Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne: Die Hascharath Zwi Schule in Halberstadt (1796–1942) 9783110470802, 9783110468069

This study on the history of German-Jewish education traces the impact of the Hazkarat Zebi School in Halberstadt, the o

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German Pages 301 [302] Year 2017

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Thema und Fragestellung
Forschungsstand
Quellenlage
1 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)
1.1 Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadts
1.2 Vereine und Stiftungen
1.3 Die Hirsch-Isaac-Borchert-Stiftung – Der Beginn der Hascharath Zwi (1796–1807)
1.4 Die rechtliche Stellung des jüdischen Schulwesens in Preußen vor 1807
1.5 Das Königreich Westphalen (1807–1813)
1.6 Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne
1.7 Die Lehrpläne
1.8 Exkurs: Die jüdischen Schüler des Domgymnasiums Ende des 18. Jahrhunderts
2 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)
2.1 Die Schulaufsicht in den neuen Provinzen nach dem Ende des Königreichs Westphalen
2.2 Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen
2.3 Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung
2.4 Die Lehrer der reorganisierten Schule
2.5 Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands
2.6 Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher
2.7 Die finanzielle Grundlage der Schule
2.8 Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Schule
2.9 Die Schüler
2.10 Die Religionsschule Talmud Tora
2.11 Umzug in den Rosenwinkel 18
2.12 Exkurs: Bildung eines jüdischen Handwerkervereins
3 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen(1872–1932)
3.1 Die rechtliche Lage der jüdischen Volksschulen
3.2 Neugestaltung und Erziehungsziele
3.4 Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Schule und das neue Schulgebäude Westendorf 15
3.5 Die Schule unter Leitung Isaak Auerbachs
3.6 Der Religionsunterricht
3.7 Die Schulsituation vor 1933
3.8 Jüdische Schüler an öffentlichen Schulen
4 Die Hascharath Zwi (1933–1942)
4.1 Die nationalsozialistische Gesetzgebung und ihre Auswirkungen
4.2 Die jüdische Volksschule nach 1933
4.3 Die finanzielle Lage
4.4 Fotodokumente
4.5 Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938
4.6 Das Ende der Hascharath Zwi und der jüdischen Gemeinde Halberstadt
5 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Gedruckte Quellen, Nachschlagewerke und Literatur
Internetquellen
Periodika
Abkürzungen
Glossar
Nachweis der Abbildungen und Dokumente
Personenregister
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Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne: Die Hascharath Zwi Schule in Halberstadt (1796–1942)
 9783110470802, 9783110468069

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Beate Reupke Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne

Europäisch-jüdische Studien Beiträge

Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Redaktion: Werner Treß

Band 28

Beate Reupke

Jüdisches Schulwesen zwischen Tradition und Moderne Die Hascharath Zwi Schule in Halberstadt (1796–1942)

ISBN 978-3-11-046806-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047080-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-046870-0 ISSN-2192-9602 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: von Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2013 unter dem Titel Jüdisches Schulund Erziehungswesen zwischen Tradition und Modernisierung. Die HascharathZwi-Schule in Halberstadt (1796–1942) von der Universität Potsdam, Fachbereich Jüdische Studien, als Dissertation angenommen. Die Verteidigung fand im November 2013 statt. Für die Veröffentlichung wurde die Untersuchung überarbeitet, erweitert und auf den aktuellen Forschungsstand gebracht. Das Forschungsthema entwickelte sich aus einem Seminar an der Universität Potsdam zur Konzeption des Berend Lehmann Museums in Halberstadt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Julius H. Schoeps, der mich von Anfang an in meinem Forschungsvorhaben bestärkte, mich ermutigte und meine Arbeit kontinuierlich mit vielfältigen Anregungen begleitete und unterstützte. Herrn Professor Frank Tosch, Universität Potsdam, Fachbereich Erziehungswissenschaften, danke ich für sein Engagement und die bereitwillige Übernahme des Zweitgutachtens. Für ihre Hilfsbereitschaft und die unkomplizierte Bereitstellung von Quellen bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bauarchivs Halberstadt, des Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin, des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt, Magdeburg, der Stiftung „Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum“, der Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, des Leo Baeck Institute im Jüdischen Museum Berlin sowie der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung Berlin und der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde Berlin. Zu Dank verpflichtet bin ich Anette Bartl und Gabriele Bremer vom Historischen Stadtarchiv Halberstadt für ihre freundliche und kompetente Betreuung. Herzlich danke ich den ehemaligen Schülern der Hascharath Zwi Judith Biran, Benno Gocman, Eric J. Mayer, Betty Nathansen, Beate Pappenheim, Richard Jost Tannenberg und Lillyan Rosenberg, die wertvolle Beiträge zum Schulgeschehen lieferten. Ein besonderes Anliegen ist es mir, Dr. Chanan Feist zu danken, der bereitwillig sein umfangreiches Wissen über die jüdische Gemeinde Halberstadt mit mir teilte und mir seine Dissertation auf Deutsch zur Verfügung stellte. Ebenso danke ich für Hinweise und Unterstützung Isaak Auerbach, Jutta Dick, Dr. Irene A. Diekmann, Uri Faber, Dr. Jörg H. Fehrs, Johanna Fischer, Dr. Martin Gabriel, Werner Hartmann, Dr. Katharina Hoba, Erika Krause und Dr. Monika Lüdemann. Darüber hinaus danke ich Professor Julius H. Schoeps und Dr. Werner Treß für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Europäisch-jüdische Studien, die vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam in DOI 10.1515/9783110470802-202

VI 

 Vorwort

Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg herausgegeben wird. Für die zuverlässige Organisation bei der Vorbereitung zur Veröffentlichung danke ich Dr. Julia Brauch und Monika Pfleghar vom De Gruyter Verlag München. Mein innigster Dank gilt Reet Schmidt und Wiltrud Speckmann für Anregungen, Kritik und die Mühen des Korrekturlesens. Meinem Mann, Klemens Fischer, danke ich für seine fortwährende Unterstützung und seinen bedingungslosen Rückhalt. Beate Reupke Berlin, im September 2016

Inhalt Einleitung 

1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7 1.8

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 3 3.1 3.2

 1 Thema und Fragestellung  Forschungsstand   8 Quellenlage   14

 1

 19 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)  Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadts   19 Vereine und Stiftungen   25 Die Hirsch-Isaac-Borchert-Stiftung – Der Beginn der Hascharath Zwi (1796–1807)   34 Die rechtliche Stellung des jüdischen Schulwesens in Preußen vor 1807   45 Das Königreich Westphalen (1807–1813)   55 Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne   60 Die Lehrpläne   66 Exkurs: Die jüdischen Schüler des Domgymnasiums Ende des 18. Jahrhunderts   73  78 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)  Die Schulaufsicht in den neuen Provinzen nach dem Ende des Königreichs Westphalen   78 Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen   88 Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung   94 Die Lehrer der reorganisierten Schule    107 Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands   114 Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher   124 Die finanzielle Grundlage der Schule   138 Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Schule   142 Die Schüler   147 Die Religionsschule Talmud Tora   159 Umzug in den Rosenwinkel 18   165 Exkurs: Bildung eines jüdischen Handwerkervereins   172 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen (1872–1932)   175 Die rechtliche Lage der jüdischen Volksschulen   175 Neugestaltung und Erziehungsziele   178

VIII  3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

5

 Inhalt

Lehrer – Administratoren – Schüler   187 Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Schule und das neue Schulgebäude Westendorf 15   192 Die Schule unter Leitung Isaak Auerbachs   197 Der Religionsunterricht   199 Die Schulsituation vor 1933   202 Jüdische Schüler an öffentlichen Schulen   212  222 Die Hascharath Zwi (1933–1942)  Die nationalsozialistische Gesetzgebung und ihre Auswirkungen   222 Die jüdische Volksschule nach 1933   226 Die finanzielle Lage   232 Fotodokumente   234 Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938   244 Das Ende der Hascharath Zwi und der jüdischen Gemeinde Halberstadt   251 Zusammenfassung 

 255

 259 Literaturverzeichnis  Ungedruckte Quellen   259 Gedruckte Quellen, Nachschlagewerke und Literatur  Internetquellen   280 Periodika   281 Abkürzungen  Glossar 

 282

 283

Nachweis der Abbildungen und Dokumente  Personenregister 

 287

 285

 263

Einleitung Thema und Fragestellung Die jüdische Schule in Halberstadt wurde 1796 gegründet und gehörte zu den ersten jüdischen Elementarschulen, die profane Fächer in den Lehrplan aufnahmen und zugleich an der religiösen Erziehungsweise festhielten. Was die Schule besonders auszeichnet, ist, dass sie sich trotz anfänglicher Hindernisse, territorialer Neuordnungen, ökonomischer Engpässe und teilweise geringer Schülerzahlen über einen Zeitraum von 146 Jahren durchsetzen und behaupten konnte. Die vorliegende Monografie erfasst den gesamten Zeitraum ihres Bestehens und stellt den pädagogischen, religiösen und sozialen Schulalltag dar. Sie dokumentiert den Werdegang der Schule nach den Vorgaben der preußischen Regierung für das jüdische Schulwesen zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie den darauffolgenden Bestimmungen und Gesetzen. Bis zur Schulgründung hatte Unterricht in der von der jüdischen Gemeinde unterhaltenen traditionellen Schule, auch Talmud Tora genannt, stattgefunden. Er wurde meist nur von wenigen Knaben schon ab dem fünften Lebensjahr besucht und konzentrierte sich, ähnlich wie an den Chadarim, auf die Vermittlung der Grundlagen des Hebräischen und die Beschäftigung mit der Tora und ihren Kommentaren sowie das Erlernen des Gebetskanons.1 Der Unterricht fand meist in den Privaträumen der Lehrer statt, daher die Bezeichnung Cheder [pl. Chadarim], auf Deutsch: Stube. Dabei waren Talmud-Tora-Schulen und Chadarim in den kleinen jüdischen Gemeinden oftmals die einzigen Einrichtungen, in denen Kinder ihren ersten Unterricht erhielten, und die als Vorläufer der Elementarschulen für eine gewisse Form der Unterrichtsdisziplin sorgten. Mit Beginn der Haskala, der jüdischen Aufklärung, gerieten diese jedoch in die Kritik, die sich an den meist aus Osteuropa stammenden Lehrern und ihrer unzeitgemäßen Lehrmethode entzündete. Bemängelt wurde einerseits der monothematisch ausgerichtete Lehrplan, andererseits die unzureichenden, oftmals gänzlich fehlenden Deutschkenntnisse des Lehrers, sowie

1 Zu Aufbau und Struktur des jüdischen Bildungswesen vgl. Katz, Jacob: Tradition und Krise. Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne. München 2002. S. 186–192; Meyer, Michael A.: Jüdische Gemeinden im Übergang. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. Hrsg. von ders. München 2000. S. 96–125, hier S. 98–111; Lowenstein, Steven M.: Anfänge der Integration 1780–1871. In: Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945. Hrsg. von Marion Kaplan. München 2003. S. 126–224, hier S. 154–168. DOI 10.1515/9783110470802-001

2 

 Einleitung

das niedrige Niveau des Unterrichts.2 Obwohl die Aufklärer dem Cheder und seinen traditionellen Lehrern, den Melamdim, ablehnend gegenüberstanden und diese „für rückständig“ hielten, gab es auch andere Stimmen unter ihnen, wie z. B. Lazarus Bendavid, der den Talmud-Tora-Schulen und den Chadarim „durchaus positive Momente“ abgewinnen konnte, da „sie dennoch zur Charakterbildung junger Menschen beitragen“ und „die Lehrer meistens die Kunst verstehen, das Herz ihrer Schüler zu gewinnen“.3 Dennoch wirkte das negative Image des Cheders bzw. seiner Lehrer lange nach und wurde in späteren Publikationen oftmals unreflektiert übernommen.4 Erst der Historiker Julius Carlebach relativierte es 1977 in seinem Aufsatz über den Säkularisierungsprozeß in der Erziehung und vertrat die These, „daß der Cheder bzw. das Grundprinzip, auf dem er aufbaute, ein System war, das Persistenz besaß, einzigartig jüdisch und einzigartig effektiv war.“5 Wie sich noch zeigen wird, bestand diese Schulform in Preußen noch bis zum Ministerialerlass von 1824, mit dem erstmals von staatlicher Seite in das jüdische Bildungswesen eingegriffen und diese auch als „Winkelschulen“ bezeichneten Einrichtungen untersagt wurden. Ausschlaggebend für die Veränderungen im jüdischen Bildungs- und Erziehungswesen war der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Diskussionsprozess um den rechtlich-sozialen Status der Juden, eingeleitet durch den preußischen Staatsrat Christian Wilhelm von Dohm mit seiner 1871 erschienen Abhandlung Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden, worin er auch Bezug auf „die sittliche Bildung und Aufklärung der Juden“ nahm. Er forderte zur Verbesserung der beruflichen Situation eine gezieltere Unterweisung der jüdischen Kinder in den Elementarfächern, weiterhin regte er an, das jüdische Schulwesen gleich dem christlichen unter staatliche Aufsicht zu stellen, ohne Einfluss auf den jüdischen Religionsunterricht zu nehmen und er trat für die Beschulung aller jüdischen Kinder ein, die, wenn keine jüdische Schule vorhanden war, die

2 Zur Kritik an den jüdischen Lehrern vgl. Brämer, Andreas: Leistung und Gegenleistung. Zur Geschichte jüdischer Religions-und Elementarlehrer in Preußen 1823/24 bis 1872. Göttingen 2006. S. 41f.; Lowenstein, Anfänge, 2003, S. 155f.; Katz, Tradition, 2002, S. 191. 3 Zitiert nach Schoeps, Julius H.: „Du Doppelgänger, du bleicher Geselle!“ Deutsch-jüdische Geschichte durch drei Jahrhunderte 1700–2000. Berlin u. Wien 2004. S. 183. 4 Zur Verbreitung des Negativbildes der Chadarim bzw. der aus Osteuropa stammenden Lehrer vgl. besonders Straßburger, Berthold: Geschichte der Erziehung und des Unterrichts bei den Israeliten. Von der vortalmudischen Zeit bis auf die Gegenwart. Stuttgart 1885. S. 164f. 5 Carlebach, Julius: Deutsche Juden und der Säkularisierungsprozeß in der Erziehung. Kritische Bemerkungen zu einem Problemkreis der jüdischen Emanzipation. In: Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850. Studien zur Frühgeschichte der Emanzipation. Hrsg. von Hans Liebeschütz u. Arnold Pauker. Tübingen 1977. S. 55–93, hier S. 61f.

Thema und Fragestellung 

 3

allgemeinen besuchen sollten.6 Fast zeitgleich dazu erschien 1782, unter dem Eindruck der Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., das in hebräischer Sprache verfasste Sendschreiben des zum Kreis Moses Mendelssohns gehörenden Naphtali Herz Wessely Divrei Shalom we-Emet (dt. Worte des Friedens und der Wahrheit) in der Übersetzung von David Friedländer.7 Es war gerichtet an die jüdischen Gemeinden der österreichischen Monarchie, in denen der Aufklärer Herz Homberg mit dem Aufbau moderner deutsch-jüdischer Schulen beauftragt worden war.8 Im Vergleich zu den bisherigen Lehrmethoden regte Wessely grundlegende Neuerungen an. Er trat für eine altersentsprechende, „in Klassen nach Ihren Fähigkeiten und Neigungen“, weltliche und religiöse Bildungsvermittlung ein. Zudem sollten Naturwissenschaften und Astronomie in den Fächerkanon aufgenommen und Schulbücher eingeführt werden. Für Wessely bedeutete die „Synthese von profanen und religiösen Elementen im Bildungsprozeß“ kein Widerspruch.9 Es handelte sich dabei um das erste „systematische Werk über moderne jüdische Erziehung“, das auf heftige Kritik seitens der Orthodoxie10 stieß. Einer der heftigsten Kritiker der Wesselyschen Schrift war der aus Lissa stammende Rabbiner David Tewel. Er forderte sogar, den Bann über Wessely zu verhängen und sein Sendschreiben auf den Scheiterhaufen werfen zu lassen.11

6 Vgl. Auszug aus Christan Wilhelm Dohms Schrift „Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden“, 1781. In: Lohmann, Ingrid (Hrsg.): Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin (1778–1825) im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. Eine Quellensammlung in 2 Teilen. Mithrsg. von Uta Lohmann unter Mitarbeit von Britta L. Behm, Peter Dietrich u. Christian Bahnsen. Münster [u. a.] 2001. Dok. 30. S. 163. Im Folgenden zitiert als CCN. Zu seinen Schriften vgl. Dohm, Christian Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. Hildesheim 1973. 7 Vgl. Worte der Wahrheit und des Friedens an die gesammte jüdische Nation. Vorzüglich an diejenigen, so unter dem Schutze des glorreichen und großmächtigsten Kaysers Joseph II. wohnen. [Aus dem Hebräischen übersetzt von David Friedländer]. Berlin 1782. In: CCN, 2001, Dok. 32, S. 174–186. 8 Zu Herz Homberg vgl. Sadowski, Dirk: Haskala und Lebenswelt. Herz Homberg und die jüdischen deutschen Schulen in Galizien 1782–1806. Göttingen 2010. S. 41–44. 9 Vgl. Schoeps, „Du Doppelgänger, du bleicher Geselle!“, 2004, S. 185f. Vgl. auch Worte der Wahrheit und des Friedens, in: CCN, 2001, Dok. 32, S. 174–186, hier S. 174f., 182. 10 Der Begriff „Orthodoxie“ setzte sich im Verlauf der innerjüdischen Reformdebatten im 19. Jahrhundert immer mehr durch und wird in dieser Arbeit „als Bezeichnung für eine religiöse Richtung, für die religiöse Lebensform des Einzelnen und der Gemeinschaft“ verwendet. Die jüdische Orthodoxie sah sich „vor allem als Trägerin und Wächterin des alten jüdischen Glaubens und der alten jüdischen Tradition“. Laut Breuer war die Orthodoxie „die Kampfparole einer sich gegenüber reformistischen und assimilatorischen Tendenzen behauptenden Traditionsgebundenheit“. Zitiert nach Breuer, Mordechai: Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871–1918. Sozialgeschichte einer religiösen Minderheit. Frankfurt a. M. 1986. S. 3. 11 Vgl. Schoeps, „Du Doppelgänger, du bleicher Geselle!“, 2004, S. 184–187. Vgl. dazu auch Lohmann, Ingrid: Die jüdische Freischule in Berlin – eine bildungstheoretische und schulhistorische Analyse. Zur Einführung in die Quellensammlung. In: CCN, 2001, S. 13–83, hier S. 37.

4 

 Einleitung

Beeinflusst durch die Schriften Dohms und Wesselys entstanden so Ende des 18. Jahrhunderts in Preußen, zumeist auf Anregung jüdischer Aufklärer, der Maskilim, einzelne jüdische Schulen mit moderner pädagogischer Ausrichtung, wie z.  B. die 1778 gegründete jüdische Freischule in Berlin, an der erstmalig Deutsch als Unterrichtssprache eingeführt und ein reduzierter Hebräisch- und Religionsunterricht angeboten wurde. Weiterhin die 1791 mit Unterstützung von staatlicher Seite gegründete Königliche Wilhelmschule in Breslau, deren Unterrichtsplan von vornherein keinen Talmudunterricht vorsah, und die sogenannte Franzschule in Dessau, die 1799 unter dem Namen Jüdische Haupt- und Freischule eröffnet wurde. Außerdem gehörten diese zu den ersten jüdischen Schulen, die auch christliche Kinder aufnahmen und Mädchenklassen einrichteten. Dennoch konnten sich einige der von den Maskilim gegründeten Schulen nicht durchsetzen und wurden Mitte des 19. Jahrhunderts wieder aufgelöst. Es folgten Gründungen weiterer jüdischer Schulen unterschiedlicher Ausrichtung, von denen sich einige im Laufe der Jahrzehnte zu höheren, sogenannten Mittelschulen entwickelten, wie z. B. die Israel-Jacobson-Schule in Seesen (1801), das Philanthropin in Frankfurt a. M. (1804) und die Talmud-Tora-Schule in Hamburg (1805).12 Inmitten der genannten Schulgründungen wurde im Mai 1796 die jüdische Schule in Halberstadt unter dem Namen Hascharath Zwi13 zunächst nur für Knaben, ab 1827 auch für Mädchen, als Elementarschule eröffnet. Möglich machte das der Halberstädter Kaufmann Hirsch Isaac Borchert, der zu ihrer Gründung testamentarisch ein großzügiges Stiftungskapital und wohl durchdachte Vorgaben sowohl für ihre Organisation als auch für ihr pädagogisches Konzept hinterlassen hatte. Seit 1825 zweifellos dem Typus einer gehobenen Elementarschule zuzuordnen, charakterisiert durch eine mittelständische Sozialstruktur ihrer

12 Eine Überblicksdarstellung liefert einzig Eliav, Mordechai: Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und Emanzipation. Münster [u. a.] 2001. Das Original erschien 1960 in Hebräisch und liegt seit 2001, geringfügig überarbeitet und ergänzt, in deutscher Sprache in der von Ingrid Lohmann, Britta L. Behm und Uta Lohmann verantworteten Reihe „Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland“ vor. Zu den höheren jüdischen Schulen vgl. auch Fürst, Abraham: Die jüdischen Realschulen Deutschlands. In: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums (MGWJ) 58 (1914). Heft 4. S. 430–453. Heft 5. S. 513–541; ders.: Die höheren jüdischen Schulen Deutschlands. In: MGWJ 75 (1931). Heft 1. S. 48–67. 13 Hascharath Zwi (hebr.: das Übriggebliebene des Zwi [Hirsch]), frei: was Zwi überdauert hat oder in Gedenken an Zwi. Ende des 19. Jahrhunderts lautete ihre offizielle Bezeichnung „Israelitische Schule zu Halberstadt“ oder auch „Israelitische Schule Hascharath Z’wi“. Auch die Schreibweise differierte zwischen Hascharat und Hascharath sowie Zwi, Zwie, Z’wi und Zebi. In der vorliegenden Arbeit wird die jüdische Schule durchgängig als Hascharath bezeichnet. Ein weiteres Problem war die wechselnde Schreibweise der jüdischen Vor- und Familiennamen in den Quellen wie z.B. Borcherd und Borchert. In dieser Arbeit wird ausschließlich Borchert verwendet.

Thema und Fragestellung 

 5

Schülerschaft, zeichnete sie sich durch einen über die allgemeinbildenden Fächer hinausgehenden Lehrplan aus. Auch nach der Reichsgründung 1871 und dem ein Jahr später folgenden Schulaufsichtsgesetz, das den Ausbau des Unterrichts der Volksschulen in Preußen regelte, ließ sie sich nicht in das komplexe Bedingungsgefüge des allmählich sich konkretisierenden Volksschulbegriffs einordnen: Nach einer konzeptionellen Umgestaltung der Schule – ihre Hauptfunktion bestand darin, die Schüler auf den Besuch weiterführender Schulen vorzubereiten – lehnten die Schulverantwortlichen zunächst die Erhebung zu einer öffentlichen Volksschule kategorisch ab, mit der Intention, den jüdischen Fächern und Disziplinen auch weiterhin möglichst großen Raum zu gewähren.14 Mit dem zunehmenden staatlichen Einfluss auf das jüdische Bildungswesen seit Anfang des 19. Jahrhunderts stellt sich vordringlich die Frage nach der Wahrung religiöser Traditionen im Spannungsfeld von Emanzipation und Akkulturation für den gesamten Zeitraum ihres Bestehens. Bis ca. 1870 lässt sich zum einen zeigen, inwieweit die traditionelle15 Gemeinde selbst bzw. Lehrer oder Eltern den Modernisierungsprozess unterstützten und Veränderungen forderten, zum anderen wird analysiert, welchen Einfluss Schulbehörde und Magistrat nach 1824 nahmen und wie viel und in welcher Form sie den Verantwortlichen – Schulvorstand und Lehrern – Eigenständigkeit gewährten. Dabei werden die besondere sozio-ökonomische Situation der Lehrer, ihre Nöte und Sorgen sowie die der Schüler und Eltern als auch das Vorgehen der preußischen Beamten, befugten Schul- und Konsistorialräte, untersucht. Aufgrund der wenigen Quellen kann ab ca. 1870 nur ein Überblick über den weiteren Werdegang der Schule gegeben werden, dennoch stellt sich die Frage nach den Erziehungszielen und der Umsetzung der folgenden Schulgesetzgebungen, was auch für den Zeitraum von 1933 bis zum Ende ihres Bestehens gilt. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadt wird insofern berücksichtigt, als sie die Belange der Schule betrifft, wobei in erster Linie die religiösen

14 In den Quellen findet sich die Bezeichnung Elementarschule bis in die 1860er-Jahre, wohingegen sich danach immer mehr der Begriff Volksschule durchsetzte. Bis zu den „Allgemeinen Bestimmungen“ im Jahre 1872 subsumierte man unter dem Begriff „Volksschule“ niedere, mittlere und höhere Elementar- bzw. Volksschulen. Vgl. dazu Kuhlemann, Frank-Michael: Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794–1872. Göttingen 1992. S. 33–36. 15 Auch der Begriff „Tradition“ wird in dieser Arbeit gemäß Shulamit Volkov als „ein Sammelbegriff für den gesamten symbolischen, schriftlichen und institutionellen Apparat, mit dem eine Gruppe die Erinnerung an ihre gemeinsame Vergangenheit, an ihre Werte, ihren Charakter und ihre ererbte Eigenheit bewahrt oder zu bewahren versucht“, verstanden. Zitiert nach Volkov, Shulamit: Die Erfindung einer Tradition. Zur Entstehung des modernen Judentums in Deutschland. München 1992. S. 6. Synonym wird auch der Begriff „gesetzestreu“ verwendet.

6 

 Einleitung

Einrichtungen herangezogen werden, die Einblicke in den Alltag der Gemeinde erlauben. Über den bildungshistorischen Rahmen des jüdischen Elementarschulwesens hinaus handelt es sich zudem um die Auseinandersetzung mit einer Region, die bisher kaum wissenschaftliche Beachtung erfahren hat, da erst nach 1989 mit der Erforschung zur regionalen jüdischen Geschichte begonnen werden konnte. Die Arbeit erfordert vorrangig ein chronologisches Gliederungsprinzip, dabei bieten sich die bedeutsamen bildungshistorischen Ereignisse, die zeitnah mit den konzeptionellen Veränderungen der jüdischen Schule einhergingen, als geeignete Kapitelübersicht an. Um über die zeitliche Abfolge hinaus weitere Themenkomplexe wie z. B. die neben der Hascharath Zwi bestehende Religionsschule, auch Talmud Tora genannt und die Fortbildungsmöglichkeiten der Schüler aufgreifen zu können, wurde ein systematisches Gliederungsprinzip herangezogen. Aus der Fragestellung und der methodischen Vorgehensweise ergibt sich somit folgender Aufbau der Arbeit: Im ersten Kapitel werden zunächst die allgemeinen historischen Rahmenbedingungen der jüdischen Gemeinde Halberstadt unter besonderer Berücksichtigung ihres Vereins- und Stiftungswesens erläutert, da diese aufschlussreiche Einblicke in die Besonderheiten der gesetzestreuen Gemeinde gewähren. Zudem werden die Gründungsbedingungen der Schule in Annäherung an die Lebensumstände ihres Stifters Hirsch Isaac Borchert untersucht. Mit den ersten konkreten Modernisierungsmaßnahmen wurde die Gemeinde unter dem Königreich Westphalen konfrontiert, hier wird untersucht, wie sich die Reformvorgaben des israelitischen Konsistoriums auswirkten, die als erstes eine Qualifikationsanhebung des jüdischen Lehrerstandes einleiteten und eine erhebliche Erweiterung des Fächerkanons und der Unterrichtsverpflichtung für Jungen und Mädchen anstrebten. Am Ende des Kapitels wird in einem Exkurs auf die Bedeutung, die Bildung und Erziehung im allgemeinen Modernisierungsprozess Ende des 18. Jahrhunderts spielten, eingegangen. In diesem Zusammenhang werden die regionalen schulhistorischen Rahmenbedingungen aufgezeigt, mit besonderem Blick auf die höheren Schulen der Stadt und deren Frequentierung durch jüdische Schüler. Das zweite Kapitel behandelt den Zeitraum ab 1825 und bildet den Kern der Arbeit. Es werden die Veränderungsprozesse durch die preußische Schulgesetzgebung und ihre modernen Bildungselemente nach Ende des Königreichs Westphalen dargestellt sowie deren Auswirkungen auf die zeitgleich reorganisierte Schule. Hierbei ist festzuhalten, dass der Ministerialerlass von 1824, der erstmals die Prüfungspflicht für jüdische Lehrer vorsah, nicht in allen Regierungsbezirken gleichermaßen umgesetzt wurde. Es wird untersucht, inwieweit die zuständige Schulbehörde der preußischen Provinz Sachsen Einfluss auf das Konzept der

Thema und Fragestellung 

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jüdischen Schule nahm. Im Vordergrund steht dabei die Frage, auf welche Weise sich die Schule gegenüber den Behörden positionierte und wie sie sich diesen gegenüber behaupten konnte. Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, sich Lehrern und Schülern zu nähern, um Einblick in den alltäglichen Schulablauf zu nehmen. Gleichzeitig werden Themenbereiche wie die finanzielle Lage der Schule, Lehrpläne und Lehrmaterialien, Schulhäuser und die parallel bestehende Talmud Tora thematisiert und analysiert. Das dritte Kapitel beginnt mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und stellt zunächst die Ende der 1860er-Jahre vorgenommene konstitutionelle Umgestaltung der Schule dar, die zeitnah mit dem Gesetz betr. die Beaufsichtigung des Unterrichts-und Erziehungswesens vom März 1872, das die staatliche Schulaufsicht für ganz Preußen festlegte, und mit der Allgemeinen Verfügung über Einrichtung, Aufgabe und Ziel der preußischen Volksschule vom Oktober 1872, die eine Neustrukturierung des Unterrichts vorsah, einherging. Dabei wird zunächst der Frage nachgegangen, welches Ziel man mit der Umwandlung zur Grundschule mit Aufbauklassen verfolgte und wie es in den folgenden Jahrzehnten gelang, an diesem Schulkonzept festzuhalten. Da der Besuch der höheren Stadtschulen gefördert wurde, wird am Ende des Kapitels abermals in Form eines Exkurses ein Blick auf die jüdische Schülerschaft der höheren lokalen Schultypen der Stadt geworfen. Obwohl die Quellenlage eine klare Ausrichtung der Schule aufzeigt, ließ sich für diesen Zeitraum nur sehr wenig über Schulablauf, Lehrplangestaltung sowie Lehrer und Schüler in Erfahrung bringen. Das Gleiche setzt sich auch im letzten Kapitel fort, das die Geschichte der Hascharath Zwi in der Zeit von 1933 bis zu ihrem Ende im Jahre 1942 behandelt. Die zunächst von den Nationalsozialisten eingeleitete antijüdische Schulpolitik verfolgte eine sukzessive Ausgrenzung jüdischer Schüler aus allen nichtjüdischen Schulen bzw. öffentlichen Einrichtungen. Nach dem Pogrom vom 9./10. November 1938 setzte die Phase ein, die letztlich zu Deportation und Vernichtung der Halberstädter Juden führte. Der letzte Lehrer der Schule, Jakob Lundner, ermöglichte es, dass nach 1938 für die wenigen noch verbliebenen Schüler Unterricht stattfand. Die Geschichte der Schule endet mit der ersten Deportation der Halberstädter Juden am 12. April 1942. Für den Zeitraum von 1930 bis 1937 sind mehrere Fotodokumente erhalten, die als Tafelteil in das Kapitel eingebunden werden. Es handelt sich dabei um Klassenverbände, die zu verschiedenen Anlässen wie erstes Schuljahr, Schulausflüge, Sportgruppe oder religiöse Feste aufgenommen wurden. Die Fotos zeigen keine spontane Situation, sondern „aufgestellte“ Schülergruppen. Im Vergleich zu den Textquellen handelt es sich um eine schwierige Quellengattung, die bisher nur in der Kunst- und Fotogeschichte verwendet wird und in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen bzw. in der bildungsgeschichtlichen Forschung

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nur wenig Aufmerksamkeit erfährt.16 Fotografien als Quellenmaterial sind „ästhetische Produkte“, die auf den Betrachter „unmittelbar visuell wirken und als ästhetisches Ausdrucksmittel individuelle und kollektive kulturelle Sichtweisen vermitteln“.17 Miller-Kipp konstatiert, dass sie „vergangene Mentalitäts- und Stimmungslagen“ wiedergeben und „als ästhetisches Produkt eine emotionale Potenz wie sonst keine andere Quellengattung“ besitzen und mit besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht verwendet werden sollten.18 Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass das Zitierte Rückschlüsse auf die Alltags- und Sozialgeschichte der Schule sowie auf das Gemeindeleben selbst ermöglicht, und so wurden aus dem Quellenmaterial längere Passagen von Lehrern, Schülern und den jeweiligen Konsistorial- bzw. späteren Schulräten wiedergegeben. Zwar haftet diesen auch immer eine persönliche Meinung an, dennoch liefern sie informative Hinweise über das Schulgeschehen und darüber hinaus.

Forschungsstand In den letzten Jahrzehnten sind zum jüdischen Schul- und Bildungswesen zahlreiche Forschungsarbeiten erschienen. Dabei handelt es sich zum einen um Monografien über jüdische Schulen unter besonderer Berücksichtigung des Modernisierungsprozesses in der Folge von Emanzipation und Akkulturation, in denen der Gründer oftmals eine maßgebliche Rolle einnimmt.19 Zum anderen

16 Vgl. Pilarczyk, Ulrike u. Ulrike Mietzner: Das reflektierte Bild. Die seriell-ikonographische Fotoanalyse in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Bad Heilbrunn 2005. S. 95. Vgl. dazu auch Talkenberger, Heike: Historische Erkenntnis durch Bilder? Zur Methode und Praxis der Historischen Bildkunde. In: Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte. Hrsg. von Hanno Schmitt, Jörg-W. Link u. Frank Tosch. Bad Heilbrunn 1997. S. 11–26. 17 Pilarczyk u. Mietzner, Das reflektierte Bild, 2005, S. 107. Zur Fotografie als historisches Quellenmaterial vgl. auch Priem, Karin: Fotografie als epistemologische Praxis einer Sozialgeschichte des Bilderwissens über Familie. In: Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung. Tagungsergebnisse – Erschließungshorizonte. Hrsg. von Rudolf W. Keck, Sabine Kiek u. Hartmut Schröder. Baltmannsweiler 2006. S. 124–139. 18 Vgl. Miller-Kipp, Gisela: Zwischen Kaiserbild und Palästinakarte. Die jüdische Volksschule im Regierungsbezirk Düsseldorf (1815–1945). Archive, Dokumente und Geschichte. Köln [u. a.] 2010. S. 343, 348. 19 Hier sei nur auf eine Auswahl der wichtigsten Monografien verwiesen: Randt, Ursula: Carolinenstrasse 35. Geschichte der Mädchenschule der Deutsch-israelitischen Gemeinde in Hamburg 1884–1942. Hamburg 1984; Schlotzhauer, Inge: Das Philanthropin 1804–1942. Die Schule der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 1990; Holzer, Willi: Jüdische Schulen in Berlin. Am Beispiel der privaten Volksschule der jüdischen Gemeinde Rykestraße. Berlin 1992; Fölling, Werner: Zwischen deutscher und jüdischer Identität. Deutsch-jüdische Familien und die

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liegen Publikationen vor, in denen nicht einzelnen Schulgattungen nachgegangen wird, sondern der regionalen Erfassung der jüdischen Schulen und ihrer besonderen Stellung, dabei finden auch die jüdischen Volksschulen vermehrte Aufmerksamkeit.20 Zu den neuesten Forschungsarbeiten gehören regionale Studien über jüdische Pädagogen, die in entsprechenden Positionen den Modernisierungsprozess beeinflussten.21 Diesen Prozess untersucht auch Simone Lässig in ihrer umfassenden Studie Jüdische Wege ins Bürgertum, wobei sie unter dem Gesichtspunkt bürgerlich-jüdischer Bildungskonzepte einen erheblichen Teil den jüdischen Reformschulen widmet.22 Des Weiteren sei neben der

Erziehung ihrer Kinder an einer jüdischen Reformschule im „Dritten Reich“. Opladen 1995; Däschler-Seiler, Siegfried: Auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft. Joseph Maier und die jüdische Volksschule im Königreich Württemberg. Stuttgart 1997; Freund, Susanne: Jüdische Bildungsgeschichte zwischen Emanzipation und Ausgrenzung. Das Beispiel der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster (1825–1942). Paderborn 1997; Thiel, Hans (Bearb.): Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt am Main. Dokumente – Erinnerungen – Analysen. Hrsg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt a. M. 2001; Berg, Meike: Jüdische Schulen in Niedersachsen. Tradition – Emanzipation – Assimilation. Die Jacobson-Schule in Seesen (1801–1922). Die Samson-Schule in Wolfenbüttel (1807–1928). Köln [u. a.] 2003; Randt, Ursula: Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805–1942. München u. Hamburg 2005. 20 Vgl. Prestel, Claudia: Jüdisches Schul- und Erziehungswesen in Bayern 1804–1933. Tradition und Modernisierung im Zeitalter der Emanzipation. Göttingen 1989; Reichwein, Horst: Das jüdische Volksschulwesen in Ostfriesland 1842–1940. Die Volksschulgeschichte einer Minderheit vom Schulgründungsgesetz 1842 bis zu den Schulschließungen 1940. Westerholt 1992; Fehrs, Jörg H.: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712–1942. Berlin 1993; Schimpf, Dorothee: Emanzipation und Bildungswesen der Juden im Kurfürstentum Hessen 1807–1866. Jüdische Identität zwischen Selbstbehauptung und Assimilationsdruck. Wiesbaden 1994; Fehrs, Jörg H.: Die Erziehung jüdischer Kinder in der Provinz Brandenburg. In: Wegweiser durch das jüdische Brandenburg. Hrsg. von Irene A. Diekmann u. Julius H. Schoeps. Berlin 1995. S. 361–371; Kaufmann, Uri: Das jüdische Schulwesen auf dem Lande. Baden und Elsaß im Vergleich 1770–1848. In: Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte. Hrsg. von Monika Richarz u. Reinhard Rürup. Tübingen 1997. S. 293–326; Sabelleck, Rainer: Jüdische Erziehung auf dem Lande seit Beginn der Emanzipation im Königreich Hannover 1831–1866. In: Jüdisches Leben, 1997. S. 327–345; Hofmann, Fritz: Jüdisches Schulwesen in Westfalen. In: Barbian, Jan-Pieter, Michael Brocke u. Ludger Heid (Hrsg.): Juden im Ruhrgebiet. Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Gegenwart. Essen 1999. S. 555–574; Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010; Körtels, Willi: Die jüdische Schule in der Region Trier. Konz 2012; Grill, Tobias: Der Westen im Osten. Deutsches Judentum und jüdische Bildungsreform in Osteuropa (1783–1939). Göttingen 2013. 21 Vgl. Hecht, Louise: Ein jüdischer Aufklärer in Böhmen. Der Pädagoge und Reformer Peter Beer (1758–1838). Köln [u. a.] 2008; Sadowski, Haskala und Lebenswelt, 2010. 22 Vgl. Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004.

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Publikation von Mordechai Eliav und der Quellensammlung über die jüdische Freischule in Berlin, herausgegeben von Ingrid Lohmann, auf die folgenden Veröffentlichungen in der von Ingrid Lohmann, Britta L. Behm und Uta Lohmann verantworteten Publikationsreihe „Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland“ verwiesen.23 Inzwischen liegt auch eine umfassende Arbeit zur Geschichte der jüdischen Religions- und Elementarlehrer Preußens vor, in der Andreas Brämer erstmalig neben den staatlichen Verordnungen umfangreiche Einblicke in den sozialen Lehreralltag liefert.24 Anders verhält es sich mit dem Forschungsstand des jüdischen Bildungswesens in den neuen Bundesländern; hier wurde erst nach der Wiedervereinigung mit den Forschungen zur Bildungsgeschichte der Juden begonnen. Gegenwärtig lässt sich lediglich auf die ausführliche Monografie Barbara Kowalziks über das 1922 gegründete Leipziger jüdische Schulwerk, auch Carlebachschule genannt, hinweisen.25 Ebenfalls breiten Raum nehmen die jüdischen Schulen in der Arbeit Gabriele Olbrischs ein, die den staatlichen Einfluss auf die Kultus- und Religionsgeschichte der thüringischen Landrabbinate untersucht.26 Etwas schmaler fällt hingegen der Beitrag über die jüdischen Schulen in den Städten Leipzig und Dresden in der von Michael Schäbitz verfassten Emanzipationsgeschichte der Juden in Sachsen aus.27 Mit dem Hinweis auf die erheblichen Forschungsdefizite für diese Region und der vergeblichen Suche „nach einer Monografie über die Grundzüge und

23 Vgl. Hoffmann, Andreas: Schule und Akkulturation. Geschlechtsdifferente Erziehung von Knaben und Mädchen der Hamburger jüdisch-liberalen Oberschicht 1848–1942. Münster [u. a.] 2001; Behm, Britta L., Uta Lohmanns u. Ingrid Lohmann (Hrsg.): Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Münster[u. a.] 2002; Behm, Britta L.: Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin. Eine bildungsgeschichtliche Analyse zur jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Münster [u. a.] 2002; Lohmann, Uta u. Ingrid Lohmann (Hrsg.): „Lerne Vernunft!“ Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung. Quellentexte aus der Zeit der Haskala, 1760–1811. Unter Mitarbeit von Peter Dietrich. Münster [u. a.] 2005. 24 Vgl. Brämer, Leistung, 2006. 25 Vgl. Kowalzik, Barbara: Das jüdische Schulwerk in Leipzig 1912–1933. Köln [u. a.] 2002. 26 Vgl. Olbrisch, Gabriele: Landrabbinate in Thüringen 1811–1871. Jüdische Schul- und Kultusreform unter staatlicher Regie. Köln [u. a.] 2003. 27 Vgl. Schäbitz, Michael: Juden in Sachsen – jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700–1914. Hannover 2006. Zu Mecklenburg-Vorpommern vgl. Schmidtbauer, Wolfgang: Zu einigen Problemen in der Entwicklung des jüdischen Schulwesens in Mecklenburg-Schwerin. In: Beiträge zur Geschichte des jüdischen Schulwesens in Mecklenburg-Schwerin. Hrsg. von der Gesellschaft für Schulgeschichte Mecklenburgs und Vorpommerns e. V. O. O. [2001]. S. 7–29.

Forschungsstand 

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Rahmenbedingungen“ liefert Stephan Wendehorst erstmalig eine bibliografische Bilanz zur Geschichte der Juden Mitteldeutschlands.28 Die dreibändige, als Manuskript vorliegende Überblicksarbeit zur Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR von Helmut Eschwege und die Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt von Bärbel Bugaiski u. a. wurden nicht herangezogen, da sie weder über die Schule noch über die Gemeinde neue Erkenntnisse enthalten.29 Hinweise zur jüdischen Gemeinde Halberstadt liefert die von Werner Hartmann herausgegebene Reihe Juden in Halberstadt. Die unsystematisch erfassten Beiträge der einzelnen Bände enthalten auch Hinweise zur Hascharath Zwi.30 In dem von Jutta Dick und Marina Sassenberg herausgegebenen Sammelband Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt werden erstmals einzelne Orte und Themenschwerpunkte zur Geschichte der Juden Sachsen-Anhalts aufgegriffen.31 Aufschlussreich für den hier zu behandelnden Zeitraum sind die neueren Teilforschungsergebnisse zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadt. So liefert z. B. Walter Halama in seiner auf Quellen des Landeshauptarchivs Magdeburg beruhenden Forschungsarbeit zu den staatlichen Vorgaben und Genehmigungen der preußischen Regierung zu Ansiedlung, Heirat und Hausbesitz der im Fürstentum Halberstadt ansässigen Juden erste wichtige Hinweise über die Familienumstände des Stifters der Hascharath Zwi.32 Neueste Ergebnisse über Leben

28 Vgl. Wendehorst, Stephan: Geschichte der Juden in „Mitteldeutschland“ zwischen RömischDeutschem Reich und Weimarer Republik. Forschungsstand, Methode, Paradigma. In: Jüdische Bildung und Kultur in Sachsen-Anhalt von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Hrsg. von Giuseppe Veltri u. Christian Wiese. Berlin 2009. S. 21–65. Darin enthalten eine Bibliografie zur Geschichte der Juden Mitteldeutschlands in alphabetischer Reihenfolge sowie Beiträge zur Geschichte der Juden in Wirtschaft und Musik, des Rabbinats, der Synagogen und ihrer Architektur, jüdischer Friedhöfe, Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen sowie Biografien, Familiengeschichten und Autobiografien. 29 Vgl. Eschwege, Helmut: Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR. Bd. 1. Dresden 1991. S. 290–308; Bugaiski, Bärbel, Ildigo Leuberger u. Günter Waesche: Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt. Versuch einer Erinnerung. Hrsg. vom Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt. Wernigerode 1997. S. 115–131. 30 Vgl. Hartmann, Werner: Geschichte, Ende und Spuren einer ausgelieferten Minderheit. 6 Bde. Halberstadt 1991–1996. (Juden in Halberstadt). Da die Bände schnell vergriffen waren, erfolgten weitere Auflagen mit Unterstützung des „Vereins zur Bewahrung jüdischen Erbes in Halberstadt und Umgebung e. V.“. Zu den einzelnen Bänden siehe das Literaturverzeichnis. 31 Zu Halberstadt vgl. Hartmann, Werner: Halberstadt. In: Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt. Hrsg. von Jutta Dick u. Marina Sassenberg. Potsdam 1998. S. 72–91. 32 Vgl. Halama, Walter: Autonomie oder staatliche Kontrolle. Ansiedlung, Heirat und Hausbesitz von Juden im Fürstentum Halberstadt und in der Grafschaft Hohenstein (1650–1800). Bochum 2005.

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und Wirken des bekannten Halberstädter Hoffaktors Berend Lehmann sowie zur Zerstörung der Synagoge im Jahre 1669 hat Berndt Strobach zusammengetragen.33 Gedruckte Quellen zur Geschichte der jüdischen Schule wie Klassenbücher oder Jahresberichte liegen nicht vor. Die einzige schulhistorische Publikation erschien aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Schule im Jahre 1846. Es ist eine von den Lehrern Gerson Lasch und Samuel Baer verfasste Festschrift, die die Festreden der beiden Lehrer, Angaben über ihr bisheriges Wirken, ein Gesamtverzeichnis der Schüler und Lehrer und einen aktuellen Stundenplan enthält. Dabei konnte Gerson Lasch vermutlich noch auf mündliche Auskünfte seines Vorgängers Magnus Rosenbach zurückgreifen.34 Hinweise zur frühen Geschichte der jüdischen Schule liefert die 1866 erschienene Chronik des Gemeinderabbiners Benjamin Hirsch Auerbach. Seine mit dem Schwerpunkt auf das religiöse Leben der Gemeinde ausgerichtete Aufzeichnung endet bereits 1844, dennoch sind dieser wichtige Hinweise zur Schule und ein überschwänglicher Beitrag über ihren Stifter zu entnehmen, wobei kritische Anmerkungen gegen die Schulreformbestrebungen des Westphälischen Konsistoriums nicht fehlen.35 Erstmalig erwähnt Mordechai Eliav in seinem Standardwerk über die Jüdische Erziehung in Deutschland die Hascharath Zwi – parallel dazu nennt er die 1805 gegründete Talmud-Tora-Schule in Hamburg – als neuen Schultyp traditioneller Lehranstalten, deren Lehrpläne sowohl religiöse als auch weltliche Fächer enthielten. Seine Angaben stützen sich hauptsächlich auf die zuvor genannte Festschrift und die Gemeindechronik Auerbachs; für die Zeit des Westphälischen Konsistoriums hat er Aktenmaterial aus den Central Archives in Jerusalem herangezogen.36 Laut Eliav entstanden die neuen Schulen als Reaktion auf die „zunehmende Forderung, die deutsche Sprache zu verwenden und die profanen Fächer ins Zentrum zu rücken“, der sich auch die traditionellen Kreise nicht

33 Vgl. Strobach, Berndt: Privilegiert in engen Grenzen. Neue Beiträge zu Leben, Wirken und Umfeld des Halberstädter Hofjuden Berend Lehmann (1661–1730). Bd. I: Darstellung. Bd. II: Dokumentensammlung. Berlin 2011; ders., „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“. Die Demolierung der Halberstädter Synagoge im Jahre 1669. Berlin 2011. Zu den Synagogen Halberstadts vgl. Brülls, Holger: Synagogen in Sachsen-Anhalt. Berlin 1998. S. 24–45, 124–135. 34 Vgl. Lasch, Gerson u. Samuel Bär: Die Geschichte der israelitischen Schule zu Halberstadt, dargestellt in zwei Reden, gehalten bei der fünfzigjährigen Jubelfeier derselben, am 1.April 1846. Nordhausen 1847. Einzig in dieser Festschrift benutzte man den Namen Bär statt Baer. 35 Vgl. Auerbach, Benjamin Hirsch: Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt. Halberstadt 1866. S. 132–141. 36 Vgl. Eliav, Jüdische Erziehung, 2001, S. 201–204. Parallel zur hebräischen Fassung erschien 1960 eine kurze deutsche Zusammenfassung der Arbeit unter demselben Titel in: Bulletin des Leo Baeck Instituts (BLBI) 3 (1960). Nr. 11. S. 207–215.

Forschungsstand 

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mehr länger entziehen konnten, und als Antwort auf das Verhalten der Eltern, welche ihre Kinder bereits von nichtjüdischen Privatlehrern unterrichten ließen oder gar auf nichtjüdische Schulen schickten; beides stellte eine Gefahr für das traditionelle Judentum dar. Dieser neue Schultyp praktizierte die „Methode Tora im derech erez, deren Ideal die harmonische Verbindung jüdischer und profaner Studien war“, ein Vorläufermodell der 50 Jahre später unter diesem Motto von Samson Raphael Hirsch gegründeten gleichnamigen Schule in Frankfurt a. M.37 Weitere Erwähnungen der Schule finden sich bei Claudia Prestel,38 Mordechai Breuer39 und Andreas Gotzmann.40 Auch hier wird die Hascharath Zwi in erster Linie als Beispiel für ein frühes Schulmodell genannt, bei dem von Beginn an profane Fächer in den Lehrplan aufgenommen wurden. Die Arbeiten enthalten keine neuen Erkenntnisse, sondern beziehen sich auf die bereits genannten Ausführungen Benjamin Hirsch Auerbachs und Mordechai Eliavs, im Falle Mordechai Breuers auch auf die Festschrift Gerson Laschs und Samuel Baers. Die Schule wird ebenso in dem zweiteiligen Aufsatz Hirsch Benjamin Auerbachs, des letzten Rabbiners der Gemeinde, erwähnt. Dabei handelt es sich allerdings um fragmentarische Angaben zur Schule und um vermutlich persönliche Erinnerungen wie z. B. an das Fest zum 125-jährigen Bestehen der Schule im Jahre 1921.41 Zu den letzten erschienenen Arbeiten gehört die auf Hebräisch vorliegende Dissertation Chanan Feists über die Geschichte der Halberstädter Juden im 19. und 20. Jahrhundert, in der er ein Kapitel der Hascharath Zwi widmet. Unter Verwendung einer Auswahl an Quellen aus verschiedenen Archiven stellt Chanan Feist u. a. eine chronologische Abfolge der Schulgeschichte dar.42 Zeitgleich mit

37 Vgl. Eliav, Jüdische Erziehung, 2001, S. 201. 38 Vgl. Prestel, Jüdisches Schul- und Erziehungswesen, 1989, S. 72. 39 Vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986. S. 101. 40 Vgl. Gotzmann, Andreas: Eigenheit und Einheit. Modernisierungsdiskurse des deutschen Judentums der Emanzipationszeit. Brill 2002. S. 63, Anm. 87. Gotzmann geht am Beispiel der Karlsruher jüdischen Gemeinde der Frage nach, wann und inwieweit sich traditionelle Kreise gegenüber profaner Bildung öffneten, und führt die Hascharath Zwi als weiteres Beispiel an. 41 Vgl. Auerbach, Hirsch Benjamin: Die Halberstädter Gemeinde 1844 bis zu ihrem Ende. In: BLBI 10 (1967). Nr. 38/39. S. 124–158. Nr. 40. S. 309–335. 42 Vgl Feist, Chanan: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadt im 19. und 20. Jahrhundert. Rehovot 2006. Unveröffentlichte deutsche Übersetzung von ders.: Toldot kehilat Halberstadt bame’ot hatscha-essre veha’esrim. Diss. Bar-Ilan Universität Ramat-Gan 2003. Zitiert als: Feist, Die Geschichte, 2006. Weiterhin muss in diesem Zusammenhang ein Aufsatz genannt werden, der ausschließlich auf den Forschungsergebnissen Feists beruht. Vgl. Hildesheimer, Meir: Jüdische Erziehung im Licht des Modernisierungsprozesses und am Beispiel des Schulwesens in der Gemeinde Halberstadt in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums 61 (2005). Heft 4. S. 309–336.

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der Arbeit Feists erschien die Dissertation Monika Lüdemanns, in der anhand des Aktenbestandes des Bauarchivs Halberstadt erstmalig eine zeitliche Zuordnung der Schullokale vorgenommen wurde.43 Trotz der neueren Darstellung Chanan Feists sind einige Themenbereiche zur jüdischen Gemeinde Halberstadts noch ungenügend erforscht, dazu gehören u. a. das für die gesetzestreue Gemeinde bedeutsame Vereins- und Stiftungswesen mit der Fragestellung nach seinem Einfluss auf das religiöse, soziale und kulturelle Leben. Auch der wirtschaftliche Aufstieg und Erfolg der Halberstädter Metallfirma Aron Hirsch & Sohn sowie ihr mäzenatisches Handeln innerhalb der jüdischen Gemeinde und darüber hinaus weisen noch Forschungslücken auf.44 Während eine systematische Untersuchung über die Zeit des Nationalsozialismus gänzlich fehlt.45

Quellenlage Eine erste umfassende Auflistung der Quellen zur Geschichte der Juden in den neuen Bundesländern liefern Stefi Jersch-Wenzel und Reinhard Rürup. Die Bände bieten eine überaus hilfreiche Orientierung über die Aktenbestände und ermöglichen so eine erste Beurteilung zum Quellenstand die jüdische Schule als auch die jüdische Gemeinde Halberstadts betreffend.46 Weiterhin wurde die mehrbändige Ausgabe Selma Sterns zur Geschichte der Juden in Brandenburg-Preußen herangezogen, da sie reichlich Angaben zur Geschichte der Juden im Fürstentum Halberstadt enthält.47

43 Vgl. Lüdemann, Monika: Quartiere und Profanbauten der Juden in Halberstadt. Diss. TU Braunschweig 2003. 44 Als neueste Publikation sei verwiesen auf die Bachelor-Arbeiten von Axel-Wolfgang Kahl, Sascha Raddatz und Sarah Jaglitz in: Von der Metallschmelze im Waschhaus zum weltweit agierenden Industrieunternehmen. Beiträge zur jüdischen Unternehmer- und Unternehmensgeschichte. Familie Hirsch in Halberstadt zwischen 1805 bis 1927. Hrsg. von Jutta Dick und Irene A. Diekmann. Potsdam 2015. 45 Erste Ansätze dazu von Eckart, Detlef: Die Stadtratswahl in Halberstadt am 12. März 1933. In: Zwischen Harz und Bruch. Heimatzeitschrift für Halberstadt und Umgebung seit 1956. Dritte Reihe (2013). Heft 70. S. 23–29. 46 Vgl. Jersch-Wenzel, Stefi u. Reinhard Rürup (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer. 6 Bde. München 1996–2001. Zu den verwendeten Bänden siehe das Literaturverzeichnis im Anhang. 47 Vgl. Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. 3 Teile, 7 Bde. Tübingen 1962–1975. Zu den verwendeten Bänden siehe das Literaturverzeichnis im Anhang.

Quellenlage 

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Die Quellenlage zur Geschichte der Hascharath Zwi ist zwar überwiegend zufriedenstellend, allerdings nicht für den gesamten Forschungszeitraum gleichermaßen; zudem gestaltete sie sich aufgrund der wechselvollen politischen Geschichte Preußens zu Beginn des 19. Jahrhunderts als ausgesprochen sperrig. Hinweise und Angaben zu den Familienumständen des Stifters Hirsch Isaac Borchert sowie zu seiner Stellung innerhalb der jüdischen Gemeinde ließen sich den Akten des Generalfiskals im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin wie auch denen der Kriegs- und Domänenkammer im Landeshauptarchiv Magdeburg entnehmen. Obwohl das hebräische Original des Testaments von Hirsch Isaac Borchert bzw. die entsprechenden Artikel zur Gründung der Schule nicht mehr vorliegen, befindet sich eine beglaubigte Übersetzung im Landeshauptarchiv Magdeburg sowie eine Abschrift davon im Historischen Stadtarchiv Halberstadt. Nachdem Preußen im Jahre 1806 die westelbischen Gebiete an das neu gegründete Königreich Westphalen abtreten musste, wurde erstmalig eine jüdische Zentralbehörde eingerichtet, die erste Reformen im jüdischen Kultus- und Erziehungswesen einleitete. Die Quellen für das Saale-Departement mit Halberstadt als Hauptstadt befinden sich im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in der Nebenstelle Wernigerode. Die Unterlagen für Halberstadt über die vom Konsistorium eingeleiteten Bildungsreformen bzw. die Neustrukturierung des Schulwesens und die Reaktion der Gemeinde darauf befinden sich in den „Central Archives for the History of the Jewish People“ in Jerusalem, wohingegen die ersten gefächerten Lehrpläne aus dieser Zeit in der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ in Berlin aufbewahrt werden. Als wenig lohnend stellten sich die noch erhaltenen Aktenbestände des Gemeindearchivs heraus, wobei ein Teil in den Central Archives und ein Teil im Centrum Judaicum lagert; diese wurden nur herangezogen, soweit sie Bezug auf die mit der Leitung beauftragten Rabbiner, Lehrer und Schüler nahmen. Wesentlich dichter gestaltet sich die Quellenlage nach dem preußischen Ministerialreskript von 1824, dabei handelt es sich um Aktenbestände staatlicher, regionaler und lokaler Provenienz. In Bezug auf die eingeführte Prüfungspflicht für jüdische Religions- und Elementarlehrer wurden Akten im Geheimen Staatsarchiv in Berlin eingesehen. Ein weitaus umfangreicheres Konvolut an Schulakten befindet sich im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg, diese dokumentieren bis ca. 1886 den Schriftverkehr zwischen der obersten Schulbehörde und den Lehrern sowie dem Schulvorstand. Sie ermöglichen einen umfassenden Überblick über die konzeptionelle Gestaltung der Schule sowie über die soziale und rechtliche Stellung der jüdischen Lehrer. Im Verlauf der Recherchen erwies es sich als sinnvoll, über diesen Aktenbestand hinaus Schulakten der Nachbargemeinden einzusehen, die einerseits das Schulgeschehen der kleinen

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Landgemeinden widerspiegeln und andererseits ergänzende Hinweise zu den Lehrern der Hascharath Zwi liefern. Ein weiteres Konvolut an Schulakten städtischer Provenienz befindet sich im Historischen Stadtarchiv Halberstadt, dem sich Angaben zu Schülerzahlen, Lehrern und der finanziellen Situation der Schule entnehmen lassen. Darüber hinaus bieten die Schulakten der öffentlichen Schulen Aufschluss über den weiteren schulischen Werdegang ehemaliger Schüler, die höhere Schulen besuchten. Ferner konnten für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts unveröffentlichte Memoiren ehemaliger Halberstädter Schüler aus dem Archivbestand des Leo Baeck Institute in New York ausgewertet werden, in denen über den Schulalltag hinaus religiöse und soziale Elemente der Gemeindestrukturen aufgezeigt werden.48 Ebenso wurden zeitgenössische deutsch-jüdische Zeitschriften herangezogen, sofern sie Hinweise zum Schulgeschehen enthalten, dabei diente Der Israelit und Die jüdische Presse ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Halberstädter Gemeinde als Sprachrohr zu verschiedenen Anlässen wie Jubiläen, Geburtstagen, Nachrufen und allgemeinen Mitteilungen die Gemeinde betreffend.49 Als äußerst unbefriedigend stellte sich hingegen die Quellenlage für die Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik heraus, hier gleicht die Arbeit eher einer Spurensuche. Die Schulakten des Landeshauptarchivs Magdeburg dokumentieren zwar noch die Zeit bis 1886, doch nach dem Schulaufsichtsgesetz von 1872 sind nur noch wenige Revisionsberichte der Kreisschulinspektoren an die Regierung in Magdeburg überliefert. Von 1886 bis 1930 liegen weder Revisionsberichte der Kreisschulräte noch sonstiger Schriftverkehr zwischen Schulvorstand und der Regierung in Magdeburg bzw. der Schulbehörde vor. Hier sei angemerkt, dass die Schulakte, die diesen Zeitraum belegt, nicht mehr vorhanden ist.50

48 Zu den ersten thematisch erfassten autobiografischen Darstellungen vgl. Richarz, Monika (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte. 3 Bde. Stuttgart 1976–1982. Ein Teil der im Leo Baeck Institute hinterlegten Memoiren lässt sich auf Mikrofilmkopien in der Dependance des Leo Baeck Archivs im Jüdischen Museum Berlin einsehen. Seit neuestem ist der Archivbestand des Leo Baeck Institute zur jüdischen Gemeinde Halberstadt abrufbar unter www.lbi.org/digibaeck 49 Ein Großteil der deutsch-jüdischen Zeitschriften lässt sich leicht einsehen unter: www.compactmemory.de 50 Nach Auskunft des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt haben einige Regierungsbehörden, darunter auch die Abteilung „Kirchenverwaltung und das Schulwesen“, ihre Aktenbestände selbst aufbewahrt. Über deren Verbleib während des Krieges liegen keine Informationen vor. 1948 wurde dann der Bestand dieser Behörde erstmalig in das Staatsarchiv, das heutige Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt überführt, jedoch ohne eine genaue Auflistung.

Quellenlage 

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Dennoch lässt sich anhand der im Historischen Stadtarchiv Halberstadt vorhandenen Schul- und Magistratsakten, wenn auch lückenhaft, ein ungefähres Bild der Schule mit den wichtigsten Entwicklungslinien rekonstruieren.51 Die konzeptionellen Veränderungen der Schule Ende der 1860er-Jahre verlangen, erneut einen Blick auf die Schullandschaft Halberstadts und die von den jüdischen Schülern frequentierten Schulen zu werfen; dazu wurden im Historischen Stadtarchiv Halberstadt, wenn auch nicht mehr vollständig vorhanden, die Schulakten der höheren und Stadtschulen eingesehen. Als ebenso problematisch stellt sich die Quellenlage ab 1930 bis zum Ende der Schule dar. Hier lässt eine der im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt befindlichen Schulakten Einblicke in die finanzielle Lage der Schule zu und es können anhand der drei erhaltenen Revisionsberichte Rückschlüsse auf die letzten Lehrer und Schüler der Schule gezogen werden, während die zweite Akte hauptsächlich die von den Nationalsozialisten erlassenen Gesetze zur antijüdischen Schulpolitik beinhaltet.

In den 1950er-Jahren begann man mit der systematischen Registrierung, wobei die Schulakte für den Zeitraum 1887–1930 nicht erfasst wurde. Es liegt nahe, dass diese während des Krieges bzw. nach der starken Zerstörung der Dienstgebäude am Domplatz vernichtet wurde. Antje Herfurth, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (schriftliche Auskunft vom 24. 10. 2012). 51 Überaus aufschlussreich ist auch der Werdegang der Aktenbestände des Historischen Stadtarchivs Halberstadt. Hierzu ist anzumerken, dass man 1943 mit der kriegsbedingten Auslagerung der Aktenbestände begann. Zunächst wurden ca. 90  % des Aktenbestandes in die Schachtanlage der Deutschen Solvay-Werke AG Plömnitz bei Bernburg ausgelagert, worunter sich auch die Akten der jüdischen Schule sowie einige Magistratsakten befanden. Der im Archiv verbliebene Bestand wurde am 8. April 1945 beim Bombenangriff auf Halberstadt vollständig zerstört. Nach Ende des Krieges stellte sich zunächst heraus, dass die ausgelagerten Akten von der russischen Armee beschlagnahmt worden waren und sich in einem Trophäenlager in Rummelsburg befanden. Trotz anfänglicher Bemühungen gelang es dem damaligen ehrenamtlichen Leiter des Stadtarchivs nicht, die Aktenbestände zurückzuerhalten. Erst 1959 wurden von ca. 999 ausgelagerten Aktenpaketen 770, worunter sich auch Magistratsakten, Schulakten und Polizeiakten befanden, im Rahmen der Übergabe deutscher Kulturschätze aus der Sowjetunion an die DDR übergeben. Mit der Übergabe des Halberstädter Aktenbestandes, der im Bodemuseum in Ostberlin aufbewahrt wurde, hatte man den damaligen Kustos des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin beauftragt. Eine weitere Rückgabe von 17 Kartons, u. a. mit Magistratsakten aus dem Moskauer Archiv, erfolgte 1991. Die bisher letzte Rückführung von Aktenbeständen fand 1995 statt. Nach Auskunft von Frau Bremer wurde dennoch bis heute ca. 1/3 des Aktenbestandes nicht zurückerstattet. Vgl. Bremer, Gabriele u. Corinna Braune: Chronik des Stadtarchivs Halberstadt. S. 3f. (unveröffentlichtes Manuskript), Stand 2011.

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 Einleitung

Zudem konnten die Zeitzeugenberichte der ehemaligen Schüler Judith Biran (Israel), Benno Gocman (England), Eric J. Mayer (Israel), Betty Nathansen (Israel), Beate Pappenheim (Israel), Lillyan Rosenberg (USA) und Richard Jost Tannenberg (Deutschland) herangezogen werden. Bei ihnen möchte ich mich herzlich bedanken, auch für die mir zur Verfügung gestellten Schulfotografien, die als Unterkapitel in Teil 4 dieser Arbeit ein eigenes Forum erhalten. Die Kontakte zu den schon damals hochbetagten ehemaligen Schülern der Hascharath Zwi wurden in den Jahren 2000/2001, während meines Studiums an der Universität Potsdam, im Rahmen der Recherchen zur Konzeption des Berend Lehmann Museums in Halberstadt zum Themenbereich „jüdische Schule“ aufgenommen.

1 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824) 1.1 Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Halberstadts Der erste dokumentierte Hinweis auf die Anwesenheit von Juden stammt aus dem Jahre 1261; es handelt sich dabei um eine Urkunde, in der auf Betreiben des Bischofs Volrad und des Domkapitels1 Bürgermeister und Rat der Stadt den Halberstädter Juden Schutz und Verteidigung zusicherten,2 womit der Bischof jedoch das alleinige Hoheitsrecht über die Juden einbüßte. Als Folge mussten diese höheren Steuerabgaben nun nicht mehr nur an ihn, sondern auch an die Stadt und das Domkapitel entrichten.3 Trotz der hohen Besteuerung hatten sich nach 1261 weitere jüdische Familien in Halberstadt niedergelassen. Hierzu finden sich Hinweise auf vermögende Familien, die im Geldhandel tätig waren und als wichtige Einnahmequelle für die oftmals verschuldeten Bischöfe dienten.4 Im Jahre 1273 wurde z. B. bei Verhandlungen zwischen den Brüdern von Gatersleben und dem Domkapitel darauf verwiesen, sich Geld gegen Zins bei den Halberstädter Juden zu beschaffen. Weiterhin ist belegt, dass der in Geldnot geratene Bischof Burckard 1456 die Juden für drei Jahre an den Rat der Stadt verpfändete.5 Die Machtverhältnisse blieben trotz

1 Zur Geschichte des Halberstädter Domkapitels vgl. Siebrecht, Silke: Friedrich Eberhard von Rochow. Domherr in Halberstadt, praktischer Aufklärer, Schulreformer und Publizist. Handlungsräume und Wechselbeziehungen eines Philanthropen und Volksaufklärers in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bremen 2013. S. 26–30. 2 Vgl. Schmidt, Gustav: Urkundenbuch der Stadt Halberstadt. Bd. 1. Halle 1878. S. 103. Köhler und Auerbach gehen davon aus, dass bereits vor 1261 Juden in Halberstadt ansässig waren. Vgl. Köhler, Max: Beiträge zur neueren jüdischen Wirtschaftsgeschichte. Die Juden in Halberstadt und Umgebung bis zur Emanzipation. Berlin 1927. S. 2; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 3–7. Auch in der näheren Umgebung Halberstadts hatten sich Juden niedergelassen, u. a. in Aschersleben (1325), Derenburg (1321) und Blankenburg (1241). Vgl. Köhler, Beiträge, 1927, S. 2. 3 Vgl. Backhaus, Fritz: Die Juden im Bistum Halberstadt (1261–1648). In: Siebrecht, Adolf (Hrsg.): Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt 804–1646. Halberstadt 2006. S. 505–513, hier S. 506f. u. 512. Zu den verschiedenen Erhebungen von Abgaben und Steuern im 14. und 15. Jahrhundert vgl. Köhler, Beiträge, 1927, S. 3–4. 4 Zu den Halberstädter Bischöfen vgl. Boettcher, Hermann: Neue Halberstädter Chronik von der Gründung des Bistums i. J. 804 bis zur Gegenwart. Halberstadt 1913; Niemann, Ludwig Ferdinand: Geschichte des vormaligen Bisthums und jetzigen Fürstenthums, insbesondere aber der Stadt Halberstadt von der ältesten bis auf die neuesten Zeiten. Halberstadt 1829. 5  Vgl. Köhler, Beiträge, 1927, S. 2–3. DOI 10.1515/9783110470802-002

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

der Willkür der verschiedenen Bischöfe und ihrer Steuerpolitik zunächst stabil und es kam zu keinen Ausweisungen aus der Stadt.6 Die Lage änderte sich, als 1484 die Erzbischöfe von Magdeburg das Bistum Halberstadt in Personalunion verwalteten und Erzbischof Ernst von Magdeburg 1493 die Vertreibung der Juden aus seinem Territorium anordnete. Im 16. Jahrhundert gewährten schließlich die Bischöfe vereinzelten Juden wieder die Niederlassung.7 Erneute Vertreibungen fanden unter Bischof Heinrich Julius (1566–1613) statt, der zunächst eine antijüdische Politik verfolgte, indem er die Juden aus der Stadt verbannte und ihnen auch die Durchreise durch sein Territorium verweigerte. Doch bereits 1606 erteilte er besonders wohlhabenden Juden, vornehmlich aus wirtschaftlichen Erwägungen, Schutzbriefe und erlaubte ihnen sogar die Errichtung einer Synagoge, die jedoch wenig später wieder zerstört wurde.8 Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) wechselte die Herrschaft mehrmals zwischen kaiserlichen und schwedischen Truppen, sodass lediglich vier jüdische Familien 1631 einen Schutzbrief erhielten. Das änderte sich, als der letzte Halberstädter Bischof, Erzherzog Leopold Wilhelm von Habsburg, im September 1641 zwölf Familien einen gemeinsamen Schutzbrief erteilte. Nach Kriegsende wurde das Bistum Halberstadt Brandenburg-Preußen unterstellt; unter der Herrschaft des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, wurde noch vor Abzug der schwedischen Truppen aus Halberstadt elf jüdischen Familien, darunter sieben, die bereits zuvor schutzprivilegiert gewesen waren, am 28. Juni 1649 ein sogenannter Sammelschutzbrief ausgestellt. Schließlich erteilte der Große Kurfürst am 1. Mai 1650 zehn jüdischen Familien ein Generalgeleit, womit den Juden freier Handel gewährt wie auch Zins- und Leihgeschäfte ermöglicht wurden.9 Bei der vom Großen Kurfürsten bewusst eingeleiteten Judenpolitik stand die Stärkung der Staatsmacht mittels Förderung der Wirtschaft im Mittelpunkt. Er sah in den Juden willkommene Helfer für die Belebung und Ausweitung des Handels und damit für den wirtschaftlichen Fortschritt des durch den Dreißigjährigen Krieg arg heruntergekommenen Landes. Vorrangiges Anliegen war ihm also ihr Nutzen für seine

6 Vgl. ebd., S. 5. 7 Vgl. Backhaus, Die Juden, 2006, S. 505. Köhler berichtet über den Juden Isaac Meyer, der sich 1537 bei Aufnahme verpflichten musste, das Stift mit Munition und Ausrüstung zu versorgen. Vgl. Köhler, Beiträge, 1927, S. 5. 8 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 17–20; Frankl, Ernst: Die politische Lage der Juden in Halberstadt von ihrer ersten Ansiedlung an bis zur Emanzipation. In: Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft (JJLG) 19 (1928). S. 317–332, hier S. 325f.; Backhaus, Die Juden, 2006, S. 512. 9 Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 74f.; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 23; Köhler, Beiträge, 1927, S. 7–9.

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merkantilistische Wirtschaftspolitik, doch auch in seinem Bestreben, die Macht der Stände einzudämmen, sollten ihm die Juden eine wichtige Stütze sein. Aus diesen Erwägungen war der Große Kurfürst den Juden gegenüber freundlich gesonnen. In religiöser Hinsicht zeigte er sich tolerant, hoffte allerdings auf die Bekehrung zum Christentum.10

Erweitert wurde das Generalgeleit des Großen Kurfürsten durch eine Resolution vom 30. Juli 1661, die weitere Privilegien für die Halberstädter Juden bereithielt. Der Schutz konnte jetzt auf die Söhne, Schwiegersöhne und bei Wiederverheiratung der Witwen auf deren Ehemänner übertragen werden.11 Nach dem Tod des Großen Kurfürsten im Jahre 1688 wurde diese Resolution von seinem Nachfolger Friedrich III. im Mai bzw. Juni 1691 bestätigt.12 Diese Phase relativer Stabilität zeigte sich auch darin, dass die jüdische Gemeinde 1688 bereits aus 86 Familien mit 458 Personen bestand und bis 1699 auf 118 Familien mit 698 Personen anwuchs.13 Da der Große Kurfürst den Juden keine wesentlichen Beschränkungen beim Hauskauf auferlegt hatte, nahm auch die Zahl der jüdischen Hausbesitzer zu. Im Jahre 1669 befanden sich bereits 25 Häuser in ihrem Besitz, 1688 besaßen schon 47 eigene Häuser, die teils der Jurisdiktion des Rats und teils der des Domkapitels unterlagen. Unter Friedrich III. verdoppelte sich die Zahl der jüdischen Hausbesitzer, 1699 befanden sich 92 Häuser in jüdischem Besitz, was bedeutete, dass ein Großteil der jüdischen Familien im Besitz eigener oder auf Erbpacht erworbener Häuser war.14 Die Erfolgsgeschichte der Halberstädter Juden nahm der Große Kurfürst 1671 zum Anlass, in Berlin und anderen Städten der Mark Brandenburg 50 wohlhabende jüdische Familien aus Wien aufzunehmen.15 Bisher hatten sich die Juden im Zentrum der Stadt, nahe der Märkte, im Hohen Weg und der später entstandenen Göddenstraße niedergelassen. Eine

10 Halama, Autonomie, 2005, S. 53. 11 Vgl. Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. Teil I: Die Zeit des Großen Kurfürsten und Friedrichs I. Bd. 2: Akten. Tübingen 1962. S. 100–102. 12 In dem Generalgeleit von 1691 heißt es: „Die in der Stadt Halberstadt wohnenden sämtlichen Judenfamilien werden samt ihren Weibern und Kindern in kurfürstl. Schutz und Schirm genommen dergestalt und also, daß sie in Halberstadt nach wie vor wohnhaft bleiben, ihren Handel und Wandel in Kaufen und Verkaufen, Geld ausleihen und schlachten und auch sonst ihre Nahrung auf Art und Weise, wie dies im Heiligen Römischen Reiche und in den Kurfürstl. Landen ihnen gegönnt ist, suchen dürfen.“ Zitiert nach: Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 337. 13 Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 120, 531–535. 14 Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 232f. 15 Vgl. Geiger, Ludwig: Geschichte der Juden in Berlin. Festschrift zur zweiten Säkular-Feier. Anmerkungen, Ausführungen, urkundliche Beilagen und zwei Nachträge (1871–1890). Leipzig 1988. S. 3f.; Halama, Autonomie, 2005, S. 53.

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Urkunde aus dem Jahre 1352 belegt erstmals einen Juden als Besitzer eines Hauses im Hohen Weg,16 und Auerbach berichtet von der Synagoge in der Göddenstraße, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Jacob ben Israel Naphtali errichtet und bereits 1621 von den Ständen wieder zerstört worden war.17 Ende des Dreißigjährigen Krieges ließen sich jüdische Familien vermehrt im Nordwesten, in der Vogtei bzw. in der sogenannten Unterstadt nieder, zu der Judenstraße, Bakenstraße, Seidenbeutel, Rosenwinkel, Hühnerbrücke, Neuer Markt, Abtshof und Grauer Hof gehörten. Ein Großteil der von Juden dort erworbenen Häuser stand unter städtischer Jurisdiktion, während einige auch Häuser erwarben, die der Liebfrauen-, Nicolai- oder Domfreiheit gehörten. Ausschlaggebend für einen solchen Hausankauf war wohl, dass die Bewohner der Freiheiten nicht der bürgerlichen Jurisdiktion unterstanden, sondern eine eigene Gerichtsbarkeit besaßen und somit auch nicht zu den bürgerlichen Lasten wie Kriegs- und Wachdienst, Einquartierungen und Kriegssteuern herangezogen werden konnten.18 Die überaus positive wirtschaftliche Entwicklung blieb nicht ohne Folgen: Die Halberstädter Stände beschwerten sich beim Magistrat über das erweiterte Schutzprivileg, da sie die überwiegend im Handel tätigen Juden als unliebsame Konkurrenz betrachteten und zudem befürchteten, dass die „offene Synagoge“ noch mehr unvergleitete Juden anziehe, die sich auf Zeit zum Arbeiten in Halberstadt einfanden.19 Diesen Beschwerden folgte die Zerstörung der Synagoge am 18. März 1669.20 Die Einrichtung einer neuen Synagoge wurde offiziell untersagt, vielmehr erteilte der Große Kurfürst noch im selben Jahr die Genehmigung zum Bau eines sogenannten Schulhauses, das „freilich nicht größer sein durfte als unbedingt nötig“ und auf einem „in der Unterstadt gelegenen Platz, hinter den Häusern von Salomon Jonas und David Wolff“ entstehen sollte.21

16 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 12, S. 257. 17 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 24f. 18 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 14f.; Halama, Autonomie, 2005, S. 232f. 19 Zur Beschwerde der Halberstädter Stände vgl. Strobach, „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“, 2011. S. 48. Die Halberstädter Stände setzten sich aus einem Vertreter des Domkapitels, Vertretern der Stifte, Klöster und Stadtkirchen sowie des Landadels und je einem Bürger für den jeweiligen Rat der Städte Halberstadt, Aschersleben und Osterwieck zusammen. Vgl. Strobach, „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“, 2011, S. 16. 20 Zur Zerstörung der Synagoge erstmalig unter Verwendung der Quellen vgl. Strobach, „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“, 2011, S. 18–30. 21 Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 116, Anm. 3; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 30. Zu den erneuten Protesten der Stände und des Halberstädter Domkapitels gegen den vom Großen Kurfürsten genehmigten Neubau einer „Schul“ bis letztendlich zur Genehmigung des neuen „Schulhauses“ vgl. Strobach, „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“, 2011, S. 31–39.

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Dieses Schulhaus, das in erster Linie als Synagoge gedient haben dürfte, hat sich demnach in der Judenstraße befunden.22 Die Halberstädter Juden betrieben Handel, da sie von den Gilden und Zünften ausgeschlossen und von der „Konzessionspolitik der Regierung“ abhängig waren. Neben dem Geldhandel waren einzelne im Vieh- und Fleischhandel und im Juwelen- und Metallhandel tätig. Wohingegen der Großteil im Kleinhandel tätig war und über Land zog, oder seine Waren auf den Messen anbot.23 Als Beispiel für den wirtschaftlichen Aufstieg führt Köhler den Werdegang des Schutzjuden Levin Joel an, der als Hausierer mit alten Kleidern begann. 1695 erhielt er die kurfürstliche Genehmigung, eine öffentliche Verkaufsstelle auf dem Domplatz unterhalb der Peterstreppe, auch „Boutique“24 genannt, zu mieten; danach erweiterte er sein Geschäft, indem er auf Messen und Jahrmärkten seine Waren anbot.25 Die wichtigste Messestadt für die Halberstädter Juden war Leipzig, auf deren Messen sie bereits in den Jahren 1675–1684 zahlreich vertreten waren.26 Einhergehend mit ihrer Entwicklung zum europäischen Zentrum des Handels zwischen Ost und West nahm die Bedeutung der jüdischen Kaufleute, trotz festgelegter Beschränkungen, Sonderzöllen und Kontrollen, Ende des 18. Jahrhunderts weiterhin zu.27 Da es Juden, mit Ausnahme einiger weniger geduldeter Hoffaktoren,

22 Laut Lüdemann war David Wolff Eigentümer des Hauses Judenstraße 26. Dieses Haus erwarb die Gemeinde 1766 von den Erben des verstorbenen David Wolff und nutzte es fortan als Kantorhaus. Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 42f; Strobach, „Den 18. März ist der Judentempel zerstört“, 2011, S. 35. 23 Vgl. Köhler, Beiträge, 1927, S. 29–48. 24 Die „Boutiquen“ waren offene Läden unterhalb der Peterstreppe, die eine von fünf Zugängen zum Domplatz war. Sowohl in den Gewölben als auch auf dem Treppenplateau befanden sich jeweils fünf Verkaufsstellen, die von jüdischen Händlern gemietet werden konnten Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 54–58; Köhler, Beiträge, 1927, S. 31, Anm. 7a. 25 Vgl. ebd., S. 31f. 26 Eine Namensliste der Halberstädter jüdischen Messegäste, in der u. a. auch Berend Lehmann aufgeführt ist, befindet sich in: Freudenthal, Max: Leipziger Messgäste. In: MGWJ 45 (1901). Heft 5. S. 460–509, hier S. 481–484. Zur Bedeutung der Messestadt Leipzig vgl. Markgraf, Richard: Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig von 1664 bis 1839. Bischofswerda 1894. S. 22, 82, 86; Breuer, Mordechai: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne. In: Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 1: Tradition und Aufklärung 1600–1780. Hrsg. von Michael A. Meyer. München 2000. S. 85–243, hier S. 132. 27 Vgl. Schäbitz, Michael: Juden in Sachsen – jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700–1914. Hannover 2006. S. 45.

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nicht erlaubt war, sich in Messestädten wie Leipzig28 und Magdeburg29 niederzulassen, lag es für viele jüdische Händler und Kaufleute nahe, sich in Halberstadt anzusiedeln.30 Begünstigt wurde die rege Handelstätigkeit auch durch die geografische Lage Halberstadts zu den Messestädten Magdeburg,31 Braunschweig und Frankfurt an der Oder.32 Folglich stieg die Zahl der jüdischen Familien stetig an, 1728 waren es bereits 192 Familien, und 1737 war Halberstadt mit 197 Familien und insgesamt 1.212 Personen die größte jüdische Gemeinde Preußens.33

28 Für die Jahre 1766 bis 1785 lassen sich für Leipzig lediglich sechs jüdische Familien nachweisen. Vgl. Schäbitz, Juden in Sachsen, 2006, S. 44f. Zu dem stetigen Anstieg der Leipziger Juden im 19. Jahrhundert vgl. ders., Juden in Sachsen, 2006, S. 458. 29 In Magdeburg wurden bis zur Errichtung des Königreichs Westphalen zeitgleich immer nur zwei jüdische Familien geduldet. Vgl. Spanier, Moritz: Geschichte der Juden in Magdeburg. Magdeburg 1923. S. 17f. 30 Vgl. Breuer, Frühe Neuzeit, 2000, S. 127. Glikl bas Juda Leib (1646–1724), auch Glückel von Hameln genannt, berichtet in ihren Memoiren davon, wie ihr Mann auf der Messe in Leipzig schwer erkrankte, seine dortigen Geschäfte abbrechen musste, da diese außerhalb der Messezeiten nicht geduldet waren, und nur mit Mühe nach Halberstadt gelangte, wo er bis zu seiner Genesung von Isaak Kirchhain aufgenommen wurde. Feilchenfeld datiert diesen Vorfall auf das Jahr 1683. Vgl. Feilchenfeld, Alfred (Hrsg.): Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln. Darmstadt 1979. S. 84, 151–153; Israel, Jonathan: Handelsmessen und Handelsrouten – die Memoiren der Glikl und das Wirtschaftsleben der deutschen Juden im späten 17. Jahrhundert. In: Richarz, Monika (Hrsg.): Die Hamburger Kauffrau Glikl – Jüdische Existenz in der Frühen Neuzeit. Hamburg 2001. S. 268–279, hier S. 277. 31 1746 legten die Halberstädter Juden Beschwerde beim Magistrat in Magdeburg ein, da dieser angeordnet hatte, dass sich außer an den ersten drei Messetagen kein Schutzjude in Magdeburg aufhalten durfte. Zudem musste jeder, der sich länger als einen Tag ohne Waren dort aufhielt, den Magistrat unter Angabe von Gründen davon in Kenntnis setzen. Vgl. Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. Teil III: Die Zeit Friedrichs des Großen. Bd. 2: Akten. Tübingen 1971. S. 785. 32 Die Generaltabelle aus dem Jahr 1737 dokumentiert, dass ein Großteil der Halberstädter Juden auf den Messen vertreten waren. Vgl. dazu Stern, Selma: Der preußische Staat und die Juden. Teil II: Die Zeit Friedrich Wilhelms I. Bd. 2. Akten. Tübingen 1962. S. 597–617. Über die Braunschweiger Messebesucher liegen nur wenige Informationen vor, dennoch waren die Halberstädter jüdischen Kaufleute so zahlreich vertreten, dass sie, wie auch in Leipzig, eine eigene Synagoge unterhielten. Vgl. Ebeling, Hans-Heinrich: Die Juden in Braunschweig. Rechts-, Sozialund Wirtschaftsgeschichte von den Anfängen der jüdischen Gemeinde bis zur Emanzipation (1282–1848). Braunschweig 1987. S. 201f. 33 Die Zahlen von 1737 entsprachen 10 % der Gesamtbevölkerung Halberstadts. Es ist die höchste jemals für die Gemeinde belegte Zahl. Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil II, Bd. 2, 1962, S. 597–617. Auch befanden sich 1669 bereits 25 Häuser in jüdischem Besitz, diese Zahl vervierfachte sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 23.

Vereine und Stiftungen 

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1.2 Vereine und Stiftungen Durch die zunehmende wirtschaftliche und soziale Entwicklung der jüdischen Gemeinde konnte sich ein überaus gut organisiertes und dynamisches Vereins- und Stiftungswesen entwickeln. Dieses hat im Judentum zu allen Zeiten eine wichtige ökonomische wie auch sozioökonomische Funktion besessen, war zudem eng an das religiöse Leben gebunden, trug zur Umsetzung der sozialen, kulturellen und religiösen Vorstellungen bei und förderte darüber hinaus die jüdische Gemeinschaftsidentität. Aus den religiösen Vereinen, wie z. B. der Chewrah Kaddischa, der sogenannten Beerdigungs-Brüderschaft, entwickelten sich meist weitere Chewroth, die sich vorrangig wohltätigen Zwecken widmeten, um jüdischen Hilfsbedürftigen auf vielfältige Art und Weise beizustehen, wozu u. a. regelmäßige Unterstützung der Armen und Kranken, kurzfristig in Not Geratener mittels Geld- und Sachspenden, Verteilung von Brot und Suppe, medizinische Pflege, Ausstattung der Bräute, Speisung und Kleidung jüdischer Waisen gehörten.34 Damit unterstanden den Chewroth wesentliche Bereiche des Gemeindelebens, die ihnen aufgrund ihrer sozialen und religiösen Fürsorge hohes Ansehen einbrachten. Ihre Vorstände und Mitglieder rekrutierten sich in der Regel aus den sozialen oberen Schichten, ihre Vereinssatzungen dokumentierten bei Gründung klar definierte Ziele und Aufgabenbereiche, Kriterien für die Mitgliedschaft und eine offizielle Aufgabenverteilung hinsichtlich der Beziehungen unter den Mitgliedern.35

34 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 128f. Allgemein zum jüdischen Wohlfahrts- und Vereinswesen vgl. Katz, Tradition, 2002, S. 156–166; Toury, Jacob: Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutschland 1847–1871. Zwischen Revolution, Reaktion und Emanzipation. Düsseldorf 1977. S. 211–236; Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 243–254. Zum regionalen Vereinswesen vgl. Jürgens, Wilhelm: Jüdische Vereine und Stiftungen im Erziehungswesen in Hannover im 19. Jahrhundert. In: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1997. Hrsg. von Julius H. Schoeps, Karl Erich Grözinger u. Gert Mattenklott. Bodenheim 1997. S. 313–341; Liedtke, Rainer: Jüdische Identität im bürgerlichen Raum: Die organisierte Wohlfahrt der Hamburger Juden im 19. Jahrhundert. In: Juden, Bürger, Deutsche. Zur Geschichte von Vielfalt und Differenz 1800–1933. Hrsg. von Andreas Gotzmann, Rainer Liedke u. Till van Rahden. Tübingen 2001. S. 299–314; Reinke, Andreas: Gemeinde und Verein. Formen jüdischer Vergemeinschaftung im Breslau des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. In: In Breslau zu Hause? Juden in einer mitteleuropäischen Metropole der Neuzeit. Hrsg. von Manfred Hettling, Andreas Reinke u. Norbert Conrads. Hamburg 2003. S. 131–147; Reyer, Herbert: Jüdische Stifter und „Wohltäter“ in Hildesheim. Eine erste Bestandsaufnahme ihrer Stiftungen, Schenkungen und Vermächtnisse im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. In: Juden in Niedersachsen auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft. Hrsg. von Werner Meiers u. Herbert Obenaus. Göttingen 2014. S. 141–158. 35 Vgl. Katz, Tradition, 2002, S. 156; Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 243.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

Die ersten Vereinsgründungen lassen sich ab 1641 belegen, nachdem der Halberstädter Bischof Erzherzog Leopold Wilhelm von Habsburg erstmals zwölf jüdischen Familien einen gemeinsamen Schutzbrief erteilt hatte. Zu den Vereinen, die zur Bewahrung der traditionellen Lebensweise beitrugen, gehörten der im Jahre 1641 bestehende Mohalim-Verein36 und die Chewrah Kaddischa, deren Gründungsurkunde auf das Jahr 1693 zurückgeht, aber vermutlich bereits früher bestanden hat. Der Zweck des Vereins war die Einhaltung der religiösen Bestattungsgesetze.37 Zu den Mitgliedern gehörten der Rabbiner sowie führende Gemeindemitglieder, zudem war die Zahl der Mitglieder auf 18 begrenzt.38 Weiterhin bekannt ist der seit 1707 bestehende Chewrah Bikkur Cholim, der jüdische Kranke unterstützte und für die ärztliche Betreuung aufkam.39 Aus dem Vorwort der Statuten von 1903 geht hervor, dass der Verein Kranke unterstützte und Krankenbesuche sowie Krankenwachen übernahm. Jeder, der zur Tora aufgerufen wurde, musste dem Verein zwei Pfennige und jeder werdende Vater 18 Pfennige spenden.40 Eine enge Zusammenarbeit bestand zwischen der Chewrah Kaddischa und dem 1766 gegründeten Pri Ez Chaim Verein, der mit den Zinsen seines festgelegten Stiftungsfonds Holz für die Armen finanzierte. Auf der jährlichen Hauptversammlung der Chewrah Kaddischa wurde anhand der zur Verfügung stehenden Zinsen des angelegten Vereinskapitals der Ankauf der Holzmenge für den nächsten Winter festgelegt.41 Dem Statut des Vereins zur Unterstützung bedürftiger

36 Das genaue Gründungsdatum ist nicht bekannt. Laut Auerbach belegt die Gravierung des Waschbeckens für den Mohel diese Datierung. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 23. 37 Zur Geschichte der Chewrah Kaddischa und ihrer späteren Mitglieder vgl. Auerbach, Hirsch Benjamin: Die Geschichte der alten Chewroth (Wohltätigen Vereine) innerhalb der jüdischen Gemeinde in Halberstadt. In: Zeitschrift für die Geschichte der Juden (ZGJ) 6 (1969). Nr. 1. S. 19–30, hier S. 22–25. Der erste belegbare Hinweis auf den ersten Friedhof an der heutigen Sternstraße stammt aus dem Jahre 1644. Die jüdische Gemeinde hatte das Grundstück von der Johannes-Gemeinde gepachtet und 1696 und 1770 weitere Flächen dazu erhalten. Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 47. Laut Auerbach lässt sich der Friedhof noch früher datieren, da aus Platzmangel die älteren Gräber mit Erde bedeckt wurden, um ihn weiterhin nutzen zu können. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 36f. 38 Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem (CAHJP), TD 1045, Satzungen der Jüdischen Beerdigungsgesellschaft (Chewroh Kadischo Gemillus Chassodim) e. v. Halberstadt 1921. Bl. 3, 8. Es sei hier vorweggenommen, dass die Gemeinde 1921 die Vereinsstatuten überarbeitete und die Chewrah Kaddischa als eingetragenen Verein beim Amtsgericht anmeldete, wobei alle 18 Mitglieder aufgeführt wurden. 39 Vgl. Auerbach, Die Geschichte, ZGJ 6 (1969), Nr. 1, S. 19–30, hier S. 27f. 40 CAHJP, TD 1049, Statut der Chewrah Bikkur Cholim. Verein zur Unterstützung jüdischer Kranken zu Halberstadt. Halberstadt 1903. Bl. 3. 41 Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 260f. Zu den Vereinen Chewrah Kaddischa und Pri Ez Chaim vgl. auch Auerbach, Die Geschichte, ZGJ 6 (1969), Nr. 1, S. 19–30, hier S. 22–25, 28f; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 128f.

Vereine und Stiftungen 

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Bräute aus dem Jahre 1896 wurde die Stiftungsurkunde aus dem Jahre 1766 in deutscher Übersetzung beigefügt, aus der hervorgeht, dass sich die Mitglieder des Talmudvereins42 im Haus Hirsch Isaac Borcherts zusammengefunden hatten, um die Chewrah Hachnasath Kallah zu gründen. Der Verein unterstützte Bräute, die die religiösen Bräuche bewahrten, aber auch solche, die lange in Halberstadt ansässig gewesen waren und in der Zwischenzeit die Stadt verlassen hatten. Der Verein bestand zunächst aus 13 Mitgliedern. Aus der Stiftungsurkunde geht weiterhin hervor, dass alle Gemeindemitglieder einmal im Monat mindestens einen Groschen spenden sollten. Um eine finanzielle Basis zu schaffen, sollten die Einnahmen das erste Jahr ruhen. Weiterhin erhielt der Verein einen festen jährlichen Betrag von sechs Reichstalern vom Talmudverein, „damit es zum ewigen Gedenken bleibe, daß der Verein Hachnasath Kallah aus der Mitte unseres Talmudvereins entstanden ist“.43 Aus dem Vorwort der Vereinsstatuten aus dem Jahre 1877 geht hervor, dass diese zur Wiederbelebung des Vereins überarbeitet wurden.44 Dem Statut von 1896 lässt sich entnehmen, dass nur noch hiesige Bräute unterstützt wurden. Zudem besaß der Verein einen Fonds in Höhe von 6.000 Mark, seine Mittel bestanden aus den Zinsen des Fonds, Beiträgen der Mitglieder, aus den Mieteinnahmen für die Plätze in der Frauensynagoge und aus freiwilligen Spenden.45 Auf Initiative von acht Gemeindemitgliedern wurde 1776 der Verein Chewrah Schomre Schabbat gegründet, dessen Mitglieder einen festgesetzten Betrag spendeten, um Bedürftige am Schabbat mit Brot und Fleisch zu versorgen. Die Statuten des Vereins wurden 1908 erneuert, woraufhin jetzt auch junge Frauen und Männer während der Lehrzeit Unterstützung erhielten, und gewerbetreibende Frauen ebenso wie Männer konnten bei Bedarf ein Darlehen beantragen.46

42 Das Gründungsdatum des Talmudvereins ist unbekannt. Zu den Talmudvereinen bzw. Schass-Vereinen Mitte des 18. Jahrhunderts vgl. Wilke, Carsten: „Den Talmud und den Kant“. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne. Hildesheim [u. a.] 2003. S. 44f. 43 CAHJP, TD 1044, Statuten des Vereins zur Unterstützung bedürftiger Bräute Hachnasath Kallah. Halberstadt 1896. Bl. 3–5, hier Bl. 4. 44 Ebd., Vorwort zum Statut vom 2. Dezember 1877, Bl. 5. Das Statut selbst ist nicht erhalten. 45 Ebd., Statuten des Vereins zur Unterstützung bedürftiger Bräute Hachnasath Kallah. Halberstadt 1896. Bl. 8–15, hier Bl. 8. 46 Vgl. Feist, Die Geschichte 2006, S. 260. Die Statuten des Vereins wurden 1908 erweitert, darin heißt es: „a. durch Gewährung von Naturalien. […] b. zur Unterstützung junger Leute beiderlei Geschlechts während der Lehrzeit. c. zur Gewährung von Darlehen an hier ansässige Gewerbetreibende beiderlei Geschlechts, gegen Schuldschein und Bürgschaft, bis zum Höchstbetrage von 50 Mk. für eine Person.“ CAHJP, TD 1046 Statuten der Chewrah Schomre Schabbat. Halberstadt 1908. Bl. 7.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

Ein Teil der frommen jüdischen Frauen war im Naschim Zadkanioth organisiert, der vermutlich Mitte des 15. Jahrhunderts gegründet wurde. Erste Protokolle des Vereins stammen aus dem Jahre 1791. Der Vorstand setzte sich immer aus Frauen oder Müttern der Gemeindevorsteher, Rabbiner oder Lehrer zusammen. Ursprünglich bestand seine Aufgabe darin, das Lernen der Frauen und Kinder zu fördern.47 Doch im Laufe der Zeit veränderte sich die Zielsetzung, sodass sich die Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts zusätzlichen Aufgaben widmeten, z. B. der Unterstützung Armer und Kranker und sterbender Frauen.48 1825 wurde der Verein Chewrah Hachnossos Orchim gegründet, der Durchreisende mit Nahrungsmitteln und bei Bedarf mit einer Unterkunft versorgte.49 1833 wurde ein privater Lern- und Lehrzirkel gegründet, Chewrah Tiferet Jeschurun, der sich sowohl dem Lernen als auch der Wohltätigkeit widmete. Hervorgegangen aus der Zusammenlegung des 1789 gegründeten Chewrah Tiferet Bachurim und der 1816 entstandenen Chewrah Knesseth Jeschurun, konzentrierte er sich laut Gründungsstatut auf das abendliche Lernen von Tora, Gemara und Mischna an allen Wochentagen. Weiterhin unterstützte er nach Absprache mit den Mitgliedern der Chewrah Kaddischa die Verteilung von Brennmaterial, half Frauen, die in eine schwere wirtschaftliche Krise geraten waren, sowie Lehrlingen, die den Schabbat einhielten.50 Ein weiterer Verein, der die religiöse Erziehung der Knaben förderte, war der bereits 1670 gegründete Talmud-Tora-Verein.51 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden die Einnahmen aus den Zuwendungen der Witwe des Rabbiners Schwanefeld, des in Halberstadt geborenen und späteren Braunschweiger Kammeragenten Alexander David und der Blume Ruben, die der gleichnamigen religiösen Gemeindeschule zugutekamen.52 Die einmaligen Beiträge der Genannten wurden in

47 Vgl. Auerbach, Die Geschichte, ZGJ 6 (1969), S. 19–30, hier S. 20f. 48 CAHJP, TD 1048, Statuten des jüdischen Frauen-Vereins in Halberstadt. Halberstadt 1907. Bl. 1–8. Vgl. Auerbach, Die Geschichte, ZGJ 6 (1969), S. 19–30, hier S. 20–22. 49 Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 272. 50 CAHJP, TD 145, Takanot der Chewrah Tiferet Jeschurun zu Halberstadt. Halberstadt 1861. Bl. 1–9. Die Statuten sind auf Deutsch in hebräischen Lettern verfasst. Aus dem Vorwort der Statuten aus dem Jahre 1862 geht hervor, dass beide Vereine 1833 vereinigt wurden, da sie im Wesentlichen die gleichen Ziele verfolgten und dass dieser aus 45 Mitgliedern bestand, wozu u. a. auch die Lehrer Hirsch Joseph und Joel Friedländer gehörten. Zum Verein vgl. auch Auerbach, Die Geschichte, ZGJ 6 (1969), S. 19–30, hier S. 25–27. 51 Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 256; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 129. 52 Rabbiner Jacob Schwanefeld war Gemeinderabbiner und Klausgelehrter, er starb 1775. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 96; Hildesheimer, Esriel: Die Rabbiner Halberstadts. Halberstadt 1997. S. 11. Zu Alexander David vgl. Ries, Rotraud: Sachkultur als Zeugnis des Selbst. Person und kulturelle Orientierung des Kammeragenten Alexander David (1687–1765) in Braunschweig.

