O. 124. — Zu dem Antrag vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 398 f.

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daß die Stunde der Entscheidung gekommen sei1). Das möchte ich als das Aktionsprogramms ansehen, das in den Beratungen des Gagemschen Kreises Mitte November festgelegt worden ist. — Damit stimmt es überein, daß Beseler am 20. November im Verfassungsausschuß Dahlmanns Antrag über die Kreiseinteilung zur Sprache brachte2); aber schon am 23. November zog Dahlmann diesen Antrag wieder zurück, weil er den Zeitpunkt nicht für geeignet halte3); die Nachrichten, die inzwischen über die preußischen Vorgänge hereinströmten, ließen es ihm offenbar inopportun erscheinen, jetzt mit diesem Gedanken hervorzutreten. Droysen jedenfalls, der auch jetzt wieder zu den eifrigsten Vorkämpfern dieses Gedankens gehörte, verhehlte sich nicht, wie aus einem Brief an Simson vom 24. November hervorgeht, daß im jetzigen Augenblick dieser Gedanke anarchische Zustände in Preußen hervorrufen könnte: „Diese unselige Spitze! Man denkt sich ganz dumm an dem Dinge. Die Frage ist noch um keinen Schritt weiter, als sie war, da wir gemeinsam bei Beseler darüber berieten ; ja sie ist weiter zurück als damals. Ich bin in Verzweiflung, in der, die stets die notwendige Folge der Ratlosigkeit ist. Noch immer halte ich an der Idee der Kreiseinteilung. Fordern wir solches Opfer von Preußen, so können wir Deutschland mit der einzigen Möglichkeit, die es für unsere Zukunft auf dem monarchischen Wege gibt, versöhnen. Aber jene Idee in diesem Augenblick in die V\ elt geworfen, wo sich mehr als eine Provinz auf eigene Hand zu konstituieren versucht, zerreißt die Monarchie, ohne dem Reich die Kräfte zu retten, deren es nicht entbehren kann. Und wieder den jetzigen Augenblick versäumen heißt der Krone und, was gefährlicher ist, der Gesamtrepräsentation Preußens neue Chancen bieten und jenen kühnen Wurf ins Nichts fallen lassen. W ie man sich auch mit den Berliner Ständen stellen mag, für Deutschland bleiben sie eine Kalamität: mit der Konsequenz jener Kreiseinteilung hätte man sie ein für allemal überseitigt. Aber würde die Krone selbst jetzt sich soweit herbeilassen, selbst um den Preis, der Dynastie Deutschland zu gewinnen"4) ? Diese N orte bringen eine Bestätigung der Anschauung, daß Droysen die revolutionäre Bewegung für ungeheuer stark hielt; er sah ja sogar die Gefahr völliger Anarchie in Preußen für gegeben an. ') Vgl. Hübner a . a . O . 831: Tagebuch, 15. Nov.; auch Tagebuch, 4. Dezember, 835: „Langes Debattieren, ob Gagern nun einzutreten habe ins Ministerium." 2 ) Siehe Hübner a. a. O. 227 f.; vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 396. 3 ) Siehe Hubner a. a. O. 248; vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 403. 4 ) Brf. I, 478.

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Dann aber zeigen sie, wie er an seinen Gedanken, daß eine konstitutionelle Abschließung Preußens um der deutschen Zukunft willen nicht erfolgen dürfe, festgehalten hat; aber sie zeigen auch, wie die Möglichkeit, diesen Gedanken jetzt durchzuführen, auf der einmaligen Situation beruht, daß sich in Preußen die revolutionären und die reaktionären Kräfte das Gleichgewicht hielten, und daß die Frankfurter Versammlung durch das moralische Gewicht, das ihr innewohne, den Ausschlag in dieser Balancestellung geben könne. Aber es sprechen sich in ihnen auch schon die ersten Zweifel aus, ob diese ganze Berechnung richtig ist, denn die Furcht, daß der König die Frankfurter Vorschläge abweisen könnte, bedeutete ja eben das Wanken der Grundlage, von der die Frankfurter in ihren Verhandlugen ausgingen. So kündet sich in diesen Worten Droysens schon die unvermutete Wendung an, die die Verhandlungen zwischen Frankfurt und Berlin in den letzten Tagen des November zu nehmen begannen. — Die Berliner Mission Bassermanns hatte den Auftakt zu diesen Verhandlungen gebildet. Sie waren dann von den Reichskommissaren Simson und Hergenhahn, die Angehörige des Gagemschen Kreises waren und an der Beratung des 15. November teilgenommen hatten, fortgesetzt worden und gipfelten in Heinrich von Gagems Werben um Preußen1). — Als Droysen am 8. November wieder in Frankfurt eintraf, war die Entsendung Bassermanns schon erfolgt: „Mit Entsetzen höre ich, daß abends vorher Bassermann abgeschickt ist; ich sprach mein ernstliches Bedenken darüber sofort aus" 2 ). V\ ieso ist er über diese Entsendung so entsetzt, trotzdem er kurz davor geschrieben hatte, „daß ein zuverlässiges Mitglied unsrer Versammlung hier allerdings etwas zu tun finden kann" 3 ) ? Nur durch eine Hypothese, für die Quellenbeweise nicht vorhanden sind, vermag ich mir das Erschrecken Droysens zu erklären. Droysen empfand die preußischen Zustände, vor allem aber das Ministerium Brandenburg, als eine vorläufige Regelung und fürchtete, daß Bassermann bei seiner gouvernementalen Einstellung dieses Ministerium unterstützen und damit den Einfluß Frankfurts, den Droysen als entscheidend betrachtete, für ein reaktionäres Ministerium, das sich keinesfalls in Preußen halten würde — also zu früh und vergeblich —, in die V\ aagschale werfen würde. Eben dieser Glauben an die Ubermacht der revolutionären Kräfte bildet jedenfalls die Grundlage der Haltung der Erbkaiserpartei in den weiteren Unterhandlungen, macht es verständlich, daß sie den Antrag, der l

) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 400 ff. *) Hübner a. a. O. 830; Tagebuch, 8. November. ») Brf. I. 477.

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am 20. November in der Nationalversammlung über die preußischen Angelegenheiten beraten wurde, für sehr gemäßigt, ja für eine Unterstützung des Königs gewertet sehen wollte1), daß sie die Forderung der Reichskommissare auf Entlassung des Ministeriums nicht als eine Zumutung empfand, sondern an die Erfüllung dieser Forderungen glaubte. Die endgültige Wendung und der Abschluß dieser Verhandlungen wurde dann durch die Oktroyierung der preußischen Verfassung bewirkt. Von einem solchen Plane hörte Droysen schon bei seinem Aufenthalte in Berlin, und er wird wohl der erste gewesen sein, der von solchem Projekt nach Frankfurt berichtet hat2). Aber dieser Gedanke scheint dort zuerst kein allzu großes Erschrecken hervorgerufen zu haben, da man an die Durchführbarkeit eines solchen Planes durch ein reaktionäres Ministerium nicht glaubte3). Ja, es scheint sogar in dem Kreise um Gagern der Gedanke erörtert worden zu sein, ob vielleicht, wenn man eine Umbildung des Ministeriums in liberalem Sinne erreichte, es nicht angebracht sei, wenn dieses eine provisorische Verfassung oktroyierte4). Man hoffte vielleicht, durch ein derartiges Provisorium bis zur Beendigung der Reichsverfassung, die ja nach den Plänen der Gagernschen Partei nicht mehr lange auf sich warten lassen sollte, allgemeine preußische Stände zu vermeiden. Wieso ist aber dann Simson durch den Oktroyierungsgedanken so erschreckt worden, daß er nach zweitägigen Verhandlungen in Berlin wieder nach Frankfurt zurückkehrte und Gagern zu seiner Unterstützung herbeiholte5) ? Er erkannte wohl, daß Neben den oben (109 Anm. 4) angeführten Zeugnissen Droysens vgl. auch Ambrosch bei Bergsträßer a. a. O. 52. *) Brf. I, 476: „es scheint, man will eine möglichst freisinnige Verfassung g e b e n , etwa die im Zentralausschuß zur Beratung vorliegende." — Nach Brandenburg, Urkunden, 137, war der Plan schon im September erwogen worden. Am 1 1 . November schrieb dann Möller an Mevissen von dem Projekt (Hansen a. a. O. II, 442). ') Vgl. Hansen a. a. O. II, 445: „Weist die Krone eine solche [Verständigung] zurück, will sie, eigenmächtig die Kammer auflösend, dem Lande eine Verfassung oktroyieren, so schweift sie, wie ich glaube, tollkühn hinaus über das Mögliche und Ausführbare." 4 ) Dies empfiehlt Mevissen an Simson (Hansen a. a. O. II, 445); vgl. aber auch Brf. I, 479: läßt Kopischs Antwort auf Droysens leider verlorengegangenen Brief nicht vermuten, daß auch Droysen einen solchen Rat an Friedrich Wilhelm IV. gelangen lassen wollte? 6 ) Vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 402 ff.; allerdings greife ich etwas schärfer auf die Anschauungen B. von Simsons, Eduard von Simson, Leipzig, 1900, 134, zurück, daß für ihn die Vermutung, daß die Oktroyierung für das Ministerium siegreich ausgehen würde, entscheidend gewesen sei.

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die Anschauung, auf der seine Instruktionen beruhten, daß die preußische Regierung sich nur mühselig gegen die Revolution halten könne, und daß allein die Unterstützung Frankfurts dem Könige die Macht erhalten könnte, hinfällig geworden war. Denn seit dem 15. November war der entscheidende Umschwung in der Stimmung in Preußen zugunsten der Regierung erfolgt, und damit war der Oktroyierungsgedanke zu einer wirklichen Gefahr geworden. Er konnte mit dem Siege des Ministeriums enden, die Verhandlungsgrundlage war völlig verändert. — Simson, der ja nicht nur Beauftragter des Ministeriums war, sondern auch an den Beratungen des Gagernschen Kreises teilgenommen hatte, wird zudem vor Augen gehabt haben, welche Bedeutung ein solcher Ausgang für die Pläne seiner Gesinnungsfreunde haben mußte. So holte er Gagern nach Berlin, der allein berechtigt schien, im Namen der Paulskirche zu sprechen, und durch die deutschen Perspektiven, die er eröffnete, vielleicht imstande war, diese Gefahren zu bannen. — Aber die Entscheidung lag jetzt wieder in Berlin. Frankfurt war nicht mehr das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag nach der Seite des Königs oder der Revolution geben konnte. Die Art, wie die Erbkaiserlichen wieder in die Rolle der Bittsteller gedrängt waren, kommt in dem Briefe, den Droysen in diesen Tagen an Arendt schrieb1), kommt in seiner Tagebuchnotiz, daß man sich „mit gebundenen Händen" den Hohenzollern hingegeben habe2), sehr deutlich zum Ausdruck. E r sucht nach seinen Kräften die Entscheidung des Königs zu beeinflussen, durch einen Brief an Kopisch3) und durch Unterredungen mit Willisen4), beides Vertraute Friedrich Wilhelms IV. In der Unterredung mit Willisen bringt er die Pläne zur Aufteilung Preußens zur Sprache, noch immer schien ihm die Erfüllung seiner Ideen nahe. Dann kamen aber von Gagern schlechte Nachrichten6), es wurde klar, daß sich das Aktionsprogramm des November nicht durchführen ließ, und als dann am 5. Dezember die Nachricht von der Oktroy») Brf. I, 482, Nr. 299. ») Hübner a. a. O. 833. ') Brf. I, 486, Nr. 301. 4 ) Vgl. Hübner a. a. O. 833; Tagebuch, 29. November. Auf Besprechungen mit Droysen könnte also Willisens Brief vom 30. November zurückgehen; vgl. Meinecke, Weltbürgertum, 409. — Anders Fenske a. a. O. 149, der verkennt, daß der Gedanke der Kreiseinteilung nichts anderes ist als der alte Gedanke der Auflösung Preußens. 5

) Tagebuch, 30. November, Hübner a. a. O. 834.

Beiheft d. H. Z. 30.

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ierung der preußischen Verfassung in Frankfurt eintraf, schrieb er in sein Tagebuch: „Das heißt man Finten durchhauen"1). IV. Die Konstitutionalisierung Preußens mußte für Droysen mehr bedeuten, als daß einem politischen Schachzug durch einen geschickteren entgegnet war. Nach seinen bisherigen politischen Anschauungen machte der Übergang Preußens zum konstitutionellen System die Einigung Deutschlands unmöglich, bedeutete er das Ende der preußischen Zukunftsmöglichkeiten. Aber er konnte sich doch nicht verhehlen, daß die Lebenskraft, die Preußen in der revolutionären Bewegung bewiesen hatte, seiner Lehre vom Wesen des preußischen Staates widersprach. Die Wandlung, die sich bei den ersten Äußerungen des preußischen Selbstgefühls im Juli vorbereitet hatte, kam jetzt unter dem Eindruck der Konstitutionalisierung Preußens zum entscheidenden Durchbruch. Schon am 2. Dezember schreibt er an Olshausen Betrachtungen über das Wesen der Politik, die wie eine Selbstkritik seiner eigenen vorrevolutionären Betrachtungsart klingen2): „Ich habe immer geahndet, wie unendlich groß der Unterschied ist zwischen dem bloß W ohlgemeinten und dem Staatsmännischen; und mit Schrekken sehe ich, daß es freilich einfacher und bequemer ist, ein Prinzip und dessen Konsequenzen zu vertreten, als geltend zu machen; daß in der Politik, der W issenschaft des Möglichen, das Beste verderblich ist und nur das Gute, ja das Leidliche seinen Wert hat. Gewiß aber ist, daß wir hier eine Schule durchleben, wie sie lehrreicher gar nicht zu denken ist; nur daß auch zum Lernen eine Kraft, eine Selbstverleugnung und Wahrhaftigkeit gehört, die nicht jedermanns Sache ist." Am 7. Dezember, bei der Nachricht der Oktroyierung der preußischen Verfassung, notiert er in sein Tagebuch: „Offenbar wandeln sich die Schwerpunkte unsrer Politik schnell und entschieden"3). Und gegen Weihnachten entwarf er eine Denkschrift, die in ihrem Inhalt eine umfassende Revision seiner bisherigen Grundgedanken bedeutete4): „Wir begannen mit der stolzen Hoffnung, eine einige deutsche Politik schaffen, mit ihr das pentarchistische System von 1815 durchbrechen zu können . . . Die Wirklichkeiten entsprachen diesen parlamentarischen Antizipationen wenig . . . Mit dem ') Tagebuch, 7. Dezember, Hübner a. a. O. 835. «) Brf. I, 483. *) Hübner a. a. O. 835. 4 ) Im Nachlaß; leider läßt sich über den Zweck dieser nur ganz fragmentarisch erhaltenen Denkschrift nichts erkennen.

