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German Pages 574 Year 2002
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London
Publications of the German Historical Institute London
Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Herausgegeben von Hagen Schulze Band 52
Publications of the German Historical Institute London Edited by Hagen Schulze Volume 52
R. Oldenbourg Verlag München 2002
Andreas Rödder
Die radikale Herausforderung Die politische Kultur der englischen Konservativen zwischen ländlicher Tradition und industrieller Moderne (1846–1868)
R. Oldenbourg Verlag München 2002
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Rödder, Andreas: Die radikale Herausforderung : die politische Kultur der englischen Konservativen zwischen ländlicher Tradition und industrieller Moderne (1846 - 1868) / Andreas Rödder. - München : Oldenbourg, 2002 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London ; Bd. 52) Zugl.: Stuttgart, Univ., Habil.-Schr., 2001 ISBN 3-486-56655-5
© 2002 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D - 81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-56655-5
5
Inhalt
INHALT
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Konservatismus und Konservative Fragestellung . . . . . . . . . . . . Untersuchungsgegenstand . . . . . Methode. . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltlicher Abriß . . . . . . . . .
I.
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KONSERVATISMUS UND DIE ENGLISCHEN KONSERVATIVEN ALS GEGENSTAND DER FORSCHUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
1. Konservatismusbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konservatismus als überzeitliche Ideologie. . . . . . . . b) Konservatismus als überzeitlicher Denkstil. . . . . . . . c) Konservatismus als historische Ideologie . . . . . . . . . d) Konservatismus als situative Ideologie . . . . . . . . . . 2. Kriterien konservativen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen des politischen Denkens . . . . . . . . . . . b) Gesellschaft und Sozialordnung . . . . . . . . . . . . . . c) Staat und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Religion und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868 . . a) Tories, Konservative, Protektionisten: Die Partei bis zur Spaltung 1846 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Opposition und Regierung I: 1847–1852 . . . . . . . . . c) „Parliamentary Government“: Politisches System und Parteien im mittviktorianischen England . . . . . . . . . d) Organisation und Sozialstruktur der Partei. . . . . . . . e) Opposition und Regierung II: 1853–1868. . . . . . . . . 4. Der Konservatismus der englischen Konservativen: Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 43 46 47 49 52 52 55 59 61 62 62 67 77 85 93 101
6 II.
III.
Inhalt
GRUNDLAGEN DES POLITISCHEN DENKENS . . . . . . . . . . .
107
1. 2. 3. 4. 5.
107 112 121 126
Menschenbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltanschauung: Denken und Erkenntnis . . . . . . . . . . „Erhaltungsprinzip“: Ordnung, Tradition, Bewahrung . . . „Verbesserungsprinzip“: Wandel, Fortschritt, Reform . . . „What will you conserve“: Prinzip, Pragmatismus, Nützlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Selbstverständnis und Programmatik . . . . . . . . . . . . . a) Aktion: Prinzipien und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . b) Reaktion und Abgrenzung: Peeliten, Whig-Liberale, Radikale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Disraeli: One Nation Conservatism und National Party d) Bulwer-Lytton: „Spirit of Conservatism“ . . . . . . . . e) Geschichtsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141 146 152 154
JAHRE DER PANIK: DIE KONSERVATIVEN UND DIE REVOLUTION 1846–1852 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159
1. Politische Revolution: 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ausbruch der europäischen Revolutionen. . . . . . b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kontinent und Staatensystem . . . . . . . . . . . . . . . d) Bilanzen und Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Industrielle Revolution I: Die Londoner Weltausstellung von 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Industrielle Revolution II: Der Abschied vom Protektionismus 1852 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Apathie: Die Wahlen von 1847 . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischen Reanimation und Agonie (1848–1851) . . . . c) Protektionismus „dead and buried“: Entscheidung 1852 IV.
132 136 137
159 159 163 171 174 177 185 185 190 199
GESELLSCHAFT UND WIRTSCHAFT . . . . . . . . . . . . . . . .
213
1. Gesellschaft im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Land und Aristokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Städte und middle classes . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Radikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedrohtes Ideal: Die ländlich-aristokratische societas civilis a) Die hierarchische Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ordnung des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 214 215 217 220 220 227
7
Inhalt
V.
VI.
3. Feindbild im Wandel: Manchester und middle classes . . . . a) „Wretched money spiders“: Der konservative Begriff der middle classes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassenkampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialpaternalismus und Partizipationsanspruch: Die working classes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Civil Society: Gesellschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . a) Handels- und Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . c) Die englische konservative Freiheit . . . . . . . . . . . . d) Local government versus Zentralisierung . . . . . . . . . 6. Tendenzen und Perspektiven: Zusammenfassung . . . . . .
245 251 251 261 265 273 278
STAAT UND POLITIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283
1. 2. 3. 4.
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283 296 306 317
LIEBER REVOLUTION MACHEN ALS ERLEIDEN: WAHLRECHTSREFORM ALS GESELLSCHAFTSPOLITISCHE VORWÄRTSVERTEIDIGUNG 1852–1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
329
Staat und Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . Repräsentation und Partizipation . . . . . . . . Politik und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . „The terrible struggle“: Feindbild Demokratie.
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1. Heerschau und Strategiedebatten: 1848–1857 . . . . . 2. Erster Angriff: 1859 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Defensive Großoffensive: 1867 . . . . . . . . . . . . . a) Rated residential household franchise: Motive und Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schleppende Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . c) Sammlung und parlamentarische Vorhutgefechte . d) Meuterei und Krise: 25. Februar 1867 . . . . . . . . e) Fanal: Vorlage der Bill . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verwirrung der Redefronten: Zweite Lesung. . . . g) Manöver oder Kapitulation? Komiteestadium . . . h) Triumph, Pyrrhussieg oder Niederlage? Die Verabschiedung der Bill . . . . . . . . . . . . .
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232 232 237 240
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329 332 344
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344 348 354 356 361 366 371
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374
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8
Inhalt
VII. RELIGION UND KIRCHE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Protestantische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . a) Bekenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kirche und Staat: Der Fall Gorham (1850) . . . . . . 2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852) . . . . . . . . . . a) „No Popery cry“ (1846–1850). . . . . . . . . . . . . b) Die Ecclesiastical Titles Bill (1851) . . . . . . . . . . c) Abrüstung des Antikatholizismus nach 1852. . . . . 3. Sachfrage oder Verfassungskonflikt? Church Rates und Dissent (1853–1868) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bilanz: Die Bedeutung der Religionsfrage im großen Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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381
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381 381 390 394 394 399 405
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407
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425
VIII. AUSSENPOLITIK UND EMPIRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429
1. „Europäisches Konzert“? Frieden im Krimkrieg . . . . . . a) „The Conservative Party Disunited“: Die Friedensdebatte im Herbst 1855 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Friede von Paris 1856 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Empire: Der indische Aufstand von 1857 . . . . . . . . . . 3. Liberale Utopie oder konservative Realpolitik? „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention a) „Mammon-worshipping peace crotchets“: Der Cobden-Vertrag von 1860 . . . . . . . . . . . . . . b) „Madmen“: Non Intervention in Italien (1859) und Dänemark (1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Odious people“ und Realpolitik: Der deutsche Krieg von 1866. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX.
RESÜMEE: DER KONSERVATISMUS DER ENGLISCHEN KONSERVATIVEN 1846–1868. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fronten: Die radikale Herausforderung . . . . . . . . . . . . . Bewegungen: societas civilis – constitutional party – radikale Offensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick: Die englischen Konservativen und der Konservatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429 430 439 445 457 459 468 477
487 487 492 503
9
Inhalt
X.
ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (einschließlich Auflösung in der Bibliographie nicht unter dem Schlagwort aufgeführter Kurztitel) Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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505
. . . .
507 551 553 561
10
Inhalt
Für Johanna
Vorwort
11
VORWORT „Die radikale Herausforderung“ wurde im WS 2000/01 von der Fakultät 8: Geschichts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Stuttgart als Habilitationsschrift angenommen. Dankbar auf die vielfältige Hilfe und Unterstützung während der vielen Jahre zurückzublicken, stellt den angenehmen Abschluß des gesamten Entstehungsprozesses dar. Eberhard Jäckel durfte ich stets als liberalen gentleman erleben. Allein die Reihe der Themen und Publikationen, die aus dieser Zusammenarbeit zwischen Professor und Assistent hervorgegangen sind, sagt alles über die Fruchtbarkeit dieser großartigen Zeit. Wolfram Pyta, sein Nachfolger auf dem Stuttgarter Lehrstuhl, hat mich mit aller Sympathie für einen Habilitanden in der Endphase in jeder Hinsicht tatkräftig unterstützt. Beide haben ebenso wie Andreas Wirsching (Augsburg) die Mühe eines Gutachtens über diese Arbeit auf sich genommen. Der Fakultät, namentlich Dekan Siegfried F. Franke und Frau Renate Kern, danke ich für die reibungslose und entgegenkommend zügige Durchführung des Habilitationsverfahrens. Thomas Hertfelder (Stuttgart), Harald Biermann (Bonn/Köln) sowie Stephen Schröder (Bonn) bin ich für ihre profunde, kritische und weiterführende Diskussion des Manuskripts, das sie gelesen und kommentiert haben, und nicht weniger für langjährige persönliche Freundschaft und den stetigen Gedankenaustausch zutiefst dankbar. Mein Bonner Doktorvater Klaus Hildebrand stand mir auch bei meinem Habilitationsprojekt mit weiterführendem Rat und Tat zur Seite. Austausch und vielfältige Hilfe habe ich im gesamten Zusammenhang der Habilitation auch von vielen weiteren Seiten erfahren. Magnus Brechtken (München), Joachim Scholtyseck, Ralf Forsbach, Christoph Franzen und Christoph Studt (Bonn) sowie Mark Spoerer (Stuttgart) waren stets konstruktive und inspirierende Gesprächspartner. Anselm Doering-Manteuffel (Tübingen) und Karl-Josef Hummel (Bonn) haben viel Langmut aufgebracht, um einem Habilitanden bei der Themenfindung zu helfen. In England standen mir Angus Hawkins mit all seiner Sachkenntnis und insbesondere Richard Shannon mit seinem Rat, seiner Gastfreundschaft und seinem liebenswürdigen Humor hilfreich bei. Sehr gern denke ich auch an die Begegnungen mit Benedikt Stuchtey und Lothar Kettenacker sowie vor allem mit Michael Schaich und Ines Schlenker zurück. Dankbar bin ich auch den Stuttgarter Hilfskräften Katja Kranich, Daniela Weippert, Oliver Härer, Hendrik Hiss und Bernhard Degen sowie in München Sandra Bisping für ihre vielfältige Hilfe in all den Jahren.
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Vorwort
Neben all dieser persönlichen und geistigen Unterstützung wurden meine Archivaufenthalte in England und die Drucklegung der Arbeit in materieller Hinsicht von der Fritz Thyssen Stiftung ebenso unbürokratisch wie großzügig gefördert. Das Deutsche Historische Institut in London hat die Habilitationsschrift dankenswerterweise in seine Schriftenreihe aufgenommen. Von seiten des Verlages habe ich vielfältige und wertvolle Hilfe durch Cordula Hubert und Christian Kreuzer erfahren. „Die radikale Herausforderung“ stellte sich in allererster Linie der Familie, wobei der habilitierende Ehemann und Vater seine heimische Dauerpräsenz möglicherweise angenehmer im Gedächtnis hat, als seine Umgebung dies empfunden hat. Jedenfalls steht am Ende tiefe Dankbarkeit für die Unterstützung, den Halt und die Liebe meiner Frau Silvana und unserer Töchter – und für den alltäglichen Irrsinn des wahren (Familien-)Lebens1. Dabei hat mir Johanna, wie sie an ihrem Tisch neben dem Schreibtisch malte und bastelte, während ich schrieb, die schönste Erinnerung geschenkt. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Andreas Rödder
1
Dazu der wohl hilfreichste Literaturhinweis dieses Buches: AXEL HACKE, Der kleine Erziehungsberater, München 1992.
Einleitung
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EINLEITUNG KONSERVATISMUS UND KONSERVATIVE „What will you conserve?“ So stellte Benjamin Disraeli 1844 dem konservativen Parteiführer Robert Peel die Kardinalfrage aller Konservativen1. „In what sense, and of what, are they Conservatives?“2 So mußte sich aber auch Disraeli immer wieder fragen lassen, nicht zuletzt als er 1867 gemeinsam mit den Radikalen den „Sprung ins Dunkle“3 einer weitreichenden Wahlrechtsreform wagte. „Revolution“ und „Demokratie“, schimpfte darüber der künftige Lord Salisbury4, der seinerseits siebzehn Jahre später für eine radikale Neueinteilung der Wahlkreise sorgte, die dem menschenscheuen Hocharistokraten unter vergleichsweise demokratischen Verhältnissen drei triumphale Wahlsiege bescherte. Was wollte der Hochtory Salisbury bewahren5, der den Radikalen „unablässige, unerbittliche Feindschaft“6 geschworen hatte und mit Joseph Chamberlain an einem Kabinettstisch saß, der sich stets unmittelbar vor dem Untergang der englischen Zivilisation wähnte und den Haupteingang seines Schlosses Hatfield House vom traditionsreichen herrschaftlichen Südportal auf die reichlich schmucklose Nordseite verlegte, um eine Zufahrt zur neugebauten Eisenbahnstation zu gewinnen? Wie lassen sich „das Erhaltungs- und das Verbesserungsprinzip“7 (Burke) vereinbaren? Was wollte Bismarck bewahren, der lieber Revolution machte als erlitt? Oder muß es gar so sein, wie es in Giuseppe di Lampedusas „Leopard“ heißt: „Wenn wir wollen, daß alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, daß alles sich verändert“8? Widersprüchlichkeiten und Paradoxien sind Konservativen und dem Konservatismus eigen, der als Bewegung der Bewahrung
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5 6 7 8
DISRAELI, Coningsby, S. 102 (Book Two, Chapter V). Shaftesbury, Tagebucheintrag vom 21. Mai 1858, HODDER, Shaftesbury III, S. 68. Derby, Rede im Oberhaus am 6. August 1867, HANSARD 3/189, Sp. 951 f., hier 952; vgl. auch MALMESBURY MEMOIRS II, S. 371. Cranborne, Rede im Unterhaus am 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, hier 1530 und 1533 f., sowie The Conservative Surrender, in: QR Bd. 123, Nr. 246 (Oktober 1867), S. 533–565, hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 257 f., 264 und 267. Vgl. dazu ROBERTS, Salisbury, S. 834 f. Robert Cecil, English Politics and Parties, in: BQR Bd. 1, Nr. 1 (März 1859), S. 1–32, hier 12. BURKE, Betrachtungen, S. 66; im Original: „The two principles of conservation and correction“, BURKE, Reflections, S. 72. GIUSEPPE TOMASI DI LAMPEDUSA, Der Leopard, Gütersloh o.J., S. 28 (zuerst ital. unter dem Titel „Il Gattopardo“, Mailand 1958).
14
Einleitung
nur in einer Welt der Veränderung überhaupt existieren kann9. Sie werfen zugleich die Frage nach der Konsistenz von Konservatismus als Phänomen der Geschichte der politischen Ideen und der Politik und letztlich die Grundsatzfrage auf: Was ist Konservatismus, und was bedeutet konservativ?10 Üblicherweise wird dieser Frage auf zwei getrennten Wegen nachgegangen. Die Geistesgeschichte handelt, mit weit weniger Aufmerksamkeit allerdings als für die sozialistischen und liberalen Ideologien, vom Konservatismus als politischer Idee. In Ermangelung einer prägenden zeitgenössischen Theorie, die auch Burkes „Reflections on the Revolution in France“ nicht liefern, sind immer wieder wissenschaftliche Definitionen vorgenommen worden, ohne indes Konsens über den Gegenstand des Begriffs zu erzielen. Karl Mannheims klassische „Soziologie des Wissens“ aus dem Jahr 1925 etwa beschreibt Konservatismus als reaktive Selbstbewußtwerdung des irrationalen Traditionalismus, als Gegenbewegung zum neuzeitlichen Rationalismus und als Antithesis zum Neuen in einer progressiven Welt, die sich hin zur Klassengesellschaft dynamisierte11. Für Samuel Huntington liegt das Wesen des Konservatismus in der Verteidigung jeder etablierten sozialen Ordnung gegen ihre wiederkehrende fundamentale Bedrohung. Nur in dieser Situation trete er als politisches Phänomen überhaupt auf, und daher habe er auch keine substantiellen Ideale12. Demgegenüber verortet Panajotis Kondylis’ Deutung, alle übliche Begrifflichkeit übersteigend, Konservatismus als „fest umrissene, genau identifizierbare und längst abgeschlossene sozial- und geistesgeschichtliche Erscheinung beim Übergang der societas civilis zum Dualismus von Staat und Gesellschaft“ in der frühen Neuzeit, namentlich als Gegenbewegung der adligen Oberschichten zum Absolutismus und später zur liberalen und demokratischen Revolution13. Opposition gegen die Herausforderung durch den Radikalismus von Liberalen, Demokraten und Sozialisten figuriert auch in Klaus Epsteins Interpretation als Ursprung des (deutschen) Konservatismus14. Auf andere, methodisch9 10
11 12 13 14
Vgl. OTTMANN, Konservativismus, Sp. 836 und 840. Die folgenden Ausführungen über Konservatismus und Konservative und ihre Historiographie dienen in methodischer Hinsicht der Herleitung von Untersuchungsgegenstand, Ansatz und Fragestellung dieser Untersuchung; aufgrund ihres thematischen Umfangs und ihrer inhaltlichen Bedeutung werden diese Probleme, um den Rahmen der Einleitung nicht zu überdehnen, im ersten Kapitel gesondert behandelt und an dieser Stelle nur skizziert. Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, hier bes. S. 71, 79 f., 105 f., 109 und 226. Vgl. HUNTINGTON, Conservatism, S. 455, 457 f., 460, 469 und 473. Vgl. KONDYLIS, Konservativismus, S. 14 f., 24 f. und 29 (dort das Zitat). Vgl. EPSTEIN, Ursprünge, S. 14 und 16 f.
Einleitung
15
mentale Phänomene hebt die jüngste Beschreibung von Jerry Z. Muller ab, der den gemeinsamen Nenner von Konservatismus in einem „historischen Utilitarismus“ dieses „set of conservative assumptions, themes and images“ ausmacht15. Diese und viele weitere Deutungen lassen unterdessen nicht nur letztlich unbeantwortet, ob Konservatismus wesentlich eine durch Inhalte bestimmte Ideologie oder eine Denkform ist, ob er ein allgemeines überzeitliches oder ein konkretes historisches Phänomen darstellt. Vor allem ist diesen Deutungen bei allen Unterschieden gemeinsam, daß sie ganz überwiegend auf theoretisch-abstrakter Ebene handeln und sich, trotz manch anderslautender Ansprüche16, in erster Linie auf zentrale Denker und ihre Texte (etwa Burke, Gentz, Möser, Haller, Stahl, Coleridge), bestenfalls auf einige wenige führende Politiker wie Bolingbroke, Disraeli oder Salisbury und ihre theoretischen Texte stützen. Sie handeln von Denkern, aber nicht von Politikern, von der Idee, aber nicht von Realität, nicht von der politischen Idee in der praktischen Politik. Umgekehrt spielen Ideen und Inhalte in der Politikgeschichtsschreibung namentlich der englischen Konservativen eine bestenfalls marginale Rolle. Denn gerade die high politics-Schule, die besonders die Historiographie der Konservativen dominiert, folgt einem bestimmten Verständnis von Politik, das nicht explizit begründet, sondern implizit vorausgesetzt und durchgehend angewandt wird, etwa in den Studien von Robert Blake, Maurice Cowling, Robert Stewart, John Ramsden und, eingeschränkt und mit anderen Akzenten, von Angus Hawkins und Richard Shannon17: Politik ist demzufolge Handeln, das in allererster Linie auf den Erwerb bzw. die Bewahrung von Macht zielt. Schon der Begriff „high politics“ hebt, im Gegensatz zur auf Inhalte zielenden policy, ganz auf die prozedurale Seite des Politischen ab18. Dieses Handeln geschieht nicht öffentlich, sondern im Geheimen, vorzugsweise in dunklen Hinterzimmern und in Form von Intrigen. Öffentlichkeit und Inhalte sind bloßer Bluff, lediglich Pokermiene in diesem Spiel aus „Appetit nach Macht“19. Konsequenterweise konzentriert sich diese Forschung auf Personen und Entscheidungshandeln, das sie mi-
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MULLER, Conservatism, S. 4 und 7 (Einleitung). Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, S. 57. Vgl. dazu die einschlägigen Titel in der Bibliographie. Vgl. auch BAHNERS, Dauer, S. 365 f. mit Anm. 48, 378 mit Anm. 89, 388–393 und 400 f. Die englische Sprache kennt drei Begriffe für Politik: polity für die institutionellen, policy für die inhaltlichen und politics für die prozeduralen Komponenten. So der bezeichnende Titel von JOHN RAMSDENS jüngster Geschichte der Konservativen Partei.
16
Einleitung
nutiös rekonstruiert, zudem auf Institutionen und Organisationen, und sie arbeitet vorzugsweise mit geheimen persönlichen Papieren, während öffentliche Reden und inhaltliche Äußerungen wenig Beachtung finden. Sie handelt von Institutionen und vor allem von prozeduraler Politik, von polity und vor allem von politics, nicht von Ideen und Inhalten, nicht von policy, nicht von der politischen Idee in der praktischen Politik. So wichtig die Ebene der high politics auch ist, ihre unübersehbare Inhaltsarmut stößt auf wachsendes Unbehagen. Ideologie – im wertfreien Sinne der angelsächsischen Begriffsverwendung eines Zusammenhanges von Inhalten und Ideen – wird in ihrer Eigenschaft als „element in a distinctively Conservative frame of reference“ zunehmend als Gegenstand der Politikgeschichte eingefordert20. Und wenn inzwischen selbst Disraeli, der Kronzeuge von high politics, der vermeintliche Opportunist par excellence, dem es nur darum gegangen sei, die „Spitze der eingefetteten Stange“ zu erklimmen21, auf die inhaltlichen Grundlagen seiner Politik hin befragt wird22, dann deutet sich ein umfassenderes Verständnis von Politik in der englischen Geschichtsschreibung an, das nichtsdestoweniger erst im Entstehen begriffen ist und der historiographischen Umsetzung harrt23. Daher ist das Defizit zugleich ein Desiderat sowie Ansatz und Anspruch dieser Untersuchung: die politischen Ideen und Inhalte in der Politik der Konservativen zu bestimmen, Konservatismus und Konservative, conservatism und Conservatism zu verbinden24. Dabei wird Politik keineswegs als planmäßige Umsetzung vorab festgelegter Ideen und Inhalte verstanden. „Interessen (materielle und ideelle), nicht: Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen“, hat schon Max Weber festgestellt, bis hierher in Übereinstimmung mit der high 20
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Vgl. FRANS COETZEE, Rezension von Green, Crisis of Conservatism, in: PH 15 (1996), S. 403–406 (das Zitat S. 406), sowie die anderen unter „Aspects of the Conservative Century“ zusammengefaßten Rezensionen, S. 407–415; vgl. auch MICHAEL FREEDENS Rezension von Collini, Public Moralists, in: EHR 107 (1992), S. 970–972, sowie GAMBLES, Protection, S. 928 und 931–933, und GAMBLES, Protection and Politics, etwa S. 1 und 19. Zur neueren, namentlich von John G.A. Pocock und Quentin Skinner inspirierten angelsächsischen Ideengeschichtsschreibung, die sich bislang freilich vorrangig auf das 17. und 18. Jahrhundert konzentriert, vgl. HELLMUTH/EHRENSTEIN, Intellectual History, zu ihrem Unbehagen an „high politics“ und „Namierism“ S. 153 f. Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 479. Vgl. vor allem SMITH, Disraeli, S. 6, 86–105 und 217, dazu die Rezension von ANGUS HAWKINS in: EHR 113 (1998), S. 1346 f.; vgl. auch SMITH/RICHMOND, Self-Fashioning of Disraeli, sowie PARRY, Disraeli, bes. S. 700. Vgl., als erste Schritte in dieser Richtung, MACINTYRE, Bentinck, und vor allem die Untersuchung von ANNA GAMBLES, Protection and Politics. Conservatism mit „großem C“ bezeichnet die konkrete politische Organisation, conservatism mit „kleinem c“ allgemein die Geisteshaltung.
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politics-Schule. „Aber:“ – und diese wesentliche Ergänzung entgeht ihr – „Die ‚Weltbilder‘, welche durch Ideen geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte“25. Daß solche „central idea[s] or guiding instinct[s]“ den politisch Handelnden gar nicht bewußt gewesen sein mögen, spricht dabei weder gegen ihre Existenz noch gegen ihre Relevanz, ebenso wie, in einem Bild von Maurice Woods gesprochen, die Tatsache, daß er es nicht bewußt tut, den Menschen nicht am Atmen hindert26. Diese Weltbilder firmieren seit Gabriel Almonds und Sidney Verbas grundlegenden Studien aus den fünfziger und sechziger Jahren als „politische Kultur“27. Im Unterschied zur ursprünglich normativen Verwendung beschreibt „politische Kultur“ als streng wertfreies Konzept, als „,subjektive Dimension‘ der gesellschaftlichen Grundlagen politischer Systeme“, das „System politisch relevanter Einstellungen und Werte“, die „Gesamtheit aller politisch relevanten Meinungen (‚beliefs‘), Einstellungen (‚attitudes‘) und Werte (‚values‘) der Mitglieder einer konkret abgrenzbaren sozialen und politischen Einheit“28, in diesem Fall der englischen Konservativen zwischen Parteispaltung und zweiter Wahlrechtsreform. „Politische Kultur“ wird dabei hier nicht als umfassender, geschlossener theoretischer Ansatz politikwissenschaftlicher Provenienz verwendet (zumal keine durch Umfragen beliebig erhebbaren Datenmengen, sondern nur bereits vorhandene Quellen zur Verfügung stehen). Er dient vielmehr in historiographischer Absicht als heuristischer Leitbegriff29, um aus der Fülle der jeweils einzelnen Meinungsäußerungen die politisch signifikanten und relevanten Meinungen, Einstellungen und Werte, im speziellen den Konservatismus der englischen Konservativen zu erschließen, um politische Idee und Inhalte mit konkreter politischer Realität, um Ideologie und Politik zu verbinden.
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MAX WEBER, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, in: Max Weber-Gesamtausgabe, Abt. I: Schriften und Reden, Bd. 19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 1915–1920, hg. von HELWIG SCHMIDT-GLINTZER in Zusammenarbeit mit PETRA KOLONKO, Tübingen 1989, S. 101. WOODS, Tory Party, S. 355. Vgl. vor allem ALMOND/VERBA, Civic Culture. Zur Geschichte der politischen Kultur-Forschung vgl. LIPP, Politische Kultur, S. 78–89. BERG-SCHLOSSER, Politische Kultur, S. 385; vgl. auch die Definition von ROHE, Politische Kultur, S. 333: „das politisch relevante Weltbild von Gruppen [. . .], das den jeweiligen sozialen Trägern im Normalzustand in seiner Besonderheit gar nicht bewußt ist, weil die in dem Weltbild enthaltenen Grundannahmen über die Wirklichkeit als ‚natürlich‘ und ‚selbstverständlich‘ empfunden werden.“ Zur methodischen Eingrenzung des Konzepts der politischen Kultur vgl. S. 30 f.
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Zeitraum und Gegenstand der Untersuchung ergeben sich dabei nicht zuletzt aus einer Besonderheit der mittviktorianischen Konservativen. Die Parteispaltung von 1846 trennte fast die gesamte ministrable Elite, die sich um den gestürzten Premierminister Robert Peel scharte, von der Parteimehrheit der protektionistischen Konservativen ab. Sie blieben als vergleichsweise homogene Gruppe ländlich-agrarisch orientierter, vormoderner country gentlemen von den parlamentarischen Hinterbänken zurück, als „organ of all that was out of sympathy with industrial Britain“30. „This is the true Conservative policy“, rechtfertigte Peel seine eigene ökonomische Reformpolitik, „but gentlemen who call themselves Conservatives will be content with nothing but that their own passions and sordid interests should be the rule of a minister’s conduct“31. Diskreditiert als „the stupidest party“32, fristeten die Konservativen, obgleich stets stärkste einzelne parlamentarische Gruppe, über zwei Jahrzehnte hinweg ein Dasein als politische Outcasts, mit denen keine andere Gruppe koalierte. Drei kurzlebige Regierungen vermochten sie zu bilden, als sich die Parlamentsmehrheit ihrer verschiedenen liberalen Gegner zerstritt. Dem dritten Kabinett Derby gelang es jedoch 1867, die zweite Wahlrechtsreform durchzusetzen, die den Kreis der zusätzlich Wahlberechtigten viel größer zog als von den traditionell reformorientierten Liberalen erwartet und befürwortet. Wie auch immer diese Reform sich wahlsoziologisch auswirkte, die Konservativen fuhren im letzten Viertel des Jahrhunderts vier triumphale Wahlsiege ein und fanden Massenanhang unter den Wählern. Ob dieser sich in erster Linie aus den mittleren und unteren Mittelschichten der neu entstandenen Vorstädte („Villa Toryism“)33 oder mehr aus den Arbeiterklassen („Tory Democracy“)34 rekrutierte: Jedenfalls wurden die Konservativen, so der allgemeine Sprachgebrauch des ebenso schillernden wie uneindeutigen Begriffs Tory Democracy, unter den Bedingungen einer verbreiterten Wählerschaft und eines nach 1885 noch weiter demokratisierten, wenn auch noch nicht demokratischen Wahlsystems zur dominierenden politischen Kraft in England. Die Partei wurde und blieb „great, national, powerful and popular“35. 30 31 32 33 34 35
HOBSBAWM, Industry and Empire, S. 120. Robert Peel an John Hope, 3. August 1846, PEEL, Private Letters, S. 280–282, hier 281. MILL, Representative Government, S. 138, Anm. *. So SHANNON, Age of Salisbury, bes. S. 553–556, vgl. auch 57–61. So der Akzent von GREEN, Crisis of Conservatism. SHANNON, Age of Disraeli, S. 4. Konkrete tagespolitische Bedeutung besaß „Tory Democracy“ zuerst in den frühen 1880er Jahren als propagandistischer Begriff des innerparteilichen Flügels der „Fourth Party“ um Randolph Churchill, der jedoch zugeben mußte: „To tell the truth, I don’t know myself what Tory Democracy is, but I believe it is principally
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FRAGESTELLUNG Dieser grundlegende Wandel wirft die Frage nach seinen Gründen36 und die übergreifende Frage dieser Arbeit auf: Wie verhielten sich die (englischen) Konservativen als ursprünglich vormoderne, ländlich-agrarische, aristokratische Elite zur Moderne, die sich gerade im mittviktorianischen England unter städtisch-industriellem Signum und im Zeichen der aufsteigenden bürgerlichen Mittelschichten Bahn brach? Diese fundamentale ökonomische, soziale, politische und kulturelle Auseinandersetzung fand in England im Rahmen eines parlamentarisierten politischen Systems statt und lenkt daher den Blick auf die besondere Form eines parlamentarischen Konservatismus im 19. Jahrhundert, der mit Hilfe von drei grundsätzlichen Leitfragen näher bestimmt werden soll. Erstens werden die Inhalte des politischen Denkens der englischen Konservativen, ihre Weltbilder, ihre politische „Deutungskultur“37 ermittelt. Dazu wurden aus der Fülle der verschiedenen Konservatismustheorien Kriterien abgeleitet38, die auf die Geschichte der englischen Konservativen abgestimmt wurden und die relevanten Ebenen der historischen Wirklichkeit – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur39 – erfassen sollen: 1. Läßt sich ein wesenseigenes, argumentations- und politikrelevantes Menschenbild der Konservativen feststellen? 2. Auf welchen Grundlagen beruhte das politische Denken der Konservativen? Lassen sich bestimmte Denkformen und epistemologische Grundlagen ihres Denkens erkennen? Welche Vorstellungen von der Gestalt, der
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opportunism“ (zit. nach SHANNON, Age of Disraeli, S. 2). Im Laufe der Zeit gewann der Begriff seine weitere Bedeutung einer breiten Loyalität für die Konservativen innerhalb der Arbeiterklassen (so vor allem MCKENZIE/SILVER, Angels in Marble) und schließlich, in wertneutralem Sinne, allgemein für die politische Dominanz der Partei unter mehr oder weniger demokratischen Verhältnissen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts; vgl. RICHARD SHANNONS Diskussion des Begriffs, Age of Disraeli, S. 1–4, RAMSDEN, Appetite, S. 137 f., 140, 142 und 144 f., sowie zeitgenössisch (jedoch begrifflich nicht präzise) KEBBEL, Tory Memories, S. 254–260. In diesem Zusammenhang verkürzen soziologische Modelle massengesellschaftlichen Wahlverhaltens, wie für die Jahrhundertmitte die von D. C. MOORE entwickelte Theorie der „deference“, die Vielgestaltigkeit der historischen Wirklichkeit ebenso, wie die Erklärung mit politischer Kontingenz die forces profondes hinter dem politischen Tagesgeschäft vernachlässigt. ROHE, Politische Kultur, S. 340. Vgl. dazu im einzelnen Kapitel I.2. Vgl. dazu, pointiert programmatisch und normativ, HANS-ULRICH WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, bes. S. 6–12.
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Funktion und der Legitimation der Ordnung besaßen sie? Welche Rolle spielten dabei Tradition und Bewahrung, und in welchem Verhältnis standen diese Elemente der Erhaltung zu den Phänomenen der Veränderung, zu Wandel, Fortschritt und Reform? 3. Inwiefern verstanden sich die Konservativen selbst als distinkte politische Gruppe, als Konservative? Welche Pinzipien und Ziele äußerten sie? Und wie grenzten sie selbst sich gegenüber anderen politischen Gruppen ab, den Peeliten, den Whigs und moderaten Liberalen sowie den Radikalen? 4. Welches Bild machten sich die Konservativen von der Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen der Vorstellung von der organischen Gesellschaft und der Etablierung der sozial mobilen Industriegesellschaft? Welche Rolle spielten die großen sozialen Schichten oder gesellschaftlichen Klassen: der traditionell dominierende, ländlich geprägte hohe und niedere Adel, die alten und insbesondere die mit der Industrialisierung aufsteigenden Mittelschichten sowie die Arbeiterklassen, die Objekt von sozialem Paternalismus ebenso wie Subjekt politischer Partizipation sein mochten? Wie stellten sich die Konservativen die Sozialordnung zwischen Sozialpaternalismus und individualisierten Marktbeziehungen vor? Welche Bedeutung besaß das Eigentum, und in welchem sozialen Verhältnis standen der traditionell dominierende Grundbesitz und der mit der Industrialisierung zunehmende monetäre Besitz? Wie, schließlich, verstanden die Konservativen Freiheit? 5. Wie sahen und beurteilten die Konservativen die Industrialisierung? Wie schätzten sie das Verhältnis von (traditionellem) Land und (moderner) Stadt ein, von agrarian und moneyed bzw. manufacturing interest? Besaßen sie bestimmte Vorstellungen von der Wirtschaft und ihrer Ordnung? Welche Rolle spielte die soziale Frage, als die akuten Auseinandersetzungen der dreißiger und vierziger Jahre im Zeichen der viktorianischen Prosperität mit den fünfziger Jahren zurückgingen? Welche Bedeutung besaß für die Konservativen die staatsfreie civil society? Wie bemaßen sie das Verhältnis von lokaler und zentraler Ebene? 6. In welches Verhältnis setzten die Konservativen Staat und Gesellschaft? Welchen Begriff hatten sie vom Staat? Welche Vorstellung besaßen sie von der Verfassung, der Regierungsform und dem politischen System? Wie verstanden sie – diese Frage wurde insbesondere im Zusammenhang der Wahlrechtsreformen virulent – parlamentarische Repräsentation zwischen materieller Interessenvertretung und sozialer Pflichterfüllung, wie dachten sie über Partizipation und Demokratisierung? Welche Aufgaben und Funktionen maßen sie der Politik zu? Und was bedeutete ihnen politische Macht? 7. Welche Rolle spielten religiöse und konfessionelle Werte und Argu-
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mente im politischen Denken der Konservativen? Wie gestaltete sich ihr Verhältnis zur Anglikanischen Staatskirche, und welchen Stellenwert besaß sie in ihrer Staats- und Gesellschaftsvorstellung? 8. Welche Rolle spielte Außenpolitik in der politischen Kultur der Konservativen? Besaßen sie spezifische Vorstellungen von der europäischen Staatenordnung? Wie schätzten sie Wert, Gestalt und Zukunft des Empire vor dem Imperialismus ein? Und wie standen die ursprünglich protektionistischen Konservativen zu den Maximen der pax britannica, die wesentlich von Vorstellungen wirtschaftlicher Stärke, kapitalistischer Industrialisierung und insbesondere der liberalen Utopie des Fortschritts und des Weltfriedens durch Freihandel geprägt war? 9. Argumentierten die Konservativen mit bestimmten Geschichtsbildern, etwa zur englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts? Und den Blick nach vorn gewendet: lassen sich distinkte Erwartungen der Zukunft ausmachen? Während im Konzept der politischen Kultur durchaus die Vorannahme einer grundlegenden Einheitlichkeit innerhalb einer bestimmten sozialen und politischen Einheit angelegt ist und obwohl die verhältnismäßig frühe Aufteilung der politischen Nation Englands in Parteien dies nahelegt, ist zugleich über den gewählten Ansatz hinaus stets grundsätzlich zu reflektieren, ob sich für die Konservativen überhaupt eine substantielle inhaltliche Homogenität oder aber grundlegende Disparität feststellen läßt, ob und welche Werte politische Verbindlichkeit besaßen. Um aus der Fülle des je Besonderen das Allgemeine zu bestimmen, ist nicht nur eine möglichst große Zahl von Meinungsäußerungen zu erfassen, sondern sind artikulierte politische Inhalte zweitens in der politischen Praxis und in ihrem Verhältnis zu tagespolitischer Taktik zu bestimmen. Dazu dienen – zusätzlich zur durchgängigen Behandlung grundsätzlich aller Themenbereiche, vor allem der Komplexe Menschenbild und Grundlagen des politischen Denkens; konservatives Selbstverständnis; Gesellschaft und Wirtschaft; Staat und Politik; sowie Geschichtsbild und Zukunftserwartung – 14 Fallstudien. Sie sind spezifisch, d. h. von bedeutendem und wesentlichem Inhalt sowie von unterscheidendem Charakter, und sie repräsentieren die einzelnen Themengebiete über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg, um die diachrone Entwicklung der jeweils zunächst systematischsynchron festgestellten Inhalte erkennbar werden zu lassen: 1. Die Wahrnehmung der kontinentalen Revolutionen von 1848 läßt auf die Einschätzung des Kontinents und vor allem der eigenen Staats- und Gesellschaftsordnung im Angesicht erneuter revolutionärer Bedrohungen schließen.
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2. Der „Gorham Case“ um die Nichteinsetzung des Reverend Gorham durch den anglikanischen Bischof Phillpotts 1850 warf die Frage nach der kirchlichen oder der weltlich-monarchischen Jurisdiktionsgewalt in Angelegenheiten der geistlichen Lehre und damit die Frage nach dem Einfluß des Staates auf die geistlichen Angelegenheiten der Anglikanischen Kirche auf. 3. In den Debatten des Jahres 1851 um die Ecclesiastical Titles Bill, mit der die vom Papst vorgesehene territoriale Neuordnung der katholischen Kirche in England unter Verwendung von anglikanischen Diözesannamen als römische Anmaßung gegenüber der Souveränität der englischen Krone zurückgewiesen wurde, bündelte sich der allgemeine englische ebenso wie der besondere konservative Antikatholizismus. 4. Die Weltausstellung von 1851 wurde unter großer öffentlicher Beteiligung als Fest des industriellen und freihändlerischen Fortschritts und seines Friedens gefeiert und stellte somit eine Herausforderung für die konservativen und protektionistischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen dar. 5. Ein Jahr später ließen die Konservativen die Forderung nach Schutzzöllen und damit ihre protektionistische raison d’être seit der Parteispaltung fallen. Dies mußte, in Genese und Konsequenzen, eine grundlegende ökonomische und gesellschaftspolitische Umorientierung bedeuten. 6. Der Northcote-Trevelyan-Report zur Reform des (in modernen Worten) Öffentlichen Dienstes und seine Diskussion 1853/54 zwangen, allerdings nur in Ansätzen, zum Nachdenken über die staatliche Administration und die Rekrutierung der Beamten und insofern auch über die Rolle des Staates und sein Verhältnis zur Gesellschaft. 7. Die Debatten um einen Frieden im Krimkrieg und der Pariser Friede lassen auf die konservative Vorstellung der Staatenwelt in der Umbruchphase nach dem Kollaps der Wiener Ordnung und die Stellung Englands in ihr schließen. 8. Der Sepoy-Aufstand in Indien rückte das bis dahin wenig thematisierte Empire in das Bewußtsein der Zeitgenossen und warf die Frage nach seiner Gestalt, Bedeutung und Zukunft auf. 9. Die politisch allerdings wenig ausgiebig diskutierte Local Government Act des zweiten Kabinetts Derby 1858 barg die Frage nach dem Verhältnis von lokaler und zentraler Ebene und zugleich von staatlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft in sich. 10. Die Reform Bill von 1859 war das ambitionierteste Vorhaben dieser Regierung, in dem sich wesentliche Elemente des konservativen Verfassungs-, Repräsentations- und Politikverständnisses bündelten. 11. Der nach seinem englischen Unterhändler Richard Cobden benannte Handelsvertrag mit Frankreich im Jahre 1860 weckte auf liberaler Seite
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große Hoffnungen auf eine Ablösung der klassischen Außenpolitik und Diplomatie durch weltweiten, unbeschränkten Handel und Frieden. Dies mußte die Vorstellungen der Tories auf sozio-ökonomischer ebenso wie auf außenpolitischer Ebene herausfordern. 12. Die nicht zuletzt aus diesen liberal-freihändlerischen Motiven gespeiste Nichtinterventionspolitik der 1860er Jahre teilten auch die Konservativen. Anhand ihrer Haltung zum deutschen Krieg von 1866 lassen sich, zumal sie in der Regierung reagieren mußten, Motive und Elemente dieser Politik bestimmen. 13. Die wiederholten Anträge der Liberation Society zur Abschaffung der church rates (Gemeindesteuern zum Erhalt der anglikanischen Kirchenbauten) riefen in den fünfziger und sechziger Jahren beinahe jährlich Kontroversen über das Verhältnis von Staat und Kirche und über die Stellung der Anglikanischen Kirche in der englischen Sozialordnung hervor. 14. In der Reform Bill von 1867 bündelten sich dieselben Fragen wie 1859, und zugleich warf das ebenso riskante wie erfolgreiche parlamentarische Verfahren in zugespitzter Form die Frage nach der Bedeutung von Macht für die Konservativen auf. Auf der Grundlage der Inhalte des politischen Denkens und ihrer Verortung in der politischen Praxis stellt sich drittens die Frage nach der spezifischen Entwicklungsrichtung der Konservativen nach der Parteispaltung. Verfolgten sie spätestens 1867 einen liberalkonservativen Reformkurs, der an die 1846 so bitter bekämpfte Politik Peels anknüpfte40? Dieser „Whig Interpretation of Tory History“ steht eine „Tory Interpretation of Tory History“ gegenüber: ihrzufolge schlugen sie eine tory-konservative Richtung ein, die über paternalistisch-sozialpolitische Ansätze im Zeichen einer organischen und gemeinschaftsorientierten statt rational planbaren und am Individuum orientierten Gesellschaftsvorstellung, von Autorität statt Partizipation eine Tory Democracy anvisierte41. Läßt sich eine inhaltliche und soziale Verbreiterung der Konservativen42 feststellen, die schließlich in 40
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So pointiert SMITH, Disraelian Conservatism, bes. S. 4 und 319, auch BLAKE, Disraeli, S. 758 f., SOUTHGATE, Conservative Leadership, S. 9, und generell NORMAN GASHS Arbeiten über Peel. Vgl. dazu BUTLER, Tory Tradition, S. 55, GLICKMAN, Toryness, S. 111–143, MCKENZIE/ SILVER, Angels, WILKINSON, Tory Democracy, S. 13 f. und 58–61, eingeschränkt JENKINS, Disraeli, S. 10 f., 13 f., 100, 117, 123 und 138; zur Unterscheidung zwischen „libertarianism“ in der Tradition Peels und „collectivism“ in der Tradition des Tory paternalism vgl. ECCLESHALL, English Conservatism, S. 14–16, sowie GREENLEAF, British Conservatism, S. 180–207. Vgl. MULLER, Conservatism, S. 26 und 210.
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einer Verbürgerlichung, gar im „Aufgehen des Konservativismus im (Alt)Liberalismus“ mündete43? Oder läßt sich eine andere, oder aber auch gar keine Direktion des mainstream ausmachen? Eine vierte Frage nach der englischen Besonderheit der englischen Konservativen schlösse hier an, läßt sich aber, weil keine Vorarbeiten für den notwendigen Vergleich existieren44, bestenfalls kursorisch ansprechen; sie verweist zugleich auf weitere und künftige Perspektiven der Konservatismusforschung. Dies gilt auch für eine letzte, fünfte, und in eine andere Richtung zielende Frage, ob sich nämlich aus den empirischen Befunden über die politische Kultur der englischen Konservativen Rückschlüsse auf Konservatismus als politische Idee allgemein ziehen lassen. UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND Überhaupt lassen sich in viele Richtungen Bezüge herstellen und Vergleiche vornehmen, etwa zu den Konservativen vor 1846 oder nach 1868 oder zu den Konservativen auf dem Kontinent. Eine solche thematische Ausweitung wäre jedoch nur auf Kosten der inhaltlichen Tiefe möglich, und da Untersuchungen, an die ein Vergleich anknüpfen könnte, nicht vorliegen, konzentriert sich diese Studie auf die Substanz der politischen Kultur der englischen Konservativen zwischen Parteispaltung und zweiter Wahlrechtsreform45. Damit verbindet sich eine weitere Spezifizierung des Gegenstandsbereiches: Die Verbindung von Konservatismus und Konservativen wird anhand der gerade in England parteilich organisierten und qua Selbstverständnis Konservativen, anhand der Conservatives mit dem „großen C“ vorgenommen46. 43 44 45
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So die These von KONDYLIS, Konservativismus, S. 395 (dort das Zitat), 399 f. und 418 f. Vgl. dazu SCHWENTKER, Erben Burkes, S. 136 mit S. 150 Anm. 6. Die pragmatische Verwendung des Begriffs „englisch“ trägt dabei nicht nur dem politischgeographischen Schwergewicht der Partei Rechnung und vermeidet nicht nur Ansprüche auf Vollständigkeit, ohne damit die übrigen Reichsteile auszuschließen. Sie entspricht vor allem dem ganz unbestrittenen Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts. Das irische Problem wird in der Untersuchung allerdings nicht eigenständig behandelt. Gerade in Großbritannien mit seiner besonderen evolutionären Entwicklung samt der allgemeinen Wertschätzung von Traditionen läßt sich eine Vielzahl von Menschen mit unterschiedlichen oder ganz ohne parteipolitische Zuordnungen in einem sehr allgemeinen Sinne als „konservativ“ bezeichnen. Ein solcher Konservatismusbegriff wäre jedoch, zumal angesichts der in England zur Verfügung stehenden begrifflichen Alternative, erstens kaum abzugrenzen und operationalisierbar, zweitens bezweifelbar signifikant und drittens historiographisch wenig erkenntnisträchtig.
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Das Zentrum der Konservativen Partei wie des politischen Systems47 und der politischen Nation lag im Parlament von Westminster, als Handlungsort oder als Bezugspunkt. Parlamentarier und Minister waren zugleich die politisch relevante Gruppe innerhalb der Partei, die keine nominellen Mitglieder besaß und deren außerparlamentarische Anhänger und Aktive auch nur schwer zu identifizieren sind. Daher konzentriert sich diese Studie auf die in einem weiteren Sinne parlamentarische als die – von dieser Grundannahme wird hier ausgegangen – politisch entscheidende und am meisten Bedeutung tragende Dimension der Partei: die konservativen Oberhausmitglieder und Unterhausabgeordneten sowie Bewerber um Mandate, sowohl innerhalb des Parlaments als auch, im Falle der Commoners, in den Wahlkreisen. Auf diese Weise und darüber hinaus anhand der konservativen Medien, anhand von Publizisten und einzelnen (allerdings nicht systematisierten) weiteren Teilnehmern an konservativen Debatten lassen sich die Artikulation und Kommunikation der konservativen Politik sowohl im politischen Zentrum als auch im Lande erfassen. Das Verhältnis zwischen Wählern und Mandatsträgern vor Ort kann dabei im hier gezogenen thematischen Rahmen allerdings nur angerissen werden, zumal Wähler aufgrund einer Stimmabgabe nicht automatisch Konservative im parteilichen Sinne sein mußten und zumal Wahlen im mittviktorianischen politischen System (und nicht zuletzt im konservativen Selbstverständnis) keine entscheidende politische Bedeutung besaßen (zwischen 40 und 60 Prozent der Unterhausabgeordneten wurden ohne Gegenkandidaten gewählt, und erst 1868 schied eine Regierung wegen einer Wahlniederlage aus dem Amt). Nichtsdestoweniger eröffnet diese Studie als Perspektiven weiterer Forschungen die vertiefende Frage nach der Bedeutung und der Implementierung des hier skizzierten Konservatismus und allgemein nach den konservativen Diskursen im Lande sowie das Problem der Wahlkultur. Hier läßt sich auch für die Konservativen das Phänomen der popular politics anschließen, das bislang vor allem von kulturgeschichtlich und diskursanalytisch orientierten Untersuchungen im Zuge einer Abkehr vom sozialgeschichtlichen Paradigma der working classes, um deren Angehörige es nichtsdestoweniger der Sache nach vornehmlich geht, für den (vom Erkenntnisinteresse her meist: vorsozialistischen) Radikalismus thematisiert worden ist48. 47 48
Zum politischen System des mittviktorianischen England vgl. Kapitel I.3.c). Vgl. insbesondere die Arbeiten von STEDMAN JONES – vgl. dazu D. MAYFIELD/ S. THORNE, Social History and its Discontents: Gareth Stedman Jones and the Politics of Language, in: SOCIAL HISTORY 17 (1992), S. 165–188 –, JOYCE (konzentriert in: Constitution; ausführlicher, auf der Grundlage von Fabrikarbeitern in Lancashire mit dem Anspruch der Reprä-
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Die Schwerpunktsetzung auf den Parlamentariern erlaubt es unterdessen, diese bestimmende Elite in wesentlich breiterer Perspektive zu untersuchen als bislang üblich, indem der Blick über die klassischerweise betrachtete frontbench der wenigen Parteiführer (und einige wenige Theoretiker) hinaus insbesondere auf die Hinterbänke der rank and file ausgedehnt wird. So konnten beispielsweise etwa 150 Unterhausabgeordnete und 50 Peers mit ihren parlamentarischen Meinungsäußerungen erfaßt und mit den Aussagen einer allerdings geringeren Zahl von politischen Gegnern verglichen werden; ebenso wurden die Wahladressen von etwa 100 konservativen Bewerbern um Unterhausmandate49 herangezogen. Da keine sozialwissenschaftlich auswertbaren Umfragedaten erhoben werden können bzw. zur Verfügung stehen, bleibt nur die Möglichkeit, im Sinne eines „alle, nicht jeder“50 auf pragmatische Weise in möglichst repräsentativer Breite Textzeugnisse zu interpretieren, um die repräsentativen und verbindlichen Meinungen, Einschätzungen und Werte der Konservativen zu bestimmen. METHODE Diese Untersuchung verfolgt ihre theoretisch deduzierten Fragestellungen auf dem Weg einer problemorientierten Hermeneutik, wie ihn insbesondere Hans-Georg Gadamer gewiesen hat. Sein hermeneutisches Hauptwerk Wahrheit und Methode ist zwar nicht in erster Linie historiographisch aus-
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sentativität für England, in: Visions, bes. S. 1–23 und 56–84), weitergehend dekonstruktiv VERNON, Politics and the People, bes. S. 1–11 und 329–339 („the instability of texts“ statt „populism“ als Gegenstandskategorie, S. 329), sowie seine Einführung zu VERNON (Hg.), Re-Reading the Constitution, S. 1–21, und die thematischen Überblicke von BELCHEM, Popular Radicalism, und MCWILLIAM, Popular Politics, die historiographische Einführung bei LAWRENCE, Speaking for the People, S. 11–69, sowie den Überblick bei WENDE, Großbritannien, S. 147–151, und die kritische Bestandsaufnahme von BENTLEY, Victorian Politics and the Linguistic Turn, S. 894–902. Hinweise auf einen „popular Toryism“ etwa bei JOYCE, Visions, bleiben sehr allgemein und unspezifiziert, bei VERNON, Politics and the People, S. 219 f., 235–237 und 240–246 sehr am Einzelnen orientiert; vgl. ansonsten die Zusammenfassung bei KIRK, Labour, S. 95–107, (am Beispiel von Wolverhampton) LAWRENCE, Speaking for the People, S. 99–127, und PUGH, Popular Conservatism, allerdings (wie auch PUGH, Tories) mit Schwerpunkt auf den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in denen das Phänomen unter den Bedingungen des fortgeschrittenen „politischen Massenmarktes“ (Hans Rosenberg) insbesondere nach den beiden Wahlrechtsreformen von 1867 und 1884/85 andere Bedeutung und Qualität gewann. Der Begriff „Adresse“ wird hier als assimiliertes Fremdwort aus dem Englischen im Sinne einer schriftlichen Verlautbarung oder mündlichen Botschaft verwendet. ELISABETH NOELLE-NEUMANN/THOMAS PETERSEN, Alle, nicht jeder. Einführung in die Methoden der Demoskopie, München 1996. In der Tat zielen historische politische Kulturforschung und moderne Demoskopie bei allen substantiellen Unterschieden der Quellenund Datenbasis in ähnliche Erkenntnisrichtungen.
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gerichtet (auch wenn es in besonderem Maße die Hermeneutik der Geschichtswissenschaften von Ranke bis Dilthey aufgreift) und auch von mancherlei philosophischen Zu- und polemischen Überspitzungen (namentlich gegen die begrifflich mit „Historismus“ gleichgesetzte „historische Schule“) nicht frei. Dennoch ist diese wohl reflektierteste hermeneutische Epistemologie für die Geschichtswissenschaften von hoher methodisch-theoretischer Klärungskraft51, wobei ihre systematische Adaption überhaupt erst zu leisten wäre52 und auch hier nur in groben Umrissen skizziert werden kann. Eine solche Hermeneutik ist sich der problematischen Verbindlichkeit menschlicher Erkenntnis bewußt, die sich stets in Form vorgreifender Bewegungen des Vorverständisses, stets in den Vorurteilsstrukturen des erkennenden Subjekts vollzieht, um die „sachliche Wahrheit [des Textes] gegen die eigene Vormeinung auszuspielen“ und „in konzentrischen Kreisen die Einheit des verstandenen Sinns zu erweitern“53. Sie kennt keine andere „Objektivität“ als „die Bewährung, die eine Vormeinung durch ihre Ausarbeitung“ im Gespräch, sei es mit anderen Experten, sei es mit den Quellen, findet54. Im Gegensatz zu einem positivistischen Objektivismus ist sich eine solche Hermeneutik bewußt, daß geschichtswissenschaftliche Erkenntnis eine durch das problematische Medium der Sprache vermittelte Konstruktion des Erkenntnisobjekts, die schöpferische Konstruktion von Sinn und Bedeutung darstellt55. Daß es keinen erforschbaren und verifizierbaren „Gegenstand an sich“ gibt, bedeutet allerdings nicht, die Vorstellung der vergangenen Wirklichkeit und ihrer Tatsächlichkeit der Unverbindlichkeit und der Beliebigkeit auszuliefern. Denn vor dem Hintergrund der steten praktischen Erfahrung, daß intersubjektive Verständigung möglich ist, läßt sich auf der Grundlage
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Vgl. GADAMER, Wahrheit und Methode, v.a. Zweiter Teil II. (Grundzüge einer Theorie der hermeneutischen Erfahrung) und Dritter Teil (Ontologische Wendung der Hermeneutik am Leitfaden der Sprache), v.a. S. 280–312, 344 f., 367–384, 478–480 und 494. Gadamers Hermeneutik ist von seiten der Geschichtswissenschaft überwiegend kritisch abwehrend rezipiert worden, vgl. FABER, Theorie der Geschichtswissenschaft, S. 109–146, ebenso MOMMSEN, Kategorie des „Verstehens“, S. 214–216 und 221–224, differenzierend hingegen NAGL-DOCEKAL, Objektivität, S. 162–196; neutral abwägend DANIEL, Clio unter Kulturschock, S. 210–212, sowie DANIEL, Kulturgeschichte, S. 103–115; zur Diskussion vgl. auch LORENZ, Konstruktion der Vergangenheit, S. 147–153. In allgemeiner Perspektive GRONDIN, Einführung zu Gadamer, bes. S. 125–192 (neben seiner umfangreicheren Biographie Hans-Georg Gadamer. Eine Biographie, Tübingen 2000), und bereits seine Einführung in die philosophische Hermeneutik, bes. S. 138–159 und 174–178. Vgl. GADAMER, Wahrheit und Methode, S. 271–274, 296 und 298, die Zitate 274 und 296. Vgl. ebd., S. 272; zum „Gespräch“ vgl. auch GRONDIN, Hermeneutik, S. 152–159, und GRONDIN, Einführung zu Gadamer, S. 193–233. Vgl. GADAMER, Wahrheit und Methode, S. 290 f., 295, 301 f., 306, 319, 387 und 392.
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von sensus communis (mit dem gesamten ursprünglichen und im Angelsächsischen bis heute gültigen sozialmoralischen Bedeutungsgehalt des common sense)56 und daraus gespeistem Pragmatismus geschichts- und allgemein humanwissenschaftliche Erkenntnis von spezifischem eigenem Wahrheitsanspruch als „Antwort auf eine Frage“57 hervorbringen. Reguliert wird sie durch die stete Bewußtmachung der Bedingungen, namentlich der Vorurteilsstrukturen des eigenen Erkennens und das Bemühen um die Überwindung der erkenntnishemmenden Vorurteile58, durch das Gebot der an den Quellen zu verifizierenden Widerspruchsfreiheit der Erklärung59 und durch die Instanz des allgemeine Geltung konstituierenden Gesprächs60. Im Treibsand aller modernen und postmodernen Infragestellungen der Verbindlichkeit von Erkenntnis eines erkennenden Subjekts über ein zu erkennendes Objekt in Form von Sprache eröffnet eine solche Hermeneutik in der Tradition des gemäßigten aristotelisch-thomistischen Realismus einen tragfähigen Grund historischen und historiographischen Sinns anstelle des epistemologischen Untergangs in einem nominalistischen Relativismus, in den vielerlei postmoderne Ansätze in letzter Konsequenz führen61. Gelangt man etwa von der Soziologie über die Psychologie, die Kriminologie und die Neurologie zur Hirnforschung, so demaskiert diese menschliches Wahrnehmen und Erinnern als „datengestützte Erfindungen“ und „konstruktivistische Tätigkeit unserer Gehirne“, die nach einem kohärenten Bild der Welt streben und sich dabei der Illusion einer vollständigen, tatsächlich allerdings höchst selektiven Wahrnehmung hingeben. Dies gilt nicht nur für historische, sondern auch für historiographische Bedeutung: zwischen Akteuren und Beobachtern kann gar nicht wirklich getrennt werden, „weil die Beobachtung den Prozeß beeinflußt, selbst Teil des Prozesses wird“62. Aus diesem Befund der Unmöglichkeit verbindlichen Wissens über Wahrheit folgert Wolf Singer allerdings als allein verbleibende Mög-
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Vgl. ebd., S. 26 f., 30–32, 35 und 38 f. Ebd., S. 381. Vgl. ebd., S. 300 und 304 („die eigentlich kritische Frage der Hermeneutik [. . .], nämlich die wahren Vorurteile, unter denen wir verstehen, von den falschen, unter denen wir mißverstehen, zu scheiden“; Hervorhebungen im Orig.). Vgl. ebd., S. 296: die „Einstimmung aller Einzelheiten zum Ganzen“. Vgl. ebd., S. 29 und 494. Vgl. zu diesen Kriterien und dem Wahrheitsanspruch geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis auch (tendenziell allerdings objektivistischer akzentuiert als Gadamer) NIPPERDEY, Geschichte, S. 337–339. Vgl. dazu HELLER, Hermeneutik, S. 34: „Absoluter kultureller Relativismus ist ein Mißverständnis, [. . .] ist eine Art von Wunschtraum: Der in Frage stehende Wunsch ist ein Todeswunsch.“ SINGER, Hirnforschung, S. 10.
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lichkeit die intersubjektiv gültigen, von Kompetenzträgern für richtig erachteten Aussagen – vulgo: eine Hermeneutik des Gesprächs. Radikaler löst vor allem der poststrukturalistische postmoderne Dekonstruktivismus63, namentlich in der Oboedienz Derridas, letztlich alle Verbindlichkeit von historischem ebenso wie historiographischem Sinn auf, indem er alle sprachlichen Bezeichnungen als immer neue diskursgenerierte Erfindungen, als sprachliche Artefakte ohne Bezug zu einer vorgängigen Realität außerhalb des Textes auffaßt, die generell geleugnet wird. Zugleich wird die Souveränität des Individuums über sprachlich vermittelten Sinn ebenso wie die Möglichkeit sinnhafter, intersubjektiv gewisser sprachlichbegrifflicher Verständigung überhaupt in Frage gestellt bzw. negiert64. Zugleich allerdings liegen, wie es auch in dieser Untersuchung zum Tragen kommt, zwischen einer Hermeneutik im skizzierten Sinne und moderaten bzw. kontextualistischen diskursanalytischen Ansätzen zahlreiche Berührungspunkte65: allgemein in der Kritik am platonischen Realismus der Modernisierungstheorien (wie sie zumindest bis zur Mitte der siebziger Jahre vorgetragen wurden) mit ihrer teleologisch-normativen Metaerzählung von Fortschritt, Rationalisierung und Emanzipation66, und konkret, insofern sich beide an der (wenn auch oftmals unterschiedlich zugeschriebenen) Bedeutung von Sprachhandlungen im historischen Kontext orientie63
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Vgl. dazu, als allgemeinen Überblick über die vielschichtigen und kaum mehr überschaubaren Diskussionen, DANIEL, Clio unter Kulturschock, bes. S. 259–264 und 275–277, DANIEL, Kulturgeschichte, S. 120–122, 138–142, 150–167 und 345–359, HANISCH, Die linguistische Wende, und LORENZ, Konstruktion der Vergangenheit, S. 153–170 und 177–187; vgl. auch TOEWS, Intellectual History, bes. S. 901 f., sowie LACAPRA, Geistesgeschichte und Interpretation. Vgl. dazu SEARLE, Rationalität, S. 391: „Nehmen wir zum Beispiel an, ich rufe meinen Automechaniker an, um herauszufinden, ob der Vergaser repariert ist; oder ich rufe den Arzt an, um die Ergebnisse meiner letzten ärztlichen Untersuchung zu erfahren. Nehmen wir nun an, ich habe einen dekonstruktivistischen Automechaniker erwischt, und er versucht mir zu erklären, daß ein Vergaser sowieso nur ein Text ist und daß es nichts gibt, worüber zu reden wäre außer der Textualität des Textes. Oder nehmen wir an, ich habe einen postmodernistischen Arzt erwischt, der mir erklärt, daß Krankheit wesentlich ein metaphorisches Konstrukt ist. Was man auch sonst noch über diese Situationen sagen kann, eines ist klar: die Kommunikation ist zusammengebrochen.“ Vgl. etwa GRONDIN, Hermeneutik, S. 177, WENDE, Großbritannien, S. 148–150, und DANIEL, Clio unter Kulturschock, S. 212; dort S. 262, sowie bei MARES, Abschied, S. 380, auch die Unterscheidung von „kontextualistischen“ moderaten und „postmodernen“ radikalen Varianten des linguistic turn. Zu Modernisierung und Modernisierungstheorien vgl. etwa klassisch LEPSIUS, Soziologische Theoreme, und WEHLER, Modernisierungstheorie und Geschichte, resümierend und differenzierend VAN DER LOO/VAN REIJEN, Modernisierung, sowie WEHLER, Modernisierung und Modernisierungstheorien, bes. S. 227–235 und 333 f. (dort weiterführende und die ältere Literatur). Zur postmodernen Kritik vgl. etwa STEDMAN JONES, Changing Face, bes. S. 36 f. und 39.
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ren und ihnen weitgehende Eigenständigkeit (statt bloßer Abhängigkeit von vor allem ökonomischen Bedingtheiten) zubilligen und politische Kommunikation als eigenständigen Interaktionsraum auffassen (wobei der Hermeneutik das Urheberrecht für manche vermeintliche Neuentdeckung des linguistic turn zukommt).67 Ein solches problemorientiertes philologisch-hermeneutisches Vorgehen auf einer breiten empirischen Grundlage verfügt zugleich, zumindest für den hier zu behandelnden Gegenstand, über Vorzüge gegenüber einer primär statistisch-quantifizierenden sozialwissenschaftlichen Analyse. Denn ein solch qualifizierendes Vorgehen vermag die Sinnbezüge seiner Textzeugnisse sowie die Offenheit für ihre Bedeutungsebenen zu wahren, statt apriorische Festlegungen in Form eines Rasters zwecks serieller Auswertung treffen zu müssen. Die erforderliche breite Grundlage macht dabei den Aufwand einer großen Zahl von Interpretationen individueller Zeugnisse unverzichtbar, um aus der Fülle des jeweils Besonderen das Allgemeine zu gewinnen. Gerade der Ansatz der „politischen Kultur“ vermag Politik- und Kulturgeschichte, tradierten „Historismus“ (in recht verstandenem, problemorientiertem Sinne68) und modernen „Kulturalismus“ auf fruchtbare Weise in
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Vgl. dazu auch HELLMUTH/EHRENSTEIN, Intellectual History, bes. S. 154–160 und 167–172. Vgl. dazu HERTFELDER, Historismus, bes. S. 366 f., der einen solchen „Historismus in der Geschichtswissenschaft“ als „methodische Orientierung“ (genauer: als Zusammenhang von theoretischen, epistemologischen und methodologischen Grundlagen) versteht, die sich erstens durch die Anwendung hermeneutischer statt theoriegeleiteter Methoden, zweitens durch die Einsicht in die fundamentale „Kontextualität von Normen, Wertsystemen und handlungsleitenden Hinsichten“, drittens durch die Annahme der prinzipiellen Offenheit der Geschichte anstelle gesellschaftstheoretischer Teleologie und Erkenntnisinteressen und viertens durch die „Ästhetisierung des narrativen Diskurses“ bestimmt; vgl. auch STEENBLOCK, Legitimität des Historismus. Vgl. auch nach wie vor NIPPERDEY, Historismus, bes. S. 69–73, in diesem Sinne auch NIPPERDEY, Geschichte, S. 340 f. Der semantisch zumeist sehr uneinheitlich verwendete Historismus-Begriff ist in dieser allgemeinen Bedeutung allerdings deutlich von der (dabei meist polemisch zugespitzten und in diesem Sinne etwa auch von Gadamer für seine Kritik an der romantischen Hermeneutik verwendeten) Bezeichnung für das konkrete wissenschaftsgeschichtliche Phänomen der „historischen Schule“ zu unterscheiden. Hinsichtlich der sprachlichen Ästhetik dieser Darstellung ist zu bemerken, daß die im Text vielfach verwendete militärische und Kampfmetaphorik zeitgenössischen Ursprungs ist und auf den Wesenskern der mittviktorianischen Konservativen und die These dieser Studie – die fundamentale Auseinandersetzung mit dem Radikalismus in ihrer spezifischen Entwicklung – verweist. Eine weitere Vorbemerkung: Aus stilistischen Gründen werden (insbesondere länger referierte) Aussagen und Positionen im Text wiederholt im Indikativ vorgetragen bzw. wird, wenn der Meinungsäußernde erkennbar ist, im Falle der Formgleichheit von Indikativ und
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Beziehung zu setzen. Im Bemühen um eine Integration der verschiedenen Zugänge in einen eigenen methodisch-thematischen Ansatz gewinnt auch diese Studie vielfältige Impulse aus der kritischen Auseinandersetzung und den Berührungen (auch in Form der Fragestellungen) zum einen mit der klassischen englischen Politikgeschichtsschreibung der high politics, zum anderen mit den gerade auf dem Gebiet der englischen Verfassungsgeschichte angewandten neueren sprachtheoretischen69 oder diskursanalytischen Ansätzen moderater kontextualistischer oder dezidiert dekonstruktivistischer Observanz70. Im Zentrum dieser Studie über die englischen Konservativen und ihren Konservatismus stehen Gestalt und Funktion ihres politischen Denkens und Argumentierens – politische Kultur im klassischen Sinne.71 Dabei geht es um die „historische Konstruktion“72 eines Gedankengebäudes, das in der hier vorgetragenen Gestalt und Kohärenz zumindest im Bewußtsein der Zeitgenossen so nicht existiert hat, sondern durch interpretierende Abstraktion als eigene Form historischer Wahrheit gewonnen wird.
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Konjunktiv auf eine besondere sprachliche Hervorhebung des Konjunktivs verzichtet, ohne daß damit eine affirmative Aussageabsicht verbunden ist. Vgl. dazu etwa STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, v.a. S. 18–44, über den Zusammenhang von Sprache und Politik. Daß über generelle sprachtheoretische Probleme hinaus Sprache in dieser Untersuchung in Form von politischer Rhetorik und Polemik vorliegt, schränkt ihre Bedeutung nicht ein, da gerade Wahrnehmung und Rhetorik politisch relevante Kategorien darstellen. Vgl. dazu die in Anm. 48 genannten Titel sowie BENTLEY, Historiography, S. 139–147, bzw. BENTLEY, Approaches to Modernity, S. 488–495, und MARES, Abschied, S. 384–388. Konzeptionelle Weiterungen etwa der „Inhaltsseite“ um die „Ausdrucksseite“ und den Prozeßcharakter von politischer Kultur bzw. der „Deutungs-“ um die „Soziokultur“, wie sie KARL ROHE, Politische Kultur, bes. S. 336–341, vorgeschlagen hat und wie sie etwa im Zusammenhang wahlanalytischer Untersuchungen für große soziale Gruppen fruchtbar gemacht werden können (vgl. etwa PYTA, Politische Kultur und Wahlen, S. 199–205), lassen sich für die hier in Frage stehende Elite nicht mit Aussicht auf weiterführende Ergebnisse anwenden. Auch die Forderung nach einer „Wissenssoziologie“ ließ sich schon im Falle von KARL MANNHEIM, Soziologie des Wissens, der seine Konservatismusdeutung letztlich auf einige wenige deutsche konservative Theoretiker stützte, leichter erheben als umsetzen. Dabei bemüht sich diese Arbeit durchaus, „die vorhandenen Gedankenmassen in jener historischsoziologischen Gesamtkonstellation, aus der sie jeweils genuin hervorgetreten sind, zurückzuverankern“ (so der Anspruch von MANNHEIM, Konservatismus, S. 48), ohne sich freilich einem bestimmten soziologischen Ansatz zu verpflichten. GADAMER, Wahrheit und Methode, S. 295, vgl. auch 301; vgl. auch den Titel von LORENZ: „Konstruktion der Vergangenheit“.
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QUELLEN Politische Kultur im hier verstandenen Sinne läßt sich, da Öffentlichkeit zu ihren wesentlichen Eigenschaften zählt, weitgehend über öffentliche Quellen erschließen, die dann mit internen und privaten Zeugnissen qualifizierend zu vergleichen sind. Schon Robert Cecil ahnte „the ungrateful but instructive task of reading not only the past parliamentary debates, but the speeches to constituents and the articles in periodical publications“73, und so beruht diese Untersuchung (1.) auf Reden innerhalb und außerhalb des Parlaments, (2.) Wahladressen, (3.) Beiträgen in konservativen Periodika sowie einzelnen Druckschriften und Pamphleten, (4.) auf Selbstzeugnissen, (5.) Briefen und Korrespondenz sowie (6.) auf ausgewählten Akten.74 (1.) Das Parlament stand ganz im Zentrum der Verfassungsform des „Parliamentary Government“ insbesondere zwischen den beiden Wahlrechtsreformen von 1832 und 186775. „Our policy must be revealed in the House of Commons, and only there“, schrieb Disraeli 185276. Hier wurden die großen Entscheidungen der Zeit in der Tat durch Reden und Majoritätsbeschlüsse herbeigeführt. Gerade im Zeichen durchlässiger Parteigrenzen in den fünfziger Jahren übten die parlamentarische Debatte und die Rede nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das Abstimmungsverhalten aus, und sie wurden in der Öffentlichkeit, vor allem in den Tageszeitungen, breit rezipiert. Vernachlässigt wurden sie demgegenüber von der high politics-Historiographie, weil sie in diesen Reden kaum einen „direkten Beweis“ für die unmittelbaren Motive und Ziele politischen Handelns zu erkennen vermag77. Für eine darüber hinausweisende Sicht von Politik stellen die Hundertschaften von Hansard-Bänden unterdessen eine der am meisten unterschätzten und am wenigsten genutzten Quellen dar. Thomas Hansards Büro besaß bis 1878 keine eigenen Galeriereporter im Parlament (offizielle Parlamentsstenographen nahmen erst 1909 ihre Arbeit 73 74
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The Conservative Surrender, in: QR 123, Nr. 246 (Oktober 1867), S. 533–565; zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 279. Quellen werden in der Regel nach dem leichtest zugänglichen Fundort aufgeführt, gedruckte Archivalien nur nach der Edition. Aus Editionen mit numerierten Dokumenten wird nach dem Schema Dokumentennummer/konkrete Seitenzahl (ohne Kürzel Dok. oder S.) zitiert. Offensichtliche Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert. Fremdsprachliche Zitate werden nach Möglichkeit und ohne besondere Kennzeichnung übersetzt, im (überwiegenden) Fall ihrer nicht adäquaten grammatischen, semantischen oder lexischen Übertragbarkeit jedoch in der Originalsprache belassen. Vgl. beispielsweise HAWKINS, Parliamentary Government, bes. S. 640–642, 652 und 660–668, und allgemein Party Politics 1852–1886; vgl. auch Kapitel I.3.c). Disraeli an Stanley, 15. August 1852, Disraeli Letters VI, 2361/117. Vgl. COWLING, 1867, S. 317–319 und 331 (dort das Zitat).
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auf), sondern sammelte die Debattenberichte der Londoner Morgenzeitungen, die somit die Primärquelle für die Parlamentsdebatten darstellen, diese allerdings, nicht zuletzt aufgrund der vor allem akustisch schwierigen Arbeitsbedingungen, nicht wörtlich und oft verzerrt wiedergaben. Hansard überarbeitete die Redebeiträge redaktionell und ließ sie durch die Redner redigieren und autorisieren78. „I passed the morning in correcting my Father’s speech for publication, from the newspaper reports“, klagte Stanley 1850, „a laborious task, as much of it had to be rewritten altogether“79. Daß Hansard’s Parliamentary Debates nicht die originalen, sondern redigierte Berichte enthalten, tut ihrem Quellenwert für diese Untersuchung keinen Abbruch, denn im Gegenteil stellen sie nicht nur eine zureichende Quelle für die „Realitäten hinter den Realitäten“ dar, sondern geben auch die für die politische Kultur noch ergiebigere intendierte Außendarstellung der Inhalte in der Öffentlichkeit statt situativ beeinflußter Äußerungen wieder. Die Quellengattung der Parlamentsdebatten ermöglicht zugleich eine quantitativ außerordentlich breite und somit repräsentative Erfassung der Meinungsäußerungen von insgesamt etwa 200 konservativen (und zum Vergleich etwa 50 gegnerischen) Parlamentariern unter gleichen Rahmenbedingungen. Hinzu kommen (nicht systematisch erhobene) außerparlamentarische Reden und öffentliche Meinungsäußerungen. (2.) Als wahre Goldader stellten sich die (wohl aus ähnlichen Gründen wie die Parlamentsdebatten) völlig unausgewerteten Wahladressen heraus. Vor den Wahlen (oder im Falle von Wahlen ohne Gegenkandidaten oft auch danach) veröffentlichten die Bewerber in schriftlicher oder mündlicher Form Wahladressen – für viele Hinterbänkler die einzige Gelegenheit, bei der sie sich überhaupt öffentlich äußerten –, in denen sie, so wurde immer wieder als Anspruch formuliert, über die keineswegs dominanten lokalen Bezüge hinaus ihre allgemeinpolitischen „principles“ (das meistgebrauchte Wort in diesen Wahlzeugnissen) vorzulegen hatten. Und wenn ein Bewerber sich allzu sehr in Unwesentlichem erging, wurde er schon einmal aus dem Publikum aufgefordert, zu seinen „Prinzipien“ zu reden. Über diese canvassings, Wahlversammlungen und Wahlakte berichtete die Times ausführlich in ihrer nach Wahlkreisen unterteilten Rubrik „Electoral Intelligence“, in der die Wahladressen zumindest auszugsweise wortgleich und in indirekter Rede wiedergegeben wurden. Darüber hinaus wurden sie im vollen Wortlaut im Anzeigenteil bekanntgemacht. Und auch für diese Adres78 79
Vgl. ANDERSON, Hansard’s Hazards, S. 1202 f. mit Anm. 1, JORDAN, Reporting, S. 448, und PORT, Official Record, S. 182. STANLEY JOURNALS, S. 21 (Tagebucheintrag vom 19. Juni 1850).
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sen gilt ebenso wie für die Parlamentsreden, daß sie nicht unmittelbare politische Motive und Ziele äußern mußten, sondern die von den Rezipienten erwartete und von den Politikern intendierte, auf Zustimmung hin angelegte und politisch letztlich relevante Außendarstellung. Aus ihrer systematischen und quellenkritischen Lektüre ergibt sich dabei durchaus der Eindruck grundsätzlicher Authentizität, der die englische Politik des mittleren 19. Jahrhunderts nicht als Schizophrenie eines arkanen Innen und eines belanglosen Außen erscheinen läßt. Insgesamt wurden etwa 600 Wahladressen bzw. Wahlberichte erfaßt, indem 48 repräsentative Wahlkreise (24 boroughs, 23 counties und eine Universität; 35 englische aus allen Landesteilen, drei walisische, vier schottische und sechs irische) ausgewählt80 und systematisch für die Wahlen von 1847, 1857 und 1868 ausgewertet wurden. (3.) Die 1808/9 als konservatives Gegenstück zur Edinburgh Review, dem Organ der schottischen Aufklärung, gegründete Quarterly Review81 fuhr insbesondere unter dem Einfluß ihres wichtigsten Autors John Wilson Croker, der „Stimme der alten Tory-Partei“, eine konsequent (auch im parteipolitischen Sinne) konservative Linie, die nach seinem Rückzug 1854 in einen moderater konservativen Kurs überging und stets einen „Toryism of 80
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Belfast (borough; Irland), Buckinghamshire (county), Canterbury (borough; Kent), Cardiganshire (county; Wales), Carlisle (borough; Cumberland), Carlow County (county; Irland), Chichester (borough; Sussex), Devon(shire) South (county), Droitwich (borough; Worcestershire), Dublin (county; Irland), Dumbartonshire (county; Schottland), Dungannon (borough; Irland), Elginshire (county; Schottland), Fermanagh (county; Irland), Haverfordwest (borough; Pembrokeshire, Wales), Helstone (borough; Cornwall), Huntingdon (borough; Huntingdonshire), Ipswich (borough; Suffolk), Kent West (county), Kirkcudbrightshire (county; Schottland), Lancashire North (county), Leicestershire South (county), Lincolnshire South (county), Liverpool (borough; Lancashire), London City (borough), Lynn (Kings Lynn, Lynn Regis; borough; Norfolk), Maidstone (borough; Kent), Maldon (borough; Essex), Manchester (borough; Lancashire), (Great) Marlow (borough; Buckinghamshire), Midlothian (Edinburghshire/Ed. country; county; Schottland), Newport (borough; Isle of Wight), Northumberland North (county), Oxford (Univ.), Oxfordshire (county), Petersfield (borough; Hampshire), Radnorshire (Radnor county; Wales), Staffordshire North (county), Stamford (borough; Lincolnshire), Surrey West (county), Taunton (borough; Somersetshire), Tyrone (county; Irland), Warwickshire North (county), Wenlock (borough; Shropshire), Whitby (borough; Yorkshire), Wiltshire North (county), Woodstock (borough; Oxfordshire), Yorkshire/North Riding (county). Möglicherweise wurden nicht alle Wahladressen in der TIMES bekanntgemacht, sondern einzelne, sozusagen aus der letzten Reihe der Hinterbänkler, nur in lokalen Zeitungen; angesichts der Stichprobengröße ist eine solche mögliche Lücke allerdings tolerabel. Vgl. dazu WELLESLEY INDEX I, S. 696–702 (das folgende Zitat S. 698) sowie 728–751 (Verzeichnis der Aufsätze und Autoren für die Jahre 1846–1868); vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 15 f. Zu den konservativen Periodika und ihrem Quellenwert vgl. auch GAMBLES, Protection and Politics, S. 10–18.
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the intelligentsia“ kultivierte. Ihre als Rezensionen dargestellten und durchschnittlich um die vierzig Seiten (oft auch mehr) umfassenden Aufsätze stammten, allerdings (wie in viktorianischen Periodika üblich) ohne Namensnennung, zuweilen aus den Federn der konservativen Politiker George Frederick Young, Edward Bulwer-Lytton, Stafford Northcote, Spencer Walpole, Alexander Beresford-Hope, bis 1859 auch William Gladstone, nicht hingegen von Disraeli oder Derby. Dafür publizierte die Quarterly in den sechziger Jahren 26 von Robert Cecils großen Aufsätzen, die insofern mit quellenkritischer Vorsicht zu behandeln sind, als sich Cecil in diesen Jahren einerseits als konservativer „Ultra“ profilierte und nicht repräsentativ für die Partei war, andererseits in seinen Artikeln wie kein zweiter wesentliche Elemente konservativen Denkens in unübertroffener stilistischer Brillanz zu artikulieren und auf den Punkt zu bringen verstand. Neben 608 Artikeln für die Saturday Review, die hier nur vereinzelt ausgewertet werden konnten82, erschienen vier seiner Aufsätze in Bentley’s Quarterly Review, die, als neue Quarterly Review gedacht, 1860 indes schon nach vier Ausgaben aufgeben mußte83. Neben der Quarterly Review stellte das 1817 gegründete, monatlich erscheinende Blackwood’s Edinburgh Magazine das zweite bedeutende konservativ orientierte, sehr Torytreue Periodikum dar84. Konservative Politiker publizierten hier nicht, doch halfen die Autoren dieser konservativen Zeitschriften „to form a conservative ideology, closely imbricated with the utterances of Conservative politicians“85. Parteipolitisch weit weniger konservativ als Blackwood’s, zuweilen viel eher liberal und kaum als konservativ erkennbar, orientierte sich das 1830 gegründete und monatlich erscheinende Fraser’s Magazine for Town and Country86. Da es den Konservativen insbesondere nach 1846 an publizistischer Unterstützung mangelte87, gründeten sie unter Federführung Disraelis, Malmesburys und Stanleys 1853 eine eigene Wochenzeitung, The Press. Konsequent vertrat sie Disraelis politische Positionen und wirkte innerhalb der Konservativen eher spaltend als integrativ. Zudem erwies sie sich bald als ökonomisch defizitär, so daß sie 1858 verkauft und 1866 schließlich einge82 83 84 85 86 87
Vgl. die Bibliographie der Schriften Cecils zwischen 1854 und 1858 in PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 157–188. Vgl. WELLESLEY INDEX II, S. 5–10. Vgl. WELLESLEY INDEX I, S. 7–10 und 78–129 (Beiträge und Autoren), sowie MCDOWELL, British Conservatism 16 f. MILNE, Alison, S. 442, vgl. auch 420 f. Vgl. WELLESLEY INDEX II, S. 303–319 und 391–475 (Beiträge und Autoren); vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 16. Vgl. STEWART, Foundation, S. 270–272, und COLEMAN, Conservatism, S. 113–116.
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stellt wurde88. Neben diesen konservativen Periodika wurde als Gegenstimme der Economist zum Vergleich herangezogen. (4.) Neben einigen Memoiren von unterschiedlichem Quellenwert (2. Duke of Buckingham and Chandos, Gathorne Gathorne Hardy, William Heathcote und John Charles Herries) sind vor allem die Tagebücher von Stafford Northcote und insbesondere von Edward Stanley und Lord Malmesbury von hohem Aussagewert, wobei gerade letztere die alltägliche Verzahnung von gesellschaftlichem Leben insbesondere der Aristokratie und Politik plastisch werden lassen. Einen lebendigen Eindruck des allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Lebens vermitteln auch die Diarien des nicht parteigebundenen Chronisten Charles Greville. (5.) Briefe und Korrespondenz sind teils in modernen Editionen publiziert (vor allem die noch nicht abgeschlossenen Disraeli Letters), teils in den in England verbreiteten Life and Letters-Biographien enthalten, die zwar wissenschaftlich-kritischen Standards nicht entsprechen und teils auch in der Wiedergabe von Dokumenten spezifischen Überlieferungsabsichten unterliegen mögen. Diese wirken sich jedoch primär auf Entscheidungsprozesse und persönliche Beziehungen aus, lassen die hier interessierenden Fragen der politischen Kultur hingegen unberührt, wie quellenkritische Überprüfungen an den Archivalien bestätigt haben. Ergänzt wurden diese Überlieferungen um archivalische Nachlaßbestände. (6.) Akten wurden, in edierter ebenso wie in archivalischer Form, gezielt konsultiert. Wichtiger noch ist die Benennung nicht bestehender Aktenbestände: Kabinettsprotokolle sind ebenso wie Fraktionsunterlagen und -protokolle nicht überliefert, und ebensowenig existieren relevante offizielle Parteiunterlagen für die Zeit vor 1867; erst mit der Gründung der National Union of Conservative and Constitutional Associations beginnt die Parteiüberlieferung89. Daher ist die Geschichtsschreibung der englischen Konservativen vor 1867 ganz auf persönliche Quellenzeugnisse angewiesen. Auf dieser hinsichtlich der Quellengattungen wie der Anzahl der Zeugnisse möglichst breiten Quellengrundlage wird die allgemeine politische Kultur der Konservativen, die sich in diesem Zusammenhang quantifizierender Analyse entzieht, aus der Fülle des jeweils Besonderen gewonnen. Daß dabei in hohem Maße führende Politiker zitiert werden, hat zwei Gründe: zum einen werden, ohne daß dies jeweils benannt wird, repräsen88 89
Vgl. STEWART, Foundation, S. 282–284, und SAAB, New Tories, bes. S. 291 f. Vgl. Archives of the British Conservative Party, 1867–1986, bes. S. 10, und die Übersichten bei BALL, National Politics, und BALL, Records of the Conservative Party. Das vor 1867 begonnene Constituency Archive of the Conservative Party in Liverpool zum Beispiel enthält für den Untersuchungszeitraum keine relevanten Unterlagen.
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tative und aussagekräftige Äußerungen wiedergegeben, und in einem stark auf die (vor allem parlamentarische) Rede konzentrierten politischen System wie in England sind die führenden Politiker in der Regel zugleich die begabtesten Redner, die dann auch die treffendsten Formulierungen finden. Zum anderen waren es, wie sich aus der Gesamtschau der Quellen ergibt, aber auch in ganz überwiegendem Maße die führenden Politiker (und parteinahe Publizisten) und nur in vergleichsweise geringem Maße die große Zahl der Hinterbänkler, die sich zu den zentralen Sachverhalten innerhalb wie außerhalb des Parlaments substantiell und in hier interessierender Weise zu Wort meldeten. Wenn daher die Darstellung der politischen Kultur der Konservativen im folgenden in erheblichem Maße auf den Äußerungen ihrer exponierten Persönlichkeiten ruht, entspringt diese Fokussierung nicht einer apriorisch elitär-personalistischen Geschichtsauffassung, sondern ist bereits Ergebnis eines methodisch und auch quellenmäßig möglichst breit angelegten Vergleiches. INHALTLICHER ABRISS In doppelter darstellerischer und heuristischer Absicht entfaltet das aus der Einleitung ausgegliederte erste Kapitel den historiographischen und historischen Hintergrund des Konservatismus und der Konservativen: am Anfang steht ein Überblick über die verschiedenen Begriffe von Konservatismus in der Forschung (I.1), aus der dann, zur Begründung der Fragestellung dieser Studie, auf die mittviktorianischen Konservativen anwendbare Kriterien konservativen Denkens destilliert werden (I.2). Auf faktographisch-ereignisgeschichtlicher Ebene wird, um die systematischen Kapitel zu entlasten und einen zusammenhängenden Überblick zu gewährleisten, der historische Hintergrund skizziert, wie er sich in der Forschung darstellt (I.3), bevor der Forschungsstand im engeren Sinne aufbereitet wird (I.4). Mit dem Menschenbild und den Grundlagen des politischen Denkens der englischen Konservativen beschäftigt sich das zweite Kapitel, das die allgemeinen Annahmen der theoretischen Konservatismusforschung empirisch bestätigt, wenn es den Zusammenhang von Empirismus, Sensualismus, Induktion, Qualifizierung, Utilitarismus und aristotelischem Realismus als epistemologisches Fundament herausarbeitet. Ein erster chronologischer Abschnitt schreitet den Zeitraum der von den Konservativen akut empfundenen Bedrohung zwischen 1846 und 1852 anhand von drei Momenten des politischen und sozialökonomischen Umbruchs ab: der Revolution, wie sie 1848 den Kontinent erfaßte (III.1), der Londoner Weltausstellung von 1851, die den industriellen und freihändleri-
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schen Fortschritt zelebrierte (III.2), der den agrarischen Interessen des Protektionismus zuwiderlief, dem die Konservativen nach langen Auseinandersetzungen 1852 entsagten (III.3). Das Jahr 1852 markierte, nachdem alle erwarteten Katastrophen ausgeblieben waren, während die viktorianische Prosperität Fuß faßte, den entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der mittviktorianischen Konservativen, der auch ihre Gesellschaftsvorstellungen erfaßte, die im zentralen, systematisch angelegten vierten Kapitel thematisiert werden. Ihrem Ideal der klassischen hierarchischen und staatsfreien societas civilis der landbesitzenden Aristokratie (IV.2) stand das Feindbild der aufsteigenden industriekapitalistischen städtischen Mittelschichten diametral entgegen, denen materielle Eigensucht vorgeworfen und die moralischen Qualitäten sowie die Legitimität der Nützlichkeit des eigenen Gesellschaftsentwurfs abgesprochen wurden (IV.3). Diese dualistisch angelegte Konstellation nahm sich nach 1846 als veritabler Klassenkampf aus, der sich nach 1852 jedoch merklich entspannte. Dabei erweiterten die Konservativen ihre Vorstellung der societas civilis auf spezifische Weise in sozialer und inhaltlicher Hinsicht, wie etwa an ihrem Eigentums- und Freiheitsbegriff zu zeigen ist (IV.5). Damit gewannen sie das Rüstzeug für eine offensive Gestaltung der Auseinandersetzung, die sich in den fünfziger Jahren von der sozioökonomischen auf die (verfassungs)politische Ebene verschob. Der konservative Begriff vom Staat, der keine autogene, sondern eine von der (hierarchischen) Gesellschaft abgeleitete Größe darstellte (V.1); ebenso das an Eigentum und Bildung sowie an der gleichmäßigen Vertretung aller Klassen und interests orientierte virtuelle Repräsentationsverständnis und die Vorstellung von Partizipation, über deren Erweiterbarkeit die Konservativen uneins waren (V.2); das aus der Verantwortung des gentleman hergeleitete Politikverständnis, wobei zwischen Derby und Disraeli als jeweiligen Exponenten erhebliche Differenzen über die Bedeutung von Macht herrschten (V.3); schließlich die Demokratie als politische Übersetzung des gesellschaftlichen Feindbildes der middle classes, wobei Disraeli die Auflösung des umfassenden Dualismus anstrebte, um sich auf die politische Auseinandersetzung mit dem Radikalismus zu konzentrieren und Handlungsspielräume zu gewinnen (V.4) – diese Gegenstände werden im fünften Kapitel über Staat und Politik thematisiert. Die Entwicklungslinien der Konservativen bündelten sich in der Verfassungspolitik und namentlich in der Wahlrechtsreformpolitik, die im sechsten Abschnitt, dem zweiten chronologisch angelegten Kapitel, verfolgt wird und die in der stets kontrovers beurteilten zweiten Wahlrechtsreform von 1867 kulminierte. Diese wird hinsichtlich der Motive der Konservati-
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ven (und insbesondere Disraelis) aus einer Symbiose von inhaltlichen Überzeugungen und machtpolitischem Kalkül in Verbindung mit den Bedingungen des parlamentarischen Systems erklärt. Vorwärtsverteidigung sollte die Demokratie verhindern und die „territorial constitution“ in erweiterter Form bewahren. So erklären sich die vermeintlichen Paradoxien von 1867. Das siebte Kapitel über Religion und Kirche – die, entgegen den durchgängigen Deklamationen, in politicis keine entscheidende Rolle spielten – und das achte über Außenpolitik und Empire – ebenfalls nicht im Zentrum der Auseinandersetzung stehende Gegenstände – runden das Panorama der konservativen Gedankenwelt ab. Der Wesenskern des Konservatismus der mittviktorianischen Konservativen lag, so ist (unter Einbeziehung einer abschließenden Untersuchung ihrer Zukunftsvorstellungen) zu resümieren, in der fundamentalen Auseinandersetzung mit dem radikalen Liberalismus, die in zentraler Weise über den beiderseits reklamierten Anspruch auf die societas civilis geführt wurde. Dieses genuin vormoderne Konzept wurde auf konservativer Seite in spezifischer Weise sozial und inhaltlich ausgeweitet und behielt damit, wenn auch mit geringerer Trennschärfe, seine konstitutive Bedeutung für die Konservativen. Auf diese Weise vermochten sie die defensive Auseinandersetzung mit dem Radikalismus, die ihren Schwerpunkt von der sozio-ökonomischen auf die verfassungspolitische Ebene verlagerte, offensiv zu führen. Als Instrument diente den Konservativen vor allem die Wahlrechtsreform, mit der sie ihre Tradition als „constitutional party“ aufnahmen und zugleich aus den Parteitraditionen heraustraten, indem sie sich mit einem von Disraeli inspirierten anti-radikalen Radikal-Konservatismus auf dem modernen politischen Massenmarkt plazierten.
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Einleitung
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I. KONSERVATISMUS UND DIE ENGLISCHEN KONSERVATIVEN ALS GEGENSTAND DER FORSCHUNG 1. KONSERVATISMUSBEGRIFFE Der Begriff „Konservatismus“ fand im frühen 19. Jahrhundert Eingang in die politische Sprache. Zwar reicht die Tradition des lateinischen Wortes in einem wertakzentuierten Sinne des Bewahrens bis in die Antike zurück, und das allgemeine Fremdwort wurde in den europäischen Sprachen seit dem Frühmittelalter in einem juristisch-administrativen Sinne verwendet1. Politische Bedeutung gewann der Begriff aber erst durch die Konfrontation mit der Französischen Revolution, so wie Edmund Burke 1790 vom „principle[ ] of conservation“ sprach2. Als Bezeichnung einer bestimmten politischen Richtung kamen das Nomen „Konservatismus“ und das Adjektiv „konservativ“ erst 1818 mit François René de Chateaubriands royalistischer Zeitschrift „Le Conservateur“ auf.3 Auf eine politische Gruppe bezog es 1827 der Duke of Wellington, als er vom „parti conservateur“ sprach; drei Jahre später setzte der Jurist John Miller (nicht wie für gewöhnlich angenommen John Wilson Croker) in der Quarterly Review den Namen „Conservative Party“ in die Welt. Weit weniger eindeutig als die Etymologie läßt sich die Semantik von „Konservatismus“ klären. Der weithin als geistiger Vater des Konservatismus erachtete Edmund Burke steuerte mit seinen unsystematischen, rhapsodischen Reflexionen über die Französische Revolution zwar archetypische Argumente über Epistemologie, Menschenbild, Ordnung und Tradition, Wandel und Reform, Freiheit, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei, aber all dies ergab keine exakte begriffliche Bestimmung oder gar eine kohärente Theorie von Konservatismus. Auch die Begrifflichkeiten der frühen Verwender des Begriffs klären die Semantik nicht: der Konservative unterstütze, so Chateaubriand, Religion, König, Freiheit und „les honnêtes gens“; nach Meinung Wellingtons zeich-
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Vgl. VIERHAUS, Konservativ, S. 537. BURKE, Reflections, S. 72. Vgl. dazu und zum folgenden Satz VIERHAUS, Konservativ, S. 538 f., zum Quarterly ReviewArtikel mit dem Titel „Internal Policy“ (QR 42, S. 228–277) und zur Autorschaft Millers vgl. WELLESLEY INDEX I, S. 709; zum Sprachgebrauch im England der frühen 1830er Jahre vgl. auch STEWART, Foundation, S. 69.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
nete der „parti conservateur“ sich „by moderation, by consistency, by firmness and good temper“ aus; für die Partei der „largest, wealthiest, and most intelligent and respectable portion of the population“ hielt Croker die „Conservative Party“4. Als ihr wichtigstes Ziel benannte Robert Peel 1833 „to resist Radicalism, to prevent those further encroachments of democratic influence which will be attempted“5. Diese zeitgenössische Bezeichnung des Gegners führt zur wissenschaftlichen Erklärung der Entstehung des Konservatismus. Denn allgemein wird angenommen, daß Konservatismus als Reaktion auf den zunehmend alle Lebensbereiche erfassenden Wandel entstand, der in den Ländern Europas um die oder nach der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte. Im Kern bedeutete dieser Wandel das Auseinandertreten von Erfahrung und Erwartung, die schwindende Berechenbarkeit der Zukunft aus den Erfahrungen der Vergangenheit, die Voraussetzung für das Neue und den Fortschritt in der Geschichte6. So kam auch ein neuartiges Revolutionsverständnis im Sinne nicht der Wiederherstellung des Alten, sondern der Errichtung von etwas nie zuvor Dagewesenem in Gebrauch7. Erst unter der Voraussetzung des in diesem Sinne Neuen und des Fortschritts, des fundamentalen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Wandels konnte die Gegenbewegung des Bewahrens überhaupt aufkommen. Sie entstand, so die communis opinio8, in geistiger Hinsicht als „Opposition zum Rationalismus der Auf4 5 6
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Alle Zitate nach VIERHAUS, Konservativ, S. 538 f. Peel an Henry Goulburn, 3. Januar 1833, PEEL, Private Papers II, S. 212–214, hier 212. Vgl. KOSELLECK, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“, bes. S. 358 f. und 365–369. Dieser für die Neuzeit konstitutive Vorgang der „Verkürzung der Extension der Zeiträume, für die wir mit einiger Konstanz unserer Lebensverhältnisse rechnen können“ (das Phänomen, daß „in einer dynamischen Zivilisation in Abhängigkeit von der zunehmenden Zahl der Innovationen pro Zeiteinheit die Zahl der Jahre abnimmt, über die zurückzublicken bedeutet, in eine in wichtigen Lebenshinsichten veraltete Welt zu blicken, in der wir die Strukturen unserer uns gegenwärtig vertrauten Lebenswelt nicht mehr wiederzuerkennen vermögen, die insoweit eine uns bereits fremd, ja unverständlich gewordene Vergangenheit darstellt“, korrespondiert mit einer „fortschreitende[n] Abnahme der Zahl der Jahre, über die vorauszublicken bedeutet, in eine Zukunft zu blicken, für die wir mit Lebensverhältnissen rechnen müssen, die in wesentlichen Hinsichten unseren gegenwärtigen Lebensverhältnissen nicht mehr gleichen werden“), hat sich zum Ende des 20. Jahrhunderts hin bis zur von HERMANN LÜBBE so bezeichneten „Gegenwartsschrumpfung“ verdichtet, Die Modernität der Vergangenheitszuwendung, in: GUNTER SCHOLZ (Hg.), Historismus am Ende des 20. Jahrhunderts. Eine internationale Diskussion, Berlin 1997, S. 146–154, hier S. 150 f. Vgl. dazu KOSELLECK, Revolution S. 717–782; dies gilt grundsätzlich auch für den Begriff Reform, vgl. VIERHAUS, Konservativ, S. 533, sowie WOLGAST, Reform, S. 339–355; vgl. auch GERHARD SCHULZ, Zum historischen Wandel von Revolutionsbegriff und Revolutionsverständnis, in: DIETER LANGEWIESCHE (Hg.), Revolution und Krieg. Zur Dynamik historischen Wandels seit dem 18. Jahrhundert, Paderborn 1989, S. 189–209. Zur abweichenden Auffassung von KONDYLIS vgl. unten.
1. Konservatismusbegriffe
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klärung und der Französischen Revolution“9, als reaktive Selbstbewußtwerdung der irrationalen und unbewußten traditionalistischen Lebenshaltung10, politisch gesehen als Widerstand, noch vor der Revolution, gegen die Bedrohung der bestehenden Ordnung durch den Radikalismus im Sinne von Liberalen, Demokraten und (später) Sozialisten11. Doch auch diese Erklärung der Genese des Konservatismus kann die Semantik des Begriffes nicht bestimmen. Denn schon grundsätzlich ist nicht geklärt, ob Konservatismus innerhalb der neuesten Zeit ein allgemein-überzeitliches oder ein konkret-historisches Phänomen darstellt und ob er wesentlich inhaltlich als Ideologie oder methodisch als „Denkstil“12 zu qualifizieren ist. Vier Modelle, die hier aus heuristischen Gründen trotz fließender Übergänge klar voneinander getrennt und pointiert skizziert werden, stehen zur Auswahl. A)
KONSERVATISMUS ALS ÜBERZEITLICHE IDEOLOGIE
Da systematisierende Theorie selten die Sache von empirie- und instinktgeleiteten Konservativen ist, läßt sich auch weit schwieriger als im Falle von Liberalismus oder Sozialismus ein ideologischer Kern im Sinne eines artikulierbaren und in gewissem Maße kohärenten Zusammenhangs von Begriffen, Inhalten und Werten ausmachen. Da Konservatismus zudem schon von seiner Genese als reaktive Bewegung her inhaltlich relativer, mehr auf seine historischen Umstände bezogen ist als seine ideologischen Konkurrenten, läßt er sich auch kaum als „fixed and immutable body of dogma“13 beschreiben. Der insbesondere von Konservativen selbst immer wieder beschworenen, demonstrativen Theorielosigkeit von Konservatismus auf der einen und Mills klassischem Diktum von der „dümmsten Partei“ auf der anderen Seite haben verschiedene anglo-amerikanische Autoren seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, überwiegend zeitgenössisch politisch motiviert und mit eigener Anteilnahme für die Sache, unterdessen die „politische Dogmatik“14 des (primär englischen und amerikanischen) Konservatismus entgegengesetzt; denn, so ihr Credo, „a conservative political
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KLEMPERER, Konservativismus, S. 848; vgl. auch OTTMANN, Konservativismus, Sp. 636, VIERHAUS, Conservatism, S. 479, und VINCENT, British Conservatism, S. 211. Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, S. 71, 79–82 und 105 f. Vgl. EPSTEIN, Ursprünge, S. 14, 16 f. und 35 (für Deutschland); vgl. auch BARKER, Political Thought, S. 25–29, und VIERHAUS, Konservativ, S. 531 f. MANNHEIM, Konservatismus, S. 52. KIRK, Conservative Mind, S. 7. SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 20.
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commitment is just as capable of being defended in the light of a philosophical view of the nature of man, of the society and of the world as is a liberal or socialist one“15. Russell Kirk benennt sechs „canons of conservative thought“: erstens die Lenkung der Gesellschaft und des Gewissens durch göttlichen Willen; zweitens die Bevorzugung vielfältiger tradierter Lebensformen gegenüber egalitärer Uniformität; drittens die Notwendigkeit gesellschaftlicher Ordnung und Klassen, während Gleichheit nur auf moralischer Ebene bestehe; viertens die unauflösliche Verbindung von Eigentum und Freiheit; fünftens die Bedeutung von Tradition und Vorurteil zur Kontrolle der anarchischen Energie des Menschen und sechstens die Bevorzugung des Wandels durch „Providence“, deren Tendenzen zu erkennen sind, gegenüber mechanisch gemachter Reform16. Roger Scruton skizziert ein „systematisches und vernünftiges“, wenn auch wesentlich unartikuliertes „set of beliefs and principles“ in allen Bereichen des (zeitgenössischen) politischen Denkens – Freiheit, Autorität, Macht, Staat, (Zivil-)Gesellschaft, Menschenrechte, Arbeitswelt, Patriotismus, Familie, Sexualität, Recht und Gesetz etc.pp. –, ohne darüber jedoch zu einer formulierbaren Synthese zu gelangen17. Die von Scruton angesprochene Zivilgesellschaft steht ganz im Zentrum der Deutung Noël O’Sullivans: Konservatismus basiere auf der „philosophy of imperfection“, insbesondere des Menschen, lehne daher totale und radikale Veränderungen ab und stehe insbesondere für einen „limited style of politics“18. Ähnlich destilliert Robert Nisbet aus den „dogmatics of Conservatism“ die Essenz einer Betonung der intermediären Ebenen, der Zivilgesellschaft gegenüber Individualismus ebenso wie Zentralismus19. Der Gegensatz zum Thatcherismus, der nur Staat und Individuen kennen wollte, liegt auf der Hand, und ihn in eine kohärente konservative Ideologie zu integrieren, bemüht sich Robert Eccleshall mit seiner Interpretation einer besonderen Konzeption der politischen und sozialen Ordnung als
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O’SULLIVAN, Conservatism, S. 31. KIRK, Conservative Mind, S. 7f. SCRUTON, Meaning of Conservatism (Zitate: S. 11); vgl. auch SCRUTON, What is Conservatism, S. 1–28. O’SULLIVAN, Conservatism, S. 9–31 (Zitate: S. 12); dem Argument einer ununterscheidbaren Nähe eines solchen „limited style of government“ zum Liberalismus begegnet er mit der Feststellung der zunehmenden Abwendung des (englischen) Liberalismus im 19. Jahrhundert von der Beschränkung der Politik und des Staates zugunsten eines durch Staatsinterventionismus zu befördernden Fortschritts. NISBET, Conservatism, S. 22; vgl. insgesamt S. 21–74.
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gemeinsamem Nenner der verschiedenen Strömungen „from restoration absolutism to the Thatcherite preoccupation with law and order“20: The conservative image of the properly constituted political order is of a chain of social command linked by deference to authority, respect for the rule of law, sentiments of allegiance and patriotism, an anti-egalitarian ethos, aversion to class conflict, and the mixture of restraint and guidance provided by a minority.
Bezieht man noch David Allens „Konfiguration“ konservativer Ideen ein – Ablehnung gewalttätiger Revolutionen und apriorischer Theorien, Verbindung von Staat und Kirche, Antiurbanismus und Vorbehalte gegen die Industrialisierung, soziale Hierarchie und, wo vorhanden, Verpflichtung auf Monarchie und Aristokratie21 –, dann tritt die schier unvereinbare Verschiedenartigkeit all dieser Definitionen einer konservativen Ideologie vollends hervor.22 Ob darüber hinaus solche inhaltlichen Grundlagen, bei aller mehr oder weniger gegebenen Nachvollziehbarkeit im einzelnen, Konservatismus wirklich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen vermögen oder nicht doch zu statisch sind, bleibt ebenso zu fragen, wie schließlich John Pococks Feststellung nicht auszuräumen ist, daß „too many minds have been trying to ‚conserve‘ too many things for too many reasons“23, als daß sich wirklich von einer „Anatomie der Ideologie“24 sprechen ließe.
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Vgl. ECCLESHALL, English Conservatism, S. 1–20 (das vorherige Zitat S. 10, das folgende S. 11); zur Frage, inwiefern der Thatcherismus überhaupt konservativ war, vgl. S. 5–8; zur Unterscheidung zwischen „libertarianism“ in der Tradition Peels und „collectivism“ in der Tradition des Tory paternalism vgl. S. 14–16, sowie GREENLEAF, British Conservatism, S. 180–207. Vgl. auch BARKER, Political Thought, S. 23 f. und 36. ALLEN, Modern Conservatism, S. 593. Eine gewisse Sonderstellung unter den Konservatismustheorien nimmt schließlich TED HONDERICHS philosophische und zugleich parteiische Kritik ein, die sich vor dem Hintergrund von „Thatcherismus“ und „Reaganomics“ insbesondere mit der „Neuen Rechten“ in Großbritannien und den USA in den 1980er Jahren auseinandersetzt. Sie führt 19 Unterscheidungsmerkmale aus der Tradition des Konservatismus auf (S. 209–211), deren wesentliches das Privateigentum darstellt; ein Konservativer ist demzufolge „anyone who has or reflects a considerable number of the distinctions of the tradition, including in the number the distinction having to do with private property“ (S. 213). Seine durch Hypothesen und ihre Widerlegung führende Suche nach dem letzten Grund endet schließlich, nachdem er alle anderen gängigen Annahmen zurückgewiesen hat, in der „conclusion [. . .] not that Conservatives are selfish. It is that they are nothing else. Their selfishness is the rationale of their politics, and they have no other rationale. They stand without the support, the legitimation, of any recognizably moral principle. It is in this that they are distinguished fundamentally from those who are opposed to them“ (S. 238 f.). POCOCK, Burke, S. XLIX Anm. 1; vgl. auch FEILING, What is Conservatism, S. 9. NISBET, Conservatism, S. x.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung B)
KONSERVATISMUS ALS ÜBERZEITLICHER DENKSTIL
Daher ist, wobei die Übergänge naturgemäß fließend sind, Konservatismus immer wieder nicht als inhaltliche Position, sondern als geistige Disposition innerhalb der modernen Welt gedeutet worden, weniger als inhaltliches denn als prozedurales und methodologisches Phänomen25, als „a habit of mind, a mode of feeling, a way of living“26. Nicht zuletzt Konservative selbst bemühen häufig das Argument eines unideologischen „natürlichen Konservatismus“: It is a disposition averse from change; and it springs partly from a distrust of the unknown and a corresponding reliance on experience rather than on theoretic reasoning; partly from a faculty in men to adapt themselves to their surroundings so that what is familiar merely because of its familiarity becomes more acceptable or more tolerable than what is unfamiliar.27
Dies entspricht Karl Mannheims Begriff der allgemeinmenschlichen Eigenschaft und „formalpsychologische[n]“ Kategorie des „Traditionalismus“, der erst durch Selbstbewußtwerdung und „Sich-Funktionalisieren“ zum „Kernpunkte“ des spezifisch modernen Phänomens und der historischsoziologischen Kategorie des „Konservatismus“ wurde28. Er bedeutete Zusammengehörigkeiten politischer, allgemein weltanschaulicher und gefühlsmäßiger Art bis hin zur Konstituierung einer bestimmten Handlungs- und Denkweise im Sinne des aristotelischen gemäßigten Realismus. Konservatives Denken (mit starkem Bezug auf den deutschen Konservatismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber mit darüber hinaus gehendem Geltungsanspruch) ist demzufolge qualitativ statt quantifizierend, konkret statt abstrakt, es ist vom Sein aus zum Sollen gerichtet (und nicht umgekehrt), es faßt die Gegenwart als letzte Etappe der Vergangenheit, nicht als erste Etappe der Zukunft auf, es erkennt das Substrat der Geschichte in Grundbesitz, nicht im Individuum, und es geht allgemein „von jenen Erlebniszentren aus [. . .], deren Entstehungsursprung in vergangenen Konstellationen des historischen Geschehens verankert ist“, die bis zur Entstehung des Konservatismus von der Moderne noch nicht erfaßt worden waren29. Konservatives Denken betont Tradition, Irrationalität, Individualität der
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Vgl. QUINTON, Conservatism, S. 247. WHITE, Conservative Tradition, S. 1. HUGH CECIL, Conservatism, S. 9; vgl. auch FEILING, What is Conservatism, S. 27, BRYANT, Spirit of Conservatism, S. 1–4, sowie NORTON/AUGHEY, Conservatives and Conservatism, S. 16 f. Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, S. 71, 92 f., 97 und 105 (Zitate: S. 93, 92 und 105). Vgl. EBD., S. 94–97 und 111–125 (Zitat: S. 125).
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Phänomene und Organismus statt Vernunft, Deduktion aus Prinzipien, Universalität und Individualismus30. Etwas andere, aber ähnliche Akzente setzt Bernard Kronicks „Definition“ des Konservatismus über die psychologischen Grundlagen der „Gewohnheit“ und der „Furcht“, die zu einer Haltung der „safety first“ führen: aus Skepsis gegenüber den unabsehbaren Folgen des Wandels rationalisiert und verteidigt der Konservative die jeweils bestehende soziale und politische Ordnung31; zudem mißtraut er, so Anthony Quinton, politischem Wissen gegenüber dem in den tradierten Institutionen verborgenen Sinn, und er glaubt an die organische Verbindung von Mensch und Gesellschaft. Normative, allgemeingültige Prinzipien, Ideen und Institutionen kennt er nicht32. Die Schwäche solcher allgemeiner Auffassungen jenseits der Theorie Mannheims liegen weniger in ihrem (im Falle des „natürlichen Konservatismus“) logischen Paradox einer Rationalisierung des wesentlich Irrationalen, einer „philosophischen Anti-Philosophie“33, als vor allem in ihrem Inhalte und Werte relativierenden, schnell allzu unspezifischen, ja beliebigen Charakter. Denn konsequenterweise umfaßt die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung auch die Verteidigung eines totalitären oder kommunistischen Systems; und die in dieser Interpretation angelegte Möglichkeit, orthodoxe Sozialisten oder Anarchisten als Konservative zu beschreiben, dehnt den Begriff ins Absurde. C)
KONSERVATISMUS ALS HISTORISCHE IDEOLOGIE
Über die hier aus heuristisch-begrifflichen Gründen gewählte Bezeichnung als Ideologie hinaus identifiziert Panajotis Kondylis Konservatismus als integrales ideologisches und sozialpolitisches Phänomen, als konkrete „sozial- und geistesgeschichtliche Erscheinung“, die er historisch im „Übergang von der societas civilis zum Dualismus von Staat und Gesellschaft“ in der (Frühen) Neuzeit verortet34. Konservatismus entstand dieser alle üblichen Verständniskategorien in Frage stellenden Interpretation zufolge nicht
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Vgl. EBD., S. 133. Vgl. KRONICK, Conservatism, S. 173–175 (Zitate: S. 173). Vgl. QUINTON, Conservatism, S. 244 f., 247, 253 f., und 256 f., sowie auch QUINTON, Politics of Imperfection, S. 16–19 und 22 („three principles of traditionalism, organicism and political scepticism“, S. 17). Vgl., auch zum folgenden, VINCENT, British Conservatism, S. 209–211, 224 und 227 (Zitat: S. 211), sowie HONDERICH, Conservatism, S. 209. Vgl. KONDYLIS, Konservativismus, S. 11, 14 f. und 29 (dort das Zitat).
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als Reaktion auf die Französische Revolution oder den aufklärerischen Rationalismus, sondern mit dem beginnenden Konflikt zwischen der traditionellen mittelalterlichen Auffassung vom guten alten Recht und der modernen Souveränitätslehre absoluter Machtentfaltung im 16. Jahrhundert, als die Oberschichten die societas civilis antik-mittelalterlicher Herkunft und somit ihre Herrschaftsstellung gegen den entstehenden Absolutismus zu verteidigen suchten. Nach 1789 trat die liberale oder demokratische Revolution an die Stelle des Absolutismus und leitete somit die zweite Phase des Konservatismus ein, die indessen nur noch, je nach Land mehr oder weniger tief, ins 19. Jahrhundert hineinragte. Denn da die Geschichte des Konservatismus weitgehend deckungsgleich mit der Geschichte des Adels war, verlor der Konservatismus mit seinem Ideal der ländlich-agrarischen, aristokratisch dominierten Zivilgesellschaft im Zuge der Etablierung der bürgerlich-industriellen Gesellschaft seine eigenständige politische Bedeutung.35 Demzufolge war in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in England36 in den Auseinandersetzungen um Reform Bill und Freihandel die „letzte nennenswerte Fassung englischen konservativen Denkens“ zu beobachten, während sich bereits 1832 die finale Entwicklung hin zum „Aufgehen des Konservativismus im (Alt)Liberalismus“ angebahnt hatte: die englischen Konservativen lösten sich vom klassischen Konservatismus, „um sich dem Bürgertum und dem Liberalismus tastend anzunähern“, nicht zuletzt indem sie ihren Eigentumsbegriff auf alle Formen des Eigentums ausdehnten. Im letzten Drittel des Jahrhunderts verlief die „Haupttrennungslinie“ nicht zwischen Liberalen und Konservativen, sondern zwischen radikalem Liberalismus und sozialer Demokratie einerseits und moderaten Liberalen und Konservativen andererseits. Das Wiedererstarken der englischen Konservativen seit 1874 sieht Kondylis als Resultat ihrer Verbürgerlichung unter gleichzeitiger Loslösung des Bürgertums vom radikalen Liberalismus. Der Übertritt der unionistischen Whigs zu den Konservativen 1886 markierte dabei (ungeachtet der quantitativen Verhältnisse) das Aufgehen des Konservatismus im Liberalismus und den Verlust des spezifischen Sinnes der Konservativen.37 Dabei traten Sache und Begriff des Konservatismus insofern auseinander, als die Sache in der Frühen Neu-
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Vgl. EBD., S. 23–25, 27, 66, 69, 208 Zur englischen Sonderentwicklung in der Frühen Neuzeit vgl. EBD., S. 181–206. Vgl. EBD., S. 394–401 und 417–423 (Zitate: S. 394, 395, 398 und 419).