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Wertpapieren angelegt und verzinst.53 Mit dem jährlichen Zinsertrag und einem Teil der wöchentlichen Spendeneinnahmen der Synagoge kam man auf einen Gesamtbetrag von ca. 60 Talern, die der Lehrer als Entlohnung erhielt. Sein Unterricht vermittelte Grundkenntnisse des Hebräischen, des Jüdisch-deutsch Schreibens54, der Tora für die Jüngeren und des Talmuds und der Mischna für die Älteren.55 Auch an zahlreichen Stiftungen fehlte es nicht; deren jeweilige Beträge lagen zwischen 50 und 6.000 Talern und kamen ebenso den religiösen wie den sozialen Belangen der Gemeinde zugute. Die frühen Stiftungen bedachten in erster Linie die Klausgelehrten und ärmeren Mitglieder der Gemeinde. Bei einigen handelte es sich um Mischstiftungen, wobei der Stiftungsbetrag aufgeteilt wurde und verschiedene Privatpersonen wie auch Vereine unterstützte. Die Stiftungen wurden entweder zu Lebzeiten oder nach dem Tode des jeweiligen Stifters eingerichtet; testamentarisch oder in Form einer Urkunde wurden der Stiftungsbetrag sowie die Konditionen seiner Verwendung festgelegt. Auch konnten die Stiftungsrechte von einer Generation auf die nächste übertragen werden, wie z. B. bei der Berend-LehmannStiftung. Die Stiftungen und Vermächtnisse wurden vom Gemeindevorstand verwaltet und die Zinsen den jeweiligen Verwendungen zugeführt.56 Für das Jahr 1836 lassen sich 18 Stiftungen, unter Angabe des Stifters, der gespendeten Summe, des jeweiligen jährlichen Zinsbetrages sowie dessen Verwendung, belegen.57

In: Klein, Birgit E. u. Rotraud Ries (Hrsg.): Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente frühneuzeitlicher Juden in Aschkenas. Beispiele, Methoden und Konzepte. Berlin 2011. S. 47–102; Rülf, Gutmann: Alexander David, Braunschweigischer Kammeragent von 1707–1765. In: Brunsvicensia Judaica. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Braunschweig 1933–1945. Hrsg. von Bert Bilzer u. Richard Moderhack. Braunschweig 1966. S. 9–22. 53 Historisches Stadtarchiv Halberstadt (HStAH), Magistratsakten 1.11.009, Bl. 116–117. 54 „Darunter verstand man das Schreiben, der mit hebräischen Ausdrücken durchsetzten deutschen Sprache, in hebräischer Schreibschrift. Diese, als Judendeutsch bezeichnete Sprache, war seit der Aufklärung als Jargon verschrien. Die Aufklärer bemühten sich um deren Abschaffung und verbannten sie aus dem Lehrplan.“ Prestel, Jüdisches Schul- und Erziehungswesen, 1989, S. 181f. 55 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 4. Zur Talmud Tora vgl. Katz, Tradition, 2002, S. 186f.; Brämer, Leistung, 2006, S. 40. Der Begriff Talmud Tora als Bezeichnung für eine spezifische Bildungseinrichtung stammt vermutlich aus dem 18. Jahrhundert; zuvor gab es, laut Katz, keine Bildungsinstitutionen dieses Namens. Für die Zeit davor unterscheidet er ausschließlich zwischen Cheder und Jeschiwa. Vgl. Katz, Tradition, 2002, S. 338, Anm. 316. Vgl. auch Kapitel 2.10. 56 Für den Zeitraum von 1714 bis 1825 führt Feist 42 Stiftungen an, von denen allerdings nicht alle Gründungsdaten bekannt sind und einige nur über einen kurzen Zeitraum bestanden. Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 232–272. 57 HStAH, Magistratsakten 1.11.009, Bl. 114–117. Folgende Stifter lassen sich für 1836 belegen: Berend Lehmann (1703), Abraham Chalasch (1740), Nathan Schulhoff (1745), Alexander David (1751), Philip Nienburg (1760), Wolff Cohn (1764), Joel Kirchheim (1764), Jacob Schwanefeld (1774), Blume Ruben (1785), Levin Saldin (1789), Witwe Schwanefeld (1789), Isaac Borchert (1791),

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

Angesichts der beeindruckenden Zahl an Vereinen und Stiftungen in einer mittleren Stadtgemeinde wie Halberstadt wird deutlich, welche Bedeutung ihnen für die sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Belange der Gemeinde zukam. Eine weitere Einrichtung, die zur Hälfte von der Gemeinde und aus Stiftungsgeldern finanziert wurde, war die Halberstädter Jeschiwa. Da die traditionellen Lehrinstitutionen bis zur Gründung moderner Rabbinerseminare maßgeblich für die Rabbinerausbildung verantwortlich waren, nutzte ein Teil der Jeschiwa-Schüler die Ausbildung, um anschließend als Kinderlehrer, auch Melamdim oder Rebbe genannt, tätig zu werden.58 Große Jeschiwot entstanden in Osteuropa, aber auch in Fürth, Frankfurt a. M., Mannheim und Halberstadt sowie in anderen kleineren jüdischen Gemeinden. Stiftungen und Gemeinden sorgten, soweit sie in der Lage waren, für Unterkunft, Verpflegung und freien Unterricht der Schüler. Ein durchgängiges Studium an einer einzigen Jeschiwa war im deutschen Judentum nicht die Regel, die Schüler wechselten, um Methode und Vielfalt der verschiedenen Gelehrten kennen zu lernen. Die im 18. Jahrhundert oftmals aus Polen oder Litauen stammenden Rabbiner handelten bereits vor Antritt ihrer Lehrtätigkeit an einer Jeschiwa mit der jeweiligen Gemeinde einen Vertrag aus, vor allem um die Anzahl der Talmudschüler zu bestimmen.59 Laut Auerbach gelangte die Jeschiwa erst mit der Berufung des Gemeinderabbiners Löb Eger60 im Jahre 1775 und der Unterstützung seines Sohnes Samuel Levin Meyer auch Sabel Eger genannt, erneut zu Ansehen, da gerade dessen pädagogisches Vorgehen auch den weniger begabten Schülern, den Bachurim, den Talmud näherzubringen vermochte.61 Bei der Finanzierung der Jeschiwa hatte

Gottschalk Helft (1794), Benjamin Wolff (um1802), Abraham Gottschalk (1803), Wolff Elias (1815) und Jitzig John (1825). Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf das Gründungsjahr der Stiftung. Anzumerken ist, dass die Hirsch-Isaac-Borchert-Stiftung nicht erwähnt wird. Zu den Stiftungen vgl. auch Auerbach, Geschichte, 1866, S. 123f. 58 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 62; Katz, Tradition, 2002, S. 197f.; Gotzmann, Eigenheit, 2002, S. 34. 59 Vgl. Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 46f., 87; Gotzmann, Eigenheit, 2002, S. 45–49; Katz, Tradition, 2002, S. 192–194; Breuer, Frühe Neuzeit, 2000, S. 203f. 60 Die Familie Eger gehörte zu den ältesten jüdischen Familien Halberstadts; ihre Ansiedlung lässt sich, laut Auerbach, auf das Jahr 1674 datieren. Löb Eger, auch Levin Jacob Eger genannt, übernahm 1775 das Amt des Gemeinderabbiners und fungierte zudem noch als Rosch Jeschiwa. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 33, 103; HStAH, Jü 001, Bl. 47. Nachfolger wurde sein Vetter Akiba Eger, auch Jacob Wolf Egers genannt, der ab 1784 das Amt des Klausrabbiners und ab 1814 zudem das des Gemeinderabbiners ausübte. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 143. Akiba Eger starb 1823 im Alter von 50 Jahren in Halberstadt. HStAH, Jü 001, Bl. 87. 61 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 103. Zu den Schüler-Lehrer-Beziehungen vgl. Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 147–153.

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man sich für eine Mischform entschieden: die Lehrhausrabbiner erhielten 300 Taler aus Stiftungslegaten, während die Gemeinde Löb Eger entlohnte und 35 Taler an Schülerstipendien aussetzte.62 Wenngleich die bekannten Jeschiwot im Süden des Landes noch zahlreiche Bachurim aufzuweisen hatten, verloren diese in Berlin, Hamburg und Halberstadt immer mehr an Bedeutung.63 Nach dem Tod Löb Egers im Jahre 1814 hatte auch die Jeschiwa einen Großteil ihrer Schüler verloren, was durch seinen Nachfolger nicht aufgefangen werden konnte.64 Neben der Jeschiwa existierte ein privates Lehrhaus, das zu den frühen wohltätigen Stiftungen Berend Lehmanns (1661–1730) gehörte. Als Hoffaktor verschiedener deutscher Fürstenhöfe und „königlich polnischer Resident“ des sächsischen Kurfürsten August des Starken beeinflusste er maßgeblich die wirtschaftliche Entwicklung und das religiöse Leben der Halberstädter Gemeinde.65 Um das Lehrhaus gründen zu können, richtete er am 14. Februar 1698 ein offizielles Gesuch an die Kurfürstliche Regierung, in dem er darlegte, dass nicht nur Kinder wohlhabender Eltern, sondern auch „arme Kinder in der hebräischen Sprache“ unterrichtet und zwei bis drei „gelehrte Schulmeister“

62 Vgl. Hildesheimer, Esriel: Die Verwaltung der jüdischen Gemeinde zu Halberstadt zugleich als Beitrag zur Geschichte der Israeliten in den letzten Jahrhunderten. Halberstadt 1849. S. 12f.; Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 82. 63 Vgl. ebd., S. 90f. 64 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 103; Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 116f. 65 Laut Auerbach wurde „Isachar Bermann aus dem Stamme Levy“, genannt Berend Lehmann, 1661 in Halberstadt geboren. Sein Vater Juda Lehmann Halevi soll aus Essen gestammt und zu einer der elf jüdischen Familien gehört haben, denen der Große Kurfürst von Brandenburg am 1. Mai 1652 einen Schutzbrief erteilt hatte. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 43–46. Die neuesten Forschungsergebnisse Strobachs zeigen hingegen, dass sich Berend Lehmann erst ab 1687 in Halberstadt verorten lässt. Ohne Schutzgeleit lebte er mit seiner Frau Miriam im Hause seines Schwiegervaters Joel Alexander. Spätestens 1690 befand sich Lehmann im Besitz eines Schutzbriefes und beschäftigte sich mit dem Bau eines eigenen Hauses. Vgl. Strobach, Privilegiert, Bd. I, 2011, S. 35f. Zu Berend Lehmann vgl. auch Lehmann, Emil: Gesammelte Schriften, herausgegeben im Verein mit seinen Kindern von einem Kreis seiner Freunde. Berlin 1899. S. 116–153; Meisl, Josef: Behrend Lehmann und der sächsische Hof. In: JJLG 16 (1924). S. 227–252; Köhler, Beiträge, 1927, S. 56–62; Schmidt, Michael: Hofjude ohne Hof. Issachar Baermann-ben-Jehuda ha-Levi, sonst Berend Lehmann genannt, Hoffaktor in Halberstadt (1661–1730). In: Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt. Hrsg. von Jutta Dick u. Marina Sassenberg. Potsdam 1998. S. 198–211; Ries, Rotraud: Juden als Vorreiter? Bedingungen und Kommunikation, Gewinn und Verlust auf dem Weg in die Moderne. In: Judentum und Aufklärung. Jüdisches Selbstverständnis in der bürgerlichen Öffentlichkeit. Hrsg. von Arno Herzig, Hans Otto Horch u. Robert Jütte. Göttingen 2002. S. 31–65; Raspe, Luzia: Individueller Ruhm und kollektiver Nutzen – Berend Lehmann als Mäzen. In: Ries, Rotraud u. Friedrich Battenberg (Hrsg.): Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert. Hamburg 2002. S. 191–206.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

zu diesem Zwecke angestellt werden sollten, die er selbst bestimmen und entlohnen wollte.66 Lehmann erhielt bereits am 4. April desselben Jahres die Genehmigung, wobei der Gemeinderabbiner Abraham ben Jost Liebmann mit der Aufsicht über das Lehrhauses betraut wurde.67 1703 ließ Berend Lehmann eine Synagoge mit angeschlossenem Lehrhaus und Wohnräumen im Rosenwinkel 18 errichten, die fortan als „Klaussynagoge“ oder „Klaus“68 bezeichnet wurde.69 Er richtete eine Stiftung mit einem Kapital von 6.000 Talern ein, die einen jährlichen Zinsertrag von 300 Talern erbrachten und vom Gemeindevorstand verwaltet wurden. Was die Leitung des Lehrhauses betraf, so kam es im Laufe der Jahre zu Differenzen zwischen Lehmann und Rabbiner Liebmann, da dieser den Unterricht der Kinder präferierte und wenig Interesse an der Einrichtung eines Lehrhauses zeigte,70 sodass Lehmanns sich zunächst an den Gemeindevorstand wandte und diesem unmissverständlich deutlich machte: Das Lehrhaus, das ich mit Erlaubnis des Kurfürsten und mit Eurer Zustimmung zum Thora=Studium der Gelehrten errichtet, wurde nur zu diesem Zweck erbaut und habe ich große Summen darauf verwendet. Da haben sich Eiferer dagegen erhoben und eine

66 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg (LHASA, MD), Rep. A 13, Nr. 613, Bl. 2–3. Schreiben Berend Lehmanns an die Kurfürstliche Regierung, 14. Februar 1698. Vgl. auch Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 343f. Laut Aussage Lehmanns könnte man meinen, dass es ihm um die Einrichtung einer jüdischen Schule ging, wie sich aber wenig später herausstellen sollte, war ihm an der Gründung eines Lehrhauses gelegen. 67 LHASA, MD, Rep. A 13, Nr. 613, Bl. 14–15. Schreiben der Kurfürstlichen Regierung an die Halberstädter Regierung, 4. April 1698. Vgl. auch Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 344f. Zu Abraham ben Jost Liebmann vgl. Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 7f. 68 „Im Anklang an die Mönchsklausen und Schulstuben der kontemplativen Orden, wie sie christliche Patrizier zu stiften pflegten, trug auch das private jüdische Lehrhaus seit dem 16. Jahrhundert den volkstümlichen Namen ,Klaus‘. Meist schuf der Wohltäter dazu in seinem Wohnhaus oder in einem eigens errichteten Gebäude eine kleine Synagoge mit Bibliothek, Lehrzimmer (hädär) und Wohnungen für einen oder mehrere ,Stiftsrabbiner‘ oder ‚Klausner‘, deren Hauptaufgabe darin lag, durch Beten und Studieren ein göttliches Gebot zu erfüllen.“ Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 58. Zu den Klausen und ihre Entwicklung im 18. Jahrhundert in den deutschsprachigen Gebieten vgl. ders., „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 59–80. Vgl. auch Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986. S. 244. 69 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 61f.; Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899, S. 131. Zur Klaussynagoge vgl. auch Brülls, Synagogen, 1998, S. 124–135; Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 31–34, 109– 112. Auch die wenige Jahre später, 1709/1710, unweit der Klaus errichtete Gemeindesynagoge in der Backenstraße wurde mit tatkräftiger Unterstützung Berend Lehmanns finanziert. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 41; Brülls, Synagogen, 1998, S. 28–36; Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 34–36, 112–116. 70 Laut Emil Lehmann war es schwierig, Rabbiner Liebmann die Leitung des Studierhauses zu entziehen, da er als Sohn des Berliner Hofagenten Jost Liebmann über erheblichen Einfluss verfügte. Vgl. Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899, S. 132.

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landesherrliche Anordnung dahin zu erwirken gesucht, daß es nur für den Jugendunterricht und für die Kinderlehrer bestimmt sein soll.71

Angesichts der verschiedenen Interessenslagen kam es letztendlich 1713 zum Eklat zwischen beiden und Lehmann wandte sich an den preußischen König: Als ich anno 1698 bei Sr. nun in Gott höchstseligst ruhenden Kgl. Majestät alleruntertänigst vorstellete, wie ich zu Halberstadt gerne, um unsere aufwachsende Jugend ein Studierhaus anrichten und darin solche Rabbinen von Erudition schaffen wollte, daß die in der hiesigen Provinz nicht mehr nötig haben sollten, ihre Kinder mit große Kosten außer Landes zu schicken und anderswo studieren zu lassen; […] so wußte demnach der damalige Hofjubilirer Jost Liebmann und die zu der Zeit in Gnaden stehende Liebmannsche Familie, […] meine nützliche Intension so zu umschränken, daß […] dem Halberstädtischen Rabbi Abraham Liebmann gleich mir die Inspektion dieses Studierhauses committiret und eine weitere Gewalt wegen die Docentes darinnen allergnädigst zugeeignet und per modum Privilegii gegeben wurde, welcher Rabbi dann aber, da er nichts anders als Verhindernis dieses Werk gesuchet, es auch dahin gebracht, daß die Leute, so ich darin mit 1200 Rtlrn. jährlich Kosten halte, bis heutigen Tag nicht dociren oder das geringste tun dürfen, einfolglich die Gemeinde wie vorhin ihre Kinder nach Metz, Prag, Polen und anderer Orten studieren zu lassen und ihr Geld also außer Landes schicken müssen.72

Daraufhin verfügte der preußische König Friedrich Wilhelm I. am 30. August 1713, Liebmann die Aufsicht über das Studierhaus zu entziehen, womit Berend Lehmann die alleinige Entscheidungsgewalt über dieses erhielt.73 Ein Jahr später sicherte Berend Lehmann die Stiftung durch eine Urkunde, in der er festlegte, dass diese gänzlich für die Pflege und Förderung der jüdischen Wissenschaften, der Tora, des Talmuds, der Kommentare und Schriften durch Selbststudien und Unterricht der Schüler bestimmt sei. Bei Auflösung der Stiftung sollte deren Kapital an Lehmann bzw. seine Nachkommen erstattet werden.74 Nachdem Lehmann die Leitung bzw. Entscheidungsgewalt über das Lehrhaus erhalten hatte, konnte dieses sich zu einem Zentrum rabbinischer

71 Zitiert nach Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899, S. 131f. Laut Emil Lehmann befand sich der auf Hebräisch verfasste Brief im Besitz der jüdischen Gemeinde Halberstadt. 72 LHASA, MD, Rep. A 13, Nr. 613, Bl. 12–13. Schreiben Lehmanns an den preußischen König, Berlin 23. August 1713. Vgl. auch Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 348f. 73 LHASA, MD, Rep. A 13, Nr. 613, Bl. 11. Schreiben des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. an die Halberstädter Regierung, 30. August 1713. Vgl. auch Stern, Der preußische Staat, Teil I, Bd. 2, 1962, S. 349. 74 HStAH, Magistratsakten, 1.11.009, Bl. 126–128r. Es handelt sich dabei um eine Abschrift mit dem Titel „Übersetzung des Documents zum Behrend Lehmannschen Legate“ und ist datiert „Halberstadt den 28. Tag im Monate Nissan 5474“ (13. April 1714). Zur Klaus vgl. auch Auerbach, Hirsch Benjamin: Die Halberstädter „Klaus“ 1844 bis zu ihrem Ende. In: ZGJ 6 (1969). Nr. 1. S. 11–18.

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Gelehrsamkeit entwickeln. Zu den ersten namhaften Talmudgelehrten, die auf seine Initiative nach Halberstadt kamen, gehörten der vor einem Pogrom geflüchtete Leiter der Talmudhochschule von Lemberg, Rabbiner Hirsch Bialeh, genannt Charif, und Moses Brisk, der Sohn des bekannten Krakauer Rabbiners Israel Isserles. Hirsch Bialeh war der erste Rabbiner, der in Kooperation mit dem Gemeindevorstand das Studierhaus leitete. Laut Vertrag verpflichtete sich die Gemeinde, 18 Studierende in Kost und Logis zu nehmen, ein Gehalt von 300 Talern zu zahlen und eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. 1718 übernahm er die Leitung der Klaus, der er 30 Jahre lang erfolgreich vorstand. Seine Zeit und die seines Nachfolgers Hirschel Lewin brachten namhafte Rabbiner hervor, die später in Berlin, Danzig, Breslau, Hannover, Darmstadt, Düsseldorf und Glogau wirkten, wodurch das Halberstädter Lehrhaus in ernsthafte Konkurrenz zu der Frankfurter Jeschiwa trat.75 Kurz vor seinem Tod im Jahre 1730 übergab Berend Lehmann die Aufsicht über das Lehrhaus an seinen Sohn Koßmann Levi und dessen Nachfahren.76

1.3 Die Hirsch-Isaac-Borchert-Stiftung – Der Beginn der Hascharath Zwi (1796–1807) Hirsch Köslin, auch Hirsch Isaac Borchert genannt, stammte aus einer angesehenen Halberstädter Familie, seine Vorfahren lassen sich bis auf seinen Großvater Moses Levin und seinen Urgroßvater Levin Isaac zurückverfolgen.77 Sein Vater Isaac Borchert besaß einen „Kramladen“ und handelte mit „Brabanter Canten“ und Seidenwaren.78 Er gehörte zum Gemeindevorstand und 1773 – sowie für die folgende Amtsperiode ab 1778 – hatte man ihn zum ersten Vorsteher der Gemeinde

75 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 64–66; Auerbach, Hirsch Benjamin: Rabbi Hirsch (Ben Rabbi Naftali Hirz) Bialeh, genannt Rabbi Hirsch Charif. Rabbiner von Halberstadt von Adar (1718) 4478 [Jahreszahl steht so im Original, müsste eigentlich 5478 sein; Anm. d. Verf.] bis 4. Tischri (1748) 5508. In: ZGJ 8 (1971). Nr. 3/4. S. 133–140; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 8f. Zu Hirschel Lewin vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 86–87; Wilke, „Den Talmud und den Kant“ 2003, S. 86. 76 Vgl. Lehmann, Gesammelte Schriften, 1899, S. 133. 77 Die Generaltabelle von 1737 verzeichnet den Großvater mütterlicherseits, Moses Levin, als Handelsmann, der wiederum auf das Schutz-Privilegium seines Vaters Levin Isaac angesetzt war. Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil II, Bd. 2, 1962, S. 611f. 78 Isaac Borchert war verheiratet mit der Tochter Moses Levins. 1737 gehörten zu seinem Hausstand weitere sechs Personen: zwei Söhne, eine Tochter, ein Knecht und zwei Mägde. Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil II, Bd. 2, 1962, S. 597f.

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gewählt.79 Es ist davon auszugehen, dass Isaac Borchert seinen ersten Sohn, Hirsch Isaac Borchert, auf sein Schutz-Privilegium angesetzt hatte,80 und dieser in das Geschäft seines Vaters eingetreten war.81 Die Vermögensliste der Halberstädter Juden von 1765 an das Generalfiskalat in Berlin, eingereicht vom Halberstädter Kriegsund Domänenrat Gottfried Adrian Müller, dokumentiert, dass beide zu den wohlhabenden, Handel treibenden Juden gehörten. Hatte der Vater noch mit Stoffen und Seidenwaren gehandelt, erweiterte Borchert nach seinem Eintritt in das Geschäft das Warensortiment. Laut Vermögensliste handelte es sich um „eine große Handlung mit allerhand Waren, Juwelen und dergleichen“.82 Es liegt nahe, dass beide auf den Hauptmessen in Leipzig sowie auf den Messen in Frankfurt am Main, Frankfurt an der Oder und Braunschweig vertreten waren.83 Auch wenn über den Stifter Hirsch Isaac Borchert und seine Familie nur wenig bekannt ist, lassen sich den Quellen dennoch einige Details entnehmen. Im Mai 1788 wandte sich Borchert an die Halberstädter Kriegs- und Domänenkammer84

79 Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil III, Bd. 2, 1971, S. 808, 812. Isaac Borchert starb 1790 in Halberstadt. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 127. 80 Bei dem Begriff Ansetzung handelt es sich um einen Terminus technicus, der seit dem General-Reglement Friedrichs II. von 1750 verwendet wurde und die Übertragung des SchutzPrivilegiums von den Eltern auf ihre Kinder bedeutet, wobei diese erst nach dem Tod des Vaters einer eigenständigen Handelstätigkeit nachgehen konnten. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 104. 81 Im Vergleich zum Reglement von 1730, in dem noch zwei Söhne auf das Schutz-Privilegium des Vaters angesetzt werden konnten, war dies mit dem General-Privilegium von 1750 nicht mehr möglich; man unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Schutzjuden, und es konnte nur noch ein Sohn auf des Vaters Schutz angesetzt werden, während außerordentlichen Schutzjuden die Möglichkeit der Ansetzung verwehrt wurde. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 117; Bruer, Albert A.: Geschichte der Juden in Preußen (1750–1820). Frankfurt a. M. u. New York 1991. S. 71f. 82 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA PK), I. HA Rep. 104, IV A Nr. 72, Bl. 18 (eig. Blattzählung). Vgl. auch Stern, Der preußische Staat, Teil III, Bd. 2, 1971, S. 788f. 83 Die drei Gemeindevorsteher Isaac Borchert, Abraham Samuel Meyer und Isaac Nathan baten 1767 die Regierung in Magdeburg um Erlaubnis, „bare gute Geldsorten“ mit auf die „Braunschweiger Lichtmesse“ nehmen zu dürfen. Vgl. Stern, Der preußische Staat, Teil III, Bd. 2, 1971, S. 793. Zu den Messen, auf denen die Juden vertreten waren vgl. Breuer, Frühe Neuzeit, 2000, S. 131f. 84 Unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm I. entstand 1723 eine zentrale Behörde, das Generaldirektorium, welches für die Judenangelegenheiten wie z. B. Erhebung bzw. Festsetzung von Zöllen, Geleitgeldern, Schutzbriefen und Steuern zuständig war. Diesem direkt unterstellt waren die in den neun preußischen Provinzen eingerichteten Kriegs- und Domänenkammern, die mit der gesamten inneren Verwaltung der Stadt beauftragt wurden. Mit den Judenangelegenheiten, wie Ansetzung, An- und Verkauf von Häusern und Genehmigung zur Verheiratung, betraute man die Kriegs- und Steuerräte. Vgl. Dietrich, Peter: Die Rolle des

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bzw. an den Steuerrat Carl Friedrich Cunow85 und bat aufgrund „besonderer Familienumstände“ um Konzession zum Kauf eines Hauses, „gelegen unter der Peterstreppe“. Laut Borchert hatte das Haus zunächst seinem Großvater Moses Levin gehört und gelangte später in den Besitz des Handelsmannes Isaac Nathan, der sich aber in England aufhielt und aus dessen Konkursmasse es dann der Kriegsund Domänenrat Wilhelm Heinrich Culemann erwarb.86 Der Steuerrat Cunow befürwortete den Verkauf des Hauses an Borchert und wies in seinem Schreiben an die preußische Regierung darauf hin, dass Hirsch Isaac Borchert ein vermögender Handelsmann sei, der bereits einiges für die jüdische Gemeinde geleistet habe, sodass es von Vorteil sei, wenn er sich auch weiterhin in Halberstadt aufhalte.87 Bereits kurze Zeit später genehmigte der preußische Minister Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert den Verkauf des Hauses an Borchert.88 Zwei Jahre später wandte er sich erneut an die Kriegs- und Domänenkammer mit dem ungewöhnlichen Anliegen, seinen Neffen Baruch Jacob Borchert, den 27-jährigen Sohn seines Bruders, des Berliner Schutzjuden und Nesseltuch-Fabrikanten

preußischen Staates bei der Reform des jüdischen Schulwesens. Handlungsstrategien der preußischen Verwaltung gegenüber der jüdischen Freischule in Berlin (1778–1825) und der Königlichen Wilhelmschule in Breslau (1791–1848). In: Jüdische Erziehung und aufklärerische Schulreform. Analysen zum späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Britta L. Behm, Uta Lohmann u. Ingrid Lohmann. Münster [u. a.] 2002. S. 167–212, hier S. 168. Zu den Beamten der Halberstädter Kriegs- und Domänenkammer sowie zu den Steuerräten vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 63–65. 85 Der zur Kriegs- und Domänenkammer des Fürstentums Halberstadt gehörende Carl Friedrich Cunow (1749–1829) war als Kriegs- und Steuerrat, auch Commissarius Loci genannt, zuständig für die Städte Halberstadt, Oschersleben, Gröningen, Hornburg und Walbeck. Er war der direkte Ansprechpartner der jüdischen Gemeinden oder einzelner Juden. Dabei setzte sich Cunow im Vergleich zu seinem Kollegen, dem Kriegs- und Domänenrat Conrad Benjamin Franz Heyer, der ebenso mit der Bearbeitung der jüdischen Angelegenheiten betraut war, aber wenig Interesse daran zeigte, besonders für die Belange der Juden ein. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 162f., 291–294. 86 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 6, Bl. 2–3. Diese Quelle belegt, dass es sich bei dem Käufer um Hirsch Isaac Borchert handelte, während Halama den Vater Isaac Borchert als Käufer angibt. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 250. 87 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 6, Bl. 4. Schreiben Cunows an den König von Preußen, 8. Mai 1788. 88 Ebd., Bl. 7. Schreiben des Ministers Graf von der Schulenburg-Kehnert an die Halberstädter Kammer, 28. Juli 1788. Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert waren als Leiter des Dritten Departements des Generaldirektoriums der 1704 gegründeten Zentralbehörde, dem Generalfiskalat mit Sitz in Berlin, die Fiskale der einzelnen Provinzen unterstellt. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 164f., 294f.

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Jacob Isaac Borchert89, auf sein Schutz-Privilegium ansetzen zu lassen.90 Da die Ehe Borcherts kinderlos geblieben war, hatte er diesen bereits 1773 im Alter von zehn Jahren bei sich aufgenommen und als 15-Jährigen an seinen Geschäften teilhaben lassen. Zudem ersuchte Borchert um die Heirats-Konzession für eben diesen Neffen und seine zukünftige Ehefrau Vogel, die zweite Tochter des Berliner Schutzjuden und Cattun-Fabrikanten Moses David Wallach.91 Abermals wurde das Gesuch Borcherts von Steuerrat Cunow gegenüber der preußischen Regierung wohlwollend befürwortet. Sowohl die Ansetzung des Neffen als auch das Heiratsgesuch fanden die volle Unterstützung des Commissarius Loci, der dem Antrag eine Kopie des am 23. Juli 1789 in Berlin geschlossenen Ehevertrags der beiden zukünftigen Eheleute beigefügt hatte. Zunächst erläuterte er die überaus bedeutsame Stellung Hirsch Isaac Borcherts, […] der vielmehr alle seine Geschäfte auf fremden und inländischen Messen macht, sein Geld hierselbst verzehret, einen beträchtlichen Theil, sowohl zur jüdischen Anlage, als öffentliche Lasten contribuiret, und überhaupt die hiesigen verarmten Juden unterstützet: So dürfte deßen Gesuch, weil er selbst keine Kinder hat, und nach seinem Tode, deßen Schutz erlöschen wird, meines untertänigsten dafürhaltens, wohl Rücksicht verdienen.92

Außerdem würde sich bei Verheiratung „eine bemittelte Familie welche die, der größtenteils verarmten Judenschaft, aufliegenden Königlichen und jüdischen Praeestanda ansehnlich mit übertragen hilft“ niederlassen, zudem habe Baruch Jacob Borchert nach der Hochzeit von seinem Vater 2.000 Taler zu erwarten und die Braut

89 Hirsch Isaac Borcherts Bruder, Jacob Isaac, betrieb in Berlin zusammen „mit Salomon Ephraim und Heine Ephraim Veitel eine Nesseltuch-Fabrik ex Concessione vom 29. September ’82 auf 10 Jahr. Porcellain frey. […] Sie müssen wenigstens 20 Stühle Halten.“ Zitiert nach Schenk, Tobias: Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763–1812). Berlin 2010. S. 439. Auch Jacob Isaac Borcherts Tochter Esther hatte 1786 den Halberstädter Kaufmann Itzig Sußmann, den Sohn Sußmann Heinemanns geheiratet. GStA PK, I. HA Rep. 104, IV C Nr. 171a, Bl. 44. 90 Das General-Privilegium von 1750 enthielt im Vergleich zu 1730 folgende Verschärfung: „Ein Verwandter kann niemals auf jemandes Privilegium angesetzet, noch angenommen werden […]. Wann aber jemand keine Kinder und doch ein ansehnliches Vermögen hinterließe, so auf einen Fremden außerhalb Landes fallen und weggezogen werden dürfte, muß er […] sich dieserhalb gehörig melden, und darauf allergnädigste Resolution gewärtigen.“ Zitiert nach Halama, Autonomie, 2005, S. 203. 91 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 5, Bl. 53–55. Schreiben Cunows über die von Borchert ersuchte Ansetzung und Verheiratung seines Neffen Baruch Jacob Borchert, 14. Januar 1790. Aus dem Schreiben geht weiterhin hervor, dass Borchert zu diesem Zeitpunkt 58 Jahre alt war, sodass sich sein Geburtsjahr auf das Jahr 1732 datieren lässt. 92 Ebd., Bl. 47–52, hier Bl. 46r. Copie des Ehevertrags vom 23. Juli 1789.

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von ihrem Vater 3.000 Taler und dazu die Ausstattung als Mitgift.93 Die Vermählung sollte laut Ehevertrag entweder in Halberstadt auf Kosten Borcherts oder in Berlin auf Kosten des Brautvaters stattfinden. Außerdem verpflichtete sich Borchert, seinen Neffen nach der Heirat für mindestens vier Jahre in seinem Geschäft anzustellen und ihm ein jährliches Gehalt von 800 Talern zu zahlen.94 Der preußische Minister Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert forderte zunächst eine Bestätigung über das angegebene Vermögen der Brautleute, das insgesamt 5.000 Taler betrug.95 Nachdem Cunow dem Minister am 29. März diese vorgelegt hatte,96 erteilte das Departement des Etat-Ministers am 20. April 1790 sowohl die Genehmigung zur Ansetzung als auch die Erlaubnis zur Verheiratung.97 Im vorgerückten Alter machte der zu Ansehen und Wohlstand gelangte Hirsch Isaac Borchert bei der Verteilung seines Erbes die Erziehung der jüdischen Kinder zu seinem persönlichen Anliegen und richtete eine Stiftung zur Gründung einer Elementarschule ein, die erst nach seinem Tod eröffnet werden sollte. Im Alter von 63 Jahren verfasste er im April 1795 sein Testament, in welchem er in den Artikeln 23 bis 35 Anordnungen zur Gründung des Instituts traf und alle weiteren maßgeblichen Richtlinien erließ.98 Zunächst enthält dieses genaue Instruktionen für seine beiden Geschäftspartner, seinen bereits erwähnten und auf seinen Schutz angesetzten Neffen Baruch Jacob Borchert99 und Süßel David Böhme100,

93 Ebd., Bl. 47–52, hier Bl. 49r. Copie des Ehevertrags vom 23. Juli 1789. Vgl. auch Halama, Autonomie, 2005, S. 202f. 94 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 5, Bl. 47–52, hier Bl. 49. Copie des Ehevertrags vom 23. Juli 1789. 95 Ebd., Bl. 59. Schreiben Schulenburg-Kehnerts an die Halberstädter Kammer, 23. Februar 1790. 96 Ebd., Bl. 63–64. Schreiben Cunows an die Königliche Regierung, 29. März 1790. 97 Ebd., Bl. 66. Schreiben Schulenberg-Kehnerts an die Halberstädter Kammer, 20. April 1790. Vgl. auch Halama, Autonomie, 2005, S. 250f. 98 Es existieren zwei identische und beglaubigte Abschriften in deutscher Sprache vom 29. Juni 1825. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 29–39; HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27–35r. Zitiert wird aus der Abschrift der letztgenannten Quelle. Das Testament soll am 26. April 1795 verfasst, am 23. Juli 1795 im Domamt zu Halberstadt hinterlegt und nach dem Tod Borcherts am 6. Oktober 1795 eröffnet worden sein. Trotz umfangreicher Recherchen konnte der Verbleib des Originals nicht ermittelt werden. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 64. 99 Die seit dem israelitischen Konsistorium geführte Liste aller in Halberstadt ansässigen Juden vermerkt ihn und seine Ehefrau, sie allerdings unter dem Vornamen „Hanni geb. Moses Wallach“, sowie die drei Kinder Hannchen (geb. 4. Mai 1791), Julchen (geb. 3. Januar 1796) und Amalia (geb. 5. Januar 1803). HStAH, Jü 001, Bl. 1. Nach 1806 findet sich kein weiterer Hinweis auf die Familie in Halberstadt. 100 Borcherts jüngerer Geschäftspartner Süßel David Böhme, 1770 in Berlin geboren, hatte Vogel, die Tochter des Halberstädter Schutzjuden Wolff, geheiratet und sich in Halberstadt niedergelassen. HStAH, Jü 001, Bl. 2. Böhme erwarb 1792 das Haus des Halberstädter

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sowie für seinen Nachlassverwalter, seinen Neffen Samuel Levin Meyer (Sabel Eger),101 über die genaue Aufteilung der Waren und Gelder. Sollte das Barvermögen die von ihm ausgesetzte Stiftungssumme von 10.000 Talern nicht erbringen, so verfügte er, sollten seine beiden Kompagnons alle Wertsachen an Silber, Gold, Juwelen, Perlen, Pfändern, Wechseln und Obligationen veräußern, bis der Stiftungsbetrag zur Verfügung stünde. Nach sorgfältigen Berechnungen kam Borchert zu dem Ergebnis, dass mindestens 400 Taler jährlich erforderlich seien, um die laufenden Kosten eines solchen Instituts zu decken. Der gesamte Stiftungsbetrag, in gewinnbringenden Pommerschen Pfandbriefen angelegt, sollte eine jährliche Zinsausschüttung in dieser Höhe garantieren. Borchert stellte weitere 500 Taler zum Kauf oder zur Anmietung eines Schulhauses in Aussicht. Im Falle einer Hausanmietung sollte der Betrag ebenfalls in Pommerschen Pfandbriefen angelegt werden und mindestens einen jährlichen Zinsbetrag von 20 Talern erbringen. Das Schulhaus sollte neben den Schulräumen zudem eine Wohnung für den Lehrer bieten. Als geeignetes Objekt schlug Borchert das Vorderhaus im Rosenwinkel 18 vor, das er zusammen mit seinem Vater von den Wolff Levin Joelschen Erben erworben und für eine jährliche Pacht von 20 Reichstalern vermietet hatte.102 Der für den Unterricht eingestellte Lehrer sollte das gesamte Haus in Besitz nehmen können, „davon aber die Stube linke Hand beim Eingang auf den Klaushof, oder auch noch mehrere Zimmer, die die Herren Deputierten zum Institut nötig finden, zu Lehrstuben abgeben; auch muß eine kleine Stube für den Unterlehrer zur freien Logis bestimmt bleiben.“103 Da er, wie bereits erwähnt, keine direkten Nachkommen besaß, die sich des Instituts hätten annehmen können, benannte er sieben verantwortungsbewusste und vertrauensvolle Mitglieder der Gemeinde als Deputierte für die administrativen Aufgaben der Schule. Bei deren Wahl achtete er darauf, Personen zu benennen,

Kaufmannes Nickel. Interessant ist, dass Böhme in der „Judenhäusertabelle“ als „generalprivilegiert“ geführt wird. GStA PK, I. HA Rep. 104, IV D Nr. 94, Bl. 12. Die sogenannten generalprivilegierten Juden waren vergleichbar mit den Hoffaktoren, die über Landesgrenzen hinaus tätig waren und dem Staat besonders im Münzwesen und bei Lieferungen für das Militär wertvolle Dienste leisteten. Vgl. Bruer, Geschichte, S. 71; Jersch-Wenzel, Stefi: Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hrsg. von Michael A. Meyer. Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. München 2000. S. 57–95, hier S. 71. 101 Seinem Neffen Samuel Levin Meyer vermachte Borchert sein Wohnhaus. LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 6, Bl. 13. 102 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27–35r, hier Bl. 29. Dabei handelte es sich um das vordere Grundstück Rosenwinkel 18, das ursprünglich straßenseitig mit einem zweistöckigen Fachwerkhaus bebaut war. Vgl. Brülls, Synagogen, 1998, S. 127. 103 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27–35r, hier Bl. 29r.

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die nicht alle im Handel tätig und somit in der Lage waren, ihren Aufgaben als Administratoren auch nachzukommen. Er benannte Abraham David Levy, David Israel Meyer, Jacob Israel, die bereits erwähnten Samuel Levin Meyer, Sußmann Heinemann und Süßel David Böhme. Das Amt des Rechnungsführers sollte als einziges mit einem Jahresgehalt von 33 Talern vergütet werden. Ferner bestimmte er Joseph Herz104 zum Rechnungsführer des Instituts und erließ genaue Instruktionen für dieses Amt wie die Dokumentation der Einnahmen und Ausgaben und die Ausfertigung der Sitzungsprotokolle. Zudem hatte der Rechnungsführer die Kinder „öfter in gelehrten Sachen, im Lesen, Schreiben, und Rechnen zu examinieren“ und ihnen für gute Leistungen Prämien zu vergeben. Aus Borcherts Sicht hing der Erfolg des Instituts hauptsächlich von diesen Deputierten ab.105 Seine eigene Büchersammlung jüdischer Literatur vermachte er als Grundstock für die zukünftige Schulbibliothek.106 Entscheidend für das pädagogische Konzept der Schule war Artikel 32 seines Testamentes, darin heißt es: „Dieses heilige Werk, um die jüdische Jugend nicht allein nur in wahrer und echter Religion zu unterrichten und zu erhalten, sondern auch zu bilden, und die Anfangsgründe zum Lesen, Schreiben und Rechnen zu legen.“107 Damit sollte neben der Talmud Tora eine Bildungseinrichtung entstehen, in der erstmalig die Vermittlung deutsch-jüdischer Bildung in den Fokus rückte. Zusätzlich zum oben erwähnten Testament existiert ein Nachtrag mit neuen Überlegungen und ergänzenden Details, der ebenso als Kopie in deutscher Übersetzung vorliegt. Zunächst bestimmte Borchert „Hascharath Zwi“ als Namen für die Schule, den diese dann auch offiziell bis zu ihrer Schließung im Jahre 1942 führte. Seine weiteren Ausführungen galten der Finanzierbarkeit des Instituts, da er in der Zwischenzeit zu der Überzeugung gelangt war, dass der Stiftungsbetrag nicht ausreichend sein würde. Zur Deckung aller Kosten erhöhte er die Stiftungssumme um 500 auf 10.500 Taler, die in Pommerschen Pfandbriefen angelegt wurden und mindestens einen jährlich Betrag von 460 Talern an Zinsen erbringen sollten. Im letzten Abschnitt seines Nachtrages legte er einen kompletten Finanzplan

104 Der verwitwete Handelsmann Joseph Herz lebte mit seinen beiden Stieftöchtern zusammen. Seine verstorbene Frau, die Witwe des hiesigen Schutzjuden Lazarus Marcus, brachte zwei Töchter mit in die Ehe, Bela und Esther. Beide hatten das Schutzrecht ihres verstorbenen Vaters erhalten. Nach Verheiratung und Auszug der beiden Töchter und häufiger Abwesenheit auf Messen auch außerhalb des Landes stellte er 1789 einen Antrag zur Verheiratung mit seiner Braut Pesgen aus Dessau. Da diese neben einer guten Ausstattung noch 500 Taler in Gold mit in die Ehe brachte, wurde ihm gestattet, sich mit seiner Verlobten zu verehelichen und mit ihr sein „Etablissement“ in Halberstadt fortzusetzen. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 183f. 105 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27-35r, hier Bl. 31. 106 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 131. 107 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27–35r, hier Bl. 30.

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bezüglich der Verteilung der 460 Taler vor: Das Gehalt des Hauptlehrers sollte jährlich 250 Taler betragen sowie 30 Taler für Beheizung und Beleuchtung der Schulstuben. Für den zweiten Lehrer war insgesamt, wenn er „fleißig“ sei, ein Betrag von 55 Talern vorgesehen. Für den Elementarunterricht wie Schreiben und Lesen sowie Rechnen bestimmte Borchert die Hinzuziehung eines christlichen Lehrers, der 25 Taler an jährlichem Gehalt beziehen sollte. Die Vergütung des Hauptdeputierten betrug, wie bereits erwähnt, 33 Taler. Die drei Klausgelehrten sollten wie bisher 15 Taler erhalten. Für die Reparatur des Schulhauses plante er sechs Taler ein, für die „Lehrerzunft der Judengemeinde zu Berlin“ bestimmte er elf Taler. Außerdem setzte er eine Schülerprämie für besondere Leistungen aus. Das Studium des Talmuds wurde mit zehn und das Torastudium mit sechs Talern prämiert, wobei die Prämie ausschließlich für die Kinder vorgesehen war. Für den Kauf von Büchern legte er eine Summe von acht Talern fest. Die restlichen zehn sollten gesammelt und für Notfälle hinterlegt bzw. im Todesfall des Hauptlehrers an dessen Witwe ausgezahlt werden, da diese innerhalb der folgenden 30 Tage die Lehrerwohnung zu verlassen hatte.108 Mittels des hohen Stiftungsbetrages, seiner klaren Vorgaben sowie durchaus realistischer, detaillierter Berechnungen schuf Borchert eine solide Basis zur Gründung des Instituts. Hirsch Isaac Borchert starb im Oktober 1795. Ein halbes Jahr nach seinem Tod wurde die Schule im Mai 1796 offiziell unter dem Namen „Hascharath Zwi“ mit zunächst nur zwei Schülern eröffnet.109 Die Zusammensetzung des Schulvorstandes gestaltete sich unproblematisch, da fast alle von Borchert bestimmten Deputierten die ihnen zugedachten Ämter übernahmen, vor allem auch Joseph Herz, der seine Position als Hauptdeputierter bis zu seinem Tode im Jahr 1823 innehaben sollte.110 Der Finanzierungsplan wurde bis auf die kleine Änderung, dass die zusätzlichen 30 Taler für Beheizung und Licht der Schulräume nun dem zweiten Lehrer zu seinem Gehalt ausgezahlt werden sollten, ebenfalls übernommen. Als ersten Lehrer stellten die Administratoren Juda Herz111 aus Greifenhagen (Mansfelder Land) ein, der die Knaben im Talmud unterrichtete. Nachdem die Zahl der Schüler stieg, fiel die Wahl des zweiten Lehrers auf Juda Alexander aus Groningen, der 1797 von der Kriegs- und Domänenkammer einen sogenannten

108 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 27–35r, hier 33–35r. 109 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 131; Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 11–12. 110 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 21, Bl. 3. Der von Borchert vorgeschlagene Sußmann Heinemann hatte das Amt abgelehnt, stattdessen gehörten jetzt Levin Jacob Meyer und Moses Ascher zum Schulvorstand. 111 Juda Herz, in den Quellen auch als Juda Herzer angegeben, ließ sich 1792 in Halberstadt nieder, nachdem er Judith, die Tochter des ordentlichen Schutzjuden Simon Michel Wolff, geheiratet hatte. GStA PK, I. HA Rep. 104, IV C Nr. 171a, Bl. 73.

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Erlaubnisschein erhielt, der ihn berechtigte, als Lehrer an der Schule tätig zu sein. Seine Anstellung war zunächst auf sechs Monate befristet, er erteilte den Hebräischunterricht.112 Um dem Testament Borcherts zu entsprechen, stellte man als dritten Lehrer, erstmals zuständig für die Elementarfächer Schreiben, Lesen und Rechnen, den Organisten der reformierten Gemeinde, Schröder, ein.113 Damit legte Borchert den Grundstein für die Vermittlung von religiöser und weltlicher Bildung, die Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Motto „Tora im Derech Erez“ von weiteren orthodoxen Gemeinden aufgegriffen wurde und Nachahmer fand.114 Zudem ermöglichte der hohe Stiftungsfonds die finanzielle Unabhängigkeit von der Gemeinde, und die Lehrer konnten, solange wie sie keine Familie zu ernähren hatten, sich ganz dem Unterricht der Kinder widmen, ohne weiteren Nebentätigkeiten zur Sicherung des Lebensunterhaltes nachgehen zu müssen.115 Bezüglich des Schulhauses gab es nach der Eröffnung, trotz detaillierter Anweisungen Borcherts, einige Hürden zu überwinden, da das vorgesehene Vorderhaus im Rosenwinkel 18 einer Nutzung als Institut nicht zugeführt werden konnte. Es waren einige Unstimmigkeiten zu klären, die Gemeinde gab an, dass das Haus dem Erblasser gar nicht mehr gehört und dieser bereits 1785 den Klausgelehrten Wohnrecht im Vorderhaus eingeräumt und zeitgleich seine Rechte daran abgetreten hätte.116 Es kam zu keiner Einigung, die Administratoren waren gezwungen, eine andere Lösung zu finden. Sie waren sich darin einig, dass es vorteilhafter sei, ein Haus zu kaufen statt zu mieten, und stellten den dafür notwendigen Konzessions-

112 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 21, Bl. 20r–21. 113 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 11f.; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 132. 114 An der Talmud-Tora-Schule in Hamburg wurde ab 1822, nach der Berufung des neuen Rabbiners Isaac Bernays, eigens für die profanen Fächer ein christlicher Lehrer angestellt. Bernays argumentierte, „dass die Aussprache eines völlig Fremden dem nachlässigen Dialekt“ entgegenwirken könne. Vgl. Goldschmidt, Joseph: Geschichte der Talmud Tora-Realschule in Hamburg. Festschrift zur Hundertjahrfeier der Anstalt 1805–1905. Hamburg 1905. S. 17, 57. Zu weiteren orthodoxen Schulgründungen vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 101–106; Prestel, Jüdisches Schul- und Erziehungswesen, 1989, S. 72f. 115 In der Regel wurden die Gehälter der Lehrer von der Gemeinde finanziert und lagen zwischen 40–50 Talern mit einer kleinen Zuwendung in Form von Schulgeldern oder freiem Tisch. Gehälter darüber hinaus waren eher eine Seltenheit. Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 75–80; Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 274–279. 116 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Nr. 21, Bl. 14–16. Schreiben Böhmes an Cunow, 14. April 1797. LHASA, MD, Rep. A 19 b, Nr. 21, Bl. 5–7, hier Bl. 5. Schreiben Cunows an die Königliche Regierung, 26. April 1797. Der Kriegs- und Domänenrat Heyer berichtet, dass sich das Vorderhaus im Besitz der Wolff Levin Joelschen Erben befunden und diese es an die Klausgelehrten vermietet hätten. LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 21, Bl. 32. Es sei hier vorweggenommen, dass die Gemeinde das Vorderhaus im Rahmen des Neubaus der Klaus 1857/1858 abreißen ließ. Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 37–39.

Die Hirsch-Isaac-Borchert-Stiftung – Der Beginn der Hascharath Zwi (1796–1807) 

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Abbildung 1: Schulhaus Judenstraße 27 (2012)

antrag für den Kauf des wesentlich kleineren Joseph Jacobschen Hauses in der Judenstraße 27.117 Unterstützt wurden sie beim Kauf des Schulhauses von dem bereits erwähnten Kriegs- und Steuerrat Cunow, der sich mit einem Schreiben vom 4. März 1797 an die Königliche Regierung für dieses Vorhaben einsetzte.118 Da seitens der Regierung Klärungsbedarf bezüglich der Besitzverhältnisse des Vorderhauses Rosenwinkel 18 bestand, wandte sich Cunow einige Wochen später erneut an diese. Neben den Erläuterungen zu den Besitzverhältnissen ist diesem Schreiben zu entnehmen, dass das Joseph Jacobsche Haus bereits als Schule und Wohnung der Lehrer eingerichtet sei.119 Obwohl das Schulhaus bereits im März in Besitz genom-

117 LHASA, MD, Rep. A 19 b, Tit. IX Judensachen Nr. 21, Bl. 2–3. Schreiben der Administratoren, 27. Februar 1797. 118 Ebd., Bl. 1, 4. Schreiben Cunows an die Königliche Regierung, 4. März 1797. 119 Ebd., Bl. 5–7, hier Bl. 7. Schreiben Cunows an die Königliche Regierung, 26. April 1797.

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Dokument 1: Grundriss des Erdgeschosses des Schulhauses in der Judentrasse 27 (1897)

men worden war, wandte sich die Kriegs- und Domänenkammer im September an die Regierung und bat um Konzession des Joseph Jacobschen Hauses.120 Einige Wochen später erfolgte die offizielle Bestätigung der Königlichen Regierung an die Halberstädter Kammer.121 Das Schulhaus in der Judenstraße 27 war das erste,

120 Ebd., Bl. 31–32. Schreiben Heyers an die Königliche Regierung, 7. September 1797. 121 Ebd., Bl. 34. Zu jüdischem Hausbesitz, Hauskauf und Vererbung in Halberstadt vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 230–290. Halama gelangt zu dem Ergebnis, dass die Beamten der Kriegs- und

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das ausschließlich für den Unterricht der Kinder und als Wohnhaus des ersten und zweiten Lehrers bestimmt war. Die Lage des kleinen Fachwerkhauses war ausgesprochen günstig: Die Judenstraße und die anliegenden Straßen bildeten um 1800 das Zentrum jüdischen Lebens in Halberstadt. Auch das Nachbarhaus Judenstraße 26 befand sich im Besitz der Gemeinde, die dort eine Mikwe unterhielt. Beide Häuser gehörten zu einer Art Reihenhausanlage aus dem 17. Jahrhundert, die aus mindestens fünf nahezu identischen, zusammenhängenden Fachwerkhäusern bestand.122 Das kleine zweigeschossige Schulhaus besaß im Erdgeschoss und in der ersten Etage je zwei hintereinanderliegende Räume, zwischen denen sich eine zentrale Feuerstelle befand, von der aus die Räume der jeweiligen Etage beheizt werden konnten. Das Erdgeschoss und vermutlich ein Teil der ersten Etage wurden als Schulräume genutzt, der Rest des Hauses diente dem ersten und dem zweiten Lehrer als Wohnung.123

1.4 Die rechtliche Stellung des jüdischen Schulwesens in Preußen vor 1807 Der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte 1717 die allgemeine siebenjährige Schulpflicht eingeführt. Es folgten der General-Schulplan von 1736 und das General-Landschul-Reglement von 1763, nach dem das Landschulwesen in Preußen eingerichtet werden sollte, da sich dieses immer noch im „äußersten Verfall“ befand.124 Konkrete Auf- und Ausbaumaßnahmen begannen 1787 mit der Gründung des Oberschulkollegiums, der ersten zentralen staatlichen Schulbehörde Preußens. Ihr erster Leiter, Karl Abraham von Zedlitz, der Aufklärungspädagogik verhaftet, bemühte sich sofort um Reformen, dabei unterschied er nur noch zwischen Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen.125 Weniger reformfreudig war sein Nachfolger Johann

Domänenkammer beim Hauskauf den Juden gegenüber sehr wohlwollend auftraten und Kriegs- und Steuerräte wie z. B. Cunow sich als äußerst hilfsbereit erwiesen. Vgl. Halama, Autonomie, 2005, S. 289. 122 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 43f. 123 Bauarchiv Halberstadt (BauA H), A 3401, Bauakte Judenstraße 27, Entwässerungsplan, 27. Februar 1897. Vgl. auch Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 44f. 124 Vgl. Leschinsky, Achim u. Peter Martin Roeder: Schule im historischen Prozeß. Zum Wechselverhältnis von institutioneller Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung. Frankfurt a. M. [u. a.] 1983. S. 45. Zu den entsprechenden Verordnungen vgl. Froese, Leonhard u. Werner Krawietz (Bearb.): Deutsche Schulgesetzgebung. Bd. I: Brandenburg, Preußen und Deutsches Reich bis 1945. Weinheim [u. a.] 1968. S. 91, 93, 105–121. 125 Vgl. Baumgart, Franzjörg: Zwischen Reform und Reaktion. Preußische Schulpolitik 1806–1859. Darmstadt 1990. S. 16–19.

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Christoph von Wöllner.126 Erst die Schulartikel des Allgemeinen Landrechts von 1794 stellten das gesamte Schulwesen unter staatliche Aufsicht und regelten damit den allgemeinen Unterricht in Preußen.127 Während sich die bisherigen Schulgesetzgebungen ausschließlich auf das allgemeine Schulwesen bezogen, unterlag das jüdische Schulwesen der Selbstverwaltung der jüdischen Gemeinden. Aufmerksamkeit erregten die wiederholten Gesuche der bereits genannten jüdischen Freischule in Berlin. Da diese keinen Fonds besaß und sich ausschließlich aus privaten Mitteln finanzierte, wandte sich das Schuldirektorium 1805 an den Leiter des Oberschulkollegiums Eberhard Julius Wilhelm von Massow und bat um finanzielle Unterstützung und Zuerkennung des Prädikates „Königliche Schule für die jüdische Nation“.128 Daraufhin beauftragte man den Oberkonsistorialrat Johann Wilhelm Heinrich Nolte, einen umfassenden Überblick über die jüdische Freischule zu geben. Noltes Bericht fiel durchaus positiv aus, und er bestätigte der Schule den Status einer sogenannten Mittelschule, wohingegen er eine finanzielle Unterstützung jedoch ablehnte.129 Um zunächst die Frage der generellen Zuständigkeit zu klären, wandte sich von Massow an das Generaldirektorium mit dem Begehr, das jüdische Schulwesen unter Aufsicht des preußischen Staates zu stellen und es im Ressort des Finanzdepartements zu belassen, anstatt es dem Oberschuldepartement zu unterstellen. Dieses Ansinnen von Massows scheint nicht ungewöhnlich, fielen doch die meisten sogenannten Judenangelegenheiten in das Ressort dieses Departements.130 Das Generaldirektorium lehnte am 16. Juli 1805 von Massows Vorschlag ab und bestätigte, dass man bisher keine Notiz von den jüdischen Schulen genommen habe.131 Zudem hatte man einige Wochen zuvor darauf hingewiesen, […], den Eltern die Neigung beyzubringen, ihre Kinder in christliche Schulen zu senden und diesen hier eine gute Aufnahme zu bewürken, woran es ihnen vorzüglich in den aufgeklärten hiesigen Residenzien, bey den sehr guten Schulen derselben, an Gelegenheit nicht mangelt, als daß der Staat die jüdischen Schulen zu befördern suche.132

126 Vgl. Baumgart, Zwischen Reform, 1990. S. 24. 127 Vgl. Leschinsky u. Roeder, Schule, 1983, S. 127–132. Zu den Schulartikeln des Allgemeinen Landrechts vgl. Froese u. Krawietz, Deutsche Schulgesetzgebung, 1968, S. 127–132. 128 Gesuch der Freischuldirektion an Massow als Leiter des Oberschulkollegiums, im Februar 1805. In: CCN, 2001, Dok. 158, S. 429f. 129 Noltes Bericht über die Freischule an den König, im Mai 1805. Im Ganzen viel Sittlichkeit. Neben den bessern Mittelschulen. In: CCN, 2001, Dok. 161, S. 433–435. 130 Massow an das General-Direktorium. Frage nach dem Verhältnis des jüdischen Schulwesens zum Staate. In: CCN, 2001, Dok. 166, S. 438f. Vgl. auch Dietrich, Die Rolle, 2002, S. 186. 131 Das Generaldirektorium an Massow. Ressortfragen. Bei Gelegenheit eines Antrags der Freischul-Direktion. In: CCN, 2001, Dok. 167, S. 439f. 132 Zitiert nach Das General-Direktorium an Massow. Fragen der Ressortzugehörigkeit. Tilgung des schädlichen Separatismus. In: CCN, 2001, Dok. 165, S. 437–438, hier S. 438.

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Ungeachtet dieser Entscheidung gab der preußische König Friedrich Wilhelm III. am 23. März 1806 per Zirkular-Reskript eine Untersuchung über das jüdische Schulwesen in Auftrag. Woraufhin das Oberschulkollegium die Anordnung erhielt, einen Fragenkatalog zur Erstellung einer statistischen Erhebung über das jüdische Schulwesen zu erarbeiten. Die Fragen nach der Existenz einer jüdischen Schule vor Ort, ihrer Beschaffenheit und ihren Lerninhalten, nach der Anzahl der schulfähigen Kinder und dem Bestehen eines Fonds bildeten seine Basis. Zusätzlich sollten noch Anmerkungen und Vorschläge zu der jeweils angetroffenen Schulsituation gemacht werden.133 Sehr aufschlussreich sind die umfassenden Untersuchungsergebnisse über die Kurmark. Sie zeigen, dass der Unterricht in den kleinen jüdischen Gemeinden oftmals nicht über die religiöse Unterweisung hinausging und die Kinder in der Regel christliche Schulen besuchten oder von jüdischen bzw. christlichen Privatlehrern unterrichtet wurden.134 Allerdings sind einige der mehr oder weniger ausführlichen Berichte einzelner Provinzen insofern interessant, als dass sie Informationen über die soziale und wirtschaftliche Situation der jüdischen Lehrer enthalten. Die folgenden Beispiele zeigen, dass die Vergütung der Pädagogen derart gering ausfiel, dass es nicht möglich war, davon eine Familie zu ernähren. Die monatlichen Gehälter der Lehrer an der jüdischen Freischule in Berlin betrugen 1805 zwischen sechs und 16 Talern bei unregelmäßiger Auszahlung mit einer Unterrichtszeit von 40–60 Wochenstunden. Zwar unterlagen die Lehrergehälter der Königlichen Wilhelmschule in Breslau ebenso starken Schwankungen, betrugen aber immerhin schon zwischen 72 und 320 Talern pro Jahr.135 Noch dramatischer gestalteten sich die Verhältnisse in den kleinen, mitgliederschwachen Synagogengemeinden. Hier verdienten jüdische Lehrer zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwischen anderthalb und zweieinhalb Talern pro Monat. In der Provinz Pommern sowie in der Kurmark befand man ein jährliches Gehalt von 24 Talern als durchaus angemessene Entlohnung. Diese schlechte Vergütung zwang viele Lehrer, einem Nebenerwerb nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt überhaupt sichern zu können. Die oftmals fehlende Identifikation mit der ausgeübten Tätigkeit hatte zur Folge, dass einige das Lehramt nach Möglichkeit nur vorübergehend

133 Vgl. Dietrich, Die Rolle, 2002, S. 187f. Zum Oberschulkollegium vgl. auch Baumgart, Zwischen Reform, 1990. S. 21–22. 134 Zustand des jüdischen Schulwesens in der Kurmark, 1806. Tabellarische Übersicht. Gutachten und Vorschläge des Konsistorialrats Ribbeck. In: CCN, 2001, Dok. 173, S. 460–487. 135 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 76. Brämer weist darauf hin, dass die geringe Vergütung der Lehrer u. a. ausschlaggebend war für das Scheitern der beiden Reformschulen in Berlin und Breslau. Zu den Lehrergehältern der Berliner Freischule vgl. Die Lehrer der Freischule im Jahre 1805. In: CCN, 2001, Dok. 157, S. 428.

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versahen. Bereits die vage Aussicht auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage sowie die Hoffnung auf eine Hebung der gesellschaftlichen Position veranlassten viele, vor allem jüngere Lehrkräfte, zu einem endgültigen Wechsel in einen anderen Beruf. In der Mehrzahl der Fälle wandten sie sich dann einer kaufmännischen Beschäftigung zu, deren Ausübung nicht an formale Voraussetzungen gebunden war.136 Auch bei den christlichen Lehrerkollegen gestaltete sich die wirtschaftliche und soziale Lage ähnlich. Landschullehrer der Kurmark waren ebenso genötigt, neben ihrer Lehrtätigkeit weiteren Erwerbsquellen nachzugehen, da das jährliche Gehalt nur zwischen 20 und 40 Talern lag. Sie bevorzugten in erster Linie Nebentätigkeiten im handwerklichen oder versuchten es im landwirtschaftlichen Bereich, wohingegen ihre Kollegen an den Gelehrtenschulen sich mit Privatstunden und Chorsingen über Wasser hielten.137 Für Halberstadt lässt sich konstatieren, dass keiner der christlichen Lehrer, die dem Domkapitel angeschlossen waren, unter 150 Talern erhielt, wohingegen die Lehrer der Elementar- bzw. Volksschulen ein wesentlich geringeres Salär bezogen.138 Betrachtet man den Bericht über den Zustand der jüdischen Schulen des Magdeburger Konsistoriums an das Oberschulkollegium, so findet Magdeburg selbst in dem Bericht von 1806 keine Erwähnung, da sich dort, wie bereits erläutert, bis zu Beginn des Königreichs Westphalen immer nur zwei oder drei jüdische Familien niederlassen durften. Der Bericht enthält lediglich Angaben zu den Städten Burg, Ziesar und Halle. Die Schülerzahlen in Burg und Ziesar waren erheblich zurückgegangen, sodass die Schulen letztendlich aufgelöst wurden und die wenigen schulpflichtigen Kinder die christlichen Schulen besuchten. Lediglich in Halle bestand eine jüdische Religionsschule, mit einem von der Gemeinde angestellten und besoldeten Lehrer. Gerson Jacob erteilte den 22 Mädchen und Knaben Religionsunterricht in seiner Wohnung, wobei das Schulgeld acht bis zwölf Taler jährlich betrug. Der Gemeindevorstand hatte zuvor den jüdischen Lehrer nicht nur in den religiösen Fächern, sondern auch nach „Anleitung des Mendelssohnschen Schulunterrichts geprüft“.139 Die Kinder besuchten sowohl

136 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 77–80. 137 Vgl. Kuhlemann, Frank-Michael: Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794–1872. Göttingen 1992. S. 99f. 138 Vgl. Augustin, Christian Friedrich Bernhard: Statistische Uebersicht des Königreichs Westphalen. Bd. 1. Halle 1808. S. 68. 139 Laut Brämer diente damit als Befragungsgrundlage das 1779 von David Friedländer unter Mitarbeit Moses Mendelssohns verfasste moderne „Lesebuch für jüdische Kinder. Zum Besten der jüdischen Freyschule“, das erstmalig „durch seine tugend- und moralfixierten Inhalte auf die Aufhebung kultureller Differenz abhob“. Brämer, Leistung, 2006, S. 62. Ausführlich zum „Lesebuch“ vgl. Schoeps, Julius H.: David Friedländer. Freund und Schüler Moses Mendelssohns.

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den jüdischen Religionsunterricht als auch die öffentlichen Schulen. Zwischen 1781 und 1806 besuchten insgesamt 17 jüdische Schüler das Stadtgymnasium und die Mädchen das Institut des reformierten Kantors Deschmann. Das Konsistorium befürwortete für Halle den Besuch der öffentlichen Schulen als auch der jüdischen Religionsschule und hielt die Einrichtung einer jüdischen Elementarschule für nicht erforderlich.140 Wesentlich motivierter und umfassender fiel hingegen der Bericht über das Fürstentum Halberstadt und die Grafschaft Hohenstein aus, der im August 1806 an die preußische Regierung erging. Diese hatte sich zunächst an die Kriegs- und Domänenkammer in Halberstadt gewandt und den Schul- und Konsistorialrat Johann Carl Christoph Nachtigal141 mit dieser Aufgabe betraut. Mit Unterstützung der Vorsteher Sußmann Heinemann und Wolf Michael sollte sich Nachtigal bei seinen Visitationen ein umfassendes Bild über die jüdischen Schulen Halberstadts und seiner Umgebung verschaffen und etwaige Verbesserungsvorschläge einreichen.142 Für die Halberstädter jüdische Gemeinde mit insgesamt 50 schulpflichtigen Kindern führte er die drei Einrichtungen Hascharath Zwi, Talmud Tora und die Privatschule Juda Alexanders an. Nachtigal betonte den beträchtlichen Fonds und die gute personelle Situation der Hascharath Zwi, die zu der Zeit von neun Knaben, vier älteren und fünf jüngeren, besucht wurde und unter Aufsicht des Rabbiners und fünf weiterer Mitglieder der jüdischen Gemeinde stand. Seinem Bericht lässt sich entnehmen, dass in der Zwischenzeit ein Personalwechsel

Hildesheim [u. a.] 2012. S. 108–115.Vgl. auch Völpel, Annegret u. Shavit Zohar: Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literarischer Grundriß. Stuttgart u. Weimar 2002. S. 24–40; 140 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 10–12. Bericht des Magdeburger Konsistoriums zum jüdischen Schulwesen, 11. April 1806. 141 Johann Carl Christoph Nachtigal (1753–1819) besuchte das Domgymnasium in Halberstadt, studierte in Halle (Philosophie, hebräische und griechische Philologie, Theologie, Mathematik, Physik und Physiologie) und kehrte als Lehrer an das Domgymnasium zurück. Im Jahre 1800, nach dem Tod Fischers, berief man ihn zum Direktor des Domgymnasiums und ernannte ihn zum Konsistorial- und Schulrat wie auch zum Oberinspektor der domkapitularischen Kirchen und Schulen; zwei Jahre später wurde er Generalsuperintendent des Fürstentums Halberstadt und der Grafschaften Hohenstein und Mansfeld. Vgl. Hoche, Johann Gottfried (Hrsg.): Biographie des Königl. Preuß. Konsistorialraths, Generalsuperintendenten, Ephorus und Direktors der Domschule in Halberstadt, Doktors der Theologie, J.[ohann] C.[arl] C.[hristian] Nachtigal von ihm selbst geschrieben und mit einigen seiner Schulreden über interessante Gegenstände herausgegeben. Halberstadt 1820. Richter, Arthur: Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Jubiläums der Wiederherstellung des Halberstädter Dom-Gymnasiums und zur Einweihung des neuen Schulgebäudes. Halberstadt 1875, S. 53f. 142 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 36. Bericht des Konsistoriums, 12. August 1806.

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stattgefunden hatte: Juda Herz und der Organist Schröder gehörten weiterhin zum Lehrpersonal der Schule, doch die Stelle des zweiten Lehrers war nicht mehr mit Juda Alexander, sondern nunmehr mit Ascher Schlesinger besetzt. Wie bereits erwähnt, hatte man mit Aufnahme des Schulbetriebes der Hascharath Zwi mit Erstgenanntem einen zunächst nur auf ein halbes Jahr befristeten Vertrag geschlossen, der offensichtlich nicht verlängert worden war. Der Stundenplan setzte sich aus täglich acht Unterrichtsstunden zusammen: vier Stunden Talmud für die Älteren, zwei Stunden Hebräisch Lesen und Übersetzen, „etwas aus der Sittenlehre und der jüdischen Religionsgeschichte“, eine Stunde Jüdisch-deutsch Schreiben.143 Insgesamt vier Wochenstunden erteilte der christliche Lehrer – zwei Stunden Kopf- und Tafelrechnen, eineinhalb Stunden Deutsch Schreiben und Orthografie und eine halbe Stunde Deutsch Lesen. Eingehend informierte sich Nachtigal während mehrerer Prüfungen über den Wissensstand der Kinder, wobei für den Tora-Unterricht die Mendelssohnsche Übersetzung144 benutzt wurde. Er attestierte den Schülern, „reinlich und gut gekleidet“ und „größtenteils wohlgesittet und von guten Fähigkeiten“ zu sein.145 Über die Talmud Tora berichtete Nachtigal, dass deren Unterhalt zum einen von den Zinsen des Talmud-Tora-Vereins, zum anderen von den Beiträgen der Gemeinde und durch die freie Verköstigung des Lehrers in einigen jüdischen Häusern bestritten wurde. Von den acht Schülern erhielten zwei freien Unterricht, die Eltern der sechs anderen zahlten ein geringes Schulgeld. Als Lehrer der Talmud Tora wurde Tobias Wolf genannt. Die hauptsächlichen Lehrfächer waren Lesen, Übersetzen und die Grundsätze der Tora und die Anfänge des Talmuds. Nachtigal, durchaus vertraut mit dem Lehrpensum der Religionsschulen, bezeichnete den Unterricht der Talmud Tora im Vergleich zur Hascharath Zwi als „viel dürftiger“, womit sich seine Beurteilung auf die pädagogischen Fähigkeiten des Lehrers und den Kenntnisstand der Schüler bezog. Außerdem besuchten drei Mädchen die Gemeindeschule und erhielten Unterricht im Hebräisch Lesen.146

143 Es sei hier vorweggenommen, dass das Unterrichtsfach Jüdisch-deutsch Schreiben sowie Jüdisch Schreiben noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts an der Hascharath Zwi unterrichtet wurde. 144 Die von Moses Mendelssohn in deutscher Sprache mit hebräischen Lettern verfasste Übersetzung der Tora „gilt als eines der ersten literarischen Projekte der Haskala“. Dabei sollte das 1783 erschienene Werk „die Bibel wieder ins Zentrum des religiösen Studiums“ rücken. Schoeps, Julius H.: David Friedländer. Freund und Schüler Moses Mendelssohns. Hildesheim 2012. S. 140–142. 145 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 37r–39r. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. 146 Ebd., Bl. 37–51, hier Bl. 39r–40r. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806.

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Damit griff er das bisher generell wenig beachtete Problem der Mädchenerziehung auf. Er bemängelte, dass für die Mädchen keine eigene Schule vorhanden sei. Ein Großteil der Mädchen erhielt Privatunterricht und wurde im Elternhaus vor allem von den Lehramtskandidaten des Halberstädter Lehrerseminars in deutscher Sprache, Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Musik, Geografie und Geschichte unterrichtet. Er hob besonders hervor, dass „einzelne Töchter gebildeter jüdischer Familien“ die mit dem Lehrerseminar verbundene Töchterschule besuchten.147 In der dritten jüdischen Schule, der Privatschule des ehemaligen HascharathZwi-Lehrers Juda Alexander, erhielten neun Knaben, teils aus begüterten Familien, Unterricht im Talmud und im Hebräischen. Seine Beurteilung dieser Schule fiel ausgesprochen positiv aus, er charakterisierte Juda Alexander als einen pädagogisch versierten und tüchtigen Lehrer. Der Unterricht bestand aus täglich vier Stunden Talmud, einer Stunde Jüdisch-deutsch Schreiben und einer Stunde Lesen und Übersetzen. Nachtigal attestierte, dass die Knaben bei der Visitation gut vorbereitet waren.148 Deutlich beeinflusst von den modernen Schulen der jüdischen Reformanhänger, wie sie in Berlin, Dessau und Seesen entstanden waren, aber dennoch mit Rücksicht auf die traditionelle Ausrichtung der Gemeinde Halberstadt, verfasste Nachtigal einen detaillierten Bericht mit Verbesserungsvorschlägen für alle drei Schulen, wobei sich seine Ausführungen nicht nur auf die vorgefundenen Umstände bezogen. Zum Zeitpunkt der Visitation ließen die einigermaßen begüterten Hausväter ihre Söhne, wenn sie denn eine der drei jüdischen Schulen besuchten, zusätzlich von Privatlehrern des Lehrerseminars unterrichten. Einige Knaben erhielten Privatunterricht von christlichen Lehrern, von Schülern der Jeschiwa, den Bachurim, oder von den Lehrern der jüdischen Schulen; eher selten wurde Privatunterricht von einem Klausgelehrten erteilt. Andere wiederum besuchten ausschließlich die christlichen Schulen, oftmals die mit dem Lehrerseminar verbundene Seminarschule, ältere Knaben das Domgymnasium.149

147 Ebd., Bl. 37–51, hier Bl. 42r–43. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. 148 Ebd., Bl. 37–51, hier Bl. 40r–41. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. Zur Privatschule Juda Alexanders liegen keine weiteren Angaben vor, vermutlich bestand diese nur für kurze Zeit und wurde mit Beginn des Westphälischen Konsistoriums wieder geschlossen. 149 Ebd., Bl. 37–51, hier Bl. 41r–42. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. Der Domschule, ab 1806 auch als Domgymnasium bezeichnet, wurde unter dem Einfluss der beiden Domdechanten Ernst Ludwig Christoph von Spiegel zum Desenberg und Friedrich Ebert von Rochow und unter dem Domschulrektor Christian Gottfried Struensees im Jahre 1778 ein Lehrerseminar angeschlossen, eines der ersten Schullehrerseminare Preußens, an dem die Schüler eine Ausbildung zum Dorfschullehrer erhielten. Um den Seminaristen auch eine praktische Ausbildung zu ermöglichen,

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Generell hielt er es für erforderlich, eine „besondere Aufsicht“ über jüdische Schulen zu installieren, um eine „zweckmäßigere Bildung“ der jüdischen Kinder zu ermöglichen. Konkret forderte er, dass sich der Gemeinderabbiner und die gebildeten Mitglieder der Gemeinde eine genauere Übersicht über die schulfähigen Kinder verschaffen und den Unterricht häufiger inspizieren sollten. In Relation zu der Lehrstundenverteilung sollten die Talmudstunden reduziert werden und in erster Linie denen vorbehalten bleiben, die sich zum Rabbiner ausbilden lassen wollten. Sein Vorschlag für einen neuen Lektionsplan sah eine Stunde Talmud, zwei Stunden Jüdisch-deutsch Schreiben und Lesen ausgewählter Stücke aus der Tora und den Propheten in hebräischer Sprache, eine Stunde Kopf- und Tafel- bis zum Bruchrechnen, eine Stunde deutsche Sprache, „richtig und schön“ Lesen, Orthografie und Kalligrafie, eine Stunde täglich Weltgeschichte, Erdbeschreibung, Himmels- und Naturkenntnisse und die Anfangsgründe der Geometrie vor. Als jüdisches Lesebuch für alle drei Schulen empfahl er das von Benjamin Schottländer, dem Direktor der Jacobson-Schule in Seesen herausgegebene jüdische Lesebuch Zaphnath Paneach.150 Nachtigal erwog sehr genau das Für und Wider seiner Vorschläge und räumte dabei ein, dass die Einführung des Griechischen, Lateinischen und Französischen, wie in der Jacobsohn-Schule in Seesen, derzeit für die Hascharath Zwi nicht in Frage komme. Weiterhin war ihm bewusst, dass die Umsetzung des von ihm vorgeschlagenen Lehrplans aufgrund des Mangels an qualifizierten

richtete der zweite Direktor, Johann Friedrich Walkhoff, eine sogenannte Seminarschule ein, in der die Seminaristen des Lehrerseminars unter Anleitung den Unterricht in der Seminarschule versahen. Diese bestand aus mehreren Klassen und wurde von Beginn an von Kindern aller Religionszugehörigkeiten besucht. Vgl. Steinberg, August Ludwig: Geschichte und Statistik des Schullehrerseminars zu Halberstadt. Halle 1871. S. 52–55; Kehr, Carl: Die Geschichte des königlichen Schullehrer-Seminars zu Halberstadt. Gotha 1878. S. 64. Der erste namentlich bekannte jüdische Schüler, Jeremias Liebermann, wechselte 1809 im Alter von elf Jahren von der Seminarschule auf das Domgymnasium. HStAH, Schulakten 2/747, S. 195. 150 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 43–46, 49. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. Ganz im Sinne der Reformer betonte Schottländer in seiner Einleitung, dass die Kinder bisher auf ein jüdisches Lesebuch in deutscher Sprache verzichten mussten, „Man hielt sich noch immer an den hebräischen Text, und überließ die Uebersetzung und Auslegung desselben lediglich den Lehrern: Da es aber bei dem gänzlichen Mangel gelehrter Schulen unserer durch Religionsgebräuche von den übrigen Glaubens=Verwandten zu sehr getrennten Nation nicht jedermanns Sache ist, eine todte Sprache, deren Hülfsquellen ohnehin zu kostbar sind, gründlich zu erlernen: so hielt ich’s der Mühe werth, meinen Glaubensbrüdern einen summarischen Auszug aus den Schriften unserer bewährten Moralisten in deutscher Sprache in die Hände zu liefern.“ Zitiert nach Schottländer, Benjamin: Zaphnath Paneach oder Sammlung moralischer Lehren, Sprüche, Erzählungen und Gedichte, aus dem Talmud und andern heiligen Schriften. Königslutter 1804. S. III.

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jüdischen Lehrern nicht möglich sei. Dieser Mangel sei erst zu beheben, wenn „allmählich in den verbesserten jüdischen Lehranstalten zu Dessau und Seesen u. a. junge lebensvolle Männer jüdischer Nation zu Lehrern nach der mosaischen Cultur“ ausgebildet würden. Bis dahin würden die Schulstunden wohl zwischen jüdischen und christlichen Lehrern aufgeteilt werden müssen. Er räumte ein, dass sein Vorschlag zur Reduktion der Talmudstunden wegen Verstoßes gegen die testamentarischen Verfügungen des Stifters zu heftigem Widerstand der Gemeinde führen könnte. Im Wissen darum schlug er dennoch vor, den neuen Lektionsplan zunächst nur an einer der drei jüdischen Schulen einzuführen, wobei die beiden anderen ihren Lehrplan beibehalten sollten, „bis die wachsende Cultur und die allgemeine Anerkennung des zweckmäßigen und rätlichen dieser Veränderungen, auch sie zur Einführung derselben aufriefe“.151 Weiter sprach er sich, nach dem Vorbild der Israel-Jacobson-Schule in Seesen, für die Gründung einer „zweckmäßig eingerichteten jüdischen Industrieschule“152 aus, womit er auf die Einrichtung einer Klasse abzielte, in der jüdische Knaben die Möglichkeit erhalten sollten, sich zu Handwerkern ausbilden zu lassen, da die Aufnahme in die Gilden und Zünfte bisher als schwierig galt.153 Damit leistete er den wenig später gegründeten jüdischen Handwerkervereinen Vorschub, die vornehmlich zur „Verbürgerlichung“ der jüdischen Unterschicht beitragen sollten. Bezüglich der Mädchenerziehung befürwortete Nachtigal die Einrichtung einer jüdischen Schule nach dem Vorbild der erst kürzlich in Dessau eröffneten jüdischen Töchterschule, einer Freischule, in der auch die Mädchen Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erhielten.154 Als Begründung führte er an, dass gerade die

151 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 46–47. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. 152 An den zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen Industrieschulen wurden neben elementarer Bildung haus- und landwirtschaftliche Arbeiten angeboten, wie z. B. Spinnen, Weben, Stricken, Obst- und Gartenbau und Bienenzucht. Der erwirtschaftete Ertrag kam den Kindern und letztendlich den Familien zugute. Ziel des Schulkonzeptes war die Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten, um so die durch Beschäftigungslosigkeit und Armut hervorgerufene Not zu mindern. Vgl. Friedrich, Gerd: Das niedere Schulwesen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. III: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. Hrsg. von Karl-Ernst Jeismann u. Peter Lundgreen. München 1987. S. 123–152, hier S. 124. 153 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 47r. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. 154 Zum Unterricht der Mädchen an der Herzoglichen Franzschule in Dessau vgl. Horwitz, Ludwig: Geschichte der Herzoglichen Franzschule in Dessau 1799–1849. Dessau 1894. S. 8. Neben der Mädchenschule in Dessau entstanden weitere in Hamburg (1789), Breslau (1801), Frankfurt a. M. (1809) und Berlin (1809). Vgl. dazu Eliav, Mordechai: Die Mädchenerziehung im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation. In: Zur Geschichte der jüdischen Frau in Deutschland. Hrsg. von Julius Carlebach. Berlin 1993. S. 97–111; ders., Jüdische Erziehung, 2001, S. 348–361.

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heranwachsenden Töchter maßgeblichen Anteil an der Erziehung der folgenden Generationen hätten und oftmals die „Versorgerinnen ganzer Familien“ wären. Für den Lektionsplan der Mädchenschule sah er folgende Fächeraufteilung vor: Verstandesübungen, allgemeine Sittenlehre, Hebräisch Lesen, Erklärung der zehn Gebote und einiger Hauptstücke der Tora und der gewöhnlichen jüdischen Gebote, Schreiben des Jüdisch-Deutschen, richtige Aussprache des Deutschen, richtiges und gutes Lesen deutscher gedruckter und geschriebener Schrift, Schreiben in deutscher und lateinischer Schrift und Anweisung zum Schreiben verschiedener Aufsätze, Kopfund Tafelrechnen, Naturkenntnis, Erdbeschreibung und Weltgeschichte, Zeichnen und Singen. Täglich sollten vier bis fünf Unterrichtsstunden erteilt werden, die restlichen jedoch dem Handarbeitsunterricht vorbehalten bleiben.155 Ob der Bericht mit den pädagogischen Neuerungen, Anregungen und Vorschlägen der jüdischen Gemeinde vorgelegen hat, kann nicht beantwortet werden; auch muss bezweifelt werden, dass diese auf eine positive Resonanz gestoßen wären, setzte der neue Lehrplan doch eine Reduzierung der Stunden für talmudische Studien voraus. Obwohl Nachtigals Ausführungen über weitere acht Ortschaften wesentlich kürzer ausfallen, vermitteln sie exemplarischen Einblick in das Bildungswesen der kleinen jüdischen Landgemeinden der Provinz um 1800. In Aschersleben wurden z. B. die fünf schulpflichtigen jüdischen Kinder von einem Privatlehrer unterrichtet, wobei eines die Stadtschule besuchte. In Derenburg gab es nur drei schulpflichtige Kinder, die Religionsunterricht erhielten und von einem christlichen Lehrer in den Elementarfächern unterwiesen wurden, während die sechs schulpflichtigen Kinder in Gröningen von Zeit zu Zeit von einem „jüdischen Schulmeister in der jüdischen Religion“ unterrichtet wurden, jedoch keinen Elementarunterricht erhielten. In Hornburg unterrichtete der Vorsänger die beiden schulpflichtigen Kinder in Hebräisch und Jüdisch-deutsch Schreiben, den Elementarunterricht versah ein christlicher Lehrer. Ebenso verhielt es sich bei den je fünf schulpflichtigen Kindern in Oschersleben, während die Kinder in Walbeck vom Schächter in den religiösen Fächern unterrichtet wurden. Lediglich die jüdische Gemeinde Ellrich besaß bei 20 schulpflichtigen Kindern einen jüdischen Lehrer, der Religions- und anfänglichen Elementarunterricht erteilte. Die Gemeinde erklärte sich dazu bereit, eine „besondere jüdische Schule“ einzurichten, sollte sie die Erlaubnis zum Kauf eines Schulhauses und eine finanzielle Unterstützung von der königlichen Regierung erhalten. Auch die jüdische Gemeinde Bleicherode verfügte über einen Lehrer, der 19 schulpflichtigen Kindern Religionsunterricht

155 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 47r–48r. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806.

Das Königreich Westphalen (1807–1813) 

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erteilte, die Elementarfächer vermittelte ein christlicher Privatlehrer.156 Die Beispiele belegen, dass je nach Größe und finanzieller Lage der Gemeinde der Lehrer oftmals noch das Amt des Schächters, Vorsängers oder Vorbeters, auch Chasan genannt, versah und die Lehrtätigkeit nicht unbedingt im Vordergrund stand.157 Letztendlich war die Hascharath Zwi die einzige jüdische Schule der Provinz Sachsen, die über einen außergewöhnlich hohen Stiftungsbetrag verfügen konnte, zudem ein Schulhaus besaß und in der Lage war, die Lehrer entsprechend zu entlohnen. Nachtigal favorisierte, ähnlich dem ursprünglichen „Seesener Modell“ der Jacobson-Schule, die Einrichtung von Klassen mit einem übergreifenden Fächersystem, in dem Theorie und Praxis verknüpft werden sollten. Der Bericht legt nahe, dass man dem jüdischen Bildungswesen durchaus aufgeschlossen gegenüberstand, vertraut war mit den Schulkonzepten der jüdischen Reformschulen in Seesen und Dessau und ganz im Gegensatz zu den anderen preußischen Provinzen darauf verzichtete, die jüdischen Kinder an die örtlichen Schulen zu verweisen. Die ersten Versuche der preußischen Regierung, sich einen Überblick über das jüdische Bildungswesen in den einzelnen Provinzen zu verschaffen, fanden zunächst ein jähes Ende durch die Niederlage Preußens und Sachsens in der Schlacht gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt. Nach dem Frieden zu Tilsit verlor Preußen alle westelbischen Gebiete und die bei den Teilungen Polens annektierten Landesteile außer Westpreußen, wodurch das Königreich Westphalen und das Großherzogtum Warschau entstanden, für die die französische Gesetzgebung galt.158

1.5 Das Königreich Westphalen (1807–1813) Das 1807 gegründete Königreich Westphalen wurde in acht Departements aufgeteilt, die nach Flüssen und Gebirgen benannt wurden. Mit den Distrikten Halle und Blankenburg wurde Halberstadt zur Hauptstadt des Saale-Departements ernannt.159 Als Herrscher des neu gegründeten Königreichs, mit Kassel als Hauptsitz, setzte Napoleon seinen Bruder Jérôme ein. Nach Vorbild des „Pariser San-

156 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 37–51, hier Bl. 49–51. Bericht Nachtigals, 11. Juni 1806. 157 Zu den zeitaufwendigen Nebentätigkeiten jüdischer Lehrer wie Schächten, Kantorat und Predigt vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 301–316. 158 Vgl. Jersch-Wenzel, Stefi: Rechtslage und Emanzipation. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. Hrsg. von Michael A. Meyer. München 2000. S. 28. 159 Vgl. Arndt, Georg: Chronik von Halberstadt von 1801–1850. Halberstadt 1908. S. 23–25; Maseberg, Günter: Halberstadt zur Zeit der Befreiungskriege. Die Haltung der Halberstädter Bevölkerung zum Befreiungskrieg 1813/1814. Halberstadt (o. J.). S. 4f.

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hedrin“ erhielt die jüdische Bevölkerung am 15. November 1807 eine Verfassung, die eine wesentliche Verbesserung ihrer sozialen und rechtlichen Lage bringen sollte; sie beinhaltete die bürgerliche Gleichstellung, freies Reise- und Aufenthaltsrecht sowie die Aufhebung von Sondersteuern.160 Dennoch verfuhr man in allen Staaten des westphälischen Königreichs nicht gleichermaßen, einige Städte oder auch Landesteile hielten erneute Beschränkungen bereit.161 1808 begann die Pariser Regierung mit dem Aufbau eines israelitischen Konsistoriums, einer Behörde mit erstmalig landesweiten Befugnissen. Zu ihrem Präsidenten ernannte man Israel Jacobson162, der maßgeblich an der neuen Gesetzgebung beteiligt war und erste Neuerungen im jüdischen Kultus- und Unterrichtswesen einführte. Unterstützung erhielt er von dem aus Frankreich stammenden Joseph-Jérôme Siméon und von Gustav Anton Wolffradt, beide Befürworter der „gleichen umwälzenden Pläne in der Judenpolitik“.163 In kürzester Zeit hatte man im Auftrag Siméons und Jacobsons eine Kommission einberufen, die ein Gesetz über die rechtlichen Verhältnisse des israelitischen Konsistoriums erarbeitete, das am 31. März 1808 als Gesetz-Bulletin veröffentlicht wurde.164 Das Konsistorium erhielt die zentrale Aufsicht über das Kultus- und Unterrichtswesen und nahm Einfluss auf die gottesdienstlichen Verordnungen und den Religionsunterricht. Zugleich verstand es sich als „Kontrollinstanz“ wie auch als

160 Königliches Dekret vom 15. November 1807. In: Horwitz, Ludwig: Die Israeliten unter dem Königreich Westfalen. Ein aktenmäßiger Beitrag zur Geschichte der Regierung König Jérôme’s. Berlin 1900. S. 6f. 161 Vgl. Schoeps, „Du Doppelgänger, du bleicher Geselle!“, 2004, S. 107–111. 162 Israel Jacobson wurde 1768 in Halberstadt als Sohn des Kaufmanns Israel Jacob geboren. Nach einer traditionellen Erziehung ergriff er, entgegen den Plänen seines Vaters, den Beruf des Kaufmanns. Sein Aufstieg begann, als er im Alter von 19 Jahren nach Braunschweig wechselte und in das Handelsgeschäft seines Schwiegervaters, des Braunschweiger Kammeragenten Herz Samson, eintrat. Nach dessen Tod im Jahre 1794 übernahm er das Amt des Kammeragenten sowie das des Landrabbiners. Im Zuge seiner Reisen in die einzelnen Gemeinden wurde er auf die ungenügende Situation der jüdischen Schulen aufmerksam, entwickelte den Plan zur Gründung eines jüdischen Bildungsinstituts und gründete 1801 die nach ihm benannte Reformschule in Seesen. Vgl. Arnheim, Josef: Die Jacobson-Schule zu Seesen am Harz. Braunschweig 1867. S. 2–4; Zimmermann, Paul: Israel Jacobson. In: Brunsvicensia Judaica. Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Braunschweig 1933–1945. Hrsg. Bert Bilzer u. Richard Moderhack. Braunschweig 1966. Zur Jacobson-Schule vgl. zuletzt: Berg, Jüdische Schulen, 2003. 163 Schimpf, Emanzipation, 1994. S. 85f. 164 Gesetz-Bulletin vom 31. März 1808. In: Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 14–19; Sulamith 2 (1808). Bd. 1. Heft 1. S. 3–9; Rönne, Ludwig u. Heinrich Simon (Hrsg): Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämmtlichen Landestheilen des Preußischen Staates; eine Darstellung und Revision der gesetzlichen Bestimmungen über ihre staats- und privatrechtlichen Zustände. Mit Benutzung der Archive der Ministerien des Innern und der Justiz. Breslau 1843. S. 168.

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„Vermittler zwischen Regierung und jüdischer Bevölkerung“.165 Die Beitrags- und Stiftungsgelder der Gemeinden sollten von nun an vom Konsistorium verwaltet werden. Neu war auch der Qualifikationsnachweis für Rabbiner und jüdische Religionslehrer, die sich fortan einer öffentlichen Prüfung vor dem Konsistorium zu unterziehen hatten und von den Ministern der Justiz und des Innern bestätigt werden mussten.166 Mit Israel Jacobson an seiner Spitze bestand das israelitische Konsistorium aus drei weiteren rabbinischen Konsistorialräten, zwei Gelehrten und einem Sekretär.167 In den einzelnen Departements sollten DepartementRabbiner und Syndiken eingesetzt werden. Um die Ausführung der Gesetze zu gewährleisten, wurden weitere Verordnungen erlassen: Die jeweils in 21 Punkten verfassten Pflichten der Rabbiner und Pflichten der israelitischen Syndiken. Außerdem durften die Rabbiner und Gemeindevorsteher keine Instruktionen mehr vom Gemeindevorstand annehmen, sondern mussten direkt den Weisungen des Konsistoriums Folge leisten. Hinzu kam dessen alleinige Aufsicht über die Schulund Erziehungsanstalten sowie über die Stiftungen und Vereine.168 Die Pflichten der Syndiken beinhalteten in erster Linie die Unterstützung des Rabbiners und die Regelung der formalen und finanziellen Angelegenheiten der Gemeinde wie z. B. die Führung des Synagogenbuches oder die Gehaltsauszahlungen an die Rabbiner. Während die Rabbiner aus dem Budget der vom Konsistorium eingenommenen Steuergelder entlohnt wurden, war das Amt der Syndiken ein Ehrenamt ohne Entgelt.169

165 Brämer, Rabbiner, 1999, S. 21f. 166 Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 16. Zu den jüdischen Konsistorialverfassungen und deren Auswirkungen auf das Rabbinat vgl. auch Brämer, Rabbiner, 1999, S. 21–37; Meyer, Michael A.: Jüdische Gemeinden im Übergang. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. Hrsg. von ders. München 2000. S. 114f. 167 Dazu gehörten Löb Meyer Berlin (Landes- und Provinzialrabbiner zu Kassel), Simon Kalkar (Provinzialrabbiner zu Stockholm) und Mendel Steinhardt (Rabbiner in Hildesheim), David Fränkel (Schuldirektor in Dessau) und Jeremias Heinemann (Braunschweig) sowie der Staatsrat Merkel, als Sekretär des Konsistoriums. Zu den Konsistorialräten vgl. Lazarus, Felix: Das Königlich Westphälische Konsistorium der Israeliten. In: MGWJ 58 (1914). Heft 2. S. 179–199; Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 20. Als Sprachrohr diente dem Konsistorium die von David Fränkel herausgegebene Zeitschrift Sulamith, in der alle seine Verordnungen erschienen. 168 LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 5, Bl. 13r–14v, hier 14r. Pflichten der Rabbiner. Die Verordnung betraf auch die vom Konsistorium neu geschaffene Stelle der Rabbiner-Adjunkten, die zur Unterstützung der amtierenden Gemeinderabbiner eingesetzt werden sollten, da man diese nicht einfach ihres Amtes entheben konnte. Dieses diente auch dazu, Einfluss auf diejenigen Gemeinden zu nehmen, die nicht mit den Reformen des Konsistoriums konform gingen. Zu den Pflichten der Rabbiner vgl. Brämer, Rabbiner, 1999, S. 22f. 169 LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 5, Bl. 15r–16v. Pflichten der Israelitischen Syndiken.

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Obwohl man das bestehende jüdische Schul- und Erziehungswesen kritisch betrachtete und Jacobson ebenso an der Einrichtung moderner jüdischer Elementarschulen interessiert war wie auch seine Konsistorialkollegen, hielt man sich bezüglich einer tiefgreifenden Reformierung noch zurück. Da dem Konsistorium qualifizierte Lehrer wie auch die finanzielle Grundlage fehlten, um übergreifend eigene jüdische Schulen zu gründen, konzentrierte es sich zunächst auf den Religionsunterricht, der ein „zweckmäßigeres Format“ erhalten und von ihm verwaltet und geprüft werden sollte. Mit Ausnahme der religiösen Unterweisung sollten jüdische und christliche Kinder zunächst gemeinsam in den öffentlichen Schulen unterrichtet werden.170 Jacobson seinerseits erhob heftige Einwände gegen das bestehende traditionelle Schulwesen, „Die Erziehung und Bildung der Jugend war höchst mittelmäßig, nicht selten schlecht und dem Zufall überlassen.“ Noch heftiger verfuhr er mit den Melamdim, „Von reisenden polnischen Zeloten, unkundig der deutschen Sitten, waren die Lehrstühle besetzt und diese Männer dienten den Gemeinden zum Vorbilde der geisttödtensten Orthodoxie.“171 Bereits wenig später, am 26. April 1809, formulierte das Konsistorium konkrete Forderungen. Demnach sollten in Städten mit entsprechender Anzahl jüdischer Schüler nach Möglichkeit öffentliche Lehranstalten eingerichtet, bei geringen Schülerzahlen zumindest Lehrer für den Religions- und hebräischen Sprachunterricht eingestellt werden. Voraussetzung für die Erteilung von Religions- bzw. Privatunterricht war eine Prüfung vor dem Konsistorium. Neu eingeführt werden sollten das allgemeine Schulgeld wie auch die Konfirmation der Knaben und Mädchen nach dem 13. bzw. zwölften Lebensjahr.172 Zur Umsetzung dieser Forderungen hielt es das israelitische Konsistorium für erforderlich, u. a. einen Überblick über die im gesamten Königreich lebenden Juden zu erstellen. Dazu erging im April 1809 ein Maßnahmenkatalog mit genauen Instruktionen zur Registrierung aller jüdischen Einwohner des neuen Staates an die Syndiken der Departements. Stichtag für die Abgabe der Listen sollte der 1. Juli 1809 sein. Nicht mit in die Liste aufgenommen werden sollten alle diejenigen Kinder, die bereits an einem anderen Orte „etabliert“ waren, Kinder, die sich nicht mehr im Königreich Westphalen aufhielten, sowie „Hausgenossen und Domestiken“.173 Zuständig für die Bildungsreformen waren die Konsistorialräte Jeremias Heinemann, David Fränkel und Simon Kalkar. Die erste konkrete Maßnahme bezog sich auf die Gründung der Konsistorialschule in Kassel im Jahre 1809. Der Lehrplan enthielt die klassischen jüdischen Lehreinheiten, wurde offener für die

170 Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 88. 171 Zitiert nach Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 87. 172 Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 70f; Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 100f. 173 LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 6, Bl. 2–3.

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Elementarfächer und überließ den Talmudunterricht dem wenig später, im Jahre 1810, eingerichteten Rabbiner- und Lehrerseminar. Man vermied eine klare Trennung der Ausbildungslehrgänge, obwohl es dem Konsistorium mit der Einrichtung des Seminars um die Qualitätssicherung beider Berufe ging.174 Es war zu erwarten, dass die Vorgaben des Konsistoriums nicht auf die Billigung der traditionellen Gemeinden stießen. Laut Schimpf lehnten sie das neue Bildungskonzept ab und traten für die Beibehaltung „der traditionellen religiösen Erziehung“ ein, da die „Übernahme des neuhumanistischen Bildungsideales den Verlust der jüdischen Geschichte mit sich bringe und gleichzeitig die Zukunft des jüdischen Volkes in Frage stelle“.175 Die Reihe der Beschwerden aus den verschiedenen Gemeinden dokumentiert deutlich die Ablehnung. Die Reaktion einiger Gemeinden äußerte sich in erster Linie darin, dass sie die Anweisungen ignorierten und die Steuerabgaben an die Behörde verweigerten.176 Im Gegenzug mehrten sich die Beschwerden des Konsistoriums über das ignorante Verhalten der Gemeinden, und die Enttäuschung über fehlende Erfolge war groß. Jacobson klagte immer häufiger über die Uneinsichtigkeit seiner Glaubensgenossen, „Das Werk seiner Umbildung (ist) mit unbeschreiblichen Schwierigkeiten verknüpft“, wobei „die Mittelclasse der Israeliten aus Mangel an Einsicht […] den Gang unserer Geschäfte nicht selten sehr zu erschweren“ sucht.177 Obwohl sich im Laufe der Zeit eine gewisse Resignation einstellte, hielt das Konsistorium an seinen Neuerungen fest, wobei es sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst war, und räumte ein, dass die grundlegende Reformierung erst dann erfolgreich sein würde, wenn die neuen Erziehungsanstalten genügend jüdische Lehrer ausgebildet hätten.178 Um die Reformen im Schulwesen voranzutreiben und die Beseitigung der Missstände zu beschleunigen, reisten 1811 Jeremias Heinemann und Simon Kalkar u. a. nach Hannover, Hildesheim, Braunschweig, Wolfenbüttel und Peine, um die dortigen Schulen zu reorganisieren bzw. diese mit der zukünftigen Konsistorialschule zu

174 Vgl. Lazarus, Das Königlich Westphälische Konsistorium, in: MGWJ 58 (1914), Heft 2, S. 201–208, 327–344. Laut Schimpf waren Dokumentation und Organisation des Lehrerseminars aufgrund fehlender Quellen nur lückenhaft darstellbar. Zudem wurde der Lehrbetrieb mit Ende des Königreichs Westphalen eingestellt. Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 167–170; Brämer, Leistung, 2006, S. 220f. 175 Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 103f. 176 Die kritischen Eingaben der Reformgegner waren im Vergleich zu den zahlreichen Stellungnahmen des Konsistoriums an das Innenministerium eher gering. Schimpf konstatiert, dass dieses Verhalten nicht automatisch als Zustimmung gewertet werden kann, da die Mehrheit der jüdischen Landbevölkerung zu den „Stummen“ gehörte, die den offiziellen Weg für ihre Beschwerden scheuten; um ihren Widerstand deutlich zu machen, nutzten sie andere Möglichkeiten. Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 104, Anm. 240. 177 Zitiert nach Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 104f. 178 Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 105.

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vereinigen, wobei sie in einigen Orten auf große Widerstände stießen.179 Auch die Jacobson-Schule in Seesen wurde in Augenschein genommen und aufgrund ihres über das Niveau einer Elementarschule hinausgehenden Lehrpensums kritisiert; hier wollten die Konsistorialräte eine Erhöhung der Stundenzahl des Hebräischunterrichts bei gleichzeitiger Reduzierung der Latein- und Rechenstunden herbeiführen, was keine Zustimmung fand.180 Obwohl aus Halberstadt keine schriftlichen Stellungnahmen gegen die Reformpläne des israelitischen Konsistoriums vorliegen, bedeutet das nicht, dass die dortige jüdische Gemeinde den Reformen der Regierung zustimmte. Der Halberstädter Widerstand gegen die neuen Verordnungen fand, wie noch zu zeigen sein wird, auf andere Art und Weise statt.