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Siege Radetzkys war Österreich als europäische Großmacht wenn nicht hergestellt, so doch wieder möglich . . . Für Deutschland ein entscheidendes Ereignis. Kurzsichtige mochten eine Zeit lang für möglich gehalten haben, daß die Monarchie zerfallen, daß Wien eine deutsche Grenzstadt werden konnte 1 ); kein deutscher Patriot hat es hoffen können. Aber die Frage über die Zukunft Deutschlands war zu einer einfachen Alternative geworden.—Denn bis dahin hatte das Geschick Deutschlands in Frankfurt einen idealen Gravitationspunkt gehabt . . . in demselben Augenblick gab die Krone Preußens, die völlig damiederzuliegen, die von Osterreich überholt, sich in den Schutz Rußlands flüchten zu müssen schien, jene demokratische Verfassung, die die glorreichen Anfänge von 1808 vollendete. Es war ein Staatsstreich hochherzigster Kühnheit; mit ihm nahm Preußen schärfer und straffer denn je seine Stellung Österreich gegenüber, an der Spitze der deutschen Entwickelung . . . Was auch das Parlament gut oder übel getan — gewiß ist, daß es jetzt nur noch eine Entscheidung zu machen hat. Und es wird Großes bewirken, wenn es diese mit Weisheit macht; wenn nicht, so ist es vollkommen gleichgültig, was es beschließt, wie in dieser so in jeder anderen Frage, die Geschichte verläßt dann die Stelle, wo man sie mißverstanden . . . " „Besser als wir würdigen die praktischen Engländer den alten griechischen Spruch: .Geld ist der Mann'! Und gar das gleiche: .Macht ist der Staat' scheinen wir mehr zu beargwöhnen als zu begreifen. Mit allen unseren Grundrechten und Verfassungsformen ist es nichts, wenn wir nicht verstehen, unser .Reich' zu einer Macht zu erheben. J a , so sehr kommt es auf Macht und nur auf Macht an, daß selbst die Freiheit wertlos ist, ohne sie." In diesen Sätzen erschüttert am stärksten, daß Droysen, der aus seiner ethischen Grundanschauung heraus Macht und Staat in Gegensatz zueinander gestellt hatte, hier jetzt verkündet, daß der Staat vor allem Macht sei; in den Wirren des Jahres 1848 ist eine neue historisch-politische Anschauungsweise geboren. Aber diese VY andlung steht in engstem Zusammenhang mit dem gleichfalls hier zum ersten Male ausgesprochenen Gedanken, daß auch das konstitutionell geschlossene Preußen die Schutzmacht Deutschlands sein kann und sein muß. Erst dadurch, daß er zu der Erkenntnis gekommen ist, daß alle Staaten auf der gleichen natürlichen Grundlage beruhen, daß sie nicht qualitativ wertmäßig ') Droysen hat dies selbst geglaubt. Diese Wendung ist wohl durch den uns unbekannten Zweck der Denkschrift eingegeben.

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unterschieden sind, ist es nicht mehr notwendig, den preußischen dem deutschen Gedanken unterzuordnen, kann sich bei ihm jetzt die Alternative, daß es für die deutsche Frage eine Lösung vom deutschen und vom preußischen Zentrum aus gibt, ausprägen. „Entweder Preußen kann in Übereinstimmung mit Österreich verfahren, d. h. zu jenem unglücklichen Zustande zurückkehren wollen, in dem es unter den fünf großen Mächten die kleinste war; nur daß es dann jetzt unendlich tiefer sinkt, als es vor 1848 stand; denn es hat dann seinen Beruf aufgegeben; und Sachsen kann lehren, was das bedeutet. Oder Preußen erkennt seinen deutschen Beruf und ist entschlossen, ihn hinauszuführen. Denn jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, den entscheidenden Schritt zu tun. Es kann sich entweder auf sich selber stützend mit der Sache Preußens die Deutschlands vertreten wollen; besäße es in Berlin ein Parlament, auch nur so leidlich wie das hiesige, so wäre es unbedenklich, uns zu opfern, so würde es sich nehmen müssen und können, was ihm gebührt. Oder — und das ist das Größere — es entschließt sich als die deutsche Macht zu handeln. Dann ist das Erste, daß es sich auf Frankfurt stützt, wie denn schon bisher die Regierung des Reichsverwesers nur von Preußen existierte" 1 ). So schreibt er am 3. Januar an Kopisch; wird er aber jetzt noch daran gezweifelt haben, daß für die ] reußische Regierung nur die Lösung vom preußischen Zentrum aus in Frage kam? Die Aufgabe der Paulskirche jedenfalls bestand für ihn nunmehr einzig und allein darin, der preußischen Regierung einen Rechtstitel für eine entschlossene deutsche Politik zu schaffen. Davon, ob die Nationalversammlung diese Aufgabe erfüllte, hing ab, ob sie eine geschichtliche Bedeutung haben werde oder nicht2). Welche Bedeutung hat aber für Droysen jetzt noch der Gedanke der Auflösung Preußens3) ? Stand bei ihm auch weiterhin, wie bei Gagern oder Dahlmann, diese Absicht im Hintergrunde seiner Kaiserpläne ? Seit dem Dezember 1848 ist keine Äußerung Droysens über eine Zerstückelung Preußens erhalten. Eine aktuelle Bedeutung maß er diesem Plan sicher nicht mehr bei. Er konnte an die Übertragung der Kaiserwürde an Friedrich WilBrf. I, 505. ) Die weitere politische Tätigkeit Droysens in Frankfurt wird ausführlich erzählt von Fenske a. a. O. 169—203; ich hebe nur die für unsern Zusammenhang wichtigen Momente heraus, weiche allerdings in der Beurteilung dessen, was für Droysen in den letzten Frankfurter Monaten von Bedeutung war, weitgehend von Fenske ab. 3 ) Über die Fortentwickelung dieses Gedankens vgl. Meinecke, Weltbürgertum, Buch II, Kap. V. 2



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heim IV. jetzt nicht mehr irgendwelche Bedingungen knüpfen wollen. Das geht aus seinen Gedanken über die Rolle, die die Paulskirche jetzt noch habe, klar hervor. Vor allem für die jetzt kommenden Monate ist die Anschauung, daß Droysen in der Erbkaiserpartei die schärfste preußische Note vertreten habe, berechtigt 1 ). Ein Gegensatz zu Gagern, der ja bis zuletzt von einem rein deutschen Standpunkt ausging, und der innerlich also jetzt sicher vorhanden, stellte sich aber fürs erste äußerlich noch nicht heraus, da die Verhandlungen über die österreichische Frage alle andern Gegensätze in den Hintergrund drängten. Es handelte sich darum, ob es möglich wäre, unter Einbeziehung der deutschen Staaten Österreichs zu einer festeren staatlichen Bindung zu gelangen, oder ob die österreichische Politik bei den darüber angeknüpften Verhandlungen nur darauf gerichtet wäre, einen festeren staatlichen Zusammenschluß Deutschlands zu verhindern. Wenn sich die letztere Ansicht durchsetzte, mußte es für jeden Anhänger eines in sich geschlossenen Nationalstaats klar sein, daß man auf die Macht Preußens als Rückhalt gegen die österreichischen Ansprüche angewiesen war und sich auch Preußen anpassen mußte. So ist — und darin scheint mir ein ganz bewußter Gegensatz zu den Strömungen zu liegen, die noch immer Bedingungen an Preußen stellen wollten — Droysens ganze Politik darauf gerichtet, die Unüberwindlichkeit des Gegensatzes von Wien und Frankfurt nachzuweisen und einen Bruch herbeizuführen. Es zeigt sich dies zuerst in seiner Beteiligung an den Bemühungen, Schmerling aus dem Reichsministerium zu entfernen. Am 15. November, als Bestandteil des Novemberprogramms, hören wir zum ersten Male von diesem Projekt 2 ). Als am 2. Dezember die Nachricht vom Programm von Kremsier in Frankfurt eintrifft, erscheint ihm ein Bleiben Schmerlings nicht mehr möglich3), und er wirkt auf das engste mit G. Beseler zusammen4), der die entscheidende Aktion leitete5), infolge der Schmerling am 15. Dezember zurücktrat und l ) Vgl. z. B. Laube a. a. O. IX, 50, der von Georg Beseler und Droysen sagt, daß sie „ a m völligsten nordisch" waren. s ) Siehe Hübner a. a. O. 831. ') Siehe Hübner a. a. O. 834: Tagebuch, 30. Nov. und 3. Dez. — Ich möchte übrigens auch die Notiz vom 4. Dez. (Hübner a. a. O. 835): „Langes Debattieren, ob Gagern nun einzutreten habe ins Ministerium" so deuten, daß debattiert wurde, ob jetzt der Augenblick gekommen sei, daß Schmerling zurückzutreten und statt seiner Gagern einzutreten habe; anders Meinecke, Weltbürgertum, 410, Anm. *) Vgl. Hübner a. a. O. 836 i. ») Siehe H a y m a. a. O. Bd. II, 128 f.

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Heinrich von Gagern die Leitung des Reichsministeriums übernahm. Als dann die östereichische Note vom 28. Dezember eintraf, die den Auftakt zu weiteren Verhandlungen mit Frankfurt bilden sollte, indem in ihr ausgeführt wurde, daß Gagerns Auslegung des Programms von Kremsier irrig sei und Österreich nicht die Absicht habe, aus Deutschland auszuscheiden, sieht Droysen darin vor allem die Gefahr, daß Österreich die Sache „hinziehen" könne1). Er erwartete, daß Gagern unbeirrt auf seinem bisherigen Standpunkt beharren und, wenn die Nationalversammlung ihn mißbilligte, zurücktreten würde; ja, sogar der Gedanke eines österreichisch-preußischen Krieges steigt in ihm auf.2) Er gibt dann allerdings zu, daß Gagern wohl nicht anders handeln konnte, als seine Bereitschaft zu Verhandlungen mit Österreich über die Möglichkeit seines Eintritts in den deutschen Bundesstaat zu erklären3). Aber nur mit Bedauern konstatiert er diese Notwendigkeit, und darin liegt doch wohl ein wesentlicher Gegensatz zu Gagerns Anschauung; enger und weiter Bund bildeten für Gagern zusammengehörige Bestandteile eines Programms, in seiner mildernden Art bildete er sich auch jetzt noch ein, beides erreichen zu können, während für Droysen der weitere Bund wohl nur ein taktisches Mittel war, um bei den auswärtigen Mächten, bei Friedrich Willi Im IV. und bei der Mehrheit der Paulskirche den engeren Bundedurchsetzen zu können4). Um eben in der Paulskirche diesen einzigen noch möglichen Abschluß ihrer Arbeiten zu erreichen, suchte er immer wieder auf die preußische Regierung einzuwirken, daß sie durch einen entschiedenen Schritt ihre Bereitschaft zur Annahme der Kaiserwürde kundgäbe, und in diesem Sinne begrüßt er die preußische Zirkularnote vom 23. Januar als bedeutungsvolles Ereignis5); als ihr Gegenstück sieht er die österreichische Note vom 4. Februar an, sie scheint ihm das geeignete Mittel, die Unmöglichkeit einer engeren Verbindung mit Osterreich zu konstatieren und den Verhandlungen einen entschiedenen Impuls zu geben6). Daß Gagern diese Gelegenheit zum Bruch mit Wien ungenützt vorübergehen ließ, macht er ihm zu schwerem Vorwurf. Von der Paulskirche scheint ihm damit für die Zukunft Hübner a. a. O. 841. ) Vgl. den Brief an Kopisch vom 3. Januar Brf. I, 503 ff. *) Tagebuch, 4.—26. Januar: Hübner a. a. O. 841. 4 ) Nach Haym a. a. O. Bd. II, 75 hätte Droysen von vornherein gegen Gagerns Plan vom weiteren Bunde opponiert. 6 ) Brf. I, 5 1 7 : „ E s ist endlich der Akt unabhängiger und deutscher Politik, den wir von Preußen solange vergeblich erwartet." •) Tagebuch, 10. u. 1 1 . Februar, Hübner a. a. O. 842/843. 2

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nichts mehr zu erwarten zu sein ). Allein auf Preußen setzt er noch seine Hoffnungen, und die Ausdehnung des preußischen Einflusses bis zur Mainlinie erscheint ihm als erste Etappe der künftigen deutschen Entwickelung2). — Ein äußeres Zeichen seiner Bekehrung zur preußischen Macht ist, daß er in diesen Monaten aufs engste mit dem einst im Juli so schwer verurteilten Camphausen zusammenarbeitet3). Da kommt doch noch von Österreich her, aus dem Eindruck, den die österreichische Verfassung machte, der Anstoß, daß es gelingt, die Frankfurter Verfassungsarbeit zu einem Abschluß zu bringen. Zwar mißlingt der erste Versuch, der Welckersche Antrag, der die en-bloc-Annahme der Verfassung zum Ziele hatte, aber die Folge ist doch eine Beschleunigung der Fertigstellung der Verfassung und endlich die Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum deutschen Kaiser. Allerdings mißbilligt Droysen aufs schärfste Gagerns Konzessionen an die Linke4), — und so mag er ohne allzu große Erwartungen den Berliner Entscheidungen entgegengesehen haben5); aber die Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. bedeutet doch auch für ihn eine tiefe Enttäuschung, es war der endgültige Beweis, daß Preußen auf jeden deutschen Beruf verzichtete, es sank damit wieder in die Stellung hinab, die es vor 1740, vor seinem Aufstieg zur Großmacht eingenommen hatte. Aber die politische Tätigkeit Droysens im Revolutionsjähre ist damit noch nicht beendet. Er hatte die Kaiserdeputation nach Berlin begleitet und kehrte dann von dort wieder nach Frankfurt zurück. Er unterstützte hier erst noch die Versuche, der Reichsverfassung zur Anerkennung zu verhelfen; als aber allein noch der revolutionäre Weg offen zu stehen schien, leitete er zusammen mit Beseler die Aktion, die zum geschlossenen Austritt der Erbkaiserpartei aus der Paulskirche führte6). Zwei Tage währte die Debatte im Klub der Partei, Beseler sprach am ersten7), Droysen ') Brf. I, 524: „Jedenfalls hat Frankfurt die Initiative so gut wie das letzte Wort verloren." J ) Brf. I, 524: „Erreichen wir nur die Rettung Preußens, so ist die Mainlinie mit gesichert, und der Süden wird bald genug folgen mQssen. Das Gottesgericht eines Krieges tut uns vielleicht not." ') Brf. I, 527: „Ich habe viel mit Camphausen zu schaffen, traue ihm vollkommen. Item, unsre besten Männer sind deutsch." *) Hübner a. a. O. 844: „Gagern hatte die Tollheit, sich zu unterzeichnen." ') Hübner a. a. O. 844 schreibt er von der „traurigen Wahl". •) Vgl. Haym a. a. O. Bd. I I I , 168 ff. ') Siehe Haym a. a. O. Bd. I I I , 171 f.