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zeit weit vor dem Begriff bestand, der Begriff im 19. und 20. Jahrhundert jedoch weit über die Sache hinaus38. Damit steht diese zugespitzte These, derzufolge etwa die englischen Konservativen nach 1846 gar keine eigentlichen Konservativen mehr waren, jedoch im Gegensatz nicht nur zu bloßen Begrifflichkeiten und Namen, sondern vielmehr zum politisch relevanten Selbstverständnis von Zeitgenossen im 19. und 20. Jahrhundert. Die hochgelehrte Studie, deren zuweilen eklektische Belegpraxis und mangelnde historisch-empirische Fundierung in der Natur ihres Umfangs liegen, lenkt die Aufmerksamkeit auf das Phänomen der societas civilis39, das allerdings auch für den frühbürgerlichen Liberalismus und Radikalismus von konstitutiver Bedeutung war40 und somit die Frage nach der spezifischen Bedeutung und Signifikanz dieser Erklärungsfigur aufwirft41. Zugleich lenkt diese Interpretation den Blick auf das Verhältnis der Konservativen zu den middle classes und die Frage nach ihrer „Verbürgerlichung“ sowie die Entwicklung ihres Eigentumsbegriffs. D)
KONSERVATISMUS ALS SITUATIVE IDEOLOGIE
Als System von Ideen zur Verteidigung der etablierten sozialen und politischen Ordnung interpretiert Samuel Huntington, insofern ähnlich wie Robert Eccleshall, Konservatismus, der allerdings nur in spezifischen, aber wiederkehrenden Situationen überhaupt aufkomme, wenn die bestehenden Institutionen von fundamentalem Wandel substantiell bedroht sind. Konservatismus ist demzufolge im Kern „intellectual rationale of the permanent institutional prerequisites of human existence“42. Sechs auf Burke zurückgehende zentrale inhaltliche Komponenten – die religiöse Dimension der Welt; die Gesellschaft als Produkt historischen Wachstums; die Bedeutung von Intuition, Emotion und Erfahrung; der Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum; die natürliche Ungleichheit der Menschen und die Hierarchie der Gesellschaft sowie die Präferenz für das Bestehende gegenüber dem Unerprobten – formieren sich zum
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Vgl. EBD., S. 28. Vgl. zur societas civilis bes. Kapitel IV.2.a). Vgl. GALL, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“, S. 163–166; vgl. auch, etwas anders gelagert, WIRSCHING, Bürgertugend, bes. S. 174–179 und 195 f., sowie zusammenfassend GALL, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, S. 24–26, 31 f., 37 f., 47 f. und bes. 64–66; vgl. schließlich allgemein KOSELLECK, Kritik und Krise. Dies gilt ebenso für die Interpretationen von O’SULLIVAN und NISBET. Vgl. HUNTINGTON, Conservatism, S. 455, 460 (dort das Zitat) und 473.
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overriding purpose of justifying the established order. The essence of Conservatism is the rationalization of existing institutions in terms of history, God, nature, and man. [. . .] Nowhere in that summary is there any indication of the character of the institutions which these ideas might be used to defend [. . .]; it lacks what might be termed a substantive ideal.43
Konservatismus ist also ein institutionen- und nicht ideengeleitetes Phänomen („institutional“ statt „ideational“) und zugleich eine situative (nicht konkret historische oder allgemein überzeitliche) Erscheinung, die sich in mindestens vier Momenten der westlichen Geschichte manifestiert habe: in der Herausforderung der mittelalterlichen Institutionen durch die zentralistischen staatlichen Obrigkeiten und die Reformation, in der Reaktion auf die Französische Revolution, in der (schwachen) Reaktion der regierenden Klassen auf die Forderungen der unteren Klassen nach politischer Partizipation sowie in der Herausforderung der Ordnung der amerikanischen Südstaaten durch Industrialisierung und Abschaffung der Sklaverei im mittleren 19. Jahrhundert. Dabei ist konservatives Denken nicht an bestimmte soziale Trägergruppen, sondern an die genannten äußeren Umstände gebunden („positional“, nicht „inherent“), und zugleich ist es „repetitiv“, nicht „evolutionär“44. Huntingtons höchst gedankenreicher Essay hinterläßt jedoch einen Widerspruch zwischen dem behaupteten Mangel an substantiellen Ideen und den ebenfalls benannten inhaltlichen Komponenten des Konservatismus. Darüber bleibt die Frage ungeklärt, ob Konservatismus schlechthin jede bestehende Ordnung verteidigt oder ob diese an bestimmte inhaltliche Voraussetzungen gebunden ist (was abermals die Frage nach den orthodoxen Sowjetkommunisten nach 1991 als „Konservativen“ aufwirft); schließlich erscheint der Katalog der historischen Manifestationen ebenso allgemein wie ansatzweise beliebig und letztlich insignifikant. Die Unzulänglichkeiten aller hier aufgeführten Deutungen von Konservatismus resultieren unterdessen aus der Beschaffenheit ihres Gegenstandes selbst, der Widersprüchlichkeiten, Paradoxien und logische Aporien in sich trägt. Konservatismus als Bewegung der Bewahrung setzt den Wandel voraus; auch wenn seine Charakterisierung als „Theorie des Wandels“45 überzogen
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Vgl. EBD., S. 456 f. (das Zitat S. 457). Vgl. EBD., S. 458 und 463–469 (Zitate: S. 458, 468 und 469). WILSON, Conservatism, S. 30; vgl. dazu auch die allerdings überzogene Feststellung HUNTINGTONS, Conservatism, S. 469: „conservatism, the defender of tradition, is itself without tradition; conservatism, the appeal to history, is without history.“
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ist, kann man ihm „ein statisches Ziel und einen dynamischen Charakter“46 zuschreiben. Dabei läßt sich der Wandel allgemein in Analogie zur Natur auffassen47 oder auch als logisches Problem: Things as they are must have great merit or they would not be as they are. Change is distrusted because it might disturb the merits of the present situation. Yet once change has occured, it is all right, since it is now part of ‚things as they are‘.48
Jedenfalls vertritt der Konservatismus zumeist die Positionen des Radikalismus von gestern, und ihm bleibt nichts übrig, als die frühere Häresie im Namen der Tradition zu kanonisieren49. Und das konservative Dilemma reicht weiter: that it is the task of the conservative not to defeat but to forestall revolutions, that a society which cannot prevent a revolution, the disintegration of whose values has been demonstrated by the fact of revolution, will not be able to defeat it by conservative means, that order once shattered can be restored only by the experience of chaos.50
Doch solche Paradoxien wie etwa die Rationalisierung des Irrationalen oder die philosophische Anti-Philosophie51 verweisen auf die im Wesenskern des Konservatismus liegende logische Aporie, daß das Antitheoretische gar nicht theoriefähig ist, eine Theorie des Konservatismus einer Quadratur des Kreises gleichkäme. Kohärente Theorie und deduzierende Ratio sind gerade nicht die Sache des Konservatismus, der sich durch empirischen Pragmatismus und induktiven Instinkt auszeichnet. Verzichtet man auf den Anspruch einer geschlossenen, einheitlichen Definition oder Theorie, läßt sich durchaus eine spezifische Konstellation von in den konservatismustheoretischen Abhandlungen explizierten oder impli-
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EPSTEIN, Ursprünge, S. 33; vgl. auch FRANZ SCHNABEL, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 2, 2. Aufl. Freiburg 1949 (zuerst 1933), S. 18: „Es war ein merkwürdiges Schicksal des abendländischen Geistes, daß die frühesten Männer des Fortschrittes statisch und viele Männer der Erhaltung dynamisch dachten.“ (Für diesen Hinweis danke ich Thomas Hertfelder.) Vgl. KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1024 f., und BURKE, Reflections, S. 83: „the whole [. . .] moves on through the varied tenor of perpetual decay, fall, renovation, and progression. Thus, by preserving the method of nature in the conduct of the state, in what we improve we are never wholly new; in what we retain, we are never wholly obsolete.“ GLICKMAN, Toryness, S. 113. Vgl. HOGG, Case for Conservatism, S. 14; vgl. auch KRONICK, Conservatism, S. 176. KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1030. Vgl. MULLER, Conservatism, S. 421, zudem 423–425, vgl. VINCENT, British Conservatism, S. 211, GREIFFENHAGEN, Dilemma, S. 157 f., HONDERICH, Conservatism, S. 209, sowie (allerdings nicht vollends schlüssig) OTTMANN, Konservativismus, Sp. 640: Konservatismus „ist Kritik und Apologie der Moderne zugleich“.
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zierten Kriterien beschreiben, die – und das wäre ein fünftes Modell52 – Konservatismus als überzeitlichen Denkstil mit ideologischer Grundlage ausweisen und die im folgenden (in heuristischer Absicht als Grundlage für die Leitfragen dieser Untersuchung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit) mit Blick auf England und das 19. Jahrhundert skizziert werden.
2. KRITERIEN KONSERVATIVEN DENKENS A)
GRUNDLAGEN DES POLITISCHEN DENKENS
Konservatives Denken geht vom Menschenbild aus53. Gleichsam als säkularisierte Erbsündenlehre liegt ihm die Vorstellung von der Unvollkommenheit des Menschen in biologischer, emotionaler, kognitiver und moralischer Hinsicht zugrunde. Das Böse ist in der Menschennatur verankert, und deshalb bedarf sie der Zähmung und der Ordnung. Dieses Menschenbild steht im fundamentalen Gegensatz zu allen Entwürfen, die auf einen (wie auch immer gearteten) „neuen Menschen“ und einen damit verbundenen vervollkommneten Endzustand zielen. Aus der Begrenztheit menschlicher Wissens- und Erkenntnisfähigkeit folgt die Anschauung der Welt, konservatives Denken an sich54. Denn wenn der menschliche Verstand die Welt nur unzureichend zu erkennen vermag, dann sind auch der (moderne) Rationalismus und seine Denkformen – apriorische Theorie, Universalismus, Utopie und Deduktion – der Welt unangemessen. Mehr noch: konservatives Denken betont besonders die
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Vgl. MULLER, Conservatism, S. 4–22 („a set of conservative assumptions, themes and images“, S. 4); vgl. auch BARKER, Political Thought, S. 20–42, NORTON/AUGHEY, Conservatives and Conservatism, S. 9–52, bes. S. 18 f., und EPSTEIN, Ursprünge, S. 26–36, bes. S. 33. Vgl. dazu BURKE, Reflections, S. 175 (und durchgehend vorausgesetzt, aber nicht eigens expliziert), BARKER, Political Thought, S. 37, BRYANT, Spirit of Conservatism, S. 12, GLICKMAN, Toryness, S. 119–122, HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, MCKENZIE/ SILVER, Angels, S. 21 f., MULLER, Conservatism, S. 10, O’GORMAN, British Conservatism, S. 1, QUINTON, Politics of Imperfection, S. 17 f. (der Titel ist programmatisch), VIERHAUS, Conservatism, S. 479, und WHITE, Conservative Tradition, S. 3f. Vgl. dazu ALLEN, Modern Conservatism, S. 593, BUTLER, Tory Tradition, S. 30, EPSTEIN, Ursprünge, S. 26–29, GLICKMAN, Toryness, S. 121 f., HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, KIRK, Conservative Mind, S. 8, KLEMPERER, Konservativismus, Sp. 850, MANNHEIM, Konservatismus, S. 111 f. und 133–135, MULLER, Conservatism, S. 10 f. und 14 f., NISBET, Conservatism, S. 29–34, OAKESHOTT, Rationalism, S. 1–36 („Rationalism in Politics“ [1947]) und 168–196 („On being conservative“ [1956]), bes. S. 168–173 (zu Oakeshotts Epistemologie vgl. auch QUINTON, Imperfection, S. 96), VIERHAUS, Conservatism, S. 478, und VINCENT, British Conservatism, S. 212 f. und 218; kritisch zu alledem: HONDERICH, Conservatism, S. 17–44, und KONDYLIS, Konservativismus, S. 16–23.
2. Kriterien konservativen Denkens
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destruktiven Potentiale des menschlichen Verstandes, der das Vorhandene, ohne es in seinem Wert zureichend zu erkennen, nach abstrakten Prinzipien verändert und die Dinge dabei letztlich verschlechtert, statt sie zu verbessern55. Harold Macmillan formulierte diese intellektuelle Skepsis am Rande des fatalistischen Zynismus 1946: „the clever people in a nation [. . .] are nearly always wrong. Distrust the clever man“56. Und Austen Chamberlain bekannte 1924 vor dem Unterhaus: Instinct and experience alike teach us that human nature is not logical, that it is unwise to treat political institutions as instruments of logic, and that it is in wisely refraining from pressing conclusions to their logical end that the path of peaceful development . . . is really found.57
Konservatives Denken baut auf Erfahrung und Pragmatismus, Realismus, Induktion, Instinkt und Gefühl, Brauchtum und Vorurteil (prejudice) im Sinne Edmund Burkes als „wisdom without reflection“, als Vereinigung von Gefühl und Verstand58. Es qualifiziert statt zu quantifizieren und bevorzugt das Konkrete vor dem Abstrakten, das Besondere vor dem Allgemeinen. In größerem abendländisch-philosophischem Zusammenhang steht es in der Tradition der aristotelisch (-thomistischen) und nicht der platonischen Epistemologie59: universalia sunt in re, nicht ante rem. Aus dem konservativen Menschenbild folgt auch die Bedeutung von Ordnung und Tradition. Die fehlerhafte Menschennatur samt ihrer Leidenschaften bedarf der Bändigung durch eine Ordnung, die ihrerseits der Stabilität bedarf60. Diese gewinnt sie durch Tradition und durch Transzendenz: die Ordnung geht über die innerweltlichen Angelegenheiten hinaus und steht für den Konservativen des 19. Jahrhunderts in einem (mehr oder 55
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Vgl. BURKE, Reflections, S. 112, BRYANT, Spirit of Conservatism, S. 2, BUTLER, Tory Tradition, S. 30, HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, MULLER, Conservatism, S. 15 f., QUINTON, Conservatism, S. 245 und 255, und WILSON, Conservatism, S. 36. Zit. nach GLICKMAN, Toryness, S. 121. Zit. nach EBD., S. 122. BURKE, Reflections, S. 83; vgl. auch S. 138: „Many of our men of speculation, instead of exploding general prejudices, employ their sagacity to discover the latent wisdom which prevails in them. [. . .] [T]hey think it more wise to continue the prejudice, with the reason involved, than to cast away the coat of prejudice, and to leave nothing but the naked reason; because prejudice, with its reason, has a motive to give action to that reason, and an affection which will give it permanence.“ Vgl. dazu BARKER, Political Thought, S. 23, MANNHEIM, Konservatismus, S. 79 f., 95 f. und 111 f., QUINTON, Conservatism, S. 244, VINCENT, British Conservatism, S. 212, WHITE, Conservative Tradition, S. 3, und WOODS, Tory Party, S. 355–357. Vgl. GASH, Reaction, S. 131, GLICKMAN, Toryness, S. 118 und 121 f., HUNTINGTON, Conservatism, S. 457 und 460, KIRK, Conservative Mind, S. 8, KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1027 f., MULLER, Conservatism, S. 11, VINCENT, British Conservatism, S. 210, und WILSON, Conservatism, S. 43.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
weniger betont) religiösen, kosmologischen Zusammenhang. Sie ist daher auch transzendenten Ursprungs und wird durch die Tradition als „Fideikommiß“ (Burke) vererbt; insofern stellt Dauerhaftigkeit einen legitimierenden Wert an sich dar61. Diese Ordnung kann als eine „Art praestabilierter Harmonie“ (Mannheim) nur in den bestehenden Verhältnissen entdeckt, wenn auch nicht in all ihren Zusammenhängen erkannt, keineswegs aber von Menschenhand gemacht und auch nicht durch einen Vertrag beschlossen werden62. Menschliche Eingriffe in diesen Organismus drohen ihn vielmehr unabsehbar zu schädigen. Der Konservative bevorzugt das bewährte Gewordene, das „tried and true“ und insbesondere die bestehenden Institutionen, gegenüber dem unerprobten Möglichen63. Er will die Substanz dieser Ordnung erhalten, was akzidentielle Reformen zum Zwecke ihrer Bewahrung keineswegs aus-, sondern vielmehr einschließt64, wobei die Einschätzung von Substanz und Akzidenz ein stetes Problem darstellt, das wiederum pragmatischer Abwägung überlassen bleibt und zugleich spezifische Differenzen zwischen Konservativen offenbart. Inwiefern die bestehende und zu bewahrende Ordnung an legitimierende Inhalte gebunden war, stellte für die englischen Konservativen des 19. Jahrhunderts angesichts der evolutionären Entwicklung und ungebrochenen Tradition (auch die erste Wahlrechtsreform von 1832 war kein wirklich fundamentaler Bruch), anders als für das kontinentale Europa und insbesondere im 20. Jahrhundert, kein akutes Grundsatzproblem dar. Hinzu kommt die konservative Auffassung von der Kontextualität der Ordnung, der Abhängigkeit ihrer Gestalt und Rechtmäßigkeit von den jeweiligen politisch-
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Vgl. BURKE, Reflections, S. 81–84 (das Zitat „entailed inheritance“ S. 83; Gentz’ Übersetzung als „Fideikommiß“: Betrachtungen, S. 85); zum Wert von Dauerhaftigkeit an sich vgl. auch EBD., Reflections, S. 138 f. und 146, sowie FEILING, What is Conservatism, S. 21, HOGG, Case for Conservatism, S. 86–88, und WILSON, Conservatism, S. 43. Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, S. 117 (dort das Zitat), BARKER, Political Thought, S. 23, BUTLER, Tory Tradition, S. 38, GLICKMAN, Toryness, S. 118 und 127, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 34, MULLER, Conservatism, S. 12 und 16, O’GORMAN, British Conservatism, S. 2, VIERHAUS, Conservatism, S. 481, und WHITE, Conservative Tradition, S. 3f. Vgl. VIERHAUS, Conservatism, S. 478 (dort das Zitat), EPSTEIN, Ursprünge, S. 29, HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, und WILSON, Conservatism, S. 36. Vgl. BURKE, Reflections, S. 72: „A state without the means of some change is without the means of its conservation. Without such means it might even risque the loss of that part of the constitution which it wished most religiously to preserve“ (in diesem Zusammenhang auch „the two principles of conservation and correction“) sowie S. 206: „A disposition to preserve, and an ability to improve, taken together, would be my standard of a statesman.“ Vgl. auch GLICKMAN, Toryness, S. 125 f.
2. Kriterien konservativen Denkens
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sozialen und historischen Umständen65. Nichtsdestoweniger skizziert die Konservatismusforschung ein „grundlegendes allgemeines konservatives Konzept der Gesellschaft“66. B)
GESELLSCHAFT UND SOZIALORDNUNG
Aus diesen Grundannahmen und Denkformen resultiert das konservative Bild von der organischen Gesellschaft, in diachroner ebenso wie in synchroner Hinsicht67. Die Gesellschaftsordnung ist keinem menschlichen Willensakt, keiner rationalen Konstruktion und keinem intellektuellen Postulat entsprungen, sondern legitimierend und die Weisheit der Generationen transportierend in historischen Dimensionen gewachsen, wobei sich ihr Entwicklungsmuster subjektiver menschlicher Einsicht und Steuerung entzieht. Sie ist, in Burkes Worten, a partnership not only between those who are living, but between those who are living, those who are dead, and those who are to be born. Each contract of each particular state is but a clause in the great primaeval contract of eternal society, linking the lower with the higher natures, connecting the visible and the unvisible world, according to a fixed compact sanctioned by the inviolable oath which holds all physical and all moral natures, each in their appointed place.68
In diesem komplexen lebendigen Organismus und gegebenen harmonischen Ganzen hat alles seinen Platz: „a place for everything, and everything in its place“69. Dies bedeutet zugleich eine unumwundene Anerkennung sozialer Ungleichheit, die allein schon aus der konservativen Überzeugung erwächst, daß die Menschen zwar moralisch und vor Gott (und dem Gesetz) 65 66 67
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Vgl. EPSTEIN, Ursprünge, S. 29 und 33, KLEMPERER, Konservatismus, Sp. 850, und MULLER, Conservatism, S. 11. EPSTEIN, Ursprünge, S. 33. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 23 und 36, BUTLER, Tory Tradition, S. 37, EPSTEIN, Ursprünge, S. 32, GLICKMAN, Toryness, S. 123 f., HOGG, Case for Conservatism, S. 24–30, HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, KIRK, Conservative Mind, S. 8, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 23, MULLER, Conservatism, S. 11, O’GORMAN, British Conservatism, S. 2, VIERHAUS, Konservativ, S. 547, VIERHAUS, Conservatism, S. 478–480, und WHITE, Conservative Tradition, S. 4–9; anders HONDERICH, Conservatism, S. 150–161. BURKE, Reflections, S. 147; die Betonung des Vertragscharakters der Gesellschaftsordnung bzw. des Staates ist als polemische Umdeutung der aufklärerischen Theorien vom Gesellschaftsvertrag zu verstehen; die zentrale Bedeutung liegt in den Begriffen „primaeval“, „eternal“, „natures“ und „invisible world“ und somit im transzendenten Bezugsrahmen. Einen göttlichen Ursprung der Ordnung formuliert Burke allerdings, entgegen der häufig anzutreffenden Meinung, nicht expliziter als in dieser eher andeutenden Passage; Bezugspunkt seiner Argumentation ist in erster Linie die Natur als Analogie der guten, harmonischen Ordnung, die als Erbe tradiert wird. Richard Oastler, zit. nach GLICKMAN, Toryness, S. 130.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
gleich, ansonsten aber von Natur aus ungleich sind70. Daher wird auch die vorgegebene Ordnung der Gesellschaft nach Klassen als ebenso legitim wie zwangsläufig erachtet71. Sie besitzt Vorrang vor den Individuen, denen keine sittliche Autonomie zugesprochen wird72; „society is not a collection of ‚universalised individuals‘, nor the sum of individuals statistically aggregated, but the product of a system of real relationships between individuals, classes, groups and interests“73. Die hierarchische Verfassung der Gesellschaft hat zugleich ihren funktionalen Sinn, der sie zu einer „grundlegenden moralischen und realen Notwendigkeit“74 macht: Die Gesellschaft bedarf der Führung, und zwar der „Führung durch die besten, in der hellenischen und ursprünglichen Bedeutung“ einer „natürlichen Aristokratie“75 samt ihrer Werte, im Sinne des noblesse oblige, historisch gesehen aber durchaus auch im konkreten Sinne des Begriffs. Denn auch über die spezifisch sozialgeschichtliche Verortung Kondylis’ hinaus liegt die enge Verbindung von Konservatismus und Adel offen zutage, die allerdings bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts wesentliche Wandlungen erfuhr. Aus dieser Ordnung und an sie gebunden erwächst Freiheit, die in konservatismustheoretischen Abhandlungen jedoch häufig eher beiläufig thematisiert wird76. Sie besitzt keinen autonomen Wert, sondern erfährt ihre Bedeutung als Bestandteil eines Gesamtzusammenhangs und in Verbindung mit Tugenden und Werten. Auch stellt sie keine abstrakte Größe dar, die sich mit einer Theorie der Natur- oder Menschenrechte verbände, sondern vielmehr ein Ensemble konkreter Freiheiten, von „traditional, customary, established liberties“, die zugleich an Pflichten und Mäßigung gebunden sind77. Die Rechte des Individuums sind demzufolge eher „right-duties“,
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Vgl. BARKER, Political Thought, S. 23, FEILING, What is Conservatism, S. 22–24, HUNTINGTON Conservatism, S. 456, KRAUS, Deutscher Konservatismus, S. 120, KRAUS, Politische Romantik, S. 467, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 26 f., und NISBET, Conservatism, S. 51–54. Vgl. GLICKMAN, Toryness, S. 130: „Status means class, but it also means peace.“ Vgl. EBD., S. 128 f., HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, KRAUS, Deutscher Konservatismus, S. 120, MULLER, Conservatism, S. 10, VIERECK, Conservatism, S. 21 f., VIERHAUS, Konservativ, S. 547, und VIERHAUS, Conservatism, S. 478. WHITE, Conservative Tradition, S. 8; vgl. auch GLICKMAN, Toryness, S. 131. BUTLER, Tory Tradition, S. 69; vgl. auch EPSTEIN, Ursprünge, S. 34. FEILING, Principles of Conservatism, S. 135 (erstes Zitat), und ALLEN, Modern Conservatism, S. 593; vgl. auch HONDERICH, Conservatism, S. 133 f. und 211. Vgl. allerdings HOGG, Case for Conservatism, S. 60–67, HONDERICH, Conservatism, S. 82–123, NISBET, Conservatism, S. 47–54, und SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 16–20, 49 f., 77–79 und 120. QUINTON, Conservatism, S. 260; vgl. MULLER, Conservatism, S. 18, METZ, Social Chain,
2. Kriterien konservativen Denkens
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und seine Freiheit liegt in der Möglichkeit zur Entfaltung seiner eigenen Anlagen, in denen der Mensch seine Grenzen „im richtigen Verhältnis und vollkommenen Ebenmaß mit der Ordnung der Welt“ findet78. Dieses qualifizierende Freiheitsverständnis, das die Ungleichheit der Menschen einschließt, steht im Gegensatz zum revolutionär-egalitären, liberalen Freiheitsbegriff79. Quer zu dieser Unterscheidung zwischen konservativem und liberalem liegt unterdessen die Unterscheidung zwischen der Tradition angelsächsischen und kontinentalen Freiheitsverständnisses80: während, vereinfacht formuliert, die (negative) angelsächsische Freiheit durch „absence of restraint“ (Locke) geprägt und außerhalb der Sphäre von Obrigkeit verortet ist, sieht die kontinentale Auffassung die (positive) Freiheit als freiwillige Anerkennung von Obrigkeit und Gesetz und somit als „a quality of authority“ an. In dieser Hinsicht stellt sich die Frage, wie sich das Freiheitsverständnis der englischen Konservativen in diesen Bezugsrahmen einordnen läßt. Gesellschaftsordnung, Tradition und Freiheit sind im konservativen Verständnis engstens mit dem Eigentum81 verknüpft, das für die Konservativen nicht nur des 19. Jahrhunderts umfassende lebensweltliche Bedeutung jenseits bloßer materieller Bedürfnisbefriedigung besitzt und ursprünglich mit Moral und Talent identifiziert wurde. Zugleich wurde es als Treuhandeigen-
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S. 172, und BURKE, Reflections, S. 58 f., 85 („Always acting as if in the presence of canonized forefathers, the spirit of freedom, leading in itself to misrule and excess, is tempered with an awful gravity. [. . .] All your sophisters cannot produce any thing better adapted to preserve a rational and manly freedom than the course that we have pursued, who have chosen our nature rather than our speculations, our breasts rather than our inventions, for the great conservatories and magazines of our rights and privileges“), 111 („restraints of men, as well as their liberties, are to be reckoned among their rights“) und 290 f. („what is liberty without wisdom, and without virtue? It is the greatest of all possible evils; for it is folly, vice, and madness, without tuition or restraint“). Vgl. GLICKMAN, Toryness, S. 120 und 123 (dort das erste Zitat), KLEMPERER, Konservativismus, Sp. 849 (dort das zweite Zitat) und 851; vgl. auch Burkes Katalog der „real rights of men“, Reflections, S. 109 f. Vgl. MANNHEIM, Konservatismus, S. 114–117. Zur Unterscheidung von „Freiheiten“ und „Freiheit“, die allerdings im 19. Jahrhundert an Bedeutung verlor, vgl. auch BLEICKEN U. A., Freiheit, S. 488–493 (CHRISTOF DIPPER). Vgl. KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1019 (dort auch die folgenden Zitate); vgl. demgegenüber WHITE, Conservative Tradition, S. 5f. (Fundierung des Freiheitsverständnisses in der „rule of law“). Vgl. auch ISAIAH BERLIN, Two Concepts of Liberty, Oxford 1958 (dort die Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit). Vgl. BARKER, Political Thought, S. 35 f., GLICKMAN, Toryness, S. 136, MANNHEIM, Konservatismus S. 112–114, HOGG, Case for Conservatism, S. 97–102, HONDERICH, Conservatism, S. 83–96 und 98–102, KIRK, Conservative Mind, S. 8, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 31 f., NISBET, Conservatism, S. 55–68, QUINTON, Conservatism, S. 258, und SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 94–118.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
tum (trust) betrachtet, das mit bestimmten sozialen Pflichten verbunden und der freien ökonomischen Verfügbarkeit entzogen war. Unverkennbar agrarisch-feudalen Ursprungs, stand das Land im 19. Jahrhundert zunächst noch ganz im Zentrum konservativen Eigentumsverständnisses, das sich allerdings im Laufe der Zeit auf privates Eigentum allgemein ausdehnte. Das Land war nicht nur die klassische Domäne der Aristokratie samt ihrem qua konservativem Verständnis sozialen Führungsauftrag und ihrer (idealisierten) Werte. Es garantierte zugleich Dauerhaftigkeit und Beständigkeit und bildete ein Widerlager gegen den Kommerzialismus der aufsteigenden bürgerlich-industriellen Mittelschichten82. Deren Materialismus und Profitstreben, so nahmen es die Konservativen weithin wahr, stand unterdessen im diametralen Gegensatz zur ländlich-aristokratischen Werteordnung. Vor allem aus dieser Einschätzung resultierte konservative Skepsis gegenüber der gesamten Industrialisierung, die der Trennung von Eigentum und sozialer Verpflichtung, der moralischen Atomisierung und der sozialen Zersetzung beschuldigt wurde83. Doch über diesen Fragen ging die konservative Entwicklung im 19. Jahrhundert spürbar auseinander: während sich die (in England vor allem durch Robert Peel repräsentierte) liberalkonservative Richtung der industriellen Moderne anpaßte, betonte der Tory-paternalistische Sozialkonservatismus gegenüber dem liberalen Gleichheits- und Individualitätsgedanken die wechselseitigen Beziehungen und Verpflichtungen innerhalb der hierarchisch gestuften „social chain of respect“ und den „benevolent feudalism“ gegenüber den sozialen Auswüchsen des industriellen Kommerzialismus84. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach dem Verhältnis zwischen beiden Strömungen und nach der (eher eingeschränkten) politischen Bedeutung dieser Form des Sozialkonservatismus85, sondern auch nach der Bedeutung solcher historisch bedingter Inhalte für Konservatismus insgesamt. Dies gilt nicht zuletzt für Staat und Politik, von denen konservatives Denken, über einige allgemeine Grundannahmen hinaus, kein verbindliches überzeitliches Konzept besitzt.
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Vgl. BURKE, Reflections, S. 102, sowie GLICKMAN, Toryness, S. 128 f. Vgl. ALLEN, Modern Conservatism, S. 593, BARKER, Political Thought, S. 35, GLICKMAN, Toryness, S. 128–131 und 136, MANNHEIM, Konservatismus, S. 112–114, METZ, Social Chain, S. 156 f., QUINTON, Conservatism, S. 258, und VIERHAUS, Conservatism, S. 478 f. Vgl. METZ, Social Chain, S. 152 f. und 166 f., und WILKINSON, Tory Democracy, S. 13 f. (dort S. 13 das Zitat vom „benevolent feudalism“); vgl. auch GLICKMAN, Toryness, S. 137 f., und MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 29 f. Vgl. dazu etwa COLEMAN, Conservatism, S. 125–130, KONDYLIS, Konservativismus, S. 435 f., METZ, Social Chain, S. 182, und ROBERTS, Tory Paternalism, S. 333–337.
2. Kriterien konservativen Denkens C) STAAT UND
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POLITIK
Staat und Gesellschaft nicht als getrennte Sphären zu betrachten, durchzieht Burkes Reflections bis in die terminologische Gleichsetzung beider Begriffe hinein. Dies speist sich aus der englischen Geschichte der Frühen Neuzeit86 und entspricht zugleich allgemeinem konservativem Verständnis. Der Staat ist demzufolge „an institution of beneficence“, und „the whole organization becomes a consideration of convenience“87; seine Legitimität bezieht er also aus dem säkularen Gesichtspunkt der Nützlichkeit88. Er sichert die Aufrechterhaltung von Ordnung und Frieden, und dazu ist er aufgrund der fehlerhaften Natur und der Leidenschaften des Menschen vonnöten. Er schützt die civil society und bewahrt ihre Entfaltungsräume, vom Eigentum über Kirche, Familie und karitative Selbstorganisation bis hin zu lokalen Besonderheiten und zur Fuchsjagd. Zugleich verzichtet dieser Staat auf den Versuch, Kompetenzen und Funktionen der societas civilis zu zentralisieren89. So läßt er sich als „natural arm of the organic community“90 auffassen. In der nicht nur antiabsolutistischen Ablehnung des in England ohnehin nie dominant gewordenen bürokratischen Anstaltsstaates zugunsten einer Einheit von Staat und Gesellschaft liegen dabei durchaus (aus der begrifflichen Tradition der societas civilis resultierende) Parallelen zur (früh)liberalen Staatsauffassung91. Zugleich stellt sich die Frage nach den über diese negativen hinausgehenden positiven Funktionen von Staat und Politik. Aus dem Menschenbild und der Vorstellung von der organischen Gesellschaft mit den latenten Funktionen ihrer Institutionen und der Interdependenz ihrer sozialen Elemente, die grundlegende reformerische Eingriffe mit dem Risiko unabsehbarer Folgewirkungen behaften, ebenso wie aus der Überzeugung vom Vorrang der sich auf lokaler Ebene selbst organisierenden Zivilgesellschaft
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Vgl. dazu KONDYLIS, Konservativismus, S. 181 f., 190–197 und 204, der die Tradition der societas civilis in England allerdings für eine „polemisch notwendige“ und „sozialpolitisch sehr nützliche“ Fiktion und Fassade der Oligarchie zur Abgrenzung gegenüber absolutistischen oder demokratischen Ansprüchen hält. BURKE, Reflections, S. 109–112 (die Zitate S. 109 und 111). Vgl. dazu MULLERS Interpretation, Conservatism, S. 7, vom „historical utilitarism“ (nicht im konkreten Sinne des Utilitarismus Benthamscher Prägung) als gemeinsamen Nenner von Konservatismus; vgl. auch KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1019. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 29 f., und WHITE, Conservative Tradition, S. 8 f.; vgl. auch zum konservativen Staatsverständnis allgemein HONDERICH, Conservatism, S. 124–147, NISBET, Conservatism, S. 34–46, SCRUTON, What is Conservatism, S. 13–18, und SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 46–70, bes. S. 47–49 und 66–69. GLICKMAN, Toryness, S. 131. Vgl. GALL, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, S. 61 f. und 64 f.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
vor dem zentralen Staat geht ein Verständnis von Politik hervor, das ihr grundsätzlich gesellschaftspolitisch steuernde und gestaltende Bedeutung abspricht92. An dieser Stelle weicht der Ansatz wohlfahrtsstaatlicher Sozialpolitik eines tory-paternalistischen Konservatismus zur Linderung der sozialen Folgen des marktwirtschaftlichen industriellen Kapitalismus ab93. Auch er schreckte jedoch letztlich „vor dem Gespenst des Dirigismus und Kollektivismus“ und dem bürokratischen Interventionsstaat zurück94. In diesem Staats- und Politikverständnis nahm die Regierung eine solche Art von Aufsichtsfunktion wahr, wie „strenge Eltern den Torheiten und den gefährlichen Aktivitäten ihrer Kinder Grenzen setzen.“ Die Legitimität dieser „form of social guardianship or trust“ und ihre Autorität lagen in ihrer Tradition als gewachsener Weisheit und in der (vorausgesetzten und nicht eigens hinterfragten) Befähigung der gesellschaftlichen Führungsschichten95. Vormundschaft und Autorität kennzeichnen demzufolge die konservative Vorstellung von Regierung und Politik, nicht Emanzipation und Demokratie. Letztere verkörperte vielmehr das konservative Feindbild einer atomisierten Masse, der Herrschaft der Zahl über die Qualität und stand nicht zuletzt dem konservativen Menschenbild entgegen96. Zugleich betonte schon Burke, keine Staatsform aufgrund abstrakter Prinzipien, sondern nur nach Maßgabe ihrer jeweiligen konkreten Umstände zu beurteilen, auch wenn die Demokratie mit ihrer „inevitable tendency to party tyranny“ seine besonderen Vorbehalte hervorrief97.
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Vgl. BARKER, Political Thought, S. 41, OAKESHOTT, Rationalism, S. 183 f. („what makes a conservative position in politics intelligible [. . .] is the observation of our current manner of living combined with the belief [. . .] that governing is a specific and limited activity, namely the provision and custody of general rules of conduct, which are understood, not as plans for imposing substantive activities, but as instruments enabling people to pursue the activities of their own choice with the minimum frustration, and therefore something which it is appropriate to be conservative about“) und 188 f., O’GORMAN, British Conservatism, S. 3–5, VIERHAUS, Conservatism, S. 479, WHITE, Conservative Tradition, S. 2, 4, und 8 f. Vgl. GLICKMAN, S. 131 f. und 136 f.; dort S. 137 auch das Zitat Harold Macmillans aus dem Jahre 1936: „Toryism has always been a form of paternal Socialism.“ Vgl. KONDYLIS, Konservativismus, S. 435 f. (das Zitat S. 436), und METZ, Social Chain, S. 175 f. und 181–183. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 37–41 (die Zitate S. 37 und 41), MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 25, und VIERHAUS, Conservatism, S. 479. Vgl. HONDERICH, Conservatism, S. 124–126, 130 f., 142 f. und 211, NISBET, Conservatism, S. 43–46, SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 18–20 („It is through an ideal of authority that the conservative experiences the political world“, S. 19), 53–56 und 58 f., sowie GLICKMAN, Toryness, S. 132. BURKE, Reflections, S. 174 f. (das Zitat S. 175); vgl. auch MULLER, Conservatism, S. 11 f.
2. Kriterien konservativen Denkens D)
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RELIGION UND KIRCHE
„Conservatives do not believe that political struggle is the most important thing in life. The simplest among them prefer fox-hunting – the wisest religion“, so stellte Quintin Hogg, Lord Hailsham, 1959 fest98. Mit der christlichen Religion verbinden den Konservatismus grundlegende Verwandtschaften in Denken und Weltanschauung, allein hinsichtlich der Auffassung vom Menschen, von der Schöpfung oder der Transzendenz der Ordnung. Burke sah im Menschen „by his constitution a religious animal“, und Hugh Cecil in der Kirche einen „national act of religious devotion“99. Auf der transzendent-religiösen Grundlage der Gesellschaft wie des Politischen steht die Union von Staat und Kirche, die dem Konservatismus zumindest insofern nützlich ist, als sie zur Legitimierung und Stabilisierung der Ordnung beiträgt und ihr Moral zuführt100. Insofern läßt sie sich als Fundament der civil society auffassen. Indem sie Staat und Politik in eine transzendente Dimension einordnet, verweist sie zugleich auf eine höhere Ordnung der Dinge101. Dafür ist religiöser Glaube allerdings keine zwingende Voraussetzung, und die Verbindung verschiedender Konservatismen mit verschiedenen Konfessionen zeigt, daß Konservatismus in religiöser Hinsicht nicht festgelegt, sondern am tradierten Bestehenden orientiert ist. Der Anglikanismus diente den englischen Konservativen als nicht-säkularer Bezugspunkt, Vorrang in politicis besaßen jedoch säkulare Werte102. Die Verbindung mit der Anglikanischen Kirche ordnete sich im mittviktorianischen England unterdessen in den Zusammenhang der umfassenden Herausforderung des Konservatismus im Durchbruch der Moderne ein. Denn einerseits sah sich die Staatskirche dem gesamtgesellschaftlichen Rückgang kirchlicher Bindungen im Zuge der Industrialisierung auch in England ausgesetzt, wie er etwa im Zensus von 1851 zum Ausdruck kam, andererseits wurde sie innerhalb des christlichen Spektrums durch die Konkurrenz insbesondere des protestantischen Dissent bedrängt, der wiederum in enger Verbindung mit den aufsteigenden industriellen und kommerziellen Mittelschichten stand. 98 99 100
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Zit. nach MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 34. BURKE, Reflections, S. 141, und HUGH CECIL, Conservatism, S. 106. Vgl. MULLER, Conservatism, S. 13, und QUINTON, Conservatism, S. 258; vgl. zur Religion allgemein HONDERICH, Conservatism, S. 51–53, NISBET, Conservatism, S. 68–74, SCRUTON, Meaning of Conservatism, S. 170–175, und VIERECK, Conservatism, S. 16. Vgl. BURKE, Reflections, S. 141, GLICKMAN, Toryness, S. 127, HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, KIRK, Conservative Mind, S. 7, und MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 34. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 33 f.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
Da Außenpolitik in konservatismustheoretischen Schriften kaum thematisiert wird, ist sie hier auch nicht als Kriterium konservativen Denkens vorzustellen. Außenpolitik wird daher in dieser Untersuchung nicht vor dem Hintergrund theoretischer Annahmen, sondern zwecks Vollständigkeit des politischen Panoramas und im spezifischen Zusammenhang der englischen Geschichte der fünfziger und sechziger Jahre, namentlich vor dem Hintergrund der liberalen Freihandelsutopie, behandelt.
3. HIGH POLITICS: DIE ENGLISCHEN KONSERVATIVEN 1846–1868 A)
TORIES, KONSERVATIVE, PROTEKTIONISTEN: DIE PARTEI BIS ZUR SPALTUNG 1846
Die Conservative Party kennt weder Datum noch Legende ihrer Gründung, wie die Labour Party mit dem Jahr 1900 oder die Liberal Party mit der Versammlung in Willis’s Rooms 1859. Ihre über die Zeiten gebräuchliche synonyme Bezeichnung als Tories verweist ins 17. Jahrhundert zurück. Auch wenn sich kaum wirklich behaupten läßt, „the Tory Party was born when Charles I raised his standard at Nottingham on August 22nd, 1642“103, galt ihre Loyalität nichtsdestoweniger in erster Linie der Krone samt ihrem divine right und zudem der Kirche. Ihr verdanken die Tories den Spottnamen als „irisch-papistische Wegelagerer“ (gegenüber den „whiggamores“, den „schottischen Viehdieben“), der zugleich auf die komplizierte Gemengelage konfessioneller und konstitutioneller Probleme im England des 17. Jahrhunderts verweist, die sich für die Tories 1688 im Dilemma des Widerstandes gegen den legitimen, aber militant katholischen König zuspitzten. Weder sozial noch politisch eindeutig zuzuordnen – „a Tory is more influenced by loyalty, and a Whig by the love of liberty“, versuchte ein zeitgenössischer Whig den Unterschied zu benennen104 –, brachte diese lose und wechselhafte politische Gruppierung innerhalb der landbesitzenden patrizischen Elite höchstens eine allgemeine politische Richtung der Verpflichtung auf die Verfassung und ihre Bewahrung ein, als sich zu Beginn der 1830er Jahre in den verfassungspolitischen Auseinandersetzungen um die erste Wahlrechtsreform eine unterscheidbare politische Parteiung im
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PETRIE, Carlton Club, S. 16. Zit. nach STEWART, Party and Politics, S. 6.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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Parlament herausbildete, für die, ihrem Selbstverständnis entsprechend, die Bezeichnung Konservative Partei gebräuchlich wurde105. Ihre Opposition gegen die Reform von 1832 begruben die Konservativen schon ein Jahr später unter dem maßgeblichen Einfluß Robert Peels, der die Partei bis 1846 führte und prägte. Während seiner keine vier Monate währenden ersten Amtszeit als Premierminister 1834/35 setzte er mit seinem „Tamworth Manifesto“, einem bis dahin unüblichen Appell an die politische Öffentlichkeit über seinen eigenen Wahlkreis hinaus, die Vorzeichen eines mit seinem Namen verbundenen, moderat reformorientierten Liberalkonservatismus, der in seinem zweiten Kabinett nach den Wahlen von 1841 zum Tragen kam.106 In diesen ökonomisch und sozial unruhigen Jahren trieb Peel vor dem Hintergrund einer Innenpolitik von law and order ökonomische Reformen voran, die durch den Abbau von Steuern und Abgaben, vor allem von Zöllen, den gehobenen freien Berufen sowie den handeltreibenden und industriellen Mittelschichten entgegenkamen107. Damit provozierte er indes eine innerparteiliche Oppositionsbewegung zum einen der country gentlemen von den Hinterbänken, die das landed interest vertraten, wegen Vernachlässigung und Benachteiligung der Landwirtschaft und zum anderen der Tory Radicals, insbesondere der Young England-Bewegung, die das manufacturing interest und die Fabrikherren als die Schuldigen für die sich auftürmenden sozialen Probleme ausgemacht hatten, denen nicht ökonomische Freiheiten einzuräumen, sondern durch aktive Sozialpolitik zugunsten der Arbeiter Schranken zu setzen seien108. Der wirkungsvollste Parlamentarier dieser Gruppe war Benjamin Disraeli, der in den frühen dreißiger Jahren zwischen verschiedenen politischen Positionen oszilliert hatte, bis er 1837 im fünften Anlauf einen Unterhaussitz gewann. Von Peel bei der Regierungsbildung 1841 nicht berücksichtigt, wurde er zum schärfsten parlamen105
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Vgl. dazu COLEMAN, Conservatism, S. 10–17, 21 und 29, RAMSDEN, Appetite, S. 13–19, und STEWART, Party and Politics, S. 4–8; „Whigs“ und „Tories“ waren, so GASH, Origins, S. 22, „part of the vocabulary rather than the grammar of politics“: „the old names survived to indicate types, temperaments, traditions and connections“; zum Parteinamen vgl. Kapi– tel I.1. Vgl. GASH, Wellington and Peel, S. 40–44, GASH, Peel, S. 93–99, GASH, Significance of the Tamworth Manifesto, GASH, Founder of Modern Conservatism, GASH, Origins, S. 56–64; das Tamworth Manifesto in EHD XII (1), S. 127–131, auszugsweise in HANHAM, Nineteenth-Century Constitution, S. 212–215. Vgl. COLEMAN, Conservatism, S. 66 f., GASH, Origins, S. 73–89, GASH, Wellington and Peel, S. 47–52, und STEWART, Foundation, S. 178–186 und 202. Vgl. ADELMAN, Peel, S. 50–61, SOUTHGATE, From Disraeli, S. 121, GASH, Origins, S. 87, STEWART, Foundation, S. 165–171 und 187–192, STEWART, Protection, S. 2, und STEWART, Party and Politics, S. 68 f.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
tarischen Kritiker, nicht nur in den eigenen Reihen, des Premierministers, den er 1845 coram publico als „middleman“ verhöhnte109. In seinem exekutiv-gouvernementalen Selbstverständnis als „Minister der Krone“, nicht als Vertreter einer Partei110, schottete sich Peel angesichts zunehmender Widerstände immer mehr gegen seine parlamentarischen Gefolgsleute ab, wie es Lord Derby nachträglich beschrieb: Peel’s great error always has been disregarding the opinion of his party, whenever it did not exactly square with his own; and I am confident that no man in these days can hope to lead a party who cannot make up his mind sometime to follow it.111
Im Gegenzug brachte die Partei ihrem Führer zunehmende Skepsis entgegen. Die wachsende Entfremdung entlud sich 1845 im Konflikt über die staatlichen Zuschüsse für das katholische Kolleg im irischen Maynooth, in dem der Gegensatz zwischen den tiefen antikatholischen Ressentiments der konservativen Mehrheit und der konfessionellen Mäßigung Peels die Fronten weiter verhärtete. Maynooth „more than anything else [. . .] finally destroyed the morale of the party and broke the last emotional tie between Peel and many of his followers“112. Zum endgültigen politischen Bruch kam es dann im Jahr 1846113, als Peel die Abschaffung der Getreidezölle durch das Parlament brachte. Solche agrarischen Schutzzölle hatte es seit dem Mittelalter gegeben, zu einem politischen Thema waren sie aber erst durch das Gesetz von 1815 geworden, dessen fixe Sätze 1829 durch gleitende Tarife (sliding scale) ersetzt wurden. Erst in den 1830er Jahren wurden die Konservativen zu den exklusiven Hütern des bis dahin auch von den Whigs getragenen Protektionismus, dem
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Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 87–93, 120–124, 146 f., 178 und 183–189 (das Zitat aus der Rede vom 11. April 1845 in HANSARD 3/79, Sp. 656 f., hier nach BLAKE, Disraeli, S. 189: „we have a great Parliamentary middleman. It is well known what a middleman is; he is a man who bamboozles one party and plunders the other, till, having obtained a position to which he is not entitled, he cries out, ‚Let us have no party question, but fixity of tenure.‘ [. . .]“). Vgl. ADELMAN, Peel, S. 12, COLEMAN, Conservatism, S. 71 f., GASH, Origins, S. 81, 91 und 94, sowie HAWKINS, Parliamentary Government, S. 652–655. Stanley an Bentinck, 27. Oktober 1847, NL Derby, Liverpool RO 920 DER (14), 177/2, fol. 155–161. Zur Nomenklatur Lord Derbys vgl. Anm. 120. GASH, Origins, S. 91; vgl. auch GASH, Reaction, S. 151, GASH, Wellington and Peel, S. 52, MACHIN, Politics and the Churches, S. 169–177, STEWART, Foundation, S. 190–194, STEWART, Party and Politics, S. 73–75 und 83, und STEWART, Protection, S. 30 f. Zur Abschaffung der Getreidezölle und zur Parteispaltung 1846 vgl. insbesondere STEWART, Foundation, S. 201–220, darüber hinaus ADELMAN, Peel, S. 66–77, BLAKE, Conservative Party, S. 53–59, im Zusammenhang der Regierung Peel v.a. die Arbeiten von Norman GASH, Aristocracy and People, S. 220–242, Wellington and Peel, S. 53–57, und Peel, S. 562–615, HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 127–131, RAMSDEN, Appetite, S. 69–80, STEWART, Party and Politics, S. 82–88, und WOODWARD, Age of Reform, S. 118–125.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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sie sich auch im Wahlkampf von 1841 verpflichteten114, und somit zu den politisch distinkten Vertretern der Landwirtschaft. Demgegenüber ging 1839 aus den neuen industriellen Mittelschichten die (wie die Chartisten) außerparlamentarische Anti Corn Law League hervor, der das landed interest die „Anti-League“ entgegensetzte: die seit 1843 gegründeten Protection Societies schlossen sich bereits ein Jahr später zur Central Agricultural Protection Society zusammen, der die Herzöge von Richmond und Buckingham vorsaßen. 1845 wuchs die Unruhe unter den Landpächtern (tenant farmers), da der Druck auf die Schutzzölle immer weiter zunahm. In der Tat hielt Peel ihre Abschaffung schon seit 1843 für unausweichlich. Die Nachrichten von der irischen Kartoffelfäulnis im Herbst 1845 lösten dann seine politische Initiative aus, ohne ihr zentraler Grund zu sein, da sie zur direkten Bekämpfung der Hungersnot nichts beizutragen vermochte. Peel hielt es aber nicht nur für unmöglich, angesichts der Stimmung im Lande Steuern für Irland zu erheben und zugleich die Getreidezölle aufrechtzuerhalten. Er war vielmehr generell zu der Überzeugung gekommen, Freihandel diene den Interessen aller Klassen mehr als Protektionismus115. Ihn zu opfern, um Konzessionen zum rechten Zeitpunkt zu machen, war Peel bereit in diesem Konflikt „over what was principle and what was subject to the ‚flexible rules of politics‘“116. Die Masse der Konservativen hingegen sah nicht nur das landed interest117 beeinträchtigt, sondern auch elementare Prinzipien berührt, weil sich die Konservativen in den letzten Wahlen auf den Protektionismus festgelegt hatten und ihr Führer nun – noch dazu unter dem Druck außerparlamentarischer Agitation – die Politik änderte. Lord George Bentinck formulierte: I keep horses in three counties, and they tell me that I shall save fifteen hundred a year by free trade. I don’t care for that: what I cannot bear is being sold.118
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Vgl. STEWART, Protection, S. 4–6; vgl. zum gesamten Zusammenhang auch GAMBLES, Protection and Politics, S. 56–85. Vgl. GASH, Wellington and Peel, S. 52 f., GASH, Origins, S. 95–98, STEWART, Foundation, S. 201–203. GASH, Reaction, S. 149; vgl. auch COLEMAN, Conservatism, S. 71–76, und STEWART, Foundation, S. 203. Zum oft in einem einseitig materiellen Sinne verstandenen Begriff des „interest“ vgl., auch mit weiteren Literaturhinweisen, GAMBLES, Protection and Politics, S. 8f., und GAMBLES, Protection, S. 933: „In the constitutional context of the period ‚interest‘ was [. . .] an accepted mode of understanding social and economic groupings, and a legitimate impulse to political action. Indeed, property was the tangible emblem of political fitness, and ‚interest‘ the focus of political representation.“ M&B II, S. 360.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
Die protektionistischen konservativen Parlamentarier standen im Winter 1845/46 ihrerseits unter erheblichem Druck aus ihren Wahlkreisen119, und so formierte sich, als Peel im Januar 1846 die Gesetzesvorlage zur Aufhebung der Getreidezölle einbrachte, die innerparteiliche Opposition im Unterhaus, die sich vornehmlich von den parlamentarischen Hinterbänken rekrutierte und um wenig erfahrene Politiker wie George Bentinck, Charles Newdegate, William Beresford, Philip Miles, George Bankes, Stafford O’Brien und Benjamin Disraeli scharte. Nichtsdestoweniger brachte sie bereits im Januar 180, bald 220 bis 240 Abgeordnete zusammen. Während Peel unbeirrt an seiner Politik festhielt, organisierten sich die Protektionisten im April unter der Führung von Bentinck im Unterhaus und Lord Edward George Stanley, der seinem Vater am 2. Juli 1851 als 14. Earl of Derby folgte120, im Oberhaus und zugleich an der Spitze der gesamten Gruppierung. Die Verabschiedung der Corn Laws im Unterhaus am 27. März und 15. Mai121 konnten die Protektionisten nicht verhindern, und im Oberhaus ließ die Mehrheit der konservativen Peers sie am 25. Juni 1846 passieren, um keinen Verfassungskonflikt zu riskieren. Doch am selben Tag stimmte in den Commons eine genügend große Anzahl von Protektionisten mit der Opposition gegen ein irisches Zwangsgesetz der Regierung, um ihren eigenen Premierminister zu stürzen. Peel trat zurück, und der Bruch der Conservative Party, „the most spectacular party disruption in British political history“122, war besiegelt. Die ministrable Elite der Partei, die Peeliten, unterstützte fortan die neue Whig-Regierung Russell, während der Rumpf der konservativen Mehrheit als größte parlamentarische Gruppierung weitgehend ohne Führungsperso-
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Vgl. GASH, Origins, S. 98–102, GASH, Wellington and Peel, S. 53 f., und STEWART, Foundation, S. 206 und 209; die folgenden Ausführungen überwiegend nach STEWART, Foundation, S. 212–215 und 224; zum Oberhaus HOGAN, Protectionists, S. 163–165. Aus Gründen der Verständlichkeit und um Verwechslungen mit seinem Sohn Edward Henry Stanley zu vermeiden, wird Edward George Stanley, 14. Earl of Derby, im folgenden, wenn auch formal nicht korrekt, durchgehend als „Derby“ bezeichnet, in den Belegen in den Anmerkungen jedoch mit dem jeweils gültigen (und in den Quellen genannten) Namen aufgeführt. Die Abstimmungsergebnisse in HANSARD 3/85, Sp. 265–271 und 3/86, Sp. 721–726; die Abstimmung über die 2. Lesung im Oberhaus am 28. Mai in HANSARD 3/86, Sp. 1405–1408; die 3. Lesung erfolgte am 25. Juni ohne Abstimmung, HANSARD 3/87, Sp. 959. Zur sozialstatistischen Analyse der Abstimmungsergebnisse vgl. AYDELOTTE, Country Gentlemen, bes. S. 57–60, der eine Korrelation zwischen dem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Unterhaus und ihrem sozialökonomischen Hintergrund falsifiziert, demzufolge auch nicht von einer eindimensionalen Vertretung materieller Interessen seitens der Protektionisten und country gentlemen die Rede sein kann. GASH, Wellington and Peel, S. 55.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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nal zurückblieb. Ob die Protektionisten nun eine „neue Partei“123 darstellten oder ob sie an ihre alten Traditionen anknüpften, „once again a purely country party in an age when the town interest had risen definitely into the ascendant“124 – jedenfalls war die protektionistische Conservative Party nun eine verhältnismäßig homogene Gruppe, der es außer der Führung nur an einem zu fehlen schien: an Zukunft. Das 1832 geborene „kränkliche Kind schien einem frühen Tode geweiht“125. Nach John Ramsdens pointierter Auffassung war die Lage für die Konservativen in den „years of frustration“126 nach 1846 in machtpolitischer Hinsicht strukturell aussichtslos, bis sich ihre Defizite – die personelle Schwäche nach der Spaltung, die sozioökonomische Prosperität im Zeichen des Freihandels, die sich zugunsten der Liberalen auswirkte, die umfassende Stimmung der Zufriedenheit und der politischen Ruhe sowie die fehlende distinkte, alternative Identität der Konservativen – in den sechziger Jahren und insbesondere nach 1865 auflösten, als die Radikalen zunehmenden Einfluß in der Liberalen Partei gewannen und sich zugleich „erste Risse in der ökonomischen Selbstzufriedenheit“ zeigten127. B)
OPPOSITION UND REGIERUNG I: 1847–1852
Solchermaßen eindeutig und determiniert nahm sich die Situation für die Zeitgenossen freilich nicht aus. Eine Zeitlang sah es nach 1846 so aus, als stehe eine Wiedervereinigung der Konservativen Partei bevor. Zunächst war vieles unklar: Peel hatte als Parteiführer nicht offiziell abgedankt, war aber mit seinen Gefolgsleuten auf die Oppositionsbank gewechselt, während die Protektionisten zunächst auf der Regierungsseite blieben; 1847 saßen die Peeliten dann zwischen der red box und dem Speaker, neben den Protektionisten, die unterhalb der red box Platz nahmen128. Im Oberhaus, wo die Lords konzilianter miteinander umgingen, bemühte sich Derby darum, die Peeliten zu seinen Bedingungen zurückzugewinnen, wenigstens eine Reunion nicht unmöglich zu machen, [to] hold out the olive-branch to those who may desire to unite for such a purpose, and [. . .] nevertheless [to] refuse to bow down to the newly-set-up idol of Free Trade, and [to] leave to the just resentment of the several constituencies those who 123 124 125 126 127 128
BLAKE, Conservative Party, S. 60. WOODS, Tory Party, S. 423, vgl. auch STEWART, Foundation, S. 216. RAMSDEN, Appetite, S. 15. BLAKE, Conservative Party, S. 60. RAMSDEN, Appetite, S. 86 f. und 91. Vgl. BLAKE, Conservative Party, S. 69.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
may not only have changed their opinions or their votes, but also broken their solemn pledges129, maintaining a defensive and Conservative policy, watching, but not unnecessarily assailing the Government, and seeking to reunite the scattered fragments of the great Conservative party.130
Alle erdachten oder unternommenen Versuche131, etwa Ellenboroughs und Broughams noch während der Session von 1846 oder Derbys am Jahresende 1846, scheiterten jedoch daran, daß die Gegensätze tiefer lagen als nur in der Auseinandersetzung von 1846 und daß selbst diese sachlichen und persönlichen Gräben unüberbrückbar waren, wie James Graham an Londonderry schrieb: with the High Tory and Protectionist party my differences on principle were irreconcilable; and [. . .] concord with Lord George Bentinck and Disraeli after all that had occured was impossible.132
Das Problem des Protektionismus blieb bis zum formellen Widerruf der Protektionisten Ende 1852 bestehen, und 1849 schien eine schwere Agrarkrise vorübergehend die Chance auf die Wiedereinführung moderater Schutzzölle zu eröffnen. Die in der Forschung allgemein übliche Bewertung des Protektionismus von 1846 als eines reaktionären, wesentlich selbstsüchtigen Anti-Modernismus133 ist unterdessen vereinzelt von Untersuchungen in Frage gestellt worden, die zugleich die traditionelle Fixierung auf die high politics überwinden. Anna Gambles hat das „vollständige Konzept einer politischen Ökonomie“ dieser durchgängigen Strömung des Konservatismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet. Sie war, so Angus Macintyre, keineswegs eine „verlorene Sache“, sondern vertrat und verteidigte vielmehr nach 1846 das Land und die durch den Freihandel bedrohten Interessen, integrierte sie in Form einer eigenen Partei in das parliamentary government und trug auf diese Weise den mittviktorianischen Gesellschaftskompromiß mit134. 129 130 131 132
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Stanley an Croker, 23. August 1846, CROKER PAPERS III, S. 78. Stanley an Lyndhurst, 10. Dezember 1846, MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 427; vgl. auch BLAKE, Conservative Party, S. 70 f. Vgl. HOGAN, Protectionists, S. 171–176 und 178, STEWART, Foundation, S. 224 und 227, und WARD, Derby and Disraeli, S. 62. Vgl. Graham an Peel, 25. September 1848, PARKER, Life of Graham II, S. 64; vgl. auch Peel an Graham, 3. April 1847, Graham an Peel, 15. Januar 1848, und Graham an Londonderry, 20. Januar 1849, GRAHAM LETTERS II, S. 54, 63 f. und 80 f. Vgl. etwa STEWART, Protection, S. 46 f.; vgl. dazu auch MACINTYRE, Bentinck, S. 141 („widely-held view of the protectionists as mere révanchistes and political untouchables, ‚wild men of the right‘, who had to be dragged ‚kicking and screaming from their last ditches‘“). GAMBLES, Protection, bes. S. 931, 934–940, 943 und 949 (dort das Zitat), GAMBLES, Protection and Politics, bes. S. 54 f., 62 und 231, sowie MACINTYRE, Bentinck, bes. S. 163–165.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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Die Wahlen von 1847 mochte Derby, da die ökonomische Entwicklung den vorausgesehenen Verfall der Agrarpreise vorübergehend verhindert habe, nicht als regulären Test auf den Freihandel ansehen135. Diese „vielleicht ruhigsten Wahlen aller Zeiten“, in der 236 von 400 Wahlkreisen, 367 von 656 Unterhaussitzen ohne Gegenkandidaten vergeben wurden136, bescherten den Konservativen – die Protektionisten nahmen bald den Namen der alten Partei wieder an137 – Stimmenverluste, eine Reduzierung auf die ländlichen Gebiete im Süden und in Zentralengland, eine Verlängerung der Spaltung und Personalprobleme: We have [. . .] a nominal party of something like 230; but there is not a large amount of debating power among them; and unfortunately, the strongest bond of union among them is an apprehension of Popery, which I think exaggerated.138
Und die protektionistischen Konservativen hatten ein Führungsproblem. Derby139 war an der Spitze unumstritten. Der 1799 geborene, 1844 ins Oberhaus erhobene Hocharistokrat aus ältestem englischem Adel hatte Canning unterstützt, dann Greys Reformministerium als Chief Secretary für Irland angehört, war wegen Differenzen über Irland jedoch 1834 zurückgetreten und hatte sich daraufhin den Konservativen angeschlossen und den „Tamworth-Konservatismus“ der pragmatischen Mitte getragen. Peels Kurswechsel in der Zollfrage lehnte er jedoch aus prinzipiellen verfassungspolitischen Gründen ab und trat Ende 1845 als Kriegs- und Kolonialminister zurück, obwohl er sich inhaltlich zunächst flexibel und lavierend verhielt. Als das Problem 1846 zur Entscheidung drängte, brach er aber mit Peel und ließ sich, wenn auch anfangs widerstrebend, zum Führer der Pro135 136
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Stanley an Croker, 12. September 1847, CROKER PAPERS III, S. 134–136. ANNUAL REGISTER 1847, Chronicle S. 95 (dort das Zitat), und GASH, Politics, S. 441 (zur Anzahl der unumkämpften Wahlkreise und Sitze); zum Wahlergebnis vgl. die TIMES vom 21. August 1847, S. 8 (alphabetische Aufstellung der MP unterschieden nach Liberalen, Peeliten und Protektionisten), STEWART, Protection, S. 112 (dort das Ergebnis nach DOD), und BLAKE, Conservative Party, S. 76 f.; vgl. auch, dort aber Protektionisten und Peeliten zusammengezählt, MCCALMONT’S Poll Book, S. 332B, CRAIG, Election Results, S. 622 und 624, sowie CRAIG, Electoral Facts, S. 5. Die Zahlen weichen zuweilen je nach Quelle in vernachlässigenswertem Maße voneinander ab. Vgl. Disraeli an John Manners, 5. Februar 1848, DISRAELI LETTERS V, 1624/7 mit Anm. 7, BLAKE, Conservative Party, S. 79 f., GASH, Beresford, S. 188, und STEWART, Protection, S. 132. Stanley an Croker, 12. September 1847, CROKER PAPERS III, S. 134. Eine wissenschaftliche Biogaphie Edward Stanleys, 14. Earl of Derby, steht aus; die Arbeiten von T. E. KEBBEL, G. SAINTSBURY (beide 1892) und W.D. JONES (1956) erfüllen solche Ansprüche nicht. Derby wird zumeist aus der Perspektive der Konservativen Partei oder aber des ungleich umfassender behandelten Disraeli wahrgenommen (vgl. dazu die jeweils einschlägigen Studien); vgl. dagegen die Skizzen von ANGUS HAWKINS, Lord Derby, sowie Derby and Victorian Conservatism.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
tektionisten küren. Der moderate „great Conservative Whig of 1688“140 galt als brillanter Redner und, zumindest bis 1846, als „rising star“ der englischen Politik. Ein gewisses Maß an Gleichgültigkeit gegenüber der Welt des Politischen zugunsten seiner Hobbys wie Pferde und antiker Literatur wurde ihm aber immer wieder zum Vorwurf gemacht; hinzu kamen gesundheitliche Probleme, vor allem schwere und langanhaltende Gichtanfälle141. Doch personelle Alternativen der gleichen politischen Fähigkeiten und Integrationskraft Derbys, dessen Hauptinteresse zunächst auf dem Zusammenhalt der Konservativen lag, standen der Partei nicht zur Verfügung. Denn integrationsfähige Politiker waren nicht ministrabel, und ministrable nicht integrationsfähig, wie sich in der jahrelangen Führungskrise im Unterhaus zeigte. Die Krise des Jahres 1846 spülte zunächst den unerfahrenen Hinterbänkler George Bentinck142 nach vorn, den 1802 geborenen zweiten Sohn des 4. Duke of Portland. Grundsätzlich kein „Ultra“ – er hatte vielmehr ebenso wie Derby zunächst Canning, dann Grey und schließlich Peel unterstützt – war er aber ein Mann des eisernen Prinzips, dazu verletzend scharf in der Rede, vor allem gegen Peels vermeintlichen Verrat, und von unberechenbar ungestümem Temperament. Seiner politischen Defizite war er sich selbst vollkommen bewußt: Virtually an uneducated man, never intended or attracted by taste for political life, in the House of Commons only by a pure accident, indeed by an inevitable and undesired chance, I am well aware of my own incapacity properly to fill the station I have been thrust into. My sole ambition was to rally the broken and despirited forces of a betrayed and insulted party.143
Nicht nur mangelnde Führungskraft brachte ihn in Schwierigkeiten mit seiner Partei, sondern auch seine liberale Haltung in Religionsfragen, die er mit der ihm üblichen Vehemenz vertrat. Als im Dezember 1847 Lionel Rothschild in einer Nachwahl einen Parlamentssitz errang und im Unterhaus über eine Auslassung der Verpflichtung auf den christlichen Glauben 140 141
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KEBBEL, Derby, S. 91. Vgl. insbesondere STEWART, Foundation, S. 223 (dort das Zitat) und 290; vgl. auch GREVILLE MEMOIRS VI, S. 290 f. (Eintrag vom 10. April 1851), und Henry Lennox an Disraeli, 7. Januar 1857, DISRAELI LETTERS VI, 2882/512 Anm. 2 („As a Leader of a Party, he is more hopeless than ever!! Devoted to Whist, Billiards, Racing, Betting & making a fool, of himself [with the women]“). Vgl. MACINTYRE, Bentinck, bes. S. 145–149 und 152 f., zudem BLAKE, Conservative Party, S. 64 f., GASH, Bentinck, und STEWART, Foundation, S. 227–232; vgl. auch das Lebensbild Bentincks in GREVILLE MEMOIRS VI, S. 105–122, zur politischen Karriere S. 118–122 (Eintrag vom 28. September 1848). Bentinck an Croker, 5. Oktober 1847, CROKER PAPERS III, S. 146.
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in der Eidesformel diskutiert wurde, hielt Bentinck eine flammende Rede, nach der ihm die Protektionisten die Gefolgschaft aufkündigten und er selbst die Unterhausführung niederlegte144: the great Protectionist party having degenerated into a ‚No Popery‘, ‚No Jew‘ party [. . .] A party that can muster 140 on a Jew Bill and cannot muster much above half those numbers on any question essentially connected with the great interests of the empire, can only be led by their antipathies, their hatreds and their prejudices.145
Bentincks Verbitterung deutete zugleich auf den Zustand der parlamentarischen Konservativen hin. Charles Manners, Marquess of Granby, übernahm die Fraktionsführung am 10. Februar, um sie Anfang März völlig überfordert niederzulegen146. In der Session 1848 blieben die Konservativen ohne wirkliche Führung, doch nach Bentincks Tod im September bedurfte dieser Zustand der Abhilfe. Ein nicht geringer Teil des Problems bestand darin, daß der einzige politisch geeignete Kandidat seiner Partei zutiefst verhaßt war: „D’Israeli has splendid talents, and must not be lost to us; but the party would not have him as a Leader“147. Daher suchte Derby zunächst seine Unterstützung für den eingestandenermaßen weniger befähigten John Charles Herries als Unterhausführer zu gewinnen148. Doch Disraeli machte nun seine Ansprüche geltend, lehnte Herries ab und drohte seinen eigenen Rückzug in die Unabhängigkeit an149. Daraufhin wurde 1849 eine dreiköpfige Unterhausführung aus Granby, Herries und Disraeli eingesetzt – „Sieyès, Roger Ducos, and Napoleon Bonaparte“, wie Lord Aberdeen bemerkte150; und von vornherein war kein Zweifel, wer in diesem Triumvirat der Napoleon Bonaparte war. Herries und Granby hielten bloß nominelle Positionen, bis letzterer auch davon an der Jahreswende 1851/52 enttäuscht zurücktrat151. Auf Macht um jeden Preis fixiert zu sein und keine Prinzipien zu haben, warfen die Protektionisten, die sich 1846 wegen des Prinzips um die Macht gebracht hatten, dem „middle class, ex-Bohemian, debt-ridden, literary man“ Disraeli152 vor, ihrem bei weitem begabtesten Parlamentarier, der zu144 145 146 147 148
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Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 258–261, und STEWART, Foundation, S. 228 f. und 231 f. Bentinck an Croker, 26. Dezember 1847, CROKER PAPERS III, S. 159. BLAKE, Conservative Party, S. 81. Stanley an Herries, 21. Dezember 1848, NL Herries, BL London, Add MSS 57409, fol. 121. Vgl. Stanley an Disraeli, 21. Dezember 1848, M&B III, S. 121–124, bes. S. 122, sowie Stanley an Herries, 21. Dezember 1848, NL Herries, BL London, Add MSS 57409, fol. 119–124, und Stanley an Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6628. Disraeli an Stanley, 26. Dezember 1848, DISRAELI LETTERS V, 1755/118 f. M&B III, S. 139. Vgl. Granby an Derby, Dezember 1851 oder Januar 1852, EBD., S. 312 f. BLAKE, Disraeli, S. 286, vgl. auch BLAKE, Conservative Party, S. 86. Vgl. auch, als wenige Bei-
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dem überzeugt und bestrebt war, den Ballast des Protektionismus abzuwerfen und die Konservativen mit Hilfe einer „Befreiung von den Ultras“153 wieder politisch handlungsfähig zu machen. Edward Henry Stanley, der Sohn des Parteiführers und nachmalige 15. Earl of Derby, der mit Disraeli zunächst eng vertraut war, sich im Laufe der fünfziger Jahre aber zunehmend von ihm entfremdete, faßte das Dilemma, immer noch mit mehr Sympathie als die Masse der Partei, zusammen: it cannot be pretended that he is attached to any political principles as such, or that his objects are disinterested and patriotic: yet singleness of purpose – contempt of obloquy – energy which no labour can exhaust – indifference to the ordinary pleasures and pursuits of men, which he neglects in search of power and fame – a temper usually calm, and patient under annoyances of the most trying kind – all this, joined with such intellectual powers as not one human being among a million can lay claim to, forms a combination rare in political or private life, and surely deserves some degree of respect.154
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spiele unter vielen, Derby an Disraeli, 20. Juni 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2537/244 Anm. 1, Malmesburys Tagebucheintrag vom 25. Juni 1853, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 404, oder Drummond an Croker, 19. Dezember 1853, CROKER PAPERS III, S. 269: „the most reckless man of the country [. . .] who is himself the model of a destructive“. Die Literatur zu Disraeli ist – ganz im Gegensatz zu Derby – Legion und konzentriert sich in erster Linie auf das Verhältnis von Prinzipien und Opportunismus (vgl. auch den Überblick bei PARRY, Disraeli, S. 701–704). Nach WILLIAM MONYPENNYS und GEORGE BUCKLES sechsbändiger Life and Letters-Biographie (1910–20) hat ROBERT BLAKE 1966 die große Biographie vorgelegt, die Disraeli als „practical politician“ charakterisiert, dessen Prinzipien – die Tory-romantischen Ideale seiner Romane aus den 1840er Jahren ohnehin, aber auch die grundlegende Vorstellung des „aristocratic settlement“ des Landes – hinter das Machtstreben des opportunistischen „adventurers“ zurücktraten, Disraeli, S. 278–283 und 757–766, ähnlich auch JENKINS, Disraeli (1996), S. 10–14 und 139, MACHIN, Disraeli, S. 5 und 165, und DAVIS, Disraeli, S. 222 („for him, politics was a perpetual jockeying for power and place, and little else“), mehr auf die Inhalte bezogen WHITE, Conservative Tradition, S. 13–19, während WARREN, Disraeli and Ireland (1999), und WARREN, Disraeli and the National Church (2000) zwar aufeinanderfolgende politische Konzepte Disraelis (insbesondere hinsichtlich der Anglikanischen Kirche) ausmacht, diese aber auf taktisch-machtpolitische Motive zurückführt; am pointiertesten hinsichtlich der machtpolitischen Orientierung COWLING, Fusion, und 1867, etwa S. 303 und 336. PAUL SMITH, Disraeli (1996), S. 6, stellt demgegenüber Disraelis Prägung durch seine jüdische Herkunft in den Mittelpunkt der Interpretation, während ANN POTTINGER SAAB, New Tories (1997), S. 310 in Disraelis „One Nation Conservatism“ einen „radical Conservatism of self-made men like Napoleon“ erkennt, P. R. GHOSH, Disraelian Conservatism (1984), v.a. S. 293–295, eine auf schlanken Staatsausgaben basierende integrale finanz-, außen- und verteidigungspolitische Konzeption Disraelis ausgemacht hat, und JONATHAN PARRY, Disraeli, „his intense consciousness of England’s history“ als Grundlage einer kohärenten politischen Karriere „in terms of a heroic defence of national values, traditions and power“ vor allem gegen den Radikalliberalismus lokalisiert (die Zitate S. 700). SAAB, New Tories, S. 291. STANLEY JOURNALS, S. 33 (1855 verfaßte Einführung zu den Einträgen des Jahres 1851); vgl. auch die Beobachtung des außenstehenden Greville vom 25. Februar 1851, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 274, Disraeli „has nothing but the cleverness of an adventurer“.
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In der Tat sah Disraeli die Aufgabe der Opposition darin, Opposition zu machen und „die Regierungsbänke zu stürmen“155. Davon hob sich Derbys Art der Politik „with a calm dispassion“ deutlich ab, der zugleich, so die zeitgenössisch ebenso wie historiographisch verbreitete Auffassung, wenig Ambitionen auf politische Macht hegte156. Malmesbury etwa, der konservative Whip im Oberhaus und Außenminister in den ersten beiden Kabinetten Derby, klagte: „Derby is resolved to wait with his arms folded“157. Diese Einschätzung der Haltung Derbys hat Angus Hawkins unterdessen einer grundlegenden Revision unterzogen: Derby habe nicht nur den Zusammenhalt der Partei ganz obenangestellt, sondern darüber hinaus eine Strategie der „masterly inactivity“ in der Opposition betrieben, um die heterogenen liberalen Regierungskoalitionen an ihren eigenen inneren Gegensätzen scheitern zu lassen, an deren Stelle in der Regierungsverantwortung eine Haltung des „ministerial progressivism“ getreten sei158. Derbys und Disraelis Vorstellungen gerieten darüber nicht selten in Konflikt159, ein erstes Mal, als Derby Ende Februar 1851 zur großen Enttäuschung Disraelis eine Regierungsbildung ablehnte. Nach dem Rücktritt Russells von der Königin beauftragt, verhandelte Derby drei Tage lang über eine Koalition mit den Peeliten, deren Ablehnung Derbys noch immer gehegte letzte Hoffnungen auf eine Reunion zerstörte. Die Idee einer Minderheitsregierung seiner Partei verwarf er mit dem Argument, „that there were no men contained in it who combined great ability with experience in public business“160.
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Disraeli an Lady Londonderry, 2. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2730/405. Vgl. KEBBEL, Toryism, S. 304 und 316, BLAKE, Disraeli, S. 286, und STEWART, Foundation, S. 247 (dort das Zitat). Malmesbury an Disraeli, 3. Februar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 88/1, fol. 84–89, hier 84 (alte Signatur: B/XX/HS/30); vgl. auch Stanley an Disraeli, 20. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 205–207 (alte Signatur: B/XX/S/585), hier 205: „the Captain does not care for office, but wishes to keep things as they are, and impede ‚progress‘“. Vgl. HAWKINS, Derby and Victorian Conservatism, v.a. S. 286–296; auch HAWKINS, Derby, S. 151, 153 und 157 f.; diese These geht ursprünglich hervor aus HAWKINS’ Studie über das politische System zwischen 1855 und 1859, Parliament, S. 16 u.ö.; vgl. auch Derby an Disraeli, 30. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2484/210 Anm. 1 (auch M&B III, S. 483). Vgl. STEWART, Foundation, S. 262 f.; zum Verhältnis zwischen Derby und Disraeli vgl. auch JONES, Derby, S. 130–135 Memorandum Prinz Alberts vom 22. Februar 1851 u. a. über ein Gespräch Victorias und Alberts mit Stanley, LQV 1837–1861 II, S. 289–293, hier 291. Zur Regierungskrise und der gescheiterten Regierungsbildung vgl. bes. STEWART, Foundation, S. 248–252, und JONES, Derby, S. 147–150; vgl. auch Disraelis Memorandum wohl aus den 1860er Jahren, M&B III, S. 288–296.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
In der Tat sorgte sich die Parteiführung über die dünne Personaldecke der Partei161, und Prinz Albert hielt den Tories nach Derbys Scheitern 1851 vor: Here are your rising men, sons of the aristocracy, educated in the best schools and universities, and among them there is not one that can compete with the self-taught middle class manufacturers.162
Auch Disraeli beklagte sich vehement über die apathy of the party: they could not be got to attend to business while the hunting season lasted: a sharp frost would make a difference of twenty men. They had good natural ability, he said, taking them as a body: but wanted culture: they never read: their leisure was passed in field sports: the wretched school and university system was in fault: they learned nothing useful, and did not understand the ideas of their own time.163
Als Whip diente der Unterhausfraktion in den Jahren nach 1846 William Beresford, „a big irascible, rough tongued man“, der in dieses Amt jedoch über seine Fähigkeiten hinaus befördert worden war und 1852 über einen Bestechungsskandal fiel (dem Unterhaus allerdings bis 1865 angehörte)164 und der ebenso vehement protektionistisch und protestantisch agierte wie sein Kollege Charles Newdegate165. Auch ihr gestörtes Verhältnis zu Disraeli166 steigerte nicht gerade die Schlagkraft der Konservativen im Unterhaus. Ihnen folgte 1853 William Jolliffe als Chief Whip, der eine Reorganisation der Partei im Parlament und darüber hinaus einleitete167. Zu den wenigen Vertrauten Disraelis gehörte Lord John Manners, der Disraelis Pragmatismus allerdings nicht teilte, sondern den romantischen
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Vgl. Disraelis Briefe an seine Schwester Sarah Disraeli, 16. März 1849, DISRAELI LETTERS V, 1800/157 („If we only had half a dozen men in the Commons for Cabinet Ministers, and thirty or forty more capable of taking the inferior places, one might do [die Regierung stürzen, AR], but [. . .] there is a terrible want of officers“), an John Manners, 18. März 1849, EBD., 1801/159, und an Lady Londonderry, 22. Oktober 1850, EBD., 2051/3636 („It is a difficult business to evoke order out of chaos, wh: is the present state of the Tory party of these realms.“). Tagebucheintrag Edward Henry Stanleys vom 5. März 1851 über ein Gespräch seines Vaters mit Albert, STANLEY JOURNALS, S. 53. Tagebucheintrag Stanleys vom 9. Februar 1853 über ein Gespräch mit Disraeli, STANLEY JOURNALS, S. 96; vgl. auch Stanleys Eintrag nach Juli 1853, EBD., S. 111: „Generally, the representatives of commercial boroughs attend most steadily: these constitute the middleclass Liberals: next to them came the office-holders: then the Irishmen: the country gentlemen, as a class, are rarely present after dinner.“ Vgl. GASH, Beresford, das Zitat S. 193; vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 21. Juli 1852, STANLEY JOURNALS, S. 76: „Beresford is not without average ability, but his temper the worst I ever knew. [. . .] He appears to be always angry.“ Vgl. dazu ARNSTEIN, Newdegate. Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 265 und 268. Vgl. dazu Kapitel I.3.d).
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Idealen der gemeinsamen Young England-Zeit und einem daraus abgeleiteten Sozialkonservatismus verhaftet blieb168. Eine Abkühlung erfuhr auch Disraelis anfänglich sehr vertrautes Verhältnis zu Edward Henry Stanley (an dessen Stelle ab 1852 Henry Lennox und ab 1858 Disraelis Privatsekretär Ralph Earle traten169), der dem Unterhaus seit 1848 angehörte und aufgrund seiner liberalen Auffassungen immer wieder in Konflikt mit der Mehrheit der Konservativen geriet170, den lange erwarteten Übertritt zu den Liberalen aber erst 1880 vollzog. Andere Probleme hatte die Partei mit Edward Bulwer-Lytton, dem 1852 auf konservativer Seite ins Unterhaus eingezogenen literarisch profilierten, hochkarätigen Debattenredner, der unter den ständigen Nachstellungen seiner geschiedenen Frau, schlechter Gesundheit, Hypochondrie und schwachen Nerven litt171. Im Oberhaus172 übernahmen 1846 der 13. Earl of Eglinton, der seine Position 1849 amtsmüde wieder aufgab, und der 3. Earl of Malmesbury, der als nicht übermäßig engagiert galt und Disraeli unterstützte, die Funktion der Whips der stets etwa 160 protektionistischen Peers, die dann von 1852 bis 1870 der 10. Lord Colville of Culross wahrnahm. Der 5. Earl of Richmond, Haupt einer großen politisch aktiven konservativen Familie und mehr Landbesitzer als Politiker, und der 4. Earl of Hardwicke waren engagierte Protektionisten. Weit weniger prinzipienfest, aber konzessions- und kompromißbereit war hingegen der alte Lord Lyndhurst, mit seinen Ausschweifungen ein echter „Regency man“ aus einer schon fernen Zeit173.
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Vgl. dazu allgemein WHIBLEY, Manners and his Friends, BLAKE, Disraeli, S. 368, MACINTYRE, Bentinck, S. 161 f., und MCDOWELL, British Conservatism, S. 37 f. Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 325–327 und 370–372. Vgl. BRIGHT DIARIES, S. 144 (Eintrag vom 25. Mai 1853), GREVILLE MEMOIRS VI, S. 443 (Eintrag vom 2. September 1853), Stanley an Disraeli, 27. Januar 1857, M&B IV, S. 61–63, bes. S. 62 („Church rates, religious tests in Parliament, religious tests for the Universities, the repeal of the newspaper stamp, the constitution of the army, the constitution of the Civil Service, Irish education, English education, are all topics which more or less call into play those deep-lying differences of temperament and opinion on which the more superficial differences of party are based. On all these questions I have been in a small minority, on some I have stood alone, among the members who sit by or behind you. . . . The question I have to ask myself is this: Can I with truth consider myself as a representative of agricultural Conservatism?“), WHITE, Inner Life I, 78 f. (10. Juni 1858), Graham an Russell, 1. September 1858, GRAHAM LETTERS II, S. 360, sowie FONTANE, Unechte Korrespondenzen, S. 403–405 (22. Oktober 1864; zur literarischen Gestalt dieser „unechten Korrespondenzen“ – in Berlin verfaßte Beiträge in Form vermeintlicher Korrespondentenberichte aus England für die Neue Preußische (Kreuz) Zeitung – vgl. die Einführung, S. 48–66). Vgl. SNYDER, Bulwer-Lytton, bes. S. 126 und 133. Vgl. zum folgenden v.a. HOGAN, Party Management, S. 129–131, und HOGAN, Protectionists, S. 169–171. LEE, Lyndhurst, S. 269.
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Als die Regierung Russell im Februar 1852 endgültig am Ende war, kam Derby nicht umhin, nun – da sich wieder kein Koalitionspartner fand174 – auch aus einer parlamentarischen Minderheit heraus ein Kabinett zu bilden, in dem Disraeli Schatzkanzler, Malmesbury Außenminister und Spencer Walpole Innenminister wurden. Die turnusgemäß anstehenden Neuwahlen im Sommer 1852 machte Derby zur Abstimmung über den Protektionismus, die insofern Klarheit schuf, als die Konservativen zwar Stimmen und Sitze, aber keine parlamentarische Mehrheit gewannen: 287 Sitze (von 654) für die Konservativen, 329 für die Liberalen und 34 für die Peeliten notierte der Observer, 314 Sitze für die Regierung, 333 für die Liberalen und 9 Unsichere hielt eine Aufstellung des Palastes fest, und mit 310 Gefolgsleuten rechnete Derby175. Da Regieren aber im mittviktorianischen politischen System parlamentarische Mehrheiten nicht zwingend voraussetzte, blieb das Kabinett im Amt und brachte eine neue militia bill, einen Untersuchungsausschuß für Wahlkorruptionen und verschiedene Gesetze auf den Weg176. Zur Bewährungsprobe wurde der Haushalt, den Disraeli im Dezember vorlegte177, nachdem die Konservativen öffentlich dem Protektionismus abgeschworen hatten. Disraelis nominell freihändlerisches Budget enthielt diverse Steuerumschichtungen, die im wesentlichen die Landwirtschaft entlasten sollten, und fand keine Gnade vor den liberalen Augen. Nach einer wahren parlamentarischen Schlacht verlor die Regierung in den frühen Morgenstunden des 17. Dezember 1852 die entscheidende Abstimmung. Unverzüglich reichte der Premierminister, nach weniger als zehn Monaten Amtszeit, sein Rücktrittsgesuch an die Königin ein. Derbys erster Anlauf, die Konservativen wieder wirklich regierungsfähig zu machen, war gescheitert.
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Zur Regierungsbildung vgl. BLAKE, Disraeli, S. 310–315. Vgl. die unsignierte Aufzeichnung in RA VIC/C 41/85. 286 (Albert, Memorandum vom 18. Dezember 1852, LQV 1837–1861 II, S. 412 f.), 292 (Malmesbury, Tagebucheintrag vom 18. Dezember 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 375) bzw. fast 300 Derbyites (Stanley, Tagebucheintrag vom 17. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 90 f.) kalkulierten Albert, Malmesbury und Stanley im Zusammenhang der Abstimmung über den Haushalt Mitte Dezember 1852. Vgl. HAWKINS, Derby and Victorian Conservatism, S. 293. Vgl. zum Haushalt BLAKE, Disraeli, S. 328–348, und STEWART, Protection, S. 208–210; zum Gesamten vgl. Kapitel III.3.c).
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„PARLIAMENTARY GOVERNMENT“: POLITISCHES SYSTEM UND PARTEIEN IM MITTVIKTORIANISCHEN ENGLAND
Nicht nur die formelle Ernennung und Entlassung, sondern auch die materielle Bestimmung des Premierministers (dessen Amt erst 1937 offiziellen Verfassungsrang erhielt und der im 19. Jahrhundert zumeist als First Lord of the Treasury figurierte) ebenso wie die Einflußnahme auf die Zusammensetzung der Kabinette erachteten Victoria und Albert – neben Außenpolitik, Kirche und Armee – als die legitimen Praerogativen der Krone. Zunehmend aber ging die Designation des Regierungschefs auf das Parlament und die Evidenz der dortigen politischen Lage über und reduzierte die Entscheidungskompetenz der Monarchin auf uneindeutige Zweifelsfälle. Trotz aller Ambitionen und aller hartnäckigen Verteidigung seiner Rechte vermochte das Königspaar – nach dem Tod des Prinzgemahls im Jahre 1861 die Königin allein – den weit fortgeschrittenen Prozeß der Verlagerung exekutiver Kompetenzen auf das Parlament nicht aufzuhalten. Hatte schon die Reformation Heinrichs VIII. die Position des Parlaments gestärkt, so galt dies erst recht für die Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts, aus denen die Verfassungsform des „King in Parliament“ hervorging. Die Entwicklung setzte sich in den ersten Jahren der Hannoveraner Dynastie fort, als Georg I. die Regierung weitgehend seinen Ministern überließ und insbesondere in der Ära Robert Walpole die Macht auf das Kabinett überging, das sich wiederum zunehmend auf das Parlament stützte. „Government limited by parliament gave way to government carried on through parliament.“ Auch wenn der Neubau des House of Commons nach seiner Zerstörung durch den Brand von 1834 als königlicher Palast entworfen war und die Rolle der „Crown-in-Parliament“ architektonisch herausstellte, so war doch schon zeitgenössisch vom parliamentary government als der Regierungsform nach der ersten Wahlrechtsreform von 1832 die Rede178,
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Vgl. zum gesamten Absatz JENNINGS/RITTER, Regierungssystem, S. 37 f., KEIR, Constitutional History, S. 296–299, 316–323, 332, 373–375, 381–383 und 405–409, LE MAY, Victorian Constitution, S. 23–26 und 45–47, 54, 60, 65–76 und 118, QUINAULT, Westminster, S. 79 f. und 103 f. (zum Neubau des Unterhauses), STEWART, Party and Politics, S. 2 (dort das Zitat) und 13 f., allgemein als wichtigste zeitgenössische Abhandlung GREY, Parliamentary Government, grundsätzlich zur Verfassung BAGEHOT, English Constitution (hinsichtlich der Funktion des Parlaments etwas anders akzentuiert und stärker die Bedeutung der Exekutive betonend, vgl. S. 115–193, bes. 125: „the principle of Parliament is obedience to leaders“); vgl. auch Grevilles Eintrag vom 14. August 1854, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 49–57, bes. 49–51 und 56 f. Zum parlamentarischen Procedere vgl. zeitgenössisch MAY, Parliament, zu einzelnen Sachfragen hinsichtlich des Parlaments WILDING/LAUNDY, Encyclopedia of Parliament, GRIFFITH U. A., Parliament, sowie die Arbeiten von IVOR W. JENNINGS.
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die insbesondere Angus Hawkins historiographisch herausgearbeitet hat179. Demzufolge war das Parlament, unter Zurückdrängung rivalisierender Ansprüche von seiten der Krone ebenso wie des Volkes, autonomer Träger sowohl der Legitimität, die aus der von Burke herrührenden „virtual representation“180 entsprang, als auch der Souveränität, aus der die Exekutive, das Kabinett, seine Autorität bezog. Gegenüber dieser originär whiggistischen Doktrin war insbesondere Peel, ganz einig mit Prinz Albert, einem älteren Verständnis von exekutiver Autorität als Minister der Krone verhaftet, die seinen Verpflichtungen gegenüber Parlament und Partei eindeutig vorgeordnet war. Mit diesem Verständnis scheiterte er 1846 signifikant, während insbesondere Derby der Idee des parliamentary government anhing. Dabei besaß das Unterhaus innerhalb des Parlaments eindeutigen Vorrang gegenüber der Adelskammer. Der Duke of Wellington etwa vertrat die Meinung, das Oberhaus könne, was auch immer es von einem Gesetz halten möge, nicht allein gegen Unterhaus und Krone stehen181. Seit 1832 hatte sich auch der Usus ausgebildet, daß das Kabinett nicht aufgrund von Vorgängen und Abstimmungen im Oberhaus zurücktrete, so daß ihm Walter Bagehot in seiner „English Constitution“ von 1867 eine „ehrwürdige“ statt einer „effizienten“ Rolle im Regierungsbetrieb zuschrieb182. Im halben Jahrhundert nach der ersten Wahlrechtsreform blieben größere Konflikte zwischen beiden Häusern aus. Erst Salisbury betrieb ein anderes Verständnis einer „referendal theory“ des Oberhauses, das den Commons im Falle übereilter und unüberlegter Gesetzgebung als Mandatar des Volkes entgegentreten müsse, bis dieses die Möglichkeit habe, sein Votum in Wahlen zu äußern183. Einen großen Verfassungskonflikt vermied Salisbury jedoch, an179
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Vgl. zum folgenden v.a. HAWKINS, Parliamentary Government, bes. S. 640–642, 645, 647, 650–656 und 662 f., und, etwas differenzierter, British Party Politics, S. 9–46, bes. S. 9–26, zu Derby HAWKINS, Derby and Victorian Conservatism, S. 281 f.; zum „Parliamentary Government“ vgl. auch PARRY, Liberal Government, S. 7–10, zum politischen System auch JENKINS, Parliament, S. 5–58. I.e. die Repräsentation aller Interessen des Landes im Parlament ohne eine direkte Mitsprache und Stimme für jeden ihrer Angehörigen. Vgl. HANSARD 3/86, Sp. 1404 („without the House of Commons and the Crown, the House of Lords can do nothing“), sowie STEWART, Party and Politics, S. 45 f., und LE MAY, Victorian Constitution, S. 129 f., zum folgenden allgemein S. 127–145. Vgl. BAGEHOT, English Constitution, S. 10 („The Queen is only at the head of the dignified part of the constitution. The Prime Minister is at the head of the efficient part“) und 67 („the sovereign has [. . .] three rights – the right to be consulted, the right to encourage, the right to warn. And a King of great sense and sagacity would want no others“). Vgl. LE MAY, Victorian Constitution, S. 135–144, und, allerdings in der Betonung eines
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ders als seine Nachfolger 1910/11, der im Ergebnis den verbliebenen Einfluß des Oberhauses weitgehend beseitigte. Dem Oberhaus gehörten um die Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 450 Mitglieder an, die sich zu etwa 80% aus erblichen Peers und darüber hinaus von der Krone ernannten Bischöfen der Staatskirche sowie den gewählten irischen und schottischen Peers zusammensetzten. Die weltlichen Lords, deren Duchschnittsalter recht hoch lag, waren ganz überwiegend Großgrundbesitzer; Neuerhebungen in den Adelsstand – zwischen 1846 und 1865 41 an der Zahl – berücksichtigten zumeist hochrangige und (nach wie vor) wohlhabende landbesitzende Vertreter der Politik und des Staatsdienstes, kaum hingegen des Handels und der Industrie. Etwa 70 aktive Mitglieder trugen den politischen Betrieb, der erheblich weniger arbeitsaufwendig ausfiel als in den Commons. Der Rest – mindestens 5/6 – blieb passiv, und 1/9 der Peers dominierte die Debatten des Hauses, in denen, viel mehr als im Unterhaus, eine Atmosphäre der Mäßigung und des Kompromisses herrschte184. Die Wahlrechtsreform von 1832 hatte die Position und Bedeutung der gewählten Kammer185 erheblich gestärkt, in der sich nun auch, anders als die personenorientierten früheren Gruppen und Faktionen, unterscheidbare
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„concept of direct democracy“ (S. 1) überzogen, WESTON, Referendal Theory, bes. S. 1f. und 32. Vgl. zum gesamten Absatz HOGAN, Political System, zu den peerage creations HOGAN, Politics, S. 141–154, bes. 143 f., 149 f., 152 und 480 f. Appendix VIII, sowie PUMPHREY, Introduction, S. 7–11, MCCAHILL, Peerage Creations, S. 431 f., und SMITH, House of Lords, S. 51–54, zum Oberhaus allgemein, vor allem zu Procedere, Organisation und Zusammensetzung etc., HOGAN, Politics, bes. S. 18–164, 461 f. und die statistischen Anhänge S. 463–487, sowie SMITH, House of Lords. Für grundsätzliche Daten (Speakers, Sessionen, Amtsträger) vgl. COOK/KEITH, Facts, S. 104; für die jeweiligen Zusammensetzungen des Oberhauses vgl. die jeweils ersten Bände einer Session von HANSARD. Die Parlamentsstudien in der Tradition von Lewis Namier, insbesondere die „History of Parliament“, enden vor oder mit der Reform von 1832 (zur Bedeutung Namiers vgl. KENYON, History Men, S. 268–284, OSTERHAMMEL, Epochen, S. 179 f., sowie allgemein COLLEY, Namier). Zum reformierten Unterhaus sind seit den sechziger Jahren vor allem statistische Auswertungen vorgenommen worden (vgl. die Arbeiten von WILLIAM AYDELOTTE, JOHN ROBERT BYLSMA, VALERIE CROMWELL und zuletzt besonders JOHN A. PHILLIPS). Für grundsätzliche Daten (Speakers, Sessionen, Amtsträger) vgl. COOK/KEITH, Facts, S. 99–103, sowie BOND, Clerks. Die Abgeordneten sind, auf der Basis vor allem von DOD’S PARLIAMENTARY COMPANION, aufgeführt im WHO’S WHO OF MEMBERS OF BRITISH PARLIAMENT (Bd. I: 1832–1885; Bd. II: 1886–1918; maßgeblich für die Zuordnung der Abgeordneten zu den Bänden ist das Datum ihres Ausscheidens); für die jeweiligen Zusammensetzungen des Unterhauses vgl. die jeweils ersten Bände einer Session von HANSARD. Anschaulich schildern die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Doorkeepers des House of Commons Atmosphäre und Vorgänge im Haus: WHITE, Inner Life. Vgl. als allgemeinen Überblick CROMWELL, Victorian Commons.
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Parteien herausbildeten, die aus der Konfrontation von Befürwortern und Gegnern der Reform Bill hervorgingen. Parteien waren die abgeleitete, genuin innerparlamentarische Organisationsform des parliamentary government, nicht selbst Träger von Legitimität und Souveränität und auch nicht Transmitter eines bindenden Wählerwillens wie, pauschal formuliert, im party government, das sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter den Bedingungen des politischen Massenmarktes und der erweiterten Wählerschaft etablierte. Dieser Interpretation zufolge war die „exzessive Instabilität“ der Parteibindungen innerhalb des Parlaments nach der Spaltung der Konservativen, namentlich in den fünfziger Jahren, als die Mehrheiten im Unterhaus in der parlamentarischen Auseinandersetzung häufig und unvorhersehbar wechselten, auch keine Form des „decline of party politics“186 – eines verfassungsgeschichtlichen Rückschritts der 1832 begonnenen Entwicklung nach 1846, die 1867 wieder aufgenommen worden wäre –, sondern unmittelbare Ausdrucksform des parliamentary government187. Auch nach 1846 und trotz aller Instabilität waren Parteien, auch wenn es keine offiziellen Fraktionen gab, als politische Organisationsform anerkannt, im Unterhaus ohnehin – wobei sich die isolierten Konservativen durch ein deutlich höheres Maß an Kohärenz auszeichneten als ihre whiggistischen, liberalen, peelitischen und radikalen Gegner188, die sich erst 1859 zur einen, aber immer noch heterogenen Liberal Party zusammenschlossen –, aber auch im House of Lords, und es gab deutliche Indikatoren von Zugehörigkeit. Als zu einer Partei gehörig wurde angesehen, wer die Rundschreiben der jeweiligen Whips erhielt; zugleich drückte die Sitzordnung auf der Regierungs- oder Oppositionsseite eine parteiliche Zuordnung aus, es sei denn, der Abgeordnete nahm auf den cross benches Platz und wies sich damit als Unabhängiger aus, deren Zahl allerdings, im Sinne von parteiungebundenen Mitgliedern, im Laufe des 19. Jahrhunderts signifikant abnahm.
186 187
188
GASH, Aristocracy and People, S. 250. HAWKINS, Parliamentary Government, S. 660 („excessive instability of party connections“) und 661 („intrinsic to ‚parliamentary government‘“); zum Gesamten S. 640–643, 652, 656 f., 660–662 und 666–669. Zur parlamentarischen Instabilität vgl. etwa GREVILLE MEMOIRS VII, S. 51 und 56 f. (14. August 1854), 115 (19. Februar 1855) und 339 (20. Februar 1858), Lonsdale an Croker, 2. Februar 1855, CROKER PAPERS III, S. 327, Gladstone an Graham, 5. Juli 1855, AGKK III,3, 519/786, Gladstone, The Declining Efficiency of Parliament, in: QR Bd. 99, Nr. 198 (September 1856), S. 521–570, bes. S. 562, Derby an Malmesbury, 15. Dezember 1856, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 54, WHITE, Inner Life I, S. 77 und 78 f. (3. und 10. Juni 1858) sowie 105 (30. Juli 1859), und Derby an Victoria, 25. März 1859, RA VIC/F 12/47. Vgl. etwa GREVILLE MEMOIRS VII, S. 115 (19. Februar 1855), und allgemein HAWKINS, Party Politics, S. 20, und HAWKINS, Parliament, S. 12 f.
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Hinzu kamen ein weithin an Parteilinien ausgerichtetes Abstimmungsverhalten und vor allem die Selbstzuordnung der allermeisten Abgeordneten in Dod’s Parliamentary Companion, dem Parlamentshandbuch, sowie die allgemein akzeptierte Fremdzuschreibung, wie sie etwa die Times in Wahlkämpfen recht eindeutig vornahm. Auch wenn die Selbstdarstellung als „Independent Member“ und Vertreter des eigenen Wahlkreises zur politischen Rhetorik gehörte, war bei allem „Babel of opinions“189 zumindest der Tendenz nach doch klar, welcher Abgeordnete zu welcher Partei zählte190. Parliament and public opinion, which Parliament represents, are not now, as formerly, divided by the broad lines of demarcation to which we were accustomed, but they are seperated by vast numbers of small gradations which it is scarcely possible strictly to define. Persons call themselves now-a-days by so many different names – Tories, Conservatives, Liberal-Conservatives, Whigs, Liberals, and Radicals; and such are the niceties of distinction between some of these names that I believe there are no inconsiderable number of Members in the House of Commons – perhaps there may also be some in your Lordships’ House – who would find it difficult to say with which of all these they have the closest sympathy. The state of parties is very like the distinctions of the various grades of ranks in society at large. There is a broad interval between the highest and the lowest; but the gradation by which one melts into the other is so imperceptible that it is difficult with regard to social rank and to political parties in the State precisely to say where one commences and another ends.191
Vor diesem Hintergrund und angesichts nur rudimentärer organisatorischer Instrumentarien zur Disziplinierung der Abgeordneten mußten gerade im argumentativen und rhetorischen Kampf die inhaltlichen Unterschiede der politischen Richtungen hervortreten, die per common sense erkennbar waren: You talk of Conservatives, of Liberal Conservatives, and Conservative Liberals, of Whigs, and moderate Whigs, of Liberals, of Advanced Liberals, and of Radicals; yet with regard to a large portion of them it would much puzzle us to tell the difference between a Conservative Liberal and a Liberal Conservative, between a Liberal Conservative and a Whig, between a Whig and a Liberal, between a Liberal and an Advanced Liberal, and between an Advanced Liberal and a Radical. But there is a very wide distinction between a Conservative and a Radical and I think there is as
189 190
191
Graham an Ellice, 7. Januar 1859, GRAHAM LETTERS II, S. 365. Vgl. dazu AYDELOTTE, Voting Patterns, BEALES, Independent Member, bes. S. 18, GASH, Reaction, S. 129, HAWKINS, Parliament, S. 10 f. und 13, HOGAN, Party Management, S. 124, und HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 133 f. Zur Wahrnehmung der eigenen Partei in dieser Hinsicht vgl. auch Derby an Ellenborough, 30. Mai 1855, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 183/1, fol. 203 und 205: (gegenüber 359 Liberals seien im Parlament) 292 Conservatives „who do [. . .] receive notes from Jolliffe [dem Whip, AR], and who would [. . .] support a Conservative Government“. Derby, Oberhausrede (Regierungserklärung), 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 25 (Verwendung des Zitats entgegen Derbys Akzentsetzung an dieser Stelle).
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
wide a distinction – at least I hope so – between a Whig and a Radical [. . .]; the natural division of parties is not that which exists in an arbitrary division which does not represent principles.192
Wie ihre innere, so ging auch die außerparlamentarische Formierung der Parteien auf die erste Wahlrechtsreform zurück. Wahlberechtigt waren in England seit 1832193 in den counties die Besitzer eines 40-shilling freehold, eines copyhold von mindestens £ 10, eines leasehold auf 60 Jahre von mindestens £ 10 oder auf 20 Jahre von mindestens £ 50 sowie generell die Inhaber einer Pacht von mindestens £ 50 per annum, in den boroughs alle Inhaber von Häusern mit einem jährlichen Mietwert von mindestens £ 10. Die Ausübung des Wahlrechts setzte die Registrierung der nun zahlreicheren Wähler voraus, die in den Wahlkreisen Registration Societies und lokale Organisationen hervorbrachte. Allerdings gab es in vielen Wahlkreisen keine echte Wahl, da aufgrund der hohen Kosten nicht mehr Kandidaten antraten als Sitze zu vergeben waren. Im gesamten Königreich blieben zwischen zwei und drei von fünf Wahlkreisen und Sitzen „uncontested“; erst nach der zweiten Wahlrechtsreform sank diese Quote nachhaltig194.
1841 1847 1852 1857 1859 1865 1868 1874 1880
Wahlberechtigte (in Mio.) 1,02 1,11 1,18 1,24 1,27 1,35 2,48 2,75 [3,04]
Wähler uncontested (in Mio.) constituencies 0,59 0,48 0,74 0,72 0,57 0,85 2,33 2,47 [3,36]
212 236 170 219 240 194 140 118 67
in %
uncontested seats
in %
53 59 43 55 60 49 35 30 17
337 368 255 333 383 302 212 187 109
51 56 39 51 59 46 32 29 17
Der Eindruck der Wahlakte insgesamt ist ambivalent: einerseits waren sie weiterhin lokal geprägt und höchst vielgestaltig, andererseits waren natio192 193
194
Derby, Oberhausrede (Regierungserklärung), 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 730 f.; vgl. auch BUCKINGHAM MEMOIRS, S. 426 f. (ad 1861). An Act to amend the Representation of the People in England and Wales (7. Juni 1832), auszugsweise abgedruckt in HANHAM, Nineteenth-Century Constitution, 212/262–268, An Act to amend the Representation of the People in Scotland (17. Juli 1832), 213/268–270 (im Original in: Public General Statutes, 2 Will IV, c.45 und 65). Daten nach MCCALMONT’S Poll Book, S. XIX, LLOYD, Uncontested Seats, z.T. geringfügig abweichend CRAIG, Election Results, S. 622–624, CRAIG, Electoral Facts, S. 3–12 und 160, sowie COOK, Companion, S. 90 f. Die Daten zur Wählerschaft sind nur Näherungswerte und enthalten eine unbekannte Zahl doppelter Eintragungen. Die widersprüchlichen Angaben zu Wahlberechtigten und Wählern 1880 bei CRAIG, Electoral Facts, S. 12 und 67.
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nale politische Themen (stärker als in der Forschung zumeist angenommen) durchaus präsent; einerseits wurden die weiterhin öffentlichen Wahlentscheidungen zumindest in den ländlichen Gebieten nach den Mechanismen der „deference“ in der landed society getroffen, folgten die Wahlberechtigten, wenn die Wahl bestand, im Normalfall tendenziell den Vorstellungen der Landlords, wie Edward Stanley 1852 aus seinem Wahlkreis berichtete: The mass of the electors, 1.100 in number, were quite indifferent to politics, the determining cause of their votes was generally local, or more properly speaking, personal: dislike to, or respect for, some leading person in the town.195
Ähnlich galt nicht nur 1853 das vorrangige Interesse von Robert Cecils Wählern in Stamford dem üblichen Gerangel nach Wahlschluß um das Holz, aus dem die Wahltribüne errichtet war196. Andererseits hatte die politische Öffentlichkeit mit dem Politisierungsschub von 1832 an Bedeutung zugenommen, die sie auch danach nicht wieder ablegte197, wie sich etwa in den außerparlamentarischen Bewegungen der Chartisten, der Anti Corn Law League und der landwirtschaftlichen Protection Societies in den dreißiger und vierziger Jahren zeigte. Auch die Abgeordneten und die Bewerber um Unterhaussitze mußten sich dieser Öffentlichkeit zumindest anläßlich ihrer Wahl stellen, wie Stanley, der ansonsten jährlich einen Vortrag in seinem Wahlkreis hielt, ebenfalls festhielt: „We canvassed daily from 10 a.m. to 7 or 8 p.m. [. . .] Had there been no canvass on either side, I doubt whether out of the 1.100 votes, 200 would have
195 196 197
Tagebucheintrag vom 12. Juli 1852, STANLEY JOURNALS, S. 75 Vgl. ROBERTS, Salisbury, S. 20. Vgl. dazu GASH, Politics, S. IX–XV und XXIV f., und STEWART, Politics, S. 35–37. Die Theorie der „deference“ hat D. C. MOORE, Deference, als sozial diszipliniertes statt rational oder intellektuell generiertes Wahlverhalten expliziert, aber zu einem allzu eindimensionalen soziologischen Modell verkürzt; historisch treffender demgegenüber die Definition von J. G. A. POCOCK, Deference, S. 517, als „the voluntary acceptance of a leadership elite by persons not belonging to that elite, but sufficiently free as political actors to render deference not only a voluntary but also a political act“. Zur Bedeutung der politischen Öffentlichkeit in England vor der ersten Wahlrechtsreform vgl. WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme. Wahlvorgänge und Wählerschaft haben eine Vielzahl von Untersuchungen auf lokaler Ebene und mit statistischen Methoden auf sich gezogen, zumal die öffentliche Stimmabgabe bis 1872 in pollbooks festgehalten wurde; vgl. etwa DUNBABIN, British Elections, GASH, Organization II, HANHAM, Elections and Party Management, HOPPEN, Elections, MAINAI, Electoral Behaviour, NOSSITER, Electoral Behaviour, PHILLIPS, Computing, PHILLIPS, Great Reform Bill in the Boroughs, PUGH, Electoral System, ROSE (Hg.), Electoral Behavior, oder VINCENT, Pollbooks. Zur Bedeutung der Wahlen innerhalb des politischen Systems vgl. auch HAWKINS, Party Politics, S. 22–24.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
been recorded.“198 Und während der Wahlperioden berichtete vor allem die Times ihren Lesern ausführlich über die parlamentarischen Vorgänge. Diese Elemente einer politischen Organisation der Öffentlichkeit änderten aber nichts daran, daß die Bedeutung der Wahlakte zwar zugenommen hatte, im parliamentary government letztlich aber doch nachrangig blieb, zumal sich das quantifizierende Mehrheitsprinzip in Westminster noch keineswegs durchgesetzt hatte. Da die Regierung nicht an eine feste parlamentarische Mehrheit gebunden war, besaßen die Wahlen für die Regierungsbildung im Regelfall nur eingeschränkte, tendenzbildende Bedeutung. Daß das politische Handeln im parliamentary government von der außerparlamentarischen Öffentlichkeit substantiell geprägt oder bestimmt worden wäre, läßt sich in den vergleichsweise ruhigen Jahren des „age of equipoise“ (W. L. Burn) nach den sozio-ökonomischen Spannungen der aufgewühlten dreißiger und vierziger Jahre und namentlich nach 1846 auch für Wahlkampfzeiten nicht beobachten und auch für die neuerliche Parlamentsreformbewegung seit den ausgehenden fünfziger Jahren nicht behaupten. Auch wenn insbesondere auf liberaler und radikaler Seite der Appell an die Öffentlichkeit (oder Teilöffentlichkeit) zum politischen Repertoire gehörte, ist dies auf konservativer Seite nicht festzustellen. Das Gravitationszentrum des politischen Systems im mittviktorianischen England lag im Parlament. In Westminster behielt „the vast mass of static forces in the country“199, behielt die alte aristokratische Gesellschaft mit ihren inneren sozialen und familiären Banden, entgegen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, trotz der Infusion von Partizipation und Einfluß der Mittelschichten durch die Reform von 1832 und trotz des Rückgangs von Angehörigen der Aristokratie im Unterhaus, grundsätzlich – auf seiten der Konservativen wie der Liberalen, trotz ihrer Allianz mit den vorwiegend aus den Mittelschichten rekrutierten Radicals – ihre vorherrschende Macht200. Dies änderte sich substantiell erst nach der zweiten Wahlrechtsreform, die nicht nur eine erheblich vergrößerte Wählerschaft und neue Organisationsformen, sondern mittelfristig auch neue Dimensionen des Massenappells und der politischen Kommunikation und eine Verschiebung der Legitimität vom autonomen Parlament auf die gewählten Parteien nach sich zog.
198 199 200
Tagebucheintrag vom 12. Juli 1852, STANLEY JOURNALS, S. 75, vgl. auch S. 146. GASH, Politics, S. 15. Vgl. AYDELOTTE, House of Commons, S. 253 f., sowie, mit Akzent auf dem Rückgang aristokratischer (direkt mit Peers verwandter) Unterhausabgeordneter nach 1832, WASSON, Crisis, S. 305 f. und 311, und WASSON, House of Commons, S. 643–650.
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ORGANISATION UND SOZIALSTRUKTUR DER PARTEI
Wie die anderen Parteien, so war auch die Conservative Party im mittviktorianischen England keine institutionalisierte Organisation. Sie kannte keine formale Mitgliedschaft und besaß bis zur Gründung der National Union of Conservative and Constitutional Associations und ihrer ersten Jahreskonferenz im November 1867 sowie des Conservative Central Office 1870 keinen zentralen Apparat. Organisatorische Anfänge lassen sich jedoch bis in die Zeit der Formierung der Konservativen im Umfeld der ersten Wahlrechtsreform zurückverfolgen, und sie lagen wie das Zentrum der Partei im Parlament. Um die Einheitlichkeit seiner Partei sicherzustellen und ihre Effizienz zu gewährleisten, führte Robert Peel Zusammenkünfte ein, die allerdings nicht regelmäßig, sondern anläßlich besonderer Fragen der Gesetzgebung und Politik einberufen wurden, wobei der Parteiführer Besprechungen der führenden Politiker und Debattenredner Versammlungen aller Abgeordneter vorzog. Als soziales Forum diente den Parlamentariern der 1832 gegründete Carlton Club, der 1835 sein Gebäude in Pall Mall bezog; obwohl er Organisationsfunktionen wahrnahm, bildete er aber keinen erkennbar politischen Kristallisationskern201. Die Organisation der Parlamentsfraktion – um diesen modernen Begriff zu verwenden – lag in den Händen der Whips, deren Name im 18. Jahrhundert aus dem Vokabular der Fuchsjagd („whipper-in“) in den parlamentarischen Sprachgebrauch übernommen worden war. Ein Chief Whip und zwei Assistant Whips verschickten die Rundschreiben an die als solche angesehenen Parteigänger, vor allem die Anwesenheitsaufforderungen für die Sitzungen, verantworteten die Debattenstrategie und die Sammlung bei kritischen Abstimmungen. Darüber hinaus hielten sie die Parteiführung über die Stimmung in der Gefolgschaft informiert und hatten die nächsten Schritte des politischen Gegners zu antizipieren202. Die Whips stellten zugleich die Verbindung vom Parlament zu den Wahlkreisen her, in denen nach 1832 verschiedene konservative Organisationen entstanden. Anknüpfend an eine Tradition vielfältiger Organisationen zur Unterstützung lokaler Politiker wurden, um die zur Ausübung des Wahlrechts erforderliche Registrierung der Wahlberechtigten zu organisieren, vor allem Registration Societies gegründet. Zwischen 1835 und 1837 wur-
201 202
Vgl. PETRIE, Carlton Club, bes. S. 11, 39–45, 63 f. und 66–68. Vgl. zum gesamten Absatz GASH, Organization I, bes. S. 139–146, und GASH, Origins, S. 69.