1.6 Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne Israel Jacobson schlug für jedes Departement einen Rabbiner vor. Für den Saale-Distrikt mit Halberstadt als Hauptstadt benannte er den bereits erwähnten Gemeinderabbiner und Jeschiwaleiter Löb Eger, für das benachbarte OkerDepartement dessen Sohn, den Braunschweiger Rabbiner Sabel Eger.181 Aufgrund seiner persönlichen Beziehungen zu Halberstadt war es ihm nicht möglich, solch angesehene Persönlichkeiten als Vertreter der Tradition zu übergehen.182 Als Syndiken bestimmte er die Halberstädter David Sußmann, David Meyer und Lion Levy, Reformbefürworter in seinem Sinne, und stellte sie dem neuen Innenminister Siméon am 8. Februar 1808 in Kassel vor.183 Diese wurden angehalten, zur Registrierung aller sich im Königreich Westphalen aufhaltenden Juden ein sogenanntes Synagogenbuch für jeden Ort, in denen sich Juden niedergelassen hatten, zu erstellen. Dazu erließ das Konsistorium zunächst am 27. Juli 1809 eine Anordnung mit genauen Instruktionen.184 Um Reformmaßnahmen im Bildungswesen

179 Vgl. Lazarus, Das Königlich Westphälische Konsistorium, in: MGWJ 58 (1914), Heft 3, S. 347–351. 180 Vgl. Berg, Jüdische Schulen, 2003, S. 116f., 129. 181 Schriftlichen Protest erhob der Braunschweiger Rabbiner Sabel Eger, der sich gegen die Einführung der deutschen Predigt und die Gebetskürzungen aussprach. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 216–222. Zu den schriftlichen Eingaben der Reformkritiker vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 103f. 182 Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 21f. Zu dem späteren Braunschweiger Landesrabbiner Samuel Levi Eger, auch Egers genannt vgl. Ebeling, Die Juden, 1987, S. 302–304. 183 Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 9. 184 LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 6, Bl. 5. Bekanntmachung Königreich Westphalen, 12. Juni 1810. Das Halberstädter Synagogenbuch ist erhalten und befindet sich im Historischen Stadtarchiv Halberstadt.

Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne 

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einzuleiten, sollten sich die drei Halberstädter Syndiken Sußmann, Meyer und Levy einen Überblick über die jüdischen Schulen und Lehrer, besonders in den kleineren Orten, verschaffen. Dazu wandten sie sich an die Unterpräfekten der einzelnen Distrikte und forderten diese auf, eine Liste aller ansässigen Juden zu erstellen.185 Das Konsistorium begann mit einer Reihe von Maßnahmen: u. a. sollten nach und nach in allen Orten neue Schulen gegründet oder vorhandene Schulen modernisiert und die von ihm geprüften Lehrer eingesetzt werden.186 So schickte es im Oktober 1810 den Lehrer und Rabbiner-Adjunkten Magnus Abraham Rosenbach zur Unterstützung des betagten Löb Egers und zwecks Einrichtung einer Konsistorialschule nach Halberstadt. Eine schwierige Aufgabe für einen Lehrer mit modernen orthodoxen Ansichten, neben der Hascharath Zwi eine Schule nach den neuen pädagogischen Vorgaben zu eröffnen, eine Herausforderung für die traditionelle Gemeinde, eine oktroyierte Bildungsmaßnahme sowie einen neuen Lehrer anzuerkennen.187 Magnus Rosenbach gehörte zu den wenigen vom Konsistorium geprüften und vom Innenministerium bestätigten jüdischen Lehrern.188 Sein Ausbildungsweg unterschied sich nicht wesentlich von dem anderer Lehramtskandidaten der damaligen Zeit, die als Privatlehrer gezwungen waren, oftmals Anstellung und Ort zu wechseln, wenn ihr Vertrag mit den Hausvätern oder der Gemeinde nicht verlängert wurde bzw. sie ihre berufliche Situation verbessern wollten.189 Er verfasste im Jahre 1823 eine kurze Darstellung seines Werdeganges. Geboren am 21. August 1779 in Offenbach  a.  M. als Sohn eines Lotteriekontrolleurs, erhielt er zunächst bis zu seinem achten Lebensjahr Unterricht in einer jüdischen Privatschule, danach wurde er von den dortigen Rabbinern in den religiösen Fächern unterwiesen und hörte bis zum 17. Lebensjahr Talmud bei einem Stadt- und Landrabbiner.

185 LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 5, Bl. 19r–19v. Schreiben der Syndiken an den Präfekten in Halle, 26. September 1809. Zu den Listen des Saale-Departements vgl. LHASA, MD, Rep. B 26, 8 Nr. 9, passim. 186 Vgl. Lazarus, Das Königlich Westphälische Konsistorium, in: MGWJ 58 (1914), Heft 2, S. 198. 187 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 53–54. 188 Die neben Magnus Rosenbach vom Konsistorium geprüften jüdischen Lehrer waren Moses Jacob ben Levi und Raffael Hanno in Kassel, Gottschalk Metz in Eschwege, Mendel Simon in Hofgeismar, Heinemann Elkan in Braunschweig, Josef und Daniel Spiro in Stadtlengsfeld und Abraham Sutro in Reichensachsen, später in Beverungen. Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 74. 189 Zu Ausbildung und Chancen der jüdischen Lehrer um 1800 vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 71–80.

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Indem ich mich so nach und nach zum jüdischen Lehrer bildete, und die Umstände es erforderten, mein ferneres Fortkommen zu suchen, fügte sich mir die Gelegenheit nach Seeligenstadt, zu Meyer, 2 Stunden von Offenbach, als Hauslehrer zu kommen. Von hieraus ward ich nach einem halben Jahre, von einigen jüdischen Hausvätern zu Cassel zum Unterricht ihrer Kinder berufen, wohin ich mich auch begab, und 3 1/2 Jahre dieses Lehrgeschäft versah. Hierauf gelang es mir meine Verhältnisse zu verbessern, indem ich die Stelle als Hauslehrer bei dem Kriegsagent Mayer daselbst annahm, wo ich 2 1/2 Jahre blieb. Diese sechs Jahre meines Aufenthalts zu Cassel, wandte ich, nach gewissenhafter Genügeleistung meiner Pflichten, noch besonders dazu, um mir in wissenschaftlicher Hinsicht mehrere Kenntnisse zu erwerben. Meine Umstände zu verbessern reiste ich von Cassel ab, wo ich in meiner Vaterstadt Offenbach, bei dem Banque J. M. Speyer, jedoch nach einem halbjährigen Aufenthalt als Hauslehrer zu Homburg an der Höhe, weil jene Stelle noch nicht vakant war, als Hauslehrer kam, in dessen Hause ich sechs Jahre stand. Hier genoß ich sehr den freundschaftlichen Umgang der vorzüglichen Schullehrer, und mein Streben ging dahin in einer israelitischen öffentlichen Schule angestellt und der jüdischen Jugend nützlich werden zu können. Dieses gelang mir am Ende dieser sechs Jahre; Anfang 1809 ward ich nach Cassel berufen, von dem damaligen Israelitischen Consistorium daselbst geprüft, und an der, von demselben errichteten öffentlichen Schule als richtiger Lehrer angestellt. Unterm 13ten September 1810 ward ich vom damaligen Minister des Innern zu Cassel, Herrn von Wolffradt als Rabbiner-Adjunkt und Schullehrer zu Halberstadt angestellt, welche Stelle ich auch nach Beendigung und Installierung im Monat Oktober desselben Jahres öffentlich antrat, die israelitische öffentliche Schule hierselbst konnte jedoch erst den 12ten Dezember darauf eröffnet werden. Manche Veränderungen trafen seitdem diese Schule! indem ich aber jedesmal die Verordnungen der Vorgesetzten befolge, bekleide ich noch gegenwärtig die Stelle als 1ter Lehrer darin.190

Wie bereits in seinem Lebenslauf erwähnt, wechselte Rosenbach im September 1810 von Kassel nach Halberstadt.191 Als Konsistoriallehrer und Rabbiner-Adjunkt erhielt er ein vierteljährliches Gehalt von 75 Talern. Es ist wohl zu Verzögerungen bei der Auszahlung gekommen, denn im Februar 1811 und dann nochmals im Oktober 1812 wandte sich Rosenbach an die Syndiken und forderte sie eindringlich auf, das ausstehende Gehalt zu begleichen.192

190 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 53–54. Da man Magnus Rosenbach aller Wahrscheinlichkeit nicht zuordnen konnte, befinden sich seine biografischen Aufzeichnungen in einer Akte zum jüdischen Schulwesen der Nachbargemeinde Derenburg. 191 Magnus Rosenbach kam mit seiner zukünftigen Ehefrau, der in Halberstadt geborenen und inzwischen verwitweten Friedericke Wallach, geb. Levin Eger, und ihren drei Kindern nach Halberstadt. Das Paar wurde im November 1810 von Löb Eger getraut. HStAH, Jü 001, Bl. 25–26. Aus dieser Ehe gingen vier gemeinsame Kinder hervor, von denen nur zwei das Erwachsenenalter erreichten. HStAH, Jü 001, Bl. 31, 45–46, 51, 72. 192 CAHJP, KGe 3/39, Bl. 5–6, 12 (eig. Blattzählung). Schreiben Rosenbachs an die Syndiken, 22. Februar 1811 u. 31. Oktober 1811. Zu den Gehältern der vom Konsistorium angestellten Lehrer aus dem Jahre 1811 vgl. Lazarus, Das Königlich Westphälische Konsistorium, in: MGWJ 58 (1914), Heft 5, S. 559.

Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne 

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Nachdem man mit dem Aufbau der Konsistorialschule begonnen hatte, galt das Interesse zunächst der Talmud-Tora-Schule. Im Dezember 1810 wandte sich Konsistorialrat Jeremias Heinemann an die Halberstädter Syndiken und wies sie an, die Stiftungsgelder des Talmud-Tora-Vereins nicht mehr dem Lehrer auszuhändigen, die Mittel vielmehr für die neue Konsistorialschule einzusetzen und die Talmud Tora in diese zu integrieren.193 Daraufhin wurden die Syndiken aufgefordert, eine Übersicht über Einnahmen und Ausgaben des Talmud-Tora-Vereins vorzulegen, mit genauen Angaben über erhaltene Stiftungsgelder und einem Nachweis über das Lehrergehalt.194 Ziel des Konsistoriums war, die jüdischen Schulen, an denen noch ungeprüfte Lehrer ihren Dienst versahen, aufzulösen. Woraufhin im Jahre 1812 eine offizielle Aufforderung an alle Präfekten der Departements erging, diese Schulen zu schließen.195 Als nächsten Schritt beschloss das Konsistorium, die neu gegründete Konsistorialschule mit der Hascharath Zwi zu vereinigen. Die erste Aufforderung dazu erfolgte im Juli 1811.196 Da die Gemeinde dem nicht nachgekommen war, beauftragte man die beiden Konsistorialräte Jeremias Heinemann und Simon Kalkar mit der Zusammenführung beider Schulen.197 Um die Zusammenführung in die Wege zu leiten, reisten diese im Dezember 1811 in offizieller Mission nach Halberstadt und verlangten zunächst Einsicht in alle Schulunterlagen der Hascharath Zwi.198 Nachdem sie über den Stand der Dinge in Kenntnis gesetzt worden waren, baten sie um eine Zusammenkunft mit dem Schulvorstand und dem Rabbiner Löb Eger.199 Ein erstes Treffen fand in der Wohnung des Rabbiners statt, zu welchem sich auch Löb Eger, die Syndiken Lion Levy und David Meyer sowie Joseph Herz als Repräsentant der Hascharath Zwi einfanden. Da die Sitzungsteilnehmer zu keiner Einigung gelangten, wurde ein neuer Termin

193 CAHJP, KGe 3/45, Bl. 1 (eig. Blattzählung). Schreiben Heinemanns an die Syndiken, 10. Dezember 1810. 194 Ebd., Bl. 2 (eig. Blattzählung). Schreiben des Königreichs Westphalen an die Syndiken, 1. Mai 1811. Immerhin betrugen die Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins mit dem Übertrag von 105 Talern aus dem Jahre 1809 und den Legaten für 1810 insgesamt 174 Taler. Davon erhielt der Lehrer lediglich 78 Taler Gehalt. Ebd., Bl. 4–6 (eig. Blattzählung). Schreiben der Syndiken an das Königreich Westphalen, 19. Mai 1811. 195 Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 105, Anm. 251. 196 CAHJP, KGe 3/44, Bl. 14. Schreiben des Konsistoriums an Löb Eger, Kassel 31. Juli 1811. 197 Ebd., Bl. 6. Schreiben des Konsistoriums an Heinemann und Kalkar, Kassel 29. November 1811. 198 Ebd., Bl. 9. Schreiben Heinemanns und Kalkars an Löb Eger, Halberstadt 16. Dezember 1811. 199 Ebd., Bl. 8. Schreiben Heinemanns und Kalkars an Löb Eger, Halberstadt 18. Dezember 1811.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

vereinbart.200 Nach Vorbild des Lehrplanes für Kassel sollten alle schulpflichtigen jüdischen Kinder in der Konsistorialschule weiterhin in Hebräisch, den religiösen und profanen Fächern unterrichtet werden; nur für die älteren Schüler war vorgesehen, diese nach einem neuen Lehrplan sowohl in den Vormittags- als auch in den Nachmittagsstunden in Talmud und Bibel unterweisen zu lassen.201 Der darauf folgende Briefwechsel zwischen den Konsistorialräten und Löb Eger belegt, dass sich die Verhandlungen hinzogen und es zu keiner Einigung zwecks Zusammenlegung der Schulen kam,202 sodass die weiteren Verhandlungen ohne den Rabbiner stattfanden. Nach einer Sitzung mit den Lehrern teilten die Konsistorialräte am 27. Dezember Löb Eger schriftlich mit, dass der Talmudlehrer Juda Herz ab dem 1. Januar 1812 im Schulhaus der Hascharath Zwi von zehn bis zwölf Uhr und von 13 bis 14 Uhr weiterhin den Talmudunterricht erteilen solle, die anderen Lehrgegenstände wie Religion, Sittenlehre, Bibel, hebräische, deutsche und französische Sprache, Schreiben und Rechnen würden von Magnus Rosenbach und den übrigen Lehrern in den neuen Schulräumen des von Rosenbach bewohnten Hauses Unter den Weiden erteilt.203 Unverzüglich weigerte sich Juda Herz, Unterricht zu erteilen, mit der Begründung, noch keinen Vertrag vom Konsistorium erhalten zu haben.204 Im folgenden Schreiben an Juda Herz wird deutlich, dass sich der Schulvorstand bereits zuvor gegen die Vereinigung der Schulen ausgesprochen hatte.205 Da die Zusammenlegung im Februar 1812 immer noch nicht vollzogen war, schaltete das Konsistorium den Präfekten des Saale-Departements, Wilhelm Christian Goßler, ein, der in einem Schreiben an die Administratoren hervorhob, dass diese doch für alle Kinder von Vorteil sei. Weiter teilte Goßler mit, dass der Staatsrat des neuen Königreichs, Justus Christoph Leist, die Zusammenführung der beiden Schulen verfügt habe.206 Letztendlich erging ein Schreiben des Konsistoriums an Löb Eger mit einem eindringlichen Appell, die Schulvereinigung nach Ostern 1812 in die Wege zu leiten.207 Offensichtlich wurde dieser Termin eingehalten, denn Löb Eger und

200 Ebd., Bl. 4–6. Protokoll der Sitzung vom 19. Dezember 1811. 201 Ebd., Bl. 10–11. Bericht Heinemanns und Kalkars, 19. Dezember 1811. 202 Ebd., Bl. 13, 14–15, 16, 17. 203 Ebd., Bl. 28. Schreiben Heinemanns und Kalkars an Löb Eger, 27. Dezember 1811. 204 Ebd., Bl. 20. Schreiben des Juda Herz an die Administratoren, 27. Dezember 1811. 205 Ebd., Bl. 18. Schreiben der Administratoren an Juda Herz, 29. Dezember 1811. 206 Ebd., Bl. 21–22. Schreiben Goßlers an die Administratoren, 14. Februar 1812. 207 Ebd., Bl. 23. Schreiben des Konsistoriums an Löb Eger, 9. März 1812. Eine ähnliche Hinhaltetaktik wandte die Gemeinde an, als es um die Schließung der Klaus ging. Nach vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen Klausgelehrten und Konsistorium folgte am 26. Februar 1813

Magnus Rosenbach – Wegbereiter der Moderne 

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die Administratoren befolgten die Anweisung von April 1812 und ließen einen Teil des Mobiliars und der Materialien aus dem Schulhaus in der Judenstraße in das neue Schulhaus Unter den Weiden schaffen.208 Der weitere rege Briefwechsel zwischen Magnus Rosenbach, Löb Eger und den Administratoren belegt, dass man die Zusammenlegung der Schulen keineswegs billigte und die Herausgabe der verbliebenen Bücher und Materialien an die Konsistorialschule bis August 1812 hinauszögerte.209 Aufgrund der sich über fast zwei Jahre hinziehenden Auseinandersetzungen um die Zusammenlegung der beiden Schulen besaß die Hascharath Zwi 1812 nur noch drei Schüler, sodass der Vereinigung letztendlich kein Widerstand mehr entgegengesetzt und die Hascharath Zwi in die Konsistorialschule überführt wurde.210 Den Reformbestrebungen des israelitischen Konsistoriums wurde durch die Niederlage Napoleons und die Auflösung des Königreichs Westphalen im Jahre 1813 ein jähes Ende gesetzt. Aufgrund seines kurzen Bestehens und der fehlenden Kooperation der jüdischen Gemeinden war es nicht gelungen, Konsistorialschulen bzw. Religionsschulen zu etablieren sowie die Prüfung und Konzessionierung jüdischer Lehrer zu realisieren.211 Obwohl sich die jüdische Gemeinde mit allen Mitteln gegen die Vereinigung der beiden Schulen und die Reformversuche im Schulwesen gestellt hatte, bestand die Konsistorialschule nach Auflösung des israelitischen Konsistoriums noch bis 1817, infolge abnehmenden Interesses entschied man sich zur Reorganisation der Hascharath Zwi. Trotz der heftigen Widerstände, die Rosenbach während der Konsistorialzeit erfahren hatte, blieb er weiterhin Hauptlehrer der reorganisierten Schule und übernahm ab 1817 auch deren Leitung.212

ein Schreiben an den Syndikus David Meyer mit der Aufforderung, den Gottesdienst in der Klaus einzustellen und die Schlüssel abzugeben. Doch man weigerte sich dem nachzukommen, und so erging am 23. Juli des Jahres erneut eine Aufforderung an die Gemeinde, diesmal mit einer Fristsetzung von 14 Tagen, der die Gemeinde auch nachkam. Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“, Archiv, (CJA), 1, 75A Ha 2, Nr. 17, # 3508, Bl. 20–23, 31. 208 CAHJP, KGe 3/44, Bl. 29. Schreiben des Konsistoriums an Löb Eger und den Schulvorstand, 16. April 1811. 209 Ebd., Bl. 34–38. 210 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 12. 211 Vgl. Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 107; Brämer, Leistung, 2006, S. 88f.; ders., Rabbiner und Vorstand. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Deutschland und Österreich 1808– 1871. Wien 1999. S. 22. 212 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 12f.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

1.7 Die Lehrpläne Die einzigen erhaltenen Originallehrpläne lassen sich in die Zeit des Lehrers Magnus Rosenbach einordnen und befinden sich im Centrum Judaicum in Berlin. Dabei handelt es sich um drei gefächerte Lehrpläne, von denen einer datiert ist und die Namen der Lehrer aufweist. Weiterhin liegt ein Übersichtsplan aus der Anfangszeit der Konsistorialschule vor, der Hinweise zu Schülern, Lehrern und dem erteilten Unterricht liefert.213 Aufgrund der Tatsache, dass die Mädchenerziehung bisher keine große Beachtung gefunden hatte, richtete Rosenbach neben Elementar- und Knabenklasse eine dritte für Mädchen ein und erhöhte die Stundenanzahl der profanen Fächer. Zu den Lehrern der 1810 gegründeten Konsistorialschule gehörten außer Magnus Rosenbach, Juda Herz und Aron Landsburger der christliche Lehrer Schröder und die Tochter des Rabbiners Katz. Die Schule bestand aus drei Klassen und wurde von 39 Schülern, 24 Knaben und 15 Mädchen, besucht, wobei die Mädchen- und Knabenklasse nochmals nach Alter unterteilt waren. Zu den Schülern gehörten u. a. die Söhne Rabbiner Liebmanns, die Kinder Rosenbachs, die Kinder des Kantors Meyer und der Sohn Rabbiner Akiba Egers. Rosenbach erteilte sowohl in der Knaben- als auch in der Mädchenklasse Hebräisch, Jüdische Geschichte, Deutsch, Französisch, Tafel- und Kopfrechnen. Aron Landsburger übernahm fast den kompletten Unterricht der Elementarklasse und unterrichtete die älteren Schüler in Jüdisch Schreiben und Deutsch Schreiben. Der Lehrer Schröder unterrichtete jetzt in der Elementarklasse Deutsch Lesen und die Älteren in „Gemeinnützigen Kenntnissen“, Juda Herz weiterhin mit insgesamt 18 Stunden Pentateuch und Talmud und die Tochter des Rabbiners Katz in ihrem Hause nachmittags zwölf Mädchen in Handarbeit.214 Der Pentateuch- und Talmudunterricht fand im Schulhaus Judenstraße 27 statt, während der Hauptunterricht im Hause Magnus Rosenbachs Unter den Weiden abgehalten wurde.215 Damit hatte Rosenbach, in Anlehnung an das Curriculum der Konsistorialschule in Kassel, einen neuen Lehrplan eingeführt, der die Mädchen bedachte, über das Niveau einer Elementarschule hinausging und sich deutlich von dem der Hascharath Zwi unterschied.216

213 CJA, 1, 75 A Ha2, Nr. 44, # 3535, Bl. 2, 4, 6, 8. Alle Pläne sind auf Deutsch mit hebräischen Lettern verfasst. 214 Ebd., Bl. 8. Aufgrund der fehlenden Unterrichtszeiten lässt sich der Übersichtsplan nicht tabellarisch darstellen. 215 CAHJP, KGe 3/44, Bl. 29. 216 Der Lehrplan der Kasseler Konsistorialschule aus dem Jahre 1813/14 zeigt, dass in allen drei Klassen ein Großteil der Lehrstunden dem Hebräischen, kombiniert mit religiöser Unterweisung, gewidmet war. Auch die Realien wie Geschichte, Geografie und Naturgeschichte waren mit einer angemessenen Stundenanzahl vertreten, während der Französischunterricht geringer ausfiel als

Die Lehrpläne 

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Der folgende gefächerte und datierte Lehrplan aus dem Jahre 1814 belegt, dass die Konsistorialschule auch nach dem Ende des Königreichs Westphalen und der Auflösung des Israelitischen Konsistoriums weiter bestand. Der reguläre Unterricht fand sonntags bis donnerstags von acht bis zwölf Uhr und von 14 bis 16 Uhr und freitags von acht bis zwölf Uhr statt, mit Ausnahme der Knabenklasse, die sonntags bis donnerstags in den Nachmittagsstunden Talmudunterricht erhielt. Die Mädchen wurden, mit Ausnahme von Talmud, Pentateuch und Tefillah, ebenso wie die Knaben in den Vormittagsstunden in den religiösen und profanen Fächern unterrichtet; der Handarbeitsunterricht fand in den Nachmittagsstunden statt. Ein Teil des Unterrichts, wie z. B. „Wurzeln des Glaubens und Wege der Moral“, Rechnen, Deutsch Lesen und Schreiben fanden für Jungen und Mädchen gemeinsam statt, außerdem hielt man weiterhin am Französischunterricht fest. Darüber hinaus wird deutlich, dass der in die Nachmittagsstunden verlegte Pentateuch- und Talmudunterricht auf Ablehnung und Empörung des Gemeinderabbiners und einiger Gemeindemitglieder gestoßen sein muss,217 denn der spätere Oberlehrer Gerson Lasch berichtet, dass der Talmudunterricht zwar weiterhin stattfand, aber „ganz stiefmütterlich in den Hintergrund gedrängt und nur als Abendschule sich dem Unterrichte anschließen durfte“.218 Tabelle 1 Lehrplan der Konsistorialschule für das Schuljahr 1814219 Unterrichtsfächer Religion „Wurzeln des Glaubens und Wege der Moral“ Tefillah Pentateuch Talmud Jüdisch Schreiben Jüdische Grammatik Biblische jüdische Geschichte Deutsche Sprache

Elementarklasse

Knabenklasse

Mädchenklasse

2 2

3 3

4 4

6 – – 3 2 2 –

– 6 12 2 – – 4

– – – 3 2 2 5

erwartet, dazu wurde fakultativ Latein angeboten. Vgl. Lazarus, Das Königlich Westphälische Konsistorium, in: MGWJ 58 (1914), Heft 3, S. 336f. 217 CJA, 1, 75 A Ha2, Nr. 44, # 3535, Bl. 4. Der Lehrplan trägt die Unterschriften von Jehuda Grubenhaus, Aron Landsburger und Menachem (Magnus) Rosenbach und ist datiert auf den 10. Tewet 5574 (23. Dez. 1814). 218 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 12. 219 CJA, 1, 75 A Ha2, Nr. 44, # 3535, Bl. 4.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

Tabelle 1 (Fortgesetzt) Unterrichtsfächer Deutsch Schreiben Deutsch Lesen Rechnen Französische Sprache „Gemeinnützige Kenntnisse“ „Weibliche Arbeit außer[halb] der Schule“ Gesamtstunden

Elementarklasse

Knabenklasse

Mädchenklasse

6 4 4 – – –

5 2 3 3 – –

5 – 3 3 2 15

31

43

48

Ein weiterer Lehrplan, weder datiert noch unterschrieben, belegt, dass es sich bei der ersten (Alef) um die ältere, bei der zweiten (Beth) um die jüngere Knaben-, bei der dritten (Gimmel) um die Mädchen- und bei der vierten (Dalet) um die Elementarklasse handelt, während die Unterrichtszeit mit dem bereits zuvor erläutertem Plan identisch ist. Neu hingegen ist, dass kein Französischunterricht mehr stattfand und die Wochenstundenzahl für Pentateuch und Talmud erhöht wurde. Dennoch fand dieser Unterricht auch weiterhin in den Nachmittags- und Abendstunden statt.220 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Magnus Rosenbach mit der Erhöhung des Pentateuch- und Talmudunterrichts den Forderungen der Gemeinde, die religiösen Fächer wieder mehr in den Vordergrund zu rücken, nachkam. Dennoch fanden diese immer noch in den Nachmittagsstunden statt, so lässt sich der Lehrplan der Konsistorialschule zuordnen. Tabelle 2 Lehrplan der Konsistorialschule221 Unterrichtsfächer „Wurzeln des Glaubens und Wege der Moral“ Tefillah Pentateuch Talmud Jüdisch Schreiben Jüdische Grammatik Biblische jüdische Geschichte Deutsche Sprache Deutsch Schreiben

220 Ebd., Bl. 2. 221 Ebd., Bl. 2.

Alef (1. Klasse)

Beth (2. Klasse)

Gimmel (3. Klasse)

Dalet (4. Klasse)

3

3

2

2

– 6 18 3 2 1 3 4

2 10 5 2 2 2 3 4

2 – – 4 – 1 3 5

7 – – 5 – 2 – 5

Die Lehrpläne 

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Tabelle 2 (Fortgesetzt) Unterrichtsfächer Deutsch Lesen Rechnen Kopfrechnen „Gemeinnützige Kenntnisse“ „Weibliche Arbeit außer[halb] der Schule“ Gesamtstunden

Alef (1. Klasse)

Beth (2. Klasse)

Gimmel (3. Klasse)

Dalet (4. Klasse)

– 2 2 1 –

– 2 2 3 –

– 2 2 3 10

4 3 – – –

45

40

34

28

Bereits einige Jahre nach Auflösung der Konsistorialschule und Reorganisation der Hascharath Zwi im Jahre 1817 hatte sich die Schulsituation deutlich verändert. Betrachtet man die überaus aufschlussreichen Ausführungen Magnus Rosenbachs, die er im Jahre 1823 unter dem Titel Kurzgefasste Bestandteile der hiesigen israelitischen Schule verfasste, so wird deutlich, dass sich die Schülerzahl in der Zwischenzeit drastisch verringert hatte. Die Schule wurde nur noch von 18 Knaben besucht und hatte zwei Klassen. Rosenbach fasste zusammen: a. die Bücher Moses in der Ursprache, übersetzt ins deutsche nach Mendelssohn, deßen Commentar größtenteils auch zur Erklärung benutzt wird. An diesem Unterricht nehmen alle Kinder, bis auf die drei Kleinsten, welche noch Leseübungen haben, gehörigen Anteil. Er ist in zwei Klassen abgeteilt; die schon bewandert darin ist, hat den Unterricht in größeren Abschnitten und höheren Erläuterungen. Bei beiden Klassen wird bei der Erklärung besonders Rücksicht genommen auf Religion, hebräische Sprache, Geschichte der Israeliten und Moral. b. Die Propheten, nach der neueren Übersetzung bei denselben ungefähr dieselben Verhältnisse wie bei den Büchern Moses, stattfinden. c. hebräische Sprache, wobei die erste Klasse durch analysieren, lautieren und die zweite Klasse aber in der Konjugation der verschiedenen Arten und Formen, und Bildung kleiner Sätze unterrichtet wird. d. Talmud, welcher bei der ersten Klasse aus 3 bestehend, der Hauptunterrichtsgegenstand ist, bei der zweiten Klasse, welcher aus fünf bestehend, kann derselbe nur noch als Anfang betrachtet werden. e. Jüdisch und deutsch Schreiben und diktieren. f. Rechnen, wobei die Junkerschen Tabellen mit Wortteil benutzt werden. g. Leseübungen, wozu bei der zweiten Klasse der Kinderfreund von Wilmsen, bei der ersten Klasse aber Gemeinnützige Kenntnisse der Naturkunde von Nikolai, schon früher eingeführt sind. – Abwechselnd wird hierbei die erste Klasse auch mit h. praktischer Stilübung beschäftigt.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

Eine besondere Abteilung bilden aber die, in der Zahl der 18 mit begriffenen, drei kleinen Schüler, welche den ersten Elementarunterricht genießen und in hebräisch und deutsch Lesen, Schreiben, Zahlenkenntnisse und Rechnen unterrichtet werden. Die Anzahl der Lehrer ist drei: wovon unterzeichneter, erster Lehrer; Ascher Samter aus Derenburg, seit dem jüngst verflossenem Herbste, Gehülfe und zweiter Lehrer ist. Der Organist F. Schröder hierselbst, welcher schon seit früherer Zeit als Hülfslehrer angenommen, erteilt wöchentlich vier Stunden Unterricht.222

Aufgrund der Ausführungen Rosenbachs lässt sich der folgende gefächerte und undatierte Lehrplan der reorganisierten Hascharath Zwi zuordnen. Aus diesem geht ferner hervor, dass der Unterricht sonntags bis donnerstags von acht bis zwölf Uhr und von 14 bis 17 Uhr und freitags von acht bis zwölf Uhr stattfand. Weiterhin dokumentiert er, dass es keine Mädchenklasse mehr gab und dass Pentateuch und Talmud wieder in die Vormittagsstunden verschoben wurden, während die Elementarfächer in die Nachmittagsstunden gerückt sind.223 Tabelle 3 Lehrplan der reorganisierten Hascharath Zwi (1823)224 Unterrichtsfächer

Erste Klasse

Zweite Klasse

Religion Pentateuch Talmud Hebräisch Diktieren Bibelverse (Buch der Könige) Bibelverse (Sprüche Salomonis) Biblische jüdische Geschichte Jüdisch Schönschreiben Grammatik Deutsch Schönschreiben Deutsche Sprache Rechnen (Tafel) Kopfrechnen Geographie Ausarbeitungen „Schröders Lektion“

2 3 10 1 2 3 – 1 3 1 2 2 1 2 1 4

2 8 4 – 4 – 3 3 2 3 4 2 2 – – 4

Gesamtstunden

38

41

222 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 55–56. Kurzgefaßte Bestandteile der hiesigen Schule, Halberstadt, 15. Februar 1823. 223 CJA, 1, 75 A Ha2, Nr. 44, # 3535, Bl. 6. 224 Ebd., Bl. 6.

Die Lehrpläne 

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Neben Magnus Rosenbach unterrichteten der als zweiter Lehrer angenommene Ascher Samter aus Derenburg und der bereits genannte Lehrer Schröder. In jeder Beziehung aufschlussreich sind die Erinnerungen des jungen Lehrers Ascher Samter,225 der 1822 die Nachfolge des Junglehrers Gerson Lasch226 angetreten hatte. Über sein Prüfungsverfahren zur Anstellung an der Schule berichtete er: An einem Tage des Septembers ging mein Vater mit mir nach Halberstadt. Wir begaben uns zum Director der Schule, dem Herrn Rosenbach, der uns freundlich empfing. Er ließ mich Pentateuch übersetzen und im Talmud „leinen“ (lesen und interpretieren); dann fragte er einige Regeln der deutschen Sprache ab, etwas Geographie und damit war das Examen beendigt.227

Ascher Samter wurde 1807 in Werna am Harz geboren. Anfang der 1820er-Jahre ließ sich die Familie in Derenburg nahe Halberstadt nieder.228 Er wurde bis zu seinem 14. Lebensjahr von seinem Vater in den religiösen Fächern unterrichtet. Unschlüssig darüber, welchen Beruf er ergreifen sollte, nahm er zunächst Schreibtätigkeiten bei dem Derenburger Stadtsekretär Kellner an. Doch es fügte sich, dass er Privatunterricht im Hause des Kantors Brand erhielt. Dieser förderte ihn, erhöhte die Unterrichtsstunden in den Elementarfächern und erteilte ihm zusätzlich Stunden in Französisch und Latein. Inspiriert von dem Werdegang eines christlichen Mitschülers, den der Kantor an das Lehrerseminar in Magde-

225 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 56. Ascher Samters Erinnerungen sind 1878 als Folgebeiträge in der Jüdischen Presse erschienen. Auf seinen ersten Beitrag, vermutlich erschienen in der letzten Ausgabe des Jahrgangs 1877, konnte nicht zurückgegriffen werden. Die Schreibweise des Namens Samter variiert, verwendet wird die in den Quellen dokumentierte Schreibweise. Vgl. Sammter, A.: Skizzen aus dem Leben eines jüdischen Cultusbeamten. In: Die jüdische Presse (JP) 9 (1878). Nr. 2. S. 23. Nr. 3. S. 35. Nr. 4. S. 47. Nr. 6. S. 67. Nr. 7. S. 79. Nr. 9. S. 103. 226 Gerson Lasch stammte aus Lissa und hatte von 1820 bis 1822 an der Schule unterrichtet. 1822 verließ er Halberstadt und nahm eine Stelle als Hauslehrer bei der jüdischen Unternehmerfamilie Berolzheimer in Fürth an. Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 4, S. 47. Es sei hier vorweggenommen, dass er 1825 zurückkehrte und die Stelle des Oberlehrers antrat. 227 Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 6, S. 67. Samter war bereits vor seiner Anstellung als Lehrer in Halberstadt vorstellig geworden, er berichtet darüber: „Meine Aufnahme als Bachur scheiterte. Eine eigentliche Jeschiba gab es nicht mehr. R. Akiba Eger war kränklich und konnte in Folge dessen nicht für Bachurim die nöthige Sorgfalt verwenden. Man wies uns zu dem Adjoint (Rabbiner Adjunktus) M. Rosenbach, der die Schule Hascharath Zebi dirigierte. Dieser fand mich jedoch zu jung um eigentlich Bachur (Student) zu sein, und zu alt um in der Schule als Elementarschüler aufgenommen zu werden. In der Klaus zu lernen war gleichfalls fehlgeschlagen, da außer dem Rabbiner der andere Klausmann Rebbi Hirsch Göttingen seinen Consens dazu geben mußte. Derselbe fand mich gleichfalls nicht reif genug, um einen Schiur hören zu können.“ Ebd., Nr. 2, S. 23. 228 Vgl. ebd., Nr. 3, S. 35.

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 Die Gründungsbedingungen der Hascharath Zwi (1796–1824)

burg vermitteln konnte, beschloss er, sich alle Disziplinen anzueignen, um den Lehrerberuf ergreifen zu können. Durch die Freundschaft zu dem neuen Schüler des Kantors, dem Sohn des Oberpredigers Schmidt, ergab sich die Möglichkeit, bei diesem weiteren Lateinunterricht zu erhalten. „Meinem Vater gefiel diese zu große Hinneigung, welche ich für das Pfarr- und Cantorhaus hatte, nicht sehr. Er ahnte, daß mir dort zu viel Gift der Aufklärung (wie er es nannte) eingeflößt würde; auch betrübte ihn die Vernachlässigung des jüdischen Studiums sehr.“ Doch Samters Vater erfuhr bei einem Treffen mit Rabbiner Akiba Eger und Magnus Rosenbach in Halberstadt von der freien Stelle des zweiten Lehrers, und so vereinbarte man, den Sohn nach Halberstadt zu schicken, wo er nach seiner Anstellung im Jahre 1822 zunächst den Unterricht der zweiten Klasse übernahm. Samter war sich bewusst, dass sein Wissen bei Anstellung, besonders in hebräischer Grammatik und Talmud, erhebliche Defizite aufwies. Demzufolge erhielt er neben seiner Tätigkeit zusätzlichen Privatunterricht in den religiösen Studien von Magnus Rosenbach.229 Betrachtet man die Entwicklung der nur wenige Jahre bestehenden Konsistorialschule bis zur Reorganisation der Hascharath Zwi im Jahre 1817 und darüber hinaus, so bestand die Schule zuletzt noch aus zwei Klassen und wurde wieder nur von Knaben besucht. Der Lehrplan aus dem Jahre 1814 zeigt, dass Rosenbach trotz des Widerstands der Gemeinde auch nach dem Ende des Königreichs Westphalen im Sinne der Reform gewirkt und versucht hatte, einige Neuerungen beizubehalten. Doch der folgende undatierte Lehrplan lässt bereits darauf schließen, dass er aufgrund des gestrichenen Französischunterrichts Kompromisse eingegangen war, während der Lehrplan aus dem Jahre 1823 dokumentiert, dass alle Neuerungen rückgängig gemacht worden waren. Auch wenn Magnus Rosenbach hohes Ansehen in der Gemeinde besaß, so hatte diese seine Reformpläne nicht unterstützt und war zur traditionellen Lehrplangestaltung zurückgekehrt.230 Hinzu kam der angeschlagene Gesundheitszustand Rosenbachs, der seine pädagogische Tätigkeit beeinträchtigte. Gerson Lasch berichtete über ihn: Herr Rosenbach, dessen Namen ich noch heute als die meines Vorgängers und meines Führers auf den ersten Pfaden meines Lehramtes mit Innigkeit verehre, war ein Mann, der mit einem höheren talmudischen Wissen, das ihn zu einem größeren Wirkungskreise befähigte, auch tüchtige pädagogische Kenntnisse verband. – Diese hätten dem Institute unter seiner Leitung das schönste Gedeihen gesichert; aber seine Kränklichkeit, mehr aber

229 Vgl. ebd., Nr. 3, S. 35; Nr. 4, S. 47. 230 Zu Magnus Rosenbachs Stellung in der Gemeinde vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 13; Auerbach, Geschichte 1866, S. 133.

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noch Kränkungen, indem durch Winkelschulen, für seine Thätigkeit als Lehrer nur wenige Kinder, sowie ihm außerdem sein Feld für Amtsthätigkeit als Volkslehrer geblieben waren, lähmten seine Thatkraft.231

Magnus Rosenbach starb am 6. Dezember 1824 im Alter von 45 Jahren,232 womit sich die Hascharath Zwi mit nur noch wenigen verbliebenen Schülern in einer äußerst unsicheren Situation befand, denn ein Großteil der schulpflichtigen Kinder wurde wieder von Privatlehrern unterrichtet. Ascher Samter berichtet, dass er nach dem Tod Rosenbachs den Unterricht beider Klassen übernahm und für den Talmudunterricht eigens ein Lehrer eingestellt wurde.233

1.8 Exkurs: Die jüdischen Schüler des Domgymnasiums Ende des 18. Jahrhunderts Obwohl es im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts keine größeren Hindernisse für die Aufnahme jüdischer Schüler an höheren Schulen bzw. Gymnasien gab, waren sie doch eher die Ausnahme.234 Erst ab den 1860er-Jahren ist ein deutlicher Anstieg an den preußischen Gymnasien zu beobachten, mit jedoch großen regionalen Unterschieden in den einzelnen preußischen Provinzen – zudem lag der Anteil jüdischer Schüler auf den Gymnasien in großen Städten höher als in ländlichen Gebieten. Auch entschied die Qualität des jüdischen Erziehungssystems über die Frequenz an den nichtjüdischen Schulen: je qualifizierter das jüdische Schulwesen, desto geringer die Zahl der jüdischen Schüler in den Vorschulklassen der höheren Schulen.235 Allerdings legten nur wenige der Gymnasialschüler ein Examen ab und verließen die Schule bereits vor der Reifeprüfung, wobei nicht nur mangelnde Qualifikation, sondern auch die fi-

231 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 13. 232 HStAH, Jü 001, Bl. 90. 233 Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 7, S. 79. Ascher Samter nennt keinen Namen, vermutlich handelt es sich bei dem Talmudlehrer um Jacob Biebersheim, der zu einem späteren Zeitpunkt eine feste Anstellung erhielt. 234 Der erste jüdische Schüler des Frankfurter Gymnasiums lässt sich auf das Jahr 1640 datieren, weitere Beispiele für das 18. Jahrhundert lassen sich für das Idsteiner Gymnasium und das Gymnasium in Offenbach a. M. belegen. Vgl. Adler, Salomon: Die Entwicklung des Schulwesens der Juden zu Frankfurt am Main bis zur Emanzipation. In: JJLG 19 (1928). S. 237–279, hier S. 240f. Zur Aufnahme jüdischer Schüller des bekannten Christianeums in Altona vgl. Kopitzsch, Franklin: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. Bd. 2. Hamburg 1982. S. 761–771. 235 Vgl. Toury, Soziale und politische Geschichte, 1977, S. 174.

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nanziellen Umstände eine entscheidende Rolle spielten. Bei Geschwisterkindern konnte, wenn überhaupt, oftmals nur eines das Gymnasium besuchen, da das Schulgeld über dem einer Elementar- bzw. Volksschule lag. Ähnlich verhielt es sich bei den christlichen Schülern, auch diese verließen häufig das Gymnasium ohne ein Examen.236 Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts verfügte Halberstadt über drei Gelehrtenschulen, die auf die Universität vorbereiteten, ein Lehrerseminar mit einer angeschlossenen Seminarschule und einer sogenannten Mamsellenklasse, die 1822 in eine höhere Mädchenschule umgewandelt wurde, zwei katholische Schulen und fünf sogenannte Parochialschulen sowie ab 1841 eine Provinzial-GewerbeSchule237 und ab 1862 eine Bürgerschule.238 Von den drei Gelehrtenschulen konnte sich langfristig nur das Domgymnasium durchsetzen. Das Johanneum hingegen wurde aufgrund abnehmender Schülerzahlen 1814 in eine Parochialschule und das Martineum, das 1809 seine letzten beiden Abiturienten entließ, 1822 in eine städtische Lateinschule umgewandelt,239 während sich das Domgymnasium unter der Leitung des neuen Direktors Christian Gottfried Struensee240 zu einer angesehenen höheren Lehranstalt mit hohem Schülerzulauf entwickelte und die einzige abiturberechtigte Schule der Stadt war.241 So berichtet 1773 der zum Halberstädter

236 Vgl. Lässig, Jüdische Wege, 2004, S. 234. 237 Die Provinzial-Gewerbeschule wurde 1882 in eine Oberrealschule umgewandelt. 238 Vgl. Hermes, J. A. F. u. M. J. Weigelt (Hrsg.): Historisch-geographisch-statistisch-topographisches Handbuch vom Regierungsbezirke Magdeburg. Teil 2: Topographischer Teil. Magdeburg 1842. S. 203f. Zu den Halberstädter Schulen vgl. auch Eggeling, Fritz: Die Halberstädter Schulen. Halberstadt 1962. 239 Zur Geschichte des Martineums vgl. Eshusius, Julius: Das Martineum zu Halberstadt unter der Leitung Dr. Hermann Spillekes in der Zeit von 1854 bis 1883. Halberstadt 1884. S. 1–4; Siderer, Johann Christoph: Geschichte des Halberstädter Martineums zur Erinnerung an die dreihundertjährige Wirksamkeit desselben. Halberstadt 1845. S. 30f. Zu den jüdischen Schülern, die 1825 das Martineum besuchten, gehörten Samuel Levi Sußman (zehn Jahre), Meyer Samuel Soest (elf Jahre), Zender Meyer Rieß (13 Jahre). Sie erhielten zusätzlich religiösen Unterricht bei den Privatlehrern Bendavid und dem zukünftigen Rechenlehrer der Hascharath Zwi, Hirsch Joseph. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 19. 240 Zu Christian Gottfried Struensee vgl. Hoche, Biographie, 1820, S. 21–27; Richter, Festschrift, 1875, S. 48–51. Vgl. zuletzt Siebrecht, Friedrich Eberhard von Rochow, 2013, S. 103–111. 241 Gegründet im Jahre 816 und nach dem Schutzpatron der Stifts- und Domkirche Stephaneum benannt, seit 1754 als Domschule, ab 1806 als Gelehrte Domschule, ab 1814 als Gymnasium an der Domschule und seit 1818 bis zum Ende ihres Bestehens als Domgymnasium bezeichnet. Vgl. Nachtigal, Johann Carl Christoph: Neue Nachrichten von der Domschule zu Halberstadt von Ostern 1800 bis Ostern 1806. Halberstadt 1806. S. 3–11; Richter, Festschrift, 1875. S. 1–4; Pfeiffer, Rüdiger: Zur Geschichte der Domschule Halberstadt. In: Beiträge zur Bildungsgeschichte in Sachsen-Anhalt. Ein Kolloquium und seine Anregungen. Hrsg. von Reinhard Golz u. Wolfgang

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Domkapitel gehörende Friedrich Eberhard von Rochow242 der obersten Behörde für Kirchen- und Schulangelegenheiten in Berlin, „Struensee in Halberstadt ist als Schulmann wirklich groß. Die Domschule ist stärker als manche Universität.“243 Christian Gottfried Struensee (1758–1782) wie auch seine Nachfolger Gottlob Nathanael Fischer (1782–1800) und der ebenso mit den jüdischen Schulen vertraute Johann Carl Christoph Nachtigal (1800–1818) gehörten zu den Befürwortern einer reformierten Gelehrtenschule mit universitärer Bildung. Unterstützung bei ihren Reformbestrebungen fanden sie bei dem engen Kreis der Halberstädter Aufklärer um Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Ernst Ludwig Christoph von Spiegel zum Desenberg – auch Diesenberg genannt –, Friedrich Eberhard von Rochow und Peter Villaume.244 Unter der Leitung Nachtigals betrug die Frequenz des Domgymnasiums zwischen 1800 und 1806 ca. 120 bis 200 Schüler pro Jahrgang. Von den 64 Schülern, die den Zugang zur Universität erhielten, studierten 35 Theologie, 24 Rechtswissenschaften und drei Medizin. Die universitätsberechtigten Schüler bevorzugten die nahe gelegene Universität Halle.245 Ob bereits unter der Leitung Christian Gottfried Struensees jüdische Schüler aufgenommen wurden, ließ sich nicht ermitteln. Die ersten lassen sich zweifelsfrei unter Gottlob Nathanael Fischer und seinem Nachfolger, dem bereits genannten Schul- und Konsistoralrat Johann Carl Christoph Nachtigal, namentlich belegen: Es waren Salomon Magnus aus Burgdorf nahe Hannover, der ab 1792 das Domgymnasium besuchte und bereits wenig später an das Gymnasium in Bernburg wechselte, und der aus Halberstadt stammende Joel Gumbrich, der ein Jahr

Mayrhofer. Bad Heilbrunn 1993. S. 87–102. Aufgrund der unterschiedlichen Namensgebung wird die Schule hier durchgängig als Domgymnasium bezeichnet. 242 Zu Friedrich Eberhard von Rochow vgl. Schmitt, Hanno u. Frank Tosch (Hrsg.): Vernunft fürs Volk. Friedrich Eberhard von Rochow 1734–1805 im Aufbruch Preußens. Berlin 2001. Zu den neuesten Forschungsergebnissen zu von Rochow als Domherr in Halberstadt vgl. Siebrecht, Friedrich Eberhard von Rochow, 2013. 243 Zitiert nach Steinberg, August Ludwig: Geschichte und Statistik des Schullehrerseminars zu Halberstadt. Halle 1871. S. 5. 244 Vgl. Pfeiffer, Zur Geschichte, 1993, S. 90f. Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf die Amtszeit der Direktoren am Domgymnasium. 245 Vgl. Nachtigal, Neue Nachrichten, 1806, S. 33f; Richter, Festschrift, 1875, S. 44. Zur Bedeutung der Universität Halle für die jüdischen Studenten vgl. Richarz, Monika: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678–1848. Tübingen 1974. S. 105f.; Wilke, Carsten: Rabbinerpromotionen an der Philosophischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg. In: Jüdische Bildung und Kultur in Sachsen-Anhalt von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Hrsg. von Giuseppe Veltri u. Christian Wiese. Berlin 2009. S. 261–315.

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später aufgenommen wurde.246 Die nächsten jüdischen Schüler sind ab 1806 dokumentiert. Darunter befand sich Juda Ruben Joseph, der sich später Julius Rubo nennen sollte. Neben dem Besuch der dem Domgymnasium angeschlossenen Seminarschule war er von jüdischen Privatlehrern unterrichtet worden und wechselte mit elf Jahren auf das Domgymnasium.247 Nach erfolgreichem Abschluss besuchte er ab 1812 die Universitäten Göttingen und Berlin. Er promovierte 1817 in Halle als erster jüdischer Absolvent der juristischen Fakultät und erhielt dort zunächst eine Anstellung als Privatdozent.248 Zwischen 1792 und 1817 besuchten insgesamt 17 jüdische Schüler das Domgymnasium, darunter einige Geschwisterkinder. Ihre Väter waren zumeist Kaufleute, aber auch ein Arzt, ein Bankier, ein Rabbiner und ein Schächter befanden sich darunter. Die sechs auswärtigen Schüler hatten zuvor die Stadtschule ihres jeweiligen Heimatortes besucht und zusätzlich Privatunterricht erhalten, während die elf Halberstädter zuvor die jüdische Schule besucht hatten. Der Besuch der Seminar- oder Johannisschule (zuvor Johanneum) war eher die Ausnahme.249 Hervorheben lässt sich auch die Aufnahme des 23-jährigen Simon Asch, Sohn

246 HStAH, Schulakten 2/747, Bl. 103, 110. 247 Ebd., Bl. 172. Julius Rubo wurde am 9. Juni 1794 in Halberstadt als ältester Sohn Ruben Josephs und seiner Frau Hale, geb. Juda Levin aus Berlin, geboren. Zum Beruf des Vaters werden keine Angaben gemacht, es ist aber davon auszugehen, dass dieser im Handel tätig war. HStAH, Jü 001, Bl. 131. 248 Nach vergeblichen Bemühungen um eine Zulassung zur Anwaltschaft verlor Rubo 1822 seine Privatdozentur in Halle und übernahm die Stelle des Sekretärs der jüdischen Gemeinde zu Berlin. Vgl. Geiger, Geschichte, 1988, S. 206; Richarz, Der Eintritt, 1974, S. 105f., 180f. 249 Zu den Schülern des Domgymnasiums gehörten ab 1806 der 14-jährige Ruben Präger, ältester Sohn Jacob Elieser Prägers, vorbereitet an der Hascharath Zwi; 1807 der 14-jährige Gottschalk Simon aus Reinstedt in Anhalt; 1808 der 14-jährige Samuel Liebermann, Sohn des Gelehrten Elieser Liebermanns, vorbereitet an der Hascharath Zwi; 1809 der zwölfjährige Wolf Präger, Bruder Ruben Prägers, vorbereitet von einem Hauslehrer; der elfjährige Jeremias Liebermann, Bruder Samuel Liebermanns, vorbereitet an der Seminarschule; 1810 der elfjährige Joseph Böhme, Sohn des verstorbenen Kaufmannes Süßel David Böhme, davor von Privatlehrern unterrichtet; der 15-jährige Michael Simson aus Stargard in Pommern, Sohn des Handelsmannes Simson, vorbereitet von Privatlehrern und auf der Stadtschule in Stargard; 1812 die zehnjährigen Zwillingsbrüder Simon und Wolf Heinemann, Söhne des Handelsmannes Levin Heinemann, vorbereitet an der Hascharath Zwi; der achtjährige Adolph Sußmann, ältester Sohn des Bankiers Meyer Sußmann, vorbereitet an der Hascharath Zwi und von Privatlehrern; 1814 der 13-jährige Alexi Hirsch Liebermann aus Harzgerode im Brandenburgischen, Sohn des Kaufmannes Hirsch Liebermann, vorbereitet an der Stadtschule in Harzgerode; 1815 der zwölfjährige Heinrich Wolff, ältester Sohn des Arztes Salomon Wolff, vorbereitet an der Johannisschule; 1817 der zwölfjährige Samuel Hirsch aus Hameln, Sohn des verstorbenen Handelsmannes Hirsch, vorbereitet an der Stadtschule in Hameln, zuletzt an der Hascharath Zwi. HStAH, Schulakten 2/747, passim.

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des Schächters Löbel Asch aus Rawitz nahe Glogau, als eines der wenigen Beispiele für die Bemühungen eines unbemittelten jüdischen Lehramtsanwärters, neben der traditionellen Ausbildung elementares Wissen zu erwerben. Simon Asch war ab 1808 an der Hascharath Zwi tätig und bestand im Jahre 1811 die Aufnahmeprüfung für das Domgymnasium, bei der man ihm hervorragende Kenntnisse besonders im Hebräischen und Französischen bescheinigte.250 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Zahl der jüdischen Schüler auf dem Domgymnasium nur geringfügig, vier bis sechs jüdische Schüler besuchten pro Jahr die Schule.251

250 Ebd., Bl. 208. 251 HStAH, Schulakten 2/220, passim. Ob jemand von den oben genannten jüdischen Schülern ein Examen ablegte und die Universität besuchte, ließ sich bis auf Julius Rubo nicht ermitteln.

2 Reorganisation und Ausbau (1825–1871) 2.1 Die Schulaufsicht in den neuen Provinzen nach dem Ende des Königreichs Westphalen Nach den Beschlüssen des Wiener Kongresses fielen die westelbischen Gebiete wieder an Preußen zurück. Im Rahmen des territorialen Zugewinns entstanden insgesamt zehn preußische Provinzen und 25 Regierungsbezirke, an deren Spitze jeweils ein Oberpräsident stand. Folge der neuen Staatsverhältnisse war die Gründung der Provinz Sachsen, der das Magdeburger Gebiet mit Halberstadt zugeordnet wurde. Erst durch das Besitzergreifungspatent im Jahre 1815 kam es für die ehemals sächsischen Gebiete zu einer endgültigen territorialen Neuordnung und es erfolgte die Dreiteilung dieser Provinz in die Regierungsbezirke Magdeburg, Merseburg und Erfurt, wobei der letztgenannte außerhalb des heutigen Sachsen-Anhalts lag. Der Magdeburger Regierungsbezirk, mit Magdeburg als Regierungshauptstadt, umfasste hauptsächlich altbrandenburgisch-preußische Gebiete, wozu die Altmark mit dem ehemals hannoverschen Klötze, das Erzstift Magdeburg mit Jerichow, das vormals brandenburgische Ziesar, Halberstadt, Wernigerode und Quedlinburg gehörten. Neben den beiden Stadtkreisen Magdeburg und Halberstadt, die, laut Klein, als die Kerngebiete der neu geschaffenen Provinz angesehen werden müssen, entstanden 13 Landkreise; dabei fand die Kreiseinteilung des 17. und 18. Jahrhunderts keine Berücksichtigung. Magdeburg wurde Sitz des Oberpräsidiums, des Provinzialkonsistoriums, des Provinzialschul- und Medizinalkollegiums wie auch des Staatsarchivs.1 Damit trat nach der territorialen Neuordnung für die ehemals westphälischen Gebiete das Allgemeine Landrecht wieder in Kraft.2 Um das allgemeine Schul- und Bildungswesen zu reformieren, richtete der preußische Staat 1817 ein selbstständiges Kultus- und Unterrichtsministerium – zunächst unter Leitung des Ministers Karl von Altenstein – ein. Die wegweisenden

1 Vgl. Dietrich, Richard: Die Eingliederung der ehemals sächsischen Gebiete in den preußischen Staat nach 1815. In: Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat. Hrsg. von Peter Baumgart. Köln u. Wien 1984. S. 255–299, hier S. 278–281; Klein, Thomas (Bearb.): Provinz Sachsen. In: Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815–1945. Hrsg. von Walther Hubatsch. Reihe A: Preußen. Bd. 6. Marburg 1975. S. 1–37, hier S. 1, 9f. Zu den 13 Landkreisen gehörten Calbe, Wanzleben, Wolmirstedt, Neuhaldensleben, Jerichow I, Jerichow II, Aschersleben, Oschersleben, Osterwieck, Stendal, Salzwedel, Osterburg und Gardelegen. Vgl. Dietrich, Die Eingliederung, 1984, S. 281. 2 Vgl. ebd., S. 287. DOI 10.1515/9783110470802-003

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Bildungsreformen wurden allerdings erst unter Leitung von Wilhelm von Humboldt eingeleitet, der einen „Bildungsgesamtplan“ entwarf und verbindliche Schulpläne für alle Einrichtungen forderte. Wesentlich beteiligt an der Durchführung waren die Verwaltungsbehörden der Regierungsbezirke. Somit entstand unter Vorsitz des Oberpräsidenten in den einzelnen preußischen Provinzen eine eigene Behörde für die Verwaltung des Kultus-, Unterrichts- und Medizinalwesens. Diese neuen Konsistorien, eingerichtet in den Provinzialhauptstädten, übernahmen die Aufsicht und die Verwaltung aller öffentlichen Institute, somit auch die Administration des Schulwesens für den gesamten Regierungsbezirk.3 Nachdem das Kultus- und Unterrichtsministerium Maßnahmen zur Verbesserung des preußischen Schul- und Lehrerwesens ergriffen und die Konsistorial- und Schulräte der einzelnen Provinzen aufgefordert hatte, Pläne dafür zu erarbeiten, beschäftigte man sich auf Provinzialebene mit der grundlegenden Neuordnung des niederen und mittleren Schulwesens. Das erforderte zunächst „die Einteilung von Schulbezirken, Konstituierung von Schulorganisationen, -deputationen, -vorständen und deren Kompetenzbestimmung und die Ermittlung der bis dahin meist unbekannten Zahl der schulpflichtiger Kinder“.4 Von Bedeutung waren die von den einzelnen Provinzen erlassenen Schulordnungen, die sowohl die inneren als auch die äußeren Verhältnisse regelten. Damit übertrug der Staat den einzelnen Provinzen ein hohes Maß an Eigenständigkeit, das den einzelnen Schulräten und Seminardirektoren einen großen Handlungsspielraum einräumte. Hinsichtlich der staatlichen Freizügigkeit gelang es, gemäß Kuhlemann, in den einzelnen Provinzen einigen einflussreichen liberalen Schulreformern, einen Modernisierungsdiskurs für das niedere und mittlere Schulwesen einzuleiten, der über Jahrzehnte fortgesetzt werden konnte.5 In Magdeburg hatte man durch Verfügung vom 27. April 1816 ein Provinzialkonsistorium eingerichtet, das erstmalig u. a. mit der Reformierung der Elementar- und Bürgerschulen betraut wurde, während Gymnasien und Universitäten zunächst weiterhin im Zuständigkeitsbereich der Regierung verblieben.6 Mit der dringlichen Neuordnung des städtischen Schulwesens beauftragte die Magdeburger Provinzialbehörde den Schul- und Konsistorialrat Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, der entscheidenden Einfluss auf die Modernisierung des niederen und

3 Vgl. Baumgart, Zwischen Reform, 1990, S. 55–60; Jeismann, Karl-Ernst: Das preußische Gymnasium in Staat und Gesellschaft. Die Entstehung des Gymnasiums als Schule des Staates und der Gebildeten 1787–1817. Bd. 1. Stuttgart 1996. S. 371. 4 Kuhlemann, Frank-Michael: Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794–1872. Göttingen 1992. S. 144. 5 Vgl. Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 88f. 6 Vgl. Dietrich, Die Eingliederung, 1984, S. 280f.

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mittleren Schulwesens und die Lehrerbildung des Regierungsbezirks nahm.7 Zusammen mit Zerrenner ernannte das Konsistorium zwei weitere Schul- und Konsistorialräte, Johann Friedrich Wilhelm Koch und Johann Andreas Matthias in deren Aufgabenbereich die Beaufsichtigung aller in der Provinz bestehenden Elementar- und Bürgerschulen und Lehrerseminare fiel.8 Wesentliche Unterstützung erhielten die Konsistorialräte bei der Reorganisation des städtischen Schulwesens von dem damaligen Magdeburger Oberbürgermeister August Wilhelm Francke, der sich besonders für den Aufbau und die Modernisierung der städtischen Schulverwaltung einsetzte. Die von Francke einberufene Schulkommission entschied sich letztendlich für das sozialverträgliche Schulkonzept Zerrenners.9 Nachdem sein Schulreorganisationsplan 1818 in Berlin von Staatsrat Kuhn und Freiherrn vom Stein angenommen worden war, begann er in „Anlehnung an die neuhumanistischen Schulentwürfe der Reformzeit“ mit umfassenden Strukturierungsmaßnahmen der niederen und mittleren Bürgerund Privatschulen sowie der Lehrerseminare. Der Plan beinhaltete vorerst nur äußere strukturelle Maßnahmen: Er forderte für alle Elementar- und Bürgerschulen des Magdeburger Bezirks die Einführung verbindlicher Lehrpläne, die Erhebung eines festgesetzten Schulgeldbetrags, wobei die Volksschulen schulgeldfrei waren, die Einführung regelmäßiger Schulkonferenzen, eine zweckmäßige Einrichtung der Schulzimmer, die Errichtung neuer und die Renovierung vorhandener Schulgebäude, bessere Ausbildungschancen für Lehrer und deren angemessene

7 Carl Christoph Gottlieb Zerrenner (1780–1851), geboren in Beiendorf bei Magdeburg als Sohn des Pädagogen Heinrich Gottlieb Zerrenner. Bereits im elterlichen Hause machte Zerrenner Bekanntschaft mit namhaften Pädagogen wie Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe und Friedrich Eberhard von Rochow. Nach Theologiestudium und Pädagogikvorlesungen an der Universität Halle kehrte Zerrenner nach Magdeburg zurück, nach seiner Lehrtätigkeit am Kloster Unserer Lieben Frauen wurde er 1816 zum Konsistorial- und Schulrat der Provinz Sachsen ernannt. Vgl. Rayermann, Maria: Carl Christoph Gottlieb Zerrenner als Schulreformer und Lehrerbildner. Ein Beitrag zur Schulgeschichte des 19. Jahrhunderts. Bochum 1985. S. 19–23; Kreinberger, Jochen: Carl Christoph Gottlieb Zerrenner (1780–1851). Schulreformer – Lehrerbildner – Probst. In: Winkelmann, Wolfgang u. Jochen Kreinberger: Lehrer, Pröpste und Rektoren. Persönlichkeiten aus der Geschichte des Pädagogiums am Kloster Unserer Lieben Frauen (zu) Magdeburg. Magdeburg 2000. S. 71–111, hier S. 71–76; Mayrhofer, Wolfgang: Carl Christoph Zerrenner und das „preiswürdige“ Schulwesen Magdeburgs im 19. Jahrhundert. In: Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805–2005. Hrsg. von Matthias Puhle u. Peter Petsch. Dössel (Saalkreis) 2005, S. 655–670, hier 659–661. 8 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 34; Kreinberger, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 2000, S. 75. 9 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 38f; Kreinberger, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 2000, S. 75.

Die Schulaufsicht in den neuen Provinzen nach dem Ende des Königreichs 

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Vergütung.10 Sein Schulkonzept unterscheidet drei Schultypen: niedere, mittlere und höhere Bürgerschulen. Bisher waren den Schülern der Elementarschulen nur Schreiben und grundlegende Rechenfertigkeiten vermittelt worden, daher forderte er für die beiden letztgenannten Typen, die schwerpunktmäßig der Berufsvorbildung dienen sollten, eine Verbesserung in den naturwissenschaftlichen Fächern sowie die Einführung von Geschichte und Fremdsprachen. Die mittlere Bürgerschule war für Schüler bestimmt, die mit 14 oder 15 Jahren ein Handwerk oder „ein ähnliches bürgerliches Gewerbe“ erlernen wollten.11 Laut Zerrenner war der Erfolg der Reformen abhängig von der Qualifizierung der Lehrer, weshalb er sich schon früh für eine dringende Reformierung der Lehrerausbildung einsetzte. Mit deren Defiziten wurde er 1823 abermals konfrontiert, als man ihn, parallel zu seiner Tätigkeit als Schul- und Konsistorialrat, zum Direktor des neuorganisierten Magdeburger Lehrerseminars ernannte.12 Bereits in seinen frühen Schriften wies er darauf hin, wie wichtig Didaktik und Methodik für den Lehrerberuf seien, und formulierte, wie er diese im Rahmen der Lehramtsausbildung verstanden wissen wollte: Ein Haupttheil der Pädagogik ist die Didaktik, oder die Unterrichtslehre, welche zum Inhalte sowohl die Materie als die Form des Unterrichts hat. Was und wie soll gelehrt werden? Der Theil der Didaktik, welcher sich mit der Form des Unterrichts beschäftigt, heißt Methodik oder Methodenlehre, diese zerfällt in die allgemeine und besondere. Die allgemeine Methodik lehrt die Regeln, welche für alle Zweige des Unterrichts gelten; die besondere wendet diese Regeln auf einzelne Gegenstände an.13

Angelehnt an die Pädagogen und Didaktiker des 17. und 18. Jahrhunderts, mit dem Schwerpunkt von Theorie und Praxis, erwarb er sich große Anerkennung auf dem Gebiet der Methodik, und seine pädagogischen Schriften für Lehramtskandidaten besaßen über Jahrzehnte Gültigkeit.14 Sein 1821 erschienenes Methodenbuch für Volksschullehrer brachte ihm die Anerkennung ein, neben Friedrich

10 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 45; Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 35, 89, 309, 388; Kreinberger, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 2000, S. 77–79. 11 Vgl. Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb: Das Schulwesen der Stadt Magdeburg. In: Jahrbuch für das Volks-Schulwesen, als Fortsetzung des Neuesten deutschen Schulfreundes. Bd. 1. Heft 1. Magdeburg 1825. S. 1–19, hier S. 15–19; Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 176–182. 12 Vgl. ebd., S. 260–262; Kreinberger, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 2000, S. 78f. 13 Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb: Leitfaden der besonderen Methodik des Volksschulunterrichts, zunächst für Seminarien und Conferenzen der Volksschullehrer. Magdeburg 1814. S. 2. 14 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 62; Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 309.

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Eberhard von Rochow, Bernhard Gottlieb Denzel, Paul Natorp, Friedrich Philipp Wilmsen und anderen zu den besten Methodikern seiner Zeit zu gehören.15 Solange die Schul- und Konsistorialräte der einzelnen preußischen Provinzen noch mit dem Aufbau des allgemeinen Elementarschul- und Lehrerwesens beschäftigt waren, nahmen sie zunächst nur wenig Kenntnis vom jüdischen Schulwesen. Dennoch sahen einige Regierungsbezirke Handlungsbedarf und leiteten erste Schritte zur Annäherung an das allgemeine Elementarschulwesen ein. Die Initiative ging von Behörden in Schlesien aus, wo 1810 das Schulamt in Liegnitz den Mindestschulbesuch jüdischer Kinder festlegte und sich für die Prüfungspflicht der jüdischen Lehrer aussprach. Zwar strebten auch die Bezirke Oppeln und Breslau „eine assimilative Neuorganisation des jüdischen Schul- und Lehrerwesens“ an, doch blieben diese Bemühungen letztendlich erfolglos. Auch in den neuen preußischen Provinzen forderte man grundlegende Regelungen, dazu legte 1818 die Mindener Regierung einen Entwurf „über die Synagogen- und Schulpolizey der Juden“ vor, 1822 zogen die Arnsberger Behörden mit einem vorläufigen Regulativ über die „Beaufsichtigung des Jugend-Unterrichts unter den Juden“ nach, dem sich wenig später die Regierung in Münster mit einem fast gleichlautenden Rundschreiben anschloss.16 Aufmerksam wurde die Magdeburger Schulbehörde, als der jüdische Lehrer Selig David Levinstamm aus Salzwedel 1821 erstmalig um einen Prüfungstermin zum Lehrerexamen bei der Regierung in Magdeburg nachsuchte,17 woraufhin sich der Konsistorial- und Schulrat Johann Andreas Matthias an das Kultus- und Unterrichtsministerium in Berlin wandte und um Regularien zur Prüfung jüdischer Lehrer bat.18 Das Ministerium befand, dass bei Prüfungen zum israelitischen Elementarlehrer nach den gleichen Grundsätzen und auf die gleiche Weise wie bei christlichen Elementarlehrern zu verfahren sei, „nur mit dem Unterschied, dass die Prüfung nicht nur auf Kenntnisse in der Religion verstanden werden darf, indem diese Prüfung den jüdischen Vorstehern der israelitischen Schulen zu überlassen ist.“ Diese Anordnung erging 1821 an den Konsistorial- und Schulrat Matthias in Magdeburg.19

15 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 66. 16 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 84–90. 17 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 260, Bl. 1 (eig. Blattzählung). Schreiben Levinstamms an die Regierung, 26. Juli 1821. 18 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 6. Schreiben Matthias an MGUMA, Magdeburg 8. August 1821. 19 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 260, Bl. 3 (eig. Blattzählung). MGUMA an die Regierung Magdeburg, 25. August 1821. Levinstamm bat nach erfolgreicher Prüfung im Jahre 1822 um seine Zeugnisse zwecks Anstellung als Lehrer an der Samson Schule in Wolfenbüttel. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 260, Bl. 6 (eig. Blattzählung).

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Daraufhin unternahm die Regierung in Magdeburg im Jahre 1822 den Versuch einer Regelung und Ordnung des jüdischen Schulwesens und wies alle Landräte des Regierungsbezirks an, zunächst ausführliche Informationen über das jüdische Schulwesen zu sammeln. „Es liegt uns daran von der Art und Weise, wie für den Unterricht der Kinder israelitischer Religion überall in unserem Bezirke gesorgt ist, nähere Kenntniß zu erhalten, und fordern wir sie deshalb auf über diesen Gegenstand durch die betreffenden Magistrate die genauesten Nachrichten einzuziehen.“20 Der von der Behörde erarbeitete detaillierte Fragenkatalog an den Halberstädter Landrat Johann Lehmann umfasste acht wesentliche Punkte zur Erfassung eines Gesamtbildes des jüdischen Schulwesens. Neben Angaben zum Unterricht der Kinder wie Lehrfächer, Methoden und Lehrbücher sollte ein umfassendes Profil der Lehrer erstellt werden; dazu sollten diese einen in deutscher Sprache verfassten Lebenslauf anfertigen, aber auch Angaben, ob sie geprüft seien und ob sie weiteren Tätigkeiten nachgingen, waren Bestandteile des Fragenkatalogs.21 Der Landrat kam den Forderungen der Regierung zügig nach und berichtete ausführlich über die Hascharath Zwi. Dabei wies er auch auf den geprüften, doch jetzt erkrankten jüdischen Lehrer Magnus Rosenbach hin, der trotz allem mit ganzer Hingabe und Liebe seiner Tätigkeit nachkam.22 Als das Ministerium im Jahre 1823, zunächst für den Regierungsbezirk Bromberg (Posen), eine maßgebliche Verfügung für das jüdische Schulwesen erlassen und im Mai 1824 eine weitere für den Bezirk Breslau überarbeitet hatte, die bereits wenig später, am 15. Mai 1824, Gültigkeit in allen preußischen Provinzen erlangte, begann man „ein nach zeitgenössischen Maßstäben gestaltetes jüdisches Elementarschulwesen ins Leben zu rufen.“ Damit „waren erstmals in allen preußischen Provinzen Voraussetzungen geschaffen, um die staatliche Zuständigkeit auch bei der (profanen) Erziehung jüdischer Kinder durchzusetzen.“23

20 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 1. 21 Ebd., Bl. 1–2. 22 Ebd., Bl. 4–8. Schreiben des Landrats Lehmann an die Regierung Magdeburg, 21. Februar 1822. 23 Brämer, Leistung, 2006, S. 91. Zu der für Bromberg und Breslau verfassten Ministerialverfügung vgl. Rönne, Ludwig von u. Heinrich Simon (Hrsg.): Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämmtlichen Landestheilen des Preußischen Staates; eine Darstellung und Revision der gesetzlichen Bestimmungen über ihre Staats- und privatrechtlichen Zustände, mit Benutzung der Archive der Ministerien des Innern und der Justiz. Breslau 1843. S. 162f; Heinemann, Jeremias (Hrsg.): Sammlung der die religiöse und bürgerliche Verfassung der Juden in den Königl. Preuß. Staaten betreffenden Gesetze, Verordnungen, Gutachten, Berichte und Erkenntnisse. Hildesheim 1976. S. 426–428 (Nachdruck der 2. Auflage Glogau 1831).

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Im Rahmen des Ministerialerlasses erging am 22. Juni 1824, angelehnt an die Schulartikel des Allgemeinen Landrechts, folgende Verfügung an alle Landräte und Superintendenten des Regierungsbezirks Magdeburg: 1. Jeder jüdische Einwohner, welcher den nöthigen Unterricht für seine Kinder nicht in seinem Hause besorgen kann oder will, ist nach § 43 Tit 12. Th II. des Allg. Landrechts schuldig, dieselben nach zurückgelegtem fünften Jahre zur Schule zu schicken. Die jüdischen schulfähigen Kinder sind nach § 48 l c. erforderlichen Falls durch Zwangsmittel und Bestrafung der nachlässigen Eltern zum Besuch der Schule anzuhalten. 2. Die Juden sind verpflichtet, an Orten wo selbige eigene Schulen ihres Glaubens nicht eingerichtet haben, ihre Kinder in die öffentlichen christlichen Schulen zu schicken, in welchen diese jedoch in dem Unterrichte in den eigentlich christlichen Religions-Wahrheiten wider Willen beizuwohnen nicht gezwungen werden können. § 11 l. c. 3. Die Prüfung und Bestätigung der Lehr- und Einrichtungspläne der jüdischen Schulen, so wie die Prüfung der zum Gebrauch bestimmter Schulbücher und überhaupt die Aufsicht und Verwaltung des gesammten jüdischen Schulwesens erfolgt ganz in der Art, wie dies zu der Konsistorial- und Regierungs-Instrucktion vom 23ten Oktober 1817 im allgemeinen reguliert worden ist. 4. In Besonderheit darf von den jüdischen Schulen kein Lehrer angestellt werden, der nicht in einer Prüfung, die mit ihm, die Religionskenntnisse allein ausgenommen, in ganz gleicher Art, wie mit einem Lehrer an einer christlichen Schule der nämlichen Gattung, als tüchtig zum Lehramte befunden worden (ist). § 24 l.c. 5. Diese Bestimmung erstreckt sich auch auf die ausschließlich für den jüdischen Religions-Unterricht zu bestellenden Lehrer insoweit, dass zwar nicht ihre eigenen jüdischen Religionskenntnisse Gegenstand der Prüfung sein sollen aber untersucht werden soll, ob sie die übrigen von einem dem Lehramt verstandenen Subjekte erwarteten Kenntnisse und Geschicklichkeiten besitzen. 6. Endlich müssen auch diejenigen jüdischen Privatlehrer, welche Lehrstunden in den Häusern geben wollen, ihre Tüchtigkeit dazu in einer mit ihnen veranstalteten Prüfung ausweisen und sollen dergleichen Privatlehrer ohne eine, auf den Grund des von der kompetenten Prüfungsbehörde ihnen über hinlängliche Qualifikation ausgestellten Zeugnisses, von der Regierung erteilte Konzession, nicht befugt sei, Lehrstunden zu geben.24

Zudem forderte die Regierung in Magdeburg die unverzügliche Schließung aller jüdischen „Winkelschulen“ bis zum 15. August des Jahres.25 Weiterhin enthielt das

24 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 17–17r. Schreiben der Regierung Magdeburg an den Landrat Lehmann, 22. Juni 1824. Eine Abschrift gleichen Wortlauts befindet sich ebenso in: GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 16, Regierung Magdeburg an MGUMA, 24. September 1824. 25 Als „Winkelschulen“ bezeichnete man Schulen, deren Lehrer weder geprüft noch unter behördlicher Aufsicht standen. Vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986. S. 92.

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Schreiben die Anmerkung, dass der jüdische Lehrer Magnus Rosenbach bereits mehrfach aufgefordert worden sei, Lehr- und Einrichtungspläne sowie eine Liste der im Gebrauch befindlichen Schulbücher der Hascharath Zwi einzureichen.26 Die ersten beiden Paragrafen des preußischen Ministerialreskripts bestimmten, in Anlehnung an die genannten Schulartikel des Allgemeinen Landrechts erstmals auch die allgemeine Unterrichtspflicht für jüdische Kinder. In Punkt drei stellte man das „gesammte jüdische Schulwesen“ unter „Aufsicht und Verwaltung des Staates“. Zudem forderte man einen Qualifikationsnachweis für jüdische Elementar- und Religionslehrer, die sich nun gleich ihren christlichen Kollegen einer staatlichen Prüfung zu unterziehen hatten. Auch jüdische Lehrer, die ausschließlich religiösen Unterricht erteilten, sowie jüdische Privatlehrer, die bisher den Unterricht bei sich zu Hause oder in den Häusern der Eltern abgehalten hatten, mussten sich einer Prüfung in den allgemeinen Kenntnissen unterziehen, wohingegen das Ministerium eine Prüfung der Religionskenntnisse für nicht erforderlich hielt. Laut Brämer erforderte das Reskript erstmalig eine Zusammenarbeit des Kultus- und Unterrichtsministeriums mit den einzelnen Provinzialbehörden, welche die Beschulung der jüdischen Kinder in christlichen oder jüdischen Bildungsanstalten durchzusetzen hatten, auch mussten Einrichtungen geschaffen werden, „die eine zuverlässige Überprüfung jüdischer Lehrpersonen und deren Befähigung zum Unterricht gewährleisten konnten“.27 Noch waren die Prüfungsabläufe in den einzelnen preußischen Provinzen nicht einheitlich geregelt, sie richteten sich nach den Vorgaben der jeweiligen Provinzialbehörden, womit man wiederum den prüfungsberechtigten Behörden ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit gewährte. In Magdeburg mussten die externen Lehramtsanwärter schriftlich, unter Beifügung von Attesten, bei der Königlichen Regierung um einen Prüfungstermin nachsuchen und erhielten sodann einen der genannten Seminarorte zugewiesen, wo sie entweder zusammen mit den Seminaristen geprüft wurden oder ein gesondertes Examen ablegen mussten. Bei den Lehrerexamina machte man keine großen Unterschiede, die jüdischen Lehramtsanwärter hatten sich ebenso strengen Befragungen zu unterziehen wie ihre christlichen Kollegen. Bei den Lehrern, die sich eine Reise zu den Prüfungsorten nicht leisten konnten, war man nachsichtig, sie erhielten die Möglichkeit, am Ort oder in der nächstgelegenen Stadt unter Vorsitz eines Konsistorial- oder Schulrats von einem Schuldirektor oder Lehrer geprüft zu werden.28 26 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 17r. Magnus Rosenbach war dem zwar nachgekommen, doch nicht wie es die Regierung forderte. 27 Brämer, Leistung, 2006, S. 92. 28 Der Regierungsbezirk Magdeburg verfügte über drei Lehrerseminare in den Orten Magdeburg, Halberstadt und Gardelegen, wobei die beiden ersten überwiegend Lehrer für die städtischen Volksschulen ausbildeten und Gardelegen Lehrer, die dieser Profession nur als Nebenerwerb

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Als widersprüchlich erwies sich das Prüfungsverfahren für die jüdischen Religionslehrer, da diese sich in den Elementarfächern prüfen lassen mussten, während eine Prüfung in den religiösen Disziplinen nicht vorgesehen war. Trotz regionaler Bekanntmachungen setzten sich einige Regierungsbezirke über die Vorgaben der Regierung hinweg bzw. umgingen diese, so z. B. die Mindener Regierung, die den jüdischen Religionslehrern bereits eine Erlaubnis zum Unterricht erteilte, wenn diese die preußische Staatsbürgerschaft besaßen, einen unbescholtenen Lebenswandel nachweisen und ein Qualifikationsattest des zuständigen Oberrabbiners beibringen konnten.29 Die konsequente Durchführung des Gesetzes seitens der Behörden bedeutete aber auch, dass jüdische Religionslehrer, die nur über ein geringes Maß an weltlicher Bildung verfügten, sich entweder gar nicht erst zu den Prüfungen meldeten oder an diesen scheiterten, womit ihnen ihre Verdienstgrundlage entzogen war. Obwohl die Behörden im Laufe der Zeit einen genaueren Überblick über das jüdische Unterrichtswesen gewannen, gab es auch weiterhin jüdische Lehrer, die trotz nicht bestandener Prüfung eine Anstellung erhielten und ihr Amt über viele Jahre, auch ohne Konzession, ausübten.30 Dennoch setze, so Brämer, das Reskript trotz gewisser „Unzulänglichkeiten ein wichtiges Signal zur Konstituierung der jüdischen Elementarlehrerschaft als eigener Berufsstand“.31 Da in den einzelnen preußischen Provinzen auf sehr unterschiedliche Weise mit der Umsetzung des Reskripts sowie mit der Prüfungspflicht der jüdischen Lehrer verfahren wurde, stellt sich nun die Frage nach der Vorgehensweise im Regierungsbezirk Magdeburg. Die jüdischen Schulen standen jetzt erstmalig unter direkter Aufsicht des Magistrats, der Landräte oder Superintendenten, die man zunächst angehalten hatte, in ihren jeweiligen Kreisen alle jüdischen „Winkelschulen“ unverzüglich zu schließen und der Regierung bis zum 15. Oktober 1824 über den Zustand der vorhandenen jüdischen Schulen Bericht zu erstatten.32 Hinsichtlich der Prüfungsaufsicht über die jüdischen Elementar- und Religionslehrer hatte man klare Bestimmungen getroffen und die Schul- und Konsistorialräte mit der Prüfung der jüdischen Lehrer beauftragt. Damit übernahmen Zerrenner und Matthias nicht nur die Prüfung der christlichen, sondern auch die

nachgehen wollten. Vgl. Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb: Ueber die Prüfung der Volks-Schullehrer, mit besonderer Beziehung auf den Regierungsbezirk Magdeburg. In: Jahrbuch für das Volks-Schulwesen, als Fortsetzung des Neuesten deutschen Schulfreundes. Magdeburg 1926. Bd. 2. Heft 2. S. 49–67, hier S. 56–59; Brämer, Leistung, 2006, S. 98f. 29 Vgl. ebd., S. 97. 30 Vgl. ebd., S. 108f. 31 Brämer, Leistung, 2006, S. 110. Weitere Beispiele zu den Prüfungsbedingungen der jüdischen Lehrer in den einzelnen preußischen Regierungsbezirken vgl. ders, Leistung, 2006, S. 93–107. 32 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 17. Schreiben der Regierung an den Landrat Lehmann, 22. Juni 1824.

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der jüdischen Lehrer. Voraussetzung für die Prüfung waren entsprechende Nachweise über die vorherige Lehrtätigkeit oder ein Zeugnis des Rabbiners sowie der Nachweis des bleibenden Aufenthaltsrechts. Die von der Regierung in Magdeburg festgelegten Prüfungsmodalitäten der jüdischen Lehramtskandidaten bestanden aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil, nach 1825 schloss sich noch eine Probelektion an, für welche die Konsistorialräte Ort, Zeit und Thema festlegten. In dem schriftlichen Teil waren die Kandidaten gefordert, in einem deutschsprachigen Essay zu einem vorgegebenen Thema der Moral Stellung zu nehmen. Die Themen wurden jährlich neu formuliert, z. B. lautete das Thema für das Jahr 1824: „Was gehört zu einer religiösen Erziehung der Kinder, und weshalb ist dieselbe höchst nöthig?“. Außerdem waren „die Themata so gestellt, dass aus ihrer Bearbeitung ersehen werden konnte, welche Ansichten der Examinand über die Ertheilung des Religionsunterrichtes in Specie über die Methode der Mittheilung der von dem producirten Ideen, an die zu Unterrichtenden, an sich trüge.“33 Für die Jahre 1824 bis 1841 liegen die jährlichen Fragestellungen der Aufsatzthemen vor; trotz der verschiedenen Formulierungsweisen beinhalten diese immer die Frage nach Art und Weise der pädagogischen Religionsvermittlung. Für 1825 gab es gleich drei verschiedene Fragestellungen: „Was ist Religion und was soll der Lehrer derselben durch seinen Unterricht bei seinen Schülern bewirken?“; „Was gehört zu einer würdigen Anhörung Gottes und was hat der Lehrer der Jugend zu tun, um seine Zöglinge zu derselben zu führen?“; „Belehrung eines Knaben über die Heiligkeit des Eides!“. Wenn auch die Fragen eher allgemein gehalten waren, so hatte man für das Jahr 1838 ein spezifisch jüdisches Thema gewählt „Weshalb und wie feiert der fromme Israelit seinen Sabbath?“34 Nach der schriftlichen Arbeit, die unter Aufsicht verfasst werden musste, folgte eine mündliche Befragung durch die Konsistorialräte, die sowohl allgemeine Kenntnisse der Religion, Glaubens- und Sittenlehre als auch Methoden des Religionsunterrichts und der Pädagogik umfasste. Darüber hinaus hatten sich jene Kandidaten, die um Zulassung als Elementarlehrer nachsuchten, weiteren Prüfungen mit Gegenständen aus der Geschichte, Arithmetik, deutschen Sprache, Geografie und den Naturwissenschaften zu stellen. Gelang es den Kandidaten, „notdürftige, genügende, gute, sehr gute oder vorzügliche Kenntnisse“ nachzuweisen, so stand ihrer Anstellung als jüdischer Elementar- oder Religionslehrer nichts im Wege. Gelang ihnen dies nicht, so wurden die Bewerber entweder „gänzlich zurückgewiesen“ oder

33 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 1 Tit. XIII a Nr. 1 Bd. 9, 1843–1845, Bl. 124–128, hier Bl. 125. Regierung Magdeburg an MGUMA, 20. Januar 1844. 34 Ebd., Bl. 124–128, hier Bl. 128.

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sie konnten im Falle von noch „unvollkommenen Anforderungen“ die Prüfung wiederholen.35 Zerrenner bestätigte dem Ministerium, dass alle jüdischen Lehramtskandidaten des Regierungsbezirkes aufgefordert seien, sich einer Prüfung zu unterziehen. Mit Rücksicht auf die jüdischen Feiertage setzte er die Termine für die ersten Prüfungen im Jahre 1824 nach Sukkot an. Da Zerrenner in der Zwischenzeit auch mit der Leitung des Magdeburger Lehrerseminars beauftragt war, galt sein Augenmerk auch der Verbesserung des jüdischen Lehrerstands. Er machte das Ministerium auf die Missstände des jüdischen Lehrerwesens aufmerksam, die oftmals unsicheren Anstellungsverträge mit den jüdischen Gemeinden, ihre Dreifachbelastung durch weitere Tätigkeiten als Kantor und Schächter, die sich nachteilig auf die Qualität des Unterrichts auswirkten und oftmals keinen kontinuierlichen Schulbetrieb garantierten. Er forderte zudem eine generelle Beschulung aller jüdischen Kinder bis mindestens zum 14. Lebensjahr.36 Dem folgte am 4. November 1824 eine Verordnung der Regierung in Magdeburg, in der es heißt: „Wir bringen hiermit zur allgemeinen Kenntnis, daß höherer Bestimmung zufolge, alle israelitischen Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Jahre die Schule besuchen müßen.“37 Zudem forderte man Landräte, Superintendenten und Ortsbehörden auf, strengstens darauf zu achten, dass die Anordnung auch eingehalten werde.38

2.2 Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen Im Rahmen des Erlasses fand im Regierungsbezirk Magdeburg eine jährliche systematische Erfassung aller jüdischen Schulen, aller schulpflichtigen jüdischen Kinder und aller jüdischen Lehrer statt, ab 1827 auch mit Vermerk über bereits abgelegte Prüfungen. Zunächst zeigt sich für das Jahr 1824, dass die Hascharath Zwi als jüdische Elementarschule eine Sonderstellung einnahm, denn in elf von insgesamt 38 Städten und Kreisen bestanden ausschließlich jüdische Religionsschulen, die mehr schlecht als recht von den jeweiligen Gemeinden unterhalten wurden. In den Orten, in denen keine jüdischen Schulen existierten, besuchten die Kinder die

35 Ebd., Bl. 124–128, hier Bl. 126. Regierung Magdeburg an MGUMA, 20. Januar 1844. Vgl. auch Brämer, Leistung, 2006, S. 100. 36 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 14–16. Regierung Magdeburg an MGUMA, 24. September 1824. 37 Zitiert nach Menges u. Kannegießer [ohne Vornamen]: Verordnungen betreffend das Schulwesen des Regierungs-Bezirks Magdeburg. Aus amtlichen Quellen zusammengestellt. Breslau 1884. S. 235. 38 Vgl. Menges u. Kannegießer, Verordnungen, 1884, S. 235.

Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen 

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örtlichen Schulen und wurden von ihren Eltern oder Privatlehrern in Religion unterwiesen.39 Betrachtet man ab 1827 die Anzahl der jüdischen Einwohner sowie die der schulpflichtigen Kinder in den einzelnen Ortschaften, so wird deutlich, dass außer Magdeburg und Halberstadt keine der jüdischen Gemeinden finanziell in der Lage gewesen wäre, eine Elementarschule einzurichten, zumal in 21 Orten die Zahl der schulpflichtigen Kinder unter zehn lag. Dennoch bemühten sich einige Gemeinden Hebräisch- und Religionsunterricht anzubieten, der aber von einem Lehrer erteilt wurde, der zumeist noch als Schächter und Vorsänger tätig war. Oftmals ließ die finanzielle Situation der Gemeinden nur Anstellungsverträge für ein Jahr, mit Aussicht auf eine eventuelle Verlängerung zu. Wenn der Lehrer nicht mehr bezahlt werden konnte, übernahmen die Eltern den Religionsunterricht. Für die Zeit von 1825 bis 1837 lässt sich konstatieren, dass neben der Hascharath Zwi immerhin acht bis zwölf Gemeinden Religionsschulen unterhielten, wovon einige den Religionslehrer länger als ein Jahr beschäftigten.40 Für das Jahr 1829 bestätigte die Regierung in Magdeburg dem Ministerium in Berlin, dass sich bereits einige jüdische Lehrer einer Prüfung unterzogen hatten.41 Doch der geforderte Prüfungsnachweis für die Elementar- und Religionslehrer bereitete den Gemeinden einige Probleme. Besonders schwierig war die Wiederholung der Prüfung für die bereits älteren Religionslehrer, deren Fachkenntnisse in den profanen Fächern oftmals ungenügend waren. Zudem konnten sie wegen ihres geringen Gehalts die Reisekosten zum jeweiligen Prüfungsort kaum aufbringen. Zwar übten die zuständigen Konsistorialräte oder prüfungsberechtigten Superintendenten der einzelnen Landkreise durchaus Nachsicht bei dem Prüfungsverfahren, doch dürfte es schwierig gewesen sein, sich diesem gänzlich zu entziehen.42 Zunächst unternahmen einige Gemeinden den Versuch, die Prüfungspflicht für ihre Religionslehrer zu umgehen. So bemühte sich z. B. die Gemeinde Aschersleben, bestehend aus 84 Mitgliedern und 26 schulpflichtigen Kindern,43 die Prüfung

39 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 39. Regierung Magdeburg an MGUMA, 29. August 1825. 40 Ebd., Bl. 42–211. Regierung Magdeburg an MGUMA, Tabellarische Übersicht vom Zustande des jüdischen Schulwesens. 1825–1837. Die Orte, in denen die Kinder jüdischen Religionsunterricht erhielten, waren Magdeburg, Wolmirstedt, Barby, Calbe, Schönebeck, Gommern, Ziesar, Derenburg, Hornburg, Croppenstedt, Oschersleben, Aschersleben, Quedlinburg, Salzwedel und Hadmersleben. Zudem lässt sich festhalten, dass Halberstadt zwischen 1825 und 1833 die größte jüdische Gemeinde im Regierungsbezirk war. Während Magdeburg um die 350 Gemeindemitglieder besaß, waren es in Halberstadt um die 450. Nach 1833 stieg die Zahl der Juden in Magdeburg, und in Halberstadt nahm sie ab. 41 Ebd., Bl. 42–211, hier Bl. 70–73. 42 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 100. 43 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 58.

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ihres 56-jährigen Lehrers Leo Salinger, der außerdem als Schächter und Vorsänger tätig war, mit den Argumenten zu verhindern, dass es sich bei ihm um keinen „richtigen Lehrer“ handele, da er die Kinder nur in Hebräisch Lesen und Jüdisch Schreiben unterrichte; auch sei er wegen fehlender Grundkenntnisse nicht in der Lage, sich einer solchen Prüfung zu unterziehen. Der Widerstand der Gemeinde blieb erfolglos, die Schulkommission in Magdeburg bestand auf der Prüfung des Lehrers. Da man wohl Nachsicht bei der Überprüfung allgemeiner Kenntnisse übte, bestand Leo Salinger im Juni 1825 die Prüfung und versah den Religionsunterricht für ein weiteres Jahr.44 Nach seinem Weggang wurde der bereits geprüfte Lehrer Aron Hirsch Lublin angestellt, doch da die Gemeinde in finanzielle Schwierigkeiten geriet, konnte sein Vertrag nicht verlängert werden. Anschließend erteilten wieder die Eltern selbst für einen längeren Zeitraum den Religionsunterricht.45 Auch die Halberstädter Nachbargemeinde Derenburg lässt sich als gutes Beispiel für die damalige Situation der jüdischen Lehrer in den kleinen Landgemeinden anführen. Diese Gemeinde bestand aus 75 Mitgliedern und zwölf schulpflichtigen Kindern, die alle die örtlichen Schulen besuchten.46 Anlässlich der neuen Verordnung bat der Landrat den jüdischen Gemeindevorsteher Pollack und den Religionslehrer Lazarus Samter um eine Zusammenkunft zur Beratung über die zweckmäßige Einrichtung des jüdischen Religionsunterrichts. Man einigte sich dahingehend, den Kindern täglich zwei Stunden Religionsunterricht zu erteilen, von acht bis neun Uhr und von 15 bis 16 Uhr, d. h. zu einer Zeit, da auch der christliche Religionsunterricht stattfand. Außerdem bemühte sich Samter mit Hilfe der Regierung, die Religionspflicht für alle Kinder durchzusetzen.47 Angesichts der Vorbildung Samters, er hatte bei dem Halberstädter Rabbiner Löb Eger eine Prüfung abgelegt, die ihn zum Schächter und Vorsänger befähigte, und sich darüber hinaus einer Prüfung im Hebräischen bei dem Derenburger Oberprediger Schmidt unterzogen, verzichtete die Regierung auf eine weitere Prüfung und bestätigte seine Befähigung, die Kinder im Hebräisch Schreiben und Lesen und in der „mosaischen Religion“ zu unterrichten. Außerdem geht aus dem Schreiben hervor, dass sowohl Magistrat als auch jüdische Gemeinde bestrebt waren, ihren Religionslehrer zu halten, „Gedachter Samter ist zwar wie der Herr Oberprediger Schmidt bemerkt ein Pole aus Samter bey Posen, aber übrigens in länglicher

44 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 2609, Bl. 2–8. 45 Ebd., Bl. 26–29. 46 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 57. 47 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 3. Protokoll, 5. Oktober 1824. Bei dem Derenburger Religionslehrer Lazarus Samter handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Vater des seit 1822 an der Hascharath Zwi tätigen Lehrers Ascher Samter.

Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen 

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Hinsicht ein lobenswerter Mann, der sowohl bei der jüdischen als bei der christlichen Gemeinde in Achtung steht und den ersten ungern verlieren würde.“48 1833 informierte der Magistrat die Regierung, dass die jüdische Gemeinde den Religionslehrer Lazarus Samter aufgrund seiner Altersschwäche pensioniert habe und jetzt nur noch einen examinierten jüdischen Religionslehrer einstellen wolle, der ebenso das Amt des Schächters und Vorsängers übernehmen müsse.49 Als Nachfolger verpflichtete man noch im gleichen Jahr den examinierten Lehrer Daniel Jacobi aus Oschersleben – mit einem jährlichen Gehalt von 170 Talern.50 Der jüdische Gemeindevorstand gab im Rathaus zu Protokoll, dass Jacobi 1836 nach Elrich gewechselt sei und man die Stelle provisorisch mit dem zuletzt in Hornburg beschäftigten Lehrer Moses Naphtali besetzt habe; da dieser noch nicht geprüft war, bat man um einen Prüfungstermin bei dem Superintendenten.51 Trotz sinkender Schülerzahlen versah Naphtali das Amt des Religionslehrers immerhin bis 1845.52 In den anderen jüdischen Landgemeinden des Regierungsbezirkes war die Situation der Religionsschulen weniger zufriedenstellend. Nicht nur die ständig wechselnden Religionslehrer, auch ihre Mehrfachbelastung führten dazu, dass meist weniger Unterricht stattfand als vorgesehen, und die Kinder somit über geringe Kenntnisse in Religion verfügten. In Neuhaldensleben, einer Gemeinde mit 85 Mitgliedern und 28 schulpflichtigen Kindern,53 bemängelte der von der jüdischen Gemeinde angestellte und vom Superintendenten Münnich geprüfte jüdische Lehrer Levy Bernhard 1824 die unregelmäßige Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht und ihre daraus resultierenden mangelhaften Kenntnisse als Folge der immer nur für ein Jahr verpflichteten Lehrer.54 Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Situation zwischen der reformorientierten jüdischen Kultusgemeinde Magdeburg, neben Halberstadt die Stadt mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil, und dem Provinzialschulkollegium. Hier bestand trotz 332 Mitglieder und 60 schulpflichtiger Kinder55 von

48 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 4–5. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 14. Oktober 1824. 49 Ebd., Bl. 30. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 19. April 1833. 50 Ebd., Bl. 34. Schreiben des Landrats an die Regierung Magdeburg, 1. Juli 1833. 51 Ebd., Bl. 36. Protokoll, 13. Februar 1837. 52 Ebd., Bl. 57. Schreiben des Landrats an die Regierung Magdeburg, 30. Dezember 1845. 53 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 57. 54 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3586, Bl. 3–4. Schreiben Bernhards an die Regierung Magdeburg, 28. Juli 1824. Der Superintendent Münnich bescheinigte dem jüdischen Lehrer Levy Bernhard nicht nur umfangreiches jüdisches Wissen, sondern auch ausgesprochen gute Kenntnisse in Universalgeschichte, Erdkunde, Physik, Rechnen und Schreiben. Ebd., Bl. 5. Schreiben Münnichs an die Regierung Magdeburg, 8. Juni 1825. 55 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 57.

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Seiten des Gemeindevorstandes wenig Interesse an der Einrichtung einer Elementarschule oder am Ausbau der vorhandenen Religionsschule; daher reagierte man mit heftigem Protest auf das Gesetz von 1824. In der Gemeinde besuchten alle Kinder die allgemeinen Schulen und nur zehn der schulpflichtigen Kinder nahmen überhaupt am jüdischen Religionsunterricht teil.56 Zerrenner bestätigte dies und führte weiterhin aus, dass ein wesentlicher Teil sogar am christlichen Religionsunterricht teilnehme.57 Jüdische Privatschulen konnten sich nur für einen kurzen Zeitraum etablieren. 1822 erhielt der jüdische Lehrer Albert Bock von der Magdeburger Regierung die Genehmigung zur Gründung einer jüdischen Privatschule, die jedoch bereits 1828 wieder geschlossen wurde. Die Anfrage des jüdischen Lehrers Ludwig Itzig aus Berlin, ob er in Magdeburg eine jüdische Schule mit Alumnat für Kinder beiderlei Geschlechtes einrichten könne, wurde von der Regierung unter Verweis auf eben das Schicksal der Bockschen Privatschule abgelehnt.58 Ebenso untersagte die Regierung 1825 dem nicht geprüften Lehrer Heilbronn die Erteilung des Religionsunterrichts und forderte den Gemeindevorstand auf, für alle jüdischen Kinder eine öffentliche Religionsschule einzurichten, die von einem geprüften Religionslehrer geführt werden sollte.59 In einem Schreiben an den Oberbürgermeister August Wilhelm Francke verweigerte der Gemeindevorstand unter heftigem Protest die Einrichtung einer solchen. Zudem betonte man, dass ein Großteil der Kinder die Stadtschulen besuche. Obgleich man den Religionsunterricht nicht ablehnte, vertrat man die Auffassung, dass die Eltern selbst entscheiden sollten, ob sie ihre Kinder im „mosaischen Glauben“ erziehen lassen wollten. Man befürwortete zwar die Prüfungspflicht für jüdische Elementar- und Religionslehrer, doch unter Verweis auf die Unzulänglichkeiten des Gesetzes weigerte man sich, der Maßnahme zu entsprechen. Konsequenterweise befand man den eigenen amtierenden Vorsänger und Lehrer für einen in Religion besonders befähigten Mann.60 Letztendlich empfahl der Bürgermeister, es solle der jüdischen

56 Ebd., Bl. 42–211, hier Bl. 38–39, 56–60. 57 Vgl. Zerrenner, Das Schulwesen, 1825, Bd. 1. Heft 1. S. 1–19, hier S. 19. 58 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 4014, Bl. 16–17, hier Bl. 17. Schreiben des Bürgermeisters an die Regierung Magdeburg, 4. November 1825. 59 Ebd., Bl. 2–3. Schreiben des Landrats an die Regierung Magdeburg, 10. Februar 1825. Der Religionslehrer Heilbronn unterrichtete nur wenige Kinder und wurde von den Vätern der Kinder entlohnt. 60 Ebd., Bl. 5–9. Schreiben des Gemeindevorstands an den Magdeburger Oberbürgermeister August Wilhelm Francke, 15. April 1825. Den Vorschlag, den geprüften Lehrer Albert Bock als Gemeindelehrer einzustellen, lehnte der Vorstand rigoros ab. Ebd., Bl. 9.