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am zweiten Tage, und seine Rede hat — nach Hayms Zeugnis — die Entscheidung gebracht1). Die Bedeutung der Nationalversammlung, so führte er aus, habe darin bestanden, daß sie eine Mittelstellung zwischen Revolution und Reaktion eingenommen habe, aber dieser Versuch sei gescheitert. Die Revolution sei von neuem begonnen. So bleibe für die Nationalversammlung nur die eine Wendung übrig, daß sie Platz macht, damit über ihrem Haupte sich die „Gegensätze begegnen, rascher aufeinandertreffen könnten"2). In diesen Worten zeigt sich noch einmal die ganze Eigenart einer Politik, deren Kraft nicht auf den Mächten, die sie vertrat, sondern allein auf der Richtigkeit ihrer Gedanken beruhte. Und so bezeichnet Droysen auch als das bleibende Verdienst der Nationalversammlung, daß sie einem unvergänglichen Gedanken, dem des preußisch-deutschen Erbkaisertums, Ausdruck verliehen habe. In diesen Worten zeigt sich, wie das Handeln Droysens von der Anschauung getragen war, daß die Geschichte die Stätte der Verwirklichung richtiger Gedanken, ethischer Kräfte sei, und das Scheitern der 48er-Bewegung mutet uns wie ein tiefes Symbol, wie ein letztes Wahrzeichen eines reichen und großen, aber eines unpolitischen Zeitalters an. Denn die Gedanken, die Droysen als die wahren Ziele der geschichtlichen Entwickelung ansah, hatten der Gewalt der Tatsachen nicht standgehalten. Sein System war vor der Wirklichkeit zusammengebrochen; aber nicht Droysen allein hat diese Erfahrungen machen müssen. Die 48er-Bewegung ist der Versuch des geistigen Deutschland, das politische Leben zu erobern, und das Scheitern dieses Versuches hat eine ganze Generation in ihren Grundanschauungen erschüttert, und die Folgen dieser Erfahrung wirken in der Stellung des geistigen Lebens zum politischen Leben noch bis zum heutigen Tage nach: jene innere Souveränität, mit der einst die „Geistigen" der Politik gegenübergestanden hatten, war verloren. Die Uberschätzung der Macht der Tatsachen und die Rechtfertigung des Erfolges um seiner selbst willen, die den Einfluß des geistigen Lebens auf die Politik bis zum heutigen Tage diskreditiert haben, — auch sie sind das verhängnisschwere Erbe der Revolution von 1848. *) Siehe Haym a. a. O. Bd. III, 180 ff., wo der Inhalt der Rede angegeben. *) Die gleichen Gedanken auch im Brief an Olshausen vom 5. Mai, Brf. I, 536.

SCHLUSS.

DROYSENS „GESCHICHTE DER PREUSSISCHEN POLITIK".

„ D a s Meer ist ruhig und spiegelt den Himmel; da stürmt es einmal: wenn es abgestürmt hat, ist das Meer dasselbe. Kommt eine Bewegung und ein Sturm in die Gemüter der Menschen, so wird es auch einmal wieder ruhig; aber indes ist die Welt verändert" 1 ). In diesen Worten Rankes klingt jene Erfahrung über die Beziehung von Denken und Leben an, daß große Erlebnisse nicht dem Denkprozesse eingegliedert werden können, sondern daß sie den Blick auf die Welt bestimmen und die Welt durch sie ein neues Gesicht erhält. In diesem umfassenden Sinne hat die Revolution von 1848 einen entscheidenden Einschnitt im Leben Johann Gustav Droysens bedeutet 2 ). — Noch im Sommer 1849, in einer kleinen Schrift „Preußen und das System der Großmächte" 3 ), hat Droysen aus den Frankl

) Hanke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker, S- W. 33/34, 20. *) Vgl. auch Herzfeld in seiner Rezension des Droysen-Briefwechsels in Deutsche Literatur-Zeitung, 1930, 415, über die Bedeutung des Revolutionsjahrs für Droysens Entwickelung. ') Wieder abgedruckt in Droysen, Abhandlungen zur neueren Geschichte, Leipzig, 1876, 135—152. Auf ihre Bedeutung hat schon Dove in seinem Aufsatz über Droysen (Ausgewählte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts, Leipzig, 1898, 377) hingewiesen; vgl. auch Hintze, Johann Gustav Droysen in Historische und Politische Aufsätze, Deutsche Bücherei, Bd. 100/101, 1 1 5 f.; ebenso Koser in seinem Nachruf auf Droysen, Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Bd. I, 1888, 9. — Bei W. Fenske, Johann Gustav Droysen und das deutsche Nationalstaatsproblem, Erlanger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Erlangen, 1930, wird diese Schrift S. 212—215 behandelt; wenn er aber in diesem Aufsatz ein Abweichen von der im Brief an Arendt vom 6. Juni 1849 (Brf. I, 544 ff.) eingeschlagenen „stockpreußischen" Linie sieht, so halte ich diese Auffassung für irrtümlich, weil die überaus scharfen Formulierungen des Briefes an Arendt sicherlich durch taktische Erwägungen eingegeben sind. „Preußen und das System der Großmächte" bedeutetet keine Stufe in Droysens preußisch-deutscher Entwickelung, sondern einen Abschluß.

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furter Erfahrungen die Summe gezogen. Das Problem der Politik der Paulskirche sei gewesen, „ob man von Frankfurt her Berlin und Wien aus den Angeln heben könne" 1 ). Aber der Glaube, daß dies möglich sei, stellte sich als eine Illusion heraus: „Die Wirklichkeiten begannen über die Ideale, die Interessen über die Abstraktionen zu siegen. Der Blick entnüchterte sich2) . . ." „Nicht von der .Freiheit', nicht von nationalen Beschlüssen aus war die Einheit Deutschlands zu schaffen. Es bedurfte einer Macht gegen die anderen Mächte3) . . . ." So kam man am Ende zu der Erkenntnis, mit der man hätte „beginnen sollen" 4 ), daß man sich auf eine Macht, daß man sich auf Preußen stützen müsse. Damit rückt aber die deutsche Geschichte in eine neue Beleuchtung; sie wird ihm zu einer Auseinandersetzung von Mächten, die deutsche Entwickelung ist bestimmt von der Austragung des Gegensatzes zwischen Österreich und Preußen8). Österreich „lebte von dem Verkommen Deutschlands; seine Größe war bedingt durch unsere Ohnmacht" 6 ). Der Ausnutzung Deutschlands durch die undeutsche österreichische Macht war nur dadurch eine Schranke zu setzen, daß sich auf deutschem Boden eine selbständige Macht erhob, die Österreich entgegenzutreten imstande wäre: darin beruhe die Bedeutung Preußens. — Das Neue in dieser Auffassung der deutschen Geschichte besteht darin, daß die Lösung der deutschen Frage für Droysen zu einem „Problem der Ponderation", zu einem Problem der Außenpolitik geworden ist7). Eine selbständige deutsche Entwickelung ist nur dann zu erreichen, wenn Preußen den Kampf gegen Österreich aufnimmt, und dieser Krieg bedeutet nicht nur einen Krieg gegen die habsburgische Macht, sondern auch gegen das mit ihr engverbundene Rußland und gegen Frankreich, England wäre die einzige Großmacht, die Preußen beistehen könnte: es ist die Koalition des Siebenjährigen Krieges, die Preußen noch einmal bestehen müßte8). Droysen verbindet dadurch seine neuen Erfahrungen mit seiner früheren Gedankenwelt; denn es ist der Kampf gegen die Pentarchie der Großmächte, den Preußen führen soll. Und auch jetzt noch erwartet er von dem neuen Reiche „ein neues und wahrhaftes Völkerrecht", den Beginn einer neuen ') s) ') 4) s) 6) ') 8)

Abbandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen

145. 145. 152. 146. 136 f. 136. 135. 150.

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Ära ). Aber eine solche Entwickelung kann erst dann eintreten, wenn die außenpolitische Frage gelöst ist, wenn in dem Machtkampfe zwischen Österreich und Preußen ein machtvolles deutsches Reich gegründet ist: „Nicht als wären Fragen der innern staatlichen Entwickelung, der gesellschaftlichen Ordnung nicht mit auf dem Plane. Sie sind es in einer Bedeutsamkeit und Energie, wie nur je. Aber um endlich lösbar zu werden, fordern sie Entscheidungen ganz anderer Art. Es sind völkerrechtliche Probleme, Probleme der Ponderation, die es zu lösen gilt" 2 ). Jene Einheit, die für Droysen einst zwischen innenpolitischer und außenpolitischer Entwickelung bestanden hatte, als Innenpolitik und Außenpolitik nur die verschiedenen Ausdrucksformen der gleichen, die Zeit beherrschenden Ideen waren, ist zertrümmert; seitdem der Begriff der Macht in seinen Begriff des Staates aufgenommen ist, bildete die Sicherung der Machtgrundlage für ihn die Voraussetzung jeder Politik; es ist eine Anerkennung des Primats der auswärtigen Politik. — Es zeigt sich dies besonders deutlich in dem, was er jetzt über die Stellung Preußens zu Deutschland äußert: Preußen war für ihn weiterhin der Staat des deutschen Berufes, aber nicht mehr der ethischen Ziele halber, in deren Durchführung die geschichtliche Lebensberechtigung Preußens beruhte, und die sich mit der ethischen Aufgabe des künftigen deutschen Nationalstaates deckten, so daß es sich erst in diesem vollenden konnte, sondern Preußen war deshalb der Staat des deutschen Berufes, weil sich in ihm „ein deutscher Staat erhob, an den sich eine nationale Entwickelung anlehnen und aufrichten konnte" 3 ), weil durch die Erhebung einer rein deutschen Macht die Möglichkeit einer selbständigen deutschen Entwickelung gewahrt wurde und somit der Aufstieg Preußens „den Wiederbeginn einer deutschen P o l i t i k " bedeutete4). So unterscheidet sich jetzt Droysens Urteil über die innenpolitische Entwickelung Preußens in charakteristischer Weise von seinen früher geäußerten Anschauungen: „Statt der constitutionellen Entwickelung, auf welche die Neugestaltung des Staates seit 1808 gerichtet, und welche Hardenberg noch mit dem Rest seines schon schwindenden Einflusses durchzusetzen bemüht war, wurde den österreichischen .Erwägungen' jene provinzialständische Verfassung nachgegeben, die, wenn sie sich lebensvoll entwickelt hätte, die kaum erst sich zul

) ) ') 4 ) !

Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen Abhandlungen

152. 135. 136 f. 137.

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sammenlebende Monarchie provinziell würde zerrissen haben" 1 ). Die Festigung der Macht Preußens ist jetzt Droysens oberster Maßstab, sie scheint ihm jetzt ganz selbstverständlich mit dem deutschen Interesse zusammenzufallen, ja, er wahrt sich ausdrücklich gegen die Anschauung, die in das preußische und deutsche Interesse einen Gegensatz hineininterpretiert. „Aber, sagt man, verfolgt nicht Preußen ebenso wie Österreich nur sein eigen Interesse unter dem Vorwand, für Deutschland zu sorgen ? Gebe Gott, daß es völlig rücksichtslos, völlig kühn sein Interesse verfolge; denn es umfaßt nicht bloß ein Drittel der Nation, sondern — Dank der künstlichen Politik von 1815 — seine disjecta membra verbreiten sich von dem äußersten Nordosten bis zum Südwesten des Vaterlandes. Jede nur einigermaßen praktische Nation würde es sehr gelegen finden, daß da ein Staat und ein so mächtiger, ein heimischer ist, dessen Interesse völlig mit dem ihrigen zusammenfällt, ja dessen Existenz an dieser Gemeinsamkeit haftet2). . ." Wenn Droysen einst an Preußen die Forderung stellte, sich den deutschen Aufgaben unterzuordnen, so sind jetzt die Ziele, die Preußen aufstellt, die deutschen Ziele, denen sich die übrigen Staaten unterordnen sollen — diese Identifikation preußischer Machtpolitik mit Preußens deutscher Aufgabe ist das Ergebnis des Jahres 1848. Diese Erfahrungen haben in den verschiedensten Richtungen nachgewirkt, und er hat sie auf den verschiedensten Gebieten ausgebaut: seine Beurteilung der preußischen Politik macht er jetzt allein davon abhängig, ob Preußen sich als selbständige Macht behauptet, ob es seine Gegenstellung gegen Österreich wahrt — aus dieser Anschauung heraus war Droysen einer der wenigen von den Liberalen, der früh die Größe Bismarcks erkannte3). Die Erfahrungen, die er über die Kräfte des politischen Lebens gemacht hatte, hat er alsbald wissenschaftlich darzustellen gesucht. „Ich rüste mich, die Wissenschaft der Politik zu treiben, wenn auch nicht in der theosophischen noch rechthaberischen, der Stahlschen oder Dahlmannschen Manier; — eine pragmatische Politik, will sagen die exakte Wissenschaft vom Staat und von den Staaten, Machtlehre, dergleichen. Ich schere mich den Henker darum, ob eigentlich Geschworne urteilen oder die Kommunen aus allgemeinem Wahlrecht repräsentiert werden müßten. Die Wissenschaft von den äußern und innern Machtverhältnissen, Machtbedingungen, Machtstörungen — nicht wahr, das wird eine ') ) 3 ) Sybels 2

Abhandlungen 144. Abhandlungen 147. Vgl. Brf. II, 8 4 0 « . den Brief an Sybel, Nr. 1 1 8 5 , und die Antwort 844 ff.