86
I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
den, zusätzlich mobilisiert durch Peels erste Kabinettsbildung Ende 1834, auf örtliche Initiativen hin in verschiedenen Gegenden Englands lokale konservative Assoziationen ins Leben gerufen, in South Lancashire ebenso wie in Birmingham, Winchester und Westminster, darunter auch etliche Arbeitervereinigungen. Die Whips und das 1836 gegründete ständige Wahlkomitee (standing election committee) im Carlton Club korrespondierten, in allererster Linie anläßlich von Wahlen, mit diesen Assoziationen, um Informationen bereitzustellen und einzuholen, Kandidaten zu vermitteln, in Einzelfällen auch finanziell zu unterstützen203, und nach den Wahlen die nicht seltenen Anfechtungen gegnerischer Wahlsiege zu unterstützen204. Da der gesamte organisatorische Stab der Partei 1846 bei Robert Peel verblieb, standen die Protektionisten vor erheblichen Schwierigkeiten und Defiziten, die sie, nicht zuletzt angesichts ihrer Führungsprobleme im Parlament, auf Jahre hin nicht in den Griff bekamen. In organisatorischer Hinsicht blieben ihnen nach 1846 außer dem Carlton Club, in dem bis 1860 aber auch nicht (mehr) Konservative wie Gladstone verkehrten und der seine Mitglieder erst danach auf eine politische Übereinstimmung mit der Partei verpflichtete205, außerhalb des Palastes von Westminster allein die Protectionist Societies erhalten, die jedoch mit dem Abklingen der Agrarkrise ihre Bedeutung für die Protektionisten verloren, zumal diese sich selbst 1852 von der Schutzzollpolitik abwandten. Auch die Mehrzahl der protektionistisch orientierten Arbeiterorganisationen erlebte, sofern sie nicht, wie die Glasgow Operative Conservative Society, schon zuvor eingegangen waren, in den fünfziger Jahren ihren Niedergang206. Diese Entwicklung betraf indes nicht nur die konservativen Organisationen, sondern erfaßte, bedingt durch die abnehmende politische Polarisierung im Zeichen zunehmender Prosperität seit den späten vierziger und fünfziger Jahren, außerparlamentarische politische und soziale Bewegungen generell wie nicht zuletzt den Chartismus. Über diese allgemeinen Tendenzen hinaus litten die Konservativen vor allem unter hausgemachten organisatorischen Problemen, nicht nur innerhalb des Parlaments, sondern auch in den Wahlkreisen, in denen die Regi-
203
204
205 206
Wahlkampforganisator Spofforth bezifferte die (zentralen) Kosten für die Wahlen von 1857 auf immerhin £ 6.836, wobei die einzelnen Positionen nicht eindeutig sind, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/11,41. Vgl. zum gesamten Absatz GASH, Organization II, bes. S. 131–134 und 140–149, GASH, Origins, S. 65–68, WARD, Working Class Conservatism, S. 143–151, und, nur zusammenfassend, WALSH, Conservative Organisation, S. 34 f. und 43 f. Vgl. PETRIE, Carlton Club, S. 81 f. und 87. Vgl. STEWART, Foundation, S. 268, und WARD, Working Class Conservatism, S. 151–154.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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strierung von Wählern sowie die Rekrutierung von Kandidaten und die gesamte Wahlorganisation vernachlässigt wurden. „We lost the election from bad management and are out in consequence“, klagte Malmesbury – wenn auch durchaus topisch207 – im Januar 1853 nach den Niederlagen der Konservativen an den Urnen der Wahlkreise und in den Division Lobbies des Unterhauses im Jahr zuvor. Die Konsequenz lag auf der Hand: absolute necessity of reforming our personnel and getting matters into an administrative form.208
Zum einen versuchte die konservative Führung – mit allerdings mäßigem Erfolg –, die Kommunikation innerhalb der Partei insbesondere im Unterhaus durch regelmäßige Besprechungen zu verbessern. Zum anderen wurde mit William Jolliffe – ein landed gentleman „ohne ministerielle Ambitionen und mit guten Verbindungen zu den konservativen Familien“209 – ein neuer Chief Whip ernannt, der sich, für parlamentarisches whipping und Wahlkampfführung zugleich zuständig, an die Reorganisation der Partei machte. Er mußte ganz vorn anfangen, wie aus seiner Agenda aus dem Jahre 1853 hervorgeht: er müsse ein Buch mit „electoral facts“ anlegen, bereits erworbene Informationen eintragen, die „electoral facts“ aktualisieren, nach Möglichkeit alle hilfreichen Informationen sammeln, die Wahlkreise ohne einen konservativen Agenten auflisten, die Fälle von Wahlkreisen ohne konservativen Kandidaten untersuchen, „obtain election cases for reference“ und den Parlamentsbericht über die Wahlvorgänge der Session analysieren210. Dabei blieb die Organisation der Partei eine hochgradig personengebundene, nicht institutionalisierte Angelegenheit. Die konkrete Organisation und Durchführung der Wahlkämpfe wurde dem Solicitor Philip Rose und seinem Mitarbeiter Markham Spofforth übertragen. Letzterer fungierte als politischer Agent der Konservativen im Lande und hielt über ein aus Jol207 208
209 210
Vgl. RAMSDEN, Age of Churchill and Eden, S. 90 (zur Wahl von 1945), vgl. dazu auch die Rezension von E. H. H. GREEN in: PH 15 (1996), S. 409–415, hier 410. Malmesbury an Disraeli, 12. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden, 99/1, fol. 82 f. (alte Signatur: B/XX/Hs/29); vgl. auch Stanley an Disraeli, 27. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden, 111/1, fol. 211 f. (alte Signatur: B/XX/S/587): „‚Vive la Reforme!‘ Malmesbury is well pleased with the sketch you have sent, and I am delighted. You cannot go ahead too fast or too far for one of your followers, nor for the official member of our party, generally speaking. But it will be very difficult, and require all your diplomacy, to persuade the squires to consent to any plan of reform.“ STEWART, Foundations, S. 279, zu diesem und zum folgenden Absatz S. 279–281, 325–334 und 337–341. NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/19, 205; vgl. auch das statistische Material unter DD/HY/24/23, Box 24.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
liffe, Rose und dem Assistant Whip George Hamilton zusammengesetztes „council of advice“ Kontakt mit der Parlamentspartei, die seine Tätigkeit nicht publik machte, um nicht mit möglichen (und noch immer üblichen) korrupten Praktiken von Agenten in Verbindung gebracht zu werden. Die Aufgaben der Wahlorganisation waren dieselben wie in den Anfangszeiten Robert Peels: die Registrierung der eigenen Wähler zu gewährleisten211 sowie bei der Auswahl und Vermittlung von Kandidaten mitzuwirken212, wobei die Gefahr der Kollision solcher zentral gesteuerter Aktivitäten mit den etablierten örtlichen Verhältnissen bestand. Die Gründung der ersten offiziellen Conservative National Registration Association im Jahre 1866 deutete bereits auf den zentralen Parteiapparat der National Union und des Central Office hin, der auf eine nach 1852 unter Jolliffe und seinem Nachfolger Thomas Edward Taylor restrukturierte und durchaus effiziente Organisation aufbauen konnte. Eine Soziologie der in den außerparlamentarischen (Wahl-)Organisationen tätigen Personen ist kaum zu ermitteln, da die Personen schwer faßbar sind und ihre Aktivitäten, jedenfalls in der Zeit zwischen 1846 und 1868, kaum schriftliche Spuren hinterlassen haben213. Auch eine allgemeine und repräsentative soziologische Zuordnung der konservativen Wähler, genauer: der Wähler konservativer Kandidaten, der angesichts der Vielzahl von uncontested constituencies ohnehin nur eingeschränkte Bedeutung zukommt, ist, vor allem aufgrund der Heterogenität der lokalen Verhältnisse, kaum zu erstellen. Immerhin wurden die öffentlich abgegebenen Stimmen bis zur Einführung des geheimen Wahlrechts (ballot) 1872 in pollbooks verzeichnet, die einer Reihe von lokalen und regionalen Einzelstudien214 zugrundeliegen, aus denen allerdings keine landesweite Synthese des Wahlverhaltens allgemein und hinsichtlich der Konservativen im besonderen hervorgeht. 211
212 213 214
Vgl. Jolliffes Rundschreiben aus dem Carlton Club, 3. Juli 1857, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/18/5, 78, sowie den Report of the Sub-Committee to the Committee of the Central Conservative Society of Ireland 1859: „In every instance, success has attended and rewarded a persevering attention to the Registry. The circumstances assuredly ought to inspire the Conservative Gentry of the country with greater energy than they have yet displayed in making timely preparations for election contests. It is true that nothing could surpass the zeal and devotion to the cause which they always exhibit during an election, but we have again and again felt it our duty to warn them, that their devotion must too often be fruitless unless the registration of voters be more carefully attended to“ (S. 18 f.). Vgl. Jolliffes Entwurf eines Rundschreibens an die konservativen Unterhausabgeordneten vom 10. März 1859, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/18/8,1. Vgl. dazu die Übersichten bei BALL, National Politics, und BALL, Records of the Conservative Party. Vgl. dazu Kap. I.3.c), Anm. 197.
3. High Politics: Die englischen Konservativen 1846–1868
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Immerhin lassen sich Tendenzen formulieren. Die Schwerpunkte der Konservativen lagen in den counties, von denen sie etwa zwei Drittel hielten, und in den kleinen, ländlich geprägten boroughs, in regionaler Hinsicht in Süd- und Zentralengland gegenüber den liberalen Hochburgen im Norden unter Einschluß Schottlands, in den Midlands und den Städten, vor allem in London; die Ausweitung vom „field of corn“ in das „field of coal“ gelang den Konservativen über auch zuvor immer wieder vorkommende Einzelerfolge hinaus erst 1874. Die Angehörigen der Anglikanischen Kirche neigten zu den Konservativen, Dissent und katholische Kirche zu den Liberalen. Im gewerblichen Bereich lagen die Ressourcen der Liberalen im Handel, etwa bei Lebensmittel- und Gemischtwarenhändlern, bei Handwerkern wie etwa Schuhmachern und besonders beim industrial interest, während die Konservativen bei einer geringeren Zahl von Handwerkern wie etwa Metzgern, bei Gastwirten und Bierhändlern (dies aber im vollen Ausmaß erst seit der Reaktion auf die liberale Abstinenzbewegung 1874), bei einer Mehrheit der (Handel und Gewerbe eher fernen) Freiberufler, im Bereich des shipping interest (etwa unter Lotsen) und des Seehandels sowie natürlich im landed interest ihre Stimmen einfuhren. Arbeiter, soweit wahlberechtigt, und auch gentlemen verteilten ihre Stimmen je nach regionalen oder lokalen Gegebenheiten auf beide Parteien, erstere mit einer Tendenz zu den Liberalen, letztere zu den Konservativen215. Die Parlamentspartei blieb nach 1846 ländlich-aristokratisch dominiert, geführt von einem „club of territorial magnates“, in dem der den Mittelschichten entstammende und erst von George Bentincks Portland-Familie mit Landbesitz ausstaffierte Disraeli eine Ausnahme darstellte. Im ersten Kabinett Derby lagen neun von 14 Ministerämtern mit Kabinettsrang in aristokratischen Händen (unter Einschluß der künftigen Erben der Titelträger), in seinem zweiten Kabinett acht von 13 und im dritten neun von 16, von den Ministern ohne Kabinettsrang stellten die Angehörigen des Hochadels jeweils etwa fünf von 15. Diese Dominanz war jedoch keineswegs spezifisch für die Konservativen; vielmehr lag die Quote der Aristokraten in den liberalen Kabinetten Russells, Aberdeens und Palmerstons zumeist noch höher. Von den 24 führenden Konservativen, die Stafford Northcote 1866 aufli-
215
Vgl. dazu die materialreiche statistische Zusammenstellung bei VINCENT, Pollbooks, hier S. 23 f. und 57–70, BLAKE, Conservative Party, S. 73–77, COLEMAN, Conservatism, S. 102–105; kaum übergreifende wahlsoziologische Aussagen enthalten die wahlhistorischen Kapitel bei STEWART, Foundation, v.a. S. 339–346.
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stete216, gehörten zehn dem Hochadel – sieben aktuelle und drei künftige Titelträger – an. Die übrigen entstammten, soweit die Daten in Dod’s Parliamentary Companion darüber Auskunft geben, zumeist der landed gentry und der gehobenen ländlichen Gesellschaft (bei fließenden Grenzen zwischen diesen Schichten), und sie waren auch später während ihrer politischen Laufbahn überwiegend dem landed interest zuzurechnen. Nur Jolliffe und Northcote stammten gebürtig aus London, niemand aus den Industriegebieten, die sich allerdings erst nach der Geburt der um die Jahrhundertmitte politisch aktiven Generationen im großen Maßstab ausbreiteten. Doch war dem industrial und manufacturing interest auch dann keiner der führenden Konservativen enger verbunden. Sechs der 14 nicht hochadeligen Mitglieder dieser „grand jury“ waren in erster Linie Landbesitzer und landed gentlemen, vier waren als Juristen ausgebildet, zwei hatten eine Militärlaufbahn absolviert, Bulwer-Lytton und Disraeli firmierten als Schriftsteller. Die Parlamentsabgeordneten entstammten durchgehend wohlhabenden Verhältnissen: „Parliamentary politics were rich men’s sport“217; £ 800 und mehr waren jährlich für einen county-Sitz, £ 400 aufwärts für einen borough-Sitz aufzuwenden218, hinzu kamen die Lebenshaltungskosten in London während der Sitzungsperiode, für die keine Diäten gezahlt wurden. Die soziale Zusammensetzung der (konservativen) Abgeordneten stellt unterdessen eine Forschungslücke dar, die für gewöhnlich bestenfalls mit so allgemeinen Angaben überbrückt wird, wie Bruce Coleman das Verhältnis zwischen landed und business interest für das Jahr 1865 ohne nähere Angaben wahlweise mit 9 zu 2 oder (um den Faktor 2,5 abweichend) mit knapp 200 zu 110 beziffert219. Sie übersteigt auch den Rahmen dieser Untersuchung, zumal die einzige verfügbare serielle Datenmenge der Angaben in Dod’s Parliamentary Companion (die auf jeweils individuellen Angaben der einzelnen Abgeordneten beruht) unvollständig und uneinheitlich ist, während die systematische Erschließung der vielbändigen History of Parliament in der Tradition Lewis Namiers nur bis ins Jahr 1820 reicht220. 216
217 218 219 220
NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063A, fol. 91 f.; auch LANG, Life of Northcote I, S. 258–260; Daten zu den einzelnen Personen nach WHO’S WHO OF BRITISH MP I. COLEMAN, Conservatism, S. 109. Vgl. PINTO-DUSCHINSKY, British Political Finance, S. 15–30, bes. 17, HANHAM, Elections and Party Management, S. 258, GWYN, Cost of Politics, S. 21–60, bes. 37. COLEMAN, Conservatism, S. 99. Zu generationellen Aspekten der Konservativen vgl. Kapitel I.3.e). Gerade die HISTORY OF PARLIAMENT offenbart den Umfang und die Probleme einer systematischen Erfassung und Soziologie der Parlamentarier; zur Schwierigkeit der Zuordnung
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Dabei steht tendenziell das bleibende Übergewicht der Vertreter des landed interest aus der gentry und der gehobenen ländlichen Gesellschaft außer Frage. Maurice Cowling beziffert die Konservativen im Jahr 1867 grob auf 150 Vertreter des klassischen landed interest (Angehörige von Aristokratie, gentry und landwirtschaftlicher Produktion), 30 Vertreter von Finanz und Wirtschaft (Kaufleute, Bankiers und Industrielle) und 20 Freiberufler (Richter, Autoren, Wissenschaftler), bei 85 nicht eindeutig Zuzuordnenden. Der Hauptunterschied zu den Liberalen liegt in deren vier mal so hoher Anzahl von Vertretern aus Finanz und Wirtschaft sowie den freien Berufen, während die Zahl der Angehörigen des landed interest bei den Konservativen nur unwesentlich höher liegt als bei den Liberalen221. In personeller Hinsicht blieb die engste Führung der Konservativen mit Derby, Disraeli, Malmesbury und Walpole über die gesamten zwanzig Jahre von der Abschaffung der Getreidezölle bis zur zweiten Wahlrechtsreform hinweg konstant. Die weitere Führung wurde demgegenüber sukzessive ausgetauscht, wobei etliche derjenigen, die in den Turbulenzen der Spaltung auf die frontbench geraten waren, wieder nach hinten versetzt wurden. Neue Köpfe bedeuteten allerdings weder einen signifikanten sozialen noch einen generationellen Wandel. Das Durchschnittsalter der Parteiführung lag Mitte der 1860er Jahre mit gut 55 Jahren um über zehn Jahre höher als zu Zeiten der Parteispaltung, die knapp zwei Drittel der Führungsfiguren von 1866 politisch aktiv erlebt hatten. Dies läßt auf ein deutlich höheres Maß an politischer Erfahrung in der Parteispitze der mittleren sechziger Jahre schließen, und zugleich offenbart es ein hohes Maß an personeller Kontinuität. Aus sozialen oder generationellen Umständen lassen sich, zumindest im Hinblick auf das Zentrum der Partei, keine maßgeblichen Schlüsse auf die Entwicklung der englischen Konservativen ziehen.
221
der Abgeordneten nach Status und Beruf vgl. auch AYDELOTTE, House of Commons, S. 254 ff. Allein eine einheitliche Zuordnung zur gentry oder den ländlichen Mittelschichten ist aufgrund der heterogenen Angaben bei DOD’S schwierig; Vermögens- und Besitzverhältnisse sind in Parlamentshandbüchern nicht ausgewiesen. Hinzu kommen sehr uneinheitliche Parteizuschreibungen gerade zwischen Konservativen und Peeliten nach 1846: die Angaben in der TIMES, die die eindeutigsten Zuordnungen vornahm (vgl. etwa THE TIMES vom 21. August 1847, S. 8, vom 16. April 1857, S. 9, und vom 3. Dezember 1868, S. 4), sind in sich uneinheitlich und weichen auch von den eigenen Angaben der Abgeordneten bei DOD’S zum Teil erheblich ab. Eine diachrone Sozialstrukturanalyse der konservativen Parlamentarier wäre ein Thema einer eigenen Untersuchung, das hier anschließend weiterführende Perspektiven für die Erforschung der Konservativen, etwa im Hinblick auf vertiefte wissenssoziologische oder generationengeschichtliche Studien im Längsschnitt eröffnen könnte. COWLING, 1867, S. 381.
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Ein zusätzliches organisatorisches Problem der Konservativen lag in der mangelnden Unterstützung durch die Presse. Das Defizit lag vor allem im Bereich der Tageszeitungen, nachdem sich Times, Morning Chronicle und Morning Post 1846 von den Konservativen abgewandt und Peel bzw., im Falle der Morning Post, Palmerston angeschlossen hatten, so daß ihnen neben dem als ultra bekannten Morning Herald nur der Standard blieb, zudem wöchentlich John Bull und quartalsweise die Quarterly Review sowie Blackwood’s Magazine. Dieser Zustand wurde noch genährt durch eine weit verbreitete Ablehnung vieler Konservativer gegenüber der ‚vierten Gewalt‘: „gentlemen felt contempt for the trade of journalism“222. Disraeli hingegen suchte Abhilfe: The state of the Press as regards our party has become so intolerable that we think of making a great effort to terminate a condition of affairs which exercises a very bad influence on our prospects. It seems that the whole ability of the country is arrayed against us, and the rising generation is half ashamed of a cause which would seem to have neither wit nor reason to sustain and adorn it.223
Unterstützt von Malmesbury und Edward Henry Stanley gründete Disraeli ein eigenes Organ „of moderate Conservative opinions“224 in der Hoffnung „of bringing the greatest amount of talent to bear on a cause as has been exhibited since the origin of the Edinburgh Review“225. Am 7. Mai 1853 erschien die erste Ausgabe der wöchentlich226 erscheinenden The Press. Derby jedoch lehnte das Blatt mit der Begründung ab, „that this would divide us into sections“227. In der Tat stand „the paper tho’ Tory being a very progressive & enlightened design“228 bald in dem Verdacht, in erster Linie Disraelis innerparteilichen Ambitionen Vorschub zu leisten229. Derbys Ablehnung schränkte vor allem die Aussichten auf erforderliche finanzielle Unterstützung und Subskriptionen erheblich ein. Mit einer Auflage von 3000 im Jahre 1854 wurde The Press nicht rentabel, und schon im Herbst
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STEWART, Foundation, S. 271, vgl. insgesamt S. 270–272, sowie COLEMAN, Conservatism, S. 113–116, und BLAKE, Disraeli, S. 352 f. Zu den konservativen Periodika vgl. auch die Einleitung dieser Studie. Rundschreiben vom März 1853, M&B III, S. 492. Stanley, Tagebucheintrag vom 14. März 1853, STANLEY JOURNALS, S. 102. Disraeli an Lord Salisbury, 5. März 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2498/220. Die Gründung einer Tageszeitung wäre für die Konservativen zwar wünschenswert gewesen, vgl. das undatierte Rundschreiben in NL Malmesbury, Hampshire RO Winchester, 9M73/478, war aber offensichtlich nicht durchführbar. Stanley, Tagebucheintrag vom 14. März 1853, STANLEY JOURNALS, S. 103. Disraeli an Henry Hope, 22. März 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2512/229. Vgl. etwa Malmesburys Tagebucheintrag vom 26. April 1856, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 45.
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1853 tauchten finanzielle Schwierigkeiten auf230. 1858 mußte Disraeli das Blatt verkaufen, acht Jahre später wurde es eingestellt231. Inzwischen hatte sich der organisatorische Stab der Partei allerdings bemüht, die Situation auf dem Tageszeitungsmarkt durch Aufkäufe und Beteiligungen zu Gunsten der Konservativen zu verändern, indem der Standard in eine Morgenzeitung umgewandelt, der Morning Herald qualitativ verbessert und mit dem Evening Herald ein neues Blatt etabliert wurde232. E)
OPPOSITION UND REGIERUNG II: 1853–1868
Alle diese organisatorischen Veränderungen und Fortschritte änderten nichts daran, daß im Herzen der Partei, im Parlament, die meiste Zeit über Unzufriedenheit herrschte, die sich in erster Linie an der parlamentarischen Strategie und vor allem an der Person Disraelis festmachte. Nach dem Scheitern seines ersten Kabinetts im Dezember 1852 blieb Derby, immer wieder von lang anhaltenden Gichtanfällen geplagt, seiner Oppositionsstrategie treu, die eigene Partei zusammenzuhalten, „the disruption of the Cabinet from internal differences“ abzuwarten233 und selbst keine Angriffsflächen zu bieten. Walpole formulierte eine anders akzentuierte, aber im Ergebnis gleiche Auffassung: the Conservatives now have only one course which they can take with honour and safety, viz., to support the Executive Government, because it is the Executive Government, wherever they can; but wherever they differ from them on questions of principle, temperately and firmly to maintain such principles, however unpopular for the time it may take them.234
Disraeli und seinen wenigen Vertrauten war dies zu wenig. Rose fürchtete, „with Lord D. the party must get worse & worse & would dwindle away“235, Stanley kritisierte die mangelnden Ambitionen und die politische Passivität seines Vaters236, und Disraeli klagte Lady Londonderry sein ganzes Leid:
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Vgl. etwa Disraeli an Stanley, 7. Oktober und 7. November 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2565/266–268, 2579/281 f. und 2581/283. Vgl. zum Gesamten auch STEWART, Foundation, S. 282–284. Vgl. das unsignierte Memorandum „Conservative Press“ vom 10. Oktober 1857, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/18/14, 14b. Derby an H. Lambert, 4. Januar 1853, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 182/1. Vgl. zum gesamten Zusammenhang auch STEWART, Foundation, S. 289–294, und BLAKE, Disraeli, S. 355–357. Walpole an Croker, 28. März 1854, CROKER PAPERS III, S. 336 f., das Zitat 337. Rose, Memorandum vom 15. September 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2549/252 Anm. 2. Stanley, Memorandum on Public Affairs, November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 140
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Tho’ so many notables & magnificoes belong to the party, there never was an aggregation of human beings, who exercised less social influence. They seem to disregard, or to despise, all the modes & means of managing mankind. As for our Chief, we never see him. His House is always closed; he subscribes to nothing, tho his fortune is very large; & expects, nevertheless, everything to be done. I have never yet been fairly backed in life. All the great personages I have known, even when what is called ‚ambitious‘, by courtesy, have been quite unequal to a grand game. This has been my fate, & I never felt it more keenly than at the present moment, with a confederate always at Newmarket & Doncaster, when Europe, nay the world, is in the throes of immense changes, & all the elements of power at home in a state of dissolution.237
Doch Disraelis Politik einer Opposition gegen die Regierung um vermeintlich jeden Preis, „his policy to join with anybody in order to defeat them“238, stieß bei der Mehrzahl der Konservativen auf nachgerade verachtende Ablehnung239. Mehr als einmal schienen die Konservativen versucht, ihren „eager leader“ im Unterhaus, den Queen Victoria als „amiable and clever, but [. . .] a strange man“ empfand, der sich seiner Partei gegenüber zumeist als „unclubable“ erwies, zu stürzen240. Nur seine überragenden parlamentarischen Fähigkeiten als Debattenredner und insbesondere Derbys Einsicht in dieselben bewahrten ihn davor241. So bestimmten organisatorische, persönliche und kommunikative Schwierigkeiten die „wilderness years“242 nach dem ersten Regierungsversuch von 1852:
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(„He is content to watch events, keeping under his command as large a body of Conservative Peers and M.P.’s as will remain satisfied with inaction“); vgl. auch den Tagebucheintrag vom 18. Mai 1857, EBD., S. 151. Disraeli an Lady Londonderry, 7. August 1854, DISRAELI LETTERS VI, 2669/354 f. Malmesbury, Tagebucheintrag vom 9. Februar 1854, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 424; vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 30. November 1861, STANLEY JOURNALS, S. 179. Vgl. etwa Derby an Disraeli, 20. Juni 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2537/244 Anm. 1: „I cannot conceal it from you that there is reported to me to be a growing fear [. . .], that you are gradually withdrawing yourself more & more from the Conservative portion of our supporters, and seeking alliances in quarters with which neither they nor I can recognize any bond of union“; vgl. auch Malmesburys Tagebucheintrag vom 25. Juni 1853, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 404. Vgl. Taylor an Jolliffe, 13. Dezember 1857, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/ HY/24/21/5 (erstes Zitat), Tagebucheintrag Victorias vom 25. November 1866, LQV 2 I, S. 378 (zweites Zitat), BLAKE, Conservative Party, S. 86 (drittes Zitat). Zu einem möglichen Sturz vgl. Malmesbury an Derby, 8. September 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2549/252 Anm. 2, Grevilles Tagebucheinträge vom 27. Januar sowie 22. und 26. Februar 1860, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 457, 460 und 461 f., sowie BLAKE, Disraeli, S. 357 und 426 f., und M&B IV, S. 284–292. Vgl. Derby an Malmesbury, 15. Dezember 1856, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 54: „As to Disraeli’s unpopularity, I see it and regret it; and especially regret that he does not see more of the party in private; but they could not do without him, even if there were anyone ready and able to take his place.“ RAMSDEN, Appetite, S. 77.
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Our party is conducted on the peculiar principle of nobody ever communicating with anybody, and that it should remain a party under such circumstances is a proof of the influence of English politics and the strength of party ties.243
Und selbst Disraeli verfiel immer wieder von Angriffsgeist in Resignation über seine Partei, „entombed in the same sepulchre as the Protectionist party at which it used to sneer“244. Zu seiner Mißstimmung trug nicht zuletzt der Krimkrieg bei, der 1854 die innenpolitischen Kontroversen zurückdrängte und den Konservativen Loyalität zur Regierung abverlangte245. Als aber das Kabinett Aberdeen im Januar 1855 über den Antrag des Radikalen John Arthur Roebuck stürzte, einen Ausschuß zur Untersuchung der Kriegführung einzusetzen, wurde Derby ein weiteres mal mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Der Königin legte er dar, that his Party was the most compact – mustering about two hundred and eighty men – but he had no men capable of governing the House of Commons, and he should not be able to present an administration that would be accepted by the country unless it was strengthened by other combinations.246
Konkret beabsichtigte Derby, Palmerston in sein Kabinett zu holen, der jedoch ablehnte. Umgehend und ohne Rücksprache mit anderen Konservativen gab Derby den Regierungsbildungsauftrag zurück. Die Reaktionen in der Partei waren geteilt. Stanleys Verständnis für die Entscheidung seines Vaters, ein wahrscheinlich aussichtsloses Kabinett zu bilden, kritisierte Henry Lennox als „very well, to those who had Politics, as an amusement, & the reversion of £ 100.000 pr ann as a reality; but, [. . .] to some younger sons, it was not quite the same thing“247, und verwies damit auf die mate243
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247
Pakington an Jolliffe, 11. November 1855, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/ HY/18/11/20; vgl. zur allgemeinen Mißstimmung auch Lonsdale an Croker, 22. Mai 1853, CROKER PAPERS III, S. 267 f., Malmesburys Tagebucheintrag vom 1. Mai 1856, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 46, Derby an Malmesbury, 15. Dezember 1856, EBD., S. 54, Grevilles Tagebucheintrag vom 26. Februar 1860, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 460, sowie Carnarvon an Malmesbury und Malmesbury an Carnarvon, 20. und 23. Oktober 1865, HARDINGE, Carnarvon I, S. 271 f. (das folgende Zitat S. 272 aus Malmesburys Brief): „The real misfortune is the almost total want of hearty communication between him [i.e. Derby] and Disraeli. The latter does not court it, the former is too proud to press it – there is, of course, also, a widely felt sense of distrust and mortification at the distance and ignorance in which the leading men of our Party are kept.“ Disraeli an Henry Lennox, 1. November 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2785/444 f. Vgl., auch zum folgenden, STEWART, Foundation, S. 297–306, und BLAKE, Disraeli, S. 359–363. Aufzeichnung Victorias vom 31. Januar 1855, LQV 1837–1861 III, S. 81. Zu den Kräfteverhältnissen im Unterhaus Anfang 1855 vgl. auch CONACHER, Britain and the Crimea, S. 2. Henry Lennox an Disraeli, 12. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2733/406 Anm. 1 (dort auch Stanleys Äußerungen).
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rielle Seite der Parlamentspolitik, von Patronage und Ämtern für die eigenen Gefolgsleute, die auch Disraeli immer im Auge hatte. Dieser war nachgerade außer sich: I was so annoyed & worn out yesterday, that I cd. not send you two lines to say that our chief has again bolted! This is the third time, that, in the course of six years, during wh: I have had the lead of the Opposition in the Ho: of Commons, I have stormed the Treasury Benches: twice fruitlessly, & the third time, with a tin kettle to my tail, wh: rendered the race almost hopeless. [. . .] I am a little wearied of these barren victories [. . .] Palmerston [. . .] seems now the inevitable man, & tho’ is really an impostor, utterly exhausted, &, at the best, only ginger beer & not champaign, & now an old painted Pantaloon, very deaf, very blind, & with false teeth, wh:, wd. fall out of his mouth when speaking, if he did not hesitate & hold so in his talk – he is a name, wh: the country resolves to associate with energy, wisdom, & eloquence, & will until he has tried & failed.248
Entgegen dieser Einschätzung dominierte Palmerston die englische Politik zwischen 1855 und 1865, und auch unter den Konservativen fand dieser „Conservative Minister working with Radical tools“ und „Tory at heart“ viel und wachsende Zustimmung. Denn wie kein Zweiter verkörperte und integrierte er die auf gesellschaftspolitische Bewahrung gerichteten Bedürfnisse einer Zeit breit gefächerten Wohlstands249: reform on our lips, repose on our hearts; reform in the abstract, and repose in the concrete; that was the thing which was wanted.250
Die Wahlen von 1857 brachten den Konservativen moderate Verluste, so
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Disraeli an Lady Londonderry, 2. Februar 1855, EBD., 2730/405. Derby an Malmesbury, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 54 (erstes Zitat), und Graham an Russell, 9. Mai 1859, GRAHAM LETTERS II, S. 382 (zweites Zitat); vgl. auch BLAKE, Conservative Party, S. 92: „English to the core, an ex-Tory, in fact a Canningite turned Whig, on the popular side over the Reform Act and the corn laws, the darling of the Jingos including the Radical Jingos, exponent of a shrewd foreign policy decked out in Liberal language, cautious over institutional changes, an able party manager and one of the first politicians to humour and keep in with the press, he had all the attributes required by the age; except, perhaps, one – high moral tone.“ KEBBEL, Tory Memories, S. 122; vgl. auch Gladstone an Graham, 27. November 1860, GRAHAM LETTERS II, S. 403: „We live now in anti-reforming times. All improvements have to be urged in apologetic, almost in supplicatory tones. I sometimes reflect how much less liberal, as to domestic policy, in any true sense of the word, is this government than Sir Robert Peel’s; and how much the tone of ultra-Toryism prevails among a large portion of the Liberal party.“ Vgl. auch FONTANE, Unechte Korrespondenzen, S. 249–255, unter dem Datum des 10. August 1862, hier S. 255: „Palmerston ist grundverschieden in seiner inneren und seiner auswärtigen Politik, oft ein Tory im Innern, fast immer ein Revolutionär nach außen hin“; dort S. 253 auch Cobdens Zitat: „Der edle Lord treibt unter dem Namen eines Whigministers eine durchaus toryistische Politik.“
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daß sie etwa 260 Abgeordnete stellten251, während Palmerston über eine deutliche, aber stets labile Mehrheit im Unterhaus verfügte. Dabei deutete Derby bereits an, wie die Konservativen sich Palmerston gegenüber künftig zu verhalten gedachten: „He has at present the game in his hand, and our object must be to make him play it in our sense“252. Schon ein Jahr später jedoch brachten die Radikalen Palmerston über der „Conspiracy to Murder Bill“ zu Fall, und Derby erhielt erneut die Gelegenheit zur Regierungsbildung, die er, trotz parlamentarischer Minderheit und auch wenn die Aussichten abermals nicht günstig standen253, in Anbetracht der Stimmung in seiner Partei nach den Enttäuschungen der vergangenen Jahre nutzte, „for if he refused, the Conservative Party would be broken for ever“254. In der Besetzung der führenden Positionen unterschied sich das Kabinett nicht von Derbys erstem: Malmesbury wurde Außenminister, Walpole Innenminister und Disraeli Schatzkanzler, aber die gesamte Regierungsmannschaft wirkte geschlossener und fand eine bessere Aufnahme in der Öffentlichkeit255. Disraeli selbst setzte der Regierung hohe Ziele: We are now endeavouring to reconstruct the party on a wider basis and trying to lay the foundation of a permanent system.256
Damit war – über die legislativen Aktivitäten der Regierung wie die Government of India Act, die Abschaffung der Besitzqualifikationen für Unterhausabgeordnete und die Zulassung von Juden zum Unterhaus hinaus – insbesondere die Gesetzesvorlage für eine neue Wahlrechtsreform gemeint, die seit 1852 wieder diskutiert wurde257. Disraeli brachte die Bill, die vor al-
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Vgl. Jolliffes Aufstellungen vom April 1857, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/ HY/24/11,43; zu den Wahlen von 1857 vgl. HAWKINS, Parliament, S. 63–75, und HAWKINS, Party Politics, S. 62–64. Derby an Disraeli, 24. April 1857, M&B IV, S. 80. Vgl. Grevilles Tagebucheintrag vom 26. Februar 1858, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 346: „On the whole it presents a more decent-looking affair than anybody expected, but the general impression is that it cannot last, and must be overthrown by the mere weight of numbers, whenever the different sections of the House should unite on any question whatever. Their staff is not so despicable, but their rank and file are sadly inadequate if they are attacked in earnest.“ Memorandum Alberts vom 21. Februar 1858 über ein Gespräch mit Derby zur Regierungsbildung, LQV 1837–1861 III, S. 267 (Äußerung Derbys), vgl. auch S. 268–272. Vgl. Grevilles Tagebucheintrag vom 2. März 1858, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 348 („The first class of his Government is not worse than that of the last, and the second class is a great deal better.“), sowie den Tagebucheintrag des liberalen Abgeordneten Trelawny vom 29. Juli 1858, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 62 („The government is a well disciplined phalanx“). Disraeli an Derby, 13. August 1858, M&B IV, S. 183. Zur Politik des zweiten Kabinetts Derby vgl. HAWKINS, Party Politics, S. 66–72, ausführlich
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lem zusätzliches Wahlrecht an neuartige Qualifikationen wie bestimmte Ersparnisse oder Bildungspatente knüpfte, Ende Februar 1859 im Unterhaus ein. Als sie jedoch an der gegnerischen Parlamentsmehrheit scheiterte, wurde das Parlament aufgelöst; die Neuwahlen im April und Mai brachten den Konservativen einen Gewinn von dreißig Sitzen258, aber weiterhin keine parlamentarische Majorität ein. Vielmehr schlossen sich wenige Tage nach Wiederzusammentritt des Parlaments die seit Jahren als „liberal“ bezeichneten, organisatorisch wie inhaltlich jedoch höchst heterogenen parlamentarischen Kräfte der Whigs, der im engeren Sinne Liberalen, der Peeliten und der Radikalen im Treffen in Willis’s Rooms am 6. Juni 1859 – wie sich im Laufe der Zeit erwies: dauerhaft bis 1886 – zur viktorianischen Liberal Party zusammen259. Sechs Tage später stürzte sie Derbys zweites Kabinett, dessen Nachbetrachtung erheblich milder ausfiel als nach 1852, ohne den Konservativen jedoch günstige Perspektiven für eine Rückkehr auf die Regierungsbänke zu eröffnen. Vielmehr stand die erste Hälfte der sechziger Jahre ganz im Zeichen des „Waffenstillstands der Parteien“ (party truce). Blackwood’s Magazine artikulierte die Stimmung im konservativen Lager: We do not wish to see the present Ministry displaced. We are content with the knowledge that the Opposition is so strong that the Palmerston Cabinet dare not deviate from the path of duty and sound British policy without experiencing a fatal reverse.260
Palmerston zu unterstützen, um Bright zu verhindern, war die konservative „idea of angelic behaviour“261, und so ließ Derby Palmerston im Juni und Dezember 1860 durch Malmesbury „de bonne foi“ ausrichten, daß die Konservativen den Premierminister im Falle innerparteilicher Konflikte gegen die Radikalen unterstützen würden, selbst keine Ambitionen auf die Übernahme der Regierung hegten und ihn nicht zu stürzen beabsichtigten262. Auch Disraeli verpflichtete er, in der Hoffnung auf eine ruhige Parlamentssession, auf diese „true policy, to keep the present men in, and
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HAWKINS, Parliament, S. 106–265, STEWART, Foundation, S. 318–321, und BLAKE, Disraeli, S. 379–408. Vgl. STEWART, Foundation, S. 341 f., HAWKINS, Parliament, S. 233–236, und HAWKINS, Party Politics, S. 73–75. Vgl. dazu JENKINS, Liberal Ascendancy, S. 84–90, HAWKINS, Party Politics, S. 75–80, HAWKINS, Parliament, S. 240–265, und HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 209. W.E. Aytoun, The Anglo-Gallican Budget, in: BM 87 (1860), S. 381–396, hier 381 f. Cecil an Carnarvon, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60761, fol. 14. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 1. Juni 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 228, Derby an Malmesbury, 26. Dezember 1860, EBD., S. 243 f. (dort S. 243 das Zitat), sowie Palmerston an Victoria, 1. und 27. Januar 1861, LQV 1837–1861 III, S. 422 f. und 429 f.
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resisting all temptations to avail ourselves of a casual majority“263. Disraeli hielt sich, mangels Unterstützung und Alternativen, an diese Vorgabe; seine Taktik ließ fortan „less apparent eagerness for office“264 erkennen, und der konservative Abgeordnete John Wilson Patten „never saw a Parliament so little inclined for a fight“265. Aber Disraeli wußte auch, und es entsprach seinen ureigensten, der „apathy of the country gentlemen“266 unverändert abholden politischen Neigungen: „you cannot keep a large army in order without letting them, sometimes, smell gunpowder“267. Und so gab er auch zwei Tage nach dem Tod Palmerstons im Oktober 1865 die Parole aus: „The truce of parties is over“268. Neue politische Aktivitäten nahmen die Konservativen nach den gänzlich unspektakulären Wahlen vom Juli 1865269, die Palmerston ein letztes Mal für sich entschied, mit etwa 290 Abgeordneten auf, von denen einige in den fünfziger und sechziger Jahren in die vorderen Reihen vorgerückt waren. Robert Peels jüngerer Bruder Jonathan (geb. 1799) hatte ebenso wie Gathorne Gathorne Hardy (geb. 1814) und Gladstones früherer Privatsekretär Stafford Northcote (geb. 1818) in Derbys zweitem Kabinett ein Amt bekleidet, und in den sechziger Jahren kamen zwei deutlich jüngere Hocharistokraten hinzu: der 4. Earl of Carnarvon (geb. 1831) sowie der 1830 geborene Robert Cecil, 1865 Lord Cranborne und 1868 der 3. Marquess of Salisbury, der sich in den sechziger Jahren mit einer Vielzahl von Aufsätzen (die er nach einem Zerwürfnis mit seinem Vater über seine unstandesgemäße Heirat in erster Linie aus materiellen Gründen zu verfassen gezwungen war) auf dem ultra-konservativen Flügel als Mann der Prinzipien und daher auch als scharfer Kritiker Disraelis exponiert hatte270. Northcote listete Ende Juni 1866 die „grand Jury“ der Konservativen auf: Derby, Disraeli, der 2. Marquess of Salisbury, der 4. Marquess of Bath, 263 264 265 266 267 268 269 270
Derby an Disraeli, 12. Dezember 1860, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/1, fol. 206–209, hier 208. Tagebucheintrag Stanleys vom 23. Januar 1862, STANLEY JOURNALS, S. 182. Patten an Sotheron-Estcourt, 7. Februar 1863, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, F 367. Tagebucheintrag Stanleys vom 20. März 1861, STANLEY JOURNALS, S. 167 f. (Äußerung Disraelis). Disraeli an Sarah Brydges Williams, 13. Juni 1862, M&B IV, S. 312. Disraeli an Lonsdale, 20. Oktober 1865, EBD., S. 424. Vgl. dazu MALMESBURY MEMOIRS II, S. 343 (Eintrag vom 27. Juli 1865), ANNUAL REGISTER 1865, S. 159, und HAWKINS, Party Politics, S. 105 f. und 121 f. Zu Cecil bzw. Salisbury vgl. MICHAEL PINTO-DUSCHINKIS Analyse seines politischen Denkens sowie die Biographien von ANDREW ROBERTS, die den Mann der Widersprüche vorstellt, und DAVID STEELE, die ihn als Vertreter von Fortschritt und Demokratie präsentiert.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
Malmesbury, Carnarvon, Baron Chelmsford, John Somerset Pakington, Jonathan Peel, Stanley, John Manners, Cranborne, Spencer Walpole, Joseph Henley, Hugh McCalmont Cairns, Charles Adderley, Jolliffe, John Trollope, Gathorne Hardy, William Heathcote, Lord Naas, der Whip Thomas Edward Taylor, Northcote und Bulwer-Lytton271. Mit etlichen neuen Köpfen, wenn auch keiner neuen politischen Generation272, zogen die Konservativen 1866 ein weiteres Mal auf die Regierungsbänke um. Zuvor hatten sie die Regierung Russell über ihrer Wahlrechtsreformvorlage gemeinsam mit den anti-reformerischen Liberalen, den sogenannten „Adullamiten“, zu Fall gebracht. Statt aber mit ihnen eine Koalition einzugehen, bildete Derby eine dritte Minderheitsregierung „on Liberal-Conservative principles“273 mit Spencer Walpole, dann Gathorne Hardy als Innenminister, Stanley als Außenminister und abermals Disraeli als Schatzkanzler. 1867 brachte sie eine eigene Wahlrechtsreformvorlage ein, die weiter reichte als die abgelehnte liberale des Vorjahres und die im Zuge des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens durch Zutun der Radikalen noch erheblich ausgeweitet wurde und mit deren Hilfe schließlich beide Kammern des Parlaments passierte. Diese konservative Reform Bill hat nicht nur zeitgenössisch, sondern auch historiographisch kontroverse Erklärungen und Beurteilungen auf sich gezogen274: War Disraeli, so die liberale Theorie, das Vehikel der Liberalen, die ihm ihre Vorstellungen aufzwingen konnten? Oder diente die Bill, so die Tory-Interpretation, der Umsetzung früh entworfener Ziele im Sinne von „Tory Democracy“? Oder beugten sich die Konservativen, so die Sicht mancher Labour-Historiker, dem Druck außerparlamentarischer Bewegungen? Oder kalkulierten sie ganz anders, indem sie, so Maurice Cowling und John Ramsden, über die Wahlkreisreform mehr als ausglichen, was sie über die Wahlrechtsreform konzedierten und in erster Linie auf Machterhalt spekulierten? Machtpolitisches Kalkül, äußerer Druck, innere Überzeugung oder verborgen wirkender Weltgeist: hinter der Frage nach ihren Motiven 1867 steht die Frage nach den grundlegenden 271 272 273
274
Vgl. NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063A, fol. 91 f.; auch LANG, Life of Northcote I, S. 258–260. Vgl. dazu Kapitel I.3.d). Memorandum Derbys vom 28. Juni 1866 über die Versammlung der Konservativen nach Victorias Regierungsbildungsauftrag, LQV 1862–1878 I, S. 345. Zum dritten Kabinett Derby sowie zum daran anschließenden ersten Kabinett Disraeli 1868 vgl. HAWKINS, Party Politics, S. 119–140, STEWART, Foundation, S. 358–369, und SHANNON, Age of Disraeli, S. 10–81, sowie RAMSDEN, Appetite, S. 93–110. Vgl. zum folgenden die zusammenfassende Übersicht bei BLAKE, Conservative Party, S. 100–103, und HAWKINS, Party Politics, S. 112–114.
4. Forschungsstand
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politischen Inhalten, nach dem Konservatismus der mittviktorianischen Konservativen und ihrer politischen Kultur.
4. DER KONSERVATISMUS DER ENGLISCHEN KONSERVATIVEN: FORSCHUNGSSTAND Weil ihn seine konservativen Studenten wiederholt nach einem Buch fragten, „which will enable us to explain why we are Conservatives“, formulierte Arthur Bryant 1929 den Spirit of Conservatism275. Ähnliche zeitgenössische und politische Motive bewogen zuvor Hugh Cecil und in den folgenden Jahrzehnten Quintin Hogg (Lord Hailsham), Keith Feiling sowie Philip Norton und Arthur Aughey zu ihren Beschreibungen von Conservatives and Conservatism276. Historisch ist der Case for Conservatism hingegen, abgesehen von Untersuchungen zu Einzelpersonen277 oder der jüngsten Studie von Anna Gambles über den Protektionismus, kaum systematisch und fundiert untersucht, sondern höchstens fragmentarisch angesprochen worden, wobei sich aus den nach englischer Tradition sehr indivduellen und pluralistischen, kaum um bestimmte Ansätze oder Kontroversen gruppierten, heterogenen einzelnen Forschungen kaum ein zusammenhängender Forschungsstand ermitteln läßt278. Gerade für die Historiographie der mittviktorianischen Konservativen gilt weithin Robert Stewarts Diktum: „The history of the Conservative Party in the years between 1852 and 1866 is not very interesting for the ideas which it contributed to national affairs, nor for the impact which it made on the legislation of the period. The interest lies in the simple event that in difficult times it survived as a large and well-organized party“279. Zeitgenössisch ebenso wie historiographisch wurde und wird die Frage „what will you conserve?“ häufig mit Drei- oder Vierzahlen beantwortet: 275 276
277
278 279
BRYANT, Spirit, S. ix. Vgl. HUGH CECIL, Conservatism, HOGG, Case for Conservatism, FEILING, What is Conservatism, FEILING, Principles, und NORTON/HUGHEY, Conservatives and Conservatism, S. vii. Vgl. etwa MICHAEL PINTO-DUSCHINSKYS umfassende und luzide Studie über das politische Denken Robert Cecils, ebenso ROBERTS, Salisbury, S. 837–851; vgl. ansonsten etwa MITCHELL, Cross, bes. S. 2–6 und 21, SNYDER, Bulwer-Lytton, v.a. S. 215 f., eingeschränkt ARNSTEIN, Newdegate, S. 28 f. Vgl. zu dieser Tradition der englischen Geschichtsschreibung OSTERHAMMEL, Epochen, bes. S. 158 f. und 164. STEWART, Foundation, S. 278.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
J.T. Ward beruft sich auf Derby für Krone, Oberhaus, rights of the people und Anglikanische Kirche280, William Wilkinson ruft Randolph Churchill als Zeugen für Monarchie, Oberhaus, Union mit Irland und die Verbindung von Staat und Kirche an281; Theodor Kebbel benennt Monarchie, Kirche und territorial constitution282, Norman Gash sieht die Grundpfeiler der Konservativen als „constitutional and religious, not a social and economic party“ in Anglikanischer Kirche, Monarchie und Oberhaus283, Robert Stewart schließlich in Monarchie, Kirche und landed interest284. Die Schnittmenge dieser „Conservative institutional commitments“285 (Peter Marsh) bilden die durch die Entwicklung des 19. Jahrhunderts langfristig, aber grundsätzlich in Frage gestellten Verfassungsorgane Monarchie, Oberhaus und Anglikanische Kirche, die Disraeli im Begriff der „territorial constitution“ zusammenzog, die vor allem durch die Demokratie gefährdet wurde. Robert Blake erkennt in der Aufrechterhaltung des „aristocratic settlement“ durchaus den „Schlüssel“ für die Politik dieser Zentralfigur der Historiographie der englischen Konservativen im mittleren 19. Jahrhundert. Der Begriff der Aristokratie verkörperte the whole ordered hierarchy of rural England [. . .], a world of careful gradations, headed by such dignitaries as the Lord Lieutenant, the county members, and the Bishop, containing its Whiggish ‚magnificoes‘ in the form of a few great landowning peers, perhaps even a duke, but broadly and firmly based upon a wealthy Tory residential squirearchy whose substantial estates covered the country.286
Diese Freiheit garantierende hierarchische, auf Landbesitz gründende Ordnung bildete die Grundlage für Disraelis gemeinschaftsorientierten „One Nation Conservatism“287. Kaum angesprochen, wird diesen Idealen eines 280 281 282 283 284 285 286 287
Vgl. WARD, Derby and Disraeli, S. 79. Vgl. WILKINSON, Tory Democracy, S. 16. Vgl. KEBBEL, Toryism, S. 408. GASH, Reaction, S. 131, ähnlich GASH, Origins, S. 74. Vgl. STEWART, Foundation, S. 12. MARSH, Conservative Conscience, S. 229. BLAKE, Disraeli, S. 279, das vorherige Zitat S. 278. SAAB, New Tories, S. 310, vgl. auch S. 300, und BLAKE, Disraeli, S. 278–283 und 762 f. Zu Disraelis politischen Anschauungen ähnlich JENKINS, Disraeli, S. 10 f., 13 f., 138, 140 f. (grundlegende Überzeugung von der „preservation of the territorial aristocracy“ und der Konservativen als der wahren „nationalen“ Partei), GREENLEAF, British Conservatism, S. 185–189, und PARRY, Disraeli, S. 725; knapp und kursorisch O’GORMAN, British Conservatism, S. 30 f. (spirituelle Grundlage der Gesellschaft, Staatskirche, Ablehnung einer Philosophie abstrakter Rechte, organische Gesellschaft, Gefahren von Innovation, Kontinuität im sozialen Leben, Bedeutung der historischen Tradition, Elitarismus, Paternalismus, Bewahrung der Institutionen und Primat des landed interest als Elemente seines politisch-gesellschaftlichen Denkens), SMITH, Disraelian Conservatism, bes. S. 319–324, für die Zeit nach 1866, sowie SMITH, Disraeli, bes. S. 6f. (Betonung von „Jewishness“ und „romanticism“),
4. Forschungsstand
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„funkenstiebenden Feuerrades“ – „brillante und vorausschauende Ideen“ neben „bloßem Nonsens“ und „rhodomontade“ – jedoch sofort der strukturelle Opportunismus des als „Abenteurer“ oder „Windhund“ zu übersetzenden „adventurer“ im großen Spiel der Politik gegenübergestellt288. Was diese angesprochenen Vorstellungen nicht nur für ihn selbst, sondern darüber hinaus vor allem auch für die Konservativen und ihre politische Orientierung und Entwicklung wirklich bedeuteten, bleibt unterdessen unklar. Jedenfalls waren es nach allgemeiner Auffassung die Werte der ländlichen Gesellschaft, des Landes im Besitz von Familien als traditioneller „Basis der politischen und administrativen Struktur des Staates, [. . .] umrankt von einer Verknüpfung traditioneller Kräfte, Privilegien, Patronage und Pflichten“289, und der „agricultural community“, denen die Konservativen „für eine Generation nach 1846“ besonders eng verbunden waren290. Diese vorindustrielle Sozialordnung des „benevolent feudalism“ findet ihren Ausdruck in der wechselseitigen Beziehung der „social chain of respect“291. Auf die politische Ebene übertragen, artikuliert sich diese Vorstellung im paternalistischen „Toryismus“ mit antikapitalistisch-sozialpolitischer Orientierung und einer Idee des „government for the people“ anstelle der Volkssouveränität292. Dieser Interpretation wird indes immer wieder entgegengehalten, daß ein solch idealisiertes Bild keiner sozialen Wirklichkeit entsprochen habe, daß sich die Konservativen vielmehr durch sozialpolitische Passivität und Hinwendung zum laissez-faire auszeichneten, daß ihre Entwicklung nach 1868, aber auch zuvor viel weniger im Zeichen eines „collectivism“, sondern eines „libertarianism“ in der Tradition Peels stand, daß sie also liberale Elemente aufnahmen und sich verbürgerlichten und somit Sozialkonservatismus und Toryismus immer weiter zurückdrängten293. Während Disraeli in diese
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und WARD, Derby and Disraeli, S. 100: „He largely invented that combination of respect for ancient things, British (or, in his viewpoint, English) nationalism and a reaction against the harshness of laissez-faire which restored his party to major status.“ Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 757–766, die Zitate S. 764. GASH, Reaction, S. 137. STEWART, Foundation, S. 216 (dort die Zitate) und 275 f.; vgl. auch MARSH, Conservative Conscience, S. 216 f. und 229, SMITH, Disraelian Conservatism, S. 25, PARRY, Liberal Government, S. 4, und WOODS, Tory Party, S. 423. Vgl. WILKINSON, Tory Democracy, S. 13 (erstes Zitat), und METZ, Social Chain, v.a. S. 151–153. Vgl. BUTLER, Tory Tradition, S. 30, GLICKMAN, Toryness, bes. S. 111 f., 131 f., 135–138 und 142, HILL, Toryism, S. 259, KEBBEL, Toryism, S. 302–326 (sehr oberflächlich deskriptiv und hypothetisch), KONDYLIS, Konservativismus, S. 395–398, WILKINSON, Tory Democracy, S. 13 f. und 51 (dort S. 14 das Zitat), und WOODS, Tory Party, S. 355–369 und 419. Vgl. GREENLEAF, British Conservatism, S. 180 f. zur Begrifflichkeit von „collectivism“ und
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
Entwicklung nicht recht hineinpaßt (und seine Bedeutung und sein Vermächtnis mehr aus seiner weiterwirkenden Impressionskraft und seinem „cult in death [. . .] largely at cross-purposes to his opinions and aims in life“ interpretiert werden294), deutet diese Erklärung die Erfolge der Konservativen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in erster Linie als „Villa-Toryism“ der Mittelschichten und weniger als „Tory Democracy“ der working classes. Wie aber diese Entwicklung mit der Annahme der ungebrochenen Prädominanz ländlicher Werte in der Zeit zwischen Spaltung und zweiter Wahlrechtsreform zusammenpaßt, wenn kein scharfer Bruch nach 1867 angenommen wird, und wo sie herkommt, bleibt ungeklärt. Jedenfalls ergibt sich kein einheitliches, schlüssiges Bild von der politischen Kultur der Konservativen zwischen 1846 und 1868, das auch einige wenige systematische Versuche aus verschiedenen Gründen nicht zu zeichnen vermögen. In seinem auf die politische frontbench gestützten Überblick über den britischen Konservatismus 1832–1914 kann Robert McDowell die mittviktorianischen Konservativen zwangsläufig nur kursorisch behandeln: Ihre Haltung war durch Pragmatismus im Zeichen abnehmender parteipolitischer Polarisierung geprägt; sie plädierten für eine sparsame Finanzpolitik, die sich besonders auf Justiz, Gesundheit und Erziehung konzentrierte; sie übten außenpolitische Zurückhaltung, die auf Wahrung der Stabilität gerichtet war und daher den Nationalstaatsbewegungen kein Verständnis entgegenbrachte; auch angesichts der langsamen Auflösung der alten Verbindung von Staat und Kirche hielten die Tories an der engen Beziehung zur Staatskirche fest, während der lebhafte Antikatholizismus von der Führung nicht noch eigens gefördert wurde; hinsichtlich der Wahlrechtsreform legten sie großen Wert auf die Bewahrung eines Gleichgewichts der Klassen und fürchteten eine politische Dominanz der working classes, die 1867 jedoch einer Mischung aus „expediency and rapid development of ideas“ zum Opfer fiel295. Einen allgemeinen historischen Überblick über die „Natur des Konservatismus“ vermitteln Robert McKenzie und Allan Silver, jedoch im Hinblick auf die hundert Jahre nach 1867 und das Phänomen von „Tory Democracy“
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„libertarianism“, zur Ausführung S. 184–207; vgl. BLAKE, Disraeli, S. 758 f., COLEMAN, Conservatism, S. 125 und 129 f., HILL, Toryism, S. 259, KONDYLIS, Konservativismus, S. 394–401 und 417–423, ROBERTS, Tory Paternalism, bes. S. 333, SMITH, Disraelian Conservatism, S. 18, 31–34, 319 und 322. Vgl. SMITH, Disraeli, S. 217, und SHANNON, Age of Salisbury, S. 1–5 (das Zitat S. 5). Vgl. MCDOWELL, British Conservatism, S. 56–91, bes. S. 56 f., 62–64, 66 f., 73, 76 und 78–80 und 87, das Zitat S. 84.
4. Forschungsstand
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der Arbeiterklassen. Konservative verstanden sich demzufolge als Hüter des nationalen Interesses und Erbes, deren Einsichten und Anschauungen auf einem skeptischen Bild des fehlerhaften und der Zügelung bedürftigen Menschen und der Vorstellung der harmonischen und organischen Union einer natürlicherweise hierarchischen und im 19. Jahrhundert idealisierten vorindustriellen Gesellschaft beruhten (wobei Erblichkeit und soziale Mobilität rivalisierten), die auf Eigentum mit „profoundly beneficent attributes“ gründete und in der Religion und Kirche ihren zentralen Platz hatten296. Konservatismus und Konservative im 19. Jahrhundert sind das Thema von Bruce Colemans Darstellung, die auch Inhalte und Prinzipien um die Jahrhundertmitte skizziert. Nachdem sich 1846 weniger eine Spaltung zwischen rivalisierenden Anschauungen, sondern zwischen „alternative understandings of advantage and sense“ vollzogen habe, sei eine unterscheidbare Tory-Identität (bei häufigen sachlichen Uneinigkeiten) in den fünfziger Jahren nur in religiösen bzw. Kirchenfragen, eine „konsistente Linie“ der parlamentarischen Partei ansonsten kaum erkennbar gewesen. „Rank, property, wealth, status, privilege, power and authority were the essence of the party and its purposes“. So verteidigte sie die Monarchie, die Aristokratie und die Rechte des Oberhauses, Verfassung und Hierarchie, das eingeschränkte Wahlrecht, die Staatskirche und die Rechte des Eigentums. Colemans weithin nicht nur recht pauschale, sondern auch unzureichend fundierte Aussagen kommen zu dem Schluß: „The most common factor was simply the defence of the existing order. Nothing united the Conservatives so well as conservatism“297. Eine andere inhaltliche Annäherung unternimmt Robert Stewart, der die Konservativen in drei Gruppen einteilt: Die „Ultras“ kämpften um jeden Meter bis zum letzten Graben, versuchten verlorenen Boden zurückzugewinnen und legten ihrer Politik primär moralische Kriterien und Prinzipienfestigkeit zugrunde; Bentinck und die Protektionisten fielen in diese Kategorie. Die „Sulkers“ („Schmoller“) unternahmen keine reformerischen Initiativen, verharrten vielmehr in längstmöglichem Widerstand, erkannten vollendete Tatsachen aber an; Peel in den Jahren 1831/32 oder Salisbury nach 1867 stehen dafür. Konservative Reformer wiederum gestalteten, wie Peel nach 1841, den als unvermeidlich erkannten Wandel im geeigneten Moment selbst298. Etwas anders gelagert, aber grundsätzlich ähnlich unterscheidet Robert Blake drei Optionen der Konservativen nach 1846: 296 297 298
Vgl. MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 18–36, bes. S. 19–23, 26–29, 32 (dort das Zitat) und 34. COLEMAN, Conservatism, S. 85, 89–93 und 116–125, die Zitate S. 91 und 118. Vgl. STEWART, Foundation, S. XII–XIV.
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I. Die englischen Konservativen als Gegenstand der Forschung
Obstruktion der „Ultras“, tory-romantischer Sozialreformismus und kompromißbereiter Kampf um die politische Mitte; letztere war Peels Linie, auf die dann auch Derby und Disraeli eingeschwenkt seien299. Solche Einteilungen bleiben jedoch, so zutreffend sie sein mögen, recht allgemein und unspezifisch, und sie vermögen wenig Ordnung und Struktur in die konservative Gedankenwelt zu bringen. Darüber hinaus werden Inhalte in der Historiographie der mittviktorianischen Konservativen kaum thematisiert, die hier formulierten Fragen wurden bislang weder im einzelnen noch im Zusammenhang je systematisch gestellt und verfolgt. Die geistige Landkarte der englischen Konservativen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist unvermessen. Dieses Defizit und Desiderat zugleich ist der Ansatz dieser Studie. Die politische Kultur der Konservativen in der Ära zwischen Parteispaltung und zweiter Wahlrechtsreform auf inhaltlich und personell möglichst breiter Grundlage systematisch zu erfassen, ist ihr Ziel. Sie beginnt, wo die Forschung aufhört: Innerhalb der Konservativen Partei lassen sich nicht trennscharf eindeutige und festgefügte politische Flügel benennen, sondern höchstens drei bzw. vier grundsätzliche Richtungen oder Tendenzen ausmachen, die allerdings je nach Sachfrage inhaltlich und personell in sehr unterschiedlichem Maße zum Tragen kamen: (1) Derby als Parteiführer verfolgte einen Kurs der integrierenden und moderaten politischen Mitte, der sich inhaltlich eher wenig exponierte. (2) Henry Drummond, William George und sein Bruder George William Bentinck und der Duke of Richmond, der Publizist John Wilson Croker, tendenziell auch die Quarterly Review und Blackwood’s Magazine, streckenweise Spencer Walpole und seit den mittleren fünfziger Jahren insbesondere Robert Cecil vertraten eine hochkonservative, stark traditionell orientierte Richtung. Ihr stand (3) Disraeli gegenüber, der, mit vergleichsweise wenigen Vertrauten wie Malmesbury und anfangs Edward Stanley, dem Sohn des Parteiführers, später mit Henry George Gordon Lennox, dem Sohn Richmonds, eine inhaltliche und soziale Erweiterung der Konservativen300 betrieb, die innerhalb der Partei vielfach auf den Vorwurf des bloßen machtpolitischen Opportunismus stieß. (4) Die Hinterbänkler der Partei, überwiegend die country gentlemen, meldeten sich politisch wie inhaltlich selten zu Wort.
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Vgl. BLAKE, Conservative Party, S. 88–90, und Blake, Disraeli, S. 242 f. Vgl. SAAB, New Tories, S. 291: „the project of deliverance from the Ultras“.
1. Menschenbild
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II. GRUNDLAGEN DES POLITISCHEN DENKENS 1. MENSCHENBILD Das Menschenbild ist die Grundlage des politischen Denkens (nicht nur) der Konservativen und zugleich eine weithin unausgesprochene Grundannahme, die – wie Konservatismus als politische Idee allgemein – zumeist nur reaktiv artikuliert wird, wenn das vermeintlich Selbstverständliche in Frage gestellt ist. Die Herausforderer der traditionellen Sicht der mittviktorianischen Konservativen kamen grundsätzlich aus demselben Lager wie die Antipoden Edmund Burkes: was ihm die abstrakten Theoretiker „metaphysischer Sophistereien“1, der aufklärerische Rationalismus des 18. Jahrhunderts, waren Robert Cecil die votaries of the new religion, who have set up Humanity for their God, [.. .] the enthusiasts who declare that the material progress of our age has carried society beyond the reach of human passion and folly2,
der radikale Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Wenn sich mit Robert Cecil, dem Vertreter eines „Toryism for the clever man“3, dem literarisch inspirierten Henry Drummond, dem politischen Publizisten John Wilson Croker und, außerhalb des Politischen, dem Schriftsteller Thomas Carlyle ganz überwiegend Vertreter der Hochkonservativen über den Menschen äußerten, dann sind sie unrepräsentativ und repräsentativ zugleich4. Einerseits deckten sie nicht das gesamte politische Spektrum ab, andererseits nahmen sie mit besonderer Sensibilität eine Bedrohung wahr und artikulierten, wenn auch in tendenziell zugespitzter Diktion, eine Anschauung, die für die Konservativen (bei aller Differenzierung im einzel-
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BURKE, Betrachtungen, S. 65 (Übersetzung von Gentz); im Original „metaphysic sophistry“, Reflections, S. 72, vgl. auch S. 128 f. und 160–162. R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 220; vgl. auch R. Cecil, Mr. T. Gladstone on Kansas, SR III, Nr. 78 (25. April 1857), S. 383–385, hier 384: „there have always been certain philosophers eager to catch at the belief that the need of curbing human nature has gone by, and that the millennium of ‚enlightened selfishness‘ is dawning.“ Zum politischen Denken Robert Cecils, insbesondere auf der Grundlage seiner Aufsätze aus den späten fünfziger und den sechziger Jahren vgl. PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, hier bes. S. 54–103. SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 3 [Introduction]. Vgl. dazu die abschließenden Bemerkungen in Kapitel I.4.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
nen) durchaus allgemeine Gültigkeit besaß. Sie mochte in Teilen auch außerhalb der Konservativen, etwa unter Whigs und moderaten Liberalen, geteilt werden – politische Anschauungen sind selten völlig trennscharf abzugrenzen –, doch waren sie im Zusammenhang und in der Diktion durchaus unterscheidbar: „These are commonplace and familiar ideas, but they express well enough the prevailing tendency of the Conservative mind [. . .] in these islands“5. Mit diesen Vorbehalten läßt sich ein Menschenbild der Konservativen skizzieren, das von der gemischten Natur des Menschen – „mingled virtues and vices“ – und insbesondere von seiner Unvollkommenheit in vielfacher Hinsicht geprägt ist6. Menschen denken demzufolge nicht logisch, sondern widersprüchlich und unbeständig, und ihr Verhalten orientiert sich nicht an rationaler Einsicht, sondern an Gewohnheit, mit Burkes Worten: Vorurteil7. Zu den intellektuellen Defiziten treten die gravierenderen moralischen, die mit der alltäglichen kleinen Selbstsüchtigkeit beginnen – etwa finanzielle Beiträge nur auf verpflichtender, nicht aber auf freiwilliger Basis zu entrichten8 – und über die verschiedenen „Leidenschaften“ (passions) zum handfesten Bösen führen, das in der Menschennatur verankert ist. Die Vorstellung, daß alle Menschen von Geburt aus gut wären, ist demgegenüber ein verhängnisvoller Irrtum: In itself there are few theories more charming than the natural perfectibility and perfection of the human race. It commends itself so heartily to sanguine youth, to think that evil is no necessity in the world, but that it is caused, or largely enhanced, by the corrupt imbecility of a handful of privileged families. There is something chilling in the belief that by the stern law of nature, evil must always largely prevail, suffering always predominate in human life, that good men must often submit to calumny and
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[15. Earl of] Derby, Rede in Edinburgh, 18. Dezember 1875, DERBY, Speeches I, S. 261–270, hier 267. A. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 3; vgl. auch Croker, Political Prospects of France and England, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 270, R. Cecil, Practical Young Ladies, in: SR XV, Nr. 382 (21. Februar 1863), S. 232 f., hier 232, und R. Cecil, The New Reformers, SR XVIII, Nr. 464 (17. September 1864), S. 357 f., hier 358 („an over-belief in the goodness and wisdom of mankind is the ‚first falsehood‘ of a sincere democratic reformer“). Vgl. R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: Oxford Essays 1858, S. 52–79, hier 67, R. Cecil, Church Rates, QR 110, Nr. 220 (Oktober 1861), S. 544–578, hier S. 575 („Men’s minds are not easily induced to accept principles totally novel, or to acquire the habit of practising unwelcome duties never known before“), sowie BURKE, Reflections, S. 138; vgl. zum „Vorurteil“ auch, in diachroner und synchroner philosophischer Perspektive, GADAMER, Wahrheit und Methode, S. 274–281. Vgl. z. B. die Unterhausreden anläßlich der parlamentarischen Debatten um die church rates (dazu Kapitel VII.3) von Charles Adderley, 13. Juli 1859, HANSARD 3/154, Sp. 1151–1153, hier 1152, und Henry Ker Seymer, 8. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 655–671, hier 668 f.
1. Menschenbild
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obscurity, that good schemes must constantly break down, and that the Utopia of the Reformer will ever be flying before him as he chases it, like the mirage of the desert. It is far pleasanter to think that all these hateful growths have but one neck; and that by striking down an obsolete theory of government, or a noxious vested interest, the Saturnian age can be brought back again.9
Nicht „calmer and more free from passions“ als Individuen sind „masses of men“10, vielmehr tritt die „natürliche Brutalität der Menschheit“11 in Gesellschaft brachial zutage und macht den Menschen zu des Menschen Wolf12. Dabei gab sich Cecil keinen Illusionen über die Nachhaltigkeit der kalmierenden Zivilisation hin: thin is the crust which the habits of civilisation, however ancient and unbroken, draw over the boiling lava of human passion.13
Neben der Unvollkommenheit der Menschen steht ihre Ungleichheit, in biologischer und moralischer Hinsicht, im Zentrum konservativer Anthropologie, und sie wird zuweilen ebenso zugespitzt formuliert, in diesem Falle nicht von Robert Cecil, sondern von Henry Drummond und von Thomas Carlyle mit dem ebenso berühmten wie für moderne Ohren berüchtigten Verdikt der „equality of men, any man equal to another: Quashee Nigger to Sokrates or Shakespeare; Judas Iscariot to Jesus Christ“14. Drummond schließt von der Ungleichheit in der Natur auf die Ungleichheit unter den Menschen, in körperlicher Hinsicht ebenso wie in geistiger, etwa hinsichtlich ihrer Talente wie auch ihrer Torheiten. Dabei gebe es in jeder Klasse15 der Gesellschaft a proportion of good and bad, clever and stupid, learned and unlearned people, and that proportion is commensurate with the opportunities of each individual in it becoming what he is – 9 10 11 12
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R. Cecil, Democracy on its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 259; vgl. auch R. Cecil, Practical Young Ladies, SR XV, Nr. 382 (21. Februar 1863), S. 232 f. R. Cecil, The United States as an Example, in: QR 117, Nr. 233 (Januar 1865), S. 249–286, hier zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 156. R. Cecil, The War Christians of New Zealand, SR XVIII, S. 411 (1. Oktober 1864), zit. nach PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 91. Vgl. W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 261 („Anarchy grows out of the destruction of aristocracy; despotism out of anarchy. Men require then to be protected from themselves and from each other, and, unable to restore the gentle restraints which grew from institutions and opinions, they are compelled to submit to the restraints imposed by the power of the sword.“) R. Cecil, Mr. T. Gladstone on Kansas, SR III, Nr. 78 (25. April 1857), S. 383–385, hier 384. T. CARLYLE, Shooting Niagara: and After? (1867), zit. nach WRIGHT (Hg.), Democracy and Reform, S. 135. Der Klassenbegriff wurde von den Konservativen durchgängig und wertneutral verwendet, ohne zentrale oder kontroverse Bedeutung zu besitzen; zum Klassenbegriff in der neueren englischen Sozialgeschichtsschreibung vgl. MARES, Abschied.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
und daher sei die Aristokratie eben die überlegene Klasse der Gesellschaft. Gleichheit sei weder machbar noch wünschenswert, vielmehr offenbare der Wunsch nach Gleichheit „something unsound in the mind and spirits of men“, das ihnen durch den Einfluß moderner Pädagogik eingepflanzt worden sei. Denn die Menschen seien dazu bestimmt, die natürliche und nach Drummonds Vorstellung göttlicher Vorsehung entsprungene Hierarchie der Gesellschaft anzuerkennen16. Daß dies jede Form der Volkssouveränität ausschließt, liegt auf der Hand. Ohne daß die göttliche Stiftung zum allgemeinen Arsenal mittviktorianisch-konservativer Argumente zählte, stellt doch grundsätzlich die Überzeugung von der natürlichen Hierarchie der Gesellschaft und ihrer notwendigen Anerkennung eine erste von fünf Konsequenzen dar, die aus den Grundüberzeugungen von der Unvollkommenheit und der Ungleichheit der Menschen hervorgehen. Die zweite Konsequenz liegt allgemein in der Notwendigkeit der Ordnung zur Zähmung der menschlichen Leidenschaften, die dritte in der Einsicht in mangelnde Machbarkeit der Verhältnisse durch den Menschen, die über intellektuelle und moralische hinaus auch auf seine kognitiven Defizite hindeutet: no human wisdom could make a system at once so perfect and so valuable that it would adapt itself to every change of time and circumstance.17
Nicht nur übersteigt die Entwicklung der Dinge menschliche Voraussicht und Einsichtsfähigkeit. Grundsätzlich, so die leicht fatalistische konservative Überzeugung, ändere sich ohnehin nicht viel, wie Voltaire, der 1851 für einen Artikel in Blackwood’s Magazine zur Erde zurück und nach London
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Vgl. Drummonds Unterhausreden vom 10. April und 20. Juni 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 112 f. („the mischief is this – a total discontent among the masses of those countries with their social position. This social position they are vainly attempting to remedy by a change of political influences and institutions. This is neither more nor less, whether they intend it or not, than a spirit of discontent with the Providence of God. Sir, it is as absurd to suppose that we can alter the constitution of society as it is to suppose that we can alter our own constitutions – as it is to suppose that we can make every man six feet high or five feet high; or that we can give to every man what measure of talent or what measure of folly we wish – what measure of wealth or what measure of advantageous circumstances. [. . .] You have stimulated them by that which you call education and by your schools“), und HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 911 (dort das zweite Zitat: „You cannot make equality. The cry for equality indicates something unsound in the mind and spirits of men. There is no equality throughout all nature. There is no equality in any one of the three kingdoms, animal, vegetable, or mineral; if men are to be discontented, therefore, because others are their superiors, and that all are not equal, they must be discontented to all eternity“), sowie DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (1858), S. 7 (dort das erste Zitat). Thesiger, Adresse an die Wähler von Stamford, THE TIMES vom 28. März 1857, S. 7e; vgl. auch Disraeli, Unterhausrede, 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298 f.
1. Menschenbild
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zur Weltausstellung kam, nach einem Überblick über die vielen faszinierenden Neuerungen aus der Welt der Technik feststellte: Der Mensch sei nach wie vor derselbe, „the same creature they laid in the pyramids, and burnt upon the shore, and deposit now in deep holes in the earth. No alteration here“18. All die fundamentalen Reformen und insbesondere die bewußte Umgestaltung der Gesellschaft sind demzufolge einerseits gefährlich und andererseits doch letztlich vergeblich. So liegt die vierte Konsequenz in Pragmatismus und, in diesem Sinne, Utilitarismus: sich realistisch mit den Dingen abzufinden, so wie sie stehen, und das beste daraus zu machen, wie Cecil in der Frage einer Reform des Staatsdienstes argumentierte: the appointment of unfit men, can never be wholly prevented [. . .]. Until human hearts shall work with the rigid regularity and singleness of purpose of a steam-engine, it is likely that men who have the disposal of offices will do a good turn to their own friends, if they can. [. . .] Practically, it may be safely assumed that we shall never do more to modify the influence of affection or friendship upon patronage than to restrain it within the limits of a reasonable regard for the public welfare.
Und er setzte, am Rande des Zynismus, hinzu: „Sir Robert Walpole’s bribery saved his country; Necker’s purity ruined his“19. Diese Haltung hängt nicht zuletzt mit der Überzeugung zusammen, eine „regeneration of the human race“ werde erst durch die Wiederkunft Gottes geschehen20, die zugleich die Bedeutung der weltlichen Dinge von Politik und Gesellschaft relativiert und auf die fünfte Konsequenz, die Bedeutung der transzendenten, der religiösen Dimension verweist. Denn daß der Mensch kein primär intellektuelles oder vollkommenes rationales Wesen ist, bedeutet nach konservativer Auffassung nicht nur ein Defizit, sondern qualifiziert ihn zugleich als moralisches und spirituelles, wenn auch erlösungsbedürftiges Wesen21. Allerdings wurde diese religiöse Dimension gegenüber der pragmatischutilitaristischen Argumentation selten artikuliert. Ebenso blieb die Explikation der Natur und der Vorsehung, auch im Gegensatz zu Burkes durchgän-
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W.H. Smith, Voltaire in the Crystal Palace, in: BM 70, S. 142–153 (August 1851), hier S. 152; vgl. dazu ausführlicher Kapitel III.2. R. Cecil, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 570 f. und 573 (dort das letzte Zitat); vgl. dazu auch Kapitel II.5. Drummond, Unterhausrede, 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 915. Vgl. etwa DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 8, Newdegate, Unterhausrede, 18. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1032–1036, hier 1035, und J.A. Froude, Condition and Prospects of Protestantism, in: FM 77, S. 56–70 (Januar 1868), hier 69 („We believe that human beings can only live and prosper together on the condition of the recognition of duty, and duty has no meaning and no sanction except as implying responsibility to a power above and beyond humanity.“); zur Bedeutung der Religion vgl. auch Kapitel VII.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
gigen Ideen der transzendenten Natur, die Ausnahme, wenn etwa Carlyle „das ewige Gesetz der Natur für die Menschen“ darin sah, „daß sie ermutigt werden dürfen und sollen, die Arbeit zu verrichten, um derentwillen ihr Schöpfer sie in die Welt gesandt hat“, oder wenn Drummond gar das „Elend“ als natürliches und unabänderliches „Los der großen Masse der Menschheit“ erachtete22. Konsensfähiger mochte Archibald Alisons Auffassung von der Bestimmung der Menschheit und der Welt durch „balanced action and reaction“ von Wandel und Bewahrung im Zeichen von „contending passions and interests“ sein: As much as the vehement passions, the selfish desires, the inexperienced zeal, the expanding energy, the rapacious indigence, the mingled virtues and vices of man, lead at stated periods to the explosions of revolution,– do the desire of tranquillity, the interests of property, the horror at cruelty, the lessons of experience, the force of religion, the bitterness of suffering, reinduce the desire of order, and restore the influence of its organ, government [. . .;] strong as the expansive powers of nature, the coercive are still stronger.23
2. WELTANSCHAUUNG: DENKEN UND ERKENNTNIS Wie das Menschenbild, so entspricht auch die Epistemologie der mittviktorianischen Konservativen den allgemeinen Annahmen der Konservatismusforschung und der Vorlage Edmund Burkes. Auch auf diesem Gebiet mögen partielle Übereinstimmungen mit Vertretern anderer politischer Richtungen wie etwa der Whigs oder der moderaten Liberalen bestehen, doch ergibt sich auch hier ein (möglicherweise für Konservative allgemein) spezifischer Zusammenhang. Die Urheber epistemologischer Äußerungen sind in repäsentativer Breite gestreut, und auch sie haben einen klaren Antipoden, dessen Benennung um den Begriff der „Philosophen“ kreist und politische Theoretiker im Gegensatz zu praktischen Politikern meint. Typischerweise werden die Strukturen konservativen Denkens überwiegend ex negativo aus der Kritik an dieser Herausforderung ersichtlich. Im Zentrum stand die Erfahrung, die auch über den Wert politischer Maßnahmen entschied24. Sie verlieh zugleich dem in die Zukunft weisenden 22
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Carlyle, Occasional Discourse on the Negro Question, in: FM 40, S. 670–679 (Dezember 1849), zit. nach FROUDE, Carlyle II, S. 204, und Drummond, Unterhausrede, 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 914. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 3. David Urquhart, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 195–204, hier 197 („I appeal to experience“), Croker an John Murray, 24. Oktober 1851, CROKER PAPERS III, S. 244–248, hier S. 244 („I always wished improvement to be based on experiment“; „experi-
2. Weltanschauung: Denken und Erkenntnis
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politischen Handeln Richtung, und in jedem Falle besaß das erfahrene Bewährte Vorrang vor dem bloß theoretisch Möglichen: „Experience, not experiment, has hitherto been our guide“25. So erklärt sich auch die Neigung der Konservativen, mit Erfahrungswerten der Vergangenheit, sozusagen im imperfektischen Indikativ zu argumentieren, während sich Liberale tendenziell an Eventualfällen der Zukunft orientierten und im futurischen Potentialis operierten. Theorien gegenüber waren empirische Konservative – „A grain of experience is worth a pound of theory“, mahnte Robert Cecil26 – allemal skeptisch – an appeal to what are called abstract principles is an attempt to force mankind back to a state of disorder and barbarism from which experience and the restraints and obligations of political and domestic society had gradually redeemed us27 –,
und sie machten fünf Defizite primär theoriegeleiteten Denkens aus, zu dem sich etwa Richard Cobden, ohnehin in der Zitadelle des gegnerischen Lagers, bekannte: „Wherever the deductions of political economy lead I am prepared to follow“, und „however unprepared the public may be for our views [. . .], I am ready to incur an obloquy in the cause of economical truth. [. . .] I feel disposed to act the part of a pioneer“28. Der erste Einwand betraf die hermeneutische Inadäquanz solchen Denkens gegenüber der vielgestaltigen und kontingenten Wirklichkeit, vor allem des Menschen. Solches Denken beginne mit dem abstrakten Prinzip und suche sich dann die empirischen Grundlagen (experiences), wie Edward Bulwer-Lytton anhand der politischen Ökonomie ausführte, wobei er nicht diese Disziplin an sich, sondern ihre konkrete Ausübung im Blick hatte:
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ment“ ist hier gleichbedeutend mit „Erfahrung“, im folgenden Zitat Walpoles hingegen adversativ gemeint; der Sinn ist jedoch identisch), sowie Croker, Postscript, QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, hier 270: „experience must be the ultimate arbiter“. Walpole, Parliamentary Reform, or The Three Bills and Mr. Bright’s Schedules, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 546; vgl. auch Croker an Thomas Wood, 3. Februar 1847, CROKER PAPERS III, S. 103 f., hier 103 („I do not think it wise to overthrow and destroy, on mere theoretic prospects, a system under which a nation has risen to a state of grandeur, power, and happiness“), Drummonds Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 115 („the only chance for effecting a cure [. . .] is to judge from the past what is likely to come in the future“), Urquharts Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 195–204, hier 204 („To remedy the evils from which the country suffers we have but one course, and that is to look back to past practice“). Robert Cecil, Fiat Experimentum in Corpore Vili, in: SR VII, Nr. 191 (25. Juni 1859), S. 776 f., hier 776. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier S. 286; vgl. auch Urquharts Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 197. Die Ablehnung abstrakter Prinzipien gegenüber empirischem Pragmatismus zählt KONDYLIS zum geistigen Bestand der societas civilis, Konservativismus, S. 171. Cobden an Bright, 1. Oktober 1851, MORLEY, Cobden, S. 560–562, hier 561 f.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
Political Economy goes strictly and sternly, as it were, towards the investigation of the rigid principle it is pursuing; it has only incidentally to do with the modifications which it would be wise to adopt when you apply the principle to living men. Of living men, their passions, and habits, and prejudices, it often thinks no more than Euclid does when he is demonstrating the properties of a triangle. [. . .] The persons to blame are those who insist on applying all its principles, as if they were describing lifeless things, and not dealing with human beings.29
Der zweite Einwand zielte auf die sektorale Verabsolutierung des eigenen (theoriegeleiteten) Denkens unter Verlust der Zusammenhänge des Ganzen zugunsten eines Teiles mit rücksichtsloser Konsequenz und entsprechenden Folgeschäden: The most philosophic imperialists, however, are those who want an enlightened despot to hasten the march of their own social theories, the complete ascendency of which may otherwise be delayed by the influence of sophists and the tardiness of the human mind, still lingering in the theological state of social investigation. [.. .] they, like the despotic drainers, are cutting down the trees to reach one of the fruits: but they have distinctly ascertained from Destiny that their opinions are the last as well as the strangest birth of time, and that the tree of liberty having borne its golden fruit, may as well be cut down, for it will bear no more, for ever.30
Mehr noch führe solchermaßen verabsolutiertes Denken drittens zur Perversion und Zerstörung des common sense und unterminiere somit die bewährte bestehende und nicht hinterfragte Ordnung, indem es das Selbstverständliche durch eine übertriebene Begründungspflicht auflöse: Are we not living in a time in which nothing is taken for granted? Everything must be ripped up to its first principles, and in vain you argue that a thing is good; your adversary admits it, but says that a change will make it better. What human institution can stand such tests?31 Theoretical statesmen – men who study from books, or spin out from their own brains how to rule mankind, and not by practice among them – are unteachable; they can see no reason why the lowest should not rule the highest, just as well as the highest rule the lowest; they see no reason why men should not stand with their legs in the air, and resting on their hands just as well as on their legs, with their arms hanging down; they see no reason why men with property should not retain it without 29 30
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BULWER-LYTTON, Letters to John Bull, Letter I, S. 28 f., das Zitat S. 29. Goldwin Smith, Imperialism, in: FM 55 (1857), S. 493–506, hier 494; zwar ist Fraser’s Magazine kein politisch eindeutig konservativ orientiertes Magazin und Goldwin Smith auch kein prononciert konservativer Autor, in diesem Falle aber folgt seine Argumentation den Linien konservativen Denkens. Vgl. etwa auch R. Cecil, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 574: „a violent isolated artificial improvement in the institutions of a community, undertaken without regard to the condition of the other portions of the machinery in concert with which it is to work, is a danger so great that no improvement at all is almost to be preferred.“ Shaftesbury, Oberhausrede, 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1926.
2. Weltanschauung: Denken und Erkenntnis
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the power to do so, or why beggars, with power to rob with impunity, should take such a thing into their heads32.
Der vierte Vorwurf zielte auf unbelehrbaren Dogmatismus – it is more convenient to philosophers to deny the evidence of facts and experiments which oppose their system, than it is, on the strength of evidence, to examine the facts and test the experiments33 –
aus dem, fünftens, die Gefahr des unduldsamen Despotismus erwachse, der mit Theorien nur noch kaschiert werde: Theories [. . .] are yet prized for the purpose of throwing a veil of decency over the naked passions by which political convulsions are brought about. The ‚rights of man‘ have already served as a pretext for many an orgy of bloodthirsty frenzy.34
Die Konservativen setzten demgegenüber ganz auf den bereits angesprochenen common sense, wie Lord Ponsonby ins rustikale Bild faßte: Puny Philosophers are bad cattle for work. I admit that they can talk & write & so forth, very eloquently and well, but when nations & society are moved, the courage of common sense is then the arbiter.35
Gerade im englischen Kontext besaß common sense (gegenüber dem seit dem 18. Jahrhundert entpolitisierten deutschen Begriff des „gesunden Menschenverstandes“) in der antiken Tradition des sensus communis eine umfassende politisch-soziale Bedeutung als Grundlage einer Tugend- und Moralphilosophie im Gegensatz zum modernen rationalistischen Wissenschaftsverständnis36. Common sense bedarf eo ipso keiner theoretischen (Letzt-) Begründung und ist zugleich kaum diskursfähig. Zugleich verzichtet er und mit ihm das konservative Denken (ohne daß konservatives Denken den common sense monopolisierte) auf absolute Wahrheiten und ist offen für Kontingenz und Kontextualität37.
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DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 40. BULWER-LYTTON, New Theories, S. 138. Vgl. auch R. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 260: „It is only in the wreck of all ideals, and the collapse of all fantastic hopes, that sober cynical Truth can make her [human nature’s; AR] prosaic accents heard.“ R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 180. Ponsonby an Disraeli, 8. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS V, 2194/487 Anm. 2. Vgl. GADAMER, Wahrheit und Methode, S. 24–38, bes. 29–32. Vgl. D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 (März 1852), S. 492–502, hier 501 f.: „any absolute resolves of what shall or shall not be done, founded as they must be on purely abstract grounds, and in profound ignorance of what the future may bring forth, are not only impolitic but wicked“; statt dessen müßten künftige Probleme behandelt werden „as circumstances may arise“. Vgl. auch Disraeli vor dem Unterhaus 1863, M&B IV,
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II. Grundlagen des politischen Denkens
Dies bedeutet, in Umkehrung des zweiten Kritikpunktes gegenüber theoriegeleitetem Denken, punktuelle Anschauungen nicht zu verabsolutieren und die Teile nicht zu isolieren, sondern im Zusammenhang des Ganzen zu sehen und (politisches) Handeln demzufolge nach Maßgabe seiner Auswirkungen auf den Gesamtkontext abzuwägen. Über den Zusammenhang von Teil und Ganzem hinaus zielt Kontextualität auf das jeweils Besondere und beinhaltet im Gegensatz zu abstrakten und zugleich absoluten Prinzipien die Einsicht, daß die „rules of conduct [. . .] change as ages and conditions change. Each society must judge of the means best calculated in its own case“38. Sie erkennt die Notwendigkeit und Legitimität je verschiedener Verhältnisse und Maßnahmen entsprechend den jeweils konkreten zeitlichen und räumlichen Umständen an: To ignore the past; to speculate on the future; to act on mere theory, however ingenious; or to import any novelties which may work well in other Institutions, but which are not in harmony or consistent with our own – these are notions totally at variance with that wise, safe and practical policy which has always characterised the legislation of this country through all its history.39
Konservatives Denken setzt gegenüber Theorie auf Empirie und Realität, nicht zuletzt die Realität der Menschennatur40, gegenüber dem Abstrakten
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S. 334: „Professors and rhetoricians find a system for every contingency and a principle for every chance“. R. Cecil, Moral Entrenchments, in: SR XIX, Nr. 497 (6. Mai 1865), S. 532 f. hier 533; vgl. auch Gathorne Hardys Unterhausrede vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 932–951, hier 939: „whenever arguments in favour of abstract dogmas of that description were put forward, he was reminded of the statement of Mr. Burke, that he should always decline to give an opinion upon abstract theories in questions of practical legislation, because they must vary in practice according to the circumstances upon which they were brought to bear.“ Vgl. dazu BURKE, Reflections, S. 58: „I cannot stand forward, and give praise or blame to any thing which relates to human actions, and human concerns, on a simple view of the object, as it stands stripped of every relation, in all the nakedness and solitude of metaphysical abstraction. Circumstances (which some gentlemen pass for nothing) give in reality to every political principle its distinguishing colour, and discriminating effect. The circumstances are what render every civil and political scheme beneficial or noxious to mankind.“ Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266, hier 221 f. Ähnlich BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 430, 432 f. (dort das folgende Zitat) und 436 f.: „What is progress in one state may be paralysis to another. [. . .] Each leading state in civilised Europe has its idiosyncrasies; its real progress is in developing those idiosyncrasies; its real annihilation of its own highest attributes would be to exchange its own for the idiosyncrasies of another state.“ Vgl. auch Milnes Gaskells Unterhausrede, 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 598–602, hier 600: „It would not be seriously contended that men were bound at all times and under all circumstances to give effect to the abstract opinions which they entertained.“ Vgl. etwa Robert Cecils Kritik an den „philosophers who have studied and considered everything except human nature, – who know man only on paper, and have arrived at very
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auf das Konkrete. Im Besonderen zeigt sich dann auch das Allgemeine, das nicht autonom als abstrakte Größe existiert. So hielt Goldwin Smith den sozialtheoretischen „Despoten“ entgegen: great and real efforts are being made by the upper classes to improve the condition and the education of the poor; and the source of these efforts is the sense of individual responsibility, with a sincere religion and a free press. Individual responsibility is what a despotism is desired to supersede: a sincere religion is what a despotism never yet had: a free press is what a despotism never has endured and never can endure.41
Dieses konservative Denken liegt, in weiterer philosophischer Perspektive, in der Tradition des gemäßigten empirischen Realismus, der das Allgemeine nicht als autonome Größe auffaßt, sondern im Besonderen sucht – universalia sunt in re, nicht ante rem –, das seinerseits kein zusammenhangloses Nomen ist, und Disraeli selbst war sich der Herkunft zumindest in Ansätzen bewußt: „Aristotle [. . .] has told us most of the wise things we know“42. In der Konsequenz diesen Denkens lag auch eine grundlegende Skepsis gegenüber quantifizierendem Denken. So mokierte sich Disraeli über „this enlightened and statistical age“43, und Thomas Carlyle berichtete seiner Frau voller Mitleid von einem Besuch in Bonn: „Einige Professoren konnte ich nicht zu sehen vermeiden: ‚arme, in Statistik verlorene Geschöpfe‘“44. Das abstrakte Prinzip der Zahl sei, so die Konservativen unisono und topisch45, trugschlüssig und irrig46. Denn „brute numbers“ seien nicht nur unbeständig, sie wirkten sich vor allem zu Lasten nicht quantifizierbarer
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positive conclusions as to what he ought to be, but have not examined the being that actually stands before them“, Competitve Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 569. Smith, Imperialism, in: FM 55 (1857), S. 505. Disraeli, Rede, 13. März 1865, M&B IV, S. 334. Disraeli, Unterhausrede, 30. August 1848, HANSARD 3/101, Sp. 669–707, hier 703. Carlyle an seine Frau, 9. September 1852, FROUDE, Carlyle II, S. 238–240, hier 240. Der Begriff des „Topos“ wird in Anlehnung an LOTHAR BORNSCHEUER, Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt a.M. 1974, verwendet, hier nach der Zusammenfassung bei HERTFELDER, Schnabel, S. 546 f. Anm. 378: ein „leitender Gesichtspunkt“, der auf durch Konvention oder Tradition vermittelten Meinungen beruht und in Gestalt sprachlich-logischer Argumentationsformen (dies trifft auf die hier benannte Unterscheidung von Quantität und Qualität ebenso wie auf die Ablehnung des Abstrakten zu) oder kanonisierter Meinungen auftritt, der vielfältig interpretierbar und anwendbar ist, appellative Wirkungsfunktion besitzt und meist in einer konkreten „Merkform“ sprachlich vermittelt wird. Earl Beauchamp, Oberhausrede, 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1846–1854, hier 1853, und Disraeli, Unterhausrede, 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 973 f. und 976 (dort das Zitat).
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II. Grundlagen des politischen Denkens
Qualität aus47 und zerstörten das Prinzip der gesellschaftlich notwendigen Elite, the principle that men of education, wealth, and learned leisure, though a minority, should possess a larger share in the government, than could be given to a majority in which poverty and comparative ignorance must of necessity prevail. We hear a great deal too much of the rights of the majority, and of the old fallacy, and false assertion, that the voice of the people is the voice of God. [. . .] Every great and good cause must necessarily have its origin in a minority [. . .]. As in religion and in science, so in politics, it is the minority which lays the foundation and builds the edifice, which the majority afterwards must consent to inhabit.48
Die Quantifizierung bloßer Zahlen im Zusammenhang mit dem Phänomen der Masse konterkariere nicht nur den Wert der Bildung49, sondern unterminiere auch das sozialmoralisch qualifizierende Prinzip des Eigentums50. Solche Mengenlehre drohte die sozio-ökonomischen Grundlagen zu zerstören, wobei der Schaden vor allem über die politische Ebene einsickerte: „numerical representation [. . .] was the democratic principle – it was the very principle of evil“51. Dabei zersetze die „arithmetische Kalkulation“ einer bloßen „aggregation of numbers“ nicht zuletzt den Begriff des Volkes (people) – „the whole collective body of the nation in its fullest sense, or, in its more limited sense, those communities within the nation which are allied to each other by an agreement of laws or a communion of interests“ – und somit die innere Kohärenz der Gesellschaft52. Die Vetreter des quantifizierenden Prinzips waren nach konservativer Einschätzung eben die abstrakten Theoretiker, die ihr „unerbittliches Prin-
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Vgl. Carnarvon, Rede in Freemason’s Hall vom 30. März 1857, HARDINGE, Carnarvon I, S. 224: „it is the greatest mistake in the world to confound quantity with quality.“ Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101, S. 220–229 (Februar 1867), hier 225. Zum sozialmoralisch konnotierten konservativen Begriff von education vgl. Kapitel IV.2.b). Vgl. Disraeli, Unterhausrede, 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 955–958, Croker, French Revolution of February, in: QR 86, Nr. 172 (März 1850), S. 526–585, hier 584 (dort das Zitat der „brute numbers“), R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 219 („the great political struggle of our century – the struggle between property, be its amount small or great, and mere numbers“), BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 438 (Vorrang der „ascendancy of cultivated interest“ vor der „preponderance of numbers“), und BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 559 („proverbial fickleness of mere numbers, irrespectively of property and education“). H.A. Butler-Johnstone, Unterhausrede, 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 569–576, hier 571. Vgl. Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 547 und 554, die Zitate 557 und 554. Zum Begriff des „Volkes“ vgl. Kapitel V.4.
2. Weltanschauung: Denken und Erkenntnis
119
zip“ dogmatisch zu seinen äußersten „logischen Konsequenzen“ trieben53. Konsequente Rationalität war indes nicht Sache der Konservativen; sie setzten andere Prioritäten. Verstand bedurfte des Einklangs mit dem Gefühl, „reason“ der Ergänzung um „affection“ (Burke), „enjoyment“ (Walpole) und Instinkt54. Im Zweifels- oder Konfliktfall besaßen diese sensualistischen Elemente oder common sense – anomaly as distinguished advantage, although possibly indefensible by the strict rules of political logic. It was, however, a marked peculiarity of British institutions that the people generally gave the preference to practical common sense rather than to rigorous logic55 –
eindeutigen Vorrang vor der Logik56. Solche „indifference to logical completeness“57 trug ihnen von seiten ihrer Opponenten unterdessen John Stuart Mills lange haftenden Ruf der „dümmsten Partei“ ein58, „a party full of prejudices and selfishness and wanting in brains“59. Konservative selbst wußten, „the unreasonable are mostly with us“60. Doch ließ sich die antirationalistische konservative Epistemologie aus Empirismus, Sensualismus und Induktion auch anders auffassen. Beresford-Hope sprach als einer der wenigen aus, that Conservatism was an intelligent and discriminative political system, and he flattered himself that Conservative politics stood the test of reason and examination;
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Disraeli, Unterhausrede, 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 980. Vgl. BURKE, Reflections, S. 84 („unerring and powerful instincts, to fortify the fallible and feeble contrivances of our reason“) und 138 („prejudice, with its reason, has a motive to give action to that reason, and an affection which will give it permanence“), Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 546 (zitiert in Kapitel II.3), und Disraeli vor dem Unterhaus, 1863, M&B IV, S. 335: „The statesmen who construct, and the warriors who achieve, are only influenced by the instinct of power, and animated by the love of country.“ Beresford-Hope, Unterhausrede am 20. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 220–224, hier 223. Vgl. auch R. Cecils alternativen Vorschlag zur „mechanischen Vorrichtung“ einer Aufnahmeprüfung für den Staatsdienst, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 574: „there is no other way of detecting the qualities which go to make an efficient civil servant than which men employ to find out a good butler or a good cook. But the theorists think they have discovered such a machine in a system of literary examinations.“ Vgl. zur Nachrangigkeit konsequenter Logik auch Bulwer-Lyttons Rede vor der Mechanics’ Institution in Leeds, 25. Januar 1854, BULWER-LYTTON, Speeches I, S. 172–189, bes. 174, 176 f. und 179–183, sowie BULWER-LYTTON, New Theories, S. 135: „One man may be sure of a truth, but before all men can accept it as truth from his ipse dixit, many men must resist and oppose it“. G. CECIL, Salisbury I, S. 116. MILL, Representative Government, S. 138, Anm. *. Bright, Tagebucheintrag vom 9. März 1868, BRIGHT DIARIES, S. 314. Stanley an Disraeli, 19. Juli 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2336/95 Anm. 1.
120
II. Grundlagen des politischen Denkens
so he should be sorry to find that their supporters depended upon mere passion and the influence of landlords.61
In der Tat gehört es zur Attitüde intellektueller Konservativer – und diese äußerten sich in diesen Zusammenhängen, kaum hingegen die Hinterbänkler –, mit der Reflexion des vermeintlich Unreflektierten, der Rationalisierung des Irrationalen und des Instinkts und der Artikulation des Unbewußten zu kokettieren. Sie öffnet zugleich den Weg zur wiederum spezifisch konservativen Einsicht in die Verborgenheit des menschlicher Erkenntnis entzogenen Sinns in den Dingen. So sprach Bulwer-Lytton von „very complicated causes, all of which united constitute the idiosyncrasy of England, and form the secret of her prosperity, her strength and her greatness“62, wie überhaupt dieses Argument zumeist auf die englische Verfassung angewendet wurde: Human wisdom could no more ab ante have framed such a system, than it could have framed the British constitution. By accident, or rather the good providence of God, it grew up from the wants of men during a series of generations; [. . .] unanimity unprecedented during the whole period pervaded the British empire.63
Hier ziehen sich die konservativen Denkfiguren der Einsicht in die (kognitive) Unvollkommenheit des Menschen und des Primats der Empirie in der Wertschätzung von Tradition und Bewahrung der Ordnung an sich zusammen.
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Beresford-Hope, Unterhausrede, 21. Juni 1867, HANSARD 3/188, Sp. 279–281, hier 280. Vgl. auch Bulwer-Lyttons Klage, daß die „brilliant and scholarlike chiefs of the Conservative Party“ den Whigs leichtfertig das Monopol auf „intellectual distinction in social circles“ überlassen hätten und vermehrt Vertreter der „republic of letters“ um sich sammeln sollten, BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 556 f. BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–540, hier 554 (Hervorhebung vom Verf.); vgl. auch R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 187 f.: „our representative arrangements [. . .] are not the result of any calculation. [. . .] They are [. . .] the resultant of all the political forces, which, working in harmony or in antagonism, have combined to propel England along the track in which it has been her destiny to travel“, sowie Disraelis Unterhausrede vom 29. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 980: „No one [. . .] pretends that the borough system in England was originally framed to represent all the classes and interests of the country; but it has been kept and cherished because the people found that, although not directly intended for such a purpose, yet indirectly it has accomplished that object.“ A. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 11.
3. „Erhaltungsprinzip“: Ordnung, Tradition, Bewahrung
121
3. „ERHALTUNGSPRINZIP“: ORDNUNG, TRADITION, BEWAHRUNG So wählte Edward Bulwer-Lytton signifikanterweise die Bezeichnung „political reasoners“, um die „class predisposed to conserve“ der „class predisposed to innovate“ gegenüberzustellen64. Beide Kräfte gehörten dabei nicht nur zusammen, sondern seien auch aufeinander angewiesen: If the former be too stubborn, as it is in communities that establish hereditary castes, there can be no progress beyond the limit at which each subdivision of mental labour has been fixed in rigid monotony by a former age. Such societies may last long, but it is the longevity of a centenarian, who, whether he continue on earth five years or fifty years longer, will exhibit nothing remarkable beyond the fact that he is still alive. [. . .] On the other hand, where societies interpose no hindrance to any new innovation which may, for the moment, seize on the popular humour, or be urged by a popular genius, there we may [. . .] surely predict her rapid exhaustion [. . .]; the first French Revolution was the headlong rush of liberty unchecked; when the Revolution stopped, liberty had run itself out.65
Einen prominenten Platz im Denken der Konservativen nahm die Ordnung ein. Aus der Disposition ihres Denkens folgt konsequent, daß Ordnung keine allgemeinverbindliche Gestalt besaß, sondern den jeweiligen zeitlichen und räumlichen Umständen entsprechen mußte66. Zugleich stellte „Ordnung“ kein Abstraktum in der konservativen Gedankenwelt dar, sie wurde vielmehr im allgemeinen Sprachgebrauch konkret als die bestehende Ordnung Englands gedacht und vorausgesetzt67. Sie wurde oftmals zu64
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BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 428; vgl. auch SAMUEL TAYLOR COLERIDGE, On the Constitution of Church and State, zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 24: „the two antagonistic powers of opposite interests of the State, [. . .] are those of permanence and progression“, und R. Cecil, The Conservative Surrender, in: QR 123 (Oktober 1867), S. 533–565, hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 283: „the Conservative and the innovating force [. . .] are complementary to each other; the paralysis of either makes the other ruinously strong.“ BULWER-LYTTON, New Theories, S. 136. Vgl. etwa BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 430: „If I were an American, I should regard as the worst affliction that could befall my country the substitution for democracy, with all its faults, of a constitutional monarchy, with all its merits; because my countrymen would be accustomed to associate their elementary ideas of liberty with republican institutions: So, being an Englishman, I should regard it as the worst affliction that could befall my countrymen, to substitute for constitutional monarchy a democratic republic“. Vgl., als drei Beispiele unter vielen, John Masterman, Adresse an die Wähler der City von London vom 22. Juli 1847, in: THE TIMES, 23. Juli 1847, S. 8d, Richard A. Cross, Entwurf einer Adresse an die Wähler von Preston, 1857, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/30, sowie Newdegate, Adresse an die Wähler von North Warwickshire, in: THE TIMES, 13. Oktober 1868, S. 6a.
122
II. Grundlagen des politischen Denkens
gleich als spezifisch englisch aufgefaßt68, was Disraeli im Begriff der „territorial constitution“ zum Ausdruck brachte69. Die Ordnung war dabei untrennbar mit den Institutionen des Landes verbunden. Sie wurden in der allgemeinen Diktion nicht in erster Linie als Palliativ zur Zähmung der menschlichen Leidenschaften apostrophiert, wie aus dem konservativen Menschenbild folgen könnte. Das vorherrschende Charakteristikum der Ordnung und der Institutionen lag nach allgemeiner, topischer Auffassung mit charakteristisch anderer Akzentsetzung in erster Linie darin, Freiheit zu gewährleisten70. Dieser Zusammenhang von Ordnung und Freiheit wurde in unterschiedlicher Weise aufgefaßt, ohne jedoch im Ergebnis substantiell zu differieren. Disraeli sah die Institutionen etwa als Garanten gegen eine um sich greifende Zentralisierung und grundsätzlich eine qualifizierte Freiheit (auf der Grundlage von „traditionary influences“ und „large properties“) in den Institutionen verkörpert71. In diesem Sinne verstand Spencer Walpole die Institutionen „as the subjects of prudent and honest use, and thankful enjoyment, and not of captious criticism and rash experiment“72. Edward Bulwer-Lytton sah den Zusammenhang von Freiheit und Ordnung demgegenüber als ausgleichende Ergänzung zweier Präferenzen, die zu Extremen neigten – Fanatismus im Fall der Freiheit, Aberglaube (superstition) im Fall der Ordnung (die allerdings am letzten Ende doch den Vorrang vor der Freiheit besaß73):
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Zur konkreten Gestalt dieser Ordnung in sozio-ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht vgl. Kapitel IV.2, V.1 und VII.1. Vgl., wiederum nur zum Beispiel, Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958 (gegenüber der Manchester School: „I prefer the liberty we now enjoy to the liberalism they promise, and find something better than the rights of men in the rights of Englishmen“; Hervorhebung vom Verf.), Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101 (1867), S. 220–229, hier 225 („Great Britain has become the freeest, if not the only truly free, country in the world“), oder Alderman S.J. Gibbons, Adresse an die Wähler der City of London vom 26. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 27. Oktober 1868, S. 5a („a Constitution such as no other country in the world possessed“). Vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. März 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e (auch in M&B III, S. 20–22); vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 278–283, sowie Kapitel V.1. Zum konkreten Freiheitsverständnis vgl. Kapitel IV.5.c). Vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. März 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e (M&B III, S. 21), sowie seine Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958 (dort die Zitate). Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 546. Vgl. Bulwer-Lyttons Äußerung aus dem Jahre 1859, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 310: „one thing is more precious to a State than liberty (social order)“.
3. „Erhaltungsprinzip“: Ordnung, Tradition, Bewahrung
123
that state will be the best in which liberty and order so, as it were, fuse into each other, that the conditions prescribed by order are not felt as restraints on liberty.74
Mochten dies Debatten bzw. Argumentationsweisen innerhalb der gebildeten Führungszirkel sein, so war die Überzeugung vom wohlfahrtsstiftenden Zusammenhang zwischen Ordnung und Freiheit Allgemeingut der Konservativen75. Wenn die Ordnung als bestehend und bewährt, als „just equilibrium of forces“ in „praestabilierter Harmonie“76 vorausgesetzt wurde, stellte sich die Frage nach der Legitimation dieser Ordnung – ob sie nicht etwa auf früher als illegitim abgelehnten Veränderungen beruhe und ob nicht der Radikalismus von gestern durch Tradition legitimiert und heute verteidigt werde (und dies auch für den Radikalismus von heute und den Konservatismus von morgen gelte) – grundsätzlich gar nicht, und sie wurde daher auch kaum explizit, jedenfalls nicht signifikant thematisiert77. Die Frage nach der Legitimität der Ordnung an sich wäre den viktorianischen Konservativen als ein Problem des Kontinents oder einer künftigen Zeit nach einem Sieg des Radikalismus erschienen. Immerhin ist eine Differenz und ein Spezifikum zu beobachten: Nur eine Minderheit von „Ultra“-Konservativen postulierte eine göttlich oder zu74
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BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 428 („passion for political liberty, which, when carried to extreme, is fanatical“ und „reverence for civil order, which, when carried to extreme, is superstitious“) und 430 (dort das Zitat); vgl. auch, zwölf Jahre früher und mit größerem Nachdruck auf der Zügelung der Freiheit, BULWER-LYTTON, Letters to John Bull (Letter III), S. 100 f.: „the state should contain a fair proportion of the elements of conservation. Political liberty could not last a year, if there were not in the community some retentive and tenacious principle which preserves liberty itself from the external elements of fanatics“. Vgl. etwa R.A. Cross’ Redeentwurf aus dem Jahre 1857, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33 („Constitution: true liberty“), Robert Cecils Wahladresse vom Juni 1865, PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 149, oder Newdegate, Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 13. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 13. Oktober 1868, S. 6a („the great principles of the Constitution, which have preserved the social order and freedom of the nation“). BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 560 (erstes Zitat), und MANNHEIM, Konservatismus, S. 117 (zweites Zitat in der Tradition Leibniz’); vgl. auch Richard Oastlers Defintion von Toryismus, WHIBLEY, Manners and his Friends II, S. 25: „everything in its place and a place for everything“. Vereinzelte Ausnahmen innerhalb der ausgewerteten Äußerungen: Lord Redesdales Kritik an einer Tradition um der Tradition willen (REDESDALE, Observations: „Things which are not true sometimes get to be generally accepted as truths without inquiry, merely because they have been for a long time actively asserted to be so without much contradiction“) oder mangelnde Akzeptanz der politischen Ordnung von 1832 (David Urquhart, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 197: „Reform has [. . .] corrupted this House, and changed its Members. It has given to the people a stone in lieu of bread, and taught them to be content with it“, oder Robert Cecils Wahladresse von 1865, PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 149).
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II. Grundlagen des politischen Denkens
mindest transzendent gestiftete und somit legitimierte Ordnung, wenn etwa Henry Drummond vom bereits zitierten grimmigen Los der Vorsehung oder Thomas Carlyle vom harten „ewigen Gesetz der Natur“ sprachen78 (sie fanden sich auch kaum im breiten Konsens über den Zusammenhang von Ordnung und Freiheit wieder). Wenn, wie zuweilen üblich, von „Providence“ die Rede war, dann in einem anderen, viel allgemeineren und viel üblicheren Sinne von Tradition, die der Ordnung eine spezifische, primär utilitaristische Legitimation verlieh79. Denn „work of time“80 machte das Überlieferte „alt und gut“81 – ein wesentliches Argumentationsmuster der societas civilis82 –, und dies bezog sich stets in erster Linie auf die englische Verfassung, the time-hardened, trusty machine whose working they [i.e. statesmen; AR] have thoroughly tried83, based on long, constant, immemorial usage [. . .]; the deliberate choice of successive ages founded on reason, justified by experience, and confirmed by enjoyment84,
wie Spencer Walpole in spezifischer Verbindung von Empirismus und Sensualismus argumentierte. Die erlebte Erfahrung des Bewährten besaß Vorrang vor der gedachten Theorie des Möglichen. Dauer stellt dabei gar einen Wert an sich dar: „by delay truth ripens – falsehoods rot“85. Denn diese Reifung resultiert aus dem Charakteristikum des Tradierten, nicht gemacht, sondern gewachsen zu sein. Dabei verwendeten Konservative bevorzugt Begriffe aus dem Bereich der Biologie – Leben, Wachstum, Gesundheit, Kraft, Organismus86 –,
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Vgl. Drummonds Unterhausreden vom 10. April und 20. Juni 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 112 f. und 3/99, Sp. 906–915, hier 914, DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 8 („It is the duty of every man to worship God; it is the duty of every family as one body to worship God; it is the duty of every nation as one community to worship God. The nation as one can only do this by established laws and regulations“), und Carlyle, Occasional Discourse on the Negro Question, in: FM 40, S. 670–679 (Dezember 1849), zit. nach FROUDE, Carlyle II, S. 204. Vgl. dazu auch Kapitel II.5. Cross, Redeentwurf (1857), NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33. James Whiteside, Unterhausrede, 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 275. Vgl. KONDYLIS, Konservativismus, S. 66–68 und 149. R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 79. Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 544. BULWER-LYTTON, New Theories, S. 136; vgl. auch BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 433, und LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 309. Vgl. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 10, den Leitartikel in der PRESS vom 23. Juli 1853 (Vol. I, Nr. 12, S. 265: „The life of nations is like the life of man; and the country which abjures the element that has formed its laws, its manners, its customs, that has created its traditions, and given a colour to its future – is a corpse“), Bulwer-Lyttons Rede vor Studenten der Universität Edinburgh, 18. Januar 1854, LIFE OF
3. „Erhaltungsprinzip“: Ordnung, Tradition, Bewahrung
125
die den organischen, d. h. planender menschlicher Gestaltung entzogenen Charakter der Entwicklung bezeichneten87, oder aber Begriffe aus dem Bereich von Architektur und Bauwesen, die wie schon Burke mit dem Bild des über die Zeiten immer wieder umgebauten und renovierten, aber beständigen alten Gebäudes mit festen Fundamenten operierten88. Einer solchen Entwicklung, sei es des biologischen Wachstums, sei es der beständigen Renovierung eines Gebäudes, ist der Wandel inhärent, und an dieser Stelle kommt zusammen, was bis hierher aus heuristischen Gründen getrennt behandelt wurde. Burkes Überzeugung, daß Bewahrung erst durch Wandel möglich sei89, war auch den Konservativen vertraut, wenn sie sich – in den fünfziger Jahren durchaus zunehmend – zu Reformen bereiterklärten, um das Bestehende zu bewahren: They looked upon that constitution as an ancient and venerable fabric, which sometimes might require repair, and sometimes even enlargement, to accomodate itself to the wants of its owners. They desired that repair should be to strengthen and not to impair the walls, and that if any enlargement took place it should be upon those foundations which were prepared by the original designers, and that the superstructure should be in unison and harmony with the rest of the edifice.90
Doch war ein solches Verständnis, „that the best way to maintain the institutions of the country is to improve them when improvement is necessary“91, in dieser allgemeinen Form keineswegs spezifisch konservativ – Pal-
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BULWER-LYTTON II, S. 195, BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 436, sowie Newdegates Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 4. November 1868, in der TIMES vom 6. November 1868, S. 7f. Der zur Kennzeichnung konservativen Denkens häufig verwendete Begriff des „Organischen“, vor allem der „organischen Reform“ war dabei zeitgenössisch zumeist negativ belegt, der wissenschaftliche Begriff trifft dem Sinne nach aber zu. Vgl. etwa Derbys Regierungserklärung im Oberhaus, 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 41: „Our constitution itself is the result of perpetual changes. Like the venerable old country-houses of England, it has been framed from time to time by successive occupants, with no great regard to architectural uniformity or regularity of outline, but adding a window here, throwing out a gable there, and making some fresh accomodation in another place, as might appear to suit, not the beauty of the external structure, but, what is of more importance, the convenience and comfort of the inhabitants“; vgl. auch BURKE, Reflections, S. 72. BURKE, Reflections, S. 72: „A State without the means of some change is without the means of its conservation.“ F. Thesiger, Adresse an die Wähler von Stamford, 27. März 1857, in: THE TIMES vom 28. März 1857, S. 7e; vgl. auch Beresford-Hopes Adresse an die Wähler von Maidstone am 11. März 1857, in: THE TIMES, 20. März 1857, S. 8b. Disraeli, Rede im Unterhaus, 15. März 1858, zit. nach M&B IV, S. 126; vgl. auch Cross, Entwurf einer Adresse an die Wähler von Preston (1857), NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/30, oder Pakington, Adresse an die Wähler von Droitwich, in: THE TIMES vom 13. März 1857, S. 12c.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
merston etwa argumentierte nicht anders –, sondern vor allem sehr englisch. Und so beklagte Robert Cecil auch eine Verwirrung der Begriffe: ‚Antiquity‘ – precedent – the spririt of the Constitution – the rights of the people – will be plentifully appealed to on both sides in the progress of the debate. But they are mere figures of speech.92
Dennoch leugnete auch er nicht den Unterschied zwischen Konservativen und Liberalen, in der allgemeinen Frage von Reformen „not a difference of principles, but a difference of bias“. Diese Unterschiede in der Disposition sind indes politisch relevant und durchaus beschreibbar, zumal der Unterschied gegenüber den Radikalen dann noch einmal erheblich deutlicher ausfällt. Man müsse jeden Einzelfall prüfen, riet Cecil, und in der Tat stellte sich in jedem einzelnen Fall, und ganz besonders 1867, die letztlich doch kardinale Frage konservativer Reformbereitschaft: was nämlich unabänderliche Substanz und was veränderbare Akzidenz sei.
4. „VERBESSERUNGSPRINZIP“: WANDEL, FORTSCHRITT, REFORM „Changes are going around us – everything is full of change, advancing with a rapidity unexampled in our history“93. Den Konservativen von 1846 war sehr bewußt, daß sie sich in einer Zeit des tiefgreifenden und beschleunigten technischen, ökonomischen und sozialen Wandels befanden, dem sie, ohne die Möglichkeit seiner Steuerung, ausgeliefert waren: „Everything now goes on at the gallop“94. Weit entfernt von (radikal-)liberaler Fortschrittsgläubigkeit waren immer wieder pessimistische, kulturkritische Töne zu vernehmen. Wissenschaftlich-technischer Fortschritt sei nicht gleichbedeutend mit moralischer Weiterentwicklung, und die gesellschaftliche Veränderung erfasse nicht im gleichen Maße die Individuen, klagte die Quarterly Review95. Auch die materielle Entwicklung versorge die Menschen nicht in erster Linie mit dem Notwendigen, sondern in erheblichem Maße mit eitlen Nichtigkeiten des Konsums und des Luxus, bemerkte der bereits zitierte
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R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: Oxford Essays 1858, S. 52–79, hier 53 (dort auch das folgende Zitat). Gathorne Hardy, Adresse an die Wähler von Bradford, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72. A. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 1. Vgl. R.H. Cheney, Papal Pretensions, in: QR 89, Nr. 178 (September 1851), S. 451–491, hier 482.
4. „Verbesserungsprinzip“
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virtuelle Voltaire auf der Weltausstellung 1851 in Blackwood’s Magazine96. Die Veränderungen brächten also keine wirklichen Verbesserungen, lautete die Kritik, vielmehr drohe der Wandel in England zum Schlechteren zu führen, befürchtete Bulwer-Lytton97. Frankreich galt hier als mahnendes Vorbild im Hinblick auf die Revolution, sehr häufig aber auch die USA mit ihrer Demokratie, die zwar als deren eigene politische Organisationsform akzeptiert, für englische Verhältnisse aber, im Hinblick auf die Radikalen, als die politische und gesellschaftliche Bedrohung schlechthin angesehen wurde. (Zivilisationskritik am American way of life ist hingegen in dieser Zeit, wohl im Zusammenhang mit der noch unangefochtenen ökonomischen Dominanz Englands, noch nicht anzutreffen98.) Wandel um seiner selbst willen sei aber zu einer ebenso symptomatischen wie verhängnisvollen Mode geworden: „Change for the sake of change, indicates a morbid and restless feeling which seems to be one of the fatal characteristics of the present day“99. Vor allem die Beschleunigung der Veränderungen und ihre Dimensionen, der vermeintliche Gigantismus der Moderne, setzten Lord Shaftesbury, nicht ohne eine kulturkritische Prognose, zu: Everything at the present day is swift and gigantic. We have gigantic wars, gigantic ships, gigantic speculations, gigantic frauds, gigantic crimes, a gigantic Reform Bill, and I much fear that we will have a gigantic downfall.100
Daß die Mehrzahl der hier zitierten Zeugnisse aus den späten vierziger und den frühen fünfziger Jahren stammt, ist unterdessen symptomatisch. Denn fundamentale konservative Ablehnung von Wandel und Reform wurde zu einer Minderheitenposition, wie sie der Außenseiter David Urquhart oder zuweilen auch Robert Cecil, in einer eigentümlichen Mischung aus utilitaristischer Konzessionsbereitschaft und Verteidigung des Status quo à l’outrance, vortrugen101.
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W.H. Smith, Voltaire in the Crystal Palace, in: BM 70, S. 142–153 (August 1851). Bulwer-Lytton an Tennyson D’Ey ncourt, 31. März 1850, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK C26, zit. nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 92 („any change in England will be for the worse“). Vgl. dazu Kapitel V.4. Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266; vgl. auch BULWER-LYTTON, Letters To John Bull, S. 100 f. Shaftesbury, Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1933. Vgl. Urquhart, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 195–204, hier 197, oder R. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 251, 260 und 263; zu Cecils Vorstellungen vgl. PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 97–103.