Der Ministerialerlass von 1824 und seine Folgen 

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Kultusgemeinde überlassen bleiben, wie sie für den Religionsunterricht ihrer Kinder sorgen wolle; doch dürfe dieser nur von einem geprüften Lehrer erteilt werden.61 An den Verhältnissen in den jüdischen Schulen in Magdeburg änderte sich nur wenig, von den schulpflichtigen Kindern besuchten nur einige den jüdischen Religionsunterricht. Erste Veränderungen traten mit der Einstellung des geprüften Lehrers Lazarus Ahlenfeld ein, ab diesem Zeitpunkt besuchten von ca. 60 schulpflichtigen Kindern immerhin bis zu 29 den Religionsunterricht. Trotz häufig wechselnder Lehrer blieb die Zahl der jüdischen Schüler weiterhin konstant.62 Immer wieder suchten jüdische Religionslehrer bei der Bezirksregierung um einen Prüfungstermin nach, blieben aber oftmals nur ein bis drei Jahre oder gaben ihre Tätigkeit bereits nach kurzer Zeit wieder auf.63 Erst mit Berufung des noch sehr jungen Reformrabbiners Ludwig Philipp64 son im Jahre 1834, den man mit dem Aufbau der bisher unzureichend geführten Religionsschule betraute, änderte sich die Einstellung der jüdischen Kultusgemeinde. Ausschlaggebend war u. a. sein programmatischer Artikel über die Notwendigkeit des Religionsunterrichts in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Israelitisches Predigt- und Schul- Magazin65 sowie sein fundiertes pädagogisches Konzept zum Aufbau der Religionsschule.66 Philippson suchte am 6. Februar 1834 bei der Regierung um einen Prüfungstermin als Religionslehrer nach.67 Trotz Studiums und Promotion hatte auch er

61 Ebd., Bl. 16–17, hier Bl. 16. Schreiben des Bürgermeisters an die Regierung, 4. November 1825. 62 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 56–113. 63 Die ersten geprüften jüdischen Religionslehrer waren Wolf Nathan Rosenfeld (geprüft 1825) und Philippson (geprüft 1827). Nachfolger Rosenfelds wurde Lazarus Ahlenfeld (geprüft 1827). LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 4014, Bl. 28, 37. 64 Zu Ludwig Philippson vgl. Kayserling, Meyer: Ludwig Philippson. Eine Biographie. Leipzig 1898; Philippson, Johanna: Ludwig Philippson und die Allgemeine Zeitung des Judentums. In: Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850. Hrsg. von Hans Liebeschütz u. Arnold Pauker. Tübingen 1977. S. 243–291; zuletzt Gotzmann, Andreas: Die Brillanz des Mittelmaßes. Ludwig Philippsons bürgerliches Judentum. In: Jüdische Bildung und Kultur in Sachsen-Anhalt von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Hrsg. von Giuseppe Veltri u. Christian Wiese. Berlin 2009. S. 147–174. 65 Vgl. Philippson, Ludwig: Ueber die religiöse Bildungsanstalt der israelitischen Gemeinde zu Magdeburg, deren Geschichte und Einrichtung. In: Israelitisches Predigt- und Schul- Magazin. 1 (1834). Bd. 1. Heft 1. S. 67–76, hier S. 73–76. 66 Vgl. Philippson, Ludwig: Rede zur Einweihung der Gemeindereligionsschule zu Magdeburg. In: Israelitisches Predigt- und Schul- Magazin. 1 (1834). Bd. 1. Heft 3. S. 86–98, hier S. 91–98. 67 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 4014, Bl. 47. Schreiben Philippsons an die Regierung Magdeburg, 6. Februar 1834. Die Akte bietet interessante Hinweise zur Magdeburger Religionsschule. Auch ist anzumerken, dass die Trauung Philippsons mit seiner zweiten Ehefrau Mathilde, Tochter des

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eine Prüfung abzulegen. Zerrenner hingegen verzichtete aufgrund der zahlreichen Publikationen Philippsons auf die schriftliche Prüfung. Er selbst prüfte ihn am 10. März 1834, wobei mündliches Examen und Probelektion genügten, und attestierte Philippson ein hervorragendes Prüfungsergebnis mit dem Vermerk, dass „seine Anstellungsfähigkeit außer Zweifel stehe“.68 Die deutliche Zunahme der Schülerzahlen an der Religionsschule dürfte auf das Engagement Philippsons zurückzuführen sein, da nach 1834 nur noch wenige der schulpflichtigen Kinder den christlichen, der Großteil hingegen den jüdischen Religionsunterricht besuchte.69

2.3 Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung Zeitgleich mit der Einführung des Gesetzes von 1824 befand sich die Hascharath Zwi in einer kritischen Phase, die schon seit einigen Jahren andauerte und sich, wie bereits erwähnt, nach dem Tod des Lehrers Magnus Rosenbach zugespitzt hatte. Offensichtlich war genau die Situation eingetreten, die Hirsch Isaac Borchert mit seinen ausführlichen Testamentsvorgaben hatte vermeiden wollen. Die Schule wurde nur noch von wenigen Schülern besucht, Ascher Samter versah den Unterricht beider Klassen und für den Talmudunterricht hatte man einen Talmudlehrer angestellt.70 Erschwerend kam hinzu, dass in der Zwischenzeit der Gemeinderabbiner Akiba Eger sowie weitere Mitglieder des Schulvorstandes verstorben waren und ihre Stellen vakant blieben, weswegen nicht nur die pädagogische Arbeit, sondern auch die administrativen Aufgaben der Schule erheblich vernachlässigt wurden.71 1825 kehrte Gerson Lasch, der bereits unter Rosenbach als Hilfslehrer an der Hascharath Zwi gewirkt hatte, nach Halberstadt zurück. Er war von 1822 bis zu seiner Rückkehr als Hauslehrer bei der Familie Berolzheimer in Fürth tätig gewesen.72

Halberstädter Kaufmanns Moses Hirsch, am 26. September 1844 in Halberstadt stattfand und vom Gemeinderabbiner Mathias Levian vollzogen wurde. HStAH, Jü 001, Bl. 160. 68 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 1 Tit. XIII a Nr. 1 Bd. 9, 1843–1845, Bl. 131. Schreiben Zerrenners an die Regierung Magdeburg, 10. März 1834. 69 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 42–211, hier Bl. 115–211. Eine Monografie über die immerhin bis 1942 existierende Religionsschule liegt nicht vor. Für die Zeit von 1933 bis zu ihrer Schließung am 30. Juni 1942 vgl. Abrahams-Sprod, Michael E.: „Und dann warst du auf einmal ausgestoßen!“. Die Magdeburger Juden während der NS-Herrschaft. Halle/Saale 2011. S. 161–175, 266–280. 70 Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 7. S. 79. 71 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 19–27, hier Bl. 24–27. 72 Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 4, S. 47.

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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Beauftragt mit der Leitung und Reorganisation der Schule, reichte er am 17. März 1825 ein Verzeichnis über die Anzahl der jüdischen Schüler beim Magistrat ein: Von 95 schulpflichtigen Kindern besuchten 32 öffentliche Schulen, zwei christliche Privatanstalten, nur 18 die Hascharath Zwi und 43 erhielten Privatunterricht.73 Die unbefriedigende Schulsituation löste Proteste bei einigen Familienvätern aus und so wandten sich im April 1825 einige, unter maßgeblicher Initiative der Handelsmänner Wolff Böhme und Israel Samuel Baer, an die Regierung bzw. das Provinzialschulkollegium und wiesen auf die geringe Schülerzahl und den willkürlich festgelegten Status der Hascharath Zwi als private Schule hin. In einer erneuten Eingabe kritisierten sie heftig die ineffiziente Organisation der Schule und baten eindringlich um Unterstützung bei der Reorganisation der Hascharath Zwi und ihrer Einrichtung als öffentliche allgemeine Schule, die allen schulpflichtigen jüdischen Kindern zugänglich sein sollte. Sie forderten zunächst die Neubesetzung der zwischenzeitlich verwaisten Administratorenstellen, da vom bisherigen Schulvorstand nur noch David Meyer als Rendant und Juda Alexander im Amte waren.74 Wenige Wochen später erfolgte eine dritte Eingabe Wolff Böhmes an die Regierung, diesmal mit einem ausführlichen Bericht über die Schulverhältnisse. Aus diesem ging hervor, dass nur noch 13 Knaben von insgesamt 93 schulpflichtigen Kindern die Hascharath Zwi besuchten, wovon zehn freien Unterricht erhielten und drei ein geringes Schulgeld entrichteten. Noch schlechter war die Schulsituation für die Mädchen. Seit Auflösung der Mädchenklasse im Jahre 1817 besuchten nun drei Schülerinnen die Seminarschule, fünf die höhere Töchterschule, 17 erhielten Privatunterricht und 13 wurden vermutlich von den Eltern unterrichtet.75 Angesichts der veränderten Schulsituation hatten sich zwischenzeitlich zahlreiche jüdische Privatlehrer in Halberstadt etabliert, deren Unterricht sich in erster Linie auf Hebräisch und religiöse Fächer bezog und in den Wohnungen der Eltern stattfand. Der einzige jüdische Privatlehrer, der neben den religiösen Fächern auch Elementarunterricht erteilte, war Hirsch Joseph.76 Im Gegensatz zu

73 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 14. 74 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 11–13. Schreiben Böhmes und Baers an die Regierung Magdeburg, 18. April 1825. Die Eingabe war außerdem von den Familienvätern Simon Kuhn, Moses Samuel, Heineman Kohn und Hirsch Heinemann unterschrieben. 75 Ebd., Bl. 19–27, hier Bl. 19–23. Schreiben Böhmes und Baers an die Regierung Magdeburg, 23. Mai 1825. Die Angaben zu den Schulbesuchen unterschieden sich nur geringfügig von den vorherigen Angaben Gerson Laschs. 76 Der jüdische Privatlehrer und spätere Rechenlehrer der Hascharath Zwi, Hirsch Joseph, stammte aus Quedlinburg und begann seine Tätigkeit als Haus- und Privatlehrer in Halberstadt im Jahre 1819 bei der Familie Nathan. Vgl. Der Israelit 10 (1869). Nr. 51. S. 994.

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einem Großteil der Privatlehrer, die zwischen zwei und acht Kinder unterrichteten, erteilte er 18 Schülern Privatunterricht.77 Die offiziellen Klagen der Familienväter lösten heftige Diskussionen innerhalb des Gemeindevorstands und den verbliebenen Schuladministratoren aus. Über den weiteren Werdegang der Schule herrschten innerhalb der jüdischen Gemeinde zwei unterschiedliche Standpunkte. Während sich einige Familienväter für eine öffentliche jüdische Schule einsetzten, organisiert wie zu Zeiten des Westphälischen Konsistoriums und zugänglich für alle jüdischen Kinder, sprach sich der Schulvorstand dagegen aus. Für David Meyer und Juda Alexander gestaltete sich die Situation nach diesen Vorwürfen äußerst problematisch, wie sich im Schreiben David Meyers an den Magistrat zeigte: So sehr nun auch das Bestehen einer allgemeinen jüdischen Lehranstalt, für Bemittelte und Unbemittelte, für unsere Gemeinde wünschenswert sein mag, so muß sich doch einem jeden, der von den Schwierigkeiten womit die Einrichtung eines solchen Instituts in einer jüdischen Gemeinde, wo die Meinungen über Methode und Lehrgegenstände so sehr geteilt sind, […], die Überzeugung aufdrängen, dass eine solche neue Einrichtung fast zu den Unmöglichkeiten gehört, wenn sie nicht von einer Behörde, die ganz mit der Autorität als des ehemaligen israelitischen Konsistoriums bekleidet ist und ganz in dessen Verhältnisse tritt, ausgeht.78

Weitere Beschwerden an den Magistrat folgten von verärgerten Familienvätern wie z. B. Israel Samuel Baer, dessen Kinder nicht in die Hascharath Zwi aufgenommen wurden, was ihn veranlasste, der Behörde gegenüber das Thema der öffentlichen Schule ausführlich aus seiner Sicht darzulegen. Er ereiferte sich über die Abweisung seiner schulpflichtigen Kinder und die scheinbar willkürlichen Auswahlkriterien des Schulvorstandes bei der Aufnahme von Schülern und sprach sich für die Wiedereinrichtung einer öffentlichen jüdischen Schule aus, an der alle jüdischen Kinder Aufnahme finden sollten. Woraufhin der Magistrat anordnete, das Schreiben Baers dem Rendanten David Meyer vorzulegen, damit dieser die Aufnahme der Söhne Baers veranlasse.79 Meyer erklärte gegenüber

77 Zu den jüdischen Privatlehrern, die religiösen Unterricht erteilten, gehörten Moses Plato, Simon Bendavid, Simon Landsberger, Jacob Biebersheim, Isaac Heinemann, Gemeinderabbiner Mathias Levian und Ascher Samter, der neben seiner Tätigkeit als Lehrer an der Hascharath Zwi auch als Privatlehrer tätig war. HStAH, Schulakten 2/766, Bl. 18; LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 19–23. Zu den christlichen Privatlehrern gehörten die Seminarlehrer Lange und Wolf sowie die Lehrer Müller und Bienert, die einigen wenigen jüdischen Kindern Unterricht in Deutsch, Rechnen, Französisch und Geografie erteilten. Ebd., Bl. 19–23. 78 HStAH, Schulakten 2/472, Bl. 4–6, hier Bl. 5. Schreiben Meyers an den Magistrat, 26. März 1825. 79 Ebd., Bl. 10–11. Schreiben Baers an den Magistrat, 6. Juni 1825. Weitere Beschwerden wegen der Aufnahmeverweigerung von Schülern folgten von Lipman Rosenheim, der sich sogar über mehrere Jahre hin um die Aufnahme seines Sohnes an der Hascharath Zwi bemüht hatte. Ebd., Bl. 16.

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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dem Magistrat entschieden, dass es sich bei der Hascharath Zwi keinesfalls um eine öffentliche Schule handele, an der alle schulpflichtigen Kinder Aufnahme finden könnten, ohne jedoch eine Begründung für die begrenzte Schülerzahl und die Aufnahmekriterien zu liefern. Er stellte es Baer frei, sich förmlich um einen Schulplatz für seine Söhne zu bewerben.80 Als Resultat der Diskussionen um den weiteren Werdegang der Schule kam es im Oktober 1825 zur Neukonstituierung des Schulvorstandes und zur Vorlage eines vollständig überarbeiteten Reorganisationsplans. Dem vorausgegangen waren intensive Beratungen über die desolate Situation der Hascharath Zwi, die Einberufung vermutlich mehrerer Vorstandssitzungen und die Amtsniederlegung David Meyers.81 Der neue Schulvorstand setzte sich nun aus dem Gemeindesyndikus und ehemaligen Lehrer Juda Alexander, dem Gelehrten Elieser Liebermann, den Handelsmännern Wolff Nathan und Jeremias Heinemann, Aron Hirsch82 und dem neuen Rechnungsführer Abraham Hildesheimer83 zusammen.84 Der Vorstand beschloss, zunächst vier Lehrerstellen einzurichten, und ernannte den bereits bekannten Gerson Lasch zum Oberlehrer, betraute mit der zweiten Lehrerstelle den ebenfalls bekannten Lehrer Ascher Samter, entschied sich bei der dritten für den Privatlehrer Hirsch Joseph und besetzte die vierte mit dem christlichen Lehrer Schröder. Man befand, dass die jüdischen Lehrer, wenn auch bisher nicht von der Regierung geprüft, qualifiziert seien, einen Teil des Elementarunterrichts zu übernehmen, weswegen der Stundenanteil des Lehrers

80 Ebd., Bl. 12–13. Schreiben Meyers an den Magistrat, 8. Juni 1825. 81 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 41–46. Der Reorganisationsplan liegt in Abschrift mit den Unterschriften des neuen Schulvorstands und des Halberstädter Bürgermeisters Johann Friedrich Weydemann vor und ist datiert auf den 19. Oktober 1825. 82 Aron Hirsch wurde 1783 als ältester Sohn des Naphtali Hirsch Göttingen geboren. Nach dem Studium an der Klaus schlug er jedoch einen anderen Weg ein und trat 1805 in das Altmetallgeschäft seines Schwiegervaters ein. Es sei hier vorweggenommen, dass die Firma Aron Hirsch & Sohn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den einflussreichsten Halberstädter Firmen gehörte, die über vier Generationen erfolgreich von der Familie Hirsch geleitet wurde. Vgl. Auerbach, Siegfried M.: Jews in the German Metal Trade. In: Leo Baeck Institute Year Book (LBIYB) 10 (1965). S. 188–203; Mosse, Werner E.: Integration through Apartheid. The Hirschs of Halberstadt 1780–1930. In: LBIYB 35 (1990). S. 133–150; Schulze, Peter: Vom Handelshaus „Aron Hirsch & Sohn“ zu den „Hirsch Kupfer- und Messingwerken“ (1806–1931). Ein fast vergessenes Kapitel aus der Geschichte der deutschen Metallindustrie. In: Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt. Hrsg. von Jutta Dick u. Marina Sassenberg. Potsdam 1998. S. 290–299; Schulze, Peter: Die Halberstädter Kaufmanns- und Unternehmerfamilie Hirsch. Halberstadt 2004. 83 Abraham Hildesheimer, geboren 1797 in Halberstadt als ältester Sohn des Gelehrten und Handelsmannes Levy Moses Hildesheimer und Halbbruder des später bekannten Rabbiners Esriel Hildesheimer. HStAH, Jü 001, Bl. 6. 84 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 41–46, hier Bl. 41.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Schröder reduziert wurde und er nur noch wenige Unterrichtsstunden in Deutsch Schreiben erteilen sollte.85 Hinsichtlich der zukünftigen Finanzierung sollte der Betrag des Talmud-Tora-Vereins nun für die Schule verwendet werden, zusätzlich rechnete man noch mit freiwilligen Beträgen der Eltern. Mit dem Stiftungsfonds ergab sich daraus ein Gesamtbetrag von über 500 Talern, woraufhin folgender Finanzplan ausgearbeitet wurde: Der erste Lehrer erhielt jährlich 280 und bei erfolgreicher Beschulung der Kinder eine jährliche Sonderzahlung von 15 Talern – dabei hatte er, wie allgemein üblich und vom Stifter bereits festgelegt, dem zweiten Lehrer freie Kost und Logis zu gewähren; der zweite Lehrer erhielt 70 Taler und als Sonderzahlung zehn; der dritte Lehrer 100 Taler und als Sonderzahlung ebenfalls 10; der christliche Lehrer erhielt 18 Taler. Zwar waren die Gehälter der Lehrer durch die Stiftungsbeträge gedeckt, doch weitere Kosten wie das Gehalt des Rechnungsführers, Beträge für Schülerprämien, Bücher, Holz- und Lichtgeld und Reparaturkosten sollten erstmalig durch ein einheitliches Schulgeld gedeckt werden.86 Die Anstellungsverträge der Lehrer wurden individuell mit dem Schulvorstand ausgehandelt. Der offizielle Anstellungsvertrag für Gerson Lasch als zukünftiger Oberlehrer der Hascharath Zwi datiert vom Juni 1825, war festgelegt auf ein Jahr und beinhaltete keine besonderen Forderungen, da man mit seinen Leistungen in den Jahren zuvor außerordentlich zufrieden gewesen war.87 Mit Hirsch Joseph hingegen vereinbarte man im Oktober 1825 einen Anstellungsvertrag, der sich zunächst nur über ein halbes Jahr, bis nach Ostern 1826, erstreckte. In einigen Punkten legte man weitere Modalitäten fest, z. B. hatte er vormittags von acht bis zwölf Uhr und nachmittags von 14 bis 17 Uhr zu unterrichten, er sollte vorläufig den Unterricht in der Elementarklasse übernehmen, und zwar in den Fächern Hebräisch Lesen, Bibelübersetzen, Schreiben und Lesen, und die Klasse in der Synagoge beaufsichtigen. Zusätzlich verwies man darauf, dass er bis zur vollständigen Reorganisation der Schule nicht dem Oberlehrer unterstehe, sondern zunächst die Vorschriften des Schulvorstandes zu befolgen habe. Das Gehalt wurde auf 100 Taler festgesetzt, vierteljährlich auszuzahlen. Bei Zufriedenheit mit seinen Leistungen versprach der Schulvorstand zu dem festgesetzten Gehalt eine Gratifikation von fünf Talern sowie eine halbjährliche Verlängerung seines Vertrages. Zuletzt wies man ihn darauf hin,

85 Ebd., Bl. 41–46, hier Bl. 45. 86 Ebd., Bl. 41–46, hier Bl. 43–45. Die Angaben zu den ausgezahlten Gehältern der Lehrer in den folgenden Jahren variieren in den verschiedenen Quellen, wobei jedoch eine Differenz von 15 Talern nicht überschritten wird. 87 HStAH, Schulakten 2/756, Bl. 3. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 7. Juni 1825.

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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dass er sich moralisch gut zu betragen und die ihm als religiösem Juden obliegenden Pflichten zu beachten habe.88 Der neue Vorstand bedauerte, zunächst noch keine Mädchenklasse einrichten zu können, finanzielle Gründe und die beengte lokale Situation würden dies nicht zulassen, versicherte jedoch, sowie die allgemeine Situation es zuließe, auch für den Unterricht der Mädchen zu sorgen. Man entschied, für die vorerst 40 schulpflichtigen Knaben vom sechsten bis zum 14. Lebensjahr drei Klassen einzurichten.89 Im Rahmen der Reorganisation hatte man einen vorläufigen Lehrplan erarbeitet. Der Unterricht der drei neu eingerichteten Klassen fand sonntags bis freitags von neun bis zwölf Uhr und sonntags bis donnerstags von 14 bis 17 Uhr statt. Hatte man in der Konsistorialzeit den Talmudunterricht in die späten Nachmittagsstunden verbannt, so wurde er nunmehr für die erste und zweite Klasse wieder in die frühen Vormittagsstunden gelegt. Das einzige Zugeständnis an die Reformbestrebungen der Konsistorialzeit war die Reduzierung der Talmudstunden, die erste Klasse erhielt eine bis zwei Stunden, die zweite eine Stunde täglich, während die dritte am Vormittag in Pentateuch und Hebräisch unterrichtet wurde. Einen Großteil der Unterrichtsstunden nahmen weiterhin religiöse Fächer wie Pentateuch, Religion und Hebräisch ein, neben Elementarfächern wie Rechnen, Deutsch und Lesen wurden, laut Lehrplan, Naturwissenschaften und Geschichte angeboten.90 Bei der Wahl der neuen Lehrer hatte man sich für ein sehr junges Kollegium entschieden, das sich noch einer Prüfung vor dem Provinzialkonsistorium in Magdeburg zu unterziehen hatte. Der erste, der dieser Anforderung nachkam, war Ascher Samter. Er wurde am 22. April 1825 in Magdeburg geprüft,91 mit dem Ergebnis, dass er „als Lehrer einer israelitischen Schule solche Kenntnisse an den Tag gelegt hat, dass er zur Bekleidung einer solchen Lehrerstelle für hinlänglich erachtet werden kann.“92 Den Prüfungsantrag zum Elementarlehrer stellte der erst 24-jährige Oberlehrer Gerson Lasch im März 1826.93 Parallel dazu reichte er ein überaus wohlwollendes Zeugnis des Schulvorstandes ein, in dem dieser sowohl seine entsprechenden pädagogischen Fähigkeiten als auch sein „moralisches Betragen“

88 Ebd., Bl. 62. Auszug aus dem Protokoll, 18. Oktober 1825. 89 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 41–46, hier Bl. 44. 90 Ebd., Bl. 48. 91 Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 7, S. 79. 92 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 1 Tit. XIII a Nr. 1 Bd. 9, 1843–1845, Bl. 133. Die Lehrbefähigung wurde nur wenig später, am 3. Mai von der Regierung erteilt. HStAH, Magistratsakten 1.32.001, Bl. 22. Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 7, S. 79. 93 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 50. Schreiben Laschs an die Regierung Magdeburg, 8. März 1826.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

bestätigte.94 Da das Magdeburger Konsistorium nicht sofort reagierte, stellte Lasch am 19. April einen erneuten Prüfungsantrag.95 Die Prüfung fand schließlich nur wenige Wochen später statt, am 11. Mai wurde Gerson Lasch von den beiden Konsistorial- und Schulräten Zerrenner und Matthias in Magdeburg geprüft. Der erste Teil der Prüfung bestand aus einem unter Aufsicht zu schreibenden Essay zu der Fragestellung „Wie vielfach ist der Zweck allen Jugendunterrichtes?“.96 Die mündliche Prüfung gestaltete sich wesentlich umfangreicher, es wurden zunächst seine pädagogischen und methodischen Fähigkeiten geprüft; daran anschließend examinierte ihn Matthias in Geografie, Geschichte und Physik. Interessant ist, dass man Lasch auch einer Sprachprüfung unterzog, bei der Zerrenner seine Französisch- und Latein-, Matthias seine Englischkenntnisse prüfte. Das Ergebnis fiel ausgesprochen positiv aus, die Konsistorialräte bescheinigten Gerson Lasch in allen mündlichen Fächern sowie in den Sprachen „gute Kenntnisse“ mit dem Ergebnis, „dass der Lasch sehr gut qualifiziert sei“.97 Als letzter der drei jüdischen Elementarlehrer stellte Hirsch Joseph am 26. Mai 1826 seinen Prüfungsantrag, ebenfalls mit einem Zeugnis der Administratoren versehen und dem Hinweis, ihn auch weiterhin als Lehrer beschäftigen zu wollen.98 Zusammen mit einem Lehramtskandidaten aus Derenburg, Abraham Cohn, wurde Hirsch Joseph am 6. Oktober von Zerrenner in Magdeburg geprüft. Beide hatten zuvor die schriftliche Aufforderung erhalten, sich bereits einen Tag zuvor bei der Prüfungskommission in Magdeburg einzufinden, um Prüfungsformalitäten zu erledigen.99 Die schriftlich zu bearbeitende Prüfungsfrage beider Lehramtskandidaten lautete „Wie hat der Lehrer der Religion die Erzählungen der heiligen Schrift beim Jugendunterrichte zu benutzen?“.100 Die mündliche Prüfung bestand laut Prüfungsattest aus moralischen und religiösen Grundbegriffen, Geografie, Geschichte, Geometrie, Arithmetik, Naturlehre und der deutschen Sprache; es wurde Hirsch bescheinigt, „dass er die zur Verwaltung eines israelitischen Elementar- und Religionslehrers erforderlichen Kenntnisse besitzt und derselbe daher zur Verwaltung einer Lehrstelle gedachter Art hierdurch für fähig erklärt.“101

94 Ebd., Bl. 53. Schreiben der Administratoren, 2. April 1826. 95 Ebd., Bl. 52. Schreiben Laschs an die Regierung Magdeburg, 19. April 1826. 96 Ebd., Bl. 55. Schriftliche Prüfung Gerson Lasch (ohne Datum). 97 GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 1 Tit. XIII a Nr. 1 Bd. 9, 1843–1845, Bl. 132. Schreiben Matthias’ u. Zerrenners, 11. Mai 1826. 98 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 57–58. 99 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3108, Bl. 19. 100 Ebd., Bl. 22–25. Schriftliche Prüfung Hirsch Joseph, 6. Oktober 1826. 101 HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 13. Schreiben des Landrats Lehmann an die Regierung Magdeburg, 6. Oktober 1826.

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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Nachdem die inzwischen erfolgreich geprüften Lehrer und der neue Schulvorstand ihre Arbeit aufgenommen hatten, plante man bereits kurze Zeit später, auch für den Unterricht der Mädchen zu sorgen. Erste konkrete Pläne dazu wurden auf der Schulvorstandssitzung im Dezember 1826 beschlossen. Man zog den Oberlehrer Gerson Lasch hinzu und unterbreitete ihm das von Abraham Hildesheimer ausgearbeitete Konzept zur Einrichtung einer Mädchenklasse. Mit Blick auf die steigenden Schülerzahlen wies Lasch darauf hin, dass die Einstellung eines weiteren Lehrers unumgänglich sei, und schlug den Talmudlehrer Jacob Biebersheim vor, der an seiner Stelle ausschließlich den Talmudunterricht in der Ersten Knabenklasse übernehmen sollte. Der Schulvorstand stimmte unter der Voraussetzung zu, dass Biebersheim sich nach Abschluss eines Anstellungsvertrages einer eingehenden Prüfung durch Lehrer Lasch unterziehen solle.102 Das Konsistorium erteilte ihm im Mai 1828 die Erlaubnis zum Unterricht im Talmud, ohne dass er sich einer Prüfung hatte unterziehen müssen.103 Nach Einrichtung der Mädchenklasse übernahm er den besagten Unterricht für die Erste Knabenklasse.104 Am 1. Januar 1827 richtete man eine Mädchenklasse und eine gemischte Elementarklasse ein und sorgte für die Schulbildung der Mädchen aller Altersstufen.105 Die Schule wurde bisher von 49 Knaben besucht, mit Erweiterung stieg die Gesamtschülerzahl auf 84 bei insgesamt 92 schulpflichtigen Kindern an.106 Woraus folgte, dass weitere Klassenräume benötigt wurden, sodass dem Mieter des ehemaligen Schulhauses in der Judenstraße 27, in dem auch Gerson Lasch wohnte, gekündigt wurde. Parallel dazu verhandelten die Administratoren mit der Gemeinde über die Anmietung eines weiteren Hauses. Das in Betracht kommende lag günstig in der Judenstraße 18, schräg gegenüber dem ersten Schulhaus. Es war an den Gemeindediener Fleischhauer vermietet, dem im Einvernehmen gekündigt werden konnte. Aufgrund seiner wesentlich größeren Räume nutzte man es fortan als Hauptschulhaus, der Mietbetrag belief sich auf 35 Taler jährlich.107 Es handelte sich um ein mehrgeschossiges Fachwerkhaus, Erdgeschoss und 1. Etage besaßen jeweils zwei Räume zur Straße hin, im hinteren Teil des Hauses befanden sich ein weiterer Raum und die Küche, das Dachgeschoss war vermietet.108

102 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 78–79. 103 HStAH, Schulakten, 2/475, Bl. 7. 104 Jacob Biebersheim hatte die Samson-Schule in Wolfenbüttel besucht und eine traditionelle religiöse Ausbildung erhalten. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 10. 105 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 67; vgl. dazu auch Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 14. 106 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 19–26. 107 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 64. 108 BauA H, A 3408. a. Die Nutzungsmöglichkeiten lassen sich an Hand der Baupläne von 1858 erkennen. Vgl. dazu Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 45f.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Abbildung 2: Blick in die Judenstraße (o. J.). Das Schulhaus in der Judenstraße 18 befand sich auf der linken Straßenseite, vor dem Haus mit der Außentreppe

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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Dokument 2: Grundriss des Erdgeschosses des Schulhauses in der Judenstraße 18 (1858)

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Es zeigte sich, dass die Schulbehörde großes Interesse an Aufbau und Entwicklung der jüdischen Elementarschule besaß. Bereits einige Monate nach der Erweiterung im Oktober 1827 besuchte Zerrenner, im Rahmen einer mehrtägigen Schulvisitation in Halberstadt, auch die Hascharath Zwi. Sein Bericht an die Königliche Regierung vom 26. Oktober 1827 fiel ausgesprochen positiv aus: Dem sehr verehrten Auftrage Euer Königlich Hochlöblichen Regierung vom 23ten Mai des Jahres habe ich vom 15ten dieses bei meiner Anwesenheit in Halberstadt, nachdem ich tageweise ein Einvernehmen mit sämtlichen israelitischen Lehrern genommen hatte, die israelitische Schule genau revidiert, und am Abend desselben Tages ein Empfang mit den Vorstehern der israelitischen Schule gehalten, sowie am 16ten den Oberlehrer Lasch noch bei einem besonderen Empfang die nötigen Eröffnungen gemacht. […] Ich habe alle vier Klassen, und jede in mehreren Lektionen besucht, und muß gestehen, das ein vieles ich auch fehlerhaft und mangelhaft gefunden, doch meine Erwartungen, eher übertroffen sind. Die Kinder wenn nicht nur indem, was der jüdische Kultus erfordert, waren auch in den Gegenständen, die hier auch eine mittlere christliche Bürgerschule gefordert, durchaus nicht zurück. Das Lesen wird nach der Lautmethode gelehrt, und in allen Klassen waren die besten Früchte des Unterrichts sichtbar. Im Rechnen waren Unterrichtsmethode in Fortschritten erfreulich, die Kinder konnten ziemlich gut Deutsch, in der Oberklasse waren recht gute Aufsätze geliefert, und in der Geschichte und Geographie hatten die Kinder manch gute Kenntnisse. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit der Unterricht im Lesen und Schreiben der jüdischen Fächer, das Lesen und Schreiben des hebräischen, der hebräische Sprachunterricht, das Lesen des Pentateuch, der historischen Schriften und das studieren des Talmud benötigt, so sind die Fortschritte, welche die Kinder in den übrigen Lehrfächern gemacht haben, wirklich ein sehr erfreuliches Zeugnis für den Fleiß des Lehrers.109

Der Visitationsbericht bestätigt, dass nun erstmals Rahmenbedingungen für einen modernen Unterricht geschaffen worden waren, der trotz Erweiterung der Elementarfächer den religiösen Charakter der Schule bewahrte. Noch nicht zufrieden war Zerrenner mit den pädagogischen und methodischen Fähigkeiten der Lehrer. Außerdem befand er den Unterricht in der Elementarklasse als zu umfangreich und riet zur Konzentration auf die wesentlichen Dinge. Bezüglich der Verbesserung der Methodik konstatierte er, dass die jüdischen Lehrer bereits von Zeit zu Zeit die Konferenzen der christlichen Lehrer besuchten und dort wertvolle Anregungen erhielten. Weiterhin befürwortete Zerrenner, im Einvernehmen mit den jüdischen Lehrern und mit Genehmigung der Regierung einen christlichen Lehrer hinzuzuziehen, der den jüdischen Lehrern mit „Rat und Tat“ zur Seite stehen und eventuell sogar Leitungsfunktion übernehmen solle. Dafür schlug er 109 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 91–92. Schreiben Zerrenners an die Regierung Magdeburg, 26. Oktober 1827. Am 9. November 1827 berichtete Zerrenner dem Kultusminister von Altenstein über die positive Entwicklung der Schule. GStA PK, I. HA Rep. 76 III Sekt. 18 Tit. XVI Nr. 1 Bd. 1, 1820–1838, Bl. 52.

Die Hascharath Zwi unter neuer Leitung 

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den Direktor des Halberstädter Lehrerseminars, Karl Gottlieb Friedrich Brederlow, vor, der im Jahre 1823 dessen Leitung übernommen hatte.110

Dokument 3: Lageplan der Judenstraße aus dem 19. Jahrhundert mit den beiden Schulhäusern Judenstraße 27 und Judenstraße 18

Obwohl Zerrenners Interesse am Aufbau der jüdischen Schule sowie Brederlows Unterstützung vom Schulvorstand durchaus begrüßt wurden, wies er den Vorschlag Zerrenners ab. Entschlossen teilte der Vorstand mit, dass man mit den Fähigkeiten des Oberlehrers Gerson Lasch und seiner Organisation des Schulbetriebs überaus zufrieden sei und keine Einmischung, auch nicht in die Lehrplangestaltung, dulden würde. Bezüglich pädagogischer Neuerungen zeigte man durchaus Kooperationsbereitschaft und wies Lasch an, hierfür Kontakt zu Brederlow aufzunehmen.111 Auch Brederlow signalisierte der Regierung seine Bereitschaft, sich „der jüdischen Schule in fachlicher Hinsicht anzunehmen und den bei dieser Schule angestellten Lehrern bei ihrem Streben, sich weiter zu bilden und ihre Schule zu

110 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 91–92. Schreiben Zerrenners an die Regierung Magdeburg, 26. Oktober 1827. Karl Gottlieb Friedrich Brederlow wurde 1794 in Ermsleben geboren und besuchte die Schule des Klosters „Unser Lieben Frauen“ in Magdeburg. Nach Studium und mehrjähriger Tätigkeit als Lehrer in verschiedenen Städten übernahm er auf Empfehlung seines Stiefbruders Zerrenner von 1824 bis 1833 die Direktorenstelle des Lehrerseminars in Halberstadt. Vgl. Kehr, Die Geschichte, 1878, S. 111f. 111 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 109. Schreiben der Administratoren an den Landrat Lehmann, 8. Januar 1828.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

verbessern, behilflich zu sein.“ Er beurteilte seine jüdischen Kollegen als überaus „strebsame und aufgeklärte junge Männer“, mit denen er wöchentlich im Rahmen der Hilfslehrerkonferenzen für die christlichen Kollegen über „Unterricht und Erziehung“ diskutiere. Nach seiner Auffassung besaßen die jüdischen Lehrer „Lust und Freisinn sich vieler Vorurteile zu entledigen“, würden aber „von den Vorstehern zu scharf beobachtet“ und ständen „in äußerer Hinsicht abhängig von der Gemeinde, als daß sie nur ein Gedanken wagen dürften, den christlichen Schulen, salon fide, etwas nachmachen zu wollen.“ Er versicherte, die jüdischen Lehrer in pädagogischen und methodischen Fragestellungen solange als nötig unterstützen und die Schule möglichst oft besuchen zu wollen. Der Regierung schlug er vor, die Hilfslehrer des Lehrerseminars auch für einige Zeit an der jüdischen Schule zu beschäftigen.112 Ein Jahr später verfasste Brederlow einen ausführlichen Bericht über die Ereignisse der Zwischenzeit. Diesem zufolge war Gerson Lasch äußerst motiviert und hatte sich mit großem Engagement in das Amt des Oberlehrers der Schule eingebracht, er leitete jetzt auch selbstständig die regelmäßig organisierten Schulkonferenzen, erstellte Conduitenlisten, Jahresrevisionen und Stundenpläne, bestimmte das jeweilige Klassenziel und befand in Abstimmung mit seinen Kollegen über die Versetzung der Schüler. Laut Brederlow war die Qualität des Unterrichts an der Hascharath Zwi in den allgemeinen Wissenschaften mit der an der Seminarschule, die als mittlere Bürgerschule galt, vergleichbar. Dazu hatte man in der oberen Klasse ein deutsches Lesebuch eingeführt, um die Methodik des Deutschunterrichts zu verbessern. Brederlow gelangte zu dem Ergebnis, dass die Schule nun stabile Rahmenbedingungen aufweise und die jüdischen Lehrer durchaus imstande seien, die Anstalt auch ohne seine Unterstützung selbstständig zu leiten. Im Hinblick auf die immer noch unsichere Situation der jüdischen Lehrer, deren Anstellungsverträge nur jeweils um ein Jahr verlängert wurden, schlug er vor, zumindest für Gerson Lasch und Ascher Samter vonseiten der

112 Ebd., Bl. 114–115. Schreiben Brederlows an die Regierung Magdeburg, 27. Februar 1828. Der zweite jüdische Lehrer Ascher Samter berichtet, dass er des Öfteren bei Brederlow zu Besuch gewesen und es dort zu anregenden Gesprächen gekommen sei. Vgl. Sammter, Skizzen, in: JP 9 (1878), Nr. 7, S. 79. Nach den Seminarstatuten sollten die Seminaristen ihre pädagogischen Fähigkeiten vervollkommnen, indem sie am Ende ihrer Ausbildung an der Seminarschule für ein Gehalt von 50 Talern als Hilfslehrer beschäftigt würden. Zu den Statuten der Seminarschule vgl. Kehr, Die Geschichte, 1878. S. 107f. Das Halberstädter Lehrerseminar wurde zwischen 1778 und 1878 lediglich von zwei jüdischen Lehramtsanwärtern, G. Jeretzky (1832) aus Halberstadt und M. Apelt (1853) aus Gröbzig, besucht. Vgl. Verzeichnis der Lehrer und Schüler des Königl. Schullehrer-Seminars zu Halberstadt von 1778–1878. Halberstadt 1878. S. 17, 27. Zur Ausbildung jüdischer Lehrer an allgemeinen Lehrerseminaren vgl. auch Brämer, Leistung, 2006, S. 161f.

Die Lehrer der reorganisierten Schule 

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Schulbehörde eine „wirkliche Bestallung zu erteilen“. Er versicherte, die Schule, wenn nötig, auch weiterhin unterstützen zu wollen.113 Der Bericht Brederlows wurde von Zerrenner als positive Bilanz bewertet, „Über den Zustand der dortigen israelitischen Schule haben wir mit Vergnügen das zunehmende Wachstum und die fortschreitende Verbesserung derselben mit Vergnügen entnommen und ersehen, dass die Administratoren dieser Schulanstalt mit regem Eifer und mancher Aufopferung zum erfreulichen Gedeihen derselben mitgearbeitet haben.“ Hinsichtlich der unsicheren Anstellungsverhältnisse für jüdische Lehrer sah man keine Veranlassung zum Eingreifen, obwohl Zerrenner selbst auf diesen Missstand aufmerksam gemacht hatte.114

2.4 Die Lehrer der reorganisierten Schule Entscheidend für die Entwicklung der Schule in den nächsten Jahrzehnten war die kontinuierliche Lehrtätigkeit des Oberlehrers Gerson Lasch und des Rechenlehrers Hirsch Joseph. Beide bestimmten über Jahrzehnte das Profil der Schule und unterhielten regen Kontakt zur Schulbehörde. Obwohl Gerson Lasch als eine der maßgeblichen Lehrerpersönlichkeiten der Hascharath Zwi betrachtet werden muss, der diese zudem auch über Jahrzehnte leitete, ließen sich über seine Herkunft und Ausbildung nur lückenhafte Angaben ermitteln. Er wurde 1803 als Sohn des Kaufmanns Ezekiel Lasch und dessen Ehefrau Sara Bella in Lissa, in der Provinz Posen geboren.115 Nachweislich hielt er sich ab 1820 in Halberstadt auf, zunächst als Hilfslehrer noch unter Leitung Magnus Rosenbachs, bis er, wie bereits erwähnt, nach zweijährigem Aufenthalt in Fürth im Jahre 1825 nach Halberstadt zurückkehrte und man den erst 22-Jährigen mit der Stelle des Oberlehrers betraute. Er heiratete am 13. Juni 1827 Sarah Herz, die Tochter des verstorbenen ersten Lehrers Juda Herz.116 Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor,

113 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 122–123. Schreiben Brederlows an die Regierung Magdeburg, 5. Dezember 1829. 114 Ebd., Bl. 124–125. Schreiben Zerrenners an Brederlow, 24. Dezember 1829. Was den Status und die „staatliche“ Anstellung jüdischer Lehrer betraf, so war noch lange keine Klärung in Sicht. So vertrat Justizminister Heinrich von Mühler noch 1841 die Auffassung, dass bei Gleichstellung der jüdischen Schulen deren Lehrer als „mittelbare Staatsbeamte angesehen werden müssten, wodurch das ganze Verhältniß verrückt werden würde: da jüdischen Lehrern sowenig als den Rabbinern und Vorlesern in den Synagogen ein solches Verhältnis zum Staate eingeräumt werden kann.“ Zitiert nach Brämer, Leistung, 2006, S. 120. 115 HStAH, Reg. Nr. 177/1883. 116 HStAH, Jü 001, Bl. 98.

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das erste Kind, Julius, wurde 1828 geboren, es folgten 1830 die Tochter Julie, 1832 der zweite Sohn Hirsch, der bereits ein Jahr später verstarb. Dazu kamen 1833 Salomon, genannt Sigmund, und 1835 Lina.117 Bei dem letzten Sohn Sigmund fügte es sich, dass sich die von ihm gegründete Handschuhfabrik mit der Heirat in die Familie Harwitz sich zu einem erfolgreichen Unternehmen entwickelte. Die älteste Tochter Julie heiratete in zweiter Ehe den Klausrabbiner Gerson Josaphat und die jüngste Tochter Lina den Bankier Issachar Bersson Baer. Über den Sohn Julius ist nur bekannt, dass er mit 53 Jahren in Berlin verstarb.118 Fest in das traditionelle Gemeindeleben integriert, gehörte Gerson Lasch zum Ausschuss zur Ernennung der Vorsänger und Schächter und übernahm nach dem Tod des Gemeindekantors Meier Jeretzky für einige Jahre dessen Amt.119 Im Rahmen seiner Gemeindetätigkeit engagierte er sich in dem bereits erwähnten Verein Tiferet Jeschurun und dessen mehrmals wöchentlich stattfindenden Lehrund Vortragsabenden, die er entscheidend mitgestaltete. Auch die Statuten des Vereins aus dem Jahre 1861 tragen seine Handschrift, diese hatte er gemeinsam mit Michael Nathan verfasst.120 Als Gerson Lasch 1841 vom Gemeindevorstand gebeten wurde, zu Pessach in der Synagoge einen Vortrag in deutscher Sprache zu halten, – den letzten hatte Magnus Rosenbach 28 Jahre zuvor gehalten, – wurde dieses Ereignis als etwas Besonderes wahrgenommen und mit Interesse in zwei deutsch-jüdischen Zeitschriften kommentiert. In der Allgemeinen Zeitung des Judenthums heißt es: „Denn eine viel bewegte Zeit (so ungefähr sprach auch Herr Lasch) ist über uns hinweggeschritten, Jahrzehnte haben mehr gewirkt als Jahrhunderte […]. Unsere Jugend, unsere Gemeinden bedürfen der Erweckung und Erhaltung wahrhaft religiösen Geistes in einer allen verständlichen, allen ansprechenden Form.“121 Auch Der Orient berichtete: „Nah und fern wird man sich wenn man dieses höret, mit Erstaunen ins Ohr flüstern, in Halberstadt am ersten Tage Pessach 1841 eine deutsche Predigt! Doch es ist dem so.“122 Laut Shulamit Volkov war diese neue Form der

117 Ebd., Bl. 101, 109, 114, 118, 127. 118 Zu den Familien Lasch und Harwitz vgl. Klamroth, Sabine: „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“. Juden im alten Halberstadt. Berlin 2014. S. 158–162. 119 Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 165. 120 CAHJP, TD 145, Takanot der Chewrah Tiferet Jeschurun zu Halberstadt. Halberstadt 1861, Bl. 2. 121 Laut des anonymen Autors heißt es weiter, „Gewiß stimmen alle, die ihn gehört, und nur sehr wenige fehlten, nicht nur in den Dank, den ich ihm hier öffentlich abstatte, herzlich ein, sodann wünschen auch, dass unser geehrter Vorstand, dem um so mehr Dank gebührt, als er selbst auf Hindernisse stößt, recht bald Herrn Lasch um die Wiederholung seiner Vorträge angehe.“ Zitiert nach Allgemeine Zeitung des Judenthums (AZJ) 5 (1841). Heft 19. S. 260. 122 Weiterhin heißt es, „Aber keineswegs war dieses etwa die erste, denn vor 28 Jahren schon hat der verstorbene würdige Rosenbach, in Folge seiner ihm von Seiten des ehemaligen westphälischen Consistoriums zu Kassel übertragenen Dienstfunktion als Rabbiner-Adjunkt in hiesiger

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Predigt in den orthodoxen Gemeinden nicht ungewöhnlich und konnte als Streben nach „jüdischer Öffentlichkeit“ interpretiert werden. Mit einem Beitrag zum jüdischen Gottesdienst beauftragte man zumeist Lehrer, die mit deutscher Bildung vertraut waren.123 Auch die von Lasch verfasste Rede anlässlich des Todes Friedrich Wilhelms III. und ebenso die einige Monate später zur Ernennung Friedrich Wilhelms IV. zum neuen preußischen König spiegelten eine liberale und staatstreue Haltung sowie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wider.124 Gerson Lasch besaß nicht nur die Sympathie der überwiegend gesetzestreuen Gemeindemitglieder, sondern auch die der wenigen Reformanhänger. Das Haus der Familie Lasch war ein offenes und modernes, sein ehemaliger Schüler und Pensionär Julius Oppenheimer berichtete: „Hier fand sich jeder aus der Gemeinde ein und zurecht, ob orthodox oder freisinnig veranlagt; Rabbi Lasch verstand es zu vermitteln, weil er mehr den sittlichen Gedanken des Judentums als die äußere Handhabe desselben betonte.“125 Neben stundenweise erteiltem Privatunterricht war es üblich, dass die Lehrer aufgrund ihres geringen Gehalts Pensionäre aufnahmen. Dies geschah einerseits um die eigene finanzielle Situation zu verbessern, andererseits um Kinder in Not geratener Verwandter zu unterstützen. Die Familie Lasch hatte Pensionäre meist aus der näheren Umgebung Halberstadts, z.  B. aus Croppenstedt, Güsten oder Osterwick, aufgenommen; auch aus Posen und Hamburg kommende Schüler fanden bei ihr Aufnahme und Betreuung.126 Gerson Lasch wird als eher besonne-

Stadt, am ersten Tage Pessach sowohl, als auch an anderen Festtagen, an derselben Stelle deutsche Predigten gehalten. Da aber erst nach Ablauf eines so langen Zeitraumes hier im Orte wiederum damit der Anfang gemacht wurde, so kann man dieses mit vollem Rechte als den allerersten Schritt zeitgemäßer Verbesserung betrachten.“ Zitiert nach Der Orient 2 (1841). Nr. 18. S. 141. 123 Volkov, Shulamit: Die Juden in Deutschland 1780–1918. München 1994. S. 32f. 124 „Zahlreich sind die Wohltaten, die wir Israeliten Preußens, der Gnade unserer weltberühmten, gerechten und weisen Könige verdanken. Keine jener schmachvollen, Wahrheit und Menschenwürde höhenden Handlungen, die der Fanatismus und die Geistes-Finsternis anderer Länder gegen Israel hervorgerufen, hat jemals, die wunderbar historische Entwicklung unseres Vaterlandes befleckt; und seitdem das Königswort unseres hochseligen unvergeßlichen Landesvaters uns bürgerliche Rechte verliehen, sehen wir einer besseren Zukunft entgegen, und können diese mit vollem Vertrauen unter der Regierung unseres allergnädigsten Königs Friedrich Wilhelm IV. erwarten.“ Zitiert nach Lasch, Gerson: Zwei Reden gehalten zur Gedächtnißfeier Sr. Maj. des hochseligen Königs Friedrich Wilhelm III. am 20. Juni 1840 und zur Huldigungsfeier Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. am 19. Oktober 1840 in der Synagoge zu Halberstadt. Halberstadt (o. J.). S. 3–16, hier S. 13. 125 Julius Oppenheimer, Memoiren eines greisen Kindes, Leo Baeck Institut, Jüdisches Museum Berlin (LBIJMB) MM 61, Bl. 44. 126 HStAH, Häuserliste, Haus Nr. 1522, Bl. 13. Zu den Pensionären gehörten Julius Blumenthal aus Croppenstedt, Hermann Hirsch, Menasse Gottschalk, Salomon Goldschmidt und Itzig Hirsch

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ner und zurückhaltender Pädagoge bezeichnet, dennoch gehörte er zu denen, die den neuen Lehrmethoden aufgeschlossen gegenüberstanden. Wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Schule nahm der Rechenlehrer Hirsch Joseph.127 Als einziger männlicher Nachfahre Jacob Josephs und der aus Groningen stammenden Edel Levi wurde Hirsch Joseph 1803 in Quedlinburg geboren.128 In Halberstadt hielt er sich bereits vor seiner Tätigkeit als Privatlehrer auf. Die Familie Nathan hatte den Waisenjungen aufgenommen und zusammen mit ihren Kindern unterrichten lassen, bis er im Alter von 16 Jahren die Stelle als Privatlehrer im Hause der Familie übernahm. Er erteilte den Nathan-Kindern – und später ebenso anderen jüdischen Kindern – nicht nur religiösen, sondern auch Unterricht in Rechnen und Lesen.129 Hirsch Joseph heiratete im fortgeschrittenen Alter seine Nichte Therese Frankenbach.130 Das erste Kind Adele wurde 1845 geboren, es folgten 1847 Julius Jacob, 1850 Moses genannt Moritz und 1852 Egmont Ephraim. 131 Der älteste Sohn Julius betrieb nach seiner Ausbildung bei seinem Onkel in Eisleben einen Handel mit Häuten und Fellen in Leipzig. Er kehrte 1885 mit seiner Familie nach Halberstadt zurück und setzte dort sein Geschäft fort.132 Der zweite Sohn Moritz trat in das Bankgeschäft von J. B. Baer ein und engagierte sich in den wohltätigen Vereinen der Gemeinde.133 Als Hirsch Josephs Frau 1854 im Alter von 36 Jahren starb, heiratete er drei Jahre später deren Schwester Pauline Frankenbach.134 Zunächst hatte das neue Lehrerkollegium, das sich aus Gerson Lasch, Ascher Samter, Hirsch Joseph und Jacob Biebersheim zusammensetzte, innerjüdische Differenzen zu bewältigen, es standen erneute Beschwerden des Kaufmanns

aus Güsten sowie weitere Schüler aus Hamburg und Posen. 127 Mein besonderer Dank gilt dem verstorbenen Eric J. Mayer (Israel), einem Nachfahren der Familie Joseph, der mir aufschlussreiche Familiendokumente aus seinem Privatbesitz zur Verfügung stellte, u. a. ein unveröffentlichtes Manuskript mit dem Titel The Josephs of Halberstadt, im Folgenden zitiert als Mayer, The Josephs, S. 1–9. 128 Hirsch Josephs Großvater, der aus Hoym stammende Moses Joseph, erhielt 1769 einen Schutzbrief der Äbtissin Anna Amalia, der Schwester des preußischen Königs Friedrich II., mit dem Niederlassungsrecht in Quedlinburg, um dort Handel zu treiben. Eine Abbildung und Übersetzung des Schutzbriefes befindet sich in Hartmann, Zu Geschichte, 1994, S. 21–22. 129 Vgl. Der Israelit 10 (1869). Nr. 51. S. 994. Bei der Familie Nathan handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Handelsmann und ab 1824 zum Schulvorstand der Hascharath Zwi gehörenden Wolff Nathan. Ob Hirsch Joseph beide Eltern oder nur einen Elternteil verloren hatte, ließ sich nicht ermitteln. 130 Wann die Eheleute geheiratet haben, lässt sich den Quellen nicht entnehmen, vermutlich jedoch 1843 oder 1844. 131 HStAH, Jü 001, Bl. 165, 175, 195, 209. Vgl. dazu auch Mayer, The Josephs, S. 5. 132 Vgl. ebd., S. 5–7. 133 www.Juden-im-alten-halberstadt.de/Menschen, Moritz Joseph, (Stand 14. 3. 2016). 134 HStAH, Jü 001, Bl. 228, 242. Vgl. Mayer, The Josephs, S. 5.

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Wolff Böhme an. Bei der Anstellung des nicht geprüften, aber 1828 von der Regierung bestätigten Talmudlehrers Jacob Biebersheim im Zusammenhang mit der Einrichtung der Mädchenschule gerieten der Schulvorstand wie auch Gerson Lasch in den Blickpunkt weiterer Kritik. Wolff Böhmes erste offizielle Beschwerde im Jahre 1825 über „Zerfall“ und eingeschlichenen „Indifferentismus des jüdischen Schul- und Gemeindevorstands“ kann insofern als positiv gewertet werden, als sie den Stein ins Rollen gebracht hatte. Nun polemisierte er gegen den Talmudlehrer Jacob Biebersheim, den er als „kränkliches und schwächliches kleines Männchen“ beschrieb, vor dem die 28 Knaben keine Furcht hätten, und äußerte in diesem Zusammenhang seine Einschätzung, dass diese mit der Zeit ganz verwildern würden. Ungeachtet der Tatsache, dass Gerson Lasch und der Schulvorstand weiterhin an Biebersheim festhielten, schlug er die Anstellung eines christlichen Hilfslehrers vor, sodass Lasch wieder den Talmudunterricht übernehmen könne.135 Im März 1827 beschwerte sich Böhme erneut über die Einstellung des nicht geprüften Talmudlehrers, diesmal direkt bei der Regierung. Er nutze diesen Anlass zu dem Versuch, die Regierung zu überzeugen, die Schule unter besondere Aufsicht des Magistrats oder der städtischen Schulkommission zu stellen.136 Die Administratoren reagierten mit Empörung auf diesen Vorstoß Böhmes, wandten sich ihrerseits an die Regierung und lehnten seinen Vorschlag mit der durchaus berechtigten Begründung ab, dass es wesentlich schwieriger sei, einen qualifizierten jüdischen Lehrer anzustellen, der über ausreichend säkulares Wissen verfüge, als einen Talmudlehrer.137 Dennoch forderte die Regierung die Kündigung Jacob Biebersheims, sollte er sich keiner Prüfung unterziehen. Dazu kam es jedoch nicht, da die Administratoren gegenüber der Regierung erklärten, dass es sich bei dem Talmudunterricht um externe Lehrstunden handele, die außerhalb der obligatorischen Unterrichtszeit der Hascharath Zwi stattfänden.138 Der Einspruch war erfolgreich, die Kündigungsforderung wurde zurückgezogen und Jacob Biebersheim am 10. Mai 1828 als Talmudlehrer von der Regierung bestätigt, ohne sich zuvor einer Prüfung unterzogen zu haben.139 Unterdessen hatte sich die angespannte Situation zwischen Schulvorstand und einigen kritischen Stimmen aus der Gemeinde beruhigt. Auch Wolff Böhme

135 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 100–101. Schreiben Böhmes an den Magistrat, 9. Februar 1827. 136 Ebd., Bl. 98–99. Schreiben Böhmes an die Regierung Magdeburg, 18. März 1827. 137 Ebd., Bl. 81–82. Schreiben der Administratoren an die Regierung Magdeburg, 20. Mai 1827. 138 Ebd., Bl. 72–75. Schreiben der Administratoren an die Regierung Magdeburg, 16. August 1827. 139 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 14.

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äußerte sich vorerst zufrieden über Organisation und Werdegang der Schule: „Nun mehr unterliegt es keinem Zweifel mehr, dass die hiesige israelitische Jugend zu brauchbaren und nützlichen Bürgern fortan ausgebildet wird, und werden diese in Zukunft den hohen Anordnungen von Seiten ihrer Königlich Hochlöblichen Regierung als Männer anerkennen.“140 1830 war zusätzlich für den Unterricht in Schreiben und Lesen Lehrer Meyer Elkan eingestellt worden, der seine Prüfung in Magdeburg mit einem guten Ergebnis abgeschlossen hatte. Neben seiner Tätigkeit an der Hascharath Zwi war er als Privatsekretär des bereits genannten Kaufmanns Wolff Böhme tätig. Nach wenigen Monaten gab er seine Lehrtätigkeit jedoch wieder auf, da ihm eine Stelle als Lehrer in Minden angeboten worden war.141 Als der zweite Lehrer, Ascher Samter, der bisher hauptsächlich den Unterricht in der zweiten Knabenklasse versehen hatte, seine Stelle Ende 1833 aufgab, rückte Hirsch Joseph an dessen Position. Dennoch blieb die Stelle des dritten Lehrers bis 1834 vakant.142 Die Besetzung frei gewordener Lehrerstellen mit qualifizierten Lehrern erwies sich nach wie vor als schwierig, doch das hinderte Wolff Böhme nicht daran, die Gelegenheit zu nutzen und sich abermals an den Magistrat zu wenden und zu fordern, diese schnellstmöglich wieder mit einem befähigten Lehrer zu besetzen. Der Magistrat leitete die Beschwerde Böhmes an die Regierung weiter.143 Der Vorstand reagierte sofort und wies am 20. März 1834 bei einer Sitzung in Anwesenheit des Landrats darauf hin, dass trotz intensiver Bemühungen die Stelle aus Mangel an geprüften und geeigneten Lehrern noch nicht wieder mit einem jüdischen Elementarlehrer habe besetzt werden können. Man versicherte

140 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 116. Schreiben Böhmes an die Regierung Magdeburg, 31. März 1828. Wolff Böhme hielt auch weiterhin am Aufklärungsgedanken des Konsistoriums fest. Zusammenmit mit Baruch Levi Lilienfeld und Alexi Hirsch als Halberstädter Abordnung und dem Vorsteher Dahlheim und zwei weiteren Gemeindemitgliedern der jüdischen Gemeinde Salzwedel richtete er 1834 ein Gesuch an die Regierung Magdeburg zur „Wiederanstellung eines israelitischen Konsistoriums“. Sie forderten, ebenso wie zu Konsistorialzeiten eine eigenständige jüdische Behörde zu genehmigen, welche Kultus- und Unterrichtsangelegenheiten der jüdischen Gemeinden der Provinz Sachsen regeln solle. LHASA, MD, Rep. C 28 If, Nr. 958, Bl. 2–5. 141 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 12, 15. 142 Ascher Samter gab 1833 seine Stelle an der Hascharath Zwi auf. Nach seinem Ausscheiden legte er die Reifeprüfung am Domgymnasium ab und setzte seine Studien in Berlin fort. Er promovierte 1837 in Jena und wurde danach als Rabbiner und Elementarlehrer nach Liegnitz (Niederschlesien) berufen. 1854 legte er das Amt nieder und widmete sich literarisch-publizistischer Tätigkeit. Seit 1867 lebte er zurückgezogen in Berlin, wo er 1887 starb. Vgl. den Nachruf auf Ascher Samter vom 1. Februar 1887, in: JP 9 (1887). Nr. 5. S. 51. Vgl. auch Brocke, Michael u. Julius Carlebach (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Rabbiner. Teil 1. Bd. 2. Bearbeitet von Carsten Wilke. München 2004. S. 773. 143 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 127.

Die Lehrer der reorganisierten Schule 

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aber, dass durch das Ausscheiden kein Unterricht ausgefallen sei, da ein Lehrer der Johannis-Schule diesen übernommen habe. Ferner hatte man 1830 den jungen Lehramtsanwärter Samuel Baer144, der einige Jahre das Domgymnasium besucht und durch Privatstudium gute religiöse Kenntnisse erworben hatte, als Hilfslehrer in das Kollegium aufgenommen mit der besonderen Auflage, nur unter Aufsicht Gerson Laschs einige Unterrichtstunden erteilen zu dürfen. Bezüglich seiner Festanstellung ließen sich die Administratoren allerdings viel Zeit, erst nach vier Jahren befanden sie ihn für ausreichend qualifiziert, sich der Lehrerprüfung zu unterziehen, und stellten ihm im Falle des bestandenen Examens eine Anstellung in Aussicht.145 Im November 1834 unterzog sich Baer der Lehrerprüfung und wurde danach als ordentlicher Lehrer eingestellt;146 er unterrichtete 20 Wochenstunden und erhielt 75 Taler Jahresgehalt. Aufgrund des geringen Gehalts und der begrenzten Chancen auf eine besser dotierte Stelle orientierte er sich anderweitig. Trotz bestandener Prüfung wandte er sich 1837 erneut an die Provinzialbehörde und bat abermals um einen Prüfungstermin zum Elementar- und Religionslehrer.147 Das Zeugnis, das ihm die Administratoren im Oktober 1837 ausstellten, fiel überaus zufriedenstellend aus und man bedauerte seine Kündigung und seinen Weggang.148 Samuel Baer wie auch sein christlicher Kollege Bening von der Johannis-Schule verließen 1838 die Hascharath Zwi. Angesichts der geringen Schülerzahl vereinigte man beider Stellen und stellte den christlichen Seminarlehrer Senger ein, der sowohl an dem Lehrerseminar als auch an der jüdischen Schule unterrichtete und für letztere Tätigkeit 40 Taler Gehalt bezog.149 Im August 1838 starb der Talmudlehrer Jacob Biebersheim,150 seine Stelle wurde nicht wieder neu besetzt und fortan übernahm, nach Absprache mit dem Schulvorstand, Gerson Lasch den Talmudunterricht der Ersten Knabenklasse. 1840 verließ der Lehrer Senger die Schule, ihm folgte Magnus Odening, Lehrer der St.-Moritz-Gemeindeschule, der bis 1845 blieb.151 Nach seinem Ausscheiden entschied der

144 Samuel Baer wurde 1811 in Halberstadt geboren als Sohn des Handelsmannes Israel Samuel Baer und seiner Ehefrau Friedericke, geb. Salomon. HStAH, Jü 001, Bl. 31. Sein Vater hatte sich, wie bereits erwähnt, 1825 zusammen mit Wolff Böhme über das unbefriedigende Schulkonzept der Hascharath Zwi beschwert und sich für eine allen Kindern zugängliche jüdische Schule eingesetzt. 145 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 128–129. Protokoll der Sitzung vom 20. März 1834. 146 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 29. 147 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 136. Schreiben Baers an die Regierung Magdeburg, 14. April 1837. 148 CJA, 1, 75 A Ha 2, Nr. 61, #3553, Bl. 3. 149 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 141r.; HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 39. 150 HStAH, Jü 001, 1709–1875, Bl. 139. 151 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 29–60.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Schulvorstand gegen die Vorgabe des Borchertschen Testaments, keinen christlichen Lehrer mehr einzustellen, die dritte Lehrerstelle vielmehr mit einem examinierten jüdischen Elementarlehrer zu besetzen, und begründete dies damit, dass die jüdischen Lehrer in den allgemeinen Fächern mittlerweile besser ausgebildet seien als bei Gründung der Schule. Die Wahl fiel auf Samuel Baer, der wieder nach Halberstadt zurückgekehrt war.152

2.5 Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands Betrachtet man die Quellenlage der Jahre 1838/1839 und den regen, aufschlussreichen Schriftverkehr zwischen Lehrern, Magistrat und Provinzialschulbehörde, so wird deutlich, dass ein alter Konflikt neu aufflammte. Die Lehrer waren mit der Organisation und dem Führungsstil der Administratoren nicht einverstanden und sahen keine Möglichkeit, die unterschiedlichen Auffassungen mit dem Schulvorstand intern zu klären. Da die Schule unter staatlicher Aufsicht stand, nutzten sie die Möglichkeit, nun auch offiziell Beschwerde beim Provinzialschulkollegium einzulegen. In erster Linie war es Hirsch Joseph, der sich veranlasst sah, die vom Schulvorstand getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen und dessen Vorgehensweise zu kritisieren. Er wandte sich am 8. März 1838 an das Provinzialschulkollegium und beanstandete die Personalentscheidungen, den geringen Verdienst der Lehrer, die unübersichtlich geführten Revisionsberichte und die vom Schulvorstand nicht wieder besetzten Stellen. In den unzulänglich geführten Jahresbilanzen der Schule, die bereits vor 1838 mit Fehlbeträgen abgeschlossen worden waren, und in der ablehnenden Haltung der Gemeinde, die entstandenen Differenzbeträge auszugleichen, sah er eine Gefahr für deren finanzielle Existenz. Auch war es zu erneuten finanziellen Einbußen u. a. durch die Senkung des Zinssatzes für den Stiftungsfonds gekommen, wodurch der Schule eine geringere Summe zur Verfügung stand. Laut Joseph wurden zudem unregelmäßig und willkürlich Schulgeldforderungen sowohl für die Elementar- als auch für

152 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 69r–70. Schreiben der Administratoren an den Magistrat, 30. Dezember 1845. Samuel Baer hatte nach seiner Kündigung eine Stelle als Privatlehrer in Altona angenommen, die er im Februar 1840 wieder aufgab. In seinem Zeugnis bescheinigte ihm der Oberrabbiner Jacob Ettlinger, der die von Baer unterrichteten Schüler von Zeit zu Zeit einer ausführlichen Prüfung unterzogen hatte, gute Kenntnisse in den Religions- und Elementarfächern und lobte seine Unterrichtsmethoden. CJA, 1, 75 A Ha 2, Nr. 61, #3553, Bl. 3. Über die Tätigkeit Samuel Baers bis zur Wiederanstellung an der Hascharath Zwi im Jahre 1845 lassen sich keine Angaben machen.

Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands 

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die Religionsschule erhoben, da es der Schulvorstand versäumt hatte, hierfür eine einheitliche Regelung zu treffen. Schließlich monierte er die 33 Taler, die der Rechnungsführer Juda Alexander für die Einforderung des von den Eltern zu entrichtenden Schulgeldes zusätzlich zu seinem Gehalt erhielt, als überhöht.153 Vor diesem Hintergrund verfasste Hirsch Joseph einen Plan zur Verbesserung der allgemeinen Schulsituation und bat die Regierung um Unterstützung bei dessen Umsetzung. Die ersten Punkte umfassten Vorschläge zur Minderung der Ausgaben bei gleichzeitiger Erhöhung der Einnahmen: Es sollten das Gehalt des Rechnungsführers gekürzt und die jüdische Gemeinde an den Kosten der Schule beteiligt werden. Besonders war ihm an einer genauen Aufstellung der jährlichen Revisionsberichte gelegen, die fortan nicht mehr allein vom Rendanten, sondern unter Mitwirkung Gerson Laschs erstellt und zur Kontrolle der Schulbehörde vorgelegt werden sollten. Auch regelmäßige Vorstandssitzungen mit Teilnahme der Lehrer erachtete er als notwendig und in einem Zweimonatsturnus für angebracht. Diesbezüglich forderte er, die Protokolle der Vorstandssitzungen dem Magistrat und auf Verlangen der Regierung vorzulegen. Unerlässlich schien ihm die pünktliche und nach Möglichkeit auch monatliche Auszahlung der Lehrergehälter durch den Schulvorstand. Weitere Forderungen betrafen einheitliche Schulgelderhebungen, identische Unterrichtszeiten während der Sommer- und Wintermonate und die Festlegung der Ferienzeiten. Laut Joseph befand sich die Schule „derzeit von Seiten der Lehrer und Schüler in sehr gutem Stande“, dennoch fürchtete er um ihre Existenz, „die Schule könnte unter der jetzigen Verwaltung mit der Zeit von außen verwahrlosen, ganz aufhören zu bestehen und sich wieder in ein bloßes Talmudisches Institut für sechs arme Kinder umwandeln.“154 In erster Linie lag ihm an der wirtschaftlichen Absicherung des Instituts, für dessen Fortbestehen ein präventiv kalkulierter Finanzierungsplan unumgänglich sei, da die Gemeinde zu diesem Zeitpunkt aufgrund finanzieller Nöte nicht in der Lage sei, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Eindeutig zielten seine Forderungen auf mehr staatliche Kontrolle durch die Schulbehörde bezüglich der äußeren Schulorganisation.155 Erst einmal reagierte die Schulbehörde Magdeburg nicht auf sein Ersuchen. Dies bestätigt sein erneutes Schreiben vom 24. Januar 1839 an das Provinzialkonsistorium. Obwohl er einräumte, dass mittlerweile einige Punkte geklärt seien,

153 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 140–151. Schreiben Josephs an die Regierung Magdeburg, 8. März 1838. 154 Ebd., Bl. 140–151, hier Bl. 147r. 155 Zu den Steuerabgaben und der angehäuften Schuldenlast der Gemeinde um 1800 vgl. Hildesheimer, Esriel: Die Verwaltung der jüdischen Gemeinde zu Halberstadt, zugleich als Beitrag zur Geschichte der Israeliten in den letzten Jahrhunderten. Halberstadt 1840. S. 22–30; Auerbach, Geschichte, 1866, S. 117– 123.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

führte er abermals die unzureichenden organisatorischen Umstände an und wiederholte seine Eingabe.156 Währenddessen hatte die Regierung die Beschwerden Josephs an den Magistrat weitergeleitet, der seinerseits zunächst nicht reagierte, woraufhin sich die Regierung am 28. November erneut an ihn wandte.157 Der Halberstädter Bürgermeister Julius von Brünken beteuerte, sich der Sache annehmen zu wollen, sowie alle Mitglieder des Schulvorstandes von den Messen in Frankfurt, Braunschweig und Leipzig zurückgekehrt seien.158 Das von Brünken verfasste Protokoll vom 8. Mai 1839 zeigt, dass man Hirsch Joseph zu einem Treffen ins Rathaus bestellt hatte. Bei diesem informierte sich von Brünken über die organisatorischen Belange der Schule und Hirsch Joseph berichtete, dass das Schulgeld für jedes Kind unabhängig von Alter und Klasse jährlich fünf Taler betrage, einige würden etwas mehr, die meisten jedoch weniger entrichten. Die Schulgeldbeträge beliefen sich auf ca. 90 und die der Religionsschule auf ca. zehn Taler, für deren Einforderung der neu ernannte Rechnungsführer Abraham Hildesheimer insgesamt 50 Taler Gehalt erhalte. Außerdem hätte man bereits, so Josephs abschließende Ausführung, die beiden vakanten Stellen im Schulvorstand neu besetzt. Dabei handelte es sich um die Klausrabbiner Joseph Egers und Gerson Josaphat.159 Daraufhin folgte eine Besprechung mit Gerson Lasch, in der von Brünken diesem einige Vorschläge unterbreitete. Zunächst sei es ratsam, einen Überblick über die finanzielle Lage der Schule zu erhalten und die von Schulvorstand und Lehrern gemeinsam erstellten jährlichen Revisionsberichte dem Magistrat vorzulegen. Von Brünken bestätigte, dass eine Absicherung allein durch Fonds und Schulgelder nicht mehr gewährleistet sei und somit die jüdische Gemeinde, die bisher in keiner Weise an der Finanzierung beteiligt gewesen sei, in die Pflicht genommen werden müsse, zumindest die Fehlbeträge zu begleichen, u. a. könne

156 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 174–177. Schreiben Josephs an die Regierung Magdeburg, 24. Januar 1839. 157 Ebd., Bl. 171. Schreiben der Regierung Magdeburg an den Magistrat, 28. November 1838. 158 Ebd., Bl. 179–180. Schreiben von Brünkens an die Regierung Magdeburg, 5. Februar 1839. 159 Ebd., Bl. 198–200. Außer Joseph Egers und Gerson Josaphat gehörten Juda Alexander, der Kaufmann Samuel Hirschfeld, Aron Hirsch, Wolff Nathan und als neuer Rechnungsführer Abraham Hildesheimer zum Schulvorstand. Gerson Josaphat, 1808 in Kassel geboren, wurde von seinem Vater und einem Hauslehrer unterrichtet und wechselte mit 18 Jahren an die Jeschiwa des Rabbiners Josef Ettlinger nach Mannheim. Nach Studienaufenthalten in Bonn und Marburg übernahm er die Stelle des Hauslehrers bei Kosmann Behrend in Hannover bis er 1835 zum Rabbiner an die Klaus berufen wurde. Unter den Klausrabbinern Gerson Josaphat und Joseph Egers und dessen Nachfolger Isaak Lange gewann die Klaus mehr und mehr an Bedeutung. Vgl. den anonym verfassten Nachruf auf Gerson Josaphat vom 16. April 1883, in: JP (1883). Nr. 16/17. S. 182. Zu Gerson Josaphat vgl. auch Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 526.

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auch eine Schulgelderhöhung zur besseren finanziellen Lage der Schule beitragen. Einsparungsmaßnahmen ließen sich vornehmen, zum einen durch eine Reduzierung der Stundenzahl und zum anderen durch eine Umverteilung der Unterrichtsstunden. Dabei könnten die talmudischen Studien, zuvor von Gerson Lasch unterrichtet, von den Klausgelehrten übernommen werden, sodass dieser die Stunden des christlichen Lehrers übernehmen könne. Weiterhin hielt von Brünken es ebenso für notwendig, wie im Borchertschen Testament festgelegt, alle vier Wochen Schulvorstandssitzungen abzuhalten. Als äußerst ungünstig beurteilte er die neue Regelung zur Auszahlung der Gehälter, die nicht mehr monatlich, sondern aufgrund der gegebenen Situation nur noch vierteljährlich erfolgte. Des Weiteren befürwortete von Brünken einen schulfreien Nachmittag pro Monat wie in den christlichen Schulen. Er bestätigte, dass es bisher sehr schwierig gewesen sei, geeignete Personen für den Schulvorstand zu finden, die sich auch noch mit ganzer Hingabe diesem Amt widmeten; umso erfreulicher sei es, dass die zwei Klausrabbiner Egers und Josaphat dieses nun übernommen hätten.160 Bezüglich der regelmäßigen Teilnahme am Religionsunterricht hatte sich von Brünken bereits in einem vorherigen Schreiben an die Regierung gewandt. Er berief sich auf das Allgemeine Landrecht, welches vorsah, „die Eltern, vorzugsweise die Väter gesetzlich zu verpflichten den Kindern gemäß ihrem Stande den nötigen Unterricht in der Religion und nützlichen Kenntnisse geben zu lassen“. Eine abschließende Stellungnahme zum Religionsunterricht überließ er der Regierung,161 die nur wenige Monate später reagierte, indem der Oberregierungsrat der zweiten Abteilung für das Kirchen- und Schulwesen Hertel am 10. Mai ein Dekret erließ, „[…] daß künftig die von den dortigen schulpflichtigen Juden-Kinder der Religionsunterricht in der jüdischen Schule regelmäßig besucht werde, insofern die Eltern nicht etwa auch in dieser Hinsicht Privat-Unterricht ihren Kindern erteilen lassen.“162 Bevor von Brünken einen offiziellen Bericht an die Regierung in Magdeburg erstattete, bat er den Schulvorstand um eine Stellungnahme. Um sich einen Eindruck über die finanzielle Lage der Schule zu verschaffen, wies er die Administratoren an, alle vorhandenen Unterlagen, insbesondere die Revisionsberichte, bei dem vereinbarten Termin vorzulegen. Es erschienen Juda Alexander, Joseph Egers und Abraham Hildesheimer und erklärten, dass Samuel Hirschfeld, Isaac Helft, Aron Hirsch und Wolff Nathan aus beruflichen Gründen verhindert seien. Das Protokoll dieser Zusammenkunft zeigt, dass die erschienenen Mitglieder des Schulvorstandes bemüht waren, nachzuweisen, dass sie sich ihrem Amte mit

160 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 201–204. 161 Ebd., Bl. 183. Schreiben von Brünkens an die Regierung Magdeburg, 5. Februar 1839. 162 HStAH, Schulakten 2/766, Bl. 57. Schreiben des Oberregierungsrats Hertel an den Magistrat, 10. Mai 1839. Auch in späteren Verhandlungen nahm man immer wieder Bezug auf das Dekret.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

ganzer Hingabe widmeten. Zunächst legten sie das von 1825 bis 1838 in deutscher Sprache geführte Rechnungsbuch der Hascharath Zwi und der Talmud Tora vor, worin in einzelnen Jahresabrechnungen die genaue Verwendung der Gelder aufgeführt war. Die Begleichung einer eventuell anfallenden Differenz aus der jüdischen Gemeindekasse bzw. eine Erhöhung des Schulgeldes lehnten sie entschieden ab. Unter Verweis auf die angespannte finanzielle Situation führten sie aus, dass weder die verarmte Gemeinde noch einzelne Mitglieder in der Lage seien, die Schule zu unterstützen.163 Das Protokoll vom 16. Mai 1839 dokumentiert, dass der Vorstand sich zwar nicht weigerte, dem Magistrat und der Regierung Einsicht in die jährlichen Revisionsberichte des Instituts zu gewähren, aber alle weiteren, die Schulinterna betreffenden Vorschläge wie Auszahlungsmodalitäten der Lehrergehälter, Ferienregelung, Erteilung des Talmudunterrichtes durch die Klausgelehrten und eine Reduzierung von Unterrichtsstunden entschieden ablehnte. Man zeigte sich zwar bedingt kooperationsbereit, wünschte aber keine fortwährende Beaufsichtigung der jüdischen Schule durch den Magistrat oder die übergeordnete Schulbehörde; einer solchen füge man sich nur, falls die Regierung den Magistrat damit beauftragen würde.164 Das Protokoll vom 22. Mai 1839 bestätigt, dass in einigen Punkten noch kein Konsens zwischen Lehrern und Schulvorstand erreicht worden war, wozu die Ferienregelung und die Reduzierung der Unterrichtsstunden am Schabbat gehörten. Eine weitere Zusammenkunft wurde einberufen, und Lasch und Joseph betonten noch einmal, dass sie eine Kontrolle der Revisionsberichte durch den Magistrat als notwendig ansahen und eine intensivere Mitarbeit des Gemeinderabbiners Mathias Levian befürworteten.165

163 Zwischen 1830 und 1840 sank die Zahl der jüdischen Bewohner Halberstadts von 451 auf 342. Feist führt als Grund die private wirtschaftliche Situation des Einzelnen sowie die ernsthafte finanzielle Krise der Gemeinde in Folge der hohen Steuerbelastungen an. Einige Halberstädter Familien sahen in anderen Städten größere wirtschaftliche Möglichkeiten und ließen sich in Magdeburg, Berlin, Hamburg und Amsterdam nieder. Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 295f. 164 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 205–218. 165 Ebd., Bl. 221–222. Der Gemeinderabbiner Mathias Levian wurde 1787 in Erin in der Provinz Posen geboren. Mit 14 Jahren begleitete er seinen Talmudlehrer nach Berlin, um sich hier weiter zu bilden. Nach kurzem Aufenthalt in Dessau führte er seine Studien an der Halberstädter Jeschiwa fort, zunächst bei Sabel Eger und, als dieser nach Braunschweig berufen wurde, bei dessen Vater Löb Eger. Nach dem Tod Löb Egers unterstützte er zunächst Magnus Rosenbach in seinem Rabbineramt. Als auch dieser starb, berief man ihn 1824 zum Gemeinderabbiner. Er hatte sich den Ruf eines „tüchtigen Talmudisten“ erworben, doch geriet er aufgrund seiner lückenhaften Deutschkenntnisse bei sukzessiver Einführung deutscher Predigten immer wieder in die Kritik der Gemeinde. Beistand erhielt er von Gerson Lasch, der die deutschen Predigten für

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Nach der letzten Zusammenkunft im Rathaus erging einen Tag später, am 23. Mai, eine ausführliche Stellungnahme des Magistrats an die Regierung in Magdeburg. Zunächst bestätigte man die Unübersichtlichkeit der Revisionsberichte der beiden Institute und schlug vor, diese in Zukunft zuerst dem Magistrat vorzulegen. Eine Erhöhung des Schulgelds und eine regelmäßige Unterstützung aus der Gemeindekasse verwarf auch der Magistrat, da die jüdische Gemeinde dazu augenblicklich nicht in der Lage sei. Die 50 Taler Gehalt für den Rechnungsführer Abraham Hildesheimer befand man für durchaus angemessen. Man appellierte an die Mitglieder des Schulvorstandes, obwohl ehrenamtlich tätig, mit mehr Engagement die Aufgaben der Schule wahrzunehmen und diese im Sinne des Stifters zu leiten. Auch sollten, so der Magistrat, der Gemeinderabbiner mehr in den Verwaltungsablauf der Schule eingebunden und die Auszahlung der Lehrergehälter regelmäßig und monatlich vorgenommen werden. Da die geringe Klassenstärke es den Lehrern erlaubte, sich intensiv mit den einzelnen Schülern zu beschäftigen, befürwortete man die Reduzierung des Hebräischunterrichts. Die Einführung zusätzlicher Ferientage hatte der Schulvorstand bereits abgelehnt, sodass man diese Entscheidung der Königlichen Regierung überließ. Des Weiteren forderte der Magistrat, jährliche Revisionsberichte, Listen über die Schulgeldzahlungen der einzelnen Kinder, Lehrpläne, Lehrer- und Schülerlisten, Veränderungen der Lehrmittel und Leistungsziele zunächst ihm vorzulegen.166 Dem kam Gerson Lasch zeitnah nach und reichte im Juli 1839 einen umfangreichen Bericht über bestehende Klassenverhältnisse, den aktuellen und neuen Lehrplan sowie eine Übersicht über die Ferientage ein, der auch an die Regierung weitergeleitet wurde. Die Schule bestand zwar aus vier Klassen, hatte aber insgesamt nur noch 32 Schüler. Im Vergleich zum Lehrplan von 1827/1828 hatte man die Lehrplanverteilung etwas geändert und der geringen Schülerzahl angepasst. Lasch befürchtete, dass sich die Schülerzahl auch weiterhin noch verringern würde.167 Ohne auf den Lehrplan und die sinkenden Schülerzahlen einzugehen, erfolgte die Antwort der Schulbehörde auf den Bericht des Magistrats wenige Monate später. Am 21. September 1839 teilte die Regierung mit, dass die jüdische Elementarschule nicht direkt unter Regierungsaufsicht stehe, vielmehr solle „die unmittelbare Aufsicht über das innere und äußere Wesen der Schule“ auf jeden Fall bei den Administratoren verbleiben. Um allerdings die Revisionsberichte

ihn übernahm. Vgl. dazu den von Gerson Lasch verfassten Nachruf auf den am 22. August 1862 verstorbenen Mathias Levian, in: Der Israelit 3 (1862). Nr. 36. S. 293f. 166 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 193–197. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 23. Mai 1839. 167 Ebd., Bl. 227–234. Schreiben Laschs an den Magistrat, 19. Juli 1839.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

übersichtlicher und transparenter zu gestalten, wies die Regierung an, dem Magistrat jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres den Rechnungsplan sowohl für die Hascharath Zwi als auch für die Talmud Tora mit detaillierten Angaben über Einnahmen und Ausgaben vorzulegen, um diesen eventuell zu revidieren und danach zur Superrevision an die Regierung weiterzuleiten. Desgleichen sollte mit Lehrplänen, Listen der Schüler und deren Fehlzeiten und dem Ferienplan verfahren werden.168 Dieser Anweisung kam der Vorstand ohne Protest nach und reichte ab dem Jahre 1839 jährliche Revisionsberichte in tabellarischer Form mit übersichtlichen Postenaufstellungen zu allen Einnahmen und Ausgaben beider Institute ein.169 Zusätzlich fügte Lasch eine Aufstellung der von den einzelnen Schülern gezahlten Schulgeldbeträge bei.170 Damit waren zwar nicht alle Forderungen des Lehrers Hirsch Joseph erfüllt, dennoch sah er in der von der Regierung erlassenen Verfügung einen großen Fortschritt für das Fortbestehen der Schule, zumal die jährlichen Revisionsberichte die finanzielle Situation der Schule in Zukunft übersichtlicher dokumentieren sollten. Er wandte sich im November mit folgenden Ausführungen an die Regierung: Mein untertänigstes Gesuch vom 8. März 1838 ist nach den darin angeführten Hauptpunkten erfüllt, und ich bin meistenteils zufrieden gestellt. Die Verwaltung der hiesigen jüdischen Schule ist künftig nicht mehr der Willkür überlassen. Königlich Hochlöbliche Regierung nimmt sich derselben treulich an, und hat die Gewogenheit stets Aufsicht darüber führen zu wollen, so wird zukünftig nur Ordnung und Gerechtigkeit in derselben herrschen, die Schule für Lehrer und Schüler erträglicher und die Existenz der ersteren mehr gesichert seyn. Hierdurch hat Königlich Hochlöbliche Regierung auf ewige Geschlechter einer guten Sache in der hiesigen israelitischen Gemeinde gestiftet. Für alle diese Wohltaten also, für die darauf gewandte Müh, als auch besonders dafür, dass hochdieselbe sich auf immer einer neuen Arbeit unterzogen, bringe ich Pflicht und Schuldigkeit gemäß, mit der größten Freude hochderselben meinen gehorsamsten und untertänigsten Dank.171

Ein weiteres Problem bereiteten in diesen Jahren, wie bereits erwähnt, die sinkenden Schülerzahlen und die daraus resultierenden geringeren Schulgeldeinnahmen, die den Schulvorstand zu einer Kürzung der Lehrergehälter zwangen. Die anfängliche Schülerzahl nach Aufnahme der Mädchen im Jahre 1827 betrug ca. 90, die jedoch im Jahre 1840, durch Abwanderung einiger jüdischer Familien, auf einen Tiefstand von insgesamt 28 Schülern sank.172 Daraufhin sah man sich

168 Ebd., Bl. 237–238. Verfügung der Regierung Magdeburg, 21. Oktober 1839. 169 Ebd., Bl. 244–250; HStAH, Schulakten, 2/749, passim. 170 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 250. 171 Ebd., Bl. 239–240. Schreiben Josephs an die Regierung Magdeburg, 25. November 1839. 172 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 126.

Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands 

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genötigt, besagte Kürzungsmaßnahme durchzusetzen, da mit einer Erhöhung der Schülerzahlen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen war und jährlich ca. 40 Taler aufgrund geringerer Schulgeldeinnahmen fehlten. Man beschloss, die Gehälter der beiden Lehrer Lasch und Joseph um jeweils zwölf, das der Handarbeitslehrerin Julie Levy um fünf und das des Rechnungsführers um zehn Taler zu kürzen.173 Nachdem Lasch sich zuvor bemüht hatte, zusammen mit dem Vorstand eine andere Lösung zu finden, es aber zu keiner Annäherung gekommen war, legte er gegen die bevorstehenden Gehaltskürzungen Beschwerde bei der Regierung ein. Er argumentierte berechtigterweise, dass eine Familie von diesem geringen Gehalt nicht existieren könne, und schlug vor, das Schulgeld für die wohlhabenden Familienväter zu erhöhen und die 35 Taler Miete für das zweite, sich im Besitz der Gemeinde befindliche Schulhaus zu Gunsten der Schulkasse zu erlassen.174 Eine Antwort der Regierung ist nicht überliefert, doch blieb die Eingabe wohl erfolglos, da der Schulvorstand ab 1841 die Lehrergehälter kürzte.175 Die 1840er-Jahre gelten allgemein als unruhige Zeit; die bereits erwähnte hohe Abwanderungsquote hatte sich schwächend auf die Gemeindestruktur ausgewirkt. Hinzu kam, dass sich unter einzelnen Mitgliedern eine indifferente Haltung gegenüber der Gemeinde verbreitet hatte, die einherging mit einer schlechten Zahlungsmoral bezüglich der Gemeindesteuern. Die innerjüdischen Differenzen hielten auch weiterhin an, 1849 weigerten sich einige Gemeindemitglieder, Steuern zu entrichten, woraufhin der Gemeindevorstand beschloss, diese aus der Gemeinde auszuschließen.176 Weitere Beschwerden bzw. Auseinandersetzungen wurden ebenfalls auf Regierungsebene ausgetragen, wobei nicht der eigentliche Lehrbetrieb im Mittelpunkt stand, sondern, wie zuvor, die Haltung des Schulvorstands. Neben dem bereits genannten Wolff Böhme, der weiterhin, trotz einiger positiver Veränderungen, gegen den Schulvorstand anging, ergriff der zu den Reformanhängern gehörende Kaufmann Baruch Levi Lilienfeld177 einige Jahre später die Initiative und nutzte die Gelegenheit zu einer öffentlichen Konfrontation. Im April 1845 wandte er sich an die Regierung in Magdeburg und verwies zunächst auf die Bestimmungen des Borchertschen Testaments und die begonnenen Neuerungen

173 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 332–333. Auszug aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 1. April 1842. 174 Ebd., Bl. 294–299, hier Bl. 294–295. Schreiben Laschs an die Regierung Magdeburg, 28. Juli 1841. 175 HStAH, Schulakten, 2/749, Bl. 47–50, passim. 176 Vgl. Hildesheimer, Esriel: [Ohne Titel]. In: Der treue Zions-Wächter (TZW) 5 (1849). Nr. 8. S. 60–62; Nr. 13. S. 97–99; Feist, Geschichte, 2003, S. 76–78. 177 Der Kaufmann Baruch Levi Lilienfeld stammte aus Alsleben und ließ sich im Oktober 1826 in Halberstadt nieder. HStAH, Jü 001, Bl. 96.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

im jüdischen Schul- und Erziehungswesen während der Konsistorialzeit. Sein Hauptinteresse galt der Klärung, ob die Hascharath Zwi ein privates Institut oder eine allen Kindern offenstehende Gemeindeschule sei, eine Diskussion, die nach wie vor anhielt. Als Gemeindesyndikus und Familienvater vertrat er die Auffassung, dass die Hascharath Zwi, wie es Borchert bestimmt hatte, für alle Kinder zugänglich sein und somit als öffentliche jüdische Gemeindeschule und nicht als Privatinstitut geführt werden solle.178 Dem vorausgegangen waren wohl Unstimmigkeiten mit den Administratoren, die auf dem Status einer privaten Gemeindeschule beharrten.179 Des Weiteren kritisierte er die eigenmächtige Vorgehensweise des Schulvorstands, der ohne Einwilligung der Schulbehörde den Lektionsplan geändert und die Anzahl der Talmudstunden erhöht hatte. Zudem forderte er, die Stelle des christlichen Lehrers, die mit dem examinierten jüdischen Lehrer Samuel Baer besetzt worden war, wieder wie ursprünglich festgelegt, mit einem christlichen Lehrer zu besetzen, „dieser merke eher auf die jüdischen Angewohnheiten der Kinder, als die unter den Juden selbst großgewordenen jüdischen Lehrer.“180 Da seitens der Regierung keine Reaktion erfolgte, wandte er sich einige Monate später mit seinem Anliegen an den Magistrat.181 Auch dieser blieb erst einmal untätig, sodass Lilienfeld nochmals an die Regierung herantrat.182 Laut Aktenlage reagierte einige Wochen später der Magistrat und teilte der Regierung in einem umfangreichen Schreiben mit, dass man nicht auf die Beschwerde Lilienfelds eingehen werde, da „die Wünsche des Lilienfeld eine Abweichung von den stiftungsmäßig festgesetzten Bestimmungen wegen der Verwaltung und Verwendung des Schulfonds zur Folge haben und bei den Verhältnissen der Gemeinde und dem Vorstande keinen vollen Nutzen haben würde.“183 Auch die Administratoren schalteten sich ein, zeigten sich empört angesichts der Vorwürfe Lilienfelds und wandten sich ihrerseits an die Regierung. Laut Schulvorstand war ursprünglich die Einstellung eines christlichen Lehrers für den Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen erforderlich, da man zum Zeitpunkt der Schulgründung auf keine jüdischen Lehrer mit diesem Ausbildungshintergrund zurückgreifen konnte. Mittlerweile verfügten aber auch die jüdischen Lehrer über eine 178 Über die Problematik der in den Quellen ungenau definierten Begriffe wie jüdische „Privatschule“ und „Gemeindeschule“ sowie hinzukommende Attribuierungen wie „öffentlich“ oder „privat“ vgl. Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 64–66. 179 In der Auseinandersetzung um die Frage des Schulstatus berief man sich immer wieder auf das Testament Borcherts und interpretierte es zeitweise nach der jeweiligen Bedarfslage. 180 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 43–46. Schreiben Lilienfelds an die Regierung Magdeburg, 21. April 1845. 181 Ebd., Bl. 36–37. Schreiben Lilienfelds an den Magistrat, 18. Juli 1945. 182 Ebd., Bl. 32–35. Schreiben Lilienfelds an die Regierung Magdeburg, 1. August 1845. 183 Ebd., Bl. 40–42. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 25. September 1845.

Beschwerden wegen Verfehlungen des Schulvorstands 

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umfangreichere Ausbildung. Erschwert werde die Suche nach einem christlichen Lehrer, der diese Stunden zu übernehmen habe, dadurch, dass diese zeitgleich zu denen in christlichen Schulen abgehalten würden. Man bezeichnete die Vorwürfe Lilienfelds gar als „Denunziation“, allein die Tatsache, dass fünf Administratoren unterzeichnet hatten, zeigt, wie aufgebracht man darüber war.184 Die Beschwerden des Kaufmann Baruch Levi Lilienfelds hatten weite Kreise gezogen: Im März 1846 griff Konsistorial- und Schulrat Zerrenner diese noch einmal auf und wandte sich direkt an den seit 1840 amtierenden Kultusminister Eichhorn. Durchaus vertraut mit der jüdischen Schule, schilderte er diesem zunächst die gute Organisation und den Werdegang des Instituts, bevor er auf Lilienfelds Anliegen einging. Dessen Forderungen beständen laut Zerrenner darin, „die Befugnisse des jetzigen Schulvorstands in der unmittelbaren Verwaltung und Leitung der Schule einzuschränken und der israelitischen Gemeinde in ihrem Vorstande eine größere Einwirkung zu verschaffen“. Er befand diese Forderung als gegenstandslos, da einige Mitglieder des Schulvorstandes gleichzeitig auch dem Gemeindevorstand angehörten. Die Forderung, den Talmudunterricht zu reduzieren, lehnte Zerrenner ab; was die unbesetzte Stelle des christlichen Lehrers betraf, räumte er ein, dass diese wohl mit einem solchen hätte besetzt werden können, da in Halberstadt aufgrund des Lehrerseminars genügend Lehrer vorhanden seien. Die Frage der Statusbestimmung der jüdischen Schule war und blieb ungeklärt. Gegenüber dem Minister erklärte Zerrenner, dass er der Hascharath Zwi durchaus den „Charakter einer öffentlichen Elementarschule“ zugestehen würde, da diese doch allen Kindern der in Halberstadt wohnenden Israeliten geöffnet sei.185 Eichhorn reagierte wenige Wochen später: Wenn gleich ich der Ansicht der Königlichen Regierung, […], darin nicht beipflichten kann, daß die von dem Kaufmann Borchert […] gestiftete jüdische Schule in Halberstadt als eine öffentliche Schule zu behandeln ist, viel mehr angenommen werden muß, daß dieselbe nur gleiche Qualität und Rechte, mit an denen concessinierten Privat-Lehr-Anstalten hat, so finde ich doch umso weniger etwas dagegen zu erinnern, dass eine allgemeine Regulierung des jüdischen Schulwesens in Aussicht steht, durch welche der Königlichen Regierung Veranlassung gegeben werden wird, auch die Verhältnisse der jüdischen Schulen in Halberstadt in näherer Erwägung zu nehmen und dieselben fester zu ordnen. Dem Kaufmann Lilienfeld ist bei Rückgabe der eingereichten und beiliegenden Verfügung vom 24ten November hiernach zu bescheiden und bleibt es der Königlichen Regierung überlassen, hinsichtlich der einzelnen Beschwerdepunkte nach Maßgabe der Bemerkungen in den vorliegendem Berichte die weiteren Anordnungen zu treffen.186

184 Ebd., Bl. 69–71. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 30. Dezember 1845. Zu den Administratoren gehörten Joseph Hirsch, Juda Alexander, Joseph Egers, Joseph Heller und der Gemeinderabbiner Mathias Levian. 185 Ebd., Bl. 79–88. Schreiben Zerrenners an den Kultusminister Eichhorn, 31. März 1846. 186 Ebd., Bl. 89. Schreiben des Kultusministers Eichhorn an die Regierung Magdeburg, 24. April 1846. (Hervorhebung im Original).

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Damit vertröstete der nach dem Thronwechsel neu eingesetzte Kultusminister Eichhorn die Regierung auf das Gesetz über die Verhältnisse der Juden, das der erste Vereinigte Landtag im August 1847 auf den Weg bringen sollte. Im Vorfeld hatte man u. a. den bereits erwähnten Julius Rubo, jetzt Syndikus der jüdischen Gemeinde Berlin, mehrfach zu den Beratungen zur Ordnung des Kultus- und Unterrichtswesens hinzugezogen. Wobei eine Neuordnung des jüdischen Elementarbzw. Volksschulwesens dennoch hinter den Erwartungen zurückblieb, denn § 62 des Gesetzes regelte lediglich die Teilnahme am Religionsunterricht und lautete: „[…] eine jede Synagogen-Gemeinde ist aber verbunden, solche Einrichtungen zu treffen, dass es keinem jüdischen Kinde während des schulpflichtigen Alters an dem erforderlichen Religions-Unterricht fehlt.“187

2.6 Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher Betrachtet man die Lehrpläne bis zum 50-jährigen Jubiläum der Schule im Jahre 1846, so stellt sich einerseits die Frage nach den modernen Erziehungsideen der jüdischen Lehrer unter Bewahrung der jüdischen Tradition und nach ihren Zielvorgaben für die Schule, andererseits die nach den maßgeblichen Einflüssen des Provinzialkollegiums auf das jüdische Bildungswesen und nach seinen pädagogischen Modernisierungsabsichten. Obwohl nur noch drei Lehrpläne vorliegen, lassen sich dennoch Entwicklungstendenzen erkennen und darstellen. Als Gerson Lasch, in Anlehnung an den zuvor von Zerrenner erarbeiteten Lehrplan für die Hascharath Zwi, am 16. November 1827 den ersten offiziellen Lehrplan der Schule bei der Provinzialbehörde in Magdeburg einreichte, setzte sich dieser wie folgt zusammen:

187 Zitiert nach Freund, Ismar: Die Rechtstellung der Juden im preußischen Volksschulrecht nebst den bezüglichen Gesetzen, Verordnungen und Entscheidungen. Im Auftrag des Verbandes der deutschen Juden systematisch dargestellt. Berlin 1908. S. 345; Brammer, Annegret: Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preußen 1812 bis 1847, mit einem Ausblick auf das Gleichberechtigungsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1869. Berlin 1987. S. 333f.; Brämer, Leistung, 2006, S. 122f. Das Gesetz von 1847 verwendete bezüglich der jüdischen Gemeindeschulen Bezeichnungen wie „Privat-Lehranstalten“, „besondere öffentliche Schulen“ (§64) und „öffentliche jüdische Schulen“ (§67). Vgl. Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 345f. Damit stiftete man, so Miller-Kipp, mehr Verwirrung als zuvor, denn „hinter den zitierten Begriffen steht jedoch eine institutionelle Differenz insofern, als die ‚Privat-Lehranstalt‘ einer jüdischen Gemeinde bei Erfüllung bestimmter schulpolitischer Voraussetzungen als ‚öffentliche‘ Schule anerkannt und damit den kommunalen (christlichen) Ortsschulen formal gleichgestellt werden konnte.“ Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 65.