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stattliche Disziplin?" ) So schreibt er im Jahre 1 8 5 1 ; klar wird hier die Linie sichtbar, die von ihm zu Treitschke führt, der sich oft zu Droysen als zu seinem Lehrer bekannt hat 2 ). Vor allem aber war es erst von diesen Anschauungen aus für Droysen möglich, die „Geschichte der Preußischen Politik" zu schreiben; denn erst durch diese Gleichsetzung preußischer Machtentwickelung mit dem „Wiederbeginn deutscher Politik" ist die preußische Geschichte zu einer lebendigen Einheit geworden, die ihr eigenes Gesetz des Handelns in sich trägt3). — Schon in den vierziger Jahren hatte Droysen den Wunsch geäußert, Einblick in die preußischen Archive zu erlangen4). Der Verschluß, unter dem Gneisenaus, Hardenbergs, Scharnhorsts und Gruners Papiere gehalten wurden, erschien ihm als ein Kennzeichen der Fesselung, der die preußische Politik unterlag; eine wahrhafte Darstellung der preußischen Geschichte mußte den Beweis dafür liefern, daß allein in dem Betreten der deutschen Bahn das Heil Preußens liege. Und die Tendenz, auf die preußische Politik einzuwirken, lag auch dem Werk zugrunde, in dem er zum ersten Male ein Thema der preußischen Geschichte behandelte. Das Werden seiner Yorck-Biographie hat Droysen im Jahre 1878 selbst eingehend geschildert: „Ich hatte im Verkehr mit militärischen Freunden in Berlin 1845/46 oft Gelegenheit, von den bedenklichen Symptomen in der Armee unter den geistreichen Einflüssen vom Thron her zu hören; ich faßte den Plan, in der typischen Gestalt Yorcks das, was die preußische Armee Wesentliches habe und nicht verlieren dürfe, darzustellen; ich sprach Brf. II, t i . — Hübner in seinem Aufsatz über Droysens Vorlesungen über Politik (Zeitschrift für Politik, Bd. 10) scheint mir die Wandlung, die das J a h r 1848 in den Anschauungen Droysens hervorgerufen hat, und die erst nach dieser Zeit eine Lehre von der Politik im Sinne einer „Wissenschaft von den äußeren und inneren Machtverhältnissen" möglich machte, nicht genügend hervorzuheben. *) Z. B. in Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, HendelVerlag, Leipzig, 1927, IV, 725. 3 ) Vgl. zum folgenden Meinecke, Johann Gustav Droysen in Historische Zeitschrift, Bd. 1 4 1 , 1929, 2 6 9 — 2 7 7 , der die „Geschichte der Preußischen Politik" in ihrem historiographischen Zusammenhang behandelt; ich betrachte im folgenden die sich aus Droysens politischen Erfahrungen ergebenden Voraussetzungen des Werkes. — In seiner Einleitung zu Rankes Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Akademie-Ausgabe, München, 1930, C V I I f f . , behandelt jetzt G. Küntzel eingehend Droysens „Geschichte der Preußischen Politik" und betrachtet im einzelnen die Bestimmtheit ihrer historischen Erkenntnisse durch Droysens politische Anschauungen. *) Vgl. Brf. I, 363 f.; auch Vorrede der „Freiheitskriege".

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mit General Reyher davon, der damals Chef des Generalstabes war, und er billigte meinen Vorsatz. Dann wandte ich mich an Graf Yorck, der sehr einverstanden war und jede Hilfe versprach; im Herbst 1847 war ich vierzehn Tage bei ihm in KleinOels. Die Wirtschaft 1848/49 unterbrach die Arbeit ein Jahr lang. Frühling 1852 war sie fertig, und sogleich wurde zur Preußischen Politik der Kiel gelegt" 1 ). Allerdings die Etappen, durch die die „Preußische Politik" bis zu ihrem Entstehen hindurchgegangen war, erwähnt er hier nicht. Aus der Arbeit am Yorck hatten sich Beziehungen angesponnen, die ihm den ersehnten Einblick in das Quellenmaterial der Geschichte der Reformzeit, der Entscheidungsjahre des preußischen Staates, zu versprechen schienen: er war in Verbindung mit Theodor von Schön gekommen, der ihm die Herausgabe seines Nachlasses anbot2), und gestützt auf die Materialien, die er von Schön zu erlangen hoffte, faßte Droysen jetzt den Plan, „in der festen Form einer Biographie den großen inneren Kampf darzulegen, der seit 1786 die Geschicke der Monarchie bestimmt hat" 3 ). Seine alte Anschauung von den beiden Naturen, die im preußischen Staate miteinander ringen, hat diesen Plan, den Gegensatz von Reaktion und Reform in den Mittelpunkt einer preußischen Geschichte von 1786 bis 1840 zu stellen, sichtbar mitbestimmt. Aber er war doch jetzt im Jahre 1851 über diese Anschauung weitgehend schon hinausgewachsen ; darin, daß er sich von diesem Plane wieder abwandte und sich statt dessen zu einer Darstellung der preußischen Außenpolitik entschloß, möchte ich eine innere Notwendigkeit, nicht nur ein Zeichen für die Abhängigkeit des Historikers von seinem Quellenmaterial sehen. Denn daß ihm das Zerwürfnis mit Schön das Material, auf dem er seine „Geschichte der inneren Reaktion" aufbauen wollte, entzog, und daß ihm statt dessen Korrespondenzen preußischer Diplomaten aus den Jahren 1786—1806 in die Hand kamen4), bot jedenfalls den äußeren Anlaß für diese Änderung seiner Pläne. Sein neues Thema bezeichnet er als eine „histoire de la diplomatie prussienne" und schreibt über die Aufgabe, die er sich damit gestellt hat 6 ): „Nichts scheint mir beklagenswerter, als der Mangel an Einsicht und Kontinuität der Einsicht in die durch die Natur und Geschichte dieses Staates bedingten auswärtigen Verhältnisse. Faßt man die Aufgabe hoch ') l ) 3 ) *) »)

Brf. Brf. Brf. Vgl. Vgl.

Ii, 931. I, 611 f. I. 736. Brf. II, 106 und 127. Brf. II, 126 f.

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genug, so ist die Geschichte der auswärtigen Beziehungen Preußens die einzige, aber auch beste Instruktion für den praktischen Gebrauch." Mit dieser Darstellung der preußischen Außenpolitik glaubte er die innersten Kräfte, die das Leben des deutschen Staates tragen, aufweisen zu können, und so ist es innerer Drang, der ihn dies Thema bis in das Werden des preußischen Staates hinein zurückverfolgen ließ, so daß aus diesem Plane die „Geschichte der Preußischen Politik" entstand. — In diesem Werdegang der „Preußischen Politik" spiegelt sich aber zugleich auch die Wandlung seiner Anschauungen über die preußische Geschichte. In den Jahren vor der Revolution von 1848, da er die preußische Politik an den universalistischen Vorstellungen maß, die für ihn mit der Errichtung des deutschen Nationalstaates verknüpft waren, begann die Bedeutung der preußischen Geschichte für ihn mit Friedrich dem Großen, mit der Möglichkeit einer Alternative der preußischen Politik zwischen einer deutschen und europäischen Richtung, und man kann vielleicht sagen, daß die preußische Geschichte für ihn damit in positive und negative Perioden zerfiel. Mit der Revolution von 1848, seit die Erhebung Preußens für ihn den „Wiederbeginn einer deutschen Politik" bedeutete, konnte sein einziger Maßstab der sein, ob die preußische Politik eine selbständige Machtentwickelung zeigt, begann die geschichtliche Bedeutimg Preußens für ihn mit den ersten Schritten auf dem Wege zu einer selbständigen Macht: so erschien ihm in „Preußen und das System der Großmächte" die Politik des Großen Kurfürsten als Beginn der Entwickelung1). Aber die Eigenart von Droysens „Geschichte der Preußischen Politik", die ihn zum Schöpfer der borussischen Geschichtsschreibung gemacht hat, die aber auch die Kritik aufs schärfste herausgefordert hat, beruht ja nun darauf, daß Droysen sich nicht damit begnügte, die preußische Machtentwickelung darzustellen und die objektiven historischen Gegebenheiten nachzuweisen, die Preußen zur deutschen Vormacht werden ließen, sondern daß er den deutschen Gedanken auch als das beherrschende Ziel der preußischen Politik glaubte nachweisen zu können, daß er den Großen Kurfürsten zu einem Vorkämpfer des nationalen Gedankens machte, ja in den ersten Anfängen des Staates das Walten des deutschen Gedankens erkennen zu können vermeinte: in den ersten Bänden der „Preußischen Politik" stellt er dar, daß die Übertragung der Mark Brandenburg an die Hohenzollem das l

) Abhandlungen 137.

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letzte Aufleuchten des ghibellinischen Gedankens1) gewesen sei, und daß dieselbe Konstellation, von deren richtiger Ausnutzung in seiner Zeit das Schicksal des preußischen Staates abhing — die Hohenzollern als Vertreter des Reichsgedankens, die Wendung gegen Osten und der Gegensatz zu der eigennützigen, undeutschen Politik der Habsburger — auch schon die Gründung des Hohenzollemstaates beherrscht habe2). Schon in der „Darstellung des Fürstenbundes" von Johannes von Müller findet sich dieselbe Auffassung von dem deutschen Charakter der Politik der Hohenzollern3); aber es ist dies keine zufällige Übereinstimmung; Droysen hat diese „Staatsschrift" oft und billigend zitiert4), sie schien ihm „den traditionellen Gedanken" der preußischen Politik wahrheitsgetreu wiederzugeben, und das sah er als die Aufgabe einer preußischen Geschichte an, das betrachtete er als das Ziel seines eigenen Werkes, und er fühlte sich darin als Fortsetzer einer Tradition, die mit Pufendorf angehoben, und die dann vor allem Friedrich der Große weitergeführt hatte 6 ). Die Darstellung nach den preußischen Staatsakten, die Herausarbeitung der preußischen Auffassung und damit der die preußische Politik leitenden Idee, darin besteht die Gemeinsamkeit dieser Linie6). Aber damit erkennen wir auch, wie auch seine *) Geschichte der Preußischen Politik, Berlin, 1855, Bd. I, 4. 2) Koser schreibt a. a. O. 9: .„Hohenzollern oder Habsburg', war die Frage der Gegenwart, welche die .Geschichte der Preußischen Politik' aus der Vergangenheit zu beantworten suchte." Vgl. auch Hintze a. a. O. 127. *) (Joh. von Müller), Darstellung des Fürstenbundes, Leipzig, 1787, das Kapitel „System des Königs von Preußen" 269 f. *) Z. B. in „Preußen und das System der Großmächte" in Abhandlungen 139; vgl. auch seine Verteidigung Joh. von Müllers gegen Häusser in dem Aufsatz: Zur Geschichte der deutschen Partei in Deutschland, Abhandlungen 167. ®) Auf die Verbindung Droysens mit Pufendorf hat schon Hintze a. a. O. 131 f. hingewiesen; er hob hier hervor, wie Droysens Rechtfertigung der Methode Pufendorfs zugleich eine Selbstverteidigung bedeutet. — Im übrigen vgl. dazu Droysens Aufsatz „Randglossen zu Steins Leben von Pertz I I I " in Kieler Allgemeine Monatsschrift 1851, 2, 159, wo er seine Auffassung über die Aufgaben einer preußischen Geschichte darlegt und eben auf Pufendorf und Friedrich den Großen als Vorbilder preußischer Geschichtschreibung hinweist. •) Vgl. auch W. Dilthey: Das 18. Jahrhundert und die geschichtliche Welt, Gesammelte Schriften, Leipzig und Berlin, 1927, Bd. III, 222: „ I n dem allen wurde Pufendorf Ausgang und Vorbild aller späteren spezifisch preußischen Geschichtschreibung: Friedrich der Große, Droysen und Treitschke sind sich ihrer inneren Verwandtschaft mit ihm bewußt gewesen."