128
II. Grundlagen des politischen Denkens
Nach dem Scheitern des ersten Kabinetts Derby hatte Stanley bei Disraeli offene Türen eingerannt, als er die vermeintliche Neigung seines Vaters kritisierte, sich auf die Verhinderung des Fortschritts zu beschränken, und vor einem „reactionary course of opposition“ warnte, der zu nichts anderem führe als einem „politischen Martyrium“ für eine sinnlose Sache102. Disraeli sah sich längst „in the bosom of the Progressive party“103, und im Laufe der fünfziger Jahre ist, aller Kulturkritik zum Trotz, eine zunehmend breite, bald mitunter topische Anerkennung des Wandels und der Veränderung als Gebot für die Politik zu beobachten, wie sich nicht zuletzt an einem Vergleich der Wahladressen der Jahre 1847 und 1857 (und 1868) deutlich ablesen läßt. Auch Derby bekannte sich zu konservativer Veränderungsbereitschaft und „progressive improvement in our legislation according with the temper and character of the times“104. Disraeli pointierte diese Anpassung der Konservativen an die Umstände ihrer eigenen Zeit statt ihrer aussichtslosen Opposition: In a progressive country change is constant; and the question is not whether you should resist change which is inevitable, but whether that change should be carried out in deference to the manners, the customs, the laws, and the tradition of a people, or whether it should be carried out in deference to abstract principles, and arbitrary and general doctrines.105
Dies stand, wie zu zeigen sein wird, in einem größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang. Denn wenn Samuel Taylor Coleridges Unterscheidung zutraf, daß die Kraft der Dauerhaftigkeit im Land verkörpert war, die Energien des Fortschritts jedoch in den handelnden und produzierenden Klassen sowie in den freien Berufen106, dann bedeutete das konservative Bekenntnis zu Fortschritt und Veränderung zugleich eine Abkehr von der exklusiven Orientierung auf das landed interest und eine Öffnung gegenüber den Mittelschichten.
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Stanley an Disraeli, 20. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 205–207, hier 206 (alte Signatur: B/XX/S/585). Disraeli an Henry Lennox, 7. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2346/102. Vgl. Derbys Regierungserklärungen vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 41 („My Lords, there can be no greater mistake than to suppose that a Conservative Ministry necessarily means a stationary Ministry. We live in an age of constant progress – moral, social, and political. We live in a time when art and science are making rapid strides, when knowledge is daily more and more widely diffused“) und vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, dort 744 das Zitat. Disraeli, Rede in Edinburgh im Herbst 1860, zit. nach BLAKE, Conservative Party, S. 411. Coleridge, On the Constitution of Church and State, zit. nach GUTTSMANN (Hg.), English Ruling Class, S. 24 f.; eine ähnliche Unterscheidung trifft auch BURKE, Reflections, S. 102.
4. „Verbesserungsprinzip“
129
Der also über beinahe das gesamte politische Spektrum hinweg gebräuchliche Begriff des Fortschritts besaß nichtsdestoweniger bei den verschiedenen Richtungen unterschiedliche Konnotationen. Nie betrachteten ihn die Konservativen dabei wie die Radikalen als den Weg zu einem verheißenen Endzustand, auch nicht, wie John Russell emphatisch formulierte, als durch Freiheit und Partizipation gewährleistete „stetige und kontinuierliche Annäherung an Vervollkommnung“107. Fortschritt bedeutete den Konservativen vielmehr, so Bulwer-Lytton, in Analogie zur Biologie, organische Entfaltung, the advance towards the fullest development of forces of which any given human organisation, whether it be a man’s or a society’s, is capable.108
Und wenn der Liberale Ralph Osborne, der tatsächlichen Entwicklung allerdings vorauseilend und offenbar überzeugt von seiner Steuerbarkeit, schon 1848 feststellte, da alle für Fortschritt seien, bleibe nur die Frage nach dem einzuschlagenden Tempo (und nach den „drivers of the new vehicle“)109, dann war die konservative Antwort allerdings spezifisch: „calm but continuous“110. Einen solchen konservativen Fortschritt „im Geiste der englischen Verfassung und des nationalen Charakters“ deklarierte Disraeli, ganz im Sinne seiner Idee der Konservativen als der „national party“111, als „englischen Fortschritt“, dessen Wesenszüge vor allem, einmal mehr, in der Gegenüberstellung mit seinem Antipoden hervortraten: dem radikalliberalen Modell eines Fortschritts „im Geiste der amerikanischen Verfassung und des amerikanischen Charakters“112. Wie mit dem Fortschritt, so verbanden sich auch mit dem ebenso gebräuchlichen Begriff der Reformen unterschiedliche Bedeutungen, die sich vor allem am Grad der Reformbereitschaft messen lassen. Die elementare, ursprünglich-vormoderne Bedeutung der Wiederherstellung des status quo ante – „to retrace our steps [. . .,] going back to our first principles“113 – geht
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Russell, Unterhausrede vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 55–58, hier 58 („steady and continual advance towards perfection“). BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 432; vgl. auch seine Rede vor Studenten der Universität Edinburgh, 18. Januar 1854, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 195 („the healthful progress of society is like the natural life of man“). Osborne, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 157 f. Bulwer-Lytton, Unterhausrede vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232, hier 1232. Vgl. dazu Kapitel II.6.c). Leitartikel in THE PRESS Nr. 3, Vol. I (21. Mai 1853), S. 49 f., hier 49; zur Autorschaft Disraelis: DISRAELI LETTERS VI, S. 562 (App. VII). Drummond, Unterhausrede vom 6. Mai 1856, HANSARD 3/142, Sp. 46–50, hier 49; vgl. auch
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II. Grundlagen des politischen Denkens
mit der Korrektur und Beseitigung von eingetretenen Mißständen einher114. Einen Schritt weiter geht Reform als aktive Gestaltung der Bewahrung des Überlieferten115 und, in die Zukunft weisend, der Herstellung von dauerhaften Verhältnissen116. Wiederum aktiver ist das Verständnis von Reform als allgemeiner Verbesserung der Zustände117, immer aber auf der Basis der Bewahrung des Bestehenden, der konkreten englischen und als bewährt erachteten Ordnung. Strikt lehnten die Konservativen hingegen „violent and unconstitutional change“118 ab, Reformen, die auf theoretischer Grundlage etwas abstraktes Mögliches schaffen wollten, die sich an deduzierendem Intellekt, Zahlen oder logischer Symmetrie orientierten und dabei Utopien verfielen, Qualität opferten und die Realitäten verfehlten, die mit der Vergangenheit brachen und das Bestehende zerstörten. Diese Kritik zielte in erster Linie wiederum auf die Radikalen um John Bright und ihr „revolutionäres Projekt“, that everything which has been respected and venerated for ages should be swept away, and that the whole order of things should be turned upside down – the first put last, and the last first.119
Die Reformbereitschaft der Konservativen entsprach hingegen, in Ableh-
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Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 554 („a restoration rather than an alteration“). Vgl. etwa DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 4, Carnarvon, Oberhausrede, HANSARD 3/188, Sp. 1833–1846, hier 1839, Visc. Curzon, Adresse an die Wähler von South Leicestershire vom 21. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 24. Oktober 1868, S. 5b, oder HERRIES MEMOIR II, S. 283. Vgl. Cross, Redeentwurf (1857), NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33, Thesiger, Adresse an die Wähler von Stamford, THE TIMES vom 28. März 1857, S. 7e, Disraelis Unterhausrede vom 15. März 1858, M&B IV, S. 126 („the best way to maintain the institutions of the country is to improve them when improvement is necessary“), und Derbys Regierungserklärung vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 744. Vgl. Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266, hier 264 und 266, und BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 431 f. Vgl. etwa die Adressen an die Wähler der City von London von R. Bevan vom 8. Juli und von J. Freshfield vom 26. Juli 1847, in: THE TIMES vom 9. Juli 1847, S. 8e, und vom 27. Juli 1847, S. 8a, Derbys Regierungserklärung vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 41, oder HERRIES MEMOIR II, S. 283. T. Whethered, Adresse an die Wähler von Great Marlow, in: THE TIMES vom 19. Oktober 1868, S. 5a; ganz ähnlich die Adresse von Alderman Gibbons an die Wähler der City von London vom 26. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 27. Oktober 1868, S. 5a. Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 257; vgl. auch Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 556 f., und R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 54: Unterscheidung zwischen „educational reformers“ („preponderance to intellect“), „geographical or democratic reformers“ („preponderance to numbers“) und „symmetrical reformers“, die alle Anomalien zugunsten einer Uniformität der Repräsentation aufheben wollten.
4. „Verbesserungsprinzip“
131
nung wie in eigener Gestaltung, ganz ihren epistemologischen Grundlagen. Denn in erster Linie sollten Reformen der Anpassung an die konkreten Umstände dienen, „modifying institutions as they thought would meet the changed circumstances which arose upon us day by day“120. Praktisch, das hieß nützlich und konkret, sollten Reformen sein – so wie Croker sich zugute hielt, die Vereinheitlichung der Temperaturmessung unterstützt zu haben –, alles andere sei „doktrinäres Geschwätz“121. Während Cobden beispielsweise sich in erster Linie von einer Theorie leiten ließ122, sollten konservative Reformen auf Erfahrung beruhen, sich an common sense orientieren und (entsprechend dem ruhigen Fortschritt) behutsam Akzidentielles verbessern, ohne Substanz zu verletzen123. Eine behutsame und zugleich aktive politische Reformorientierung bot den Konservativen innerhalb des als kaum steuerbar empfundenen sozioökonomischen Wandels Chancen, die insbesondere Disraeli erkannte: nothing is so conservative as to meet the future half way and prepare the changes which are inevitable.124
In diesem Sinne den Tiger zu reiten, konnte dann auch die von dem Liberalen Osborne aufgeworfene Frage nach den „drivers of the new vehicle“ im konservativen Sinne beantworten. Die Frage blieb nur, ob lieber Revolution zu machen, als zu erleiden, nicht letztlich einen Pyrrhussieg bedeutete, wie Disraelis Gegner monierten. Denn solche konservative Reformbereitschaft
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Gathorne Hardy, Adresse an die Wähler von Bradford, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72; vgl. auch Pakingtons und Roses Adressen an die Wähler von Droitwich und Newport, in: THE TIMES vom 13. und 19. März 1857, S. 12c bzw. 5c, BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560, hier 558 („safe adaptability to the requirements of the time [. . .] harmonious to the generic character of the people and the institutions“). Vgl. Croker an John Murray, 24. Oktober 1851, CROKER PAPERS III, S. 244–248, hier 244 f., Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232, hier 1231, sowie Disraeli an Stanley, 24. Oktober 1858, M&B IV, S. 176 (dort das Zitat). Vgl. Cobden an Bright, 1. Oktober 1851, MORLEY, Cobden, S. 560–562, hier 561 f. Vgl. Gathorne Hardys Adresse an die Wähler von Bradford, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72 („to modify the details whilst they preserve the principles inviolate“), Redesdales Oberhausrede vom 3. Juni 1850, HANSARD 3/111, Sp. 639–643, hier 642, Croker an John Murray, 24. Oktober 1851, CROKER PAPERS III, S. 244–248, hier 244, Beresford-Hopes Adresse an die Wähler von Maidstone vom 11. März 1857, in: THE TIMES vom 20. März 1857, S. 8b („While we amend what is faulty we must be careful not to tamper with the principles of existing institutions“), Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 557 („past experience, historical proofs, and constitutional practice“), R. Cecil, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 572, und BULWER-LYTTON, New Theories, S. 135. Northcote an Disraeli, 25. Januar 1868, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063B, fol. 147 f., hier 148.
132
II. Grundlagen des politischen Denkens
drohte konservative Prinzipien aufzugeben125 und ließ sich als konservatives Verhaltensmuster einer Abfolge von Widerstand über Konzessionen zu totaler Kapitulation identifizieren126. Auch drohten Präzedenzfälle, wie Cecil in seinem „Bunker“127 befürchtete, unabsehbare Folgewirkungen nach sich zu ziehen, wenn man nicht den Anfängen wehrte: As long as the dyke remains whole and unbroken, the fury of the waters without is impotent. [. . .] But suffer one breach, however small, to be made in the dyke, and they will widen it and widen it gradually till at last the dyke is undermined and swept away, and all the prosperity and fertility that it guarded is opened to the desolating flood.128
Auch konservative Reformen konnten, wie Carnarvon 1867 seiner Parteiführung vorwarf, zu Revolutionen mutieren129, und gerade die erhitzten Debatten dieses Jahres offenbaren die Bandbreite der Positionen, nicht nur innerhalb der Konservativen, sondern erst recht innerhalb des gesamten politischen Spektrums, die in der Kontroverse in ihrer spezifischen Gestalt hervortraten. Innerhalb der Konservativen ging es im Kern um die Frage nach sakrosankter Substanz und disponibler Akzidenz. Positionen mußten dabei durch die Abwägung von Prinzip und Pragmatismus in politicis gefunden werden. Dabei stellte sich wiederum die Frage nach dem Maßstab: dem Prinzip als unwandelbarer Wahrheit an sich oder der konkreten Nützlichkeit.
5. „WHAT WILL YOU CONSERVE“: PRINZIP, PRAGMATISMUS, NÜTZLICHKEIT Die Formen, in denen Prinzipien ausgeführt werden, wandelten sich gemäß den Umständen, die Prinzipien selbst aber seien unwandelbar, weil sie wahr seien. So begründete Henry Drummond130 die Position derjenigen, die Prinzipien, reine Lehre und Aufrichtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik
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Vgl. [DRUMMOND], Political Parties, S. 6. Anon., Politics, Home and Foreign, in: FM 59 (1859), S. 629–634 (Mai 1859), 631 f.: „such has been the fate of Conservatism for many years. First, there is stolid resistance. Then, especially if the party comes into power, there are concessions and compromises, often ungracefully and reluctantly made. In the end comes total surrender.“ SHANNON, Age of Salisbury, S. 553. R. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 263. Vgl. Carnarvons Oberhausrede vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1833–1846, hier 1839. [DRUMMOND], Political Parties, S. 6.
5. „What will you conserve“
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stellten, sich wenig von Kompromissen versprachen und die ihrer Bezeichnung als „Ultras“ oder „last ditchers“ wohl gar nicht widersprochen hätten: I am more and more convinced every day of the evil consequences of all departures from principles – Every divergence from the straight line leads to embarrassment sooner or later.131
Allerdings verlor diese Haltung innerhalb der Konservativen nach dem Abschied vom Protektionismus 1852 und im Laufe der ökonomisch, gesellschaftlich und politisch entspannteren fünfziger und sechziger Jahre erheblich an Bedeutung. Robert Cecil beobachtete vielmehr einen Verlust der Bedeutung klarer Prinzipien: In politics, at least, the old antithesis of principle and expediency is absolutely forgotten: expediency is the only principle to which sincere allegiance is paid. [.. .] The only principle upon which, in the present day, any thinking politician really acts, is ‚the greatest happiness of the greatest number.‘132
Nun wurde auch der Begriff des „Prinzips“ in der politischen Sprache durchaus unterschiedlich gefüllt, und Cecil selbst, wahrlich ein Mann der Prinzipien, verwendete ihn in zwei Bedeutungen, nämlich für die Motive politischer Handlungen – was bedeutete, daß auch geänderte Haltungen einem Prinzip entspringen können – und für die Konsistenz von Handlungen selbst. Dieser „mittlere Begriff“ verstand Prinzipien als Regeln, die zumeist, aber nicht unbedingt immer befolgt werden müßten, die Konsistenz, aber nicht dogmatische Konsequenz gewährleisteten.133 Eine solche Definition von Prinzipien ließ Spielraum für Flexibilität und Pragmatismus, der in der englischen politischen Kultur namentlich der mittviktorianischen Periode angelegt war, aber auch im konservativen „Denkstil“ von Empirismus und common sense sowie in der Ablehnung von konsequenter, dogmatischer Logik. So erachtete Beresford-Hope im Verfassungsleben
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Redesdale an Stanley, 19. Januar 1851, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER 14, 149/6; vgl. auch George Bentincks Adresse an die Wähler von King’s Lynn vom 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3f-4b (4a: „we were fighting for principle [. . .] Honesty is powerful and I care not for coalition.“), sowie Newcastle an Disraeli, 21. Oktober 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 30/6, fol. 84–89 (alte Signatur: B/III/34a), hier 83: „we shall never do any good by compromising [. . .] suppressing our real intentions seems to me to be impossible, and all diplomacy unsuited to the case“. R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 52 f. Vgl. PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 78–81, das Zitat („‚medium‘ concept of principles“) S. 80.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
anomaly as distinguished advantage, although possibly indefensible by the strict rules of political logic. It was, however, a marked peculiarity of British institutions that the people generally gave the preference to practical common sense rather than to rigorous logic.134
Solch realistischer Pragmatismus zeigte sich auch in der Einsicht, daß nicht alles perfekt sein müsse – „content[ion] with the calm, although not altogether satisfactory march of affairs“135 – und daß man sich für die Lösung zukünftiger Probleme nicht im voraus festlegen müsse, erst recht nicht auf abstrakte Modelle, sondern zu gegebener Zeit nach Maßgabe der Dinge handle und sich dabei von der Zweckmäßigkeit und der Nützlichkeit für die Menschen leiten lasse136. „Political institutions must be judged by their results“137, war die logische Konsequenz (soweit man davon bei Konservativen sprechen will) dieser Haltung, und das bedeutete für Robert Cecil beispielsweise, Patronage im Staatsdienst zu akzeptieren, so lange keine ungeeigneten Personen eingestellt würden138. Sich an Effizienz und Ergebnissen zu orientieren, bedeutete auch, in gewissem Maße Mittel und Ziele zu trennen: „Moralists, reasoning on abstract grounds, may demur to a plan which to [. . .] a large extent utilises the meaner principles of human nature for good ends“; aber in der Politik sei dies eben „marvellously efficient“139. Eine solche Haltung sollte unterdessen nicht beliebig sein, sondern sich qua common sense an der Nützlichkeit ausrichten, die wiederum – hier beginnt sich die Argumentation im Kreise zu drehen: das Überlieferte ist gut, weil es alt ist, und es ist alt, weil es gut ist – von der Tradition erwiesen wurde. Denn sie verlieh dem Überlieferten die Bewährung und hob in diesem Sinne zugleich die (wenn im Ergebnis glückliche und daher überlieferte) Inkongruenz von Absichten und Resultaten, von Ursachen und
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Beresford-Hope, Unterhausrede vom 20. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 220–224, hier 223. Disraeli, Unterhausrede vom 17. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 430 f., hier 431. Vgl. Croker an J. Murray, 24. Oktober 1851, CROKER PAPERS III, S. 244–248, hier 244 („I have always advocated and pro viribus advanced, all progress that I thought improvement“), D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 (März 1852), S. 492–502, hier 501 f., und Stanley, Church Rates, in: THE PRESS Nr. 16, Vol. 1 (20. August 1853), S. 361 f. (Autorschaft nach Disraeli an Stanley, 7. Oktober 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2565/266–268 mit 268 Anm. 8). DISRAELI, Vindication of the English Constitution (1835), zit. nach GUTTSMAN, English Ruling Class, S. 25. R. Cecil, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 570 f. und 573 f. Cranborne, The Conservative Surrender, in: QR 123 (Oktober 1867), S. 533–565, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 271 f.
5. „What will you conserve“
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Wirkungen auf, wie abermals Cecil, in Verbindung beinahe aller konservativer Argumentationsmuster, und in geradezu purem Utilitarismus ausführte: Considered from a theorist’s point of view, the House of Commons does not present very much that is worthy of imitation. The system under which it is chosen is anomalous to the last degree. [. . .] The proceedings of the House itself [. . .] are uncouth, complicated, often unmeaning, founded upon circumstances which have ceased to exist, often defensible by no reasons applicable to the present state of things, and liable at any time to misuse, which would bring the whole business of the country to a standstill. If they work their proper purpose, and promote the wellbeing of the country, the credit is due, not to their own excellence, but rather to the common sense of those who work them. [. . .] With the exception of the unhappy adoption of a uniform suffrage of 10l. [.. .] not a single line in our representative institutions betrays the stiff hand of the theorist. They are all the more elastic, and all the more suitable to the capricious, unstable world we live in on that account. But it is simply impossible to defend them before a jury of philosophers. We should be very sorry to substitute any amount of theoretical symmetry, for an efficiency which has been tested by experiment. [. . .] It is very possible to find theoretical objections to the English Constitution in its present shape. Its only defence is its practical success.140
In der Tat hat Michael Pinto-Duschinsky Salisburys bzw. Cecils enge Verbindung von „empiricism in epistemology and utilitarianism in ethics and politics“ heausgearbeitet141. Und obgleich in politischer Hinsicht nicht repräsentativ für die Konservativen, steht er doch stellvertretend (und daher hier auch legitimerweise in so großem Umfang aufgrund seiner außergewöhnlichen rhetorischen Kraft zitiert) für die schon von Burke skizzierte142 konservative Ausprägung des Utilitarismus, die sich von seiner progressiven Variante grundlegend durch das Menschenbild unterschied. Wenn der Begriff des „Utilitarismus“ selbst unter den zeitgenössischen Konservativen (ähnlich wie „organisch“) verpönt war, dann lag dies an der Assoziation des Mechanischen und Radikalen, das dem Benthamismus anhaftete. Das änderte aber nichts an der Tatsache selbst, und Bulwer-Lytton, der uns in diesen intellektuellen und philosophischen Zusammenhängen naturgemäß besonders häufig begegnet, kannte selbst diese Berührungsängste nicht:
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R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juni 1864), zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 164 und 188. PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 73 und 86 f. Vgl. BURKE, Reflections, S. 220: „Old establishments are tried by their effects. If the people are happy, united, wealthy, and powerful, we presume the rest. We conclude that to be good from whence good is derived.“
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II. Grundlagen des politischen Denkens
Conservatism accepts cheerfully the maxim of Bentham, ‚the greatest happiness of the greatest number‘, provided it may add this indispensable condition, ‚for the longest period of time.‘143
Daß eine solche Haltung nicht systematisch theoretisch fundiert war, liegt in der Natur konservativen Denkens. Dennoch läßt sich ein „historischer Utilitarismus“, den Jerry Muller als gemeinsamen Nenner konservativen Denkens ausmacht144, durchaus als eine in kennzeichnendem Maße verbreitete Disposition der mittviktorianischen Konservativen identifizieren. Mit dem Menschenbild, der empirisch-sensualistischen, induktiven und qualifizierenden Epistemologie, der Vorstellung der freiheits- und wohlfahrtsstiftenden, traditionsbewährten und harmonischen, durch konkrete und behutsame, akzidentielle Reformen zu bewahrenden englischen Ordnung fügt er sich zu einem unterscheidbaren (und in allen Quellengattungen zu beobachtenden) Zusammenhang von heuristischen Grundlagen des politischen Denkens, auf denen Inhalte aufbauten, die nun zunächst allgemein und aus der Perspektive konservativer Selbstbeschreibung skizziert und in den darauffolgenden Kapiteln systematisch entfaltet werden.
6. SELBSTVERSTÄNDNIS UND PROGRAMMATIK Nicht nur Historiker der Konservativen, auch wohlwollende ebenso wie kritische Zeitgenossen fragten unterdessen nach der Existenz und der Relevanz von inhaltlichen Prinzipien und Zielen der Partei und ihrer Politiker. Nicht selten herrschte dabei der Eindruck vor, den Tories gehe es in erster Linie um Macht, während sie die Prinzipien den Hochkonservativen überließen. Cecil beschimpfte seine eigene Partei gar als a wandering horde of political marauders, ready to sweep down on the fertile valleys of office from whatever quarter and in whatever company might give the most abundant promise of success.145
In der Tat legten sich die Konservativen mit ihrem am tradierten Bestehenden orientierten Denken und ihrem empirischen Pragmatismus nicht auf geschlossene, systematische Programme fest, die ohnehin in dieser Zeit nicht üblich waren:
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BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 433; eine weitere Ausnahme: Beresford-Hopes Adresse an die Wähler von Maidstone vom 11. März 1857, S. 8b: er betrachte Reformen unter der Maßgabe der „greatest happiness of the greatest number.“ MULLER, Conservatism, S. 7. R. Cecil, English Politics and Parties, in: BQR I, No. 1 (März 1859), S. 1–32, hier 12.
6. Selbstverständnis und Programmatik
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Such abstract declarations of policy are, in point of fact, of little or no use. They are mere words, which may be construed into any sense, or, as sometimes happens, into no sense.146
Sie konzentrierten sich auf konkrete, nicht auf abstrakte Inhalte oder allgemeine Ideen. Dennoch waren auch sie sich eines eigenen „way of political thinking“147, methodisch ebenso wie inhaltlich bewußt, und diese Inhalte wurden insbesondere durch äußere Herausforderungen aktualisiert. So läßt sich aus der Fülle der verschiedenen aktuell bedingten Meinungsäußerungen verschiedener Quellengattungen sowie aus vereinzelten Reflexionen des eigenen Konservatismus von seiten der Parteiintelligentsia – etwa Benjamin Disraeli und Edward Bulwer-Lytton sowie Robert Cecil (der jedoch, da bereits häufig zitiert und mit seiner Position innerhalb der Partei weniger repräsentativ, hier nicht eigens thematisiert wird) – durchaus ein Rahmen politischer Prinzipien und Ziele herauspräparieren, der innere Differenzen auf einer Bandbreite zwischen Stanley, Disraeli und Cecil, wenn auch zuweilen unter äußerster Anspannung, so doch konstitutiv umschloß. A)
AKTION: PRINZIPIEN UND ZIELE
Wenn Konservative die Prinzipien ihrer Politik öffentlich darlegten, und dies geschah in der Regel entweder im Parlament oder im Rahmen ihrer Ansprachen oder Manifeste anläßlich der Wahlen zum Unterhaus, dann nannten sie, so geht es aus den Wahlkämpfen von 1847, 1857 und 1868 eindeutig hervor, in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle vor allem drei Gegenstände, die es zu bewahren gelte: zuerst die Anglikanische Staatskirche, dann die Monarchie samt ihrer Rechte sowie die Verfassung und ihre Institutionen allgemein148. Andere Elemente wurden weniger flächendeckend
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Regierungserklärung Derbys vor dem Oberhaus, 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 41. Disraeli an Granby, 23. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1925/259, vgl. auch Walpoles Unterhausrede vom 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 659–666, hier 665 f. („Conservative policy which has always formed our bond of union“). Vgl., als beispielhafte Auswahl, THE TIMES vom 3. August 1847, S. 3c (E. Filmer, West Kent), 14. März 1857, S. 8b (W. Masters Smith, Kent West), 23. März 1857, S. 5c (Lord Stanhope, South Derbyshire), 28. März 1857, S. 7f (R. Cecil, Stamford), 2. April 1857, S. 7d (H. Currie, West Surrey), Preston Pilot, 21. März 1857, S. 7 (R.A. Cross, hier nach MITCHELL, Cross, S. 13), THE TIMES vom 6. November 1868, S. 7d (J. Pakington, Droitwich) und vom 26. November 1868, S. 10b (J. Briscoe, West Surrey); vgl. Peels bei ADELMAN, Peel, S. 9f., zitierte Rede aus dem Jahre 1838, Derbys Oberhausrede vom 15. März 1852, HANSARD 3/119, Sp. 1010, sowie JONES, Derby, S. 218, Newdegates in Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 (März 1852), S. 502, zitierte Unterhausrede vom 15. März 1858, Thomas Booker-Blakemores Unterhausrede vom 25. November 1852,
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II. Grundlagen des politischen Denkens
genannt, etwa die Aristokratie (die aber in Form des House of Lords in die Institutionen eingebunden war) oder eine Politik sozialer Reformen, seltener finanz- oder außenpolitische Themen. Aus all diesen Meinungsäußerungen ging die Konservative Partei in der Tat als „the great Churchand-King party“149 hervor, wobei der „König“ im allgemeineren Sinne von Verfassung oder Staat zu verstehen ist150, so daß Kirche und Verfassung die zentralen Gegenstände des öffentlichen Redens der mittviktorianischen Konservativen darstellten. Allerdings standen die ersten Jahre nach 1846 vor allem im Zeichen des Protektionismus, der in dieser Zeit die Verfassung als Hauptthema verdrängte, und eines aggressiven Protestantismus, der sogar den streng protektionistischen, aber konfessionell moderaten George Bentinck zu Fall brachte und ihm die Klage über die „great Protectionist party having degenerated into a ‚No Popery‘, ‚No Jew‘ party“ entlockte151. Die Parteiführung um Disraeli und seine Vertrauten, den jüngeren Stanley, Henry Lennox und Malmesbury, sah diese inhaltliche Verengung höchst kritisch und versuchte bald, die Konservativen von ihrem protektionistischen Kurs abzubringen, was 1852 gelang152: „We built up an opposition on Protection & Protestantism. The first the country has positively pissed upon“153. Auch ein militanter Protestantismus war Disraelis Sache höchstens unter der Bedingung taktischer Vorzüge, die allerdings leichter wogen als die Nachteile154; „the mischief of our horrible No Popery cry [. . .,] so absurd
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HANSARD 3/123, Sp. 532–536, hier 535, J. Whitesides Unterhausrede vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 957–962, hier 962, W. Heathcotes Unterhausrede vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 46 f., hier 46, sowie H. Cairns’ Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1982–2008, hier 2007; vgl. Croker, Political Prospects of France and England, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 287, Croker, Postscript, in: QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, hier 271, Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 273, R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 157; vgl. schließlich Richard Oastler an John Manners, o.D., WHIBLEY, Manners and his Friends II, S. 27, und Derby an Gen. Grey, 29. Juni 1866, LQV 1862–1878 I, S. 348–350. Croker an Derby, 11. August 1852, CROKER PAPERS III, S. 258. Vgl. Disraeli an Granby, 23. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1925/259 („those subjects of Church & State on wh: we agree“; Hervorhebung vom Verf.). Bentinck an Croker, 26. Dezember 1847, CROKER PAPERS III, S. 158–160, hier 159. Vgl. dazu Kapitel III.3.c). Disraeli an Stanley, 18. Juli 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2336/95; vgl. auch Disraeli an Henry Lennox, 18. Juli 1852, EBD., 2335/92–94, hier 93. Vgl. Disraeli an Stanley, 18. Juli 1852, EBD., 2336/95: „I did not much like our second great principle [i.e. Protestantism], but reluctantly gave in my adhesion to it under the belief, that there were particular circumstances, wh: rendered its adoption less injurious, than a profes-
6. Selbstverständnis und Programmatik
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& bigoted a piece of folly“155 wirkte sich auf das Image der Tories nicht zuletzt innerhalb des moderaten, eher liberal-konservativen Spektrums nachteilig aus156. Gerade Disraeli bemühte sich insbesondere nach 1852, die Verfassung statt des Protektionismus und des landed interest wieder in das Zentrum der konservativen Inhalte zu rücken, auf der politischen statt der sozio-ökonomischen Ebene zu agieren und die Partei wieder als „constitutional party“ zu positionieren, was schließlich in den Reforminitiativen von 1859 und 1867 kulminierte. Zunächst sahen sich die Konservativen in den Jahren nach dem endgültigen Verzicht auf den Protektionismus indes mehr mit dem Problem eines „lack of rallying point“157, eines Mangels an distinkten Inhalten konfrontiert, der nicht zuletzt aus der kalmierenden Prosperität der fünfziger Jahre resultierte. Disraeli hielt dem, im Leitartikel der ersten Ausgabe der Press, programmatisch entgegen, daß die entscheidenden kontroversen Probleme keineswegs gelöst seien: It would not, at the first glance, appear, that the repeal of the corn laws, or the reduction of the sugar duties, had solved the momentuous problem, what classes should be the principal depositary of power in this country. The nature of the franchise, and its extent, which depends on a right appreciation of its nature; – whether the royal supremacy in matters ecclesiastical [sic] should be maintained; whether the upper House should be a territorial or an elective senate; whether, as an element of strength and duration, a preponderance should be given in our polity to the landed franchise, or whether, on the contrary, the municipal ingredient should predominate; the rights of inheritance and the laws of tenure; – these are the vast questions of permanent interest which will occupy at intervals the mind of the nation.158
Um die bestehende Ordnung zu bewahren, schlugen die Konservativen im Laufe der fünfziger Jahre nach anfänglichem Zögern159 zunehmend einen Kurs aktiver Reformen ein, in rhetorischer Hinsicht160 – darum geht es an
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sion of so limited a principle wo[ul]d otherwise have been. It seems however to have worked us harm.“ Vgl. Henry Lennox an Disraeli, 7. August 1852, EBD., 2352/106 f. Anm. 1. Vgl. z. B. Grevilles Tagebucheintrag vom 23. Juli 1852, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 345–349, S. 346 f. Lonsdale an Croker, 22. Mai 1853, CROKER PAPERS III, S. 267 f. hier 268; vgl. auch Edward Kenealys Aufzeichnung eines Gesprächs mit Disraeli am 13. April 1853, M&B III, S. 493. Disraeli, Coalition, in: THE PRESS Vol. 1, No. 1 (7. Mai 1853), S. 1, Autorschaft Disraelis nach DISRAELI LETTERS VI, S. 562 (App. VII). Vgl. Stanley an Disraeli, 27. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 211 f. (hier 211; alte Signatur: B/XX/S/587), sowie Derby an Disraeli, DISRAELI LETTERS VI, 2484/210 Anm. 1. Vgl. z. B. R.A. Cross’ Äußerungen als Vorsitzender einer Wahlversammlung in Preston, PRESTON PILOT, 21. März 1857, zit. nach MITCHELL, Cross, S. 13: ein wahrer Konservativer sei ein Reformer, weil er die Institutionen intakt halte; „a Conservative is a man who is de-
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II. Grundlagen des politischen Denkens
dieser Stelle – ebenso wie dann in der Regierungsverantwortung. Derby selbst bekannte sich in seinen Regierungserklärungen nach den Kabinettsbildungen von 1858 und 1866 zu einem path of safe and steady progress, strengthening, rather than subverting, the institutions of the country, and maintaining that balance between the various parts of our constitutional system – a monarchy limited, an aristocracy tempered, a House of Commons not altogether democratic – the consequence of which has been a progressive improvement in our legislation according with the temper and character of the times161
und gar, zumindest für sein drittes Kabinett von 1866, ausdrücklich zu „Liberal-Conservative principles“162. Angesichts der politischen Windstille des party truce nach 1859163 lag unterdessen der Eindruck nahe, daß sich die Konservativen als die wahren Liberalen profilieren wollten164, den WhigLiberalen zumindest allzu ähnlich geworden seien. Diesem Eindruck setzte Disraeli wiederum nicht nur entgegen, konservative Reformbereitschaft bedeute keineswegs, Liberalismus nachzuahmen („we represent progress, which is essentially practical, against mere Liberal opinions, which are fruitless“165). Vor allem war Disraeli schon seit seinen Angriffen auf Robert Peel in den vierziger Jahren überzeugt, daß politische Parteien das politische System des Parliamentary Government tragen und sich daher nicht zuletzt
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termined to maintain to the utmost of his power the general institutions of the country – to maintain what we formerly called constitutional principles, but at the same time not to admit but to enforce improvement whenever improvement was found to be either requisite or prudent“. Derby, Oberhausrede vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 744; vgl. auch die Regierungserklärung vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44 (41: „the policy of the Government to which I belong will be, that [. . .] while we firmly and strenuously maintain the great institutions of the country, we shall not hesitate to propose and support measures of undoubted improvement and progress, and to introduce safe and well-considered amendments wherever amendments may be required. My Lords, there can be no greater mistake than to suppose that a Conservative Ministry necessarily means a stationary Ministry. [. . .] My Lords, in politics, as in everything else, the same course must be pursued – constant progress, improving upon the old system, adapting our institutions to the altered purposes which they are intended to serve, and by judicious changes meeting the increased demands of society“). Memorandum Derbys [für die Königin] vom 28. Juni 1866, LQV 1862–1878 I, S. 344 f., hier 345. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 9. April 1861, STANLEY JOURNALS, S. 168: „there is no policy [of the party] at this moment, except that of keeping quiet and supporting ministers.“ Vgl. Whites Eintrag vom 3. April 1858, WHITE, Inner Life I, S. 51–54, hier 52: „Lord Derby and his friends are Conservative, it is true, but the cue is now to show that Conservatives are the real Liberals“. Disraeli an Stanley, 24. Oktober 1858, M&B IV, S. 176.
6. Selbstverständnis und Programmatik
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inhaltlich deutlich unterscheiden müßten166. Daher beschwor er unentwegt die Unterschiede der Prinzipien; doch der Unterschied der Prinzipien aus Prinzip konnte, wie ihm immer wieder vorgeworfen wurde, auch eine andere Form von Prinzipienlosigkeit sein. B) REAKTION UND ABGRENZUNG: PEELITEN, WHIG-LIBERALE, RADIKALE
Die Konservativen sahen sich nach 1846 dauerhaft einer in sich heterogenen Parlamentsmehrheit gegenüber, die sich, abgesehen von der Gruppe der selbständigen Iren, aus drei Hauptströmungen speiste, die 1859 zur viktorianischen Liberalen Partei zusammenflossen167. Von den Peeliten unterschied die Konservativen bis 1852 unüberbrückbar die Frage des Protektionismus. Danach spielten die Erinnerung an die getrennte Geschichte und vor allem persönliche Animositäten eine nicht zu unterschätzende Rolle; Bentinck und Disraeli wurde lange Zeit ihr Verhalten gegenüber Peel vorgehalten, und zwischen Gladstone und Disraeli baute sich, insbesondere nach den scharfen persönlichen Auseinandersetzungen um Disraelis Haushalt im Unterhaus im Dezember 1852 ein außergewöhnlich feindseliges Verhältnis auf, zu dem, für den Fall von Gladstones erneuter Allianz mit den Konservativen, ein Führungskonflikt zwischen beiden getreten wäre. Schließlich ist die grundsätzlich stärker liberale Neigung der meisten Peeliten, soweit sie nicht zu den Konservativen zurückkehrten, in innen- und gesellschaftspolitischer Hinsicht zu nennen, die jedoch angesichts der zunehmenden Reformorientierung der Tories in den fünfziger Jahren kein Hinderungsgrund für eine Reunion hätte sein müssen. In der Tat stand diese Möglichkeit bis zur Formierung der Liberalen Partei im Jahre 1859 – und auch diese sieht nur in der Rückschau so eindeutig aus – grundsätzlich offen, auch wenn Peeliten und Konservative sich bis zu diesem Zeitpunkt spürbar auseinandergelebt hatten. Doch es waren nicht
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Vgl. Disraeli, Coalition, in: THE PRESS Vol. 1, No. 1 (7. Mai 1853), S. 1, sowie M&B II, S. 356 f., und Blake, Disraeli, S. 227; vgl. dazu auch Kapitel V.1. Zu den Parteien insgesamt vgl. HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 131–141 und 254–271; zu den Peeliten bis 1852 vgl. CONACHER, Peelites; zu Whigs, Liberalen und Radikalen bzw. zur Liberalen Partei allgemein vgl. MANDLER, Aristocratic Government, S. 13–120 (zu Whiggismus und Liberalismus zwischen 1780 und 1852), VINCENT, Liberal Party, bes. S. 20–35, JENKINS, Liberal Ascendancy, S. 2–14, 45–50, 58–67, 71–73 und 84–90, PARRY, Liberal Government, S. 1–20 und 167–217 (zum Zeitraum zwischen 1846 und 1867), HAWKINS, Party Politics, S. 35–44, zu den Radikalen ADELMAN, Victorian Radicalism, S. 29–66, sowie TAYLOR, British Radicalism, S. 19–61.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
zuletzt Kontingenzen, politische Wechselfälle und verpaßte Zeitpunkte, die Konservative und Peeliten schließlich dauerhaft trennten. Whigs und moderate Liberale unterschieden sich voneinander mehr in sozialer (Whigs standen traditionell in engerer sozialer Beziehung zur Hocharistokratie) denn in inhaltlicher Hinsicht, in „matters of style and tradition rather than well-defined and articulated ideology“168. Die Grenzen zwischen den Gruppen waren fließend, ebenso wie die Grenzen gegenüber dem radikalen Flügel der Partei. Ohne in den Inhalten durchgehend zu differieren, setzten die WhigLiberalen andere politische Akzente als die Konservativen169. Sie waren konfessionell und religiös breiter, genuin freihändlerisch und vor allem traditionell reformpolitisch orientiert – die Betonung liegt auf „genuin“ und „traditionell“ im Unterschied zu den adaptierten konservativen Positionen –, so daß gerade Parlamentsreformen, insbesondere nach 1832, als klassische Domäne der Liberalen erschienen. Diese inhärent anders akzentuierte politische Haltung ist auch am Tonfall öffentlicher Äußerungen zu erkennen; konservative Äußerungen klingen hörbar paternalistischer als liberale, ohne daß diese direkt partizipatorisch zu nennen wären. In dieser Hinsicht ist auch Bulwer-Lyttons Einschätzung des Whiggismus als „intellektueller Mode“ mit „sozialer Intimität zwischen der Gelehrtenrepublik und den Parteiführern einer glänzenden (polished) Aristokratie“ zu verstehen170. Die durchgehende whig-liberale Neigung zu mit der außerparlamentarischen „öffentlichen Meinung“ korrespondierenden politischen Reformen, ob im mittleren 19. Jahrhundert primär traditionell whig-aristokratisch oder eher modern liberal generiert171, stellte sich in konservativer Sicht hingegen als Populismus dar172. Demgegenüber erschienen die Konservativen den Whig-Liberalen als doktrinär und ignorant, die eine deutliche Demarkationslinie zwischen Liberalen und „Ultra Tories“ ausmachten173. Diese Ein168 169
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MANDLER, Aristocratic Government, S. 8. Vgl., neben der genannten Literatur, beispielsweise T.B. Birchs Adresse an die Wähler von Liverpool vom 28. Juli 1847, in: THE TIMES vom 29. Juli 1847, S. 4d/e, und J. Heywoods Adresse an die Wähler von North Lancashire vom 3. August 1847, in: THE TIMES vom 4. August 1847, S. 3d, William Angersteins Adresse an die Wähler von Greenwich vom 5. Oktober 1858, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,6, und Edward Bulwer-Lytton an John Forster, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 157–159, hier 158. BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560, hier 556 f. Vgl. dazu MANDLER, Aristocratic Government, S. 2–6, 19–22, 32–42 und 280–282, sowie PARRY, Liberal Government, S. 3f., 13 und 304. Vgl. dazu etwa den Artikel „Caution to Conservatives“ in: THE PRESS, Vol. IV, No. 159 (17. Mai 1856), S. 457 f. Vgl. Graham an Cornewall Lewis, [Ende September] 1848, PARKER, Life of Graham II, S. 66 (dort das Zitat), Clarendon an Graham, [20. Januar] 1849, PARKER, Life of Graham II,
6. Selbstverständnis und Programmatik
143
schätzung galt vor allem den Protektionisten, sie verlor aber im Laufe der fünfziger Jahre an Boden. Angesichts der parlamentarischen Situation und der eindeutigen Mehrheiten für Palmerston waren es mehr die Konservativen als die Liberalen, die eine strukturelle Nähe zu den Whigs beobachteten und politisch umzusetzen suchten. Denn Whigs und Tories einte, so BulwerLytton, vor allem die Bindung an das Land und den Landbesitz – in dieser Hinsicht waren die Konservativen den Whigs näher als den Peeliten –, und angesichts des gesamtgesellschaftlichen Bedeutungsverlustes des landed interest gegenüber den neuen produzierenden und handeltreibenden Schichten in den Städten sah Lord Lonsdale in einer „Union der Tory- und der Whig-Aristokratie“ schon die letzte Chance174. Weniger zugespitzt war dennoch, entgegen Disraelis eigentlicher Vorstellung von der klaren Abgrenzung und politischen Kontroverse der Parteien, unter den Konservativen die Vorstellung weit verbreitet, die Whigs gegen ihre radikalen Parteigänger unterstützen zu müssen175, die auch dem party truce der frühen sechziger Jahre zugrunde lag: My idea of angelic behaviour consists of supporting Palmerston and opposing Bright on all possible occasions – at all events the latter.176
Fundamentale programmatische oder inhaltliche Unterschiede bestanden zwischen Whigs und Tories nach 1852 kaum, und dieser Umstand verweist auf den Bedeutungsverlust der Grenzen zwischen den herkömmlichen Parteiungen und die Formierung neuer Konstellationen, die jedoch durch den Zusammenschluß der Liberalen Partei 1859 bis zur offensichtlichen Herausbildung von Gladstones Reformliberalismus gegen Ende der sechziger Jahr zu einem guten Teil verschleiert wurde. Ob eine Zusammenarbeit mit den Whigs oder moderaten Liberalen vorgeschlagen177 oder ob der Untergang der Whigs angesichts der eigentlichen Auseinandersetzung zwischen Kon-
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S. 77–80, hier 77, und Grevilles Tagebucheintrag vom 23. Juli 1852, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 345–349, hier 346 f. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag über ein Gespräch mit Bulwer-Lytton vom 27. Februar 1853, STANLEY JOURNALS, S. 100, und Lonsdale an Croker, 2. Februar 1855, CROKER PAPERS III, S. 327. Vgl. dazu schon Croker, Political Prospects of France and England, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 287: „a Whig Government is always sure, in such emergencies, that Conservative support will counterbalance the mutiny and disaffection of its own disorganizing followers“. Cecil an Carnarvon, Ostern 1861, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60761, fol. 14. Vgl. Dudley Baxter, Memorandum on a Conservative Reform Bill, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 52/3.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
servativen und Cobdeniten prophezeit wurde178 (wie er in gewissem Maße 1886 ja auch eintrat) – stets galten nicht die Whigs oder die gemäßigten Liberalen, sondern die (zahlenmäßig keineswegs so starken) Radikalen179 als die eigentliche Herausforderung und Gefahr, als „most determined adversary“180 für die Konservativen. Hier sprach Henry Drummond einmal repräsentativ für seine Partei: The old Whigs are quite as far removed from any Democratic tendencies as Tories; and so are many Liberals as far removed from admiration for the American constitution as are Conservatives; and therefore these two names are not only inapplicable to express the political feeling of parties at the present day, but they tend to strengthen the hands of the Democrats, by continuing disputes and differences by means of words which have now become absolutely void of all sense and meaning.181
Im Gegensatz zu den Whig-Liberalen waren die Radikalen den Konservativen in der Tat in beinahe jeder Hinsicht politisch diametral entgegengesetzt, was die Konservativen selbst mindestens in ebensolcher, wenn nicht noch größerer Schärfe wahrnahmen. Die Gegensätze begannen mit dem Menschenbild und den erkenntnistheoretischen Grundlagen, wo die Radicals als Vertreter der Lehre von der Perfektibilität des guten Menschen und des theoretisch-abstrakten Rationalismus identifiziert wurden; diese „sentimentale Pseudo-Religion“, so die konservative Sicht, lief nicht nur pragmatischem konservativem Empirismus zuwider, sondern lehrte blinden Gehorsam und Fanatismus und opferte das altehrwürdige Erbe der Tradition auf dem Altar der dogmatischen Logik und des „divine right [. . .] of the multitude“182. Indem diese von den Konservativen ohnehin rundherum abgelehnte Herrschaft der Zahl aber ganz einseitig „shop-keepers, hand-loom weavers, colliers and iron workers“ gegenüber „gentlemen, clergymen, yeomen, and farmers“ bevorzuge, offenbare der Radikalismus seine gesellschaftspolitische Stoßrichtung: „to destroy territorial influence, and to give power to the towns“183. Der große Konflikt des Jahrhunderts werde, so Cecil, zwischen
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Vgl. Bulwer-Lyttons Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99. Vgl. dazu Kapitel IV.1.c). Cranborne, Unterhausrede vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, hier 1528. [DRUMMOND], Political Parties, S. 1. R. Cecil, The United States as an Example, in: QR 117, Nr. 233 (Januar 1865), S. 249–286, hier zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 154 f.; vgl. auch Disraeli, Unterhausrede, 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 980. W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 256 f.
6. Selbstverständnis und Programmatik
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„mere numbers“ und property ausgetragen184. Der Radikalismus suchte demzufolge letztlich nichts anderes als die Revolutionierung der Sozialordnung des Landes, im doppelten Sinne des Begriffs. Denn dieser Angriff treffe nicht nur die ländliche Aristokratie und das House of Lords, sondern zugleich die gesamte auf ihr ruhende politische Ordnung: the real struggle, the real battle of the Constitution which has to be fought is whether the preponderance, in the legislative power, is to rest with the land and those connected with it, or with the manufacturing interests of the country. If the former, the Throne is safe; if the latter, in my deliberate judgement, it is gone.185
Die Vorstellungen der Radikalen liefen demzufolge nicht nur auf eine „amerikanische“ Demokratie und überhaupt ein Modell „amerikanischen“ Fortschritts hinaus, was insbesondere während des Amerikanischen Bürgerkrieges besonders negativ konnotiert war, sondern machten aus einer „first-rate monarchy“ eine „second-rate & manufacturing republic“186. Und da die Konservativen sich grundsätzlich als die Verfassungspartei im umfassenden Sinne der politischen und der gesellschaftlichen Ordnung verstanden, kulminierte die gesamte Ablehnung der Radikalen im Verdikt der „anti-constitutional party of this country“187. Und so war es einmal mehr Robert Cecil, der die konservative Haltung, wenn auch in eigener Zuspitzung, so doch am pointiertesten ausdrückte: if Conservative has any meaning at all, it means anti-Radical. The Radicals are the only inheritors of the revolutionary views which the Conservative party was set up to counteract; and the two can no more act together, if both are honest, than a weasel can act with a rat. Hostility to radicalism, incessant, implacable hostility, is the essential definition of Conservatism.188
Der Konservativen Partei kam diesem Verständnis zufolge die Funktion des „sheet-anchor against the current and the storm of revolution“189 zu. Doch wenn Croker und Cecil die Bilder des Meeres und der steigenden Flut wählten, dann lag dem zugleich die fatalistische Einsicht zugrunde, daß ihre Dämme zwar bis zu einer gewissen Höhe halten würden, daß sie den 184 185 186
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R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 219. Derby an Croker, 22. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237. Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/232 („first-rate monarchy“), Disraeli an George Frederick Young, 19. Oktober 1849, EBD., 1902/237 („secondrate & manufacturing republic“), sowie Disraelis Leitartikel in THE PRESS, Vol. I, No. 3 (21. Mai 1853), S. 49 f., hier 49 (zur Autorschaft Disraelis vgl. DISRAELI LETTERS VI, S. 562, App. VII; dort: „amerikanisch“). W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 255 f. R. Cecil, English Politics and Parties, in: BQR Vol. I, Nr. 1 (März 1859), S. 1–32, hier S. 12. Croker, The Budget, in: QR 92, Nr. 182, S. 236–274, hier 273.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
Naturgewalten letzten Endes jedoch schutzlos ausgeliefert seien. In der Tat war die angsterfüllte Vorstellung weit verbreitet, daß die Zeit gegen die Sache der Konservativen arbeite und daß sie letztlich auf verlorenem Posten stünden. Doch erstens erlebte diese Haltung zwischen 1846 und 1867 signifikante Änderungen190, und zweitens suchte Disraeli, wenn auch gegen viele Widerstände, so doch in führender Position, den Wandel nicht nur zu erleiden, sondern selbst zu gestalten und das radikale Projekt mit einem spezifisch konservativen Profil zu kontern. C) DISRAELI: ONE NATION CONSERVATISM UND NATIONAL PARTY
Disraeli ist die wohl widersprüchlichste und schillerndste Figur der mittviktorianischen Konservativen. Keiner ihrer Führer war tiefer aus den Mittelschichten gekommen, und niemand sprach so viel von der Bedeutung der Aristokratie wie er; niemand sprach so viel von Prinzipien wie er, und niemandem wurde größerer Opportunismus vorgeworfen als ihm, zumal er Antiradikalismus predigte und Kooperation mit den Radikalen suchte, um, wie im Juni 1853, die Regierung in die parlamentarische Bredouille zu bringen. Wenig erbaut kommentierte Derby, a considerable portion of the dissatisfaction which has shown itself is attributable to an uneasy feeling among our Conservative friends as to a supposed understanding, and, to a certain extent combination, between yourself and the Manchester School; [. . .] they are unwilling apparently to unite with men of whose intentions they entertain no favourable view, for the purpose of overthrowing the Government. I confess that I share this latter feeling; and should be sorry to see the Administration displaced at this moment by a vote produced by a junction of the most conflicting elements [. . .] I cannot conceal it from you that there is reported to me to be a growing fear [. . .], that you are gradually withdrawing yourself more & more from the Conservative portion of our supporters, and seeking alliances in quarters with which neither they nor I can recognize any bond of union.191
Schon im Dezember 1852 hatte Disraeli als Schatzkanzler, im Angesicht der Niederlage über seinen Haushalt, die Unterstützung John Brights gesucht und ihm am Vorabend der entscheidenden Abstimmung, auch in diesem Falle zum großen Verdruß Derbys192, gemeinsame Zukunftsperspektiven
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Vgl. dazu v.a. Kapitel IV.3.c), V.4 und VI. Derby an Disraeli, 20. Juni 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2537/244 Anm. 1; zum Vorgang vgl. auch EBD., 2535/243 mit Anm. 1, sowie M&B III, S. 510–514. Vgl. Derby an Disraeli, 15. Dezember 1852, M&B III, S. 440 f., auszugsweise in DISRAELI LETTERS VI, 2465/199 f. Anm. 1.
6. Selbstverständnis und Programmatik
147
aufzuzeigen versucht. Berühmt geworden ist die Überlieferung, daß Disraeli seinem Gegenüber erhebliche Konzessionen in Aussicht gestellt habe; J.B. then said ‚That is certainly more than I could hope for from the Whigs during the next 20 years, but now I want to know what are the measures you want me and my followers to vote for.‘ Dizzy began to describe his programme, but before he had gone far J.B. threw up his hands and said: ‚But I can’t vote for all this. It would be contrary to my principles.‘ Dizzy rebuffed: ‚Principles! You men of principle, you’re the puppets whom we statesmen manipulate for our purposes.‘193
Da sich diese Aussage gut in das gängige Disraeli-Bild des hemmungslosen Opportunisten einfügt, wird sie weithin quellenkritisch ungeprüft übernommen; allerdings handelt es sich um eine völlig ungesicherte Überlieferung, die der Sohn eines Vertrauten Brights über die Erzählung seines Vaters aus dem Jahre 1882 im Juni 1925 in einem Brief an Brights Schwiegertochter schriftlich fixierte194. Brights eigene Tagebuchaufzeichnung über das Gespräch fällt demgegenüber weit weniger dramatisch aus; immerhin kam auch er zu der Überzeugung: This remarkable man is ambitious, most able, and without prejudices. He conceives it right to strive for a great career with such principles as are in vogue in his age and country – says the politics and principles to suit England must be of the ‚english type‘, but having obtained power, would use it to found a great reputation on great services rendered to the country. He seems unable to comprehend the morality of our political course.195
Bright brachte das Problem Disraeli auf den Punkt: mit den Begriffen „Prinzipien“ und „englisch“ benannte er zentrale Begriffe von Disraelis politischem Denken und Reden, und er kontrastierte sie sogleich mit seinem notorischen Opportunismus. Für Disraeli selbst löste sich dieser vermeintliche Gegensatz durch die Unterscheidung zwischen der unveräußerlichen Substanz und der disponiblen Akzidenz196. Eine solch allgemeine Position
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Arthur Bayley Potter an John Brights Schwiegertochter, 11. Juni 1925, NL Bright, BL London, Add MSS 43389, fol. 379–382, hier 382; überliefert in DISRAELI LETTERS VI, 2464/198 Anm. 1, vorsichtig formuliert bei BLAKE, Disraeli, S. 343, aber, wie ansonsten auch, nicht quellenkritisch problematisiert. Vgl. dazu Potters Brief, fol. 379: „I endorse the particulars of my father’s [i.e. Thomas Bayley Potter, AR] story. I heard him tell it three or four times, and it never varied. About 1882 I asked him to tell it me again, and I made a note of the parts I have underlined in red, but I have lost the memorandum. My father was not clever enough to have invented this story. I always understood that Bright himself had told my father the story, but I cannot be certain about that. The interview took place shortly before the Conservatives were turned out of office, and I have no doubt it was the incident of Dec 16 1853 [sic] referred to in J. B’s diary.“ Tagebucheintrag Brights zum 15. Dezember 1852, BRIGHT DIARIES, S. 128–130, hier 130. Vgl. Disraelis Rede bei einem Dinner in der Merchant Taylor’s Hall, M&B IV, S. 264: „I have always striven to distinguish which was eternal from that which was but accidental in its [the
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II. Grundlagen des politischen Denkens
gewinnt ihre Spezifik unterdessen erst durch die konkrete Umsetzung; und in der Tat bewegte sich das Konzept einer populären „National Party“197 in zumindest für die Zeitgenossen zuweilen schwer unterscheidbarer Nähe zu populistischer Prinzipienlosigkeit. Doch Disraelis vielfältig ausdeutbare und anwendbare Topoi198 – vor allem die territorial constitution und das aristocratic settlement, one nation und die national party – besaßen nicht nur, wie hier anzuzeigen ist, rhetorische Stringenz, sondern auch, wie in den folgenden Kapiteln im einzelnen entwickelt wird, unterscheidbare politische Kontur199. Schon in seiner Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom Mai 1847 – zeitlich noch im Umfeld der sozialromantischen Ideen von Young England und seiner Romane200 – ging er von der ländlich-aristokratischen territoral constitution aus, die an diese hierarchische Ordnung gebundene, nicht emanzipatorisch verstandene „popular rights and public liberty, imperial power and social happiness“ gewährleiste201. Ebendiese Elemente benannte er auch in seiner berühmten Rede im Kristallpalast im Jahre 1872 als die „three great objects“ der Partei202. In der Tat behielt er Diktion und zentrale Gedanken über Jahrzehnte hinweg grundsätzlich bei, so daß eine Trennung in den romantisch-utopischen jungen und den pragmatischen reifen Disraeli zumindest in dieser Hinsicht nicht festzustellen ist203. Diese „territoriale Verfassung“ beruhte auf der zivilgesellschaftlichen lokalen Selbstverwaltung anstelle staatlich zentralisierter Bürokratie, auf den bestehenden Institutionen des Landes, wie sie auch andere Konservative stets benannten – Kirche, Monarchie, Oberhaus etc. –, und in diesem
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Conservative Party’s; AR] opinions. I have always striven to assist in building it upon a broad and national basis, because I believed it to be a party peculiarly and essentially national.“ Vgl. dazu auch BLAKE, Disraeli, S. 278–284 und 482 (mit Schwerpunkt auf „territorial constitution“ und „aristocratic settlement“ gegenüber dem umfassenderen Begriff von „one nation“ und „national party“), SAAB, New Tories, S. 300 f. und 310, und SMITH, Disraeli, S. 143 und 217. Zum Topos-Begriff vgl. Anm. 45. Vgl. dazu bes. Kapitel IV und V.4. Schon 1832/33 hatte Disraeli anläßlich seiner ersten Bewerbungen um einen Unterhaussitz von der Idee einer „National Party“ aus Tories und Radicals gesprochen „to maintain the glory of the Empire and to secure the happiness of the People“, zit. nach BLAKE, Disraeli, S. 93; zu Disraeli und Young England vgl. auch S. 167–189. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 25. Mai 1847, M&B III, S. 20–22. Disraeli, Rede im Kristallpalast, 24. Juni 1872, zit. nach HANHAM (Hg.), Nineteenth-Century Constitution, S. 216: „the maintenance of the Empire, [. . .] the upholding of our institutions [. . . and] the elevation of the condition of the people.“ Vgl. zu dieser insbes. von Robert Blake vertretenen These die Zusammenfassung der Forschungspositionen bei SMITH, Disraeli, S. 5, so auch SAAB, New Tories, S. 300.
6. Selbstverständnis und Programmatik
149
Rahmen auf der Führung durch die (ländlichen) „gentlemen of England“ vor allem aus Gentry und Aristokratie, die sich auf paternalistische Weise auch um eine Verbesserung der sozialen Lebensverhältnisse der working classes und der ärmeren Schichten kümmerten und im Rahmen dieser Ordnung Reformen durchführten204. Mit diesem Konzept von Gesellschaft und Politik war es inhaltlich kein großer und doch ein kühner Schritt Disraelis, in den sechziger Jahren den Namen „Tory“ signifikant und offensiv in Gebrauch zu bringen205. Mit dieser Politik erhob Disraeli den Anspruch, die wahren Belange, Interessen und Rechte des Volkes zu vertreten, wobei der Begriff „people“ nicht spezifisch soziologisch gefüllt, sondern in seiner Semantik vorausgesetzt und deklamatorisch verwendet wurde, mit polemischer Spitze gegen die Rhetorik und die Ansprüche der Liberalen und vor allem der Radikalen, für das Volk zu sprechen206. Jedenfalls war dieses Volk etwas anderes als die in Arm und Reich geteilte, fragmentierte Nation, die er 1845 in „Sybil or The Two Nations“ beschrieben hatte: es war „one nation“, und in diesem Sinne war Diraelis „Lebenstraum“ zu verstehen: „re-establishing Toryism on a national foundation“207, als „national party of England“208, wie er in Verbindung von eigener Konzentration auf den englischen Reichsteil und allgemeinem Sprachgebrauch formulierte. One nation griff in sachlicher Hinsicht auf das vorindustrielle „countryideologische Paradigma“ der ländlich geprägten societas civilis209 zurück. Es firmierte in Disraelis Geschichtsbild und Rhetorik als „popular English Toryism“ des 18. Jahrhunderts, der mit seiner „nationalen“ und sozial inte-
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Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964 (dort das Zitat), Disraelis Adressen an die Wähler von Buckinghamshire vom 1. März und 6. Juni 1852, in: THE TIMES vom 2. März 1852, S. 5f sowie vom 7. Juni, S. 5e/f, auch in DISRAELI LETTERS VI, 2304/74 f., sowie die Adresse vom 19. März 1857, in: THE TIMES vom 19. März 1857, S. 9b, und seine Unterhausrede vom 1. August 1862, zit. in M&B IV, S. 379. Vgl. auch Parry, Disraeli, S. 707. Vgl. John Trelawnys Tagebucheintrag vom 7. August 1862, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 217–222, hier 219: „Disraeli has boldly adopted the name of ‚Tory‘“. Vgl. Disraelis Rede auf dem Mansion House Banquet am 7. August 1867, M&B IV, S. 553, das konkrete Datum nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 264 Anm. 2; vgl. auch Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 25. Mai 1847, M&B III, S. 20–22. Zum Begriff des Volkes (people) vgl. Kapitel V.4. Disraeli an Lord Beauchamp, 18. April 1867, M&B IV, S. 528. Rede Disraelis in Edinburgh, 29. Oktober 1867, in: THE TIMES vom 30. Oktober 1867, S. 5a-e, hier zit. nach COWLING, 1867, S. 15. Vgl. WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 107–128 (das Zitat S. 107), zusammengefaßt in WIRSCHING, Bürgertugend, S. 180–186 (dort auch Hinweise auf die einschlägigen Arbeiten von John Pocock). Zur societas civilis vgl. bes. Kapitel IV.2 sowie IV.5.b) und c).
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II. Grundlagen des politischen Denkens
grativen Ausrichtung der „faktionalen Politik“ der oligarchischen Whigs entgegenstand210. Die alte „country party“ war demzufolge a party who were the foremost to vindicate popular rights – who were the natural leaders of the people, and the champions of everything national and popular.211
„One nation“ bedeutete für Disraeli im mittleren 19. Jahrhundert die Verhinderung des Klassenkampfes und die Harmonisierung der gesellschaftlichen Schichten im Rahmen der territorial constitution212 und die teils parallel dazu verlaufende, teils quer dazu liegende Versöhnung von Land und Stadt, deren Diskrepanz und Interessenkonflikt in sozio-ökonomischer Hinsicht über der Abschaffung der Getreidezölle 1846 so klar vor Augen getreten war und die durch die Industrialisierung noch weiter aufzuklaffen drohte. In Disraelis Worten: the New Pragmatic Sanction which is to reconcile town and country, and lay the Foundations of a National party213, to reconstruct the party on a wider basis, and trying to lay the foundation of a permanent system.214
Diese Vorstellung der „einen Nation“ unter Beibehaltung der grundsätzlich hierarchischen und ungleichen Gesellschaftsordnung unter aristokratischer Führung bei gleichzeitiger Ausweitung der politischen Nation war der Versuch einer eigenständigen konservativen Antwort auf die sozialen Verwerfungen, die der Durchbruch der industriellen Massengesellschaft mit sich brachte. Sie war ein eigene, reale und perzipierte Traditionen aufgreifender, ganzheitlicher und organischer Gesellschaftsentwurf, der die substantiell ländlich geprägte, vormoderne Sozialordnung der „territorial constitution“ durch eine spezifische inhaltliche und soziale Erweiterung des Konzepts 210
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Vgl. JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 138 f. und 141–151 (die Zitate 141 und 139), der zu dem Schluß kommt, daß Disraeli sein Geschichtsbild nicht zwecks politischer Instrumentalisierung konstruierte, sondern auf umfangreichen historischen Studien und seriöser Überzeugung gründete; ebenso PARRY, Disraeli, S. 700, 707 f. und 726. Zum Phänomen des „popular Toryism“ vgl. MCWILLIAM, Popular Politics, S. 90–97; einzelne allerdings sehr allgemeine, auch begrifflich nicht näher spezifizierte Hinweise bei JOYCE, Visions, S. 35 f., 56, 66–72, 105 und 174; dazu kritisch Lawrence, People, S. 54–58. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964. Vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 1. März 1852, in: THE TIMES vom 2. März 1852, S. 5f („to terminate that strife of classes“). Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207; vgl. auch Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/232, Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 6. Juni 1852, in: THE TIMES vom 7. Juni 1852, S. 5e/f, auch in DISRAELI LETTERS VI, 2304/74, Malmesbury an Disraeli, 3. Februar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 99/1, fol. 84–89, hier 84 f. (alte Signatur B/XX/ HS/30). Disraeli an Derby, 13. August 1858, M&B IV, S. 183.
6. Selbstverständnis und Programmatik
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der societas civilis in die neue Zeit hinüberzuretten und auf die moderne Industriegesellschaft auszuweiten und zu übertragen suchte. Dabei knüpfte diese Rede von der „Nation“ auf eigene Weise und unter besonderer Betonung des Englischen an ein zentrales Element des allgemeinen viktorianischen Diskurses an, nicht zuletzt und insbesondere auf seiten des popular Radicalism215, gegen den das gesamte Konzept zugleich in erster Linie gerichtet war (was bereits auf die spezifische Ambivalenz im Verhältnis zwischen Disraelis Konservatismus und Radikalismus verweist). Disraelis Begriff der „Nation“ umfaßte mehrere Bedeutungsebenen und war obendrein semantisch erweiterbar. „Nation“ konzeptualisierte, erstens, in gesellschaftlicher Hinsicht die (unumstritten männlich bestimmte und grundsätzlich an Besitz gebundene) soziale Einheit im Sinne der „One Nation“. Sie war getragen von der tradierten, hierarchischen und sozial-integrativen, lebensweltlich integralen territorial constitution unter Einschluß der staatsfreien lokalen Selbstverwaltung über die Anglikanische Staatskirche bis hin zur epistemologischen Ablehnung von abstrakten Ideologien. Dieses Set machte zweitens in kultureller Hinsicht den spezifisch englischen (und anti-radikalen) „national character“216 aus, dessen Bedeutung drittens ins Patriotische (so war es auch beabsichtigt) und schließlich ins Imperialistische (so kam es später) hinüberzureichen vermochte. Schließlich konnotierte „Nation“, viertens, die politische Repräsentation der Interessen des Volkes, abermals in direkter Konkurrenz zum popular Radicalism, durch die national party: The Tory party is only in its proper position when it represents popular principles. Then it is truly irresistible. Then it can uphold the throne and the altar, the majesty of the empire, the liberty of the nation, and the rights of the multitude. There is nothing mean, petty, or exclusive, about the real character of Toryism. It necessarily depends upon enlarged sympathies and noble aspirations, because it is essentially national.217
Daß er seiner Partei und ihrer ländlichen Beharrungskraft diese Disposition der „territorial constitution“ und der „national party“ mit all seinen Ambitionen, seiner Energie, seiner unkonventionellen Phantasie und seiner an Rückgratlosigkeit grenzenden Flexibilität oft nicht zu kommunizieren vermochte, liegt dabei auf der Hand: „I have tried some of its points and ten215 216
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Vgl. VERNON, Politics and the People, S. 295–330, bes. S. 298–301, 314 und 326 f., und MCWILLIAM, Popular Politics, S. 81–97. Vgl. z. B. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 25. Mai 1847, M&B III, S. 22, sowie Coalition, in: THE PRESS Vol. 1, No. 1 (7. Mai 1853), S. 1, Autorschaft Disraelis nach DISRAELI LETTERS VI, S. 562 (App. VII). Vgl. PARRY, Disraeli, S. 704 f., 707 f. und 726. Disraeli, Rede auf einem Party Dinner am 26. Juni 1863, M&B IV, S. 380.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
dencies on some of our friends here – and they bite“218. Denn Disraelis Konservatismus entsprach bei aller Betonung des Landes und der Aristokratie eben nicht dem traditionellen ländlichen Konservatismus protektionistischer Observanz. So lag es nahe, daß die traditionellen Konservativen an Disraeli und seine Entourage die wenig verständnisvolle Frage richteten, „in what sense, and of what, are they Conservatives?“219 Sie sahen weniger Stringenz und Kontingenz der „einen Nation“ in einem scharf umrissenen, aber auch wenig umfangreichen Terrain der Substanz als vielmehr die Gefahr, daß seine Flexibilität auf dem ungleich weiteren Feld der Akzidenz konservative Grundsätze nicht nur auf Biegen, sondern auch auf Brechen dehne und die Konservativen zu Tode siegen könne: We cannot look with complacency at the distant but rising storm of Democratic spoliation, even though we see it across a long vista of Tory victories gained and Tory Administrations upheld by Radical assistance. Party loyalty is good when paid to a worthy object, and paid without misgiving. Party discipline is a means to a great end; but in some emergencies, and under some leaders, it may be made to frustrate the end at which it aims.220
Dieses Spannungsfeld zwischen Disraeli und seiner Partei füllt unterdessen den Rahmen, der die Entwicklung der konservativen Partei nach 1846 umschreibt. D)
BULWER-LYTTON: „SPIRIT OF CONSERVATISM“
Politisch weit weniger prägend als Disraeli, aber auch weniger kontrovers, vermochte Edward Bulwer-Lytton, der bis 1841 auf den liberalen Bänken des Unterhauses gesessen hatte und 1852 für die Konservativen in die zweite Kammer einzog, den Tories verschiedentlich inhaltliche Impulse zu vermitteln. Und aus seiner Feder stammt mit dem Essay „On the Spirit of Conservatism“, der im Rahmen seiner Sammlung „Caxtoniana“ im Oktober 1863 erstmals in Blackwood’s Magazine erschien, die einzige näherungsweise, allerdings persönlich verantwortete, nicht institutionell initiierte oder getragene Programmschrift der Konservativen. Bulwer-Lyttons „Spirit of Conservatism“ bündelte die Grundlagen konservativen politischen Denkens zwischen Parteispaltung und Wahlrechts218 219 220
Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207. Tagebucheintrag Shaftesburys vom 21. Mai 1858, HODDER, Shaftesbury III, S. 68. R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 157. Vgl. auch, aus kontinentaler Beobachterperspektive, THEODOR FONTANE in seinen Unechten Korrespondenzen, I, S. 107–109.
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reform. Im Zentrum stand die wechselseitige Verbindung von Freiheit und Ordnung (mit einer letzten Präferenz für die Ordnung): „the state will be the best in which liberty and order so, as it were, fuse into each other, that the conditions prescribed by order are not felt by restaints on liberty“221. Die spezifisch englischen Freiheiten wurden durch die harmonische Ordnung („the just equilibrium of forces [. . .] in harmonious combination“222) gewährleistet, die im konkreten Falle ebenfalls spezifisch englisch war, im allgemeinen aber von den jeweiligen zeitlichen und räumlichen Umständen abhing. Denn „each leading state in civilised Europe has its idiosyncrasies“; und Fortschritt bedeute nichts anderes als die Entfaltung der in diesem Organismus angelegten Anlagen, „the advance towards the fullest development of forces of which any given human organisation [. . .] is capable.“ Die zu diesem Zwecke erforderlichen Reformen dienten daher substantiell der Bewahrung und seien auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet: „Conservatism, rightly considered, is the policy which conserves the body politic in the highest condition of health of which it is capable, compatible with longevity“223. Dabei war das Gemeinwesen, in konservativ utilitaristischem Sinne, mit seinem Zusammenhang von Freiheit und Ordnung auf das Wohlergehen der Menschen („prosperity“) angelegt, und konservative Politik diente der Einigung aller Klassen und Interessen des Landes224. Wie im Falle Disraelis stand hinter dieser Vorgabe der Begriff der Nation – „A conservative party must be national, or it is nothing“225 –, der auch bei Bulwer-Lytton seine innere, soziale Bedeutung trug, im Hinblick auf die englische „Idiosynkrasie“ auch kulturell konnotiert war und drittens aber, über die bei Disraeli erst angelegten Potentiale hinaus, direkt außenpolitisch ausgerichtet war und so
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BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 430; vgl. auch SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 215 f.; vgl. auch Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 26. März 1855, zit. nach DISRAELI LETTERS VI, 2740/414 Anm. 3 („a warm and generous love for the free laws, the liberal altars, and the glorious people of the land in which we live“), LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 310. BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 560. BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 432–434, die Zitate 432 und 433, vgl. auch 436 f.: „The true conservative policy in any given state is in self-preservation; and self-preservation does not confine itself to the mere care for existence, but extends to all that can keep the body politic in the highest state of health and vigour: therefore progress and development of forces are essential to self-preservation. But according to a conservative policy, such progress and such development will always be encouraged with a due regard to the idiosyncratic character of a state, such as it has been made by time and circumstance.“ Vgl. EBD., S. 433, BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 560, und Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232, hier 1232. BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 434.
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II. Grundlagen des politischen Denkens
die Ebene der Außenpolitik, bei allen Zweckmäßigkeitserwägungen auf diesem Gebiet im einzelnen, in das konservative Selbstverständnis aufnahm226. Er vertrat einen Patriotismus, den er als „enlightened love of country“ verstand und dem er in außenpolitischer Hinsicht den Vorzug vor humanistischen Erwägungen gab, weil er die Ziele der Philanthropie einschließe, „without making Philanthropy its avowed object“227. Daher hielt er auch eine Außenpolitik der non-intervention für originär konservativ, weil sie die Eigenarten anderer Staaten respektiere und durch Frieden die eigene Ordnung Englands bewahre. E)
GESCHICHTSBILDER
Wer von der kognitiven Unvollkommenheit des Menschen ausgeht und sich daher in erster Linie auf Erfahrungswerte statt auf rationale Theorien verläßt, wer der Tradition legitimierende Kraft zumißt und auf die Bewahrung der überkommenen Ordnung bei behutsamer, organischer Weiterentwicklung setzt, der richtet seinen nach Orientierung suchenden Blick in die Vergangenheit, die er als grundsätzlich positive Bezugsquelle und nicht als durch Veränderungen zu überwindende Negativfolie versteht. So stellt sich die Frage, ob die Konservativen sich bestimmte Geschichtsbilder machten und in der politischen Argumentation artikulierten. Zumindest im Rahmen der hier untersuchten Debatten und Äußerungen blieben konkrete historische Bezugnahmen in sachlicher ebenso wie in quantitativer Hinsicht indes sehr vereinzelt. Diese bezogen sich grundsätzlich auf drei Quellen: die angelsächsische Zeit, die Reformation und die Glorreiche Revolution. Die Sachsen galten als Begründer der durch die Gesellschafts- und Verfassungsordnung, das Recht und die Kirche garantierten englischen Freiheiten, die sich über tausend Jahre hinweg zunehmend entfaltet hätten; diese Interpretation bestritt nicht zuletzt den maßgeblichen Anteil der Whigs an der Geschichte der englischen Freiheit228. Auch die Reformation und der Protestantismus wurden, nicht zuletzt im Kontrast zum 226 227 228
Vgl. dazu Kapitel VIII. Vgl. BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 434 f., das Zitat S. 435. Vgl. die Adresse Bulwer-Lyttons vor dem 16. Dezember 1848, HEREFORD TIMES, 16. Dezember 1848, hier nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 92, sowie James Whitesides Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 258–277, hier 272: „Those [i.e. the Saxons] who had laid the foundations of our liberties, of the constitution under which we live, and of our common law, had no notion of the existence of a State without having in every district a church that might be suitable, in which the nation acknowledged the God that conferred such blessings on it.“ Vgl. auch JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 136 und 142 (dort zu den Positionen der zeitgenössischen Historiographie).
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römischen Katholizismus, in diese freiheitliche Tradition eingeordnet, die zugleich englische Größe und Besonderheit begründete229. Die Revolution von 1688 schließlich wurde, ganz in der Tradition Burkes230, nicht als Umsetzung eines emanzipatorischen Prinzips, sondern als Beseitigung eines konkreten Mißstandes unter möglichst geringer Abweichung von der bestehenden Ordnung zwecks ihrer Erhaltung aufgefaßt231, und insofern ließ sie sich in eine Tradition der „gemäßigten Freiheit“232 einfügen. Von einem kohärenten Bild, gar einer konservativen Legende des 17. Jahrhunderts konnte indes keine Rede sein. Die Puritaner und die Herrschaft Cromwells etwa unterlagen unterschiedlichen Bewertungen233, und auch zu den Ereignissen von 1688 waren kritische Stimmen solcher Art zu vernehmen, daß sie die oligarchische Herrschaft der Whigs fundiert234 oder dem kapitalistischen Geist den Weg bereitet hätten235. Historische Ereignisse, Gegenstände oder Personen spielten in der politischen Argumentation und im politischen Denken der Konservativen in summa kaum eine Rolle. Im Mittelpunkt ihres artikulierten Geschichtsbildes stand vielmehr eine allgemeine, nicht weiter konkretisierte Auffassung der Geschichte als der bewährenden und legitimierenden Tradition durch die Zeiten236. Diese Geschichte hatte den harmonischen Zusammenhang von Freiheit, Ordnung und Moral überliefert, der jeder Spielart von Despotismus entge229
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Vgl. etwa die Unterhausreden Lord Ashleys vom 10. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 300–312, hier 312, und Loftus Wigrams vom 17. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 45–51, hier 45, sowie den Leitartikel in der PRESS vom 23. September 1854, Vol. II, Nr. 73, S. 889. Zur Bedeutung des Protestantismus und der Anglikanischen Kirche vgl. Kapitel VII.1.a) und 2. Vgl. BURKE, Reflections, S. 68 f., 72 und 81: „The Revolution was made to preserve our ancient indisputable laws and liberties, and that ancient constitution of government which is our only security for law and liberty.“ Vgl. J.W. Croker, French Revolution of February, in: QR 86, Nr. 172 (März 1850), S. 526–585, hier 527, und Spencer Walpole, Parliamentary Reform or The Three Bills and Mr. Bright’s Schedules, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 545. Vgl. Charles Newdegates Rede vor der Rugby and Dunchurch Agricultural Association am 26. November 1858, hier nach ARNSTEIN, Newdegate, S. 75. Vgl. etwa den Leitartikel der PRESS vom 23. September 1854, Vol. II, Nr. 73, S. 889, Derbys Regierungserklärung vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 33, James Whitesides Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 272 f., oder Robert Cecils Unterhausrede vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1291–1297, hier 1296. Vgl. Disraelis Aussage gegenüber T.E. Kebbel, KEBBEL, Memories, S. 10 f. Vgl. auch JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 136–139, sowie zu Disraelis Vorstellungen von Whigs und Tories im 18. Jahrhundert Kapitel II.6.c). Vgl. Archibald Alison im Jahre 1883 ad 1862, ALISON, Life and Writings III, S. 407. Vgl. etwa Archibald Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 9 f.: „The old policy of England [. . . im 17. und 18. Jahrhundert; AR] was not introduced – it grew.“
156
II. Grundlagen des politischen Denkens
genstand und die Besonderheit der englischen Tradition ausmachte237. Diese spezifisch englische und spezifisch freiheitliche Verfassungs- und Sozialordnung – our free constitution in Church and State, to which, under Divine Providence, we are indebted for a greater degree of happiness and liberty, than is enjoyed by any other country in the world –
verlieh den englischen Konservativen – und keineswegs nur ihnen – ein Gefühl der nationalen Besonderheit und der deutlichen Überlegenheit gegenüber dem europäischen Kontinent238. Dieses positive Geschichtsbild einer Tradition wachsender Freiheit rückte die konservative Sicht in die Nähe der „Whig Interpretation of History“239 als einem Kontinuum von Fortschritt durch individuelle Freiheit240. Wenn die Konservativen sich dabei auch durch eine eigene Akzentuierung ihres Freiheitsbegriffs unterschieden241 und den optimistischen Fortschrittsgedanken im von den Whigs schon zeitgenössisch vertretenen Maße nicht teilen mochten, so fällt doch auf, daß ihr Bild von der Geschichte keineswegs das (anzunehmenderweise topisch konservative) eines permanenten Verfalls war. Es war spezifisch englisch konturiert. Auf diese Weise dokumentierten die Konservativen auch, ohne daß den Geschichtsbildern ursächliche Bedeutung dafür zukäme, ihre Integration in 237 238
239
240 241
Vgl. Alison, Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier S. 10. Vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 18. Juni 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2317/82 f. (dort das Zitat), Bulwer-Lyttons Adresse aus der HEREFORD TIMES vom 16. Dezember 1848, SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 91 f., George William Cambridges Brief an seine Mutter aus dem Jahre 1850, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 94, den Leitartikel der PRESS vom 30. Juli 1853 (Vol. I, Nr. 13), Goldwin Smith, Imperialism, in: FM 55 (1857), S. 493–506, hier 505 f., Disraelis Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298, Robert Cecil, Church Rates, in: QR 110, Nr. 220 (Oktober 1861), S. 544–578, hier 565, Disraelis Rede in Wycombe vom 30. Oktober 1862, M&B IV, S. 364, BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–360, hier 544 („a composite constitution [. . .] united an unequalled amount of practical liberty with a scrupulous attachment to order“) und 554, sowie Beresford-Hopes Unterhausrede vom 20. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 220–224, hier 223. Zum auch auf radikaler Seite kultivierten, auf die Verfassung bezogenen, spezifisch englisch konturierten Geschichtsbild eines „golden age“ vgl. JOYCE, Visions, S. 172–192, und VERNON, Politics and the People, S. 298–300, 316 und 318–320. BUTTERFIELD, Whig Interpretation of History, S. v („the tendency [. . .] to write on the side of Protestants and Whigs, to praise Revolutions provided they have been successful, to emphasize certain principles of progress in the past and to produce a story which is the ratification if not the glorification of the present“); vgl. dazu auch BENTLEY, Approaches to Modernity, S. 436–442, BENTLEY, Historiography, S. 62–70, und WENDE, Großbritannien, S. 127 f. Vgl. beispielsweise John Russells Unterhausrede vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 55–58, hier 57, über den „gradual progress of human society“. Zum Freiheitsbegriff vgl. Kapitel IV.5.c).
6. Selbstverständnis und Programmatik
157
den nationalen Konsens der allgemeinen politischen Kultur, die namentlich Disraeli nach Kräften betrieb. Dazu zählte auch die Anerkennung der Wahlrechtsreform von 1832, die zwar offiziell bereits 1834 erfolgte, aber doch große mentale Reserven nach sich zog. In den Reformdebatten von 1859 und 1867 hatten die Konservativen, mit ganz wenigen Ausnahmen auf seiten der Hochkonservativen242, endgültig ihren Frieden mit diesem Reformprojekt der Whig-Liberalen gemacht243. Diese Einigkeit resultierte aus der grundsätzlich als bruchlos empfundenen allgemeinen Entwicklung des Landes. Von daher bestand gar kein Bedarf an konkreter Geschichtsinterpretation, um Traditionen oder Mythen zu konstruieren. Dies bedeutet nicht, daß auch ein solch allgemeines Geschichtsbild unter Verzicht auf konkrete historische Argumentationsfiguren nicht seinerseits ein Mythos sein mochte und funktionale Bedeutung besaß. Vor allem wurde die bestehende, aristokratisch dominierte Sozialund Verfassungsordnung aus ihrer historischen Überlieferung heraus legitimiert244 und gegen die aus denselben Gründen delegitimierte „Demokratie“ verteidigt245. Und diese Kontroverse stand im Zentrum des politischen Denkens und der Entwicklung der Konservativen nach 1846.
242 243 244 245
Vgl. die Unterhausreden von Henry Drummond und George Bentinck vom 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1029–1031, hier 1030, und Sp. 1033–1037, hier 1034. Zu den Wahlrechtsreformdebatten von 1859 und 1867 vgl. Kapitel VI.2 und 3. Vgl. Derbys in Kapitel II.6.a) zitierte Regierungserklärung vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 744. Vgl. Ponsonby an Disraeli, 8. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS V, 2194/487 Anm. 2: die Geschichte zeige, „that successful democracy has been [nations’] ruinous end.“
158
II. Grundlagen des politischen Denkens
1. Politische Revolution: 1848
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III. JAHRE DER PANIK: DIE KONSERVATIVEN UND DIE REVOLUTION 1846–1852 1. POLITISCHE REVOLUTION: 1848 Wenn der Konservatismus aus dem Geist der modernen Revolution geboren worden war, dann mußte ihn das 19. Jahrhundert in zweifacher Hinsicht weiter nähren. Denn zum einen stellte die industrielle Revolution die tradierten ökonomischen und gesellschaftlichen Grundlagen in Frage, zum anderen erschütterten die politischen Revolutionen die staatliche Ordnung. Die politische Revolution auf dem europäischen Kontinent von 1848/49 erlebte England weithin aus insularer Beobachterwarte, und angesichts ihres Ausbleibens in England wird ihre Rolle in der britischen Geschichte von der britischen Historiographie bis heute überhaupt nur marginal thematisiert, sei es in vereinzelten Studien überwiegend marxistischer Provenienz, sei es im Zusammenhang der Chartistenbewegung, der Irlandfrage oder der Außenpolitik1. In der Tat wurde die Revolution von 1848 auf der Insel keineswegs annähernd so kontrovers rezipiert wie die erste Französische Revolution, und sie provozierte keine scharf abgegrenzte konservative Position, wie sie sich etwa in Edmund Burkes „Reflections“ niedergeschlagen hatte. Doch war diese Revolution für Konservative per se ein wichtiger Gegenstand der Perzeption, weil sie zur Reflexion des Eigenen zwingen mußte und vor allem weil Revolutionen die Furcht derer erwecken, die sie zu erleiden hätten. A)
DER AUSBRUCH DER EUROPÄISCHEN REVOLUTIONEN
Die „Katastrophe von Paris“2: schon wenige Tage nach den Barrikadenkämpfen und der Proklamation der Republik stand das Urteil nicht nur der Konservativen, sondern auch weitester Teile der Liberalen über die 1
2
Vgl. RUDÉ, Revolution, und SAVILLE, 1848, sowie QUINAULT, 1848, THOMIS/HOLT, Threats of Revolution, S. 100–116, und WEISSER, April 10, sowie BIRKE, Revolution von 1848, und DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 72–87; sehr kursorisch zur englischen Haltung allgemein SCHWENTKER, Erben Burkes, S. 141 f.; vgl. ansonsten die einschlägigen Handbücher wie BENTLEY, Politics without Democracy, GASH, Aristocracy and People, HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 129–131, MCCORD, British History, WEBB, Modern England, S. 279–282, WOODWARD, Age of Reform, S. 144 und 245, oder auch SHANNON, Gladstone I, S. 208 f., JONES, Derby (dort nur zu den Revolutionen von 1789 und 1830), oder BLAKE, Disraeli (keine Erwähnung der Revolution); zu den Chartisten vgl. Anm. 40. Wellington an den König von Hannover, 16. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61, 2/157/126.
160
III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Ereignisse fest, die nichtsdestoweniger zunächst vor allem Verwirrung stifteten: „The catastrophe of Paris is so vast, so sudden, so inexplicable, so astounding, that I have not yet recovered from the intelligence of yesterday afternoon“, schrieb Disraeli am 29. Februar3. Vor allem die Geschwindigkeit der sich überschlagenden Ereignisse bestürzte die Zeitgenossen – „In France everything is going down hill at railroad pace“4 – und schürte, da durch die technischen Neuerungen in Kommunikation und Verkehr ermöglicht, nicht zuletzt kulturpessimistisch bedingte Angst vor der Unabsehbarkeit moderner Entwicklungen. Aus den verschiedenen Meldungen aus Paris, aus Unsicherheit und aus Furcht – „Woe, woe, woe, to the inhabitants of the earth!“5 – setzte sich sodann ein Bild des „unaussprechlichen Horrors“6 in Frankreich fest: Anarchie regiere in Paris7, „all is terror, distress, and misery, both material and moral“8, Eigentum und Sicherheit würden vernichtet9. Die Ablehnung von den Konservativen über die Königin bis zu Liberalen wie Charles Greville war einhellig10; ihre Sympathie galt der wiederherzustellenden Ordnung und den gestürzten Regenten der Monarchien, die nicht zuletzt ins englische Exil gegangen waren: No judgment & no imagination can fathom its probable results. The King of France in a Surrey villa, Metternich in a Hanover Square hotel, & the Prince of Prussia at Lady Palmerstons!11
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5 6 7 8 9 10
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Disraeli an George Sinclair, 29. Februar 1848, DISRAELI LETTERS V, 1633/13; vgl. auch Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848, EBD., 1643/22, sowie seine Unterhausrede vom 30. August 1848, HANSARD 3/101, Sp. 669–707, hier 674. Greville, Tagebucheintrag vom 14. März 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 39; vgl. auch Ashleys Tagebucheintrag vom 26. Februar 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 236: „Revolutions, which in former days required years, are now perfected in days; a week is an age for these extraordinary events.“ Ashley, Tagebucheintrag vom 25. Februar 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 235. Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848, DISRAELI LETTERS V, 1643/24, vgl. auch Disraeli an Sarah Disraeli, 7. März 1848, EBD., 1635/14 f. Ashley, Tagebucheinträge vom 25. und 26. Februar 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 235 f. Greville, Tagebucheintrag vom 14. März 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 40. Wellington an den König von Hannover, 16. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61, 2/157/126. Vgl. Victoria an Melbourne, 15. März 1848, und an den König der Belgier, 4. April 1848, LQV 1837–1861 II, S. 164 f. und 166 f., Edward Bulwer-Lytton (zu dieser Zeit parteipolitisch noch kein Konservativer) an John Forster, 1. und 5. März 1848, LIFE OF BULWERLYTTON II, S. 98 f., sowie etwa, neben den bereits zitierten Passagen, Grevilles Tagebucheintrag vom 20. März 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 41 f. Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848, DISRAELI LETTERS V, 1643/22; vgl. auch Malmesburys Tagebucheintrag vom 15. April 1848, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 227 (und seine Einträge vom 24. Februar 1848 bis zum 26. August 1849, S. 211–252 passim), und Croker, February 1848, in: QR 82, Nr. 164 (März 1848), S. 541–593, hier 592.
1. Politische Revolution: 1848
161
Wenn sich John Russell von dieser verbreiteten Haltung dadurch abhob, daß er die Entwicklung durchaus als „zwiespältig“ ansah und neben seinen Befürchtungen über die weitere Entwicklung auch seine Genugtuung über die Verbreitung bislang nur in England üblicher Freiheiten artikulierte12, dann unterschied er sich zwar in Tonlage und Akzentuierung vom Chor der einstimmigen Ablehnung. Doch von whiggistischer Sympathie für die Revolution in Frankreich in der Tradition von Charles James Fox konnte keine Rede sein. Innerhalb der Radikalen stand Cobden der Agitation und Partizipation der Massen generell skeptisch gegenüber und hielt sich daher auch den Pariser Vorgängen gegenüber zurück, wenngleich er auf die Vernunft des Volkes vertraute, nicht in einer Despotie zu enden13. Wer mit den Aufständischen sympathisierte, geriet unterdessen in England bald in die Defensive. Diese generelle Distanz hing nicht zuletzt damit zusammen, daß der Revolution, anders als 1789 oder auch 1830, kein legitimer Grund zugestanden wurde. Wenn nicht gar als völlig grundlos kritisiert14, wurden ihr auch eine anerkanntermaßen schlechte Regierung oder die Verschleppung von Reformen nicht als für eine Revolution hinreichende Gravamina zugute gehalten15. Vielmehr nahmen Ashley (der spätere Lord Shaftesbury), Croker oder auch Wellington eine „umfassende republikanische Verschwörung“ gegen Eigentum und Rechtsordnung als Ursache des Aufruhrs an16. Eine solche 12 13 14
15
16
Russell, Unterhausrede vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 55–58, hier 57 f. Vgl. Cobden an George Combe, 29. Februar 1848, MORLEY, Cobden, S. 481. Vgl. Grevilles Tagebucheintrag vom 28. Februar 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 20, Croker, February 1848, in: QR 82, Nr. 164 (März 1848), S. 541–593, hier 592, und Croker, Political Prospects of France and England, [23.] Juni 1848, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 266 (das Datum 281). Vgl. Cambridge an seine Mutter, 15. März 1848, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 85, Carlyle an Thomas Erskine, 24. März 1848, FROUDE, Carlyle II, S. 180–182, hier 180 („Niemals sicherlich in unserer Zeit hat sich solch ein Stück Geschichte, wie wir es jetzt sehen und miterleben, vor uns abgespielt. Ich nenne es höchst erfreulich und dabei doch unaussprechlich traurig. Erfreulich, soweit es uns lehrt, daß alle Sterblichen nach Gerechtigkeit und Wahrheit verlangen; daß kein noch so einflußreicher Scharlatan, kein noch so schlauer Fuchs von einem Louis Philipp [. . .] ein Haus auf Lügen bauen oder einen ‚Thron der Ungerechtigkeit‘ errichten kann, ja, nicht einmal den Versuch dazu machen kann in unseren Tagen. [. . .] Wie traurig ist es aber auf der anderen Seite, daß diese Wahrheiten so neu sein müssen [. . .]; daß die ganze Welt in ihrem Protest gegen eine schlechte Regierung kein anderes Heilmittel finden kann, als sich in Regierungslosigkeit oder Anarchie (Königslosigkeit) zu stürzen, wohin uns nach meiner Meinung dieses allgemeine Stimmrecht unfehlbar bringen muß.“), und Russell an Victoria, 15. April 1848, LQV 1837–1961 II, S. 169 f. Vgl. Wellington an den König von Hannover, 16. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61, 2/157/126 (dort das Zitat), vgl. auch Ashleys Tagebucheintrag vom 1. März 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 237 f., hier 238, sowie Croker, Political Prospects of France and England, [23.] Juni 1848, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 267.
162
III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
aber konnte eine Gefahr auch für die Insel bedeuten, selbst wenn dort kein Anlaß für Unruhen aufgrund sozialer Mißstände bestehen mochte. Die Verunsicherung der Zeitgenossen angesichts der abrupten und stürmischen Umbrüche – er wisse nicht, ob er auf seinem Kopf oder auf seinen Füßen stehe, bekannte Disraeli17 –, schlug sich auch in ihren schwankenden Zukunftsprognosen nieder: was bevorstehe, wußte niemand genau zu sagen, doch Cobdens Gelassenheit oder Russells Optimismus, am Ende stehe größere Freiheit für den Kontinent18, teilten nur wenige. In jedem Falle beurteilten die Zeitgenossen, soweit sie sich dazu äußerten, dann aber gleichgültig ob intern oder öffentlich, die Aussichten als höchst ungünstig und beunruhigend: „Everything in France gets more serious and alarming every day“19. Konkret mochte dies bedeuten, und insofern folgten die Zukunftserwartungen einer einheitlichen Linie, daß Frankreich in Anarchie und Chaos versinke und dem nationalen Bankrott ebenso wie dem Ruin der einzelnen zutreibe20; und dann werde die Republik, nach bekanntem Muster, nur noch einen Ausweg kennen: Krieg21. Spätestens hier lag die Gefahr für England und damit das eigentliche Problem für die englischen Beobachter offen zutage, die jedoch im Hinblick auf die eigene Zukunft zunächst recht entspannt und zuversichtlich reagierten. Selbst der notorisch pessimistische Croker zeigte sich weniger alarmiert als in den Jahren zuvor: the result will, nay we think that it has already been, to strengthen the hands of our Government, and to rally round the throne of our Queen a warmer feeling of loyalty, a stronger constitutional zeal, and a more determined spirit to maintain those institutions which have for near two centuries realised for us all the civil and religious liberty, all the political and social blessings that the rest of Europe are now with so much doubt and danger groping after in the smoke of cannon, and through kennels running with blood.22 17 18 19 20
21 22
Disraeli an Sarah Disraeli, 7. März 1848, DISRAELI LETTERS V, 1635/14. Russell, Unterhausrede vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 55–58, hier 57. Tagebucheintrag Grevilles vom 20. März 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 41; vgl. auch Victoria an Melbourne, 15. März 1848, LQV 1837–1861 II, S. 164 f. Vgl. etwa Disraeli an Sarah Disraeli, 7. März 1848, DISRAELI LETTERS V, 1635/15, oder Wellington an den König von Hannover, 16. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61, 2/157/126. Bulwer-Lytton an John Forster, 1. März 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 98. Croker, February 1848, in: QR 82, Nr. 164 (März 1848), S. 541–593, hier 593; vgl. auch Cambridge an seine Mutter, 15. März 1848, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 85 („Thank God, England again shows a fine loyal feeling, that is noble and beautiful and quite what I should have expected of her, and you will see and can rest assured that we in England with all our freedom shall show ourselves far nobler and more aristocratic than all the other countries“) sowie Grevilles Tagebucheintrag vom 25. März 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 42–44, hier 43 („In the midst of the roar of the revolutionary waters that are deluging the whole earth, it
1. Politische Revolution: 1848
163
Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Stabilität und der Ordnung in England sei allerdings die Bereitschaft zu innerer Stärke. Die Gefahr lag unterdessen, so Ashley, auch weniger in gewalttätigen Ausschreitungen als in einer stillen, unbemerkten Ausbreitung des revolutionären Bazillus: In England we have yet Conservative feeling enough to resist a storm. Our peril will arise from a calm. A storm of violence we should shrink from or withstand; the calm of Republican success would inevitably breed a spirit of imitation.23
Und im Laufe des März wich die englische Zuversicht doch zunehmender Sorge, als die Chartisten sich wieder regten und eine große Demonstration für den 10. April angekündigt wurde. B)
ENGLAND
1848 waren in England die schwere Wirtschaftskrise der Jahre 1837–43 und die sprichwörtlichen hungry forties spürbar überstanden. Das politische System hatte zudem 1846 mit der Abschaffung der Getreidezölle seine ökonomische (und mit der Fabrikgesetzgebung der Regierung Peel auch seine, allerdings eingeschränkte, soziale) Reformfähigkeit gegenüber den middle classes unter Beweis gestellt. Zwar schnellten die Getreide- und Brotpreise im Rahmen der kleinen Wirtschaftskrise von 1847 zunächst nach oben, so daß die Reform sich nicht unmittelbar zugunsten der breiten Bevölkerung auswirkte; im europäischen Revolutionsjahr aber waren sie bereits deutlich gesunken24. In dieser Hinsicht lag also kein Sprengstoff, der nur des revolutionären Funkens bedurft hätte, an den Fundamenten der englischen Sozialordnung, und so erklärt sich auch Crokers Äußerung vom März 1848, weniger beunruhigt zu sein als in den sechzehn Jahren zuvor. Indes: Trotz dieser Zuversicht offenbarte sich solche soziale Stabilität doch vor allem in der Rückschau. Zudem mochten die französischen Unruhen den Handel beeinträchtigen und soziale Konsequenzen in England nach sich ziehen; und dann ließ sich auch dort an die Tradition der sozialen
23 24
is grand to see how we stand erect and unscathed. It is the finest tribute that has ever been paid to our Constitution, the greatest test that has ever been applied to it, and there is a general feeling of confidence, and a reliance on the soundness of the public mind, though not unmixed with those doubts and apprehensions which the calmest and the most courageous may feel in the midst of such stupendous phenomena as those which surround us“). Tagebucheintrag Ashleys vom 1. März 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 238. Das jährliche Mittel der Weizenpreise belief sich 1846 auf 54s 8d/Viertelzentner, 1847 auf 69s 9d und 1848 auf 50s 6d; im gesamten Jahr 1848 lag das wöchentliche Mittel bei maximal 56s 10d (gegenüber 102s 5d in 1847), vgl. die Tabelle in Parliamentary Papers 1878/79 LXV, S. 438, hier zit. nach EHD XII(1), S. 217; vgl. auch STEWART, Protection, S. 115.
164
III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Unruhe der dreißiger und vierziger Jahre und an die Chartistenbewegung anknüpfen. Prinz Albert etwa sorgte sich über die hohe Zahl der Arbeitslosen25, und typisch war die zwiespältige Einschätzung der Lage, die Thomas Arbuthnot aus Manchester gegenüber Wellington, mit 79 Jahren noch immer commander-in-chief, vornahm: considerable excitement has prevailed in various parts of the country in consequence of the events which have taken place in France. The riots which have occured in Glasgow, in London and Manchester and the Revolutionary Language which has been uttered at Chartist Meetings [. . .], and as these meetings keep the country more or less in a state of excitement, I lament to say it appears to me that they are on the increase, but at the same time I must acknowledge that up to the present time, I have not been able to discover that there exists any sympathy of feeling between the Chartists by whom these meetings are got up and the community at large.
Streikappelle seien „even amongst the industrious part of the lowest order who are at work“ wirkungslos geblieben, und an improvement of Trade had certainly manifested itself up to the middle of the last month, but the French revolution with the unsettled state of Europe in general has for the present completely paralysed all mercantile transactions and rendered both the purchasers of goods and those who have to fabricate or have to sell them so cautious that under these circumstances it is astonishing no greater number of persons belonging to the Mills have been thrown out of work.26
Die künftige soziale und politische Entwicklung lag offen und unabsehbar vor den Zeitgenossen, und wenn die Französische Revolution in den Augen der englischen Konservativen keinen wirklichen sozialen und politischen Grund hatte, sondern durch eine politische Verschwörung initiiert worden war, wie einige Zeitgenossen annahmen, dann konnte diese Gefahr auch England drohen. Disraeli bemerkte bereits am 29. Februar (und brachte das Problem somit auf die Ebene der historischen Auseinandersetzung der Ideologien), daß sich der Ton in England gewandelt habe und die Radikalen „under all the inspiration of the Jacobinal triumph“ aufträten27. Eine Woche später kam es am Rande einer erlaubten Versammlung zu Unruhen zwischen Teilnehmern
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Albert an Russell, 10. April 1848, LQV 1837–1861 II, S. 168; vgl. auch Ashleys Tagebucheintrag vom 26. Februar 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 236 („We are not safe here; a falling revenue in the face of a necessarily, I fear, increasing expenditure, and a determination to admit to new taxes. Trade, too, is fearfully stagnant, and distress prevails universally. In this state of things comes a French Revolution!“); zur Entwicklung von Januar bis März 1848 vgl. SAVILLE, 1848, S. 58–101. Thomas Arbuthnot (Manchester) an Wellington, 14. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61, 21/157/118. Disraeli an George Sinclair, 29. Februar 1848, DISRAELI LETTERS V, 1633/13.
1. Politische Revolution: 1848
165
und der Polizei auf dem Trafalgar Square, die auch im Parlament zur Sprache kamen. Dabei gab sich Derby (im Gegensatz zu Salisbury) im Oberhaus entspannt: the events of the last few days had shown that the vast, the overwhelming body of the people, were determined to use their personal exertions, if necessary, for the defence of order and good government, and to put down all attempts at riot.28
Anders als in der Metropolis mochten die Dinge jedoch in Irland aussehen; hier waren durchaus aufständische Bewegungen zu erwarten, und das Militär traf dementsprechende Vorkehrungen29. „Ireland now absorbs all other interests“30, schrieb Greville am 6. April in sein Tagebuch, vier Tage vor der großen Demonstration in London. Hier kamen in der Tat zwei Unruhepotentiale zusammen: Irland und der Chartismus, der sich, was die Zeitgenossen nicht wissen konnten, zum letzten Mal politisch erhob, als Feargus O’Connor am 10. April die nach 1839 und 1842 dritte Chartistenpetition vor das Unterhaus brachte. Eine andere, entgegen Disraelis Verdikt jedoch nicht gerade jakobinisch auftretende Herausforderung für das politische System stellten die Radikalen dar, die im Juni eine Wahlrechtsreform im Unterhaus beantragten. Die große Demonstration am Tag der Vorlage der Chartistenpetition im Unterhaus rief nun auch in England nicht unerhebliche Befürchtungen und zugleich konsequente Gegenmaßnahmen hervor, vor allem die Einschreibung und Bewaffnung von 85 000 Bürgern als special constables, zusätzlich zu 4000 Stadtpolizisten und Truppen in einer Stärke von 800031. Malmesbury beobachtete das Geschehen aufmerksam: April 5th. – The alarm about the Chartists increases. Everybody expects that the attack will be serious. Every precaution is taken, and all the troops within reach have been ordered to London. [. . .] The soldiers are all perfectly loyal, and furious with this mischievous attempt to disturb the peace. [. . .] April 9th – The alarm to-day is very general all over the town. The government have made great preparations, though the extreme precautions that are known to have been taken have, of course, increased the people’s fears. The Duke of Wellington is to command the troops, and the orders he has given are that the police are to go first to disperse the meeting; if resistance is offered and they are likely to be beaten, then
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Stanley, Oberhausrede am 9. März 1848, HANSARD 3/97, Sp. 334 f., hier 335; vgl. demgegenüber Salisburys Rede, Sp. 331–333; ähnlich Stanleys Einschätzung wiederum Ashleys Tagebucheintrag vom 21. März 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 241. Vgl. Wellingtons Memorandum vom 2. März 1848, NL Wellington, HL Southampton, MS 61/2/157/89; vgl. auch Grevilles Tagebucheintrag vom 2. April 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 46 f. Tagebucheintrag Grevilles vom 6. April 1848, EBD., S. 49 f., hier 49. Zahlen nach HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 130.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
the troops are instantly to appear, and the cannon to open with shell and grenades, infantry and cavalry are to charge – in short, they are to be made an example of.32
Zugleich brachte die Regierung eine „Bill for the better Security of the Crown and the Government“ in das Unterhaus ein, die, vor allem auf Irland zielend, ein schnelleres polizeiliches Eingreifen im Falle aufrührerischer Reden gegen Krone und Parlament ermöglichte und deren zentrale zweite Lesung just am 10. April stattfand. Daß sich in den Debatten zwischen dem 7. und dem 18. April33 kaum Konservative zu Wort meldeten, lag zum einen daran, daß sie sich nach dem Rückzug Granbys aus der nur drei Wochen währenden Führung der Unterhausfraktion in einem Zustand höchster Desorganisation befanden, zum anderen an ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung mit der Regierung. Zwar war der Unterschied im Tonfall unverkennbar: die Konservativen befürworteten eine restriktivere Gesetzesvorlage34, während Grey und Russell dazu neigten, die vorgesehenen Restriktionen überhaupt zu rechtfertigen und zu betonen, daß sie keinerlei Freiheiten einschränkten35; doch dominierten die Gemeinsamkeiten und die grundsätzliche Zustimmung der Konservativen in der Sache36. Das whig-liberale Kabinett sah sich statt dessen mit der Ablehnung aus den Reihen seiner eigenen Gefolgschaft, des radikalen Flügels und der nach Unabhängigkeit strebenden Iren (Repealers), konfrontiert, die der Regierung „an infringement upon the rights and liberties of the people of England“ und einen Widerruf der Habeas CorpusAct vorwarfen37, wobei das schwere Geschütz, das der rabiate Repealer
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Malmesbury, Tagebucheinträge vom 5. und 9. April 1848, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 223 f. Vgl. HANSARD 3/98, Sp. 20–60 (7. April, 1. Lesung), 73–135 (10. April, 2. Lesung), ab 11. April Committee Stage, 453–80 (18. April, 3. Lesung), 485–507 (19. April, 2. Lesung im Oberhaus), und 534–537 (20. April, 3. Lesung im Oberhaus). Vgl. die Unterhausreden Inglis’ vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 99–103, hier 101–103, und Sibthorps vom 11. April, HANSARD 3/98, Sp. 157 f., Thesigers vom 12. April, HANSARD 3/98, Sp. 252–255, sowie Seymers vom 18. April, HANSARD 3/98, Sp. 456 f. Vgl. die Unterhausreden Greys und Russells vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 20–34, hier 22, und Sp. 55–58, hier 58, sowie Romillys (Solicitor General) und Russells vom 10. April, HANSARD 3/98, Sp. 96–99 und Sp. 122–128, hier 124–126. Vgl. neben den in Anm. 34 genannten die Unterhausreden Grogans vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 50, Archdalls vom 10. April, HANSARD 3/98, Sp. 111 f., Mastermans vom 11. April, HANSARD 3/98, Sp. 165, und Adderleys vom 18. April, HANSARD 3/98, Sp. 458 f., hier 458. Vgl. die Unterhausreden J. O’Connells, Humes und O’Connors vom 7. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 34–37, Sp. 37 f. und Sp. 39–42 (dort Sp. 39 auch das Zitat O’Connors), Smith O’Briens, Crawfords, und Wakleys vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 73–80, hier 75 f., Sp. 119 f. und Sp. 120–122, hier 121, sowie O’Connors vom 11. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 152–156.
1. Politische Revolution: 1848
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William Smith O’Brien am Tag der großen Demonstation unter außerordentlichen Mißfallenskundgebungen des Parlaments gegen Russell auffuhr, eine Ausnahme darstellte: if he plays towards this Government the part of Guizot and Metternich in their respective countries, then I tell him, it is not I, but he and his Colleagues, that are traitors to the country, the Queen and the constitution.38
Entlang dieser Auseinandersetzung zwischen Konservativen und WhigLiberalen auf der einen und Radikalen und irischen Repealern auf der anderen Seite verlief auch die eigentliche politische Trennlinie in dieser Debatte ebenso wie in den Fragen, die, mittelbar oder unmittelbar, mit den Revolutionen in Europa – und das bedeutete nach englischer Wahrnehmung in allererster Linie: in Frankreich – zusammenhingen. Diese Iren und ihre radikalen Sympathisanten stellten dabei eine beinahe verschwindende Minderheit im House of Commons und vermochten nur 35 Stimmen (gegen 452 Ja-Stimmen) gegen die zweite Lesung des Gesetzes aufzubieten39. Typisch dabei ist, daß die Konservativen die von den Radikalen ausgehende Gefahr jedoch keineswegs an ihrer zahlenmäßigen Stärke oder Schwäche vor allem im Parlament festmachten; auch hier dachten sie nicht von Quantitäten, sondern von der Qualität der Bedrohung aus. Die größere Gefahr lauerte am 10. April ohnehin außerhalb von Westminster, als sich in Kennington Common die angekündigte ChartistenDemonstration sammelte40. The threatened day has arrived. How will it end? Referring to all the circumstances, I think it will close peacably, but who knows? We are all in the hands of God,
notierte Ashley am 10. April41. Doch erstens fanden sich weit weniger Teilnehmer ein als von den Veranstaltern erhofft – die Zahlen schwankten zwischen 15 000 und 200 000, und höchstens 85 000 mochten realistisch sein42 –, zweitens fügte sich O’Connor nun der Warnung der Polizei, bei Überschreiten der Brücken nach Westminster einzugreifen, und schließlich er-
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Unterhausrede Smith O’Briens vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 73–80, hier 80; zur Reaktion im House of Commons vgl. ANNUAL REGISTER 1848, S. 131. Vgl. HANSARD 3/98, Sp. 128–132 sowie 58–60 (Abstimmung über die erste Lesung am 7. April: 283 zu 24). Zum 10. April und den Chartisten vgl. WEISSER, April 10, S. 105–162, Saville, 1848, S. 102–129, THOMIS/HOLT, Threats of Revolution, S. 113 f., FINN, After Chartism, S. 60–81, TAYLOR, British Radicalism, S. 106–114, GOODWAY, London Chartism, S. 68–96 und 129–142, und ROYLE, Chartism, S. 40–45, in diesem Zusammenhang unergiebig D. THOMPSON, Chartists, und GODFREY, Chartist Lives. Tagebucheintrag Ashleys vom 10. April 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 242. Vgl. GOODWAY, London Chartism, S. 72–74 und 130 f.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
tränkte heftig einsetzender Regen jeden Keim von Revolution. Die dritte Chartisten-Petition wurde nicht, wie angekündigt, von demonstrierenden Massen zum Parlament gebracht, sondern in drei Droschken, während die Demonstranten sich auf den Heimweg machten. Als das Parlament drei Tage später den Bericht des Select Committee on Public Petitions zur Kenntnis nahm, wurde die Blamage noch größer: statt, wie O’Connor behauptete, 5 706 000 Unterschriften trug die Petition nur 1 975 496, seitenweise in einer einzigen Handschrift und darunter so wenig überzeugende Signaturen wie Victoria, Wellington, No Cheese und Flat Nose43. Die Petition war diskreditiert und der Chartismus als politische Kraft am Ende, zumal auch O’Connors National Land Company, der Versuch einer Organisation genossenschaftlichen Landerwerbs, kurz darauf bankrottierte. Und auch in Irland blieb die Revolte aus. „The Mob was not very considerable, and the best behaved I ever saw [. . .] – nothing but curiosity“, atmete Malmesbury noch am 10. April auf44. Die Konservativen lobten die Regierung für ihre Entschlossenheit zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und bedauerten höchstens, wie Colonel Sibthorp, aber das war ein Ausnahmefall, „that it had not been ten times stronger“; er hätte sich nämlich gewünscht, die aufrührerischen Anführer der Kundgebungen wären – zusätzlich zur Nässe von oben – in die Themse geworfen und „als Strafe für ihre Unverfrorenheit in ihren nassen Kleidern nach Hause geschickt worden“45. Mit dieser unübersehbaren Erleichterung und Entspannung ließ im Gefühl, die eigene Bedrohung überstanden zu haben, das Interesse an den revolutionären Vorgängen auf dem Kontinent ebenso wie an vereinzelt aufflackernden Unruhen in England allgemein rasch nach, wie etwa Greville nach einer kleineren Chartistendemonstration am 10. Juni bemerkte: Everybody had got bored and provoked to death with these continued alarms, but it is now thought that we shall not have any more of them.46
In Grevilles oder Malmesburys Tagebuch oder in Disraelis Briefen verflog bald nach dem 10. April die Alarmstimmung während der „halkyonischen
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HANSARD 3/98, Sp. 285. Tagebucheintrag Malmesburys vom 10. April 1848, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 225 f., hier 225. Sibthorp, Unterhausrede am 11. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 157 f.; vgl. auch Masterman im Unterhaus, ebenfalls am 11. April, HANSARD 3/98, Sp. 165. Tagebucheintrag Grevilles vom 10. Juni 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 74–77, das Zitat S. 77. Zu den einzelnen Unruhen vgl. WEISSER, April 10, S. 163–192 und 243–270, sowie SAVILLE, 1848, S. 130–165.
1. Politische Revolution: 1848
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Tage“47 in Paris und der unmittelbaren Folgezeit. Wirklich beunruhigte Äußerungen finden sich seit dem Mai 1848 kaum mehr. Auch Disraelis Korrespondenz mit Metternich48 geht über Höflichkeiten kaum hinaus und enthält alles andere als gegenrevolutionäre Reflexionen. Gegenüber den europäischen Angelegenheiten wurde der Tonfall gelassener, und sie wurden durch andere Themen zunehmend zurückgedrängt. Die Aufstände des späten Frühjahrs und des Herbstes oder gar des Jahres 1849 oder auch die Frankfurter Paulskirche fanden außerhalb der professionellen Diplomatie in der Innenpolitik, am ehesten noch in der Publizistik, kaum mehr ein hörbares Echo. Ein Nachhall war in der Unterhausdebatte über die von dem Radikalen Joseph Hume als Antwort auf die Chartistenpetition eingebrachte Wahlrechtsreformvorlage („little charter“) am 20. Juni und 6. Juli 1848 im Unterhaus49 zu vernehmen, die zugleich die Linien der innenpolitischen Argumentation und Konfrontation der kommenden Jahre um die soziale und politische Ordnung erkennen ließ50. Hume begründete seinen Antrag auf Wahlrecht für alle Haushaltsvorstände, geheime Stimmabgabe, dreijährige Wahlperioden und eine Wahlkreisreform mit einem „verfasungsmäßigen Recht“ aller erwachsenen Männer auf Repräsentation qua Wahlrecht. „If, then, Parliament did not represent all classes, it became a bad engine – an engine in the hands of the few, who had the power against the many“, namentlich der Klasseninteressen der Aristokratie und des landed interest; und er krönte seine Kritik an den Trägern der Sozial- und Verfassungsordnung mit der Charakterisierung der Krone als „chief magistrate for the conduct of affairs“51. Ein solch mechanisches Verfassungsverständnis und ein solch kritischer Rundumschlag provozierten natürlich die Konservativen. Henry Drummond, seinerseits indes kein Mann des mainstream der Partei, setzte dem ein Bekenntnis zu Krone und Lords entgegen, und Monckton Milnes, zu diesem Zeitpunkt noch auf seiten der Konservativen, pflichtete ihm bei:
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R. Price, zit. nach LANGEWIESCHE, Europa 1815–1849, S. 75. Vgl. DISRAELI LETTERS V, 1656/34 (18. Juni 1848), 1666/42 f. (14. Juli), 1712/81 f. (8. September), 1722/88 f. (30. September), 1725/91–93 (12. Oktober), 1737/99–101 (30. Oktober), 1760/122 f. (3. Januar 1849), 1769/131 (13. Januar), 1778/136 (25. Januar), und 1789/145 f. (23. Februar). Vgl. HANSARD 3/99, Sp. 879–906, und 3/100, Sp. 156–229, sowie JENKINS, Liberal Ascendancy, S. 63 f.; zur Wahlrechtsreform in verfassungspolitischer Hinsicht vgl. Kapitel VI.1. Vgl. dazu Kapitel IV und V.1, 2 und 4. Unterhausrede Humes vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 879–906, hier 879, 883 f. und 894, die Zitate 883.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
He admitted that at present great preference was given to persons of aristocratic birth, but he also contended that this was in accordance with the genius of the English people. They really did ‚love a Lord.‘ They loved aristocracy.52
Die Aristokratie sei die natürliche Führungsschicht der englischen Gesellschaft, betonte auch Disraeli53, vor allem aus dem Recht des Eigentums heraus, wie Drummond kategorisch postulierte: „Political power must be confined to those who have property, and those who have no property must be entirely excluded from it“54. Demgegenüber, auch dies ist signifikant für die weitere Entwicklung der Partei, betonte Disraeli zusätzlich zum Eigentum – „property is sufficiently represented in this House“ – die Bedeutung anderer Qualifikationen für den Fall zukünftiger Änderungen und Ausweitungen des Wahlrechts. Denn was generell für das Unterhaus gelten sollte, daß es nämlich die gesamte Nation und nicht Partikularinteressen repräsentiere55, sollte insbesondere für die konservative Partei zutreffen, daß sie nämlich als Partei der gesamten und einen Nation für die „popular rights“ stehe. Die Radikalen als Vertreter der middle classes und des Manchester-Kapitalismus hätten hingegen nie Sympathien für die working classes gehegt, statt dessen dem Land theoretisch inspirierte Reformen aufgezwungen, deren Bilanz glatt negativ sei56. Und so seien es auch nur Notleidende, die jedem Desperado folgten, intelligente Arbeiter, die ihren Vorteil suchten, und Demagogen („Ärzte ohne Patienten, Anwälte ohne Mandate, Publizisten, clevere Träumer aller Art“), die die Radikalen und ihre Reform unterstützten57. Die radikalen Vertreter der Mittelschichten bestritten demgegenüber nicht nur den gesellschaftlichen Führungsauftrag der Aristokratie, sondern erhoben diesen Anspruch für die Mittelschichten: If you talk of your aristocracy and your traditions, and compel me to talk of the middle and industrious classes, I say it is to them that the glory of this country is owing. You have had your government of aristocracy and tradition; and the worst thing in this country has been its government for the last century and a half. All that has been done to elevate the country has been the work of the middle and industrious classes;58
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Milnes, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 211–213, hier 213. Disraeli, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964. Drummond, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 913; vgl. auch 910. Vgl. Drummond, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 914. Vgl. Disraeli, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 952 (dort das Zitat), 958–960 und 964; zur „national party“ und „one nation“ vgl. Kapitel II.6.c). Drummond, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 908. Cobden, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 181–195, hier194 f.