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Tabelle 4 Lehrplan der Hascharath Zwi für das Winterhalbjahr 1827/1828188 Unterrichtsfächer

Elementarklasse

Töchterklasse

Zweite Knabenklasse

Erste Knabenklasse

Religion 2 Talmud – Pentateuch – Bibelverse (Sprüche Salomonis) – Bibelverse (Das Buch Josua) – Biblische Geschichte – Hebräische Sprache – Hebräisch Lesen 10 Hebräische Grammatik – Deutsch Lesen 8 Deutsch Schreiben 3 Jüdisch Schreiben – Orthographie/kleine Aufsätze – Rechnen/Kopfrechnen 3 Gemeinnützige Kenntnisse 4 Handarbeiten –

2 – – – – 1 – – – 3 3 2 3 3 3 12

1 – 7 – 2 1 4 – – 3 3 2 4 3 2 –

2 7 4 2 – – – – 2 1 3 2 3 3 3 –

Gesamtstunden

32

32

32

30

Parallel dazu enthält der Lehrplan Zerrenners ergänzende Details: Wie auch an den christlichen Schulen war das Schuljahr in einen Winter- und einen Sommerkurs unterteilt, wobei – mit Rücksicht auf den jüdischen Kalender und seine Feste – dieser um einige Tage von dem christlichen abwich. Zunächst fand der Unterricht in allen vier Klassen sonntags bis freitags von neun bis zwölf Uhr und sonntags bis donnerstags von 14 bis 17 Uhr statt. Jeder Klasse wurde ein hauptverantwortlicher Lehrer zugeteilt, der auch den Großteil des Unterrichts in allen Lehrfächern zu versehen hatte. Die Elementarklasse wurde von 15 Knaben und 17 Mädchen besucht, den gesamten Unterricht erteilte Hirsch Joseph. Der Unterricht der Töchterklasse, mit 23 Mädchen, bestand in den Vormittagsstunden aus Religion, biblischer Geschichte, Deutsch, Rechnen, Orthografie und Gemeinnützigen Kenntnissen, wobei Gerson Lasch den religiösen und Ascher Samter den Elementarunterricht übernahmen. Am Nachmittag erhielten die Mädchen gemeinsam mit den Schülerinnen der Elementarklasse Handarbeitsunterricht. Die Zweite Knabenklasse, bestehend aus den Acht- bis

188 LHASA, Rep. C 28 II, Reg. Magdeburg. Nr. 3541, Bl. 103–104. Schreiben Laschs an die Regierung Magdeburg, 16. November 1827.

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Elfjährigen, wurde von 18 Schülern besucht. Den Vormittagsunterricht dominierten die religiösen Fächer wie Pentateuch und Religion, die von Samter und Biebersheim erteilt wurden und ungefähr 50 Prozent des gesamten Unterrichts ausmachten. Den Nachmittagsunterricht dominierten Elementarfächer wie Deutsch, Orthografie, Rechnen und Gemeinnützige Kenntnisse, die von Samter und dem christlichen Lehrer Schröder abgehalten wurden. Ähnlich verhielt es sich mit der Fächerverteilung der Ersten Knabenklasse; bestehend aus den Elf- bis Vierzehnjährigen, wurde diese von elf Schülern besucht. Der religiöse Unterricht fand am Vormittag statt und wurde von Jacob Biebersheim erteilt, am Nachmittag wurden Elementarfächer wie Deutsch, Orthografie, Rechnen, Gemeinnützige Kenntnisse, aber auch Hebräisch und Psalmen von Lasch und Schröder erteilt. Des Weiteren werden von Zerrenner für einige Fächer Lehrbücher empfohlen, wie z. B. für die Töchterklasse das Lehrbuch des jüdischen Schulreformers Peter Beer. Er hatte in seinem 1809/1810 erschienenen Religionslehrbuch Dat Jissra’el erstmals Bezug auf den Religionsunterricht für Mädchen genommen und 1815 ein Gebetbuch für gebildete Frauenzimmer mosaischer Religion verfasst. Dabei handelt es sich um eines der ersten Lehrbücher, das sowohl häusliche als auch öffentliche Andachten enthielt.189 Für den Religionsunterricht war das Lehrbuch Joseph Johlsons verzeichnet.190 Das 1812 erschienene Religionslehrbuch Unterricht in der mosaischen Religion für die israelitische Jugend beiderlei Geschlechts stand ganz im Zeichen der reformorientierten neuen Lehrbücher, die über den Religionsunterricht hinaus soziale Bildung und Erziehung vermitteln sollten. Es enthielt zunächst nur Glaubens- und Sittenlehre, später fügte man auf Drängen des Frankfurter Rabbiners Horowitz Zeremonialgesetze und Gebräuche in einem Anhang hinzu.191

189 Vgl. Hecht, Ein jüdischer Aufklärer, 2008. S. 334; Völpel, Annegret u. Zohar Shavit: Deutschjüdische Kinder- und Jugendliteratur. Ein literaturgeschichtlicher Grundriß. Stuttgart u. Weimar 2002. S. 107. 190 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 91–94r, hier Bl. 93–94r. Schreiben Zerrenners an die Regierung Magdeburg, 26. Oktober 1827. 191 Vgl. Lässig, Jüdische Wege, 2004, S. 140f.; Gotzmann, Eigenheit, 2002, S. 80f.; Levi, Hermann: Lehrbuch und Jugendbuch im jüdischen Erziehungswesen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Versuch einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung nach Inhalt und Methode. Köln 1933. S. 26. Levi gelangte zu dem Ergebnis, dass der Frankfurter Religionslehrer Johlson bei der Konzeption seines Religionslehrbuches beeinflusst wurde von den Reformideen des israelitischen Konsistoriums in Kassel. Zu Johlson vgl. auch Schlotzhauer, Das Philanthropin, 1990, S. 35.

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Ein Großteil der zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stehenden Religionslehrbücher wurde von reformorientierten jüdischen Pädagogen verfasst. Da die Schüler oftmals nur noch über geringe Hebräisch-Kenntnisse verfügten und im Lehrplan sowohl weltliche als auch religiöse Fächer koordiniert werden mussten, verfuhr man an den jüdischen Reformschulen wie an den nichtjüdischen: Man führte das Lehrfach Religion ein und ersetzte das traditionelle, zeitintensive Studium der Quellen durch die neuen komprimierten Religionslehrbücher, womit in erster Linie die Reformschulen zu Vorreitern neuartiger Lesebücher und didaktischer Kinder- und Jugendliteratur wurden.192 Auch die Orthodoxie ergriff Mitte des 19. Jahrhunderts bezüglich der deutschsprachigen jüdischen Religionslehrbücher die Initiative. Zu den wichtigsten Autoren gehörten Jakob Löwenstein, Salomon Plessner und Samson Raphael Hirsch. „Die Religionslehrbücher beinhalteten grundlegende Religionslehren und Erläuterungen zu den religionsgesetzlichen 613 Ge- und Verboten“.193 So verfasste z. B. der Lehrer und Prediger Salomon Plessner 1838 einen Katechismus, „der sich deutlich auf Erziehungsinhalte des voremanzipatorischen Judentums bezog“.194 Ein Jahr später erschien vom Darmstädter Landes- und späteren Halberstädter Gemeinderabbiner Benjamin Hirsch Auerbach ein ähnlich orientiertes Religionslehrbuch mit dem Titel Torat Emet, das bestimmt war für die höheren Klassen der Religionsschulen.195 Dennoch blieb die Auswahl an religiösen Lehrbüchern reformorientierter Autoren umfangreicher als die orthodoxer Verfasser. Auf Provinzebene hatte man für den Unterricht an privaten und öffentlichen bzw. christlichen Schulen keine einheitliche Schulbuchregelung getroffen, und so unterschieden sich die meist von „liberalen Schulmännern, Pfarrern und Lehrern“ verfassten Lehrbücher, hier besonders die zahlreichen Lesebücher für den Deutschunterricht, nicht nur auf Provinzial-, sondern auch auf regionaler Ebene. Die Folge war, dass sich die Lesebücher in der pädagogischen Auffassung ihrer Verfasser bezüglich ihres „Umfanges, ihres methodischen Ansatzes, ihres

192 Vgl. Völpel u. Shavit, Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur, 2002, S. 91f., 100; Eliav, Jüdische Erziehung, 2001, S. 308–315. 193 Völpel u. Shavit, Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur, 2002, S. 170. 194 Glasenapp, Gabriele u. Michael Nagel: Das jüdische Jugendbuch. Von der Aufklärung bis zum Dritten Reich. Stuttgart u. Weimar 1996. S. 77; Levi, Lehrbuch und Jugendbuch, 1933. S. 30. 195 Vgl. Auerbach, Benjamin Hirsch: Torat Emet. Lehrbuch der israelitischen Religion nach den Quellen bearbeitet. Zum Gebrauche in den obersten Klassen der Religionsschulen, mit sehr wichtigen erläuternden Anmerkungen für Eltern, Lehrer, angehende Theologen. La Vergne/TN 2010. (Reprint der Originalausgabe von 1839). Vgl. auch Gotzmann, Eigenheit, 2002, S. 84f.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Realienanteils, ihrer patriotischen, ihrer heimatkundlichen, ihrer obrigkeitlichen sowie ihrer konfessionellen Orientierung“ in hohem Maße unterschieden und somit erheblichen Einfluss auf pädagogische Zielsetzungen nehmen konnten. Die meisten der zahlreichen Lesebücher bildeten die Grundlage des gesamten Schulunterrichts, da sie nach Vorbild des Rochowschen Kinderfreund nicht nur als reine Lesebücher konzipiert waren, sondern einen hohen Realienanteil enthielten und sich auch als Lehrbücher für den Unterricht in den Natur- wie auch Geisteswissenschaften verwenden ließen.196 Vergleicht man die Lehrpläne aus der Konsistorialzeit mit dem von Lasch für das Jahr 1827/1828 erstellten, so wird deutlich, dass der Sprachunterricht schon zur Konsistorialzeit einen hohen Stellenwert besaß und die hohe Stundenzahl des Deutschunterrichts auch weiterhin beibehalten wurde. Dafür hatte man Harnischs Lesebuch eingeführt, wohingegen man für den Unterricht in deutscher Sprache das Grammatiklehrbuch Carl Friedrich Splittegarbs benutzte.197 Auch in der Zweiten Knabenklasse verwendete man den Splittegarb und entschied sich bezüglich des Deutschunterrichts für Zerrenners Der neue deutsche Kinderfreund. In Aufbau und Struktur angelehnt an den Rochowschen Kinderfreund, bestand er ebenfalls aus zwei Bänden: der erste für Elementar- und der zweite für die oberen Klassen der Bürgerschulen.198 Im Vergleich zu den genannten Lesebüchern besaß das Lehrbuch Zerrenners einen deutlich umfangreicheren Sachanteil mit besonders anschaulich dokumentierten Kapiteln zu Anatomie und Physiologie des Menschen sowie einen beachtlichen Abschnitt zur Gesundheitslehre, weshalb man den ersten Band auch in der Mädchenklasse einsetzte. Als Besonderheit enthielt der zweite Band neben literarischen und philosophischen Texten auch eine Zeittafel zur Geschichte des jüdischen Volkes und eine Karte Palästinas.199

196 Vgl. Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 240f.; Bünger, Ferdinand: Entwicklungsgeschichte des Volksschullesebuches. Leipzig 1898. S. 351. 197 Vgl. Harnisch, Wilhelm: Erstes Lese- und Sprachbuch, oder Uebungen, um richtig Sprechen, Lesen und Schreiben zu lernen. Breslau 1818; Splittegarb, Carl Friedrich: Deutsche Sprachlehre für Anfänger. Berlin 1824. Laut Bünger weisen die Splittegarbschen Deutschlehrbücher einen deutlich philanthropischen Charakter auf. Vgl. Bünger, Entwicklungsgeschichte, 1898, S. 248f. 198 Vgl. Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb: Der neue deutsche Kinderfreund, ein Lesebuch für Volksschulen. Bd. 1. Halle 1815 (2. Auflage); ders.: Der neue deutsche Kinderfreund. Lesebuch für mittlere und obere Klassen an Bürgerschulen. Bd. 2. Halle 1832 (2. Auflage). Zu Zerrenner als Schulbuchautor vgl. auch Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 100–107; Bünger, Entwicklungsgeschichte, 1898, S. 281f. 199 Im Vorwort zum zweiten Band heißt es, „Dieser zweite Theil meines deutschen Kinderfreundes ist für mittlere und obere Klassen an Bürgerschulen bestimmt. […] Sämmtliche

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Für Tafel- und Kopfrechnen hatte man, mit Ausnahme der Elementarklasse, in allen drei Klassen die Lehrbücher von Christian Gottlieb Scholz eingeführt: Das Standardwerk mit den Grundrechenarten bis hin zum Bruchrechnen einschließlich entsprechender Übungsaufgaben und einen zweiten Band für den Unterricht im Kopfrechnen mit Textaufgaben aller Rechenarten.200 Was nun die Wahl der allgemeinen Lehrbücher anbelangt, so zeigt sich, dass gerade Provinzialschulbeamte wie Zerrenner den großen Spielraum an Entscheidungsfreiheit nutzten, um das allgemeine Bildungsniveau zu heben, und auch der jüdischen Schule entsprechende Lehrmittel empfahlen, die über die Vermittlung der notwendigen Grundlagen für die Elementarschulen hinausging.201 Die Lehrbücher stammten sämtlich von regionalen Autoren, die oftmals in leitender Funktion an Lehrerseminaren tätig waren wie z. B. der bereits erwähnte Pädagoge Wilhelm Harnisch.202 Der nächste Lehrplan stammt aus dem Sommerhalbjahr 1839 und wurde im Rahmen der bereits erwähnten Streitigkeiten beim Magistrat eingereicht. Im Vergleich zum Winterhalbjahr begann der Unterricht eine Stunde früher und hörte eine Stunde früher auf. Was die Fächerverteilung betraf, unterschied sich diese nicht wesentlich von der vorherigen, der religiöse Unterricht sowie Talmud wurden weiterhin in den Vormittagsstunden erteilt, allerdings variierte die Stundenzahl der religiösen Fächer. Auch war man dazu übergegangen, die unter Gemeinnützigen Kenntnissen zusammengefassten Fächer wie Geografie und Naturgeschichte einzeln aufzufächern. In der Elementarklasse waren Hebräisch und Deutsch gleichwertig und machten 2/3 des Gesamtunterrichts aus, wobei der Hebräischunterricht immer mit den religiösen Fächern kombiniert wurde.

Lesestücke lassen eine gemüthliche Behandlung zu, sie führen in Gebiete, die der Schule nicht fremd bleiben darf, und bieten Gelegenheit dar, mannigfache Kenntnisse, die man in gebildeten Bürgerschulen erwarten darf, und für welche eigentliche Lehrstunden nicht angesetzt werden können, mitzutheilen.“ Zerrenner, Der neue deutsche Kinderfreund, Bd. 2, 1830, Vorwort. 200 Vgl. Scholz, Christian Gottlieb: Aufgaben zum Zifferrechnen in geordneter Stufenfolge für zahlreiche Schulen und einzelne Schüler entworfen. Halle 1829; ders.: Aufgaben zum Kopfrechnen nach Proportion oder Gleichungen für zahlreiche Knaben- und Mädchenschulen. Halle 1827. 201 Vgl. Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 237. 202 Vgl. Rayermann, Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, 1985, S. 301–305.

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Tabelle 5 Lehrplan der Hascharath Zwi für das Sommerhalbjahr 1839203 Unterrichtsfächer Religion Talmud Mischna Pentateuch mit Kommentar Propheten Biblische Geschichte Gebete übersetzen Hebräische Sprache Hebräisch Lesen Jüdisch Schreiben Deutsche Sprache Deutsch Schreiben Orthographie Denkübungen Sprachübungen Rechnen Geographie Naturgeschichte Geschichte Singen Handarbeiten Gesamtstunden

Elementarklasse

Erste Töchterklasse

Zweite Knabenklasse

Erste Knabenklasse

– – – 2 – 1 – 6 2 – 6 2 – 1 1 2 – – – 1 4

2 – – – – 1 2 – – 1 7 2 1 – – 3 2 1 1 1 9

2 6 3 6 – 1 1 2 – 1 6 2 1 – – 3 2 1 1 1 –

1 10 – 4 2 – – 3 – 1 5 1 – – – 2 2 1 1 – –

28

33

39

33

Bei der Wahl der Lehrbücher konnte ab den 1840er-Jahren erstmalig auf die von den jüdischen Lehrern der Schule verfassten zurückgegriffen werden. Hirsch Joseph und Gerson Lasch hatten ihre im langjährigen Schuldienst erworbenen Erfahrungen und Fähigkeiten genutzt, um sich als Autoren von Lehrbüchern zu etablieren; vorrangig waren ihre Lehrmittel für den eigenen Unterricht konzipiert, aber mit der Intention, auch an anderen jüdischen Schulen eingeführt zu werden. Joseph gab – neben seinem erstmalig 1840 erschienenen Hauptwerk Vollständiges kaufmännisches Rechenbuch – zahlreiche Publikationen zum Thema kaufmännisches Rechnen und Lehrbücher für Kauf- und Handelsleute heraus.204

203 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541. Bl. 227–233, hier Bl. 232–233. Schreiben Laschs an den Magistrat, 19. Juli 1839. 204 Zu seinen wichtigsten Werken gehören: Handbuch der neuen Münzen, Maße, und Gewichte der deutschen Vereinsstaaten, so wie der vorzüglichsten Handelsplätze in und außer Europa. Quedlinburg 1858; Musterbuch für Kaufleute und Banquiers. Erfurt 1863; Neues Rechenbuch auf

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Er hatte bereits 1842 eine zweite, erweiterte Auflage seines Hauptwerkes an die Regierung in Magdeburg gesandt in der Hoffnung, diese möge es mit Wohlwollen aufnehmen und weiterempfehlen.205

Dokument 4: Titelblatt des Vollständigen kaufmännischen Rechenbuchs von Hirsch Joseph aus dem Jahre 1853

Grundlage des Zollgewichts und der neuesten Münz- und Maß-Verhältnisse. 2 Bde. Halle 1858. Zu weiteren Publikationen von Hirsch Joseph vgl. Schmuck, Hilmar u. Willi Gorzny (Hrsg.): Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums 1700–1910. Bd. 70. München [u. a.] 1982. S. 75f. 205 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 304–305. Schreiben Josephs an die Regierung Magdeburg, 24. September 1842.

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Dokument 5: Titelblatt des Neuen Rechenbuchs für das Deutsche Reich von Hirsch Joseph aus dem Jahre 1874

Im Vorwort der vierten Auflage seines Vollständigen kaufmännischen Rechenbuchs heißt es: Bei meinem seit 20 Jahren ertheilten Unterrichte im kaufmännischen Rechnen machte ich die Erfahrung, dass es an einem Rechenbuche fehle, welches mir völlig vom Anfange bis zum Ende als Leitfaden dienen könnte, um danach Denjenigen, der sich dem Kaufmannsstande widmen will, völlig im Rechnen auszubilden; drei bis vier Werke mußte ich immer zu Hand haben. […] Um nun meinen Schülern die so viel Zeit raubende, daher auch meistentheils zu ihrem Nachtheile unterbleibende Arbeit des Abschreibens meines Buches zu ersparen, erfülle ich den Wunsch derselben, weil ich auch von vielen meiner Freunde sowohl, als von mehreren

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Lehrern, Kaufleuten und Handlungsdienern dazu aufgefordert wurde, und übergebe dieses Rechenbuch dem Drucke, indem ich manchen damit hülfreiche Hand zu leisten glaube.206

Von Gerson Lasch liegen insgesamt drei Religionslehrbücher vor, sein Hauptwerk Pikude H[a-Schem] erschien 1857.207 Laut Völpel u. Shavit handelt es sich um ein orthodoxes Religionslehrbuch, das partiell moderne Erziehungsmethoden aufgriff.208 In der Einleitung wies er darauf hin, dass er in Anlehnung an den Sefer ha-chinuch von Aron Halevy aus Barcelona die Religionsgebote nicht nur aufliste, sondern zum Verständnis eine Begründung dazu liefere. Trotz des Methodenwandels stand das Lehrbuch eindeutig im Zeichen der traditionellen Religionsvermittlung, soziale Bildungsaspekte wie allgemeine Tugenden und Pflichten fehlten. Lasch hielt strikt an der Einhaltung der Gesetze fest, „Als glaubenstreue Israeliten sind wir daher verpflichtet, jedes Gesetz, wir mögen den Grund einsehen oder nicht, streng so zu erfüllen, wie es in der Tora vorgeschrieben und von unseren Weisen angeordnet ist.“209 Er benutzte das Lehrbuch sowohl für den Religionsunterricht in der Hascharath Zwi als auch in der Talmud Tora. Sein nächstes Lehrbuch Darké Noam erschien 1861, auch hier wies er darauf hin, wie wichtig es sei, „die Kinder in der Schule zur Gesetzlichkeit zu erziehen und in ihnen das Gefühl für Gesetz und Recht frühzeitig zu wecken. […] deshalb habe ich es versucht, die Lehren der Tugend und Sittlichkeit immer aus dem Gesetze zu entwickeln. Denn das Gesetz ist die Leuchte, und die Belehrung das Licht.“ Die Schüler sollten „zu gesinnungstüchtigen Weltbürgern und frommen Israeliten“ erzogen werden. Im Vergleich zu seinem Hauptwerk handelt es sich um ein Religionslehrbuch, das sowohl Glaubens- als auch Sittenlehren beinhaltet.210 Bei dem später verfassten Lehrbuch Mevin safah handelt es sich um ein hebräisches Wörterbuch, in dem Lasch „tausende von Wörtern, welche in unsern Synagogen-Gebeten für Wochen- und Festtage enthalten sind, mit Mühe und Sorgfalt in alphabetischer Ordnung“ zusammenstellte. Entscheidend für seine Herausgabe war der hohe Zeitaufwand in den Elementar- als auch in den

206 Joseph, Hirsch: Vollständiges kaufmännisches Rechenbuch, enthaltend 1603 Aufgaben. Nach den neuesten Geldcoursen bearbeitet und stufenweise vom Leichten zum Schwerern übergehend; nebst Anweisung des Ansatzes und der Ausrechnung jeder einzelnen Aufgabe, theoretisch und praktisch dargestellt. Quedlinburg [u. a.] 1853. S. III–IV. Bis 1871 ließen sich insgesamt acht überarbeitete Auflagen ermitteln. Vgl. Schmuck u. Gorzny, Gesamtverzeichnis, Bd. 70, 1982, S. 75f. 207 Vgl. Lasch, Gerson: Pikude H[a–Schem]. Die göttlichen Gesetze aus den zehn Geboten entwickelt und in ihrem Geiste aufgefaßt. Ein Hausbuch für Israeliten zugleich ein Handbuch beim Religionsunterricht. Leipzig 1857. Vgl. auch Schmuck u. Gorzny, Gesamtverzeichnis, Bd. 84, S. 358. 208 Vgl. auch Völpel u. Shavit, Deutsch-jüdische Kinder- und Jugendliteratur, 2002, S. 171. 209 Vgl. Lasch, Pikude H[a-Schem], 1857, S. V–VI. 210 Vgl. Lasch, Gerson: Darké Noam. Leitfaden zur Religionslehre für israelitische Schulen, mit steter Hinweisung auf das Handbuch „Pikude H[a-Schem] oder die göttlichen Gesetze.“ Leipzig 1861. S. IV.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

Religionsschulen für das Übersetzen der Gebete. „Wenn es früher sich von selbst verstand, daß ein in Tora und rabbinischen Schriften viel unterrichteter Knabe sich das Verständnis der Gebete selbst leicht aneignen konnte, so wird es eben nicht überall vorkommen, daß diesen Lehrgegenständen so viel Zeit als früher zugewendet wird.“211 Alle von Lasch verfassten Lehrbücher sind auf Deutsch mit den hebräischen Spezifika geschrieben und für eine Schülerklientel konzipiert, die aufgrund der Zunahme der Elementarfächer oder bei Wechsel auf öffentliche Schulen nicht mehr so vertraut war mit dem Hebräischen.

Dokument 6: Titelblatt des Buches Pikude H[a-Schem] von Gerson Lasch aus dem Jahre 1857 211 Lasch, Gerson: Mevin safah. Hilfsbuch zur Präparation beim Uebersetzen der Gebete an Wochen-, Ruhe- und Festtagen für israelitische Schulen. Halberstadt 1863. S. III.

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

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Dokument 7: Titelblatt des Buches Darké Noam von Gerson Lasch aus dem Jahre 1861

Mitte der 1840er-Jahre fanden Gespräche darüber statt, wie das Niveau der Schule zu heben sei. Hierfür wurde auf der Gemeindevorstandssitzung im Juli 1845, unter Teilnahme Joseph Hirschs,212 die Aufnahme der Fächer Preußische Geschichte

212 Joseph Hirsch, ältester Sohn Aron Hirschs, war ab 1828 gleichberechtigter Teilhaber der Firma Aron Hirsch & Sohn und bekleidete von 1846 bis 1871 das Amt des ersten Vorsitzenden des aus sieben Mitgliedern bestehenden Gemeindevorstandes. Auch Gerson Lasch gehörte von 1846 bis 1849 zum Gemeindevorstand. HStAH, Magistratsakten 2.11.004, Bl. 25–30. Vorstandswahl 14. September 1846.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

und Französisch in den Lehrplan beschlossen.213 Der folgende Lehrplan aus dem Jahre 1847 bestätigt die Einführung der neuen Lehrfächer, damit ging das Fächerangebot deutlich über das einer Elementarschule hinaus. Es war intendiert, den Schülern am Ende ihrer Schulzeit den Wechsel auf höhere Schulen zu ermöglichen. Lasch hatte dem Lehrplan wichtige Details zu Schulablauf, Lehrgegenständen, religiösem Unterricht, der neu eingeführten Fremdsprache und den Fortbildungsmöglichkeiten beigefügt. Lektionsplan für die israelitische Schule: A. Elementar-Lehrgegenstände. (für Kinder von ungefähr 5–7 Jahren, Knaben und Mädchen.) 1. Lautieren, in wöchentlich 6 Stunden. a) Deutsch; in Winters Schreibleseheft. Einjähriger Kursus, nach welchem gewöhnlich die Kinder das gedruckte lesen und auf die Schiefertafel niederschreiben können. Die Schreibübungen werden fleißig als stille Pensa benutzt. b) hebräisch; in Lesefibel von J. Japhet, mit möglichst baldigem Uebergange zum Lesen im hebr. Gebetbuche. 2. Rechnen, in wöchentlich 4 Stunden, und zwar: a) Tafelrechnen, in Aufgaben und Rechnen von Hirsch Joseph. b) Kopfrechnen, nach Scholz. 3. Denkübungen in wöchentlich 2 Stunden; Anschauungen der Dinge, deren Merkmale und Tätigkeiten, als Anfang der Sprachlehre, damit verbunden die Benennung derselben auf hebräisch, welches als Gedächtnisübung den Weg zum hebräischen sehr nützlich bahnt. 4. Sprechübungen in wöchentlich 4 Stunden, besehend im richtigen Nachsprechen kleiner Gebete, Gedichte und kindlicher Erzählungen nach verschiedenen Materialien. 5. Biblische Geschichte in wöchentlich 1 Stunde. 6. Weibliche Arbeiten in wöchentlich 10 Stunden für Mädchen. Mit diesem Unterrichte werden die Sprechübungen ad 4 oft verbunden. B. Lehrgegenstände für die 2. Abtheilung. (Kinder von 7–9 Jahren.) 1. Schreiben; deutsch und jüdisch Current (ersteres in 6 Stunden, letzteres in 2 Stunden) in 8 Stunden wöchentlich, mit betreffenden Aufgaben zur Uebung im Hause. 2. Rechnen; in wöchentlich 3 Stunden. a) Tafelrechnen nach Aufgaben zum Rechnen von Hirsch Joseph 2. und 3. Heft. b) Kopfrechnen nach dem Scholz 1. Heft. 3. Lesen; in wöchentlich 4 Stunden, nach Harnisch und Wilmsen.

213 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 99. Auszug aus dem Protokoll vom 17. Juli 1845. Zu den Unterzeichneten gehören: Joseph Hirsch, Juda Alexander, Joseph Egers, S. Hirschfeld, Joseph Heller, Samuel Baer, Gerson Josaphat und der Gemeinderabbiner Mathias Levian.

Lehrpläne, Lehrmaterialien, Lehrbücher 

 137

4. Denkübungen; in wöchentlich 2 Stunden, verbunden mit kleinen Aufsätzen, welche unter Aufsicht des Lehrers entworfen und als Reinschrift abgegeben werden. 5. Deutsche Sprache; in wöchentlich 2 Stunden analytisch aus Musterstücken entwickelt nach Kellners Sprachbuch: der einfache Satz. 6. Pentateuch; in wöchentlich 9 Stunden; in 5 Wochen wird ungefähr eine Sidra durchgenommen. 7. Mischna; in wöchentlich 3 Stunden, im diesjährigem Kursus Masechet B’rachot. 8. Hebräische Sprache; in wöchentlich 5 Stunden, welche meistens als stille Pensa während des Talmud-Unterrichts mit den größeren Kindern vorbereitet wird.  9. Religion; in wöchentlich 2 Stunden; Lesen in der deutschen Bibel (Zunz 5. Auflage) und Uebungen im Uebersetzen der Gebete. 10. Französische Sprache; in wöchentlich 3 Stunden, im Seidenstücker. (Außer 6. 7. und 8. nehmen Knaben und Mädchen gemeinschaftlich an dem Unterrichte Theil; während des Unterrichts 6. 7. 8. haben die Mädchen weibliche Handarbeiten. C. Lehrgegenstände für die 3. Abtheilung. (Kinder von 10–12 Jahren.)  1. Deutsch-Schreiben, mit Uebungen in Aufsätzen aus dem bürgerlichen Leben, in wöchentlich 5 Stunden.  2. Rechnen; a) Tafelrechnen in wöchentlich 2 Stunden, bis zum Kettensatz, nach den Aufgaben zum kaufmännischen Rechnen von Hirsch Joseph. b) Kopfrechnen nach dem Scholz 1. und 2. Heft.  3. Deutsche Sprache; wöchentlich 2 Stunden; der zusammengesetzte Satz. Anleitung zum Aufsatz.  4. Lesen; in wöchentlich 2 Stunden, aus dem Oltrogge und Bach.  5. Pentateuch; in wöchentlich 5 Stunden; ungefähr in 3 Wochen wird eine Sidra durchgenommen.  6. Propheten; in wöchentlich 2 Stunden.   7. Hebräische Sprache; in wöchentlich 3 Stunden, als stille Pensa während der Abteilung B. in 7.  8. Talmud; in wöchentlich 6 St.; in diesem Jahre wurde Pirke Awot in Bejzah (mit Auslassung weniger Stellen) durchgenommen.  9. Französische Sprache; wöchentlich 2 Stunden, aus dem Seidenstücker. 10. Religion nach Herxheimer Leitfaden 1 Stunde und 1 Stunde Gebete übersetzen. 11. Naturkunde; wöchentlich 1 Stunde. 12. Erdkunde; wöchentlich 1 Stunde. 13. Geschichtskunde; wöchentlich 1 Stunde.

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D. 4. Abtheilung. (Kinder von 12–14 Jahren.)  1. Schreiben, wie C. 1.  2. Rechnen; wöchentlich 2 Stunden nach Hirsch Josephs kaufmännischem Rechenbuch.  3. Deutsche Sprache, wöchentlich 2 Stunden Bildung von Perioden, Sprachlehre, Aufsatz nach Disposition.  4. Kenntniß der verschiedenen Arten klassischer Aufsätze; 1 Stunde.  5. Pentateuch mit Rachi; in wöchentlich 3 Stunden.  6. Hebräische Sprache; hebr. Exercitien, Psalmen, wöchentlich 3 Stunden.  7. Talmud; wöch. 10 St.; in diesem Jahre wurde Masechet Makkot mit den wichtigsten Tossafot durchgenommen.  8. Religion. Die wichtigsten Glauben- und Pflichtenlehren, aus Bibelstellen entwickelt, und schriftliche Aufsätze darüber. 10. 11. 12. Natur-, Erd- und Geschichtskunde, wie bei C. 13. Jüdische Geschichte 1 Stunde. 14. Singen für sämmtliche Kinder, wöchentlich 1 Stunde. Für diejenigen, welche nach dem Abgange aus unserer Schule höhere Lehranstalten besuchen wollen, Vorbereitung im Lateinischen; sowie für diejenigen, welche in das Geschäftsleben treten, Erlernung der Buchhalterei, von den betreffenden Lehrern der Schule im Privatunterricht.214

2.7 Die finanzielle Grundlage der Schule Weil die Jahresbilanzen der Schule nicht immer korrekt geführt worden waren, erging als Folge der bereits geschilderten Auseinandersetzungen der Jahre 1839/1840 von der Regierung in Magdeburg die Anordnung, jährliche Revisionsberichte des Instituts zunächst dem Magistrat zur Prüfung vorzulegen und danach der Regierung einzureichen. Die Revisionsberichte ab 1839/1840 belegen, dass sich die Schule nach wie vor aus dem Borchertschen Stiftungsfonds, den Legaten (Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins und Gemeindespenden) und den Schulgeldeinnahmen finanzierte. Der Stiftungsfonds, der immer noch über die ursprüngliche Summe verfügte und weiterhin in Pommerschen Pfandbriefen angelegt war, bildete die finanzielle Basis des Instituts. Auch als die Zinsen von 4 auf 3½ Prozent sanken, betrug die Summe noch 385 Taler pro Jahr. Hinzukamen die Einnahmen aus den Legaten, die einen Gesamtbetrag von 120 Talern

214 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 35–37.

Die finanzielle Grundlage der Schule 

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ausmachten215 und schließlich die Schulgelder in Höhe von 95 Talern.216 Das Schulgeld sowohl für Jungen als auch für Mädchen betrug nur zwischen drei und sechs Talern jährlich. 1839 zahlten von insgesamt 32 Schülern zwölf kein Schulgeld, da die ärmeren Familien von der Schulgeldpflicht ausgenommen waren. Ein besonderes Privileg genoss Gerson Lasch, der für seine drei Kinder kein Schulgeld zu entrichten hatte. Weniger Vermögende wie z.  B. der Vorsänger Meier Jeretzky zahlten drei Taler, die Klausrabbiner Egers und Josaphat sowie der Gemeindesekretär Abraham Hildesheimer fünf und die wohlhabenden Familien Hirsch, Frank, Goldschmidt und Heinemann jeweils sechs Taler für jedes Kind. Der Schulgeldbetrag für die Religionsschule betrug zwischen zwei und vier Talern jährlich.217 Dazu kamen kleinere Einnahmen, wie die Mieten für das an den Lehrer Gerson Lasch vermietete ehemalige Schulhaus und für die zweite Etage des Schulhauses Judenstraße 18 sowie der Posten „unbestimmte Einnahmen“ mit anteiligen Beträgen aus der Synagoge (Schabbat und Feiertage) und die sogenannten Brautschatzgelder, deren Erhebung sich auf die Zeit des israelitischen Konsistoriums zurückführen lässt.218 Den Hauptanteil der Ausgaben machten die Lehrergehälter aus, zu den geringeren laufenden Kosten gehörten Hausmiete, Ausgaben für Holz und Licht, Bauund Reparaturkosten und Bücheranschaffungen. Insgesamt deckten sich Ausgaben und Einnahmen, dennoch war 1839 eine Differenz von 25 Talern entstanden.219 Auch im folgenden Jahr schloss der Revisionsbericht mit einem Defizit von 39 Talern ab.220 Da die jüdische Gemeinde selbst in finanziellen Schwierigkeiten

215 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 277. 216 HStAH, Schulakten, 2/749, Bl. 13–16 (eig. Blattzählung). 217 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 250–251. 218 In den Statuten für die Synagogen-Gemeinde Halberstadt aus dem Jahre 1886 heißt es in § 8: „An außerordentlichen Einnahmen bestehen: A) […]; B) auf Grund des Königl. westphälischen Decrets vom 23. August 1809 und des Regulativs vom 10. November 1809 ein Brautschatz-Geld von 1 % der Mitgift der Braut, eines jeden in der hiesigen Gemeinde sich verheirathenden Gemeinde-Mitgliedes, welches zur Hälfte der Gemeinde- und zur anderen Hälfte zur Schulkasse fließt.“ CJA, 1, 75A Ha 2, Nr. 50, #3541, Bl. 54–60, hier Bl. 56. 219 Die Lehrergehälter setzten sich 1839 wie folgt zusammen: Gerson Lasch erhielt 190 Taler aus dem Borchertschen Stiftungsfonds, 62 aus den Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins und eine Gratifikation von 12; Hirsch Joseph erhielt 115 Taler aus dem Stiftungsfonds, 22 aus den Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins sowie 12 als Gratifikation; der christliche Lehrer Odening erhielt 22 Taler, die Handarbeitslehrerin Julie Levy 35 Taler, Abraham Hildesheimer 33 aus dem Stiftungsfonds und 16 aus den Einnahmen der Legate und der Schulbote Fleischhauer zwei Taler aus den Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 276–279; HStAH, Schulakten, 2/749, Bl. 13–16 (eig. Blattzählung). 220 Ebd., Bl. 28–32 (eig. Blattzählung).

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

steckte und nicht in der Lage war, einen finanziellen Beitrag zur Schule zu leisten oder zumindest die Defizite auszugleichen, war der Schulvorstand zum Handeln gezwungen und berief hierzu eine Sitzung für den 1. April 1841 ein. Man stellte zunächst fest, dass sich die Einnahmen des Talmud-Tora-Vereins aufgrund von Zinssenkungen verringert hatten und auch die Schülerzahl zurückgegangen war, sodass sich in den nächsten Jahren zwangsläufig Fehlbeträge ergeben würden. Da für die nähere Zukunft keine weiteren Einnahmen zu erwarten waren, entschied der Schulvorstand notgedrungen, die Gratifikation von je zwölf Talern für die beiden Hauptlehrer einzusparen; zudem kürzte er das Gehalt der Handarbeitslehrerin Julie Levy von 35 auf 30 Taler und das des Rechnungsführers Abraham Hildesheimer von 49 auf 42. Diese Einsparungsmaßnahmen sollten für die nächsten drei bis vier Jahre gültig sein.221 Angesichts der knapp bemessenen Lehrergehälter musste diese Maßnahme zwangsläufig zu Protesten der Lehrer führen. Die Kürzung traf Gerson Lasch besonders hart, hatte er doch unlängst eine Familie gegründet. Nach erfolglosen Verhandlungen mit dem Schulvorstand wandte er sich an das Provinzialschulkollegium mit der Bitte, den Schulvorstand zu veranlassen, die Kürzungen rückgängig zu machen. Dabei wies er ausdrücklich darauf hin, dass die Differenzbeträge aus der Gemeindekasse beglichen werden sollten.222 Unklar bleibt aufgrund fehlender Akten, wie die Regierung auf seine Forderung reagierte; sie war, was Eingriffe in die internen Belange des Instituts betraf, in der Vergangenheit immer sehr zurückhaltend aufgetreten. Bisher hatte der Schulvorstand bei der Aufnahme neuer Schüler mit den Eltern die Höhe des Schulgeldes festgelegt, dabei in jedem einzelnen Fall auf deren Vermögensumstände Rücksicht genommen und das Schulgeld auf drei bzw. sechs Taler jährlich festgesetzt.223 Trotzdem zeigen die Rechnungsbilanzen der Jahre 1842 bis 1844, dass sich auch bei Gehaltskürzungen Fehlbeträge nicht vermeiden ließen.224 Für 1843 hatte die Schule sogar ein Defizit von 69 Talern zu verzeichnen. Ursache dafür waren die geringeren Schulgeldeinnahmen und die Kosten für Reparaturen am Schulhaus.225 Um die finanzielle Situation zu verbessern, hatten die Administratoren währenddessen einen Entwurf für eine

221 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 332–333. Auszug aus dem Sitzungsprotokoll vom 1. April 1841. 222 Ebd., Bl. 294–299. Schreiben Laschs an die Regierung Magdeburg, 28. Juli 1841. 223 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 105. Schreiben von Brünkens an die Regierung Magdeburg, 25. Mai 1846. 224 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 348–351; HStAH, Schulakten, 2/749, Bl. 66–70 (eig. Blattzählung). 225 Ebd., Bl. 86–91 (eig. Blattzählung).

Die finanzielle Grundlage der Schule 

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neue Schulgeldregelung erstellt. Man wandte sich damit nicht direkt an die Regierung, sondern zunächst an den Magistrat, der wiederum im Namen der Administratoren bei der Behörde um die Erlaubnis zur Umsetzung nachsuchte. Folgende Schulgeldregelung sollte mit Hilfe der Regierung ab dem 1. Juli des Jahres durchgesetzt werden: A. für den gesamten Schul- und Religionsunterricht von jedem Schulkinde hiesiger Eltern in der ersten Klasse jährlich 8 Taler, in der zweiten Klasse jährlich 6 Taler, in der dritten Klasse jährlich 4 Taler von jedem der auswärtigen Kinder aber, welche auf eine gleichmäßige Theilnahme mit den hiesigen an der durch die Borchertsche Stiftung diese zu Theil gewordene Erleichterung keinen Anspruch zu machen haben, für jede Klasse jährlich 2 Taler mehr, B. für die bloße Theilnahme am Religionsunterrichte, welcher täglich von 11–12 Uhr und Mittwochs- und Sonntagsnachmittags ertheilt wird, von jedem Kinde hiesiger Eltern 4 Taler und von jedem Kinde auswärtiger Eltern 6 Taler jährlich an Schulgeld erhoben werden dürfe, C. das aber Eltern, welche vier Kinder zur israelitischen Schule schicken oder an dem Religionsunterricht theilnehmen lassen, für das vierte Kind kein Schulgeld entrichten, D. das nur notorisch arme Eltern gar kein Schulgeld zu zahlen haben.226

Inwieweit dieser Vorschlag von der Regierung befürwortet und vom Schulvorstand realisiert wurde, ließ sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln; es bleibt festzuhalten, dass ab 1845 die Defizite ausgeglichen und das Rechnungsjahr mit einem Überschuss von 38 Talern abgeschlossen wurde.227 Die folgenden jährlich eingereichten Revisionsberichte zeigen, dass die Schule bei leichter Zunahme der Schülerzahlen und sparsamer Haushaltsführung weiterhin positive Jahresbilanzen verzeichnen konnte. Während Stiftungsfonds und Legate konstant blieben, waren die Schulgeldeinnahmen leicht gestiegen und der Posten „unbestimmte Einnahmen“ – mit den Brautschatzgeldern und den Synagogeneinnahmen – hatte sich ebenfalls erhöht.228 Das veranlasste den Schulvorstand, ab 1856 die Gehälter der Lehrer wieder anzuheben, Hirsch Joseph und Samuel Baer jährlich zusätzlich je zehn Taler zu zahlen und Gerson Lasch die Miete um 20 Taler zu reduzieren. Parallel zur Erhöhung der Lehrergehälter setzte der Schulvorstand jedoch eine Anhebung des Schulgeldes

226 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 105–106. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 25. Mai 1846. 227 HStAH, Schulakten, 2/749, Bl. 135–139 (eig. Blattzählung). 228 Ebd., passim.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

durch. Für die Hascharath Zwi wurde das Schulgeld jährlich von vier auf sechs Taler und für die Talmud Tora von zwei auf vier angehoben.229 Bereits einige Jahre später beabsichtigte der Schulvorstand eine erneute Erhöhung der Schulgeldbeiträge, er wollte den Betrag für alle Schüler, auch für die Religionsschüler, von sechs auf acht Taler festsetzen. Wieder stellte dazu der Magistrat im Auftrag des Schulvorstandes einen Antrag bei der Regierung in Magdeburg.230 Dagegen legten einige Monate später 14 Familien, deren Kinder nur den Religionsunterricht besuchten, Widerspruch ein. Empört wiesen sie darauf hin, dass diese Steigerung deutlich zu hoch sei, vor allem für Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern.231 Ob der Schulgeldbetrag der Religionsschüler 1859 tatsächlich auf acht Taler angehoben wurde, ließ sich den Quellen nicht eindeutig entnehmen, doch zeigen die Revisionsberichte eine deutliche Zunahme der Schulgeldeinnahmen.232 Trotz mehrfacher Aufforderungen an die jüdische Gemeinde, die Schule auch in finanzieller Hinsicht zu unterstützen, leistete diese keinen Beitrag. Laut der Revisionsberichte finanzierte sich die Hascharath Zwi bis 1872 auch weiterhin ausschließlich über Stiftungsfonds, Legate, Schulgeldbeträge und „unbestimmte Einnahmen“ und schloss jährlich mit einem zumeist geringen Überschuss ab.233

2.8 Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Schule Die Hascharath Zwi hatte sich unter der Leitung Gerson Laschs zu einer beständigen und erfolgreichen Einrichtung entwickelt, sodass Schulvorstand und Lehrerkollegium das 50-jährige Bestehen der Schule im Jahre 1846 zum Anlass nahmen, dieses mit einer zweitägigen öffentlichen Examensfeier zu begehen, die am 31. März und am 1. April stattfand und am Abend des zweiten Tages mit einer offiziellen Feier beendet wurde. Zudem nutzte man diese Gelegenheit, auch öffentlich darüber zu berichten. Den genauen Ablauf des Jubiläums beschrieb ein ehemaliger Schüler in der orthodoxen Zeitschrift Der treue 229 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 242. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 6. Februar 1856. Noch bevor die Gehälter der Lehrer erhöht wurden, hatte 1854 die Handarbeitslehrerin Henriette Nathan Beschwerde gegen das geringe Gehalt eingelegt und mit Kündigung und Fortgang gedroht, woraufhin die Administratoren ihr Gehalt ab 1. Januar 1854 um zehn Taler erhöhten. Ebd., Bl. 240. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 15. März 1854. 230 Ebd., Bl. 247. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 26. Januar 1859. 231 Ebd., Bl. 250–251. 232 HStAH, Schulakten, 2/762, Bl. 85–259. 233 HStAH, Schulakten, 2/749, passim; HStAH, Schulakten, 2/762, passim.

Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Schule 

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Zions-Wächter. Am ersten Tag fanden am Nachmittag die Prüfungen in den jüdischen Wissenschaften statt. Da alle Altersstufen vertreten waren, prüfte man diese entsprechend ihren Fähigkeiten, vom Buchstabieren bis hin zu den „gereiften Talmudstudien“. Hierbei war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, es waren lediglich der Gemeinderabbiner, der Schulvorstand und einige interessierte Gemeindemitglieder anwesend. Da der erste Teil mehr Zeit in Anspruch nahm als vorhergesehen, mussten die Examina in hebräischer Grammatik und Pisuk auf den Folgetag verschoben werden. Am zweiten Tag konnten sich geladene Gäste, zu denen die Konsistorialräte Zerrenner und Hahn, der Halberstädter Oberbürgermeister, die Stadträte sowie einige christliche Lehrer zählten, und interessierte Gemeindemitglieder einen Eindruck über Niveau und Qualität der Schule verschaffen. Dieser Tag war den allgemeinen Wissenschaften vorbehalten, beginnend mit den Lese- und Rechenkenntnissen der unteren Klassen, gefolgt von den Prüfungen der noch nicht Elfjährigen in Französisch durch Lehrer Samuel Baer und der höheren Klassen in Physik, Geschichte, Geografie, Naturlehre und Naturgeschichte. Die Kenntnisse der Schüler in preußischer wie regionaler Landesgeschichte fanden besondere Beachtung. Im Mittelpunkt des Nachmittags standen dann die Prüfungen in biblischer Geschichte und Religion. Die zweitägige Veranstaltung fand ihren Höhepunkt mit den Festreden Gerson Laschs und Samuel Baers und klang am Abend aus.234 Anlässlich des Jubiläums erschien die bereits genannte Publikation in Form einer Festschrift, in der Gerson Lasch und Samuel Baer eine Bilanz der ersten 50 Jahre zogen und sowohl den Stifter als auch die bisher an der Schule tätigen Lehrer und Administratoren würdigten. Als erste bedeutende Zäsur bezeichnete Lasch die Bildungs- und Erziehungsreformen des israelitischen Konsistoriums, da erst diese auf die Mängel des bestehenden Bildungswesens aufmerksam gemacht hätten, „welche Veränderungen, welche Ereignisse haben sich nicht in diesem Abschnitte der Vergangenheit zusammengedrängt! Welche neuen Ideen sind seitdem ins Leben getreten! Ideen aber, die einmal ins Leben treten, verschwinden nicht wieder, wenn auch die Ereignisse schwinden, denen sie ihr Dasein verdanken.“235 Allerdings ließen sich die radikalen Schulreformen des Konsistoriums nicht mit den Grundsätzen der traditionellen Gemeinde vereinbaren, dennoch konnte sich diese den Neuerungen nicht ganz entziehen. Auch zum Thema Religionsschulen bezog er eindeutig Position, er lehnte diese ab mit der Begründung, dass die Doppelbelastung durch Stadt- und Religionsschule

234 Vgl. TZW 2 (1846) Nr. 17. S. 145–151. 235 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 6. Eine gekürzte Form der beiden Reden erschien in: TZW 3 (1847). Nr. 25. S. 203. Nr. 26. S. 211f. Nr. 27. S. 219f. Nr. 28. S. 229f.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

die Gleichgültigkeit der Schüler gegenüber dem religiösen Unterricht gefördert würde. Nur die jüdische Volksschule sei in der Lage, ein Gleichgewicht zwischen religiöser und profaner Bildung herzustellen, daher befand er diese als „einzig wahre Schulform“. Den Leitsatz „Tov Tora im Derech Erez“ stellte er in einen zeitgemäßen Kontext und interpretierte ihn folgendermaßen: Die Kenntnisse der Tora müssen sie aus dem heiligen Born schöpfen, der uns seit Jahrtausenden ungetrübt und unverfälscht geblieben. – Der Knabe wenigstens muß und kann in der heiligen Sprache so beschäftigt werden, daß ihm darin das Gebet leicht verständlich, ansprechend und anregend werde. – Diese Sprache bleibt das geistige Band, welches ihn nicht nur an den historischen Boden einer uralten Vergangenheit befestigt, sie verbindet ihn auch geistig mit seinen Glaubensbrüdern in allen Weltenden, wo diese ihr andächtiges Flehen in denselben Lauten zu dem Allvater emporsenden. […] Die Volksschule muß ihn auch mit den Lehren jener Weisen vertraut machen, welchen das Judenthum seinen geistigen Halt verdankt. Sie muß ihn befähigen, in den Rüstkammern ihrer Weisheit sich zurecht zu finden. […] Die Volksschule kann aber dabei nicht außer Acht lassen, was diese (Weisen) selbst lehren: Tov Tora im Derech Erez. Es soll der Knabe in der Schule auch für das Leben vorbereitet werden, er soll in ihr Fertigkeiten und Kenntnisse sich aneignen, die bei dem Kulturstande unseres Vaterlandes, in jedem bürgerlichem Erwerbszweige erforderlich sind; die ihn außerdem befähigen, genügend vorbereitet in die untersten Klassen der Schulen für wissenschaftliche Ausbildung eintreten zu können, wenn er sich einer solchen widmen will. – Es gehört deshalb ganz besonders zur Aufgabe der jüdischen Schule, die Denkkraft des Kindes durch Sprach- und Zahlenlehre zu stärken, mit dem Wissenswerthen der Naturwissenschaften, so wie mit der Entwicklung des Menschengeschlechts in der Geschichte in allgemeinen Umrissen bekannt zu machen.236

Lasch betonte, dass gerade die frühe Vermittlung der jüdischen Lehrgegenstände besonders geeignet sei, die Geisteskräfte der Kinder zu wecken, um die Aufnahmefähigkeit für die weltlichen Fächer auszubilden. Die jüdischen Lehrgegenstände seien mit dem religiösen Leben innig verwebt, von einem nachhaltigen Werte und einer häufigeren Anwendung im Leben als die in anderen Schulen zum Gedächtnistraining verwendeten Gegenstände aus der Götterlehre und Literaturgeschichte. Dabei verfügten die Hascharath-Zwi-Schüler oftmals über einen höheren Kenntnisstand in den Realien als die Schüler der christlichen Volksschulen. Die Schüler würden somit vom religiösen zum allgemeinen Wissen geführt. Ein weiterer Grund, warum den weltlichen als auch 236 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 7f. Das Erziehungskonzept „Tora im Derech Erez“ wurde 1852 von dem Frankfurter Rabbiner Samson Raphael Hirsch bei Gründung der nach ihm benannten Schule aufgegriffen. Laut Breuer „blieb die Integrierung von ‚Tora‘ mit ‚Derech Erez‘ ein utopisches Ideal.“ Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 109; zuletzt Morgenstern, Matthias: „Tora im Derech Erez“. Das pädagogische Konzept Samson Raphael Hirschs im Rahmen seiner nationaljüdischen Strategie. In: Thiel, Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule, 2001. S. 14–28.

Das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Schule 

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den religiösen Fächern gleichviel Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden könne, sei die geringe Schülerzahl, die den Lehrern eine intensive Betreuung ermögliche.237 Samuel Baer, der seit 1845 wieder zur Lehrerschaft gehörte, nahm in seinem Redebeitrag detailliert Bezug auf die Lernziele der einzelnen Altersstufen und trat für ein modernes pädagogisches Konzept ein, für die Elementarklasse lauteten seine Ziele: Was wir wollen: Zuvörderst, daß das Kind in der Schule sprechen lerne, ihm die Art und Weise beigebracht werde, wie es seine Gedanken in Worte kleide; die Gedanken anderer gedruckt oder geschrieben lese; das Gelesene verstehe, denn nur das rechte Verstehen führt zum richtigen und Schönlesen, und an diesem wird ja der Bildungsgrad der Schule erkannt. Fügen wir noch hinzu den Unterricht in Zu- und Abzählen, Verdoppeln und Theilen, so wären die Leistungen für das erste jugendliche Alter gelegt.238

Neben seiner Tätigkeit als Lehrer fungierte Baer als Rendant der Schule und nutzte den Anlass, die 1838/1839 erhobenen Vorwürfe gegen den Schulvorstand zu entkräften und eine positive Einstellung gegenüber diesem aufzubauen.239 Im Vergleich zu Laschs Rede wählte er dabei einen deutlich schärferen Ton in Bezug auf den Gemeindevorstand, der sich zwar „rührend und in großzügiger Weise der Alten und Kranken annehme“, aber nichts für die Schule tue und vor allem die Leistungen und Bestrebungen der Schule nicht genügend anerkenne. In finanzieller Hinsicht sei man immer noch einzig und allein auf Stiftungsfonds, Legate und Schulgelder angewiesen. Des Weiteren machte er sich den Augenblick zunutze, um auf das geringe Einkommen der Lehrer hinzuweisen. Laut Baer hätte die Gemeinde verschiedene Optionen, die Schule finanziell zu unterstützen. So könnten z. B. die Brautschatzgelder, wie zuvor, wieder ganz der Schule zufließen; auch ehemalige, nun gut situierte Schüler ständen in der Verantwortung, diese entsprechend zu unterstützen. Ebenso müsse man die Schule bekannter machen und sie mehr in der Öffentlichkeit präsentieren, damit sie in den umliegenden Dörfern und Städten einen höheren Bekanntheitsgrad erreiche, schließlich trügen steigende Schülerzahlen zur Reputation des Instituts bei. Folgend thematisierte er die Mietzahlungen für das Schulhaus und forderte die Gemeinde auf, diese der Schule zu erlassen.240 Obwohl Baer klare Worte wählte, hielt sich, wie sich noch zeigen wird,

237 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 17f. 238 Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 25. 239 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 24. 240 Vgl. ebd., S. 28f.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

der Gemeindevorstand bezüglich der finanziellen Unterstützung der Schule auch weiterhin sehr zurück. Die Halberstädter Schulinstitutionen würdigten das Jubiläum mit einem musikalischen Beitrag, und so erschien am Abend des ersten Festtages der Direktor des Lehrerseminars, August Ludwig Steinberg, mit einem aus 25 Seminaristen bestehenden Männerchor vor dem Schulhaus, die ein Ständchen darbrachten. Man erwies der Darbietung große Beachtung, und Lasch kommentierte sie mit den

Dokument 8: Titelblatt der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Hascharath Zwi

Die Schüler 

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Worten: „[…] wir leben in einem Lande, wo der Unterschied des Glaubens keine Schranke des geselligen und wissenschaftlichen Verkehrs bildet.“241

2.9 Die Schüler Die Hascharath Zwi wurde ausschließlich von jüdischen Schülern besucht. Von Beginn an bis 1846 besuchten insgesamt 267 Kinder, davon 160 Knaben und 107 Mädchen, die Schule.242 Betrachtet man die Schülerlisten ab 1825, so wird zunächst deutlich, dass alle sozialen Schichten vertreten waren und der überwiegende Teil der Familienväter dem Handel angehörte. In der Regel wurden die Schüler bis zum 13. bzw. 14. Lebensjahr unterrichtet, manche auch darüber hinaus bis zum 15., um anschließend einen Beruf zu ergreifen oder auf andere Schulen zu wechseln.243 Genaue Angaben über Schülerzahlen lassen sich ab 1825 bis zum Beginn des Kaiserreiches nachweisen. Wie die folgende Grafik zeigt, stieg nach Erweiterung um die Mädchenklasse die Gesamtschülerzahl auf 84 bei insgesamt 92 schulpflichtigen jüdischen Kindern, die höchste für den genannten Zeitraum. Von da ab sank die Zahl kontinuierlich, bis 1840 nur noch 26 Schüler die Schule besuchten.244 Ursache dafür war in erster Linie die verhältnismäßig große Abwanderung jüdischer Familien aus Halberstadt seit Beginn der 1830er-Jahre. Nach 1840 ist ein leichter Anstieg der jüdischen Bevölkerung zu verzeichnen, und wenn auch die anfängliche Schulfrequenz nicht wieder erreicht wurde, stieg die Zahl der jüdischen Schüler wieder etwas an. Allerdings stellte Gerson Lasch mit Bedauern fest, dass seit jüngster Zeit einige Eltern ihre Kinder früher als sonst aus der Schule nahmen, um sie auf

241 Zitiert nach TZW 2 (1846). Nr. 17. S. 145–151, hier S. 148. 242 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 38–42. 243 HStAH, Schulakten, 2/768, passim. 244 Von 1826 bis 1859 dokumentieren die jährlich erstellten Schülerlisten außer den Schülernamen deren Alter, Namen und Beruf des Vaters, die Hausnummer und die jeweils versäumten Schultage mit Angabe des Grundes. Einige Jahrgänge verzeichnen zusätzlich die Schüler, die nur am Religionsunterricht teilnahmen. HStAH, Schulakten, 2/768, passim. Diese Form der Dokumentation änderte sich, als im Dezember 1860 die oberste Schulbehörde in Berlin eine neue „Instruction zur Anfertigung der statistischen Übersichten des Elementar=Schulwesens“ erließ, die auch die jüdischen Elementarschulen betraf. Im Vergleich zu den vorherigen Schülerlisten vereinfachte man das Verfahren, persönliche Angaben entfielen, gefordert waren nur noch statistische Daten wie Anzahl der Schüler und Lehrer, Angaben über einen anderweitigen Schulbesuch der Kinder, den Gesamtbetrag der Lehrergehälter, der Schulgeldeinnahmen und die Höhe des Stiftungsfonds. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 128–132.

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 Reorganisation und Ausbau (1825–1871)

andere Schulen zu schicken und diese dann nur noch am Religionsunterricht teilnahmen.245 Tabelle 6 Entwicklung der Schülerzahlen der Hascharath Zwi (1825–1870)246

90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1825

1830

1835

1840

1845

1850

1855

1860

1865

1870

Als nächstes soll nun der Fokus auf einzelne Schüler der Hascharath Zwi gerichtet werden. Einer ihrer bekanntesten Schüler war zweifellos der spätere Rabbiner und Leiter des Berliner Rabbinerseminars Esriel Hildesheimer.247 Als Sohn Levy Moses Hildesheimers248 und dessen zweiter Ehefrau Golde, geborene Joseph, wurde er am 11. Mai 1820 in Halberstadt geboren.249 Den ersten Unterricht erhielt Hildesheimer vermutlich von seinem Vater und dem Privatlehrer Simon

245 Vgl. Lasch u. Bär, Die Geschichte, 1847, S. 16f. 246 HStAH, Schulakten 2/768, passim. 247 Zur Biografie Israel Hildesheimers vgl. auch Karpeles, Gustav: Dr. Israel Hildesheimer. Eine biographische Skizze. Frankfurt a. M. 1870. S. 5–8; Daiches, S.: Rabbi Israel Hildesheimer. Ein Lebensbild. Berlin 1900; Eppenstein, Simon: Leben und Wirken Dr. I. Hildesheimers. In: Jeschurun 7 (1920). Nr. 5/6. S. 271–314, hier S. 271–282; Sinasohn, Max: Adass Jisroel Berlin. Entstehung, Entfaltung, Entwurzelung 1869–1939. Jerusalem 1966. S. 14–21; Brocke u. Carlebach, Biographisches Handbuch, Teil 1. Bd. 1., 2004, S. 434–437. Aus der zahlreichen Literatur über Esriel Hildesheimer vgl. zuletzt Morgenstern, Matthias: Esriel Hildesheimer (1820–1899) und die „Halberstädter Orthodoxie“. In: Jüdische Bildung und Kultur in Sachsen-Anhalt von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Hrsg. von Giuseppe Veltri u. Christian Wiese. Berlin 2009. S. 175–194. 248 Levy Moses Hildesheimer, auch genannt Jehuda Löb Glee, wurde 1762 in Gleidingen bei Hannover geboren. Laut Auerbach gehörte er zu den Gelehrten der Klaus. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 127, Anm. 4; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 13f. 249 HStAH, Jü 001, Bl. 76.

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Bendavid.250 Verzeichnet unter seinem vollständigen Namen Israel Levy Hildesheimer, besuchte er ab 1825 die Elementarklasse und ein Jahr später die Zweite Knabenklasse251 und wechselte bereits im Alter von zehn Jahren in die Erste Knabenklasse. Nach Aufnahme der Mädchen besuchte auch seine ältere Schwester Lea die Hascharath Zwi. Laut Schülerlisten bestritt der Vater den Lebensunterhalt der Familie als Handelsmann, sein Beruf wurde mit „Trödler“ angegeben. Wie der Großteil der jüdischen Familien hatte sich die Familie Hildesheimer in der Unterstadt, Düsterngraben 28 niedergelassen.252 Als der Vater 1832 im Alter von 70 Jahren starb, musste die Mutter die noch nicht erwachsenen Kinder allein versorgen.253 In den Schülerlisten erscheint sie als Witwe Hildesheimer mit der Berufsbezeichnung „Pfandverleiherin“.254 Nach seiner Schulzeit setzte Hildesheimer seine Studien bei Rabbiner Mathias Levian und den Klausrabbinern Joseph Egers und Gerson Josaphat fort. Für ihn fügte es sich, dass sich die Familie Hirsch seiner in jungen Jahren annahm und er auf deren Vermittlung hin Halberstadt im Jahre 1837 verlassen und seine religiösen Studien an der Talmudschule des Rabbiners Jacob Ettlinger in Altona fortsetzen konnte. 1841 kehrte er nach Halberstadt zurück und bestand 1843 am Domgymnasium das Examen, als Studienwunsch gab er „jüdische Theologie und Mathematik“ an und begann sein Studium an der Berliner Universität.255 Nach weiteren Studien wurde Hildesheimer im August 1846 an der Philosophischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg promoviert.256 Er kehrte abermals nach Halberstadt zurück und heiratete Henriette Hirsch, die Tochter des inzwischen verstorbenen Aron Hirsch und Schwester Joseph Hirschs.257 Als Nachfolger seines

250 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 19. 251 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 12. 252 Ebd., Bl. 60–62. 253 HStAH, Jü 001, Bl. 113. 254 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 77. 255 Jahresbericht über das Königl. Dom-Gymnasium zu Halberstadt. Halberstadt 1844. S. 37. 256 Vgl. Wilke, Carsten: Rabbinerpromotionen an der Philosophischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg, 1845–1895. In: Jüdische Bildung, 2009, S. 262–315, hier S. 299. Weitere Halberstädter Promotionsabsolventen waren Jacob Egers (1860), Marcus Petuchowski (1892) und Isaak Auerbach (1893). Vgl. ebd., S. 303, 313f. 257 HStAH, Jü 001, Bl. 172. Zu Henriette Hirsch, die ebenfalls die Hascharath Zwi besucht hatte vgl. auch Jaglitz, Sarah: Zur Rolle der Frau im Prozess der Verbürgerlichung der Juden am Beispiel Henriette Hildesheimer (1824–1883). In: Von der Metallschmelze im Waschhaus zum weltweit agierenden Industrieunternehmen. Beiträge zur jüdischen Unternehmer- und Unternehmensgeschichte. Familie Hirsch in Halberstadt zwischen 1805 und 1927. Hrsg. von Jutta Dick u. Irene A. Diekmann. Potsdam 2015. S. 197–282.

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Bruders Abraham Hildesheimer übernahm er das Amt des Gemeindesekretärs.258 1851 folgte Hildesheimer dem Ruf als Gemeinderabbiner nach Eisenstadt, 1868 dem der neu gegründeten orthodoxen Vereinigung „Adass Jisroel“ nach Berlin, wo er 1873 das dortige Rabbinerseminar gründete und bis zu seinem Tod im Jahre 1899 leitete.259 Hildesheimer wurde von der Familie Hirsch unterstützt, die ihm den nötigen finanziellen Hintergrund beruflicher wie auch privater Art sicherte.260 Mitschüler Esriel Hildesheimers an der Hascharath Zwi war Hirsch Plato, mit dem ihn zeitlebens eine enge Freundschaft verband.261 Hirsch Plato wurde am 8. August 1822 als Sohn des Handelsmannes Moses Plato und dessen Ehefrau Hanne, geborene Phillip aus Oschersleben, in Halberstadt geboren.262 Er besuchte von 1827 bis 1836 die Hascharath Zwi263 und setzte seine Studien bei Rabbiner Sabel Eger in Braunschweig fort, bis er 1845 an die Universität Göttingen wechselte.264 Fast zeitgleich mit Hildesheimer kehrte er 1847 nach Halberstadt zurück und wurde 1852 von Gemeinderabbiner Mathias Levian zum Rabbiner ordiniert.265 Ein Jahr später promovierte er an der Universität in Jena. 1856 heiratete er die Tochter Samson Raphael Hirschs und wurde Lehrer an der nach Hirsch benannten Schule in Frankfurt a. M., bis er 1867 an das Jüdische Lehrerseminar in Düsseldorf wechselte und 1874 dessen Leitung übernahm. In der ersten orthodoxen Austrittsgemeinde „Adass Jeschurun“ wirkte er als „inoffizieller Rabbiner“, er starb 1910 in Köln.266

258 Laut Carsten Wilke soll Esriel Hildesheimer zusammen mit dem Klausrabbiner Gerson Josaphat fünf Jahre lang eine Jeschiwa in seinem Wohnhaus geleitet haben. Vgl. Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 526f. 259 Zu Esriel Hildesheimer und das von ihm gegründete Rabbinerseminar vgl. Eliav, Mordechai u. Esriel Hildesheimer: Das Berliner Rabbinerseminar 1873–1938. Seine Gründungsgeschichte – seine Studenten. Berlin 2008. S. 12–43. 260 Henriette Hirsch, die Engeltochter Hildesheimers berichtete, dass sich in der Schublade des Schreibtisches ihres Großvaters immer Geld befunden habe, das aus Halberstadt kam. Auszugsweise veröffentlicht in Richarz, Monika (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Bd. 2: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich. Stuttgart 1979. S. 77–86, hier S. 79. 261 Vgl. Eliav, Mordechai (Hrsg.): Rabbiner Esriel Hildesheimer. Briefe. Jerusalem 1965. S. 23, 65, Anm. 22. 262 HStAH, Jü 001, Bl. 82. Neben seiner Tätigkeit als Handelsmann erteilte Moses Plato einigen Kindern Privatunterricht in Hebräisch Lesen und Schreiben. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 19–23. 263 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 41, 91. 264 Vgl. Brocke u. Carlebach, Biographisches Handbuch, Teil 1. Bd. 2, 2004, S. 713. 265 Zu den Rabbinatsdiplomen vgl. Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 628, Anm. 285. 266 Vgl. Brocke u. Carlebach, Biographisches Handbuch, Teil 1. Bd. 2, 2004, S. 713; Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 136f.

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Aufschlussreich und von unschätzbarem Wert sind die im Archiv des Leo-Baeck-Institute in New York hinterlegten Autobiografien, von denen sich inzwischen ein Teil in der Dependance des Archivs im Jüdischen Museum in Berlin befindet.267 Bei ihren Verfassern handelt es sich um ehemalige Schüler oder Pensionäre, die bei einem der Lehrer der Hascharath Zwi untergebracht waren. Obzwar nur einige wenige Selbstzeugnisse ehemaliger Halberstädter Schüler vorliegen, teilweise mit großem zeitlichem Abstand zueinander, sind sie als überaus eindrucksvolle zeithistorische Dokumente zu bewerten, die über familiäre Situation und Schulbesuch hinaus aufschlussreiche Einblicke in die in Halberstadt praktizierte religiöse Lebensweise gewähren.268 Um das persönliche Sprach- und Wahrnehmungsmuster der Einzelnen aufzuzeigen, ist es notwendig, einige längere Passagen zu zitieren. Außer Angaben zu Familiengröße, sozialer Stellung der Eltern, Abfolge des Schulbesuchs, Mitschülern, sozialem Umfeld, Kontakten zur nichtjüdischen Bevölkerung und eigenem späterem Werdegang werden auch sehr persönliche Aussagen über familiäre Sorgen und Nöte getroffen. Oftmals fragmentarisch angelegt, skizziert auf wenigen Seiten oder schwerpunktmäßig einzelne Lebensabschnitte aufgreifend, werden die Erinnerungen wiedergegeben. Alle Memoiren stammen von auswärtigen Schülern mit mehr oder weniger engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Halberstadt; sie waren entweder bei Lehrern der Hascharath Zwi, die sich dadurch ein Zubrot verdienten, oder bei Verwandten untergebracht. Zu den Lehrern, die Pensionsschüler beherbergten, gehörten z. B. Gerson Lasch und Samuel Baer, später auch die Lehrer Joel Friedländer und Meier Löwenberg. Einer der Gründe, warum Eltern ihre Kinder nach Halberstadt schickten, war die oftmals fehlende Ausbildungsmöglichkeit am jeweiligen Wohnort. Dies betraf sowohl die allgemeine Bildung in den Ortsschulen als auch die religiöse Ausbildung in den jüdischen Religionsschulen. Ein weiterer Grund war die soziale Not, wenn ein Elternteil früh verstorben war, und somit die Versorgung eines oder mehrerer Familienmitglieder nicht mehr gewährleistet werden konnte – nicht selten erfolgte daher die Unterbringung bei Verwandten.

267 Eine systematische Auswahl an veröffentlichten Biografien befindet sich in Richarz, Monika (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Bd. 1: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780–1871. Bd. 2: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte im Kaiserreich. Bd. 3: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1918–1945. Stuttgart 1976–1982. 268 Allgemein zur Einführung in die Quellengattung der „Ego-Dokumente“ vgl. Schulze, Winfried (Hrsg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996. Zur Frage „Gibt es eine eigene jüdische autobiografische Tradition?“ vgl. Jancke, Gabriele: Jüdische Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente der frühen Neuzeit in Aschkenas. In: Klein, Birgit E. u. Rotraud Ries (Hrsg.): Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente frühneuzeitlicher Juden in Aschkenas. Berlin 2011. S. 9–26, hier S. 19–26.

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An einem der Beispiele werden besonders die engen verwandtschaftlichen Verhältnisse der Familien Hirsch und Auerbach, ihr soziales Engagement sowie ihr enormer Einfluss auf das Halberstädter sozioreligiöse Gemeindeleben, vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deutlich. Zwei der Bespiele weisen darauf hin, dass der traditionelle Unterricht an der Hascharath Zwi als Vorbereitung dienen sollte, um anschließend an die Klaus zu wechseln und sich so auf das Rabbineramt vorzubereiten. Julius Oppenheimer, der spätere Rabbiner der Reformgemeinde zu Berlin, verfasste sehr persönliche Aufzeichnungen in Briefform, die er an seinen Sohn Franz Oppenheimer, den späteren Nationalökonomen und Mitbegründer der deutschen Soziologie, richtete. Die Erinnerungen Oppenheimers bestehen aus zwei Entwürfen – den ersten verfasste er im Alter von 73 Jahren, bevor er, sichtlich unzufrieden mit dem Resultat, einige Jahre später eine umfangreichere zweite Fassung schrieb.269 Geboren 1827 in Uslar im Weserbergland, gelangte er 1842, nach einigen fehlgeschlagenen Aufenthalten in verschiedenen Schuleinrichtungen, nach Halberstadt.270 Trotz verwandtschaftlicher Beziehungen in der Stadt hatte sein Vater ihn zunächst bei Gerson Lasch in Pension untergebracht.271 Da bereits kurze Zeit

269 Julius Oppenheimer, Memoiren eines greisen Kindes, Leo Baeck Institute Jüdisches Museum Berlin (LBIJMB) MM 61, Bl. 1–79. Beide Fassungen besitzen eine durchgehende Nummerierung. Die erste Fassung bezieht sich auf die Seiten 1 bis 21 vom 27. Januar 1902, die zweite umfasst die Seiten 22 bis 79 und wurde am 13. Dezember 1906 beendet. Da die Erinnerungen an seine Halberstädter Zeit in der ersten Fassung nur sehr spärlich ausfallen und einige fehlerhafte Wiedergaben der Namen enthalten, wurde überwiegend die zweite herangezogen. Zu Julius Oppenheimer vgl. auch Ladwig-Winters, Simone: Freiheit und Bindung. Zur Geschichte der jüdischen Reformgemeinde zu Berlin von den Anfängen bis zu ihrem Ende 1939. Berlin 2004. S. 100, 108f., 242; Sinasohn, Max: Die Berliner Privatsynagogen und ihre Rabbiner 1671–1971. Jerusalem 1971. S. 38. Beide Publikationen enthalten nur wenige Angaben zu Julius Oppenheimer. 270 Mangels einer jüdischen Schule erhielten die Oppenheimer-Kinder zunächst Unterricht bei einem jüdischen Hauslehrer. Da sich dessen pädagogische Fähigkeiten als unzureichend erwiesen, wurde er nach kurzer Zeit wieder entlassen. Nach dem frühen Tod der Mutter blieben der siebenjährige Julius und seine Geschwister vorerst im Elternhaus. Um später dem zehnjährigen Sohn eine Schulausbildung zu ermöglichen, brachte der Vater ihn im Nachbarort Bodenfelde in Pension bei dem dortigen Rabbiner Katzenstein unter, der eine gute Reputation als Pädagoge besaß und die ihm anvertrauten Kinder auch in anderen Wissenschaften und der französischen Sprache unterrichtete. Persönliche Verfehlungen Oppenheimers führten dazu, dass er kurz darauf wieder nach Hause geschickt wurde und Unterricht in der Stadtschule erhielt. Auf Anraten des Rabbiners wurde er nach Kassel zu dem Lehrer Bendow in Pension geschickt. Doch auch dieser Aufenthalt sollte nur von kurzer Dauer sein. Oppenheimer, Memoiren, LBIJMB MM 61, Bl. 5–7, 13–17. In der zweiten Fassung berichtet Oppenheimer detaillierter über seine „Lausbubengeschichten“, die immer wieder dazu führten, dass er häufig den Schulort wechseln musste. Ebd., Bl. 23–41. 271 Ebd., Bl. 44.

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später der Pensionsbetrag nicht mehr aufgebracht werden konnte, brachte ihn seine im Hause Hirsch wohnende Tante Simlah bei der Witwe des Gemeindekantors Jeretzky unter. Oppenheimer gibt an, bei dieser „höchst gemütlich gelebt zu haben“. Für die täglichen Bedürfnisse sorgte die Familie Hirsch, „die mich an ihren Tisch zog und der war sehr gut besetzt mit reichen Schüsseln. Auch sorgte sie für Taschengeld, Kleidung und Bücher.“272 Mit offenkundiger, aufrichtiger Sympathie berichtete Oppenheimer über Gerson Lasch: Ich traf in Halberstadt einen Kreis alter wie junger Menschen an, die mit teils echt jüdischer Frömmigkeit und teils fanatischem Gebaren immerhin das Streben nach allgemeiner Bildung verbanden. Da taucht zunächst das Bild meines frommen Lehrers Lasch auf, in dessen Familie und dessen Schule, Hascharath Zwi ich aufgenommen wurde. Sein Judentum war durchklärt von den edelsten Ideen und von einer weitumfassenden Bildung und sein Haus nicht nur eine Stätte des Friedens, sondern auch freundlichen Verkehrs und befruchtender Unterhaltung. Hier fand sich jeder aus der Gemeinde ein und zurecht, ob orthodox oder freisinnig veranlagt; Rabbi Lasch verstand es, zu vermitteln, weil er mehr den sittlichen Gedanken des Judentums als die äußere Handhabe desselben betonte. Er konnte die Fanatiker nicht ausstehen und deren gab es in Halberstadt genug, die jeden andersgesinnten perhorreszierten, der sich an die strengen Vorschriften der Orthodoxie nicht gebunden glaubte.273

Nach der Schulzeit an der Hascharath Zwi verblieb Oppenheimer in Halberstadt, um zunächst mit Eifer seine religiösen Studien an der Klaus fortzusetzen. Dort traf er auf den Klausrabbiner Gerson Josaphat, über dessen traditionelle Einstellung und kulturelle Offenheit er Folgendes berichtete: Mit ihm [Gerson Lasch; Anm. d. Verf.] gleicher Gesinnung war mein Verwandter Rabbi Gerson Josaphat, Klaus-Rabbiner, der mich in Talmud unterrichtete. Übertriebene Frömmigkeit war ihm ein Greuel und das Talmudstudium, dem er selbst ausschließlich oblag, weil es sein Amt war, versperrte ihm nicht den Weg in die Öffentlichkeit: Mit Behagen las er die Vossische Zeitung ebenso die Frankfurter Zeitung; – mit Begierde verschlang er die wissenschaftlichen Aufsätze, ja selbst die Theaterberichte und gar gern die Romane, die diese Zeitungen brachten. Er unterrichtete mich nur eine Stunde täglich, aber gründlich, sehr methodisch und knüpfte daran oft Gespräche an, die weit vom Talmud selbst ablenkten.274

Außerdem hatte Oppenheimer dem Unterricht des damals jungen Esriel Hildesheimer beigewohnt:

272 Oppenheimer berichtet, dass seine Tante Simlah Oppenheimer, eine geborene Hirsch, die Frau seines verstorbenen Onkels Michael Oppenheimer aus Nordhausen war, die nach dem Tod ihres Mannes in ihr Elternhaus zurückkehrte und dort zusammen mit ihrem ledigen Bruder Arnold Göttinger lebte. Ebd., Bl. 17, 45. 273 Ebd., Bl. 44–45. 274 Ebd., Bl. 45.

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[…] damals noch Gymnasiast, später der berühmte Rabbiner und Schwager der Familie Hirsch, führte er mich in die klassischen Wissenschaften ein und ich kann wohl sagen in seiner Weise sehr ernst und mit Erfolg. […] Er war ein grundgelehrter Herr, aber seine Art mich zu unterrichten verwirrte meinen Kopf mehr als sie mein Verständnis förderte und ich war heilfroh als er die Universität in Berlin bezog und die Philosophie Hegels studierte. Es kennzeichnet ihn genügsam, wenn er diesem System mit Leib und Seele anhing und dennoch ein streng-gläubiger Talmudist geblieben ist.275

Auch über seine Mitstudenten an der Klaus erzählte er: Vorläufig bin ich in Halberstadt ein streng gläubig Gemüt, und mein Freund Scholaum Hirsch276, einer der begabtesten Jünglinge, schön an Leib und Geist, gemütvoll, hingebend und opferfreudig, war mein Ideal, dem ich nachstreben wollte. Mit ihm im Bunde lebten zwei junge Männer verschiedener Richtung. [Hirsch; Anm. d. Verf.] Plato, ein phantasiereicher Kopf, aber strengster Observanz hingeneigt und Wolf Hagelberg, mein späterer Vorsteher der jüdischen Reformgemeinde in Berlin. Das sagt schon genug. Er war damals ein schlichter Buchdrucker-Lehrling, aus Hoym a. H., sehr arm, aber voll Streben nach Bildung und sehr fortschrittlich gesinnt, ein Beweis wie tolerant Scholaum sein konnte, der selbst streng orthodox war. Später gesellte sich zu uns Simon Eichenberg aus Alsleben, ein naiv gläubiger aber sehr behäbiger Jüngling, der sich um die Welt und ihre Gegensätze nicht viel kümmerte, und mit dem ich für das ganze Leben innig Freundschaft geschlossen habe. So hatte ich freundlichen Umgang; meine Phantasie fand reichlich Nahrung; den Sternen strebte ich zu, stolperte aber über das Irdische.277

Auch wenn sich Oppenheimer über die Lehrer und Klausrabbiner überaus respektvoll äußerte und die Fürsorge der Familie Hirsch ihm gegenüber hervorhob, eine gewisse Form der Kritik an dieser lässt sich dennoch nicht leugnen: Wenn nur die Gegenpartei nicht gewesen wäre! Die mischte einen Tropfen Wehmut in meine Freude. Ich kann nicht sagen, dass die streng orthodoxe Familie Hirsch unedel, bildungsfeindlich, weltflüchtig gewesen wäre. Im Gegenteil benahm sie sich gegen mich als Neffen der Tante Simlah Oppenheimer, die in ihrem Hause mit ihrem Bruder Arnold Göttinger zusammen lebte, höchst freundlich und edel. […] Von dieser Art Frömmigkeit, lieber Franz! Kannst Du Dir keinen Begriff machen. Da müsstest Du alle die intimsten Vorschriften des Schulchan Aruch kennen und mit diesem habe ich Dich wohlweislich nicht vertraut gemacht, schon damit du sie nicht übertreten solltest, wie ich das gethan, wie oft leider zu meiner schlimmsten Lage, in die ich in Folge dessen versetzt wurde.278

275 Ebd., Bl. 44–47. 276 Bei dem von Oppenheimer erwähnten Scholaum [Salomon] Hirsch handelt es sich um den dritten Sohn des Firmengründers Aron Hirsch, der 1859 im Alter von nur 33 Jahren starb. Vgl. dazu den Nachruf, vermutlich verfasst von Gerson Lasch. In: Jeschurun 6 (1859). Heft 3. S. 168f. 277 Oppenheimer, Memoiren, LBIJMB MM 61, Bl. 47. 278 Ebd., Bl. 45–46.

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Schließlich verließ der junge Oppenheimer Halberstadt und setzte seine religiösen Studien in Altona bei Rabbiner Ettlinger fort. Entgegen seinen ursprünglichen Plänen, sich ausschließlich den religiösen Studien zu widmen, lernte er Griechisch und Latein und erhielt die Zugangsberechtigung zum Gymnasium. Dieser Schritt löste große Empörung aus, und sein Vater sowie die „ Halberstädter Fraktion“, womit die Familie Hirsch gemeint war, entrüsteten sich über seine eigenwilligen Pläne.279 Doch er ließ sich nicht davon abbringen, wechselte 1848 nach Berlin und bestand dort 1851 das Abitur.280 Bis 1855 war Oppenheimer als Lehrer und Erzieher in dem von Baruch Auerbach gegründeten Waisenhaus tätig.281 Er promovierte an der Universität Leipzig und ließ sich nach Aufenthalten in Wien, Prag und Göttingen ab 1860 wieder in Berlin nieder, wo er die Stelle des Rabbiners und Religionslehrers an der Berliner Reformgemeinde übernahm, der er 47 Jahre vorstehen sollte.282 Obwohl Oppenheimer einen anderen beruflichen Werdegang einschlug als die Halberstädter Familie für ihn vorgesehen hatte, und sich von der gesetzestreuen Richtung lossagte, findet deren großes soziales Engagement eine Bestätigung in der Unterstützung und Förderung seiner Person. Seine Erinnerungen an Schul- und Studienzeit an der Klaus fallen ausnahmslos positiv aus und bestätigen das bisher übervermittelte Bild Gerson Laschs als Gelehrten und zugänglichen wie auch umsichtigen Pädagogen mit hohem Ansehen in der Gemeinde. Zwar fallen die Erinnerungen des Schülers Hermann Perutz aus Ballenstedt wesentlich kürzer aus, gleichwohl zeigen auch sie die überaus funktionsfähigen, traditionellen Familiennetzwerke und das oftmals von den Müttern ausgehende Bestreben, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu geben. Hermann Perutz, 1853 geboren, kam im Alter von elf Jahren nach dem Tod seines Vaters nach Halberstadt. Da die Mutter acht Kinder zu versorgen hatte, von denen sich fünf in schulfähigem Alter befanden, nutzte sie ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu Halberstadt und brachte ihren zweitältesten Sohn in der Familie Dessauer unter, um ihm den Besuch der jüdischen Schule zu ermöglichen.283 Perutz berichtete darüber:

279 Ebd., Bl. 52. 280 Ebd., Bl. 55, 59. 281 Ebd., Bl. 60–63. 282 Ebd., Bl. 64–79. 283 Vgl. Hermann Perutz, Memoiren, LBIJMB MM 61, Bl. 1–2. Perutz führt weiterhin aus, dass sein Vater als Seifensiedemeister eine kleine bescheidene Seifen-, Licht- und Pottaschfabrik betrieb und als Mohel tätig war. Seine Mutter stammte aus Ellrich, war eine geborene Dessauer und die zweite Frau seines Vaters, der bereits drei Kinder aus erster Ehe hatte. Über die jüdische Gemeinde Ballenstedt berichtet er, dass diese aus ca. 20 Familien bestand, die überwiegend im Rohwollhandel und Lederhandwerk tätig waren. Seine frühen Erinnerungen charakterisieren

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Um meiner Mutter ihre Lage zu erleichtern, kam ich im Februar 1864 nach Halberstadt zu dem Bruder meiner Mutter, also mein Onkel Julius Dessauer284 und Tante Emma. Ich war damals kaum 11 Jahre alt. […] Ich besuchte in Halberstadt die jüdische Schule, welche wenig besser wie eine Elementarschule war. Wir hatten täglich 2 bis 3 Stunden Hebräisch, Pentateuch, Übersetzung der Gebete, Raschi, Mischna und im letzten Jahr auch Gemara, auch Deutsch, Zeichnen, Physik und Französisch. Mein Hauptlehrer hieß Herr Friedländer, der mir außerdem noch Privatunterricht erteilte. Das Leben in Halberstadt gefiel mir bei meiner damaligen religiösen Einstellung außerordentlich gut. […] Im März 1866 wurde ich Bar-Mizwa, meine selige Mutter und mein Bruder Louis waren zugegen. Dieser Tag wurde sehr hübsch nach altem Ritus gefeiert. Ich erhielt für damalige Verhältnisse sehr schöne Geschenke. Mit Hilfe meines Lehrers erlernte ich eine längere Rede, bezüglich auf meinem Possuk und die Sidra, welche ich vorgelernt hatte, welche darin ausklang, dass die Entweihung des Schabbat das schwerste Vergehen gegen die Religion sei.

Über seinen Aufenthalt bei Julius und Emma Dessauer führte er aus: Onkel und Tante selbst hatten keine Kinder, es waren sehr fleißige, brave, strebsame Leute, sie waren wenig gebildet, hatten aber viel Herzensbildung und hatten es auch später zu Vermögen gebracht. […] Mein Onkel und auch Tante Emma waren, wie ich bereits angedeutet habe, prächtige Menschen, welche bestrebt waren, mir eine gute Erziehung zu geben; jedoch waren es Leute, welche selbst keine Kinder hatten und daher wohl eine gewisse Innigkeit, welche bei Eltern vorhanden sein muss, nicht kannten; trotzdem liebten sie mich auf ihre Weise, und wenn ich in späteren Jahren, was alljährlich geschah, auf Besuch dort weilte, dann hiess es vorher; Unser Junge kommt zu Pessach.285

Obschon Perutz nach seiner Schulzeit, auf Vermittlung seines Onkels Julius, in einem Manufakturwarengeschäft in Altona eine Ausbildung begann, hielt er fest am Kontakt zu seinen Verwandten in Halberstadt und besuchte diese auch an den jüdischen Festtagen.286 Zu den Schülern, die zwar nicht die Hascharath Zwi besuchten, aber nach Halberstadt zum Lernen an die Klaus gekommen waren, gehörte der 1859 in

das Schulwesen kleiner jüdischer Landgemeinden. Zunächst besuchte er die städtische Volksschule, „in der von Sauberkeit und Hygiene wenig zu merken war“, nach einem Jahr wechselte er an die jüdische Schule. Unterrichtet wurden die Kinder von dem jüdischen Lehrer Elkan. Bereits zwei Jahre später wurde die jüdische Schule wieder aufgelöst, da die Anzahl der Gemeindemitglieder sich verringerte und die Gemeinde keinen Lehrer mehr entlohnen konnte. Daraufhin besuchte er zwei Jahre lang die städtische Mittelschule. 284 Julius Dessauer betrieb ein Galanteriewarengeschäft. Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 148. 285 Perutz, Memoiren, LBIJMB MM 61, Bl. 1–2. 286 Ebd., Bl. 6–8. Perutz hielt weiterhin regen Kontakt zu Halberstadt; später heiratete er Emilie, genannt Milchen, die Tochter seines Onkels Joseph Dessauer.

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Kieferstädtel/Oberschlesien geborene Wilhelm Kober. Er erzählte zunächst von seinem Bruder Josef, der nach dem frühen Tod des Vaters und aufgrund der mangelhaften religiösen Unterweisung an der Schule seines Heimatortes als erstes der Kober-Kinder nach Halberstadt kam: Kurz entschlossen brachte Mutter den (seligen) Josef nach der Bar Mizwah nach Halberstadt zu Lehrer Friedländer287 in Pension und traf es damit sehr gut. Er besuchte die Realschule und hatte reichlich Gelegenheit bei Dr. Benjamin Hirsch Auerbach, Tante Bertas Großvater sowie bei den Rabbinern Gerschon Josaphat und Isaak Lange zu lernen. Auch als er 1872 zu H. J. Meyer & Söhne ins Geschäft kam, setzte er das Lernen in den Frühstunden, bevor er in Schul ging, fort.288

Über seine eigene Schulzeit und seinen Wechsel an das Martineum in Halberstadt sowie seine Erfahrungen als Pensionsschüler bei dem Lehrer Meier Löwenberg führte er aus: Ich besuchte die Volksschule und hatte nebenbei bei einem im Studium steckengebliebenen Akademiker Unterricht, der mich bis zur Quinta förderte, aber bald nach der Bar Mizwah 1872 brachte mich Mutter auch nach Halberstadt und zwar zu Meyer Löwenberg in Pension, einem Mann von eisernem Fleiße, großer Sparsamkeit und Wissen, besonders in französisch und englisch. Die vornehmsten Kreise, besonders die Offiziere des Kürassier-Regiments, das 1870 bei Mars la-Tour den berühmten Todesritt machte, aus dem kaum ein Fünftel zurückkehrte und die Entscheidung von Sedan herbeiführte, suchten seinen Unterricht. Ich erwähne dies, weil ich an diesen Sprachstunden teilnehmen durfte. Als Gegenleistung hatte ich die Pfeifen und Rauchzeug Löwenbergs in Ordnung zu halten. […] Die Schule in Halberstadt war sehr schön. In der sehr stark besuchten Realschule, sie zählte damals über 900 Schüler, die Belegung der Klasse war mindestens über 50, herrschte ein sehr froher Ton, unter der Leitung des sehr jovialen Direktors Spilleke. Die Lehrer waren freundliche Menschen und ich erinnere mich noch der Herren Dr. Miehe und Dr. Schuchardt, sie waren wirklich Freunde ihrer Schüler. […] Das die jüdischen Schüler pünktliche Synagogenbesucher waren, war bei dem in Halberstadt herrschenden Geist selbstverständlich und da man jetzt so viel von der Überlastung der Jugend spricht, möchte ich meine damalige Zeiteinteilung nicht unerwähnt lassen. An 2–3 Tagen die obenerwähnten Sprachstunden von 5 bis 6 Uhr, dann in die Synagoge, eiligst Frühstück, um beim Schulbeginn pünktlich zu sein. Nach 2–3 Stunden Mittagspause wieder 2 Stunden Schulunterricht und dann Montag, Dienstag, Donnerstag 1½ bis 2 Stunden jüdisch, denselben Unterricht auch den ganzen Sonntag vormittag

287 Hermann Perutz und Wilhelm Kober erwähnen den Lehrer Joel Friedländer. In den Schülerlisten wird er von 1862 bis 1870 aufgeführt. HStAH, Schulakten, 2/268, Bl. 250–257. 288 Wilhelm Kober, Geschichte meiner Familie, LBIJMB MM 45, Bl. 5–6. Josef Kober wurde ab 1871 von Gerson Josaphat als Pensionär aufgenommen. HStAH, Häuserlisten Haus Nr. 1404 (Rosenwinkel 18), Bl. 84.

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und Schabbos und Mittwoch nachmittag. Ich lernte außer bei Löwenberg bei unvergleichlichen Männern, wie Rabbi Jizchok Lange und Dr. Selig Auerbach, Tante Bertas Vater.289

Die Beispiele belegen, dass „Bildung als der zentrale Topos“ für fast alle in dieser Periode verfassten Autobiografien angesehen werden kann.290 Trotz oftmals schwerer finanzieller Notlage waren einige Familien bestrebt, ihren Kindern eine optimale bzw. umfassende Ausbildung zu ermöglichen, wobei nicht nur die Vermittlung allgemeinen Wissens im Mittelpunkt stand, sondern gleichwertig die religiöse Erziehung. Darüber hinaus spielte bei der Entscheidung der Eltern die praktizierte fromme Lebenseinstellung der Gemeinde eine wesentliche Rolle. Bei den Kindern fand die religiöse Lebensform zunächst große Zustimmung, und es entsteht der Eindruck, dass die damals bestehende Schul- und Gemeindestruktur den Kindern eine Form von Sicherheit vermitteln konnte. Alle Äußerungen über Lehrer, Klausrabbiner und Pensionseltern scheinen unbeschwerten Kindheitserinnerungen zu entstammen und werden erst – wenn überhaupt – ab einem späteren Zeitpunkt kritisch hinterfragt. Außerdem belegen die Beispiele eine überaus hohe „Funktionsfähigkeit der im jüdischen Bezugsfeld traditionell weitgespannten Netzwerke sozialer Kontakte und solidarischen Beistandes“.291 Es war die erfolgreiche Firma Aron Hirsch & Sohn, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, bereits in zweiter Generation, soziale Gemeindeprojekte, die religiöse Erziehung der Kinder, Rabbiner und Gelehrte maßgeblich unterstützte, wie die Beispiele Hildesheimer und Oppenheimer deutlich machen. Aber auch andere, weniger im Mittelpunkt stehende jüdische Familien wie z. B. die Dessauers, zeigten besonderes soziales Engagement.

289 Kober, Geschichte, LBIJMB MM 45, Bl. 6–7. Aufgrund familiärer Umstände musste Wilhelm Kober bereits 1874 Halberstadt wieder verlassen, um seine Mutter im Geschäft zu unterstützen. Die von ihm genannte Schülerzahl scheint etwas übertrieben, das Martineum gehörte zwar zu den größten Schulen Halberstadts, wurde aber in den 1870er-Jahren von ca. 600 Schülern besucht. Vgl. Eshusius, Julius: Das Martineum zu Halberstadt unter der Leitung Dr. Hermann Spillikes in der Zeit von 1854–1883. Halberstadt 1884. S. 8f. 290 Lässig gelangt zu dem Ergebnis, dass die Autobiografien zwei Grundmotiven folgten. Sie unterscheidet zwischen den in der Frühphase der Emanzipation verfassten sogenannten EgoDokumenten mit Vorbild- und Nachahmungscharakter und den in der Endphase verfassten, die gegen Ende eines erfolgreichen Lebens der Legitimierung des eigenen Aufstieges dienten. Vgl. Lässig, Jüdische Wege, 2004, S. 218f. 291 Lässig, Jüdische Wege, 2004, S. 219.

Die Religionsschule Talmud Tora 

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2.10 Die Religionsschule Talmud Tora Wie bereits erwähnt, gehörte der seit 1670 bestehende Talmud-Tora-Verein zu den frühen wohltätigen Einrichtungen der Gemeinde, der in erster Linie den religiösen Unterricht unbemittelter Knaben unterstützte. Der Unterricht vermittelte Grundkenntnisse des Hebräischen, des Jüdisch-deutsch Schreibens, der Tora für die Jüngeren und des Talmuds und der Mischna für die Älteren. Zu den ersten nachweisbaren Stiftungen gehört die des in Halberstadt geborenen und späteren Braunschweiger Kammeragenten Alexander David, der den Talmud-Tora-Verein seit 1751 unterstützte.292 Weiterhin wurde dieser seit 1785 von Blume Ruben, seit 1789 von der Witwe Rabbiner Schwanefelds und seit 1799 von Abraham Gottschalk unterstützt.293 Im Jahre 1806 berichtet der Halberstädter Schul- und Konsistorialrat Nachtigal, dass die Talmud-Tora-Schule von acht Schülern besucht wurde, sowie von drei Mädchen, die Unterricht in Hebräisch erhielten. Als Lehrer hatte die Gemeinde Tobias Wolf eingestellt, der aus den Zinseinnahmen des Talmud-ToraVereins entlohnt wurde und freien Tisch in einigen der Häuser erhielt.294 Während der Konsistorialzeit hatte man die Religionsschule aufgelöst und die Zinseinnahmen des Talmud-Tora-Vereins für die Konsistorialschule verwendet.295 Es scheint, dass nach deren Ende wieder eine Talmud Tora gleichen Typs bestanden hat, denn im Rahmen der Neuorganisation der Hascharath Zwi im Jahre 1825 plante der Schulvorstand zunächst die Auflösung der Talmud Tora, um deren Legate für diese zu verwenden.296 Doch man entschied sich anders, denn wenig später, nach Aufnahme der Mädchen, sollten auch die Kinder einbezogen werden, die öffentliche oder höhere Schulen besuchten, und so wurde parallel eine Religionsschule gleichen Namens eingerichtet.297 Die Schüler erhielten außerhalb der

292 Alexander David wurde 1687 als Sohn des wohlhabenden David Alexander, genannt Federschneider, in Halberstadt geboren. Als Jugendlicher erlebte er den Aufstieg der Halberstädter Gemeinde unter Berend Lehmann. Durch Protektion konnte er sich als gerade 20-Jähriger als Hofjude in Braunschweig niederlassen – der erste seit 150 Jahren. Da ihm der geistige und besonders der religiöse Austausch in der kleinen jüdischen Gemeinde Braunschweig nicht ausreichte, hielt er regen Kontakt zu Halberstadt. Vgl. Ries, Sachkultur als Zeugnis des Selbst, 2011, S. 52–58; Rülf, Alexander David, 1966, S. 9–22. 293 Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 123f., 129; Feist, Die Geschichte, 2006, S. 238f., 256. Zu früheren Stiftungen, die den Talmud-Tora-Verein unterstützten, liegen keine Angaben vor. 294 GStA PK, I. HA Rep. 76 alt, Abt. I., Nr. 79, Bl. 39r–40r. 295 CAHJP, KGe 3/45, Bl. 1–6 (eig. Blattzählung). 296 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 41. 297 Ebd., Bl. 79. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 26. Februar 1826. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Gerson Lasch den Schulvorstand aufgefordert hatte, mit ihm einen Vertrag bezüglich Hascharath Zwi und Talmud Tora abzuschließen.

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regulären Unterrichtszeiten Hebräisch- und Religionsunterricht, der am Sonntagvormittag und Mittwochnachmittag im Schulhaus stattfand und von den geprüften Lehrern der Hascharath Zwi, in erster Linie von Gerson Lasch, erteilt wurde. Die Schule wurde auch weiterhin mit den von der Gemeinde verwalteten Legaten des Talmud-Tora-Vereins finanziert.298 Das Lehrangebot nahmen allerdings nicht alle jüdischen Eltern in Anspruch, und so wandte sich 1829 der Schulvorstand an den Halberstädter Magistrat und setzte diesen davon in Kenntnis, dass einige jüdische Kinder, die christliche Schulen besuchten, nicht am jüdischen Religionsunterricht teilnahmen. Trotz mehrfacher Aufforderung des Schulvorstandes weigerten sich die entsprechenden Eltern, ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen. Doch der Schulvorstand blieb hartnäckig und wandte sich wiederholt an den Magistrat, indem er sich auf die Ausführungen des Allgemeinen Landrechts berief: „Es ist unsere Pflicht, nach dem ALR § 43–58 darauf zu sehen, daß Kinder nach zurückgelegtem 5ten Jahre die Schule besuchen, und nach Niemeyers Pädagogik der Unterricht in der heiligen Religion das Erste ist, was dem Kinde bei zarter Jugend eingeschärft werden muß.“ Der Schulvorstand räumte zwar ein, dass es den Eltern freigestellt sei, in welche Schule sie ihre Kinder schickten, doch er beharrte darauf, dass der jüdische Religionsunterricht eine Ausnahme darstelle, zumal dieser nur von examinierten Lehrern erteilt werden dürfe. Man forderte mit Hilfe des Magistrats die Familien Moritz Herzberg und Salomon Hirsch auf, ihre schulpflichtigen Kinder am Religionsunterricht teilnehmen zu lassen.299 Da es hierzu bisher keine rechtliche Grundlage gab, dürfte es seitens des Magistrats zu keiner eindeutigen Stellungnahme gekommen sein. Im Zusammenhang mit den bereits geschilderten Auseinandersetzungen der Jahre 1838/1839 wurde das Thema erneut aufgegriffen und an den Magistrat herangetragen, der eine Entscheidung darüber ablehnte und an die Regierung verwies. Offensichtlich hatte der Schulvorstand bezüglich des Religionsunterrichts eine Entscheidung auf Regierungsebene bewirkt. Am 10. Mai 1839 erließ Oberregierungsrat Hertel eine Verfügung, die besagt, „[…] daß künftig die von den dortigen schulpflichtigen Juden-Kinder der Religionsunterricht in der jüdischen Schule regelmäßig besucht werde, insofern die Eltern nicht etwa auch in dieser Hinsicht Privat-Unterricht ihren Kindern erteilen lassen.“300 Dennoch konnte man nicht alle Eltern davon überzeugen, ihre Kinder in den Religionsunterricht

298 Ebd., Bl. 147r. 299 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 36–37. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 12. April 1829. 300 Ebd., Bl. 57. Schreiben des Oberregierungsrats Hertel an den Magistrat, 10. Mai 1839. Fortan nahm man immer wieder Bezug auf diese Verfügung. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3541, Bl. 195–196.