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neue Betrachtungsart der preußischen Politik in den Anschauungen verwurzelt ist, die in seiner Jugend sein Urteil über Preußen bestimmt hatten: In prägnanten Sätzen hat Droysen am Anfange der „Preußischen Politik" den geschichtlichen Überzeugungen Ausdruck gegeben, die ihn leiten. „Jeder Staat hat seine eigene [Politik]; sie ist eben sein Leben" 1 ). In diesen Worten scheint die Anerkennung der unbedingten Autonomie jeder Staatspersönlichkeit zu liegen, aber zugleich klingt in ihnen doch auch die alte Hegelsche Lehre wieder, daß jeder Staat ein geistiges Prinzip in sich trägt, auf dem sein Leben beruht. „Jedes Blatt der Geschichte gibt Zeugnis von dem Walten der sittlichen Mächte, das allein das Leben lebenswert macht" 2 ). In diesem Glauben an die ethische Welt der Geschichte liegt eben der Schlüssel zum Verständnis dafür, daß die deutsche Aufgabe des preußischen Staates nicht das Ergebnis machtpolitischer Konstellationen sein konnte, sondern daß sie das bewußte Ziel sein mußte, aus dessen Erkenntnis eine lange und lebendige Entwickelung ihre Kraft und Berechtigung schöpfte. Eben als Erbe seiner unpolitischen und ethischen Denkweise ergibt sich für Droysen der Gedanke einer von der deutschen Tendenz bestimmten preußischen Politik8). Aber verstößt er durch die Annahme dieser Voraussetzung nicht gegen seine eigene Grundanschauung, daß es das Wesen der Geschichte sei, forschend „verstehen zu lernen"4) ? Gewiß sind in diesem Grundsatz Konsequenzen eingeschlossen, die von solchen geschichtlichen Aprioris hinweg in den modernen Relativismus hineinführen, aber auf der anderen Seite handelt es sich für Droysen bei dem geschichtlichen Verstehen stets um das Verstehen des Gegenwärtigen, des „Jetzt und Hier" 6 ). Denn nur was in der Gegenwart noch fortwirkend lebendig war, war für ihn geschichtlich. Das Denken aus der Gegenwart und für die Gegenwart bildete die bewußte Voraussetzung seiner geschichtlichen Anschauung, allein darin schien ihm die Fruchtbarkeit der geschichtlichen Wissenschaft zu beruhen. Wenn er auch kein benennbares Ziel der Weltgeschichte mehr kennt, so spricht sich darin doch der Glaube aus, daß der weltgeschichtlichen Entwickelung ein auf die Gegenwart hinzielender Sinn innewohne; Preußische Politik I, 3. Preußische Politik I, III. 3) So schon Meinecke, Weltbürgertum, 463 f. 4) Preußische Politik I, I I I ; auch Brf. II, 282, 424, 442, vor allem aber Droysens Historik. 6) Preußische Politik I, III. 2)

Beiheft d. H . Z. 20.

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— 130 — auch jetzt bleibt Theodizee für ihn die höchste Aufgabe des Geschichtsschreibers. Es ist dies das einheitliche Grundmotiv, das durch sein ganzes Leben beherrschend hindurchklingt. So maß Droysen dem geschichtlichen Denken eine große Aufgabe für seine Zeit zu „zwischen der falschen Alternative von Philosophie und Materialismus"1). Wenn er in diesen Gegensätzen verschiedene Denkformen ausgeprägt sieht, so zeigt sich für uns darin die Mittelstellung, die Droysen zwischen einem spekulativen und einem empirischen Zeitalter einnahm. Für uns, die wir sehr viel tiefer in das empirische Denken eingetaucht sind, ist es nicht schwer, nachzuweisen, daß das, was ihm aus seiner geschichtlichen Anschauung heraus als Bild der Vergangenheit erschien, nicht die Wahrheit war; aber nicht ein solcher Nachweis, die Tatsache selbst ist das Wesentliche für eine Zeit, für die es zum Problem geworden ist, ob es nur eine Wahrheit gibt. >) Brf. II, 452-

EXKURS ÜBER DIE BEARBEITUNG DER „BEITRÄGE ZUR NEUESTEN DEUTSCHEN GESCHICHTE".

Vorbemerkung: Wenn im folgenden der Nachweis geführt wird, daß Droysens „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte", in denen verschiedene Denkschriften und Aufzeichnungen aus dem April 1848 veröffentlicht sind, diese nicht in unveränderter Gestalt, sondern in späterer Bearbeitung enthalten, so wird dies Ergebnis vielleicht weniger sachlich als psychologisch auffallend erscheinen, weil es in das Bild des Historikers Droysen nicht hineinpassen will. Deshalb mögen hier einige, der psychologischen Erklärung dienende Bemerkungen erlaubt sein. Man muß davon ausgehen, daß in der damaligen Zeit bei der Herausgabe zeitgenössischer Schriften sehr viel weniger philologisch genau vorgegangen wurde, als wir es jetzt gewohnt sind; ich möchte hier nur an die von Meinecke nachgewiesene Bearbeitung der Radowitzschen Fragmente und Rankes Edition des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen erinnern. Droysen pflegte übrigens, wie ich feststellte, auch bei der Aufnahme von ihm verfaßter, früher erschienener Aufsätze in eine seiner Aufsatzsammlungen nicht sehr philologisch-skrupulös zu sein. Es hängt dies sicher damit zusammen, daß sich damals Geschichte weitgehend mit politischer Geschichte deckte und deshalb Staatsakten und Memoiren der Regierenden als Quelle durchaus im Vordergrund standen; es wurde noch nicht — wie in unserer mehr geistesgeschichtlich gerichteten Zeit — jede Äußerung aus einer Zeit zur Geschichte dieser Zeit herangezogen, als „ Quelle" gewertet. Droysen selbst ist sicher nie auf den Gedanken gekommen, daß diese unadressierten Denkschriften und Notizen einmal als wichtiges Quellenmaterial benutzt werden könnten. Nach Droysens Auffassung sollten die „Beiträge" nicht einen historischen Quellenwert haben, sondern einen politischen Zweck erfüllen. Man muß, wenn man Droysens Absichten bei Abfassung der Schrift richtig beurteilen will, durchaus den Zweckcharakter des Buches in den Vordergrund stellen. Es wurde in der Zeit der Anfänge der preußischen Unionspolitik geschrieben, es hatte die Tendenz, für die preußische Politik in Deutschland zu werben, es sollte auch die Führer der Erbkaiserpartei aus ihrer politischen Diskreditierung lösen, vom Vorwurf politischer Kurzsichtigkeit befreien, und wenn deren R a t jetzt dahin ging, sich an Preußen anzuschließen, diesem Rat Gehör verschaffen. Es war eben eine für den damaligen Augenblick bestimmte, aus der Erregung des Moments geborene politische Flugschrift. Dieser politische Zweck war aber — das muß hier auf das schärfste betont werden — keineswegs mit einem persönlichen Zwecke verbunden, etwa 9*



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mit der Tendenz, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, im Lichte größerer Klugheit und Voraussicht erscheinen zu lassen, als Droysen sie bei Abfassung der Schriftstücke besaß. Jeder persönliche Gedanke hat ihm sicher völlig fern gelegen. Im Kapitel Ober die Revolution von 1848 gehe ich darauf ein, wie auffällig es ist, daß Droysen in der Paulskirche so wenig hervortrat, daß er sich bewußt so zurückhielt, und ich weise darauf hin, daß sich darin seine sachliche Betrachtungsart der Politik ausspricht, daß es ihm eben allein darauf angekommen wäre, die Sache zu fördern, nicht persönlich hervorzutreten. In solch „sachlicher" Weise hat er die Politik immer betrachtet. So hat er die Bearbeitung der „ B e i t r ä g e " nicht etwa deshalb vorgenommen, weil es sich dabei für ihn um eine persönliche Eitelkeit gehandelt hätte, sondern er konnte sie vornehmen, weil er so völlig uneitel war, weil er mit seiner Persönlichkeit so völlig zurücktrat, daß ihm diese Prioritätsfragen ganz gleichgültig waren, und daß er auch nicht auf den Gedanken kam, daß ein ernst zu nehmender Freund sie wichtig nehmen könnte.

Droysens „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte" enthalten vier verschiedene Aufsätze: 1. ein vom 6. April 1848 datiertes „Schreiben an . . . Die politische Lage Deutschlands betreffend", 2. „Vorlage an die siebzehn Männer des öffentlichen Vertrauens, die Exekutivbefugnisse der hohen Bundesversammlung betreffend", 3. „Notiz, die Verhandlung über die Begründung einer Zentralexekutivgewalt betreffend", 4. eine vom 29. April 1848 datierte „Denkschrift, die deutschen Angelegenheiten betreffend". Abgesehen von dem quellenkritischen Wert, der dieser Schrift für die Vorgänge des April 1848 zukommt, hat sie für unsere Arbeit ein besonderes Interesse dadurch, daß in dem Schreiben vom 6. April neben der Möglichkeit des Aufgehens Preußens in Deutschland, also der Lösung der deutschen Frage vom deutschen Zentrum aus, zum ersten Male auch die andere Möglichkeit, die Lösung der deutschen Frage vom preußischen Zentrum aus, auftaucht: „Mißlingt die jetzige Umgestaltung Deutschlands, so muß Preußen in schärfster Weise constitutionell geschlossen werden, muß den Kern, so zu sagen das unmittelbare Reichsland, bilden, an das sich nach und nach anschließen mag, was deutsch sein will 1 )." Diese Worte enthalten einen völlig neuen Gedanken, der mich zu einer eingehenden Betrachtung des Entstehens der „Beiträge zur neuesten deutschen Geschichte" veranlaßte. In dem Vorwort dieser Schrift macht Droysen über die Entstehung dieser Aufsätze nur folgende Angaben: „Es wird für den Leser ohne Interesse sein, die ursprüngliche Bestimmung des Briefes, der an erster, der Denkschrift, die an letzter Stelle abl

) Beiträge 3.



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gedruckt ist, zu wissen; der Schluß der Denkschrift blieb unaus7 gearbeitet, nachdem drei verschiedene Entwürfe zu demselben gemacht waren. Ich erinnere mich nicht mit Sicherheit, ob die unter Nr. 2 mitgeteilte .Vorlage' in das Bundestagsprotokoll der durch sie angeregten Verhandlungen aufgenommen ist; ich habe den Aufsatz hier nach dem ersten Concept abdrucken lassen, dessen eingereichte Reinschrift möglicher Weise einige stylistische Abweichungen erhalten haben kann. Die .Notiz, die Verhandlungen über die Begründung einer Zentralexekutivgewalt betreffend' (Nr. 3), habe ich unverändert, so wie sie unter dem unmittelbaren Eindrucke der Verhältnisse niedergeschrieben, lassen zu müssen geglaubt." Die unter Nr. 2 mitgeteilte Vorlage ist wirklich, wie Droysen vermutet, in das Bundestagsprotokoll aufgenommen worden und steht dort 1848 S. 425/428. Ein Exemplar der Denkschrift vom 29. April hat sich bei den Handakten Heinrich von Arnims gefunden. Über die Art und Weise, wie diese Denkschrift in die Hände Heinrich von Arnims gelangte, sind wir jetzt durch die Veröffentlichung der Frankfurter Tagebücher Droysens genauer unterrichtet: am 29. April schreibt er dort 1 ): „Ich arbeitete meine Denkschrift über den Monat April 1848, anfangs in der Meinung, sie als eine Art Rechenschaft der provisorischen Regierung vorzulegen. Es war richtiger, daß ich es unterließ." Und am 5. Mai trägt er ein2): „ 1 0 Uhr bei Arnim, erst im Garten. Bald Usedom. Vorlesung meiner Denkschrift." Vermutlich hat er ein Exemplar der Denkschrift bei Heinrich von Arnim zurückgelassen. Man hat nun geglaubt, daß auch das Schreiben vom 6. April an Heinrich von Arnim gerichtet war 8 ); eine Bestätigimg dieser Vermutung ergibt sich weder aus dem Briefwechsel noch aus den Tagebüchern Droysens: diese Denkschrift wird dort mit keinem Worte erwähnt. Neben den Exemplaren, auf die Droysen in den „Beiträgen" seine Publikation von Nr. 2 und Nr. 4 stützt, lagen also im April 1848 andere Ausfertigungen dieser Aufsätze vor; und zwar ist die Denkschrift vom 29. April im Geheimen Staatsarchiv vorhanden4), während der Text der „Vorlage"' in der Veröffentlichung der Bundestagsprotokolle wiedergegeben ist. Auf die Varianten l ) Hübner, Aktenstücke und Aufzeichnungen zur Geschichte der Frankfurter Nationalversammlung aus dem Nachlaß von J . G. Droysen 803. •) Hübner a. a. O. 804. *) So Meinecke, Weltbürgertum, 365 Anm. 3, und Hübner in Brf. I, 599 Anm. «) A. A. I, Rep. VII, Nr. 4. Bd. 2.

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des an Heinrich von Arnim gelangten Textes von Nr. 4 gegenüber dem von Droysen in den „Beiträgen" veröffentlichten hat schon Meinecke hingewiesen1); ebenso weicht aber auch die Publikation von Nr. 2 in den Bundestagsprotokollen weitgehend von dem von Droysen gegebenen Texte ab.

Die Varianten der „Vorlage an die siebzehn Männer des öffentlichen Vertrauens..." Beiträge:

Bundestagsprotokolle:

S. 8, Zeile 17 von unten: scheint es unbedenklich Zeile 10—8 von unten: die sich für die inneren Verhältnisse in sehr anerkennenswerter Weise bewährt S. 9, Zeile 14 von oben: Es muß eine Seevertheidigung geschaffen werden Zeile 13 von unten: die deutsche Kauffarthei Zeile 5 von unten: vierzig S. 10, Zeile 5 von oben: um eine Ostseeflotte zu bemannen Zeile 7 von oben: mit der baulichen Verstärkung, der Armierung Zeile 9 von oben: Danzig, Pillau, Stettin, Rostock, Lübeck Zeile 11 von oben: Vertragsmäßig sind die zwischen Zeile 15 von oben: der kleinen dänischen Marine Zeile 16 von oben: schnell zu Resultaten zu gelangen

scheint es durchaus unbedenklich die für das Innere vorhanden ist

Zeile 16 von unten: einer für das große Deutschland unerreichbaren ') Weltbürgertum 366, Anm.