1. Politische Revolution: 1848
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the power of the aristocracy has increased, is increasing, and ought to be diminished [. . .;] that class [i.e. the middle classes; AR], which, uniting the ornamental and polished superstructure to the more rude and solid foundation, is in fact the cement which ensures the stability of the glorious fabric.59
Signifikant war auch, daß Russells stolzer Rückblick auf die innenpolitischen Reformen seit 183260, die sich untrennbar mit den Whigs verbanden, in der konkreten Situation zwischen den sich abzeichnenden Fronten von Konservativen und Radikalen beinahe unterging und dabei argumentativ – gemischte Verfassung, Verschiedenartigkeit der Repräsentationsverhältnisse, Zurückweisung quantifizierender Repräsentation und Repräsentation der gesamten Nation durch die bestehenden Institutionen – näher bei den Konservativen stand. Das Jahr 1848 offenbarte eine breite inhaltliche Übereinstimmung zwischen Konservativen und Whig-Liberalen einerseits und den Radikalen andererseits und markierte eine klare sozio-politische Trennlinie, die sich zwar auf die politischen Konstellationen zunächst nicht auswirkte und in den folgenden Jahren unter nachlassender politischer Zuspitzung ihre Kontur wieder verlor, nichtsdestoweniger aber die Struktur der politischen Auseinandersetzung aufzeigte. C)
KONTINENT UND STAATENSYSTEM
Diese innenpolitische Perspektive dominierte die Perzeption des Revolutionsjahres durch die englischen Konservativen. Kontinent und Staatensystem riefen demgegenüber nur höchst sporadische und disparate Meinungsäußerungen hervor, und die zukunftsweisenden Umbrüche61 auf dieser Ebene – die beginnende Auflösung der „Wiener Ordnung“62 ebenso wie der internationale Durchbruch der Nationalstaatsbewegung bzw. des Nationalismus – wurden nicht explizit realisiert, waren aber implizit, wenn auch keineswegs prominent, präsent. Die Wiener Ordnung und ihre beginnende Auflösung kamen auf diese Weise zur Sprache, als Derby, ausgelöst von der italienischen Frage, schon wenige Wochen nach Ausbruch der kontinentalen Revolutionen und nach
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Osborne, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 166 und 168. Vgl. Russells Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 915–1933, hier 919, 921, 923, 926 f. und 931 f. Vgl. dazu METZLER, Strukturmerkmale, S. 170–175 (mit weiteren Literaturhinweisen S. 168–170 und 179–181). Vgl. zu diesem Begriff DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 10–13, zur englischen Regierungspolitik gegenüber den deutschen Vorgängen v.a. auf diplomatischer Ebene S. 72–87 (dort auch weitere Literaturhinweise).
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
dem Rücktritt Metternichs grundsätzlich Stellung zur Rolle der Großmächte bezog. Er bestätigte the right of any nation, in connexion with the sovereign authorities of that nation, to introduce any internal reforms, any modification of their constitution, which they should conclude to be for their own national advantage, and that there was no justification for any other nation, from the remote fear of probable consequences, interfering with the internal affairs of that nation with an armed force. [. . .] It was a dangerous doctrine to admit the right of any other nation, from sympathy with the supposed grievances and injuries inflicted upon another, to enter it with the avowed object of overthrowing the reigning power. And if there was a country in the world whose essential interest it was to rebut and reject this doctrine as to the right of interference, it was this country with its widespread and outlying colonial possessions. It of all others, therefore, should most strongly protest against the attempt of any country by foreign force, whether on the part of the Souvereign against the people, or on the part of the people against the Souvereign, to interfere with the internal affairs of other States.63
Dieses Plädoyer für eine strikte Nicht-Interventionspolitik unter Anerkennung nationalen Selbstbestimmungsrechts und der Souveränität anderer Staaten war zwar zunächst gegen Palmerstons Außenpolitik und ihre Interventionsbereitschaft gerichtet. Zugleich bedeutete es auf grundsätzlicher Ebene nichts anderes als eine klare Absage an das Interventionsrecht der Großmächte über das Maß der praktischen Zurückhaltung hinaus, die sich Großbritannien schon bald nach 1815 auferlegt und seitdem beobachtet hatte, und somit eine grundsätzliche Absage an zwei Prinzipien von 1815: die Großmächtesolidarität und die (ihr zugrunde liegende) Idee der Legitimität64. Im Herbst 1848 stellte auch die Quarterly Review, möglicherweise unter Einwirkung Metternichs, fest: „the system of 1815 retires from the stage“65. Auf diese Weise trugen die Konservativen, statt am monarchischen Prinzip und an der Wiener Ordnung zu hängen, trotz anderer Zielrichtung im einzelnen die Abkehr Englands hin zu einer vom Kontinent unabhängigen britischen Interessenpolitik grundsätzlich mit66. 63 64 65
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Oberhausrede Stanleys vom 3. April 1848, HANSARD 3/97, Sp. 1997 f. Vgl. dazu SCHROEDER, Transformation, bes. S. 575–582. Travers Twiss, Germanic States, in: QR 83, Nr. 166 (September 1848), S. 451–480, hier 480; WELLESLEY INDEX I, S. 731, verweist auf eine Aussage, Twiss habe den Artikel mit „‚hints & notes‘“ Metternichs geschrieben. Vgl. auch Croker, Political Prospects of France and England, [23.] Juni 1848, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304 (zum Datum 281), hier: 285 f.: „we see [. . .] an accession of real dignity and effective power, in England’s accepting the independent position that so large a proportion of the Continent has made us, and leaving them, for the present at least, to settle their own affairs as they may judge best. [. . .] We should avowedly and rigorously abstain from mixing ourselves in the settlement of their internal concerns, or even their arrangements with each other.“ Vgl. auch den leicht beschämten Kommentar der TIMES vom
1. Politische Revolution: 1848
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Das dort an Bedeutung stetig zunehmende Prinzip der Nation ging unterdessen an den Konservativen weithin vorbei. So sah Disraeli die Lösung für die Probleme der Donaumonarchie in einer politischen Organisation als konstitutionelle Monarchie, ohne die Nationalitätenprobleme überhaupt nur anzusprechen67. Systematischer versuchte sich Travers Twiss in der Quarterly Review vom Dezember 1848 dem Problem der „Nation“ zu nähern. Er stellte einen politischen Nationsbegriff im Sinne der Staatsnation und einen historischen Nationsbegriff im Sinne einer Abstammungs- und Kulturnation gegenüber und sah gerade in der Vermischung der Bedeutungen – „assigning territorial limits to historical nationalities, which at once establishes confusion between historical and political questions, whilst it seeks to effect an object which is incapable of realisation“ – die „wesentlich aggressive“ Doktrin des Nationalismus. Dies gelte auch für den Nationsbegriff der Frankfurter Paulskirche – „fifty mad professors at Frankfort, calling themselves a Diet“, spottete Disraeli68 –, deren Nationalismus, ohnehin nur den Vorwand für einen „Kreuzzug gegen Dänemark“, eine „praktische Absurdität“ darstelle, weil Staats- und Kulturnation wie im Falle der Schweiz eben nicht übereinstimmten und durch diese Verwirrung die Standards der Staatsnationen in Frage gestellt würden – „and in the latter respect is inconsistent with the maintenance of peaceful relations towards foreign states.“ Auf das seine politischen Potentiale noch erst entfaltende Konfliktverhältnis zwischen Staats- und Kulturnation wußte Twiss, unberührt von der Dynamik künftiger europäischer Entwicklungen, aber auch keine andere Antwort als die Empfehlung, die Idee der Einheit hinter die Anerkennung von „certain conditions of division“ zurückzustellen69. Sie enthüllte zugleich das englische Unverständnis für, wie Disraeli nicht nur für den deutschen Fall formulierte, „that dreamy and dangerous nonsense called ‚German nationality‘“70.
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1. Januar 1849, S. 4b-d, hier 4c: „As for British interference, if it has cost no blood it has gained no laurels in this crisis of glory and of shame [. . .;] it is not a very potent element in the existing situation of European affairs. It is better, however, to be ridiculous than to be mischievous.“ Vgl. Disraelis unadressierten Brief, Ende Februar 1849, DISRAELI LETTERS V, 1792/148 f. Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848, EBD., 1634/24. Travers Twiss, Austria and Germany, in: QR 84, Nr. 167 (Dezember 1848), S. 185–222, hier 186, 200 f. und 220, die Zitate 186, 201 und 220. Disraeli, Unterhausrede am 19. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 509–524, hier 521. Zum Problem der Nation vgl. auch Kapitel VIII.3.b).
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852 D)
BILANZEN UND PERSPEKTIVEN
Seit dem Frühsommer 1848 herrschte in der englischen Innenpolitik Desinteresse gegenüber den weiteren revolutionären Vorgängen auf dem europäischen Kontinent; so kam Disraeli in seinem großen Rückblick auf die Parlamentssession am 30. August nur mit wenigen Worten auf die „Katastrophen“ der ersten Monate des Jahres zu sprechen71. Eher noch thematisierten Publizisten die Ereignisse in ihren Rück- und Ausblicken am Ende des Revolutionsjahres, kaum hingegen die revolutionären Ausläufer von 1849. Dabei blieb 1848 auch für die Insel nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch nicht ohne Bedeutung, gerade weil sie so vergleichsweise unbeteiligt war. Denn den Zeitgenossen stellte sich mit der Frage nach den Gründen für das Ausbleiben einer Revolution in England zugleich die Frage nach ihrem eigenen gesellschaftlichen und politischen Selbstverständnis; und die zwar nicht systematisch traktierten, wohl aber immer wieder gelegentlich gegebenen Antworten waren in der Tat signifikant. Neben der Erklärung mit der Bestimmung durch die Vorsehung72, die zugleich soziale und politische Faktoren marginalisierte, wurden vor allem zwei grundsätzlich gegenläufige Argumentationsfiguren vorgetragen, die das entscheidende Gewicht beim starken Staat oder aber bei der integrativen Gesellschaft verorteten. Eleganterweise mochte Malmesbury beides verbinden73, doch die unterschiedlichen Akzente waren nicht zu übersehen. Insbesondere Wellington vertrat die Ansicht, was auch an seiner persönlichen Rolle liegen mochte, daß nur massive militärische Präsenz und demonstrative Verteidigungsbereitschaft den friedlichen Verlauf des 10. April, und das galt auch allgemein für die englischen Ereignisse, gesichert habe74. Nicht nur Liberale, auch viele Konservative setzten jedoch andere Schwerpunkte in der Schnittmenge von Staat und Gesellschaft. Croker etwa sah den entscheidenden Vorzug des politischen Systems in der Integrationsfähigkeit des Parlaments gegenüber sozialen Konflikten75. Besonders die
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Vgl. Disraelis Unterhausrede am 30. August 1848, HANSARD 3/101, Sp. 669–707, hier 674. Vgl. Inglis’ Unterhausrede vom 13. April 1848, HANSARD 3/288–290, hier 289: „England owed its present safety, not to an arm of flesh, or to any human wisdom and firmness, but to the blessing of Almighty God.“ Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 10. April 1848, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 225 f., hier 225: „but for the extraordinary precautions taken by the Duke and the Government, and the loyalty and the courage shown by all classes in uniting for the preservation of order, serious consequences would have ensued.“ Oberhausrede Wellingtons vom 19. April 1848, HANSARD 3/498–501, hier 500. Croker, Political Prospects of France and England, in: QR 83, Nr. 165 (Juni 1848), S. 250–304, hier 286.
1. Politische Revolution: 1848
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freiheitlichen Seiten der Verfassung hoben dabei nicht nur das Annual Register, sondern selbst der protektionistische Tory Richmond hervor76. Und dieses System habe 1848 die Dividende für seine (ihrerseits nicht zuletzt durch Revolutionsfurcht motivierten) politischen und ökonomischen Reformen seit 1832 kassiert, wie insbesondere die Liberalen betonten77. Jedenfalls war dieser Auffassung zufolge – und darin waren sich viele Konservative, Liberale und auch Radikale, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung, grundsätzlich einig – nicht die abgeleitete Reaktion des Staates, sondern die ursprüngliche Haltung der Bevölkerung wesentlich, die nämlich eine Revolution von sich aus ablehnte78. Der positive Befund des Jahres 1848 war die Erfahrung einer klassenübergreifenden Einheit der Gesellschaft, wie William Dugdale am Tage nach der großen Demonstration in sein Tagebuch eintrug: Never was so grand and glorious a demonstration of loyalty of feeling. All ranks from the Duke to the artificer were associated together in this imposing Band of Special Constables. No French fraternity here. At no period in our history have the upper and middle classes been more united.79
Über die explizite liberale und liberalkonservative Beschränkung auf Oberund Mittelschichten hinaus80, ohne aber auch den „Mob“ in ihren Begriff des Volkes (people) einzubeziehen81, teilten die Konservativen den Stolz auf die freiheitlich verfaßte Gesellschaft. Auch sie empfanden das Jahr 1848 als Rechtfertigung der englischen Freiheiten und partizipierten an der „allgemeinen Stimmung moderater Reformbereitschaft“82, wie Bulwer-Lytton (wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch kein nomineller Konservativer) formulierte:
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ANNUAL REGISTER 1848, S. 124, sowie Richmonds Oberhausrede vom 2. Mai 1850, HANSARD 3/110, Sp. 1100 („the good feeling of the people of England towards their free institutions, and this was a part of that constitution“). Vgl. die Unterhausrede Locke Kings vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 205–208, hier 206, sowie die Oberhausrede des Earl of St. German vom 2. Mai 1850, HANSARD 3/110, Sp. 1098 f. Vgl. ANNUAL REGISTER 1848, S. 124, die Oberhausrede Lord Denmans vom 19. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 501–503, hier 503, William Dugdales Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1848, GASH (Hg.), Age of Peel, S. 179, sowie den Leitartikel der TIMES vom 1. Januar 1849, S. 4b-d. Tagebucheintrag vom 11. April 1848, GASH (Hg.), Age of Peel, S. 178 f. Vgl. dazu auch Osbornes Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 168, sowie Palmerston an den englischen Gesandten in München, 20. April 1848, zit. bei DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 77. Zum konservativen Begriff des Volkes vgl. Kapitel V.4. QUINAULT, 1848, S. 836.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
the people of this country may be trusted with a greater degree of freedom than any other people in Europe, without endangering the safety of the constitution.83
Und auch die Konservativen gingen aus dem Revolutionsjahr mit einem gestärkten englischen Selbst- und Sonderbewußtsein heraus: The traditionary good sense, the instinctive spirit of the English nation, proved themselves on that occasion – we showed a great example to Europe, and that this old Parliamentary constitution [. . .] could combine, if necessary, the energy of despotism with the enthusiasm of a republic.84
Mit dieser positiven Bilanz gliederten sich die Konservativen in einen breiten Konsens innerhalb der politischen Nation ein, der in wesentlichen Fragen vor allem Konservative und Whig-Liberale gegenüber einer Minderheit von Radikalen und irischen Nationalisten umfaßte. Doch diese Integration brachte den Konservativen keinen politischen Nutzen, zumal diese Trennlinien bald verschwanden und einer weiteren Zusammenarbeit der nichtkonservativen Parlamentsmehrheit nicht im Wege lagen. So gesehen war die Bilanz des Jahres 1848 für die Konservativen auch keineswegs nur positiv, sondern zwiespältig. Denn den genannten Aktiva standen weitere Passiva in Form verschiedener Zukunftsängste gegenüber. Sie mochten allgemein auf schlechte Zeiten von „great miseries and confusion“ gerichtet sein85, sie mochten sich auf Unruhen aus der sozialen Frage richten86, deren Konfliktpotential in den folgenden Jahren tatsächlich jedoch erheblich zurückging, oder ein Weiterwirken der Ideen von 1848 trotz des Scheiterns der Revolutionen antizipieren: visions of a virtuous republic [. . .,] dreams of communism [. . .], or the insane ideas of the Frankfort enthusiastics [. . .] will burn fiercely for centuries [. . .]; blood alone will extinguish its fury. The coming convulsions may well be prefigured from the past.87
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Adresse Bulwer-Lyttons, in: HEREFORD TIMES vom 16. Dezember 1848, zit. nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 91 f. Vgl. auch Cambridge an seine Mutter, 27. April 1848, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 87 („It would really be remarkable if Old England should be the one and only country to check these new ideas. A great country she is, that is certain, and truly one feels proud of her and with good reason“), sowie ANNUAL REGISTER 1848, S. 124: „The security which under the protection of Providence this country derives from its free and popular constitution was never more signally exemplified than during the year of political agitation and disorder“. Disraeli, Unterhausrede am 30. August 1848, HANSARD 3/101, Sp. 669–707, hier 703. Thomas Carlyle an seinen Bruder Alexander, 16. Juni 1848, LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER, 221/665. Vgl. Adderleys Unterhausrede vom 18. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 458 f., hier 459, sowie die Tagebucheinträge Grevilles vom 10. Juni und 5. Juli 1848, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 74–76, hier 75 f., und 87–89, hier 88. A. Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 5.
2. Die Weltausstellung von 1851
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In umfassenderem Zusammenhang entwarf Croker, in grundsätzlicher Übereinstimmung mit den Erwartungen anderer Konservativer, ein Schrekkensszenario der Zukunft. Die eigentliche Gefahr liege gar nicht in gewalttätigen Tumulten, sondern, tückischer, in den „theories of democracy introduced into our practical system by the pressure of what is miscalled [. . .] public opinion“, im quantifizierenden Prinzip der Zahl, das sowohl die politische als auch die Sozialordnung aus den Angeln hebe und das in den vergangenen 25 Jahren bereits tief in das politische System eingesickert sei und Croker in tiefen Fatalismus trieb: we have never concluded a review of the state of our own country or of Europe with less of comfort for the present, less of confidence in the future, or with a greater perplexity as to the probable solution of the complicated difficulties that are gathering round the British Monarchy.88
Auch wenn die politische Revolution hatte vermieden werden können und ihren Schrecken verloren hatte, war doch die andere, industrielle Seite der Doppelrevolution des 19. Jahrhunderts mit ihren zunächst gesellschaftlichen und dann sehr bald auch politischen Auswirkungen gerade in England in vollem Gange und drohte mittel- und langfristig zu zerstören, was kurzfristig hatte bewahrt werden können. Die Niederlage von 1846 als Menetekel vor Augen, waren die englischen Konservativen daher in den darauffolgenden Jahren angsterfüllt zunächst ganz auf die sozio-ökonomische Seite der säkularen Umbrüche und ihre Auswirkungen auf die Gesellschafts- und Sozialordnung fixiert. Doch auch hier stellte sich schließlich folgenschwer ein Phänomen ein, das auf der politischen Ebene der Revolution zu beobachten gewesen war: das Ausbleiben der befürchteten Katastrophe.
2. INDUSTRIELLE REVOLUTION I: DIE LONDONER WELTAUSSTELLUNG VON 1851 Während die politische Revolution an England vorüberging, herrschte die industrielle um so mehr und trennte das Inselreich auch insofern vom Kontinent, als sie ihm einen ökonomischen Vorsprung verschaffte, der sich in den fünfziger Jahren zunehmend vergrößerte. Mit der ersten großen Weltausstellung in London zelebrierte das industrielle England 1851 das Fest eines Fortschritts, der den agrarisch-protektionistischen Konservativen 88
Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 285 f. (erstes Zitat), 307 und 312 (zweites Zitat); ähnlich schon der bereits zitierte Tagebucheintrag Ashleys vom 1. März 1848, HODDER, Shaftesbury II, S. 238.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
indes grundsätzlich gar nicht behagte. Doch sie konnten sich dem nach Millionen Besucher zählenden Massenspektakel der Moderne und der euphorischen Stimmung im Lande auch nicht entziehen. Zudem war die „Exhibition of the Works of Industry of all Nations“ kein entlang parteipolitischer Linien kontroverses Projekt. Die am 3. Januar 1850 gebildete Royal Commission unter der Leitung Prinz Alberts verzeichnete unter ihren 24 Mitgliedern zwar ein Übergewicht von Vertretern des Board of Trade und des liberalen Wirtschaftsbürgertums, bemühte sich zugleich jedoch um eine repräsentative Zusammensetzung aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt, Wissenschaft und Technik. So gehörte ihr mit Lord Derby auch der konservative Parteiführer an, zudem mit Robert Stephenson und William Thompson zwei konservative Unterhausabgeordnete, die indes zu den nicht sehr zahlreichen Vertretern aus Industrie und Hochfinanz unter den Tories zählten. Der streng protektionistische Duke of Richmond hatte hingegen eine Berufung in die Kommission abgelehnt.89 Als Ort der Ausstellung wurde Hyde Park gewählt, in dem der Gartenbauer Joseph Paxton innerhalb weniger Monate seinen viel bewunderten Kristallpalast aus Glas und Eisen, „the great icon of exhibition architecture“ errichtete, der nach dem Ende der Ausstellung in Sydenham wieder aufgebaut wurde, wo er am 30. November 1936 niederbrannte90. Er wurde zu einem Symbol des viktorianischen Englands und ist bis heute in oder auf beinahe jedem Handbuch zu dieser Zeit abgebildet. Schon während der Vorbereitungen herrschten bei den emphatischen Befürwortern der Ausstellung vor allem auf seiten der Liberalen und auch bei Albert91 ein uneingeschränkter Glaube – in durchaus religiösem Sinne – an Wohlstand, Zivilisation und Fortschritt sowie ein euphorisches Missi-
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Vgl. dazu HALTERN, Weltausstellung, S. 53–63, und AUERBACH, Great Exhibition, S. 27–31. Zur Weltausstellung allgemein vgl. AUERBACH, Great Exhibition, BRIGGS, Men of 1851, bes. S. 43–51, GREENHALGH, Ephemeral Vistas, HALTERN, Weltausstellung, KROKER, Weltausstellungen, und WOOD, Nineteenth Century Britain, S. 168–171. Vgl. zum Kristallpalast GREENHALGH, Ephemeral Vistas, S. 150–152, das Zitat 152, sowie AUERBACH, Great Exhibition, S. 41–53 und 193–213. Vgl. Alberts Rede auf dem dritten Vorbereitungstreffen am 21. März 1850, zit. nach HALTERN, Weltausstellung, S. 102: „we are living at a period of most wonderful transition, which tends rapidly to accomplish that great end, to which, indeed, all history points – the realization of the unity of mankind. Not a unity which breaks down the limits and levels of the peculiar characteristics of the different nations of the earth, but rather a unity, the result and product of those very national varieties and antagonistic qualities. [. . .] So man is approaching a more complete fulfilment of that great and sacred mission which he has to perform in this world. His reason being created after the image of God, he has to use it to discover the laws by which the Almighty governs His creation, and, by making these laws his standard of action, to conquer nature to his use; himself a divine instrument.“
2. Die Weltausstellung von 1851
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onsbewußtsein des Friedens durch Freihandel, wie Henry Labouchere, der liberale Präsident des Board of Trade, auf dem zweiten Vorbereitungstreffen schwärmte: the more widely the arts of peace are diffused, the more civilization and prosperity are extended, the more prosperous must be a country like England. I have no fear that Englishmen will be left behind in the race of nations; and I think that this friendly interchange – this contest not of injurious ambition, but in the arts of peace – has a direct tendency to increase the general civilization and industry of the world. [. . .] In promoting the present scheme, the people of this country will not only advance their own individual advantage, but the general prosperity and benefit of the whole civilized world.92
Aber auch Befürchtungen und Kritik waren zu vernehmen. Befürchtungen richteten sich auf die nach London strömenden Menschenmassen, die den Straßenverkehr zum Erliegen brächten, ungeschützte Frauen zu „forlorn extremities“ machten und fremder Länder offenere Sitten und Einflüsse, möglicherweise auch sozialistische Agitation in die Straßen der Metropole trügen93. Kritik kam vor allem von seiten verschiedener Mitglieder der Aristokratie, weil sie ihren täglichen Ausritt über das für die Ausstellung vorgesehene Gelände nicht umzuleiten wünschten94. Den Ort der Ausstellung hielt auch Alexander Beresford-Hope für unglücklich gewählt, doch solche konservative Detailkritik blieb, ebenso wie Zweifel an den ökonomischen Impulsen durch die Ausstellung, verglichen mit der auffälligen und ganz überwiegenden Zurückhaltung der Tories gegenüber dem großen Projekt95 vereinzelt. So blieb auch die Kritik des 92
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Labouchere, Rede auf dem zweiten Vorbereitungstreffen, zit. nach HALTERN, Weltausstellung, S. 99; vgl. auch Lord Overstones Oberhausrede vom 22. März 1850, HANSARD 3/109, Sp. 1230–1233, hier 1231 und 1233. Vgl. auch HALTERN, Weltausstellung, S. 106. Vgl. den Artikel „London in 1851“, in: FM 43 (1851), S. 127–137 (Februar 1851), hier S. 131 f., 134 (dort obiges Zitat) und 136: „the streets of London under the surging tramp and uproar of three millions and a half of people! [. . .] Foreigners don’t understand the system which necessity has rendered imperative alike upon pedestrians and vehicles in our crowded avenue. [. . .] The streams of foot-passengers will get into inextricable knots, like bundles of serpents twisted together, and horses and carriages will be perpetually smashing each other at abrupt angles and sudden crossings. It will be next to impossible to turn a carriage with safety. [. . .] And by what dexterous organization of existing resources are the various wants and requirements of these masses of pedestrians to be provided for? – the demands of thirst, heat, fatigue? [. . .] The habits of most Europeans are more free and open than ours. They are most accustomed to out-of-door pleasures than we are; their animal spirits take a higher range“; vgl. auch Disraeli an Lady Londonderry, 20. April 1851, DISRAELI LETTERS V, 2122/430. Vgl. die Oberhausreden Broughams vom 22. März, HANSARD 3/109, Sp. 1227 f., und Granvilles vom 4. Juli 1850, HANSARD 3/112, Sp. 876–886, hier 883. Vgl., neben dem durchgehenden Mangel an Meinungsäußerungen in allen Quellengattungen, etwa Stanleys Oberhausrede vom 22. März 1850, HANSARD 3/109, Sp. 1232–1236, oder Stephensons rein technische Bemerkungen in seiner Unterhausrede vom 4. Juli 1850, HAN-
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Ultra-Protektionisten Sibthorp aus Lincoln ein Einzelstück, allerdings ein geharnischtes. Sibthorp wurde, im Gegensatz zu seiner Partei, nicht müde, die Ausstellung bei buchstäblich jeder Gelegenheit als wertlose Geldverschwendung, als „one of the greatest humbugs, one of the greatest frauds, one of the greatest absurdities ever known“96 zu brandmarken. Zunächst war ihm die Fällung von neun Ulmen für die Ausstellung in Hyde Park ein großer Dorn im Auge97, so daß der Kristallpalast schließlich um vier alte Ulmen herumgebaut werden mußte, ohne sie zu beschädigen98. Doch Sibthorp ging es um Grundsätzlicheres. Als einer der wenigen, wenn nicht als einziger Konservativer – und daß seine Position innerhalb der sich artikulierenden Teile der Partei in der Minderheit blieb, ist wiederum signifikant – identifizierte er die Weltausstellung mit der industriellen, global orientierten Moderne, die er aus seinem ländlich-naturverbundenen Weltbild heraus ebenso wie alles Fremde rabiat ablehnte: As to the objection for which Hyde Park was to be desecrated, it was the greatest trash, the greatest fraud, and the greatest imposition ever attempted to be palmed upon the people of this country. The object of its promoters was to introduce amongst us foreign stuff of every description – live and dead stock – without regard to quantity or quality. It was meant to bring down prices in this country, and to pave the way for the establishment of the cheap and nasty trash and trumpery system. It would better become the promoters of this affair to encourage native industry, and support the industrious people of England, from whom they draw all they possessed.99
Nicht nur daß die in der Ausstellung verkörperte moderne Industrie die Menschen ausbeute, sie zersetze auch die Moral – „morally, religiously, and socially speaking, this Exhibition was a great curse to the country“100: who was to take care of their families while they were in London? The poor labourers were to come up to London, helter-skelter, where they would suddenly find themselves amidst the temptations of a great metropolis – were they? What would become of the chastity and the modesty of those who might become the unsuspecting victims of those temptations? [. . .] He objected, then, to the Exhibition, upon principle, and particularly upon the ground that it would destroy a park which was sacred to the recreations of the people.101
3/112, Sp. 912–914. Zur Kritik Sibthorps vgl. auch HALTERN, Weltausstellung, S. 87–89, und AUERBACH, Great Exhibition, S. 43–45. Sibthorp, Unterhausrede vom 18. Juni 1850, HANSARD 3/112, Sp. 72 f. Vgl. Sibthorps Unterhausreden vom 1., 4. und 15. Juli 1850, HANSARD 3/112, Sp. 779, Sp. 784, Sp. 901–904, hier 901 f., und Sp. 1298–1300, hier 1299. Vgl. GREENHALGH, Ephemeral Vistas, S. 150 mit S. 172 Anm. 22. Sibthorp, Unterhausrede vom 4. Juli 1850, HANSARD 3/112, Sp. 901–904, hier 902. Vgl. Sibthorps Unterhausrede vom 29. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1726 f., das Zitat 1727. Sibthorp, Unterhausrede vom 4. Juli 1850, HANSARD 3/112, Sp. 1298–300, hier 1299 f.; schließlich habe die Ausstellung auch noch ein nie gekanntes Maß an Krankheiten in die SARD
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2. Die Weltausstellung von 1851
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Jedenfalls werde er, so kündigte er an und hielt es auch durch, die Ausstellung (während der ihn der Punch verhöhnte) nicht besuchen102. So verpaßte Sibthorp die Euphorie der glanzvollen Eröffnung durch die Königin am 1. Mai 1851, „the greatest day in our history, the most beautiful and imposing and touching spectacle ever seen“, wie sich Victoria noch Tage später begeisterte: „the happiest, proudest day in my life, and I can think of nothing else“103. In der Tat erwiesen sich alle Befürchtungen eines Chaos durch die Besuchermassen als gegenstandslos, und die Monarchin vergaß nicht, sich über die „ill-natured attempts to annoy and frighten, of a certain set of fashionables and Protectionists“ zu beschweren. Die Freude über „a very magnificent and wonderful sight“104 und die öffentliche Sicherheit bei uneingeschränkter Freiheit – how securely and confidently a young female Souvereign and her family could walk in the closest possible contact, near enough to be touched by almost everyone, with five-and-twenty thousand people, selected from no class, and requiring only the sum of forty-two shillings as a qualification for the nearest proximity with royalty105 –
verband sich wie auch 1848 zum Stolz auf die Verfassung und die englische Gesellschaft in ihrer Einzigartigkeit: „Such an event could not well have occured in any capital of Europe but ours“106. Zu diesem Selbstbewußtsein nach innen gesellte sich das liberal-freihändlerische Sendungsbewußtsein nach außen, wie es bereits vor der Ausstellung artikuliert worden war. „It was the common language about this time of the Liberal free-trading party“, kommentierte Stanley wenige Jahre später, „that the epoch of unre-
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Stadt gebracht, vgl. die Unterhausrede vom 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 634–636, hier 635. Vgl. Sibthorps Unterhausreden vom 7. März und 29. Juli 1851, HANSARD 3/114, Sp. 1161 f. und 3/118, Sp. 1726 f., sowie HALTERN, Weltausstellung, S. 87 mit Anm. 29. Victoria an den König der Belgier, 3. Mai 1851, LQV 1837–1861 II, S. 317 f. (dort auch das folgende Zitat); vgl. auch ihre Notiz zum 1. Mai 1851, zit. in PIKE (Hg.), Human Documents, S. 24; zur Ausstellungseröffnung vgl. HALTERN, Weltausstellung, S. 160–180, Abbildungen in AUERBACH, Great Exhibition, S. 44 und 46. Tagebucheintrag Cambridges zum 1. Mai 1851, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 107. PUNCH, zit. nach PIKE (Hg.), Human Documents, S. 28 f.; vgl. auch Grevilles Tagebucheintrag vom 10. Mai 1851, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 292–294, hier 293: „It was a wonderful spectacle to see the countless multitudes, streaming along in every direction [. . .]; no Soldiers, hardly any Policemen to be seen, and yet all so orderly and good-humoured. The success of everything was complete, the joy and exultation of the Court unbounded [. . .] we hear nothing but expressions of wonder and admiration. The frondeurs are all come round, and those who abused it most vehemently now praise it as much.“ Tagebucheintrag Ashleys vom 1. Mai 1851, HODDER, Shaftesbury II, S. 343.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
stricted commerce being inaugurated, that of war had ended, and a general disarmament of nations must ensue“107. Die Ausstellung stand im Zeichen der hohen, nicht zuletzt moralischen Ansprüche ihrer Betreiber, wie sie der Economist oder die Illustrated London News transportierten: A brief survey of the exhibition, with a view of gathering from it some political and economical instruction, leads to the conclusion that perfect freedom, the absence of restrictions, the getting rid of the paternal care of protecting, all-regulating governments, is as necessary for the development of a multifarious and well-sustained industry as for the promotion of trade and the accumulation of wealth.108 The Exhibition has been shown to be a great Peace movement, a great moral movement, and a great industrial movement – all of which it undoubtedly is.109
Diese breite, wenn auch von der Presse möglicherweise übertriebene110 Euphorie im Zeichen des Freihandels, jedenfalls die breite Massenwirkung der Ausstellung – über sechs Millionen Besucher wurden gezählt111 – mußte nichtsdestoweniger die noch immer dem Protektionismus verhafteten Konservativen herausfordern. Doch wie schon im Vorfeld hielten sie sich auch während der Ausstellung zurück und äußerten sich, wenn überhaupt, dann recht uneinheitlich. Disraeli etwa besuchte die Ausstellung zweimal und enthielt sich eines Kommentars112. Einzelne wiederum wie die Abgeordneten Robert Inglis und Edward Egerton äußerten sich freundlich und stimmten in den Lobpreis des „peace congress“113 und des „happy interchange of practical and scientific knowledge“ ein, „creating a friendly and generous rivalry between nations, likely to conduce to the common prosperity of all“; Inglis schämte sich gar öffentlich seiner früheren Ablehnung der Ausstellung114. Andere wiederum mokierten sich über „palaver, noise, nonsense, and confusion, in all its forms [. . .]; all fools rejoicing; the few wise men sitting silent, and asking only ‚How long, How long!‘“115 107 108 109 110 111 112 113 114 115
Kommentar Stanleys aus dem Jahr 1855 zu seinem Eintrag vom 1. Mai 1851, STANLEY JOURNALS, S. 63. Characteristics of National Industry, in: THE ECONOMIST, Vol. IX, Nr. 409, 28. Juni 1851, S. 701–703, hier 702 f. THE ILLUSTRATED LONDON NEWS, 28. Juni 1851, zit. nach GASH (Hg.), Age of Peel, S. 180. Vgl. dazu Stanleys Tagebucheintrag vom 1. Mai 1851, STANLEY JOURNALS, S. 63. Vgl. GREENHALGH, Ephemeral Vistas, S. 30. Vgl. Disraeli an seine Schwester Sarah, 24. Mai und 10. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2137/439 f. und 2181/472–474. Inglis, Unterhausrede vom 29. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1730 f. (das Zitat 1731). Egerton, Unterhausrede vom 11. November 1851, HANSARD 3/123, Sp. 65–69, hier 68. Carlyle an seinen Bruder Alexander, 10. Oktober 1851, LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER, 228/684; vgl. auch Carlyle an R. Browning, 10. Oktober 1851, LETTERS OF
2. Die Weltausstellung von 1851
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Weniger apodiktisch, dafür nachdenklicher und auf hohem essayistischästhetischem Niveau führte William Henry Smith in Blackwood’s Magazine aus der Sicht eines besonderen Besuchers durch die Ausstellung: Voltaire war auf die Erde zurückgekehrt und nach London gekommen, um die Great Exhibition zu sehen. Voltaire alias Tory bewundert die effektive Disziplin industrieller Leistungskraft, doch je länger er sich umschaut, desto enttäuschter ist er über den eitel zur Schau gestellten „ornamental nonsense“, bloßen Luxus, der weder Kunst sei noch das Leben der Menschen wirklich erleichtere. Eine Erfindung indes scheint ihm „a real contribution to the comfort of life“: das Streichholz, das er an einem Vorführstand erlebt. Seine emphatische Begeisterung stößt allerdings auf blankes Unverständnis der Umstehenden, da das (1829 erfundene) brennende Hölzchen lediglich der Entzündung für eine der üblichen maschinellen Attraktionen diente. In diesen Neuerungen sieht Voltaire jedoch keine grundsätzlichen Verbesserungen, etwa in einer neuen Druckmaschine, die Parlamentsdebatten und Kommentare schon einen halben Tag früher aufs Papier bringt: „I could wait a few more hours for them without great impatience; and perhaps the well-written comments would not suffer by delay.“ Der Mensch jedenfalls sei derselbe geblieben, verbesserte Handfeuerwaffen etwa dienten nur der Perfektionierung des alten Spiels. Und daher stand der virtuelle Voltaire mit seiner Erfahrung aus anderen Zeiten auch dem gesamten Zukunftsoptimismus und der Vision allgemeinen Wohlstands und Friedens durch Handelsaustausch skeptisch gegenüber: A portion of your population depends for subsistence on foreign commerce, and foreign commerce cannot be secured. [. . .] You seem to think that the spirit of industry which exists in your countrymen – a spirit quite unusual in the history of the world – can never be overtasked; that it cannot possibly succumb; that it never will relax. May you augur rightly!
Wirklich besser, das heißt auch moralisch besser geworden seien die Zeiten jedenfalls nicht: A wealthy citizen of Bruges or of Florence in the fifteenth or sixteenth century passed, I suspect, as rational, as agreeable, and as dignified a life as the wealthy citizen of your own monster metropolis in the nineteenth century.
Auf seinem Weg durch die Ausstellung begegnet Voltaire unter anderem einem Kaufmann aus Manchester, dem Handel und Konsum an sich am wichtigsten sind, einem englischen Protestanten, der auf Frömmigkeit ohne
CARLYLE TO MILL ETC. 113/287, sowie Carlyle an seinen Bruder Alexander, 24. Oktober 1851, LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER, 228/688.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Metaphysik baut, und vor allem mehrfach einem fortschrittsgläubigen Professor des Maschinenbaus, der von der Modellierung der der Gesellschaft schwärmt: we have but to complete and perfect the design. [. . .] We are all working for one common end, the advancement and amelioration of society. It is the peculiar feature of our age, and its golden characteristic – this zeal which one class feels for the happiness of another.
Daraufhin hatte der Philosoph genug. „Voltaire went back quite contended that he had lived in Paris a century ago.“116 Die konservative Bilanz der Weltausstellung, die sich, auch wenn dies in der zeitgenössischen tagespolitischen Wahrnehmung nicht der Fall war, auf analytischer Ebene zugleich als pars pro toto für die industrielle Moderne ansehen läßt, fiel unentschieden und zwiespältig aus: zwischen fundamentaler Ablehnung und offener Befürwortung herrschte zumindest im Jahr 1851 vor allem Sprachlosigkeit. Denn gegenüber dem öffentlich zelebrierten und die politische Kultur des Landes zunehmend prägenden Neuen im Zeichen des Freihandels mit all seinen gesellschaftlichen Implikationen waren die Tories offiziell noch immer dem Alten unter dem Namen des Protektionismus verhaftet. So gerieten sie immer offensichtlicher ins Hintertreffen, wie Charles Greville hellsichtig beobachtete: the attractions of the Exhibition [. . .] have acted upon the public as well as upon Parliament. [. . .] The cause of Protection gets weaker every day; all sensible and practical men give it up as hopeless.117
Wollten sie nicht völlig den Anschluß an die Zeit verpassen, mußten sie den Ballast des Protektionismus abwerfen, der 1852 wie schon 1846 eben nicht nur eine ökonomische Sachfrage, sondern ein gesellschaftliches und politisches Symbol darstellte. Während Disraeli dies seit einiger Zeit erkannt hatte und darauf hinarbeitete, fiel seinen Befürwortern der Abschied vom Protektionismus schwer. Doch er war die unabdingbare Voraussetzung für die Integration der Konservativen in die politische Kultur Englands und somit für die Zukunftsfähigkeit der Partei.
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W.H. Smith, Voltaire in the Crystal Palace, in: BM 70, S. 142–153 (August 1851), die Zitate S. 147, 149, 150, 152, 145 und 153. Tagebucheintrag Grevilles vom 8. Juni 1851, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 295.
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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3. INDUSTRIELLE REVOLUTION II: DER ABSCHIED VOM PROTEKTIONISMUS 1852 A)
APATHIE: DIE WAHLEN VON 1847
Unmittelbar nach der Abschaffung der Getreidezölle und der Parteispaltung machte sich in der Führungsetage der Konservativen eine zwiespältige Stimmung breit. Zwar hoffte nicht nur Derby darauf, daß der Freihandel sich nicht bewähren und das Land bald zu (moderaten) Agrarschutzzöllen zurückkehren werde118. Sollte dies aber nicht der Fall sein – und nicht nur für diesen Fall –, so stand der „nahe Ruin des landed interest“ zu befürchten119. Beiden Erwartungen lief unterdessen die Entwicklung des Jahres 1847 zuwider, als nämlich, vor allem aufgrund der schlechten Ernte von 1846, in der kleinen Wirtschaftskrise die Getreidepreise rapide anstiegen120, so daß sich der Freihandel zunächst nicht spürbar negativ auf die agrarische Ertragslage auswirkte. In diesem Zusammenhang stellte sich für die Protektionisten zumindest in der öffentlichen politischen Debatte allerdings das heikle Problem, ob sich nicht, so wenig beide Bereiche in der sozialen Realität zu trennen waren, die Interessen der Landwirtschaft umgekehrt proportional zu den Interessen der Konsumenten verhielten, ob also der Protektionismus nicht zu Lasten der Bevölkerung und ihrer Grundbedürfnisse ging. Darauf zielte ja auch der Vorwurf der Freihändler, daß nämlich die Schutzzölle nichts anderes darstellten als ein Instrument zur Sicherung hoher Preise für agrikulturelle Monopolisten. So konnten sie sich als Anwalt der einfachen Bevölkerung präsentieren, wenn sie dafür plädierten, die Agrarpreise dem Markt zu überlassen, und statt dessen den Landwirten das sogenannte high farming – die rationelle Erzeugung nicht zuletzt von Spitzenprodukten unter Einsatz neuer Technologien – empfahlen121. Dem hielten die Protektionisten, soweit sie nicht die preissteigernden Auswirkungen der Schutzzölle überhaupt in Abrede stellten, ihre ökonomische Vorstellung entgegen, daß die englische Sozialverfassung durch eine 118 119 120
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Vgl. Stanley an Croker, 23. August 1846, CROKER PAPERS III, S. 77 f., hier 77. Vgl. Croker an Thomas Wood, 3. Februar 1847, EBD. III, S. 103 f., das Zitat S. 104. Mittlerer jährlicher Weizenpreis pro Viertelzentner, vgl. PARLIAMENTARY PAPERS 1878/79 LXV, S. 438, hier zit. nach EHD XII(1), S. 217: 1845 50s 10d 1846 54s 8d 1847 69s 9d 1848 50s 6d. Vgl. dazu GAMBLES, Protection and Politics, S. 208, STEWART, Protection, S. 44 f. und 154–157, sowie STEWART, Party and Politics, S. 82 f.
186
III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
(Um-)Verteilung des Nationaleinkommens einen Ausgleich zwischen den verschiedenen interests122 herstelle und so die Harmonie zwischen den gesellschaftlichen Klassen gewährleiste. In diesem Sinne stellten die Schutzzölle den Beitrag des Landes nicht nur zur Unabhängigkeit von agrarischen Importen, sondern auch zur Lebensfähigkeit der Landwirtschaft und somit ein konstitutives Element innerhalb der sozialen Solidarität dar, das 1846 liquidiert worden war, und zwar gerade zugunsten der produzierenden und handeltreibenden industriellen Interessen und Klassen, zugunsten allein der Konsumenten und auf Kosten der Produzenten landwirtschaftlicher Güter123. Diesem Verständnis zufolge lag der Klassenegoismus keineswegs auf seiten des landed interest, war dieser Vorwurf vielmehr freihändlerische Polemik: the factious purpose of the Manchester confederacy to represent the home-agriculturalist in the odious light of wishing to keep out food from the people, and to stint them in its consumption. Nothing can be more false. All he desires is – being in this respect neither better nor worse than any other producers and traders – such a price as will enable him to exercise his industry with a fair prospect of advantage to himself.124
Gerade umgekehrt unterstellten die Protektionisten dem freihändlerischen manufacturing interest die eigentlich klassenegoistischen Motive, indem es nicht nur das landed interest durch den Freihandel ökonomisch und sozial schädigte, sondern auch die gesamten Arbeiterklassen und Unterschichten, indem es nämlich gesunkene Agrar- und Lebensmittelpreise zur Senkung der Löhne ausnutze – „cheap loaf [. . .] means also cheap labour“ – und obendrein noch kostengünstiger produzierte Waren importiere und somit die heimischen Arbeiter der Arbeitslosigkeit überlasse125. Ebenso weise auch der freihändlerische Rat des high farming, abgesehen vom Problem der hohen Investitionskosten126, den Weg in den Pauperismus, da die erforderliche Rationalisierung vor allem die Landarbeiter arbeitslos mache127. 122 123
124 125
126 127
Zum Begriff interest vgl. Kapitel I.3.a) Anm. 117. Vgl. Stanleys Oberhausrede vom 16. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 717–724, hier 721 f., Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier S. 9f. und 14, sowie MACINTYRE, Bentinck, S. 154 f. D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 (März 1852), S. 492–502, hier 497. Vgl. G.F. Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 155 und 182 (dort das Zitat), sowie GAMBLES, Protection, S. 941 f., und GAMBLES, Protection and Politics, S. 215–222. Zur gesellschaftlichen Dimension des Freihandels in systematischer Perspektive vgl. v.a. Kapitel IV.1.b). Vgl. BULWER-LYTTON, Letters to John Bull, S. 59 (Letter III). Vgl. Richmonds Oberhausrede vom 2. Mai 1850, HANSARD 3/110, Sp. 1090–1095, hier 1093.
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
187
Vor diesem Hintergrund besitzt Anna Gambles’ revisionistische Interpretation des Protektionismus als einer kohärenten politischen Ökonomie in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und verfassungspolitischer Dimension (im allgemeinen Sinne der propertied constitution) durchaus Plausibilität, zumindest im Hinblick auf das Selbstverständnis der Protektionisten: „Während die Freihändler niedrigere Weizenpreise als Voraussetzung für produktive und investive Effektivität ansahen, hielten die Protektionisten höhere, durch Schutzzölle zu gewährleistende Preise für die einzig wirksame Voraussetzung agrikulturellen Fortschritts, indem nämlich Preisanreize erhöhte Investitionen erleichtern würden, um weniger fruchtbares Land produktiver zu bebauen und um allgemein moderne landwirtschaftliche Methoden einzuführen.“ Mit seiner Konzeption eines ausgewogenen ökonomischen Fortschritts in allen Sektoren, der empirisch fundierten theoretischen Kritik am Freihandel und seinen ernährungspolitischen Vorstellungen stellte der Protektionismus dabei, so Gambles, nicht nur einen rückwärtsgewandten und selbstsüchtigen Reflex eines einzelnen, des landed interest, sondern eine sozialintegrative „public economic philosophy“ und somit eine veritable Alternative zur Freihandelslehre dar128. Die hohen Getreidepreise des Jahres 1847 stellten die Tories aber zunächst vor das Problem, wie Derby im Juni gegenüber Croker, dem publizistischen Sachwalter des Protektionismus klagte, „that the farmers, who never look a yard beyond their noses, are completely apathetic, and begin to think that there is not so much harm in free Trade after all“. Auch wenn sie diesen Irrtum einsähen, sei es in jedem Fall zu spät für die bevorstehenden Unterhauswahlen: „Protection as a cry is dead“129; als die Getreidepreise im September zu verfallen begannen, waren die Wahlen vorüber130. In der Tat war der Protektionismus, entgegen den 1846 zu hegenden Erwartungen, in den ersten Wahlen nach der großen Spaltung kein beherrschendes Wahlkampfthema. Während konsequente Protektionisten wie George Bentinck und Edmund Filmer (der sich in seinem Wahlkreis, sichtlich irritiert, mit der völlig ungewohnten Herausforderung durch einen 128
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GAMBLES, Protection, S. 939 f. (dort die Zitate) und 943, ausführlicher in GAMBLES, Protection and Politics, bes. S. 1f., 19–22 und 205–222 (zur Entwicklung des Protektionismus der Konservativen zwischen 1847 und 1852 allgemein S. 203–241); vgl. auch MACINTYRE, Bentinck, S. 154–157 und 163–165, und MCDOWELL, British Conservatism, S. 46–50. Stanley an Croker, 7. Juni 1847, CROKER PAPERS III, S. 109 f., hier 109. Vgl. George Bentinck an Croker, 8. September 1847, EBD., S. 131 f., hier 131: „If we could have General Election next month we should have met a very different feeling [. . .]. Wheat tumbling down to 45 s. is beginning, just too late, to make the farmers open their dull eyes, and the failure of the corn merchants, and those coming among the sugar traders, have palled and will pall the taste of these gentlemen for unreciprocated free imports.“
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Gegenkandidaten konfrontiert sah) an Prinzipientreue und Aufrichtigkeit appellierten und aus diesen Gründen vehement für Protektionismus sprachen131, herrschte in der Breite der Konservativen eine eher moderat formulierte Befürwortung der Schutzzölle vor132. Aber auch zurückhaltendere Meinungen wurden den Wählern vorgetragen. John Pakington etwa wollte, bei aller Kritik an der Gesetzgebung des Vorjahres und ihrem Zustandekommen, zunächst die Resultate des nun einmal beschlossenen Freihandels abwarten: He was not one of those extreme alarmists as to what would be the effect of the new corn laws, but he feared that under the new system the price of corn would undergo so much fluctuation as must materially effect the interests of the growers. Now that the change had been sanctioned by the Legislature it was entitled to a fair trial.133
Diesen Kurs hatte Disraeli längst anvisiert und sich selbst im Wahlkampf, in klarer Erkenntnis der nicht zuletzt symbolischen Bedeutung der Reform von 1846, gegen „any attempt factiously and forcibly to repeal the measures of 1846“ und statt dessen für anderweitige Kompensationsmaßnahmen zugunsten des landed interest ausgesprochen134. Was Disraeli wollte, war bald kein Geheimnis: „Disraeli is now anxious to drop the subject of a protective duty altogether“, notierte Edward Stanley im Mai 1849 und benannte zugleich die grundlegende Spannung der sechs quälenden Jahren nach 1846: „but this the party will not allow“135. Sein Vater selbst befürwortete, in steter Sorge um die Einheit der Partei, weiterhin und gegen Disraelis Aspirationen die Wiedereinführung von moderaten Schutzzöllen. Dabei war die Balance zwischen Prinzip und Konzilianz, zwischen Pragmatismus und Protektionismus, zwischen Anpassung und Kapitulation nicht immer leicht 131
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Vgl. die Adressen Bentincks (King’s Lynn, 30. Juli), Filmers (West Kent, 3. August) und Duncombes (North Riding, 7. August 1847), in: THE TIMES vom 31. Juli, S. 3f-4b, hier 4a, vom 4. August, S. 3c, und vom 7. August 1847, S. 3d. Vgl. die Adressen Blandfords (Woodstock), Clintons (Canterbury, 29. Juli), H. Halfords und C. Packes (South Leicestershire, 4. August), Burghleys (South Lincolnshire, 4. August) sowie Newdegates und Spooners (North Warwickshire, 10. August), in: THE TIMES vom 25. Juni, S. 8d, vom 30. Juli, S. 3f/4a, hier 4a, vom 5. August, S. 2d/e, und vom 11. August, S. 4d/e. Pakington, Adresse an die Wähler von Droitwich, 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3e; vgl. auch die Adressen von Masterman (London City, 8. Juli), Vance (Canterbury, 29. Juli), Courtenay (Cardiganshire, 3. August) und Lovaine (Northumberland North, 7. August 1847), in: THE TIMES vom 9. Juli, S. 8d, vom 30. Juli, S. 4a, vom 4. August 1847, S. 3a, und vom 9. August 1847, S. 3d/e, hier 3e. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 22. Mai 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e, zit. nach M&B III, S. 20–22, hier 21; vgl. auch STEWART, Protection, S. 108. Tagebucheintrag Stanleys vom 19. Mai 1849, STANLEY JOURNALS, S. 8; vgl. zum folgenden auch den Eintrag vom 20. Mai, S. 9.
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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zu wahren136, so wie sich etwa beim Tode Bentincks das Problem stellte, ein Zirkular zu verfassen, das politisch aussagekräftig war, aber persönliche Freunde nicht vor den Kopf stieß, zugleich keinesfalls „too exclusively Protectionist“ ausfiel und die Chance für eine Wiederannäherung an die Peeliten offen ließ137. Bis der Protektionismus schweren Herzens als zu leicht befunden wurde, schien sich indes nach der Wahl von 1847 – und zu weit vor der nächsten Wahl – die Waagschale der Schutzzölle nach unten zu neigen. Denn der (in den späten vierziger Jahren noch gar nicht vollständig absehbare) Übergang der englischen Volkswirtschaft zur breiten Prosperität im dritten Quartal des Jahrhunderts vollzog sich zunächst um den Preis drastisch sinkender Agrarpreise auf Kosten der Landwirtschaft. Nun schienen sich alle Befürchtungen über die Folgen des Freihandels für das landed interest zu bewahrheiten, ehe sich der ökonomische Aufschwung und die steigende Nachfrage seit etwa 1852/53 für die Protektionisten unerwartet auch und dauerhaft zugunsten der Landwirtschaft auswirkten und das vermeintliche Nullsummenspiel der ökonomischen Interessen aufhoben138.
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Vgl. beispielsweise Stanley an Croker, 12. September 1847, CROKER PAPERS III, S. 134–136 (134 f.: „The result of the late elections proves, I think, that the game of Free Trade must be played out, and its effects, which the late crisis has served to disguise, must be tested by actual experience before the experiment can be retracted, or it would be wise in us [sic] to press for its retractation“), gegenüber Stanley an Croker, 27. September 1847, EBD. III, S. 136–138 (137: „unless we repent our evil free-trade ways, and insist upon reciprocity or retaliate where we fail to obtain it, our manufacturing and commercial greatness must begin to go down hill“). Vgl. auch die im Gegensatz zur darauf folgenden Rede Richmonds weit konziliantere Oberhausrede Stanleys vom 16. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 717–724 (Richmond: Sp. 726 f.). Stanley an Newdegate, 8. Oktober 1848, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6624 (die zitierte Passage unterstrichen). Mittlerer jährlicher Weizenpreis pro Viertelzentner, vgl. PARLIAMENTARY PAPERS 1878/79 LXV, S. 438, hier zit. nach EHD XII(1), S. 217: 1846 54s 8d 1847 69s 9d 1848 50s 6d 1849 44s 3d 1850 40s 3d 1851 38s 6d 1852 40s 9d 1853 53s 3d 1854 72s 5d (danach bis 1867 bei relativer grundsätzlicher Stabilität Schwankungen zwischen 40s 2d und 74s 8d). Zur ökonomischen Entwicklung und zur Prosperität der fünfziger Jahre auch in der Landwirtschaft vgl. allgemein ARMSTRONG, Countryside, S. 113–120, BURN, Age of Equipoise, S. 308 f., HOBSBAWM, Industry and Empire, S. 109–124, 154–159 und 195–198, HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 9–15 und 275–315 (zur Frage des mittviktorianischen
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852 B)
ZWISCHEN REANIMATION UND AGONIE (1848–1851)
Der dramatische Verfall der Agrarpreise seit dem Herbst 1847 und die darauf folgende und über Jahre andauernde schwere Agrarkrise im Zeichen schlechter Ernten und hoher Getreideimporte entfachten die protektionistische Bewegung innerhalb wie außerhalb des Parlaments erneut. Im Mai 1849 wurde die National Association of British Industry and Capital gegründet, die sich am Ende dieses Jahres mit der Central Protectionist Society zusammenschloß139 und der Unzufriedenheit des Landes auch organisatorischen Ausdruck verlieh. Die Konservativen waren alarmiert, zumal die Farmer, denen bekanntlich kein besonderer politischer Weitblick zugetraut wurde, sich aus kurzfristigen Erwägungen in ihrer Not auch inkonsequent anders orientieren mochten: the farmers see distress staring them in the face and will not submit to it quietly. They claim the promises which have been made by our Party, that we should attempt something for their relief; they will, as they told us plainly, with much regret join the Cobdenite party, as the only men who manifest any practical intention of assisting them in their difficulties.140
Die Lage ließ sich aus Sicht der Protektionisten aber auch optimistischer auffassen, denn die ökonomische Entwicklung brachte sie in die Offensive: „As to our prospects, they are brighter than ever. We are now on the aggressive, instead of the defensive“141. Und dies war mitunter wörtlich zu verstehen, denn einige Protektionisten wie etwa George Frederick Young entfalteten mit öffentlichen Versammlungen und Petitionen ein Maß an Massenagitation, das zumindest verbal viel mehr an die politischen Kommunikationsformen der Chartisten als an den distinkten Politikstil des Landadels erinnerte142.
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„Booms“ – vgl. CHURCH, Victorian Boom – die negierende Antwort S. 278 f.) sowie die weiterführende Literatur S. 737–739, WEBB, Modern England, S. 286–289, und WOOD, Nineteenth-Century Britain, S. 175–181. Vgl. STEWART, Foundation, S. 235 f., und STEWART, Protection, S. 115 und 139. Newdegate an Stanley, 6. Februar 1849, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 148/1. Manners an Disraeli, 2. Februar 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden, 106/1, fol. 53 f., hier 54 (alte Signatur: B/XX/M/38); vgl. auch Manners an Disraeli, 8. November 1847, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden, 106/1, fol. 34–37, hier 34 f. (alte Signatur: B/XX/M/14): „this important change in the conduct of the War; heretofore we have been the assailed, henceforward, that is if I had my way, we are the assailants. Bright and Villiers and Thompson and Smith [. . .] must admit the present failure of their grand scheme of Free Imports.“ Vgl. etwa G.F. Young an Stanhope, 24. Mai 1849, NL Young, BL London, Add MSS 46712, fol. 95: „It [i.e. eine Adresse; AR] would, I have no doubt, have a very powerful effect when adopted by large Public Meetings in all the Sea Ports, & it would be everywhere carried by acclamation. I need not observe that no redress can be expected except from a popular move-
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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Auch auf publizistischer Ebene wurde die Kritik am Freihandel vehement vorgetragen, wobei der Gral des Protektionismus vor allem in der Quarterly Review und in Blackwood’s Magazine gehütet wurde. Young selbst unterzog den Freihandel, im beflügelnden Bewußtsein, daß das „Fieber der ‚falschen Wissenschaft‘“ abgeklungen sei und die Reaktion voranschreite, einer detaillierten ökonomischen Diskussion. Der grundlegende Denkfehler liege in der „kosmopolitischen Theorie“ einer Einheit der Menschheit, die doch naturgemäß und wesentlich aus unterschiedlichen und separaten Nationen zusammengesetzt sei. Diese einzelnen Sektionen seien der jeweilige Bezugsrahmen des Wirtschaftens, der sich nach aller Erfahrung nicht auf das Ganze übertragen lasse und den Wohlstand nicht befördere, sondern hemme143. Denn der Wohlstand des Landes, so argumentierte W.E. Aytoun in Blackwood’s Magazine, hänge von seiner jährlichen Inlandsproduktion ab, und deren Wert werde durch drückende Besteuerung oder, wie in diesem Falle, durch ungehinderte äußere Konkurrenz gemindert. Der Freihandel habe die Gewinne der englischen Landwirtschaft und somit ihre Kaufkraft ebenso wie den Konsum der breiten Bevölkerung dramatisch reduziert144. Letztendlich aber die Pauperisierung der Arbeiter- und Unterschichten zu verursachen, um die eigenen Profite zu steigern und die Herrschaft der städtischen, industriellen Mittelschichten und ihre Demokratie anstelle der wohltätigen Aristokratie und ihrer Sozialordnung auf der Grundlage des Landeigentums zu errichten, das war der sozio-ökonomische ebenso wie der politische Generalverdacht und Vorwurf gegenüber dem Freihandel und der Manchester School145. Das Verdikt fiel umfassend aus: Freihandel sei, so Young resümierend, in its very essence a mercenary, unsocial, democratising system, opposed to all generous actions, all kindly feelings. Based on selfishness [. . .] it directs that impulse into the lowest of all channels, the mere sordid pursuit of wealth. It teaches competition and isolation, instead of co-operation and brotherhood; it substitutes a vague and impracticable cosmopolitanism for a lofty and ennobling patriotism; it disregards
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ment which ought to be zealously promoted in every district amongst all the various classes that are engaged in productive Industry. A ‚Monster Meeting‘ on Blackheath would be of the utmost importance“; vgl. auch Stanhope an Young, 29. Mai 1849, NL Young, BL London, Add MSS 46712, fol. 97 f. Vgl. G.F. Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 157–159, das Zitat 159. Vgl. dazu wie auch zum Folgenden GAMBLES, Protection and Politics, S. 209–214. Vgl. W.E. Aytoun, The Experiences of Free Trade, in: BM 69, S. 748–766 (Juni 1851), hier 760 f. Vgl. J.W. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 292 f.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
the claims of humanity towards the poor, if opposed to the pecuniary interests of the rich [. . .]. Wealth is its end and Mammon its divinity.146
Mit einer solchermaßen nicht nur konträren, sondern zugleich existentiell bedrohenden politischen Richtung konnte es konsequenterweise keinen Kompromiß geben. Doch führte eine solch prinzipienfeste Haltung ihrerseits in die Sackgasse der politischen Isolation. So sah es zumindest Disraeli, der die Konservativen aus der politischen Absonderung sowohl im Parlament als auch, im breiteren Sinne, in der politischen Kultur des Landes herauszuführen gedachte: time has come, when some great effort should be made, without reserve, to form the opinion, & guide the conduct, of the Agricultural Party. [. . .] I see a terrible future, wh: I wish to avert.147
Mitte September 1849 enthüllte er seine Pläne einer Finanzpolitik zugunsten der Landwirtschaft auf der Basis eines steuerfinanzierten Tilgungsfonds (sinking fund) anstelle von Schutzzöllen auf einer nicht öffentlichen Versammlung in Aylesbury in Buckinghamshire, deren Inhalt jedoch publik wurde und einen Sturm der protektionistischen Entrüstung gegen Disraelis Frevel an der reinen Lehre hervorrief148. Jenseits der Kompromißlosigkeit orthodoxer Protektionisten, die um des Prinzips willen zu Schutzzöllen zurückzukehren gedachten149, und über das Kalkül hinaus, daß zusätzliche Steuern unpopulär seien150, war insbesondere Derby tief verstimmt, nicht zuletzt, weil er von Disraeli in Unkenntnis über seine Pläne gelassen worden war151. Sie erschienen ihm auch reichlich unrealistisch, „and I cannot 146 147 148 149
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Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 183, vgl. auch 155–157 und 182. Disraeli an Robert Harvey, 25. Oktober 1849 (bezogen auf die Versammlung von Aylesbury), DISRAELI LETTERS V, 1910/244. Vgl. STEWART, Protection, S. 146–151, BLAKE, Disraeli, S. 290 f., M&B III, S. 213–235, und DISRAELI LETTERS V, 1881/219 Anm. 1–3. Vgl. Beresford an Disraeli, 28. September 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 30/6, fol. 136–138 (alte Signatur: B/III/53), hier 137 („There is a general feeling that a recurrence to Protection is absolutely necessary and, I am sure, as I have ever held to it, that we should work that feeling to the utmost extent“), sowie Newcastle an Disraeli, 21. Oktober 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 30/6, fol. 84–89 (alte Signatur: B/III/34a), hier 83 („My opinion is that we shall never do any good by compromising. We are against free trade, we are in favour of protection. If we are, why dissemble in the slightest degree. Let us be rightly and clearly understood. Let us openly avow our profession of faith“). Vgl. Newdegate an Disraeli, 28. September 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 30/6, fol. 34 f. (alte Signatur: B/III/10). Vgl. Stanley an Newdegate, 25. September 1849, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 178/1, fol. 350 f., hier 350 (auch: NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6630): „D’Israeli’s speech at Aylesbury took me as much by surprise as it did you. His
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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concur in any line of policy which tacitly abandons the principle of fair and moderate protection“152. Vor allem lief Disraelis Vorschlag Derbys Bemühungen entgegen, die Partei zusammenzuhalten; er drohte vielmehr erhebliche Unruhe innerhalb der Konservativen zu stiften: what gives me most uneasiness [. . .] is the indication [. . .] of your not only considering a return to protection hopeless, but of your wishing to impress on our friends the conviction that it is so. Events alone can show whether at any time, and if so within what time, a return to that principle may be practicable: but [. . .] I am firmly convinced, that the public mind is beginning to be impressed with the conviction that Free Trade has proved a delusion; and at the point at which we now stand, our clear policy is to seek to encourage this conviction. Our hold on the public mind is our adherence to the principles for which we have contended; and I think we commit a great error, and insure the loss of nine-tenth of the support we have, if we abandon the cause as hopeless, before our friends are prepared so to consider it.153
Disraeli versuchte sich wortreich zu rechtfertigen und bezeichnete seinen Finanzplan anstelle des Protektionismus als wahre konservative Maßnahme. Sie ziele nämlich auf die grundlegende Sicherung der Sozial- ebenso wie der Verfassungsordnung, mache die Konservativen zur handelnden Kraft, die politisch integriere, populäre Politik vertrete und somit das Konzept der „national party“ zumindest im Ansatz umzusetzen versuche, wie er am konzisesten in einem Brief an den prinzipienfesten Protektionisten George Frederick Young formulierte: Unless the agricultural constituencies (county & borough) are prevented from running a-muck against the financial system of this country, wh:, out of suffering & sheer spite & vexation, it is not unnatural that they should do, it is all over with England as a great, free, monarchy; and it must become, not only, in its imitation of the Un: States, a second-rate republic, but a second-rate & manufacturing republic. The agricultural constituencies, therefore, must at this moment be taught, that there is no hope for them in the repeal of taxes; & that in a juster distribution of the burtherns
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scheme had not been communicated to me, and I am not sure whether I understand it now, but if I do, I concur in the objections which you take to it“; vgl. auch Stanley an Disraeli, 22. September 1849, M&B III, S. 215–217. Stanley an Newdegate, 26. Oktober 1849, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6631 (dort auch zum Vorschlag eines sinking fund: „a very desirable object if it can be affectuated; but in the present state of our finance, and of public feeling, I hold it to be very difficult of attainment, though I think it the duty of every Government, if they have a surplus revenue, to endeavour to uphold it for the reduction of debt, and thereby the maintenance of public credit, rather than to sacrifice it by the combined remission of Tax“); vgl. auch Stanley an Newdegate, 25. September 1849, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 178/1, fol. 350 f., hier 351 (auch: NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6630), sowie Stanley an Disraeli, 13. November 1849, M&B III, S. 230 f. Stanley an Disraeli, 25. Oktober 1849, M&B III, S. 223–226, hier 223 f. Zur Haltung Derbys im allgemeinen vgl. JONES, Derby, S. 121–127, 135–139 und 152 f.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
on real property, & in a general diminution of the general burtherns of the State by a sinking fund supplied by import duties, they may obtain considerable, & lay the foundation of sufficient relief. In this manner, the country party might be re-constructed on two great popular principles; the diminution of public burtherns & the maintenance of public credit; & its interests would be associated with the sympathies of the community. It is possible that these projected measures may never pass, but it is a bold & specific policy, founded on principles, wh: would rally men together, & keep them together, until they have power to carry something else, still more satisfactory.154
Jedenfalls offenbarte Disraelis Vorstoß die tiefen Verwerfungen innerhalb der Tories. Der Flügel um Disraeli, der auch nach der Enttäuschung von 1849155 darauf setzte, seitens der Konservativen die Realitäten ebenso wie beispielsweise 1834 die Wahlrechtsreform anzuerkennen und vom Protektionismus Abstand zu nehmen156, dem der jüngere Stanley, Malmesbury, Douro (der 2. Duke of Wellington), Drummond und eingeschränkt, zumindest inhaltlich auch Herries zuzurechnen waren157, hatte zwar Zukunftsperspektiven, aber keine Mehrheit für sich. Keines von beiden besaßen demgegenüber die Orthodoxen wie Richmond im protektionistischen Bunker158, während eine Mehrheit der Partei zwischen den Flügeln auf der Wiedereinführung wenn auch moderater Schutzzölle bestand159. In diesen Jahren gab Derby den politischen Kurs vor, auf den er schon Disraeli nach seiner Rede in Aylesbury zu verpflichten versucht hatte, nämlich in der Hoffnung auf das Herannahen eines günstigen Zeitpunktes für die Wiedereinführung moderater Schutzzölle die politische und soziale Entwicklung ebenso wie die nächsten Wahlen zunächst einmal abzuwarten und nicht durch überstürzten Aktionismus die Einheit der Partei noch wei154 155
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Disraeli an Young, 19. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1902/237; vgl. auch Disraeli an John Manners, Newcastle und [John Cox], EBD., 1894/230, 1896/231 f. und 1899/234. Vgl. Disraeli an seine Schwester Sarah, 4. November 1849, EBD., 1915/248: „I give up the attempt of rousing the agricultural interest to any decided demonstration. They are puzzled, & sluggish – perhaps when they are a little more pinched, they may stir themselves.“ Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 9. Juni und 3. Juli 1850 (auch zu Derbys Haltung), STANLEY JOURNALS, S. 19 f., hier 20, und 23 f., hier 24, Brights Tagebucheintrag vom 4. Januar 1850, BRIGHT DIARIES, S. 109 („Dined [. . .] with Disraeli, strange fellow! Admits Protection gone. Did all he could to prevent squires and farmers making fools of themselves in the recess“), sowie Disraeli an Manners, 12. Oktober 1850, DISRAELI LETTERS V, 2049/361. Vgl. Herries an Stanley, 28. Januar 1850, NL Herries, BL London, Add MSS 57409, fol. 93–96, hier 93, Malmesbury an Stanley, Februar 1850, vgl. STEWART, Protection, S. 145 (am angegebenen Ort in NL Derby jedoch nicht aufgefunden), Stanleys Tagebucheintrag vom 3. Juli 1850, STANLEY JOURNALS, S. 23 f., hier 24, sowie Drummond an den Herausgeber der Surrey Times, 7. November 1850, DRUMMOND, Speeches I, S. 459–461, hier 460. Vgl. etwa Richmonds Oberhausrede vom 2. Mai 1850, HANSARD 3/110, Sp. 1090–1095. Vgl. dazu etwa Manners an Disraeli, 26. September und 12. Oktober 1850, DISRAELI LETTERS V, 2049/361 Anm. 3.
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ter zu gefährden. Dabei schwankte er zwischen kurzfristigem Optimismus und tiefer grundlegender Skepsis: attached as I have ever been to the principle of protection, that attachment remains unchanged, and I only look for the moment when it may be possible for us to use the memorable words of the Duke of Wellington on the field of Waterloo, and to say ‚Up Guards, and at them!‘ The next election must be the turning point of our destiny [. . .]. If the country has by that time seen its danger and felt it to be danger, there is some hope of a change for the better; but if this, or any Free Trade, Government, then acquire a majority, the game is up, and I firmly believe we shall be in rapid progress towards a republic in name as well as in reality [. . .] and in everything the lowest and shortest sighted utilitarianism will be the policy of England.160
Als die Agrarpreise 1850/51 weiter verfielen und verstärkten Druck auf Derbys abwartende Haltung ausübten161, sahen sich die Konservativen genötigt, in die parlamentarische Offensive zu gehen, die Disraeli mehr aus politischem Kalkül denn aus protektionistischer Überzeugung führte. Dabei hielt er dem Parteiführer einmal mehr die vorherrschende Meinung im Lande vor Augen, „that Protection was dead & buried“; einen argumentativen Ansatzpunkt sah er aber in der Gleichzeitigkeit von allgemeiner Prosperität und landwirtschaftlicher Not162. Während Derby und Richmond im Oberhaus zu Beginn der Parlamentssession des Jahres 1851 in mittlerweile eingespielter Aufgabenteilung in moderatem bzw. scharfem protektionistischem Tonfall die Lage des Landes beklagten und die Notwendigkeit von Steuererleichterungen betonten163, beantragte Disraeli eine Woche später im Unterhaus, die Regierung aufzufordern, unverzüglich geeignete Maßnahmen zur Linderung der agrarischen Notlage zu ergreifen. Die soziale Lage der Bevölkerung sei durch allgemeine Prosperität und gleichzeitige Benachteiligung einer bestimmten 160
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Tagebucheintrag Stanleys über eine Äußerung seines Vaters, 11. Mai 1850, STANLEY JOURNALS, S. 18 f., hier 18 (erstes Zitat), und Stanley an Croker, 18. August 1850, CROKER PAPERS III, S. 219–221, hier 220. Vgl. Eglinton an Malmesbury, 24. November 1850, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 266: „There is the best possible feeling among all the gentlemen of our party, and no desire to rush to extremities, or drive us to a certain defeat; but in many parts of Scotland, as in England, the farmers think us too lukewarm, and accuse the landlords of deserting them. I think we must fight about something next session.“ Vgl. Disraeli an Stanley, 2. und 18. November sowie 7. Dezember 1850, DISRAELI LETTERS VI, 2053X/528 (dort das Zitat, das in diesem konkreten Fall auf die Haltung der Mittelschichten bezogen ist, was sich aber ohne weiteres als rhetorische Tarnung der eigenen Position auffassen läßt), Letters V, 2063/376–379 und 2069/382–385, und Disraeli an Granby, [24.] Dezember 1850, Letters V, 2079/390. Vgl. die Oberhausreden Stanleys und Richmonds vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, bes. 19 f. und 23 f., und Sp. 30–33.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Klasse gekennzeichnet, begründete er den Antrag, der allerdings, so beeilte er sich hinzuzufügen, „keinen Angriff auf das neue ökonomische System darstelle und keineswegs den Protektionismus durch die Hintertüre wieder einführen wolle. Er bekannte gar: „if [. . .], by a chance majority, I could bring back that system popularly called protection, I should shrink from doing so.“ Statt dessen hob er ganz auf die zu hohe Abgabenlast des Landes ab und forderte steuerliche Erleichterungen164. Es konnte kaum verwundern, daß Disraeli nicht unbedingt den Eindruck hinterließ, von seiner Sache überzeugt zu sein165. In der zwei Abende währenden Debatte über seinen Antrag traten unterdessen unvereinbare Auffassungen der beiden Seiten des Unterhauses nicht nur über die einzuschlagende Politik, sondern grundsätzlich über die Einschätzung der sozialen Lage im Lande zutage. Während von peelitischer und liberaler Seite eine Verbesserung der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung konstatiert wurde166, die auch Disraeli feststellte, bestritten viele Protektionisten diese Bilanz. Wenn überhaupt eine Besserung eingetreten sei, dann um den Preis eines „sacrifice of their masters“, nicht nur der Landbesitzer, sondern vor allem der Landpächter (tenant farmers)167; andere bestritten vehement „that any class whatever was getting better food, better wages, or better employment“168. Während die Protektionisten die agrikulturellen Gravamina vorbrachten und steuerliche Erleichterungen forderten169, beharrten die Freihändler darauf, den Getreidepreis und letztlich die gesamte Landwirtschaft dem Markt zu überlassen, und verwiesen die Landwirte auf eine Senkung ihrer Ausgaben170. Die Debatte machte deutlich, daß die protektionistische und die liberalfreihändlerische Position im Ansatz unvereinbar und nicht auf Kompromiß angelegt waren. Daß der Ausgang des Konflikts aber weniger klar abzusehen war, als es retrospektiv scheinen mag, zeigt das Ergebnis der Abstim164 165 166 167 168 169 170
Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 11. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 374–414, bes. 374, 386–388, 404 f. und 414, das Zitat 387. Vgl. Russell an Victoria, 12. Februar 1851, LQV 1837–1861 II, S. 285 f., hier 285 (das Datum verbessert aus Januar). Vgl. die Unterhausreden Woods und Grahams, 11. und 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 414–439 und Sp. 516–537 (vgl. auch ANNUAL REGISTER 1851, S. 22–25). Vgl. die Unterhausreden von Grantley Berkeley und Granby vom 11. und 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 444–448, das Zitat 442, und Sp. 509–516. Vgl. die Unterhausreden von Thomas Booker-Blakemore und Col. Dunne vom 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 537–542, bes. 540 f., und Sp. 566–570, bes. 566 (dort das Zitat). Vgl. die Unterhausreden von William Hodgson und Granby vom 11. und 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 439 f. und Sp. 509–516, bes. 510–512. Vgl. die Unterhausreden Grahams und Cobdens vom 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 516–537 und Sp. 573–582; vgl. dazu ANNUAL REGISTER 1851, S. 23–26.
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mung über Disraelis Antrag, die allerdings keine zugespitzte Entscheidung etwa in Form einer Vertrauensfrage für die Regierung darstellte: 267 JaStimmen gegenüber 281 Nein-Stimmen bedeuteten nur eine knappe Mehrheit für die Freihändler171. Der Protektionismus war im Frühjahr 1851 keineswegs abgeschrieben. In diesem Bewußtsein machte Derby Schutzzölle, die allerdings möglichst moderat ausfallen und nicht nur Gerechtigkeit für das Land herstellen, sondern auch die Ehre der Protektionisten in diesem zugespitzten Streit wahren sollten, zur Voraussetzung für die Bildung eines Kabinetts, mit der er nach Russells Rücktritt im Februar 1851 von der Königin beauftragt wurde, die allerdings an fehlenden parlamentarischen Partnern und insbesondere an mangelndem eigenem patentem Personal scheiterte172. Das mußte Derby allerdings, im Gegensatz zu Disraeli, nicht übermäßig kümmern, denn er spielte weiterhin auf Zeit, wartete auf die nächsten Parlamentswahlen und konnte sich durchaus begründete Hoffnungen machen, daß die Zeit zugunsten der Sache des Protektionismus arbeite173, wie auch auf den parlamentarischen Oppositionsbänken und darüber hinaus zunehmend erwartet wurde174. Diese Hoffnungen auf Schlachtensiege verbanden sich unterdessen mit der verzweifelten Angst, den Krieg verloren zu haben, wie der Parteiführer im Stile der späteren Untergangsszenarien Cecils bzw. Salisburys klagte und wie es für die konservative Gemütslage zwischen 1846 und 1852 durchaus typisch war175: If I can consolidate with them the now awakened spirit of Protestantism, and at the same time keep the latter within reasonable bounds, I can go to the country with a
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Vgl. HANSARD 3/114, Sp. 604–607. Vgl. dazu das Memorandum Prinz Alberts und den Tagebucheintrag des jüngeren Stanley vom 22. Februar 1851, LQV 1837–1861 II, S. 289–293, bes. 291, und STANLEY JOURNALS, S. 42–44, bes. 44, sowie Kapitel I.3.b). Vgl. Manners an Young über ein Gespräch mit Stanley, 2. März 1851, NL Young, BL London, Add MSS 46712, fol. 129: „All in his opinion will depend upon the General Election which he thinks near at hand, as parties are so evenly balanced that no Government can long command a majority in the present House of Commons. Had it been July, he would have run the risk of forming an Administration; but with a hostile majority to face, all the business of the section to transact, and colleagues, with only one or two exceptions, in the lower House of no official experience, he felt he should be damaging the cause + injuring the country if he persevered. He has placed before the country the programme of his policy, and if at a dissolution the constituencies are in favour of import duties, and no Income Tax, he will be ready to take the helm and steer the ship into the harbour of safety.“ Vgl. etwa Grevilles Tagebucheintrag vom 10. Mai 1851, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 292–294, bes. 293 f. Vgl. dazu systematisch Kapitel IV.2 und V.4.
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strong war-cry [. . .] ‚Protestantism, Protectionism, and down with the Income Tax‘. But let our watchwords be what they may, the real struggle, the real battle of the Constitution which has to be fought is whether the preponderance, in the legislative power, is to rest with the land and those connected with it, or with the manufacturing interests of the country. If the former, the Throne is safe; if the latter, in my deliberate judgement, it is gone.176
Trotz nach wie vor dramatisch niedriger Getreidepreise schwanden im Jahr der Weltausstellung auch die Hoffungen auf eine Wiedereinführung von Schutzzöllen, als ein optimistischer Fortschritts- und Freihandelsgeist und ein zunehmendes Bewußtsein des ökonomischen und sozialen Aufschwungs zumindest außerhalb der Landwirtschaft und im engeren Sinne der Landpächter um sich griff. Zudem machte Disraeli in diesem Jahr eine Entdeckung, die an den Grundlagen des Protektionismus von 1846 rüttelte: daß nämlich die Landwirtschaft unter veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen auch ohne hohe Getreidepreise florieren könne177. Mit dieser Einsicht ebenso wie mit seiner lange bekannten flexiblen Befürwortung einer Abkehr vom Protektionismus kollidierte er allerdings weiterhin mit der protektionistischen Orthodoxie, die „any deviation from the broad principle and assertion of Protection to all branches of British Industry“ ebenso strikt ablehnte wie Disraelis „Manöver“ und sein „Finassieren“, das die Unterstützung der Farmer opfere178. Und selbst sein alter Vertrauter John Manners mahnte ihn nicht zum ersten Mal „that we cease to be a Party if we drop the principle of Protection“179. Durch diese Widerstände wiederum reifte Disraelis Einsicht in die eigene Machtlosigkeit, das als notwendig Erkannte zu tun. Dies stellte nach der gescheiterten Regierungsbildung von 1851 – „Now we are a body of persons avowedly, selfconfessedly, incompetent to take the reins“180 – eine veritables Strukturproblem dar, denn „landed incapacity“ stellte den sozialen und politischen Führungsauftrag des Landes und somit letztlich die gesamte Sozialordnung in Frage, die ja ohnehin unter Beschuß lag: As for domestic politics, they are worse than bad: they are hopeless. Neither of the two aristocratic parties being able to govern the country, the community are now curiously investigating the depositories of power, so that they may be arranged in some manner wh: will at least secure a parliamentary majority. These analyses do 176 177 178 179 180
Stanley an Croker, 22. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 237; vgl. auch Stanley an Croker, 18. August 1850, EBD. III, S. 219–221, hier 220 f. Vgl. Disraeli an seine Schwester Sarah, 17. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2185/476. Vgl. W.E. Aytoun, Autumn Politics, in: BM 70, S. 607–628 (November 1851), hier zit. nach DISRAELI LETTERS VI, 2221/9 Anm. 4. Manners an Disraeli, 5. Januar 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2221/8 Anm. 1. Disraeli an Manners, 13. Januar 1852, EBD., 2221/10.
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not exactly benefit the cause of the territorial constitution. Prescription justified a landed preponderance as long as the land cd. govern – but the nation will not stand political power mainly deposited in one class, & that class incapable of wielding it. The movement is irresistible in my mind; & unless an avowedly conservative govt. be formed this session of wh: I see not the slightest prospect, & if it formed, successfully maintained, the great towns of the north will govern England in five years time. The aristocratic classes are frightened, but protection is a barrier against co-alition & reconstruction wh: stops everyone, & Cobden triumphs in the stumbling block. I never saw things tumble down so fast as the landed interest.181
In dem Maße, in dem die Flügel auseinanderstrebten, wurde die Balance für Derby schwieriger zu halten. Er war nicht bereit, den Protektionismus ohne weiteres aufzugeben, doch die nächsten Parlamentswahlen mußten die Entscheidung bringen182. Am Ende des Jahres 1851 standen die Protektionisten im Banne weniger einer ökonomischen als einer politischen Depression. Doch wenn eine Krise immer zugleich eine Entscheidungssituation und durch die so erfolgende Lösung ein Wendepunkt ist, dann war genau dies für die Konservativen im Jahr 1852 der Fall, als Derby, ein Jahr nach dem gescheiterten ersten Versuch, Ende Februar sein erstes Kabinett bildete und die Konservativen Farbe bekennen mußten. C)
PROTEKTIONISMUS „DEAD AND BURIED“: ENTSCHEIDUNG 1852
Als die Protektionisten sich in der Regierungsverantwortung wiederfanden, verpufften alle Hoffnungen auf eine Wiedereinführung von Schutzzöllen im Nichts. Denn während Derby auch als Premierminister bei seiner abwartenden Haltung blieb, eine Entscheidung über den Protektionismus den nächsten Wahlen zu überlassen, statt nunmehr protektionistische Entschlossenheit zu entfalten, war Disraeli mehr als alle Protektionisten fest entschlossen, das Problem in seinem Sinne zu lösen: „diesen Mühlstein“
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Disraeli an Derby, 7. Dezember 1851, EBD., 2203X/531 f. Vgl. Derby an Malmesbury, 18. Januar 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 299 f., hier 299: „I continue to think that a recurrence to duties on imports, including corn, is desirable both on financial and political grounds; and I can neither abandon this belief, not a line of policy founded upon it, until a general election has convinced me that which I think the best thing for the country is an unattainable good. Should the country prove to be not with us, I should feel absolved from the duty of protracting a hopeless struggle, which, while it continues, must cause serious injury by the uncertainty it creates as to the final result; but to take office as a Protectionist, and then spontaneously abandon the principle of Protection, would involve a degree of baseness, from the imputation of which I should have hoped that my ‚antecedents’ [. . .] might have relieved me.“ Vgl. auch Derby an Disraeli, 18. Januar 1852, M&B III, S. 316 f.
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endlich loszuwerden183 und die Konservativen in Einklang mit der sozioökonomischen ebenso wie der politisch-kulturellen Entwicklung des Landes zu bringen oder auch zu zwingen. So kündigte Disraeli bereits am 1. März, als er sich wegen der Übernahme des Regierungsamtes als Schatzkanzler in Buckinghamshire zur Wiederwahl stellen mußte, seinen Wählern an, er werde eine Beendigung des „Klassenkampfes“ der letzten Jahre in Angriff nehmen184, was weniger als Kampfansage an die Freihändler denn als Revision der protektionistischen Haltung zu verstehen war. In ebendiesem Sinne brachte er am 30. April 1852 eine erste, kurzfristige Haushaltsvorlage ins Parlament ein185, die ohnehin noch keine Schutzzölle hätte wiedereinführen können, die aber, und das ist das Entscheidende, als Absage an den Protektionismus verstanden wurde, wie die Times leitartikelte: We saw with our own eyes the last rag of Protection put into a red box, and when the lid was opened, a perfect Chancellor of the Exchequer appeared, who immediately opened his mouth and made a first rate financial statement.186
Der Anerkennung auf seiten der Freihändler stand einstweilen jedoch erhebliches Befremden auf seiten der Konservativen gegenüber, und Derby wies seinen Schatzkanzler in aller Deutlichkeit zurecht: „you were making out a triumphant case for the Free Trade policy which is the mainstay of our opponents“187. Doch angesichts der schwindenden akuten ökonomischen Bedrohung wurden die protektionistischen Bastionen Zug um Zug geräumt. Trotz des Grummelns der Protektionisten188 fand sich nun selbst die bis183 184 185 186 187
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Disraeli an Henry Lennox, 18. Juli 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2335/93. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 1. März 1852, in: THE TIMES vom 2. März 1852, S. 5f. Vgl. HANSARD 3/121, Sp. 9–36. THE TIMES vom 1. Mai 1852, S. 5b/c, hier 5b. Derby an Disraeli, 30. April 1852, M&B III, S. 365 f., hier 366; vgl. auch die Aufzeichnung Alberts vom 2. Mai 1852, zit. nach DISRAELI LETTERS VI, 2281/55 Anm. 1: „The protectionists themselves (if one can call them any longer so. . .) are a good deal startled & I don’t know what to make of the triumph of Peel which the very man gives him who merciless hunted him down“; vgl. auch Malmesburys Tagebucheintrag vom 1. Mai 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 332: „Disraeli’s speech on introducing his Budget has produced a bad effect in the country, for the farmers, though reconciled to giving up Protection, expected some relief in other ways, and he does not give a hint at any measure for their advantage. [. . .] Lord Derby is much annoyed.“ Zur Politik Derbys im Jahr 1852 vgl. JONES, Derby, S. 159–182. Vgl. Stanhope an Newdegate, 8. April 1852, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 1366/B 6622: „I was always very desirous to cooperate with those who would act with energy and independence in defending the principle of Protection – to every branch of British Industry as also the Rights of Labour, and I ardently wished that the National Association should have been enabled to exert a powerful influence on the present, instead of becoming a mere [. . .] electioneering agent in the hands of Lord Derby, whose declarations upon
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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lang streng schutzzöllnerische Quarterly Review mit den neuen Realitäten ab und stellte sich auf einen weit über die Zollpolitik hinausgehenden sozial- und wirtschaftspolitischen Kurswechsel ein. D.T. Coulton räumte bereits in der Märzausgabe 1852 ein, daß die bei der Einführung des Freihandels erwarteten Übel nicht eingetreten seien. Dabei entsprang es in erster Linie Gründen der Gesichtswahrung, wenn die „general prosperity of the producing classes“ nicht auf den Freihandel zurückgeführt wurde, sondern auf die 1846 nicht absehbare Kapitalzufuhr durch Goldfunde in Kalifornien. Obwohl Zölle auf fremdes Getreide auch unter freihändlerischen Prämissen aufgrund der erforderlichen Staatseinkünfte zu rechtfertigen seien, möge es in Anbetracht der öffentlichen Diskussionslage für die Regierung Derby ratsam sein, darauf zu verzichten und auf anderem Wege Kompensationen für die notleidende Landwirtschaft zu schaffen. Statt dessen wurde situationsbezogener, flexibler Pragmatismus anstelle von „absoluten Beschlüssen auf rein abstrakter Grundlage“ – worunter dogmatischer Freihandel ebenso wie sturer Protektionismus fielen – als wahrer Konservatismus auch in finanzpolitischer Hinsicht proklamiert189. Selbst John Wilson Croker gab die Hoffnung auf eine Wiedereinführung der Schutzzölle 1852 resigniert auf190, und auch Derby erwartete von den Parlamentswahlen, die im Juli 1852 anstanden, kein dementsprechendes Ergebnis mehr: I am fully convinced as you can be that if we could obtain for the next Parliament a moderate duty on Corn, it would be the most effectual mode, in itself and in its result, of relieving the Farmers – but I am bound to say that for what I hear, I have hardly an idea that such will be the case. I hear of endless seats, some for purely agricultural districts, which will be carried by candidates [. . .]191 to support me on every other question, but stoutly determined against this.192
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several occasions are, I think, the very reverse of those which ought to inspire confidence. It would seem that the National Association has adopted the very absurd definition which was lately given of a Protectionist that he is ‚a supporter of Lord Derby’s Administration‘, also it resembled rather a sarcastic remark that might have been made by a Free Trader.“ Vgl. D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Bd. 180 (März 1852), S. 492–502, hier 493 f., 496 und 501 f., die Zitate 494 und 501; vgl. auch W.E. Aytoun, The Manchester Movement, in: BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852), hier 760 und 768. Vgl. Croker, Postscript, in: QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, sowie Parliamentary Prospects, in: QR 91, Nr. 182 (September 1852), S. 541–567, hier 544–547. Ein Wort unleserlich. Derby an Young, 25. Mai 1852, NL Young, BL London, Add MSS 46712, fol. 154 f., hier 155; vgl. auch Derby an Victoria, 25. Mai 1852, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 180/2, fol. 98–104, bes. 102, und Victoria an Derby, 27. Mai 1852, LQV 1837–1861 II, S. 390: „The Queen hails Lord Derby’s declaration of his conviction that a majority for a duty on corn will not be returned to the new Parliament, as the first step towards the abandonment
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Während es für Derby mehr und mehr zu einer Frage der Ehre wurde, dem Protektionismus nicht vor den Wahlen Lebewohl zu sagen193, selbst von den Orthodoxen Signale der Kompromißbereitschaft194 ausgingen und die Kämpfer im letzten Graben ausdünnten195, ging Disraeli in seiner Wahladresse, die zugleich die inoffizielle Wahlplattform der Konservativen darstellte, abermals weiter. Vor seinen Wählern rehabiliterte er den verfemten Peel nachgerade, indem er seine „weisen und vorteilhaften Maßnahmen“ lobte, allerdings nur, so viel wollte er den Tories denn doch nicht zumuten, für die Jahre 1842 bis 1845196. Während die Wahlen den Konservativen zwar Gewinne einbrachten, mit denen sie weiterarbeiten konnten, aber eben keine Mehrheit197, markierte Disraeli den kraftvoll betriebenen Kurswechsel im vertraulichen Kreise: „We built up an opposition on Protection & Protestantism. The first the country has positively pissed upon“198. Weniger deftig, aber ebenso klar skizzierte Disraeli seine politische Linie öffentlich: „The spirit of the age tends to free intercourse, and no statesman can disregard with impunity the genius of the epoch in which he lives.“ Der Landwirtschaft stellte er zugleich steuerliche Entlastungen als Kompensation für die durch die Einführung des Freihandels erlittenen Nachteile in Aussicht199. Zugleich suchte der Schatzkanzler, der nach Derbys Einschätzung auch einen „sehr guten Freihandelsminister“ abgab200, den Freihandel für die Konservativen zu nutzen und ersann nunmehr, von wenig Sachkenntnis in
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of hostility to the Free Trade on which our commercial policy is now established, and which has produced so flourishing a condition of the finances of the country.“ Vgl. das Memorandum Alberts vom 22. März 1852, LQV 1837–1861 II, S. 384 f., hier 384: Derby könne nicht „with honour or credit abandon that measure unless the country had given its decision against it; but then he would have most carefully to consider how to revise the general state of taxation, so as to give that relief to the agricultural interest which it had a right to demand.“ Vgl. etwa die Adresse von Charles Henry Gordon Lennox an die Wähler von West Sussex, 26. Juni 1852, West Sussex RO Chichester, Goodwood MS 1761, fol. 1188. Vgl. als deren Vertreter Granby, der auch ohne Aussicht auf Erfolg einen Getreidezoll angestrebt hätte, um seine Prinzipien zu statuieren, Tagebucheintrag Stanleys vom 26. Juni 1852, STANLEY JOURNALS, S. 74. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 6. Juni 1852, in: THE TIMES vom 7. Juni 1852, S. 5e/f, hier zit. nach DISRAELI LETTERS VI, 2304/71. Vgl. dazu Kapitel I.3.b). Disraeli an Stanley, 18. Juli 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2336/95. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 6. Juni 1852, zit. nach DISRAELI LETTERS VI, 2304/72 f., das Zitat 73; vgl. auch seine Adresse vom 18. Juni 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2317/82 f. Memorandum Alberts, 28. November 1852, LQV 1837–1861 II, S. 404 f., hier 405.
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politischer Ökonomie beleckt, eigene freihändlerische Maßnahmen201 etwa in Form eines (dann aber nicht zustande gekommenen) Handelsvertrags mit Frankreich in reichlich konkreter Absicht: We ought now to be for as complete free trade as we can obtain, and let the English farmer, and the English landlord too, buy the best and the cheapest silks for their wives and daughters.202
Einfache ökonomische Vorstellungen leiteten Disraeli auch bei der Ausarbeitung seines ersten richtigen Haushalts, den er im Dezember einbrachte und der für die sich freihändlerisch wendenden Protektionisten zur eigentlichen Nagelprobe und schließlich, aus anderen Gründen, zum Stolperstein wurde. In seiner Regierungserklärung nach Wiederzusammentritt des Parlaments sprach Derby am 11. November 1852 zwar oftmals gewunden – erst ganz am Ende brachte er den Begriff „free trade“ über die Lippen –, aber dennoch deutlich: die ganz „ungewöhnliche Prosperität“ in den Lebensbedingungen der Menschen in Landwirtschaft, Handwerk und Industrie (und vor allem dort) resultierte zu einem wesentlichen Teil aus der Einführung des Freihandels, während die befürchteten negativen Konsequenzen ausgeblieben seien. Insbesondere nach den Wahlen galt: this system is now established, and working more advantageously for the labouring classes than we had anticipated. [. . .] On the part, then, of myself and of my colleagues, I bow to the decision of the country; [. . .] we shall endeavour as honestly to carry out the policy to which we have hitherto objected as if we ourselves had been the authors of that policy.203
Die anschließende Debatte im Unterhaus offenbarte eine Analyse der sozio-ökonomischen Lage innerhalb der Konservativen, die sich im Verlauf der vergangenen zwei Jahre grundlegend gewandelt hatte. Sie befand sich nunmehr in Übereinstimmung mit der Auffassung nicht nur der Liberalen und Freihändler, sondern auch der allgemeinen Auffassung im Land, wenn eine geradezu immense Zunahme ebenso wie ein ungekannter Standard all201
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Vgl. dazu auch Malmesbury an Disraeli, 24. September 1852, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 99/1, fol. 78 f. (alte Signatur: B/XX/Hs/27): „The present or rather future fate of the Government depends on our bringing forward grand and good measures. If we do this and expound them to the country, Lord Derby will be in again even if turned out by faction for a few months“; zur partiellen finanzpolitischen Naivität Disraelis vgl. GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 270. Disraeli an Malmesbury, 13. August 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 343 f. hier 343. Zu diesen Plänen vgl. auch Disraeli an Derby, 22. September, und an Cowley, 27. September 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2368/120 f. und 2407/158 f. Regierungserklärung Derbys vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 43–55, hier 47 f., 50 und 52–55, die Zitate 48, 52, 54 und 55.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
gemeinen Wohlstands festgestellt wurden, die in erheblichem Maße auf der Abschaffung der Getreidezölle beruhten204. Wenn der Freihandel dabei nicht ausdrücklich befürwortet wurde, so wurden die Zollgesetze von 1846 doch zumindest als irreversibel anerkannt205; nur eine Minderheit wie der tenant farmer Edward Ball oder Colonel Sibthorp, der grimmige Feind alles Modernen, redete weiterhin dem Protektionismus das Wort und richtete schwere Vorwürfe an die eigene Regierung206. Unstrittig war unter den Konservativen, daß dieser Wohlstand und die industrielle Entwicklung einhergingen mit erheblichen Belastungen für die Landwirtschaft, der, in welcher Form auch immer, Kompensationen und Erleichterungen zu verschaffen seien207, während Cobden für das reine Prinzip des Freihandels plädierte, das nicht verwässert werden dürfe208. Die Konservativen verstanden sich demgegenüber auch jetzt keineswegs als Anhänger einer umfassenden, geschlossenen ökonomischen und darüber hinaus sozialen Theorie des Freihandels, sondern unterstützten diesen vielmehr punktuell und ganz konkret209. So ist auch Derbys Terminologie ebenso wie die weithin vorherrschende Wortwahl unter den Konservativen zu verstehen, nämlich den Begriff des free trade zugunsten konkreter Bezeichnungen für einzelne zoll- und finanzpolitische Maßnahmen zu verwenden. Dies nährte auf seiten der Freihändler den Zweifel, ob die Konservativen es mit dem Freihandel wirklich ernst meinten, wie der Russell-treue Economist argwöhnte: their change – if change it may be called – is merely a deference to the opinions of others, from which they derive an advantage. [. . .] No change has gradually taken place in their convictions; they reiterated them over and over again to the last; and without a change in their opinions, they have made a change in their policy.210
Um eine neuerliche Bestätigung des Gesinnungswandels der Konservativen 204 205 206 207
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Vgl. die Unterhausreden Lovaines und Egertons vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 56–65, hier 59 und 61, und Sp. 65–69, hier 68. Vgl. die Unterhausrede Robert Nisbets vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 99–102, hier 101. Vgl. die Unterhausreden Balls und Sibthorps vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 118–121 und Sp. 124 f. Vgl. die Unterhausreden Lovaines, Egertons, Nisbets und Adderleys vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 56–65, hier 61, Sp. 65–69, hier 69, Sp. 99–102 und Sp. 107–111, hier 108 und 111. Vgl. Cobdens Unterhausrede vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 111–118. In diesem Sinne unterschied Lord Lovaine deutlich „between what is commonly called free trade and the abolition of duties of corn“, wobei er letztere unterstützte, HANSARD 3/123, Sp. 61. Protectionist Evasions, in: THE ECONOMIST, Vol. 10, Nr. 483, 27. November 1852, S. 1314 f., hier 1315.
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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zu erhalten, brachte Charles Villiers, der liberale Abgeordnete für Wolverhampton, am 23. November, keine zwei Wochen nach Derbys Regierungserklärung, einen Antrag im Unterhaus ein, der die Wunden innerhalb der konservativen Partei wieder aufreißen mußte und sie zu spalten und somit die Regierung zu stürzen drohte, was der Absicht des Antrags wohl kaum fernlag, Derby aber auf jeden Fall zu verhindern suchte211. Das Haus sollte also beschließen: That it is the opinion of this House, that the improved condition of the Country, and particularly of the Industrious Classes, is mainly the result of recent Commercial Legislation, and especially of the Act of 1846, which established the free admission of Foreign Corn, and that the act was a wise, just and beneficial measure.212
An drei Abenden213 wurden die inzwischen bekannten Argumente gewechselt: die Konservativen bekräftigten ihre Anerkennung der Entscheidung des Landes gegen den Protektionismus, ebenso aber ihre Forderung nach Ausgleichsmaßnahmen für die Landwirtschaft für die durch den Freihandel erlittenen Nachteile214, während die radikalen Freihändler Nettoverluste der Landwirtschaft angesichts der allgemeinen konjunkturellen Aufwärtsentwicklung überhaupt bestritten215. Vor allem wurde diese Debatte zum Abgesang des Protektionismus – „never was an enemy so stabbed, maimed, and mutilated“216 –, den überdurchschnittlich viele country gentlemen von den parlamentarischen Hinterbänken anstimmten und dabei dem Freihandel wenigstens die Hymne des creator prosperitatis verweigerten, wie etwa der Abgeordnete für Herefordshire, Thomas William Booker-Blakemore: Providence [. . .] and not human legislation, nor any efforts or results of human wisdom, has removed the pressure, and produced these blessings under which the
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Vgl. Derby an Victoria, 16. November 1852, RA VIC/C 42/9. HANSARD 3/123, Sp. 351 (dort zusätzlich: „That it is the opinion of this House, that the maintenance and further extension of the policy of Free Trade, as opposed to that of Protection, will best enable the property and industry of the Nation to bear the burthens to which they are exposed, and will most contribute to the general prosperity, welfare, and contentment of the people. That this House is ready to take into its consideration any measures consistent with the Principles of these Resolutions which may be laid before it by Her Majesty’s Ministers“) und 381 (dort der oben zitierte Absatz als Gegenstand des parlamentarischen Antrags). Vgl. HANSARD 3/123, Sp. 351–461 (23. November), 471–581 (25. November) und 588–705 (26. November). Vgl. z. B. die Unterhausreden Seymers vom 23. November, Barrows vom 25. November und Drummonds vom 26. November, HANSARD 3/123, Sp. 436–442, hier 438, Sp. 528 und Sp. 614–618, hier 617. Vgl. die Unterhausrede Brights vom 23. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 412–436, hier 419 f., vgl. auch Cobdens Rede vom 25. November, HANSARD 3/123, Sp. 513–517. Butler-Johnstone, Unterhausrede vom 25. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 498.
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
country is now beginning to revive; and [. . .] if the principle of protection to our native industry and capital were now prevailing – firmly maintained and prudently extended or relaxed, as occasion justified – I know of no limit within which our national prosperity would now be confined. [. . .] I utterly deny [. . .] that it is to that policy of free trade that the improved condition of the country is to be ascribed. [.. .] I have endeavoured to fight the battle of protection honestly and manfully, but I am perfectly willing to admit that we have suffered defeat [. . .,] that Manchester has proved too strong for us. But [. . .] to require of us to abjure and surrender all the fixed opinions of our lives, and to give a flat denial [. . .] to our own past career, is going much too far.217
Das konservative Befremden über die demütigende Absicht des Antrags218 teilte auch Palmerston, der die liberalen Antragsteller mahnte, „we are here an assembly of Gentlemen“. Daher müsse man den Meinungswandel der Konservativen bei allen Zweideutigkeiten ihrer Formulierungen honorieren und sie nicht im Stile der Inquisition auf die Knie zwingen. Daher schlug er eine alternative Resolution vor219, die schließlich am 26. November mit großer Mehrheit gegen einen letzten Rest von 53 protektionistischen backbenchers angenommen wurde220. „This closed the discussions on free trade“, kommentierte das Annual Register, „which had for so many years proved the subject of controversy in Parliament“221. Die nächste und vorerst letzte Etappe des konservativen Aggiornamento stand unterdessen bereits mit dem Budget ins (Unter-) Haus, das Disraeli eine Woche später, am 3. Dezember vorlegte222. Eingespannt zwischen den 217
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Booker-Blakemore, Unterhausrede vom 25. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 532–536, hier 534 f.; vgl. auch die Reden von Newdegate, Stanhope und Ball vom 25. November sowie Granbys, Kendalls und Sibthorps vom 26. November 1852 HANSARD 3/123, Sp. 517–519, Sp. 528 f., Sp. 550–557, bes. 550 f. und 555, Sp. 621–627, hier 621 und 625 f., Sp. 630–633, bes. 631 f., und Sp. 634–636. Vgl. z. B. die Unterhausreden Butler-Johnstones und Pakingtons vom 25. November und Gaskells vom 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 497 f., Sp. 572–582, hier 574, und Sp. 598–602, hier 598. „That it is the opinion of this House that the improved condition of the country, and especially of the industrious classes, is mainly the result of recent legislation, which has established the principle of unrestricted competition, and abolished taxes imposed for purposes of protection, and has thereby diminished the cost and increased the abundance of the principle articles of food of [im Orig. irrtümlich „to“, vgl. Sp. 532; AR] the people“, HANSARD 3/123, Sp. 458, die Rede Palmerstons Sp. 451–461, hier 453 f., das Zitat 454. Vgl. HANSARD 3/123, Sp. 701–704; Villiers’ Antrag wurde zuvor mit 336 zu 256 (mit etlichen liberalen Stimmen) abgelehnt, HANSARD 3/123, Sp. 696–700. Im Oberhaus wurde ein moderat formulierter Antrag Lord Clanricardes am 6. Dezember einstimmig angenommen, HANSARD 3/123, Sp. 922, 930 und 969, wobei Derby darauf drängte, „to put an end to a hopeless and useless political struggle“ und von nutzlosen Debatten über die Vergangenheit Abstand zu nehmen, HANSARD 3/123, Sp. 942–953, hier 951 (Zitat) und 953. ANNUAL REGISTER 1852, S. 155. Vgl. dazu Disraelis Haushaltsrede vom 3. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 836–907,
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Erwartungen der Landwirtschaft und dem Argwohn der Freihändler sah der Schatzkanzler die angekündigte Entlastung für das landed interest in Form einer Halbierung der Steuer auf Malz vor, die zu einer Senkung des Bierpreises führen würde, während auch die Schiffahrt und die Zuckerindustrie mit kleineren Entlastungen bedacht wurden. Zugleich sollten die Zölle auf Tee in den kommenden sechs Jahren schrittweise gesenkt werden, während die (von Peel 1842 als temporäre Einnahmequelle wiedereingeführte und von den Konservativen im Prinzip abgelehnte) Einkommensteuer vorerst beibehalten, dabei aber die Besteuerung des Arbeitseinkommens gegenüber der Besteuerung des Kapitalvermögens reduziert wurde. Diese Maßnahmen widersprachen der fiskalischen Orthodoxie der vierziger Jahre und der Regierungen Peel und Russell bzw. der Schatzkanzler Goulburn und Wood, sie versprachen aber in Disraelis Augen – typisch für seinen Politikstil – Popularität. Zur Gegenfinanzierung sollte die Steuer auf Häuser mit einem Steuerwert von mindestens £ 10/Jahr – dies betraf vor allem die wahlberechtigten Mittelschichten – ausgedehnt und erhöht werden, was fiskalisch als akzeptabel galt223. Diese Steuererhöhung war unterdessen ebenso nötig geworden wie weitere vorgesehene Erleichterungen unmöglich, weil auf Drängen der Königin beim Premierminister hin Rückstellungen für weitere Verteidigungsausgaben gebildet werden mußten, was Disraeli zutiefst empörte224. Denn dies beeinträchtigte nicht nur die Popularität seines Haushalts, sondern schmälerte auch seine parlamentarischen Spielräume und Chancen, aus der Minderheitenposition heraus die notwendige Mehrheit zu erkämpfen, die ohnehin die höchst prekäre Balance voraussetzte, einerseits die Hoffnungen seiner eigenen Gefolgschaft nicht zu enttäuschen, ohne darüber andererseits die oppositionelle freihändlerische Mehrheit zu einigen und gegen sich aufzubringen. So war Disraelis Haushalt durchaus auf Unterstützung seitens
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ANNUAL REGISTER 1852, S. 169–177, NORTHCOTE, Twenty Years, S. 174–180, BLAKE, Disraeli, S. 328–338, GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 269–282, JONES, Derby, S. 173–181, und STEWART, Foundation, S. 258–260. Vgl. dazu GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 277. Vgl. dazu Victoria an Derby, 23. Oktober und 13. November, sowie Disraeli an Victoria, 14. November 1852, LQV 1837–1861 II, S. 396 f., 398 f. und 399, Malmesburys Tagebucheintrag vom 12. November 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 363 f., hier 364 („Disraeli in very low spirits at the demand for additional expenses for army and navy“), und Derby an Victoria, 16. November 1852, RA VIC/C 42/9 („Lord Derby is happy to be enabled to assure Your Majesty, that in the Budget, [. . .] on which, as a whole, the present Government will depend, there will be found no difficulty in making provision, to a very great extent, for the requirements of the naval and military services [. . .] for placing this Country in a respectable attitude of defence“).
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
der Whig-Liberalen angelegt225, die seinem Entwurf jedoch zum einen handwerkliche Mängel und mangelnde fiskalische Solidität vorhielten226, zum anderen die Konstruktion von Malz- und Haussteuer für eine Umverteilung hielten, die Stadt und Land gegeneinander ausspiele, statt die Klassen zu einigen227. Auf der anderen Seite bemängelten die Vertreter des landed interest, „it does not appear [. . .] that the agric. interest are much the gainers of the budget“228, denn die Senkung der Malzsteuer bedeute nur einen unerheblichen Vorteil für das Land229, und Colonel Sibthorp sprach sich abermals für Protektionismus aus230. In den konkreten Haushaltsberatungen unterstützten auch die Protektionisten dann jedoch Disraelis Haushalt vor allem mit sozialpolitischen Argumenten gesamtgesellschaftlicher Provenienz und besonders zugunsten der Unterschichten. Sie deklarierten die Senkung der Malz- und Teesteuer als „an immense benefit to the poorer classes“ und rechtfertigten die Haussteuer als „taxing classes who were hitherto exempted, [. . .] in order to benefit the poor of the country“231. 225 226
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So die Interpretation von GHOSH, Disraelian Conservativsm, S. 272–277 und 281. Vgl. Russells Reaktion: „the safety of the financial system of this country is in great peril“, ANNUAL REGISTER 1852, S. 180; vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 332 f., und GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 281. Vgl. The Budget, in: THE ECONOMIST, Vol. 10, Nr. 484, 4. Dezember 1852, S. 1341 f. (1342: „This is the way in which Mr. Disraeli pretends to settle a ‚controversy between classes’, by making a proposition which, more than any other, must set town against country“), und The Budget: Its Relations to „Unrestricted Competition“, in: THE ECONOMIST, Vol. 10, Nr. 486, 18. Dezember 1852, S. 1398 f. (1399: „while the phrase of ‚unrestricted competition‘ was seldom off his lips, and while he professed a desire to reduce the finances into harmony with his commercial policy, his Budget contained not a single proposition that bore upon his high sounding profession of economic faith. No protective duty repealed or even touched – no raw material released from imposts. [. . .] And all for what? To repeal half the malt duty [. . .;] the duty on tea is not protective, yet there is no doubt that it is so excessive as materially to impede the consumption of the article at home, and our trade with China. [. . .] The great reduction is on malt – an article which in no respect answers to the character of those articles on which financial experiments have been so successfully made hitherto. [. . .] The sacrifice of revenue was in no way calculated to promote greater trade or industry“), sowie Macauleys Kommentar, TREVELYAN, Life of Macauley, S. 579 („The plan was nothing but taking money out of the pockets of the people in towns and putting it into the pockets of growers of malt“). Charles Henry Gordon Lennox an seinen Vater, West Sussex RO Chichester, Goodwood MS 1761, fol. 1246. Vgl. Croker, The Budget, in: QR 92, Nr. 183, S. 236–272, hier 240. Vgl. Sibthorp, Unterhausrede am 3. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 918. Vgl. die Unterhausreden von Bulwer-Lytton, Hudson, Ball und Drummond am 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232, bes. 1222 f. und 1231 f., Sp. 1251–1254, bes. 1241 und 1253, Sp. 1259–1263, bes. 1260 f., und Sp. 1272–1275, bes. 1274, von Davison, Manners, Vane-Tempest und Walpole am 13. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1315–1317, Sp. 1336–1342, bes. 1338 f., Sp. 1368–1371 (dort 1370 die Zitate von Vane-Tempest) und
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Dabei markierte die öffentliche parlamentarische Kritik von einzelnen eher freihändlerischen Konservativen an der Kombination von Malz- und Haussteuern auf der einen Seite, von Protektionisten an nicht erfüllten agrikulturellen Erwartungen auf der anderen das Spannungsfeld, in dem sich Disraeli schon innerhalb seiner Partei bewegte232. Während diese Kritiker immerhin für den Haushaltsentwurf stimmten, wurde dies jedoch für die erforderliche Anzahl oppositioneller Abgeordneter immer unwahrscheinlicher. Sie boten die erste Garde ihrer Haushaltspolitiker auf und verschärften ihre Kritik zum einen in klassischer finanzpolitischer Hinsicht an der mangelnden Solidität des Budgets, das auf unsicheren Berechnungsgrundlagen ruhe und mit den durch die Halbierung der Malzsteuer verursachten Einnahmeausfällen die Staatsfinanzen ruiniere233, zum anderen in freihändlerischer Perspektive an den Kompensationen, die obendrein gesellschaftlich spaltend wirkten und den Geist der Rachsucht gegenüber den Freihändlern atmeten234. Dabei nahm die Konfrontation an verbaler Schärfe erheblich zu, wie sie etwa in Robert Lowes Verdikt über die Verantwortlichen für den Haushalt – „the most reckless and improvident stewards of the public money that have ever dishonoured the name of a Parliament“235 – zum Ausdruck kam. Um seinen Haushalt zu retten und doch noch Unterstützung innerhalb der Opposition zu finden, gab Disraeli am 16. Dezember, kurz vor der parlamentarischen Abstimmung, die Verdopplung der Haussteuer und die Halbierung der Malzsteuer, das Kernstück zugunsten des Landes, auf236.
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1379–1402 (dazu auch ANNUAL REGISTER 1852, S. 184 f.), Pakingtons vom 14. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1508–1521 (dazu ANNUAL REGISTER 1852, S. 188), sowie von Whiteside und Blair am 16. Dezember 1852, HANSARD 3/152, Sp. 1602–1611, bes. 1611, und Sp. 1613–1615, bes. 1614. Vgl. die Unterhausreden Balls und Sandars’ vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1259–1263, hier 1261, und Sp. 1269–1271, Mills’ vom 13. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1360–1362, von Jocelyn, Thompson und Duckworth vom 14. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1436–1443, hier 1438 und 1441, Sp. 1457–1464, hier 1458, und Sp. 1472–1474, hier 1473, sowie Peacockes vom 16. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1617–1621, hier 1618 f. Vgl. die Unterhausreden der beiden Vorgänger Disraelis als Schatzkanzler, Wood und Goulburn, vom 10. und 13. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1292–1314 (1314: „[The budget] imperils direct taxation, tampers with the credit and tarnishes the good faith of the country“), und Sp. 1402–1414. Vgl. die Unterhausreden Cobdens und Osbornes vom 13. und 14. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1317–1336 (dazu auch ANNUAL REGISTER 1852, S. 183) und Sp. 1443–1457 (dazu auch ANNUAL REGISTER 1852, S. 186). Lowe, Unterhausrede vom 13. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1342–1360, hier 1360. Vgl. ANNUAL REGISTER 1852, S. 188, sowie bereits Malmesburys Tagebucheintrag vom
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III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Bereits einen Tag zuvor war er auf John Bright zugegangen und hatte sich bei ihm über die „damned defences“ und „that infernal question, the question of Protection“ beklagt: his difficulty had been his and their promises to the country party and farmers, local burdens and now Malt Tax. He said he only touched Malt Tax because could not touch tea duties as proposed without touching malt – was forced to try something for the farmers and to venture on malt; he had not supposed the opposition would be so great. If he could get a vote, a majority of one only, his honour would be saved and he would give up House tax and Malt, and remodel his scheme. [. . .] He then adverted to his wish to get rid of the old stagers and old ‚red-tapists’ and said that he could not see why we, that is Cobden, myself and Gibson – our section – should not some day be with him in a Cabinet; not within 24 hours, but before long: it was quite possible and not difficult.237
Disraelis Avancen auf eine Unterstützung durch die Radikalen im Parlament bei der Abstimmung über den Haushalt scheiterten jedoch an Brights moralischen Ansprüchen – „This remarkable man is ambitious, most able, and without prejudices. [. . .] He seems unable to comprehend the morality of our political course“238 – und zogen Disraeli zugleich Derbys Zorn zu: We have abandoned the principle of Protection in deference to the voice of the country; we always said that we would do so. We prepared our Budget, of which one main element was the reduction of the malt tax as the only relief granted to the land, and that granted because it was only incidentally a relief to them, accompanying advantages, in the spirit of Free Trade policy, to the consumers [. . .;] you had better be defeated honestly in a fairly-fought field than escape under a cloud, to encounter aggravated defeat with alienated friends and sneering opponents [. . .;] if we are to be a Government, we must be so by our own friends, and in spite of all combinations, and not by purchasing a short-lived existence upon the forbearance of the Radical party.239
Die Bitterkeit der Auseinandersetzung fand schließlich ihren Höhepunkt in den letzten Reden vor der Abstimmung, in denen sich Disraeli und Gladstone ein persönlich verletzendes und lange nachwirkendes Duell liefer-
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12. Dezember 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 374 („Saw Disraeli. Our opinion is that he must give up doubling the house tax, and halving the malt tax“). Aufzeichnung Brights über eine Unterredung mit Disraeli am 15. Dezember 1852, BRIGHT DIARIES, S. 128–130, die Zitate 128 f.; zur Quellenüberlieferung des Gesprächs und der zweifelhaften Glaubwürdigkeit der Überlieferung durch Arthur Bayley Potter vgl. Kapitel II.6.c). BRIGHT DIARIES, S. 130. Derby an Disraeli, 15. Dezember 1852, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 181/2, fol. 173–180, hier 174, 176 und 178; auch in M&B III, S. 440 f.