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der Talmud Tora zu schicken. Nach weiteren fehlgeschlagenen Bemühungen wandten sich die Administratoren 1846 wiederum an den Magistrat und forderten – unter Bezugnahme auf die Regierungsverfügung vom Mai 1839 –, die Eltern jetzt sogar „magistratsheitlich“ anzuhalten, ihre Kinder am Religionsunterricht teilnehmen zu lassen. Darüber hinaus beanstandete der Schulvorstand, dass der bisherige Religionsunterricht der Talmud Tora nicht mehr ausreichend sei und forderte, nach Absprache mit einigen Eltern, eine Erhöhung der Stundenzahl: Zusätzlich zum Mittwochnachmittag und Sonntagvormittag sollte an den Wochentagen noch die Zeit von elf bis zwölf Uhr dafür genutzt werden.301 Da diese Unterrichtszeit jedoch mit der an christlichen Schulen kollidierte, verfolgte man diesen Plan nicht weiter und es blieb bei den bestehenden Unterrichtszeiten.302 Während man in Halberstadt bei der immer wiederkehrenden Diskussion um einen qualifizierten und regelmäßigen religiösen Unterricht mit Hilfe der Regierung und des Magistrats eine Lösung auf regionaler Ebene angestrebt hatte, wurden überregional erst mit dem Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen für alle preußischen Provinzen eingeführt. Der Vorschlag des Vereinigten Landtags, der Staat möge besondere Prüfungskommissionen einrichten, um die religiösen Kenntnisse jüdischer Pädagogen zu examinieren, scheiterte hingegen am mehrheitlichen Widerstand der Kurien. Laut Brämer war das Ministerium in Berlin „zwar an einer kulturellen, aber weniger an einer religiösen Modernisierung der Juden interessiert“.303 Das vom Ersten Vereinigten Landtag verabschiedete Gesetz beinhaltete zwar für das Unterrichtswesen generell keine Neuerungen, bezüglich des Religionsunterrichts führte man allerdings in § 62 aus: Zur Theilnahme an dem christlichen Religions-Unterrichte sind die jüdischen Kinder nicht verpflichtet; eine jede Synagogen-Gemeinde ist aber verbunden, solche Einrichtungen zu treffen, daß es keinem jüdischem Kinde während des schulpflichtigen Alters an dem erforderlichen Religions-Unterrichte fehlt. Als besondere Religionslehrer können nur solche Personen zugelassen werden, welche zur Ausübung eines Elementar-Schulamtes vom Staate die Erlaubnis erhalten haben.304

Obgleich die jüdischen Gemeinden durch diese Neuerung nun in die Pflicht genommen wurden, für einen jüdischen Religionsunterricht zu sorgen, der von

301 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 84–84r. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 20. Mai 1846. Zu den Familien, die ihre Kinder nicht am Religionsunterricht teilnehmen ließen, gehörten Moses Hirsch, J. Mansbach, Michael Meyer und S. Hermann. 302 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 276. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 2. November 1866. 303 Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 124. 304 Zitiert nach Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 345. Zum Gesetz von 1847 vgl. auch Brammer, Judenpolitik, 1987, S. 333f.

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qualifizierten Lehrern erteilt werden musste, bedeutete dies nicht, dass auch alle Gemeinden dem Gesetz Folge leisteten und für eine beständige religiöse Unterweisung der Kinder sorgten. Selbst in den Gemeinden, in denen Religionslehrer vorhanden waren, besuchten nicht alle Kinder den Religionsunterricht. Aufgrund der vagen Formulierung des Gesetzes waren weder Eltern gezwungen, ihre Kinder am Religionsunterricht teilnehmen zu lassen, noch besaßen Schulvorstände oder Lehrer Möglichkeiten, die Teilnahme der Kinder gegen den Willen der Eltern zu erzwingen.305 Vermutlich hatte nicht nur die Regierung, sondern auch der Schulvorstand auf eine konkretere Regelung bezüglich des Religionsunterrichts gehofft. Es ist offensichtlich, dass die Debatten um den Religionsunterricht auf Magistrats-ebene fortgeführt wurden. Die Diskussionen darüber rissen nicht ab und erhitzten wie bisher die Gemüter. Mitte der 1860er-Jahre wurden erneut Klagen des Schulvorstandes laut. Nachdem sich dieser vergeblich bemüht hatte, die Eltern von der Notwendigkeit des Religionsunterrichts zu überzeugen, wandte er sich mit Bezug auf das Gesetz von 1847 nochmals an den Magistrat. Getragen von seinem religiösen Erziehungsgedanken, wies der Schulvorstand darauf hin, dass der Religionsunterricht nicht nur ein Bestandteil, sondern vielmehr einer der Schwerpunkte des jüdischen Unterrichts sei. Angesichts der nachlässigen Einstellung einiger Familien wurde befürchtet, dass „die religiösen Bande der Gemeinde hierdurch gelockert und die Schule durch solche Disziplinlosigkeit und Willkür untergraben werde könnte“. Diesmal wurde vom Magistrat gefordert, „die gesetzlich zustehenden Mittel anzuwenden, um diese Willkür zu steuern, damit die Kinder der hiesigen Gemeinde den Religionsunterricht in unserer Schule vorschriftsmäßig besuchen“.306 Dieser wandte sich seinerseits an die Regierung in Magdeburg. Die jüdische Gemeinde habe, so seine Ausführung, dem § 62 des Gesetzes von 1847 Genüge getan und hinreichend für den erforderlichen Religionsunterricht gesorgt; und zugleich könne kein Familienvater durch Zwang dazu angehalten werden, seine Kinder daran teilnehmen zu lassen. Das Gesetz enthalte keine Aussage darüber, ob es überhaupt zulässig sei, dahingehende Maßregeln zu erlassen.307 Auch die Regierung in Magdeburg lehnte jede Form der Bevormundung ab, „kein Familienvater kann gesetzlich belangt werden“, wenn er seine Kinder nicht am jüdischen Religionsunterricht teilnehmen lasse.308 Bei der Lehrplangestaltung der Religionsschulen waren die Gemeinden an keine staatlichen Vorgaben gebunden, damit hing das Niveau der jeweiligen 305 Brämer, Leistung, 2006, S. 124f. 306 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 275–276. Schreiben des Schulvorstands an den Magistrat, 2. November 1866. Betroffen waren die Familien Blank, Sußmann, Spiegelberg, Frank, Asch und Kuhn. 307 Ebd., Bl. 274. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 9. November 1866. 308 Ebd., Bl. 277. Schreiben der Regierung Magdeburg an den Magistrat, 22. November 1866.

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Schulen gänzlich vom Engagement der Rabbiner bzw. Religionslehrer ab, die somit auch maßgeblich die religiöse Richtung bestimmten.309 Über Lehrinhalte und Unterrichtsgestaltung der Talmud Tora liegen zwar nur wenige Informationen vor, dennoch muss an dieser Stelle daran erinnert werden, dass die geprüften Lehrer der Hascharath Zwi auch Unterricht an jener erteilten und die Administratoren ebenso für deren Belange eintraten. Daraus lässt sich folgern, dass man sich für die Talmud Tora um einen qualifizierten Unterricht bemühte. Auch die Religionsschüler erhielten ein halbjährliches Zeugnis. Wie das Zeugnis Julius

Dokument 9: Zeugnis für Julius Joseph, 1858 309 Vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 99.

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Josephs belegt, gehörten zu den Lehrgegenständen Hebräisch Lesen, Biblische Geschichte, Gebete Übersetzen Religion, Chumasch und Jüdisch Schreiben.310 Für den Unterricht in der Religionsschule benutzte Gerson Lasch das bereits erwähnte Religionslehrbuch Pikude H[a-Schem]. Im Vorwort heißt es: Um von dem praktischen Nutzen dieses Handbuches mich zu überzeugen, habe ich seit mehreren Jahren in der hiesigen israelitischen Gemeindeschule und der Hascharath Zewi den Religions-Unterricht der Knaben und Mädchen von 11 bis 14 Jahren daraus erteilt, indem ich ein oder zwei Kapitel zur Lection verwendet, am Schlusse den Inhalt in möglichst kurzen Lehrsätzen dictirt, die Stellenangaben der Gesetze und einige bezügliche Bibelstellen zum Nachschlagen und rotieren aufgegeben habe.311

Zu den offiziellen Schülerzahlen lassen sich nur wenige Aussagen treffen. War die Anzahl der Religionsschüler zwischen 1839 und 1849 eher gering, stieg sie in den 1850er-Jahren. Ein Teil der Schüler stammte aus der näheren Umgebung oder hatte verwandtschaftliche Beziehungen zu Halberstadt wie z. B. Siegbert Lasch, Neffe Gerson Laschs und Sohn seiner verwitweten Schwägerin Johanne Lasch aus Posen, der 1851 nach Halberstadt kam und im Alter von zehn Jahren das Domgymnasium und die jüdische Religionsschule besuchte.312 Tabelle 7 Schülerzahlen der Talmud Tora und Hascharath Zwi (1839–1859)313 Jahr 1839 1841 1842 1845 1846 1847 1848

Besuch der Talmud Tora 5 6 3 5 7 6 6

Besuch der Hascharath Zwi 32 28 31 30 34 35 38

310 Wie bereits erwähnt war Julius Joseph der älteste Sohn des Rechenlehrers Hirsch Joseph, der nach dem Besuch der Hascharath Zwi 1857 an das Domgymnasium wechselte und parallel Unterricht an der Talmud Tora erhielt. 1860 begann er eine Ausbildung bei seinem Onkel in Eisleben, der mit Häuten und Fellen handelte. 1875 gründete Julius Joseph sein eigenes Unternehmen in Leipzig, zehn Jahre später kehrte er mit seiner Familie nach Halberstadt zurück. Vgl. Mayer, The Josephs, S. 6f. 311 Lasch, Pikude H[a-Schem], 1857, S. IX. 312 HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 190. Die bevorzugten Schulen waren die höhere Töchterschule, die Martini-, die Seminar- und die Baraskysche Privatschule. Diese war eine Mädchenschule, die 1860 den Status einer höheren privaten Töchterschule erhielt. Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jg. 1858. S. 180; Jg. 1864. S. 207. 313 HStAH, Schulakten, 2/768, passim. Die in der Tabelle aufgeführten Jahrgänge weisen explizit auf die Religionsschüler hin.

Umzug in den Rosenwinkel 18 

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Tabelle 7 (Fortgesetzt) Jahr

Besuch der Talmud Tora

Besuch der Hascharath Zwi

1849

5

37

1851 1854 1855 1856 1857 1858 1859

6 7 14 13 18 18 12

34 45 36 45 36 43 53

2.11 Umzug in den Rosenwinkel 18 Bisher hatten die beiden Schulhäuser in der Judenstraße 18 und 27 für Schüler und Lehrer ausreichend Platz geboten. Doch nun entsprach das Hauptschulhaus nicht mehr dem benötigten Standard und war stark renovierungsbedürftig geworden. Für aufwändige Renovierungen oder ein anderes angemessenes Objekt fehlten hingegen die finanziellen Mittel. Infolgedessen beschloss die jüdische Gemeinde, die Schule bei der Planung des Neubaus der ebenfalls baufällig gewordenen Klaussynagoge zu berücksichtigen. Nach der Fertigstellung im Jahre 1858, wozu man die Klaus sowie das Vorderhaus abgetragen und die Materialien, soweit noch möglich, für den Neubau verwendet hatte, erhielt die Schule neue Räume im Synagogenanbau. Konzipiert als Bet-, Lehr- und Wohnhaus, entwarf der Halberstädter Kreisbauinspektor Blumenthal zwei komplexe Einheiten, bestehend aus einem dreigeschossigen Backsteinflügel und einem seitlichen zweistöckigen Fachwerkanbau. In diesem befanden sich im Erdgeschoss die für die Schule bestimmten Räume – zwei Klassenzimmer waren zur Straßen-, die Küche sowie ein weiterer großer Klassenraum zur Gartenseite gelegen. Das erste Obergeschoss über den Schulräumen und ebenso das Erdgeschoss der Synagoge waren als Wohnraum für die Klausrabbiner vorgesehen. Die Synagoge mit der Frauenempore erstreckte sich über die beiden verbliebenen Etagen. Beide Gebäudekomplexe waren durch einen zentralen Flur miteinander verbunden, besaßen aber jeweils einen eigenen Eingang.314 Mit dieser räumlichen Zusammenführung 314 BauA H, A 3965, Bauakte Rosenwinkel 18. Schreiben des Bauinspektors Blumenthal an die Polizeiverwaltung mit einer Zeichnung zur „Erbauung einer Synagoge nebst Lehrerwohnung“, 6. März 1857, Bl. 8. Vgl. auch Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 109f. Laut Auerbach konnte der Gemeindevorstand u. a. auch den Rittergutsbesitzer Meyer Jacobson zu Schulzendorf, den Sohn Israel Jacobsons, dafür gewinnen, sich finanziell am Um- und Neubau der Klaus zu beteiligen. Vgl. Auerbach, Geschichte, 1866, S. 154–156.

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von Klaussynagoge mit angeschlossenem Lehrhaus, Hascharath Zwi und Talmud Tora kam es zu einer festen Verortung religiös-jüdischen Lebens. Die Verortung bedeutete aber auch, dass die Schule bzw. die Lehrer und Schüler mehr als zuvor in das Blickfeld der gesetzestreuen Gemeindeobrigkeit gerieten. Für das Gebäude Judenstrasse 18 besaß die Gemeinde nach dem Umzug keine Verwendung mehr und verkaufte es,315 während das alte Schulhaus Judenstraße 27 weiterhin in ihrem Besitz blieb und erst Anfang der 1880er-Jahre veräußert wurde.316 In den 1860er-Jahren fanden weitere maßgebliche Veränderungen statt. Hatte bisher der aus sieben Gemeindemitgliedern bestehende Schulvorstand keinen offiziellen Vorsitzenden, so änderte sich dies mit der Berufung des neuen Gemeinderabbiners Benjamin Hirsch Auerbach im Jahre 1862, der die Nachfolge des verstorbenen Mathias Levians317 antrat und parallel den Vorsitz des Schulvorstands übernahm.318 Damit hatte die Gemeinde erstmalig einen Rabbiner

315 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 45. Das ehemalige Schulhaus in der Judenstraße 18 gehörte zu einer Häuserreihe, die nach Auskunft von Herrn Hartmann „leergezogen“ war oder verfiel und in den 1980er-Jahren abgerissen wurde. 316 Es sei hier vorweggenommen, dass sich im Jahre 1881 der Schulvorstand an den Magistrat wandte und auf den sehr schlechten baulichen Zustand des ehemaligen Schulhauses Judenstraße 27 aufmerksam machte und um Genehmigung zum Verkauf des Hauses nachsuchte. Es scheint, dass man weiterhin einige Räume zu Unterrichtszwecken genutzt hatte, denn laut Vorstand hätte die Vermietung als Wohnraum eine gründliche Renovierung vorausgesetzt, womit der Etat der Schule weit überschritten worden wäre. HStAH, Magistratsakten, 2.11.006, Bl. 45. Bereits wenige Monate später bevollmächtigte der Magistrat Benjamin Hirsch den „freihändigen“ Verkauf des im Grundbuch als „israelitisches Borchertsches Lehrinstitut“ verzeichneten Hauses durchzuführen, sofern dieses einen Mindestverkaufswert von 4.350 Mark erziele. Ebd., Bl. 52. Das Gebäude blieb erhalten, es wurde nach der Wiedervereinigung restauriert und wird heute als Wohnhaus genutzt. 317 Mathias Levian hatte 34 Jahre das Amt des Gemeinderabbiners versehen. In dem von Gerson Lasch verfassten Nachruf heißt es „als Vorsitzender der Schuladministration, wandten sich die Lehrer gern an ihn, denn er nahm den innigsten Antheil an dem Fortgange des Unterrichts, ließ oft die Kinder zu sich kommen, um sich von ihren Fortschritten zu überzeugen, und verweilte trotz seines hohen Alters, und seiner Körperschwäche stundenlang bei den öffentlichen Prüfungen.“ Lasch, Gerson: Nekrolog. In: Der Israelit 3 (1862). Nr. 36. S. 293f. 318 Benjamin Hirsch Auerbach wurde 1808 in Neuwied geboren. Nach religiöser Ausbildung, Studium und Promotion an der Universität Marburg berief man ihn 1834 zum Landesrabbiner in Darmstadt, aufgrund von Meinungsverschiedenheiten verließ er die Stadt 1857. Er ließ sich in Frankfurt nieder und widmete sich dort ausschließlich religiösen Studien, bis er 1862 als Rabbiner nach Halberstadt berufen wurde. Vgl. Auerbach, Siegfried M.: The Auerbach Family. The Descendants of Abraham Auerbach. London 1957, S. 50; Lebermann, J.: Das Darmstädter Landrabbinat. In: JJLG 20 (1929). S. 181–252, hier S. 200–211.

Umzug in den Rosenwinkel 18 

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Abbildung 3: Klaussynagoge Rosenwinkel 18. Die Schulräume befanden sich auf der rechten Seite im Erdgeschoss (2012)

berufen, der über eine akademische Ausbildung und reichlich Erfahrung als Gemeinderabbiner verfügte.319 Des Weiteren erfolgte 1863 die Pensionierung des streitbaren Lehrers Hirsch Joseph. Er schied nach 38-jähriger Tätigkeit, in deren Verlauf er das Profil der Schule maßgeblich mitgestaltet und geprägt hatte, nicht eben freiwillig aus dem Schuldienst. Wie ein Schreiben des jüdischen Gemeindevorstands an den Halberstädter Magistrat bestätigt, wurde Hirsch Joseph aufgrund „zunehmender

319 Zu den ab Mitte des 19. Jahrhunderts akademisch ausgebildeten Rabbinern vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 43f., 215–226; Wilke, „Den Talmud und den Kant“, 2003, S. 401–404; Brämer, Rabbiner, 1999, S. 71.

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Schwäche“ mit einer Pension von lediglich 87 Talern im Alter von 60 Jahren in den Ruhestand geschickt. Die geringe Pensionssumme war dem knappen Budget geschuldet, wie der Gemeindevorstand einräumte und reichte keinesfalls aus, Josephs Familie ausreichend zu versorgen; er war somit gezwungen, weiterhin Privatunterricht zu erteilen.320 1874, zehn Jahre nach seiner Pensionierung, wandte er sich an die Regierung in Magdeburg, da er erfahren hatte, dass u. a. jüdischen Lehrern mit geringen Bezügen Zuschüsse gewährt wurden.321 In seinem Antrag machte er deutlich, dass sein Ausscheiden aus dem Schuldienst unfreiwillig erfolgt war, und schilderte ausführlich seine wirtschaftliche Notlage: Da ich außer mir noch eine Frau und eine unversorgte Tochter zu ernähren habe und sich von der ausgesetzten Pension nicht drei Erwachsene Personen erhalten können, so habe ich bis jetzt mein Leben durch fortlaufende Privatstunden in kaufmännischen Wissenschaften zu fristen führen müssen und muß noch jetzt im Alter von 71 Jahren, schwach und kränklich, täglich immer 5 bis 6 Stunden Unterricht erteilen, wenn ich nicht mit meiner Frau und Tochter verhungern will. Das Alter und die Schwäche nehmen aber zu und will das Arbeiten nicht mehr so von statten gehen.322

Die daraufhin von der Regierung beim Magistrat angeforderten Auskünfte zu Josephs Person und vor allem zu seinen Vermögensverhältnissen bestätigten seine Bedürftigkeit.323 Obwohl zuvor Gerson Lasch und Meier Löwenberg eine Alterszulage bewilligt worden war, wenn auch nur für die Dauer eines Jahres, wurde Josephs Antrag vom Schul- und Konsistorialrat mit der Begründung abgelehnt, nur Lehrer an öffentlichen Schulen hätten Anspruch auf einen Zuschuss; die jüdische Schule sei hingegen eine private Stiftung.324 Einige Jahre nach dem fehlgeschlagenen Versuch, seine Altersbezüge aufzustocken starb Hirsch Joseph

320 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 292. Schreiben Siegmund Laschs an den Magistrat, 18. Februar 1874. Bei Siegmund Lasch handelt es sich um den ältesten Sohn Gerson Laschs, den man zum ersten Gemeindevorsitzenden gewählt hatte. 321 Dem vorausgegangen war die Bewilligung sogenannter Dienstalterszulagen an Gerson Lasch und Meier Löwenberg. Mit Zustimmung der Regierung gewährte der Magistrat ab dem 1. Januar 1874 Lasch 60 und Löwenberg 30 Taler Dienstalterszulage. Bereits der Folgeantrag auf Zuschuss für das nächste Jahr wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei der Hascharath Zwi nicht um eine öffentliche, sondern um private Schule handele und den Lehrern somit keine Zulage zustehe. HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 138–140. 322 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 288–289. Schreiben Hirsch Josephs an die Regierung Magdeburg, 5. Februar 1874. 323 Ebd., Bl. 290–291. Schreiben des Bürgermeisters Zimmermann an die Regierung Magdeburg, 20. Februar 1874. 324 Ebd., Bl. 294. Schreiben des Schul- und Konsistorialrates Woepcke an den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen, von Patow, 4. Juli 1874.

Umzug in den Rosenwinkel 18 

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Abbildung 4: Hirsch Joseph um 1873

am 12. April 1879 im Alter von 75 Jahren in Halberstadt.325 Im Nachruf der Jüdischen Presse würdigte man ihn als einen „tüchtigen Pädagogen“, der sich zudem als Autor mehrerer guter Rechenbücher einen wohlklingenden Namen unter den Schulmännern erworben habe.326 Als Nachfolger Josephs hatte man den Lehrer Joel Friedländer eingestellt, der jedoch nur bis ca. 1870 an der Schule verblieb.327 Bei der Einstellung neuer Elementar- und Religionslehrer konnte man jetzt auf Lehrkräfte zurückgreifen, die über

325 HStAH, Reg. Nr. 224/1879. 326 Vgl. JP 10 (1879). Nr. 17. S. 180. 327 Der Lehrer Joel Friedländer unterrichtete von 1862 bis 1870 an der Hascharath Zwi. HStAH, Schulakten, 2/768, Bl. 253–263.

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eine Ausbildung an einem jüdischen Lehrerseminar verfügten.328 Da die Schülerzahlen konstant blieben bzw. wieder etwas anstiegen, entschloss man sich zur Anstellung eines vierten Lehrers; die Wahl fiel auf den bereits erwähnten Lehrer Meier Löwenberg,329 der ab 1865 provisorisch die Lehrerstelle versah und zunächst den Unterricht der Elementarklasse übernahm. Löwenberg hatte einen dreijährigen Ausbildungslehrgang an der israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Kassel absolviert330 und dort 1856 sein Lehrerexamen abgelegt. Bevor er als ordentlicher Lehrer angestellt wurde, legte er am 12. und 13. April 1866 eine zweite Prüfung am Lehrerseminar in Halberstadt ab.331 Diese wurde vom damaligen Direktor Steinberg und weiteren dazu befugten Seminarlehrern durchgeführt und bestand aus schriftlichen und mündlichen Prüfungseinheiten. Die mündlichen Examensfächer waren Biblische Geschichte, Kenntnisse des Alten Testaments und Deutsche Sprache, die von Steinberg selbst geprüft wurden, während Rechnen, Methodik des Rechnens und Naturlehre von Seminarlehrer Jänicke, Geschichte und Geografie von Seminarlehrer Spierling geprüft wurden.332 Die schriftlichen Prüfungsaufgaben umfassten einen deutschen Aufsatz, Geografie, Geschichte, Rechnen, Raumlehre, Naturgeschichte und Naturlehre.333 Der Magistrat setzte wenige Tage nach dem Examen die Regierung in Kenntnis, dass der Kandidat Löwenberg nach erfolgreich bestandener Prüfung die Anstellungsberechtigung als jüdischer Religions- und Elementarlehrer erhalten habe, und forderte, ihn als Lehrer der israelitischen Schule zu bestätigen. Meier Löwenberg wurde daraufhin mit einem jährlichen Gehalt von 250 Talern eingestellt.334 Mit Blick auf das Gehalt ist es nicht erstaunlich, dass auch er um Pensionsschüler warb. Dazu schaltete er ab 1867 mehrere aufeinanderfolgende Annoncen in der orthodoxen Zeitschrift Der Israelit.335 Trotz seines hohen Alters blieb Gerson Lasch Oberlehrer der Schule und konnte am 20. Mai 1870 sein 50-jähriges Amtsjubiläum begehen. Aus diesem Anlass wandte sich der Landrat an die Regierung und würdigte ihn mit den Worten:

328 Zu den jüdischen Lehrerseminaren im 19. Jahrhundert vgl. zuletzt Brämer, Leistung, 2006, S. 169–243. 329 Meier Löwenberg wurde am 28. Februar 1838 in Schenklengsfeld nahe Fulda geboren. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 268. 330 Bis 1873 gingen aus dem dreijährigen Ausbildungslehrgang des Kasseler Lehrerseminars 160 jüdische Lehrkräfte hervor, die mehrheitlich an den 100 öffentlichen jüdischen Volksschulen des (ehemaligen) Kurfürstentums eine Anstellung fanden. Vgl. Brämer, Leistung, 2006, S. 223; Schimpf, Emanzipation, 1994, S. 167–194. 331 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 156. 332 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 266–267. Bericht der Prüfungskommission, 13. April 1866. 333 Ebd., Bl. 269. Prüfungsaufgaben. 334 Ebd., Bl. 264. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 16. April 1866. 335 Der Israelit 8 (1867). Nr. 6. S. 99. Nr. 7. S. 119. Nr. 8. S. 135.

Umzug in den Rosenwinkel 18 

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Dokument 10: Anzeige für die Aufnahme von Pensionsschülern von Meier Löwenberg in der Zeitschrift Der Israelit von 1867 […] seine Führung war in allen Beziehungen eine musterhafte, er erfreut sich mit Recht der allgemeinen Achtung nicht allein bei seinen Glaubensgenossen, sondern auch bei seinen Collegen an den evangelischen Schulen und auch der Versicherung des Bürgermeisters Becker, welcher ich aus volle Überzeugung beipflichte und so ist er meiner Allerhöchsten Anerkennung seiner Berufstreue in jeder Beziehung würdig.336

In Anerkennung seiner Verdienste um das Schulwesen wurde ihm vom Ministerium das allgemeine Ehrenzeichen verliehen.337 Nachdem der Lehrer

336 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 280–282. Schreiben des Landrats an die Regierung Magdeburg, 20. April 1870. 337 Ebd., Bl. 284. Schreiben des MGUMA an den Landrat, 20. Juli 1870.

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Samuel Baer im Jahre 1870 im Alter von 59 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben war,338 bestand das Lehrerkollegium aus Gerson Lasch, Meier Löwenberg, Henriette Meyer und zwei Hilfslehrern des Halberstädter Lehrerseminars.339 Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Ministerialerlass des Jahres 1824 für das jüdische Schulwesen Veränderungen mit sich brachte, die u. a. in die Autonomie der jüdischen Gemeinden eingriffen – für den Werdegang der Hascharath Zwi kann er jedoch als überaus positiv bewertet werden. Obwohl Schulund Konsistorialräte Einfluss auf die pädagogische Gestaltung des Unterrichts nahmen, übten sie äußerste Zurückhaltung bezüglich der religiösen Unterweisung. Dabei fällt auf, dass eher Lehrer wie Hirsch Joseph und Gerson Lasch für mehr staatliche Kontrolle eintraten. Trotz innerjüdischer Auseinandersetzungen und mancher Hindernisse hatte sich die Hascharath Zwi zu einer beständigen und erfolgreichen Schule entwickelt. Bisher war man bestrebt gewesen, den Schülern eine umfassende religiöse und weltliche Bildung zu vermitteln und ihnen in erster Linie einen guten Einstieg in das Berufsleben bzw. in den Handel und die Handwerksberufe zu ermöglichen, aber auch eine Fortsetzung der Ausbildung an höheren Schulen. Ende der 1860er-Jahre, so sei hier vorweggenommen, trat eine Veränderung des bisherigen Schulkonzepts der Hascharath Zwi ein, um sie in eine Vorbereitungsschule mit Aufbauklassen umzuwandeln, die letztendlich allen Schülern den Besuch höherer Schulen ermöglichen sollte.340

2.12 Exkurs: Bildung eines jüdischen Handwerkervereins Die Wirtschaftstätigkeit der Halberstädter Juden konzentrierte sich, wie bereits erwähnt, auf den Handel. Erstmalig wurden ihnen mit Beginn des Westphälischen Konsistoriums gleiche Rechte eingeräumt, darunter der freie Zugang zum Handwerk und die Aufnahme in die Zünfte.341 Nachdem die westelbischen Gebiete wieder an Preußen gefallen waren, blieb zunächst die westphälische Gesetzgebung bindend – danach trat erneut das Allgemeine Landrecht in Kraft und es galt ebenso die Gewerbefreiheit gemäß der Städteordnung von 1808 und des Emanzipationsedikts von 1812.342 Während die Umsetzung der Gewerbefreiheit

338 HStAH, Jü 001, Bl. 304. Vgl. den Nachruf auf Samuel Baer, in: Der Israelit 11 (1870). Nr. 30. S. 569. 339 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 151. 340 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 306. 341 Vgl. Horwitz, Die Israeliten, 1900, S. 7. 342 Vgl. Jehle, Manfred (Hrsg.): Die Juden und die jüdischen Gemeinden Preußens in amtlichen Enquêten des Vormärz. Teil 1: Enquête des Ministeriums des Innern und der Polizei über die

Exkurs: Bildung eines jüdischen Handwerkervereins 

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und die Aufnahme in die Zünfte in den einzelnen Bezirken und Landesteilen unterschiedlich durchgeführt wurden, war eine Ausbildung im Handwerk oder auch in der Landwirtschaft nach wie vor mit Hindernissen verbunden, sodass die Mehrzahl der jüdischen Knaben nach Beendigung der Schulzeit oftmals gezwungen war, einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen oder dem Handel nachzugehen. Deshalb gründeten einige jüdische Gemeinden zu Beginn des 19. Jahrhunderts Vereine zur Beförderung des Ackerbaus und Handwerks, mit dem Ziel, unbemittelte jüdische Schüler bei der Vermittlung einer Lehrstelle und finanziell während der Ausbildungszeit zu unterstützen.343 Was nun den weiteren Werdegang der Knaben nach Beendigung der Hascharath Zwi betraf, präsentierte sich, laut Gerson Lasch, im Jahre 1837 folgendes Bild: Von 49 Knaben, die erfolgreich die Schule beendet hatten, wurden 19 zum Handwerk ausgebildet – einige davon mit Unterstützung des Handwerkervereins, 17 hatten sich dem Kaufmannsstande zugewandt, ein Schüler wechselte auf das Domgymnasium, ein anderer auf die höhere Bürgerschule (Martineum), drei besuchten ein Lehrerseminar und zwei nutzten die Fortbildungsmöglichkeiten zum Rabbiner, der eine vor Ort bei dem Klausrabbiner Gerson Josaphat, der andere in Braunschweig bei Landesrabbiner Sabel Eger. Ein überaus zufriedenstellendes Ergebnis, wie Lasch konstatierte.344 Die hohe Zahl an jüdischen Schülern, die einen Handwerksberuf ergriffen, lässt sich auf die Unterstützung durch den jüdischen Handwerkerverein zurückführen. Hierzu berichtete der Gemeindevorstand, dass am 27. April 1827 der Landrat Lehmann im Auftrage der Regierung die jüdische Gemeinde Halberstadt aufgefordert hatte, nach dem Vorbild der in Minden und Münster gegründeten Handwerkervereine ihrerseits einen „Verein zur Beförderung israelitischer Handwerker und Lehrer“ zu organisieren. Obwohl bisher kein Verein bestand, gab es dennoch einzelne Gemeindemitglieder, die sich bereit erklärten, mittels Spenden jüdische Schüler zu unterstüzten, die ein Handwerk erlernen wollten und deren Eltern nicht in der Lage waren, das Lehrgeld aufzubringen. Hauptsächlich gefördert von dem Halberstädter Bankier Sußmann und Herrn Jacobson aus Berlin, hatte man seither das Lehrgeld für sechs unbemittelte Knaben übernommen und auch für den religiösen Unterricht am Schabbat und am

Rechtsverhältnisse der Juden in den preußischen Provinzen 1842–1843. München 1998, S. 308f. 343 Vgl. Bruer, Geschichte, 1991, S. 350–355; Toury, Jacob: Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum. In: Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850. Hrsg. von Hans Liebeschütz u. Arnold Paucker. Tübingen 1977. S. 139–242, hier S. 213; Richarz, Der Eintritt, 1974, S. 87; Eliav, Jüdische Erziehung, 2001, S. 366–371. Zum jüdischen Handwerkerverein in Münster vgl. Freund, Jüdische Bildungsgeschichte, 1997, S. 65–84. 344 Vgl. Lasch, Gerson: Correspondenzen, Auszüge, Repliken. In: AZJ 1 (1837). Nr. 97. S. 388. Nr. 98. S. 391f.

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Sonntag gesorgt. Erst nachdem am 4. September 1830 die Zunftbeschränkungen für den Regierungsbezirk Magdeburg aufgehoben worden waren, wandte sich der Gemeindevorstand am 21. Juli 1831 an den Oberpräsidenten Wilhelm Anton von Klewitz und ersuchte um Genehmigung zur Gründung eines jüdischen Handwerkervereins.345 Einige Wochen später wandte sich Landrat Lehmann an die Regierung, Abteilung des Innern, und befürwortete das Gesuch unter Berufung auf die besonders schwierige Ausbildungssituation jüdischer Lehrlinge in christlichen Handwerksbetrieben, da diese aufgrund ihres „Ritusgesetzes am Sonnabend nicht arbeiten und nicht alle Speisen genießen dürften“, was eine erhebliche Erschwernis für die Aufnahme der Lehrlinge bedeute und in der Regel eine längere Lehrzeit und ein höheres Lehrgeld nach sich ziehe. Lehmann unterstützte den Antrag des Gemeindevorstandes mit der Begründung, dass die israelitische Jugend damit zu einer nützlichen und erwerbssicheren Tätigkeit angehalten werde. Laut Lehmann war dem Antrag bereits eine persönliche Anfrage von Wolff Böhme, Gerson Lasch und Ascher Samter und als Vertreter des Gemeindevorstandes von Juda Alexander, David Meyer und Simon Goldschmidt vorausgegangen.346 Der Antrag auf Anerkennung als Verein wurde jedoch zunächst vom Oberpräsidenten abgelehnt: Ein derartiger Verein existiere noch nicht, vielmehr trügen sich die beiden jüdischen Lehrer und der Syndikus der israelitischen Gemeinde nur mit dem Wunsch bzw. der Absicht, einen solchen zu gründen. Auch stehe er einer Gründung skeptisch gegenüber, da weder ein Statutenentwurf vorliege noch eine namhafte Anzahl an Mitgliedern entsprechende Mitgliedsbeiträge entrichtet habe. „Ein Verein aber, welcher die Bestätigung der Staatsbehörde zu erhalten wünscht, muss eine gewisse Bürgschaft der Dauer darbieten können und nicht auf so ungewissen Hoffnungen beruhen.“347 Das folgende Schreiben zeigt, dass Juda Alexander und Simon Goldschmidt die Vereinsstatuten bereits eingereicht hatten, da sich diese abermals an die Regierung wandten und ihr Gesuch zur Gründung des Vereins wiederholten.348 Ob letztlich eine Genehmigung erteilt wurde, ließ sich nicht ermitteln. Dennoch ist vorstellbar, dass auch weiterhin unbemittelte jüdische Schüler dabei unterstützt wurden, einen Handwerksberuf zu ergreifen.

345 LHASA, MD, Rep. C 28 If, Nr. 957, Bl. 2–3. Schreiben des israelitischen Vorstands an die Regierung Magdeburg, 21. Juli 1831. Unterzeichnete waren Juda Alexander und Simon Goldschmidt. 346 Ebd., Bl. 4–5. Schreiben Lehmanns an die Regierung Magdeburg, 12. August 1831. 347 Ebd., Bl. 6. Schreiben des Oberpräsidenten von Klewitz an das Landratsamt Halberstadt, 3. September 1831. 348 Ebd., Bl. 10. Schreiben des israelitischen Vorstands an die Regierung Magdeburg, 20. September 1831. Die Vereinsstatuten ließen sich nicht ermitteln, auch sonst liegen keine weiteren Angaben über den Verein vor.

3 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen (1872–1932) 3.1 Die rechtliche Lage der jüdischen Volksschulen Noch in der Amtszeit des preußischen Kultusministers Heinrich von Mühler wurde im März 1872 das Gesetz betr. die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens auf den Weg gebracht, womit der preußische Staat die alleinige Aufsicht über alle öffentlichen und privaten Unterrichtsanstalten erhielt.1 Es löste auf diese Weise das Allgemeine Landrecht ab, das 1824 durch Ministerialerlass erstmalig auch das gesamte jüdische Schulwesen unter staatliche Verwaltung gestellt hatte. Die Aufsicht lag weiterhin bei den einzelnen Fachabteilungen der jeweiligen Regierungsbezirke.2 Anlässlich des bevorstehenden Ministerwechsels erschien vor dem Beschluss des Gesetzes ein Artikel in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums, der forderte, dass man „der jüdischen Schule, wo sie existiert, wo sie neben den streng confessionellen Volksschulen, den katholischen und evangelischen, besteht, Rechtsgleichheit gewähre“, womit man für die Aufhebung des Privatstatus der jüdischen Schulen plädierte, die wie die konfessionellen Schulen den Status einer öffentlichen Schule erhalten sollten.3 Die wenig später im Oktober 1872 unter dem Nachfolger von Mühlers, Adalbert Falk, erlassene Allgemeine Verfügung über Einrichtung, Aufgabe und Ziel der preußischen Volksschule regelte detailliert den Aufbau und Betrieb der preußischen Volks- und Mittelschulen und zielte ab auf eine Verbesserung der allgemeinen Lernverhältnisse, begünstigte die öffentlich-staatliche gegenüber der konfessionellen Volksschule und forderte die Optimierung der Lehrerausbildung.4 Der neue Lehrplan der Volksschulen beinhaltete im Vergleich zu den Stiehlschen Regulativen wesentlich differenziertere Vorgaben und eine klare Strukturierung des Fächerkanons. In der Volksschule sollte nun eine umfangreichere

1 In §1 des Gesetzes betreffend die Schulaufsicht heißt es: „Unter Aufhebung aller in einzelnen Landesteilen entgegenstehenden Bestimmungen steht die Aufsicht über alle öffentlichen- und Privaten-Erziehungsanstalten dem Staate zu. Demgemäß handeln alle mit dieser Aufsicht betrauten Behörden und Beamten im Auftrage des Staates.“ Zitiert nach Menges u. Kannegießer, Verordnungen, 1884. S. 3; Froese u. Krawietz, Deutsche Schulgesetzgebung, 1968, S. 183. 2 Die Übernahme des Schulaufsichtsgesetzes für den Regierungsbezirk Magdeburg erfolgte im April 1872. Vgl. Menges u. Kannegießer, Verordnungen, 1884, S. 3. 3 Vgl. AZJ 36 (1872). Nr. 6. S. 97–100, hier S. 98. 4 Zum neuen Lehrplan der Volksschulen vgl. Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 118–128. DOI 10.1515/9783110470802-004

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Grundbildung vermittelt werden, zudem wurde der Anteil der Realien, bei Reduzierung des Religionsunterrichts, erhöht. Um diese aber konkreter von den Schulformen des höheren Bildungswesens abzugrenzen, führte man an den Mittelschulen, auf Kosten des verringerten Religionsunterrichts, eine Fremdsprache ein und spezifizierte die Realien.5 Der allgemeine Lehrplan galt auch für die jüdischen Volksschulen, bis auf die Punkte, die den katholischen und evangelischen Religionsunterricht bestimmten. Trotz der ministeriellen Anordnungen sollten die in den einzelnen Provinzen erlassenen gesetzlichen Bestimmungen zur jüdischen Volksschule bindend bleiben.6 Zudem förderte Falk die Umgestaltung der konfessionellen Volksschulen in sogenannte Simultanschulen, in denen Religionsunterricht jeder Konfession  – auch der jüdischen – erteilt werden sollte. Damit verfolgte er das Ziel „einer einheitlichen nationalen und allgemeinen Volksbildung“, bei der die Trennung zwischen „Ständen und Konfessionen“ aufgehoben werden sollte.7 Allerdings konnte sich dieses Schulkonzept in Preußen nicht durchsetzen, da Katholiken und Protestanten weiterhin an den Konfessionsschulen festhielten und so blieben die wenigen Simultanschulen in der Minderheit.8 Aber auch innerhalb des Judentums entbrannte eine Diskussion darüber, ob die Simultan- der jüdischen Volksschule vorzuziehen sei, da auch die jüdischen Gemeinden unter Druck gerieten und um die Existenz ihrer Schulen fürchteten. In der Wochenzeitung Die Jüdische Presse heißt es: „Wer die Rechte der Juden nicht preisgeben will muß vielmehr ein eifriger Gegner der christlichen Simultanschule sein.“9 Die Orthodoxie lehnte Simultanschulen generell ab und verwies auf den hohen Stellenwert des jüdischen Religionsunterrichts sowie die Einhaltung der religiös-jüdischen Lebensformen, die nur an jüdischen 5 Vgl. Kuhlemann, Frank-Michael: Niedere Schulen. In: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. IV: 1870–1818. Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Hrsg. von Christa Berg. München 1991. S. 179–227, hier S. 183, 203–207; ders., Tradition, 1993. S. 41–66, hier S. 50f. Zu den Stiehlschen Regulativen vgl. Kemnitz, Heidemarie: Die Regulative im Kontext der 1848er Revolution. In: Die preußischen Regulative von 1854 im Kontext der deutschen Bildungsgeschichte. Hrsg. von dies. u. Christian Ritzi. Baltmannsweiler 2005. S. 11–26. 6 Als Beispiel lässt sich hier das Königreich Hannover anführen, das am 5. Februar 1854 ein Gesetz erlassen hatte, das explizit den Unterricht von den Lehrplanvorgaben bis zu den Ferienzeiten an jüdischen Volks- und Religionsschulen regelte. Vgl. Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 128f. 7 Vgl. Schatzker, Chaim: Jüdische Jugend im zweiten Kaiserreich. Sozialisation- und Erziehungsprozesse der jüdischen Jugend in Deutschland 1870–1917. Frankfurt a. M. 1988. S. 60. 8 Vgl. Kuhlemann, Niedere Schulen, 1991, S. 185. 9 Weiterhin heißt es darin: „Man kann sich daher nicht genug wundern, daß es immer noch Leute gibt, die in trauriger Verblendung und sicher in voller Unkenntniß der Thatsachen von der Simultanschule Heil für unsere Jugend erhoffen. Sehen sie denn nicht ein, daß sie durch ihr Verfahren der Verminderung des jüdischen Religionsunterrichts und der Entweihung des Sabbath und der Feiertage Vorschub leisten?!“ Zitiert nach JP 9 (1878). Nr. 19. S. 206–208, hier S. 206.

Die rechtliche Lage der jüdischen Volksschulen 

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Volksschulen gewährleistet seien. Die Motivation der jüdischen Lehrer, Simultanschulen abzulehnen und sich für den Erhalt und Ausbau jüdischer Volksschulen einzusetzen, lag darin begründet, dass sie an ihnen keine Anstellung erhielten. Liberale Kreise wie der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) sowie der Deutsch-Israelitische Gemeindebund (DIGB) plädierten für den Erhalt bzw. Ausbau von Simultanschulen in der Hoffnung, damit soziale und konfessionelle Differenzen überwinden und somit dem Antisemitismus entgegenwirken zu können.10 Mit dem Volksschulunterhaltungsgesetz vom 28. Juli 1906 wurde das niedere Schulwesen, unabhängig von der Konfession, zur kommunalen Angelegenheit erklärt. An den jüdischen Volksschulen änderte sich zunächst nichts, sie standen nach wie vor unter der Obhut der jüdischen Gemeinden bzw. Verbände und Schulsozietäten. Die erste Ausführungsanweisung vom 25. Februar 1907 regelte u. a. den konfessionellen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, womit weiterhin die Simultanschulen gefördert wurden. Für die jüdischen Gemeinden bestand die Möglichkeit, falls keine jüdische Religionsschule vorhanden war, bei mehr als zwölf jüdischen Schülern eigens für ihren Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen einen Lehrer anzustellen und dafür eine Beihilfe zu beantragen.11 Für die kleinen Gemeinden in den ländlichen Gebieten war diese Voraussetzung nur schwer zu erfüllen, da sie meist weniger als zwölf schulpflichtige Kinder besaßen. Nicht alle liberalen Kreise befürworteten, nach dieser neuen Rechtslage, den Ausbau von Simultanschulen und so kam Salomon Adler, Rektor des Frankfurter Philanthropins, zu dem Ergebnis, dass nur die jüdische Volksschule von Interesse sei und die jüdischen Gemeinden alles daran setzen sollten, diese zu erhalten oder neue zu schaffen. Weder die Religions- noch die Simultanschulen seien in der Lage zu erbringen, was eine jüdische Volksschule leisten könne, „ihre Erhaltung und Förderung muß deshalb nachdrückliche Sorge sein, denen das Wohl unserer Glaubensgemeinschaft, die Stärkung des Judentums in unserem Vaterlande am Herzen liegt.“12 In diesem Sinne konnten auch Orthodoxe und Zionisten, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, in den Nachkriegsjahren eine kurzzeitige Belebung der jüdischen Schulen bewirken, was jedoch den allgemeinen Rückgang der jüdischen Schulen nicht verhindern konnte.13

10 Vgl. Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 95f. Zu den Diskussionen über die Einführung von Simultanschulen vgl. Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 67–74. 11 Vgl. Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 376f. 12 Adler, Salomon: Für und wider die jüdische Volksschule in Preußen. Frankfurt a. M. 1913. S. 19. 13 Als Beispiel sei hier die jüdische Schule in Duisburg genannt, die nach 1875 aufgelöst und einer Simultanschule einverleibt wurde, woraufhin die Gemeinde 1920 auf Initiative des Zionisten Harry Epstein erneut eine jüdische Schule errichtete. Vgl. Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 72f.

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 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen (1872–1932)

In den Folgejahren sprachen die Zahlen über ihren Bestand auf preußischem Gebiet für sich: Existierten 1886 noch 318, waren es 1911 lediglich 219 jüdische Volksschulen, wofür man die geburtenschwachen Jahrgänge sowie die Favorisierung der allgemeinen mittleren und höheren Schulen verantwortlich machte.14 Für den Zeitraum von 1921/1922 bis 1926/1927 sank die Zahl sogar von 207 auf 124.15 Laut Miller-Kipp waren die jüdischen Volksschulen die „historischen Verlierer“ dieser neuen Gesetzgebungen und drohten „gesamtgesellschaftlich überflüssig“ zu werden. Ihr Fortbestehen hing in erster Linie vom Bildungs- und Schulinteresse der jüdischen Gemeinden selbst ab.16

3.2 Neugestaltung und Erziehungsziele Nach dem Gesetz vom Oktober 1872 waren weiterhin Kirchenvertreter mit den Schulvisitationen in den einzelnen Regierungsbezirken betraut und hatten nach einer festgelegten Vorgehensweise Berichte zur Vorlage bei der Regierung anzufertigen. Diese enthielten nicht nur Angaben zu Schülerzahlen, Lehrplan, Einschätzung der pädagogischen Fähigkeiten des Lehrkörpers und des Kenntnisstandes der Schüler, sondern auch reichlich Lob und Tadel sowie Verbesserungsvorschläge. Der erste Hinweis auf die konzeptionelle Umgestaltung der Schule stammt vom 29. November 1878. Der Halberstädter Oberdomprediger und zum Superintendenten ernannte Gustav Nebe führte in seinem Revisionsbericht u. a. aus, „schon seit ungefähr 10 Jahren hatte sich der Brauch ausgebildet, dass die jüdischen Kinder ihre Stiftungsschule nur bis zum zehnten oder zwölften Jahre besuchten, um dann in eine der hiesigen öffentlichen oder königlichen Schulen überzugehen.“17 Nebes Ausführung macht deutlich, dass die jüdische Gemeinde Halberstadt bereits vor dem preußischen Schulaufsichtsgesetz von 1872 auf die sich abzeichnende Entwicklung im jüdischen Schulwesen reagiert und der Schulvorstand Ende der

14 Vgl. Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden (ZDSJ) 9 (1913). Heft 12. S. 178. 15 Vgl. Rothholz, Julius: Zum jüdischen Volksschulwesen in Deutschland. In: MGWJ 39 (1931). Heft 2. S. 144f. Vgl. auch die Zahlenanagaben von Philippsthal, Herbert: Die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens unter besonderer Berücksichtigung der jüdischen Minorität. In: ZDSJ. Neue Folge. 2 (1925). Heft 1. S. 8–12, hier S. 11. Trotz abweichender Zahlenangaben lässt sich ein stetiger Rückgang der jüdischen Volksschulen nachweisen. Vgl. dazu auch Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 94. 16 Vgl. Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 41; Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 94. 17 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 306–309r, hier 306. Revisionsbericht Nebes an die Regierung Magdeburg, 29. November 1878.

Neugestaltung und Erziehungsziele 

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1860er-Jahre offensichtlich eine konzeptionelle Umgestaltung der Schule vorgenommen hatte.18 Die Hascharath Zwi war in eine Vorschule mit weiterführenden Klassen (Sexta und Quinta), die auf höhere Schulen vorbereiten sollten, umgewandelt worden; im Zuge dessen hatte man das unterrichtspflichtige Alter von zwölf bis 14 auf zehn bis zwölf herabgesetzt. Die von Nebe gewählte Formulierung lässt außerdem den Schluss zu, dass das Schulkonzept ohne Wissen bzw. Billigung der Schulbehörde geändert worden sein könnte.19 Interessanterweise hatte man diese Neugestaltung einige Jahre nach dem Rabbinerwechsel vorgenommen. Nach dem Ableben des Gemeinderabbiners Mathias Levian berief der Gemeindevorstand 1862 auf Empfehlung Joseph Hirschs, des Seniorchefs der Firma Aron Hirsch & Sohn, den bereits erwähnten Benjamin Hirsch Auerbach zu dessen Nachfolger. Mit Auerbach besaß die Gemeinde erstmalig einen Rabbiner, der zusätzlich über eine akademische Ausbildung verfügte und langjährige Erfahrung als Gemeinderabbiner vorwies. Darüber hinaus übernahm Auerbach den Vorsitz des Schulvorstands und übte bedeutend mehr Einfluss auf das Schulgeschehen aus als noch sein Vorgänger. Er informierte sich täglich über den Unterricht der Kinder und übernahm auch einige Unterrichtsstunden an der Religionsschule.20 Hatten die pädagogisch-didaktischen und oftmals auch administrativen Entscheidungen ehemals noch bei den Lehrern bzw. bei Oberlehrer Gerson Lasch gelegen, so ist mit seiner Berufung eine zunehmende Einflussnahme durch diese Rabbinerfamilie zu beobachten, die tatkräftig von der Familie Hirsch unterstützt wurde.21 Hinzu kam die Freundschaft mit Joseph Hirsch, der den von seinem Vater übernommenen Metallhandel zu einer angesehenen Firma mit Handelsbeziehungen nach Skandinavien, Belgien, Frankreich, England, Österreich und Italien ausbaute und dem mit Bleiund Zinklieferungen nach Amerika 1850 erstmals der Eintritt in den Welthandel

18 Zum damaligen Schulvorstand gehörten Rabbiner Benjamin Hirsch Auerbach, die Klausrabbiner Gerson Josaphat und Isaak Lange sowie die beiden Brüder Joseph und Gustav Hirsch. Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jg. 1868. S. 214. 19 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 306–309, hier Bl. 306. Revisionsbericht Nebes an die Regierung Magdeburg, 29. November 1878. 20 Vgl. Der Israelit 4 (1863). Nr. 15. S. 300. 21 Hier sei noch kurz auf die verwandtschaftlichen Verbindungen der Familien Hirsch und Auerbach hingewiesen. Benjamin Hirsch (1840–1911), ältester Sohn Joseph Hirschs, hatte 1864 Julie Auerbach, jüngste Tochter Benjamin Hirsch Auerbachs, geheiratet. Einige Jahre später heiratete Rosa Hirsch, eine Tochter Joseph Hirschs, Selig Auerbach, den ältesten Sohn Benjamin Hirsch Auerbachs. Vgl. Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 50; Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 136f.

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gelang.22 Wer oder was letztendlich den Anstoß gegeben hatte, die Elementarschule in eine Vorschule mit den Aufbauklassen Sexta und Quinta umzuwandeln, lässt sich nicht mehr belegen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Initiative zur Umgestaltung der Schule in erster Linie von Benjamin Hirsch Auerbach und Joseph Hirsch ausgegangen ist, wobei sich akademisch-traditionelle Gelehrsamkeit verbunden hatte mit einer nach innen traditionellen und nach außen weltoffenen Firma, die tatkräftig die Gemeinde unterstützte. Wäre die Hascharath Zwi als Elementar- bzw. Volksschule weitergeführt worden, hätte die, nach staatlichen Vorgaben ausgerichtet, eine deutliche Einschränkung des Lehrplans hinnehmen müssen, wovon in erster Linie der Fremdsprachenunterricht betroffen gewesen wäre, der Voraussetzung für den Besuch höherer Schulen war.23 Damit folgte die gesetzestreue Gemeinde dem allgemeinen Bildungswandel, denn sowohl religiös-liberale wie auch orthodoxe Kreise bevorzugten zunehmend die allgemeinen höheren Schulen für ihre Kinder. Laut Jacob Toury „läßt sich Bildung nicht nur als Aneignung von Kulturwerten sondern auch als Ausdruck des jüdischen Verbürgerungswillens definieren.“ Toury bezeichnet den „Drang nach den höheren Schulen als Antizipierung des sozialen Aufstiegs […]. Bedeutete er doch die Etablierung einer gemeinsamen kulturellen Grundlage mit den parallelen Schichten des nichtjüdischen Bildungsbürgertums.“24 Nach dem Tod des Gemeinderabbiners Benjamin Hirsch Auerbach 1872 entschied sich die Gemeinde für dessen Sohn Siegmund, auch Selig genannt, als Nachfolger, der somit in zweiter Generation das Amt des Gemeinderabbiners übernahm.25 Am 7. Februar 1873 bestätigte ihn der Halberstädter Magist-

22 Vgl. Schulze, Die Halberstädter, 2004, S. 17; Kahl, Axel-Wolfgang: Der Aufstieg der Firma Aron Hirsch & Sohn vom Familienunternehmen zur Aktiengesellschaft als herausgehobenes Beispiel der Industrialisierung. Beiträge zur jüdischen Unternehmer- und Unternehmensgeschichte. Familie Hirsch in Halberstadt zwischen 1805 und 1927. Hrsg. von Jutta Dick u. Irene A. Diekmann. Potsdam 2015. S. 19–115, hier S. 63f. 23 Vgl. Freund, Die Rechtstellung, 1908, S. 128f. Als Beispiel siehe die Elementarschule der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster, die nach dem Gesetz von 1872 in eine jüdische Volksschule umgewandelt wurde und keine Fremdsprachen wie Latein und Französisch mehr anbot. Dennoch gelang es einem Teil der Schüler, mit Hilfe von Privatunterricht eine der höheren Schulen zu besuchen. Vgl. Freund, Jüdische Bildungsgeschichte, 1997, S. 246. 24 Toury, Soziale und politische Geschichte, 1977, S. 171. In Preußen hatte sich die Anzahl jüdischer Schüler an den höheren Schulen von 1857 bis 1866 mehr als verdoppelt. Vgl. ders., Soziale und politische Geschichte, 1977, S. 172; Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 75–82; Lässig, Jüdische Wege, 2004, S. 238, Tab. 9. 25 Selig Auerbach wurde 1840 in Darmstadt geboren. Nach dem Besuch des Darmstädter Gymnasiums wie auch Studium und Promotion in München und Berlin und Rabbinerausbildung am orthodoxen Beth Hamidrasch in der Heidereutergasse in Berlin übernahm er 1862 die Leitung der neu gegründeten jüdischen Schule in Fürth. Vgl. Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 62. Zu

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Abbildung 5: Rabbiner Dr. Benjamin Hirsch Auerbach (1808–1872), o. J.

Abbildung 6: Rabbiner Dr. Siegmund Selig Auerbach (1840–1901), o. J.

rat und am 27. Februar 1873 die Regierung in Magdeburg als neuen Rabbiner der jüdischen Gemeinde Halberstadt.26 In den orthodoxen Gemeinden war die Weitergabe des Rabbinats vom Vater auf den Sohn oder Schwiegersohn keine Selig Auerbach vgl. auch Fink, Daniel: Erinnerungsblätter auf das frische Grab unseres großen Meisters und Lehrers, des Rabbiners Dr. Selig Auerbach in Halberstadt. In: Der Israelit 42 (1901). Nr. 78/79. S. 1695–1697. Nr. 80. S. 1735f. Nr. 81. S. 1759f. Nr. 82. S. 1783f. Nr. 83. S. 1831f. Gronemann, Sammy: Erinnerungen. Berlin u. Wien 2002. S. 88f; Brocke u. Carlebach, Biographisches Handbuch, Teil 2. Bd. 1, 2009, S. 27f. 26 CJA, 1, 75A Ha, Nr. 56 # 3548, Bl. 7–10.

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Seltenheit, während man in reformorientierten Gemeinden eher Abstand davon nahm.27 Zeitnah vollzog sich in der Firma Hirsch ebenfalls ein Generationswechsel. Nach dem Tod Joseph Hirschs übernahm sein ältester Sohn Benjamin die Hauptgeschäfte des Unternehmens und gehörte ebenso dem Schulvorstand an. Die Firma gehörte zu den einkommensstärksten Firmen der Stadt, den Quellen zu den Bilanzen der Gemeinde der Jahre 1878–1899 ist zu entnehmen, dass sie mit Abstand über das höchste Grundkapital verfügte und die Gemeinde sowie einzelne Familien mit großzügigen Spenden bedachte.28 Unter Selig Auerbach setzte sich die Sonderstellung der Schule fort; und seinem Vater gleich trat er mit Engagement und Strenge für deren Belange ein. Als Gemeinderabbiner versammelte er eine Schar von Schülern um sich, die er auch im Talmud unterrichtete, einer dieser Schüler war der spätere Rabbiner und Pädagoge Daniel Fink, der Folgendes über das tägliche Arbeitspensum seines Lehrers berichtete: Nach den frühen Unterrichtsstunden an der Klaus, die etwa um 9 Uhr beendet waren, folgten zwei Stunden zur freien Verfügung. Da galt es Gemeinde-Angelegenheiten besorgen, den rituellen Einrichtungen die nöthige Auffsicht zuwenden, eingelaufene Briefe erledigen und vor allem den Stand der Dinge in der Schule in Augenschein nehmen. Wenn er auch selbst nur einzelne Stunden Unterricht an derselben ertheilt hat, die Fäden ihres gesammten Betriebes liefen stets in seiner Hand zusammen. Er kannte jeden Schüler bis ins einzelne. Hielt er doch jeden Freitag eine förmliche Musterung unter ihnen ab. Bei solchem Anlasse entging nichts seiner Aufmerksamkeit.29

In die Amtszeit Selig Auerbachs fällt der bereits erwähnte Revisionsbericht Gustav Nebes, demzufolge die Schule 1878 aus drei Klassen bestand und von 46 Kindern besucht wurde. Der Superintendent bestätigte, dass der Lehrplan der Grundschulklassen erheblich von den allgemeinen Vorgaben abwich und um einiges umfangreicher gestaltet war als an allgemeinen Volksschulen. Er zielte deutlich auf eine optimale Vorbereitung ab: In beiden höheren Klassen wurden zusätzlich zu den Hebräisch- und Religionsstunden auch noch Französisch und Latein unterrichtet, während der Talmudunterricht aus dem Lehrplan verbannt worden war und jetzt vermutlich von Auerbach und den Klausrabbinern außerhalb der

27 Als weitere Beispiele lassen sich die gesetzestreuen Rabbinerfamilien Bamberger (Würzburg), Hirsch (Frankfurt a. M.) und Hildesheimer (Berlin) nennen. Vgl. auch Breuer, Jüdische Orthodoxie, 1986, S. 219–221; Brämer, Rabbiner, 1999, S. 97f. 28 HStAH, Magistratsakten, 2.11.007, passim. Vgl. auch Schulze, Die Halberstädter, 2004, S. 23f, 30f. Zur Firmengeschichte vgl. Kahl, Der Aufstieg, 2015, S. 19–115, hier S. 84f. 29 Vgl. Fink, Erinnerungsblätter, in: Der Israelit 42 (1901), Nr. 80, S. 1736.

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Schulzeit gegeben wurde. Neben dem hochbetagten Lehrer Gerson Lasch gaben der bereits erwähnte Meier Löwenberg und die Handarbeitslehrerin Rosa Meyer Unterricht, neu hinzu gekommen waren Elias van Gelder30 und der Volksschullehrer der Martini-Gemeinde, Heine. Der Lehrplan wies zur Zeit der Revision Nebes folgende Fächerverteilung auf: Tabelle 8 Lehrplan der Hascharath Zwi für das Winterhalbjahr 1878/187931 Unterrichtsfächer Bibel mit Religion Pentateuch Übersetzen der Gebete Hebräisch Schreiben und Grammatik Hebräisch Lesen Deutsch Französisch Rechnen Anschauungsunterricht Geschichte Geographie Schreiben Zeichnen Naturkunde Singen Handarbeit Latein Gesamtstunden

Erste Klasse (6–8 Jahre)

Zweite Klasse (9–10 Jahre)

Dritte Klasse (10–12 Jahre)

1 6 – 5

2 5 2 –

3 5 2 –

5 – – 3 3 – – 6 – – – 6 –

– 5 2 3 – – 1 3 1 – – 6 5

– 4 2 2 – 1 1 – 1 1 1 6 5

35

35

34

An den Schulräumen im Rosenwinkel 18 ließ sich nur wenig bemängeln: Nebe berichtete, dass die drei Klassenzimmer, von denen der eine, zum Garten gelegene Raum die gesamte Schülerschaft aufzunehmen vermochte, völlig ausreichend

30 Elias van Gelder hielt sich bereits ab 1867 in Halberstadt auf, er besuchte die Jeschiwa und war Schüler Gerson Josaphats. Nach kurzem Studienaufenthalt in Würzburg promovierte er 1872 an der Universität Leipzig im Fach Pädagogik und erhielt 1874 eine Festanstellung als Lehrer an der Hascharath Zwi mit dem Schwerpunkt Hebräisch- und Religionsunterricht. Obwohl van Gelder 1874 bereits als Lehrer tätig war, wird er in den jährlich erhobenen Lehrerlisten an den Magistrat erst ab 1882, nach dem Ausscheiden Gerson Laschs, aufgeführt. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 162. 31 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 306–309r, hier Bl. 307r. Revisionsbericht Nebes an die Regierung Magdeburg, 29. November 1878.

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seien. Lehrmaterialien wie Rechenmaschine, Wandtafeln, Kartenmaterial von Sachsen, Deutschland und Palästina sowie Anschauungsbilder und naturgeschichtliche Abbildungen waren ebenfalls in ausreichendem Maße vorhanden. Einzig die abgestoßenen und in Rückenhöhe beschmutzten Wände sowie die „ärmlichen Katheder“ beanstandete er.32 Leistung und Disziplin der Schüler, ihre guten Kenntnisse in den religiösen Fächern und Sprachen hob er besonders hervor, wobei alle drei Klassen ihrem Leistungsstand entsprechend sicher und flüssig aus dem Hebräischen übersetzten. Ihr Niveau in den Naturwissenschaften bewertete er als zufriedenstellend und merkte an, dass die Leistungen der Kinder in diesen Disziplinen einige Lücken aufwiesen. Er schlug vor, den Unterricht nur noch bis zum zehnten Lebensjahr zu erteilen und den Lehrplan dem der Vorschulen des Gymnasiums oder der Realschulen anzupassen. Vor diesem Hintergrund hielt er den Religionsunterricht für die Zehnjährigen, der dann an der Talmud Tora stattzufinden hätte, angesichts der geringen Klassenfrequenz für durchaus ausreichend. Er lobte die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer und den in „recht tüchtiger Weise“ erteilten Handarbeitsunterricht Rosa Meyers als auch den auf lebhafte und anregende Weise abgehaltenen religiösen Unterricht Elias van Gelders. Einzig die Sprachanforderungen an die Neun bis Zehnjährigen befand er als eindeutige Überforderung. Insgesamt fiel Nebes Bericht überaus anerkennend aus, dennoch lautete seine Empfehlung: Ich glaube, es würde größere Sicherheit in den Realien und künftigen Entwicklung der Kinder erreicht werden können, wenn die Schule sich begnügte die Kinder bloß bis zum 10. Jahr zu behalten und in den Lehrplan nur das Aufnehme, was die Vorschule des Gymnasiums und der Realschule und die 3. und 4. Klassen der höheren Töchterschule von ihren Schülern verlangen. Bei der geringen Klassenfrequenz, der durchschnittlich guten Begabung und der häuslichen Förderung der Kinder ist es ebenso nicht schwer, ohne übermäßige Belastung der Kinder den hebräischen Religionsunterricht in dem bisherigem Umfange fortzusetzen. Die über 10 jährigen Kinder könnten dann immerhin alle Tage eine Stunde in dieser Schulanstalt in hebräischer Religion unterwiesen und Mittwochs und Sonntags im Pentateuch unterrichtet werden.33

Nebes zweitem Revisionsbericht aus dem Jahre 1880, diesmal an den Magistrat, war kein Lehrplan beigefügt und er fiel bedeutend kürzer aus. Er belegt, dass der Schulvorstand seiner Empfehlung nicht nachgekommen war und die Schüler

32 Ebd., Bl. 306–308. Revisionsbericht Nebes an die Regierung Magdeburg, 29. November 1878. 33 Ebd., Bl. 308–309. Revisionsbericht Nebes an die Regierung Magdeburg, 29. November 1878. Nebe hielt es für ungewöhnlich, dass die Schüler nicht nur an dem religiösen, sondern an dem gesamten Unterricht mit bedecktem Haupt teilnahmen.

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nach wie vor bis zum zwölften Lebensjahr an der Schule verblieben. Unterdessen hatte sich jedoch die Schülerzahl erhöht, und die dreiklassige Schule wurde nun von 62 Kindern besucht. Nebes Beurteilung bezüglich der Leistungen der Schüler fiel unverändert aus: Ich habe mich durch eine Visitation von den wirklich erstaunlichen Leistungen überzeugt. Es ist ja richtig; man kann das Leben dieser Schule gar nicht mit dem einer deutschen christlichen Schule vergleichen; welch ein Unterschied der Disziplin, welch ein Unterschied der Methode! Aber staunenswert ist z. B. wenn Kinder von 7 Jahren, die 1½ Jahr lang die Schule besuchen ihre hebräischen Gebete – allerdings ohne jeden Ausdruck – aber so schnell zu lesen vermögen, dass ich Mühe hatte zu folgen.34

Er bemängelte jedoch das Fehlen sportlicher Betätigung im Sinne eines ausgleichenden Gegengewichtes und übte Kritik an den räumlichen Verhältnissen, die aufgrund der gestiegenen Schülerzahlen nicht mehr ausreichend waren – die beiden nach Norden gelegenen Klassenzimmer seien eindeutig zu klein. Er forderte, wenn auch zunächst ohne Nachdruck, Abhilfe zu schaffen. Dazu regte er an, die beengte Situation im Rosenwinkel 18 durch einen Anbau nach Süden bzw. im hinteren Teil des Gartens zu beheben. Als Letztes bleibt zu vermerken, dass Nebe seinen Vorschlag, die Schule in eine Grund- bzw. Vorschule umzuwandeln, nicht nochmals aufgriff und weiter verfolgte.35 Der Schulvorstand hatte Nebes Vorschlag zur Erweiterung der Schule aufgenommen und plante einen Anbau im Garten, dessen Durchführung offensichtlich enorme Schwierigkeiten bereitete, da der Schulfonds keinen finanziellen Spielraum zuließ und man auch sonst über keinerlei Mittel verfügte. Um den Anbau zu realisieren, beabsichtigten Schulvorstand und Gemeinde, das ehemalige Schulhaus Judenstraße 27 zu veräußern. Bis Mai 1881 war der Anbau noch nicht fertiggestellt, da die Regierung den Verkauf noch nicht genehmigt hatte.36 Es kam zu weiteren Verzögerungen, denn im Juni 1882 teilte der Magistrat der Regierung mit, dass der Anbau noch nicht ausgeführt werden konnte und die Verhandlungen zwischen Schul- und Gemeindevorstand andauerten.37 Bis November scheint man jedoch zu einer Einigung gekommen zu sein, da der Magistrat die Regierung in Kenntnis setzte, dass der Anbau erst im nächsten Schuljahr zur Ausführung kommen werde,38 woraufhin der Schulvorstand am 1. Mai 1883 den Auftrag für

34 Ebd., Bl. 310–311, hier Bl. 310. Revisionsbericht Nebes an den Magistrat, 10. Dezember 1880. 35 Ebd., Bl. 310–311. Revisionsbericht Nebes an den Magistrat, 10. Dezember 1880. 36 Ebd., Bl. 314. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 18. Mai 1881. 37 Ebd., Bl. 322. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 24. Juni 1882. 38 Ebd., Bl. 329. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 18. November 1882.

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die Bauarbeiten erteilte.39 Im Juli war der eingeschossige Anbau so weit fortgeschritten, dass im August der neue, vierte Klassenraum benutzt werden konnte.40 Auch der nächste, diesmal ausführlichere Revisionsbericht aus dem Jahre 1885, verfasst von Nebes Nachfolger, dem Oberdomprediger und Superintendenten Carl Jahr, weist bezüglich der Unterrichtsgestaltung und des Lehrplanes keine erheblichen Veränderungen auf. Wie zuvor Nebe wies auch Jahr ausdrücklich darauf hin, dass der Lehrplan unverkennbar überladen sei und dass es sich um eine nicht gewöhnliche Volksschule handle, die aus drei Klassen mit Vorschule, Mittel- und Oberstufe für die Neun bis Zehn und Elf bis Zwölfjährigen bestehe, interessanterweise noch mit dem Nachsatz, dass die Regierung in Hinblick auf die israelitischen Besonderheiten keine Änderungen veranlasst hätte. Nach wie vor wurden fünf Stunden auf das Hebräische verwendet und daneben noch Französisch und Latein angeboten. Die Schüler besuchten die Schule auch weiterhin bis zum zwölften Lebensjahr und traten danach fast ausnahmslos in die hiesigen höheren Lehranstalten ein. Er führte aus: „Daß die Schule mit guten Erfolg arbeitet, ergibt sich aus dem Umstand, daß die meisten Schüler und Schülerinnen nach ihrem Übertritt in die städtischen Institute ohne Mühe fortkommen, eine Frucht, die umso anerkennenswerter ist, je mehr die Zeit und Kraft der Zöglinge durch den fünfstündigen hebräischen Unterricht in Anspruch genommen wird.“41 Zum Inventar merkte Jahr an, dass Globus und Zirkel angeschafft und ausreichend Karten- und Anschauungsmaterial vorhanden seien. Zu beanstanden hatte er die fehlenden Geräte für den Turnunterricht und die schlechten Lichtverhältnisse in den vorderen Klassenräumen sowie die noch ausstehende Regierungsbestätigung der neuen Lehrerin Malvine Nobel,42 welche die Nachfolge der ausgeschiedenen Lehrerin Elsa Fränkel angetreten und den Handarbeits- und den Unterricht der ersten Klasse übernommen hatte. Der Kreisschulinspektor zeigte sich überaus angetan von dem Leistungsniveau der Schüler und den Fähigkeiten der Lehrer, drängte jedoch zugleich den Schulvorstand 39 BauA H, A 3965, Bauakte Rosenwinkel 18, Bl. 24, Schreiben des Schulvorstands an die Polizeiverwaltung, 1. Mai 1883. 40 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 330; BauA H, A 3965, Bauakte Rosenwinkel 18, Bauantrag zur Erweiterung des Schulhauses, 28. April 1883. Vgl. dazu auch Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 111. 41 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 340–342r, hier Bl. 340. Revisionsbericht Jahrs an die Regierung Magdeburg, 2. Dezember 1885. 42 Malvine Nobel, Tochter des Klausrabbiners Joseph Nobel, besuchte die Kaiserin-Auguste-Schule in Berlin und wurde am 10. September 1885 vom Provinzialschulkollegium der Provinz Brandenburg für den Grundschulunterricht und als Handarbeitslehrerin geprüft. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 184.

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zur Behebung der von ihm aufgeführten Mängel.43 Dies hatte zur Folge, dass im Januar 1886 der Halberstädter Oberbürgermeister Gustav Böttcher der Regierung versichern konnte, dass nun alle Mängel beseitigt, die Lehrerin Nobel von der Regierung bestätigt sowie die schlechten Lichtverhältnisse verbessert seien und bis zur Aufnahme des Turnunterrichts alle dafür benötigten Geräte angeschafft sein würden.44 Alle drei Revisionsberichte weisen darauf hin, dass ein Großteil der Schüler, Mädchen wie Knaben, nach Beendigung der Hascharath Zwi eine der höheren Schulen mit Erfolg besuchte. Daneben wurden ihre ausgezeichneten Religions-, Hebräisch- und weitere Sprachkenntnisse gewürdigt. Bei Betrachtung der Aussagen Nebes und Jahrs wird deutlich, dass die jüdische Schule nach wie vor einen Sonderstatus besaß und die Regierung weder am neuen Schulkonzept noch an der Lehrplangestaltung mit der hohen Stundenanzahl für die religiösen Fächer und Hebräisch Anstoß nahm.

3.3 Lehrer – Administratoren – Schüler Das Adreß- und Geschäftshandbuch Halberstadts aus dem Jahre 1882 verzeichnet Gerson Lasch noch als Oberlehrer der Schule.45 Er starb wenig später am 2. März 1883.46 Im Nachruf heißt es: „Die Liebe, deren er sich in der ganzen Gemeinde erfreute, hatte aber nicht nur darin seinen Grund, daß alle hier geborenen Mitglieder seine Schüler waren […], sondern weil derselbe ein Muster der Dienstesleistung in gemeinnützigen Anstalten und Vereinen war.“47 Nach dem Ausscheiden Gerson Laschs verblieben die Lehrer Meier Löwenberg, Elias van Gelder, der christliche Lehrer Heine von der Unterstädtischen Volksschule und die Lehrerin Elsa Fränkel, die – wie bereits erwähnt – 1886 ausschied und als deren Nachfolgerin man Malvine Nobel einstellte.48 Schon wenige Jahre später veränderte sich die Zusammensetzung des kleinen Lehrerteams erneut. Im November 1894 teilte Selig Auerbach dem Halberstädter

43 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3542, Bl. 340–342. Revisionsbericht Jahrs an die Regierung Magdeburg, 2. Dezember 1885. Jahr weist auch darauf hin, dass über den Unterrichtsbetrieb sogenannte Tagebücher geführt wurden, die mit den entsprechenden Eintragungen versehen waren. Der Verbleib dieser Klassenbücher ist unbekannt. 44 Ebd., Bl. 347–348. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 27. Januar 1886. 45 Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jg. 1882. S. 271. 46 HStAH, Personenstandsregister, Reg. Nr. 177/1883. 47 Vgl. JP 14 (1883). Nr. 11. S. 117. 48 Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jg. 1882. S. 271; Jg. 1886. S. 282.

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Magistrat mit, dass man für die verstorbenen Lehrer Meier Löwenberg und Moses Lange den aus Hamburg stammenden Nathan Stern und Joseph Blach eingestellt habe.49 Nathan Stern hatte am 23. Juni 1879 in Hamburg seine Prüfung und Zulassung zur Anstellung an öffentlichen Volksschulen bestanden.50 Joseph Blach hingegen hatte eine Ausbildung am israelitischen Lehrerseminar in Kassel absolviert und dort am 18. April 1879 seine zweite Lehrerprüfung abgelegt. Bevor er 1894 nach Halberstadt wechselte, war er als provisorischer Lehrer an der israelitischen Schule in Gudensberg tätig.51 In Halberstadt versah er neben einigen Unterrichtsstunden an der Hascharath Zwi den gesamten Religionsunterricht an der Talmud Tora.52 1890 hatte man nach dem Ausscheiden Malvine Nobels die Handarbeitslehrerin Johanne Cohn eingestellt.53 Dieses neue Lehrerteam – van Gelder, Blach und Stern – war ein ebenfalls beständiges und blieb die Amtszeit Selig Auerbachs über im Dienst. Ähnlich den Lehrern verhielt es sich mit den Administratoren der Schule, auch hier lässt sich eine konstante, oftmals über Jahrzehnte andauernde Mitgliedschaft im Schulvorstand nachweisen, so z. B. für die Klausrabbiner Gerson Josaphat (1839–1882), Isaak Lange (1839–1880) und Joseph Nobel (ca. 1886–1917). Auch die Familie Hirsch gehörte generationsübergreifend dazu, in Folge seien hier genannt Joseph Hirsch (1844–1870), Aron Joseph Hirsch (ca. 1872–1880), Benjamin Hirsch (ca. 1882–1911), Gabriel Hirsch (1911–1913), Abraham Hirsch (1912–1919) und Emil Hirsch (ca. 1913–1928). Weitere Schulvorstandsmitglieder, alle zumeist im kaufmännischen Bereich in der Firma Hirsch tätig, waren Jacob Epstein (ca. 1872–1913), Emil Baer (ca. 1882–1922), E[noch] Nathansen (ca. 1896– 1922), Siegmund Redelmeier (ca. 1898–1919), Lazar Seckbach (ca. 1922–1928), Samuel Baer (1924–1934), Albert Jacobson (1929–1931), Hermann Schwab (1930– 1934) und die Bankiers Moritz Joseph (1899–1932), Isaak Nußbaum (1918–1930) und Hermann Silberberg (1911–1935).54

49 HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 192; HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 215. 50 HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 197. 51 Ebd., Bl. 195. Josef Blach wurde am 25. Juli 1855 in Reichensachsen, Kreis Eschwege, geboren. Aus seiner ersten Anstellung als Lehrer in Gudensberg stammen die von seinem Sohn Samuel Blach verfassten Kindheitserinnerungen. Vgl. Blach, Samuel: Kindertage. Erinnerungen aus einem jüdischen Lehrerhaushalt. Halberstadt 1924. 52 Das Gehalt Joseph Blachs für seine Tätigkeit an der Hascharath Zwi betrug 800 Reichsmark, für seine Tätigkeit an der Talmud Tora erhielt er 1.900 Reichsmark. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 244, 263. 53 HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 201. 54 Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf die Amtsjahre im Schulvorstand vgl. dazu Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jgg. 1858–1898; Adreßbuch von Halberstadt und Umgebung. Jgg. 1900–1918; Einwohnerbuch für Halberstadt und Wehrstedt. Jgg.

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Zu den wenigen Erinnerungen ehemaliger Schüler aus dieser Zeit gehören die Memoiren Moses Calvarys, Enkel des bereits genannten Esriel Hildesheimer.55 Im Gegensatz zu den minimalistischen Ausführungen über seine Zeit an der Hascharath Zwi geht er detailliert auf seinen zweiten Aufenthalt in Halberstadt ein. Dieser fällt in die Amtszeit Selig Auerbachs und enthält interessante Einblicke in die Gemeindestrukturen. Calvary wurde 1876 in der Messingwerksiedlung bei Eberswalde geboren.56 Die dortigen eingeschränkten Möglichkeiten der Schulausbildung veranlassten seine Eltern, ihre engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Halberstädter Familien Hildesheimer, Hirsch und Auerbach zu nutzen und den Sohn nach seinem ersten Schuljahr an der Dorfschule in Eberswalde an die jüdische Schule nach Halberstadt zu schicken, um ihm die Grundlagen einer traditionellen jüdischen Ausbildung mitzugeben. „Es verstand sich fast von selbst, dass ich als der älteste Enkel des Rebbe auch Rabbiner werden sollte.“57 Calvary, untergebracht bei seinem „Onkel Arro“ [Aron Hildesheimer]58, besuchte

1920–1925/1926; Einwohnerbuch (Adreß- und Stadtbuch) von Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1926/1927–1933; Einwohnerbuch von Halberstadt und Umgebung. Jgg. 1934–1936. Anzumerken ist ferner, dass Hermann Silberberg nach Auflösung der Firma Hirsch auch das Amt des Gemeindevorstehers übernahm. 55 Moses Calvary, Erinnerungen, LBIJMB MF 74, Bl. 1. Seine Erinnerungen verfasste Calvary kurz vor seinem Tod 1944 in Haifa, daher enden die Aufzeichnungen mit seinem 23. Lebensjahr. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass das hebräische Original mit weiteren Abhandlungen Calvarys 1947 von Dov Stock herausgegeben und im Am-Oved-Verlag in Tel Aviv veröffentlicht wurde. Die vorliegende deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahre 1949 von Esther Bondi und Siegfried Hirsch. 56 Das Messingwerk nahe Eberswalde wurde 1863 von den drei Halberstädter Brüdern Joseph, Gustav und Siegmund Hirsch erworben und von Gustav, dem ältesten Sohn Aron Hirschs aus zweiter Ehe, 35 Jahre erfolgreich geleitet, danach übernahm sein Neffe Aron Hirsch die Leitung. Vgl. dazu Schulze, Die Halberstädter Kaufmanns- und Unternehmerfamilie, 2004, S. 18–20. Zu Moses Calvary vgl. Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Bd. 4. Redaktionelle Leitung: Renate Heuer. München [u. a.] 1996. S. 406–408; Hackeschmidt, Jörg: Von Kurt Blumenfeld zu Norbert Elias. Die Erfindung einer jüdischen Nation. Hamburg 1997. S. 40f. 57 Calvary, Erinnerungen, LBIJMB MF 74, Bl. 15. Die Memoiren Calvarys enthalten keine persönlichen Angaben, weder zu seinen Eltern noch zu seinen Geschwistern. Seine Mutter Esther war die älteste Tochter Esriel Hildesheimers und hatte den im Messingwerk angestellten Gotthard Calvary geheiratet. Vgl. Eliav, Rabbiner, 1965. S. 76, Anm. 110. 58 Aron Hildesheimer (1852–1943), Sohn Esriel Hildesheimers, besaß in Halberstadt eine Bleizuckerfabrik und emigrierte 1939 nach New York. Vgl. Eliav, Rabbiner, 1965, S. 76, Anm. 111; Hildesheimer, Esriel: Die Familie Hildesheimer und ihr Einfluss auf die jüdische Orthodoxie. In: Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt. Hrsg. von Jutta Dick u. Marina Sassenberg. Potsdam 1998. S. 247. Aron Hildesheimer gehörte von 1882–1933 zum Vorstand der Schule. Vgl. Adreßund Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jgg. 1882–1898; Adreßbuch von Halberstadt und

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von 1883 bis 1887 die Hascharath Zwi. Bedauerlicherweise fällt seine Darstellung darüber nur sehr knapp aus: „Ich erinnere mich eigentlich aus dieser Zeit keiner besonders erwähnenswerten Dinge. Ich war ein guter Schüler, ein ruhiges Kind ohne Störrigkeit und ohne Übermut.“59 Um einiges aufschlussreicher sind hingegen seine Ausführungen über seinen zweiten Aufenthalt, diesmal um an der Klaus zu lernen. Abgesehen von persönlichen Befindlichkeiten demonstrieren sie die uneingeschränkte Autorität der Rabbiner und Klausgelehrten und vermitteln einen Einblick in den Tagesablauf der Jeschiwa-Schüler. Wieder bei seinem Onkel Arro untergebracht, berichtete er: Meine Lehrer waren verschiedene: – Die erste Lehrstunde war schon früh morgens um ¾ 6 Uhr Gemoroh bei meinem Onkel, dem Rabbiner Dr. Selig Auerbach. Nie wieder in meinem Leben habe ich einen so vortrefflichen Lehrer gehabt. Wir lernten ganze Talmud Abschnitte (Szugioth). Onkel Selig hatte schon vorbereitend Definitionen ausgearbeitet, mit deren Hilfe es möglich war, auch die schwierigsten Talmudstellen zu verstehen und die ich mir zu eigen machte. […] Um 7 Uhr gingen wir zum Beten in die Synagoge und von dort nach Hause zum Morgenfrühstück. Kurz nach 8 Uhr saßen wir schon wieder bei Rabbi Schlaumoh Cohn. War Onkel Selig durch seine Klarheit ausgezeichnet, so war Rabbi Schlaumoh der geistesscharfe, der Charif. […] Der Hauptteil des Tages war jedoch dem Eigenstudium gewidmet. […] Nachmittags hatten wir dann unsere Lehrstunde bei Rabbiner Nobel. Wieder ein neuer Typus: Selig Auerbach war ein Typ des deutschen Talmudisten, Rabbi Schlaumoh des galizischen und schließlich Rabbiner Nobel der ungarische Typ. Seine Tabakpfeife rauchend hüllte er das ganze Zimmer in Wolkendampf.60

Er erwähnte auch den jungen Nehemia Anton Nobel, den Sohn des Klausrabbiners Joseph Nobel: Dieser oblag damals in Halberstadt seinem Militärjahr und wir Studenten trieben bei ihm das Studium der großen Kommentatoren. Er stellte es uns zur Aufgabe den Inhalt unserer Studien schriftlich darzulegen und dieses in hebräischer Sprache. Es waren dies meine ersten Kompositionen die ich in hebräischer Sprache schrieb. Nehemia Anton Nobel war es, der mich in meinem Streben, eine Vereinigung zwischen dem jüdischen Glauben und den allgemeinen Wissenschaften herbeizuführen, bestärkte. Denn auch Nehemia Anton Nobel war in Goethe und in Mommsen nicht weniger beschlagen als in Talmud.61

Umgebung. Jgg. 1900–1918; Einwohnerbuch für Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1920–1925/1926; Einwohnerbuch (Adreß- und Stadtbuch) von Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1926/1927–1933. Zu Aron Hildesheimer vgl. auch Klamroth, „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“, 2014, S. 120. 59 Calvary, Erinnerungen, LBIJMB MF 74, Bl. 16. 60 Ebd., Bl. 27–29. 61 Ebd., Bl. 28–29.

Lehrer – Administratoren – Schüler 

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Noch während seines Studienjahres an der Klaus veränderte sich Calvarys religiöse Einstellung, seine Äußerungen werden kritischer und es zeigt sich, dass er die Ausbildung zum Rabbiner nicht weiter ernsthaft verfolgte: Die in Halberstadt herrschende Atmosphäre hatte, wie bereits angedeutet, etwas Düsteres, Moralüberlastetes. Es gab wenig wirkliche Lebensfreude. Die religiösen Gebote stellten richtige Pflichtaufgaben dar, die mit Strenge ausgeübt werden mussten, nicht wie ich das von Messingwerk her gewöhnt war, als natürliche und selbstverständliche Lebensgewohnheiten.62

Im Anschluss an sein Studium an der Klaus besuchte er ab 1894 das Rabbinerseminar in Berlin und zeitgleich die Universität.63 Zusammen mit Calvary lernte der spätere Rechtsanwalt, Publizist und Zionist Sammy Gronemann nach dem Abitur an der Halberstädter Jeschiwa und war bei Klausrabbiner Joseph Nobel im Rosenwinkel 18 untergebracht.64 Gronemann berichtete: […] vor allem lernte ich dort Moses Calvary kennen, der damals von jüdisch-nationalen Dingen und vom Zionismus nichts wissen wollte. Auch später hatte er besonders lange und schwer unter jener schmerzhaften Operation zu leiden, die jeder denkende deutsche Jude auf dem Wege zum Zionismus durchmachen musste.65

Seine Schilderungen besitzen eine überaus persönliche Note, was die religiöse Einstellung der Gemeinde betraf, und gingen konform mit denen Calvarys. Den Gemeinderabbiner Selig Auerbach beschreibt er als charismatischen und respektheischenden Gemeinderabbiner, dem zu eigen war „mit einer Rückhaltlosigkeit sondergleichen von der Kanzel zu donnern und ganz unzweideutig diejenigen zu bezeichnen, gegen die sein Strafsermon gerichtet war.“ Laut Gronemann gingen die Anschauungen und der Führungsstil Auerbachs nicht immer einher mit denen einiger Gemeindemitglieder. Den Klausrabbiner Nobel hingegen beschreibt er als

62 Ebd., Bl. 31–32. 63 Vgl. auch Eliav u. Hildesheimer, Das Berliner Rabbinerseminar, 2008. S. 87. 64 Vgl. Sammy Gronemann wurde 1875 im preußischen Straßburg als Sohn des Rabbiners Selig Gronemann geboren. 1882 wechselte die Familie nach Hannover, wo sein Vater das Amt des Landrabbiners übernahm. Vgl. Gronemann, Sammy: Erinnerungen an meine Jahre in Berlin. Berlin u. Wien 2004. S. 317. Die zweibändige Biografie wurde 2002 und 2004 mit einem Nachwort von Joachim Schlör herausgegeben. 65 Gronemann, Erinnerungen, 2002, S. 94. Moses Calvary und Sammy Gronemann waren nicht nur Studienkollegen an der Jeschiwa in Halberstadt, sondern auch von 1894 bis 1896 am Berliner Rabbinerseminar Esriel Hildesheimers. Vgl. Eliav u. Hildesheimer, Das Berliner Rabbinerseminar, 2008, S. 87, 127.

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ruhigen und toleranten Gelehrten, der seine Passion u. a. in der Rosenzucht fand. Gronemanns überaus treffende Gesamtcharakterisierung der Gemeinde lautete: Die jüdische Gemeinde in Halberstadt, eigentlich eine Enklave in dieser Gemeinde, nämlich der Kreis, der sich um die Rabbinen und um das Haus des Kommerzienrates Benjamin Hirsch gebildet hatte, war doch etwas ganz Einzigartiges. Eine Hochburg der Orthodoxie, hielt sie sich doch frei von Fanatismus und Weltfremdheit. Es vereinte sich dort das Streben nach jüdischem Wissen und Verständnis für moderne Kultur.66

Aber auch andere Gemeindemitglieder haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen, und so berichtete Gronemann: Da war der Lehrer Dr. van Gelder, ein ernster und wortkarger Mann. Ich erinnere mich an eine Trauerrede auf einen seiner heimgegangenen Kollegen, in der er hervorhob, wie sich die Pflichttreue des Verstorbenen bis zum letzten Moment dokumentiert habe. Er sei in den Ferien gestorben und habe so keine Störung des regelmäßigen Schulbetriebes verursacht.67

3.4 Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Schule und das neue Schulgebäude Westendorf 15 Hatte man das 50-jährige Bestehen der Hascharath Zwi mit einer öffentlichen Prüfung der Schüler begangen, so plante die Gemeinde anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Schule im Jahre 1896 ein großes Fest. Aus diesem Anlass konstituierte sich ein Festkomitee aus Rabbiner Selig Auerbach, Emil Baer, Gabriel Hirsch, Julius Meyer und Moritz Joseph, das nicht nur die zweitägige Feier organisieren, sondern aufgrund der inzwischen beengten Schulsituation im Vorfeld zu einer Spendenaktion zugunsten eines neuen Schulhauses aufrufen sollte.68 Die Feier fand am 12. April 1896 statt und wurde mit einem Festgottesdienst in der Synagoge eröffnet und am Nachmittag mit einer Feier im großen Saal des Restaurants „Stadtpark“ fortgesetzt; teil nahmen Repräsentanten der jüdischen Gemeinde, darunter der hochbetagte Rabbiner Esriel Hildesheimer, Honoratioren der Stadt und ehemalige Schüler.69

66 Gronemann, Erinnerungen, 2002, S. 86. 67 Ebd., S. 92. Bei dem Kollegen handelte es sich um den Lehrer Meier Löwenberg, der im Juni 1894 verstorben war. Vgl. den Nachruf, in: Der Israelit 35 (1894). Nr. 62. S. 1158. 68 Vgl. JP 26 (1895). Nr. 39. S. 411. Zu den oben genannten Festkomiteemitgliedern gehörten außerdem Sanitätsrat Dr. Blumenthal, Hermann Egers, Rabbiner Esriel Hildesheimer (Berlin), Gustav Hirsch (Messingwerk/Eberswalde) und Rabbiner Hirsch Plato (Köln), die alle ehemalige Schüler waren. 69 CJA, 1, 75 A Ha 2, Nr. 101, # 3593, Bl. 12–13. In dem Einladungsschreiben an den Magistrat betonte Selig Auerbach ausdrücklich: „Die Schule stellt es sich zur Aufgabe, ihre Zöglinge für

Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Schule und das neue Schulgebäude 

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Nach dem Festgottesdienst und verschiedenen Darbietungen der Schüler am Nachmittag folgte am Abend in ausgesprochen festlichem Rahmen ein Bankett für 150 Personen im kleinen Saal des Restaurants mit anschließendem Tanzvergnügen. Über das gelungene Jubiläum berichtete sowohl Die Jüdische Presse als auch Der Israelit. Die anlässlich der Feier gespendeten Beiträge beliefen sich auf insgesamt 17.000 Reichsmark: 7.000 Reichsmark überreichte Moritz Joseph im Namen der ehemaligen Schüler, den größten Betrag stiftete der in Halberstadt geborene, inzwischen hochbetagte ehemalige Schüler Joseph Liebermann aus Hamburg.70 Zu Ehren seiner Eltern Elieser und Esther Liebermann bestimmte er einen Betrag von 10.000 Reichsmark zur alleinigen Verwendung für die Hascharath Zwi. Er legte fest, dass im Falle einer Schließung der Schule die Zinsen des angelegten Kapitals an die Berend-Lehmann-Stiftung gehen sollten.71 Auch wenn Liebermann dem Vorstand erlaubt hatte, den Schenkungsbetrag für den Bau einer Schule verwenden zu dürfen, entschied sich die Gemeinde, diesen in Wertpapieren anzulegen.72 Bereits vor dem Jubiläum hatte man sich mit der unbefriedigenden räumlichen Situation im Rosenwinkel 18 auseinandergesetzt. Ein Lageplan aus dem Jahre 1892 belegt, dass man in Erwägung gezogen hatte, in dem zum Grundstück Wilhelmstraße 12 gehörenden Garten ein neues Schulgebäude zu errichten. Dieser Plan konnte offenbar mangels finanzieller Mittel bis dahin nicht realisiert werden.73 Erst nach dem Jubiläum nahm man das Vorhaben wieder auf und erstellte konkrete Pläne für die Errichtung eines neuen Schulhauses unter Einsatz eines Teils der Jubiläumsspenden – die Liebermannsche Schenkung blieb dabei unangetastet. Letztendlich entschied man sich für das bebaute hintere Grund-

die Quarten der hiesigen höheren Knabenschulen bzw. die entsprechenden Klassen der höheren Töchterschulen vorzubereiten, sowie der Jugend unserer gesammten Gemeinde Religionsunterricht angedeihen zu lassen.“ HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 146. 70 Vgl. JP 27 (1896). Nr. 39. S. 179; Der Israelit 32 (1896). Nr. 32. S. 626f. 71 HStAH, Schulakten, 2/759, Bl. 2–3. Joseph Liebermann wurde 1803 in Halberstadt geboren, zwei seiner Brüder, Samuel und Jeremias, gehörten zu den ersten namentlich genannten jüdischen Schülern des Domgymnasiums. HStAH, Jü 001, Bl. 10; HStAH, Schulakten, 2/747, Bl. 189, 195. 72 Es sei hier vorweggenommen, dass die Joseph-Liebermann-Stiftung noch bis 1940 bestand. Nach der Inflation, als Folge des Ersten Weltkrieges, hatte sich die Stiftungssumme von 10.000 auf 2.500 Reichsmark reduziert, sodass der Zinsbetrag 1928 auf 180 und bis 1930 auf 125 Reichsmark sank. HStAH, Schulakten, 2/764, Bl. 72–74. Danach erhöhten sich die Zinsen des Stiftungsfonds, wenn auch nur geringfügig. Am 13. Februar 1940 bestätigte der Magdeburger Rechtsanwalt Dr. Martin Cohn letztmalig den Empfang des Zinsbetrages. HStAH, Schulakten, 2/761, Bl. 8 (eig. Blattzählung). 73 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 148.

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stück Westendorf 15. Dazu teilte Moritz Joseph der Polizeiverwaltung mit, dass die Gemeinde das Grundstück Westendorf 15 von der bisherigen Eigentümerin Julie Lewin übernommen habe.74 Die Planung sah den Abriss des hinteren Gebäudes und die Errichtung eines neuen Schulhauses mit den noch verwertbaren Baumaterialien an derselben Stelle vor. Das neue Schulhaus Westendorf 15 wurde 1899 fertiggestellt. Es handelte sich um ein massives Backsteingebäude mit einem Mittelrisalit, dessen Rundbogenfenster im oberen Teil mit einem Magen-David-Relief abschlossen. Im Untergeschoss befanden sich die Funktionsräume wie Waschküche, Geräteraum, Heizungsraum und ein Raum für das Brennmaterial. Die Schulräume waren über zwei Stockwerke verteilt, das Erdgeschoss bestand aus einer geräumigen, 55 qm großen Aula und einem Klassenzimmer, das erste Geschoss aus drei großzügig geschnittenen Klassenzimmern. Die hohen Fenster gewährten eine gute Belichtung der Klassenräume, für konstante Frischluftzufuhr sorgten Maueröffnungen direkt unter der Decke und Luftzuführungskanäle unter den Fußböden, geheizt wurde mit modernen Ventilationsöfen.75 Im Vergleich zu den vorherigen Schulräumen in der Klaus stellte der Neubau einen erheblichen Gewinn für die Organisation des gesamten Schulablaufes dar und trug somit erheblich zur Verbesserung der Gesamtschulsituation bei. Obgleich der Magistrat in den folgenden Jahren dem Schulvorstand wiederholt nahelegte, die Schule in eine öffentliche Volksschule umzuwandeln, lehnte dieser ab. Mit Entschiedenheit teilte der einflussreiche und zum Schulvorstand gehörende Benjamin Hirsch 1900 dem Magistrat mit, dass nach reiflicher Überlegung eine Änderung des bisherigen Schulkonzeptes weder zweckmäßig noch durchführbar sei, vor allem nicht in finanzieller Hinsicht. Er gab zu bedenken, dass im Falle einer Umgestaltung die Zinsen der Stiftungsgelder und das Schulgeld sowie die Unterstützung der Familie Hirsch entfallen würden, da die letztere an die Bedingung geknüpft sei, in angemessener Weise für Kenntnisse in der hebräischen Sprache und für den religiösen Unterricht zu sorgen. Zudem würde bei Umwandlung in eine öffentliche Volksschule der städtische Zuschuss wesentlich geringer ausfallen. Nachdrücklich wies er auf den bisherigen Erfolg der Schule hin, da ein Großteil der Schüler weiterhin in die Quarta der höheren Schulen wechsele, was bei Umwandlung in eine Volksschule nicht mehr möglich wäre, da deren Lehrplan deutlich von dem der Vorbereitungs- bzw. Grundschulen abweiche.76 74 BAH, Bauakte A 3954, Westendorf 15, Bd. 1, Bl. 53. Schreiben Josephs an die Polizeiverwaltung, 29. August 1898. 75 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 124. 76 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 164. Schreiben Benjamin Hirschs an den Magistrat, 28. Juni 1900.

Das Jubiläum zum 100-jährigen Bestehen der Schule und das neue Schulgebäude 

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Abbildung 7: Schulhaus Westendorf 15 (2013)

Hier zeigt sich die erhebliche Einflussnahme des zum Kommerzienrat ernannten Benjamin Hirsch, der die Firma in dritter Generation zusammen mit Söhnen und Neffen zu einem weltweit anerkannten Unternehmen ausgebaut hatte.77 Als Folge der Expansion nahm auch das Verwaltungspersonal im 77 Zu Benjamin Hirsch als Oberhaupt der Firma und der Familie vgl. die Erinnerungen Hermann Schwabs in: Hirsch family. Abtshof-Erinnerungen, LBIJMB MM 35, Bl. 1–5. Die Firma zeichnete sich nicht nur durch wirtschaftlichen Erfolg aus, sondern bezog eine klare Stellung bezüglich der Schemirat Schabbat, die sich immer schwieriger gestaltete, da nichtjüdische Unternehmen bei Beschäftigung jüdischer Angestellter oftmals eine Freistellung am Schabbat ablehnten und zudem die Zahl der am Schabbat geschlossenen jüdischen Geschäfte immer mehr abnahm. Dazu erklärte Benjamin Hirsch, „sein Unternehmen werde, wenn nur irgend angängig, vor allem schabbathaltende Menschen einstellen.“ Zitiert nach Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 142. Zu den bedeutenden jüdischen Metallfirmen, die konsequent den Schabbat sowie die Feiertage einhielten, vgl. auch Hopp, Andrea: Jüdisches Bürgertum in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1997. S. 77–81.