Es muß eine geschaffen werden die Nordsee vierzehn um im Nu eine hinreichende Ostseeflotte zu bemannen mit der Armierung Danzig, Pillau, Stettin, Rostock Lübeck, Flensburg Überdies sind vertragsmäßig die zwischen der armseligen dänischen Marine diesen Danebrog in vierzehn Tagen von der Ostsee zu treiben einer für Deutschland unerreichbaren



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Beiträge: Zeile 2 von unten: hoffend S. i i , Zeile i von oben: Deutschland als Gesammtmacht wieder Zeile 5 von oben: ein Cabinet, welches in dieser Frage

Zeile 14 von oben: wird Zeile 17 von unten: unbilligen Zeile 12 von unten: die englische Eifersucht. Zeile 9 von unten: Verkürzung, ihm Zeile 3 von unten: kann und will

— Bundes tagsprotokolle:

stolz Deutschland wieder als sammtmacht

Ge-

ein Cabinet, das sich seinem Länderbestande nach immer noch als eine nicht bloß deutsche, sondern auch europäische Macht anzusehen scheint und welches in dieser Frage muß frechen der englische Leopard Verkürzung zu erfüllen ihm will und kann Fürst

S.12, Zeile9 von oben: Mitglied Zeile 1 5 von unten: Segnungen — würde Zeile 1 2 von unten: räthlich sein, mit Zeile 10—6 von unten: „dort . . . werden 1 )." Zeile 5 von unten: In dieser und anderer Hinsicht

räthlich sein, schleunigst mit

S. 12, Zeile 1 von unten — S. 13, Zeile 3 von oben: „es mag . . . hat."

(fehlt).

S. 13, Zeile 5 von oben: zu legen ist wäre Zeile 6 von oben: der deutschen Angelegenheiten zu überschauen Zeile 8 von oben: Nordamerika

Segnung — wird

(fehlt). In anderer Hinsicht

zu legen wäre der deutschen Angelegenheit mit größerem Blick zu überschauen Amerika

Vgl. S. 136 Anm. 2, wo ich den Satz in extenso gebe.



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Beiträge: Zeile 9—Ii von oben: Die Frage . . . veranlassen- können1). Zeile 12 von oben: in den wesentlichsten Beziehungen analog Zeile 16 von oben: gehefteten Blick Zeile 16 von oben: frei um Zeile 18 von oben: müssen und sind Zeile 22 von oben: heut oder morgen

— Bundes tagsprotokolle:

(fehlt). in wesentlichsten Beziehungen völlig analog gehefteten, den träge hinkriechenden Blick frei und kühn um müssen, sind heut und morgen

Die Abweichungen dieser beiden Texte gehen doch über „einige stylistische Abweichungen", von deren Möglichkeit Droysen im Vorwort der „Beiträge" spricht, hinaus und bringen eine gewisse inhaltliche Verschiedenheit mit sich. In dem Text der Bundestagsprotokolle erscheint die Schaffung einer deutschen Flotte mit geringeren Schwierigkeiten verknüpft als in den „Beiträgen", und ebenso sind die Äußerungen über die deutsche Zukunft hoffnungsvoller gehalten; vor allem finden sich aber im außenpolitischen Teil charakteristische Abweichungen: in den „Beiträgen" gibt er für die von ihm empfohlenen außenpolitischen Maßregeln eine „realpolitische" Begründung, die in den Bundestagsprotokollen fehlt2), andererseits wird die Analogie der deutschen und amerikanischen Verhältnisse in den Bundestagsprotokollen schärfer betont als in den „Beiträgen", und endlich fehlt in den „Beiträgen" der Satz: Das preußische „Cabinet, das sich seinem Länderbestande nach immer noch als eine nicht bloß deutsche, sondern auch europäische Macht anzusehen scheint" — ein Satz, der für die Auffassimg Droysens vor der Revolution von 1848, für seine Gegenüberstellung von „deutsch" und „europäisch" kennzeichnend ist. In dem Text der Bundestagsprotokolle läßt sich die bisher von Droysen gehegte Anschauung, daß sich an die — dem amerikanischen Bundesstaat analoge — Neuordnung der x

) Vgl. S. 137 Anm. 1, wo ich diesen Satz in extenso gebe. *) „Dort wie aberall in den Staaten zweiten und dritten Ranges in dem Maaße gern, als die Großmächte das Aufhören der deutschen Ohnmacht, die ja ihr Werk und die Grundlage ihrer Übermacht ist, mit Mißtrauen ansehen werden." Beiträge 12.



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deutschen Verhältnisse der Beginn einer neuen, dem bisherigen machtpolitischen Zeitalter entgegengesetzten Ära knüpft, deutlich erkennen, während solche Gedanken, von denen er sich durch das Scheitern der 48er-Bewegung loslöste, im Text der „Beiträge" weniger stark hervortreten1). Auch ist der zukunftsfrohe Ton des April 1848, der in dem Text der Bundestagsprotokolle deutlich durchklingt, in dem Text der „Beiträge" nach Möglichkeit abgeschwächt. Es drängt sich hier also die Vermutung auf, daß die Abweichungen des Textes der „Beiträge" nachherige Korrekturen sind, daß sie in einer Zeit vorgenommen wurden, in der es klar war, daß die Bewegung von 1848 nicht den Erwartungen auf Beginn eines neuen Zeitalters entsprach, die Droysen — in Übereinstimmung mit seiner gesamten bisherigen politischen Gedankenwelt — im April 1848 an diese Bewegung knüpfte. Daß Droysen sich noch lange Monate hindurch von der Revolution von 1848 die Realisierung seiner bisherigen Anschauungen versprach, dafür liegen die verschiedensten Äußerungen vor; ich kann dafür nur auf Kapitel 4 dieser Arbeit über die Revolution von 1848 verweisen. Ein charakteristisches Zeugnis ist auch eine Denkschrift über die Volksbewaffnung aus dem April 1848, die zusammen mit der „Vorlage" eingereicht und ebenfalls in den Bundestagsprotokollen publiziert ist2), und es ist kennzeichnend, daß Droysen diese Denkschrift nicht in die „Beiträge" aufgenommen hat. Eine starke Stütze dieser Vermutung liegt nun darin, daß auch der in den „Beiträgen" gedruckte Text der „Denkschrift vom 29. April" gegenüber dem Exemplar, das er Anfang Mai Heinrich von Arnim übergeben hat, und das jetzt in den Akten des Geheimen Staatsarchivs liegt, Abweichungen enthält, die auf eine spätere Korrektur hinweisen. Allerdings sind die beiden Texte stilistisch stark unterschieden; so ist die hier folgende Gegenüberstellung keine vollständige Aufzählung der Abweichungen, sondern ich führe nur die Stellen an, die eine gewisse Differenz in der Beurteilung der damaligen Vorgänge zeigen3): *) Dies ist besonders dadurch geschehen, daß Droysen in den „Beiträgen" für das Bündnis Deutschlands mit Nordamerika auch wieder eine realpolitische Begründung gegeben hat, die in den Bundestagsprotokollen fehlt: „Die Frage des Sundzolls allein schon dürfte nach allen Antecedentien eine beachtenswerte Gemeinsamkeit veranlassen können." Beiträge 13. *) Bundestagsprotokolle 1848, S. 428—430. — Den charakteristischsten Satz dieser Denkschrift zitiere ich in dieser Arbeit Kap. IV, S. 83. s ) Die Sperrungen stammen von mir.



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Beiträge:

Staatsarchiv:

S. 44: Schon hatten die Rheinlande in Berlin angepocht, die Vorgänge von Wien lösten den Bann der preußischen Politik, die Proclamation des 18. März wies ihr die Stellung an, die sie nie hätte verlassen sollen; aber wie auch immer entstanden oder angestiftet, die blutigsten Gewaltsamkeiten überboten sie; und als der König nach j e n e r empörenden L e i c h e n s c h a u , nach der beschämenden O v a t i o n der Polen verkündete: er werde sich persönlich an die Spitze der deutschen Bewegung stellen, wie weit über ihn, über Preußen hinaus, war sie da schon.

Wie immer hatte Preußen die Ehre des schwersten Kampfes; die Proclamation des 18. März ward durch die wie auch immer entstandenen oder angestifteten Gewaltsamkeiten der folgenden Nacht blutigst überboten; und als der König sein .siegendes* Heer verleugnend verkündete, er werde sich nun an die Spitze der deutschen Bewegung stellen, wie weit über ihn, über Preußen hinaus, war sie schon.

S. 45: In Frankfurt mußte man sofort inne werden, daß diese Versammlung — vom Recht und der Legitimation durfte man absehen — keine constitutiven Möglichkeiten in sich trug. Indem man keinerlei praktische Anknüpfung, keine momentan eingreifende Wirksamkeit zu finden vermochte, begnügte man sich, desto größere Forderungen und Befugnisse an eine Versammlung zu überweisen, die mit dem M a n d a t unbeschränkter Competenz von allen Deutschen gewählt werden sollte.

In Frankfurt mußte man sofort inne werden, daß diese Versammlung — von Recht und Legitimation durfte man absehen — keine constitutiven Möglichkeiten in sich trug. Meist nur die freisinnigsten und am weitesten gehenden Politiker Deutschlands, meist aus eigener Vollmacht waren sie gekommen. Wie hätten sie sich entschließen sollen selbst zu handeln; das Bessere suchend und hoffend, versagten sie sich jede Illegalität, überwiesen es als maßgebende Forderung an eine Versammlung, die mit dem Mandat f r e i e s t e r Gründung von allen Deutschen gewählt werden sollte.



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Beiträge: S. 48, 49: Einen Meisterzug1) nannte ich jenen Vorschlag; nicht in dem Sinne als sei es staatsmännisch ein großer und kühner Zug gewesen; es ward damit die einzige staatsmännische Idee, welche eben jetzt auf allen Lippen ist und nur ihre Fassung fordert, die der Einheit der Nation, gleichsam verleugnet und der nackten Wirklichkeit unserer Zersplitterung in ihrer schroffsten Form, der der Gegenstellung von Österreich und Preußen und der einst rheinbündnerischen Staaten ihnen zur Seite, Ausdruck gegeben. Der praktische Gewinn, den solche Gründung bringen konnte, ist durch die Verzögerung schon auf wenig oder nichts reducirt; und im besten Falle wird die Centraigewalt gleichzeitig mit der Nationalversammlung beginnen, — ob beginnen zu handeln, steht dahin. S. 50, Zeile 1 1 von oben: —, daß sich endlich vorherrschend . . . einem solchen beizutreten.

Staatsarchiv: Einen Meisterzug nannte ich jenen Vorschlag. Nicht in dem Sinne, als sei es staatsmännisch ein großer und kühner Gedanke gewesen, aus dem er hervorging, der wirkliche Gewinn, den solche Gründung bringen konnte, ist durch die Verzögerung schon auf wenig oder nichts reducirt; und im besten Falle wird die Centralgewalt gleichzeitig mit der constituierenden Versammlung beginnen, ob beginnen zu handeln, steht dahin; sie wird mit ihr den Wettlauf tun Organisation der Macht beginnen müssen.

S. 52/53: . . . aber werden die einzelnen Staaten das Gewisse, wie geschwächt oder gefährdet es erscheinen mag, für das Ungewisse dahingehen wollen? In der Frage über die „Grundrechte des

Aber werden die einzelnen Staaten das Gewisse, wie geschwächt oder gefährdet es erscheinen mag, für das Ungewisse dahingehen wollen oder auch nur dürfen? Sie können sich nicht füglich eine Ver-

(fehlt).

x ) Zu Droysens Beurteilung des Welckerschen Vorschlages vgl. auch S. 143 f.



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Beiträge: deutschen Volkes", über die Notwendigkeit eines deutschen Parlaments, vielleicht über ein Reichsgericht, wird man sich allenfalls auch mit den Regierungen verständigen können, w e n n a u c h s c h o n d a die I n t e r e s s e n der ö s t e r r e i c h i s c h e n G e sammtmonarchie sich denen der N a t i o n entg e g e n s t e l l e n , Competenzfragen sehr bald die Erörterung auf den entscheidenden Punkt drängen werden.

Staatsarchiv: fassung von jenem Parlament vorschreiben lassen, sie werden sich mit demselben vereinbaren wollen: aber wird man sich zu verständigen im Stande sein? Vielleicht in der Frage über die „Grundrechte des Deutschen Volkes", vielleicht auch über die Notwendigkeit eines Reichsgerichts, eines Reichsparlaments, wenngleich auch schon da die Competenzfragen sehr bald die Erörterung auf den entscheidenden Punkt drängen werden. Dies ist die Frage über das Reichsregiment . . .

S. 5 5 : Österreich kann, will es mit uns gehen, nicht anders

Ostreich 1 ) kann nicht anders, als eine reine Personalunion

1 ) Ich bringe hier den Schluß des Heinrich von Arnim abergebenen Exemplars der Denkschrift vom 29. April vollständig, weil er mir far Droysens Denkart im April 1848 sehr charakteristisch erscheint; ich möchte auch noch darauf hinweisen, daß der Machtgedanke, der im Schluß der Denkschrift in den „Beiträgen" sehr stark hervorgehoben ist, hier gar nicht erwähnt wird. „Die Aufgabe (Skizze). Nur aus dem kühn und groß erkannten Ziel ist die Rettung zu finden. Wie ein Feldherr erkenne der Staatsmann den entscheidenden Punkt, gebe das Kleine, Lärmende, Blendende rechts und links preis, siege, wo es giltl Und das Ziel ist die Einheit Deutschlands: sie muß stark sein, so stark wie die Gefahr und unsere Hoffnung. Die dann fürchten, es drohe Napoleonische Zentralität, gleichen denen, die aus Furcht vor dem Regen ins Wasser springen. Aber Kühnheit und immer wieder Kühnheit, nur sei sie redlicher wie die Dantons war. Washington besaß die rechte, die der Selbstverleugnung. Die Einheit Deutschlands schafft im Innern und nach außen worauf es ankommt. Im Innern: Republik oder erbliches Kaisertum? aber der Vorzug konstitutionellen Systems ist beider Gewinn zu vereinen; die Erblichkeit macht den Staat ankerfest und die Minister, der Premier ihr Präsident, gehen hervor aus der ständischen Majorität, eine stete indirekte Wahl der besten Männer. Nach außen: Lange genug ist der schöne Name Völkerrecht eine Antizipation gewesen, weder von Recht noch von Völkern darin eine Spur.