3. Der Abschied vom Protektionismus 1852
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ten240. Nicht deshalb aber, sondern weil eine parlamentarische Mehrheit außer Reichweite lag, verlor die erste Regierung Derby die Abstimmung über ihren Haushalt in der Nacht zum 17. Dezember 1852 mit 286 zu 305 Stimmen241. Noch vor dem Morgengrauen reichte Derby sein Rücktrittsgesuch ein242. Die Bilanz des ersten konservativen Kabinetts seit der Parteispaltung wies also vordergründig das Scheitern der vom Protektionismus abgekehrten Konservativen aus. Zugleich markierte eben diese Abwendung die entscheidende Zäsur in ihrer Entwicklung nach 1846. Der Verzicht auf den Protektionismus hatte von der Führung gegen die Masse des rank and file, die mehrheitlich dem Protektionismus als Prinzip anhing, durchgesetzt werden müssen. Diese Entscheidung entsprang also keinem inhaltlichen Wandlungsprozeß der Breite, sondern dem Führungshandeln der Spitze, zu dem sich Derby zögerlich durchrang, während Disraeli schon lange ungestüm drängte. Es fußte auf der Einsicht, mit dem Protektionismus nicht mehrheitsfähig im Sinne des parliamentary government zu sein, wie die Wahlen von 1852 bestätigten, ohne daß die Konservativen Wahlen damit als generell legitimierende und politikbestimmende Qualität anerkannt hätten. Zugleich gründete der Verzicht auf den Protektionismus auf der Erfahrung, daß der 1846 vorhergesagte Ruin der Landwirtschaft ausgeblieben war, die Konjunktur sich vielmehr auch zugunsten des landed interest ausgewirkt hatte. Hinzu mochte, allerdings mit zeitlicher Verzögerung und ohne daß sich dies unmittelbar aus den Quellen belegen ließe, die Erfahrung des Jahres 1848 kommen, als gerade die städtischen Mittelschichten wesentlich dazu beigetragen hatten, die politische Revolution zu unterdrücken, die ebenfalls ausgeblieben war. Mit dem Verzicht auf den Protektionismus war die raison d’être von 1846 obsolet geworden. Die country party bedurfte der Neuorientierung. Dies war, was Disraeli wollte. Er zog aus dem Scheitern von 1852 die zukunftsweisende Schlußfolgerung, daß es sinnlos sei, das Land nur mit Hilfe des landed interest regieren zu wollen243. Dem kam die gesamtgesellschaftliche 240
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Vgl. Disraelis und Gladstones Unterhausreden vom 16. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1629–1666 und 1666–1693 (auch ANNUAL REGISTER 1852, S. 189–192); vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 344–346, und SHANNON, Gladstone I, S. 259–263. Vgl. HANSARD 3/123, Sp. 1693–1697; vgl. auch Alberts Memorandum vom 18. Dezember 1852, LQV 1837–1861 II, S. 412 f. Vgl. Derby an Victoria, 17. Dezember 1852, 4 Uhr morgens, LQV 1837–1861 II, S. 411 f., sowie Derbys Erklärung im Oberhaus am 20. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1698–1705. Vgl. Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207: „I have not been equal to the task of drawing up the New Pragmatic Sanction, which is to reconcile
212
III. Die Konservativen und die Revolution 1846–1852
Entwicklung der kommenden Jahre entgegen, wie William Aytoun den Lesern von Blackwood’s Magazine, das sich seinerzeit ganz dem Protektionismus verschrieben hatte, 1859 vortrug: the time has gone by when the several interests were regarded as antagonistic. A better and sounder feeling now prevails; and men have begun to understand and appreciate the doctrine of mutual dependence.244
Mit der Ablösung der Analyse einer antagonistischen Verfaßtheit der Sozialordnung durch eine weniger konfrontative Gesellschaftsauffassung und dem Ablassen von der angsterfüllten Fixierung auf die soziale und materielle Bedrohung durch den gesellschaftlichen Gegner vollzogen die Konservativen in den fünfziger Jahren die entscheidende Wende in ihrem sozio-ökonomischen Denken. Diese Wende eröffnete Spielräume für eine Weiterentwicklung der eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen und für eigene Initiativen auf verfassungspolitischer Ebene, die wiederum an die verfassungspolitischen Implikationen des Protektionismus anknüpfen konnten245. Von hier konnte die Entwicklung der Konservativen zur constitutional party in ihrem klassischen und zugleich in einem neuen Sinne ausgehen, wie in den beiden folgenden systematischen Kapiteln darzulegen ist.
244 245
town and country, and lay the foundation of a National party [. . .]. We must have our eyes opened at last to the futility of attempting to govern this country merely by the landed interest, and not even by its complete power.“ Aytoun, The New Reform Bill, in: BM 85, S. 506–514 (April 1859), hier 508. Vgl. GAMBLES, Protection, S. 944 und 951, sowie GAMBLES, Protection and Politics, S. 230–241.
1. Gesellschaft im Wandel
213
IV. GESELLSCHAFT UND WIRTSCHAFT 1. GESELLSCHAFT IM WANDEL Die Koordinaten der englischen Gesellschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts1 lassen sich grundsätzlich anhand von zwei sozialen Achsen bestimmen. Dabei gewinnt die horizontale Einteilung in Adel (Aristokratie und Gentry), Mittelschichten und working classes – mit den gerade für England typischen fließenden Übergängen zwischen den und innerhalb der Klassen (dieser Begriff wurde im zeitgenössischen Sprachgebrauch als allgemeine und wertneutrale Kennzeichnung verwendet) – ihre Spezifik erst in Verbindung mit der vertikalen Unterscheidung von Stadt und Land. Denn während Land und Landwirtschaft ihre überlieferte sozialökonomische Gestalt im Grundsatz bewahrten, trugen demgegenüber die sprunghaft wachsenden und zum Teil erst neu entstehenden Städte mit ihren Wirtschaftsformen und ihren Trägerschichten die grundstürzenden Veränderungen im Übergang von der ländlichen Agrar- zur industriellen Marktgesellschaft und ihre Dynamik. Da die städtisch-industriellen Wirtschaftsformen in diesem Prozeß die Landwirtschaft langsam, aber unaufhaltsam zurückdrängten, mußte sich auch das gesellschaftliche Schwergewicht vom Land auf die Städte und in diesem Zusammenhang von der Aristokratie auf die neuen Mittelschichten verschieben. Die englische Gesellschaft befand sich um die Mitte des 19. Jahr1
Vgl. zum allgemeinen Zusammenhang aus der Fülle der Überblicksdarstellungen besonders GASH, Aristocracy and People, S. 17–35, 319–339 und 347–350, HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 9–72, 275–304 und 727–731 (dort weitere Literaturhinweise), sowie im allgemeinen Überblick WEBB, Modern England, S. 286–298; spezieller BÉDARIDA, Social History, S. 3–72, ROYLE, Modern Britain, S. 3–5, 26–28, 35–37, 43–47, 97–115, 120–126 und 132–137, und allgemein F. M. L. THOMPSON (Hg.), Social History. Zur ländlichen Gesellschaft und zur Landwirtschaft vgl. insbesondere ARMSTRONG, Countryside, bes. S. 113–134, F. M. L. THOMPSON, Landed Society, S. 1–75, 109–150 und 238–291, die klassische Aufstellung von BATEMAN, Landowners, sowie MINGAY, Rural Life, zur Aristokratie v.a. die einschlägigen und kontrovers diskutierten (vgl. dazu J.V. BECKETT in: PH 5 [1986], S. 133–142) Arbeiten von STONE/STONE, Open Elite, und CANNADINE, Decline and Fall, sowie BECKETT, Aristocracy, und in kulturgeschichtlichem Zusammenhang der Landsitze auch Mandler, Stately Home, S. 21–106; zur Entwicklung der Städte vgl. THOMPSON, Town and City, bes. S. 2–24 und 33–87, sowie WALLER, Town, zu den middle classes vgl. neben den genannten Überblikken RUBINSTEIN, Middle Classes, bes. S. 69 f. und 78–81; zu den working classes v.a. die klassische Studie von E. P. THOMPSON, English Working Class, sowie die neuere Untersuchung von BENSON, Working Class. Zur Historiographie der englischen Sozialgeschichte und ihrer jüngeren Entwicklung, vor allem im Zusammenhang des „linguistic turn“, vgl. den Forschungsbericht von MARES, Abschied, sowie WENDE, Großbritannien, S. 147–151.
214
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
hunderts jedoch erst mitten in diesem Prozeß. Allein schon mit einem Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Führungspositionen konnte keine Rede davon sein, daß die ländlich-aristokratischen Eliten von den städtischwirtschaftsbürgerlichen abgelöst oder verdrängt worden wären. A)
LAND UND ARISTOKRATIE
Dementsprechend ambivalent zwischen Überkommenem und Künftigem stellte sich die Position der Landwirtschaft und des Landes dar. Der Zensus von 1851 wies die Landwirtschaft als nach Beschäftigtenzahlen weiterhin größten einzelnen Wirtschaftssektor aus. Die zum Land gehörige Bevölkerung, zu der auch die Armee- und Marineoffiziere gezählt wurden, belief sich 1851 mit 8,2 Millionen auf 46% einer Gesamtbevölkerung von 18 Millionen; zehn Jahre später machten 7,9 Millionen 41% von 20,2 Millionen aus2. Im Gegensatz zum von daher naheliegenden Befund eines relativen und absoluten Rückgangs stand die Entwicklung des landed interest im dritten Quartal des 19. Jahrhunderts über die reinen Bevölkerungszahlen hinaus jedoch vielmehr im Zeichen eines zwar relativen Rückgangs, vor allem aber einer absoluten Aufwärtsentwicklung. Sie bescherte der Landwirtschaft nach der hochsymbolischen und auch weichenstellenden Niederlage von 1846 und der Agrardepression der späten vierziger Jahre seit Beginn der fünfziger ein geradezu „goldenes Zeitalter“, das nicht zuletzt aus der allgemeinen Prosperität und ihrer gestiegenen Nachfrage resultierte und somit die agrikulturelle in die allgemeine ökonomische Entwicklung integrierte. Erst in den mittleren siebziger Jahren kehrte sich dieser Trend im europaweiten Zusammenhang um, während die Grenze zwischen Stadt und Land im Zuge der wachsenden Ausbreitung der Vorstädte an Trennschärfe verlor. An der Spitze der ländlichen Sozialordnung stand die Hocharistokratie (peerage), die im Gegensatz zum niederen Landadel (gentry) über einen Titel und einen Sitz im House of Lords verfügte. Beiden Adelsgruppen gemeinsam und wesentlich war der umfangreiche Landbesitz, der auch, mehr als formale Qualifikationen, ihre soziale Führungsfunktion nicht zuletzt in administrativer und jurisdiktioneller Hinsicht legitimierte; auch die hohe Politik in London war für die Aristokratie nur Teil ihres allgemeinen gesellschaftlichen Lebens3. Etwa 30 000 Landbesitzer zählte England im Jahr 2 3
Zahlen, auch im folgenden, nach den in Anm. 1 genannten Titeln; vgl. auch die Statistiken in EHD XII(1), S. 203–228. Anschaulich dazu etwa die Tagebücher Malmesburys.
1. Gesellschaft im Wandel
215
1861, darunter befanden sich 363 Besitzer von Anwesen mit einer Größe von über 10 000 Morgen (acres). Sozialer Status innerhalb der ländlichen Gesellschaft beruhte nicht zuletzt auf Ansehen qua common sense, doch die Oberschicht unterschied sich vor allem durch den umfangreichen Grundbesitz von den ländlichen Mittelschichten. Diese setzten sich aus einer Minderzahl von landbesitzenden Bauern (owner farmers, den sogenannten yeomen) und den bei weitem überwiegenden Landpächtern (tenant farmers) zusammen, die – bei erheblichen regionalen Unterschieden – zumeist mit Hilfe von im Schnitt bis zu fünf landlosen Landarbeitern (der working class des Landes) ihre im Vergleich zum Kontinent recht umfangreichen Ländereien bewirtschafteten. Die um die Jahrhundertmitte etwa 250 000 Bauern, die zumeist über das Wahlrecht verfügten, stellten die „key group within rural county constituencies“4 dar. B) STÄDTE UND MIDDLE CLASSES
Demgegenüber waren Handel und Gewerbe im Rahmen der ländlichen Wirtschaft nachgeordnet, verselbständigten sich jedoch im 19. Jahrhundert zuweilen durch die Ausgliederung neu entstehender Industriestädte aus dem ländlichen Rahmen. Manchester war das klassische Beispiel einer sprunghaft wachsenden und nicht zuletzt administrativ über lange Zeit hinweg völlig ungeregelten Ansiedlung von Menschen (wenn auch zunächst keineswegs überwiegend großindustrieller Fabrikarbeiter) im Umfeld und Zusammenhang neuer Industrien, der Stadt im Sinne der Industrialisierung und der (vor allem als solcher wahrgenommenen) spezifischen Sozialform der industriekapitalistischen Moderne. Die städtische Sozialordnung wurde im Gegensatz zur ländlichen nicht von der Aristokratie dominiert – bis ins späte 19. Jahrhundert wurden Grundbesitzer und ausgewählte (ebenfalls grundbesitzende) Staatsdiener, aber keine kommerziellen oder industriellen Wirtschaftsbürger nobilitiert5 –, sondern von den nichtagrarischen middle classes, der gestaltenden Trägerschicht der Industrialisierung und ihrer sozio-ökonomischen Umwälzungen. Sie waren ein Phänomen der Städte, die sie zugleich bestimmten. Auch die Mittelschichten waren, über die Stereotypie dieser Einschränkung hinaus, keine homogene gesellschaftliche Klasse, vielmehr war schon der Begriff 4 5
HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 18. Vgl. PUMPHREY, Introduction, S. 7–11, MCCAHILL, Peerage Creations, S. 431, und HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 25.
216
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
insofern Programm, als der Plural, im Unterschied zum kontinentaleuropäischen Kollektivsingular Bürgertum bzw. Bourgeoisie, die breite soziale Fächerung ebenso wie die soziale Mobilität der middle classes und ihre „unfixedness of position“ anzeigt: „The middle classes embraced the social detritus of the aristocracy, the upward migrants from the working classes, and much of the solid talent, wealth, and intellect of the country“6. Auch die nichtagrarischen Mittelschichten, die bis zu einem Fünftel der Stadtbevölkerung umfassen konnten, lassen sich horizontal in upper und lower middle classes einteilen, vertikal in traditionelle und neue Mittelschichten und diagonal dazu nach einzelnen Berufsgruppen, wobei zwei Bereiche vorherrschen: zum einen (um den deutschen Begriff zu verwenden) das „Bildungsbürgertum“ der freien Berufe (professions), zum anderen das Wirtschaftsbürgertum in Handel, Finanz und Industrie. Die drei klassischen freien Berufe – Ärzte, Juristen und (anglikanische) Geistliche – erlebten in der viktorianischen Zeit eine deutliche Aufwertung und quantitative Zunahme. Zugleich dehnte sich der Stand auf neue Berufsgruppen aus, die zu einem Teil mit der Industrialisierung zusammenhingen: letzteres galt weniger für Apotheker oder Künstler und Literaten, die nun zu den freien Berufen gezählt wurden, mehr aber für Ingenieure, Architekten und in gewissem Maße, aufgrund der Ausweitung der Bildung, auch für Lehrer. All diesen alten und neuen professions war unterdessen eine gewisse Distanz zur industriellen und marktorientierten Wirtschaft eigen, während trade das zentrale Kriterium für Status innerhalb der middle classes darstellte und für die kommerziellen und industriellen Mittelschichten volle Anwendung fand. Bankiers und große Kaufleute (merchants) – die „Geldaristokratie“, wie sie im Berlin dieser Zeit genannt wurden7 – verfügten tendenziell über den größten Wohlstand innerhalb des Wirtschaftsbürgertums, während die Geschäftsinhaber sich über die gesamte soziale Bandbreite der Mittelschichten und in die working classes hinein erstreckten, aufgrund ihrer Zahl aber, da zumeist nach 1832 wahlberechtigt, eine bedeutende Rolle in der zuweilen 6
7
GASH, Aristocracy and People, S. 25. Im Zusammenhang dieser sozialökonomischen Skizzierung der middle classes kann die im zeitgenössischen Diskurs ursprünglich politischmoralische statt sozio-professionelle Begriffsverwendung, in der klassisch republikanisches und neuartig liberales Denken zusammenflossen (vgl. WIRSCHING, Bürgertugend, S. 179 und 186–199, dazu ausführlich WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme; vgl. zu diesem Zusammenhang allgemein WAHRMAN, Middle Classes, mit deutschem Schwerpunkt auch GALL, Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“, S. 164–176, GALL, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, S. 23–41 und 45–49, sowie CONZE, Mittelstand, bes. S. 62–81) außer acht bleiben. CONZE, Mittelstand, S. 64.
1. Gesellschaft im Wandel
217
als „shopocracy“ apostrophierten politischen Nation spielten. Im produzierenden Bereich waren auch die Unternehmer, in aller Regel nicht von aristokratischer oder agrarischer Herkunft, auf einer breiten, nicht nur in Betriebsgrößen zu messenden sozialen Skala vom wohlhabenden Großindustriellen bis zum Inhaber eines Kleinbetriebes an der Grenze zu den working classes angesiedelt. Handel und Industrie waren die Kernbereiche und die dynamischsten Kräfte des sozio-ökonomischen Umbruchs und zugleich der middle classes; hier dominierten auch am ehesten die Vertreter der kapitalistischen „new economy“. Dieses kommerzielle und industrielle städtische Bürgertum galt den Konservativen, wie zu zeigen sein wird, als der Widerpart auf gesellschaftlicher Ebene, und sie meinten ebendieses Segment der Mittelschichten, wenn sie allgemein von den „middle classes“ sprachen. Eine weniger bedeutende Rolle spielten demgegenüber von Gelderwerb unabhängige gentlemen, während Angestellte und Staatsbedienstete das Gros der lower middle classes stellten, die sich von den upper working classes oft kaum in ökonomischer Hinsicht unterschieden (zuweilen auch unter ihnen rangierten), sondern durch das soziale Kriterium der manuellen Arbeit. Die working classes stellten in Land und Stadt etwa 80% der Gesamtbevölkerung und waren ihrerseits in sich höchst heterogen. Großindustrielle Fabrikarbeiter waren dabei gegenüber Handwerkern, kleineren Geschäftsbesitzern und Arbeitern außerhalb der Fabriken in der Minderheit. Die wichtigste soziale Trennlinie verlief dabei mitten durch die working classes: die Grenze zum etwa 30% der Gesamtbevölkerung ausmachenden sogenannten „residuum“ der Armen, dem „mob“. C)
RADIKALISMUS
Während die politische Organisation der Arbeiterklassen nach dem Scheitern des Chartismus der upper working classes höchst rudimentär blieb – sie besaßen kein Wahlrecht, die Gewerkschaftsbewegung war wenig kraftvoll und eine eigene parlamentarische Partei noch lange nicht in Sicht –, artikulierten sich die Mittelschichten vorrangig auf liberaler Seite in Form des Radikalismus (oder Radikalliberalismus). Seine Wurzeln reichen bis in den puritanischen Dissent des 17. Jahrhunderts zurück und liegen vor allem in der außerparlamentarischen „plebejischen Öffentlichkeit“8 des 18. Jahr8
Vgl. GÜNTHER LOTTES, Politische Aufklärung und plebejisches Publikum. Zur Theorie und Praxis des englischen Radikalismus im späten 18. Jahrhundert, München 1979.
218
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
hunderts, während der allgemeine Oberbegriff Radicalism erst im 19. Jahrhundert gebräuchlich wurde. Er umfaßte dabei eine ebensolche Vielfalt wie der Begriff der Mittelschichten selbst und läßt sich darüber hinaus keineswegs allein nach sozialökonomischen Kriterien bestimmen9. Zu seinen Wesensmerkmalen zählt die politische Vertretung im Parlament und damit seine Integration in das politische System der viktorianischen Verfassung. Unter dem gebräuchlichen allgemeinen Namen reform party stellten die Radikalen im Unterhaus um die 60 bis 70 lose verbundene Abgeordnete und machten somit zwischen einem Viertel und einem Fünftel der whigliberalen Partei (im zeitgenössischen Sinne des Begriffs) aus, mit der sie zwar in parlamentarischer Verbindung standen, bis 1859 aber keine feste Allianz bildeten. Vielmehr stimmten gerade die Radikalen vornehmlich in finanz- und verfassungspolitischen Fragen häufig gegen die whig-liberalen Regierungen, die sie mehr als einmal auch zu Fall brachten. Der Begriff „reform party“ ist dabei (und war es bereits für die Zeitgenossen) bezeichnenderweise ebenso wenig eindeutig wie die gesamte Nomenklatur des Radikalismus. Die zeitgenössischen (Selbst-)Bezeichnungen als Liberals, Reformers und Radicals wurden, zudem in Verbindung mit verschiedenen Adjektiven, zu verschiedenen Zeiten semantisch und quantitativ unterschiedlich verwendet. Jedenfalls flossen im Radikalismus mindestens zwei Traditionslinien – ein anti-exekutiver Reformradikalismus aus dem 18. Jahrhundert und ein neuerer und moderaterer ökonomischer Reformliberalismus – und verschiedene politische Ideen – Benthamismus, früher Sozialismus, italienisch orientierter Nationalismus, Antiklerikalismus und whiggistischer Reformismus – zusammen, wobei die Parlamentsreform bis in die 1880er Jahre ein durchgängiges gemeinsames Anliegen darstellte. Trotz aller Unschärfen und Überschneidungen lassen sich mit Miles Taylor jedoch drei politische Hauptgruppen identifizieren, die im Lauf der 9
Vgl. dazu und zum folgenden v.a. TAYLOR, British Radicalism, S. vf., 1–15, 19–60 und 351–355 (Appendix 1), den Überblick über die verschiedenen Formen des Radicalism seit dem 17. Jahrhundert bei CLAEYS, Liberalism, und zu den traditionellen Bezügen die in Anm. 6 genannten Arbeiten von WIRSCHING, allgemein die eher klassisch konzipierten Darstellungen von ADELMAN, Victorian Radicalism, S. 11–47, BELCHEM, Popular Radicalism, S. 9–127 (auch die historiographische Einführung S. 1–8), JENKINS, Liberal Ascendancy, S. 9–14, 47 und 63–67, SEARLE, Entrepreneurial Politics, und HAWKINS, Party Politics, S. 36–44, demgegenüber die jüngeren diskursanalytischen Untersuchungen, die, in Abgrenzung von der klassenorientierten anglo-marxistischen Sozialgeschichte, sprachlich generierte politische Kultur im Sinne von „populism“ („a set of discourses and identities which are extra-economic in character, and inclusive and universalising in their social remit in contrast to the exclusive categories of class“) als interpretatorischen Schlüssel verwenden, JOYCE, Visions, bes. S. 4–6, 9–16 (dort S. 11 das vorherige Zitat), 21–23, 27–84 und 329–342, vgl. auch FINN, After Chartism, und BIAGINI, Popular Liberalism.
1. Gesellschaft im Wandel
219
sechziger Jahre schließlich im Gladstone-Liberalismus aufgingen: radikale Reformer, unabhängige Liberale und die Manchester School. Die Radical Reformers um Joseph Hume stellten die stärkste und dominierende Gruppe und setzten sich in erster Linie aus Veteranen der Reformbewegung von 1832 zusammen. Sie schlossen die philosophischen Radikalen ein, und auch ihre politischen Hauptanliegen standen in der Tradition des vorindustriellen republikanischen, konstitutionellen Radikalismus des 18. Jahrhunderts, vor allem die Parlamentsreform und die Senkung der Staatsausgaben, die aus der alten Forderung nach Unterbindung von Patronage und Korruption resultierte. Zugleich waren die radikalen Reformer Anlaufstelle für außerparlamentarische Bewegungen wie etwa die kirchenpolitische Liberation Society. Weniger idealistisch als die beiden anderen Strömungen, vertrauten die Independent Liberals nicht auf die Auswirkungen von institutionellen und politischen Reformen an sich, sondern auf Bildung, nicht auf die Segnungen des Freihandels oder einer Senkung der Staatsausgaben, sondern auf integrale finanzpolitische Reformkonzepte in der Tradition des Liberaltoryismus in den zwanziger und Peels in den vierziger Jahren. In konfessioneller Hinsicht die entschiedensten Verfechter religiöser Toleranz, waren sie mit ihrem moderaten Politikstil trotz ihrer zahlenmäßigen Beschränkung auf etwa 15 Abgeordnete „the quiet engineers of mid-Victorian Liberalism“10. Diesen älteren Strömungen stand auch innerhalb des Radikalismus eine neuere gegenüber: die Manchester School um ihre herausragenden Protagonisten Richard Cobden und John Bright. Auch sie war keineswegs homogen. Während Bright in Fragen der Parlaments- und Finanzreform den traditionellen radikalen Positionen durchaus näher stand als einem liberalen laissez-faire, vertrat Cobden ein von Adam Smith inspiriertes Freihandelskonzept in Verbindung mit einer pazifistischen, nichtinterventionistischen Außenpolitik. Mit dem Ziel einer von den Mittelschichten samt ihren Werten geprägten Gesellschaft und Regierung setzte er im Inneren, vor weiteren Parlamentsreformen, auf eine Umgestaltung der sozialökonomischen Grundlagen mittels einer Landreform, mit der er die städtischen und ländlichen Mittelschichten zu einen und zu sammeln hoffte und die Ausdruck und Ursache zugleich seiner scharfen Opposition zur Aristokratie war: We are a servile, aristocracy-loving, lord-ridden people, who regard the land with as much reverence as we still do the peerage and baronetage. Not only have not nineteen-twentieth of us any share in the soil, but we have not presumed to think that we are worthy to possess a few acres of mother earth. The politicians who would pro10
TAYLOR, British Radicalism, S. 47.
220
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
pose to break up the estates of this country into smaller properties, will be looked upon as revolutionary democrats aiming at nothing less than the establishing of a Republic upon the ruin of Queen and Lords. I go heartily with you in the determination to attack the land monopoly root and branch both here and in Ireland and Scotland. [. . .] Wherever the deductions of political economy lead I am prepared to follow. [. . .] But, however unprepared the public may be for our views on the land question, I am ready to incur any obloquy in the cause of economical truth. And it is, I confess, on this class of questions, rather than on plans of organic reform, that I feel disposed to act the part of a pioneer.11
Dies lief allem, was den Konservativen heilig war, diametral zuwider, und so hatte Disraeli den Namen Manchester School in polemischer Absicht zur abwertenden Bezeichnung der städtischen industriellen und kommerziellen Kapitalisten, der neuen Mittelschichten aufgebracht. Die Manchester School vermochte nach 1846, dem allerdings richtungweisenden Sieg der freihändlerisch-industriellen Manchester-Bewegung, zwar nur relativ geringe konkrete politische Bedeutung zu entfalten. Dafür besaß sie um so höheren Stellenwert in der Wahrnehmung und im gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Denken der Konservativen12.
2. BEDROHTES IDEAL: DIE LÄNDLICH-ARISTOKRATISCHE SOCIETAS CIVILIS A)
DIE HIERARCHISCHE GESELLSCHAFT
Für Edmund Burke waren Gesellschaft und Staat keine voneinander getrennten, sondern zusammengehörige Größen, die sich im Begriff der „civil society“ zusammenzogen. Sie zeichnete sich vor allem durch ihre Nützlichkeit für die Menschen aus: If civil society be made for the advantage of man, all the advantages for which it is made become his right. It is an institution of beneficence; and law itself is only beneficence acting by a rule. [. . .] Government is a contrivance of human wisdom to provide for human wants.13
11
12 13
Cobden an Bright, 4. November 1849 und 1. Oktober 1851, MORLEY, Cobden, S. 517–519, hier 518 (erstes Zitat) und S. 560–562, hier 561 f. (zweites Zitat); vgl. auch seine Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 181–195, hier 195: „You have had your government of aristocracy and tradition; and the worst thing in this country has been its government for the last century and a half. All that has been done to elevate the country has been the work of the middle and industrious classes.“ Vgl. dazu auch WENDT, Freihandel, S. 38–42. Vgl. dazu Kapitel IV.3. BURKE, Reflections, S. 109 f., vgl. auch S. 220.
2. Die ländlich-aristokratische societas civilis
221
Sie bezog ihre Qualität dabei aus der Tradition, die auf einen urzeitlichen Ursprung zurückging und eine naturgegebene und naturgemäße, menschlicher Gestaltungskraft und Einwirkungsmöglichkeit entzogene soziale Ordnung vererbte: eternal society, linking the lower with the higher natures, connecting the visible and invisible world, according to a fixed compact sanctioned by the inviolable oath which holds all physical and all moral natures, each in their appointed place.14
Diese (englische) Ordnung stellte, in Analogie zur geordneten Natur, eine praestabilierte Harmonie dar15, die durch natürliche Ungleichheit ihrer Mitglieder geprägt war: In all societies, consisting of various descriptions of citizens, some description must be uppermost. The levellers therefore only change and pervert the natural order of things.16
Explizite Gesellschaftsvorstellungen wurden von den mittviktorianischen Konservativen im politischen Tagesgeschäft selten artikuliert. Aus vereinzelten Äußerungen läßt sich jedoch ein relativ einheitliches und geschlossenes Bild rekonstruieren, das Burkes Vorlage (ebenso wie den Annahmen der Konservatismusforschung) weitgehend entspricht17. Wenn sich zu diesen Fragen, wie schon zum Menschenbild und den Grundlagen des politischen Denkens, abermals in erheblichem Maße Vertreter des hochkonservativen Flügels zu Wort meldeten, so brachten sie dennoch in repräsentativer Weise zum Ausdruck, was in einer Fülle anderweitiger Äußerungen unausgesprochen blieb, aber offensichtlich vorausgesetzt oder höchstens en passant angesprochen wurde, und sie bauten zudem bruchlos auf den allgemein geteilten Grundannahmen auf. Im Mittelpunkt der konservativen Gesellschaftsvorstellungen stand die – so allerdings nicht benannte – societas civilis, im älteren, klassisch aristotelischen Sinne der guten und tugendhaften Gemeinschaft der freien und gleichberechtigten männlichen Oikodespoten, in diesem Falle der wirt14
15 16 17
EBD., S. 147; in diesem Zusammenhang auch die berühmte Formulierung von Gesellschaft und Staat (auf beides bezogen) als „a partnership not only between those who are living, but between those who are living, those who are dead, and those who are to be born.“ Vgl. EBD., S. 83–85. EBD., S. 100; vgl. auch S. 103:. „some preference [. . .] given to birth, is neither unnatural, not unjust, not impolitic“. Zur konservativen Gesellschaftsvorstellung allgemein vgl. ALLEN, Modern Conservatism, S. 593 und 597, BARKER, Political Thought, S. 23 f., 26 f., 29 f. und 36, EPSTEIN, Ursprünge, S. 32–34, HUNTINGTON, Conservatism, S. 457, GLICKMAN, Toryness, S. 123 f. und 128–131, MACINTYRE, Bentinck, S. 159–163, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 23 und 26–30, METZ, Social Chain, S. 151–153, O’GORMAN, British Conservatism, S. 31, VIERHAUS, Conservatism, S. 478 f., und WHITE, Conservative Tradition, S. 4 und 7–9.
222
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
schaftlich und materiell unabhängigen Grundbesitzer, konkret des ländlichen Adels; in thomistischer Diktion: die natürliche, häusliche und sakrale Gesellschaft18. Allein schon begrifflich wurde sie nicht vom Staat getrennt19, wobei der relativ geringe Organisationsgrad des Staates (im Gegensatz insbesondere zum kontinentalen bürokratischen Anstaltsstaat absolutistischen Ursprungs) gegenüber ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Elementen zu den besonderen englischen Traditionen zählte20. In diesem Zusammenhang genossen die lokalen Organe und ihre Selbstverwaltung ohne zentralstaatliche Intervention und das ungeschmälerte Eigentum mit seiner gemeinwohlorientierten sozialen Verpflichtung besondere Wertschätzung, galten sie doch in erster Linie als Garanten der englischen Freiheit21. Gerade die dezentrale lokale Selbstverwaltung, aber auch der Begriff des Eigentums wiesen dabei manche Ähnlichkeit zu genuin liberalen bis hin zu radikalen Positionen auf, wie sie etwa John Stuart Mill22 vertrat. Ohnehin gelangte die societas civilis keineswegs nur über den konservativen, sondern nicht zuletzt über einen anderen, zumindest historiographisch prominenteren Traditionsstrang in das viktorianische England: den civic republicanism des klassischen Radikalismus im 18. Jahrhundert, dessen Traditionen im britischen Reformradikalismus des 19. Jahrhunderts machtvoll weiterwirkten, wie gerade die jüngere britische Sozialgeschichtsschreibung nachdrücklich herausgearbeitet hat23. 18
19 20 21 22 23
Vgl. dazu RIEDEL, Bürgerliche Gesellschaft [I], bes. S. 721–724 und 727–729, sowie RIEDEL, Bürgerliche Gesellschaft [II], bes. Sp. 466–468; vgl. insbesondere auch KONDYLIS, Konservativismus, S. 63–206, bes. 65–80 und 126–136, dazu KRAUS, Widerstreit, S. 225–237, mit einer Zusammenfassung der von Kondylis benannten Elemente der societas civilis, S. 229–231: (1) natürliche und organische Genese der Gesellschaft mit Vorrang vor der Regierung; (2) Einheit von Moral und Politik; (3) Vorrang traditions- und geschichtsbewährter Vernunft vor individueller Vernunft und abstrakten Prinzipien; (4) natürliche Hierarchie der Gesellschaft; (5) Widernatürlichkeit des absolutistischen ebenso wie des kommerziell-industriellen Staates und seiner Gesellschaft. Vgl. auch GLICKMAN, Toryness, S. 130 f. Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 10. Vgl. dazu auch Disraelis Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298. Vgl. zu diesen Problemen im einzelnen Kapitel IV.5.c) und d). Vgl. MILL, Representative Government, zit. in Kapitel IV.5.d). Vgl., mit starkem Bezug auf JOHN POCOCK (vgl. neben The Machiavellian Moment: Florentine Republican Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton N.J. 1975, etwa Civic Humanism and Its Role in Anglo-American Thought sowie Machiavelli, Harrington and English Political Ideologies in the Eighteenth Century, in: POCOCK, Politics, S. 80–103 und 104–147) WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 107–127, und WIRSCHING, Bürgertugend, S. 175–177; vgl. auch die in Anm. 9 genannte Literatur, v.a. CLAEYS, Liberalism, auch BELCHEM, Popular Radicalism, S. 11 f., und den Forschungsbericht von MARES, Abschied, bes. S. 390.
2. Die ländlich-aristokratische societas civilis
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Demzufolge wurde die am „aristotelischen, partizipatorischen Bürgerideal“ orientierte, ursprünglich frühneuzeitlich-florentinische civic tradition im 17. und frühen 18. Jahrhundert auf den agrarischen Flächenstaat und auf die freeholders übertragen. Als Kriterien dieser alles andere als handelsliberalen „anglisierten [. . .] Republik“, deren Topoi im 18. Jahrhundert „von einer sozialen und politischen Gruppierung zur anderen“ zu wandern vermochten (und dementsprechend anschlußfähig für die Tories und die ländlichen Eliten waren), identifiziert Andreas Wirsching erstens die Einheit von Staat und Gesellschaft, zweitens die Gleichheit der wirtschaftlich autarken Bürger, drittens gemeinwohlorientierte Bürgertugend in Form gesellschaftlich-politischer Beteiligung und viertens Eigentum in Form von Grundbesitz. Daneben aber griffen auch die schottischen Liberalen auf die aristotelische Terminologie der politisch-moralischen Bürgertugenden zurück, um die (den Vorstellungen des civic republicanism ganz entgegengesetzte) politische Ökonomie der Marktgesellschaft, der commercial society, und nun explizit die Partizipationsansprüche der middle classes zu begründen, ohne in Kategorien von sozialökonomischen Klassen argumentieren zu müssen24. In solcher Perspektive skizziert Eugenio Biagini die folgenden Kernelemente des popular liberalism im 19. Jahrhundert: erstens Anti-Zentralismus und Anti-Staatsinterventionismus auf Gemeindeebene, zweitens die Forderung nach retrenchment, nach verringerten Abgaben und Steuern, drittens Anti-Klerikalismus und nonkonformistische Gegnerschaft zur Anglikanischen Kirche, viertens civic virtue im Sinne klassisch republikanischer Bürgertugend, und fünftens eine kommunitaristische Rhetorik, die auf das Volk, the people, und nicht auf antagonistische Klassen zielte25. Hier läßt sich bereits eine sprachliche Verbindung zu den Konservativen insofern beobachten, als diese „Klasse“ in einem neutralen Sinne als nicht weiter hinterfragten und nicht sozialmoralisch aufgeladenen Begriff verwendeten (der eine wertbezogene oder polemische Konnotation höchstens 24
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Vgl. WIRSCHING, Bürgertugend, S. 176 f., 180–186, 190 f. und 195 f., die Zitate nach WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 107 f. und 111, dort S. 107–118 sowie 178–191 die Entfaltung der historischen und systematischen Zusammenhänge. Zur societas civilis und dem klassischen Republikanismus in aristotelischer Tradition vgl. auch, allerdings im Hinblick auf den deutschen Frühliberalismus mit dem sozialen Erwartungsmodell einer klassenlosen Bürgergesellschaft, GALL, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, S. 25–27, 61 f. und 64–66 (auch zur nach Zeit und Umständen erheblich und bis an die Grenzen der unterscheidenden Bezeichnungsfähigkeit variierenden Semantik und Anwendung des Begriffes societas civilis), und GALL, „Liberalismus“ und bürgerliche Gesellschaft, S. 165–167, 172 f. und 175 f. Vgl. BIAGINI, Popular Liberalism, bes. S. 15–19.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
als Kompositum in der Auseinandersetzung mit den middle classes erhielt). Und generell: Das aus gemeinsamen Wurzeln entstammende Konzept der societas civilis wurde von viktorianischen Konservativen und Radikalen einerseits spezifisch unterschiedlich gefüllt, andererseits aber auch in übereinstimmendem oder ähnlichem Sinne und jedenfalls in einer gleichlautenden Rhetorik verwendet. Es reichte somit ins Topische26 (ohne daß der Begriff societas civilis als solcher sprachlich eingesetzt worden wäre) und offenbart zugleich, bei allen fundamentalen politischen und vor allem epistemologischen Differenzen, signifikante Affinitäten und Anknüpfungspunkte zwischen beiden politischen Strömungen27. Differenzen lagen erstens auf konfessioneller Ebene, wo sich, verallgemeinert formuliert, konservativer Anglikanismus und anti-anglikanischer radikaler Nonkonformismus gegenüberstanden. Zweitens lag ein zentraler Unterschied etwa zu Mill darin, daß die konservative societas civilis nicht auf einer „widely democratic basis“ ruhte28 (wie auch immer man „demokratisch“ im einzelnen definierte) und deutlich weniger partizipatorischegalitär angelegt war29. Ihre Bürger entstammten dem Adel und bezogen ihre Legitimation aus ihrem Landbesitz. Im Mittelpunkt der konservativen Gesellschaftsvorstellung dieser „Venetian Constitution“, wie Disraeli sie zu benennen pflegte30, stand also die ländlich-aristokratisch geprägte civil society in ihrer tradierten Form, die sich allerdings, wie zu zeigen sein wird, sozial und inhaltlich erweitern ließ. Während die Whigs eine solche Auffassung zumindest in Grundzügen zu teilen vermochten31, tendenziell allerdings weniger paternalistisch und weniger exklusiv ländlich orientiert waren, sah sich dieses Konzept substantiellen Gefährdungen durch den industrialisierungsbedingten Sozialwandel sowie die neuen Mittelschichten und ihre Vorstellungen ausgesetzt. Demgegenüber war das konservative Gesellschaftsmodell zwar keineswegs vollkommen statisch, aber doch von einem organischen, beinahe unerkennbar
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Zum Topos-Begriff vgl. Kapitel II.2 Anm. 45. Vgl. auch ALLEN, Modern Conservatism, S. 600. MILL, Representative Government, S. 269. Vgl. dazu RIEDEL, Bürgerliche Gesellschaft [I], S. 763–779, und RIEDEL, Bürgerliche Gesellschaft [II], Sp. 470 f. Disraeli verstand den Begriff allerdings als Karikatur der Zustände des 18. Jahrhunderts; aber gerade die Mitte des 19. Jahrhunderts war, so BLAKE, Disraeli, S. 273, im konservativen Sinne „the real hey-day of that ‚Venetian constitution‘“; vgl. auch KEBBEL, Tory Memories, S. 63 f. Vgl. etwa Palmerstons Unterhausrede vom 2. März 1859, auszugsweise abgedruckt in GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 91 f.
2. Die ländlich-aristokratische societas civilis
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langsamen Wachstum und der legitimierenden Tradition der „schon im voraus existierende[n] Ordnung“32 geprägt: the healthful progress of society is like the natural life of man – it consists in the gradual and harmonious development of all its constitutional powers, all its component parts; and you introduce weakness and disease into the whole system, whether you attempt to stint or to force the growth.33
Ob man mit der göttlichen Bestimmung durch die Vorsehung34, mit Geschichte und Tradition oder wie Burke mit der Natur argumentierte – jedenfalls war die Gesellschaft nach konservativer Vorstellung – drittens – ganz unumstritten hierarchischer Gestalt, die auch der zeitgenössischen Begrifflichkeit der Klassen inhärent war35. Die überlieferte hierarchische Sozialordnung mit der Zivilgesellschaft als Bezugspunkt hob die konservative Gesellschaftsvorstellung von allen auf den Vorrang der Individuen ebenso wie auf egalitären Kollektivismus aufbauenden Gesellschaftsmodellen ab36. Nicht nur aus der Tradition, sondern auch aus dem Menschenbild ließ sich die „distinctive conception of an inegalitarian social order“37 aus der natürlichen Ungleichheit der Menschen ableiten. Die Hierarchie barg zugleich die funktionale Bedeutung in sich, daß eine Minderheit die Führung in der Gesellschaft zu übernehmen habe. Diese Führung lag – und das war das soziale Spezifikum dieser Differenz – bei der traditionsbewährten Aristokratie im wörtlichen Sinne der Besten, die sich allerdings nicht messen, sondern als natürliche Führer nur qua common sense anerkennen ließen: Political equality is not merely a folly, – it is a chimera. It is idle to discuss whether it ought to exist; for, as a matter of fact, it never does. [. . .] Every community has natu-
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KONDYLIS, Konservativismus, S. 128. Bulwer-Lytton, Rede vor Studenten der Universität Edinburgh am 18. Januar 1854, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 193–195, hier 195; vgl. auch den Leitartikel der PRESS vom 23. Juli 1853 (Vol. I, Nr. 12, S. 265: „The life of nations is like the life of man; and the country which abjures the element that has formed its laws, its manners, its customs, that has created its traditions, and given a colour to its future,– is a corpse“); vgl. auch EPSTEIN, Ursprünge, S. 132, GLICKMAN, Toryness, S. 132 f., und HUNTINGTON, Conservatism, S. 457. Vgl. CARLYLE, Past and Present (1843), zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class („it is by a mission not contracted for in the Stock-Exchange, but felt in their own hearts as coming out of Heaven, that men can govern a Land. The mission of a Land Aristocracy is a sacred one“), und Drummonds Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier Sp. 113 („Providence of God“). Vgl. dazu auch HUNTINGTON, Conservatism, S. 457, METZ, Social Chain, S. 152, und KONDYLIS, Konservativismus, S. 161–169. Vgl. GLICKMAN, Toryness, S. 128, VIERHAUS, Conservatism, S. 478, und WHITE, Conservative Tradition, S. 8. BARKER, Political Thought, S. 36.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
ral leaders, to whom, if they are not misled by the insane passion for equality, they will instinctively defer. Always wealth, in some countries birth, in all intellectual power and culture, mark out the men to whom, in a healthy state of feeling, a community looks to undertake its government. [. . .] They are the aristocracy of a country in the original and best sense of the word. Whether a few of them are decorated by honorary titles or enjoy hereditary privileges is a matter of secondary moment. The important point is, that the rulers of the country should be taken from among them, and that with them should be the political preponderance to which they have every right that superior fitness can confer.38
So gruppierte sich die konservative Vorstellung der societas civilis um „traditionary influences“ und großen ländlichen Grundbesitz in Händen des ländlichen Adels, „the basis of the political and administrative structure of the State, [. . .] surrounded by a nexus of traditional powers, privileges, patronage, and duties“39. In ihrer traditionsbewährten Form ebenso wie in ihrer Ausgewogenheit der Interessen aller Klassen40 war die überlieferte organische Gesellschaft in konservativer Sicht per se harmonisch: The bond of good fellowship unites the various classes, and they move on together in a regulated harmony, instead of each man striving to break loose from his sphere.41
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Cecil, The Confederate Struggle and Recognition, in: QR 112, Nr. 224 (Oktober 1862), S. 535–570, hier zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 159 f. Vgl. auch Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101, S. 220–229 (Februar 1867), hier 225 („the wholesome principle under which Great Britain has become the freest, if not the only truly free, country in the world – the principle that men of education, wealth, and learned leisure, though a minority, should possess a larger share in the government, than could be given to a majority in which poverty and comparative ignorance must of necessity prevail. We hear a great deal too much of the rights of the majority, and of the old fallacy, and false assertion, that the voice of the people is the voice of God. [. . .] Every great and good cause must necessarily have its origin in a minority [. . .]. As in religion and in science, so in politics, it is the minority which lays the foundation and builds the edifice, which the majority afterwards must consent to inhabit“), sowie, ex negativo, Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1926 („The advance of wealth, the increase of education, the capacity, or at least the ambition, that every man now feels to occupy a higher station than that in which he has been placed by Providence – all these things tend to make men dissatisfied with the institutions of the country, because they fancy themselves cribbed, cabined, and confined by the restrictions which those institutions impose“). GASH, Reaction, S. 137; vgl. auch Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958 (dort das erste Zitat): „neither in this nor in any other ancient European country can there be any such thing as government which is not based on traditionary influences and large properties round which men may rally.“ Vgl. dazu auch BURKE, Reflections, S. 102 („The characteristic essence of property [. . .] is to be unequal“). Vgl. Archibald Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 14: „The old principle of the English constitution [. . .] during a long course of years, was, that the whole interests of the state should be represented“. Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 260; vgl. auch
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Diese Ordnung auf der Grundlage von Land, Eigentum und Aristokratie, die im nächsten Kapitel konkreter zu charakterisieren ist, war in konservativen Augen nicht weiter begründungspflichtig, so daß ihre Rechtfertigung nur selten, und vornehmlich aus der Defensive, artikuliert wurde. Zwischen der schweren Niederlage des landed interest von 1846 und der Ausweitung des Wahlrechts durch die Konservativen weit in die Arbeiterklassen hinein im Jahre 1867 blieben die Konservativen dabei ihren Gesellschaftsvorstellungen im Grundsatz treu. Zugleich erfuhr dieses genuin vormoderne Konzept der aristokratischen Landeigentümergesellschaft jedoch signifikante Wandlungen hinsichtlich des Begriffs vom Eigentum, der Konzentration auf die ländliche Gesellschaft und der Beziehungen zwischen den Klassen, die auf eine substantielle Erweiterung der politischen Nation hinausliefen. Diese Wandlungen schlossen, gerade in Form von Disraelis constitutional conservatism, wesentlich an die gemeinsamen Wurzeln und an die Berührungs- und Anknüpfungspunkte mit dem radikalen Konzept der societas civilis, und insbesondere an das „country-ideologische Paradigma“42 der civic tradition aus dem 18. Jahrhundert an: die Affinitäten erstens von AntiZentralismus und local government, zweitens von civic virtue und sozialmoralischer Verpflichtung und Qualifikation der Mitgliedschaft in der politischen Nation, die drittens auf Eigentum beruhte, und viertens, zumindest auf rhetorischer Ebene, von Kommunitarismus und „one nation“ bzw. „national party“. Daß die gesellschaftspolitischen Ideale der radikaldemokratischen Bewegungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts „as often conservative as progressive“ ausfielen43, deutet auf das spezifisch ambivalente Verhältnis von Konservatismus und Radikalismus zwischen diametralem Gegensatz und verwandter Nähe hin. B)
DIE ORDNUNG DES LANDES
Das Land verkörperte nach konservativer Auffassung44 die Elemente der Beständigkeit und der Dauerhaftigkeit, „the chain by which the present will become connected with the past“, im Gegensatz zum mobilen Eigentum
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GLICKMAN, Toryness, S. 130 f., MANNHEIM, Konservatismus, S. 117, und MCKENZIE/ SILVER, Angels, S. 23. WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 107; vgl. auch VERNON, Politics and the People, S. 304. STEDMAN JONES, Changing Face, S. 39. Vgl. dazu – bezeichnenderweise jeweils nur sehr kursorisch – GASH, Reaction, S. 137, GLICKMAN, Toryness, S. 128 f., MACINTYRE, Bentinck, S. 159 f., MARSH, Conservative Conscience, S. 217, und SOUTHGATE, From Disraeli to Law, S. 119.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
der bildungs- und wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten, das für den Fortschritt stand45. Das Land bildete die Substanz der organischen Gesellschaft und der societas civilis und wurde von konservativer Seite ungebrochen, wenn auch nach 1852 mit spürbar abnehmender Intensität, als Quelle des gesellschaftlichen Wohlstandes deklamiert46. Zugleich war und blieb das Land mit seiner Sozialordnung Vorbild und Grundlage für die gesamte Gesellschaft mit ihrer sozialen Ungleichheit, Hierarchie und Führung durch die wesentlich mit dem Land verbundene Aristokratie47. Der Adel bezog seinen Führungsauftrag nach konservativem Verständnis dabei nicht aus Titeln oder Standesprivilegien48, sondern erstens aus der Tradition mit ihrer sozialen Bedeutung, mehr aber zweitens aus dem materielle, geistige und moralische Unabhängigkeit gewährleistenden Eigentum – The essential is a body of people possessing realised property – neither obliged to seek favour from the crown, nor to flatter the mob for the gratification of the objects of their ambition49 –
und drittens aus moralischen Kriterien samt gesamtgesellschaftlichem Nutzen, die in symbiotischem Zusammenhang mit dem Eigentum gesehen wurden und die „natürliche Aristokratie“ ausmachten: The influence of the land-owners is not from their wealth, but from their use, benevolence, and example to all around.
Aufgrund ihrer überragenden Charakterbildung (education), die die Muße des gentleman voraussetzte, seien sie, wie Henry Drummond allerdings als 45
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Vgl. Coleridge, On the Constitution of Church and State, zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 24 f. (das Zitat S. 24); vgl. auch Bulwer-Lytton an Lansdowne, 6. Januar 1852, hier nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 73, und DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 36. Vgl. etwa die Adresse Lord Burghleys an die Wähler von South Lincolnshire vom 4. August 1847, in: THE TIMES vom 5. August 1847, S. 2e, sowie Derbys Oberhausrede vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, hier 19 („of all the manufacturers of this country, the most important interest, that which is most deeply and vitally connected with the well-being of the country, the manufacturers of human food, the great class connected with the cultivation of the land, are the most important“), oder DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 17. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 950, 958 und 964, Derbys Oberhausrede vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, hier 23, oder die Leitartikel der PRESS vom 23. und 30. Juli 1853; vgl. auch GLICKMAN, Toryness, S. 128 f. Vgl. BULWER-LYTTON, England and the English (1833), hier nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 27–29, bes. 27, sowie BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 10, dort S. 36 auch das folgende Zitat; vgl. auch Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 912 f.
2. Die ländlich-aristokratische societas civilis
229
einer der wenigen so deutlich aussprach, „as a class, immeasurably superior, in intellectual and moral qualities, to any other that can be named“. Der hier angelegte konservative Begriff von education im gesellschaftlichen, sozialelitären Sinne zielte wesentlich auf eine sozialmoralische und auch implizit sozialexklusive Dimension einer umfassenden, ganzheitlichen aristokratischen Lebensform gegenüber einem Begriff von education als primär kognitiven oder technischen Fertigkeiten oder im Sinne von Bildungstiteln50. Diese (idealtypisierten) Aristokraten verfügten über die geistige und emotionale Weite, alle Interessen der Nation zu berücksichtigen51, denn Gemeinwohlorientierung und Uneigennützigkeit bildeten neben geistigen Fähigkeiten die zweite Säule von aristokratischem „exalted wisdom“52. Diesem konservativen Elitenkonzept in der Tradition der griechischen Antike zufolge, in dem Aufsteiger aus Handel und Finanzen und selbst aus den ländlichen middle classes an sich nicht vorkamen53, brachte die Masse der Bevölkerung, im Gegenzug eines bilateralen sozialen Kommunikationsaktes, der landbesitzenden Aristokratie in Erkenntnis ihrer Qualitäten und in freiwilliger Anerkennung ihrer gesellschaflichen Führung ihre „deference“ entgegen: The result of the deference shown to our nobles is that in the majority of instances they endeavour to deserve it. The tribute paid to their position they return by the exercise of the graces and many of the virtues of life. Because they are noblemen in rank they are noble in their conduct, and for the most part set an example of generosity, good-breeding, and freedom from selfishness which leavens those around them and raises the entire fabric of society to a higher level. Theirs is an inherited chivalry of feeling.54 50 51
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Vgl. auch THE OXFORD ENGLISH DICTIONARY. Second Edition, Bd. V, Oxford 1989, S. 74, v.a. die Bedeutungsvariante 4. Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 911 („The whole question turns upon what is the meaning of the word aristocracy. In uncivilised societies it means the strongest, and in civilised societies it means the wisest; and how is wisdom to be defined by an Act of Parliament?“), Granbys Unterhausrede vom 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 509–516, hier 513, und DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 7 (dort das Zitat), 13 („a nobleman is more fitted for a ruler of a great country than a cotton spinner“, dessen Sohn jedoch, wie etwa Robert Peel, die nötige Bildung erwerben könne) und 21. Whiteside, Unterhausrede vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1637–1653, hier 1646. Vgl. dazu POHL, Eliten, S. 52 f. Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 260; der Begriff der Ritterlichkeit („chivalry“) auch bei BURKE, Reflections, S. 126 f. Vgl. auch den Leitartikel der PRESS vom 30. Juli 1853 („a wise and well-digested deference to the aristocratic principle“). Vgl. auch BARKER, Political Thought, S. 23, MCKENZIE/SILVER, Angels, S. 166–180, den großen, aber viel kritisierten und als gesellschaftsgeschichliches Erklärungsmuster überholten Entwurf von MOORE, Deference, bes. S. 12 f., vielmehr POCOCK, Deference (mit der
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
So umfaßte Disraelis Kennzeichnung dieser Sozialordnung als „territorial constitution“ und „aristocratic settlement“ mehr als nur ihre soziale Spitze, sondern viel umfassender „the whole ordered hierarchy of rural England [. . .], a world of careful gradations, headed by such dignitaries as the Lord Lieutenant, the county members, and the Bishop, containing its Whiggish ‚magnificoes‘ in the form of a few great landowning peers, perhaps even a duke, but broadly and firmly based upon a wealthy Tory residential squirearchy whose substantial estates covered the country“55. Auffälligerweise wurde die ländliche Sozialordnung aber in der Mehrzahl der Fälle nicht vorrangig mit selbstverständlichem common sense gerechtfertigt, sondern vielmehr mit dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen für das „common good“56. Nicht nur stiftete erst diese Ordnung die tradierten und spezifischen englischen Freiheiten57. Darüber hinaus – dieses Argument wurde besonders ausgiebig, geradezu topisch verwendet – gewährleisteten das Land und seine Aristokratie Benevolenz, Wohlfahrt und soziale Fürsorge, „humanity and protection“58 für die und gegenüber den Anempfohlenen: uneigennützig unternähmen die Landbesitzer erhebliche Anstrengungen, beispielsweise im Bereich der Entwässerung, um die Landarbeiter in Lohn und Brot zu bringen und vor dem Arbeitshaus des (von den Libe-
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Definition der klassischen „deference“ des 18. Jahrhunderts als „the voluntary acceptance of a leadership elite by persons not belonging to that elite, but sufficiently free as political actors to render deference not only a voluntary but also a political act“, S. 517, vgl. auch 522), SPRING, Bagehot and Deference, v.a. 529 und 531, sowie STEWART, Party and Politics, S. 37. BLAKE, Disraeli, S. 279, vgl. auch GREENLEAF, British Conservatism, S. 185–187; vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. Mai 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e, und in M&B III, S. 20–22, Disraeli an Edward George Stanley, 26. Dezember 1848, DISRAELI LETTERS V, 1755/118, oder Disraeli an Edward Henry Stanley, 7. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS VI, 2203X/531 f. THE PRESS Vol. I, Nr. 13, Leitartikel vom 30. Juli 1853. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 11. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 374–414, hier 414 (England verdanke dem Land „the union of those two qualities for combining which a Roman emperor was deified – Imperium et Libertas“), Bulwer-Lytton an Lansdowne, 6. Januar 1852, hier nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 73, den Leitartikel der PRESS vom 23. Juli 1853, Vol. I, Nr. 12 („Upon the maintenance of such an aristocracy, fed continually by the accumulated wealth and distinguished abilities of the community, and aristocracy maintained, indeed, by absorbing all aristocracies, the existence of freedom in a European country appears to us to depend. [. . .] The principle of aristocracy has made England a country of the highest class. We owe to it our freedom, our order, our pure religion“), und, ex negativo, Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 261 („Anarchy grows out of the destruction of aristocracy; despotism out of anarchy“). DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 21, vgl. auch Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 260 („graces and charities of life, [. . .] social benevolence and magnanimity [. . .] are the consequence of inherited honour and exalted position when erected on the basis of constitutional freedom“).
2. Die ländlich-aristokratische societas civilis
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ralen gemachten) Armengesetzes zu bewahren59, oder beim Bau besserer Unterkünfte60; great and real efforts are being made by the upper classes to improve the condition and the education of the poor; and the source of these efforts is the sense of individual responsibility.61
Nun war auch den Konservativen bewußt, daß dieses Bild der sozial fürsorglichen, benevolenten ländlich-aristokratischen Ordnung ein postuliertes und propagiertes Ideal war und die Realität sich zuweilen reichlich anders darstellte. Gerade Disraeli klagte immer wieder über die Apathie der ländlichen Gesellschaft und auch die Vernachlässigung der sozialen Verpflichtungen des Eigentums62. Deutlicher und erheblich gefährlicher als diese unvermeidliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit63 war jedoch die Kritik von seiten der radikalen Vertreter der Mittelschichten, die nämlich die legitimierenden Argumente der ländlich-aristokratischen Sozialordnung grundsätzlich in Abrede stellten: das Land sei gegenüber den Städten überrepräsentiert, und anstelle der Ausgewogenheit der Interessen besitze die Aristokratie ein eindeutiges soziales Übergewicht, monierten etwa Ralph Osborne und Richard Cobden64; statt der behaupteten Uneigennützigkeit folge die Aristokratie blankem unmoralischem Klassenegoismus und bringe der Ge59 60
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Vgl. Derbys Oberhausrede vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, hier 23 f., und Granbys Unterhausrede vom 13. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 509–516, hier 513. Vgl. Thomas James, Labourer’s Homes, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 267–297, bes. 277 das Zitat des Duke of Bedford: „Cottage building [. . .] is [. . .] a bad investment of money. [. . . But:] To improve the dwellings of the labouring class, and afford them the means of greater cleanliness, health, and comfort, in their own homes; to extend education, and such raise the social and moral habits of those most valuable members of the community – are among the first duties, and ought to be among the truest pleasures of every landlord. While he thus cares for those whom Providence has committed to his charge, he will teach them that reliance on the exertion of the faculties with which they are endowed, is the surest way to their own independence and the well-being of their families.“ Goldwin Smith, Imperialism, in: FM 55 (1857), S. 493–506, hier 505. Im hier angesprochenen Zusammenhang zielte education weniger (wie im oben beschriebenen Falle der Aristokratie) auf einen Zustand, sondern auf den Prozeß der Vermittlung von Fertigkeiten, wobei auch diese Begrifflichkeit eine sozialmoralische Dimension implizierte (vgl. dazu auch Kapitel IV.4). Dennoch ist die Begrifflichkeit in den verschiedenen Kontexten deutlich zu unterscheiden. Vgl. etwa Bentinck an Croker, 5. Oktober 1847, CROKER PAPERS III, S. 146 f., hier 146, Disraeli an Philip Rose und an seine Schwester Sarah, 16. Oktober 1849, sowie an Robert Harvey, 25. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1898/233 f., hier 234, 1897/232 f., hier 232, und 1910/244 f., hier 244. Vgl. dazu KONDYLIS, Konservativismus, S. 64. Vgl. die Unterhausreden Osbornes und Cobdens vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 166, und 181–195, hier 188–191.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
sellschaft auch keinen Nutzen65. Statt dessen falle die Bilanz verheerend aus: You have had your government of aristocracy and tradition; and the worst thing in this country has been its government for the last century and a half. All that has been done to elevate the country has been the work of the middle and industrious classes.66
Diese Aristokratie besaß daher keinen legitimen gesellschaftlichen Führungsauftrag mehr67, der vielmehr an die Mittelschichten fiel; die Frage war nur: wie? Während etwa der Economist auf eine automatische Translation im Zuge der sozialökonomischen Entwicklung vertraute68, rüstete Cobden zur aktiven Auseinandersetzung und sagte der tradierten ländlich-aristokratischen Gesellschaftsordnung den Klassenkampf an – The citadel of privilege in this country is so terribly strong, owing to the concentrated masses of property in the hands of the comparatively few, that we cannot hope to assail it with success unless with the help of the propertied classes in the middle ranks of society, and by raising up a portion of the working-class to become members of a propertied order69 –,
der nicht zuletzt in der terminologischen Arena um die moralischen Qualifikationen der societas civilis ausgetragen wurde.
3. FEINDBILD IM WANDEL: MANCHESTER UND MIDDLE CLASSES A)
„WRETCHED MONEY SPIDERS“: DER KONSERVATIVE BEGRIFF DER MIDDLE CLASSES Das landed interest kannte kein entsprechend integrales begriffliches Gegenüber. Selten war, als sozio-geographisches Pendant, vom urban interest die Rede, häufiger waren sozio-ökonomische Begriffe in Gebrauch, aller-
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Vgl. Cobden an George Wilson, 23. September 1856, hier nach WRIGHT (Hg.), Democracy and Reform, S. 127 („The aristocracy have gained immensely since the people took to soldiering“), sowie Cobdens Tagebucheintrag zum November 1860, MORLEY, Cobden, S. 788 („the expenditure for our warlike services on which our aristocratic system flourishes“). Cobden, Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 181–195, hier 195. Vgl. Osbornes Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 170. Vgl. THE ECONOMIST vom 8. Februar 1851, hier nach HALTERN, Weltausstellung, S. 350: „the ‚great fact‘ of the age is undubitably the destruction of Feudalism – the decline of the aristocratic element, and the predominant influence of the middle classes which has replaced it.“ Cobden an Bright, 1. Oktober 1849, MORLEY, Cobden, S. 514–517, hier 517; vgl. auch Kapitel IV.1.c).
3. Manchester und middle classes
233
dings in verschiedener Form, als moneyed, als commercial oder als manufacturing interest, die zudem nur das wirtschaftsbürgerliche Segment konzeptualisierten und auch innerhalb dessen jeweils nur einen Teilbereich. Diese begriffliche Uneindeutigkeit verweist auf die soziale Vielgestaltigkeit und Heterogenität, die der, zumindest konservativer Auffassung nach, Homogenität und Ganzheitlichkeit des landed interest als einer umfassenden Wirtschafts- und Sozialordnung gegenüberstand. Am ehesten war der Begriff der middle classes in Gebrauch, dessen konkrete Bedeutung – „the old awkward and difficult question“70 – zeitgenössisch ebenfalls keineswegs klar war. In George Grevilles Beschreibung als „those formidable masses, occupying the vast space between aristocracy and democracy“71 etwa kommt die gesamte Unbestimmtheit und semantische Uneindeutigkeit allein schon zwischen gesellschaftlicher und politischer Bedeutungsebene zum Ausdruck. Auch die Konservativen verwendeten den Begriff der middle classes mit großer Häufigkeit, in einer zwar nicht präzise definierten, wohl aber durchgängigen und recht eindeutig bestimmbaren, spezifisch reduzierten Bedeutung. Dabei waren die ländlichen Mittelschichten, die Bauern, nicht einbezogen72; der konservative Begriff bezeichnete die städtischen Mittelschichten. Während aber Samuel Taylor Coleridge sozialökonomisch umfassend von „four classes, the mercantile, the manufacturing, the distributive, and the professional“ gesprochen hatte73, konnte davon für die Konservativen nach 1846 durchgängig nicht die Rede sein. Unter Ausschluß der bildungsbürgerlichen Professionen zielte ihr Mittelschichtenbegriff auf „the urban manufacturing and commercial class“74, das zumeist neue städtische Wirtschaftsbügertum, das sich vor allem in einem Wort zusammenzog: „Manchester“75. 70 71 72
73 74 75
KITSON-CLARK, Making of Victorian England, S. 118. Tagebucheintrag Grevilles vom 6. Juli 1850, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 234–244, hier 241. Eine der seltenen Ausnahmen innerhalb der ausgewerteten Quellen stellt Disraelis Unterhausrede vom 11. Februar 1851 dar, HANSARD 3/114, Sp. 374–414, hier 385 f., in der er die ländlichen middle classes als „the best consequence of civilisation“, als „a most considerable, and not the least respectable portion of the great middle class“ bezeichnete; diese eher ungewöhnliche Redeweise entspricht unterdessen Disraelis (an Burke erinnernder) rhetorischer Taktik, gegnerische Begriffe, wie hier die positiv konnotierten middle classes, zu übernehmen und im eigenen Sinne zu verwenden. COLERIDGE, On the Constitution of Church and State, zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 24 f., hier 25. Malmesbury an Derby, 11. Juni 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 144/4, in Abgrenzung von „agricultural“ und „working men“. Vgl. zur impliziten Gleichsetzung von Manchester und middle classes etwa Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958.
234
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
Und damit waren nach konservativem Verständnis, in abermals sozialökonomisch reduziertem Sinne, die „millers and cotton spinners“, die Textilfabrikanten (als Träger der ersten Phase der Industrialisierung) im engeren und allgemein die „manufacturers“ gemeint. Weniger die Bankiers und großen Kaufleute standen im Zentrum des konservativen Begriffs der middle classes, sondern in allererster Linie der Exponent und Inbegriff des Industriezeitalters schlechthin: der industrielle Kapitalist76. Die so verstandenen Mittelschichten waren nicht Teil einer harmonischen Sozialordnung aus verschiedenen Kräften, wie sie Coleridge beschrieben hatte77, sondern im Gegenteil Gärstoff ihrer Zersetzung, wie gerade die Auseinandersetzung des Jahres 1846, über die fiskalische Frage von konkreten Zöllen hinaus, bewiesen hatte: The measure by which you professed to legislate against class interests, dissolved the close community of interest which bound together the prosperity of the manufacturer and the agriculturalist.78
Diese Mittelschichten strebten, so die konservative Perzeption, den Umsturz der gesamten Verfassungs- und Sozialordnung an, „to destroy territorial influence, and to give power to towns“, vor allem natürlich auf Kosten des gesamten landed interest79. Sie wollten die Monarchie und überhaupt die bewährten Institutionen des Landes abschaffen80 und ihre Form der Demokratie81 errichten, in summa ein wahrhaft „revolutionäres Projekt“82: 76
77 78
79
80
81 82
Vgl. Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f., hier 161 (dort das Zitat), Drummond an Lord Kinnaird, 8. November 1849, DRUMMOND, Speeches I, S. 455–458, hier 457 f., Richmonds Oberhausrede vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 30–33, hier 31, Bulwer-Lyttons Rede in Bishop’s Stortford vom 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99, und W.E. Aytoun, The Manchester Movement, in: BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852), bes. S. 760. Vgl. Coleridge, On the Constitution of Church and State, zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 24 f. Oberhausrede Stanleys vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, hier 24; vgl. auch D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 ([nach 15.] März 1852), S. 492–502, hier 497: „the factious purpose of the Manchester confederacy“. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958 („The Manchester school are always attacking traditionary influences, and intimating that it is their wish to subdivide large properties“), Drummond an Lord Kinnaird, 8. November 1849, DRUMMOND, Speeches I, S. 455–458, hier 457 („professed objects [. . .] to take from the farmers all political power whatever, and place them under the domination of the towns“), Croker, Parliamentary Prospects, in: QR 91, Nr. 182 (September 1852), S. 541–567, hier 554, und Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 257 (dort das Zitat). Vgl. Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f. hier 161, sowie Edward Henry Stanleys Tagebucheintrag vom 22. Februar 1851 über ein Gespräch seines Vaters mit dem Königspaar, STANLEY JOURNALS, S. 42–44, hier 44. Vgl. dazu Kapitel V.4. Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 257.
3. Manchester und middle classes
235
I see danger to our liberties, and our constitution, in that species of democracy which threatens to place all that general interests of trade and agriculture, all the institutions which preserve Monarchy and order, in the hands of reckless and excitable manufacturing populations. Mr. Cobden has told us the great towns should rule the country, and at the head of these great towns will be the men of Manchester.83
Bulwer-Lytton brachte die allgemeine Furcht der Konservativen zum Ausdruck, die so weit ging, daß Derby die Stimme zu versagen drohte, als er dem Königspaar 1851 diese umfassende Bedrohung schildern mußte84. Denn nach 1832 und insbesondere vor dem Hintergrund von 1846 teilten die Konservativen, zumindest in Form einer Angstvorstellung, den weit verbreiteten, wenn auch sozialgeschichtlich keineswegs vollauf realistischen Eindruck, daß die Mittelschichten (in allgemeiner Diktion allerdings in einem breiteren, nicht im reduzierten konservativen Sinne) zur beherrschenden Kraft im Land geworden seien85. Was dem Economist behagte, bedeutete den Tories unterdessen „the tyranny now prevalent in England of the Government of the worst and most unprincipled stratum of English society, viz., the so-called Middle Classes“86. Die negative Bewertung dieser Mittelschichten liegt offen zutage. Die Vorwürfe der Konservativen an die middle classes (im engeren konservativen Verständnis) richteten sich dabei, neben einer desaströsen Bilanz ihrer „measures [. . .] forced upon the country“87 und fehlendem Patriotismus, in allererster Linie und in großer Breite auf den völligen Mangel an Moral dieser „wretched money spiders“88. Die einschlägigen Charakterisierungen ergeben ein wahres Gruselkabinett der Unmoral: ganz und gar materialistisch orientiert – „Wealth is its end and Mammon its divinity“89 – seien sie ausschließlich an ihren eigenen Interessen orientiert90, selbstsüchtig, egoistisch
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Bulwer-Lytton, Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 22. Februar 1851, STANLEY JOURNALS, S. 42–44, hier 44. Vgl. Graham an Gladstone, 19. November 1855, AGKK III/4, 168/329: „the middle classes, the Ruling Power of this Country“; vgl. auch Hardwicke an Croker, 30. Dezember 1852, CROKER PAPERS III, S. 260 f. („the power and preponderance are in the hands of, and turn to, the trade, moneyed and manufacturing classes“). Heathcote an John Coleridge, 11. Oktober 1858, AWDRY, Heathcote, S. 120–122, hier 121. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 959 f. Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f., hier 161. G.F. Young, Free Trade, in QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 183; das vollständige Zitat in Kapitel III.3.b). Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958.
236
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
und rücksichtslos91, geizig statt wohltätig92, vor allem gegenüber den Armen und ihren Arbeitern, die sie um ihres eigenen Profits willen ausbeuteten93. Ein solches Verhalten stellte selbstredend das glatte Gegenteil von gemeinwohlorientierter Bürgertugend dar, es war unsozial, unchristlich, inhuman und unmoralisch94, und dabei seien diese eifernden „Manchester dictators“ in der „monomanischen“ Verfolgung ihrer freihändlerischen Lehre ebenso intolerant wie die spanische Inquisition95. Dieser sozialökonomisch reduzierte und sozialmoralisch negativ konnotierte Begriff der middle classes lief deren eigenem Selbstverständnis diametral zuwider, verstanden und propagierten die Mittelschichten sich selbst und ihren gesellschaftlich-politischen Führungsauftrag doch gerade als sozial umfassend und moralisch legitimiert96. Die Konservativen und insbesondere Disraeli nahmen die Begriffe der Mittelschichten auf und verkehrten ihre Argumentation in deren eigener Sprache gegen sie. Die Konservativen sprachen den Mittelschichten ihren eigenen Anspruch ab und das Gegenteil zu: sie seien interessengeleitet statt gemeinwohlorientiert, materialistisch statt moralisch, egoistisch statt tugendhaft97. Statt dessen reklamierten die Konservativen – freilich nicht im hier vorgetragenen Maße explizit und reflektiert – die Ansprüche der Mittelschichten für sich selbst bzw. die ländlich-aristokratische Ordnung. Die Konservativen führten mit den Mittelschichten bzw. ihrer politischen Vertretung der Radikalen eine polemische Kontroverse um den Anspruch auf die Vertretung und die gesellschaftliche und politische Führung der gesamten Nation. Seine Legitimität erwuchs aus politisch-moralischer Qualifikation, die im 91 92 93 94
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Bulwer-Lytton, Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99. Vgl. Richmonds Oberhausrede vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 30–33, hier 31. Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 17 und 20. Vgl. G.F. Young, Free Trade, in QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 157 („opposed not only to Christian principle and to human sympathy, but also to social interests“), und Anon., Cheap Sugar and Slave Trade, in: QR 88, Nr. 175 (Dezember 1850), S. 129–136, bes. S. 130. Vgl. W.E. Aytoun, The Manchester Movement, in: BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852), hier 760, sowie Archibald Alisons Bemerkung aus dem Jahre 1883 zum November 1847, ALISON, Life and Writings I, S. 566 („monomaniac“). Vgl. etwa die bereits zitierten Unterhausreden Osbornes und Cobdens vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170 und 181–195: „that class, which, uniting the ornamental and polished superstructure to the more rude and solid foundation, is in fact the cement which ensures the stability of the glorious fabric“ (Sp. 168, Osborne); „it is to them [the middle and industrious classes ] that the glory of this country is owing. [. . .] All that has been done to elevate the country has been the work of the middle and industrious classes“ (Sp. 195, Cobden). Vgl. auch GAMBLES, Protection, S. 942.
3. Manchester und middle classes
237
Begriff der societas civilis aufgehoben lag, die beide Seiten für sich beanspruchten, sozial aber ganz unterschiedlich füllten. Dieser Streit um Begriffe konzeptualisierte und indizierte unterdessen nur, zumindest in konservativer Perzeption, den weit darüber hinaus reichenden handfesten und unmittelbaren materiellen Klassenkampf zwischen den kommerziell-industriellen städtischen Mittelschichten und dem landed interest um buchstäblich Alles oder Nichts, wobei die konservativen Lagebeurteilungen in den Jahren nach 1846 geradezu apokalyptischen Charakter annahmen. B)
KLASSENKAMPF
„I tremble for the aristocratic settlement of this country“, bekannte Disraeli, und er fürchtete: „The impending struggle for the constitution will be a terrible one“98. Der wahre Kampf, die wahre Schlacht, so auch der Parteiführer in der typischen zeitgenössischen Kampfmetaphorik, werde darum geführt, ob die Präponderanz im Lande, in politischer und in sozialer Hinsicht, beim Land oder bei den manufacturing interests liege99. Und in dieser fundamentalen Auseinandersetzung zwischen den Konservativen und Manchester, so erwartete Bulwer-Lytton, würden die Whigs bald überflüssig werden100. Dieser Gegenspieler – Manchester in sozialökonomischer und die Radikalen in politischer Hinsicht – hatte es, in konservativer Perzeption, in erster Linie auf das Eigentum in Form von Landbesitz (landed property) und somit auf das Herzstück der ländlich-aristokratischen Sozialordnung abgesehen. Die Konservativen fürchteten – ganz offenkundig authentisch und ernsthaft überzeugt, nicht bloß rhetorisch und propagandistisch inszeniert – die konkrete materielle Enteignung durch den endgültig zur Macht gekommenen Antipoden, von dem indes zuweilen (im Unterschied zur ansonsten eindeutigen Semantik der middle classes) recht wenig spezifizierte, dafür um so umfangreichere und angstbesetztere Vorstellungen im Umlauf waren:
98 99
100
Disraeli an Robert Harvey und an Granby, 25. Oktober und 29. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1910/244 (erstes Zitat) und 1926/260 (zweites Zitat). Vgl. Stanley an Croker, 22. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237; zum Antagonismus vgl. auch Manners an Disraeli, 26. September 1850, DISRAELI LETTERS V, 2049/361 Anm. 3. Vgl. Bulwer-Lyttons Rede in Bishop’s Stortford vom 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99.
238
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
the only object [. . .] of the whole mass of Chartists, Socialists, Radical Reformers, or whatever they may call themselves – is [. . .] to establish a general principle of Communism, spoliation, plunder, and anarchy.101
Dahinter steckte nicht zuletzt die Angst, daß die Manchester-Radikalen zunehmend Teile der Gesellschaft für sich gewinnen könnten, die sie mit Hilfe der Beute aus der „confiscation of the Aristocracy“ korrumpierten102. Jedenfalls ziele „Manchester“, sei es auf fiskalischem, sei es auf politischem Wege, auf den Ruin, gar die Zerstörung der ländlichen Aristokratie und ihres Einflusses103. Und damit nicht genug, würde auch die Monarchie abgeschafft und somit die gesamte soziale und politische Ordnung des Landes umgestürzt werden104. Statt dessen würden die middle classes eine „Demokratie“ errichten105, was nicht im präzisen verfassungsrechtlichen Sinne zu verstehen war, sondern als Herrschaft der „großen Städte des Nordens“106, des „monied and parvenu interest“107, die sich möglicherweise auf die (allerdings keineswegs gleichberechtigt einbezogenen, sondern nur instrumentalisierten) working classes stützen würden. Sie würden nach dem „commercial principle“108 auf Kosten des Landes regieren und die „predominance of brute numbers over intelligence and property“109 etablieren: „in everything the lowest and shortest sighted utilitarianism will be the policy of England“110. An die Stelle der „great, free, monarchy“ und des aristocratic principle träte eine „second-rate & manufacturing republic“111. 101
102
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105 106 107 108 109 110 111
Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 292 f.; angesichts des Datums ist auch nicht von einer temporären begrifflichen Verwirrung im Umfeld der Revolution von 1848 auszugehen. Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/231; vgl. auch George Sinclair an Croker, 11. Januar 1851, CROKER PAPERS III, S. 223 f., hier 223: „There seems to be everywhere a conspiracy to annihilate and ruin the landed proprietors, and to bribe the working-classes into a concurrence in this project, by holding out to them fallacious hopes of the benefits which they are to derive from the downfall of the ‚privileged‘ order.“ Vgl. Disraeli an Lady Londonderry, 30. Dezember 1849, DISRAELI LETTERS V, 1947/281, und Stanley an Croker, 18. August 1850, CROKER PAPERS III, S. 219–221, hier 220. Vgl. Disraeli an Young, 19. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1902/237, Stanley an Croker, 22. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237, oder die Unterhausrede George William Bentincks vom 25. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 559–562, hier 561. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier S. 292. Disraeli an Stanley, 7. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS VI, 2203X/532. George Sinclair an Croker, 11. Januar 1851, CROKER PAPERS III, S. 223 f., hier 223. Disraeli an Lady Londonderry, 30. Dezember 1849, DISRAELI LETTERS V, 1947/281. Croker, French Revolution of February, in: QR 86, Nr. 172 (März 1850), S. 526–585, hier 584. Stanley an Croker, 18. August 1850, CROKER PAPERS III, S. 219–221, hier 220. Disraeli an Young, 19. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1902/237.
3. Manchester und middle classes
239
Daß solches nichts anderes bedeutete als eine gesellschaftliche und politische Revolution, lag auf der Hand. Mehr als einen gewalttätigen Umsturz, mehr als 1848 fürchteten die Konservativen dabei 1846112, das langsame und beinahe unmerkliche, um so subversivere Einsickern des sogenannten demokratischen Gedankenguts in die Gesellschaft113. Dieser Prozeß wurde als bereits weit fortgeschritten angesehen, und aus den vielfältigen Äußerungen der Konservativen an der Wende von den vierziger zu den fünfziger Jahren, etwa Derbys Klage über „the obvious downward tendency of our course“ und „the apathy with which all, or nearly all, appear inclined to let themselves float helplessly down the stream“114, spricht die Verzweiflung, eine verlorene Sache zu vertreten und unmittelbar auf das nahe bevorstehende Ende zuzusteuern, während nur wenig Hoffnung auf eine Wende bestehe: Affairs I think are very serious. I can‘t help thinking the turning point in the fortunes of this empire – at least of its aristocratic settlement, is at hand. I almost despair.115
All diese vielen Äußerungen offenbaren veritable Existenzangst der Konservativen in den Jahren nach 1846. Da die Manchester-Radikalen im Parlament gerade einmal 15 von 658 Abgeordneten stellten und da sich eine gesellschaftliche Dominanz der städtischen Mittelschichten sozialgeschichtlich keineswegs verifizieren läßt, mutet die Furcht der Konservativen zwar hysterisch an. Doch sie standen ganz unter dem Schock einer als richtungweisend empfundenen Niederlage des landed interest gegen die middle classes, die das gesamte Land umgestalteten und in konservativer Wahrnehmung bereits die Vorherrschaft errungen hatten und diese im Zuge eines fatalistisch als irreversibel erachteten Prozesses noch weiter ausbauen würden. Die Konservativen spürten deutlich, daß die Zeit im 19. Jahrhundert für die städtisch-industriellen Mittelschichten und gegen den ländlich-agrarischen Adel mit allen gesellschaftlichen und politischen Implikationen arbeitete. Daher war für sie auch die Quantität der radikalen Unterhausver112
113
114 115
Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier S. 292: „It added, indeed, for the moment no direct political weight to democracy; [. . .] but it was a very great victory over the aristocracy, and became a presage and pledge of still greater triumphs.“ Vgl. Disraeli an Young und an Stanley, 19. Oktober und 9. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1902/237 und 1917/251 („Mr. Evelyn writes to me from Surrey, that he found no feeling for Protection in his canvass, but a strong democratic feeling generally, & a bad humour to the Church“). Derby an Croker, 18. August 1850, CROKER PAPERS III, S. 219–221, hier 219 f. Disraeli an Manners, 9. Januar 1850, DISRAELI LETTERS V, 1953/287; vgl. auch Disraeli an Stanley, 7. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS VI, 2203X/531 f.: „As for domestic politics, they are worse than bad: they are hopeless. [. . .] The movement is irresistible in my mind“.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
treter gegenüber der Qualität dieser Bedrohung und ihren Zukunftspotentialen von nachrangiger Bedeutung. Viele Radikale sahen die Lage ihrerseits ganz ähnlich, und in paralleler Diktion sprach etwa Cobden vom Kampf und dem Feind: „We have the labour of Hercules in hand to abate the power of the aristocracy“116. Zugleich fällt auf, daß all diese überbordenden Artikulationen von Zukunftsangst ganz überwiegend aus den späten vierziger und den frühen fünfziger Jahren, den Zeiten von Agrardepression und Protektionismus stammen; nach 1852, mit der zunehmenden gesamtgesellschaftlichen und auch agrikulturellen Prosperität bei ausbleibender Apokalypse, wurden sie jedoch erheblich sporadischer. In der Tat erfuhr das hier zunächst systematisch herausgearbeitete Gesellschaftbild der Konservativen im Verlauf der fünfziger Jahre substantielle Wandlungen, die wesentlich mit der Einstellung gegenüber den middle classes zusammenhingen. Während das Land und sein sozialer Wert weniger offensiv propagiert wurden, verblaßte das so scharf gezeichnete Feindbild, und im so empfundenen Klassenkampf machte sich Entspannung breit. c) ENTSPANNUNG Die günstige Entwicklung der Agrarwirtschaft in den fünfziger Jahren reduzierte die Gravamina des landed interest, die die politischen Debatten noch zu Beginn der Dekade bestimmt hatten. Als in der Haushaltsdebatte des Jahres 1860 der von Cobden ausgehandelte englisch-französische Handelsvertrag beraten wurde, brach darüber auf konservativer Seite auch in diesem Jahr zwar nicht eben Begeisterung aus; ebenso signifikant aber ist das Ausbleiben von Bezugnahmen auf Probleme der Landwirtschaft und die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen117. Im Zuge des Schwindens der eigenen materiellen Probleme begannen die Konservativen zugleich, das überladene Feindbild zu entwirren und zu differenzieren. So stellte Disraeli 1854 fest, daß die Gleichsetzung von „Manchester interest“ und „Demokratie“ schlechthin unsinnig („folly“) sei; auch könne keine Rede davon sein, daß die middle classes die „workingmen“ politisch verträten oder mit ihnen
116 117
Cobden an Bright, 8. Dezember 1849, MORLEY, Cobden, S. 520–522; vgl. auch die in Kapitel IV.1.c) und 2.b) zitierten Äußerungen. Vgl. dazu HANSARD 3/156, Sp. 1320–1350, 1354–1448, 1475–1541, 1573–1660, 1725–1822 und 2228–2264, HANSARD 3/157, Sp. 121–195, 247–330 und 548–645, und Kapitel IV.5.a); vgl. etwa auch Derbys Oberhausrede in der Debatte über die Thronrede am 3. Dezember 1857, HANSARD 3/148, Sp. 24–44, bes. S. 33–35.
3. Manchester und middle classes
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alliiert seien118. Und in der Bevölkerung war zumindest vorübergehend auch „no real democratic vivus [sic]“ zu entdecken119. Derby wiederum zeichnete das Bild der sozialen Qualitäten der Unternehmer mit feineren Strichen als ehedem: some of the mill-owners have behaved nobly under great difficulties, some of them quite the reverse; but, as a class, they have done far more than the wealthy bankers, merchants, brokers, and other speculators, some of whom have made enormous sums in cotton, and whose contributions are very much below what they ought to be.120
Die Tories begannen nach 1852, starre ideologische Frontstellungen abzubauen und statt dessen auch gegenüber ihrem großen Gegner „the rules of common sense and experience“121 anzuwenden. Vorsichtig wurden gar positive Töne gegenüber dem städtischen Wirtschaftsbürgertum angeschlagen; Hugh McCalmont Cairns betonte etwa 1859 im Unterhaus die Berechtigung und Notwendigkeit einer class in this country distinct from the aristocracy of mere wealth and the aristocracy produced – and rightly produced – by successful commercial enterprise [.. .,] a class distinct, in consequence of their connection with the land, from those other classes who were of course in themselves as important elements of the country as the aristocracy [. . .,] favourable to the agriculture of the country,122
und Robert Cecil befürwortete die Vertretung auch von „mercantile and manufacturing wealth“ im Oberhaus123, dem exklusiv aristokratischen Club schlechthin. Aus solchen Äußerungen sprach eine unübersehbare Versöhnlichkeit gegenüber „Manchester“. Anstelle des starren Antagonismus wurde im Laufe der fünfziger Jahre wieder eher die Interdependenz und die Kooperation der gesellschaftlichen interests betont, wie es etwa William Aytoun 1859 im hochkonservativen und ein Jahrzehnt zuvor so treu protektionistischen Blackwood’s Magazine tat: the time has gone by when the several interests were regarded as antagonistic. A better and sounder feeling now prevails; and men have begun to understand and appreciate the doctrine of mutual dependence.124 118 119 120 121 122 123 124
Tagebucheintrag Stanleys vom 23. Januar 1854, STANLEY JOURNALS, S. 116–118, hier 117. Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207. Derby an Malmesbury, 25. November 1862, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 287 f., hier 288. John Hubbard, Unterhausrede vom 23. Februar 1860 (in jener Debatte über den CobdenVertrag), HANSARD 3/156, Sp. 1574–1586, hier 1584. Hugh McCalmont Cairns, Unterhausrede am 2. März 1859, zit. nach GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class, S. 88–90, hier 89. R. Cecil, The Coming Political Campaign, in: BQR II, Nr. IV (Januar 1860), S. 303–334, hier 314 f. W.E. Aytoun, The New Reform Bill, in: BM 85 (1859), S. 506–514, hier 508.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
All dies deutete auf eine allgemeine Orientierung wieder zu der Vorstellung einer harmonischen, ganzheitlichen Gesellschaft hin, wie es in der Mischung aus Anerkennung des „progressive interest“ bei gleichzeitiger Präferenz für das landed interest in der Adresse Albert Pells an die Wähler von South Leicestershire aus dem Jahre 1868 wohl repräsentativ zum Ausdruck kam: In this country there were two great interests to be maintained. There were the permanent interests represented by the landlords and those associated with them, and the progressive interest, which was that of trade. He would give the progressive interest all that was due to it; but, at the same time, they ought to preserve the permanent interests of the country.125
Soziale Kooperation statt Konfrontation mahnte auch die Press im Herbst 1853 anläßlich von Streiks in Lancashire an. Im Vergleich zu den noch nicht lange verklungenen konservativen Philippiken hatte sich der Tonfall unüberhörbar gewandelt: The working men of England are a noble race, and our manufacturers and merchants are, in power and wealth, greater than princes. Between such masters and such men strike should never occur. To the masters we would say, do not now – even if you have been unfairly treated by the men – out of mere pride insist, to their misery and your own loss, until you have conquered on every minute point; instruct your mechanics – explain why you cannot comply with their demands – if your reasons are good, they will yield to their force; – and to the mechanics we say, in no ironical sense, ‚Strike, but hear!‘126
Daß gerade Disraelis Organ in solcher Weise auf soziale Harmonie drängte, war kaum Zufall, denn Disraeli selbst hatte schon bald nach 1846 die Notwendigkeit erkannt, „to associate the interests of the land with the general sympathies of the country“127. Deshalb hatte er „some wise & comprehensive settlement of the Industrial question“128 und eine „temperate and wellmatured conclusion of the controversy between town and country“129 angemahnt, was von den Konservativen zunächst den Verzicht auf den Protektionismus verlangte, der in diesem Zusammenhang für Disraeli seine weit über das Fiskalische hinausgehende gesellschaftspolitische Bedeutung erfuhr.
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Albert Pell, Adresse an die Wähler von South Leicestershire, 21. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 24. Oktober 1868, S. 5b. Artikel „Strikes“, in: THE PRESS, Vol. I, Nr. 25 (22. Oktober 1853), S. 579. Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/232. Disraeli an Londonderry, 29. Dezember 1850, EBD., 2081/395. Disraeli an Londonderry, 29. Januar 1851, EBD., 2093/406, auch: PARKER, Life of Graham II, S. 121. Vgl. ähnlich WOODS, Tory Party, S. 431.
3. Manchester und middle classes
243
So eröffnete der Abschied vom Protektionismus 1852 die Chance, „to reconcile town and country“130. Mit der Aufhebung des Antagonismus zwischen den großen Interessen131 und dem Abbau starrer ideologischer Frontstellungen taten sich für die Konservativen Handlungsspielräume auf, die Disraeli mit der „National Party“ zu füllen gedachte. Nicht zuletzt diesem Ziel diente die Gründung der Press im Jahre 1853132, und in diesem Sinne war auch Disraelis Leitartikel in der ersten Ausgabe Programm. Während er allerdings weniger als sonstige Äußerungen aus diesen Monaten den Geist einer Versöhnung von Land und Stadt atmete, warf er die alte Frage auf, what classes should be the principal despositary of power in this country [.. .]; whether, as an element of strength and duration, a preponderance should be given in our polity to the landed franchise, or whether, on the contrary, the municipal ingredient should predominate,
und verwies sie zugleich auf die Ebene der Politik: the continuance of our power, and the improvement of our society [. . .] can be most surely obtained by the parliamentary government of this country being carried on by two parties with distinctive principles, eliciting in their discussions the conclusions of political truth, and giving, by their arguments and appeals, a tone to the public mind.133
Die Entspannung der sozio-ökonomischen Auseinandersetzung und die Überwindung der gesellschaftlichen Trennlinien bedeutete für Disraeli keineswegs die Aufhebung grundlegender gesellschaftspolitischer Gegensätze, sondern vielmehr deren spezifisch politische Artikulation und ihren politischen Austrag durch klar unterscheidbare Parteien (wenn auch in diesem Zusammenhang nicht ganz klar ist, ob Disraeli als Opponenten der Konservativen in erster Linie die Whig-Liberalen oder die Radikalliberalen sah). In diesem Sinne ist es auch signifikant, daß William Aytouns Artikel über „The Manchester Movement“134 viel mehr von Staat und Politik als von Wirtschaft und Gesellschaft handelte. 130 131
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Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207. Vgl. etwa auch Disraelis Unterhausrede vom 31. Mai 1867, HANSARD 3/187, Sp. 1416–1422, hier 1421: „I look upon the phrases ‚agricultural interest‘ and ‚landed interest‘ as by no means identical. The landed interest includes all those interests that spring from the land, such as the mineral treasures developed from the land, which commonly belong to great landowners.“ Vgl. das Rundschreiben vom März 1853, M&B III, S. 492: „It seems that the whole ability of the country is arrayed against us, and the rising generation is half ashamed of a cause which would seem to have neither wit nor reason to sustain and adorn it.“ Disraeli, Coalition, in: THE PRESS Vol. 1, Nr. 1 (7. Mai 1853), S. 1 [Leitartikel]. BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852).
244
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
So wie die Konservativen mit dem Abschied vom Protektionismus keine Herzensfreihändler wurden, so bedeutete auch die Détente gegenüber den middle classes keine Entente mit ihnen135. Die Auseinandersetzung mit dem Radikalismus, die sich auf sozio-ökonomischer Ebene entspannte, verlagerte sich vielmehr auf die Ebene der Verfassungspolitik136. Diese Verschiebung fügte sich in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung der politischen Kultur ein, die sich nicht zuletzt in der Verschiebung der politischen Diskussion von der sozialen Frage hin zur 1852 wieder aufgegriffenen Debatte einer Parlamentsreform niederschlug137. Disraeli griff diese Entwicklung auf und trieb sie (entgegen der weitgehenden diesbezüglichen Passivität seiner Partei in ihrer Breite) seinerseits voran, weil sich auf diesem Terrain Manövrierräume für die Konservativen eröffneten. Hier konnten sie ihre eigene klassische Stärke als traditionelle Verfassungspartei – die Konservativen waren eben keine genuin sozialökonomisch orientierte Partei138 – ausspielen und zugleich den Gegner mit seinen eigenen Waffen stellen, dem klassischen Thema des Reformradikalismus: der Parlamentsrefom. In dieser Kontroverse steckt zugleich ein gutes Stück Affinität zwischen den Kombattanten, die aus dem inhaltlich unterschiedlich gefüllten Phänomen der societas civilis herrührte. In Disraelis auf die Vorstellung von der alten patrizischen „country party“ zurückgreifendem Konzept der Konservativen als „champions of everything national and popular“ und somit als „natural leaders of the people“139 sollte es, mit allen opportunistisch machtpolitischen Implikationen140, alte und neue Ansätze verbinden141.
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Vgl., nur zum Beispiel, das Fortwirken der alten Argumente gegen die middle class-manufacturers in Pakingtons Adresse an die Wähler von Droitwich vom 6. November 1868, in: THE TIMES vom 9. November 1868, S. 7d. Vgl. etwa Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101, S. 220–229 (Februar 1867), hier 222: Brights Vorschlag „that the association of labourers and workmen, organised for the purpose of getting as much wages as they can extort for the least amount of labour that their conscience will permit them to employ, should be diverted from social and economic to political ends, and their energies and numbers brought to bear upon a subject alien to their original intention, and tending, if successful, to overthrow the political balance which vests power in this country in wealth and in intelligence as well as in numbers“. Vgl. dazu auch aus diskursanalytischer Perspektive JOYCE, Constitution, sowie den Forschungsüberblick von MARES, Abschied, S. 385. Vgl. GASH, Reaction, S. 131. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964; vgl. auch Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207 („the patrician party“). Vgl. dazu Kapitel V.3. Vgl. in diesem Sinne auch Disraelis signifikant retrospektive Formulierung „of realising the dream of my life and re-establishing Toryism on a national foundation“ gegenüber Lord Beauchamp (18. April 1867), M&B IV, S. 528.
4. Die working classes
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4. SOZIALPATERNALISMUS UND PARTIZIPATIONSANSPRUCH: DIE WORKING CLASSES Die working classes stellten, aufs Ganze gesehen, zwischen 1846 und 1867 keinen zentralen Gegenstand konservativer Perzeption und Politik dar. Grundsätzlich standen die Konservativen den working classes durchaus mit Sympathie gegenüber, die sich indes weder aus Anerkennung beiderseitiger Gleichrangigkeit noch aus Hoffnungen auf eine politische Allianz gegen „Manchester“ und Freihandel speiste, die nur vereinzelte sozialkonservative Tories während der Hochphase der Auseinandersetzung mit den middle classes hegten142. Vielmehr bewegte sich die konservative Haltung im Rahmen nichtstaatlicher wohltätiger paternalistischer Sozialfürsorge für die Anempfohlenen nach dem Muster des Landbesitzers: anständige Behandlung143, Maßnahmen zur Verbesserung von Hygiene, Gesundheit und Wohnsituation, sowie eine Reduzierung der Arbeitszeit144, die sich (in diesem Fall mit staatlicher Hilfe) konkret gegen die Fabrikbesitzer richtete. Dabei ging die Einstellung der Konservativen einher mit der Entwicklung der sozialen Frage. Noch 1848 anerkannte Charles Adderley die berechtigten Klagen über das Nebeneinander von extremer Armut und extremem Reichtum und forderte gar „some system for the better organisation of
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Vgl. etwa Richard Oastler an Manners, 1849, sowie Manners an seinen Vater, 19. Dezember 1851, WHIBLEY, Manners II, S. 26 f. und 44 f.; vgl. auch ADELMAN, Peel, S. 50–54, und HILL, Toryism, S. 20–30. Vgl. Digby Mackworth, Adresse an die Wähler von Liverpool, 28. Juli 1847, in: THE TIMES vom 29. Juli 1847, S. 4e; vgl. auch Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 555: „We country gentlemen, by the nature of our pursuits, by the habits of our lives, are brought of necessity into an intercourse with the village workmen around us, more familiar, more friendly, than can well exist between the employer and the operative in great towns.“ Vgl. Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. Mai 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e, hier nach M&B III, S. 20–22, hier 22, Alderman Johnson, Adresse an die Wähler der Londoner City, 22. Juli 1847, in: THE TIMES vom 23. Juli 1847, S. 8d, oder Gathorne Hardys Adresse an die Wähler von Bradford vom 23. Juli 1847, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72, sowie Thomas James, Labourer’s Homes, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 267–297, hier 278: „There can be no doubt in the minds of those who have the welfare of the poor at heart that there can be no greater blessing to them than to keep them out of the hands of speculative builders of small capital, the hardest of all landlords, and to make them the tenants neither of shopkeeper nor farmer, but of the proprietors of the land.“ Zur gesamten nichtstaatlichen Sozialfürsorge vgl. die allerdings sehr deskriptive Darstellung von FINLAYSON, Social Welfare, S. 19–106, zum Sozialpaternalismus bes. S. 45–63, zur konservativen Haltung vgl. auch ARNSTEIN, Newdegate, S. 28, HILL, Toryism, S. 256 und 259, MACINTYRE, Bentinck, S. 159 f., METZ, Social Chain, bes. S. 175 f., und WILKINSON, Tory Democracy, S. 13 f.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
labour“145. Mit der allgemeinen Aufwärtsentwicklung, dem „most satisfactory progress“ der Lebensbedingungen der breiten Masse und dem Abbau der sozialen Spannungen in den fünfziger Jahren verlor jedoch auch die soziale Frage ihre Bedeutung und trat auch in den Augen der Konservativen ganz zurück146. Eine Ausnahme stellte das Thema Bildung und Erziehung dar, denn es blieb durchgehend, wenn auch nicht zentral, im Gespräch, und es fügte sich nicht ohne weiteres in das konservative Gesellschaftsbild. Denn auch wenn Henry Drummond es, obendrein mit negativer Bewertung, auch als einer der wenigen so deutlich aussprach, so lag doch auf der Hand, daß sich sozialpaternalistisch generierte Bildung für die unteren Schichten in der Konsequenz sozialemanzipatorisch und somit gegenteilig auswirkte147. Wenn die Möglichkeit auch vereinzelt positiv als vertikale Mobilität bewertet wurde148, herrschte doch auf konservativer Seite grundsätzlich die Vorstellung vor, Bildung und Erziehung der working classes im Rahmen der eigenen Gesellschaftsvorstellung bewerkstelligen zu können. Dazu zählte als eherne Voraussetzung die religiöse Grundlage der Schulbildung und keineswegs allein weltlicher, staatlicher Unterricht. So opponierte John Marquis of Blandford in typischer Weise, every endeavour to have education conducted in a purely secular system; such a system may instruct the intellect, but it denies the only source of true wisdom; it cannot
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Adderley, Unterhausrede vom 18. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 458 f., hier 459; vgl. auch Pakingtons Adresse an die Wähler von Droitwich vom 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3c/d, hier 3c. Vgl. Derbys Oberhausrede vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 43–55, hier 47 f., 50 und 52 (das Zitat 47), die Unterhausreden Lovaines und Egertons vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 56–65, hier 59 und 61, und Sp. 65–69, hier 68, die Unterhausrede Granbys vom 25. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 495–497, hier 497, Derbys Oberhausrede vom 3. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 35 f. („with regard to the general state of the country, both as to the condition of the people and the abundance of employment, as well as the diminuition of crime and pauperism, which in both cases are most striking, there is much cause for congratulation“), und die Unterhausreden Hubbards und Disraelis vom 23. und 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1574–1586, hier 1586, und Sp. 1799–1815, hier 1804. Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 112 f.: „a total discontent among the masses [. . .] with their social position [. . .] is neither more nor less, whether they intend it or not, than a spirit of discontent with the Providence of God. [. . .] You have stimulated them by that which you call education and by your schools, in which it has been said, by one of the most striking writers of the day, that you teach them everything except the one thing needful.“ Vgl. Gathorne Hardys Adresse an die Wähler von Bradford vom 23. Juli 1847, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72: „such an education should be provided for them [i.e. the poor] as shall qualify them for any position in society they may be intended to fill.“
4. Die working classes
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elevate the moral feelings, and is utterly inconsistent with the duty of a Christian nation.149
Die Konservativen befürworteten ein staatlich (und zusätzlich durch freiwillige Beiträge) finanziertes Bildungssystem in weiterhin kirchlicher Trägerschaft150. Während Whig-Liberale diese Haltung zumindest in Teilen durchaus zu teilen vermochten, aber wie überhaupt in solchen religionspolitischen und konfessionellen Fragen weit weniger festgelegt waren als die Tories, lag an dieser Stelle der erste bildungspolitische Streitpunkt, der die Konservativen von den Radikalen trennte, die insbesondere der Staatskirche den Platz in einem staatlichen Bildungswesen zu nehmen gedachten151. Die zweite Meinungsverschiedenheit tat sich über der Frage nach freiwilliger und dezentraler bzw. lokaler oder aber verpflichtender und national einheitlicher Gestalt der Schule auf und trennte die Konservativen selbst. Ein dezentrales Schulwesen entsprach dem „vital principle of selfgovernment in contradiction to centralisation“152 und dem Grunde nach der konservativen Vorstellung der societas civilis: A good educational system for every child in the land is, I believe, more likely to be obtained by the present denominational system than by any other, provided that less niggardly aid be given by the State, and the educational provisions of the Factory Act be enforced, and, possibly, even extended. I cannot substitute for this a new system of compulsory instruction, supported out of the rates and largely increasing the local burdens, which, in the end, must get rid of religious teaching in schools, dry up their immense voluntary contributions, and destroy the friendly relations between classes thus created in communities.153
Am bestehenden freiwilligen und lokalen Schulwesen hatten aber auch Konservative auszusetzen, daß es die Orte nicht erreichte, wo es am dringendsten erforderlich war; und so sprachen sich auch Konservative für ein 149
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John Marquis of Blandford, Adresse an die Wähler von Woodstock, 23. März 1857, in: THE TIMES vom 25. März 1857, S. 5b; vgl. auch die Adressen von W. Rose (Newport), 19. März 1857, F. Thesiger und R. Cecil (Stamford), 27. März 1857, J.W. Patten (North Lancashire), 31. März 1857, J. Trollope und A. Willson (South Lincolnshire), 1. April 1857, in: THE TIMES vom 23. März 1857, S. 5c, vom 28. März 1857, S. 7e/f, hier 7 f., vom 1. April 1857, S. 7c, vom 3. April 1857, S. 5f, sowie von Th. Baring (Huntingdon), 13. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 20. Oktober 1868, S. 6a. Vgl. Gathorne Hardys Adresse an die Wähler von Bradford vom 23. Juli 1847, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72, und Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 6. Juni 1852, in: THE TIMES vom 7. Juni 1852, S. 5e/f, auch in DISRAELI LETTERS VI, 2304/71–75. Vgl. Cobden an George Combe, 24. April 1848, MORLEY, Cobden, S. 485 f. Bulwer-Lytton, Rede vor der Mechanics’ Institution in Leeds am 25. Januar 1854, BULWERLYTTON, Speeches I, S. 172–189, hier 181. Viscount Sandon, Adresse an die Wähler von Liverpool, Oktober 1868, in: THE TIMES vom 17. November 1868, S. 3d.
248
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
„national system of education“ aus154. Diese Differenzen reichten indessen allein schon aus dem Grunde nicht allzu tief, daß Bildungspolitik zwischen der gescheiterten whiggistischen Reform des Jahres 1839 (gleichberechtigte Trägerschaft durch Anglikanische Kirche und Dissent bei verstärkter Staatsaufsicht und partieller Entkonfessionalisierung) und der Einführung der verpflichtenden einheitlichen Elementarschule in England und Wales durch Gladstones Reformkabinett im Jahr 1870 kein zentrales politisches Diskussions- und Gesetzgebungsthema darstellte. Auch für die Konservativen hatte sie – und das gilt im Grunde auch für die Einstellung gegenüber den working classes allgemein – in erster Linie deklamatorische Bedeutung, wie sich schon an der ganz überwiegenden Artikulation diesbezüglicher Stellungnahmen in Form von Wahladressen ablesen läßt. Von einer aktiven sozialpaternalistischen Politik oder einer bewußten Hinwendung zu den working classes, insbesondere zur städtischen Industriearbeiterschaft im Vorgriff oder im Sinne einer sozial und politisch integralen „Tory Democracy“ konnte zwischen Parteispaltung und zweiter Wahlrechtsreform keine Rede sein; auch die soziale Gesetzgebung der drei Kabinette Derby überschritt nicht den Rahmen des zeitgenössisch Üblichen155. Letztere konfrontierte die Tories allerdings auf ganz andere als sozialpaternalistische Weise mit den working classes, denn die Wahlrechtsreform warf die Frage nach ihrer aktiven politischen Partizipation auf. Auch hier tendierten die Konservativen uneinheitlich, nun aber erheblich vehementer. Die politische Teilhabe der materiell Abhängigen war in der aristotelischen societas civilis nicht vorgesehen, und in diese Richtung zielten auch die zentralen Einwände von Konservativen gegen das Wahlrecht für die working classes. Ihnen fehle die organische Gesamtheit von Eigentum, Bildung, Muße, Unparteilichkeit und umfassender, gemeinwohlorientierter Verantwortung156, die nach konservativem Verständnis die ländliche Ari-
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Vgl. die Wahladressen von J.W. Patten (North Lancashire) vom 31. März 1857, und J. Trollope sowie A. Willson (South Lincolnshire) vom 1. April 1857, in: THE TIMES vom 1. April 1857, S. 7c, vom 3. April 1857, S. 5f. Vgl. auch COLEMAN, Conservatism, S. 125–130, und SMITH, Disraelian Conservatism, S. 29, 34, 36 und 322, sowie die allerdings höchst parteiische Auflistung konservativer Sozialgesetzgebung bei BELLAIRS, Conservative Refom, S. 13–16. Vgl. Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101 (1867), S. 220–229, hier 226: „ignorant and therefore incapacitated for the government of the well-informed; and so busy, and more than busy, in gaining its daily subsistence by hard labour, as to have neither taste nor leisure for studying all those nice questions on which the wealth, no less than the liberty and happiness, of nations depends, and most of all, those very questions of labour and capital that lie at the root of manufacturing industry and commercial enterprise.“
4. Die working classes
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stokratie auszeichnete. Subjekt der Teilhabe statt Objekt der Sozialfürsorge zu sein, laufe daher den wahren Interessen der Arbeiter zuwider, was, so die durchaus von Sympathie getragene konservative Einschätzung, die klügeren von ihnen auch selbst erkannt hätten: „really intelligent men belonging to the working classes“ hätten gesagt, that they have not time to study political subjects; that they are perfectly satisfied if the laws are such as will protect them and forward their material interests; that they do not perceive how they would be bettered by having a vote; and that they never saw any good come of a workman addicting himself to politics.157
Mit dem Eigentum ermangele es ihnen an den damit verbundenen umfassenden sozialen Qualifikationen158. Vielmehr diktiere ihnen die Armut materielle Interessen, die sie im Konfliktfall auch rücksichtslos und vor allem gegen die Besitzer von Eigentum durchsetzen würden, statt mit „deference“ dem Einfluß sozialer Führungsschichten zu folgen, von dem sie in ihren städtischen Wohngebieten ohnehin abgeschnitten seien: if ever you come to a question where the interests of one class are, or seem to be, pitted against those of another, you will find that all those securities of rank, wealth, and influence in which you trust are mere feathers in the balance against the solid interest and the real genuine passions of mankind; and you will see that they will use the weapon which you are now putting unreservedly in their hands with a perfect belief that they are in the right, and that they are not in the least diminishing their title to the respect of their countrymen.159
Das kollektive Verhalten der Arbeiter in den Gewerkschaften offenbare zudem ihr mangelndes Verständnis für individuelle Freiheit: In the case of the English Trades-unions, the body of workmen are slaves to an oligarchy of their own choosing [. . .]. Every member of a Trades-union is practically either a slave or a tyrant, or a combination of both. [. . .] It is the old idea of the
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W.E. Aytoun, The New Reform Bill, in: BM 85, S. 506–514 (April 1859), hier 508; vgl. auch DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 20 f.: „Of all the organised hypocrisies which were ever formed, none has equalled the pretext that Democracy is sought for as a means of improving the condition of the operatives.“ Vgl. dazu Kapitel IV.5.b). Vgl. R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, bes. S. 208 und 218, sowie seine Unterhausrede (unter dem Namen Cranborne) vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, dort 1532 das Zitat; vgl. auch Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1927 f. (dort das folgende Zitat) und 1930 f.: „a large proportion of the working classes have a deep and solemn conviction [. . .] that property is not distributed as property ought to be; that some checks ought to be kept upon the accumulation of property in single hands; that to take away by a legislative enactment that which is in excess, with a view to bestow it on those who have insufficient means, is not a breach of any law, human or divine.“
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
organisation of labour – Communism, Socialism, Fourierism, Proudhonism, or whatever else it has been or may be called. It substitutes society for the individual, emasculates the intellect, deadens the energies, and can only be held together by a despotism.160
Ungeachtet der Qualifikation von Einzelpersonen seien sie als gesellschaftliche Klasse nicht reif für das Wahlrecht, das den working men als „reward of thrift, honesty and industry“ in Aussicht hätte gestellt werden sollen, statt, so klagte der große Sozialpaternalist Lord Shaftesbury, „to lift by a sudden jerk of an Act of Parliament the whole residuum of society up to the level of the honest, thrifty, working man“161. Dabei zerstöre, so die verbreitete konservative Befürchtung, schon allein die schiere Zahl die gesamte soziale Balance162. Diese Haltung entsprach durchaus grundsätzlich der konservativen Auffassung der benevolenten hierarchischen Gesellschaft nach ländlichem Muster, und so befanden sich auch die offensiven Befürwortungen eines Wahlrechts für die working classes in der Minderzahl. Gegenüber den massiven düsteren Einwänden klangen ihre Argumente beinahe zart: Vertreter der working classes würden im Unterhaus die Kenntnis ihrer Lebensbedingungen und ihrer Fähigkeiten verbreitern und somit die Gesetzgebungskompetenz gegenüber der größten Gesellschaftsschicht verbessern163. Der Abgeordnete Kendall versprach sich auch eine charakterliche Bereicherung für das Unterhaus durch ehrliche, einfache Arbeiter164, und zudem mochte die parlamentarische Vertretung der working classes ihre Bindung an die Verfassung verstärken, wie Lord Feversham hoffte:
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Mackay, The Working Classes, in: BM 101 (1867), S. 220–229, hier 224; ebenso Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier S. 218. Shaftesbury, Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1918 f.; vgl. auch Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 555. Vgl. Mackay, The Working Classes, in: BM 101 (1867), S. 220–229, hier 226: „It is not the individual workman or artificer who can be objected to. It is the organisation of the class which they turn to unwise account, and their great numbers, all acting together, which, if political privilege were granted to such a mass, would overthrow the delicate balance of political power, and give the real direction of the State machine into the hands of manual labour.“ Vgl. auch Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1931: „It will take ten years to bring up the residuum by education; but it will not take six months, for them, through their representatives, to destroy everything that comes before them.“ Vgl. Francis Powells Unterhausrede vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 624–626, hier 626. Vgl. Nicholas Kendalls Unterhausrede vom 11. April 1867, HANSARD 3/186, Sp. 1539–1541, hier 1541.
5. Civil Society
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trusting to the energy, the intelligence, and the enlightened patriotism of his countrymen, he felt that in admitting them in larger numbers within the pale of the Constitution we should be strengthening their attachment to the institutions under which they lived, while, at the same time, we should be promoting the happiness and contentment of the people.165
Alles in allem vermochten in diesem Falle die mehrheitlich verbreiteten Einstellungen, Meinungen und Werte nichts gegen konkrete, harte politische Entscheidungen und Tatsachen auszurichten. In der Frage der Wahlrechtsreform lagen Disraelis handlungsleitende Perspektiven anders166. Jedenfalls kann keine Rede davon sein, daß auf konservativer Seite schon vor 1867 in der Breite eine politische Allianz von Konservativen und working classes vorausgesehen oder vorbereitet worden oder auch nur als Disposition vorhanden gewesen wäre, wobei Unterstützung für die Konservativen in Teilen der working classes seit den 1830er Jahren, in den fünfzigern allerdings wieder in eingeschränktem Maße zu beobachten war167. Die working classes waren für die Konservativen, ganz im Gegensatz zu den middle classes, in Sonderheit den neuen städtischen wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten, kein wirklich zentraler Gegenstand gesellschaftspolitischer Reflexion und Auseinandersetzung, wenngleich gerade auf seiten der Hochkonservativen immer wieder Furcht vor einer Herrschaft des mob aufkam168. Die Mehrzahl der Konservativen war auf eine Eingemeindung der working classes in die politische Nation, wie sie die Wahlrechtsreform von 1867 herbeiführte, weitgehend unvorbereitet.
5. CIVIL SOCIETY: GESELLSCHAFT UND STAAT A)
HANDELS- UND FINANZPOLITIK
Den Konservativen mit ihrem umfassenden Ideal der tradierten ländlichen Ordnung war das neue industrielle England naturgemäß fremd. Dabei richtete sich ihr Widerstand gegen die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen des großen Wandlungsprozesses, wie er sich im Feindbild von „Manchester“ verkörperte. Eine maschinenstürmerische Fundamentalopposition gegen die Industrialisierung im ökonomisch-technischen Sinne
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Oberhausrede Fevershams vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1971–1975, hier 1975. Vgl. dazu Kapitel IV.5.b) und VI.3. Vgl. WALSH, Organisation, S. 34 f., 43 und 47, und WARD, Working Class Conservatism, S. 143, 151 f. und 154 f. Vgl. dazu Kapitel V.4.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
betrieben sie jedoch nicht. Typisch waren vielmehr eine zuweilen grundtönig kulturkritische Wahrnehmung der Beschleunigung des gesamten Lebens und Enthaltsamkeit gegenüber ungebremstem Fortschrittsoptimismus, jedoch auch die Anerkennung des ohnehin Unvermeidlichen und auch seiner Vorteile, wie sie in Wellingtons Einschätzung der Eisenbahn zum Ausdruck kam, wobei nicht einmal ihr negativer Teil typisch sein mochte169: I detest the Rail Roads! [. . .] It is horrible altogether. But the gain of twenty minutes in going twenty miles is certainly an object.170
In der politischen Auseinandersetzung mit der Industrialisierung und vor allem ihren sozialen und ökonomischen Trägern hatten sich die Konservativen gezwungen gesehen, eine (im 18. Jahrhundert der liberalen politischen Ökonomie vorbehaltene) ökonomische Dimension ihres politischen Denkens zu entwickeln171. Sie hatte sich, neben dem Protektionismus, vor allem in Peels Reformkonservatismus niedergeschlagen, der den Tories aber 1846 abhanden gekommen war. Sie blieben mit begrenztem ökonomischem Sachverstand zurück, und nicht zuletzt dies war Disraelis Haushalt von 1852 zum Verhängnis geworden. Wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz zählte zu den Desideraten der Konservativen, zugleich aber verloren diese Fragen nach 1852 ihre politische Sprengkraft und rückten tendenziell aus dem Zentrum des konservativen Denkens. Nachdem Disraeli bereits 1852 mit der Idee eines Handelsvertrags mit Frankreich gespielt hatte, allerdings aus sehr handfesten sozialpolitischen und nicht aus originär ökonomischen oder freihändlerischen Gründen172, mußten sich die Konservativen Anfang 1860 mit einem englisch-französischen Vertrag auseinandersetzen, den Richard Cobden, der Exponent der 169
170
171 172
Schriftliche Äußerungen über die Eisenbahn, das Medium des technischen Wandels schlechthin, blieben allgemein, zumindest im weiten Rahmen der hier ausgewerteten Quellen, mehr als rar. Wellington an Lady Salisbury, 6. Oktober 1850, WELLINGTON, Friendship, S. 127. Vgl. auch Gathorne Hardys Adresse an die Wähler von Bradford vom 23. Juli 1847, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72, Archibald Alison, The Year of Revolutions, in: BM 76, S. 1–19 (Januar 1849), hier S. 1, Thomas Carlyle an seinen Bruder Alexander, 3. Oktober 1856, LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER, 242/721, oder Stanleys Tagebucheintrag vom 25. Februar 1864, STANLEY JOURNALS, S. 209; vgl. auch Kapitel III.2. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 27 und 30, sowie allgemein GAMBLES, Protection and Politics. Vgl. Disraeli an Derby, 22. September 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2368/120 f., Malmesbury an Disraeli, 24. September 1852, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 99/1, fol. 78 f. (alte Signatur: B/XX/Hs/27), sowie Disraeli an Cowley, 27. September 1857, DISRAELI LETTERS VI, 2407/158 f.; vgl. auch Kapitel III.3.c).