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 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen (1872–1932)

Halberstädter Stammhaus im Abtshof rapide zu. Während 1871 insgesamt 18 Angestellte beschäftigt waren, stieg bis 1892 deren Zahl auf 70 und um 1920 sogar auf über 200 an,78 womit sich möglicherweise auch die ab 1880 leicht steigenden Schülerzahlen der Hascharath Zwi als auch die der jüdischen Schüler an den höheren Schulen der Stadt erklären lassen. Tabelle 9 Schülerzahlen 1871–1932 Schuljahr

Schülerzahlen: Hascharath Zwi

Schülerzahlen: Höhere Schulen

187179 187280 187381 187882 188083 188584 190085 190786 192287 192388 192489 192990 193091 193192 193293

49 46 42 46 62 63 53 65 71 63 70 70 73 80 80

16 15 24 Keine Angaben Keine Angaben Keine Angaben 35 32 Keine Angaben Keine Angaben Keine Angaben 34 24 30 32

3.5 Die Schule unter Leitung Isaak Auerbachs Selig Auerbach starb 1901 im Alter von 61 Jahren in Halberstadt. Er hatte 29 Jahre als Gemeinderabbiner gewirkt und zahlreiche Bachurim um sich versammelt. Seine Bedeutung für das orthodoxe Judentum zeigt sich auch in der regen Anteilnahme namhafter Rabbiner und ehemaliger Schüler, die ihn als eine „Autorität“ des „gesetzestreuen deutschen Judentums“ auszeichneten und als einen „hervorragenden“ Talmudisten würdigten.79 Nach Auerbachs Tod berief man 1902 seinen

78 Vgl. Schulze, Die Halberstädter, 2004, S. 29–34; Auerbach, M.: Jews, 1965, S. 199. Zu den Firmensitzen Unter den Weiden 2–3 sowie ab 1871/1872 Abtshof 14–17 vgl. zuletzt Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 172–181. Die Zahl der Gemeindemitglieder war 1922 auf insgesamt 1.021 Mitglieder angestiegen. HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 230. 79 David, Elieser: Rabbiner Dr. Siegmund Selig Auerbach. In: JP 32 (1901). Nr. 41. S. 415–418, hier S. 417. Vgl. auch Hoffmann, David: Trauerrede gesprochen an der Bahre des Herrn Rabbiners

Die Schule unter Leitung Isaak Auerbachs 

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Sohn Isaak zum neuen Gemeinderabbiner und Schulvorstand, der diese Ämter nun in dritter Generation fortführte.80 Die offizielle Einführung als neuer Leiter der jüdischen Schule, zu welcher Benjamin Hirsch namens des Schulvorstandes auch den Magistrat eingeladen hatte, fand am 30. April 1902 im neuen Schulgebäude Westendorf 15 statt.81 Isaak Auerbach stand nun einer Schule vor, deren finanzielle Lage sich spürbar verschlechtert hatte. Der Borchertsche Stiftungsfonds erbrachte 1907 lediglich einen Zinsbetrag von 1.200 bis 1.400 Reichsmark und die Schule musste mit 3.200 Reichsmark von der Gemeinde bezuschusst werden.82 Im Mai 1908 beantragte Benjamin Hirsch beim Magistrat einen Zuschuss in Höhe von 1.000 Reichsmark, der bewilligt und zur Weitergabe zunächst an das jüdische Bankhaus Helft überwiesen wurde.83 Bis 1924 erhielt die Schule weiterhin einen jährlichen Betrag von 1.000 Reichsmark.84 Obwohl die finanzielle Lage der Gemeinde angespannt war, teilte Benjamin Hirsch dem Magistrat im Juni 1910 mit, dass die jüdische Gemeinde beabsichtige, ihren Geistlichen, Beamten und Lehrern durch Einrichtung einer besonderen Kasse oder eines Fonds Ruhegehälter zu bewilligen.85 Zu den Lehrern gehörten neben Joseph Blach (1894–1916), Nathan Stern (1894–1924) und den Lehrerinnen Therese Joseph (1903–1908)86 und Margarethe

Dr. Sg. Auerbach. In: JP 32 (1901). Nr. 41. S. 423f.; Nobel, Josef: Trauerrede gehalten an der Bahre des Herrn Rabbiner Dr. Sg. Auerbach. In: JP 32 (1901). Nr. 43. S. 445f.; Fink, Erinnerungsblätter, in: Der Israelit 42 (1901), Nr. 78/79, S. 1695–1697. Zur Trauergesellschaft gehörten weiterhin namhafte Rabbiner wie Dr. Loeb (Emden), Dr. Munk (Marburg), Dr. Kahn (Fulda), Oberrabiner Hirsch (Hamburg) sowie Vertreter der Adass Jisroel (Berlin) und der jüdischen Gemeinde Fürth. CJA, 1, 75A Ha, Nr. 58 # 3550, Bl. 2. 80 Isaak Auerbach war der dritte Sohn Selig Auerbachs und wurde 1870 in Fürth geboren. Nach dem Abitur am Domgymnasium, dem Studium an den Universitäten Berlin und München und dem Besuch des Rabbinerseminars in Berlin war er als Rabbiner zunächst in Rogasen (1896– 1899) und danach in Leipzig (1899–1901) in der neu gegründeten orthodoxen Gemeinde tätig. Vgl. Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 68; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 17f.; Brocke u. Carlebach, Biographisches Handbuch, Teil 2. Bd. 1, 2009, S. 24f. 81 HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 205. Schreiben Benjamin Hirschs an den Magistrat, 29. April 1902. 82 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 1. 83 Ebd., Bl. 5–6. 84 Ebd., Bl. 20. 85 HStAH, Schulakten, 2/756, Bl. 208. 86 Therese Joseph wurde 1882 in Leipzig geboren und war die Tochter Julius Josephs und die Enkeltochter des Rechenlehrers Hirsch Joseph. Sie hatte das Lehrerinnenseminar in Halberstadt besucht und legte 1902 ihre Prüfung ab, ihr Gehalt betrug 600 Reichsmark. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 244.

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Brandt (1901–1917)87 Dr. Leopold Rothschild (1906–1913),88 den man 1906 als Nachfolger für den verstorbenen Elias van Gelder eingestellt hatte. Nach dem Ausscheiden von Therese Joseph versahen folgende Lehrerinnen den Unterricht: Auguste Weichert (1909–1910), Flora Rosenbaum (1911–1912) und Helene Baer (1913–1922).89 Um nun die Schulsituation zu verbessern, die Schule attraktiver zu gestalten und ihr Niveau insgesamt anzuheben, fassten der Schulvorstand und Isaak Auerbach den Plan, der Hascharath Zwi mit Beginn des neuen Schuljahres im April 1911 ein Internat anzugliedern. Die Internatsschüler sollten gleich den ortsansässigen ab dem sechsten Lebensjahr in die Schule aufgenommen werden und sie bis zur Quarta besuchen, um danach auf eine der höheren Schulen zu wechseln. Falls das Projekt erfolgreich sein und steigende Schülerzahlen nach sich ziehen sollte, beabsichtigte man, die Schule in eine höhere Lehranstalt umzuwandeln.90 Letztendlich kam es, vermutlich aus finanziellen Gründen und mangels Interesse auswärtiger Eltern, nicht zur Umsetzung. Trotzdem plante man 1913 eine Erweiterung des Schulgebäudes, auch um u. a. das Büro der Gemeinde unterzubringen. Vorgesehen war eine Aufstockung um eine gemauerte Etage mit einem Walmdach, das zudem ausgebaut werden sollte, um über weitere Klassenräume zu verfügen.91

87 Margarethe Brandt, eine nichtjüdische Lehrerin, hatte 1898 in Berlin ihr Lehrerexamen absolviert und versah den Handarbeits- und Turnunterricht. HStAH, Magistratsakten, 1.32.001, Bl. 244. 88 Leopold Rothschild wechselte 1913 nach Dinslaken, übernahm dort die Leitung des traditionell geführten israelitischen Waisenhauses und emigrierte 1938 nach Palästina, wo er auch weiterhin als Pädagoge tätig war, er starb 1958 in Tel Aviv. Vgl. Ellger-Rüttgardt, Sieglind: Das Israelitische Waisenhaus Dinslaken. In: Barbian, Jan-Pieter, Michael Brocke u. Ludger Heid (Hrsg.): Juden im Ruhrgebiet. Vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart. Essen 1999. S. 503–522, hier S. 506f, 510; Feist, Die Geschichte, 2003, S. 167. Zu seinem 1907 in Halberstadt geborenen Sohn Pinchas (Siegfried) Rothschild, den späteren Leiter des Berliner Kinderheims Ahawa vgl. Ellger-Rüttgardt, Sieglind: Erinnerungen ehemaliger Erzieher und Erzieherinnen an das Berliner Kinderheim „Ahawa“. In: Dies. (Hrsg.): Verloren und Un-Vergessen. Jüdische Heilpädagogik in Deutschland. Weinheim 1996. S. 279–310, hier S. 299–305. 89 Helene Baer–Barth schrieb 1979 an Werner Hartmann: „Ich war jahrelang an der dortigen jüdischen Schule Lehrerin gewesen, nachdem ich das allgemeine Lehrerinnenseminar absolviert hatte (1911). Nach dem Tod meines Mannes ging ich 1924 nach Jerusalem und seitdem lebe ich hier.“ Zitiert nach Hartmann, Geschichte, 1995, S. 18. Zu den Zahlen in den Klammern vgl. Adreßund Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jgg. 1890–1898; Adreßbuch von Halberstadt und Umgebung. Jgg. 1900–1918; Einwohnerbuch für Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1920–1925/26. 90 Vgl. JP 41 (1910). Nr. 46. S. 461. 91 Vgl. Lüdemann, Quartiere, 2003, S. 124.

Der Religionsunterricht 

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Abbildung 8: Rabbiner Dr. Isaak Auerbach (1870–1932), o. J.

3.6 Der Religionsunterricht 1911 richtete der zum Schulvorstand gehörende Gabriel Hirsch auf Ersuchen des Gemeindevorstandes einen Antrag an das Provinzialschulkollegium. Er bat darin um die Einrichtung jüdischen Religionsunterrichtes von je zwei Wochenstunden für die oberen Klassen Obertertia bis Oberprima des Dom- und Realgymnasiums, der Oberreal- und Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule mit Beginn des Wintersemesters 1911/1912 oder zum Anfang des Schuljahres 1912/1913. Begründet wurde dies damit, dass der religiöse Unterricht durch den Besuch der Hascharath Zwi zwar gewährleistet war, dass aber nach dem Wechsel auf die höheren Schulen besonders die Schüler der oberen Klassen diesen nicht mehr besuchten. Erteilt werden sollte der Unterricht von Isaak Auerbach.92 Da es keine Einwände gab, erteilte er ab 1912 den jüdischen Religionsunterricht an den höheren Schulen.93 Zusätzlich erhielten ältere Schüler mit fundiertem Vorwissen religiösen Unterricht bei den

92 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 193. 93 Vgl. Perle, Friedrich: Die Halberstädter Oberrealschule. Halberstadt 1921. S. 16.

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beiden Klausrabbinern Philipp Frankl94 und Moses Schlesinger95. Esriel (Hans) Hildesheimer berichtete, dass er während seiner Schulzeit zusätzlich ein bis zwei Stunden Unterricht bei diesen beiden hatte.96 Die Orthodoxie nahm maßgeblichen Einfluss auf den Religionsunterricht. Zunächst konstituierte sich 1920 auf Initiative Isaak Auerbachs und Esra Munks, der „Bund gesetzestreuer jüdischer Gemeinden Deutschlands“ unter dem Vorsitz der Synagogengemeinde Halberstadt und der Hochdeutschen Israeliten-Gemeinde Altona mit Sitz in Halberstadt, mit dem Ziel, die Interessen der gesetzestreuen Gemeinden nach außen zu vertreten. Die offizielle Gründung erfolgte am 8. August 1920 auf einer Tagung in Würzburg, auf der bekannt gegeben wurde, dass sich bereits 200 Gemeinden dem „Bund“ angeschlossen hatten. Nach gescheiterten Verhandlungen über eine Zusammenführung der ersten anerkannten Gesamtvertretung der Juden, des „Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes“ (DIGB) und des „Halberstädter Bundes“ (HB), entschied sich der DIGB 1922 zur Gründung des „Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden“. Als Reaktion darauf gründeten die orthodoxen Verbände Mitte des Jahres 1922 den „Preußischen Landesverband gesetzestreuer Synagogengemeinden“ mit Sitz in Halberstadt, der 1923 von der Regierung als offizielle Vertretung der orthodoxen jüdischen Gemeinden anerkannt wurde.97 Zu den wichtigen Aufgaben des „Halberstädter Bundes“ gehörte die Aufsicht über den religiösen Unterricht. Da der offizielle Religionsunterricht für die jüdischen Schüler der höheren Schulen nur noch zwei Stunden pro Woche betrug, sollte er „komprimierter und konzentrierter“ gestaltet werden. Woraufhin Pädagogen und Rabbiner des „Bundes“ einen neuen Lehrplan unter Vorgabe einer methodischen Vorgehensweise erstellten. Voraussetzungen waren Hebräisch

94 Philipp Frankl wurde 1908 an die Klaus berufen und trat damit die Nachfolge des verstorbenen Klausrabbiners Schlomo Cohn an. Er amtierte ebenfalls bis 1938 an der Klaus, emigrierte nach Amsterdam und wurde 1944 in Buchenwald ermordet. Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 53; Hartmann, Geschichte, 1995, S. 31; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 18. 95 Moses Schlesinger wurde 1917 an die Klaus berufen und trat damit die Nachfolge des verstorbenen Klausrabbiners Josef Nobel an. Er emigrierte 1938 nach Palästina. Vgl. Feist, Die Geschichte, 2006, S. 53; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 18; Kulka, Otto Dov (Hrsg.): Deutsches Judentum unter dem Nationalsozialismus. Bd. 1: Dokumente zur Geschichte der Reichsvertretung der deutschen Juden 1933–1939. Tübingen 1997. S. 525. 96 Vgl. Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 18. 97 Vgl. Auerbach, Hirsch Benjamin: Die Geschichte des „Bund gesetzestreuer jüdischer Gemeinden Deutschlands“ 1919–1938. Tel Aviv 1972. S. 7, 11–23. Ders.: Halberstadt als Sitz und Tagungsort jüdischer Verbände. In: ZGJ 6 (1969). Nr. 3/4. S. 155–158, hier S. 158. Zu den orthodoxen Austrittsgemeinden vgl. auch Birnbaum, Max P.: Staat und Synagoge 1918–1938. Eine Geschichte des Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden (1918–1938). Tübingen 1981. S. 32f., 47f.

Der Religionsunterricht 

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Lesen und Übersetzen, besonders der Gebete, Kenntnisse der allgemeinen Biblischen Geschichte, des Pentateuch und der wichtigsten Religionsvorschriften. Der neue Stoffverteilungsplan beinhaltete von der Sexta bis zur Oberprima detaillierte Vorgaben zur Unterrichtsgestaltung. Dazu gehörten biblische Geschichte, Einführung und Vertiefung der Propheten, Vorschriften für Schabbat und Festtage, der religiöse Kalender bis hin zu Talmud, Mischna und Schulchan Aruch in der Obersekunda und deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit in der Oberprima.98 Zudem bemühten sich die gesetzestreuen Verbände um die Verbesserung der Ausbildung zum Volksschul- und Religionslehrer. Die erste Konferenz dazu fand vom 28. bis 29. Juni 1925 in Halberstadt statt. Für die Volksschullehrer wurde eine gründliche Vorbildung an einer jüdischen Lehrer-Akademie, für jüdische Oberlehrer an höheren Schulen der Besuch einer Lehrer-Akademie mit abschließender Fähigkeitsprüfung und für Religionslehrer ein Lehrgang von vier Jahren an einer Lehrer-Akademie gefordert.99 Zwei Jahre später formulierte man eine konkretere Zielsetzung: 1. Forderung einer pädagogischen Akademie zur Heranbildung von thoratreuen Volksschullehrern. 2. Angliederung von Schulheimen an die bestehenden jüdischen Höheren Schulen, damit auch nichtansässige Schüler zum Abitur und zum Eintritt in die Akademien vorbereitet werden können. 3. Gründung einer Religionsakademie mit Vier-Jahreskursen. 4. Vorbildung auf das Kantorenamt und zur Ausbildung in der Schechitah, wofür mindestens ein weiteres Studienjahr benötigt wird.

Letztendlich führten, laut Isaak Auerbach, die Bemühungen des Halberstädter Bundes dazu, dass am 14. März 1927 der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eine Verfügung erließ, wonach das Kölner Lehrerseminar zur Ausbildung orthodoxer Lehrer zugelassen wurde.100

98 Zum Stoffverteilungsplan vgl. Auerbach, Die Geschichte, 1972, S. 36–39. 99 Teilnehmer waren Dr. Moses Auerbach (Rabbinerseminar Berlin), Dr. Emanuel Carlebach (Lehrerseminar Köln), Oberlehrer Stoll (Lehrerseminar Würzburg), Dozent J. Ehrentreu (Tora-Lehranstalt Frankfurt a. M.) und die Rabbiner Dr. Isaak Auerbach und Dr. Moses Schlesinger (Halberstadt). Vgl. Auerbach, Die Geschichte, 1972, S. 42f. 100 Vgl. ebd., S. 46f. Zur Geschichte des Kölner Lehrerseminars vgl. Asaria, Zvi: Die Juden in Köln von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Köln 1959. S. 264–276.

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3.7 Die Schulsituation vor 1933 Bedeutsame Veränderungen für das Volksschulwesen brachten die Reichsverfassung vom 11. August 1919 und das folgende Gesetz betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 28. April 1920. Die Reichsverfassung kündigte die gemeinsame Grundschule an, verbot die privaten Vorschulen und ließ die private Volksschule nur im Ausnahmefall zu.101 Wenig später wurden durch das Reichsgrundschulgesetz die ersten vier Jahre als Grundschule für alle Kinder verbindlich eingeführt. Nicht explizit genannt, galten die Gesetze auch für die jüdischen Schulen.102 Laut Miller-Kipp dokumentieren die beiden Rechtsakte „den gesellschaftspolitischen Willen, die Volksschule in Deutschland nun endlich auch tatsächlich als allgemeine Schule oder, wie von den Schulreformern seinerzeit formuliert wurde, als ‚wirkliche Volksschule‘, als Schule für alle Kinder des Volkes ungeachtet der Religionszugehörigkeit und der sozialen Klassenzugehörigkeit durchzusetzen.“103 Die neue Schulgesetzeslage ab 1920 veranlasste Isaak Auerbach, sich an den Kreisschulrat zu wenden. Am 20. Dezember 1922 erging ein Schreiben an die Schulbehörde in Magdeburg: Die Israelitische Schule in Halberstadt, Privatschule, besteht seit mehr als 125 Jahren. Der unterzeichnete (Rabbiner Dr. Auerbach) leitet sie seit seinem Amtsantritt, April 1902. Obwohl die Schule sehr häufig von der Aufsichtsbehörde inspiziert wurde und damit

101 Artikel 146 der Reichsverfassung lautete: „Das öffentliche Schulwesen ist organisch zu gestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend.“ In Artikel 147 hieß es: „Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. [...] Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von Erziehungsberechtigten, deren Wille nach Artikel 146 Abs. 2 zu berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht oder die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt. Private Vorschulen sind aufzuheben.“ Zitiert nach Führ, Christoph: Zur Schulpolitik der Weimarer Republik. Die Zusammenarbeit von Reich und Ländern im Reichsschulausschuß (1919–1923) und im Ausschuß für das Unterrichtswesen (1924–1933). Weinheim [u. a.] 1970. S. 161f. 102 § 1 des Gesetzes betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 28. April 1920 lautete: „Die Volksschule ist in den vier untersten Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschule, auf der sich auch das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut, einzurichten. [...] Die Grundschulklassen (-stufen) sollen unter voller Wahrung ihrer wesentlichen Aufgabe als Teile der Volksschule zugleich die ausreichende Vorbildung für den unmittelbaren Eintritt in eine mittlere oder höhere Lehranstalt gewährleisten.“ Zitiert nach Führ, Zur Schulpolitik, 1970, S. 161. 103 Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 41.

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tatsächlich anerkannt ist, fehlt ihr jede schriftliche Anerkennung seitens der Regierung. Es wird darum ersucht, der Schule bzw. dem zeitigen Leiter die schriftliche Anerkennung auszusprechen, wodurch zugleich die Berechtigung gegeben wird, neue Lehrkräfte ohne besondere Unterrichtserlaubnis anzustellen.104

Erst am 11. Oktober 1923 vergab die Regierung in Magdeburg einen sogenannten „Erlaubnisschein“ und erteilte dem Rabbiner die „widerrufliche Genehmigung zur Leitung der israelitischen höheren Privatschule“.105 Womit Isaak Auerbach, als Leiter der Schule, die Berechtigung erhielt, Lehrer ohne besondere Unterrichtserlaubnis einzustellen. Dem vorausgegangen war vermutlich die Lehrersituation nach dem Ausscheiden Joseph Blachs im Jahre 1916, dessen Stelle zunächst nicht wieder neu besetzt worden war, sodass Nathan Stern und die drei Lehrerinnen Helene Baer, Frl. Ullmann und Elisabeth Krüger den Unterricht über einige Jahre allein versehen mussten.106 Nachdem dann noch Helene Baer 1922 aus dem Schuldienst ausschied, stellte man den Lehramtsanwärter und späteren Leiter der Schule Jakob Lundner ein.107 Er hatte nach einem siebensemestrigen Universitätsstudium in Pädagogik, Psychologie und Neueren Sprachen an den Universitäten Halle/Saale und Göttingen seine erste Volksschullehrerprüfung am 15. März 1921 in Hannover und seine zweite am 22. Februar 1924 in Halberstadt abgelegt.108 Isaak Auerbach und Jakob Lundner gehörten zu den maßgebenden Lehrerpersönlichkeiten der Schule. Wie den Erinnerungen Esriel (Hans) Hildesheimers zu entnehmen ist, ging das Engagement Jakob Lundners weit über den normalen Unterricht hinaus: „Unter den späteren Lehrern […] möchte ich vor allem Herrn Jakob Lundner erwähnen. Er unterrichtete seine Schüler nicht nur in

104 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 199 (eig. Blattzählung). Schreiben des Kreisschulrats Schläper an die Regierung Magdeburg, 20. Dezember 1922. 105 HStAH, Schulakten, 2/766, Bl. 200 (eig. Blattzählung). Schreiben der Regierung Magdeburg an den Magistrat, 11. Oktober 1923. Eine widerrufliche Genehmigung zu erteilen war üblich und per Gesetz festgelegt. An dieser Stelle wurde einmalig der Begriff „höhere Privatschule“ verwendet, wohingegen die durchgehende offizielle Bezeichnung „jüdische Privatschule“ lautete. 106 Vgl. Adreßbuch von Halberstadt und Umgebung. Jg. 1922. S. 16. 107 Jakob Lundner, Sohn von Sara und Juda Wolff Lundner, wurde 1900 in Chrzanów nahe Krakau geboren. Um 1905 ließ sich die Familie in Sebaldsbrück nahe Bremen nieder. Aus dem weiteren Verlauf der Familiengeschichte ist bekannt, dass sich diese kurze Zeit später in Bremen etablierte, indem der Vater zunächst einen Sackhandel, 1931 mit zwei seiner Söhne einen Wäscheversand und 1935 die Firma J. W. Lundner Söhne OHG gründete. Ausführlich zur Familie Lundner und ihren weiteren neun Kindern vgl. www.stolpersteine-bremen.de/suche Stolpersteine/Juda Wolff Lundner (Stand 24. 3. 2016). Vgl. auch Bruss, Regina: Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus. Bremen 1983. S. 309f. 108 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 60–61.

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der Schule selbst, sondern lud uns Jungen […] einmal wöchentlich in sein Haus ein, um uns in hebräischer Grammatik zu unterrichten.“109 Nach dem Ausscheiden Nathan Sterns im Jahre 1924 entschied man sich für Joseph Eschwege, der bis 1932 an der Schule verblieb.110 Viele Lehramtsanwärterrinnen und sogenannte technische Lehrer, die nur stundenweise Handarbeits- oder Sportunterricht erteilten, wechselten oftmals nach wenigen Jahren, dazu gehörten: die technischen Lehrer Gabriel (1925–1927), Koch (1928–1929), Otto Meyer (1930–1934)111 sowie die Lehrerinnen Elisabeth Krüger (1917–1931)112, Jacobs (1928–1929), Miriam Auerbach (1929–1930), Tochter des Rabbiners Isaak Auerbach, Hannah Landau (1930–1931), Resi Frenkel (1931–1933), Fanny Kober (1932) und als technische Lehrerinnen Hemprich (1922–1927), Riedel (1928–1929), Heinemann (1929–1930) und Pfeifer (1930).113 Mittlerweile hatte man zu den vier Grundschulklassen, von denen je zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet wurden, und zu Sexta und Quinta zusätzlich noch eine Quarta eingerichtet. Neben den vier vollbeschäftigten Lehrern war noch eine Hilfskraft für weibliche Handarbeiten und Turnen beschäftigt, wie Isaak Auerbach 1924 der Regierung in Magdeburg im Rahmen des Antrags auf Zuschusserhöhung mitteilte.114 In den Jahren der Weltwirtschaftskrise und Inflation verschlechterte sich die finanzielle Situation der Schule, die Einnahmen aus dem Stiftungsfonds und die Steuereinnahmen der Gemeinde verringerten sich drastisch. In dieser Lage beantragte der Schulvorstand 1922 eine Erhöhung des bisherigen Zuschusses, der 109 Zitiert nach Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 17. Esriel (Hans) Hildesheimer war der Urenkel des Rabbiners Esriel Hildesheimer. Er besuchte ab 1918 die Hascharath Zwi bis zur Untertertia und wechselte auf die Oberrealschule. Vgl. Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 17–18; Klamroth, „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“, 2014, S. 12f. 110 Joseph Eschwege war zuvor als Lehrer an der israelitischen Volksschule in Achim (Regierungsbezirk Stade) tätig, nach Auflösung der Schule im Jahre 1924 kam er an die Hascharath Zwi. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 47. Er verließ Halberstadt 1932 und erhielt eine Anstellung an der israelitischen Volksschule in Schenklengsfeld. Ebd., Bl. 14. 111 Otto Meyer erteilte den Knaben vier Stunden Turnen und Gesang. HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 76. 112 Paul Süßmann, der von 1923 bis 1929 die jüdische Schule besuchte, berichtete, dass die einzige nichtjüdische Lehrerin Frl. Krüger, Schwester des Rechtsanwaltes Krüger aus der HeinrichJulius-Straße, Französisch ab der Sexta unterrichtete. Paul Süßmann (schriftliche Auskunft vom 11. Juni 2001). 113 Vgl. Einwohnerbuch für Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1920–1925/1926; Einwohnerbuch (Adreß- und Stadtbuch) von Halberstadt und Wehrstedt. Jgg. 1926/1927–1933. Zu einigen Namen ließen sich keine Vornamen oder weiteren Angaben ermitteln. 114 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 23.

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vom Magistrat abgelehnt wurde; er empfahl der Gemeinde die jüdische Schule aufzulösen und die Kinder in den vorhandenen Schulen unterrichten zu lassen.115 Die finanzielle Lage verschlechterte sich weiter, sodass Isaak Auerbach am 4. April 1924 erneut um einen außerordentlichen Zuschuss für die israelitische Privatschule nachsuchte.116 Dieses Ersuchen wurde von der Regierung wie zuvor mit gleichlautender Empfehlung abgelehnt.117 Weitere finanzielle Einbußen trafen die jüdische Gemeinde, als die ebenfalls von der Wirtschaftskrise angeschlagene Firma Hirsch 1927 ihren Verwaltungssitz nach Berlin verlegte. Die Halberstädter Zeitung schrieb dazu: Damit scheidet eine Familie von unserer Stadt, deren Name in der Stadtgeschichte unvergessen bleiben wird. Nicht nur, daß durch die Familie und das Unternehmen der Firma Hirsch der Name unserer Stadt ehrenvoll in alle Welt hinausgetragen wurde, nein, viele Mitglieder der Familie haben sich in hervorragender Weise in den verschiedensten Ehrenämtern um die Entwicklung der Stadt bemüht.118

Vermutlich hat sich der Umzug der Firma Hirsch auch auf die finanzielle Situation der Schule ausgewirkt, denn abgesehen von den wohltätigen Unterstützungen verfügte die Gemeinde jetzt über geringere Steuereinnahmen. Zur Verbesserung der finanziellen Lage wurden vielerlei Anstrengungen unternommen. So hatte man am 27. Januar 1929 auf Initiative Jakob Lundners einen bunten Abend organisiert, der im Festsaal des jüdischen Restaurants mit Namen „Kasino“ stattfand und dessen Erlös der Hascharath Zwi zugutekommen sollte. Neben Musikeinlagen unter Leitung des Kantors Justin Berliner, Vorträgen und rhythmischen Tanzeinlagen sowie einem Büfett wurde der Schwank Kiekebusch als Unschuldsengel von Siegfried Philippi in der Regie von Karl Spindel aufgeführt. Die Hauptrolle spielte der bereits genannte Esriel (Hans) Hildesheimer, zusammen mit Ady Schwab, der Tochter Hermann Schwabs, Philipp Baer und Michel Semmel. Zudem führte Senta Seligmann zusammen mit der dreijährigen Ida Seckbach einen Sketch auf, mit dem Titel Großreinemachen.119

115 Ebd., Bl. 15. Seit 1908 hatte die jüdische Schule einen jährlichen städtischen Zuschuss von 1.000 Reichsmark erhalten. HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 1–6. 116 Ebd., Bl. 23. 117 Ebd., Bl. 24. 118 Vgl. Halberstädter Zeitung und Intelligenzblatt 113 (1927). Nr. 174. S. 1. (28.07.1927). 119 Vgl. Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 42; Klamroth, „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“, Berlin 2014, S. 135f. Die um 1887 gegründete Berend-Lehmann-Loge gehörte zum Orden Bnei Briss (Söhne des Bundes) und ließ 1903 ein eigenes Gebäude an der Kaiser-/Ecke

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Unterdessen hatte die Regierung für 1929 und 1930 einen jährlichen Zuschuss von 2.600 Reichsmark bewilligt, sodass sich der Haushaltsplan für das Jahr 1930 wie folgt zusammensetzte: Die Ausgaben für die Gehälter betrugen 18.800 Reichsmark, „Diverses“ 2.500 Reichsmark, Ruhegehälter 800 Reichsmark. Demgegenüber standen an Einnahmen lediglich 6.000 Reichsmark an Schulgeldern und 2.600 Reichsmark Zuschuss des Ministeriums, den Rest von immerhin 13.500 Reichsmark finanzierte die Synagogengemeinde.120 Was die Schulgeldforderungen betraf, zeigte sich der Schulvorstand sehr großzügig, denn von 80 Schülern, die 1931 die jüdische Schule besuchten, zahlten nur etwa die Hälfte das vereinbarte Schulgeld, einige zahlten weniger und einige nichts. Für die Grundschüler betrug das Schulgeld 150 und für die Oberklassen 240 Reichsmark pro Schuljahr.121 Auch für das Jahr 1931 stellte die Regierung in Magdeburg beim Ministerium einen Antrag auf Zuschuss für die Hascharath Zwi. Sie wies darauf hin, dass der Lehrplan der privaten jüdischen Volksschule dem der öffentlichen Volksschulen entsprach, womit ihr ein Beschulungsgeld für die Schüler der ersten vier Grundschulklassen in einer Gesamthöhe von 2.246 Reichsmark zustehe. Außerdem betonte die Regierung, dass eine Kürzung des Zuschusses aufgrund der hohen Besteuerung der jüdischen Gemeindemitglieder nicht angebracht sei, die Synagogengemeinde müsse nach Abzug aller Einnahmen immerhin noch 13.500 Reichsmark zum Unterhalt der Schule aufbringen.122 Das Ministerium weigerte sich zwar nicht, dem Antrag auf Zuschuss zuzustimmen, verlangte aber aufgrund der hohen Ausgaben deren genaue Auflistung.123 Daraufhin forderte die Regierung in Magdeburg ihrerseits vom Schulvorstand detaillierte Angaben über Lehrergehälter und Pensionszahlungen.124 Diese beliefen sich für das Jahr 1930 immerhin auf 18.831 Reichsmark. Auslöser für die Überprüfung waren die erstaunlich hohen Einnahmen des Lehrers Eschwege, der insgesamt 7.018 Reichsmark bezog, wohingegen z. B. Jakob Lundner als Leiter der Schule lediglich 5.372 Reichsmark

Blücherstraße errichten. Neben den Klubräumen, Billardzimmer, Rauchzimmer und Damensalon gehörten auch ein großer Festsaal sowie ein koscheres Restaurant dazu. Vgl. dies., S. 316. 120 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 7. 121 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 75. 122 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 6–7. Schreiben des Regierungsrats Hoene an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 31. Januar 1931. Hoene berief sich bei der Summe des Zuschusses auf den §  46 des Volksschullehrerbesoldungsgesetzes (VBG) von 1927 und die ab 1. Februar 1931 geltenden Zuschussbeiträge. 123 Ebd., Bl. 9. 124 Ebd., Bl. 10.

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erhielt.125 Zudem hatte man der Witwe des 1906 verstorbenen Lehrers Elias van Gelder eine Pension von 800 Reichsmark gewährt.126 Da sich die Verhandlungen hinzogen, man bei der Gehaltsfrage des Lehrers Eschwege keine Einigung erzielte und somit der Antrag auf Zuschuss nicht beschieden werden konnte, wurde Isaak Auerbach persönlich bei der Regierung in Magdeburg vorstellig. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass der Antrag auf einen staatlichen Zuschuss kaum Aussicht auf Erfolg haben werde, solange der Lehrer Joseph Eschwege „Wartegeldempfänger der Landesschulkasse“ sei und zusätzlich eine so hohe Vergütung für seine Tätigkeit an der Hascharath Zwi erhalte. Nach langen zähen Verhandlungen gab der Schulvorstand dem Drängen des Ministeriums nach und kürzte das Gehalt des Lehrers Eschwege,127 woraufhin der Schule im Oktober 1931 ein Zuschuss von 2.000 Reichsmark für das Schuljahr 1931/1932 bewilligt wurde.128 Zusätzlich beantragte der Gemeindevorsitzende Hermann Silberberg am 6. Mai 1929 beim Magistrat einen Zuschuss zum Religionsunterricht. Obwohl er eine Schließung der jüdischen Schule keinesfalls in Betracht zog, beantragte er Gelder in der Höhe, welche der Stadtverwaltung bei Auflösung der jüdischen Volksschule durch Einreihung ihrer 70 Schüler in die öffentlichen Volksschulen für den jüdischen Religionsunterricht entstehen würde.129 Da Anfang 1930 immer noch keine Antwort vorlag, wiederholte Silberberg seinen Antrag,130 daraufhin bewilligte der Magistrat im Mai 1932 einen einmaligen Zuschuss von 500 Reichsmark. Ein

125 Ebd., Bl. 14–15. Das hohe Einkommen Eschweges setzte sich aus dem Versorgungsbezug seiner vorherigen Tätigkeit an der jüdischen Schule in Achim und seinem derzeitigen Gehalt an der Hascharath Zwi zusammen. Nach Auflösung der jüdischen Schule in Achim hatte er einen jährlichen Versorgungsbezug von 3.060 Reichsmark erhalten. Nach dem VBG vom Oktober 1927 betrugen die Lehrergehälter zwischen 4.000 und 7.500 Reichsmark, wobei sich die obere Grenze auf akademisch gebildete und Lehrer in Führungspositionen bezog. Vgl. Führ, Zur Schulpolitik, 1970, S. 266. 126 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 11. Die Gehälter der Lehrer setzten sich wie folgt zusammen: Joseph Eschwege (Versorgungsbezug 3.060, Gehalt 3.958 Reichsmark), Jakob Lundner (5.372 Reichsmark), Lehramtsanwärterin Hannah Landau (2.721 Reichsmark), Resi Frenkel (hauptamtlich mit 19 Stunden angestellte Hilfskraft, 2.280 Reichsmark), Elisabeth Krüger (acht Wochenstunden nebenamtlicher Unterricht, 960 Reichsmark) und Otto Meyer (vier Wochenstunden nebenamtlicher Unterricht, 480 Reichsmark). Die hohen Gehälter der beiden Lehrer Eschwege und Lundner ergaben sich aus der Tatsache, dass der Vorstand aufgrund des Mangels an jüdischen Lehrern die Anwärterjahre als Besoldungsdienstjahre angerechnet hatte. Ebd., Bl. 16. 127 Ebd., Bl. 26. 128 Ebd., Bl. 33. 129 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 32. Schreiben Silberbergs an den Magistrat, 6. Mai 1929. 130 Ebd., Bl. 36–37. Schreiben Silberbergs an den Magistrat, 23. Januar 1930.

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erneuter Antrag auf Bezuschussung des Religionsunterrichts wurde im Jahre 1934 aufgrund der neuen politischen Verhältnisse nicht mehr bewilligt.131 Der erste Hinweis, dass die jüdische Schule Volksschulklassen eingerichtet hatte, findet sich im Bericht des Schulrates Dietrich Schläper aus dem Jahre 1930. Demnach bestanden, wie gehabt, vier Grundschulklassen mit jeweils zwei zusammengefassten Jahrgängen, daneben hatte man eine Volksschulklasse mit den Jahrgängen fünf bis acht eingerichtet, die lediglich von vier Schülern besucht wurde. Auch die Sexta und Quinta hatte man aufgrund geringer Schülerzahlen zusammengelegt, eine Quarta bestand nicht mehr. Den Unterricht des ersten und zweiten Schuljahres mit 31 Kindern erteilte die Lehrerin Hannah Landau, das dritte und vierte Schuljahr mit zusammen 26 Kindern wurde von Joseph Eschwege unterrichtet, der Unterricht der vier Kinder der höheren Volksschulklasse oblag Jakob Lundner, Sexta und Quinta bestanden aus zwölf Kindern, die von Resi Frenkel unterrichtet wurden. Der Schulrat bestätigte die guten Leistungen der Schüler, hob ihre hohe Begabung hervor und verwies auf ihre geringe Anzahl, infolgedessen fast alle Schüler nach den ersten vier Grundschuljahren in die Sexta und Quinta wechseln konnten.132 Allein die Tatsache, dass nur vier jüdische Schüler die Volksschulklasse besuchten, verdeutlicht, dass immer noch ein Großteil auf die höheren Schulen wechselte. Die letzte Revision vor Machtergreifung der Nationalsozialisten fand am 31. März 1932 statt. Am Aufbau der Schule hatte sich im Vergleich zu 1930 kaum etwas geändert, das erste und zweite Schuljahr wurden von 27 Schülern besucht, welche jetzt die Lehrerin Resi Frenkel unterrichtete, das dritte und vierte Schuljahr von 34, die Joseph Eschwege betreute; die Volksschulklasse (5. bis 8. Schuljahr) von sieben Schülern, die von Jakob Lundner unterrichtet wurden, Sexta und Quinta mit zusammen zwölf Schülern von der Lehramtsanwärterin Fanny Kober. Schulrat Dietrich Schläper betonte, dass aufgrund der geringen Klassenfrequenz und der guten Begabung der Schüler fast alle Kinder von der Grundschule in Sexta und Quinta übergingen.133 Über Lehrpläne und Unterrichtsgestaltung lassen sich den Quellen nur wenige Angaben entnehmen, umso aufschlussreicher sind hingegen die Erinnerungen

131 Ebd., Bl. 91. 132 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 6–8. Schreiben des Regierungsrats Hoene an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 31. Januar 1931. Dem Schreiben wurde der Revisionsbericht des Schulrats Schläper vom 6. Dezember 1930 als Anlage beigefügt. 133 Ebd., Bl. 41. Revisionsbericht des Schulrats Schläper an die Regierung Magdeburg, 31. März 1932. Auch dieser Bericht enthält keine Angaben zur Lehrplangestaltung.

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ehemaliger Schüler. Judith Biran, geb. Winter, besuchte die jüdische Schule von 1927 bis 1935 und erinnert sich: Wir hatten viele jüdische Fächer zusätzlich – Tora, Gebete und jüdische Geschichte – Talmud lernten nur die Jungen. Wir hatten zusätzlich zum normalen Unterrichtsplan noch viele hebräische Stunden und lernten deshalb auch am Sonntag. Unsere Lehrer waren hervorragend und wir hörten vom Schulrat immer wieder, dass wir dem allgemeinen Lehrplan weit voraus sind. […] Im Rückblick scheint mir, dass die Pädagogen ziemlich streng waren, aber trotzdem beliebt bei den meisten von uns. […] Regelmäßige Schulausflüge machten wir in den Harz, Osterholz, Huy, auf den Brocken und zum Hexenplatz, oder ins Bodetal. In den großen Ferien fuhren wir alle Tage, drei bis vier Wochen lang, mit der Straßenbahn in die Spiegelsberge, dort gab es ein Restaurant (Grüner Jäger), in dessen Saal mittags gegessen wurde, denn es kam extra eine Köchin mit, die für uns kochte.134

Gemeinderabbiner Isaak Auerbach erkrankte während einer Reise, die er im Rahmen seiner Verbandstätigkeit unternahm und starb im Frühjahr 1932 nach kurzer schwerer Krankheit in Frankfurt am Main. Er hatte die Schule 30 Jahre lang geleitet.135 Da nun zunächst das Amt des Gemeinderabbiners unbesetzt blieb, übertrug man die Leitung der Hascharath Zwi Jakob Lundner.136 Außerdem besetzte man die Stelle des ausgeschiedenen Joseph Eschwege mit dem Lehramtsanwärter James Wigderowitsch.137 Trotz der wenigen vorliegenden Quellen aus dieser Zeit wird deutlich, dass der Schulvorstand sowie die Lehrer an dem Schulkonzept festhielten und die Schüler gut gefördert Sexta und Quinta besuchten und danach in die höheren Schulen der Stadt wechselten. Nach Bedarf hatte man zeitweise auch eine Quarta eingerichtet. Anhand der folgenden Zeugnisse zeigt sich, dass nach wie

134 Judith Biran (schriftliche Auskunft vom 23. Oktober 2002). Judith Biran, geb. Weiß, später Winter genannt, wurde am 20. März 1921 in Berlin geboren; bereits ein Jahr später ließ sich ihre Familie in Halberstadt nieder. Sie emigrierte 1938 nach Palästina und lebt heute in Tel Aviv. 135 Vgl. Hildeheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 17f. Zum Tod Isaak Auerbachs erschien in Der Israelit eine ausführliche Mitteilung, in der man in erster Linie seine Tätigkeit in den verschiedenen orthodoxen Verbänden würdigte. Vgl. Der Israelit 73 (1932). Nr. 23. S. 2f. 136 Jakob Lundner war mit Rosa, geb. Wislicki, verheiratet, aus dieser Ehe gingen die beiden Kinder Beate (geb. 1925) und Israel Joseph (geb. 1927) hervor. HStAH Reg. Nr. 889/1925, Reg. Nr. 431/1927. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete Jakob Lundner Klara Bachmann, aus dieser Ehe gingen weitere fünf Kinder hervor, Sulamith (geb. 1929), Eli (geb. 1932), Rahel (geb. 1935), Babette (geb. 1937) und Miriam (geb. 1938). Vgl. Hartmann, Geschichte, 1995, S. 15. 137 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 47. Schreiben Hermann Silberbergs an die Regierung Magdeburg, 19. August 1932. James Wigderowitsch, geb. am 18. Juni 1902, hatte seine erste Volksschullehrerprüfung 1931 am jüdischen Volksschullehrerseminar in Köln abgelegt, seine zweite stand noch aus. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 60.

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Dokument 11: Zeugnis für Rosa Weiß, Schuljahr 1921/1922

Die Schulsituation vor 1933 

Dokument 12: Abgangszeugnis für Rosa Weiß, 1926. Danach besuchte sie die Höhere Mädchen-Oberschule

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vor am Hebräischen und den religiösen Fächern festgehalten wurde. In den Grundschulklassen wurden Hebräisch, die religiösen sowie die elementaren Fächer wie Lesen, Schreiben und Rechnen erteilt, während die Fächerverteilung des Abgangszeugnisses deutlich auf die Vorbereitung der höheren Schulen verweist.138 Für das Schuljahr 1932/1933 lässt sich konstatieren, dass die Hascharath Zwi die einzige jüdische Volksschule in der Provinz Sachsen war, die neben den Grundschulklassen, eine Volksschulklasse und die Aufbaustufen Sexta und Quinta besaß. In den größeren Gemeinden der Provinz wie Magdeburg und Halle dagegen besuchten die jüdischen Kinder die öffentlichen Schulen und erhielten Religionsunterricht in den von der Gemeinde unterhaltenen Religionsschulen. Die kleineren Gemeinden des Regierungsbezirks Magdeburg bemühten sich zwar redlich um den Religionsunterricht, konnten aber aufgrund der geringen Zahl ihrer Gemeindemitglieder oftmals keine Religionsschule unterhalten.139

3.8 Jüdische Schüler an öffentlichen Schulen Angesichts der Umgestaltung der Hascharath Zwi von der Elementar- zu einer Grundschule bzw. Volksschule sowie der Aufbauklassen Sexta und Quinta ist es von Interesse, einen Blick auf die Schülerzahlen der höheren Schulen Halberstadts zu werfen, zumal ab Mitte des 19. Jahrhunderts religiös-liberale als auch orthodoxe Kreise in zunehmenden Maße die allgemeinen höheren Schulen für ihre Kinder bevorzugten.140 Besonders die Städte verzeichneten ab den 1860er-Jahren einen hohen Anteil jüdischer Schüler an höheren Schulen,

138 Rosa Weiß wurde am 25. Juni 1913 in Zmigrod geboren, sie besuchte von 1922 bis 1926 die jüdische Schule und wechselte danach auf die höhere Mädchen-Oberschule. Sie emigrierte 1937 nach Palästina, wo sie 2004 starb. Die Zeugnisse wurden von Judith Biran, der jüngeren Schwester Rosa Weiß’, zur Verfügung gestellt. 139 Magdeburg unterhielt eine Religionsschule mit 254 schulpflichtigen jüdischen Kindern und in Halle (Regierungsbezirk Merseburg) erhielten 250 schulpflichtige jüdische Kinder Religionsunterricht. Zu den kleineren Gemeinden des Regierungsbezirks Magdeburg gehörten Aschersleben (16), Burg (8), Egeln (5), Gardelegen (2), Genthin (4), Oschersleben (5), Schönebeck (7), Stendal (4) und Tangermünde (5). Die Zahlen in den Klammern geben die Anzahl der schulpflichtigen Kinder an. Vgl. Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932–1933. Hrsg. von der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden. S. 111–119. Berlin 1933. 140 Vgl. Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 75–82. Die von Schatzker aufgezeigte Tabelle über jüdische Kinder an höheren Schulen enthält für die Provinz Sachsen keine Vergleichszahlen. Vgl. Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 77.

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in Berlin waren es sogar 58 % aller jüdischen Knaben und 66 % aller jüdischen Mädchen, die eine höhere Schule besuchten. Der Großteil der Schüler legte kein Examen ab, sondern verließ die Schule meist vor Eintritt in die oberen Abiturklassen, um in das Berufsleben einzutreten.141 Im Rahmen der Stadtschulmodernisierung hatte sich auch in Halberstadt ein Spektrum an verschiedenen Schultypen entwickelt, womit auch den jüdischen Schülern ein breit gefächertes Angebot zur Verfügung stand.142 Dennoch blieb bis Mitte des 19. Jahrhunderts das traditionsbewusste Domgymnasium die einzige abiturberechtigte Schule der Stadt, da die Realschule (Martineum) nur eingeschränkte Examina zuließ. Die Zahl der jüdischen Schüler am Domgymnasium blieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstant – waren bis Mitte der 1880er-Jahre durchschnittlich vier bis sechs jüdische Schüler pro Halbjahr in den Jahresberichten aufgeführt, so lässt sich ein deutlicher Anstieg ab 1888 verzeichnen. Die höchste Frequenz an jüdischen Schülern erreichte das Gymnasium zwischen 1888 und 1895: Bei insgesamt 360 Schülern gab es pro Schuljahr 20 bis 28 jüdische Schüler, der Prozentsatz stieg bis 1894 von 6,1 auf 9,6 an, um sich ab 1900 wieder langsam, aber stetig zu verringern. Ähnliche Zahlenverhältnisse lassen sich auch für die 1871 gegründete

141 Vgl. Toury, Soziale und politische Geschichte, 1977, S. 174. Für die ländliche Provinz Westfalen lässt sich eine ähnliche Entwicklung feststellen. Vgl. dazu Freund, Jüdische Bildungsgeschichte, 1997, S. 238. Für den Regierungsbezirk Düsseldorf konstatiert Miller-Kipp, dass Eltern bei guten allgemeinen Volksschulen oder vorhandenen privaten Schulen jüdische Volksschulen eher ablehnten und ihre Kinder zumeist nur deren Unterstufe besuchen ließen, um sie danach auf die höheren Schulen zu schicken. Die Ausnahmen waren jüdische Volksschulen, die von herausragenden Lehrerpersönlichkeiten geführt wurden; in diesem Falle waren auch bürgerliche Elternhäuser bereit, ihre Kinder dort weiter unterrichten zu lassen. Vgl. Miller-Kipp, Zwischen Kaiserbild, 2010, S. 292. 142 Vgl. Eggeling, Die Halberstädter Schulen, 1962. Im Historischen Stadtarchiv Halberstadt befindet sich ein größeres Konvolut an Schulakten zu sämtlichen Bildungseinrichtungen der Stadt, die bisher nicht ausgewertet worden sind. Für dieses Kapitel wurden in erster Linie die noch vorhandenen Frequenznachweise der einzelnen Schulinstitutionen herangezogen. Zunächst werden für das Jahr 1843 folgende Schulen genannt: das Domgymnasium, das Schullehrerseminar verbunden mit einer Seminarschule und einer Taubstummenanstalt, die Provinzialgewerbeschule, die höhere Bürgerschule (Martineum), eine höhere Töchterschule, vier Parochialschulen der Gemeinden St. Moritz, St. Martin, St. Johann und Liebfrauen, eine Freischule (die Parochialschulen wurden 1868 zu einer Oberstädtischen Volksschule zusammengefasst und 1899 aufgeteilt in eine Oberstädtische, Unterstädtische und eine Südstädtische Volksschule) und zwei katholische Parochialschulen. Vgl. ders. 1962, passim. Zur Modernisierung der Stadtschulen allgemein vgl. Kuhlemann, Modernisierung, 1992, S. 135–142. Zum Qualifikationsprofil der unterschiedlichen Schultypen, besonders der Bürgerschulen, vgl. Baumgart, Zwischen Reform, 1990, S. 200f.

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Vorschule des Domgymnasiums nachweisen, die bis 1900 von zwei bis fünf und danach nur noch von einem bis zwei jüdischen Schülern pro Schuljahr besucht wurde.143 Bei ihnen handelte es sich überwiegend um die Söhne besser gestellter Kaufmanns-, Lehrer-, Arzt- und Rabbinerfamilien. Darunter befand sich auch die bereits angeführte Familie Hirsch. Hatten noch Benjamin und sein Bruder Aron Joseph nach dem Besuch der Hascharath Zwi ihre Ausbildung in der familieneigenen Firma fortgesetzt, so gehörten Abraham (1867–1920) und Emil (1870–1938) zu der ersten Generation, die einen anderen Ausbildungsweg einschlug. Beide besuchten das Domgymnasium und traten erst nach Studium und Promotion in den Familienbetrieb ein.144 Überaus hohen Zuspruch fand das Domgymnasium auch unter den Rabbinerfamilien, sowohl die Gemeinde als auch die Klausrabbiner favorisierten das Domgymnasium für ihre Söhne. Drei der Söhne Selig Auerbachs – Isaak, Hirsch Benjamin und Moses – besuchten mit Erfolg die Schule.145 Desgleichen gehörten die Söhne des Klausrabbiners Joseph Nobel,146 Nehemia Anton,147 Israel sowie Michael und Gabriel zu den Absolventen.148 Ebenso verhielt es sich mit den

143 Vgl. Jahresbericht des Königlichen Dom-Gymnasiums in Halberstadt. Jgg. 1889/1890– 1910/1911. HStAH, Schulakten, 2/985, 2/989, 2/991, passim. Das Domgymnasium richtete 1871 eine neue dreiklassige Vorschule ein, wohingegen Pensionsanstalt und Alumnat aufgelöst wurden. Vgl. Richter, Festschrift, 1875, S. 70. 144 Abraham Hirsch (Abitur 1885), Emil Hirsch (Abitur 1889). Vgl. Verzeichnis der Abiturienten des Stephaneums in Halberstadt in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Überreicht von der Vereinigung ehemalig. Schüler des Domgymnasiums. Halberstadt [1905]. S. 14, 16; Schulze, Die Halberstädter, 2004, S. 31. 145 Isaak Auerbach (Abitur 1890), Hirsch Benjamin Auerbach (Abitur 1894), Moses Auerbach (Abitur 1899). Vgl. Verzeichnis der Abiturienten, 1905, S. 16, 18f.; Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 68, 71, 79. 146 Joseph Nobel wurde 1838 bei Totis in Ungarn geboren, er erhielt eine traditionelle Ausbildung bei seinem Großvater, die er bei Esriel Hildesheimer in Eisenstadt fortsetzte. Nach einigen Jahren als Rabbiner in Czongrad und Nagy-Atád kehrte er nach Totis zurück und trat die Nachfolge seines verstorbenen Großvaters an. 1881 wurde er auf Empfehlung seines ehemaligen Lehrers Esriel Hildesheimer an die Klaus in Halberstadt berufen. Vgl. Schwab, Hermann: Rabbiner Josef Nobel. In: Jeschurun 5 (1918). Heft 1/2. S. 70–87, hier S. 71–75. 147 Zu dem späteren bekannten Rabbiner Nehemia Anton Nobel vgl. Simon, Ernst: N. A. Nobel (1871–1922) als Prediger. In: Paul Lazarus Gedenkbuch. Beiträge zur Würdigung der letzten Rabbinergeneration in Deutschland. Jerusalem 1961. S. 85–92; vgl. zuletzt Heuberger, Rachel: Rabbiner Nehemias Anton Nobel. Die jüdische Renaissance in Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 2005. 148 Michael Nobel (Abitur 1886), Nehemia Anton Nobel (Abitur 1891), Israel Nobel (Abitur 1898), Gabriel Nobel (Abitur 1901). Vgl. Verzeichnis der Abiturienten, 1905, S. 15, 17, 19.

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Söhnen des Klausrabbiners Isaak Lange, Gerson und Marcus.149 Betrachtet man die Gesamtzahl der Abiturienten des Domgymnasiums in dem Zeitraum von 1889 bis 1912, so waren von den 234 Absolventen 24 jüdischer Herkunft, was einem Anteil von 10 % entspricht.150 Das Martineum gehörte, wie bereits erwähnt, zu den gelehrten Schulen Halberstadts, besaß aber seit 1822 keine Abiturberechtigung mehr. Der erneute Aufstieg begann 1863 mit der Anerkennung als neunstufige Realschule I. Ordnung, womit wohl auch die Einrichtung einer dritten Vorschulkasse 1865 in Zusammenhang stehen dürfte. Jedoch war nach bestandenem Abitur ein Studium allerdings nur im Bau- und Bergfach und für den Staatsdienst möglich, was die vergleichsweise geringen Schülerzahlen der Oberklassen und den kontinuierlichen Anstieg in den unteren Jahrgangsstufen erklären mag. Das Zugeständnis des Unterrichtsministeriums im Jahre 1870, welches den Absolventen dieser Schulform den Zugang zu den philosophischen Fakultäten eröffnete, bewirkte eine Umkehrung der Verhältnisse – nun war eine geringe Zunahme der Schülerzahlen in den oberen Klassen bei zeitgleicher Abnahme in den unteren Klassen zu verzeichnen. Dieses Gefälle sollte bestehen bleiben und verdeutlicht, dass nur ein kleiner Prozentsatz von Schülern bis zum Abitur die Schule besuchte.151 1882 wurde gemäß Ministerialerlass die Prüfung zum Übergang in die Prima abgeschafft, und die Schule erhielt den offiziellen Status als Realgymnasium.152 Konkurrenz bekam sie im selben Jahr durch die Einrichtung einer Oberrealschule, woraufhin sich in den zehn Folgejahren die Schülerzahlen halbierten.153 Den Matrikeln lässt sich entnehmen, dass das Realgymnasium von 1869 bis 1880 pro Schuljahr von zehn bis 17 jüdischen Schülern besucht wurde, danach stieg ihre Zahl auf 18 bis 25, sank wieder und blieb bis 1933 mit acht bis 17 kons-

149 Gerson Lange (Abitur 1886), Marcus Lange (Abitur 1897). Vgl. Verzeichnis der Abiturienten, 1905, S. 15, 19. Gerson Lange leitete von 1901 bis zu seinem Tod im Jahre 1923 die Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt  a.  M.; Marcus Lange erhielt eine Anstellung als Oberlehrer an der Talmud-Tora-Schule in Hamburg und wechselte ebenfalls an die Samson-Raphael-Hirsch-Schule. Er emigrierte nach Israel und starb 1943 in Jerusalem. Vgl. Thiel, Die Samson-Raphael-Hirsch-Schule, 2001, S. 34, 211f. 150 Vgl. Jahresbericht des Königlichen Dom-Gymnasiums in Halberstadt. Jgg. 1889/1890 bis 1910/1911. 151 Vgl. Eshusius, Das Martineum, 1884, S. 6, 8f. Für das Schuljahr 1870/1871 waren insgesamt 99 Schüler für die erste Klasse der höheren Schulen (Sexta) und nur 17 Schüler für die obere Klasse (Prima) verzeichnet. 152 HStAH, Schulakten, 2/282, Bl. 18. 153 HStAH, Schulakten, 2/270, passim.

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tant.154 Betrachtet man die Zahl der Abiturienten, so lässt sich für die Jahre von 1889/1890 bis 1911/1912 festhalten, dass insgesamt nur wenige ein Examen ablegten; zu den jüdischen Schülern gehörten Max Reichenbach (1901), Max Baer (1902) und Victor Meyer (1908).155 Als drittes und jüngstes Gymnasium entstand 1882 die Oberrealschule, hervorgegangen aus der 1841 gegründeten Provinzialgewerbeschule, die nach Auflösung ihrer Fachklassen in städtische Verwaltung übergegangen war. Ihr Aufschwung setzte 1890 ein mit der Zulassung als abiturberechtigte Schule im Berg- und Forstbereich, für die technischen Disziplinen, das Oberlehramt Mathematik und die Naturwissenschaften, das Post- und Telegrafenwesen und den Schiffsmaschinenbau.156 Die Matrikel belegen, dass die ersten jüdischen Schüler der Provinzialgewerbeschule ab 1876 anzutreffen waren – d. h. noch vor dem Aufgehen der Institution in die Oberrealschule. Bis 1884 war die Zahl der jüdischen Schüler eher gering, es finden sich lediglich zwei bis vier verzeichnet; danach stieg ihre Zahl auf 20 bis 25 Schüler pro Schuljahr, bis sie mit sieben bis 14 beständig blieb.157 Trotz stetigem Zulauf an Schülern war die Zahl der Abiturienten gering, zu den jüdischen Schülern, die zwischen 1893/1894 und 1910 ihr Abitur ablegten, gehörten Julius Blach, der Sohn des Lehrers Joseph Blach, Theodor Baer und Ernst Goldstein.158 Ostern 1927 waren es bei 359 Schülern bereits 24 Abiturienten, unter ihnen als einziger jüdischer Absolvent Emanuel Königshofer, der als Berufswunsch Rabbiner angab.159 Auch für das Schuljahr 1929/1930 verhielten sich die Zahlen ähnlich, bei insgesamt 356 Schülern legten 34 das Examen ab, darunter zwei jüdische Schüler, der bereits erwähnte Esriel (Hans) Hildesheimer mit dem Berufsziel Rabbiner und Heinz Meyer, der auf die pädagogische Akademie wechselte.160 Ein Großteil der Schüler, auch der jüdischen, verließ die Schule jedoch nach der zehnten Klasse, um eine Ausbildung zu beginnen oder einen Beruf zu ergreifen.161

154 HStAH, Schulakten, 2/270, 2/271, 2/272, 2/273 passim. Die ersten drei Vorschulklassen des Realgymnasiums wurden nur von ein bis vier jüdischen Schülern pro Jahrgang besucht. 155 Vgl. Jahresbericht über das Realgymnasium zu Halberstadt für das Schuljahr 1889/18–1911/1912. 156 HStAH, Schulakten, 2/862, Bl. 135–148. Vgl. auch Perle, Die Halberstädter Oberrealschule, Halberstadt 1921, S. 8–14. 157 HStAH, Schulakten, 2/793, 2/803, 2/804, passim. 158 Vgl. Jahresbericht der Oberrealschule zu Halberstadt. Jgg. 1893/1894–1910/1911. Theodor Baer wurde 1884 geboren, er war der Enkel des Lehrers Samuel Baer. Vgl. www.juden-im-altenhalberstadt.de /Menschen/Baer,Emil, (24. 3. 2016). 159 Vgl. Städtische Oberrealschule zu Halberstadt, Bericht über das Schuljahr 1927–1928. S. 15. 160 Vgl. Städtische Oberrealschule zu Halberstadt, Bericht über das Schuljahr 1929–1930. S. 7. 161 HStAH, Schulakten, 2/822, passim.

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Die drei Schultypen Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule erhielten 1900 die gleichgestellte Abiturberechtigung, sodass den Absolventen der beiden letztgenannten ebenfalls der generelle Zugang zur Universität möglich war.162 Die vorliegenden Jahresberichte dieser drei abiturberechtigten Schulen belegen, dass trotz zunehmender Konkurrenz durch das Realgymnasium und die Oberrealschule das Domgymnasium seine Führungsposition bei jüdischen Schülern behaupten konnte: Verließen zwischen 1889 und 1912 insgesamt 24 mit dem Reifezeugnis die Schule, waren es bei den beiden anderen jeweils nur drei.163 Standen den jüdischen Schülern mit Dom-, Realgymnasium und Oberrealschule drei weiterführende Schulen zur Auswahl, blieb den jüdischen Schülerinnen als einzige öffentliche weiterführende Bildungsinstitution die höhere Töchterschule. Sie wurde, wie bereits erwähnt, 1822 gegründet und ging aus der sogenannten Mamsellenklasse, einer Selekta der Halberstädter Seminarschule, hervor. Ab 1866 erwirkte man eine Zusammenarbeit mit dem Lehrerseminar und es wurden Klassen eingerichtet, in denen die Schülerinnen den Abschluss einer staatlichen Lehrerausbildung erwerben konnten. Der Schwerpunkt höherer Bildungsanstalten für Mädchen lag vornehmlich auf der Vermittlung frauenspezifischer Fertigkeiten wie Haushaltsführung und Kindererziehung, doch auch Sprachen, Literaturgeschichte und musische Unterweisung gehörten zum Lehrplan. Den ersten Versuch einer Gleichstellung mit den Gymnasien unternahmen Lehrerinnen der höheren Töchterschule, indem sie 1873 dem „Verein für das höhere Mädchenschulwesen“ beitraten, der ein den Knaben gleichgestelltes abiturberechtigtes Mädchengymnasium und den Zugang zur Universität forderte.164 Doch erst das Gesetz zur Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens von 1908 gestattete den höheren Töchterschulen, die jetzt die Bezeichnung Lyzeum erhielten, abiturberechtigte Jahrgänge einzurichten.165

162 Zu den Schulreformen am Ende des Kaiserreichs vgl. Kraul, Margret: Das deutsche Gymnasium 1780–1980. Frankfurt a. M. 1984. S. 100–108; Müller, Detlef K.: Sozialstruktur und Schulsystem. Aspekte zum Strukturwandel des Schulwesens im 19. Jahrhundert. Göttingen 1981. S. 34. 163 Vgl. Jahresbericht des Königlichen Domgymnasiums zu Halberstadt. Jgg. 1889–1912; Jahresbericht der Oberrealschule zu Halberstadt. Jgg. 1893–1930; Jahresbericht über das Realgymnasium zu Halberstadt. Jgg. 1889–1912. 164 Vgl. Eggeling, Die Halberstädter Schulen, 1962, S. 20–22. Aus dem Lehrplan für das Jahr 1873 geht hervor, dass großer Wert auf Sprachen gelegt und der Handarbeitsunterricht in allen Klassen auf vier Stunden pro Woche reduziert wurde. HStAH, Schulakten, 2/848, Bl. 44. 165 Vgl. Reble, Albert (Hrsg.): Zur Geschichte der Höheren Schule. Bd. II. Bad Heilbrunn 1975. S. 118–120; Kraul, Das deutsche Gymnasium, 1984, S. 146f.

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Die Matrikel der höheren Töchterschule zeigen auf, dass im Jahr 1873 auf 317 Mädchen zehn bis zwölf jüdische Schülerinnen kamen.166 Durchgängig nachweisen lassen sich Zahlen für die Jahre 1896 bis 1929: Die Schulstatistiken dieser Jahre weisen mit neun bis 36 jüdischen Schülerinnen hohe Schwankungen auf.167 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die höhere Töchterschule Konkurrenz durch einige neu gegründete private höhere Töchterschulen. Dazu gehörten die Schulen von Dorothea Heine (1864–1873)168, Emma Sachsse (1874–1890)169, Sofie Alfeis (1887–1909)170 und Elisabeth Hüllmann (1894–1899).171 Die private höhere Töchterschule der Elisabeth Hüllmann wurde in den wenigen Jahren ihres Bestehens pro Jahrgang von maximal 60 Schülerinnen besucht, darunter durchschnittlich zwei jüdischen Schülerinnen.172 Am erfolgreichsten war die private Bildungsanstalt der Sofie Alfeis, die immerhin über einen Zeitraum von 22 Jahren existierte und pro Schuljahr von 100 Schülerinnen besucht wurde. Hier lag die Zahl der jüdischen Schülerinnen zwischen drei bis vier pro Jahrgang.173 Betrachtet man die Entwicklung des Domgymnasiums, fanden bereits vor 1933 eindeutige Veränderungen statt, der letzte jüdische Schüler ist hier für das Jahr 1931 verzeichnet.174 Die folgenden Berichte weisen keinen jüdischen Schüler mehr nach.175 Die jährlichen Berichte des Domgymnasiums an die Regierung weisen nach 1933, besonders nach Ernennung des neuen Direktors

166 HStAH, Schulakten, 2/848, passim. 167 HStAH, Schulakten, 2/173, 2/174. Die Quellenlage lässt keine Rückschlüsse darauf zu, wie viele jüdische Schülerinnen in diesem Zeitraum das Abitur ablegten. 168 Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt, Jgg. 1864–1874. Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf das Bestehen der jeweiligen Einrichtungen. 169 Vgl. ebd., Jgg. 1874–1890. Die private höhere Töchterschule Emma Sachsses wurde 1874 mit 70 Schülerinnen eröffnet. 170 Vgl. ebd., Jgg. 1887–1890. 171 Vgl. ebd., Jgg. 1864–1898. 172 HStAH, Schulakten, 2/220, Bl. 35–39. 173 Ebd., Bl. 21. Zum Profil der privaten Töchterschulen liegen leider nur wenige Angaben vor. Dennoch lässt sich den bereits genannten Adreßbüchern von Halberstadt entnehmen, dass das Lehrpersonal u. a. aus akademisch vorgebildeten promovierten Pädagogen bestand. Die private Schule der Sofie Alfeis war verbunden mit einem Mädchenpensionat, im Anschluss an den Unterricht wurden Kurse in Kunstgeschichte, Englisch, Französisch und Italienisch angeboten. Vgl. Adreß- und Geschäftshandbuch von Halberstadt. Jg. 1904, S. 21. 174 Vgl. http://goobiweb.bbf.dipf.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0111-bbf-spo-16029445, [Staatliches Domgymnasium Halberstadt. Jahresbericht 1930/31]. 175 Vgl. http://goobiweb.bbf.dipf.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0111-bbf-spo-15987221, [Staatliches Domgymnasium Halberstadt. Jahresbericht 1931/32].

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im Jahre 1935, erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen auf. Allein die beigefügten Listen über neue Schulbuchanschaffungen, überwiegend aus nationalsozialistischer Propagandaliteratur bestehend, wie auch die Aufsatzthemen für den Deutschunterricht belegen die zügige Übernahme nationalsozialistischen Gedankengutes.176 Nach der kurzfristigen Zusammenlegung des Realgymnasiums mit der Oberrealschule lässt sich den Matrikeln entnehmen, dass man sich streng an das Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen hielt, das einen Numerus clausus vorsah. Das Realgymnasium wurde ab 1933 nur noch von drei bis vier jüdischen Schülern pro Schuljahr besucht.177 Für die Oberrealschule liegen nach 1933 keine Angaben vor, doch ist davon auszugehen, dass man sich auch hier strikt an die Aufnahmebegrenzung jüdischer Schüler hielt. Bereits gegen Ende der Weimarer Republik kam es auf den öffentlichen Gymnasien zu Aufnahmeverweigerungen und antisemitischen Vorfällen gegen jüdische Schüler.178 Dennoch scheinen die jüdischen Schüler Halberstadts, die höhere Schulen besuchten, zumindest vor 1933 nur wenigen Anfeindungen ausgesetzt gewesen zu sein. Am Beispiel des ehemaligen Schülers Ernst Frankl, Sohn des letzten Klausrabbiners Philipp Frankl, zeigt sich, dass die Feindseligkeiten eher von den Mitschülern als von den Lehrern ausgingen. Frankl hatte den für die jüdischen Schüler Halberstadts charakteristischen Schulbildungsweg eingeschlagen und ab 1915 die jüdische Schule bis zur Quarta besucht, danach war er auf die Untertertia des Realgymnasiums gewechselt und hatte dort 1928 die Reifeprüfung abgelegt. Er berichtete: Die Atmosphäre im Realgymnasium (Martineum) war im allgemeinen eine angenehme, wenn es auch manchmal Bemerkungen seitens der Mitschüler gab. Die Lehrerschaft benahm sich zu uns jüdischen Schülern ausnahmslos anständig. Ich blieb am Sabbat dem Unterricht fern und darauf wurde seitens der Schulleitung immer besonders Rücksicht genommen.179

176 Ein Aufsatzthema für den Deutschunterricht lautete z. B. „Wozu treibt der Nationalsozialistische Staat Rassenpflege, und mit welchen Mitteln sucht er diese Ziele zu verwirklichen.“ Zitiert nach http://goobiweb.bbf.dipf.de/viewer/resolver?urn=urn:nbn:de:0111-bbf-spo-15865847, [Staatliches Domgymnasium Halberstadt. Jahresbericht 1934/35]. 177 HStAH, Schulakten, 2/273, passim. 178 Vgl. Schatzker, Jüdische Jugend, 1988, S. 83–89; Vollnhals, Clemens: Jüdische Selbsthilfe bis 1938. In: Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1993. S. 314–411, hier S. 330–341. 179 Zitiert nach Hartmann, Geschichte, 1995, S. 34. Nach seiner Schulzeit studierte Ernst Frankl Medizin und war für kurze Zeit im jüdischen Krankenhaus in Frankfurt am Main tätig, bis er 1935

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 Von der Elementar- zur Grundschule mit Aufbauklassen (1872–1932)

Ähnliche Erfahrungen machte auch der bereits erwähnte Esriel (Hans) Hildesheimer, der ab 1918 die Hascharath Zwi besuchte: Nicht lange danach, als ich die Jüdische Schule, die damals bis zur Untertertia ging, absolviert hatte, trat ich in die Oberrealschule, eine der drei großen höheren Schulen in Halberstadt (ebenfalls im Westendorf) ein. Dort verbrachte ich 5 sehr glückliche Jahre, […]. Während der Schulzeit an der Oberrealschule bestanden glänzende Beziehungen mit den Lehrern und Mitschülern und hatte ich eigentlich nie etwas von dem damals anwachsenden Antisemitismus zu leiden. Der einzige Lehrer, der sich nicht selten antisemitische Äußerungen erlaubte, war der Chemielehrer und gerade er wurde sofort nach der Machtergreifung 1933 als Judenstämmling (Nichtarier) entlassen.180

Auch weitere jüdische Schüler des Realgymnasiums (Martineum) wie Paul Süßmann und Werner Kober bestätigten, dass sie eine unbeschwerte Schulzeit erlebt hatten und antisemitische Äußerungen eher eine Ausnahme darstellten.181 Hildesheimer berichtet hingegen von öffentlichen Belästigungen auf der Straße zu Beginn der 1920er-Jahre, die allerdings nach Beschwerde des einflussreichen Firmenchefs Emil Hirsch beim Magistrat der Stadt in der Folgezeit unterblieben.182 Dem Bildungsideal sowie der religiösen Einstellung der Gemeinde entsprechend spielten die städtischen Volksschulen nur eine untergeordnete Rolle, da die grundlegende religiöse Unterweisung und die explizite Vorbereitung auf den höheren Bildungsweg allein durch den Besuch der Hascharath Zwi gewährleistet wurden. An diesen Schulen sind für den Zeitraum 1909 bis 1921 nur ein bis

nach Palästina emigrierte. Vgl. Schreiben Ernst Frankls an Werner Hartmann vom 18. Februar 1979 (Privatarchiv Werner Hartmann). 180 Zitiert nach Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 18. Die beiden jüdischen Schüler Esriel (Hans) Hildesheimer und Heinz Meyer gehörten zu den insgesamt 34 Schülern, die 1930 das Abitur am Oberrealgymnasium ablegten. Vgl. Städtische Oberrealschule zu Halberstadt. Bericht über das Schuljahr 1929–1930. S. 7. Der spätere Historiker Esriel (Hans) Hildesheimer emigrierte 1933 nach Palästina. Vgl. auch Betten, Anne u. Miryam Du-nour (Hrsg.): Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Gespräche mit den Emigranten der dreißiger Jahre in Israel. Gerlingen 1995. S. 377, 444. 181 Paul Süßmann wurde 1917 in Kattowitz geboren, seine Familie ließ sich 1922 in Halberstadt nieder. Er besuchte von 1923 bis 1929 die jüdische Schule und wechselte nach der Quarta an das Realgymnasium (Martineum), wo er im April 1933 sein Abitur bestand. Nach dem Boykott entschlossen sich seine Eltern, ihn nach England zu schicken, von wo aus er Ende 1935 nach Palästina emigrierte. Vgl. Paul Süßmann (schriftliche Auskunft vom 11. Juni 2001). Zu dem späteren Dirigenten Werner Kober, auch Dieter Kober genannt, vgl. Klamroth, „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“, 2014, S. 137–147. 182 Vgl. Hartmann, Zur Geschichte, 2002, S. 19.

Jüdische Schüler an öffentlichen Schulen 

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zwei jüdische Schüler pro Schuljahr dokumentiert.183 Ähnliches gilt für die Bürgerschule – ihre Matrikel der Jahre 1894 bis 1901 belegen, dass sie pro Schuljahr lediglich von einem jüdischen Schüler besucht wurde.184 Hier lässt sich ab 1902 ein leichter Anstieg auf zwei bis sechs beobachten.185

183 HStAH, Schulakten, 2/375, passim. 184 HStAH, Schulakten, 2/835, passim. Als problematisch erwies sich das jahrelange Ringen der Bürgerschule um Aufnahme der Fremdsprachen in den Lehrplan, der darüber entstandene Streit zwischen Magistrat und Schule konnte erst, wenn auch nicht zufriedenstellend, 1911 beigelegt werden als die achtstufige gehobene Bürgerschule in eine neunstufige mit verbindlicher Aufnahme des Englischunterrichtes umgewandelt wurde. Ebd., Bl. 115, Die Bürgerschule zu Halberstadt 1862–1912, Beilage zum Jahresbericht, S. 9. 185 Ebd., passim.

4 Die Hascharath Zwi (1933–1942) 4.1 Die nationalsozialistische Gesetzgebung und ihre Auswirkungen Mit Beginn des Nationalsozialismus traten erhebliche Einschränkungen für die jüdische Bevölkerung ein. Die von den Nationalsozialisten erlassenen antijüdischen Gesetze erstreckten sich auf alle Lebensbereiche mit dem Ziel, die jüdische von der nicht-jüdischen Bevölkerung zu trennen und zu isolieren.1 Den Auftakt bildete am 1. April 1933 der organisierte Boykott jüdischer Geschäfte, Rechtsanwälte und Ärzte.2 Es folgten die ersten Gesetze des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, auch als Reichswissenschaftsministerium oder Reichserziehungsministerium bezeichnet, unter Leitung Bernhard Rusts, die zunächst die jüdischen Lehrer der allgemeinen und höheren Schulen betrafen, die ab dem 7. April 1933 mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurden; eine Ausnahme bildeten hier ehemalige Frontkämpfer und vor dem 1. August 1914 verbeamtete

1 Zur antijüdischen Gesetzgebung vgl. Walk, Joseph (Hrsg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung. Heidelberg 1996; Blau, Bruno: Das Ausnahmerecht für die Juden in Deutschland 1933–1945. Düsseldorf 1965. 2 Vgl. Barkai, Avraham: Vom Boykott zur „Entjudung“. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933–1943. Frankfurt a. M. 1988. S. 26–35. Aufgrund der umfangreichen Literatur zur nationalsozialistischen Judenpolitik sei hier nur verwiesen auf Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972 (Nachdruck Düsseldorf 2003); Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden. 3 Bde. Frankfurt a. M. 1991; Longerich, Peter: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung. München 2006 (2. Auflage); Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung 1933–1939. München 2007. Zum Forschungsstand zur NS-Zeit in Sachsen-Anhalt vgl. Bastian, Alexander u. Christiane Stagge: Forschungsbericht zur Geschichte des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt im Nationalsozialismus. In: Schmiechen-Ackermann, Detlef u. Steffi Kaltenborn (Hrsg.): Stadtgeschichte in der NS-Zeit. Fallstudien aus Sachsen-Anhalt und vergleichende Perspektiven. Münster 2005. S. 150–180, hier S. 165–168. Zum Forschungsstand zur NS-Zeit vgl. Abrahams-Sprod, Michael E.: „Und dann warst du auf einmal ausgestoßen!“ Die Magdeburger Juden während der NS-Herrschaft. Halle/Saale 2011; Hattenhorst, Maik: Magdeburg 1933. Eine rote Stadt wird braun. Halle/Saale 2010. Zu ersten Einzelstudien über die Zeit des Nationalsozialismus für Halberstadt vgl. Eckert, Detlef: Die Stadtratswahl in Halberstadt am 12. März 1933. In: Zwischen Harz und Bruch. Heimatzeitschrift für Halberstadt und Umgebung seit 1956. Dritte Reihe (2013). Heft 70. S. 23–29; ders.: Auch in Halberstadt wurde es Nacht. In: Zwischen Harz und Bruch, Heft 72, S. 21–27. DOI 10.1515/9783110470802-005

Die nationalsozialistische Gesetzgebung und ihre Auswirkungen 

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Lehrer.3 Bereits zwei Wochen danach folgte am 25. April das Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen, das die Neuaufnahme jüdischer Schüler an höhere Schulen bzw. Gymnasien durch einen sogenannten Numerus clausus drastisch einschränkte, auch hier mit Ausnahme der Kinder jüdischer Frontkämpfer und der aus sogenannten Mischehen sowie Ausländerkinder.4 Hinzu kam, dass einige Schulen unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes die Gelegenheit nutzten, die bisherige Unterrichtsbefreiung bzw. das Schreibverbot der Schabbat einhaltenden jüdischen Schüler nicht mehr gestatteten. Angesichts dieser Eigenmächtigkeit hatte der „Preußische Landesverband gesetzestreuer Synagogengemeinden“ mit Sitz in Halberstadt Einspruch erhoben und bewirkt, dass mit Erlass des Reichserziehungsministeriums vom 17. Juni 1933 auch weiterhin jüdische Schüler an nichtjüdischen Schulen vom Schreiben bzw. vom Schulbesuch am Schabbat befreit waren.5 Die neuen politischen Verhältnisse und die antijüdischen Gesetze führten dazu, dass sich im Jahre 1933 die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ mit Hauptsitz in Berlin unter Vorsitz Leo Baecks konstituierte. Hervorgegangen aus der nur wenige Monate bestehenden „Reichsvertretung jüdischer Landesverbände“ wurde damit erstmals eine Organisation geschaffen, die fast alle Richtungen des deutschen Judentums repräsentierte und deren Interessen gegenüber den Behörden vertrat. Nicht beigetreten waren die Vereinigungen „Verband nationaldeutscher Juden“, „Deutscher Vortrupp“ und der bereits erwähnte „Bund gesetzestreuer jüdischer Gemeinden Deutschlands“.6 Zu den Aufgabenbereichen der „Reichsvertretung“ gehörten u. a. die Sozialfürsorge für Unbemittelte und die Unterstützung bei der Vorbereitung zur Auswanderung. Dafür hatte man eigens Ausbildungsstätten (Hachscharot) eingerichtet, in denen Jugendliche und Erwachsene auf handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe vorbereitet

3 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 12; Blau, Das Ausnahmerecht, 1965, S. 14, 20. 4 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 18; Blau, Das Ausnahmerecht, 1965, S. 20. Zum jüdischen Schul- und Erziehungswesen vgl. Walk, Joseph: Jüdische Schule und Erziehung im Dritten Reich. Frankfurt a. M. 1991; Weiss, Yfaat: Schicksalsgemeinschaft im Wandel. Jüdische Erziehung im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. Hamburg 1991; Röcher, Ruth: Die jüdische Schule im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1942. Frankfurt a. M. 1992. 5 Vgl. Der Israelit 74 (1933). Nr. 26. S. 4; Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 31. Zur Organisation des NS-Erziehungsministeriums unter dem neuen Erziehungsminister Bernhard Rust vgl. Walk, Jüdische Schule, 1991, S. 41–47. 6 Zur Gründung der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ vgl. Hildesheimer, Esriel: Jüdische Selbstverwaltung unter dem NS-Regime. Der Existenzkampf der Reichsvertretung und Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Tübingen 1994. S. 11–18; Adler-Rudel, Salomon: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime 1933–1939. Im Spiegel der Berichte der Reichvertretung der Juden in Deutschland. Tübingen 1974. S. 9–18.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

werden sollten. Besondere Aufmerksamkeit widmete man der Erziehungsarbeit, die sich für Erhaltung, Erweiterung und Neugründung jüdischer Schulen, für Berufsausbildung und Lehrerfortbildung einsetzte.7 Der Erziehungsausschuss, der sich zunächst unter der Leitung Ismar Elbogens aus Liberalen, Zionisten und Gesetzestreuen zusammensetzte, verabschiedete 1933 Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für jüdische Volksschulen. Diese umfassten die Erziehung zu „willensstarken und in sich gefestigten jüdischen Charakteren“ durch „sorgfältige körperliche Erziehung“ sowie Aufbau und Pflege einer manuellen Ausbildung, die auf eine „Berufsumschichtung“ vorbereiten sollte. Zudem sollte den Volksschülern das Erlernen einer modernen Fremdsprache ermöglicht werden. Man verfolgte das Ziel, das Selbstbewusstsein der jüdischen Kinder, unter Betonung der jüdischen Fächer, zu stärken.8 Außerdem entschied der Erziehungsausschuss Anfang 1934, jetzt unter Vorsitz Adolf Leschnitzers, erstmalig in allen jüdischen Schulen Hebräisch als obligatorisches Fach in den Lehrplan aufzunehmen, wobei bezüglich der Festlegung auf sephardische oder aschkenasische Aussprache kein Konsens erreicht werden konnte.9 Da nicht alle jüdischen Kreise den Richtlinien zustimmten, kam es zu innerjüdischen Diskussionen, die zeigten, dass orthodoxe und zionistische Kreise eher bereit waren, „der Ausbildung einer bewusst jüdischen Identität den Vorzug vor schulischen Leistungen zu geben.“10 Um die verschiedenen Richtungen des deutschen Judentums zu vereinigen, rief die „Reichsvertretung der deutschen Juden“ alle Verbände, auch die orthodoxen Organisationen, dazu auf, sich zu einem Verband zusammenzuschließen.11 Die drei bisher unabhängig voneinander existierenden orthodoxen Organisationen – der 1922 gegründete „Preußische Landesverband gesetzestreuer Synagogengemeinden“ (ehemals Halberstädter Bund), die „Freie Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums e. V.“ (Frankfurt a. M.) und die „Landesorganisation der Agudat Israel“ (Berlin) – lehnten eine Zusammenarbeit mit

7 Vgl. Hildesheimer, Jüdische Selbstverwaltung, 1994, S. 19–22. 8 Vgl. Vollnhals, Clemens: Jüdische Selbsthilfe bis 1938. In: Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1993. S. 314–411, hier S. 343f. 9 Zu den von orthodoxer und zionistischer Seite darüber geführten Diskussionen vgl. Walk, Jüdische Schulen, 1991, S. 137–140; Scharf, Wilhelm: Religiöse Erziehung an den jüdischen Schulen in Deutschland 1933–1938. Köln [u. a.] 1995. S. 173–177. 10 Vgl. Vollnhals, Jüdische Selbsthilfe, 1993, S. 346; Röcher, Die jüdische Schule, 1992, S. 132–135. 11 Vgl. Hildesheimer, Jüdische Selbstverwaltung, 1994, S. 13. Zu den Verbänden, die den Beitritt ablehnten, gehörten der „Verband nationaldeutscher Juden“ unter dem Vorsitz Max Neumanns und der sogenannte „Deutsche Vortrupp“ unter Leitung von Hans-Joachim Schoeps.

Die nationalsozialistische Gesetzgebung und ihre Auswirkungen 

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der „Reichsvertretung“ ab.12 Woraufhin der Halberstädter Klausrabbiner Moses Schlesinger als Vertreter des „Preußischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden“ am 9. August 1933 eine klare Stellungnahme verfasste; er machte deutlich, dass man durchaus kooperativ sei, aber nur dann der „Reichsvertretung“ beitreten werde, wenn dem „Preußischem Landesverband“ in religiösen Belangen auch weiterhin völlige Entscheidungsfreiheit gewährt werde.13 Die orthodoxen Verbände „sahen in dem Einfluß der Reichsvertretung und ihrer nicht-religiösen Gruppen auf das gesamte jüdische Schul- und Erziehungswesen eine Gefahr für die religiöse thora-treue Ausbildung der Juden“ und fürchteten um die Zuschüsse der Regierung.14 Hinsichtlich der Ausbildung waren sie zu keinem Kompromiss bereit, denn sie hielten an ihren Lehrplänen für den jüdischen Religionsunterricht, an ihren Lehrbüchern sowie ihren Lehrerbildungsanstalten in Würzburg und Köln fest.15 Trotz weiterer Bemühungen seitens der Reichsvereinigung kam keine Einigung zustande, sodass sich letztendlich die drei orthodoxen Vereinigungen 1934 zu einem Dachverband unter dem Namen „Vertretung der unabhängigen jüdischen Orthodoxie Deutschlands“ (VUOD) zusammenschlossen.16 Erst im Juni 1938, nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom 28. März 1938, schloss sich die VUOD der „Reichsvereinigung“ an, unter der Bedingung, auch weiterhin in religiösen Angelegenheiten selbstständig zu entscheiden.17

12 Vgl. ebd., S. 46f. 13 Schreiben des „Preußischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden“ an die „Reichsvertretung“, 9. August 1933. In: Kulka, Deutsches Judentum, 1997, S. 66–67. Moses Schlesinger gehörte zusammen mit seinem Schwager, dem Berliner Rabbiner Esra Munk, zu den leitenden Vertretern des „Preußischen Landesverbandes“. Vgl. Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 18f; Hildesheimer, Jüdische Selbstverwaltung, 1994, S. 47, Anm. 99, 101. 14 Vgl. ebd., S. 47. 15 Vgl. Kulka, Deutsches Judentum, 1997, S. 67, Anm. 6. Zu den Lehrplänen für den Religionsunterricht des „Preußischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden“ von 1925 vgl. Abschnitt 3.6. 16 Vgl. Hildesheimer, Jüdische Selbstverwaltung, 1994, S. 48f. Zu den Verhandlungen zwischen den orthodoxen Verbänden und der „Reichsvereinigung“ vgl. auch Auerbach, Die Geschichte, 1972, S. 53–61. 17 Ausführlich dazu Kulka, Deutsches Judentum, 1997, S. 407–410; Hildesheimer, Jüdische Selbstverwaltung, 1994, S. 49. Zu den führenden Vertretern der VUOD gehörten die Rabbiner Michael Munk (Berlin), Hirsch Benjamin Auerbach (Halberstadt), Dr. Salomon Ehrmann (Frankfurt a. M.), Jacob Levy (Berlin) und Dr. Salomon Goldschmidt (Frankfurt a. M.). Vgl. Kulka, Deutsches Judentum, 1997, S. 409.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

4.2 Die jüdische Volksschule nach 1933 Nach dem Tod des Gemeinderabbiners Isaak Auerbach im Jahr 1932 hatte man die Leitung der Hascharath Zwi Jakob Lundner übertragen, womit nach 70 Jahren die offizielle Leitungsfunktion der Gemeinderabbiner endete. Für das Rabbineramt hatte die Gemeinde Auerbachs Sohn Hirsch Benjamin als Nachfolger vorgesehen, da dieser aber noch keine Approbation besaß, blieb die Stelle unbesetzt, bis er seine Studien am Berliner Rabbinerseminar beendet hatte. Dann berief man ihn zum neuen Gemeinderabbiner, seine feierliche Amtseinführung fand am 15. Oktober 1933 in der Gemeindesynagoge statt.18 Die wenigen Aufzeichnungen über die Zeit ab 1933 stammen von ihm; über den sogenannten „Boykott-Tag“, den 1. April 1933, berichtete er Folgendes: Neben der allgemeinen Diffamierung jüdischer Menschen wurde auch in Halberstadt die Ausschaltung der Juden aus Wirtschaft und aus den akademischen Berufen von den neuen Machthabern mit aller Gewalt und Brutalität betrieben, der am 1. April 1933, einem Schabbat, von der Parteiführung organisierte Boykott-Tag gegen alle Handel- und Gewerbetreibenden Juden mit seinen Plünderungen von Läden, vandalischen Zerstörungen und tätlichen Angriffen traf auch die jüdischen Geschäfte in Halberstadt hart. Einige von ihnen schlossen ganz, andere versuchten, ihre Unternehmen an Nichtjuden, wenn auch weit unter dem Wert zu veräußern.19

Unter dem Eindruck der neuen politischen Verhältnisse und vermutlich in der Hoffnung auf eine baldige Änderung hatte Hirsch Benjamin Auerbach in seiner Antrittsrede besonders auf den religiösen Zusammenhalt hingewiesen: „Das Band der Zusammengehörigkeit muß uns heute fester denn je umschlingen. In unserer thoratreuen Gemeinschaft liegt die Wurzel unserer Kraft. Sie weckt Vertrauen, lässt den Weg aus Verirrung und Verwirrung wiederfinden, führt zu lichten Höhen, schützt vor Verzweiflung.“20 Um den Ausgrenzungen und Einschränkungen in fast allen Lebensbereichen entgegenzuwirken und das jüdische Selbstbewusstsein zu stärken, bemühte sich die Gemeinde, das kulturelle Leben aufrechtzuerhalten. Zu diesem Zweck wurde,

18 Der in vierter Generation amtierende Gemeinderabbiner Hirsch Benjamin Auerbach wurde 1901 in Leipzig geboren, besuchte das Halberstädter Domgymnasium, absolvierte ein Philosophiestudium und trat anschließend in die Firma Hirsch ein. Vgl. Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 69; Hartmann, Geschichte, 1995, S. 20; Hildesheimer, Die Rabbiner, 1997, S. 18f. 19 Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 322. Der am 1. April 1933 ausgerufene Boykott gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser leitete die zunehmende Ausgrenzung aus dem Wirtschaftsleben ein. Vgl. dazu Barkai, Vom Boykott, 1988, S. 26–35. 20 Zitiert nach Der Israelit 74 (1933). Nr. 42. S. 11.

Die jüdische Volksschule nach 1933 

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laut Auerbach, am 1. März 1934 von einigen Gemeindemitgliedern ein Kulturkreis zur Organisation kultureller Veranstaltungen gegründet. Weiterhin richtete die Berend-Lehmann-Loge für Auswanderer Hebräisch- und Englischkurse ein und organisierte mehrwöchige Lehrgänge zum Erlernen einer landwirtschaftlichen oder handwerklichen Tätigkeit. Dennoch scheint es in Bezug auf die Auswanderung unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Gemeinde gegeben zu haben. Gemäß Auerbach sorgten ab 1934 die Agudat Israel und die zionistische Bewegung für Unruhe unter den Jugendlichen, da sie für die Auswanderung nach „Erez Israel“ warben, was zu Auseinandersetzungen mit denen führte, die sie ablehnten. Die Situation beruhigte sich erst als der Schulvorstand und der erste Gemeindevorsitzende Hermann Silberberg am 21. Februar 1934 bei einer Zusammenkunft der Vertreter der Jugendverbände eingriffen und diese eindringlich ermahnten, die Erziehungsangelegenheiten den Eltern und der Schule zu überlassen, woraufhin die Jugendorganisationen im Interesse der Kinder ihre Zusammenarbeit zusicherten.21 Alle bis dahin erlassenen Gesetze des Reichswissenschaftsministeriums zielten darauf ab, jüdische Schüler aus öffentlichen Schulen zu entfernen.22 In Halberstadt betraf das vor allem den Ausschluss jüdischer Schüler aus den höheren Schulen, die Jahresberichte des Domgymnasiums verzeichnen ab 1931 keinen jüdischen Schüler mehr; das Realgymnasium (Martineum) sowie die Oberrealschule hielten sich an die Vorgaben des Gesetzes von 1935.23 Das bedeutete, dass keine jüdischen Schüler mehr aufgenommen wurden und diejenigen, die eine der beiden Schulen besucht hatten, wieder an die Hascharath Zwi zurückkehrten. Damit stand deren Schulleitung vor einem weiteren Problem, da für diese Schüler neue Klassen eingerichtet werden mussten. Der ehemalige Schüler der Hascharath Zwi, Eric J. Mayer, der ab 1929 die jüdische Schule besuchte und 1933 in die Selekta des Realgymnasiums (Martineum) wechselte, erinnerte sich:

21 Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 324f. Den Vorsitz der Agudat-Israel-Jugendgruppe Halberstadts führte Philip Cohn. Vgl. Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932–1933. Hrsg. von der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden. Berlin 1933. S. 113. 22 Vgl. dazu auch Müller, Wolfram: Jüdische Schüler, Lehrer und Schulen unterm Hakenkreuz. In: Lehberger, Reiner u. Hans-Peter de Lorent (Hrsg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 1986. S. 282–290, hier S. 283f. 23 1933 betrug die Zahl der jüdischen Schüler des Realgymnasiums noch 14, während es 1935 nur noch drei waren. HStAH, Schulakten, 2/273, Bl. 110–111, 117–118.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Nachdem ich dort zwei Wochen war, wurde ich nachhause geschickt mit einem Brief, ich könne das Realgymnasium nicht mehr besuchen, weil mein Vater im Ersten Weltkrieg kein Frontkämpfer war. Einige Tage später kam ein Entschuldigungsbrief, man hätte noch einmal nachgesehen und es stellte sich heraus, mein Vater war wohl Frontkämpfer. Ich konnte also wieder ins Realgymnasium gehen! Mein Vater erklärte mir, dass das nicht in Frage käme, wenn man jemanden hinausgeworfen hat, dann kommt man nicht zurück! Ich war damals noch nicht zehn Jahre alt, aber ich habe es nicht vergessen. Ich ging also zurück in die jüdische Schule, wo eine zusätzliche Klasse aufgebaut war.24

Aufschluss über die Hascharath Zwi liefert der Revisionsbericht des Kreisschulrats aus dem Jahre 1935. Dem vorausgegangen war die Anmeldung sechs jüdischer Kinder „nichtarischer Frontkämpfer“ für die Sexta, woraufhin der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Regierung in Magdeburg aufgefordert hatte, die Schule zu inspizieren. Vorrangig ging es um die Klärung der Frage, „ob zur Herbeiführung möglichster Sonderung der arischen von den nichtarischen Schülern in der Stadt Halberstadt ein Bedürfnis zur Aufrechterhaltung der Schule besteht“.25 Gemäß dem darauf folgenden Bericht des Kreisschulrats Karl Polensky bestand die Hascharath Zwi aus drei Klassen mit insgesamt 70 Schülern, wovon 28 die Grundschule, unterteilt in zwei Gruppen, 18 die Volksschule und 24 die Oberstufe besuchten. Über den Lehrplan der Schule hieß es kurz und knapp: „Die Volksschulklassen unterrichten nach dem Lehr- und Stoffverteilungsplan für die Halberstädter Volksschulen; für den Religionsunterricht besteht ein eigener Stoffverteilungsplan. Die Schüler der Oberstufe werden in Französisch, Deutsch und Mathematik nach dem Lehrplan des Realgymnasiums unterrichtet.“ Auch über den Ausbildungsweg und Ausbildungsstand der Lehrer wurden detaillierte Angaben gemacht. Zum Lehrerkollegium gehörten der bereits genannte Schulleiter Jakob Lundner und James Wigderowitsch sowie Herbert Sonn26 und

24 Eric J. Mayer (schriftliche Auskunft vom 18. August 2001). Bei ihm handelt es sich um den Sohn von Rudolf und Paula Mayer, Tochter von Julius Joseph und Enkeltochter des Rechenlehrers Hirsch Joseph. Da Julius Joseph keine männlichen Nachfahren besaß, hatte Rudolf Mayer nach der Eheschließung mit Paula die Häute-, Darm- und Gewürzhandlung seines Schwiegervaters übernommen, die er zusammen mit seinem Bruder Emil betrieb. Außerdem fügte es sich, dass sein Bruder die jüngste Schwester von Paula heiratete. Vgl. Klamroth, „Erst wenn der Mond bei Seckbachs steht“, 2006, S. 124. Rudolf und Paula Mayer emigrierten im Oktober 1933 mit ihren Kindern Ernst, Erich (später Eric genannt) und Alfred nach Amsterdam und 1939 über London nach Palästina. Vgl. Mayer, The Josephs, S. 9. 25 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 58. Schreiben des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an den Regierungspräsidenten in Magdeburg, 3. Mai 1935. 26 Herbert Sonn, geb. am 13. Mai 1908, besuchte nach dem Abitur die Thora-Lehranstalt und absolvierte ein zehnsemestriges Universitätsstudium mit der Fächerkombination Philosophie,

Die jüdische Volksschule nach 1933 

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Esther Steinberg27, als nebenamtliche Lehrkraft erteilte Rabbiner Hirsch Benjamin Auerbach den Religionsunterricht.28 Die Frage nach dem Fortbestehen der Schule beantwortete der Kreisschulrat ganz im nationalsozialistischen Sinne, dass die jüdische Schule auf jeden Fall weiterhin bestehen bleiben müsse, zumindest solange wie auch die jüdische Gemeinde existiere: „Das Bestehen dieser israelitischen Privatschule hat die Wirkung gehabt, dass wenigstens kein Kind mosaischer Religion eine der öffentlichen Volks- oder Mittelschulen oder der Privatschulen Halberstadts besucht.“ Aus dem gleichen Grunde sprach sich Polensky auch für den Erhalt der Oberstufe aus.29 Dem Revisionsbericht war ein weiteres Schreiben beigefügt, aus dem hervorgeht, dass sieben Schüler (vier Mädchen und drei Jungen) die Prüfung für die Aufnahme in die gehobenen Klassen (Sexta) der Hascharath Zwi bestanden hatten.30 Nach dem Bericht des Kreisschulrats wandte sich nur wenige Wochen später die Regierung in Magdeburg an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und befürwortete das Fortbestehen der jüdischen Schule sowie auch die Aufnahme der Kinder von Frontkämpfern in die höheren Klassen.31 Die Lehrerin Julie Bamberger war von 1933–1935 an der Schule tätig und ebenso der Lehrer Abraham Cohn von 1934–1935, beide werden in dem Bericht Polenskys nicht mehr erwähnt, da sie kurz zuvor ausgeschieden waren.32

Germanistik und Geschichte in Frankfurt am Main. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 61. Er  war von 1935 bis 1938 an der Schule tätig und emigrierte 1939 nach Palästina. Vgl. Scharf, Religiöse Erziehung, 1995, S. 121, Anm. 209. 27 Esther Steinberg, geb. am 29. Juni 1911, war Absolventin des Kölner Volksschullehrerseminars, ihre erste Volksschullehrerprüfung legte sie 1933 ab, die zweite stand noch aus. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 60. 28 Zusätzlich haben die beiden Klausrabbiner Moses Schlesinger und Philipp Frankl außerhalb der regulären Schulzeit religiösen Unterricht erteilt. Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 321. 29 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 60–62. Revisionsbericht Polenskys an die Regierung Magdeburg, 29. Mai 1935. 30 Ebd., Bl. 67. 31 Ebd., Bl. 63. Schreiben der Regierung Magdeburg an das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 11. Juni 1935. 32 Vgl. Einwohnerbuch von Halberstadt und Umgebung. Jg. 1934. S. 33; Jg. 1935. S. 32. Über Julie Bamberger ließen sich keine weiteren Angaben ermitteln. Nach Auskunft von Betty Nathansen emigrierte sie nach England. Abraham Cohn wurde 1906 in Burgpreppach/Unterfranken als ältester Sohn von Naphtali und Hanna Cohn, geb. Auerbach, geboren, er war ein Enkel Selig Auerbachs. Nach dem Besuch des Realgymnasiums in Marburg und des Rabbinerseminars in Berlin kehrte Cohn nach Marburg zurück, um dort 1931 zu promovieren. 1934 kam er nach Halberstadt an die Hascharath Zwi. Er emigrierte 1935 nach Palästina und war einer der führenden Pädagogen der „Javne“ in Haifa. Vgl. Auerbach, The Auerbach Family, 1957, S. 78. Laut Judith

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Nachfolger Cohns wurde der bereits genannte Herbert Sonn. Ab 1935 gehörten zum Schulvorstand neben Rabbiner Auerbach noch Joseph und Samuel Baer, die beiden Klausrabbiner Moses Schlesinger und Philipp Frankl, Jakob Lundner, Dr. med. Hirsch Benjamin Auerbach, Salli Marx und Hermann Silberberg. Es liegt nahe, dass die Mitglieder des Schulvorstands auch dem Gemeindevorstand angehörten.33 Persönliche Eindrücke über den Schulablauf und die modernen Lehrmethoden vermitteln die Erinnerungen zweier ehemaliger Schülerinnen. Betty Nathansen, 1923 als Betty Baer geboren, besuchte die jüdische Schule von 1929 bis 1938. Sie berichtete: Unsere Lehrerin war Hanna Landau, die wir innig liebten. Mit ihr unterrichteten Resy Frenkel, die hier in Israel lebt. Unser Schulleiter war von 1929–1932 Rabbiner Isaak Auerbach, der leider verstarb. Es kam dann Jakob Lundner an seine Stelle […]. Es unterrichteten ebenfalls James Wigderowitsch, Herbert Sonn, Lotte Schaps und ein Aushilfslehrer Lichtmann. Viele wanderten damals schon aus, in meiner Klasse waren wir drei Kinder im Jahre 1938, mein Cousin Emil Baer, Hermann Blach und ich. Die Klassenzimmer waren groß und geräumig, die Fenster gingen teils zum Garten, teils zum Hof. In der Sexta fingen wir die erste Fremdsprache an zu lernen, es war Französisch, wir lernten sie bei Herrn Lundner. […] In der Quarta fingen wir an, Englisch zu lernen und natürlich auch Hebräisch. Wir übersetzten Gebete und Tora schon im zweiten Schuljahr und fingen auch schon an, Iwrith zu lernen und zu sprechen. Unser beliebtester Lehrer war Herbert Sonn, der ein hervorragender Pädagoge war. Unser Lesebuch war Aussaat34 jedes Jahr eine neue Ausgabe. Ich glaube, das Niveau des Unterrichts war hoch.35

Biran wohnte er im Westendorf 15 im Vorderhaus zur Untermiete bei der Witwe Bamberger. Judith Biran (mündliche Auskunft 14. April 2012). 33 Vgl. Einwohnerbuch von Halberstadt und Umgebung. Jg. 1935. S. 32. Bisher war die jüdische Schule durchgängig in den Einwohnerbüchern Halberstadts mit Angaben zu Lehrern und Schulvorstand aufgeführt, nach 1935 wird sie nicht mehr erwähnt. 34 Die Lesebücher beinhalteten neben Einheiten zu verschiedenen Themenbereichen einen kleinen regionalen Abschnitt speziell zu Thüringen und der Provinz Sachsen. Vgl. Aussaat. Deutsches Lesebuch. Erste Abteilung Sexta. Ausgabe für Thüringen und Provinz Sachsen. Berlin 1931 (3. Aufl.). 35 Betty Nathansen (schriftliche Auskunft vom 14. November 2001). Bei Betty Nathansen, geb. Baer, handelt es sich um die Urenkelin des Lehrers Samuel Baer. Ihr Großvater, Emil Baer, gründete zusammen mit seinem Bruder die Metallfirma „Samuel Baer’s Söhne“, die in zweiter Generation von ihrem Vater Joseph und dessen Bruder weiter geführt wurde. Vgl. www.juden-im-alten-halberstadt.de, Menschen, Emil Baer, Joseph Baer. (Stand 24. 2. 2016). Betty Nathansen emigrierte im Oktober 1938 zusammen mit ihren Vater Joseph Baer und dessen zweiter Ehefrau Frieda nach Palästina.