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Beiträge: als eine reine Personalunion seiner gemengten Staaten werden wollen; und nur so weit es das wird, kann es mit uns gehen. Die versuchte Gesammtstaatsverfassung, der liberalistische Ersatz des Metternich'schen Systems, wird diese Gesammtmonarchie entweder zersprengen, o d e r z u der im b e s t e n Falle Josephini'schen Willkür zurückführen.



Staatsarchiv: seiner gemengten Staaten werden wollen. Die versuchte Gesammtstaatsverfassung, der liberalistische Lügenersatz des Metternichschen Systems, wird diese Gesammtmonarchie zersprengen wie die beabsichtigte dänische.

Wenn auch manche Einzelheiten in diesen Gegenüberstellungen auf eine nachherige Bearbeitung des Textes der „Beiträge" hinzuweisen scheinen, so tritt wirklich scharf eine Differenz in der Beurteilung der damaligen Ereignisse nur in der letzten der hier angeführten Gegenüberstellungen zutage: in der Beurteilung der Zukunft Österreichs. Wir wissen aus verschiedenen Zeugnissen, daß Droysen als ein Ergebnis der revolutionären Bewegungen ansah, daß die deutschen Staaten Österreichs dem künftigen deutschen Nationalstaat angehören würden 1 ), er wirkte im April 1848 Deutschland freiheitlich geeint in dem Herzschilde Europas wird die Oligarchie der Großmächte enden, wird weder fähig noch begierig zu erobern einen Völkerfrieden gründen und sichern, in dem jedes Volk klein und groB nach seiner Art seines Hechtes und Friedens wird leben können. Wie wird Deutschland sein Haupt finden ? Österreich kann nicht anders, als eine reine Personalunion seiner gemengten Staaten werden wollen. Die versuchte Gesammtstaatsverfassung, der liberalistische Lügenersatz des Metternich'schen Systems, wird diese Gesammtmonarchie zersprengen, wie die beabsichtigte dänische. Zu Preußens Heil hat dessen Regierung das 1815 Versäumte nachzuholen und zu leisten begonnen. In dem Maße, als sich Österreich mehr und mehr trübt und Gestaltungen versucht, die das alte Kainszeichen der dynastischen Politik an sich tragen, klärt sich Preußen, ein rein deutscher Staat zu werden. Preußen wird durch die Entwickelung der provinzialständischen Verfassung es erreichen in Deutschland aufzugehen. Den Hohenzollem gebührt die Stelle, die seit den Hohenstaufen leer geblieben. Frankfurt, 29. April 1848." *) Fragment einer Denkschrift aus seinem Nachlaß vom 20. März: „Österreich ist dem deutschen Vaterlande wiedergegeben wie ein verlorener Sohn." Ebenso betrachtet er aber auch in einem in seinem Nachlaß be-



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aufs engste mit Schmerling und Sommaruga zusammen1), er berichtet im Juni „vom Andrängen des Wiener Ministeriums lind seiner österreichischen Freunde", ihn an die Universität Wien zu berufen, durchaus nicht prinzipiell ablehnend2). Droysen muß also damals geglaubt haben, daß Österreich eine reine Personalunion werden würde, oder daß es auseinanderfallen und auf diese Art seine deutschen Staaten bei Deutschland bleiben würden3). Es stimmt dies durchaus mit den Anschauungen überein, die er in dem Heinrich von Arnim übergebenen Exemplar der Denkschrift äußert; dagegen entspricht die dritte Möglichkeit, die er im Text der „Beiträge" noch artführt, daß Österreich zu der Josephinischen Willkür zurückkehren könne, zwar dem, was die geschichtliche Wirklichkeit mit sich gebracht hat, wir kennen aber keine andere Äußerung Droysens aus dieser Zeit, die diese Möglichkeit ins Auge gefaßt hätte, und sie widerspricht allem, was man damals, als das absolutistische System Österreichs gerade zusammengebrochen war, über die Zukunft Österreichs geglaubt hat. Auch der Satz, daß „die Interessen der österreichischen Gesamtmonarchie sich denen der Nation entgegenstellen"4), entspricht erst einem sehr viel späteren Stadium seines Denkens, als sich die österreichische Macht wieder zu konsolidieren begann. Aber auch für Nr. 3 der „Beiträge" besitzen wir jetzt in dem durch Hübner veröffentlichten Frankfurter Tagebuch Droysens ein dem April 1848 entstammendes Kontrollmaterial*). Im Vorfindlichen Fragment einer Denkschrift vom 20. April die österreichischen Gebiete als durchaus zu Deutschland gehörig. ') Hübner a. a. O. 797, 799. In Nr. III der „Beiträge" kommt dies noch viel deutlicher zum Ausdruck. «) Brf. I, 433. s ) Diese Möglichkeit hat er im Juli in einem Brief an die Großeltern Friedländer erörtert: „Jedenfalls sind es die großartigsten Umgestaltungen, die sich dort vorbereiten, und das deutsche Österreich wird, wenn ich nicht irre, Gott zu danken haben, daß es sich an Deutschland lehnen kann" (Brf. 1,439); vgl. auch den Brief an Arendt vom 8. Juli, 441: „Die Österreicher hätten diese patriotische Hoheit nicht gehabt. Dafür bricht aber auch die ganze Geschichte mit Nächstem über ihre Köpfe zusammen. . ." *) Beiträge 53. Man vgl. dagegen z. B. den Satz im Brief an Olshausen vom 22. Juni: „Glücklicherweise steht es zwischen Österreich und Italien nahe zum Frieden, wie ich aus sicherer Quelle weiß; wenn Österreich dort freie Hand bekommt, ist die russische Gefahr für Deutschland um ein Großes gemindert". (Brf. I, 435.) 5 ) Hübner a. a. O. 797, Anm. 2, nimmt direkt an, daß die Debatte des 17. April in den „Beiträgen" auf Grund der „Tagebuchnotizen" geschildert ist.



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wort der „Beiträge" schreibt Droysen über Nr. 3: „Die Notiz, die Verhandlungen über die Begründung einer zentralen Exekutivgewalt betreffend (Nr. 3), habe ich unverändert, so wie sie unter dem unmittelbaren Eindrucke der Verhältnisse niedergeschrieben, lassen zu müssen geglaubt." Aber ein Vergleich der „Notiz" der „Beiträge" mit den Aufzeichnungen seines Tagebuchs ergibt doch an zwei Stellen Abweichungen, die diesem Satze Droysens gegenüber skeptisch machen. S. 19/20 der „Beiträge" schreibt er: „Diese Entgegnungen machten um so peinlicheren Eindruck, da man bereits von vertraulichen Mitteilungen zu wissen glaubte, in denen die deutschen Höfe vor den Fünfzig und ihren Übergriffen gewarnt wären . . ." S. 798 des „Tagebuchs" steht dagegen: „Diese Mitteilungen machten um so größeren Eindruck, da auf glaubwürdige Weise zu Petris Kenntnis gekommen war, daß Preußen schon durch eine Zirkulamote vor den Fünfzig und ihrem Einfluß gewarnt hatte" 1 ). Wenn man bedenkt, daß im Herbst 1849, als die „Beiträge" erschienen, Droysen zu den entschiedensten Vorkämpfern der preußischen Hegemonie gehörte, daß es damals galt, für die preußische Unionspolitik zu werben, so sieht dies sehr nach einer Korrektur aus, um Preußen nicht als partikularistisch, der nationalen Strömung feindlich, erscheinen zu lassen. — Interessanter ist die andere Differenz: S. 24 der „Beiträge" schreibt er: „An meiner anderen Seite saß Welcker; er hatte bis dahin sich an der Debatte nicht beteiligt: jetzt kam er nach einer höchst lebhaften und eindringlichen Motivierung zu einem Vorschlage der allerbedenklichsten Art: er wünsche eine solche hoch befugte Executivcommission; aber da die Bundesversammlung sich nicht in der Lage finden werde, sie aus ihrer Mitte zu ernennen, möge man die Regierungen auffordern, es zu tun, und zwar in der Art, daß Österreich, Preußen und Bayern, im Einvernehmen oder Auftrag der übrigen Regierungen, je einen Bevollmächtigten ernennen und hersenden, und daß dies Triumvirat eine provisorische oberste Reichsgewalt bilde, bis die neue Verfassung das künftige Reichsregiment geordnet haben werde. — Mit Lebhaftigkeit wurde dieser Antrag aufgefaßt; er lenkte ja die Verantwortlichkeit von den Mitgliedern des Bundestages hinweg, er machte Frist zu Verhandlungen notwendig; er vertünchte die Gegenstellung von Österreich und Preußen und konnte Bayern wenigstens einigermaßen befriedigen. — Ich übersehe noch nicht die ganze Consequenz dieser Wendung; aber so viel scheint mir klar, daß mit dieser Art, die Collektiv1 ) Die gleiche Nachricht auch in dem Bericht an die provisorische Regierung vom 17. April Nr. 18, Hübner a. a. O. 35.



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macht zu bilden, das Princip der Einheit aufgegeben ist; gerade das schien mir wesentlich, daß die Bundesversammlung, als die Einheit der deutschen Souveränitäten, die executive Befugnis für die Gesammtheit übernehme oder wenigstens schaffe; jene Dreiheit zerreißt Deutschland, und zwar auf die nachteiligste Weise, indem sie die kleineren Staaten völlig unnatürlich an Bayern anschließt. An solche Dreiheit darf Preußen zum Heil Deutschlands seine Sonderexistenz nicht aufgeben, sie ist nur die übelste Abbreviatur des Bundestages; man wird Deutschland nur um so mehr zerreißen, als man die Zahl seiner Bruchteile mindert." — Über dieselbe Sitzung berichtet er im Tagebuch1): „Dann endlich schlug Welcker in einer höchst lebhaften Darstellung ein, forderte drei Männer von Österreich, Preußen und Bayern nebst den übrigen Staaten ernannt, mit voller Gewalt. Auch das war den Bundesherren sehr recht, sie fanden darin ein Mittel, das Gewünschte zu schaffen, ohne sich zu exponieren oder selbst zu handeln. In diesem Sinne schied man gegen 9 Uhr. Seltsame Verhandlung. Allerdings im Resultat, fein genug, mied man so die Rivalität zwischen Osterreich und Preußen, befriedigte auch Bayern wenigstens einigermaßen. Ich fürchtete nur die Langsamkeit der Wiener Ernennung. Ich verhandelte abends noch darüber mit Sommaruga: Er wolle selbst sogleich nach Wien, Schmerling müsse an Colloredos Stelle usw. Aber jedenfalls ein Anfang schien es werden zu können." In beiden Darstellungen erscheint ihm der Antrag Welckers sofort gefährlich. Während er aber in den „Beiträgen" ihn sofort als einen Vorschlag „der allerbedenklichsten Art" einführt und ihn als die entscheidende Wendung der Verhandlungen hinstellt, bleibt er im Tagebuch trotz aller Bedenken hoffnungsvoll: „Ein Anfang schien es werden zu können2)." — Droysen hat damals — im April 1848 — wie fast alle Liberalen die Macht der Einheitsbewegung überschätzt und die Macht der Einzelstaaten zu gering eingeschätzt; der Darstellung des „Tagebuchs" läßt sich dies noch recht deutlich entnehmen. In der Darstellung der „Beiträge" ist es verwischt. ') Hübner a. a. O. 799. 2 ) Dieser Differenz entspricht die verschiedene Beurteilung des Welckerschen Vorschlages in den beiden Exemplaren der „Denkschrift" vom 29. April; vgl. S. 139. Allerdings ist er — den zwischen dem 17. und dem 29. April entstandenen Verzögerungen entsprechend — in dem Heinrich von Arnim übergebenen Exemplar diesem Vorschlag gegenüber noch skeptischer als im „Tagebuch", aber er ist keineswegs so schroff ablehnend wie im Text der „Beiträge". '

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In allen den Fällen, in denen wir den Text der „Beiträge" mit anderem, fraglos dem April 1848 entstammenden Material vergleichen konnten, scheint sich die Vermutung zu bestätigen, daß Droysen die Aufsätze der „Beiträge" einer nachherigen Bearbeitung unterzogen hat. Aus dem Briefwechsel Droysens ergibt sich aber noch ein weiterer Beweis: Am 14. Mai 1848 schreibt Arendt an Droysen: „Schreibe mir bald und sage, wie es Dir geht und wie es mit Euch steht, und vergiß nicht Dein Memoire"1). Ich nehme an, daß Arendt mit dem Memoir die Denkschrift des 29. April meinte, von der ihm Droysen, da er kurz zuvor in Frankfurt gewesen war, sicher erzählt hatte, die er nun lesen oder vielleicht bei der belgischen Regierung verwerten wollte. Am 16. Mai antwortet ihm Droysen: „Auf die Gefahr hin, daß Du entsetzlich wüten wirst, schreibe ich Dir ohne eine Abschrift des von Dir Gewünschten mitzuschicken; sie ist noch nicht fertig; aber Du erhältst sie, wie ich versprochen"2). Am 9. Juni schreibt er dann: „Ich muß Dir die altgewordene Denkschrift im Original schicken, bitte sie mir gelegentlich wieder aus" 3 ). Eine Antwort Arendts auf die Übersendung der Denkschrift ist nicht vorhanden. Ein Jahr später schreibt aber dann Droysen an Arendt: „Ich will über die Dinge des letzten Jahres schreiben. Es wäre mir lieb, wenn Du mir meine Denkschrift vom 1. Mai 1848 wieder zustellen wolltest; ich habe keine Abschrift" 4 ). Am 20. August sendet Arendt an Droysen die Denkschrift zurück5). Am 1 1 . Januar 1850 schickt ihm Droysen die „Beiträge" und schreibt dazu: „Ich schicke Dir heut endlich die . . . vier Aufsätze vom April 1848, deren einen Du bereits aus der Kladde kennst; die Abweichungen sind aus einer damaligen Reinschrift"6). Auffällig ist nun, daß Droysen im Juni Arendt um die Denkschrift vom 29. April gebeten hatte, weil er kein Exemplar der Denkschrift mehr besäße, die Abweichungen des Arendt bekannten Textes der Denkschrift von dem in den „Beiträgen" veröffentlichten aber im Januar 1850 damit motiviert, daß sie einer anderen damaligen ») Brf. I, 422. 2 ) Brf. I, 422. 3 ) Brf. I, 430. 4 ) Brf. I, 546. — Hübner weist mit Recht darauf hin, daß Droysen sich hier im Datum geirrt hat und es sich um die Denkschrift vom 29. April handelt. 6 ) Brf. I, 559. Nr. 3 6 1 . 8 ) Brf. I, 5 9 2 ; vgl. auch die Antwort Arendts 599, die beweist, daß Arendt, der im April und Mai 1848 in Frankfurt gewesen war, von der „Denkschrift vom 6. April" nichts wußte. Beiheft d. H. Z. 20.