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Manchester School par excellence, im Auftrag der Regierung Palmerston in Paris ausgehandelt hatte173. Der sogenannte Cobden-Vertrag sah auf französischer Seite die Abschaffung aller Einfuhrverbote sowie eine Senkung aller Zölle auf zunächst maximal 30%, binnen zweier Jahre 25% des Warenwertes vor. Englischerseits sollten die Zölle auf französische Spirituosen und Seidenwaren erheblich reduziert und die Exportzölle auf Kohle aufgehoben werden. Beide Seiten sicherten sich gegenseitige Meistbegünstigung zu. Der Handelsvertrag stand in engem Zusammenhang mit Gladstones Haushalt für 1860, dem zweiten großen Budget nach 1853, das der Schatzkanzler am 10. Februar 1860 zusammen mit dem Handelsvertrag, zwei Wochen nach dessen Unterzeichnung, im Unterhaus vorlegte174. In einer großangelegten finanziellen Umschichtung wurden die Einfuhrzölle auf Wein, Butter, Käse, Eier, Nüsse, Orangen, Limonen, Talg und andere Güter ganz aufgehoben, andere gesenkt, so daß nur noch 48 Artikel (gegenüber 1163 in 1845) überhaupt mit Zöllen belegt waren. Zugleich wurden die Papiersteuer und die Beförderungssteuer für Zeitungen (newspaper stamp) abgeschafft175. Diesen Steuer- und Zollsenkungen stand die Beibehaltung der erhöhten Zucker- und Teesteuern um 15 Monate sowie eine Beibehaltung und Erhöhung der Einkommensteuer gegenüber. Der Haushalt mit einem Volumen von £ 70,1 Mio. sah nichtsdestoweniger ein Defizit von £ 9,4 Mio. vor. Auf konservativer Seite wurden die Senkung von Zöllen, die allgemeine Belebung des Handels und die englisch-französische Handelspartnerschaft von nicht wenigen, wenn auch nicht von allen im Grundsatz durchaus begrüßt176. Die Vereinbarungen des Vertrages wurden jedoch vor allem als Zukunftsoptionen angesehen177, denen gravierende konkrete und kurzfristige Nachteile gegenüberstanden. Vor allem drei Passiva ließen die Bilanz 173
174
175 176
177
Vertragstext in: CTS 121, S. 243–258, Zusatzabkommen aus dem Jahr 1860 S. 258–267, die Zolltarifaufstellungen im einzelnen S. 268–308, vgl. auch ANNUAL REGISTER 1860, S. 223–229, die Zusatzabkommen S. 229–231. Vgl. Gladstone Haushaltsrede vom 10. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 812–872, vgl. dazu auch ANNUAL REGISTER 1860, S. 26–30, sowie MATTHEW, Gladstone, S. 113 f., 121 und 124–126, und SHANNON, Gladstone I, S. 408–413. Diese Regelung kam allerdings, nach der Ablehnung durch das House of Lords, erst mit dem Haushalt von 1861 in Geltung. Vgl. die Unterhausreden Northcotes vom 21. Februar und 8. März 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1525–1537, hier 1526 f. und 1529, und HANSARD 3/157, Sp. 188–194, hier 189, sowie Horsfalls und Walpoles vom 23. und 24. Februar, HANSARD 3/156, Sp. 1598–1602, hier 1602, und Sp. 1767–1779, hier 1770. Vgl. die Unterhausrede Hubbards vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1574–1586, hier 1577.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
aus Sicht der konservativen Buchhalter tief ins Soll rutschen178. Der erste Einwand ließ den alten Vorwurf des Klassenegoismus gegenüber Manchester wieder anklingen (und zeigte, daß der gesellschaftspolitische Gegensatz auch am Ende der fünfziger Jahre keineswegs erloschen war), daß nämlich die einfuhrbegünstigten Artikel in erster Linie Luxusgüter seien, die nicht der biertrinkenden breiten Masse der Bevölkerung zugute kamen, sondern der „class which the hon. Member for Birmingham [John Bright; AR] represented“179, die sich an Wein und feiner Seide erfreute. Bedeutender war der zweite Einwand, daß der Vertrag auf überhöhten Zugeständnissen beruhe und ungünstige Konditionen für England enthalte, während Frankreich „positive prohibitions“ durch „virtual prohibitions“ ersetze, daß es dem Vertrag an Gegenseitigkeit (reciprocity) mangele und er also ein „sehr schlechtes Geschäft“ für England darstelle180: we have made almost every concession to the commerce of France it is possible for us to make. We first of all give away freely almost all we have to give, and having given away everything we then go to barter on the principle of commercial reciprocity, which they all along condemn. They first give away almost all they have, and then deal with their customers on the principle of exchange.181
Diesem Beharren auf Gegenseitigkeit setzte die Freihandelslehre unterdessen entgegen, daß es nicht darum gehe, gegenseitig um kommerzielle Vorteile zu feilschen. Vielmehr stelle zum einen vermehrte Einfuhr fremder Waren einen Wert an sich dar – we are benefited by our trade with a country in proportion to the quantity and utility of the articles we import from it. [. . .] We are now aware that the value of a trade is derived from the comforts and enjoyments which we find by experience that it 178
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Auch wenn im folgenden überwiegend Äußerungen im Parlament zitiert werden, wurde diese Einschätzung auch intern gehegt, vgl. Derby an Malmesbury, 5. März 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 218–220, hier 219. Vgl. die Unterhausreden von Beach, 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1606–1609, hier 1607, sowie Northcotes und G. Bentincks vom 8. und 9. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 188–194, hier 193, und Sp. 273–280, hier 276 und 278 (dort das Zitat). Vgl. die Unterhausreden Hubbards vom 23. Februar, HANSARD 3/167, Sp. 1574–1586, hier 1574 (erstes Zitat), und Cairns’ vom 8. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 164–180, hier 164–166, das zweite Zitat Sp. 166. Vgl. auch die Unterhausreden Disraelis vom 24. Januar, Du Canes vom 21. Februar, Whitesides vom 23. Februar, und Barings vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 88–107, hier 90, Sp. 1475–1496, hier 1477, 1483 und 1492 f., Sp. 1637–1653, hier 1651, und Sp. 1743–1755, hier 1743, W.E. Aytoun, The Anglo-Gallican Budget, in: BM 87, S. 381–396 (März 1860), hier S. 388 und 391, sowie die Unterhausrede Peacockes vom 8. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 142–144, hier 143 f. („an excellent Treaty for France [. . .,] false in principle, one-sided in its provisions, and calculated to produce disastrous consequences“), und die Oberhausreden Malmesburys und Derbys vom 15. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 584–590, hier 585 f., und Sp. 616–634, hier 626–629. Oberhausrede Derbys vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 44–64, hier 49 f.
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gives to us, and not in any balance of the precious metals or supposed pecuniary profit to be obtained by overreaching the foreigner –,
und zum anderen werde das gute Beispiel der eigenen Zollsenkungen seine Wirkung nicht verfehlen, sondern die anderen Nationen von selbst auf den Weg des Freihandels bringen182. Doch auch der Economist unterstützte den Vertrag in Verbindung mit dem Haushalt nicht vorbehaltlos: die Handelsvereinbarungen ließen bestenfalls mittelfristig Vorteile erwarten, brächten aber kurzfristige Einnahmeausfälle mit sich; in diesem Moment auf breiter Front Zölle zu senken und zugleich die Papiersteuer abzuschaffen, mache doch den Eindruck, that the plan is of too ambitious a character, attempts too much in too short a time, and is not so acceptable to us as a less daring proposal would have been.183
In diese Kerbe, nur viel vehementer, schlugen auch die Konservativen mit ihrem dritten und schwersten Einwand, der über Handelsvertrag und Haushaltsvorlage hinaus letztlich auf die freihändlerischen Grundannahmen zielte: angesichts des Küstenbefestigungsprogramms der Regierung Palmerston liege die Irrealität der liberalen Hoffnung auf Weltfrieden durch Freihandel auf der Hand. Der Vertrag mache den Frieden keineswegs sicherer und bringe also in dieser Hinsicht auch keine finanziellen Entlastungen; vielmehr führe er aufgrund der Zollsenkungen zu Einnahmeausfällen und einem erheblichen Haushaltsdefizit, das über direkte Steuern, namentlich eine Erhöhung der Einkommensteuer, finanziert werde184; „he could not“, spottete der Abgeordnete Hubbard, „congratulate the English people on the result, which imposed on them an additional 2d. in the pound of income tax as the price of a lesson in political economy given by Mr. Cobden to the Emperor of the French.185 182
183 184
185
Vgl. den Artikel „Commercial Treaties and Free Trade“, in: THE ECONOMIST, Vol. 18, Nr. 857, vom 28. Januar 1860, S. 85 f., das Zitat S. 85, vgl. auch den Artikel „The Practical Objections to the Commercial Treaty“ im ECONOMIST vom 25. Februar 1860 (Vol. 18, Nr. 861), S. 193 f., hier 194: „We should not refrain from obtaining attainable profits – from largely increasing the benefits of commerce, because other profits are not attainable, and other ways of augmenting those benefits are denied to us.“ „The Budget“, in: THE ECONOMIST, Vol. 18, Nr. 859, vom 11. Februar 1860, S. 137 f., hier 138. Vgl. W.E. Aytoun, The Anglo-Gallican Budget, in: BM 87, S. 381–396 (März 1860), hier S. 382: „the consequence is that while we are compelled to keep up a war establishment, we are asked [. . .] to sacrifice a large portion of our ordinary customs’ revenue in favour of France, and, besides that, to pay a larger amount of income tax than before!“ Vgl. auch die Unterhausreden Du Canes vom 21. Februar sowie Newdegates, Barings und Walpoles vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1475–1496, hier 1477 und 1493, Sp. 1726–1733, hier 1728, Sp. 1743–1755, hier 1746 f. und 1750–1752, und Sp. 1767–1779, hier 1772–1775. Unterhausrede Hubbards vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1574–1586, hier 1577.
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Zwei handelspolitische Schlüsse lassen sich aus der konservativen Haltung zum Cobden-Vertrag von 1860 ziehen: erstens waren die Konservativen nach 1852 keineswegs zu inhaltlich überzeugten Freihändlern im Sinne der umfassenden politisch-ökonomischen Lehre geworden. Weder vermochten sie sich von der liberalen Utopie des Weltfriedens durch Freihandel einnehmen zu lassen, noch argumentierten sie originär kommerziell. Vielmehr betrachteten sie Handelspolitik, zweitens, primär als fiskalisches Problem. Die Finanzpolitik war im Laufe der fünfziger Jahre zum Rückzugsgebiet, zugleich aber nur einem Nebenkriegsschauplatz der abgeflauten sozio-ökonomischen Auseinandersetzung mit den Manchester-Radikalen geworden. Die Finanzpolitik war ein klassisches innenpolitisches Thema, das vor allem die Jahre nach 1815 im Zeichen rigider Ausgabenkürzungen (retrenchment) geprägt hatte186. In diesem Sinne war sie bereits von den Reformradikalen des 18. Jahrhunderts mit moralischem Impetus betrieben worden, als Bekämpfung von Patronage und Korruption insbesondere seitens der aristokratischen Elite187, die vor allem eigensüchtiger Militärausgaben bezichtigt wurde188. Zugleich plädierten sie für eine Aufhebung indirekter und die Erhebung allein direkter Steuern, was die Konservativen als einseitige Belastung der Besitzenden und insbesondere der Grundbesitzenden auffaßten. Damit reichte die Bedeutung der Finanzpolitik über das technisch Fiskalische hinaus wiederum mitten in die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung hinein. So sahen es grundsätzlich, und besonders nach 1846, auch die Tories, als Teil der Bedrohung der ländlich-aristokratischen Sozialordnung durch den freihändlerischen Manchester-Radikalismus: Those miserable Cobdens! [. . .] The babyism of giving up indirect taxation, to be driven to direct in a country like this, the insanity of going on preaching about customs and lowering taxes on the comforts of the people, &c., when the only substitutes are direct taxes or loans, unless indeed they will come to a proper reduction, not of Army and Navy, but of Monarchy itself. A la bonne heure!189
In steuerpolitischen Grundsatzfragen herrschte unter den Konservativen breite Einhelligkeit190. Sie befürworteten eine „rigid economy“191 mög186 187 188 189 190 191
Vgl. GASH, Aristocracy and People, S. 74–76 und 103–107. Vgl. TAYLOR, British Radicalism, S. 28. Vgl. auch Cobden an George Wilson, 23. September 1856, zit. nach WRIGHT (Hg.), Democracy and Reform, S. 127. Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f., hier 161. Zu den steuerpolitischen Vorstellungen der Konservativen bis 1852 vgl. GAMBLES, Protection and Politics, S. 234–241. A. Willson, Adresse an die Wähler von South Lincolnshire vom 1. April 1857, in: THE TIMES vom 3. April 1857, S. 5f.
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lichst niedriger Staatsausgaben, allerdings nur solange sie die notwendigen, wenn auch nicht umfangreichen staatlich-administrativen Funktionen und die Landesverteidigung nicht gefährdete192. Ebenso befürworteten sie möglichste steuerliche Entlastungen: „Taxation – None if possible“193. Das Problem lag nur, wie immer, in der gerechten Verteilung der notwendigen steuerlichen Belastungen; „equal taxation“194, „equity in taxation“195 oder „due adjustment of general and local taxation“196 waren zunächst nichts als Schlagworte. Etwas konkretere Bedeutung gewannen sie mit der Vorstellung einer Besteuerung, „by which all classes contribute to the common expenditure, from which all derive a benefit in common“197, einer Besteuerung nicht nur möglichst aller gesellschaftlicher Schichten, sondern auch Eigentumsformen: nicht nur von Grundbesitz, Häusern und Gebäuden, sondern auch von Kapital, Aktien und anderen persönlichen Wertpapieren, Gewinnen und sonstigen Einkünften198. Im Zentrum des Problems und auch der politischen Auseinandersetzung vor allem mit den Radikalen, aber auch mit Gladstone, stand dabei das Verhältnis von direkter und indirekter Besteuerung. Die Tories lehnten jede als einseitig empfundene Verlagerung des Steueraufkommens auf direkte Steuern, die in erster Linie die Besitzenden traf, mit allem Nachdruck ab, und das galt vor allem für die Einkommensteuer: We do not object to a fair proportion of direct taxation in our financial system. What we do object to is that direct taxation should take the form of an income tax on this large scale.199
192
193
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A. Beresford-Hope, Adresse an die Wähler von Maidstone, 11. März 1857, in: THE TIMES vom 20. März 1857, S. 8b (und öfter), F. Thesiger, Adresse an die Wähler von Stamford, 27. März 1857, S. 7e/f, hier 7 f., und R. Spooner, Adresse an die Wähler von North Warwickshire, 3. April 1857, in: THE TIMES vom 4. April 1857, S. 8b. R. Cross, Redeentwurf aus dem Jahre 1857, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33; vgl. auch Disraeli an [George Brown], 20. September 1849, an Stanley, 24. September 1849, und an Manners, 15. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1883/221, 1886/223 und 1894/230. Disraeli an Stanley, 24. September 1849, EBD., 1886/223. W.E. Aytoun, Defeat of the Ministry, in: BM 73, S. 111–128 (Januar 1853), hier S. 112. R. Cecil, Adresse an die Wähler von Stamford, vor 22. August 1853, PULLING, Life of Salisbury I, S. 8–10, hier 9. J. Blandford, Adresse an die Wähler von Woodstock, 23. März 1857, in: THE TIMES vom 25. März 1857, S. 5b. Vgl. G. Jenkins, Adresse an die Wähler von North Wiltshire, vor 10. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 10. Oktober 1868, S. 5e. Unterhausrede Disraelis vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1799–1815, hier 1803; vgl. auch D. Mackworth’ Adresse an die Wähler von Liverpool vom 28. Juli 1847, in: THE TIMES vom 29. Juli 1847, S. 4e, Disraelis Unterhausrede vom 20. April 1852, HANSARD
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
Die erstmals vom jüngeren Pitt im Kriegsjahr 1799 erhobene Einkommensteuer war 1816 wieder abgeschafft200 und von Peel 1842 für Einkommen ab jährlich £ 100 aus Grundbesitz und ab £ 150 aus Arbeitseinkommen (industrial income) wieder eingeführt worden; so betraf sie die Aristokratie und die Mittelschichten oberhalb der lower middle classes. Als nur vorübergehende Einnahmequelle deklariert und mehrmals verlängert, kündigte Gladstone in seinem Haushalt von 1853 ihren schrittweisen Abbau bis zur völligen Aufhebung im Jahr 1860 an. Doch der Krimkrieg machte einen Strich durch diese Rechnung. Vielmehr stiegen die direkten Steuern zwischen 1840 und 1860 um ca. 150% von £ 7,7 Mio. auf £ 19,6 Mio. und somit von 15% auf 28% der Staatseinkünfte, während die indirekten Steuereinnahmen absolut um 7% von £ 42 Mio. auf £ 45 Mio. anstiegen, relativ aber von 82% auf 64% der Staatseinkünfte zurückgingen201; zudem wurden die kommunalen Steuern weitgehend auf Grundbesitz (insgesamt etwa £ 15 Mio.) erhoben. 1860 erreichte die Einkommensteuer mit 10d/£, also knapp 4,2%, ihren höchsten je erreichten Stand in Friedenszeiten. Die Tories hielten, darin mit vielen Whigs gegenüber den Radikalen grundsätzlich durchaus einig, vehement an der Abschaffung, zumindest der Reduzierung der Einkommensteuer, dieser „tax of most inquisitorial nature“, fest202, und auch Disraeli plante als Schatzkanzler dementsprechend für den Haushalt des zweiten Kabinetts Derby 1859, der dann allerdings nicht mehr zustande kam203. Statt dessen pochten sie auf eine Balance zwischen direkten und indirekten Steuern, deren Vorzug sie nicht nur in ihrem umfassenderen Geltungsbereich und somit wahrer sozialer Gerechtigkeit gegenüber der einseitigen Belastung durch direkte Steuern, sondern auch in ihren Einnahmepotentialen erblickten204. Daß Robert Cecil allerdings argumentierte, direkte Steu-
200 201 202
203 204
3/121, Sp. 9–36, sowie Barings Unterhausrede vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1743–1755, hier 1746 f. und 1750–1752. Vgl. dazu WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 128–153. Vgl. GASH, Aristocracy and People, S. 323. Vgl. etwa die Wahladressen von W. Smith (West Kent, 3. April 1857, dort das Zitat), W. Rose (Newport, 19. März), H. Selwyn (Ipswich, 20. März), A. Willson (South Lincolnshire, 1. April), und P. Smollett (Dumbartonshire, 3. April), in: THE TIMES vom 4. April 1857, S. 7e, vom 23. März 1857, S. 5c und 12c, vom 3. April, S. 5f, und vom 6. April 1857, S. 7f, oder die Unterhausrede von J. Whiteside vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1637–1653, hier 1653. Vgl. M&B IV, S. 253–256, sowie GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 283 f. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 30. April 1852, HANSARD 3/121, Sp. 9–36, Drummonds Unterhausrede vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1272–1275, hier 1274, und R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 124.
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ern drückten vor allem die Armen, weil die Besteuerten nicht mehr investieren könnten, während die indirekten Steuern vor allem die Wohlhabenden auf freiwilliger Basis träfen, weil sie nur auf Luxusgüter erhoben würden205, war nicht nur vorgeschoben und überzogen, sondern es deutete zugleich auf die schwierige Argumentationslage für die Konservativen hin, denen die Radikalen die Eigensucht der Besitzenden vorwerfen konnten, während sie selbst sich als Vertreter der breiten Masse des Volkes zu profilieren suchten. In der Tat sah gerade Robert Cecil in der Steuerpolitik, die in den fünfziger Jahren vor allem gegenüber der abflauenden sozio-ökonomischen Auseinandersetzung der Jahre nach 1846 mit relativer Häufigkeit diskutiert wurde, die Fortsetzung des umfassenden Klassenkampfes zwischen Konservativen bzw. ländlicher Ordnung und den Radikalen bzw. Manchester und in Steuern bloß ein eleganteres Mittel zur Enteignung der Aristokratie zugunsten einer Herrschaft der middle classes, als welche „Demokratie“ hier zu verstehen ist: This question of the incidence of taxation is in truth the vital question of modern politics. It is the field upon which the contending classes of this generation will do battle. [. . .] The struggle between the English constitution on the one hand, and the democratic forces that are labouring to subvert it on the other, is now, in reality, when reduced to its simplest elements and stated in its most prosaic form, a struggle between those who have, to keep what they have got, and those who have not, to get it. [. . .] Wherever democracy has prevailed, the power of the State has been used in some form or other to plunder the well-to-do classes for the benefit of the poor.206
205
206
Vgl. Cecils Unterhausrede vom 7. April 1862, zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 345 („At first sight the Income Tax would appear to rest only on the better classes; but that is not so; its certain effect is to force the employing classes to employ less, to retrench their expenditure in a hundred ways, and every one of those ways falls hardly upon the poor“), sowie Cecil, The Income Tax and Its Rivals, in: QR 109, Nr. 217 (Januar 1861), S. 212–247, zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 340–345, hier 342 („Nobody who does not wish to pay an indirect tax need pay it, and may therefore be fairly called a voluntary tax. It is a tax constructed with a safety-valve“); vgl. auch Walpoles Unterhausrede vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1767–1779, hier 1775. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 124–126; vgl. auch Lyndhursts Oberhausrede vom 1. Mai 1860, MARTIN, Lyndhurst, S. 491–493, hier 492: „there is a party [peace party der Freihändler; AR] actively employed in the North of England in liberalising and improving, according to their sense of the term, the fiscal system of the country, with the declared object – not unsupported, I am afraid, by pretty high authority – of putting an end to taxes on all articles of consumption, and placing the taxation almost entirely on realised property according to a graduated scale. This is done with the avowed object of introducing here the social equality, or [. . .] that species of social equality which exists in France, and which is cherished in that country, regardless of civil liberty. Another object that they have in view is to pull down the wealthier and aristocratic classes, who, they say, are the favourites and patrons of the army and navy, and to reduce these establishments to a lower status.“
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
In dieser Auseinandersetzung paßte er sich vice versa der Weltsicht seiner Opponenten an (und insofern war er in seiner tiefen Opposition den modernen Gegenkräften verhafteter als die meisten Konservativen), wenn er die ökonomischen Belange allem, letztlich auch der Außenpolitik, überordnete: Finance [. . .] is a contest between various classes waged for the purposes of resisting the imposition of what each considers an unfair proportion of that contribution from property by which the service of the State is carried on. Even foreign policy, so far as the mass of the nation is concerned, is more a question of property than of anything else [. . .,] traced out by material interest alone.207
Doch diese Auffassung von der Finanzpolitik als dem Surrogat des Klassenkampfes zwischen ländlicher Aristokratie und städtischen industrie-kommerziellen Mittelschichten war, so sehr auch die Grundzüge der Argumentation geteilt werden mochten, in dieser Form und im Hinblick auf die politische Umsetzung eine Minderheitsmeinung innerhalb der Konservativen. Vielmehr war es auch in dieser Hinsicht Disraeli, der die Richtung vorgab, nämlich auch diesen Nebenkriegsschauplatz zu schließen und den ideologischen Grundsatzkonflikt nicht auf sozialökonomischer Ebene zu führen, sondern eine prononciert undogmatische und pragmatische Finanzpolitik zu betreiben. Darum bemühte sich insbesondere der finanzpolitisch und administrativ versierte Stafford Northcote, Gladstones früherer Privatsekretär, der in den sechziger Jahren innerhalb der Konservativen politisch avancierte. Betont sachlich fielen seine finanzpolitischen „Leitsätze“ aus dem Jahre 1862 aus: erstens solle die Einkommensteuer nicht permanent als reguläre Steuer beibehalten werden; zweitens sollten die normalen Einnahmen die normalen Ausgaben decken; dazu seien drittens die regelmäßigen Ausgaben klar zu bestimmen und die Besteuerung daran anzupassen, möglicherweise sogar die direkte Besteuerung zu erhöhen; viertens aber seien zuerst einmal die Staatsausgaben „towards its proper ordinary level“ zu reduzieren. In dieser Perspektive mußten zwangsläufig die militärischen Ausgaben, insbesondere angesichts von Palmerstons millionenschwerem Küstenbefestigungsprogramm, als störende finanzielle Blöcke ins Blickfeld rücken. Von hier aus war es nicht weit zu einer Beschränkung der Militärausgaben und zu einer Befürwortung der nichtinterventionistischen Außenpolitik aus fiskalischen Gründen:
207
Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 182.
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the acknowledged policy of England is one of non-intervention; [. . .] this does not preclude us from offering our advice upon proper occasions, but [. . .] it is not necessary or right to attempt to give weight to that advice by a show of military preparation, unless we intend to follow it up by military action, in case the advice is rejected. Armed non-intervention is very liable to be misconstrued.208
Vor diesem Hintergrund hat Peter Ghosh in einer integralen finanz-, außenund verteidigungspolitischen Konzeption den Kern von Disraelis in den späten fünfziger und den sechziger Jahren voll ausgereiftem Konservatismus ausgemacht, der aus primär (innen-)politischen, nicht ökonomischen Motiven (dies unterschied ihn von Gladstone) auf Haushaltsausgleich bei möglichst niedriger Besteuerung durch außenpolitische Zurückhaltung zielte209. Doch sollte man dieses Design nicht überbewerten. Wichtiger und spezifischer für die Konservativen war der originäre finanzpolitische Pragmatismus, den Disraeli und Northcote der Partei beibrachten, der starre ideologische Frontstellungen mied und Handlungsspielräume eröffnete: I hate principles in questions of finance. I think we should have only one principle, to raise the necessary funds by such taxes as are upon the whole productive of the least inconvenience and of the most revenue. [. . .] What I now want is, to keep our course open and not to build up walls for our own possible annoyance hereafter.210
Vor allem schonte solch flexibler Pragmatismus die Kräfte für andere, als wichtiger erachtete Auseinandersetzungen. Denn im Unterschied zu Pitt oder Peel (und entgegen Ghoshs Interpretation211) legte Disraeli das Schwergewicht der konservativen Politik, und das ist entscheidend für ihre politische Entwicklung in den fünfziger und sechziger Jahren, nicht auf Finanzfragen, sondern auf Verfassungspolitik212. B)
DIE BEDEUTUNG DES EIGENTUMS
Das englische Eigentumsverständnis war, im Unterschied zum kontinentalen Europa, traditionell besitzindividualistisch geprägt und property nicht mit personenrechtlichen, feudalen Herrschaftseigenschaften verbunden213. So blieben in England auch die Spannungen aus, die den Kontinent bei der Ab208
209 210 211 212 213
Northcote an Disraeli, 25. April 1862, LANG, Life of Northcote, S. 199 (dort die „doctrines“) und 200 (dort das letzte Zitat); vgl. auch Northcote an Disraeli, 19. April 1862, EBD., S. 189–198, bes. S. 192–196. Vgl. GHOSH, Disraelian Conservatism, bes. S. 284–286, 289 f. und 293–295. Northcote an Disraeli, 13. Februar 1866, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063B, fol. 85–87, hier 86 f. Vgl. GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 282 und 294 f. Vgl. dazu Kapitel V.4 und VI. Vgl. LOTTES (Hg.), Eigentumsbegriff, S. X-XII [Einleitung].
262
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
lösung feudaler Besitzansprüche und der Durchsetzung der liberalen Eigentumsidee erfaßten. Daher konnten die Konservativen, entgegen den Behauptungen der Radikalen214, vergleichsweise entspannt behaupten: „We have no feudalism to sweep away, no privileges, worth a naming, to contest“215. Nichtsdestoweniger lag, gerade in konservativer Vorstellung, Eigentum in Form von großem Grundbesitz der gesamten ländlich-aristokratischen Sozialordnung wie auch der klassischen Vorstellung der societas civilis zugrunde. Es war Bestandteil der Auseinandersetzung mit den middle classes und wurde in diesem Zusammenhang, aus der Defensive heraus, reflektiert und legitimiert. Wesentlich war dabei der ebenso topische wie konstitutive, sozialmoralisch dimensionierte Zusammenhang von Eigentum bzw. Landbesitz, materieller und moralischer Unabhängigkeit, Muße und Bildung, sozialer Verantwortung und Gemeinwohlorientierung216, in durchaus (wenn auch nicht so benannter) utilitaristischer Begründung217, und im Gegensatz zur liberalen Lehre von der uneingeschränkten, individuellen Interessen unterworfenen Verfügbarkeit mobilen Eigentums218. Idealtypisch, wenn auch in solch zugespitzter Form nicht mehr wirklich repräsentativ, vertrat Henry Drummond einen geradezu zirkulär geschlossenen, vom Landbesitz ausgehenden und auf den Landbesitz zielenden Gesellschafts- und Politikentwurf, dessen Substrat sich in wenigen Zeilen an Disraeli aus dem Mai 1848 konzentriert: I think that the principle for which we have to contend is that property is the thing to be guarded: that men without property are the most numerous & must ever be so; & that they are interested in destroying all institutions which protect it; ergo, it is essential that men without property be excluded, while the franchise must be extended to every one who possesses any property however small.219
Landbesitz begründete demzufolge die soziale – dies war unter Konservativen grundsätzlich nicht strittig – und die politische Ordnung220, deren erste 214
215 216 217
218 219 220
Vgl. etwa Cobden an White, 22. November 1857, MORLEY, Cobden, S. 679 f., hier 679: „It is astonishing that the people at large are so tacit in their submission to the perpetuation of the feudal system in this country as it affects the property in land, so long after it has been shattered to pieces in every other country except Russia.“ R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 124. Vgl. dazu Kapitel V.2 und 3. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 35 f.; vgl. auch DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 36: „The influence of the land-owners is not from their wealth, but from their use, benevolence, and example to all around.“ Vgl. SCHWAB, Eigentum, S. 74–103, bes. 76–83 und 89 f. Drummond an Disraeli, 2. Mai 1848, DISRAELI LETTERS V, 1623A/25 Anm. 1. Vgl. auch J.W. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 165 (Juni 1849), S. 260–312, hier 269: „down to very late times the universal experience and opinions of mankind seem to have
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Aufgabe wiederum im Schutz des Eigentums bestand221. Eigentum allein, nicht aber, wie von (radikal)liberaler Seite postuliert, staatsbürgerliche Gleichheit legimierte den Anspruch auf politische Partizipation222: Your chief panacea is that the Members of the House of Commons should represent men, and not property. Now since property always was, always is, and always must be, in the hands of a few, and distress, poverty, starvation, wretchedness, suffering, cold, hunger, sickness, improvidence, and desperation the lot of the many, your plan, which you have taken from the Socialists and the Chartists, is, that the Members of the House of Commons should represent poverty, and not wealth.223
Die Masse der Mittellosen hingegen war, und niemand sagte dies so deutlich wie Drummond, von politischer Teilhabe auszuschließen. Denn da sie kein Eigentum besitze, lehne sie die bestehende Eigentumsordnung ab und würde sich, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte, in den Besitz des Eigentums bringen und somit die gesamte Sozial- und Verfassungsordnung umstürzen: If you give to those without property the same right which you give to those with property, the power will be in the hands of the masses, who will be driven in times of distress to make a subversion of property, which is a total subversion of society.224
In diesem Sinne ist Crokers Diktum „mere numbers are mere anarchy“225 und die Angst vor der „predominance of brute numbers over intelligence and property“226 zu verstehen, die in den Jahren nach 1846 regierte und bei Teilen der Konservativen im Umfeld der Wahlrechtsreform von 1867 wieder aufflackerte, als das Wahlrecht nur mehr durch an die Zahlung von
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adopted property in some shape or other as the basis of government, and as the least imperfect security for the intelligence, probity, and stability of a governing body.“ Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 36: „the end of all legislation is the security of property. Laws are not made to make men scientific, nor artists, nor physicians, nor surgeons, but to secure all property, whether small or great.“ Vgl. auch R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 183. Vgl. [DRUMMOND,] Political Parties, S. 6: „The form by which power was connected with representation was by every Member of the Legislature possessing a corresponding property.“ DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 9; vgl. auch R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–539, hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 220: „There can be no permanent peace, there can be nothing but a hollow and delusive truce, between those who wish that property should go for something in political arrangements, and the devout believers in the abstract rights of men.“ Unterhausrede Drummonds vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 912; vgl. auch DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 9. J.W. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 165 (Juni 1849), S. 260–312, hier 269. J.W. Croker, French Revolution of February, in: QR 86, Bd. 172 (März 1850), S. 526–585, hier 584.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
Steuern und somit nur noch höchst eingeschränkt an Besitz gebunden und auf die Haushaltsvorstände in den boroughs und somit auf weite Teile der working classes ausgeweitet wurde227. Die soziale Auseinandersetzung um das Eigentum verlief jedoch auch in konservativer Perzeption, von den Jahren zwischen 1846 und 1852 und der durchgehenden Angst weniger vor gesellschaftspolitischen Realitäten als vor potentiellen Entwicklungen abgesehen, verhältnismäßig gedämpft, zumal auch die englischen Radikalen, bei aller Opposition gegen die Aristokratie und trotz aller landreformerischer Ideen Cobdens, Eigentum an sich nicht grundsätzlich in Frage stellten. Die Kontroverse drehte sich vor allem um die politische Bedeutung des Eigentums und das Verhältnis von Eigentum und politischer Partizipation. In dieser Hinsicht steckte sogar in Drummonds Formulierung von „every property however small“ ein gewisser Interpretationsspielraum hinsichtlich der Beschaffenheit dieses Eigentums. Denn so sehr er selbst damit Besitz an Land meinen mochte, so sehr ist doch auf konservativer Seite allgemein eine spezifische Ausweitung des Eigentumsbegriffs zu beobachten228. Schon 1848 hatte Disraeli davon gesprochen, das Wahlrecht von 1832 sei ebenso wie der neuerliche radikale Reformvorschlag zu rigide am Gütereigentum als einziger Qualifikation orientiert, während es keinerlei „scheme for an educational suffrage or an industrial suffrage“ gebe; „property is sufficiently represented in this House“, behauptete er vielmehr, und eine mögliche neuerliche Reform müsse „other sentiments, qualities, and conditions, than the mere possession of property“ berücksichtigen229. Als die Konservativen dann 1859 ihre erste eigene Wahlrechtsreform vorlegten, ging es wesentlich darum, nicht nur immobilen, sondern auch mobilen Besitz einzubeziehen230; sogar Robert Cecil sprach sich in anderem Zusammenhang dafür aus, gar das Oberhaus solle auch „mercantile and manufacturing wealth“ repräsentieren231. Sparguthaben in die Wahlrechtsqualifika-
227
228 229 230 231
Vgl. R. Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–539, hier zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 219: „the great political struggle of our century – the struggle between property, be its amount small or great, and mere numbers“; vgl. auch Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1927 f.; vgl. dazu auch Kapitel IV.4 und VI.3. Vgl. dazu auch, aber erst für die Jahre nach 1865 angenommen, MARSH, Conservative Conscience, S. 230 f. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966. Vgl. das unsignierte „Memorandum on Reform“, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 2/fol. 379. Vgl. Cecil, The Coming Political Campaign, in: BQR Vol. II, Nr. 4 (Januar 1860), S. 303–334, hier 314.
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tion einzubeziehen, sollte über die rein materielle Seite hinaus vor allem die charakterlichen und moralischen Qualifikationen der Besitzer mobilen Eigentums zur Geltung bringen: Even if it is argued that Intelligence, and not Property, should be the basis of the Franchise, it may be answered that a well-directed intelligence will enable any man to lay by his 50l. in a Savings Bank, or invest 66l. in the Funds [. . .], or 50l. in India Stock, or any Joint-Stock Company paying a dividend of four per cent; and if this degree of Property is made to confer the Franchise, no skilled workman or labourer earning high wages need be long excluded from possessing a Vote.232
Dies war ein Versuch, die Semantik des Eigentumsbegriffs in gesellschaftspolitischer Hinsicht über Grund und Boden und sogar über Geldvermögen im engeren Sinne hinaus auf indirektem Wege auf das Eigentum an Arbeit und Geist auszuweiten, ohne darüber das Eigentum als soziales und politisches Ordnungsprinzip aufgeben zu müssen. In diesem Sinne ist auch die Einbeziehung von Bildungstiteln in die Reformvorlage zu verstehen233. Damit wurde aber der Eigentumsbegriff zugleich so weit ausgedehnt, daß er an politischer Signifikanz verlor. Und so ist auch die Wahlrechtsqualifikation von 1867 in Form der Zahlung der Armensteuern durch die Haushaltsvorstände nur noch in eingeschränktem Maße als besitzrechtliche Qualifikation anzusehen. Die Konservativen selbst, und vor allem natürlich Disraeli, betrieben eine Ausweitung des Eigentumsbegriffs in politicis. So hoben sie an dieser Stelle zugleich den exklusiv ländlichen (und aristokratischen) Bezug der societas civilis auf. Diese gesellschaftspolitische Leitvorstellung erfuhr auf diesem Wege eine soziale Erweiterung ihrer Bedeutung, die sich in Disraelis Wort von der „national party“ niederschlägt; zugleich büßte sie an begrifflicher Signifikanz ein, womit die Idee der „territorial constitution“ Züge eines Topos annahm. C)
DIE ENGLISCHE KONSERVATIVE FREIHEIT
Wenn in der politischen Diskussion von „freedom“ oder „liberty“ die Rede war, dann sprachen die Konservativen in allererster Linie von gesellschaftlich-politischer Freiheit, dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, nicht von Freiheit im engeren philosophischen Sinne der sittlichen Freiheit, 232
233
Vgl. das unsignierte „Supplemental Paper No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Classes“ [ad 1859], NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/ HY/24/15,13, S. 2. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 986 f.; vgl. dazu Kapitel VI.2.
266
IV. Gesellschaft und Wirtschaft
als Verhältnis des Menschen zu sich selbst, oder als anthropologischer Grundauffassung, der transzendentalen oder Willensfreiheit. Auf seiten der Konservativen läßt sich dabei ein grundsätzlich homogenes Freiheitsverständnis ausmachen, das seine Spezifik weniger durch seine einzelnen Bestandteile als vielmehr durch ihren Gesamtzusammenhang gewinnt. Dominierendes Merkmal und somit Charakteristikum dieses Konzeptes war das Moment der Bindung der Freiheit, nicht ihrer Autonomie. Freiheit war in konservativem Verständnis kontextuell und konkret, nicht abstrakt und vernunftgeneriert, nicht naturrechtlich in der Autonomie des Individuums begründet und keineswegs an gesellschaftliche Gleichheit gebunden. In diesem Sinne war dieses Verständnis spezifisch nicht modern234. Es war aber, im Gegensatz zum kontinentalen Konservatismus, auch nicht ständisch geprägt, sondern, im Selbstverständnis der Tories, primär englisch. Das konservative Freiheitsverständnis entsprach im wesentlichen den bereits von Edmund Burke formulierten Vorstellungen. Er hatte den Wert der Freiheit immer nur im Zusammenhang mit anderen Elementen eines Ganzen – Regierung, äußere Sicherheit, Staatseinkünfte, Moral und Religion, Eigentum, Frieden und Ordnung – gesehen und an ihre Verbindung mit „wisdom“ und „virtue“ sowie an Mäßigung gebunden. Dabei ging er, in der Diktion dem ständischen Freiheitsverständnis ähnlich, von einer Vielzahl konkreter Freiheiten statt einem abstrakten Kollektivsingular aus. Diese Freiheiten lagen auch nicht im Naturrecht begründet, sondern in der Tradition als „entailed inheritance“, in „our nature rather than our speculation“235. Auch wenn die Konservativen im Falle von „freedom“ ohnehin, aber auch im Falle von „liberty“ in aller Regel den begrifflichen Singular verwendeten, entsprach ihre Auffassung in der Sache durchaus Burkes Vorstellungen. Dieser grundlegende Gegensatz zum aufklärerisch-rationalistischen, (radikal)liberalen Freiheitsbegriff wurde vor dem Hintergrund der sozio-kulturellen Verfaßtheit Englands aber nicht in ideologisch zugespitzter Form ausgetragen. Ihre wichtigste Bindung erfuhr die Freiheit an die Ordnung. Während nach revolutionärer und zumindest radikalliberaler Vorstellung Ordnung der Tendenz nach aus Freiheit erwachse, war das Verhältnis nach konservativem Verständnis genau umgekehrt: Freiheit erwachse aus Ordnung. Die im kontinentaleuropäischen Konservatismus in der Orientierung etwa Metternichs vorherrschende Unterordnung der Freiheit unter die Ordnung
234 235
Vgl. dazu BLEICKEN U. A., Freiheit, S. 488 f., auch zum folgenden Absatz. BURKE, Reflections, S. 58 f., 76, 83, 85 und 290 f., die Zitate S. 291, 83 und 85.
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267
und die Eindeutigkeit des Primates der Ordnung236 war in dieser Form bei den englischen Konservativen allerdings keineswegs anzutreffen, wo insbesondere Edward Bulwer-Lytton immer wieder die „union of liberty with order“ als „vital principle of civilisation“237 betonte. Dabei ging er durchaus davon aus, daß die gesellschaftliche Ordnung im letzten Ende Vorrang vor der Freiheit genoß. Doch diese Rangfolge spielte für ihn praktisch eine höchstens untergeordnete Rolle (und das Argument war auch nicht sehr präsent und wurde eher zurückhaltend vorgetragen), denn „that state will be the best in which liberty and order so, as it were, fuse into each other, that the conditions prescribed by order are not felt as restraints on liberty“. Viel wichtiger war ihm die Kontextualität der Ordnung und somit der Freiheit: liberty is diffused throughout a people by many varieties of constitution – the monarchical, the aristocratic, the democratic, or through nice and delicate combinations of each. Conservatism tends to the conservation of liberty in that form and through those media, in which it has become most identified with the customs and character of the people governed.238
Dieser Zusammenhang von Ordnung und Freiheit war nicht aus einem willentlichen menschlichen Schöpfungsakt entstanden, sondern als Tradition überliefert: „The capital of English freedom is the accumulation of centuries“239. Im Zuge dieser Tradition hatten sich ihre „very complicated causes“ zu einem rationaler Erkenntnis und menschlichem Zugriff entzogenen Bündel verschlungen, das zugleich die „idiosyncrasy of England“ ausmachte240. Mit anderen Worten: die Freiheit der Konservativen war spezifisch englisch241, ein, insbesondere im Vergleich zum europäischen 236 237 238
239
240 241
Vgl. SRBIK, Metternich I, S. 361 f., zum Verhältnis von Ordnung und Freiheit allgemein vgl. auch BLEICKEN U. A., Freiheit, S. 525–531. Bulwer-Lytton, Rede vor Studenten der Universität Edinburgh, 18. Januar 1854, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 193–195, hier 194. Äußerung Bulwer-Lyttons wohl aus dem Jahr 1859, EBD., S. 309 f., hier 310; vgl. auch BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 430: „If I were an American, I should regard as the worst affliction that could befall my country the substitution for democracy, with all its faults, of a constitutional monarchy, with all its merits; because my countrymen would be accustomed to associate their elementary ideas of liberty with republican institutions: So, being an Englishman, I should regard it as the worst affliction that could befall my countrymen, to substitute for constitutional monarchy a democratic republic.“ EBD., S. 429; vgl. auch seine Rede vor Studenten der Universität Edinburgh vom 18. Januar 1854, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 193–195, hier 194 f. „You have already derived from your ancestors an immense capital of political freedom; increase it if you will – [. . .] but remember that the healthful progress of society is like the natural life of man – it consists in the gradual and harmonious development of all its constitutional powers“. BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560, hier 554. Vgl. auch Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
Kontinent, exzeptionelles Maß an „persönlicher, politischer und geistiger Freiheit“242, das aus der freiheitlichen Tradition des Landes herrührte und in ihr begründet lag: I believe that the people of this country may be trusted with a greater degree of freedom than any other people in Europe, without endangering the safety of the constitution. [. . .] The reason is, we have been taught in the school of freedom. [. . .] We have been a thousand years striving to become freer and freer [. . ., we] have managed to approach to a higher state of rational constitutional freedom than any other country [. . .] with the exception of the United States of America.243
Diese tradierte, „idiosynkratische“ englische Ordnung manifestierte sich in erster Linie in der Verfassung und in den überlieferten Institutionen des Landes244; „constitutional freedom“ bezog sich aber zugleich neben der politischen auch auf die davon gerade in England und insbesondere in konservativem Verständnis kaum getrennte gesellschaftliche Verfassung. Freiheit verband sich in dieser sozialen Hinsicht mit dem Eigentum und über den materiellen Gegenstand hinaus vor allem mit seiner gesellschaftlichen Dimension: „traditionary influences and large properties round which men can rally“ waren für Disraeli „the only security for liberty and property“245. Damit war die gesellschaftliche Freiheit grundsätzlich mit der ländlicharistokratischen Sozialordnung in Verbindung gebracht, und damit war zunächst die landbesitzende Aristokratie – Hochadel und Gentry – mit ihrem Grundeigentum gemeint246. Als der Freiheit zugrundeliegende Ordnung behielt sie grundsätzlich, bei allen begrifflichen und inhaltlichen Ausweitungen des Eigentumsbegriffs oder der Gesellschaftsvorstellungen, die man sich eben auch nicht zu eindimensional oder semantisch konsequent vorzustellen hat, ihre Bedeutung im konservativen Denken, zumindest als Maßstab. Wenn aber Robert Cecil, in bekannt hochkonservativer Zuspitzung, persönliche Freiheit allein mit dem Besitz von Eigentum in Verbindung 242 243 244
245 246
BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560, hier 554. Adresse Bulwer-Lyttons, in: HEREFORD TIMES vom 16. Dezember 1848, zit. nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 91 f. Vgl. etwa Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. Mai 1847, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e, hier nach M&B III, S. 20–22, hier 20 f., oder die Unterhausrede Spooners vom 12. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 481–483, hier 483. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 958. Vgl. dazu auch den Leitartikel in der PRESS vom 23. Juli 1853, Vol. I, Nr. 12, S. 265: „The only basis of a free and genuine aristocracy is to be found in its possession. Upon the maintenance of such an aristocracy, fed continually by the accumulated wealth and distinguished abilities of the community, [. . .] the existence of freedom in a European country appears to us to depend. [. . .] The principle of aristocracy has made England a country of the highest class. We owe to it our freedom, our order, our pure religion.“ Vgl. auch, ex negativo, Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 271.
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brachte und an den Besitz des Wahlrechts koppelte247, dann klang hier die klassische Vorstellung der societas civilis als der Gemeinschaft allein der Eigentümer nach, die in dieser Exklusivität spätestens 1867 ihr Ende fand und schon zuvor in dieser unmittelbaren Verbindung von Eigentum und Freiheit eher selten artikuliert wurde. Allerdings wurde „Freiheit“ hinsichtlich ihrer konkreten inhaltlichen Füllung wie auch hinsichtlich ihrer sozialen Verbreitung so gut wie nie wirklich spezifiziert oder definiert; Bulwer-Lyttons Formulierung von der „persönlichen, politischen und geistigen Freiheit“ zählt noch zu den konkretesten Äußerungen. Das Verständnis des Freiheitsbegriffs blieb dem common sense überlassen, der sich nur näherungsweise anhand der (eher angelsächsischen) Unterscheidung von civil und political liberty rekonstruieren läßt. Als politische Freiheit wurde in erster Linie das Wahlrecht und somit aktive Partizipation verstanden, aber auch die virtuelle Vertretung auch der nicht Wahlberechtigten im Parlament, die breiten Möglichkeiten anderweitiger politischer Meinungsäußerung, wie sie etwa die Chartisten genutzt hatten, und die jedermann zugängliche freie Presse gehörten dazu. Gesellschaftliche Freiheit – die Abwesenheit von willkürlichem Zwang und ein gewisses Maß an Rechten – galt grundsätzlich für alle: It is the mainspring of our glorious Constitution that no British subject – no natural-born subject of the Queen – ought to be deprived of the rights enjoyed by his fellow-subjects, unless he has committed some crime, or unless he is excluded by some positive enactment of the Legislature directed against him or against the class to which he belongs.248
In sozialer Hinsicht gewährte in erster Linie Eigentum graduell unterschiedliche Freiheit, aber auch die Partizipation an der durch Eigentum gestifteten politischen Ordnung – auch „deference“ stand in keinem Widerspruch zu Freiheit249 – und „prosperity“. In persönlicher Hinsicht stellte Freiheit aufgrund der Abwesenheit feudaler Eigentumsverhältnisse und Abhängigkeiten ohnehin kein Grundsatzproblem dar. Natürlich war die Freiheit der Aristokratie und der Wahlberechtigten größer als diejenige der Besitzlosen und nicht Wahlberechtigten. Doch auch sie partizipierten an einer weder nur elitären noch egalitären Freiheit, vielmehr gestuften, quali247
248 249
Vgl. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 182; zur Bedeutung des Eigentums und der individuellen Freiheit in diesem Zusammenhang auch Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 218–220. Oberhausrede Lyndhursts vom 31. Mai 1853, zit. nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 452. Vgl. dazu Anm. 54.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
fizierten Freiheiten – von der Sache her ist der Plural angebracht – als einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen innerhalb einer prosperierenden, tradierten und bewährten Sozialordnung. Freiheit in konservativem Verständnis war also erstens qualifiziert und zweitens negativ, im Sinne der Abwesenheit äußeren und insbesondere staatlichen Zwangs250. So wurde mehr als das Eigentum ein anderer Aspekt der societas civilis betont, der zwar mit dem Landbesitz und der ländlichen Sozialordnung eng zusammenhing, aber darüber hinaus seinen eigenen Stellenwert besaß: die lokale Selbstverwaltung251 und somit die Unabhängigkeit der räumlich begrenzten gesellschaftlichen Einheiten und Sozialverbände von einem zentralisierten Staat. Dies unterschied das angelsächsische Freiheitsverständnis (und nicht nur das konservative) von einem eher etatistisch orientierten kontinentalen252, wie es etwa in Hardenbergs „Konzept einer wohlwollenden Beamtendiktatur“253 aufschien und vor allem in Hegels Lehre vom Staat seinen Ausdruck fand. So sahen es auch die Konservativen selbst: die englischen Freiheiten als nationale Tradition und Besonderheit gegenüber fremden abstrakten Theorien und als Grund für nationalen Stolz. In Disraelis Worten: It is the boast of England that though our government is weak our society is strong. [. . .] The consequence of having a strong society is, that you have a local government and public liberty. You have that national character, which is the peculiarity of England, and which is a consequence of local government and public liberty.254
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Zur Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit vgl. ISAIAH BERLIN, Two Concepts of Liberty. An Inaugural Lecture delivered before the University of Oxford on 31 October 1958, Oxford 1958, auch in: ISAIAH BERLIN, Four Essays on Liberty, Oxford 1969, S. 118–172. Vgl. auch Cecil, Provincial Liberties in France, in: SR XII, Nr. 320 (14. Dezember 1861), S. 618 f., hier 618 („The only possible basis for a secure and progressive freedom lies in that very local autonomy to which the [French; AR] Revolution was so relentlessly hostile“), und BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559. Vgl. KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1019, und FRITZ STERN, Grundrechte und politische Kultur in der Weimarer Republik, in: Weimar und die deutsche Verfassung. Geschichte und Aktualität von 1919, hg. im Auftrag der Deutschen Nationalstiftung von ANDREAS RÖDDER, Stuttgart 1999, S. 117–124, hier 118–120. THOMAS STAMM-KUHLMANN, Einleitung zu: Karl August von Hardenberg 1750–1822. Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen, hg. und eingel. von T.S.-K., München 2000, S. 51. Unterhausrede Disraelis vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298; vgl. auch BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559, hier in pointierter Verbindung mit der ländlich-aristokratischen Ordnung und Elite: „Among the gentry the squire of comparatively small possessions can become a leading power in his county, according to the energy and talent he displays as a magistrate, an agricultural improver, a promoter, as landlord or philanthropist, of the general
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Von hier aus war es nicht weit zur von Bulwer-Lytton auch explizierten, aber ansonsten in den erhobenen Meinungsäußerungen nicht typischen und eher in Bulwer-Lyttons persönlichem Patriotismus verankerten Bindung der Freiheit an die (englische) Nation255. Wichtiger war die Bindung des Freiheitsbegriffs, analog zur societas civilis, an geistige und moralische Qualitäten: an politische Pflichten und individuelle Verantwortung, an intellektuelle Einsichtsfähigkeit – dies waren Kriterien eines eher sozial elitären Freiheitsbegriffs –, an moralische und soziale Zwecke sowie, selten ausgesprochen, aber im Hintergrund präsent, an die Religion256. Eine solche Freiheit war zugleich wesentlich an Mäßigung257 und an Beschränkung gebunden. Denn der Einzelne besitze, so Robert Cecil unter semantischer Umdeutung radikalen Vokabulars im Stile Edmund Burkes, die zwei Naturrechte der „free control either of his own body or of his own property“. Um diese Rechte zu schützen, müsse der Staat sie zugleich einschränken und den Einzelnen vor mehr „interference than is indispensably necessary to protect the freedom of his neighbours“ schützen. In dieser möglichsten Abwesenheit staatlicher Einwirkung liege die Bedeutung der Freiheit258. Die Radikalen hingegen, so Cecil, folgten statt einem solchermaßen nüchternen (und dabei eher liberalen) Konzept kritiklos dem Ideal
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good. [. . .] Thus the genius of aristocracy has become interwoven with the English character, and if it were ejected from the constitution it would be a violence to the organic life of the nation.“ Vgl. dazu auch BLAKE, Disraeli, S. 281–283. Vgl. BULWER-LYTTON, Letters to John Bull (1851), S. 14 f. (Letter I): „I learned to connect it [liberty; AR] inseperably with love of country; and it would really seem if a new school had arisen, which identifies the passion for freedom with scornful indifference for England. And when, in a popular Meeting [. . . der Anti Corn Law League; AR] an orator declared, in reference to the defences of the country, that ‚he thought it might be a very good thing for the people if the country were conquered by the foreigner‘; and when that sentiment was received with cheer by the audience, and met with no rebuke from the Paladin of Free Trade seated in the chair, I felt that, however such sentiments might be compatible with Free Trade, in the school in which I learned to glow at the grand word of liberty, they would have been stigmatised as the sentiments of slaves.“ Vgl. G. Smith, Imperialism, in: FM 55, S. 493–506 (Mai 1857), S. 505 f., Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 552, Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 218, Newdegates Unterhausrede vom 18. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1032–1036, hier 1035, und BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559; vgl. auch KISSINGER, Conservative Dilemma, S. 1017. Vgl. Newdegates Rede vor der Rugby and Dunchurch Agricultural Association vom 26. November 1856, hier nach ARNSTEIN, Newdegate, S. 75. Vgl. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 181 (dort das erste Zitat), und Cecil, The United States as an Example, in: QR 117, Nr. 233 (Januar 1865), S. 249–286, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 154 f., das zweite Zitat S. 155.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
einer Freiheit „göttlichen Rechts“; ihre „Pseudo-Religion“ verehre aber nichts anderes als das Recht der Mehrheit und der Masse259. Genau hier lag nach konservativer Auffassung die größte Gefährdung der Freiheit, die sich auf politischer Ebene im Begriff der Demokratie zusammenzog260: in ihrer überzogenen, unterschiedslosen Ausdehnung auf die Massen, nach quantitativen statt qualitativen Kriterien, namentlich durch populistische Tribunen, wie das französische Beispiel nach wie vor mahnend vergegenwärtigte: Freedom has no surety in popular favourites; they may begin as the demagogue – they may end as the tyrant. Freedom has no enemy so fatal as the favourite, who may push its advancement one inch beyond the boundaries of order. [. . .] What killed liberty [in France; AR]? The democracy of large towns, and the terror which that democracy itself had of its own excesses.261
Licentia262, Zügellosigkeit und Willkür, kannte aber bereits die Antike als das Gegenteil der Freiheit. Und am Ende der überzogenen, maßlosen Freiheit standen Anarchie – einmal mehr Crokers Diktum: „mere numbers are mere anarchy“ –, Despotismus und Tyrannis263 anstelle der harmonischen Verbindung von Freiheit und Ordnung. Um sie in konservativem Sinne zu bewahren, sollte diese Freiheit, die Bulwer-Lytton als ererbtes treuhänderisches Eigentum betrachtete, statt dessen „in gradual and harmonious development“ behutsam weiterentwickelt und nicht nach Maßgabe abstrakter Prinzipien mit Absolutheitsanspruch übereilt und maßlos ausgedehnt werden264. Diese organisch gewachsene und tradierte, qualitative Freiheit der Konservativen war wesentlich gebunden an verschiedene andere Faktoren eines gesamten Zusammenhangs und in erster Linie an die Ordnung. Insofern war sie, erstens, spezifisch konservativ. Insofern sich diese Ordnung im konkreten englischen Kontext in der Zivilgesellschaft manifestierte und sich
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Cecil, The United States as an Example, in: QR 117, Nr. 233 (Januar 1865), S. 249–286, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 154 f. Vgl. dazu Kapitel V.4. Unterhausrede Bulwer-Lyttons vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 554. Inglis, Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 98–103, hier 103 („licentiousness“); vgl. dazu auch BLEICKEN U. A., Freiheit, S. 428. Vgl. G. Smith, Imperialism, in: FM 55 (1857), S. 493–506, hier 505, W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 255 f. und 261, und BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559. Vgl. Bulwer-Lyttons Rede vor Studenten der Universität Edinburgh am 18. Januar 1854, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 193–195, hier 194 f., das Zitat 195, seine Äußerung wohl aus dem Jahr 1859, EBD., S. 309 f., hier 310, sowie BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 437.
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somit durch die Abwesenheit staatlicher Autorität und ständischer Bindungen auszeichnete, war sie weniger liberal als, zweitens, spezifisch historisch englisch. Diese konservative und englische Freiheit der englischen Konservativen bestand dabei, ohne dies zu verbalisieren, in der Sache aus einer Vielzahl von abgestuften Freiheiten. Sie ließen sich allerdings, wie etwa im Falle des Wahlrechts, inhaltlich und in ihrer gesellschaftlichen Ausdehnung erweitern und verliehen somit dem Konzept der societas civilis, das mit dieser Ausweitung einerseits an sozialer Distinktion verlor, andererseits integrative Kraft. D)
LOCAL GOVERNMENT VERSUS ZENTRALISIERUNG
A sincere admirer of the principles of self-government, I am strongly opposed to a system of centralization which has of late years been adopted by successive Administrations.265
So wie der Abgeordnete für Carlisle im März 1857 sprachen sich Konservative immer wieder für die Erhaltung der lokalen Autonomie aus. Das zuweilen stereotyp wirkende Bekenntnis besaß nichtsdestoweniger offenbar appellativen Charakter, nicht zuletzt in der Verknüpfung des „Saxon principle of self-government“266 mit der nationalen Besonderheit und den Freiheiten Englands267. So hielten der hochkonservative Cecil, der schillernde Disraeli, der skurrile, zwischen Toryismus und Radikalismus oszillierende Urquhart und der wirtschaftsliberale Economist, um nur wenige zu nennen, gegen „insidious encroachments of a convenient, yet enervating, system of centralisation“268. Dies war kein Stoff für Kontroversen entlang parteipolitischer Grenzen, zumal auf Zentralismus setzende politische Kräfte, 265 266 267
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W.M. Hodgson, Adresse an die Wähler von Carlisle, in: THE TIMES vom 21. März 1857, S. 12a. Unterhausrede Sotheron-Estcourts vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, S. 1574–1577, hier 1576. Vgl. etwa, neben den einschlägigen Äußerungen Disraelis (etwa seine Unterhausrede vom 27. Februar 1861, HANSARD 3/161, Sp. 1039–1045, hier 1045), R. Cecil, Church Rates, in: QR 110, Nr. 220 (Oktober 1861), S. 544–578, hier 565: „The equilibrium which England has constantly maintained between local and central government is one of the chief securities that make us to differ from the nations who are tossing to and fro between despotism and anarchy around us.“ Vgl., neben den in Anm. 258 genannten Belegen, Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. Mai 1847, M&B III, S. 20–22, hier 21 (dort das Zitat), den ECONOMIST vom 10. Juli 1847, S. 780, Urquharts Unterhausrede vom 5. Mai 1848, HANSARD 3/98, S. 712 f., oder Bulwer-Lyttons Rede vor Mitgliedern der Mechanics’ Institution in Leeds am 25. Januar 1854, BULWER-LYTTON, Speeches I, S. 172–189, hier 181 (auszugsweise in LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 198–203, hier 200). Zur Person Urquharts vgl. die Skizze FONTANES vom 14. November 1861, Unechte Korrespondenzen, S. 163–165.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
etwa gar sozialistischer Provenienz, im mittviktorianischen England ohnehin keine Rolle spielten. Zudem kannte das Land keine zentralistisch-anstaltsstaatliche Administration, auch wenn alle kommunalen Vorhaben und Maßnahmen, die Eigentumsrechte berührten, etwa die Erhebung von Steuern und Abgaben oder Enteignungen, per Parlamentsgesetz in Westminster genehmigt werden mußten269. Grundsätzlich bestimmten die alteingesessenen, laikalen lokalen Behörden – die corporations in den Städten, die (Kirchen-)Gemeindeversammlungen (parish vestries) in den ländlichen Gebieten und dazu Hunderte von jeweils ad hoc eingesetzten improvement commissions für einzelne Probleme – auch nach der Kommunalreform (Municipal Corporations Act) von 1835 auf jeweils eigene und somit ganz unterschiedliche Art und Weise das Geschehen vor Ort. Hinzu kamen auf der Ebene der counties die Friedensrichter (justices of the peace) mit ihren rechtsprechenden Funktionen vor allem im Rahmen der quarter oder petty sessions. Zentralstaatliche Einflüsse gingen von gesetzlich vorgeschriebenen Körperschaften wie den poor law boards nach dem Armengesetz von 1834 oder dem 1848 installierten General Board of Health aus. Eine einheitliche und effiziente Kompetenzstruktur besaßen all diese administrativen Institutionen nicht: „School boards, highway boards, burial boards, constabulary boards and poor law unions now bordered and overlapped vestry, borough and parish, justices of the peace and improvement commissions“270. So beklagte auch John Stuart Mill, even in our own government, the least centralized in Europe, the legislative portion at least of the governing body busies itself far too much with local affairs, employing the supreme power of the State in cutting small knots which there ought to be other and better means of untying.271
Träger der „zunehmenden Zentralisierung“ und Widerpart in den Augen der Verfechter des local government war die mit den politischen Antworten auf die soziale Frage im zweiten Quartal des 19. Jahrhunderts gewachsene, wenn auch noch immer höchst rudimentäre und heterogene Sozialbürokratie, „which is in truth absorbing all things into itself“, wie der Economist kritisierte, „and dwarfing down the whole nation to the poor standard of ministerial capacity“272. Dabei wurde der Begriff „government“ zualler-
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Vgl. dazu und zum folgenden Absatz MACDONAGH, Early Victorian Government, S. 121–132, PREST, Locality, S. 1–6, und HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 104–108. MACDONAGH, Early Victorian Government, S. 129. MILL, Representative Government, S. 266. THE ECONOMIST vom 10. Juli 1847, S. 780.
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meist mit der Sache der Bürokratie gleichgesetzt, die englischem Denken zutiefst suspekt war: something connected with passports, a spy system, a bullying gendarmerie, Austrian institutions, and military despotism,
wobei zu befürchten stehe, daß „the people’s servants should become their masters“273. Diese semantische Konnotation des Begriffs „government“ verweist auf die (auch in der eingangs zitierten Äußerung des Abgeordneten Hodgson zum Ausdruck kommende) Furcht vor der von politischen Entscheidungen und Entscheidungsträgern unabhängigen Selbstläufigkeit bürokratischer Zentralisation. Demgegenüber vertraten Konservative, Liberale und Radikale die zivilgesellschaftliche Institution des local government, allerdings in unterschiedlichen Formen. Lokale Autonomie konnte zum einen als zentraler Bestandteil und als Befestigung der hierarchischen ländlich-aristokratischen Sozialordnung angesehen werden, in der privatethisch begründete paternalistische Fürsorge statt staatlicher Sozialverwaltung herrschte und zugleich die traditionellen Einflüsse der ländlichen Eliten dominierten. Das „ideal image of the estate run on paternalist lines, socially protective of tenants and labourers and linked with the agencies of the Church“ speiste etwa George Bentincks „passionate defence of local autonomy“274, und mit mehr oder weniger großem Anteil war dieses ländlich-aristokratische Element der Vorstellung wohl aller Konservativer vom local government beigemischt. Aber nicht nur in solch konkreter sozialstruktureller Festlegung ließ sich eine Politik „against any intermeddling with what we regard as our own affairs“275 betreiben. Denn Probleme vor Ort ließen sich durch dezentrale, lokale Regelungen konkreter und sachbezogener – „the parishioners [. . .] were the best judges of their own wants and interests“276 – und dabei keineswegs ineffizienter lösen. In dieser pragmatisch-administrativen Perspektive war das konservative Eintreten für local government politisch über Parteigrenzen hinweg konsensfähig, wie sich im Zuge der Local Govern-
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„Civil Service Changes“, in: THE PRESS vom 24. Februar 1854, Vol. II, Nr. 43, S. 170. MACINTYRE, Bentinck, S. 160 f.; vgl. auch W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 261: „The real security for order is [. . .] in the rural districts. The gentry combine with the aristocracy to maintain it“ als „counterpoise to revolutionary projects“. W.R. Greg, Scientific versus Amateur Administration, in: QR 127, Nr. 253 (Juli 1869), S. 41–68, hier 42 f. Unterhausrede Sotheron-Estcourts vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, S. 1574–1577, hier 1577; vgl. auch Cecil, Parochial and Paternal Government, in: SR XVI, Nr. 415 (10. Oktober 1863), S. 489 f.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
ment- und Public Health-Gesetzgebung im zweiten Kabinett Derby 1858 zeigte277. Die Public Health Act der Regierung Russell hatte 1848 ein zentrales General Board of Health eingerichtet und in Gemeinden mit einer Sterblichkeit oberhalb einer bestimmten Rate sowie im Falle einer Petition von mindestens einem Zehntel der Steuerzahler die Einführung von (dem General Board untergeordneten) local boards verpflichtend vorgeschrieben. Aufgrund verschiedener Widerstände und Vollzugsprobleme und nach scharfen Auseinandersetzungen insbesondere in London wurde das General Board 1854 als eigenständige Institution geschlossen und behelfsweise als Abteilung in das Innenministerium eingegliedert. Die Regierung Palmerston war dabei, eine Revision der Public Health Act vorzubereiten, als sie 1858 von Derbys zweitem Kabinett abgelöst wurde. Dieses übernahm Palmerstons Entwurf, der bereits von dem etatistischeren whig-peelitischen Ansatz abrückte, wie er nach 1832 vorherrschte. Dennoch ließen sich Differenzen feststellen. So wollte der Präsident des Board of Health das General Board grundsätzlich, wenn auch mit reduzierten Kompetenzen, als Schiedsinstanz beibehalten278. Dem widersprach der radikale Abgeordnete Acton Ayrton im Namen der lokalen Autonomie: The great objection was to a central authority in London, which should control the free action of the inhabitants of the districts, who were vested with only a moderate power to regulate their affairs, in improving the sanitary condition of the people.279
Der liberale Abgeordnete Arthur Elton wiederum hielt dem die Notwendigkeit einer zentralen Instanz entgegen: Though he was a supporter of the principle of local freedom of action, yet he thought there ought to be a power existing somewhere which would set right the wrong-doings of the local authorities, and stir them up when they neglected their duties.280
Läßt sich hier also eine liberale Tendenz zu moderater Zentralisierung und ein radikales Eintreten für kommunale Unabhängigkeit feststellen, so fanden sich die Konservativen in dieser Frage nicht nur generell, sondern kon-
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Vgl. dazu, auch zum folgenden Absatz, MACDONAGH, Early Victorian Government, S. 144–155, und PREST, Locality, S. 24–47. Vgl. die Unterhausrede von William Francis Cowper-Temple vom 10. Dezember 1857, HANSARD 3/148, Sp. 499–502, bes. 499 f. Unterhausrede Ayrtons vom 10. Dezember 1857, HANSARD 3/148, Sp. 501 f. Unterhausrede Eltons vom 10. Dezember 1857, HANSARD 3/148, Sp. 502.
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kret mit ihrer Gesetzesvorlage vom April 1858 an der Seite der Radikalen wieder. Der Gesetzesentwurf der Regierung Derby intendierte vor allem, so stellte ihn Charles Adderley im Parlament vor, „das gesamte System zu dezentralisieren“281. Daher wurde das General Board of Health abgeschafft und mit ihm die verpflichtende Einrichtung lokaler boards in bestimmten Fällen. „A gigantic à la carte menu for the local authorities to choose from“282 stellte den Kommunen nunmehr frei, to constitute local boards through the medium of meetings of owners and ratepayers, two-thirds of whom must consent to the adoption of such a course; it being open to town councils or commissioners, who fairly represented the inhabitants of large towns, to exercise similar powers.
Die neuen ebenso wie die schon bestehenden local boards sollten die größtmöglichen Selbstverwaltungskompetenzen besitzen und nicht länger der Berichtspflicht gegenüber einer zentralen Stelle in London unterliegen283. Denn „it was better to leave localities to settle their own affairs, than to transfer them to a central authority“284. Das Gesetz passierte das Unterhaus ohne Abstimmung und war also politisch nicht kontrovers. Nichtsdestoweniger lassen sich im Eintreten für Freiwilligkeit und Dezentralisierung Ähnlichkeiten zwischen Konservativen und Radikalen, gegenüber einer wenn auch höchst moderaten Tendenz zu Regelung und Zentralisierung auf seiten der Whig-Liberalen, feststellen. Diesen Affinitäten standen zwar unterschiedliche konkrete soziale, aristokratische versus demokratische Füllungen der Idee des local government gegenüber. Aber die Verbindung der Idee des local government mit Freiheit285 und auch mit Verdienst286 ließ bei aller ländlich-aristokratischen Konnota-
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Unterhausrede Adderleys vom 22. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1554–1556, hier 1555. PREST, Liberty, S. 44. Unterhausrede Adderleys vom 22. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1554–1556, hier 1555. Die „Act to amend the Public Health Act, 1848, and to make further Provision for the Local Government of Towns and populous Districts“ in: PUBLIC GENERAL ACTS, 21&22 VICT, 98. Unterhausrede Adderleys vom 30. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 2095. Vgl. Disraelis Unterhausreden vom 27. April 1860 und vom 27. Februar 1861, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298, und HANSARD 3/161, Sp. 1039–1045, hier 1045, sowie Cecil, Provincial Liberties in France, in: SR XII, Nr. 320 (14. Dezember 1861), S. 618 f., hier 618. Vgl. BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240, S. 536–560 (Oktober 1866), hier S. 559, bezogen auf die adlige ländliche Oberschicht: „the system of selfgovernment pervading the whole framework of English life offers in every sphere inducements to the individual to rise in position and influence, and the instinct of an Englishman is trained to aspire by the circumstances around him. [. . .] Among the gentry the squire of comparatively small possessions can become a leading power in his county, according to the energy and talent he displays as a magistrate, an agricultural improver, a promoter, as landlord or philanthropist, of the general good.“
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
tion zugleich die Ausweitungsmöglichkeiten des konservativen Konzepts ersehen. Sowohl die Gestalt der societas civilis als auch ihre Entwicklung im Sinne ihrer sozialen und politischen Erweiterung und Erweiterbarkeit sind das Spezifikum der konservativen Gesellschaftsvorstellung zwischen Protektionismus und Tory Democracy.
6. TENDENZEN UND PERSPEKTIVEN: ZUSAMMENFASSUNG Die Gesellschaftsordnung nach der Vorstellung der englischen Konservativen war erstens im wesentlichen tradiert und organisch, sie war nicht gemacht und auch nicht machbar. Im Einklang mit der natürlichen Ungleichheit der Menschen war sie zweitens hierarchisch gegliedert, und sie war drittens in weitgehend staatsfreien, lokalen Einheiten verfaßt. Ihre Leitung lag, nach dem Muster der klassischen societas civilis, viertens in Händen der ländlich-aristokratischen Grundbesitzer. Aus ihrem Eigentum erwuchsen ihr sozialer Führungsanspruch und zugleich, in untrennbarer Verbindung, die sozialmoralische Verpflichtung auf das Gemeinwohl, das auf originär paternalistische Weise gegenüber den Anempfohlenen wahrgenommen wurde. So war diese Sozialordnung in konservativer Sicht für alle ihre Mitglieder nützlich und, fünftens, sowohl utilitaristisch als auch moralisch qualifiziert, nicht aber egalitär, individualistisch oder partizipatorisch ausgerichtet. Diese so zumindest als Ideal und Anspruch verstandene und auch topisch kommunizierte, genuin vormoderne Ordnung wurde – abgesehen von ihrer (auf den britischen Inseln allerdings moderater als auf dem Kontinent ausgefallenen) Infragestellung durch die Aufklärung – in sozialgeschichtlicher Perspektive durch die mit der Industrialisierung aufgestiegenen städtischwirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten erschüttert. Gerade die Abschaffung der Getreidezölle 1846 wurde vom landed interest solchermaßen als weichenstellende Niederlage empfunden, daß unter den Konservativen mehr als ein Jahrfünft lang nachgerade panische Angst vor einer existentiellen, materiellen Bedrohung umging, die sich allerdings mit der großen viktorianischen Prosperität in den fünfziger Jahren wieder legte, als der befürchtete Niedergang ausblieb. Das Gesellschaftsbild der Konservativen wandelte sich. Der starre Antagonismus der Klassen löste sich, im als solchem wahrgenommenen Klassenkampf trat eine Entspannung ein, die soziale Frage verlor an Sprengkraft, und auch an der rhetorischen Front wurde abgerüstet: Weniger offensiv als
6. Tendenzen und Perspektiven: Zusammenfassung
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zuvor stellten sie die alles überragenden Qualitäten des Landes in sozialökonomischer und sozio-kultureller Hinsicht heraus, und vor allem nahmen sie die offensive Polemik gegenüber „Manchester“ und den „middle classes“ zurück, in denen sie, sozial reduziert auf die industrie-kommerziellen, kapitalistischen neuen Mittelschichten in den Städten, zunächst den leibhaftigen Antichrist erblickt hatten: materialistisch, selbstsüchtig, unmoralisch, sozial zersetzend und politisch revolutionär, und somit im diametralen Gegensatz zum eigenen gesellschaftspolitischen Entwurf. Ohne daß die Vorbehalte gegenüber „Manchester“ und den Mittelschichten vollständig verschwunden wären, vielmehr blieben sie im Grundsatz durchaus bestehen, gewann doch im Zuge der gesellschaftspolitischen Entspannung nach 1852 eine (in der konservativen Idee der organischen Gesellschaft angelegte) eher harmonische Vorstellung von der Kooperation statt der Konfrontation der Klassen die Oberhand, die zu einer größeren Offenheit gegenüber den middle wie auch den working classes führte. Dabei erlebte das gesellschaftspolitische Leitbild der societas civilis eine spezifische Entwicklung in Form einer inhaltlichen und sozialen Erweiterung: ohne das Eigentum als soziales Ordnungsprinzip ganz aufzugeben, wurde die politische Semantik des Begriffs über Grundbesitz hinaus auf mobiles Eigentum ausgedehnt, und darüber hinaus auch auf geistige und moralische Qualifikationen; auch wenn dies in den mittleren sechziger Jahren noch nicht der Mehrheitsmeinung der Konservativen entsprechen mochte, wurde es doch politisch mit der zweiten Wahlrechtsreform durchgesetzt, die zu einer politischen Ausweitung der so verstandenen Eigentümer führte. Insofern insbesondere das Wahlrecht politische Freiheit ausdrückte, wurde auch sie 1867 sozial erheblich ausgeweitet, wenn auch keineswegs egalitär verstanden, während die Substanz des Freiheitsbegriffs erhalten blieb: gestufte und qualifizierte, an Ordnung gebundene Freiheiten, die nicht staatlich, sondern zivilgesellschaftlich realisiert wurden. Dieser Vorzug der starken Zivilgesellschaft gegenüber einem möglichst dezentralen, schlanken Staat schlug sich auch in der steten Betonung des local government nieder, das zwar ursprünglich an die ländlich-aristokratische Sozialordnung gebunden war, sich aber, und das gilt für die gesamte societas civilis, über die soziale Festlegung auf den Adel hinaus erweitern ließ287. Mit dieser zentralen Annahme der Erweiterbarkeit und Erweiterung des Konzepts der societas civilis überschreitet diese Interpretation die Deutung von Panajotis Kondylis, an deren fundamentale Identifizierung der societas
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Vgl. dazu ähnlich, aber nur kursorisch, WHITE, Conservative Tradition, S. 13–18.
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IV. Gesellschaft und Wirtschaft
civilis als Spezifikum des Konservatismus sie, zumindest in gesellschaftspolitischer Hinsicht, grundsätzlich anschließt. Sie geht aber über deren konkrete sozialgeschichtliche Verortung des Konservatismus im frühneuzeitlichen Adel als exklusiver Trägerschicht hinaus. Denn allein in historisch-pragmatischer Hinsicht ist festzustellen, daß „Konservatismus“ gerade in England seine soziale Verbindung mit dem Adel ja nicht nur als leere begriffliche Hülle weit überlebt hat. Die bei Kondylis angelegte, letztlich ahistorische Sonderung von Sache und Begriff (Konservatismus als Sache vor dem Begriff und als Begriff nach der Sache, mit nur einer relativ geringen zeitlichen Schnittmenge) wird hier durch die Annahme der Wandelbarkeit des Spezifikums überwunden, Begriff und historische Phänomene des Konservatismus lassen sich somit vereinbaren. Denn diese Ausweitung der klassischen Vorstellung der societas civilis war zwar mit einem Verlust an sozialer Distinktion verbunden, der sie in die Nähe des Stereotyps oder des Topos rückt; der Erweiterung der societas civilis über die ländlich-aristokratischen Grundbesitzer hinaus betraf keineswegs nur Akzidentien des Konzepts, sondern durchaus seine Substanz. Aber zugleich blieben doch die anderen konstitutiven Elemente in Geltung – die tradierte und organische sowie die hierarchische Gestalt, die zivilgesellschaftlich-lokale Verortung und die utilitaristische und zugleich sozialmoralische Qualifikation der Gesellschaft – und damit auch das Konzept an sich. So erwies sich die societas civilis als immanent erweiterbarer Entwurf mit integrativer Kraft, weil er eben nicht sozio-ökonomisch exklusiv festgelegt war, wie sich gerade 1867 zeigte. In diesem Sinnzusammenhang sind auch Disraelis Topoi der „territorial constitution“, des „aristocratic principle“ und vor allem der „national party“ zu verstehen, wobei außer Frage stand, daß der Adel seine herausragende soziale und politische Stellung behalten sollte. Gerade Disraeli vermochte auf diese Weise, ohne den Sachverhalt in der hier vorgetragenen Weise zu artikulieren und in dieser Form wohl auch zu reflektieren, auf den allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozeß von konservativer Seite her politisch aktiv einzuwirken. Ob dieses gesellschaftspolitische Konzept der wandelbaren und integrativen societas civilis letztlich als Erfolgsrezept der konservativen politischen Dominanz seit 1874 anzusehen ist, mag einstweilen dahingestellt bleiben und wird sich auch mit letzter Sicherheit weder behaupten noch widerlegen lassen. Wichtig war für Disraeli nach 1852 in diesem Zusammenhang auch viel mehr, daß die gesellschaftspolitische Entspannung die Möglichkeit eröffnete, den Schwerpunkt der Auseinandersetzung von der sozio-ökonomischen auf die politische Ebene zu verlagern. Denn dort waren die Handlungsspielräume größer, und dort konnten die Konservativen als klassische
6. Tendenzen und Perspektiven: Zusammenfassung
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Verfassungspartei (und eben nicht als soziale und ökonomische Reformpartei) den Radikalismus auf seiner eigenen Domäne stellen. In der Parlamentsreformfrage flossen die gesellschaflichen und politischen Vorstellungen der Konservativen, flossen policy und politics zusammen.
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1. Staat und Verfassung
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V. STAAT UND POLITIK 1. STAAT UND VERFASSUNG Im Gegensatz zum Kontinent besaß England keine anstaltsstaatliche Tradition absolutistischen Ursprungs. Konservatives Staatsverständnis im England des Industriezeitalters stand daher vor der Alternative eines Primats der vormodernen Staatsfreiheit oder aber der Funktion des Staates als Hüter der Ordnung und der gesellschaftlichen Harmonie, etwa durch paternalistisch inspirierte Sozialgesetzgebung (wie den Fabrikgesetzen) gegenüber dem Wirtschaftsliberalismus1. Charakteristischerweise und auch typisch für englische Verhältnisse allgemein2 kam der Staat an sich im Sinne einer umfassenden, abstrakten Kategorie im politischen Denken der Konservativen kaum zum Zuge. Ebenso wie an systematischen Reflexionen, auch über seine Legitimität und Genese, ermangelte es den Konservativen – ohne daß sie dies als Mangel empfunden hätten – an einem klaren Begriff vom Staat. State wurde allgemein eher als Synonym für Bürokratie und Zentralisierung verstanden – „a master called ‚the State‘ who shall interfere in and regulate everything“3 –, und autogene staatliche Aktivität wurde mißtrauisch beäugt4. Solche Probleme standen im Zusammenhang des Berichtes über den Staatsdienst zur Debatte, den Stafford Northcote und Charles Trevelyan Ende 1853 vorlegten5. Um die verbreitete Patronage zurückzudrängen, Qualität und Effizienz zu steigern und „men of the highest abilities“ in die führenden Positionen zu bringen, sollten der Staatsdienst geöffnet und anhand von „open competition“ vor allem in Form standardisierter Eingangsprüfungen das Leistungsprinzip eingeführt werden. Auf konservativer Seite
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Vgl. dazu BARKER, Political Thought, S. 37 und 39, GLICKMAN, Toryness, S. 131 f. und 134, und METZ, Social Chain, S. 175 f. Zur Rolle und Bedeutung des Staates im mittviktorianischen England vgl. allgemein HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 91–124. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 13: „The state does not exist in British political thought.“ Tagebucheintrag Stanleys vom 18. September 1865, STANLEY JOURNALS, S. 235 f., hier 236. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 10. Mai 1866, EBD., S. 252: „Railway commission: examined Chadwick, who stated and tried to defend his favourite principle that the State can and should undertake all the functions which it can possibly get into its hands. Paradoxical, but suggestive. I fear this is to some extent a growing theory – that more and more people are disposed to take the Continental view of government, the ultimate result of which is socialism.“ Vgl. PARLIAMENTARY PAPERS 1854/XXVII, S. 367–376, auch in EHD XII(1), 173/567–574 (dort S. 570 das folgende Zitat); zum Civil Service vgl. auch MACDONAGH, Early Victorian Government, S. 197–213, zum Northcote-Trevelyan-Report S. 205–207.
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erkannte Disraeli, daß „administrative reform“ einen Hebel für unverfängliche eigene politische Initiativen biete6. So ersann er einen eigenen Reformvorschlag, der (nicht näher bestimmte) Anreize für den Staatsdienst nicht in Form materieller Vorteile, sondern von Prestige, die Abschaffung von Sinekuren und eine Professionalisierung der Rekrutierung durch eine Auswahlprüfung vorsah7. Allein in letzterem Punkt erkannte Stanley eine wirkliche Neuerung in Disraelis Plan, den er ansonsten für „desirable, but not important“ und vor allem für vollkommen öffentlichkeitsunwirksam hielt8 und der daher auch bald wieder in der Versenkung verschwand. In der Tat standen die Anfänge einer Reform des Staatsdienstes, die erst in Gladstones Reformkabinett 1870 an Fahrt gewann, keineswegs im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit, und die unterschiedlichen Reaktionen auf den Northcote-Trevelyan-Report sowie die Ergebnisse der daraufhin 1855 eingesetzten Civil Service Commission, die am 24. April 1856 im Unterhaus eher knapp und wenig energisch diskutiert wurden, waren auch nicht entlang parteipolitischer Grenzen kontrovers. Während Gladstone einem starken Staatsdienst sein Vertrauen aussprach9, setzte sich Northcote einmal mehr für Auswahlprüfungen und Leistungsprinzip ein10, womit er bei dem Liberalen Viscount Goderich11 ebenso wie, außerhalb des Parlaments, dem Konservativen William Rose12 Zustimmung fand. Doch herrschte auf konservativer Seite, unter den eher wenigen Wortmeldungen, Skepsis vor. Der Abgeordnete für Haverfordwest bezweifelte, daß sich Qualifikation und Leistung durch einen standardisierten einmaligen Test erfassen ließen13; selbst Palmerstons Schatzkanzler George Cornewall Lewis hielt der „open competition“ mangelnde Effizienzsteigerung, eine
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Vgl. Disraeli an Derby, 28. Oktober 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2431/175, und Disraeli an Stanley, 18. Dezember 1855, EBD., 2804/460. Vgl. dazu den Artikel „Mr. Disraeli and Administrative Refom“, in: THE PRESS vom 23. Juni 1855, Vol. III, Nr. 112, S. 582 f., sowie Disraelis Memoranden vom Dezember (ohne nähere Datierung) und insbesondere vom 26. Dezember 1855, DISRAELI LETTERS VI, Appendix IV/546–555 und Appendix VI/557–561. Stanley an Derby, 8. Januar 1856, M&B IV, S. 41; vgl. auch Stanley an Disraeli, 26. Dezember 1855, DISRAELI LETTERS VI, Appendix V/556, sowie Stanley an Derby, 5. Januar 1856, M&B IV, S. 40 f. Vgl. Gladstones Unterhausrede vom 24. April 1856, HANSARD 3/141, Sp. 1421–1428, hier 1423. Vgl. Northcotes Unterhausrede vom 24. April 1856, EBD., Sp. 1408–1413, hier 1409. Vgl. Goderichs Unterhausrede vom 24. April 1856, EBD., Sp. 1401–1408, hier 1402–1404. Vgl. Roses Adresse an die Wähler von Newport vom 19. März 1857, in: THE TIMES vom 23. März 1857, S. 5c. Vgl. Philips’ Unterhausrede vom 24. April 1856, HANSARD 3/141, Sp. 1433 f.
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Tendenz zur Zentralisierung und Traditionslosigkeit vor14. Wenn auch auf konservativer Seite Mängel in der Einstellungspraxis und Defizite von Patronage zugestanden wurden, so galt doch ein standardisiertes, allgemeingültiges Verfahren als den unterschiedlichen konkreten Anforderungsprofilen unangemessen, bürokratisch übertrieben und unenglisch15. Cecil sah in strikter Ergebnisorientierung und rückhaltlosem Realismus – „Sir Robert Walpole’s bribery saved his country; Necker’s purity ruined his“ – die Gefahr von „over-educated clerks“ und „clever men of dissipated habits and of ruined character“. Statt dessen schlug er, wie schon William Aytoun in Blackwood’s Magazine, ein vertrautes Verfahren vor: there is no other way of detecting the qualities which go to make an efficient civil servant than which men employ to find out a good butler or a good cook. [.. .] Even the Directors of Companies [. . .] have found the system of simple nomination perfectly efficient. They use their own judgement in the choice of a servant, or they rely on the judgement of subordinates or friends.16
So standen sich in diesen Fragen des Staatsdienstes klassischer aristokratischer Paternalismus und eine aufkommende Leistungsorientierung samt sozialer Öffnung vor allem zugunsten der Mittelschichten gegenüber. Doch mangels politischen Entscheidungsbedarfs kamen solche zudem nicht parteipolitisch festgelegten Differenzen nicht zum konkreten Austrag. Auf den Staat selbst bezogen, läßt sich feststellen, daß er im mittviktorianischen konservativen Denken keine eigenständige Größe eigener Dignität und Legitimität darstellte, sondern eine abgleitete Größe der Gesellschaft, von der er nicht zu trennen war, wie es sich auch sprachlich in der Gleichsetzung von Staats- und Gesellschaftsform bei Henry Drummond und schon früher bei Edmund Burke niederschlug17. Vorrang besaß dabei eindeutig die staatsfreie, privatethisch motivierte Zivilgesellschaft18 mit ihrem local government, „the foundation on which our constitution rests“19. Ihre
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Vgl. Lewis’ Unterhausrede vom 24. April 1856, EBD., Sp. 1413–1421, bes. 1413 und 1419 f. Vgl. den Artikel „Civil Service Changes“ in: THE PRESS vom 25. Februar 1854, Vol. II, Nr. 43, S. 170, und W.E. Aytoun, Administrative Reform – The Civil Service, in: BM 78, S. 116–134 (Juli 1855), hier S. 125 f., 129 und 133. R. Cecil, Competitive Examinations, in: QR 108, Nr. 216 (Oktober 1860), S. 568–605, hier 569–571, 573 f., 598–600 und 605, die Zitate S. 573, 598 und 574; vgl. auch Aytoun, Administrative Reform – The Civil Service, in: BM 78, S. 116–134 (Juli 1855), hier S. 131. Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 10 („A monarchy is a state of society in which [. . .]; a democracy is a state of society in which [. . .]“; Kursiva vom Verf.); vgl. auch die synonyme Verwendung von „society“ und „state“ bei BURKE, Reflections, S. 146 f.; vgl. auch VIERHAUS, Conservatism, S. 479. Vgl. dazu Kapitel IV.5.d) und MACINTYRE, Bentinck, S. 160 f. Robert Cecil, Church Rates, in: QR 110, Nr. 220 (Oktober 1861), S. 544–578, hier 565.
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Autonomie war gegen zentralstaatliche Eingriffe zu schützen und sollte sogar den tradierten und gerade von den Konservativen verteidigten Institutionen entzogen bleiben, wie Lord Lyndhurst zuspitzte: the principle upon which I proceed – the old Constitutional principle – is, that I will give the Crown no power that is capable of being abused, unless some great and overruling necessity can be shown to exist. I look with all Constitutional jealousy, and not with confidence, to those who are the depositaries of power. [. . .] Jealousy, and not confidence, is the eternal governing principle of the British constitution.20
Der Zweck des Staates, dessen konkrete Form dem jeweiligen historischen Kontext überlassen blieb und der darum in England mit um so größerer Verbindlichkeit auf die konstitutionelle Monarchie festgelegt war21, lag in Burkes Augen in seiner (durch Erfahrung erkennbaren) Nützlichkeit22. Konkret bedeutete dies für Robert Cecil, der einmal mehr als einer der wenigen solche Fragen erörterte, den Schutz und die Wahrung des Lebens und des Eigentums, wobei er den Staat in einem seiner ersten größeren Essays mit einer Aktiengesellschaft verglich: The State is a joint-stock company to all intents and purposes. It is the combination of a vast number of men for well-defined objects – the preservation of life and property.23
Entsprach diese doch überraschend nüchterne und mechanische Metapher dennoch grundsätzlich der konservativen Distanz zum Staat, ergänzte Cecil sie um eine abermals erstaunliche (und im Bild kaum mehr stimmige) emotionale Komponente, die an Burkes antirationalistischen Sensualismus anknüpfte. Der Staat sei, so schrieb er sechs Jahre später, doch mehr als a Joint-stock Company for the preservation of life and property [. . .;] there are sentiments and emotions attaching to the idea of a State which have nothing commercial in their nature. [. . .] it is the object of emotions far higher than self-interest. [. . .] But this sentimental aspect is not one in which our advanced school of Reformers have to look at it. Their efforts are unceasingly directed to the task of stripping off these poetical trappings. They tell us that these follies are the heritage of darker times; that it is a delusion to give a personality to the State; to attribute to it moral duties, or to
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Oberhausrede Lyndhursts vom 22. Februar 1856, zit. nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 456 Anm. 1. Vgl. BURKE, Reflections, S. 174; vgl. auch BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 430, 433 und 436 f. Vgl. BURKE, Reflections, S. 109–111 und 220. R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 63. Vgl. auch PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 153, dessen Unterscheidung Cecils von Burke hinsichtlich der Legitimation des Staates allerdings gerade nicht zutrifft; vielmehr stimmten beide hier substantiell überein.
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employ its powers for the gratification of lofty aims and feelings. Their constant struggle is to present it nakedly as a Joint-stock Company for the preservation of life and property [. . .]. That is purely a strife for material advantages. It is only as an instrument for dealing with property that the agitators desire to obtain for the lower classes greater influence in the Legislature.24
Die polemische Wendung gegen die Radikalen mag diese argumentative Widersprüchlichkeit zu einem Teil erklären, darüber hinaus aber eine wohl andere Konnotation von Staat. Denn anders als in seinem zuerst zitierten Oxford Essay von 1858 waren hier in erster Linie die bestehenden Institutionen des Landes gemeint – der Staat wurde, wenn überhaupt, konkret und nicht abstrakt gedacht –, und die Argumentation folgt im Grunde dem Konzept der societas civilis. So verweist die begriffliche Unschärfe auf das englische und insbesondere konservative Spezifikum, daß Staat, Verfassung, politisches System und Gesellschaft in engster Verbindung standen und die Institutionen vorrangig aus der Perspektive der Gesellschaft diskutiert wurden. Die Dominanz der Zivilgesellschaft gegenüber einem wenig ausgeprägten Staat im Grundsatz war dabei über die politischen Lager hinweg, wenn auch mit spezifisch unterschiedlichen Begründungen, kein zentraler Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Kontroversen wurden nicht um den Staat bzw. die Staatlichkeit an sich geführt, sondern um die Verfassung, im Sinne der Verfassungswirklichkeit der gesellschaftlich verankerten Institutionen des Landes. His principles were devotion to the altar, loyalty to the throne, and upholding of the constitution in church and state.25 They looked upon that constitution as an ancient and venerable fabric, which sometimes might require repair, and sometimes even enlargement, to accomodate itself to the wants of its owners.26 It has ever been my conviction that, inasmuch as the Constitution of this country is not merely a mechanism but an organism – it is the growth of the disposition, of the talents, of the will, and of the qualifications of the people of this country for centuries – that its leading features should be preserved in any change that is made for those that are but the sons of yourself, who are the sons of your forefathers, and that the leading features of our Constitution should be preserved, although the minor details and the application of the principles which those features express, may undergo adaptation from
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R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, das Zitat S. 184. Edmund Filmer, Adresse an die Wähler von West Kent vom 3. August 1847, in: THE TIMES, 4. August 1847, S. 3c. Frederick Thesiger, Adresse an die Wähler von Stamford vom 27. März 1857, in: THE TIMES vom 28. März 1857, S. 7e/f, hier 7e.
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time to time, in order to enable this country to steer its course in the intellectual ocean which is formed by the combined intellect of mankind.27
So lauteten drei typische konservative Wahladressen aus den Jahren 1847, 1857 und 1868 mit dem topischen Bekenntnis zur Wahrung und Erhaltung der Verfassung und der Institutionen des Landes, namentlich der Monarchie, des Ober- und des Unterhauses sowie der Staatskirche28. Nicht nur in konservativen Augen lag der zentrale Vorzug der Verfassung nach aristotelischem Vorbild in ihrem gemischten Charakter, that balance between the various parts of our constitutional system – a monarchy limited, an aristocracy tempered, a House of Commons not altogether democratic.29
Diese „ancient, free, and glorious Constitution of England“30 begründete die schon von Burke formulierte harmonische Einheit der Ordnung31 konservativer Vorstellung, die nicht zuletzt das Wohlergehen der Menschen gewährleiste: I would maintain that constitution, not merely because it has secured to us the benignant sway of an ancient monarchy, mitigated in its operation by its co-ordinate authority of popular estates – not merely because it has planted English liberty broadly and deeply in the land, and not made it a thing dependent on the breath of an individual, or the caprice or passion of some great city – not merely because it has secured to us the due administration of justice, safety of person, respect for property [. . .] – but I would maintain that constitution because I firmly believe that, of all existing polities, it is that system which most tends to secure the happiness and elevate the condition of the great body of the people.32
Ganz offenkundig also pflegten die Konservativen ein idealisiertes Bild von ihrer Verfassung, doch bezog sich dieses Ideal nicht nur auf eine wo auch 27 28
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Charles Newdegate, Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 4. November 1868, in: THE TIMES vom 6. November 1868, S. 7f/8a, hier 7 f. Vgl. etwa auch die Adresse von H. Halford an die Wähler von South Leicestershire vom 4. August 1847, in: THE TIMES vom 5. August 1847, S. 2d/e, hier 2d („his attachment to the ancient institutions of the country, and to the Protestant Church in England and Ireland, had not abated one jot since he first became their representative“ [i.e. 1832]), oder Derbys Oberhausrede vom 15. März 1852, HANSARD 3/119, Sp. 1010, über seine Regierung als „a government which is exerting itself to [. . .] maintain and uphold the Protestant institutions of the country [. . .] and to preserve inviolate the prerogatives of the Crown, the rights of your Lordships’ house, and the liberties of a freely elected and freely represented House of Commons.“ Regierungserklärung Derbys vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 744; vgl. auch Cecils Adresse an die Wähler von Stamford, vor dem 22. August 1853, PULLING, Life of Salisbury I, S. 8–10, hier 9: „the balance of reciprocal powers on which the stability of our constitution rests“. J.W. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 310 f. Vgl. BURKE, Reflections, S. 83 f. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 966.
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immer verortete, bessere Vergangenheit, sondern grundsätzlich auf die Gegenwart, auf den konstitutionellen Status quo, wie sich etwa in der (trotz aller Krisenszenarien und Untergangsvisionen) immer wieder gebrauchten Formulierung von der „Aufrechterhaltung der Balance“ zeigte. Die ungeschriebene Verfassung, die auch nach zeitgenössischem Selbstverständnis nicht nur auf Gesetzesakten, sondern auf Präzedenz, Praxis und Gewohnheit beruhte33, sei durch „long, constant, immemorial usage“ hindurch tradiert worden und gewachsen, „founded on reason, justified by experience, and confirmed by enjoyment“34. Durch die „Akkumulation der Jahrhunderte“ habe sie ihre eigene, englische Ausprägung einer konstitutionellen Monarchie gewonnen, die Ordnung und Freiheit vereinte35 und deren „Widersprüchlichkeiten und Anomalien“ gerade ihre Anpassung an die Bedürfnisse der Menschen und somit ihre substantielle Nützlichkeit dokumentierten36. Solcherart organische Tradition verkörperte die konservative Vorstellung der Verbindung von Ordnung und Fortschritt, safe and steady progress, strengthening, rather than subverting, the institutions of the country, and maintaining that balance between the various parts of our constitutional system – a monarchy limited, an aristocracy tempered, a House of Commons not altogether democratic – the consequence of which has been a progressive improvement in our legislation according with the temper and character of the times.37
Diametral stand diese Auffassung, entsprechend der grundsätzlichen epistemologischen Gegensätzlichkeit von konservativem und radikalem politischem Denken38, einem mechanischen Verfassungsverständnis entgegen, wie es etwa der Radikale Joseph Hume artikulierte39, und das, so Cecils repräsentative Wahrnehmung, abstrakte, symmetrische Theorie an die Stelle
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Vgl. Stanleys Rede in Liverpool vom 23. Oktober 1862, DERBY, Speeches I, S. 46–50, hier 48. Walpole, Parliamentary Reform, or The Three Bills and Mr. Bright’s Schedules, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 545 f. Vgl. BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 429 f. (das Zitat S. 429), sowie England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 543, 554 und 560; vgl. auch Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 18. Juni 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2317/82 f., Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 556, und R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 187 f. R. Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 54. Oberhausrede Derbys vom 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 744. Vgl. dazu Kapitel II, bes. II.2. Vgl. Humes Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 879–906, hier 882 f.; vgl. demgegenüber Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 546 („In these days the House of Commons is too much regarded as a mere machine for making laws“).
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von organischer, erfahrungsbewährter Tradition setzte40. Vom politischen Radikalismus ging in konservativen Augen die entscheidende Bedrohung der überlieferten Verfassung aus, deren Idealisierung ebenso wie die eng damit verbundene Gesellschaftsvorstellung nicht zuletzt aus ebendieser Defensive heraus konzeptualisiert wurde. Insbesondere in den Jahren nach 1846 grassierte unter den Konservativen, keineswegs nur bei dem hier zitierten notorischen Pessimisten Croker, die bereits in der sozialen Auseinandersetzung mit den Mittelschichten beobachtete Weltuntergangsstimmung41, die zumindest für einige Jahre mit der eben beschriebenen Zufriedenheit mit dem Status quo konfligierte (wobei sowohl dem Ideal der guten Verfassung als auch dem Untergangsszenario etwas Topisches anhaftete). Nun schienen sich in aller Deutlichkeit die verhängnisvollen Folgen der Reform von 1832 zu erweisen, „in which [. . .] numbers were introduced as the ruling principle of representation“42. Der Abwärtstrend sei bestenfalls zu verzögern, aber nicht mehr zu stoppen: You may postpone the catastrophe, and save us from immediate revolution, but you cannot save us from the ultimate and irresistible effects of the Reform Bill [;.. .] die this Constitution will and must.43
Doch andererseits erkannte etwa Spencer Walpole die erste Wahlrechtsreform als prinzipiell systemimmanente Veränderung an, so daß auch die seinerzeit so scharf bekämpfte (und offiziell bereits 1834 von den Konservativen anerkannte) Reform von 1832 im Kampf um die bestehende Verfassung nolens volens in den Bestand der zu bewahrenden Tradition integriert wurde44. Im Zuge der gesellschaftspolitischen Entspannung nach 1852 artikulierte denn auch Disraeli bereits 1853 Optimismus hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Verfassung, die vor allem durch das spezifisch mittviktoria40
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R. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 188; vgl. auch Walpoles Charakterisierung der Reformer um Hume, Roebuck, Cobden und Bright, die mit der Vergangenheit brächen und auf der Basis von „arithmetical calculation“, des „principle of mere numbers“ und „mere theory, partly founded on inventions of their own, and partly drawn from the other side of the Atlantic“ operierten, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 556 f. Vgl. dazu Kapitel IX. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 288. Croker an Derby, 11. August 1852, CROKER PAPERS III, S. 258, vgl. auch Stanley an Croker, 18. August 1850, EBD. III, S. 219–221, hier 221, Stanleys Tagebucheintrag vom 21. Dezember 1852 über ein Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94, sowie Croker an Brougham, 21. Juli 1854, CROKER PAPERS III, S. 340 f. Vgl. etwa Walpoles Unterhausrede vom 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 659–666, hier 665 („the highest Tory would now adhere to the Reform Bill of 1832“), sowie Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 551 und 553 f.
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nische politische System des parliamentary government gewährleistet werde45, das die politische Legitimität und Souveränität in erster Linie im Parlament und (im Gegensatz zu Peel) nicht bei der Krone oder (im Gegensatz zu den Radikalen) im (Wahl-) Volk verortete. The Constitution of this country is a Monarchy, modified in its action by the coordinate authority of Estates of the Realm. An Estate is a political order invested with privilege for a public purpose. There are three Estates – the Lords Spiritual, the Lords Temporal, and the Commons.46
So beschrieb Disraeli das Gefüge von Monarchie und beiden Kammern des Parlaments. Ganz außerhalb jeden Zweifels stand die nicht weiter begründungspflichtige und daher auch nie eigens rechtfertigte „glühende Loyalität“47 der Konservativen zur Monarchie als Institution, als Identifikationsfaktor und Garant der politischen und sozialen Ordnung und als Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche. So sehr sie die Dignität der Monarchie betonten, so wenig allerdings erachteten sie die Krone als zentralen politischen Machtfaktor innerhalb des politischen Systems. Hatte noch Peel die Regierung in erster Linie als exekutiven Arm der Krone aufgefaßt, so war eine solche Haltung nach 1846 auf konservativer Seite höchstens noch in Ausnahmefällen anzutreffen48. Die Regierung ging auch nach konservativem Verständnis faktisch aus dem Parlament und namentlich aus dem Unterhaus hervor und war von ihm abhängig. Ohne daß die Tories wirkliche verfassungsrechtliche oder -theoretische Reflexionen angestellt hätten, stand die Anerkennung des Parlaments und insbesondere des Unterhauses, der „Estates“ also und vor allem des dritten, als Zentrum der politischen Souveränität außer Frage, und so ist Disraelis eher zurückhaltende Formulierung von der „Modifikation“ der Monarchie realiter zu verstehen. Die nicht gewählte Kammer der Lords stellte das Refugium der territorialen Magnaten dar, denen der zunehmende „politische Massenmarkt“ (Hans Rosenberg) nicht zuzumuten sei49. Sie verkörperte somit im Grunde die
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Vgl. Disraelis Leitartikel „Coalition“ in der ersten Ausgabe der PRESS am 7. Mai 1853, S. 1. Zum „parliamentary government“ und zum mittviktorianischen politischen System vgl. HAWKINS, Party Politics, S. 9–46, sowie Kapitel I.3.c). Disraeli an Malmesbury, 10. Juli 1867, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 371 f., hier 371. Northcote, Adresse an die Wähler von Exeter, vor 4. Mai 1852, LANG, Life of Northcote I, S. 97–99, hier 97. Vgl. HAWKINS, Party Politics, S. 18–20 und 30–35, Parliamentary Government, S. 647 f. und 652–655, sowie Derby and Victorian Conservatism, S. 282 und 285. Als Ausnahme vgl. W.E. Aytoun, The Manchester Movement, in: BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852), hier S. 765. Vgl. W. Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209, S. 255–274, hier 262: „those high functionaries whom it would be unseemly to expose to the turbulence of an election, as well as for those
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societas civilis in ihrer klassischen Form (wobei ausgerechnet Robert Cecil ihre Erweiterung um andere als grundbesitzende Großeigentümer befürwortete50). So lag es nahe, daß den Lords von konservativer Seite ein besonders hohes Maß an Bildung im umfassenden sozialmoralischen Sinne des Wortes education, an materieller, persönlicher und politischer Unabhängigkeit und somit an Gemeinwohlorientierung attestiert wurde51. Die verfassungsmäßige politische Funktion des Oberhauses lag für die Konservativen in allererster Linie in einem besonnenen Gegengewicht gegen überhastete Mehrheitsentscheidungen des Unterhauses. So beschrieb Lyndhurst die Pflicht des Oberhauses: to mature all plans of sound legislation – to serve as a check against the rash, hasty, and unwise proceedings of the other House, and to give time for consideration, and even for the abandonment of improper measures.
Sollte es dieser Auffassung zufolge auch keine dauerhafte Barriere gegen „sound and progressive legislation“ bilden52, so doch gegen die vordringende Demokratie53. Und Cecil baute seine Vorstellung von der Funktion des House of Lords dahingehend und gegen die Lehre von der Souveränität des Unterhauses aus, daß das Oberhaus im Falle bestimmter Entscheidungen des Unterhauses, für die es kein dezidiertes Wählermandat besitze, das Volk anzurufen habe, dessen Entscheidung sich dann auch die Lords beugten54. Daraus hat Corinne Comstock Weston auf eine explizite direktdemo-
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venerable men who could not be expected to solicit the suffrages of large constituencies, or to mingle in the turmoil of a popular assembly.“ R. Cecil, The Coming Political Campaign, in: BQR II, Nr. IV (Januar 1860), S. 303–334, hier 314 f. Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 7, Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209, S. 255–274, hier 262, Whitesides Unterhausrede vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1637–1653, hier 1646, und Stanleys Rede in Liverpool am 23. Oktober 1862, DERBY, Speeches I, S. 46–50, hier 49. Zum konservativen Begriff von education vgl. Kapitel IV.2.b). Oberhausrede Lyndhursts vom 10. Juli 1857, HANSARD 3/146, Sp. 1236–1248, hier 1248, zit. nach LEE, Lyndhurst, S. 251 f.; vgl. auch Stanleys Oberhausrede vom 25. Mai 1846, HANSARD 3/86, Sp. 1174–1176, Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209, S. 255–274, hier 262, Disraelis Äußerung im Unterhaus wohl aus dem Jahre 1861, M&B IV, S. 301 („an intermediate body [. . .], supported by property, by tradition, and by experience, ready to act with the critical faculty which is necessary when precipitate legislation is threatened, and at least to obtain time, so that upon all questions of paramount importance the ultimate decision should be founded on the mature opinion of an enlightened nation“), sowie Stanleys Rede in Liverpool vom 23. Oktober 1862, DERBY, Speeches I, S. 46–50, hier 50. Vgl. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 286. Vgl. Salisburys Oberhausrede vom 17. Juni 1869, HANSARD 3/197, Sp. 81–96, hier 83 f.: „The object of the existence of a second House of Parliament is to supply the omissions and correct the defects which arise in the proceedings of the first. [. . .] In ninety-nine cases out of 100 the House of Commons is theoretically the representative of the nation, but is so only in theory. The constitutional theory has no corresponding basis in fact; because in ninety-nine
1. Staat und Verfassung
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kratische „referendal theory“ geschlossen55, die allerdings Cecils konkrete politische Stoßrichtung gegen die Gladstone-liberale Dominanz im Unterhaus zu gering und den originär demokratischen Impetus zu hoch veranschlagt, jedoch auf die populistischen Züge auch von Salisburys Konservatismus verweist. Allerdings spielten solche Überlegungen einer aktiv gegensteuernden Funktion des konservativ dominierten Oberhauses zwischen 1846 und 1868 nur ganz in Ansätzen im Zuge der Getreidezollkontroverse 1846, dann aber gegenüber keinem der whig-liberalen Kabinette und auch generell politisch keine wirkliche Rolle, zumal die Konservativen wußten, daß die Waffe des Oberhauses nur so lange scharf war, wie sie angedroht werden konnte, aber nicht wirklich oder höchstens sehr dosiert zum Einsatz kam56. Denn im Falle eines ausgefochtenen Konflikts würde, wie sich im ersten, geringen Verfassungskonflikt um den Haushalt 1860/61 zeigte57 und dann mit ganzer Wucht 1909–11 bewahrheitete, das Unterhaus letzten Endes den längeren Atem haben. Es besaß ohnehin, wie auch den Konservativen klar war, gegenüber dem Oberhaus generell den politischen Vorrang: the custom of our day has established it as a rule which has almost the force of law – that although the peers have undoubtedly the right and the duty to reject any measure which they may consider to be injurious to the public interest, still if that measure is sent up to them again and again, in such a manner and after such a lapse of time as to show such deliberate and matured opinion of the House of Commons and its constituents in its favour, then they are bound to waive their individual opinion, and to give effect to that which they can no longer doubt is the will of the country at large.58
Wirklich Politik gemacht wurde im Unterhaus: „Our policy must be revealed in the House of Commons, & only there“, postulierte Disraeli, wenn
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cases out of 100 the nation, as a whole, takes no interest in our politics. [. . .] Again, there is a class of cases small in number, and varying in kind, in which the nation must be called into council and must decide the policy of the Government. It may be that the House of Commons in determining the opinion of the nation is wrong; and if there are grounds for entertaining that belief [. . .] it is the duty of this House to insist that the nation should be consulted, and that one House without the support of the nation shall not be allowed to domineer over the other. [. . .] We must decide [. . .] whether the House of Commons does or does not represent the full, the deliberate, the sustained convictions of the body of the nation.“ WESTON, Salisbury’s Referendal Theory, bes. S. 1–11 (das Zitat S. 1) und 24–39; vgl. auch LE MAY, Victorian Constitution, S. 133–145. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 23. Januar 1854 über ein Gespräch mit Disraeli, STANLEY JOURNALS, S. 116–118, hier 117. Vgl. LE MAY, Victorian Constitution, S. 132 f., und KEIR, Constitutional History, S. 413 f. und 477–482. Stanley, Rede in Liverpool vom 23. Oktober 1862, DERBY, Speeches I, S. 46–50, hier 48 f.
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V. Staat und Politik
auch wohl nicht ohne Rücksicht auf seine eigene Position59. Trotz aller Entscheidungen und Tendenzen gegen die eigenen Vorstellungen anerkannten die Konservativen das nach 1832 überwiegend liberal dominierte Unterhaus (wenn auch im zitierten Falle möglicherweise unter Einschluß von captatio benevolentiae gegenüber einer gegnerischen Mehrheit) grundsätzlich und unumwunden als „mirror of the mind as well as the material interest of the country“60 und gar, in Bulwer-Lyttons Diktion, als „the brain and the heart of England“61, das sich durch common sense, Mäßigung und Integrationskraft gegenüber allen gesellschaftlichen und politischen Strömungen auszeichne62. Dies gewährleisteten in erster Linie die Parteien im Unterhaus, deren nachlassende Kohäsionskraft in den fünfziger Jahren immer wieder beklagt wurde63. Wenn sich die Parteigrenzen im Unterhaus verwischten, so mochte dies unter mehrheitstechnischen Gesichtspunkten für die Konservativen durchaus von Vorteil sein (der sich aber weder 1852 noch 1858/59 wirklich auszahlte); eine politische Atomisierung des Unterhauses lag aber keineswegs in ihrem Interesse, wie Derby artikulierte: I have heard it said that the days of Parliamentary Government had come to an end. If by that is meant that the days are gone by when the House of Commons was divided into two distinct parties – within each of which the leaders exercised an undisputed and uncontrolled power over their followers, commanding their votes, and exercising a species of Parliamentary discipline – then [. . .] those days are gone, and are not likely to return. Nor do I think [. . .] that the change has been, on the whole, prejudicial. But [. . .] if it is meant that henceforth no Government can hope for support, not on individual
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Disraeli an Stanley, 15. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2361/117 (dort im argumentativen Kontext einer Abgrenzung der Parlaments- von der Öffentlichkeitsarbeit, vgl. S. 301, aber auch mit dem hier vorgestellten Bedeutungsgehalt einer Gewichtung zwischen den Kammern). Unterhausrede Disraelis vom 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 979. Unterhausrede Bulwer-Lyttons vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 553. Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 914 („the decision of the House is the aggregate wisdom of contending interests“), Croker, Political Prospects of France and England, 23. Juni 1848, in: QR 83, Nr. 165, S. 250–304, hier 286, sowie Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 164 und 174. Vgl. dazu ausführlicher Kapitel I.3.c); vgl. den (verfassungsgeschichtlich sehr aufschlußreichen) Tagebucheintrag Grevilles vom 14. August 1854, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 49–57, bes. 49–51 und 56 f., sowie seinen Eintrag vom 23. Mai 1858, S. 368–370, hier 368, Stanley an Palmerston, 1. November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 137–139, bes. 138 f. (in allerdings nicht bedauerndem Ton über das Verblassen der Parteigrenzen), W.E. Gladstone, The Declining Efficiency of Parliament, in: QR 99, Nr. 198 (September 1856), S. 521–570, hier 564, Derbys Oberhausrede vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 25, und William Whites Tagebucheinträge vom 14. Mai, 3. und 10. Juni 1858, WHITE, Inner Life I, S. 60–68, hier 67, 76 f., hier 77 und 78–81, hier 79.
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questions, on which exceptions may occur, but that no Government will hereafter be able to obtain a permanent majority in the House of Commons strong enough to prevent it being overborne by other conflicting parties, not themselves bound by any common tie, each having its own leaders and its own prospects, if the House of Commons is to be divided into a number of little parties, none capable of exercising a permanent influence on the affairs of the country, but able collectively to thwart the measures and impede the business of the Ministry that has been formed – if, in that sense, government by party is at an end, then I warn [. . .] that the system of Government by Parliament itself will have a very heavy shock to encounter.64
Die Konservativen befürworteten, in Übereinstimmung mit der herrschenden, originär whiggistischen Lehre vom parliamentary government, die Organisation der Commoners und des Parlaments in Form von Parteien als Grundlage des „popular government“65, einer breiten Repräsentation des Landes und zugleich als Bestandteil der englischen Freiheiten. Gerade Disraeli betonte fortwährend und vehement die Bedeutung der Parteien und hatte mit diesem Argument bereits Robert Peel attackiert: Above all maintain the line of demarcation between parties, for it is only by maintaining the independence of party that you can maintain the integrity of public men, and the power and influence of Parliament itself.66
Denn die Parteien stellten die Verbindung von „efficient and comparatively pure government with popular authority and control“ her67 und machten parliamentary government überhaupt erst möglich, auf dem wiederum das Funktionieren der Verfassung beruhe68. Robert Cecil, und beileibe nicht nur er, warf Disraeli allerdings vor, die auch von ihm selbst postulierten Prinzipien verraten zu haben und seine eigene Partei zu einer bloßen „joint stock compan[y] for the attainment and preservation of place“69 zu degradieren. Spätestens hier ist die Frage nach der Bedeutung der Macht insbesondere für Disraeli aufgeworfen, die sich speziell im Zusammenhang mit der Wahlrechtsreform von 1867 und dem konservativen Verständnis von Repräsentation und Partizipation stellte. 64 65 66 67 68 69
Ministerial Statement Derbys vor der Auflösung des Unterhauses im April 1859, zit. nach KEBBEL, Derby, S. 137 f. Unterhausrede Bulwer-Lyttons vom 15. Juni 1855, HANSARD 3/138, Sp. 2114–2127, hier 2119. Unterhausrede Disraelis vom 22. Januar 1846, HANSARD 3/83, Sp. 111–123, hier zit. nach BLAKE, Disraeli, S. 227. Disraeli, Coalition, in: THE PRESS Vol. 1, Nr. 1, S. 1 (7. Mai 1853); Autorschaft Disraelis nach DISRAELI LETTERS VI, Appendix VII/562. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 30. August 1848, HANSARD 3/101, Sp. 669–707, hier 705–707. Vgl. R. Cecil, The Conservative Surrender, in: QR 123, Nr. 246 (Oktober 1867), S. 533–565, zit. nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 271–273, das Zitat 271.
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V. Staat und Politik
2. REPRÄSENTATION UND PARTIZIPATION Wenn der Abgeordnete David Urquhart im Unterhaus die Erwägung von „abstrakten Rechtsfragen“ und „Repräsentationstheorien“ ablehnte und statt dessen auf praktische Ergebnisse und Erfahrung verwies70, dann sprach er seiner Partei aus dem Herzen. Denn ebenso wie Staat, Verfassung und politisches System stellte auch die parlamentarische Repräsentation keinen Gegenstand systematischer verfassungsrechtlicher Reflexionen von konservativer Seite dar. Das Thema kam gelegentlich im Zuge politischer Auseinandersetzungen zur Sprache und wurde dabei nicht selten eher nach Gesichtspunkten der tagespolitischen Opportunität denn nach sachlicher und inhaltlicher Kohärenz behandelt71. Dennoch lassen sich auf interpretatorischer Ebene durchgängige grundlegende Tendenzen bestimmen. Die zentrale Funktion der gewählten Kammer lag demzufolge in der Repräsentanz des gesamten Landes und keineswegs nur der respektiven Wahlkreise oder gar der jeweils eigenen Wähler der Abgeordneten72. Diese Repräsentanz der gesamten Nation gründete klassischerweise in erster Linie auf dem Eigentum73 und somit, nach konservativem Verständnis, auf dem Anteil an den gesamtgesellschaftlichen Gütern74. In diesem Sinne eines Paternalismus der Eigentümer waren auch die working classes repräsentiert,
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Unterhausrede Urquharts vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 195–204, hier 195 und 197. Vgl. etwa die Behauptung der zwingenden Bindung der Abgeordneten an ein Wählervotum, entgegen der Souveränität der Abgeordneten, in der Auseinandersetzung mit Peel 1846, etwa Stanleys Oberhausrede vom 25. Mai 1846, HANSARD 3/86, Sp. 1174–1176, oder Newdegates Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 10. August 1847, in: THE TIMES vom 11. August 1847, S. 4d/e, hier 4d, und demgegenüber der Appell an die Unabhängigkeit der Abgeordneten vor der Abstimmung über Disraelis Haushalt im Dezember 1852, vgl. die Unterhausreden Jocelyns vom 14. und Whitesides vom 16. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1436–1443, hier 1440 f., und Sp. 1602–1611, hier 1611. Vgl. zum Beispiel Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 914, oder Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266, hier 265; ebenso John Russell vor dem Unterhaus am 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 915–933, hier 931. Vgl. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 269 („down to very late times the universal experience and opinions of mankind seem to have adopted property in some shape or other as the basis of government, and as the least imperfect security for the intelligence, probity, and stability of a governing body“), vgl. die Leitartikel in THE PRESS vom 23. und 30. Juli 1853, Vol. 1, Nr. 12 und 13, sowie DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 9 und 35. Vgl. Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232 („that House of Commons to which every section of the community that contributes to the supplies has a right to come for the redress of grievances“).