Die jüdische Volksschule nach 1933 

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Ergänzend fügte sie hinzu: Jakob Lundner war ein lieber und gütiger Schulleiter, er spielte uns gerne Grammophon vor und am liebsten synagogale Gesänge von Yossele Rosenblatt. […] Außer ihm unterrichteten James Wigderowitsch speziell für die hebräische Sprache, Frl. Schaps […] unterrichtete uns Handarbeiten und Turnen. […] Herbert Sonn war ein strenger aber sehr intelligenter Lehrer. Es glückte ihm am 2. Tag seines Amtes, einem Jungen, der ungezogen war, eine schallende Ohrfeige zu versetzen und somit wussten wir, mit dem ist nicht zu spaßen. Er brauchte nie wieder handgreiflich zu werden – wir hatten großen Respekt vor ihm.36

Beate Pappenheim, die älteste Tochter Jakob Lundners, besuchte die Schule von 1931 bis 1938 und berichtete Folgendes über ihren Vater: Ein vielseitig begabter und gebildeter Mann. In der Schule unterrichtete er Latein, Französisch, Mathematik und Hebräisch. In der 4. Grundschulklasse hatte ich Deutsch bei ihm. Ich wundere mich noch jetzt über seine modernen Methoden. Da waren mit Kreide Kreise auf dem Boden gezogen für Subjekt, Prädikat und Objekt die wir durchspielten. Im Hebräisch-Unterricht lief so ein altes Grammophon. Den Text hatten wir zum Vergleich in der Hand. […] So freundlich mein Vater in der Schule war – zu Hause herrschte eine Disziplin die keiner Worte bedurfte. […] Den Deutschunterricht erteilte Herr Herbert Sonn. […] Im letzten Jahr in Halberstadt wurde anstatt Französisch Englisch gelehrt. Ich nehme an, dass mein Vater damit rechnete, daß die meisten Schüler in Englisch sprechende Länder auswandern würden. […] Wir lernten täglich 1–2 Stunden Pentateuch u.  a. Am Sonntag, an dem ja keine Schule war, gingen viele von uns in die Klaus zu den Klausrabbinern Dr. Schlesinger und Dr. Frankl um Propheten, Psalmen u. a. zu lernen. […] Ich erinnere mich auch gern an Herrn Wigderowitsch, der mich zum Fenster kommen ließ um mir zu zeigen, dass die Äste der Bäume nicht wie die Arme eines Chanukkaleuchters angeordnet sind.37

Die Situation der jüdischen Schüler verschärfte sich weiter. Als Folge des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25. April 1933 gelangte der Erziehungsausschuss der „Reichsvertretung“ nach langem zähen Ringen 1937 zu einer einheitlichen Konzeption der Lehrplangestaltung und legte eine überarbeitete Fassung der 1934 begonnenen Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für jüdische Volksschulen vor, die vom Reichsminister am 29. Oktober 1937 genehmigt wurde.38 Im Vergleich zu den Richtlinien von 1934 waren sie zum einen durch eine ausgeprägte Rückbesinnung auf die jüdische Kultur

36 Betty Nathansen (schriftliche Auskunft vom 21. Januar 2002). 37 Beate Pappenheim wurde 1925 in Halberstadt geboren. Sie emigrierte im Alter von 13½ Jahren. Beate Pappenheim (schriftliche Auskunft vom 29. Januar 2001). 38 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 203.

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gekennzeichnet, zum anderen sollten sie gezielt auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten. In den Richtlinien heißt es zunächst: „Die Schule soll von einem sich selbst begreifenden jüdischen Geiste durchdrungen sein. Das heranwachsende Kind soll seines Judeseins in gesundem Bewusstsein sicher werden.“ Mit Blick auf die gegenwärtige Situation forderte man: „Das jüdische Kind muß für die Auswanderung, insbesondere nach Palästina, vorbereitet und fähig gemacht werden.“ Die Kinder sollten zu „willensstarken und in sich gefestigten Charakteren“ erzogen werden, neben einer modernen Fremdsprache wurde Iwrit in privaten Gruppen angeboten. Der Hebräisch- und Religionsunterricht sollte von vier auf sechs Wochenstunden erhöht werden sowie die Einbindung des Jüdischen in allen Fächern gegeben sein. Besonders davon betroffen waren die religiös-liberalen Volksschulen, in denen Hebräisch- und Religionsunterricht nur noch eine geringe Rolle spielten.39 Am 13. November 1937 informierte die Regierung in Magdeburg den Kreisschulrat über die neuen Richtlinien und forderte ihn auf, den Leiter der jüdischen Volksschule, Jakob Lundner, darüber in Kenntnis zu setzen.40

4.3 Die finanzielle Lage Die finanzielle Lage der Schule hatte sich bereits vor 1933 verschlechtert, verantwortlich dafür waren die zurückgegangenen Schulgeld- und Steuereinnahmen, die den Gemeindevorstand veranlassten, am 28. Februar 1933 einen Antrag auf Zuschuss für die jüdische Schule zu stellen.41 Dieser wurde im Juni 1933 vom Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ohne Begründung abgelehnt.42 Die finanzielle Situation der Schule blieb weiterhin angespannt, denn die stark eingeschränkte Aufnahme jüdischer Schüler an den höheren Schulen hatte zur Folge, dass zusätzlich Schüler aufgenommen und weitere Klassenstufen eingerichtet werden mussten. Dazu veranstaltete man am 17. November 1936 einen Vortragsabend, bei dem Jakob Lundner auf den notwendigen Erhalt und Ausbau der Schule hinwies und Eltern und ehemalige Schüler aufrief, die Schule mit Spenden zu unterstützen. Laut Hirsch Benjamin Auerbach gelang es, die höheren

39 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 62–63. Abschrift der „Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für jüdische Volksschulen“. Ausführlich zu den „Richtlinien“ von 1934 und 1937 und dem neuen Lehrplan vgl. Röcher, Die jüdische Schule, 1992, S. 132–138; Walk, Jüdische Schulen 1991, S. 124–151; Scharf, Religiöse Erziehung, 1995, S. 126–142. 40 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 64. 41 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 54. Den letzten Zuschuss in Höhe von 875 Reichsmark hatte die Hascharath Zwi für das Schuljahr 1932/33 erhalten. Ebd., Bl. 66. 42 Ebd., Bl. 57.

Die finanzielle Lage 

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Klassen bis einschließlich Obersekunda weiterzuführen.43 Die Schule hatte nicht nur Schüler der weiterführenden Schulen Halberstadts aufgenommen, sondern auch einige aus den benachbarten Gemeinden Blankenburg, Oschersleben, Quedlinburg und Wernigerode.44 Dennoch spitzte sich die wirtschaftliche Lage der Schule dermaßen zu, dass Hirsch Benjamin Auerbach 1937 den verzweifelten Versuch unternahm, einen Zuschuss von der Regierung in Magdeburg zu erhalten. Er machte in seinem Antrag deutlich, dass die Schule vor dem finanziellen Aus stehe. Bis zum Beginn des Schuljahres 1937 seien die Defizite noch von der Synagogengemeinde ausgeglichen worden, für das laufende Schuljahr sei das nicht mehr möglich. Um den Schulbetrieb dennoch weiterhin aufrecht zu erhalten, habe man sich bemüht, die Fehlbeträge durch private Spenden auszugleichen. Auerbach wies darauf hin, dass die Schule noch von 42 Schülern besucht werde, gegenwärtig zwei Lehrer den Unterricht versähen und dass ab Ostern 1938 voraussichtlich nur noch eine Lehrkraft tätig sein werde.45 Auch dieses Mal lehnte die Regierung den Antrag ab und verwies ihn an den Magistrat, da die Schüler bei Auflösung der jüdischen Schule von den öffentlichen Volksschulen übernommen werden müssten.46 Obgleich alle bis dahin erlassenen Gesetze darauf abzielten, die jüdischen Schüler aus den öffentlichen Schulen zu entfernen, lautete die Antwort des Magistrats an die Regierung: Die hiesige Judengemeinde ist noch als leistungsfähig zu erachten. Sie wird somit in der Lage sein, auch nach dem Abbau einer der beiden vorhandenen Schulstellen die Schule allein zu unterhalten. Ein Stadtzuschuss wird abgelehnt. Im Falle der Auflösung der Schule können die jüdischen Kinder, die verschiedenen Jahrgängen angehören, ohne daß Mehrkosten für die Stadt entstehen, auf die Volksschulen der Stadt verteilt werden. […] Ob es staatspolitisch erwünscht ist, die Judenkinder von deutschen Kindern im Schulunterricht zu trennen, kann nicht örtlich entschieden werden.47

43 Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 328. Die „Reichsvertretung“ machte 1937 deutlich, dass sie mit der finanziellen Unterstützung zur Gründung weiterer jüdischer Schulen, die zwar „dringend wünschenswert“ seien, und mit der Zunahme jüdischer Schüler an den bestehenden Schulen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stoße. Vgl. Röcher, Die jüdische Schule, 1992, S. 85f. 44 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 3, Bl. 5. 45 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 84–85. Schreiben Auerbachs an die Regierung Magdeburg, 22. Dezember 1937. Welcher Lehrer neben Jakob Lundner noch an der Schule verblieben war, ließ sich nicht ermitteln. 46 Ebd., Bl. 86. Schreiben der Regierung Magdeburg an den Magistrat, 14. März 1938. 47 Ebd., Bl. 88. Schreiben des Magistrats an die Regierung Magdeburg, 17. Mai 1938.

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Ein weiteres Schreiben des Kreisschulrats Hermann Rulf an den Magistrat hingegen zeigt, dass er am Fortbestehen der jüdischen Schule festhielt und sich sogar für den Erhalt von zwei Lehrstellen aussprach, um weiterhin Unterricht in den gehobenen Klassen zu erteilen, wodurch eine Aufnahme der jüdischen Schüler in die höheren Schulen verhindert werden könne.48 Die Reaktion der verschiedenen Verwaltungsinstanzen zeigt einerseits, dass die Schule auf keinen Fall einen Zuschuss erwarten konnte, und andererseits, dass von Seiten der Behörden keine Einigkeit darüber bestand, ob die jüdische Schule unter allen Umständen zu erhalten sei. Nach dem 9. November 1938 wurde die Zahlung von Zuschüssen gänzlich eingestellt, dennoch sollte das aus öffentlichen Kassen bestrittene Gehalt der Lehrer an jüdischen Schulen weiter übernommen werden.49

4.4 Fotodokumente Nicht unproblematisch für die Interpretation der Bildquellen ist, dass sie in einer Zeit entstanden, in der Diffamierungen und Ausgrenzungen zum Alltag der jüdischen Schüler und Lehrer gehörten und die Frage nach Bleiben oder Auswandern immer mehr in den Vordergrund rückte. Manche Lehrer blieben nur für kurze Zeit an der Schule, und die bisher festgefügten Klassenverbände veränderten sich ständig. So ließ sich auch nicht immer klären, ob es sich bei den verschiedenen Ausflügen um die Volksschulklasse oder die Schüler der Sexta und Quinta handelte. Für die Kinder war die Schule der einzige Ort, der ihnen für wenige Stunden Geborgenheit und Sicherheit gab. Trotz der zumeist arrangierten Schülergruppen lassen sich einige Besonderheiten feststellen.50

48 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 93. Schreiben des Kreisschulrats Rulf an den Magistrat, 14. Juli 1938. 49 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 72. Schreiben des Reichsministers an die Oberpräsidenten der Regierungsbezirke, Berlin 17. Dezember 1938. 50 Die Zuordnung der Namen erfolgte von Judith Biran, Benno Gocman, Richard Jost Tannenberg.

Fotodokumente 

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Abbildung 9: Die Schüler der ersten und zweiten Grundschulklasse mit ihrer Lehrerin Hannah Landau auf dem Schulhof, 1930. Von links nach rechts: Untere Reihe sitzend: ? , Aron Auerbach, Hede Kosowski, Max Winter, Thea Rosenblum, Walter Beverstein, Hermann Blach. Obere Reihe stehend: ? , Lazar Knopf, Rosa Spiegel, Max Kriegsmann, Emil Baer, ? , Helga Heilmann, Hanna Lenschitzki, Richard Jost Tannenberg Zerline Meyer, Sonja Spindel, Gisela Raftenberg, Harry Rosen, Lea Neumann, ? , Alice Mischkowski, ? , ? , ? Knopf, Mane Karmiol, Betty Baer, ? , ?

Abbildung 9 zeigt einen für damalige Verhältnisse üblichen Klassenverband von ca. 30 Schülern. Abgebildet sind das erste und zweite Schuljahr einer an Knaben und Mädchen ausgewogenen Schülerschar mit ihrer Lehrerin Hannah Landau, hinter den Schülern mittig platziert. Bis auf drei Schüler in Marineanzug und Marinekleid oder Jackenensembles und Krawatte – die gesellschaftliche Uniform der deutschen Jugend im späten Kaiserreich – präsentiert sich der Großteil in Alltagskleidung. Die Mehrheit der Knaben trägt eine Kippa, einige auch eine moderne Kopfbedeckung. Trotz des gestellten Arrangements und teilweise ernster Kindergesichter vermittelt sich der Eindruck einer bunt gemischten fröhlichen Kinderschar.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Abbildung 10: Schulausflug mit dem Lehrer Abraham Cohn, April 1934. Von links nach rechts: Abraham Cohn, Sonja Spindel, Hanna Lenschitzki, Rosa Spiegel, Frl. Grossang, Betty Baer

Auf Abbildung 10, die 1933/1934 bei einem Schulausflug entstanden ist, sieht man einen Ausschnitt mit fünf vergnügten Schülerinnen, vermutlich im Alter zwischen neun und zehn Jahren, die sich sitzend um den Lehrer Abraham Cohn scharen, dessen Kopfbedeckung mit den von ihnen gepflückten Wiesenblumen geschmückt ist. Auch wenn sie sich in respektvollem Abstand zum Lehrer positionieren, zeugt dieses Foto von Vertrauen und Nähe zwischen Lehrer und Schülerinnen.

Fotodokumente 

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Abbildung 11: Klassenausflug zu den Rübeländer Tropfsteinhöhlen mit dem Klassenlehrer Herbert Sonn, April 1937. Von links nach rechts: Hausmeister Willi Wiedenbein, Sarah Rosenblum, Hans Wohl, Zerline Meyer, Max Winter, Helga Heilmann, Rudi Levy, ? , ? , ? , Richard Jost Tannenberg, Sonja Spindel, Betty Baer, Herbert Sonn

Abbildung 12: Klassenausflug zu den Rübeländer Tropfsteinhöhlen mit dem Klassenlehrer Herbert Sonn, April 1937. Von links nach rechts: Richard Jost Tannenberg, Emil Baer, ? , Rudi Levy, Sarah Rosenblum, Zerline Meyer, Max Winter, Helga Heilmann, Hans Wohl, Sonja Spindel, ? , ? , Betty Baer, Lehrer Herbert Sonn

Abbildungenen 11 und 12 sind im April 1937 aufgenommen worden, abgebildet ist eine kleine ernst blickende Gruppe von zwölf vermutlich 13- bis 14-jährigen Schülern auf einem Schulausflug zu den Rübeländer Tropfsteinhöhlen im Harz mit ihrem Lehrer Herbert Sonn; Abb. 11 entstand vor dem Eingang der Höhle, Abb. 12 in einer der Höhlen selbst. Begleitet wurde die Gruppe von dem nicht jüdischen Hausmeister Willi Wiedenbein.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Abbildung 13: Die Mädchenklasse vor dem Turnunterricht, um 1936. Von links nach rechts: Betty Baer, Thea Rosenblum, Ulla Rechtschaffen, Lea Neumann, Zerline Meyer, ?

Anlässlich des Sportunterrichts entstand 1937 Abb. 13, aufgenommen auf dem Schulhof. Dicht gedrängt präsentiert sich eine fröhliche sechsköpfige Mädchengruppe in der typischen Sportkleidung der damaligen Zeit: dunkle kurze Hosen und helle Achselhemden. Laut Betty Nathansen handelt es sich um die Völkerballgruppe. Es war jüdischen Schülern ab 1937 untersagt, die Sporthallen von öffentlichen Schulen zu nutzen, darum wurde die Aula der Hascharath Zwi für den Sportunterricht geringfügig umgebaut, während man bei gutem Wetter den Schulhof nutzte.51

51 Laut Judith Biran nutzten die jüdischen Schülerinnen vor 1937 die Sporthalle des Lyzeums. Vgl. Hartmann, Zu Geschichte, 1992, S. 11. Im Februar 1937 reichte Jakob Lundner beim Stadtbauamt einen Antrag auf Umbau der Aula ein, um diese auch als Turnhalle nutzen zu können. BauA H, A 3954, Bauakte Westendorf 15, Bl. 51.

Fotodokumente 

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Abbildung 14: Feier mit Schülern und Lehrern der Schule, um 1937. Von links nach rechts: Untere Reihe: Emil Baer, Max Winter, Richard Jost Tannenberg. Mittlere Reihe: Zerline Meyer, Recha Auerbach (Ehefrau von Rabbiner Auerbach), Rabbiner Hirsch Benjamin Auerbach, Helga Heilmann, Lehrer Herbert Sonn. Obere Reihe: Franz Landeck, Anni Sonn (Ehefrau von Herbert Sonn), Klara Lundner (Ehefrau von Jakob Lundner), Lea Neumann, Hermann Blach, Schulleiter Jakob Lundner, Thea Rosenblum, ? , Betty Baer, Lehrerin Lotte Schaps

Abbildungen 14 zeigt den Rabbiner der Gemeinde, Hirsch Benjamin Auerbach, umringt von einer heiteren Schülergruppe und den Lehrern Jakob Lundner, Herbert Sonn und Lotte Schaps. Gemäß der Autorität seiner Person nimmt der Rabbiner, mit ernstem Gesichtsausdruck, eine zentrale Position innerhalb der Gruppe ein, während sich die Lehrer in lockerer Haltung und leicht zurückgenommen in die Gruppe der Schüler einreihen. Dabei scheint es sich um einen feierlichen Anlass gehandelt zu haben, da sich auch die Ehefrauen des Rabbiners und der Lehrer auf dem Foto befinden und alle festlich gekleidet sind. Der Hintergrund lässt vermuten, dass es sich um eine Feier in privaten Räumlichkeiten handelt, wobei ein Großteil der Schüler in fröhlicher, erwartungsvoller Haltung nach oben über die Kamera hinweg blickt.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Abbildung 15: Pessach 1937. Von links nach rechts: Untere Reihe: Rudi Levy, Joseph Rosenblum, Hans Knopf, ? , Lazar Knopf, Irma Strum, ? Loksinski, Lilly Cohn, Ruth Tuchler, David Winter, Salli Knopf, ? Loksinski, ? . Mittlere Reihe: Hausmeister Willi Wiedenbein, Emil Baer, Max Knopf, Thea Rosenblum, Ruth Lindheimer, Lehrer James Wigderowitsch, Erna Rechtschaffen, Regina Kowalsky, Marianne Bloch, ? Loksinski. Obere Reihe: Abraham Loksinski, ? , Heinz Oppenheimer, Hans Wohl, Schulleiter Jakob Lundner, ? , Lina Neumann, Rahel Marx, Beate Lundner, Walter Beverstein, Lea Neumann, Werner Cohn, Lehrer Herbert Sonn, Zerline Meyer, ? , Salli Edelnand, Sonja Spindel, David Kowalsky, Mane Karmiol, Betty Baer, Erna Knopf, ? , Max Winter, ? , Bertel Karmiol, ? , Benno Gocman, Lehrerin Lotte Schaps

Bei Abb. 15 handelt es sich um die einzige erhaltene Gruppenaufnahme, die zu Pessach im Jahre 1937 in der Aula der Schule entstanden ist. Auf dem Foto befinden sich 46 Schüler, dem Anlass entsprechend festlich gekleidet, mit ernstem oder heiterem Gesichtsausdruck und konventionell nach Alter  – die jüngeren im Vordergrund, die älteren dahinter – in lockerer Haltung aufgestellt. Die beiden Lehrer Lotte Schaps und Herbert Sonn reihen sich eher unauffällig bei den älteren Schülern ein, während James Wigderowitsch inmitten der jüngeren sitzt. Obwohl sich Jakob Lundner ebenfalls im Hintergrund befindet, nimmt er dennoch eine herausgehobene Position ein, denn seine linke Hand ruht in freundschaftlicher Haltung auf der Schulter des vor ihm stehenden Schülers.52

52 Das Foto mit Zuordnung der Personen stammt von Benno Gocman.

Fotodokumente 

Abbildung 16a: Ausschnitt von Abb. 15. Lehrer Jakob Lundner (Mitte)

Abbildung 16c: Ausschnitt von Abb. 15. Benno Gocman mit der Lehrerin Lotte Schaps

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Abbildung 16b: Ausschnitt von Abb. 15. Lehrer James Wigderowitsch (Mitte)

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Abbildung 17: Klassenausflug mit Jakob Lundner um 1937. Von links nach rechts: Untere Reihe: David Winter, David Kowalsky, Gerd Gottschalk, Benno Gocman, Erna Knopf, Ruth Tuchler. Obere Reihe: ?, ?, Salli Edelnand, Jakob Lundner, Beate Lundner, Bertel Karmiol, Erna Rechtschaffen

Abbildungen 17 präsentiert zwölf Schüler mit ihrem Lehrer Jakob Lundner, aufgenommen vermutlich um 1937. Die kleine Schülergruppe vermittelt einen unbeschwerten Eindruck. Da es sich um einen Schulausflug während der kalten Jahreszeit handelt, fällt auf, dass zwei Schüler nur mit einem Pullover bekleidet sind, während der Rest warme Winterkleidung trägt. Wieder befindet sich Jakob Lundner halb verdeckt hinter seinen Schülern, seine linke Hand ruht auf der Schulter des Schülers Salli Edelnand.

Fotodokumente 

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Abbildung 18: Schülergruppe, um 1937. Von links nach rechts: Max Winter, ?, Richard Jost Tannenberg, Salli Edelnand, Thea Rosenblum, ?, Zerline Meyer, Emil Baer

Abbildungen 18 ist auf dem Schulhof der Hascharath Zwi um 1937 entstanden und zeigt eine kleine gemischte Schülergruppe von acht Personen. Auch diese locker aufgestellte Gruppe unterschiedlichen Alters vermittelt einen unbeschwerten Eindruck.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Die Fotografien in Folge dokumentieren zum einen exemplarisch das Verhältnis von Schülern und Lehrern und zum anderen das der Schüler untereinander. Obwohl sich Jakob Lundner eher verdeckt im Hintergrund aufhält, lässt sich seiner Haltung gegenüber den Schülern ein hohes Maß an Verantwortung ablesen. Während die beiden anderen Lehrer, Herbert Sonn und James Wigderowitsch, sich zwar ebenso in die Schülergruppen einreihen, nehmen sie im Vergleich zu Lundner eine zurückhaltende Position ein. Trotz ernster Schülergesichter vermitteln die Fotos ungetrübte Schulsituationen. Die Lehrer hatten offensichtlich große Anstrengungen unternommen und mit Ausflügen und Festen für Ablenkung gesorgt. Alle Fotos demonstrieren ein hohes Maß an Zusammenhalt und Gemeinschaft.

4.5 Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 Hatten die Nationalsozialisten bereits ab 1933 erhebliche Einschränkungen für jüdische Lehrer und Schüler durchgesetzt, so begannen im Frühjahr 1938 die Vorbereitungen zum Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Die Maßnahmen dazu setzten Ende März 1938 mit der Auflösung der jüdischen Kultusgemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein, woraus folgte, dass sie nur „Rechtsfähigkeit“ erlangten, wenn sie sich als Verein registrieren ließen. Außerdem konnten sie jetzt zu allen möglichen Steuerabgaben herangezogen werden, die die sowieso schwierige finanzielle Situation der Gemeinden zusätzlich belasteten.53 Wenig später, am 26. April, erging eine Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden, wobei jeder verpflichtet wurde, dieses, soweit es 5.000 Mark überstieg, offenzulegen. Die folgenden Gesetze bewirkten die Ausschaltung der Juden aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben.54 Nach der systematischen Ausgrenzung aus fast allen Lebensbereichen erfolgte Ende Oktober 1938 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Gestapo die Verhaftung und kurz darauf die Abschiebung von ca. 18.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit über die polnische Grenze. Unter ihnen befanden sich die Eltern und Geschwister des nach Paris emigrierten Herschel Grynszpan aus Hannover, der für das seinen Eltern zugefügte Unrecht am 7. November ein Attentat auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath verübte, dem dieser am 9.

53 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 219. 54 Vgl. Barkai, Vom Boykott, 1988, S. 128–146; Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 223; Blau, Das Ausnahmerecht, 1965, S. 53f.

Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 

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November erlag.55 Dieses Attentat diente als Vorwand für unmittelbare Vergeltungsmaßnahmen, noch vor Mitternacht des 9. November hatte der Chef der Geheimen Staatspolizei, Heinrich Müller, per Fernschreiben den Gestapostellen im ganzen Land mitgeteilt, dass in kürzester Zeit überall gezielte „Aktionen gegen Juden insbesondere gegen deren Synagogen“ stattfinden sollten und „die Festnahme von etwa 20.000 bis 30.000 Juden im Reiche“ vorzubereiten sei.56 Nach Mitternacht erging der telegrafische Befehl des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, in dieser Nacht Geschäfte und Wohnungen von Juden zu zerstören und anschließend so viele Juden – insbesondere wohlhabende – festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können. Es sind zunächst nur gesunde männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen. Nach Durchführung der Festnahmen ist unverzüglich mit den zuständigen Konzentrationslagern wegen schnellster Unterbringung der Juden in den Lagern Verbindung aufzunehmen.57

Hinweise zur Zerstörung der Halberstädter Synagoge liefern die Aufzeichnungen des bereits erwähnten letzten Rabbiners Hirsch Benjamin Auerbach. Über die Ausschreitungen in dieser Nacht berichtete er: Auch die Halberstädter Synagoge wurde in dieser Nacht angezündet. Da sie jedoch mitten in der Altstadt (Bakenstraße 56) lag und von Wohnhäusern umgeben war, so drohte durch diesen Brand die Einäscherung zahlreicher Häuser und Obdachlosigkeit ihren Bewohnern. Daher löschte man das Feuer schnell, aber die johlende, schon vorher aufgehetzte und instruierte Menge zerstörte in wenigen Stunden mit Äxten und Beilen die alte, herrliche Synagoge, die über 240 Jahre bestanden hatte. […] Etwa neunzig Sifre Thora, die sich im Laufe der Jahrhunderte in der Synagoge angesammelt hatten, wurden zerfetzt, und ihre Reste lagen zerstreut, ein Spielball der Kinder, vor der Synagoge.58

Auch der ehemalige Schüler Benno Gocman erinnerte sich an den 10. November 1938: „Ich ging frühmorgens in die Synagoge in der Bakenstraße und konnte es

55 Vgl. Barkai, Avraham: „Schicksalsjahr 1938“. Kontinuität und Verschärfung der wirtschaftlichen Ausplünderung der deutschen Juden. In: Der Judenpogrom 1938. Von der „Reichskristallnacht“ zum Völkermord. Hrsg. von Walter H. Pehle. Frankfurt a. M. 1993. S. 94–117, hier S. 110–112; ders., Vom Boykott, 1988, S. 146f. Zu Herschel Grynszpan vgl. auch Mlynek, Klaus: Die „Reichskristallnacht“. In: „Reichskristallnacht“ in Hannover. Eine Ausstellung zur 40. Wiederkehr des 9. November 1938. Hannover 1978. S. 56–81, hier S. 57–60. 56 Kropat, Wolf-Arno: Kristallnacht in Hessen. Der Judenpogrom vom November 1938. Wiesbaden 1988. S. 75. 57 Zitiert nach ebd., S. 75f. 58 Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 330.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

nicht glauben – alle 90 Tora-Rollen lagen auf dem Boden und waren zerstört, das Mobiliar war demoliert und alle anderen Gegenstände verschwunden. Der verdrossene Rabbiner Schlesinger verbot mir etwas anzufassen.“59 Noch am 10. November informierte der Magdeburger Regierungspräsident den Oberpräsidenten über das Ausmaß der Zerstörungen in Halberstadt. Er berichtete, dass Schaufensterscheiben von sechs oder sieben jüdischen Geschäften sowie der Innenraum der Synagoge zerstört worden seien.60 In der Halberstädter Zeitung erschien dazu ein ausführlicher Kommentar mit deutlich antisemitischem Charakter, darin heißt es, dass „sämtliche Fensterscheiben jüdischer Geschäfte“ zerstört worden seien, aber keine Plünderungen stattgefunden hätten.61 Hirsch Benjamin Auerbach berichtete, dass es am 10. November während des Morgengebetes in der Aula der Schule zu Verhaftungen gekommen war, und er selbst, der Klausrabbiner Moses Schlesinger und weitere Gemeindemitglieder zunächst in das Gefängnis in der Spiegelstraße und am Abend nach Magdeburg in das Gefängnis gebracht worden waren.62 Der ehemalige Schüler Benno Gocman erinnert sich, dass kein Unterricht stattgefunden hat, da Jakob Lundner verhaftet wurde.63 Nach dem Eingangsbuch des Magdeburger Gefängnisses trafen 21 Halberstädter, worunter sich auch Rabbiner Hirsch Benjamin Auerbach befand, am 10. November um Mitternacht ein. Weitere 21, darunter auch Jakob Lundner, kamen

59 Benno Gocman wurde am 5. März 1926 als Sohn des Schneiders Benjamin Gotzmann in Halberstadt geboren, er besuchte die Schule von 1932 bis 1939. Benno Gocman (schriftliche Auskunft vom 26. April 2001). 60 LHASA, MD, Rep. C 20 I, Ib, Nr. 1996, Bd. 5, Bl. 118r. Schreiben des Regierungspräsidenten an den Oberpräsidenten, 10. November 1938. Das Schreiben enthält weitere Angaben über Zerstörungen in Magdeburg, Stendal, Schönebeck und Aschersleben. Einen Tag später berichtete der Regierungspräsident über erneute Vorfälle in Magdeburg, Stendal und Aschersleben. Ebd., Bl. 119–119r. 61 Der Beitrag am 10. November lautete: „So fand auch in Halberstadt die namenlose Erbitterung, mit der das ganze deutsche Volk die Mitteilung von dem Ableben des Gesandtschaftsrats vom Rath aufgenommen hat, in den Nachtstunden in spontanen Demonstrationen gegen die Juden ihren lebhaften Ausdruck. Sämtliche Fensterscheiben jüdischer Geschäfte wurden zertrümmert. Der Abscheu der Bevölkerung gegenüber der feigen Mordtat in Paris machte sich ferner dadurch Luft, daß man in die Synagoge eindrang und dort als Kundgebung gegen die neue Blutschuld der Juden Zerstörungen vornahm. Trotz der großen Zerstörung hielt sich alles soweit zurück, daß in den Geschäftsauslagen der Juden kein einziges Stück weggenommen oder beschädigt worden ist. Zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sind auch in unserer Stadt zahlreiche Juden in Schutzhaft genommen worden.“ Zitiert nach Halberstädter Zeitung und Intelligenzblatt. 124 (1938). Nr. 264. (10.11.1938). 62 Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 331. 63 Benno Gocman (schriftliche Auskunft vom 29. Mai 2001).

Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 

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am folgenden Tag morgens um vier Uhr an.64 Am 11. November 1938 teilte die Gestapo der Regierung in Magdeburg mit, dass insgesamt 237 Juden aus 14 Ortschaften verhaftet und am Vormittag mit dem Zug von Magdeburg in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden seien.65 Nach elf Tagen Haft wurden von den insgesamt 16.000 Inhaftierten erstmalig 194 mit der Auflage entlassen, über die Ereignisse im Lager zu schweigen und auszuwandern. Unter den Entlassenen befand sich auch der Magdeburger Rabbiner Georg Wilde, der über die brutalen Übergriffe im Sonderlager Buchenwald Folgendes berichtete: Wir kamen an und standen mit unseren Hüten in der Hand zusammengepfercht in einem großen Eingang zu einem Appellplatz. Dann kam der Befehl: „Vorwärts auf den Platz!“ Ein SS-Mann stand auf einer Bank an einer Seite des Eingangs und schlug mit einem Knüppel auf die Köpfe der laufenden Männer. Alles drängte sich auf die andere Seite. Ein Mann, der vor mir lief, stürzte. Ich versuchte auszuweichen. Das gelang mir, doch fiel ich kopfüber auf den Boden, der voller kleiner Steine war. Blut strömte aus einer Wunde auf meiner Stirn und bedeckte das ganze Gesicht. Ich sprang auf und lief auf den Appellplatz. […] Abends wurden wir in unsere Baracken getrieben, die nur eine große Tür hatten. Pritschen waren übereinander in drei Etagen mit einem Abstand von zirka einem Meter montiert. Die jungen Leute kletterten in die oberen, die alten Leute nahmen die unteren Etagen. Ungefähr 1.600 Mann mußten in dieser Baracke wie die Ölsardinen liegen.66

64 LHASA, MD, Rep. C 29 Anh. III, Nr. 9, fortlaufende Nr. 198–203. Unter den vom Gefängnis in Magdeburg nach Buchenwald deportierten Männern befanden sich die Väter einiger Hascharath-Zwi-Schüler wie z. B. Ernst Cohn, der Vater von Lillyan Rosenberg, und Sally Tannenberg, der Vater von Richard Jost Tannenberg. Der Klausrabbiner Moses Schlesinger ist nicht im Eingangsbuch des Magdeburger Gefängnisses verzeichnet. 65 LHASA, MD, Rep. C 20 I, Ib, Nr. 1996, Bd. 5, Bl. 120. Schreiben der Geheimen Staatspolizei an den Oberpräsidenten in Magdeburg, 11. November 1938. Zu den Verhaftungen in Magdeburg vgl. auch Abrahams-Sprod, „Und dann warst du auf einmal ausgestoßen“, 2011, S. 210. Zum Sonderlager in Buchenwald vgl. Stein, Harry: Das Sonderlager im Konzentrationslager Buchenwald nach den Pogromen 1938. In: Kingreen, Monika (Hrsg.): „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt a. M. u. New York 1999. S. 19–54, hier S. 25–31; ders., Juden im Konzentrationslager Buchenwald 1938–1942. In: Hofmann, Thomas, Hanno Loewy u. Harry Stein (Hrsg.): Pogromnacht und Holocaust. Frankfurt, Weimar, Buchenwald. Die schwierige Erinnerung an die Stationen der Vernichtung. Weimar [u. a.] 1994. S. 81–171, hier S. 101–125; ders., Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945. Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung. Göttingen 1999. S. 111–115. 66 Zitiert nach Abrahams-Sprod, „Und dann warst du auf einmal ausgestoßen“, 2011, S. 213f. Auszüge aus Georg Wildes Manuskript befinden sich auch in Thalmann, Rita u. Emmanuel Feinermann. Die Kristallnacht. Frankfurt a. M. 1988. S. 175–180. Das Originalmanuskript unter dem Titel „Eleven Days in the Concentration Camp Buchenwald“ lässt sich einsehen unter www.lbi. org/digibaeck/results/?qtype=pid&term=418389.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Lillyan Rosenberg erinnerte sich, dass ihr Vater Ernst Cohn nach fünf Wochen, „ohne Haare – ganz dünn“ zurückgekehrt sei und nicht über das Geschehene sprechen wollte.67 Nach den Verhaftungen war das Gemeindeleben gänzlich zum Erliegen gekommen. Hirsch Benjamin Auerbach berichtete: Als die Männer nach drei Wochen aus dem KZ-Lager zurückkehrten, fanden sie ein Chaos in der Gemeinde vor. Ihre Institutionen befanden sich fast sämtlich im Zustand der Auflösung. Das Büro der Gemeinde war geschlossen, die Schule hatte ihren Unterricht eingestellt, ein offizieller Gottesdienst wurde nicht abgehalten.68

Der Rabbiner wurde aufgefordert, innerhalb von vier Wochen das Land zu verlassen, er emigrierte im Dezember 1938 mit seiner Familie nach Palästina.69 Wie sich noch zeigen wird, hatte Jakob Lundner nach seiner Rückkehr den Unterricht an der Hascharath Zwi wieder aufgenommen. Nach dem Novemberpogrom dürfte die Schule nicht nur letzte Zufluchtsstätte der noch verbliebenen Kinder, sondern auch Rückzugsort der verbliebenen Gemeindemitglieder gewesen sein. Wenige Tage nach dem Pogrom wurde die endgültige Ausgrenzung jüdischer Schüler aus den öffentlichen Schulen beschlossen. Am 15. November 1938 erging ein Erlass des Reichsministers, der mit sofortiger Wirkung jüdischen Schülern nur noch den Besuch jüdischer Schulen erlaubte.70 Wenig später wurde mit Verordnung vom 4. Juli 1939 die „Reichsvereinigung“ verpflichtet, für den Unterricht der jüdischen Kinder zu sorgen. Aufgabe der von Paula Fürst geleiteten Schulabteilung der „Reichsvereinigung“ war es, in den Orten, in denen jüdische Schüler öffentliche Schulen besucht hatten, neue jüdische Volksschulen einzurichten und ebenso für die Ausbildung bzw. die Betreuung der Lehrer zu sorgen. Besondere Schwierigkeiten bereitete dabei die Beschaffung von geeigneten Schulräumen,

67 Lillyan Rosenberg (schriftliche Auskunft vom 3. April 2001). Zu Lillyan Rosenberg vgl. auch Dick, Jutta (Hrsg.): „Hauptsache, wir bleiben gesund ...“: Lillyan Rosenberg, geborene Cohn, aus Halberstadt. Halberstadt 2013. 68 Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 331. Bezüglich der Aufrechterhaltung der jüdischen Schulen erging am 17. Dezember 1938 die Anweisung des Reichsministers an die Oberpräsidenten der Regierungsbezirke, dass die Haftentlassung der in Schutzhaft genommenen Lehrer durch die zuständigen Polizeibehörden veranlasst werden sollte. LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 72. 69 Vgl. Hartmann, Geschichte, 1995, S. 29. 70 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 69. Schreiben des Reichsministers an die Oberpräsidenten der Regierungsbezirke, Berlin 15. November 1938. Vgl. dazu auch Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 256; ders., Jüdische Schulen, 1991, S. 205; Weiss, Schicksalsgemeinschaft, 1991, S. 21.

Die Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 

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was wiederum hohe Kosten verursachte.71 Die jüdischen Schulen des Regierungsbezirks Magdeburg wurden ab dem 1. Oktober 1939 der „Reichsvereinigung“ unterstellt.72 Bereits Ende Januar 1933 hatte eine erste Emigrationswelle eingesetzt, mit den Nachbarstaaten Deutschlands als bevorzugte Ziele. Diese hielt bis 1934 an, stagnierte und wuchs nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze ab September 1935 wieder an. Eine weitere Emigrationswelle folgte nach dem 9./10. November 1938. Die Auswanderungsmöglichkeiten wurden jedoch durch das britische Weißbuch für die Einwanderung nach Palästina ab Mai 1939 immer mehr eingeschränkt. Insgesamt verschlechterten sich die Ausreisemöglichkeiten, bis die Nationalsozialisten am 23. Oktober 1941 die Auswanderung aus Deutschland offiziell verboten.73 Betrachtet man die Tabelle 10, so zeigt sich, dass ein Großteil der Schüler nach 1935 bzw. nach 1938 auswanderte. Entweder emigrierten sie mit ihren Eltern, wie z. B. Benno Gocman74 und Betty Nathansen, oder allein mit den sogenannten

71 Vgl. Adler-Rudel, Jüdische Selbsthilfe, 1974, S. 32f; Weiss, Schicksalsgemeinschaft, 1991, S.  22. Zu Paula Fürst vgl. Ehlert, Martin-Heinz: Paula Fürst. Aus dem Leben einer jüdischen Pädagogin. Berlin 2005. 72 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 81. Schreiben der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an die Regierung Magdeburg, 19. Oktober 1939. 73 Vgl. Wetzel, Juliane: Auswanderung aus Deutschland. In: Die Juden in Deutschland 1933– 1945. Leben unter Nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1993. S. 412–498, hier S. 417–420. Zur Auswanderung unbegleiteter jüdischer Kinder und Jugendlicher vgl. Göpfert, Rebekka: Der jüdische Kindertransport von Deutschland nach England 1938/39. Geschichte und Erinnerung. Frankfurt a. M. 1997; Krohn, Helga: „Holt sie raus, bevor es zu spät ist!“. Hilfsaktionen zur Rettung jüdischer Kinder zwischen 1938 und 1940. In: Kingreen, Monica (Hrsg.): „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945. Frankfurt a. M. u. New York 1999. S. 91–118; Curio, Claudia: Verfolgung, Flucht, Rettung. Die Kindertransporte 1938/39 nach Großbritannien. Berlin 2006. 74 Benno Gocman emigrierte im April 1939 mit seinen Eltern nach England. Benno Gocman (schriftliche Auskunft vom 26. April 2001). Sein Vater Benjamin Gotzmann hatte nach der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. 11. 1938 die Aufforderung erhalten, seine Schneiderei selbstständig abzuwickeln. HStAH, Magistratsakten, 2.20.049, Verzeichnis der abzuwickelnden Unternehmen im Stadtbezirk Halberstadt, Bl. 1–2 (eig. Blattzählung). Am 7. Januar 1939 teilte Benjamin Gotzmann dem Oberbürgermeister der Stadt mit, dass er sein Gewerbe zum 31. Dezember 1938 abgemeldet habe. HStAH, Magistratsakten, 2.20.056, Bl. 5. Zur Zwangsabwicklung der Geschäfte und Gewerbe vgl. auch Eckert, Detlef: Auch in Halberstadt wurde es Nacht. In: Zwischen Harz und Bruch. Heimatzeitschrift für Halberstadt und Umgebung seit 1956. Dritte Reihe (2013). Heft 72. S. 21–27, hier S. 24.

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 Die Hascharath Zwi (1933–1942)

Kindertransporten nach England, wie z. B. Lillyan Rosenberg75 und der jüngste Bruder Judith Birans, David Winter, und Salli Edelnand.76 Tabelle 10 Schülerzahlen der Hascharath Zwi 1934–1940 Jahr

Schüler

Lehrkräfte

Januar 193478 Juni 193479 Mai 193580 Mai 193781 Dezember 193782 Juni 193883 Dezember 193884 Februar 194085

83 82 70 59 42 55 13 11

5 5 5 3 3 3 Keine Angabe 1

Die Vertreibung von Juden aus ihren Wohnungen war eine weitere Stufe des Prozesses, der über die Deportation zur Vernichtung führte. Dazu hatten die Nationalsozialisten am 30. April 1939 das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden erlassen, wonach jüdischen Mietern fristlos gekündigt werden konnte. Es erfolgte, unterstützt von den Wohnungsämtern, die zwangsweise Unterbringung in bestimmten Wohnvierteln oder in Häusern, die sich in jüdischem Besitz

75 Zu Lillyan Rosenberg vgl. auch Leverton, Bertha u. Shmuel Lowensohn (Hrsg.): I came alone. The Stories of the Kindertransports. Sussex 1990. S. 266–268. Auch der Vater von Lillyan Rosenberg, Ernst Cohn, musste sein Textilwarengeschäft zwangsweise abwickeln. HStAH, Magistratsakten, 2.20.056, Bl. 138–140. 76 Zu Salli Edelnand, der sich später John nannte, vgl. auch Leverton u. Lowensohn, I came alone, 1990, S. 76–78. Ein Auszug daraus. In: Göpfert, Rebekka (Hrsg.): Ich kam allein. Die Rettung von zehntausend jüdischen Kindern nach England 1938/39. München 1994. S. 159–164. Nach Schätzung der „Reichsvertretung“ betrug die Zahl der schulpflichtigen jüdischen Kinder im Jahre 1927 ca. 60.000 und sank bis zu Beginn des Jahres 1939 auf 24.700. Vgl. Vollnhals, Jüdische Selbsthilfe, 1993, S. 330. 77 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 43. 78 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 90. 79 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 61. 80 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 3, Bl. 4–5. 81 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 85. 82 HStAH, Schulakten, 2/765, Bl. 93. 83 Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 328. 84 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl. 88.

Das Ende der Hascharath Zwi und der jüdischen Gemeinde Halberstadt 

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befanden.85 Von da ab konzentrierten sich die Wohnmöglichkeiten der Halberstädter Juden auf jüdische Einrichtungen wie die Wohnräume im Anbau der Klaus im Rosenwinkel 18, die Gebäude des 1902 in der Wilhelmstraße 14a errichteten Altersheims sowie wenige noch bestehende Privathaushalte im Westendorf 15 (Vorderhaus), in der Spiegelstraße, Plantage, Dominikanerstraße und Unter den Weiden.86

4.6 Das Ende der Hascharath Zwi und der jüdischen Gemeinde Halberstadt Unabhängig von der „Reichsvereinigung“ fand am 29. Februar 1940 durch den Kreisschulrat eine Revision der Schule statt. Diese bestand nur noch aus einer Klasse und elf verbliebenen Schülern, die Jakob Lundner aufgrund der Altersunterschiede in drei Gruppen aufgeteilt hatte. Laut Schulrat fand „normaler Unterricht“ statt, den Kenntnisstand der Schüler beurteilte er überaus positiv und befand, dass alle gut gefördert seien. Jakob Lundner attestierte er: „Der Lehrer hat sich die Betreuung seiner Kinder sehr angelegen sein lassen und konnte sie infolge der geringen Anzahl in den Fächern gut fördern.“ Weiterhin kündigte er an, dass Ostern 1940 keine weiteren Schüler mehr hinzu kämen, vier bis fünf in nächster Zeit auswanderten, sodass nur noch sechs bis sieben Schüler an der Schule verbleiben würden. Auch der Lehrer sei im Begriff auszuwandern, sodass es fraglich sei, ob die „Reichsvereinigung“ die Schule überhaupt weiterführen werde.87 Mit Erlass vom 26. April 1941 wurde die „Reichsvereinigung“ angewiesen, die jüdischen Schulen in den größeren Städten zu konzentrieren und sogenannte Zwergschulen aufzulösen.88 Dennoch existierte die Hascharath Zwi weiter, der letzte Nachweis stammt vom 2. Juli 1941. In einem mit diesem

85 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 292. Zu den „Judenhäusern“ vgl. Barkai, Avraham: Im mauerlosen Ghetto. In: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Hrsg. von Michael A. Meyer. Bd. IV: Aufbruch und Zerstörung 1918–1945. München 2000. S. 343–359, hier S. 328–330; Kwiet, Konrad: Nach dem Pogrom: Stufen der Ausgrenzung. In: Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. Hrsg. von Wolfgang Benz. München 1993. S. 545–659, hier S. 631–636. 86 Vgl. Hartmann, Geschichte, 1995, S. 15f. Die jüdische Gemeinde besaß 1932/1933 noch 720 Mitglieder. Vgl. Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932–33. Hrsg. von der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden. [Berlin 1933]. S. 112. Laut Auerbach waren es Anfang des Jahres 1939 nur noch 235 Mitglieder. Vgl. Auerbach, Die Halberstädter Gemeinde, 1967, S. 331. 87 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 88 Bd. 2, Bl 88. 88 Vgl. Walk, Das Sonderrecht, 1996, S. 340.

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Datum an den Oberpräsidenten der Regierung in Magdeburg gerichteten Schreiben wird – auf Anregung eines Rundschreibens der „Reichsvereinigung“ – um Verkürzung der Sommerferien um sieben Tage aufgrund der zusätzlichen jüdischen Feiertage wie Neujahr, Versöhnungstag und Laubhüttenfest gebeten. Genehmigt wurde der Antrag durch den handschriftlichen Zusatz „Es bestehen keine Bedenken gegen den Antrag“.89 Trotz der ausweglosen Situation hat Jakob Lundner vermutlich auch weiterhin die verbliebenen Schüler unterrichtet. Ihr endgültiges Ende fand die Hascharath Zwi, als am 12. April 1942 die ersten Halberstädter Juden über Magdeburg90 und Berlin in das Warschauer Getto deportiert wurden; unter ihnen befanden sich auch Jakob und Klara Lundner sowie ihre Kinder Miriam (vier Jahre), Babette (fünf Jahre), Rahel (sieben Jahre), Eli (neun Jahre) und Sulamith (13 Jahre) und der älteste Sohn Jakob Lundners aus erster Ehe, Josef (14 Jahre). Ebenso deportiert wurden die Schüler bzw. ehemaligen Schüler Kurt Bluhm (16 Jahre), Ida Edelnand (14 Jahre), Günther Gottschalk (14 Jahre), Alfred Korona (17 Jahre), Regina Kowalsky (14 Jahre), Zerline Meyer (17 Jahre), Marianne Neumann (15 Jahre), Helmuth Sondheim (neun Jahre) und Ruth Tuchler (14 Jahre).91 Der Transport traf am 16. April in Warschau ein.92 Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Judenrats im Warschauer Getto, vermerkt in seinem Tagebuch am 15. April 1942: „Brandt und A[uerswald] erklärten, daß morgen früh um 6 ein Transport aus Magdeburg und Potsdam ankommt.“ Für den nächsten Tag dokumentiert er: „Morgens 5:30 auf dem Umschlagplatz. Um 6 fuhr der Zug

89 LHASA, MD, Rep. C 28 II, Nr. 3543, Bl. 99. Nach Auflösung der jüdischen Kultusgemeinden als Körperschaften des öffentlichen Rechts lautete die offizielle Bezeichnung der jüdischen Gemeinde „Jüdische Kultusvereinigung – Synagogengemeinde Halberstadt e. V.“ Das Schreiben trägt die Unterschrift des Magdeburger Rechtsanwalts Dr. Martin Cohn. 90 Magdeburg war Sammelort für den Abtransport der Juden aus den umliegenden Ortschaften. Am 10. April 1942 teilte der Oberfinanzpräsident Magdeburgs mit, „Juden, die nicht in volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben beschäftigt sind, werden demnächst in eine Stadt in den Ostgebieten abgeschoben, nach fernmündlicher Feststellung bei der Geheimen Staatspolizei Magdeburg wird die Abschiebung voraussichtlich am 14. April 1942 erfolgen.“ Die beigefügte Liste führt 461 Juden aus 30 verschiedenen Ortschaften der Umgebung Magdeburgs auf, davon waren 104 aus Halberstadt. LHASA, MD, Rep. G 1, Nr. 390, Bl. 15–17. 91 Zu der Namensliste der am 12. April 1942 deportierten Juden vgl. YVA (Yad Vashem Archives), Slg. 041, Nr. 638, Halberstadt, Bl. 1–5, hier Bl. 3, 5. Diese konnte im Bundesarchiv (Berlin) eingesehen werden. Insgesamt verzeichnet die Liste 101 Personen. Eine Liste der aus Halberstadt deportierten Juden befindet sich auch in Hartmann, Geschichte, 1995, S. 15f. 92 Vgl. Gottwald, Alfred u. Diana Schulle: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005. S. 193.

Das Ende der Hascharath Zwi und der jüdischen Gemeinde Halberstadt 

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mit den Neuankömmlingen aus Deutschland ein. Es sieht nach 1.000 Personen aus. Ich begleite den Transport zur Judaistischen Bibliothek.“93 Auch der jüdische Leiter des am 5. April angekommenen 12. Berliner Deportationszuges berichtet in seinen Aufzeichnungen vom 20. April: „Vor 3 Tagen kam ein neuer Transport hier an. Transportleiter waren Herr N. aus Radinkendorf (ein jüdisches Umschulungslager für Landwirtschaft) und Herr Dr. K. aus Magdeburg. Ich nahm Gelegenheit, die neuen Umsiedler zu begrüßen und ihnen mit einigen Damen und Herren unseres Transportes bei der Einrichtung ihres neuen Wohnheimes so weit wie möglich zu helfen.“94 Die außerhalb des Warschauer Gettos untergebrachten Juden aus Gelsenkirchen, Münster, Hannover, Berlin, Magdeburg, Potsdam und Theresienstadt gehörten zu den ersten, die Ende Juli 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert wurden.95 Ein jüdischer Mitarbeiter des Arbeitsamtes beschrieb den Zustand der verlassenen Häuser nach den Abtransporten wie folgt: Nach der Aktion hatte ich als Mitglied der Aufräumkolonne ein paarmal die Möglichkeit die Hinterlassenschaften der Weggebrachten in der Tlamackie-Straße zu betrachten […]. Überrascht vom ersten Tag der Aktion, gingen sie so, wie sie angetroffen wurden – während des Essens, manchmal aus den Betten geholt, wie die hinterlassenen Requisiten bezeugen. Sie gingen, wie sie waren, manche mit unverbesserlichem Vertrauen auf ihre Landsleute, darauf, dass sie nach Osten fahren, zur Arbeit. Wie die vornehme Dame aus Magdeburg, die zu mir ins Amt kam, um etwas zu erledigen. „Doch, ich habe eine Quittung erhalten, behördlich[er] weise ausgestellt. Selbst der deutsche Kolonnenführer hat mir dies unterschrieben und mit Siegel versorgt.“ Eine Quittung für die vor der Quarantäne im Depot hinterlegten Wertsachen und Schmuckstücke. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie nicht zurückkommt […].96

Einige Monate später, am 29. November, erfolgte die zweite Deportation der verbliebenen älteren Halberstädter Juden nach Theresienstadt, unter ihnen befanden sich auch die Schwiegereltern Jakob Lundners, Josef und Sarchen Bachmann.97 Diese waren in den letzten sogenannten „Judenhäusern“ untergebracht gewesen. Hierbei handelt es sich um das Vorderhaus Westendorf 15,

93 Czerniaków, Adam: Im Warschauer Getto. Das Tagebuch des Adam Czerniaków 1939–1942. München 1986. S. 243. 94 Zitiert nach Friedrich, Klaus-Peter (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 9: Polen: Generalgouvernement August 1941–1945. München 2014. Dok. 65. S. 256–259, hier S. 258f. 95 Vgl. Friedrich, Die Verfolgung, 2014, Dok. 65. S. 256–259, hier S. 259, Anm. 12; Dok. 107, S. 360–362, hier S. 360, Anm. 9. 96 Zitiert nach Friedrich, Die Verfolgung, 2014, Dok. 107, S. 360–362, hier S. 361. 97 Vgl. Hartmann, Geschichte, 1995, S. 16. Vgl. auch Gottwald u. Schulle, Die „Judendeportationen“, 2005, S. 344.

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in dem auch zuletzt die Familie Lundner lebte, und um das im Dezember 1912 errichtete jüdische Altersheim in der Wilhelmstraße 14a.98 Heute erinnert eine Gedenktafel, initiiert vom „Verein zur Bewahrung jüdischen Erbes in Halberstadt und Umgebung e. V.“ am Vorderhaus Westendorf 15 an die dort ehemals ansässige Familie Lundner und an Jakob Lundner als den letzten Leiter der auf dem hinteren Grundstück gelegenen Hascharath Zwi. Weiterhin mahnen die zu DDR-Zeiten aufgestellte Menora vor dem Dom und die nach der Wiedervereinigung unweit davon errichteten Stelen namentlich an die von dort deportierten Halberstädter Juden. 1998 war die Außensanierung der Klaussynagoge im Rosenwinkel 18, in der ehemals die Schule untergebracht war, abgeschlossen. Bei der Innengestaltung bemühte man sich um eine größtmögliche Annäherung an die ursprüngliche Raumnutzung.99 Heute befindet sich in den Räumen die Moses Mendelssohn Akademie, die zusammen mit dem 2006 eröffneten Berend Lehmann Museum an die Geschichte der jüdischen Gemeinde erinnert.100

98 Eine Namensliste der nach Theresienstadt Deportierten befindet sich in: Hartmann, Geschichte, 1995, S. 16. Fast alle starben nach einigen Wochen an Entkräftung, Hunger und Krankheit. Vgl. dazu www.holocaust.cz. Die vermutlich einzige Überlebende dieses Transports war die aus Wernigerode stammende Delfine Spiro. Vgl. Hartmann, Zu Geschichte, 1994, S. 15. 99 Vgl. Brülls, Synagogen, 1998, S. 135. 100 Zur Moses Mendelssohn Akademie vgl. www.moses-mendelssohn-akademie.de

5 Zusammenfassung Die Anstalt hat zu allen Zeiten ihrem Stifter Ehre gemacht. Die Absicht desselben ist im besten Sinne verwirklicht worden, und die Schule repräsentiert heute ein Institut, um welches unsere Gemeinde von vielen jüdischen Gemeinden Deutschlands beneidet werden darf. Ursprünglich nur den Elementar-Unterricht einer Volksschule umfassend, hat die Schule es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, ihre Zöglinge bis zum 12. Lebensjahre so heranzubilden, daß, während ein fester Boden jüdisch=religiöser Ausbildung gewonnen wird, auf welchem das Kind zum gebildeten Juden heranreifen kann, und seine Vorbildung in allgemeinen Wissensfächern soweit gefördert wird, daß der Besuch einer höheren Schule (eines Gymnasiums bzw. einer höheren Töchterschule) ohne Schwierigkeiten stattfinden kann […].1

Als Vorschau auf die Feier zum 100-jährigen Bestehen der Hascharath Zwi erschien am 24. September 1895 in der Jüdischen Presse diese Mitteilung eines anonymen Autors, in der er die positive Entwicklung der Schule würdigte. Das pädagogische Konzept der Schule war darauf ausgerichtet, einen qualitativ modernen Unterricht mit integriertem religiösen Anteil einschließlich Hebräisch anzubieten, der eine gesetzestreue Lebensweise, ganz im Sinne der Gemeinde, förderte und gleichwohl den Weg in die bürgerliche Gesellschaft ebnete. Dabei gelang es dem in der alten jüdischen Tradition verhafteten Stifter Hirsch Isaac Borchert mit Weitblick und großem Engagement eine Einrichtung zu schaffen, die das Fundament für eine Verbindung von religiöser und allgemeiner Bildung legte und 146 Jahre bestehen sollte. Das 1796 von Borchert zur Verfügung gestellte Stiftungskapital sowie sein Gründungskonzept sicherten den Lehrern neben einem eigenen Schulhaus über viele Jahrzehnte hinweg ein geregeltes Einkommen. Die zunächst nur von wenigen Knaben besuchte Schule zeichnete sich besonders durch Bewahrung religiöser und Förderung weltlicher Bildung aus, und obwohl das Hebräische und die religiösen Fächer zunächst noch den Lehrplan dominierten, wurde regelmäßiger Unterricht in Elementarfächern wie Schreiben, Lesen und Rechnen erteilt, für den erstmalig ein christlicher Lehrer eingestellt worden war. Dennoch befand sich die Borchertsche Einrichtung kurze Zeit nach ihrer Gründung in einer schwierigen Situation: Mit Halberstadt als Sitz der Regierung des Saale-Departements im neu gegründeten Königreich Westphalen unterstanden die Juden in den Jahren 1807 bis 1813 dem israelitischen Konsistorium in Kassel. Im Zuge des hierbei eingeleiteten Emanzipationsprozesses, der den Juden größeren wirtschaftlichen und sozialen Freiraum eröffnete, opponierte der

1 JP 26 (1895). Nr. 39. S. 411. DOI 10.1515/9783110470802-006

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Gemeindevorstand gegen die vom Konsistorium vorangetriebenen Reformen im jüdischen Bildungswesen. Wobei die unter Leitung des Lehrers Magnus Rosenbach neu gegründete Konsistorialschule erstmals allen jüdischen Schülern der Gemeinde offen stand und Knaben sowie Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden. Die gefächerten Lehrpläne dokumentieren, dass der Elementarunterricht einen höheren Stellenwert einnahm als zuvor und der Talmudunterricht für die älteren Knaben zwar beibehalten wurde, aber nicht mehr im Mittelpunkt stand. Unter Vermeidung einer offenen Auseinandersetzung widersetzte sich die gesetzestreue Gemeinde zunächst erfolgreich der Zusammenlegung von Konsistorialschule und Hascharath Zwi. In dieser Zeit stagnierte der Schulbetrieb der Hascharath Zwi, ihre Auflösung ließ sich jedoch nicht länger verhindern, sodass nur die Konsistorialschule bestand. Nach Ende des Königreichs Westphalen 1813 wurde die Hascharath Zwi reorganisiert. Aufschwung und Kontinuität traten für die jüdische Schule erst nach dem preußischen Ministerialreskript von 1824 und der darin festgelegten Prüfungspflicht für jüdische Lehrer und mit dem sich zeitnah anschließenden Schulkonzept des neu konstituierten Schulvorstands ein. Dieses knüpfte zwar an das vorherige an, indem der Religionsunterricht – einschließlich Hebräisch und Talmudunterricht für die älteren Knaben – wieder mehr in den Vordergrund rückte, gleichwohl behielt man die Stundenzahl der Elementarfächer ähnlich der Konsistorialschule bei und integrierte nach kurzer Zeit eine Mädchenschule. Dabei erwies sich die Wahl der drei neuen Lehrer, Gerson Lasch als Oberlehrer sowie Hirsch Joseph und Ascher Samter, als vielversprechend für den weiteren Werdegang der Schule. Von nun an unterstand die Hascharath Zwi der städtischen und ministeriellen Schulaufsicht. Entscheidend für ihre weitere Entwicklung war der Magdeburger Reformpädagoge Carl Christoph Gottlieb Zerrenner, der als Konsistorial- und Schulrat wesentlichen Einfluss auf die Unterrichtsmethoden des Elementarunterrichts nahm und die Teilnahme der jüdischen Lehrer an den pädagogischen Diskussionskreisen des Halberstädter Lehrerseminars förderte. Bezüglich des Hebräischen und des religiösen Unterrichts übten die Beamten der Schulbehörde Zurückhaltung und überließen deren Organisation ganz dem Schulvorstand und den Lehrern. Es entwickelte sich zwischen Lehrern und Provinzialschulbeamten ein überaus konstruktives Verhältnis. Weiterhin zeigt sich am Beispiel Gerson Laschs und Hirsch Josephs, dass die eingeführte Prüfungspflicht für jüdische Lehrer zur Anhebung ihres Qualifikationsprofils beitrug und ihnen zu mehr Ansehen und Selbstbewusstsein verhalf. Die gefestigte Position der Lehrer, die auf ihrer ökonomischen Unabhängigkeit sowohl von kommunaler als auch von staatlicher Seite beruhte, eröffnete ihnen einen großen Handlungsspielraum gegenüber den Behörden, den sie für die Erhaltung und das Wohl der Schule als

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auch für ihre eigenen pädagogischen Ziele nutzten. Wenngleich es auch immer wieder zu Differenzen zwischen Lehrern und Schulvorstand kam bezüglich der Höhe der Lehrergehälter und der Schulgelderhebungen, oder aufgrund der Weigerung der Gemeinde, sich an den Schulkosten zu beteiligen, so haben besonders das über Jahrzehnte hinweg engagierte Wirken der beiden Lehrer Gerson Lasch und Hirsch Joseph und des Vorstands dazu beigetragen, dass sich die Schule zu einer angesehenen sogenannten mittleren Elementarschule entwickeln konnte, die von der Mehrheit der jüdischen Schüler besucht wurde. Mit der Maßgabe, der jüdischen Jugend eine konstante religiöse Unterweisung zu garantieren, wurde 1824 neben der neugestalteten Hascharath Zwi die Talmud Tora, später auch „Israelitische Religionsschule“ genannt, eingerichtet. Der Religionsunterricht wurde von den Lehrern der Hascharath Zwi erteilt und war für diejenigen Schüler gedacht, die bereits die Stadtschulen bzw. Gymnasien besuchten. Da die Gemeinde streng auf den Besuch der Talmud Tora achtete, erstaunt es nicht, dass der Religionsunterricht immer wieder thematisiert und hartnäckig diejenigen Eltern bedrängt wurden, die ihre Kinder nicht daran teilnehmen ließen. Wie sich den Aussagen der ehemaligen Schüler entnehmen lässt, sorgte man auch in den 1930er-Jahren noch für einen separaten Religionsunterricht, der von den Klausrabbinern erteilt wurde. Bis Ende der 1860er-Jahre hatte der Vorstand am Schulkonzept der mittleren Elementarschule, die acht Jahrgangsstufen umfasste, festgehalten, danach veränderte man es mit Blick auf den sozialen Aufstiegsgedanken im deutschen Judentum. Dieses geschah unter dem zunehmenden Einfluss des Schulvorstands, besonders aber unter Mitwirkung des neuen Gemeinderabbiners Benjamin Hirsch Auerbach, der, wenn auch nicht offiziell von der Schulbehörde bestätigt, die Leitung der Schule übernahm, und des zum Schulvorstand gehörenden einflussreichen Kommerzienrats Joseph Hirsch. Statt einer achtjährigen Beschulung der Kinder hielt man nur noch an den Grundschulklassen fest und richtete parallel dazu eine Sexta und Quinta ein, die zur Aufnahme an den höheren Stadtschulen und Gymnasien befähigten. Wie sich herausstellte eine wohlüberlegte Entscheidung, denn damit wurde die Schule den Reformen des preußischen Volkschulwesens von 1872 erfolgreich entzogen. Die Versuche der folgenden Schulräte, Einfluss auf das Schulkonzept zu nehmen und den Vorstand von der Umwandlung in eine Volksschule zu überzeugen, schlugen fehl, da auch die nächste Generation der Schulverantwortlichen  – Gemeinderabbiner Selig Auerbach und Firmenoberhaupt Benjamin Hirsch – daran festhielt. Der Schulvorstand hob gegenüber den Behörden immer wieder den Privatstatus der Schule hervor und lehnte die Anerkennung als Volksschule konsequent ab, zum einen mit dem Ziel, den Einfluss der Schulbehörde auf den Hebräisch- und integrierten Religionsunterricht so gering wie möglich

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zu halten, und zum anderen, um den Schülern den Besuch höherer Schulen bzw. Gymnasien zu ermöglichen. Die relativ hohe Partizipation jüdischer Schüler an höheren Bildungseinrichtungen der Stadt bestätigte den Erfolg des ab 1868 verfolgten Schulkonzepts, das bis in die 1930er-Jahre beibehalten wurde. Somit besaß die Hascharath Zwi zweifelsohne eine Sonderstellung und ließ sich nicht in das Gefüge der städtischen Schullandschaft einreihen. Trotz der staatlichen Vorgaben wie Schulstruktur und Schuljahresverlauf bewahrte sie ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Für die Zeit nach 1933 lassen sich nur wenige Aussagen zum pädagogischen Schulalltag treffen. Inwieweit es zu antisemitischen Aktionen gegen die Schule bzw. Anfeindungen gegen Lehrer und Schüler gekommen ist, lässt sich lediglich den Ausführungen des letzten Rabbiners, Hirsch Benjamin Auerbach, und den Erinnerungen ehemaliger Schüler entnehmen. Als Folge der nationalsozialistischen Gesetzgebung und der zunehmenden Ausgrenzung aus den öffentlichen Schulen der Stadt blieb den jüdischen Schülern nur der Rückzug in das Geborgenheit bietende Umfeld der jüdischen Schule, die bis 1942 als Zufluchtsstätte diente. Über die Zahl der emigrierten Schüler lassen sich keine genauen Angaben machen, wurde die Schule im Mai 1935 noch von 70 jüdischen Schülern besucht, waren es im Februar 1940 noch elf. Jakob Lundner, dem es in den letzten Jahren gelungen war, ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Schülern aufzubauen, hatte es als letzter Lehrer und Leiter der Hascharath Zwi auf sich genommen, die Schule in diesen bedrohlichen Zeiten zu führen. Ihm und seiner Familie sowie einigen Schülern gelang die Flucht nicht mehr. Mit ihrer Deportation am 12. April 1942 findet die Schule ihr Ende.

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Abkürzungen ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

Anm.

Anmerkung

AZJ

Allgemeine Zeitung des Judenthums

BBF

Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (Berlin)

Bearb.

Bearbeiter

Bd./Bde.

Band/Bände

Bl.

Blatt

BLBI

Bulletin des Leo Baeck Instituts

CAHJP

The Central Archives for the History of the Jewish People (Jerusalem)

CCN

CJA

Chevrat Chinuch Nearim. Die jüdische Freischule in Berlin 1778–1825 im Umfeld preußischer Bildungspolitik und jüdischer Kultusreform. 2 Teile. Münster [u. a.] 2001 Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“, Archiv (Berlin)

C.V.

Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens

DIGB

Deutsch-Israelitischer Gemeindebund

GStA PK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin)

HB

Halberstädter Bund

Hrsg.

Herausgeber

HStAH

Historisches Stadtarchiv Halberstadt

JJLG

Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft

Jg./Jgg.

Jahrgang/Jahrgänge

JP

Die jüdische Presse

LBIJMB

Leo Baeck Institute Jüdisches Museum Berlin

LBIYB

Leo Baeck Institute Year Book

LHASA, MD

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (Magdeburg)

MGUMA

Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten

MGWJ

Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums

o. J.

ohne Jahr

o. O.

ohne Ort

RV

1933 Reichsvertretung der deutschen Juden, 1935 Reichsvertretung der Juden in Deutschland, 1939 Reichsvereinigung der Juden in Deutschland

Slg.

Sammlung

TZW

Der treue Zions-Wächter

VBG

Volksschullehrerbesoldungsgesetz

VUOD

Vertretung der Unabhängigen Jüdischen Orthodoxie Deutschlands

YVA

Yad Vashem Archives (Jerusalem)

ZDSJ

Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden

ZGJ

Zeitschrift für die Geschichte der Juden (Tel Aviv)

Glossar Adar: 6. Monat des jüdischen Kalenders, Februar/März Bachur, Bachurim (Pl.): Junge; Talmudstudent Beth Hamidrasch: Traditionelles Lehrhaus für das Talmud-Studium Chasan: Vorbeter, Vorsänger (Kantor) in der Synagoge Cheder, Chadarim (Pl.): Stube, Zimmer; traditionelle religiöse Schule Chewra(h), Chewrot(h) (Pl.): Gesellschaft, Vereinigung; allgemeine Bezeichnung für traditionelle jüdische Vereine Chewrat Chinuch Nearim: Gesellschaft für Knabenerziehung; hebräische Bezeichnung der jüdischen Freischule in Berlin Chumesch: Abkürzung für Chamischa Chumschei Tora; Tora, die fünf Bücher Mose Darké Noam: Weg der Milde; Titel des Buches Leitfaden zur Religionslehre für israelitische Schulen von Gerson Lasch Divrei Schalom we-Emet: Worte des Friedens und der Wahrheit; Titel des ersten Sendschreibens Naphtali Herz Wesselys Gemara: Auslegung der Mischna im Talmud Hachschara, Hachscharot (Pl.): Vorbereitung, Ertüchtigung; berufliche Ausbildung für ein Arbeitsleben in Palästina Haskala: Aufklärung, Bildung; Jüdische Aufklärungsbewegung Iwrit, Iwrit(h): Hebräisch; Modernes Hebräisch (Neuhebräisch) Jeschiwa, Jeschiwot (Pl.): Höhere Talmudschule Kahal, Kehilla(h): Jüdische Gemeinde Masechet, Masechtot (Pl.): Traktat des Talmuds Maskil, Maskilim (Pl.): Vertreter der Jüdischen Aufklärung, der Haskala Melamed, Melamdim (Pl.): Kinderlehrer, auch Wanderlehrer für den Unterricht im Hebräischen und den religiösen Fächern Mevin Safah: Fachmann der Sprache; Titel des Hilfsbuchs zur Präparation beim Uebersetzen der Gebete von Gerson Lasch Mischna: Wiederholung; in sechs Hauptteile und 63 Traktate eingeteilte Lehrsammlung; sie ist der Kern der mündlichen Lehre und bildet zusammen mit der Gemara den Talmud Mohel, Mohalim (Pl.): Beschneider Pentateuch: Griechische Bezeichnung für die Tora, die fünf Bücher Mose Pikude H[a-Schem]: Auftrag des Ewigen; Titel des Buches Die göttlichen Gesetze von Gerson Lasch

284 

 Glossar

Pirke Awot: Sprüche der Väter; Traktat der Mischna Pisuk: Zeichensetzung, Interpunktion Raschi: Salomo ben Isaak; Bibel- und Talmudkommentator des 11. Jahrhunderts Schechita(h): Schächten; rituelles Schlachten nach den Vorschriften der Tora Schemirat Schabbat: Einhaltung des Schabbats Schulchan Aruch: Gedeckter Tisch; Titel eines lange Zeit maßgeblichen Kompendiums religiöser Vorschriften, zusammengestellt von Josef Karo im 16. Jahrhundert Sefer ha-Chinuch: Buch der Erziehung von Aron Halevy, spanischer Talmudist im 13. Jahrhundert Sukkot: Hütten; Bezeichnung für das Laubhüttenfest Takkanot: Verordnungen, Vorschriften Talmud Tora: Bezeichnung für die traditionelle Religionsschule Talmud: Lernen, Studium; zentrales Werk der rabbinischen Literatur, umfasst die Traktate der Mischna und die Kommentare der Gemara; Jerusalemer und Babylonischer Talmud Tefillah: Gebet Tewet: 4. Monat des jüdischen Kalenders, Dezember/Januar Tischri: 1. Monat des jüdischen Kalenders, September/Oktober Tora: Lehre, Unterweisung; Bezeichnung für die fünf Bücher Mose, auch Pentateuch Tora im Derech Erez: Tora mit dem Weg des Landes; von Rabbiner Samson Raphael Hirsch im 19. Jahrhundert entwickelte Vorstellung von traditionellem jüdischen Leben in einer modernen Welt Tossafot: Hinzufügungen; Sammlung von Erklärungen und Zusätzen zu Talmud-Kommentaren.

Nachweise der Abbildungen und Dokumente Nachweis der Abbildungen 1

Privat: Beate Reupke

2

Privatarchiv: Werner Hartmann, Halberstadt

3

Privat: Beate Reupke

4

Privatarchiv: Eric J. Mayer, Israel

5

Privatarchiv: Werner Hartmann, Halberstadt

6

Privatarchiv: Werner Hartmann, Halberstadt

7

Privat: Beate Reupke

8

Privatarchiv: Werner Hartmann, Halberstadt

9

Betty Nathansen, Israel; Richard Jost Tannenberg, Deutschland

10

Betty Nathansen, Israel

11

Betty Nathansen, Israel

12

Richard Jost Tannenberg, Deutschland

13

Judith Biran, Israel

14

Betty Nathansen, Israel; Richard Jost Tannenberg, Deutschland

15

Betty Nathansen, Israel; Benno Gocman, England

16

Betty Nathansen, Israel; Benno Gocman, England

17

Benno Gocman, England

18

Judith Biran, Israel

Nachweis der Dokumente 1

Bauarchiv Halberstadt, Bauakte A 3401, Judenstraße 27

2

Bauarchiv Halberstadt, Bauakte A 3408.a, Judenstraße 18

3

Lüdemann, Monika: Quartiere und Profanbauten der Juden in Halberstadt. Diss. TU Braunschweig 2003. S. 46

4

Privat: Beate Reupke

5

Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, Berlin

6

Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M.

7

Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M.

8

Jüdische National- und Universitätsbibliothek, Jerusalem

9

Privatarchiv: Eric J. Mayer, Israel

10

Der Israelit 8 (1867). S. 99

11

Privatarchiv: Judith Biran, Israel

12

Privatarchiv: Judith Biran, Israel

Personenregister Adler, Salomon 177 Ahlenfeld, Lazarus 93 Alexander, Juda (1775–1849) 41, 49–51, 95–97, 115–117, 123, 136, 174 Alfeis, Sofie 218 Altenstein, Karl Sigmund Franz vom Stein zum (1770–1840) 78 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar u. Eisenach (1739–1807) 110 Asch, Löbel 77 Asch, Simon 76f. Ascher, Moses 41 Auerbach, Aron, geb. 1923 235 Auerbach, Baruch (1793–1864) 155 Auerbach, Benjamin Hirsch (1808–1872) 13, 127, 157, 166, 179f., 257 Auerbach, Hirsch Benjamin (1873–1952)  214, 230 Auerbach, Hirsch Benjamin (1901–1973) 12f., 225–227, 229f., 232f., 239, 245f., 248, 258 Auerbach, Isaak (1870–1932) 149, 197–205, 207, 209, 214, 226, 230 Auerbach, Julie, verh. Hirsch (1844–1916) 179 Auerbach, Miriam (1905–?) 204 Auerbach, Moses (1881–1976) 201, 214 Auerbach, Recha, geb. Meyer 239 Auerbach, Siegmund Selig (1840–1901) 158, 179–182, 187–192, 197, 214, 229, 257 August der Starke, s. Friedrich August I. von Sachsen Bachmann, Josef (1866–1943) 253 Bachmann, Sarchen (1874–1943) 253 Baeck, Leo 223 Baer, Betty, s. Nathansen, Betty (Batia) Baer, Emil (1850–1922) 188, 192, 230 Baer, Emil (1922–?) 230, 235, 237, 239f., 243 Baer, Helene, verh. Barth 198, 203 Baer, Israel Samuel 95–97, 113 Baer, Joseph (1883–1972) 230 Baer, Max (1881–?) 216 Baer, Philipp 205 Baer, Samuel 188, 230 Baer, Samuel (Lehrer) (1811–1870) 13, 113f., 122, 136, 141, 143, 145, 151, 172, 216, 230

Baer, Theodor (1884–1975) 216 Bamberger, Julie 229 Basedow, Johann Bernhard (1724–1790) 80 Beer, Peter (1758–1838) 126 Bendavid, Lazarus (1762–1832) 2 Bendavid, Simon (1781–1846) 74, 96, 148f. Bening, ? (christl. Lehrer) 113 Berliner, Justin 205 Bernays, Isaac (1792–1849) 42 Bernhard, Levy 91 Beverstein, Walter, geb. 1923 235, 240 Bialeh, Hirsch (Charif) (1670–1748) 34 Biebersheim, Jacob (ca. 1785–1838) 73, 96, 101, 110f., 113, 126 Biran, Judith, geb. Weiß, später Winter, geb. 1921 18, 209, 212, 230, 234, 238, 250 Blach, Hermann, geb. 1923 230, 235, 239 Blach, Joseph (1855–1916) 188, 198, 203, 216 Blach, Julius (1887–?) 216 Blach, Samuel 188 Bloch, Marianne 240 Bluhm, Kurt (1926–1942 deportiert) 252 Blumenthal, Julius 109 Blumenthal, ? (Kreisbauinspektor, Halberstadt) 165 Blumenthal, ? (Sanitätsrat, Berlin) 192 Bock, Albert 92 Böhme, Joseph (1800–?) 76 Böhme, Süßel David (1770–?) 38f., 42, 76 Böhme, Wolff (1786–?) 95, 111f., 121, 174 Böttcher, Gustav (1826–1895) 187 Borchert, Baruch Jacob (1863–?) 36–38 Borchert, Esther, verh. Heinemann 37 Borchert, Hirsch Isaac (1732–1795) 4, 6, 15, 27, 34–42, 94, 122f., 255 Borchert, Isaac 29, 34f. Borchert, Jacob Isaac 37 Brandt, Margarethe 198 Brederlow, Karl Gottlieb Friedrich (1794–1858)  105–107 Brisk, Moses 34 Brünken, Julius von (1798–1875) 116f., 140 Calvary, Esther, geb. Hildesheimer 189 Calvary, Gotthard 189

288 

 Personenregister

Calvary, Moses (1876–1944) 189–191 Campe, Joachim Heinrich (1746–1818) 80 Carlebach, Emanuel (1874–1927) 201 Chalasch, Abraham 29 Cohn, Abraham (Lehrer in Derenburg) 100 Cohn, Abraham (1906–?) 229f., 236 Cohn, Ernst (1886–1942 deportiert) 248, 250 Cohn, Johanne 188 Cohn, Lilly, s. Rosenberg, Lillyan Cohn, Martin 193, 252 Cohn, Philip 227 Cohn, Salomon (Schlaumoh, Schlomo) (1830–1907) 190, 200 Cohn, Werner, geb.1922 240 Cohn, Wolff 29 Culemann, Wilhelm Heinrich (1677–1746) 36 Cunow, Carl Friedrich (1749–1829) 36–38, 42f., 45 Czerniaków, Adam (1880–1942) 252 Dahlheim, ? 112 David, Alexander (1687–1765) 28f., 159 Dessauer, Emma 156 Dessauer, Joseph 156 Dessauer, Julius 156 Dohm, Christian Wilhelm von (1751–1820) 2 Edelnand, Ida (1927–1942 deportiert) 252 Edelnand, Salli (John), geb. 1924 240, 242f., 250 Eger, Akiba (auch Jacob Wolf Egers) (1769–1823) 30, 66, 71 Eger, Löb (auch Levin Jacob Eger) (1745–1814) 30f., 60, 62–65, 90, 118 Eger, Sabel (auch Samuel Levin Meyer) (1769–1842) 30, 39f., 60, 118, 150, 173 Egers, Hermann 192 Egers, Jacob (1834–1891) 149 Egers, Joseph (Jacob) (1794–1854) 116f., 123, 136, 139, 149 Ehrentreu, J. 201 Ehrmann, Salomon (1885–1965) 225 Eichenberg, Simon 154 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich (1779–1856) 123f. Elbogen, Ismar 224 Elias, Wolf 30

Elkan, Meyer (1811–?) 112 Eppstein, Harry 177 Epstein, Jacob (1833–1913) 188 Eschwege, Joseph 204, 206–209 Ettlinger, Jacob (1798–1871) 114, 149, 155 Falk, Adalbert (1827–1900) 175f. Fink, Daniel (1862–nach 1932) 182 Fischer, Gottlob Nathanael (1748–1800)  49, 75 Fleischhauer, ? (Schulbote) 139 Fränkel, David (1779–1856) 57f. Fränkel, Elsa 186f. Francke, August Wilhelm (1785–1851) 80, 92 Frankl, Ernst (1909–?) 219 Frankl, Philipp (1876–1944) 200, 219, 229–231 Frenkel, Resi 204, 207f., 230 Friedländer, David (1750–1834) 3, 48 Friedländer, Joel 28, 151, 156f., 169 Friedrich II., König in Preußen (1712–1786) 110 Friedrich August I. von Sachsen (August der Starke) (1670–1733) 31 Friedrich Wilhelm von Brandenburg (Großer Kurfürst) (1620–1688) 20–22 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen (1688–1740) 33, 35, 45 Friedrich Wilhelm III., König in Preußen (1770–1840) 47, 109 Friedrich Wilhelm IV., König in Preußen (1795–1861) 109 Fürst, Paula 248 Gabriel, ? (Lehrer) 204 Gelder, Elias van (1840–1906) 183f., 187f., 192, 198, 207 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig (1719–1803) 75 Glückel von Hameln (auch Glikl bas Juda Leib) (1646–1724) 24 Gocman, Benno, geb. 1926 18, 234, 240–242, 245f., 249 Gocmann, Benjamin 246, 249 Göttingen, Naphtali Hirsch (1743–1835) 71, 97 Göttinger, Arnold 153f. Goldschmidt, Salomon 109 Goldschmidt, Salomon (1882–?) 225 Goldschmidt, Simon 174 Goldstein, Ernst (1891–?) 216

Personenregister  Goßler, Wilhelm Christian (1756–1835) 64 Gottschalk, Abraham 30, 159 Gottschalk, Gert 242 Gottschalk, Günther (1927–1942 deportiert) 252 Gottschalk, Menasse 109 Gronemann, Sammy (1875–1952) 191f. Gronemann, Selig (1843–1918) 191 Grossang, Frl. 236 Grubenhaus, Jehuda (Juda) 67 Grynszpan, Herschel (1921–1942) 244 Gumbrich, Joel 75 Hagelberg, Wolf 154 Hahn, ? (Konsistorialrat, Magdeburg) 143 Harnisch, Wilhelm (1787–1864) 128f. Heilmann, Helga 235, 237, 239 Heine, ? (christl. Lehrer) 183, 187 Heine, Dorothea 218 Heinemann, Frl. 204 Heinemann, Hirsch 95 Heinemann, Isaac 96 Heinemann, Itzig Sußmann 37 Heinemann, Jeremias(1778–1855) 57–59, 63f. Heinemann, Jeremias 97 Heinemann, Levin 76 Heinemann, Simon 76 Heinemann, Sußmann 37, 40f., 49 Heinemann, Wolf 76 Helft, Arthur 197 Helft, Gottschalk 30 Helft, Isaac (1792–1848) 117 Heller, Joseph 123, 136 Hemprich, Frl. 204 Hertel, ? (Oberregierungsrat, Magdeburg)  117, 160 Herz, Joseph (?–1823) 40f., 63 Herz(er), Juda (1761–1815) 41, 50, 64, 66, 107 Herzberg, Moritz 160 Heydrich, Reinhard 245 Heyer, Conrad Benjamin Franz (1750–1831)  36, 42 Hildesheimer, Abraham (1797–1844) 97, 101, 116f., 119, 139f., 150 Hildesheimer, Aron (1852–1943) 189f. Hildesheimer, Esriel (Hans) (1912–1998) 200, 203–205, 216, 220

 289

Hildesheimer, Esriel (Israel Levy) (1820–1899)  97, 148–150, 153–155, 189, 191f., 204, 214 Hildesheimer, Golde, geb. Joseph 148 Hildesheimer, Henriette, geb. Hirsch (1824–1883) 149 Hildesheimer, Levy Moses (auch Jehuda Löb Glee) (1762–1832) 97, 148 Hirsch, Abraham (1867–1920) 188, 214 Hirsch Alexi 112 Hirsch, Aron (Gründer der Firma Aron Hirsch & Sohn) (1783–1842) 97, 116f., 149, 154 Hirsch, Aron (1858–1942) 189 Hirsch, Aron Joseph (1845–1880) 188, 214 Hirsch, Benjamin (1840–1911) 166, 179, 182, 188, 194f., 197, 214, 257 Hirsch, Emil (1870–1938) 188, 214, 220 Hirsch, Gabriel (1860–1913) 188, 192, 199 Hirsch, Gustav (1822–1898) 179, 189,192 Hirsch, Henriette, geb. Hildesheimer (1884–1970) 150 Hirsch, Hermann 109 Hirsch, Itzig 109 Hirsch, Joseph (1806–1871) 123, 135f., 149, 179f., 182, 188f., 257 Hirsch, Moses 94 Hirsch, Rosa, verh. Auerbach (1843–1932) 179 Hirsch, Salomon 160 Hirsch, Salomon (Scholaum) (1827–1859) 154 Hirsch, Samson Raphael (1808–1888) 127, 144, 150 Hirsch, Samuel 76 Hirsch, Siegmund (1831–1877) 189 Hirschfeld, Samuel 116f., 136 Hoene, ? (Regierungsrat) 206 Hüllmann, Elisabeth 218 Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) 79 Isaac, Levin 34 Israel, Jacob 40 Isserles, Moses ben Israel (1525–1572) 34 Itzig, Ludwig 92 Jacob, Gerson 48 Jacobi, Daniel 91 Jacobs, ? (Lehrer) 204 Jacobson, Albert 188 Jacobson, Israel (1768–1828) 56–60, 165

290 

 Personenregister

Jacobson, Meyer zu Schulzendorf (1789–1877) 165 Jahr, Carl 186 Jeretzky, Meier (1769–1842) 108, 139, 153 Jérôme Bonaparte (1784–1860) 55 Johlson, Joseph (1777–1851) 126 John, Jitzig 30 Josaphat, Gerson (1808–1883) 108, 116f., 136, 139, 149f., 153, 157, 173, 179, 183 Joseph, Adele 110 Joseph, Egmont Ephraim 110 Joseph, Hale, geb. Juda Levin 76 Joseph, Hirsch (1803–1879) 28, 74, 95, 97f., 100, 107, 110, 112, 114–116, 118, 120, 125, 130–132, 136–139, 141, 164, 167–169, 172, 198, 228, 256f. Joseph, Juda Ruben, s. Rubo, Julius Joseph, Julius (Jacob) (1847–1920) 110, 163f., 198, 228 Joseph, Moritz (Moses) (1850–?) 110, 188, 192–194 Joseph, Moses 110 Joseph, Pauline, geb. Frankenbach 110 Joseph, Therese, geb. Frankenbach (?–1855) 110 Joseph, Therese (1882–1917) 198 Joseph II. von Habsburg (1741–1790) 3 Kalkar, Simon (1756–1812) 57–59, 63f. Karmiol, Bertel 240, 242 Karmiol, Mane 235, 240 Kirchheim, Joel 29 Klewitz, Wilhelm Anton von (1760–1838) 174 Knopf, Erna, geb. 1925 240, 242 Knopf, Hans, geb. 1931 240 Knopf, Lazar, geb. 1927 235, 240 Knopf, Max, geb. 1926 240 Knopf, Salli (1928–1972) 240 Kober, Fanny 204, 208 Kober, Josef 157 Kober, Werner (Dieter), geb. 1922 220 Kober, Wilhelm 157f. Koch, Johann Friedrich Wilhelm (1759–1831) 80 Koch, ? (Lehrer) 204 Königshofer, Emanuel (1908–?) 216 Kohn, Heineman 95

Korona, Alfred (1924–1942 deportiert) 252 Kosowski, Hede 235 Kowalsky, David 240, 242 Kowalsky, Regina (1928–1942 deportiert)  240, 252 Kriegsmann, Max 235 Krüger, Elisabeth 203f., 207 Kuhn, Simon 95 Landau, Hanna(h) 204, 207f., 230, 235 Landeck, Franz 239 Landsberger, Simon (1779–1866) 96 Landsburger, Aron 66f. Lange, Gerson (1868–1923) 215 Lange, Isaak (1828–1880) 116, 157f., 179, 188, 215 Lange, Marcus (1879–1943) 215 Lange, Moses (1851–1894) 188 Lasch, Gerson (1803–1883) 12, 67, 71f., 94f., 97–101, 105–111, 113, 115–121, 124–126, 128, 130, 133–135, 139–145, 147, 151–155, 159f., 164, 166, 168, 170, 172–174, 179, 183, 187, 256f. Lasch, Hirsch (1832–1833) 108 Lasch, Julie, verh. Josaphat (1830–?) 108 Lasch, Julius (1828–1881) 108 Lasch, Lina, verh. Baer (1835–?) 108 Lasch, Sarah, geb. Herz(er) (1798–1861) 107 Lasch, Siegbert 164 Lasch, Siegmund (Salomon) (1833–1893)  108, 168 Lehmann, Berend (1661–1730) 12, 23, 29, 31–34, 159 Lehmann, Johann Heinrich Wilhelm 83, 86, 100, 105, 173f. Leist, Justus Christoph (1770–1858) 64 Lenschitzki, Hanna 235f. Leopold Wilhelm von Habsburg, Erzherzog (1614–1662) 20, 26 Leschnitzer, Adolf 224 Levian, Mathias (1781–1862) 94, 96, 118f., 123, 136, 149f., 166, 179 Levin, Moses 34, 36 Levinstamm, Selig David 82 Levy, Abraham David 40 Levy, Jacob (1889–1977) 225 Levy, Julie (1810–1849) 121, 139

Personenregister  Levy, Lion (?–1822) 60f., 63 Levy, Rudi 237, 240 Lewin, Hirschel (1721–1800) 34 Lewin, Julie 194 Lichtmann, ? (Lehrer) 230 Liebermann, Alexi Hirsch 76 Liebermann, Elieser (1762–?) 76, 97, 193 Liebermann, Esther 193 Liebermann, Hirsch 76 Liebermann, Jeremias (1798–?) 52, 76 Liebermann, Joseph (1803–?) 193 Liebermann, Samuel (1794–?) 76 Liebmann, Abraham ben Jost 32f. Lilienfeld, Baruch Levi (1826–?) 112, 121–123 Lindheimer, Ruth 240 Löwenberg, Meier (Meyer) (1838–1894) 151, 157f., 168, 170–172, 183, 187f., 192 Löwenstein, Jakob 127 Loksinski, Abraham 240 Lublin, Aron Hirsch 90 Lundner, Babette (1937–1942 deportiert) 209, 252 Lundner, Beate, s. Pappenheim, Beate Lundner, Eli (1932–1942 deportiert) 209, 252 Lundner, Israel Josef (1927–1942 deportiert) 209, 252 Lundner, Jakob (1900–1942 deportiert) 7, 203, 205–209, 226, 228, 230–233, 238–242, 244, 246, 248, 251–254, 258 Lundner, Juda Wolff (1871–1942 Auschwitz) 203 Lundner, Klara, geb. Bachmann (1909–1942 deportiert) 209, 239, 252 Lundner, Miriam (1938–1942 deportiert)  209, 252 Lundner, Rahel (1935–1942 deportiert)  209, 252 Lundner, Rosa, geb. Wislicki 209 Lundner, Sara (1874–1942 Auschwitz) 203 Lundner, Sulamith (1929–1942 deportiert)  209, 252 Magnus, Salomon 75 Marx, Rahel 240 Marx, Salli 230 Massow, Eberhard Julius Wilhelm von (1750–1816) 46

 291

Matthias, Johann Andreas (1761–1837) 80, 82, 86, 100 Mayer, Alfred 228 Mayer, Emil 228 Mayer, Eric J. (Erich) (1923–2004) 18, 110, 227f. Mayer, Ernst 228 Mayer, Paula, geb. Joseph (1891–?) 228 Mayer, Rudolf 228 Mendelssohn, Moses (1729–1786) 3, 48, 50 Merkel, ? (Konsistorialsekretär) 57 Meyer, Abraham Samuel 35 Meyer, David (1762–1845) 60f., 63, 65, 95–97, 174 Meyer, David Israel 40 Meyer, Heinz (1911–?) 216, 220 Meyer, Henriette 172 Meyer, Julius (1856–1929) 192 Meyer, Levin Jacob 41 Meyer, Löb (1738–1834) 57 Meyer, Otto 204, 207 Meyer, Rosa 183f. Meyer, Samuel Levin, s. Eger, Sabel Meyer, Victor 216 Meyer, Zerline (1924–1942 deportiert) 235, 237–240, 243, 252 Michael, Wolf 49 Mischkowski, Alice 235 Mühler, Heinrich von (1813–1874) 175 Müller, Gottfried Adrian (1710–1780) 35 Müller, Heinrich (1900–1945) 245 Münnich, ? (Superintendent) 91 Munk, Esra (1867–1940) 225 Munk, Michael (1905–1984) 225 Nachtigal, Johann Carl Christoph (1753–1819)  49–55, 75, 159 Naphtali, Moses 91 Napoleon Bonaparte (Napoleon I.) (1769–1821)  55, 65 Nathan, Henriette 142 Nathan, Isaac 35f. Nathan, Wolff 97, 110, 116f. Nathansen, Betty (Batia), geb. Baer (1923–2010)  18, 230, 235–240, 249 Nathansen, Enoch 188 Nebe, Gustav (1835–1919) 178f., 182–187 Neumann, Lea 235, 238–240

292 

 Personenregister

Neumann, Lina 240 Neumann, Marianne (1927–1942 deportiert) 252 Neumann, Max 224 Nienburg, Philip 29 Nobel, Gabriel 214 Nobel, Israel 214 Nobel, Joseph (1837–1917) 186, 188, 190f., 200, 214 Nobel, Malwine 186–188 Nobel, Michael 214 Nobel, Nehemia Anton (1871–1922) 190, 214 Nolte, Johann Wilhelm Heinrich (ca. 1772–1832) 46 Nußbaum, Isaac 188 Odening, Magnus 113, 139 Oppenheimer, Franz (1864–1943) 152 Oppenheimer, Heinz 240 Oppenheimer, Julius (1827–1909) 109, 152–155, 158 Oppenheimer, Michael 153 Oppenheimer, Simlah, geb. Hirsch 153f. Pappenheim, Beate, geb. Lundner (1925–2005) 18, 209, 231, 240, 242 Patow, Robert von (1804–1890) 168 Perutz, Hermann (1853–?) 155f. Petuchowski, Marcus (1866–1926) 149 Pfeifer, Frl. 204 Philippson, ? (Lehrer) 93 Philippson, Ludwig (1811–1889) 93f. Plato, Hanne, geb. Phillip 150 Plato, Hirsch (1822–1910) 150, 154, 192 Plato, Moses (1783–1872) 96, 150 Plessner, Salomon (1797–1883) 127 Polensky, Karl 228f. Präger, Jacob Elieser (1746–1824) 76 Präger, Ruben (1792–?) 76 Präger, Wolf (1797–?) 76 Raftenberg, Gisela 235 Rath, Ernst vom 244, 246 Rechtschaffen, Erna 240, 242 Rechtschaffen, Ulla 238 Redelmeier, Siegmund 188

Reichenbach, Max 216 Riedel, Frl. 204 Rieß, Zender Meyer 74 Rochow, Friedrich Eberhard von (1734–1805)  51, 75, 80, 82 Rosen, Harry 235 Rosenbach, Friedericke, geb. Eger, verw. Wallach (?–1823) 62 Rosenbach, Magnus Abraham (1779–1824)  12, 60–62, 64–73, 83, 85, 94, 107f., 256 Rosenbaum, Flora 198 Rosenberg, Lillyan, geb. Cohn, Lilly, geb. 1928  18, 240, 247f., 250 Rosenblum, Joseph 240 Rosenblum, Sarah 237 Rosenblum, Thea 235, 238–240, 243 Rosenfeld, Wolf Nathan 93 Rosenheim, Lipman 96 Rothschild, Leopold 198 Rothschild, Pinchas (Siegfried) 198 Ruben, Blume 28f., 159 Rubo, Julius (auch Juda Ruben Joseph) (1794–1866) 76f., 124 Rulf, Hermann 234 Rust, Bernhard (1883–1945) 222f. Sachsse, Emma 218 Saldin, Levin 29 Salinger, Leo 90 Samter (Sammter), Ascher (1807–1887)  70–73, 90, 94, 96f., 99, 106, 110, 112, 125f., 174, 256 Samter, Lazarus 90f. Samuel, Moses 95 Schaps, Lotte 230f., 239–241 Schläper, Dietrich 208 Schlesinger, Ascher 50 Schlesinger, Moses (1856–1949) 200f., 225, 229–231, 246f. Schoeps, Hans-Joachim 224 Scholz, Christian Gottlieb 129 Schottländer (Schott), Benjamin (1764–1846) 52 Schröder, F. (christl. Lehrer) 42, 50, 66, 70f., 97f., 126 Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm von der (1742–1815) 36, 38

Personenregister  Schwab, Ady 205 Schwab, Hermann (1879–1962) 188, 205 Schwanefeld, ? (Witwe) 28f., 159 Schwanefeld, Jacob (?–1775) 28f. Seckbach, Ida (1907–1999) 205 Seckbach, Lazar 188 Seligmann, Senta 205 Semmel, Michel 205 Senger, ? (christl. Lehrer) 113 Silberberg, Hermann 188f., 207, 227, 230 Siméon, Joseph-Jérôme (1749–1842) 56, 60 Simon, Gottschalk 76 Simson, Michael 76 Soest, Meyer Samuel 74 Sondheim, Helmuth (1932–1942 deportiert) 252 Sonn, Anni 239 Sonn, Herbert (1908–?) 228, 230f., 237, 239f. Spiegel, Rosa 235f. Spiegel zum Desenberg (Diesenberg), Ernst Ludwig Christoph von (1711–1785) 51, 75 Spilleke, Hermann 74, 157 Spindel, Karl 205 Spindel, Sonja 235–237, 240 Spiro, Delfine 254 Splittegarb, Carl Friedrich (1753–1802) 128 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum (1757–1831) 80 Steinberg, August Ludwig (1799–?) 146, 170 Steinberg, Esther (1911–?) 229 Steinhardt, Mendel 57 Stern, Nathan (1868–1924) 188, 198, 203f. Struensee, Christian Gottfried (1717–1782) 51, 74f. Strum, Irma 240 Süßmann, Paul, geb. 1917 204, 220 Sußmann, Adolph 76 Sußmann, David (1776–1833) 60f. Sußmann, Meyer 76 Sußmann, Samuel Levi 74

 293

Tannenberg, Richard Jost (?–2009) 18, 234f., 237, 239, 243, 247 Tewel(e), David (?–1792) 3 Tuchler, Ruth (1925–1942 deportiert) 240, 242, 252 Ullmann, Frl. 203 Villaume, Peter (1746–1806) 75 Walkhoff, Johann Friedrich (1751–1839) 52 Wallach, Friedericke, s. Rosenbach, Friedericke Wallach, Moses David 37f. Weichert, Auguste 198 Weiß, Rosa (1913–2004) 210–212 Wessely, Naphtali Herz (1725–1805) 3 Weydemann, Johann Friedrich 97 Wiedenbein, Willi 237, 240 Wigderowitsch, James (1902–?) 209, 228, 230f., 240f., 244 Wilde, Georg (1877–1949) 247 Winter, David 240, 242, 250 Winter, Judith, s. Biran, Judith Winter, Max 235, 237, 239f., 243 Wöllner, Johann Christoph von (1732–1800) 46 Woepcke, Leonard 168 Wohl, Hans 237, 240 Wolf, Tobias 50, 159 Wolff, Benjamin 30 Wolff, David 22f. Wolff, Heinrich 76 Wolff, Salomon 76 Wolffradt, Gustav Anton (1762–1833) 56, 62 Zedlitz, Karl Abraham von (1731–1793) 45 Zerrenner, Carl Christoph Gottlieb (1780–1851)  79–81, 86, 88, 92, 94, 100, 104f., 107, 123–126, 128f., 143, 256 Zerrenner, Heinrich Gottlieb (1750–1811) 80