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Reinschrift entstammen. Natürlich wäre dieser Widerspruch allein kein irgendwie ins Gewicht fallender Beweis — es bleibt ja die Möglichkeit, daß inzwischen doch noch ein anderes Exemplar der Denkschrift in Droysens Hände gelangt wäre —; aber im Zusammenhang mit dem bisher beigebrachten Material stützt doch auch diese Korrespondenz die Annahme einer nachherigen Bearbeitung der „Beiträge". Diese Annahme wird weiterhin bestärkt durch eine Betrachtung der Manuskripte der „Beiträge", die noch im Nachlaß Droysens vorhanden sind. Während die Manuskripte von Nr. i und Nr. 3 verhältnismäßig sauber sind und es aussieht, als ob sie fortlaufend, hintereinander geschrieben wären, sind Nr. 2 und Nr. 4 mit zahlreichen Durchstreichungen und Korrekturen bedeckt; und zwar läßt sich ganz genau erkennen, daß diese Korrekturen erst zu einem späteren Zeitpunkte in die Manuskripte eingetragen wurden, denn sie sind in durchaus anderer Schreibart, mit einer anderen spitzeren Feder, geschrieben als die Grundlage. Der Schrift nach sind die Grundlagen von Nr. 2 und Nr. 4 und die Korrekturen von Nr. 2 und Nr. 4 sich untereinander sehr ähnlich. Alle die Stellen, die wir als nicht in den April 1848 gehörig beanstandeten, sind Verbesserungen mit dieser spitzen Feder. Wichtig ist nun aber auch noch, daß die Schrift von Nr. 1 und Nr. 3 den mit der spitzen Feder vorgenommenen Korrekturen von Nr. 2 und Nr. 4 sehr viel ähnlicher ist als der Grundlage von Nr. 2 und Nr. 4. Die Manuskripte machen es also durchaus wahrscheinlich, daß Droysen das in seinem Besitz befindliche Material aus dem April 1848 später bearbeitet hat, und zwar hat er die ihm notwendig erscheinenden Änderungen von Nr. 2 und Nr. 4 direkt in die alten Manuskripte eingetragen, während er Nr. 1 und Nr. 3 damals neu schrieb; Nr. 3 wohl sicher auf Grund der Tagebuchnotizen, während sich über die für Nr. 1 zugrunde liegende Vorlage nichts mehr erkennen läßt. — Betrachten wir aber das Manuskript von Nr. 2, d. h. also von der „Vorlage an die 17 Männer des öffentlichen Vertrauens", noch einmal im einzelnen: die Grundlage stimmt hier wörtlich mit dem in den Bundestagsprotokollen veröffentlichten Text überein. Durch Durchstreichungen, Änderungen, Einfügungen mit der späteren spitzen Feder hat er dann den Text hergestellt, der in den „Beiträgen" veröffentlicht ist. Daraus ergibt sich aber, daß es nicht den Tatsachen entsprechen kann, wenn Droysen über diesen Aufsatz im Vorwort der „Beiträge" schreibt: „Ich erinnere mich nicht mit Sicherheit, ob die unter Nr. 2 mitgeteilte .Vorlage' in das Bundestagsprotokoll der durch sie angeregten Verhandlungen aufgenommen ist;



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ich habe den Aufsatz hier nach dem ersten Concept abdrucken lassen, dessen eingereichte Reinschrift möglicherweise einige stylistische Abweichungen erhalten haben kann." Und es läßt sich dieser Satz nur so erklären, daß er von vornherein allen Vermutungen, daß diese Abweichungen spätere Änderungen sein könnten, die Spitze abbrechen wollte. Die Beweiskette, daß in den „Beiträgen" nicht der aus dem April 1848 stammende Text seiner Aufsätze und Denkschriften, sondern eine spätere Bearbeitung derselben vorliegt, ist damit geschlossen. Methodisch ergibt sich daraus, daß allen Untersuchungen über die Haltung Droysens im April 1848 nicht die „Beiträge" zugrunde zu legen sind, sondern eben die uns an anderer Stelle überlieferten, fraglos aus dem April 1848 stammenden Texte von Droysens Aufsätzen und Denkschriften: für die „Vorlage an die 17 Männer des öffentlichen Vertrauens" die Bundestagsprotokolle, für die „Notiz über die Verhandlungen" die von Hübner veröffentlichten Frankfurter Tagebücher Droysens und für die „Denkschrift vom 29. April" das im Geheimen Staatsarchiv befindliche Exemplar. — Für die Denkschrift vom 6. April besitzen wir keinerlei gleichzeitiges Kontrollmaterial, auch keinerlei gleichzeitiges Zeugnis über die Abfassung einer solchen Denkschrift: nach den Grundsätzen der Geschichtsmethodik darf sie also überhaupt nicht verwertet werden; sie kann aber dazu dienen, die Ansicht, daß diese Bearbeitung erst im Herbst 1849 vorgenommen ist, zu bestärken. Denn fassen wir noch einmal zusammen: worin besteht die Tendenz, die sich in den Abänderungen, die Droysen in den „Beiträgen" vornahm, erkennen läßt? Er suchte den idealistischen Charakter seiner Politik zu Beginn der Revolutionsbewegung zu verwischen und betonte statt dessen das Machtpolitische, die Gegenstellung von Österreich und Preußen. Er trug die Erfahrungen, zu denen er erst im Laufe der Revolutionsbewegung gekommen ist, schon in die Beurteilung der Aprilvorgänge hinein. Gerade in der Denkschrift vom 6. April kommt die Anschauung, daß die Lösung der deutschen Frage eine Machtfrage sei, daß sie „eine einfache Alternative zwischen Preußen und Österreich" 1 ) ist, am schärfsten zum Ausdruck. Wenn für sie eine dem April 1848 entstammende Vorlage vorhanden war, so hat diese sich wohl sehr weitgehende Änderungen gefallen lassen müssen. Wie aus Kapitel 4 hervorgeht, ist Droysen erst im Dezember zu dem Standpunkt in der Beurteilung der deutschen Frage gelangt, der sich in dieser Denk») Beiträge 4.



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schrift findet. Da die Manuskripte auf eine einheitliche spätere Bearbeitung schließen lassen, so ergibt sich daraus, daß diese nicht vor Dezember 1848 vorgenommen sein kann. Wahrscheinlich ist natürlich, daß sie erst im Herbst 1849, eben zum Zwecke der Publikation der „Beiträge", vorgenommen wurde. Darauf läßt auch schließen, daß die Betrachtungen, die Droysen in der Denkschrift vom 6. April über die Bedeutung des Gegensatzes von Österreich und Preußen für die deutsche Zukunft anstellt, den Anschauungen sehr nahestehen, die er im August 1849 i n ».Preußen und das System der Großmächte" geäußert hatte. — Jedenfalls ergibt sich aber aus dieser quellenkritischen Untersuchung das für Droysens politische Anschauungen wichtige Ergebnis, daß Droysen zu Beginn der 48er-Bewegung nicht zwei verschiedene Alternativen für die Lösung der deutschen Frage, eine Lösung vom deutschen und eine Lösung vom preußischen Zentrum aus, kannte, sondern daß er mit der Erwartung vollständiger Erfüllung seiner politischen Ideale in die Bewegung von 1848 hineinging.

Beihefte der Historischen Zeitschrift Heft i : Baron, Hans: Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter. 130 S. 8°. 1924 M. 3.70 Heft 2: Troeltsch, Ernst: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt j. Aufl. 103 S. 8°. 1928 Gebd. M. j.50 Heft 3: Precht, Hans: Englands Stellung zur deutschen Einheit 1848—1850. 192 S. 8°. 1925 M. j.50 Heft 4: Erman, W.: Der tierische Magnetismus in Preußen vor und nach den Fxeiheitskriegen. 128 S. 8°. 192} M. 4.80 Heft 5: Hölzle, E.: Die Idee einer altgermanischen Freiheit vor Montesquieu. 118 S. 8°. 192J M. j . — Heft 6: Masur, Gerh.: Rankes Begriff der Weltgeschichte 141 S. 8°. 1926 M. j.30 Heft 7: Vigener, Fritz: Drei Gestalten aus dem modernen Katholizismus (Möhler, Depenbrock, Döllinger). 200 S. 8°. 1926 M. 8.50 Heft 8: Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu: Anton Graf zu Stolberg-Wernigerode, ein Freund u. Ratgeber König Friedrich Wilhelms IV. 144 S. 8®. 1926 M. j . j o Heft 9: Hoffmann-Linke, Eva: Zwischen Nationalismus und Demokratie. Gestalten der franz. Vorrevolution. 324 S. 8°. 1927 M. 9.50 Heft 10: Below, G. v.: Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters. 167 S. 8°. 1927 M. 7.— Heft 11: Voßler, Otto: Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit. 94 S. 8°. 1927 M. 4.— Heft 12: Bein, Alex.: Die Staatsidee Alexander Hamiltons in ihrer Entstehung und Entwicklung. 191 S., 1 Taf. 8°. 1927 M. 8.— Heft 13: Leusser, Herrn.: Ein Jahrzehnt deutsch-amerikanischer Politik (1897—1906). 114S. 8°. 1928 M. j . — Heft 14: Walser, Fritz: Die politische Entwicklung Ulrichs von Hutten während der Enispheidungsjahre der Reformation. 143 S. 8°. 1928. M. 6.— H e f t i j : Simon, Emst: Ranke und Hegel. 220S. 8°. 1928 M. 7 . — Heft 16: Erben,Wilh.: Kriegsgeschichte des Mittelalters. 144S. 8°. 1929.M. 7.30 Heft 17: Voßler, Otto: Die amerikanischen Revolutionsideale in ihrem Verhältnis zu den europäischen. Untersucht an Thomas Jefferson. 201 S. 8°. 1929 M. 8.JO Heft 18: Ruth, Paul Hermann: Arndt und die Geschichte. Ein Beitrag zur Arndtforschung und zur Problemgeschichte des Historismus vornehmlich bis zum Ende der Befreiungskriege, 216 S. 8°. 1930. . . M. 8.— Heft 19: Geyer, Fritz: Makedonien bis zur Thronbesteigung Philipps II. M. 7.80 155 S. 8°. 1930 Die Bezieher der Hiit. Zeitichrift erhalten die Beihefte zu einem um 15'/ a e r m i 8 i ( t e n Preis.

R. OLDENBOURG. MÜNCHEN 32 UND BERLIN

König Friedrich I. und das Haus Habsburg (1701—1707) Von Arnold Berney. 297 S. 8°. 1927. Brosch M. 8.— Entwicklungsgeschichte Bayerns. Von M. Doeberl. Band I: Von den ältesten Zeiten bis zum Westfälischen Frieden. 3. Aufl. 634 S. Gr.-8°. 1916. Brosch. M. 12.50, in Leinen geb. M. 17.— Band II: Vom Westfälischen Frieden bis zum Tode König Maximilian I. 3.Aufl. 636S. Gr.-8°. 1928. Brosch.M. 22.—, in Leinen geb. M. 25.— Band III: Im Druck. Der preußische Verfassungskampf vor hundert Jahren Von Paul Haake. 133 S. 8°. 1921. Brosch M. 2.40 Treitschke und Schleswig-Holstein Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der Schleswig-Holsteinischen Ffage. Von Holger H j e l h o l t . 271 S. 3 Tafeln. 8°. 1929. Brosch. M. 9.— Wilhelm von Humboldt und der Staat Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800. Von S. A. K a e h l e r . 593 S. 1 Taf. Gr.-8°.i927. Brosch M. 18.— in Leinen geb M. 20.— Geschichtswissenschaft Aufbau und Aufgaben. Von Erich K e y s e r . 247 Seiten. Gr.-8°. 1931. Brosch M.'so.— in Leinen geb M. 12.— Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1870 Von Wilhelm Stolze. 316 S. 8°. 1912. Brosch M. 7.— gebunden M. 8.50 Feinde Bismarcks Geistige Grundlagen der deutschen Opposition 1848—1918. Von Otto Westphal. 304 S. Gr.-8°. 1930. Brosch M. 11.50 in Leinen geb M. 13.50 Die Ministerialität in Brandenburg Von G . W i n t e r . 132 S. Gr.-8°. 1922. Brosch M. 2.40 Geschichtsauffassung und Politik in Bismarcks Bewußtsein Von Helmuth W o l f f . 222 S. 8°. 1926. Brosch M. 4.80

Aus der „Historischen Bibliothek"' Band 1 : Heinrich von Treitschkes Lehr- und Wanderjahre. 1834—1867. Von Theodor Schiemann. 303 S. 8°. 2. Aufl. 1898. Geb. M. 5 — Band 7: Die Berliner Märztage von 1848. Von W . B u s c h . 74 S. 8°. 1899. Gebunden M. 2.— Band 23 : Die Überleitung Preußens in das konstitutionelle System durch den zweiten Vereinigten Landtag. Von Hans Mähl. 280 S. 8°. 1909. Brosch M. 6.— Band 40: Heinrich von Treitschke und die Preußisch-Deutsche Frage yon i860—1866. VonH. K a t s c h . 177 S. 8°. 1919. Brosch. . . M. 4.— Band 45 : Edwin von Manteuffel als Quelle zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV. Von E. Schmitz. 98 S. 8°. 1921. Brosch. . . . M. 2.—

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