2. Repräsentation und Partizipation
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wenn auch nicht mit eigenen Abgeordneten vertreten75. Denn die Repräsentation des Landes umfaßte nicht nur, in vertikaler Hinsicht, die Schichten oder Klassen, sondern und eher noch vorrangig, in vertikaler Hinsicht, die Interessen (interests) des Landes, wie Archibald Alison in Blackwood’s Magazine formulierte: The old principle of the English constitution [. . .] during a long course of years, was, that the whole interests of the state should be represented, and that the House of Commons was the assembly in which the representatives of all those varied interests were to be found. For the admission of those varied interests, a varied system of electoral qualifications, admitting all interests, noble, mercantile, industrial, popular, landed, and colonial, was indispensable. [. . .] According to the new system, a vast majority of seats was to be allotted to one class only, the householders and shopkeepers of towns.76
Diese Vorstellung, die auch (mit Ausnahme des letzten Satzes) Whig-Liberale im Grundsatz teilten, stand ganz in der Tradition von Edmund Burkes Idee der „virtuellen Repräsentation“77 aller Interessen des Landes ohne persönliches Stimmrecht oder eine direkte Stimme für jeden seiner Angehörigen. Zugleich artikulierte Alisons Äußerung die primär von orthodox konservativer Seite, etwa von Drummond und Cecil oder im Umkreis von Blackwood’s Magazine und Quarterly Review, insbesondere von Croker, auch nach 1852 gehegte Kritik, die Reform von 1832 habe die Balance der Interessen zugunsten der städtischen middle classes verschoben, während auf radikaler Seite ein weiterhin bestehendes Übergewicht des landed interest beklagt wurde78. Die konservativen Einschätzungen schwankte dabei zwischen dieser pessimistischen Sicht und der optimistischeren Auffassung, mit der nötigen Distanz zu 1832 und insbesondere nach 1852, von einer durchaus bestehenden Balance der gesellschaftlichen Interessen79. 75
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Vgl. Bulwer-Lyttons Äußerung wohl aus dem Jahr 1860, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 319: „the true representation of the working or poorer classes must be more or less perfect in proportion to the knowledge which may exist in this House of the inseparable connection between their interests and all our legislative functions.“ Archibald Alison, The Year of Revolution, in: BM 65, Nr. 399 (Januar 1849), S. 1–19, hier 14. Vgl. auch Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 914, Walpole, Parliamentary Reform, or The Three Bills and Mr. Bright’s Schedules, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 547, und Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 173. Vgl. Burkes Rede vor den Wählern von Bristol am 3. November 1774, in: BURKE, Writings and Speeches III, S. 64–70, hier 69 f.; vgl. auch HAWKINS, Parliamentary Government, S. 645, und STEWART, Party and Politics, S. 12. Vgl. etwa Cobdens Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, S. 181–195, hier 188–190. Vgl. Derby an Disraeli, 26. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2191/481–483 Anm. 1,
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V. Staat und Politik
Diese Balance hing jedenfalls in konservativen Augen davon ab, daß kein interest und daß vor allem keine Klasse die anderen dominierte. Dies stellte natürlich insofern eine Fiktion dar, als man zwar über das Verhältnis zwischen Adel und middle classes streiten mochte, die working classes sich jedoch selbst mit dem Argument der virtuellen Repräsentation nur mit einiger Mühe in die Vorstellung einer solchen Balance integrieren ließen. Für die Konservativen indes war entscheidend, daß die working classes unter jeder Form von quantifizierender Repräsentation allein aufgrund ihrer schieren Zahlen die Oberhand gewinnen würden. Um so wichtiger war die Forderung, interests anstelle von Zahlen zu repräsentieren – Parliament must be a mirror – a representation of every class – not according to heads, not according to numbers, but according to everything which gives weight and importance in the world without, so that the various classes of this country may be heard and their views expressed fairly in the House of Commons, without the possibility of any one class outnumbering and reducing to silence all the other classes in the kingdom80 –,
und dafür wurden zudem, nicht nur von Konservativen, die verschiedenen Formen der Wahlrechtsqualifikation, vor allem der Unterschied zwischen county und borough franchise, für unverzichtbar gehalten: So long as men sit by a number of tenures, a tyrannous majority is improbable. One man sits because he is locally popular; another because he is friends with the powerful men of his district; a third because he has sat for a long time, and does Parliamentary business well; a fourth because he is a good Catholic; a fifth because he is a good Protestant; a sixth because he understands the particular trade of his locality.81
Dieses an gesellschaftliche interests, in Ergänzung oder auch in Konkurrenz dazu an Eigentum und Bildung orientierte Repräsentationsverständnis war insofern grundsätzlich, wenn auch nur im Ergebnis und nicht in formalrechtlicher Hinsicht ständisch und jedenfalls nicht individualrechtlich be-
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Stanleys Tagebucheintrag vom 28. Dezember 1852 nach einem Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94, sowie sogar (implicite) DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 5f., und Cecils Adresse an die Wähler von Stamford, vor 22. August 1853, PULLING, Life of Salisbury I, S. 8–10, hier 9, und auch Cecil, The Conservative Reaction, in: QR 108, Nr. 215 (Juli 1860), S. 265–302, hier 301. Cairns, Unterhausrede vom 16. April 1866, hier zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 196; vgl. auch Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 268 („great misstatement of fact and [. . .] unfortunate mistake in policy, to confound representation of interests with representation of numbers“), oder Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 547. R. Cecil, Representation of Minorities, in: SR XVIII, Nr. 463 (10. September 1864), S. 324; vgl. auch den oben zitierten Beitrag von Alison, Year of Revolutions, in: BM 65, Nr. 399 (Januar 1849), S. 1–19, hier S. 14, sowie Russells Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 915–933, hier 921.
2. Repräsentation und Partizipation
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gründet. Dieses Moment löste sich unterdessen nach dem Wahlakt in der Autonomie und Souveränität des Parlaments auf. Ähnlich idealtypisch wie das Repräsentationsverhältnis an sich wurde die Verbindung von Repräsentierten und Repräsentanten abseits der Wahlen, die durchaus zu verbindlichen Entscheidungen über Sachfragen (wie 1852 über den Protektionismus) gestaltet werden konnten, vorgestellt. Demzufolge wurde ein im Lande aufgekommenes Problem oder Gravamen über eine gewisse reifende Zeit hinweg in der Öffentlichkeit erörtert; diese Diskussion wurde dann vom Parlament aufgenommen und das Problem einer gesetzgeberischen Lösung zugeführt82, die dann auch von allen anerkannt wurde83. Ein solches Parlament samt der Regierung stand in so engem Kontakt mit der Nation, „that any policy which is approved by the mass of the nation is certain to be promptly adopted by its rulers“84. Bei aller Idealisierung, die solchen Äußerungen innewohnte, bleibt doch die stark zivilgesellschaftliche Anlage dieses Repräsentationssystems offenkundig. Und von daher ließ sich durchaus zu der Auffassung kommen, es sei „die öffentliche Meinung, die England letzten Endes regiere“85. Obwohl den Konservativen die Bedeutung der Öffentlichkeit durchaus bewußt war, wurde sie nur höchst sporadisch thematisiert und semantisch
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Vgl. die Unterhausrede von Monckton Milnes vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 211–213, hier 212 („whatever the people of this country really wished for, they would obtain from that House, provided they only systematically and perseveringly urged that demand“), die Unterhausrede von Charles Bruce vom 14. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 688–690, hier 690 („As the representatives of the people of England, they were bound to consider the wishes of the people; and, if possible, to give them effect“), sowie Derby an Disraeli, 26. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2191/481–483 Anm. 1 („any necessity or any strong public feeling“ als Movens für legislative Maßnahmen); diese Vorstellung steckte auch in der ansonsten eher ungewöhnlichen Absicht einzelner Protektionisten, durch „pressure from without“ Druck auf das Parlament auszuüben, vgl. Stanhope an Young, 29. Mai 1849, NL Young, BL London, Add MSS 46712, fol. 97 f., hier 97. Vgl. Walpoles Unterhausrede vom 26. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 659–666, hier 665. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 173. Stanley, Adresse an die Wähler von King’s Lynn vom 14. November 1868, in: THE TIMES vom 14. November 1868, S. 3a-d, hier 3a; vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 24. März 1853, STANLEY JOURNALS, S. 97: die beiden einzigen einflußreichen Positionen im Lande lägen beim Generalgouverneur von Indien und beim Herausgeber der Times; vgl. auch die Memoiren des sächsischen Gesandten in London, VITZTHUM VON ECKSTÄDT, Petersburg und London, S. 142, zum Jahre 1855: „Nur derjenige kann sich in diesem Labyrinthe [der britischen Verfassung; AR] zurechtfinden, der den Ariadnefaden der öffentlichen Meinung für sich hat. Aber diese öffentliche Meinung ist selbst nicht viel anderes als ein Spielzeug für grosse Kinder, ein Papierdrache, der mit jeder Luftströmung steigt oder fällt, und der nur von denen geleitet werden kann, die das Spiel als Spiel durchschaut haben.“
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V. Staat und Politik
nicht näher spezifiziert, wobei davon auszugehen ist, daß sie eine Öffentlichkeit von Gebildeten und Wahlberechtigten im Auge hatten, die sich in allererster Linie in Zeitungen und Zeitschriften artikulierten. Gerade unter den hochkonservativen Veteranen wie etwa John Wilson Croker – selbst ein Publizist – herrschte eine negative Einschätzung der (topischerweise) vermeintlich „links“ dominierten Medien vor86. Die Skepsis insbesondere Derbys hinsichtlich Medien und Öffentlichkeit – Lord Derby has never been able to realise the sudden growth and power of the Political Press, for which he has no partiality, which feeling is reciprocated by its members. In these days this is a fatal error in men who wish to obtain public power and distinction. Lord Derby is too proud a man to flatter anybody, even his greatest friends and equals, much less those of whom he knows nothing87 –
entsprang einer traditionellen, sozial elitären Vorstellung – die die Whigs in dieser Form allerdings nie geteilt hatten88 und die auch mit der idealtypischen Vorstellung der Wechselwirkung innerhalb des Repäsentationssystems nicht reibungslos harmonierte –, daß durch Eigentum, Bildung und Gemeinwohlorientierung qualifizierte soziale Führungsschichten, die auch als (gewählte ebenso wie erbliche) parlamentarische Repräsentanten nichtsdestoweniger autonom waren, nicht um die Gunst der Öffentlichkeit und erst recht nicht der Massen zu buhlen hätten. Dem entsprach ein weit verbreitetes Desinteresse unter den Konservativen gegenüber eigener – mit
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Vgl. Croker an Brougham, 21. Juli 1854, CROKER PAPERS III, S. 340 f., über „the power of the newspapers. This power was always great, but was in general so nearly self-balanced as not seriously to interrupt the functions of a government. Mechanical improvements, extension of education and of business, of literary taste and commercial intercourse, have developed the powers of the press to an enormous influence – an influence the greater because it has become so subtle that we breathe it as we breathe the air, without being conscious of the minuter particles that enter into its composition. [. . .] The Reform Bill has established the broad principle of governing by representation, and on that basis has been erected into omnipotence what was formerly a valuable subordinate agent, now called public opinion: she was of old the queen of the world; she has now become its tyrant, and the newspapers her ministers; that is, that they assume that they represent public opinion, and of course the people, in a more direct and authoritative manner, than even the House of Commons.“ Tagebucheintrag Malmesburys vom 29. Juni 1857, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 73; vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 14. März 1853, STANLEY JOURNALS, S. 102 f., hier 102 (Derby sei gegenüber einer eigenen konservativen Zeitschrift „decidedly hostile: thought we should be compromised [. . .] Peel, while in office, had always repudiated the claim of any journal to represent his ministry: he thought this a sound principle“), sowie Derby an Jolliffe, 19. Oktober 1855, AGKK III/4, 101/215 („I have always looked on the possession of a newspaper, & a fortiori of more than one, as the avowed & recognised object of a political party, as a very questionable advantage, & as being often the cause of weakness rather than of strength“). Vgl. dazu MANDLER, Aristocratic Government, S. 15, 32, 34 und 42.
2. Repräsentation und Partizipation
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dem modernen Begriff – Öffentlichkeitsarbeit, die sie dementsprechend vernachlässigten89. Aufgeschlossenheit gegenüber Medien und Öffentlichkeit und somit einem wesentlichen Element der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse im 19. Jahrhundert war demgegenüber bei der Gruppe um Disraeli, unter Einschluß vor allem von Malmesbury und Stanley90, anzutreffen. Disraeli schrieb der expandierenden freien Presse eine heilsame Kontrollfunktion innerhalb des politischen Systems zu, nicht zuletzt gegen Korruption91. Auch öffentlicher Agitation und Massenversammlungen stand er gelassen gegenüber: sie seien anerkannte und unverzichtbare „Sicherheitsventile“ einer freien Verfassung92. Disraeli, Stanley und Malmesbury wußten, daß Politik auf die Öffentlichkeit zielen mußte93, und zwar in erster Linie über das Unterhaus, dessen Debatten über die Berichterstattung in der Presse breit rezipiert wurden, und in zweiter Linie über die Presse selbst: Our policy must be revealed in the House of Commons, & only there. The office of the Press will be afterwards, to enforce, illustrate, develop it; reply to criticisms & vindicate it agst all comers.94
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Vgl. COLEMAN, Conservatism, S. 113–115, STEWART, Foundation, S. 270–272, STEWART, Protection, S. 162 f., sowie Disraeli an Malmesbury, 21. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1923/257 („The state of our Press is deplorable“), sowie Stanleys Tagebucheintrag vom 11. Mai 1851 nach einem Gespräch mit John Gibson Lockhart, dem Herausgeber der Quarterly Review, STANLEY JOURNALS, S. 65 („He seemed to think the old Conservative cause lost, so far as journalism was concerned: said all the best writers had deserted the Quartely: his only volunteer was John Manners, of whom he spoke in terms of unmeasured contempt“). Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 29. Juni 1857, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 73 (nach der zitierten Passage über Derby): „His son, with greater wisdom (for the day), has taken the opposite line, and with benefit to his popularity and advancement.“ Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 953 f. (954: „with a free press and a healthy action of public opinion, the undue influence of gold and property must every year and each successive Parliament be diminished“). Disraeli an Victoria, 27. Juli 1866, M&B IV, S. 450. Vgl. Malmesbury an Disraeli, 24. September 1852, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 99/1, fol. 78 f. (alte Signatur: B/XX/Hs/27): „The present or rather future fate of the Government depends on our bringing forward grand and good measures. If we do this and expound them to the country, Lord Derby will be in again even if turned out by faction for a few months.“ Disraeli an Stanley, 15. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2361/117; zum Primat des Parlaments im Hinblick auf politische Öffentlichkeit vgl. auch Disraeli an Derby, 21. April 1857, M&B IV, S. 78–80, hier 79: „I don’t think the country, dinned to death with the unjust representation of large towns compared with small ones, has the slightest idea of the real state of affairs; and nothing but discussion in Parliament in an authoritative manner can enlighten them.“
302
V. Staat und Politik
Diese Auffassung lag Disraelis Versuch zugrunde, mit der „Press“ ein konservatives Organ zu installieren, um die zuallererst parlamentarisch zu entfaltende Politik öffentlich zu flankieren. Abgesehen vom Scheitern dieses Vorhabens nach wenigen Jahren aber zog die Einsicht in die Bedeutung der öffentlichen Meinung weder, in der einen Richtung, verfassungsrechtliche Schlüsse hinsichtlich einer außerparlamentarischen Legitimierung von Politik, noch, in der umgekehrten Richtung, eine systematische Öffentlichkeitsarbeit oder Pressepolitik nach sich. Sie blieb pragmatisch auf einzelne Organe gerichtet95 und der Primat des Parlaments unangetastet96. Das Funktionieren eines solchen Systems sensibler Interaktion zwischen Parlament und politischer Nation, „a machine of the most exquisite delicacy“97, hing zwangsläufig von seinen Teilhabern ab. Während das Konzept der virtuellen Repräsentation im weiteren Sinne auch die Bevölkerung über den Kreis der Wahlberechtigten hinaus einzubeziehen vermochte und bei den Konservativen häufig anzutreffende begriffliche Unschärfen sowie unterschiedliche semantische Verwendungen – Robert Cecil neigte beispielsweise im Gegensatz zu Edward Bulwer-Lytton dazu, den Begriff der Repräsentation allein auf die Wahlberechigten zu beschränken – nicht sonderlich ins Gewicht fielen, warf Cecils Feststellung, das bestehende System „with all its faults and merits, is dependent upon the social system out of which it is drawn“, die entscheidende Frage nach der Partizipation und ihrer sozialen Erweiterbarkeit, konkret: nach dem Wahlrecht, auf. Dabei wurde argumentativ nicht zwischen Wahlberechtigten und Wählbaren bzw. zwischen Wählern und Gewählten unterschieden, was sowohl auf die Vorstellung einer Einheit der politischen Nation schließen läßt, als es auch, wenn automatisch davon ausgegangen wurde, daß Wähler einer bestimmten Klasse auch Abgeordnete dieser Klasse entsenden, ein gewisses Maß an Fiktionalität dieser integralen Repräsentationsvorstellung gegenüber schichtenspezifischen sozialen Interessen offenlegt, die indessen in sozialer Hinsicht nur den anderen, den städtischen middle und working classes, zugeschrieben wurden. Im Sinne der klassischen societas civilis hatten allein die grundbesitzenden Eigentümer Anteil an diesem System, das indes bereits die Reform von 1832 95 96
97
Vgl. etwa das unsignierte, streng vertrauliche Memorandum „Conservative Press“ vom 10. Oktober 1857, NL William Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/18/14,14b. Zur rückläufigen Bedeutung der Öffentlichkeit gegenüber der Hoheit des Parlaments über politische Themen („Thematisierungskompetenz“) nach 1832 allgemein vgl. STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 324 f. und 336–339. Cecil, The Coming Session, in: QR 119, Nr. 237 (Januar 1866), S. 250–280, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 139.
2. Repräsentation und Partizipation
303
nicht nur quantitativ, sondern vor allem prinzipiell ausgedehnt und in die städtischen Mittelschichten hinein erweitert hatte. Wenn seit 1852 neuerlich über eine Reform des Wahlrechts debattiert wurde, ging es nunmehr darum, die Qualifikationen in irgendeiner Weise zu senken und vermehrt die unteren Mittelschichten und die Arbeiterschaft in die politische Nation einzubeziehen. Unstrittig war unter den Konservativen die prinzipielle Ablehnung eines allgemeinen Wahlrechts, in dem sich alle Übel der „numbers“ bündelten und das vor allem die bestehende Balance zwischen den Interessen zugunsten einer Dominanz der working classes zerstören würde98; am Ende eines allgemeinen Wahlrechts stünde die Despotie der ungebildeten und ignoranten Massen: „when the mob takes possession of the citadel of power, it is sooner or later evacuated by the educated classes“99. Daher war ebenfalls unbestritten, daß das Wahlrecht an Eigentum gebunden sein solle und, nach klassischer Vorstellung in engem Zusammenhang damit, an Bildung100. Spencer Walpole faßte das Anforderungsprofil zusammen: Station, position, mental capacity, and pecuniary circumstances, are all of them elements which must needs be regarded, [. . .] industry, education, independence, and virtue –
und keine Frauen, „because it is better that they should confine themselves to their own more appropriate and domestic sphere“101.
98
99 100
101
Vgl. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 268, Stanleys Tagebucheintrag vom 28. Dezember 1852 über ein Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94, Cross’ Redeentwurf aus dem Jahre 1857, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33, Cecil, The Theories of Parliamentary Reform, in: OXFORD ESSAYS 1858, S. 52–79, hier 54, [DRUMMOND,] Political Parties, S. 5, Elwin, Reform Schemes, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 269, Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266, hier 225, sowie Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 186 f., und Cecil, Parliamentary Reform, in: QR 117, Nr. 234 (April 1865), S. 540–574, hier nach PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 113. R. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 281. Vgl. das unsignierte Supplemental Paper No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Class (1859), NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/ HY/24/15,13 („if once the Property Qualification be abandoned, the standard of Population will alone remain, and Universal Suffrage will be in the end established, under which property is without influence, and intelligence is superseded by tumult and cabal“), BulwerLyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 552, Cecil, The Coming Session, in: QR 119, Nr. 237 (Januar 1866), S. 250–280, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 139, und Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101 (1867), S. 220–229, hier 225. Walpole, Reform Schemes, in: QR 107, Nr. 213 (Januar 1860), S. 220–266, hier 225.
304
V. Staat und Politik
Die positiven dieser Qualifikationen ließen sich auf unterschiedliche Weise beibringen, und sie ließen auch Spielraum hinsichtlich Art und Anzahl der Teilhaber. Dabei stand es zunächst dem Einzelnen offen, sozial aufzusteigen102 und „share in the common wealth“ zu erwerben103. Darüber hinaus gestand Robert Cecil auch den working classes, wenn auch wenig konkret, „a share of political power proportioned to the share which their labour gives them in the country’s wealth“ zu. Solange die bestehende Balance der Interessen nicht tangiert werde104 und das politische System an das bisherige soziale System gebunden und dieses vice versa erhalten bleibe105, solange der soziale Status quo grundsätzlich aufrechterhalten werde, standen auch die orthodoxen Konservativen wie Cecil einer Reform des Wahlrechts, insbesondere des Wahlrechts von 1832, das vermeintlich die städtischen Mittelschichten bevorzugte, nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber: We are not in any way bound to adhere to the provisions of the Reform Act of 1832, and if any alterations in it can be made which will extend the suffrage more widely without giving undue power to any single class I shall welcome them gladly; but I should be sorry to run any risk of destroying the balance of power by which the freedom of the various classes of the community is at present maintained.106
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Vgl. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 310: „The working man has a right [. . .] of raising himself by his industry, integrity, and intelligence into a position to which the elective franchise may be safely attached“. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 35; vgl. auch das unsignierte Supplemental Paper No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Class (1859), NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,13. Vgl. Cairns’ Unterhausrede vom 20. April 1866, zit. nach G. CECIL, Salisbury I, S. 196: „The great problem we have to solve is, how are we to obtain that representation of the working classes (which you say is not at present full and satisfactory enough) without admitting them in such numbers as to swamp all other classes and to give mere numbers a power they ought not to have.“ Vgl. Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 183 („To give the suffrage to a poor man is to give him as large a part in determining that legislation which is mainly concerned with property as the banker whose name is known on every Exchange in Europe, as the merchant whose ships are in every sea, as the landowner who owns the soil of a whole manufacturing town. An extension of the suffrage to the working classes means that upon a question of taxation, or expenditure, or upon a measure vitally affecting commerce, two day-labourers shall outvote Baron Rothschild. This is the result to which we are brought by vague declamations about ‚moral titles‘ or ‚natural rights‘“), sowie Cecil, The Coming Session, in: QR 119, Nr. 237 (Januar 1866), S. 250–280, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 139 („A Government that yields and must yield to the slightest wish of the House of Commons is only possible so long as that House of Commons is the organ of an educated minority. Such an instrument of Government has never yet in the history of the world been worked by a Legislature chosen by the lower classes“). Wahladresse Cecils, Juni 1865, zit. nach PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 149.
2. Repräsentation und Partizipation
305
Die Forderung nach der Wahrung der sozialen Verhältnisse innerhalb des politischen Systems war allerdings weder mit einer quantitativ noch einer qualitativ umfangreichen Reform vereinbar und jedenfalls nicht mit der 1867 schließlich verwirklichten107. Die Konservativen trafen sich in ihrer Betonung von Eigentum und Bildung als Qualifikationsprinzipien bei Ablehnung eines rein quantitativen Systems, insbesondere eines allgemeinen Wahlrechts (im engeren Sinne des Wortes). Auch Disraeli stand ganz auf diesem Boden: „It is what everything in England is – a privilege [. . .] created by law“, das nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gestaltet werden und das, so verkündete er bereits 1848, über die klassischen Eigentumsqualifikationen hinausgehen müsse108. Wie der konservative Eigentumsbegriff eine Erweiterung über Grundbesitz hinaus erfahren hatte109, herrschte bis hierher durchaus grundsätzliche Einigkeit unter den Konservativen und bis in weite Teile der Whig-Liberalen sowie vereinzelt auch der Radikalen hinein (Cobden etwa lehnte ein Wahlrecht für Haushaltsvorstände ab110). Und so stand Disraeli auf dem Boden allgemein akzeptierter Grundlagen, wenn er das neue Wahlrecht als „popular privileges“, nicht aber als „democratic rights“ deklarierte: Popular privileges are consistent with a state of society in which there is great inequality of condition. Democratic rights, on the contrary, demand that there should be equality of condition as the fundamental basis of the society they regulate. [.. .] We do not [. . .] live – and I trust it will never be the fate of this country to live – under a democracy.111
Daß gleiche Sprache in der politischen Konkretisierung indes keineswegs gleiche Inhalte bedeuten mußte, bewies die starke innerparteiliche Opposition insbesondere der Hochkonservativen um Cecil 1867. Daß Disraeli in der Sprache der Konservativen seiner eigener Färbung die zweite Wahlrechtsreform durchsetzte, bewies wiederum, wie sehr er die Partei mit seiner Vorstellung einer inhaltlichen und sozialen Erweiterung der societas civilis auch auf dem politischen Feld der Repräsentation und der politischen Partizipation geprägt hatte. Die originär politische Umsetzung resultierte dabei aus einer unauflöslichen Verbindung von inhaltlichem Konzept und dem Streben nach politischer Macht.
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Zur Wahlrechtsreform von 1867 vgl. Kapitel VI.3. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 950 (dort das Zitat) und 952. Vgl. dazu Kapitel IV.5.b). Vgl. Cobdens Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 181–195, hier 188. Unterhausrede Disraelis vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 6–25, hier 6 f.
306
V. Staat und Politik
3. POLITIK UND MACHT Aus den Grundannahmen konservativen Denkens, namentlich dem Vorrang der Wahrung des Überlieferten gegenüber der Machbarkeit der Verhältnisse, sowie dem konservativen Gesellschaftsbild, namentlich dem Primat der staatsfreien, dezentralen Zivilgesellschaft gegenüber Staat und Zentralverwaltung, ergab sich folgerichtig, der Politik als Aktionsfeld (politics) nur eingeschränkte Bedeutung beizumessen112. Henry Drummond sprach für viele, wenn er (nicht nur, aber in diesem Falle im Jahre 1848) die begrenzten Handlungsspielräume gegenüber gesellschaftlichen Problemen, nicht zuletzt der sozialen Frage betonte. Dafür fehlten der Politik nicht nur die geeigneten Mittel, vielmehr ließen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse auch nicht aktiv neugestalten; und diejenigen, die, vorgeblich zwecks sozialer Verbesserungen, Gesellschaft und Verfassung umgestalten wollten, seien Quacksalber und Scharlatane, die das Unglück letzten Endes nur vergrößerten: Men who will trifle with the distresses of their fellow-creatures may pretend to bring to them light from Heaven; but they really only bring to them a glare from the bottomless pit.113
Die eigentlichen Aufgaben der Politik nahmen sich in Drummonds und allgemein in hochkonservativen Augen demgegenüber beschränkt und nüchtern aus und bestanden in erster Linie im Schutz des Eigentums114. In dieselbe Richtung gingen die Auffassungen Crokers von „control and restraint“ zwecks Zügelung individueller und kollektiver Leidenschaften115 oder des Abgeordneten Mitchell über die Verhinderung von Anarchie und Unordnung116 als Aufgaben der Politik: Schutz und Aufrechterhaltung der staatlichen und vor allem der gesellschaftlichen Ordnung als Kompetenzen von Staat und Politik, aber keine eigenständig gestaltende Funktion. Eine solche war nicht nur unerwünscht, sondern wurde auch letztlich für unmög112 113
114 115 116
Vgl. WHITE, Conservative Tradition, S. 4. Unterhausrede Drummonds vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 115 f., das Zitat 116 (vgl. auch 115: „any one who attempts to say that he can, by a new constitution of society, alter and amend the condition of the labouring classes [. . .], not only grossly deludes them, but is himself an abominable quack“); vgl. auch seine Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, Sp. 906 und 914. Vgl. Drummonds Rede auf einer Versammlung der Wähler von West Surrey, wohl im Juni oder Juli 1852, DRUMMOND, Speeches II, S. 383–390, hier 388. Croker, Political Prospects of France and England, 23. Juni 1848, in: QR 84, Nr. 165, S. 250–304, hier 288. William Mitchell, Adresse an die Wähler von Bodmin, 3. Mai 1859, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/19,202.
3. Politik und Macht
307
lich gehalten, wie etwa Derby in einem seiner Anflüge von resigniertem Fatalismus feststellte, selbst zur Bewahrung der Verhältnisse fehlten der Politik die Mittel gegenüber der unaufhaltsamen überindividuellen Entwicklung117. Solche Probleme wurden allerdings vergleichsweise selten diskutiert und artikuliert, weil sie innerhalb der Politik nicht wirklich kontrovers waren und weil die staatliche Sozialbürokratie ebenso wie die soziale Frage seit den fünfziger Jahren erheblich an Bedeutung verlor. Möglichst wenig Staat und keine omnikompetente und alles regulierende Politik lagen auch ganz im Interesse der Liberalen, die dem Staat ebenfalls den Schutz der Eigentumsordnung und nur im Ausnahmefall eine aktive Gesetzgebung etwa im sozialpolitischen Bereich anvertraut sehen wollten118. Ging es den Liberalen und Manchester-Radikalen dabei in erster Linie um freie Entfaltungsräume für Ökonomie und Individuum, zielte demgegenüber die konservative Restriktion staatlicher und politischer Kompetenzen darauf, die autonomen lokalen Sozialverbände möglichst unangetastet zu lassen und die aristokratisch geprägte Sozialordnung zu wahren. Selbst die Sozialkonservativen entwickelten – und das begrenzte ihre Handlungsfähigkeit erheblich, denn er wäre ihr einziger wirkmächtiger Bündnispartner gewesen – kein Konzept einer aktiven Beteiligung des Staates zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen119. In dieser Vorstellung beschränkter Kompetenzen der Politik steckte ein großes Maß an Mißtrauen gegenüber der Politik, und dies richtete sich im Konkreten nicht zuletzt gegen Disraeli. Denn Disraeli und seine Umgebung standen den Zuständigkeiten und Fähigkeiten des Politischen aufgeschlossener gegenüber. Wenn etwa BulwerLytton davon sprach, die Regierung solle „die Leiden aller Klassen lindern“120, oder wenn Robert Montagu der Regierung die Aufgabe zuschrieb, to be foremost in leading the nation to those ideas which the Government believes to be true and for their good, even though the nation at the time reject them,121
dann bedeutete dies zwar konkret noch keine aktivere Politik (und stellte sich für die Konservativen im engeren Sinne ja auch nur innerhalb der
117
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Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 24. März 1853 nach einem Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 104: Derby „repeated more than once a conviction which he said had been forced upon him early in public life – that real political power was not to be had in England: at best you could only a little advance or retard the progress of an inevitable movement.“ Vgl. dazu etwa Russells repräsentative Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 122–128, hier 126. Vgl. dazu METZ, Social Chain, bes. S. 175 f. und 183. Unterhausrede Bulwer-Lyttons vom 10. Dezember 1852, HANSARD 3/123, Sp. 1220–1232. Unterhausrede Montagus vom 8. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 647–657, hier 652.
308
V. Staat und Politik
Regierung als konkretes Problem), signalisierte aber doch grundsätzliche Bereitschaft zu einem aktiveren Einsatz politischer Mittel. Und Disraeli selbst sprach sich zwar stets für die Wahrung der „territorial constitution“ und des „local government“ aus, aber sein Konzept der „one Nation“ bezog doch auch eine aktive Rolle des Politischen ein122. Schließlich war es in erster Linie Disraeli, der die Verlagerung der nach 1846 so drückend empfundenen Auseinandersetzung mit dem Manchester-Radikalismus vom sozio-ökonomischen auf das politische Feld nach Kräften betrieb und gerade im zweiten und dritten Kabinett Derby mit dem Thema der Wahlrechtsreform politisch steuernd in die gesellschaftlichen Prozesse einzugreifen sich bemühte. Zu dieser zunächst subkutan angelegten, spätestens 1859 und, nach der Atempause in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, 1867 offen auftretenden Differenz innerhalb der Konservativen um die Rolle und Bedeutung des Politischen kam eine weitere hinzu. Nach traditionellem Verständnis war politische Repräsentation eine öffentliche Pflichterfüllung der gentlemen, die aus ihrem Eigentum erwuchs und ihre daraus resultierende umfassende Freiheit voraussetzte123. Eine solche Form der Repräsentation war erstens einem Verständnis von Politik als materieller Interessenvertretung grundsätzlich entgegengesetzt124 und vertrug sich zweitens auch nicht mit der Ausübung von Politik als (obendrein existenzsicherndem) Beruf. So ist die Klage von Henry Lennox über Stanley zu verstehen, als dieser großes Verständnis dafür aufbrachte, daß sein Vater eine Regierungsbildung ablehnte; Lennox hatte die (im Gegensatz zum Abgeordnetensitz) dotierten Positionen im Auge und offenbarte somit, obgleich selbst Abkömmling eines alten und wohlhabenden Adelsgeschlechts, den beginnenden sozialen Wandel innerhalb der konservativen Politiker: Stanleys Haltung – „even if we never come in we played a great role by controlling and checking Govt“ – 122
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Vgl. etwa den bereits zitierten Rekurs auf die Konservativen als „country party“ in seiner Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964: „a party who were the foremost to vindicate popular rights – who were the natural leaders of the people, and the champions of everything national and popular.“ Vgl. dazu Cecil, The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 218 (ex negativo: die Disqualifikation der working classes für einen großen Anteil an der politischen Macht liege in ihrem vollständigen Unverständnis für die Idee individueller Freiheit). Vgl. COLEMAN, Conservatism, S. 72; vgl. auch DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 13: „The persons who rule must always be persons whose minds are sufficiently enlarged to be enabled to take in the interests of the whole nation viewed as a body. Their minds must have been thus enlarged by instruction, by education, and by mixing with various classes. They must not be persons whose minds have become contracted by being absorbed in the pursuit of some one object.“
3. Politik und Macht
309
might be very well to those who had politics as an amusement, & the reversion of £ 100 000 pr ann as a reality; but, [. . .] to some younger sons, it was not quite the same thing.125
Aus der Frage, erstens, nach der Bereitschaft zum Einsatz politischer Mittel und zweitens nach der Bedeutung der materiellen Seite der Politik sowie drittens aus der Person Disraelis selbst erwuchsen den Konservativen Differenzen, die sich in einer höchst kontroversen und langanhaltenden Debatte um ein Thema bündelten, das seit jeher im Mittelpunkt der Rezeption und Interpretation Disraelis steht126: Macht. Während whig-liberale Kabinette zwischen 1846 und 1868 über beinahe 18 von 22 Jahren hinweg regierten, legte Derby als Parteiführer eine oppositionspolitische Zurückhaltung an den Tag, die ihm lange Zeit als „sonderbare Passivität“127 ausgelegt und erst in jüngeren Jahren als eine konsistente Strategie der „masterly inactivity“ identifiziert worden ist, die allerdings im dreimaligen Regierungsamt einem aktiveren, wenn auch moderaten „minsterial progressivism“ wich128. Derby selbst sah nach der Spaltung von 1846 zunächst seine Hauptaufgabe darin, die Partei in der Opposition zu sammeln und wiederzuvereinigen129; und auch in den fünfziger und sechziger Jahren stand ihm deutlich vor Augen, daß seiner Partei eine Mehrheit im Unterhaus und somit eigene parlamentarische Optionen fehlten130. Angesichts der Spannungen innerhalb der heterogenen Parlamentsmehrheit aus Whigs, Liberalen, Peeliten und Radikalen131 sah er sich deshalb darauf verwiesen, „das Zerbrechen der Regierung an internen Differenzen“ abzuwarten132 und den Liberalen bis dahin nicht die Möglichkeit zu geben, sich im
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Henry Lennox an Disraeli, 12. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2733/406 Anm. 1. Vgl. dazu Kapitel I.3.b). STEWART, Foundation, S. 223, vgl. auch 274. Vgl. dazu vor allem die Arbeiten von ANGUS HAWKINS, insbes. Derby and Victorian Conservatism, S. 285–294, die Zitate 286 und 296 (das Zitat der „masterly inactivity“ stammt von Derby selbst, vgl. seinen Brief an Malmesbury vom 4. Dezember 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 241 f., hier 242), ebenso Derby, S. 151–158. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 19. Februar 1846, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 166. Vgl. Derby an Carnarvon, 7. November 1865, HARDINGE, Carnarvon I, S. 273, sowie Derby an Malmesbury, 22. April 1866, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 351 f. Vgl. Grevilles Tagebucheintrag vom 7. Juli 1852, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 341–345, hier 342. Derby an H. Lambert, 4. Januar 1852, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 182/1; vgl. auch Derby an Disraeli, 12. Januar 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2223/13 f. mit Anm. 2 (Brief Disraelis an Lord Ponsonby vom 13. Januar 1852, aus dem sich Autor und Datum von Derbys dort zitiertem Brief ergeben): „our only course will be to side with neither of the rival factions, but leave them to fight it out among themselves“; vgl. auch Derby an Disraeli, 24. April 1857, M&B IV, S. 80 f., hier 80: „To encourage this tendency on his part, if it exists,
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V. Staat und Politik
Widerstand gegen konservative Aktivitäten zu einigen133. Die Devise lautete vielmehr, „to kill them with kindness“134. Derbys oppositionspolitische Zurückhaltung hatte allerdings nicht nur diese taktischen Motive, sondern reklamierte im Zweifelsfall „höhere Motive“ für sich, die insofern glaubhaft sind, als sie ganz intern geäußert wurden. Als Disraeli im Oktober 1855 die Regierung Palmerston anzugreifen plante, weil sie ihre Haltung im Krimkrieg gegenüber der Vorgängerregierung geändert habe und er dabei die eigene Haltung spiegelbildlich ebenfalls verkehrte135, lehnte der Parteiführer solche Manöver rundheraus ab, da die eigenen Positionen inhaltliche Konsistenz verlangten und nicht taktischen Erwägungen untergeordnet werden dürften und da vor allem die Interessen des Landes der eigenen Macht und parteipolitischen Interessen eindeutig vorgingen: having been, in common with the Country at large, parties to entering into it [i.e. the War; AR], and having blamed previous Governments for want of vigour in carrying it on, we cannot with honor, or even with regard to party interests, constitute ourselves a peace opposition, merely because we have a War-Ministry; & I will never consent to weaken an Administration to which I am opposed, by increasing their difficulties in carrying the Country through what has become an inevitable War. [. . .] I hope that neither you, nor any of our friends would desire that for party purposes we should seek to discourage the country; & increase the difficulties of those who are charged with bringing the War to a satisfactory conclusion. [. . .] I hope I am led by higher motives in determining not at this moment to make a peace cry the means of attacking the Government, still less of making it the basis of any new political combination. If the Conservative party cannot be kept together on any other grounds, it is time that it should fall to pieces, or at least that I should retire from the scene.136
Diese ganz aus dem Politikverständnis des landed gentleman geborene Haltung, die Sache den eigenen Ambitionen auf Regierungsämter überzuord-
133
134 135 136
and to foment divisions and jealousies between the discordant elements of the Government majority, must be our first object; while we should carefully avoid multiplying occasions for their voting in concert, in opposition to motions brought forward by us.“ Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 24. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 94 („My Father says ‚Wait – don’t attack ministers – that will only bind them together – if left alone they must fall to pieces by their own disunion‘“), sowie Derby an Disraeli, 30. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2484/210 Anm. 1 („We shall have a difficult game to play. We must, to a certain extent, keep up the spirits of our party; but we must exercise, and get them to exercise, great patience & forbearance, if we do not wish, by an active and bitter opposition on our part, to consolidate the present combination between those who have no real bond of union, and who must, I think, fall to pieces before long, if left to themselves“). Tagebucheintrag Stanleys vom 20. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 91 f., hier 92. Vgl. dazu inhaltlich Kapitel VIII.1.a). Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855, AGKK III/4, 121/247 f. Vgl. dazu auch BLAKE, Disraeli, S. 364.
3. Politik und Macht
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nen, ohne letztere indes aufzugeben, bestimmte auch Derbys Verhältnis zu den beiden Kabinetten Palmerston, die das Jahrzehnt zwischen 1855 und 1865 dominierten. Denn solange Palmerston die mit ihm koalierenden Radikalen in Schach hielt – was die Konservativen allein nicht vermocht hätten, weil sie Radikale und Whig-Liberale, wie 1852 und vor allem 1859 geschehen, in der Opposition zusammenführten – und faktisch eine Politik betrieb, mit der die Konservativen in der Sache gut leben konnten, ja geradezu das Spiel der Konservativen spielte, und obendrein die politischen Geschäfte auch noch ruhig und unaufgeregt abliefen, sah der Lord aus Knowsley keinen Grund, diese Regierung ablösen zu wollen137 (wobei er sich durchaus Hoffnungen machte, Palmerstons Anhänger langfristig, in einer Zeit nach Palmerston, dessen Rückzug wesentlich früher als 1865 erwartet wurde, auf seine Seite ziehen zu können): Among our own friends there are many favourably disposed to Palmerston, and among the Palmerstonians proper there are as strong Conservatives at heart as any in our ranks; and looking to Palmerston’s age and increasing infirmities the oftener these can be brought into the same lobby, in opposition to Radical moves, the better for us and the country. This should be, I think, the leading principle of our policy during the present session; to avoid attacks on the Government and especially on Palmerston individually; to profess a readiness to consider candidly measures of internal improvement which he may recommend; and to intimate, rather than profess, our readiness to support him in resisting violent counsels forced upon him by his colleagues or supporters.138
Derbys Legierung aus Strategie und Sachorientierung aus übergeordneter Verantwortung machte auf manche, insbesondere in Disraelis Umgebung, unterdessen den Eindruck, „the Captain does not care for office, but wishes to keep things as they are, and impede ‚progress‘“139, er warte „mit verschränkten Armen“ einfach ab140, während die Partei perspektivlos und uninspiriert auseinanderzubrechen drohe141:
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Vgl. Derby an Disraeli, 24. Juli 1865, zit. nach STEWART, Foundation, S. 352: „Our game must be purely defensive, and we must be ready to support the moderate portion of the Cabinet, and watch for every opportunity of widening the breach between them and the Rads“; vgl. auch Derby an Disraeli, 12. Dezember 1860, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/1, fol. 206–209 (alte Signatur: B/XX/S/277), sowie Derby an Carnarvon, 7. November 1865, HARDINGE, Carnarvon I, S. 273. Derby an Disraeli, 24. April 1857, M&B IV, S. 80 f. Stanley an Disraeli, 20. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 205–207 (alte Signatur: B/XX/S/585), hier fol. 205. Malmesbury an Disraeli, 3. Februar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 99/1, fol. 84–89 (alte Signatur: B/XX/HS/30), hier fol. 84. Vgl. Stanley an Disraeli, 20. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 205–207 (alte Signatur: B/XX/S/585), hier fol. 205.
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V. Staat und Politik
It does not seem that Lord Derby contemplates, or even desires, a return to office: nor has he any definite policy. He is content to watch events, keeping under his command as large a body of Conservative Peers and M.P.’s as will remain satisfied with inaction. But Disraeli is not among these.142
Disraeli beanspruchte nämlich für die Konservativen die gesellschaftspolitische Großaufgabe, die „territorial constitution“ samt des „aristocratic settlement“ des Landes aufrechtzuerhalten und sein Abgleiten in eine sogenannte Demokratie Manchester-radikaler Prägung zu verhindern. Dies setzte Popularität der eigenen Politik voraus und erforderte die Beendigung der großen sozio-ökonomischen Kontroverse zwischen Stadt und Land, zwischen landed interest und städtischen wirtschaftbürgerlichen middle classes.143 Große Themen müßten, so sein Credo, von großen Parteien verkörpert werden, und zur politischen Umsetzung bedurfte es politischer Macht. Nun herrschte unter den Zeitgenossen nicht gerade der Eindruck, Disraeli strebe nach Macht allein als einem Mittel zur Durchsetzung übergeordneter Ziele, sondern durchaus als Selbstzweck. Prinz Albert gewann bei der Verbschiedung der Minister nach dem Sturz des ersten Kabinetts Derby den Eindruck, daß Disraeli den Verlust des Regierungsamtes am schmerzlichsten empfinde144. Und Disraeli selbst leistete einer solchen Einschätzung mit der (wenn auch intern geäußerten) Bemerkung Vorschub, „there is no gambling like politics“145. Jedenfalls war Disraeli überzeugt, die Partei, insbesondere die Unterhausfraktion, sei hungrig und brauche Futter146; in ähnlichem Sinne hatte er bereits 1849 seinen Plan von Aylesbury betrieben: If the measures are not carried, they are, at least, suggestions of a nature, wh:, I think, will rally our friends round the old flag & keep together a party, wh: may prevent this first-rate monarchy subsiding into a second-rate republic.147
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Stanley, Memorandum on Public Affairs, November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–141, hier 140. Vgl. dazu etwa Disraeli an Stanley, 26. Dezember 1848, DISRAELI LETTERS V, 1755/118, Disraeli an Lord Londonderry, 29. Dezember 1850 und 29. Januar 1851, EBD., 2081/394 und 2093/406, und Disraelis Rede auf einem Party Dinner am 26. Juni 1863, M&B IV, S. 380; vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 278–283, und Kapitel II.6.c), III.3.c), IV.3.c) und V.4. Vgl. Alberts Memorandum vom 28. Dezember 1852, LQV 1837–1861 II, S. 427 f., hier 427. Disraeli an Henry Lennox, 11. Dezember 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2595/292, vgl. auch Lennox an Disraeli, 1. Oktober 1854, EBD., 2694/376 f. Anm. 1 und 2, und öfter. Vgl. Disraeli an Derby, 19. Januar 1855, EBD., 2722/400 (wobei der erste Satz offenkundig an Derbys Haltung anzuknüpfen sucht): „As a general rule, I think an Opposition shd. never attack a Government, & reserve their power for resistance to measures. [. . .] Our people, however, are very restless, & [. . .] they require, in such a state, some management.“ Vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 17. Juni 1861, STANLEY JOURNALS, S. 172 f., hier 173. Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/232; vgl. auch Disraeli
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So verfestigte sich der Eindruck, Disraeli sei bar politischer Moralität148 und um der Macht willen bereit, wie sogar der ihm gewogene Malmesbury nicht ohne kritischen Unterton bemerkte, „to join with anybody“149. In der Tat verfolgte Disraeli als Oppositionsführer im Unterhaus bestimmte Leitlinien, die dem traditionellen Politikverständnis seiner „Parteifreunde“ zuwider liefen. Disraeli war wohl der erste, der konsequent darauf setzte, daß die Opposition eine Opposition und daher gegen die Regierung zu sein habe: An Opposition must represent a policy, and if it represents the policy of the Minister, it ceases to be an Opposition.150
Diese Linie verfolgte er auch im Herbst 1855, als die Regierung Palmerston eine Fortsetzung der Kriegshandlungen betrieb und Disraeli demgegenüber auf Friedenskurs ging, mit der Begründung, „that a war-opposition and a War-Ministry cannot co-exist“, anderenfalls endeten die Konservativen auf dem „level of the little boys who will cheer Palmerston on Lord Mayor’s Day“151. Konsequente Oppositionspolitik war dabei in Disraelis Augen in erster Linie darauf gerichtet, die Regierung zunächst zu stürzen und dann eine eigene Regierung zu bilden. Daher gefiel es ihm auch ganz und gar nicht, daß der Krimkrieg die Regierung im Amt hielt152, wie es etwa aus Derbys Verhalten folgte, und es machte ihn geradezu rasend, daß Derby die Möglichkeiten einer eigenen Regierungsbildung weder 1851 noch 1855
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an Young, 19. Oktober 1849, EBD., 1902/237: „It is possible that these projected measures may never pass, but it is a bold & specific policy, founded on principles, wh: would rally men together, & keep them together, until they have power to carry something else, still more satisfactory.“ Vgl. dazu Kapitel III.3.b). Vgl. Brights Aufzeichnung über die Unterredung mit Disraeli am 15. Dezember 1852, BRIGHT DIARIES, S. 128–130, hier 130: „This remarkable man is ambitious, most able, and without prejudices. He conceives it right to strive for a great career with such principles as are in vogue in his age and country – says the politics and principles to suit England must be of the ‚english type‘, but having obtained power, would use it to found a great reputation on great services rendered to the country. He seems unable to comprehend the morality of our political course.“ Tagebucheintrag Malmesburys vom 9. Februar 1854, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 424. Disraeli an Bulwer-Lytton, 6. November 1855, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 235–237, hier 236. Vgl. Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855, AGKK III/4, 121/247 (Wiedergabe von Jolliffes Bericht über Disraelis Position; erstes Zitat), und Disraeli an Bulwer-Lytton, 6. November 1855, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 235–237, hier 237 (zweites Zitat); vgl. auch Stanleys Memorandum on Public Affairs vom November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–151, hier 135; vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 340 f. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 12. Mai 1854, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 433 f., hier 434: „Disraeli is furious with the war, which he thinks keeps the Government in“ (in diesem Falle noch die Regierung Aberdeen).
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V. Staat und Politik
konsequent nutzte, als er selbst den Gegner sturmreif geschossen hatte153. „Disraeli’s fixed idea is“, so notierte Stanley, „to bring his party into office, no matter for how short a term“154. Dazu war er auch bereit, Allianzen einzugehen, sei es mit den Whigs155, sei es, wenn auch nur allererste Fühler im Hinblick auf die eine konkrete Abstimmung über Disraelis Haushalt in dem einen berühmten Gespräch mit Bright am späten Abend des 15. Dezember 1852 ausgestreckt wurden156, mit den Radikalen. Selbst dies war für Derby mehr als genug, und er rief seinen Unterhausführer in aller Deutlichkeit zur Ordnung: Ein konservatives Kabinett solle von Konservativen getragen werden und sich, wenn dies nicht ausreiche, lieber ehrenhaft besiegen als ausgerechnet von den Radikalen aushalten lassen157. Als Disraeli, nachdem Derby ihn im Januar gewarnt hatte, keine Koalition mit den „Ultra-Whigs“ zu suchen158, im Frühjahr 1853 wiederum Kontakt mit Cobden und Bright wegen der gemeinsamen Ablehnung eines Indien-Gesetzes aufnahm, platzte Derby der Kragen: I cannot conceal it from you that there is reported to me to be a growing fear [.. .], that you are gradually withdrawing yourself more & more from the Conservative portion of our supporters, and seeking alliances in quarters with which neither they nor I can recognize any bond of union.159
Selbst bei seinen politischen Verbündeten stieß Disraelis Machtstreben auf Vorbehalte. Stanley kritisierte zwar die Passivität seines Vaters, im Zuge der Abkühlung seines persönlichen Verhältnisses zu Disraeli ließ aber auch seine Orientierung an der Macht spürbar nach160. Bulwer-Lytton warnte
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Vgl. Disraeli an Lady Londonderry (Confidential), 2. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2730/404 f.: „I was so annoyed & worn out yesterday, that I cd. not send you two lines to say that our chief has again bolted! This is the third time, that, in the course of six years, during wh: I have had the lead of the Opposition in the Ho: of Commons, I have stormed the Treasury Benches: twice fruitlessly, & the third time, with a tin kettle to my tail, wh: rendered the race almost hopeless. [. . .] I am a little wearied of these barren victories.“ Tagebucheintrag Stanleys vom 8. Mai 1866, STANLEY JOURNALS, S. 251. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 4. April 1853, EBD., S. 104. Vgl. dazu Kapitel II.6.c). Vgl. Derby an Disraeli, 15. Dezember 1852, M&B III, S. 440 f.; vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 24. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 94: Derby „expressed fears that Disraeli will lay himself out for radical support.“ Vgl. Derby an Disraeli, 30. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2484/210 Anm. 1. Derby an Disraeli, 20. Juni 1853, EBD., 2537/244 Anm. 1 (ausführlich zitiert in Kapitel II.6.c). Zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen Derby und Disraeli vgl. auch BLAKE, Disraeli, S. 286, 293–295, 309, 354–357 und 362–365, BLAKE, Conservative Party, S. 84–87, JONES, Derby, S. 131–134, 165 f., 204–206, 230 und 271, sowie STEWART, Foundation, S. 249, 262 f., 289–294, 300, 304 und 314 f. Vgl. Stanley an Disraeli, 20. Januar 1853, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 111/1, fol. 205–207 (alte Signatur: B/XX/S/585), Henry Lennox an Disraeli über ein Ge-
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den Unterhausführer in der Auseinandersetzung um den Frieden im Krimkrieg, in der Disraeli schließlich klein beigeben mußte161, die Theorie der Opposition um der Opposition willen nicht zu überziehen162, und auch seine Whips rieten, nach einer mißglückten Attacke auf die Regierung, the only policy that remains, however distasteful to an eager leader like Disraeli, is not again to attack till times and circumstances alter, but content ourselves with fighting in defence only.163
Ganz andere Kaliber feuerte Cecil als Exponent der Hochkonservativen auf auf Disraeli ab. Er forderte inhaltliche Konsistenz und Verläßlichkeit anstelle prinzipienloser taktischer Konzessionsbereitschaft: Our theory of Government is, that on each side of the House, there should be men supporting definite opinions, and that what they have supported in opposition they should adhere to in office. [. . .] If you reverse that and declare that, no matter what a man has supported in opposition, the moment he gets into office it shall be open to him to reverse and repudiate it all, you practically destroy the whole basis on which our form of Government rests, and you make the House of Commons a mere scrambling place for office. [. . .] If you borrow your political ethics from the ethics of the political adventurer, you may depend upon it the whole of your representative institutions will crumble beneath your feet.164
Wer mit dem „politischen Windhund“ gemeint war, lag auf der Hand: der Anführer einer „umherziehenden Horde von Marodeuren“ auf der Suche nach Macht165. Statt aber um Macht zu schachern und sie um ihrer selbst willen zu suchen, solle sie nur auf der Grundlage eigener Stärke erworben und zwecks grundsatztreuer Verfolgung erklärter politischer Inhalte und berechenbarer Prinzipien genutzt werden; nur dies gewährleiste Ehre und schaffe öffentliches Vertrauen in die Politik166. Dieses mehr prinzipien- als machtorientierte Verständnis war unter den mittviktorianischen Konservativen, zumindest vor 1867, konsensfähiger als Disraelis offensive Auffassung. Walpole sprach für viele, wenn er den
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spräch mit Stanley, 12. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2733/406 Anm. 1, Stanley an Palmerston, 1. November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 137–139, hier 138 f., sowie seine 1855 verfaßte Einführung zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1851, EBD., S. 33. Vgl. Disraeli an Malmesbury, 30. November 1855, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 37–39, hier 37 f. Bulwer-Lytton an Disraeli, 12. November 1855, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 237–240, hier 238. Taylor an Jolliffe, 13. Dezember 1857, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/21,5. Unterhausrede Cranbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, hier 1538 f. Cecil, English Politics and Parties, in: BQR I, Nr. 1 (März 1859), S. 1–32, hier 12. Vgl. Cecil, The Conservative Reaction, in: QR 108, Nr. 215 (Juli 1860), S. 265–302, hier 301 f.; vgl. auch Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 157.
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ehrenhaften Kurs beschrieb, den die Konservativen verfolgen sollten: die eigenen Prinzipien zu behaupten, wenn man von der Regierung abweiche, anderenfalls aber „to support the Executive Government, because it is the Executive Government, wherever they can“167. Dieses Verständnis lag auch dem sogenannten „Waffenstillstand der Parteien“ (party truce) in der ersten Hälfte der sechziger Jahre zugrunde, als Derby seine Position konsequent durchsetzte und aus den genannten taktischen und sachlichen Gründen darauf verzichtete, die Regierung Palmerston zu attackieren168. Sogar Disraeli sah keine andere Möglichkeit, als sich zu fügen169. Als Palmerston aber am 18. Oktober 1865 starb, gab er unverzüglich und offensichtlich nicht ohne große Genugtuung die Parole aus: „The truce of parties is over. I foresee tempestuous times, and great vicissitudes in public life“170. „We come here for fame!“171 John Brights Überlieferung einer Äußerung Disraelis führt zu der Frage, ob Disraelis Ehrgeiz und sein Streben nach Macht nicht reiner Selbstzweck, seine deklamierten Inhalte hingegen bloße und beliebige Fassade waren, wie vielfach angenommen und behauptet wird. Abgesehen davon, daß diese Frage kaum verbindlich zu beantworten ist, scheint sie auch, insofern sie auf Disraelis innere Motive zielt, letztlich unerheblich. Denn historisch bedeutsam ist das Faktum, daß sich in seiner Politik, was auch gar kein Widerspruch sein muß, ganz offensives Macht167 168
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Walpole an Croker, 28. März 1854, CROKER PAPERS III, S. 334 f. Vgl. Malmesbury an Derby, 6. Februar 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 215 („As to our coming into office I confess I have the strongest repugnance to do so upon our former basis, twice tried, and twice with the same result – namely, ten or twelve months of sufferance, then a beating, then a dissolution, and then an ejection. Personally, none of us can desire to play so disagreeable a rôle once more with the same play and the same parts, and still less can we wish it for the good of the country. It is, therefore, with great satisfaction I hear you say that we must help to keep these cripples on their legs“), W.E. Aytoun, The Anglo-Gallican Budget, in: BM 87, S. 381–396 (März 1860), hier 381 f. („We do not wish to see the present Ministry displaced. We are content with the knowledge that the Opposition is so strong that the Palmerston Cabinet dare not deviate from the path of duty and sound British policy without experiencing a fatal reverse“), Malmesburys Tagebucheintrag vom 1. Juni 1860, EBD., S. 228, Derby an Malmesbury, 4. und 26. Dezember 1860, EBD., S. 241 f., hier 242, und 243 f., Derby an Disraeli, 12. Dezember 1860, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/1, fol. 206–209 (alte Signatur: B/XX/S/277), hier 208, Palmerston an Victoria, 1. und 27. Januar 1861, LQV 1837–1861 III, S. 422 f., hier 423, und 429 f., hier 429, und Derby an Disraeli, 24. Juli 1865, hier nach STEWART, Foundation, S. 352. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 1. Juni 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 228. Disraeli an Lonsdale, 20. Oktober 1865, M&B IV, S. 424. Tagebucheintrag Brights vom 1. März 1867 über eine viele Jahre zurückliegende Äußerung Disraelis, BRIGHT DIARIES, S. 296 f., hier 297 („‚We come here for fame!‘ he said to me many years ago“); ähnliche Überlieferung (Disraeli „once said, or is reported to have said“) bei WHITE, Inner Life II, S. 103 (unter dem Datum des 9. Mai 1868).
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streben mit artikulierten Inhalten verband. Die Inhalte waren, auch wenn sie in bloß deklamatorischer Absicht vorgetragen worden wären, nichtsdestoweniger politisch und historisch bedeutsam, weil sie in politicis faktischer und legitimierender, jedenfalls unverzichtbarer Bestandteil seiner Politik waren. Und diese richtete sich in erster Linie auf die Verhinderung dessen, was zeitgenössisch „Demokratie“ genannt wurde.
4. „THE TERRIBLE STRUGGLE“: FEINDBILD DEMOKRATIE „Demokratie“ war für die mittviktorianischen Konservativen das Feindbild, das Horrorszenario schlechthin. Gerade in den Jahren nach 1846 war allerorten ein Gefühl der elementaren Bedrohung anzutreffen: Krieg, Katholizismus und Demokratie waren für Bulwer-Lytton die drei großen Gefahren172, und Croker spitzte noch deutlicher auf die „inroads of democracy“ zu: „That is the danger that absorbs all others“173. Die Konservativen sahen sich mit einem unmittelbar bevorstehenden oder gar bereits begonnenen Kampf konfrontiert, den demokratische Prinzipien gegen die aristokratischen und monarchischen Prinzipien um die Sozial- und Verfassungsordnung des Landes führten: „The impending struggle for the territorial constitution of this country will be a terrible one“174. Schrecklich sollte diese „battle of the Constitution“ auch sein, weil es im Kampf um die politische und legislative Präponderanz zwischen landed und manufacturing interest175 auch in sozialer, materieller Hinsicht buchstäblich um alles ging, fürchteten die Konservativen doch eine „Konfiskation der Aristokratie“176. Mit größter Sorge beobachteten sie den stetigen Vormarsch, auf dem sie die „Demokratie“ (zumindest sahen sie es nachträglich so) seit 1832 empfanden, „that continually increasing and encroaching democratic influence
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Bulwer-Lytton, Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99. J.W. Croker, Postscript, in: QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, hier 271. Disraeli an Granby, 29. November 1849, DISRAELI LETTERS V, 1926/260; vgl. auch Stanley an Croker, 12. September 1847, CROKER PAPERS III, S. 134–160, hier 135, und die in der Kapitelüberschrift zitierte briefliche Äußerung Disraelis gegenüber Manners vom 29. Januar 1849, DISRAELI LETTERS V, 1781/139 („the terrible struggle wh: [. . .] I have long seen looming in the distance betn. the aristocratic & democratic principles“) sowie Manners’ Antwort vom 2. Februar 1849, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 106/1, fol. 53 f. (alte Signatur: B/XX/M/38), hier 53: „On you presses the intellectual, and even physical burden of the ‚terrible struggle‘ as you most justly characterize it.“ Vgl. Derby an Croker, 22. März 1852, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237. Disraeli an Newcastle, 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/231.
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V. Staat und Politik
in this nation“, dem es den möglichsten Widerstand entgegenzusetzen und möglichst einen „Riegel“ vorzuschieben gelte177. Dabei verriet die gehäufte Verwendung hydrologischer Metaphorik, etwa der steigenden Flut178, ein gehöriges Maß an genereller Skepsis und Fatalismus hinsichtlich der Erfolgsaussichten des „losing cause“179 gegenüber der „democratic downward tendency“180, wie Stanley aus einer persönlichen Unterredung mit seinem Vater wenige Tage nach dem Scheitern seines ersten Kabinetts berichtete: „I knew as long ago as 1845, that I was playing a losing game: I said so then: I thought I was left high and dry for ever: the tide has risen once, high enough to float me again, which was more than I expected: it will never do so again: the game is lost, but I think it ought to be played, and I will play it out to the last.“ By this he means resistance to democracy.181
Das Bild von der steigenden Flut, ebenso wie die Metaphern von der Ausdehnung bzw. dem Vormarsch der Demokratie, verweist zugleich auf ein weiteres Phänomen: Demokratie konnte es demzufolge nämlich in unterschiedlichen Graden geben182. Anders herum: Demokratie war (zumindest zunächst) kein eindeutig, am ehesten durch ein allgemeines und gleiches Wahlrecht definierter verfassungsrechtlicher Zustand, der ein klares Gegenmodell zur existierenden englischen Verfassung dargestellt hätte, sondern offenbar ein graduelles oder gradualisierbares Phänomen. Damit ist die Frage nach dem konkreten Inhalt des konservativen Demokratiebegriffs aufgeworfen. Der entscheidende Makel der „Demokratie“ lag nach konservativer Auffassung – neben ihrer mangelnden Legitimierung durch bewährende Tradi177
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Vgl. Derbys Oberhausrede vom 15. März 1852, HANSARD 3/119, Sp. 1010 (dort die Zitate), sowie Stanley an Croker, 14. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 231–233, hier 233 („stemming the Democratic tide which has been flowing of late with formidable rapidity“), Stanleys Tagebucheintrag vom 15. April 1851 nach einem Gespräch mit Disraeli, STANLEY JOURNALS, S. 61 f., hier 62, ebenso Henry Seymers Unterhausrede vom 18. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 456 f., hier 457, Northcotes Adresse an die Wähler von Exeter vor dem 4. Mai 1852, LANG, Life of Northcote I, S. 97–99, hier 97, Croker, Postscript, in: QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, hier 271, [DRUMMOND,] Political Parties, S. 6, sowie R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 158. Vgl. Stanley an Croker, 14. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 231–233, hier 233. Tagebucheintrag Stanleys vom 17. Juni 1849 über eine Äußerung Disraelis, STANLEY JOURNALS, S. 11. Hardwicke an Croker, 30. Dezember 1852, CROKER PAPERS III, S. 260 f., hier 260. Tagebucheintrag Stanleys vom 28. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 94. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 17. Juni 1849, EBD., S. 11, Stanley an Croker, 14. März und 22. September 1851, CROKER PAPERS III, S. 231–233, hier 233, und 243 f., hier 244, Derbys Oberhausrede vom 15. März 1852, HANSARD 3/119, Sp. 1010, sowie [DRUMMOND,] Political Parties, S. 3.
4. Feindbild Demokratie
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tion, statt dessen ihrer historischen und politischen Delegitimierung, wie sich insbesondere anhand des amerikanischen Bürgerkrieges zeigte183 – vor allem in ihrem Prinzip der „numbers“, das elementaren konservativen Grundannahmen zuwiderlief184 und mit dem Prinzip des Eigentums und den damit verbundenen sozialmoralischen Werten185 nicht zu vereinbaren war186. Denn die Macht den „Massen“ zu übertragen, bedeute nicht zuletzt, sie in die Hände von „Demagogen und Republikanern“ zu legen187, und so zerstöre Demokratie die Verfassung und die Institutionen des Landes samt der Staatskirche und die Balance der gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen188. Diese sehr allgemeinen, geradezu topischen Formulierungen wurden unterdessen durch bestimmte begriffliche Verbindungen von „Demokratie“ konkretisiert: mit Freihandel189, den moneyed and manufacturing classes190, der Herrschaft der großen Städte gegenüber dem agricultural interest und der Aristokratie sowie mit „Manchester“: „that worst kind of Democracy which proceeds from the politicians of Manchester“191. 183 184 185 186
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Vgl. dazu BELLOWS, Civil War, bes. S. 507, 509, 517–524 und 526. Vgl. dazu Kapitel II.2. Vgl. dazu Kapitel IV.5.b). Vgl. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 286, 288 und 293, sowie French Revolution of February, in: QR 86, Nr. 172 (März 1850), S. 526–585, hier 584 („the predominance of brute numbers over intelligence and property“). Oberhausrede Derbys vom 15. März 1852, HANSARD 3/119, Sp. 1010. Vgl. Bulwer-Lyttons Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99, sowie Stanleys Tagebucheintrag vom 28. Dezember 1852 nach einem Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94. Vgl. Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 292 f. (Abschaffung der Getreidezölle als „another triumph of the democracy“ und „a very great victory over the aristocracy“), sowie Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 183 (Freihandel „in its essence a mercenary, unsocial, democratising system“). Vgl. Hardwicke an Croker, 30. Dezember 1852, CROKER PAPERS III, S. 260 f. („so slow and moderate will be the democratic downward tendency, that as a party we shall be deprived of a link strong enough to hold us together. It is, moreover, now so clear that the power and preponderance are in the hands of, and turn to, the trade, moneyed and manufacturing classes, that the land will be governed by them and obliged to submit to a state of things that will enhance the value of trade“), sowie Bulwer-Lytton an Lansdowne, zit. nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 73 mit Anm. 16, S. 94 (am angegebenen Ort im NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK C23 allerdings nicht auffindbar): „the inevitable democracy engendered in the manufacturing populations“. Bulwer-Lytton, Rede in Bishop’s Stortford, 29. April 1852, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK W99; vgl. auch Derby an Croker, 22. September 1851, CROKER PAPERS III, S. 243 f., hier 243 („The object of the Radicals is very plain. It is to swamp the county representation by the influence of the towns“), W.E. Aytoun, The Manchester Movement, in: BM 72, S. 759–770 (Dezember 1852), hier 760 („revolutionary schemes of which Manchester is the hotbed, and which have long been matured and prepared by the chiefs of
320
V. Staat und Politik
„Demokratie“ wurde in sozialer Hinsicht mit dem konservativen Begriff der „middle classes“192, also dem neuen städtischen, industriekapitalistischen Wirtschaftsbürgertum, und in politischer Hinsicht mit dem Radikalismus der Manchester School assoziiert, der folgerichtig mit der verbalen konservativen Höchststrafe der „anti-constitutional party of this country“193 belegt wurde, im sozio-ökonomischen wie im politischen (und auch kulturellen) Sinne. Durch diese (in der zivilgesellschaftlich geprägten Vorstellungswelt der Konservativen angelegte) Verbindung der sozialökonomischen und der politischen Ebene wurde „Demokratie“ zum umfassenden Feindbild im Zusammenhang eines integralen Dualismus, zum Synonym für die soziale und politische Herrschaft „Manchesters“: let our watchwords be what they may, the real struggle, the real battle of the Constitution which has to be fought is whether the preponderance, in the legislative power, is to rest with the land and those connected with it, or with the manufacturing interests of the country. If the former, the Throne is safe; if the latter, in my deliberate judgement, it is gone.194
Als sich nach 1852 auf sozio-ökonomischer Ebene Entspannung im „Klassenkampf“ breitmachte195, nahm auch diese antagonistische Kontroverse an Schärfe ab. Zugleich begann 1852 in der politischen Öffentlichkeit die Debatte über eine neuerliche Wahlrechtsreform, die Ende der fünfziger Jahre und insbesondere im Zusammenhang von Derbys zweitem Kabinett 1858/59 auch die Konservativen mit ganzer Wucht erfaßte. Innerhalb der Partei wurden dabei, trotz aller realpolitischen Berührungen, zwei tendenziell und letztlich auch substantiell unterschiedliche Positionen vertreten, eine wesentlich defensiv-passive und eine offensiv-aktive, die sich in diesem Falle anhand von Robert Cecil und Benjamin Disraeli eindeutig personalisieren lassen. Auf den etablierten argumentativen Grundlagen verschoben die Konservativen den Demokratiebegriff weg von der bisherigen Bedeutung einer Herrschaft der middle classes bzw. des Manchester-Radikalismus. Im Mittelpunkt stand nun das allgemeine Wahlrecht (universal suffrage), das einer
192 193 194 195
the democratic confederacy“), sowie Disraelis Brief an Newcastle vom 16. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1896/231 mit Anm. 1, in dem er den Gegner, dessen Ziel in der „confiscation of the Aristocracy“ liege, zunächst als „Cobden“, dann als „Manch[este]r School“ und schließlich als „Radicals“ bezeichnete; vgl. auch Disraelis Brief an Young vom 19. Oktober 1849, EBD., 1902/237. Vgl. dazu Kapitel IV.3.a). Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 255 f. Derby an Croker, 22. März 1852, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237. Vgl. dazu Kapitel IV.3.c).
4. Feindbild Demokratie
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Demokratie im modernen verfassungsrechtlichen Sinne, jedenfalls im Hinblick auf die männliche Bevölkerung, in der Tat näher kam und auf das sich mit größerer Berechtigung noch als ehedem das Verdikt der „numbers“ anwenden ließ: die Zerstörung der Verfassung und der Institutionen des Landes, die Herrschaft der großen Städte, der Verlust der Bedeutung von Eigentum und Bildung196 und schließlich die Zerstörung der sozialen und politischen Balance zugunsten einer einzigen Klasse. Bis hierher herrschte konservativer Konsens. In unterschiedlichem Maße jedoch wurde dieses Szenario sozial und politisch konkretisiert. Insbesondere die Hochkonservativen richteten ihre Befürchtungen seit den ausgehenden fünfziger Jahren nicht mehr in erster Linie auf die middle classes, sondern auf die working classes197, ohne sie indes zum Gegenstand gesellschaftspolitischer Reflexionen oder gar Aktivitäten zu machen198. Dies bedeutete nicht die Herrschaft der Industriekapitalisten, dafür der Besitzlosen: „the rule of the mob“199 Gegenüber dem eindeutig pejorativen Begriff des „mob“ gebrauchten die Konservativen den Begriff „people“ durchgehend und in neutraler Absicht, ohne ihn semantisch zu spezifizieren; seine Bedeutung wurde offensichtlich vorausgesetzt und dem common sense überlassen. People wurde weithin in ganz allgemeiner Weise verwendet und ließ sich in diesem Falle sozial nicht näher eingrenzen, sondern schien dann wirklich die gesamte Bevölkerung zu umfassen, wenn etwa von der „numerical majority of the whole people“ die Rede war, oder wenn Lord Feversham nach der Ausweitung des Wahlrechts auf weite Teile der working classes davon sprach, „their Lordships might be justly proud of the people among whom they lived“200. Damit waren offenkundig nicht nur die Wahlberechtigten
196
197 198 199 200
Vgl. Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 557, Whitwell Elwin, Reform, in: QR 105, Nr. 209 (Januar 1859), S. 255–274, hier 256 f., Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 554, sowie Beresford-Hopes Unterhausrede vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 68–73, hier 71 (zur Haltung Beresford-Hopes vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 77 f.). Vgl. Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1945, hier 1925. Vgl. dazu Kapitel IV.4. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 4. Vgl. die Adresse Richard Spooners an die Wähler von North Warwickshire vom 10. August 1847, in: THE TIMES vom 11. August 1847, S. 4e, Richmonds Oberhausrede vom 2. Mai 1850, HANSARD 3/110, Sp. 1090–1095, hier 1092, Sibthorps Unterhausrede vom 4. Juli 1850, HANSARD 3/112, Sp. 901–904, hier 902, den Artikel „Caution to Conservatives“, in: THE PRESS, Vol. IV, Nr. 159 (17. Mai 1856), S. 457 f., Charles Mackay, The Working Classes, in: BM 101, S. 220–229 (Februar 1867), hier 221 (dort das erste Zitat), sowie Fevershams Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1971–1975, hier 1975 (zweites Zitat).
322
V. Staat und Politik
gemeint, obgleich auch diese deutlich eingeschränkte, aus der Tradition von vor 1832 rührende201 Bedeutung des Begriffs „people“ gelegentlich (und dabei meist implizit) anzutreffen war, nicht zuletzt wenn er in Verbindung mit „liberty“ oder „freedom“ verwendet wurde202. Der Begriff war aber im allgemeinen Sprachgebrauch keineswegs in solchen Maße sozial oder politisch auf die (Wahl-) Bürger beschränkt. Auch war er nicht allein den Steuerzahlern vorbehalten, mit dem er ebenfalls zuweilen (und ebenfalls zumeist implizit) in Verbindung gesetzt wurde203. Denn oft genug war im Zusammenhang von „people“ (auch im semantischen Singular) von der sozialen Frage, von „distress“, „condition of the people“ und von „education“ die Rede, und diese Phänomene bezogen sich eindeutig auf die poorer oder working classes204, die auch gemeint sein mußten, wenn von den produzierten Gütern des „own people“205 gesprochen wurde. Auch Redewendungen (hier allerdings im Plural) wie „people of all
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203
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205
Vgl. dazu WIRSCHING, Parlament und Volkes Stimme, S. 99–106, sowie STEWART, Party and Politics, S. 13. Vgl. Newdegates Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 10. August 1847, in: THE TIMES vom 11. August 1847, S. 4d/e, hier 4e, Inglis’ Unterhausrede vom 10. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 98–103, hier 103, Bulwer-Lyttons Wahladresse vor dem 16. Dezember 1848 in der HEREFORD TIMES vom 16. Dezember 1848, hier nach SNYDER, Bulwer-Lytton, S. 91 f., den Leitartikel in der PRESS vom 30. Juli 1853, Vol. I, Nr. 13 („an enfranchised people“, dies in seiner Exklusivität der deutlichste Bezug dieser Art), Croker an Brougham, 21. Juli 1854, CROKER PAPERS III, S. 340 f., hier 341, DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 6, oder Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), S. 245–281, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 182, sowie Disraelis Rede auf dem Mansion House Banquet am 7. August 1867, M&B IV, S. 553, über das Wahlrecht als „privileges of the people“ in wechselwirkendem Zusammenhang mit den repräsentativen und rechtssichernden Institutionen des Landes. Vgl. J.Y. Bullers Adresse an die Wähler von Cardiganshire vom 3. August 1847, in: THE TIMES vom 4. August 1847, S. 2e/3a, hier 2e, Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/ März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f., hier 161, oder Disraeli an [George Lathom Browne], 20. September 1849, DISRAELI LETTERS V, 1883/221. Vgl. Pakingtons Adresse an die Wähler von Droitwich vom 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3c/d, hier 3c, Lord Courtenays Adresse an die Wähler von Cardiganshire vom 3. August 1847, in: THE TIMES vom 5. August 1847, S. 3a, Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 914, Disraeli an Lord Ponsonby, 9. Juli 1848, DISRAELI LETTERS V, 1664/40, D.T. Coulton, California versus Free Trade, in: QR 90, Nr. 180 ([nach 15.] März 1852), S. 492–502, hier 497, DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 7, Derbys Oberhausrede vom 3. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 35 f., Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1931, sowie Alderman S.J. Gibbons, Adresse an die Wähler der City of London, 26. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 27. Oktober 1868, S. 5a. Henry Drummond an den Herausgeber der Surrey Times, 7. November 1850, DRUMMOND, Speeches I, S. 459–461, hier 459.
4. Feindbild Demokratie
323
classes“ (die „gute Luft und gutes Licht in ihren Behausungen haben sollten“)206 deuteten auf eine große soziale Breite des Begriffs „people“ hin. Er war durchaus von (paternalistisch inspirierter) Sympathie getragen, in der Regel aber nicht – wie im Falle der Radikalliberalen bzw. des popular liberalism207 – sozialmoralisch aufgeladen. Letzteres traf höchstens auf Disraelis Verwendung der adjektivischen Ableitung „popular“ zu, zumal insofern sie die als „factious“ diskreditierten Whig-Liberalen oder die Radikalen und „Demokraten“ (und ihren Exklusivitätsanspruch auf die Artikulation des „Volkes“) attackierte und demgegenüber für die Tories den Rang der „champions of everything national and popular“ beanspruchte208. Dies fügte sich in Disraelis programmatisches Konzept ein, mit den Topoi des one nation-Konservatismus zugleich die Begriffe der politischen Gegner zu okkupieren und polemisch gegen sie selbst zu wenden. Zu einem Schlüsselbegriff wurde „people“ dabei jedoch nicht. Dabei war der Begriff „popular“ bezeichnenderweise ebensowenig soziologisch oder sozial-ökonomisch konkretisiert wie „people“209; allein die im allgemeinen Sprachgebrauch als „mob“ bezeichneten armen Unterschichten (wobei auch dieser Begriff in konservativer Diktion semantisch nicht eindeutig festgelegt war) dürften kaum unter den Begriff „people“ gefallen sein, aber auch dies ist terminologisch nicht eindeutig festzustellen. Jedenfalls reichte die Bedeutung des allgemein gebräuchlichen und nicht eindeutig spezifizierten Begriffs „people“ in sozialer Hinsicht in aller Regel weit über den Kreis der Wahl-Bürger und auch über den Kreis der SteuerBürger hinaus. Er konnte semantisch neutral, jedenfalls ohne eindeutige Konnotation verwendet werden, weil er für die Konservativen – ganz im 206 207
208
209
Alderman John Johnson, Adresse an die Wähler der City von London, 22. Juli 1847, in: THE TIMES vom 23. Juli 1847, S. 8d. Vgl. etwa BIAGINI, Popular Liberalism, S. 11 f., 50–60 (bes. 51), 376 und 411 f., JOYCE, Constitution, S. 189 f., JOYCE, Vision, S. 329–432, oder SHANNON, Gladstone II, S. xii und 222; wenig differenziert und mit unüberhörbar politisch-normativem Unterton (und einem dementsprechend sprachlich vorstrukturierten und konstruierten eigenen Begriff von people als historiographischer Kategorie) dazu VERNON, Politics and the People, S. 301–305. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964; vgl. auch Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, in: THE TIMES vom 25. Mai 1847, S. 7e, hier zit. nach M&B III, S. 23 („In the great struggle between popular principles and liberal opinions, which is the characteristic of our age, I hope ever to be found on the side of the people, and of the institutions, of England.“), sowie allgemein Kapitel II.6.c). Die einzige innerhalb der untersuchten Quellen aufgetretene Definition von „people“ von Spencer Walpole, Parliamentary Reform, in: QR 106, Nr. 212 (Oktober 1859), S. 541–562, hier 554, bringt auch keine wirkliche Klärung, signalisiert aber ebenfalls semantische Breite: „the whole collective body of the nation in its fullest sense, or, in its more limited sense, those communities within the nation which are allied to each other by an agreement of laws or a communion of interests.“
324
V. Staat und Politik
Gegensatz zum radikalen bzw. popular liberalism – keine zentrale Bedeutung besaß und weil er vor allem in aller Regel keine (wie auch immer geartete) soziale oder politische oder (im polemischen Sinne) ideologische und erst recht keine nationale oder nationalistisch ausgrenzende Aufladung erfuhr. Das gerade unter den Hochkonservativen seit Ende der fünfziger Jahre vorherrschende, rein defensive Verständnis von Demokratie als der Herrschaft der Besitzlosen zog im Demokratiebegriff weiterhin die sozialökonomische und die verfassungspolitische Ebene zusammen und konzeptualisierte somit die auch nach 1852 fortgesetzte integrale Auseinandersetzung, wie sie systematisch und in umfassender Perspektive in den Schriften Robert Cecils aufgearbeitet wurde. Der grundlegende Denkfehler von Demokratie lag demzufolge in der irrigen Annahme der natürlichen bzw. grundsätzlichen Perfektionierbarkeit bzw. Perfektion des Menschen210. Die Massen aber neigten statt zur Mäßigung zu Extremismus und zügellosen Leidenschaften: In the collective deliberations of any body of men, reason gains the mastery over passion exactly in proportion as they are educated and as they are few. Passion is fostered equally by the two main characteristics of the democratic sovereign – ignorance and numbers. A profound argument must commend itself to each man’s individual reason, and derives no aid from the congregation of numbers. But an emotion will shoot electrically through a crowd which may have appealed to each man by himself in vain. Thus it is always difficult to commend a far-sighted, passionless policy to a large assembly; perfectly impossible if it consist of men whose minds are unused to thought and undisciplined by study. They will always act either to favour some doctrine in which they fanatically believe, or to serve the most obvious interests of the moment.211
Solcherart weitsichtiger Vernunft unzugängliche, kurzsichtige und fanatisierbare Massen würden, einmal im Besitz der politischen Macht, zwangsläufig eine Despotie der Mehrheit ausüben, „the absolute government of numerical majority“212. Diese Herrschaft der Besitzlosen bedeute zugleich die Herrschaft der Ignoranten und Mittelmäßigen sowie der sich ihrer 210
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Vgl. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 259 (das vollständige Zitat in Kapitel II.1). Zum gesamten Zusammenhang vgl. auch PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 97–103; vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 76 f. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 269. EBD., S. 247 (Anmerkung); vgl. auch Archibald Alisons Aufzeichnung von 1883 mit Bezug auf das Jahr 1861, ALISON, Life and Writings II, S. 371 f. („Pure democracy is the transition state from freedom to tyranny, and so it has ever proved from the beginning of the world“), sowie Shaftesburys Oberhausrede vom 23. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1917–1934, hier 1925.
4. Feindbild Demokratie
325
bedienenden unmoralischen Demagogen über die Gebildeten und Intelligenten, die sich ihrer Meinungsfreiheit beraubt sähen und sich, ohnehin der Gefahr der (zumindest faktischen) Enteignung durch die Besitzlosen ausgesetzt213, aus der Verantwortung für das Ganze zurückziehen müßten: First-rate men will not canvass mobs; and if they did, the mobs would not elect firstrate men. There is a natural antipathy between the two. Mobs demand a flattery more gross, and a servility more pliant, than the flattery and servility which flourish in despotic courts; and men refined by thought and education will not stoop to pay this revolting tribute [. . .;] when the mob takes possession of the citadel of power, it is sooner or later evacuated by the educated classes.214
Eine solche Form der Demokratie stelle die gesamte überlieferte Verfassung auf den Kopf und etabliere ein System des staatlichen Zentralismus215 – beides war dem Konservativen natürlich zutiefst zuwider –, und obendrein sei eine solche Herrschaftsform aufgrund der Emotionalisierbarkeit der Massen auch erheblich kriegsbereiter als eine von moderaten Aristokraten bestimmte Ordnung216. Für Cecil folgte aus dieser Bestandsaufnahme nur eine Konsequenz: keine Konzessionen und Halten des Bestehenden gegenüber der sozialökonomisch-politischen Doppelbedrohung um jeden Preis – denn wenn der
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Vgl. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 125 f., sowie The Reform Bill, in: QR 119, Nr. 238 (April 1866), S. 530–559, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 193–225, hier 208. Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 281; vgl. auch Cecil, The House of Commons, in: QR 116, Nr. 231 (Juli 1864), hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 161–192, hier 190: „The moderate and calm-judging type of politicians consists of those whose resources are independent of politics, and whose minds are formed, and whose tempers are restrained by the public opinion of an educated class, among whom they live. Such men a democracy excludes from power. [. . .] Be they right or wrong, educated men do not like going round, hat in hand, begging for the votes of a mob. [. . .] Politics ceasing to be the pursuit of the richer men of the country, loses its position as a vocation.“ Cecil, Democratic Imperialism, in: SR XII, Nr. 312 (19. Oktober 1861), S. 392 f., hier 392; vgl. auch Stanleys (allerdings seinerseits skeptischen) Tagebucheintrag vom 18. September 1865, STANLEY JOURNALS, S. 235 f., hier 236, über „the danger of erecting to ourselves a master called ‚the State‘ who shall interfere in and regulate everything. Modern democracy loves such a master, and seeks to strengthen his position since he represents the universal equality of the citizien, and if you must be governed, they argue, better be governed by a minister or central authority whom you do not see than by one or many of your richer neighbours. For this reason, in France, decentralisation is entirely an upper-class movement – the workingmen think it hostile to their interest – and perhaps are right.“ Oberhausrede Carnarvons vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1833–1846, hier 1836.
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V. Staat und Politik
Deich einmal gebrochen sei, gebe es kein Halten mehr.217 Eine solche Haltung war zwangsläufig defensiv und passiv. Disraeli, demgegenüber, wollte lieber machen als erleiden, und so vollzog er bald nach 1852 – nachdem er bis dahin selbst von besonderer Nervosität gegenüber der demokratischen Bedrohung ergriffen gewesen war – im wesentlichen zwei strategische Kurskorrekturen in offensiver Absicht. Sie lagen seiner Politik der fünfziger und sechziger Jahre und insbesondere der zweiten Wahlrechtsreform zugrunde und verweisen allein durch ihre Implementierung in die konservative Politik insbesondere des Jahres 1867 auf die gerade in diesem Zusammenhang überragende Bedeutung der Person Disraelis für die Konservativen und ihre allgemeine politische Entwicklung. Die erste dieser Kurskorrekturen lag in einer Trennung von „Manchester“ und „Demokratie“, wie Stanley in seinem Tagebuch vermerkte: Disraeli argued clearly and well against the folly of treating the Manchester interest as democratic, it being essentially middle class in nature: the workingmen had no representatives, except Cooper the Chartist and Reynolds.218
Diese Entkoppelung von „Manchester“ und „Demokratie“ bedeutete eine Auflösung des integralen, sozio-ökonomischen und (verfassungs-)politischen Feindbildes in einzelne Bestandteile. Sie entlastete den Demokratiebegriff vom Manchester-radikalen Gesellschaftsentwurf einer sozialökonomischen Dominanz der Mittelschichten (und füllte ihn am Ende der 1850er Jahre auch nicht mit der Herrschaft der Besitzlosen bzw. working classes auf); ebenso entlastete diese Entkoppelung die städtisch-wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten von dem Generalvorwurf, eine Demokratie etablieren zu wollen. So befreite die Auflösung der starren antagonistischen Frontstellung von der ständigen Bedrohung durch einen einzigen, ubiquitären Gegner und schuf Manövrierräume. Hinzu kam Disraelis zweite strategische Entscheidung, sich um einen Ausgleich von Stadt und Land, von manufacturing und landed interest zu
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Cecil, Democracy on Its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 263, ausführlich zitiert in Kapitel II.4; vgl. eine sachlich ähnliche Metapher in Bulwer-Lyttons Unterhausrede vom 22. März 1859, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, hier 558: „Democracy is like the grave; it perpetually cries ‚Give, give‘, and like the grave it never returns what it has once taken. But you live under a constitutional monarchy, which has all the vigour of health, all the energy of movement. Do not surrender to democracy, that which is not yet ripe for the grave.“ Tagebucheintrag Stanleys vom 23. Januar 1854, STANLEY JOURNALS, S. 116–118, hier 117; zur Haltung Disraelis allgemein vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 82 f., und BLAKE, Disraeli, S. 395–398.
4. Feindbild Demokratie
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bemühen219 und somit den sozio-ökonomischen Kampfplatz zu räumen. So ließ sich, im Einklang mit der allgemeinen Entwicklung, die große Auseinandersetzung auf die verfassungspolitische Ebene verlagern, wo sie mit einem reduzierten Feindbild – Demokratie im verfassungspolitischen Sinne des allgemeinen Wahlrechts, das Disraeli ebenso wie die Konservativen allgemein ablehnte220, aber nicht als sozio-ökonomische Auseinandersetzung nunmehr mit den working classes – geführt werden konnte; angesichts dieser Aussichten konnte sich Disraeli auch einen erstaunlich gelassenen Begriff von Demokratie leisten221. Mit der Konzentration auf die verfassungspolitische Ebene waren nicht nur der Gegner abgeschwächt und die Fronten verkürzt, sondern dort waren auch per se die Handlungs- und Gestaltungsspielräume größer. Denn Verfassungspolitik war ein klassisches Feld der Konservativen als der „constitutional party“, und das Thema der Wahlrechtsreform lag seit 1852 in der Luft. Hier spielte sich, wie auch diskursanalytische Untersuchungen betonen, der zentrale Diskurs des viktorianischen England ab222. Und hier ergaben sich, bei allen grundsätzlichen Differenzen, Berührungspunkte mit den Radikalen, in diesem Falle weniger den Manchester- als den klassischen Reformradikalen223. In der Frage des Wahlrechts konnten die Konservativen unter Wahrung der eigenen Grundpositionen ihrem großen Antipoden offensiv begegnen und zugleich, wie sich 1867 in aller Deutlichkeit zeigte, in begrenztem Maße mit ihm kooperieren. Durch eine offensive, aktive Erweiterung des Wahlrechts ließen sich, so Disraelis Kalkül, die konservative Verfassungs- und Gesellschaftsvorstellung wahren und die Demokratie verhindern: 219
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Vgl. Disraelis bereits zitierte briefliche Äußerung gegenüber Malmesbury vom 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207 über die Aufgabe „of drawing up the New Pragmatic Sanction, which is to reconcile town and country, and lay the foundation of a National party“; vgl. dazu auch Kapitel II.6.c). Vgl. dazu etwa Disraeli an Cairns, 23. August 1866, NL Cairns, PRO London, 30/51, fol. 1 f.: „The French Emperor has been and is very ill, but I hope not going to die. His death may let loose the French democracy, and Bismarck’s electoral law the German: if so, we shall have stirring times.“ Vgl. etwa die differenzierte Betrachtung über die Demokratie in Amerika in seiner Rede vom 13. März 1865, M&B IV, S. 334, gegenüber E.B. Hamley, The Disruption of the Union, in: BM 89 (1861), S. 125–134, hier 126 f., oder Stanleys (die Meinung der Konservativen wiedergebenden) Tagebucheintrag vom 1. Dezember 1861, STANLEY JOURNALS, S. 179. Vgl. dazu JOYCE, Constitution, S. 188, VERNON (Hg.), Re-Reading the Constitution, S. 1f., 8–13, 15 f., VERNON, Politics and the People, S. 2–7, 9 f. und 295–330, bes. S. 296 f. und 320, sowie den Forschungsüberblick bei MARES, Abschied, S. 385. Bezeichnend in diesem Zusammenhang Disraelis Äußerung des Bedauerns vom 17. Dezember 1849 über die enge Verbindung des Radikalismus mit der Manchester School, Brief an Stanley, DISRAELI LETTERS V, 1936/270.
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V. Staat und Politik
Popular privileges are consistent with a state of society in which there is great inequality of condition. Democratic rights, on the contrary, demand that there should be equality of condition as the fundamental basis of the society they regulate. We do not [. . .] live – and I trust it will never be the fate of this country to live – under a democracy.224
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Unterhausrede Disraelis vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 6–25, hier 6 f.
1. Heerschau und Strategiedebatten: 1848–1857
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VI. LIEBER REVOLUTION MACHEN ALS ERLEIDEN: WAHLRECHTSREFORM ALS GESELLSCHAFTSPOLITISCHE VORWÄRTSVERTEIDIGUNG 1852–1867 1. HEERSCHAU UND STRATEGIEDEBATTEN: 1848–1857 Als das Unterhaus im Juni und Juli 1848 über den radikalen Antrag einer Wahlrechtsreform debattierte1, war zwar weder auf konservativer noch auf whig-liberaler Seite irgendeine aktuelle Reformbereitschaft vorzufinden. Dennoch wurden bereits zentrale Argumente und Positionen der späteren entscheidenden Auseinandersetzungen artikuliert. Die Reformradikalen votierten, in alter Tradition, für das Wahlrecht der (männlichen) Haushaltsvorstände ohne weitere Qualifikation (household suffrage), für geheimes Stimmrecht (ballot), dreijährige Legislaturperioden sowie eine Neueinteilung der Wahlkreise2. Darin wurden sie von einzelnen reformerischen Liberalen unterstützt3, die whig-liberale Mehrheit jedoch opponierte. Auf konservativer Seite betonte Henry Drummond das Eigentumsprinzip als Grundlage der Repräsentation4, das auch Disraeli befürwortete, jedoch spezifisch anreicherte, wenn er das Wahlrecht – kein allgemeines Recht, sondern ein Privileg, das nach Gesichtspunkten der Zweckdienlichkeit zu verleihen sei – bei einer künftigen Gelegenheit über das bislang eher überrepräsentierte materielle Eigentum hinaus auf andere Arten von Qualifikationen auszudehnen vorschlug. In diesem Zusammenhang wies sein bereits zitierter Anspruch, die Konservativen müßten wie ehedem „the natural leaders of the people, and the champions of everything national and popular“ sein, durchaus in die Zukunft5. 1 2
3 4 5
Vgl. dazu Kapitel III.1.b). Vgl. Humes Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 879–906, hier 879, 882 und 896–901; zurückhaltender demgegenüber Cobden in seiner Unterhausrede vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 181–195, hier 188 (für ein Wahlrecht auf der Grundlage von Eigentumsprinzip und Zweckmäßigkeit, gegen allgemeines Wahlrecht, das allerdings auch Hume nicht forderte). Vgl. die Unterhausrede Osbornes vom 6. Juli 1848, HANSARD 3/100, Sp. 156–170, hier 160 und 163 f. Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 906–915, hier 910 und 912. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 950–952 und 964 (dort das Zitat); eine Diversifizierung der Wahlrechtsqualifikationen brachte auch Russell ins Gespräch, Unterhausrede vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 915–933, hier 929.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
Als im Herbst 1851 die nun wirklich aufkommende neue Wahlrechtsdebatte ihre Schatten vorauswarf, weil mit einer Reformvorlage der Regierung Russell für die neue Parlamentssession gerechnet wurde, machten sich Derby und Disraeli Gedanken über die Haltung der Konservativen. Eine strikte Ablehnung jeder Reform hielt Derby für unklug, denn erstens sei eine solche Position unpopulär, und zweitens falle das Wahlsystem von 1832 im Grunde so sehr zu Ungunsten der Konservativen aus, daß eine Reform ihnen durchaus Vorteile bringen könne; allerdings dürfe sie keinesfalls den „demokratischen Einfluß“ vergrößern und, dies war für Derby von allerhöchster Bedeutung, die Städte nicht auf Kosten des Landes politisch stärken. Die Konservativen sollten dabei keineswegs jede Reformvorlage rundheraus ablehnen, aber auch keine eigenen Vorschläge einbringen, da sie nur Angriffsflächen böten und innerparteiliche Konfliktpotentiale bergen könnten, letztlich aber doch jede „umfangreiche Änderung“ mißbilligen, weil weder eine sachliche Notwendigkeit noch eine starke öffentliche Stimmung sie erforderlich mache6. In erstaunlicher Einmütigkeit stimmte Disraeli ihm zu – „reserve is our game“7 –, bis ihm wenige Wochen später ein „great push“ einfiel: da sich eine Vermehrung des ländlichen Einflusses kaum durchsetzen lassen werde, kam er auf die Idee, die im Zuge einer Wahlkreisreform frei werdenden Sitze an die englischen Kolonien zu geben – so bringing a third element formally into the house & healing that too obvious division & rivalry betn. town & country. If feasible, it wd. allow us to prevent perhaps the increase of the town, or democratic, power, witht. the odium of directly resisting its demands.8
Derbys Beurteilung dieses ebenso phantasiereichen wie vollkommen chancenlosen Plans als „abstract proposition“9 – in konservativer Diktion eine Hinrichtung – machte ihn allerdings umgehend hinfällig. Ohnehin scheiterte Russells Reforminitiative 1852 am Sturz seiner Regierung, und Derbys erstes Kabinett war mit dem Protektionismus, den Parlamentswahlen und Disraelis Haushalt viel zu beschäftigt, um – im Gegensatz 6
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Vgl. Derby an Croker, 22. September 1851, CROKER PAPERS III, S. 243 f. (dort S. 244 das erste Zitat), sowie Derby an Disraeli, 26. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2191/482 Anm. 1; zur dominierenden Sorge um die Balance von Stadt und Land vgl. auch Stanleys Tagebucheintrag vom 28. Dezember 1852 nach einem Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94, sowie Derby an Malmesbury, 18. Dezember 1853, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 416 f., hier 416. Zur Haltung Disraelis und Derbys in der Wahlrechtsreformfrage zwischen 1851und 1858 vgl. auch STONE, Reform Bill, S. 56–70. Disraeli an Derby, 30. Oktober 1851, DISRAELI LETTERS V, 2191/483. Disraeli an Derby, 9. Dezember 1851, EBD., 2205/495. Derby an Disraeli, 11. Dezember 1851, EBD., 2205/496 f. Anm. 3.
1. Heerschau und Strategiedebatten: 1848–1857
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zu den beiden folgenden Kabinetten Derby – ein eigenes Wahlrechtsreformprojekt zu betreiben. Aus dem Schicksal dieser Regierung und ihrem Sturz nach nur zehn Monaten zogen insbesondere Derby und Disraeli unterdessen verschiedenartige Schlüsse. Während Derby sich vorläufig dem Fatalismus hingab, das Spiel sei verloren10, war auch Disraeli sich endgültig darüber klar geworden, daß die Konservativen allein auf der Grundlage des landed interest nicht regierungsfähig waren. Deshalb sei es nötig, so seine nüchterne und offensivere Konsequenz, die Gräben zwischen Stadt und Land zu überwinden, die eigene Basis zu verbreitern und die „Fundamente einer nationalen Partei zu legen“. Ganz taktisch erwog er, die städtischen Agitatoren gegen das bestehende Wahlsystem in ebendieses zu integrieren, um sie, knapp gesagt, zu korrumpieren: The only change that could injure us is disturbance of the balance by disfranchisement: and the formation of new electoral districts. It is not the multitude who care for this: the most they care for is to have a vote: those who urge the alteration, or disturbance of the balance, are the town leaders, who under the territorial constitution are excluded from power. Admit them, and they will be quite content with the territorial constitution. But none can do this so easily, and so effectually, as the patrician party.
Vor allem aber hatte ihm der Abgeordnete Fitzroy Kelly von der Möglichkeit einer Wahlrechtsreform berichtet, „which while it should be very popular, would consolidate and confirm our power“11. Das war genau das, wonach Disraeli suchte; und diese Idee ließ ihn nicht los. Einige Jahre lang, insbesondere während des Krimkriegs und nachdem schon die Vorlage von 1854 wenig Enthusiasmus erzeugt hatte12, blieb das Thema der Wahlrechtsreform dann jedoch liegen13. Im Wahlkampf von 1857 zeichnete sich keine klare Linie ab, wohl aber eine Tendenz, daß Konservative eine Reform nicht strikt ablehnten14. Vor diesem Hintergrund
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Vgl. v.a. Stanleys Tagebucheintrag vom 28. Dezember 1852 nach einem Gespräch mit seinem Vater, STANLEY JOURNALS, S. 94. Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207 mit Anm. 1. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 13. Juni 1854, STANLEY JOURNALS, S. 125 f. Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 17. Dezember 1853 und vom 13. Juni 1854, EBD., S. 114 und 125 f., sowie Derby an Malmesbury, 18. Dezember 1853, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 416 f., hier 416. Vgl. die Wahladressen von William Rose (Newport) vom 19. März, Henry Selwyn (Ipswich) vom 20. März, Stanley (King’s Lynn) vom 27. März, Sotheron-Estcourt (North Wiltshire) vom 30. März, John Patten (North Lancashire) vom 31. März, Henry Currie (West Surrey) vom 1. April, und Smollett (Dumbartonshire) vom 3. April, in: THE TIMES vom 23. März 1857, S. 5c und 12c, vom 28. März 1857, S. 7c/d, hier 7d, vom 31. März 1857, S. 8a, vom 1. April 1857, S. 7c, vom 2. April 1857, S. 7d, vom 6. April 1857, S. 7f.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
versuchte Disraeli der Wahlrechtsfrage von konservativer Seite neues Leben einzuhauchen. So schlug er Derby vor, whether a juster apportionment of M.P.’s may not be the question on which a powerful and enduring party may be established: whether we should not at once originate such a discussion by a resolution,
wobei er ihm seinen entscheidenden Ansatz in seiner spezifischen Mischung aus Machtinstinkt und gesellschaftspolitischem Inhalt vorführte: the question of the suffrage may be dealt with extensively, but in an eminently conservative manner [. . .;] in the present perplexed state of affairs, a Conservative public pledged to Parliamentary reform, a bold and decided course might not only put us on our legs, but greatly help the country and serve the State.15
Derby aber lehnte eine eigene Reforminitiative aus der Opposition heraus mit der üblichen Begründung ab: die Konservativen dürften der Regierungsmehrheit keinen Anlaß zur Einigung durch die gemeinsame Ablehnung einer konservativen Maßnahme geben, sondern müßten geduldig abwarten, bis die Verwerfungen innerhalb der Gegenpartei zum Ausbruch kämen16. Keine zehn Monate später war es soweit, und nun mußte Derbys zweites Kabinett auf Regierungshandeln umstellen. Sein zentrales Projekt wurde, in der Tat, die erste konservative Wahlrechtsreformvorlage, die Derby bereits in seiner ersten Regierungserklärung am 1. März 1858 für die nächste Parlamentssession ankündigte17.
2. ERSTER ANGRIFF: 1859 Als Derby und Disraeli im August erste Gedanken über eine eigene Reformvorlage austauschten, ging der Premierminister davon aus, die Hürde für das Wahlrecht in boroughs nicht unter den seit 1832 gültigen Zensus 15 16 17
Disraeli an Derby, 21. April 1857, M&B IV, S. 78–80, die Zitate 79. Derby an Disraeli, 24. April 1857, EBD., S. 80 f. Vgl. Derbys Regierungserklärung vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 43. Die Wahlrechtsreformvorlage des zweiten Kabinetts Derby hat in der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden und steht auch in der Historiographie ganz im Schatten der großen Reform von 1867, vgl. STEWART, Foundation, S. 354–357, BLAKE, Disraeli, S. 398–401, SMITH, Disraeli, S. 124 f. und 128 f., etwas mehr bei JONES, Derby, S. 244–253, ausgiebig und detailreich allein bei HAWKINS, Parliament, S. 177–192, 195–198, 204–225 und 274–276, sowie STONE, Reform Bill (zur Vorbereitung 1858/59 S. 86–127, zum parlamentarischen Procedere 1859 S. 128–197), der auf die inhaltlich begründete und über Jahre hinweg entwickelte Absicht Derbys, Disraelis und der Parteiführung abhebt, die Wählerschaft zu erweitern und die Reformfrage zugunsten der Konservativen zu nutzen (vgl. S. 52 f., 72, 203–210 und 212–215).
2. Erster Angriff: 1859
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eines Mietwerts (rental value) von £ 10 bzw. äquivalente £ 8 Steuerwert (rateable value) für die Besitzer und Mieter von Häusern zu senken18. Vor allem aber war Derby wichtig, daß die in den boroughs wohnhaften freeholders, deren Güter in den umliegenden counties lagen, künftig nicht mehr nach ihren Liegenschaften in den counties, sondern nach ihrem Wohnort in den boroughs wählen sollten, so daß die counties durch diese Umverteilung von städtischen Wählern entlastet würden19. Der Unterhausführer und Schatzkanzler legte von Anfang an größere Flexibilität an den Tag. Weder 1859 noch 1867 war er von vornherein auf bestimmte inhaltliche Vorgaben oder Positionen festgelegt. Disraeli war vielmehr offen für verschiedene Realisierungsmöglichkeiten seiner seit Jahren gereiften allgemeinen Disposition, das Wahlrecht in konservativem Sinne zu erweitern, und offen auch, insbesondere 1867, für die unabsehbare Eigendynamik des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses. So wollte er die Grenze für das Wahlrecht nicht vor allem anderen festlegen, sondern vom Gesamtcharakter der Reformvorlage abhängig machen; dabei sei das Wahlrecht in den boroughs entweder beizubehalten oder aber gleich auf £ 6 rateable abzusenken, weil der Zuwachs im Falle einer moderaten Absenkung weniger wiege als der zu erwartende Widerstand der alten „ten-
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Die Reform von 1832 hatte das Wahlrecht in boroughs den Besitzern oder Mietern von Gebäuden mit einem Mietwert von mindestens £ 10 jährlich verliehen; der Mietwert (rental value) bezifferte den tatsächlich gezahlten Betrag; demgegenüber bildete der auf einer kommunalen Schätzung beruhende Steuerwert (rateable value) die Berechnungsgrundlage für die kommunalen Steuern, vor allem die Armensteuern, die der Mieter zumeist zusammen mit der Miete an den Vermieter (landlord) abführte (compounding), der sie an die Kommune weiterleitete. Der Mietwert lag höher als der Steuerwert, so daß £ 10 rental etwa £ 8 rateable und £ 6 rateable etwa £ 8 rental entsprachen. Für die zeitgenössischen Konservativen ebenso wie für die Liberalen, mit Ausnahme eines Teils der Radikalen, stand außer Zweifel, und dies wird im folgenden zugrunde gelegt, daß das Wahlrecht ausschließlich an Männer verliehen werden sollte (daher wird auch nicht in jedem Einzelfall eigens erwähnt, daß die verschiedenen Wahlrechtsbestimmungen sich allein auf Männer bezogen). John Stuart Mills Antrag in der Reformdebatte des Jahres 1867, das Wahlrecht auch an weibliche Haushaltsvorstände zu übertragen, wurde als völlig chancenlos angesehen und dementsprechend behandelt; daß der abgelehnte Antrag 73 Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnte, übertraf die Erwartungen bei weitem, vgl. SMITH, Second Reform Bill, S. 204; vgl. auch BELCHEM, Popular Radicalism, S. 90 und 116, sowie ADELMAN, Victorian Radicalism, S. 60; vgl. auch die vielfältigen Gedanken in HALL/MCCLELLAND/ RENDALL, Class, Race, Gender and the Reform Act of 1867, sowie CLARK, Gender, zur „evolution of gendered notions of the suffrage in constitutionalist debate“ (S. 231). Politische Bedeutung gewann die Frage des Frauenwahlrechts erst seit den 1880er Jahren auf radikaler Seite, vgl. THANE, Labour, S. 259 f. Vgl. Derby an Disraeli, 25. August 1858, M&B IV, S. 184; vgl. auch HAWKINS, Parliament, S. 180 f.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
pounders“20. Jedenfalls atmete Disraeli frischen Offensivgeist, während Derby eine konservative Reformvorlage zwar betrieb, aber doch die Gefahren für Regierung und Partei im Falle des Scheiterns deutlicher vor Augen hatte21. Im Herbst 1858 erdachten die Konservativen, namentlich im Umfeld des im August von Derby eingesetzten Kabinettskomitees, dem außer Derby und Disraeli noch Salisbury, Pakington, Stanley, Manners und Jolliffe angehörten22 (nicht aber die reformskeptischeren Walpole, Henley, Hardwicke, Chelmsford und General Peel, der Bruder des vormaligen Premierministers), allerlei Konzepte einer möglichen Reformvorlage. Dabei zeichneten sich bald Linien ab, die aus den vereinzelten Diskussionen der vergangenen Jahre hervorgingen und die Bill des Frühjahrs 1859 umrissen. Unter dem Datum des 4. Oktober 1858 legte kein anderer als Fitzroy Kelly, der Disraeli bereits Anfang 1853 mit der Idee einer ebenso populären wie konservativen Reform elektrisiert hatte, ein Memorandum zur Wahlrechtsreform vor23. Die Konservativen sollten sich angesichts liberaler Bestrebungen, die Besitzqualifikationen zu senken, um ein „dauerhaftes und wirksames Gegengift“ gegen diese Vermehrung der Wähler aus unteren Schichten bemühen und das Wahlrecht an Mitglieder der Mittel- und der Oberschichten übertragen, die nicht zu den £ 10-Eigentümern oder -Mietern in den boroughs oder zu den wahlberechtigten freeholders in den counties zählten, sich aber durch andere Eigentums- oder Bildungsqualifikationen auszeichneten: the many sons and brothers of noblemen, baronets, and country gentlemen; the many men of science, members of the liberal professions, merchants, traders, schoolmasters, and others without number [. . .]: why are all these, because they happen to be neither freeholders nor householders in represented towns, to have no voice in the government of the country, while the owner of an acre of land, and the occupier of a coal-shed, in a parliamentary borough, who, perhaps, can neither read nor write, and never has a pound that he can call his own, is invested by law with the elective franchise?
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Vgl. Disraeli an Derby, 26. August 1858, M&B IV, S. 184 f., hier 184. Vgl. Disraeli an Derby, 27. Dezember 1858, EBD., S. 191, und Derby an Disraeli, 30. Dezember 1858, EBD., S. 192. Vgl. Derby an Jolliffe, 3. August 1858, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/18/2,32; vgl. auch HAWKINS, Parliament, S. 179. F.K., Memorandum (Confidential), NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15, daraus auch die folgenden Zitate. Die Identifizierung des Autors über seine Erwähnung, dem Parlament im Jahre 1854 einen Vorschlag für voting papers unterbreitet zu haben (S. 5); dies hatte Fitzroy Kelly am 16. Februar 1854 getan, vgl. HANSARD 3/130, Sp. 636–753; die beiden anderen konservativen Abgeordneten mit den Initialen F.K. (William Francis Knatchbull und Frederick Winn Knight) sind in diesem Zusammenhang nicht erwähnt (vgl. den Index zur Parlamentssession in HANSARD 3/135).
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Daher schlug er vor, die Vertreter von Bildungsberufen – Juristen, Lehrer, Ingenieure – mit dem Wahlrecht zu versehen und ebenso diejenigen mit einem Jahresverdienst von jährlich mindestens £ 100, der sie der Einkommensteuerpflicht unterwarf. Die Zahlung von Steuern als Prinzip für das Wahlrecht vertrat auch William Jolliffe24, und daher schlug er die Berücksichtigung des Steuer- statt des Mietwerts als Basis für die Wahlrechtsqualifikation vor, wobei ihm eine für counties und boroughs identische niedrige Steuerwertsqualifikation vorschwebte. Die Gleichbehandlung von boroughs und counties hinsichtlich des Wahlrechts war insbesondere für konservative Verhältnisse eine Novität, hatten doch gerade die Tories die Unterscheidung von (tendenziell liberalen) boroughs und counties (den eigenen Hochburgen) stets hochgehalten. Ein gemeinsames £ 10-Wahlrecht für counties und boroughs – eine deutliche Absenkung auf £ 10 Steuerwert in den counties unter Beibehaltung der etablierten £ 10 Mietwert in den boroughs und somit doch mit einer verbleibenden kleinen Unterscheidung – stand auch im Zentrum der Vorschläge des konservativen Wahlkampforganisators Philip Rose25, der auf diese Weise zu einer endgültigen Regelung des Wahlrechts zu kommen hoffte, die auf Eigentum, gesellschaftlichem Rang und Bildung und nicht allein auf Bevölkerungszahl beruhe. Mit einem solchen Wahlrecht lasse sich, so argumentierte Rose in unübersehbarer Nähe zu Disraelis Vorstellungen, der „offenkundige Antagonismus“ zwischen counties und boroughs (und damit zwischen Land und Stadt) überwinden. Ein £ 10-Wahlrecht in den counties sei wie alle Maßnahmen, die von den Radikalen stammten, zunächst mit Argwohn und Mißtrauen betrachtet worden. Aber, so reflektierte er die Entwicklungen innerhalb der Konservativen seit 1852, „a great change has occured“, und inzwischen habe die Einsicht gegriffen, daß sich eine solche Senkung des Zensus keineswegs zu Ungunsten der Konservativen auswirke. Im Gegenteil: 200 000 neue Wähler in den counties bedeuteten letzten Endes eine Stärkung und nicht eine Schwächung der Konservativen Partei. Eine solche, auch ganz handfeste Kalkulation jeder Reform hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die politischen Expektanzen der Konservativen lag
24 25
Vgl. Jolliffes undatiertes Memorandum für Disraeli, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,14. Vgl. Roses Memorandum vom 24. Januar 1858, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 145/6, die folgenden Zitate S. 2 und 8.
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dabei allen Erwägungen zugrunde26; kein Konservativer (und ebenso kein Liberaler und Radikaler) betrieb eine Wahlrechtsreform in machtpolitischer Selbstlosigkeit. Doch auch und gerade im Falle der Wahlrechtsreformen ist zu beobachten, daß machtpolitisches Kalkül allein nicht ausreichte, allein schon weil ihm die erforderliche sachliche politische Überzeugungskraft und inhaltliche Legitimität in der Öffentlichkeit und vor allem im Parlament gefehlt hätte. Selbst wenn sie nur Maskerade gewesen wäre: die inhaltliche Begründung war politisch in jedem Fall erforderlich und schon von daher relevant. Doch stand die Wahlrechtsreform für Disraeli, seine Entourage und die Partei insgesamt, nolens oder volens, ohnehin in dem größeren Kontext der fundamentalen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung der Konservativen mit dem Radikalismus und der sogenannten Demokratie; machtpolitische Fixierung, insbesondere auf seiten Disraelis, stand dazu in keineswegs unvereinbarem Gegensatz. So kalkulierten auch etliche weitere, allerdings tendenziell vorsichtigere Reformmemoranden27, die von drei Gravamina ausgingen: erstens seien die counties gegenüber den boroughs unterrepräsentiert und benachteiligt (4 000 Wählern pro Abgeordnetem in den counties standen demzufolge 1 500 Wähler in den boroughs gegenüber), wovon allerdings nicht die großen Städte, sondern insbesondere die kleineren boroughs profitierten, die für Einflüsse in konservativem Sinne durchaus zugänglich, aber auch, und dies galt insbesondere für die großen Städte, dem Einfluß der „dangerous class“28 der „£ 10 occupiers“ ausgesetzt waren:
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Ganz auf dieses machtpolitische Kalkül hebt die Darstellung bei STEWART, Foundation, S. 354–357, ab. Vgl. das undatierte und unsignierte Memorandum on Reform, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, das undatierte und unsignierte Memorandum on Reform No. 2: As to the distribution of members disposable by the proposed partial disfranchisement of boroughs, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, das undatierte und unsignierte Memorandum on Reform No. 3: As to Lodgers and Occupiers of portions of Houses, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2 sowie NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,17, das undatierte und unsignierte Memorandum as to the Ballot, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, sowie die undatierten und unsignierten Supplemental Papers, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,13 (No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Class; No. 2: Suggestions for removing anomalies in the present Parliamentary Qualification to vote, and for simplifying the Franchise; No. 3: On the Labour required to register Claims to Vote in respect of Capital invested as Personal Property, and the effect of such a Suffrage; No. 4: On the Changes requisite to Simplify the Registration and polling of Voters). Memorandum on Reform No. 3: As to Lodgers and Occupiers of portions of Houses, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 1 (fol. 417), sowie NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,17, S. 1.
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the dangerous power given to the £ 10 householders is now modified by the fact of the smallness of many of the constituencies composed of that one class. A small constituency is open to influences of property and personal intercourse which do not bear with any effect upon large constituencies. This alone has neutralized the danger of the Reform Act. We see also that wherever the £ 10 constituency is very large as in the case of the metropolitan boroughs the democratic tendency of the class is apparent and overrides every other consideration.29
Diese Dominanz gelte es zu brechen, indem das Wahlrecht auf andere Schichten und Klassen ausgedehnt wurde. Den Hebel dafür bot das zweite Gravamen, daß nämlich das Wahlrecht Grundbesitz, nicht aber sonstige Formen von Privateigentum berücksichtige, ebenso wie das dritte, daß „learned and scientific bodies“ mit den sechs Abgeordneten der Universitäten Oxford, Cambridge und Dublin deutlich unterrepräsentiert seien30. Dieser Ansatz bei anderen als immobilen Eigentumsformen und bei Bildungsqualifikationen dokumentiert, obendrein in charakteristischer Verbindung mit aus der Defensive gegenüber Mittelschichten und „Demokratie“ geborener Suche nach politischer Macht, das erweiterte Eigentumsverständnis der Konservativen, insbesondere im Hinblick auf politische Partizipation. Konkret schlugen die Reformmemoranden vor, erstens die innerhalb der counties gelegenen boroughs auszudehnen und den Bewohnern der boroughs das zusätzliche Wahlrecht für ihre Besitzungen in den counties zu nehmen; diese daraus resultierende Trennung von counties und boroughs wurde, ganz im Sinne Derbys, als absolut unerläßlich angesehen31. Dabei war gerade die Wahlkreiseinteilung der Gegenstand innerhalb der Parlamentsreform, bei dem am offensten mit eigenen Vorteilen kalkuliert wurde32. Auf der Ebene des Wahlrechts sollte zweitens die Einbeziehung von gemeinnützig angelegtem Kapital33 das Eigentum in Verbindung mit seinem Anteil an den Gütern des Landes berücksichtigen34. Dies stand grundsätzlich jedermann offen, und betroffen waren davon in erster Linie
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Memorandum on Reform, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 10 (fol. 355). EBD., S. 3 (fol. 341). Vgl. EBD., S. 4 und 13 f. (fol. 343 und 361/363). Vgl. etwa die Kalkulation im Memorandum on Reform No. 2: As to the distribution of members disposable by the proposed partial disfranchisement of boroughs, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 1f. (fol. 383/385). „Capital in the funds, railways, canals, India stock, Bank stock, and such Joint stock and such Chartered Banks Insurance companies and other Incorporated Companies as may possess paid up capital not less than a quarter of a million“, Memorandum on Reform, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 5 (fol. 345). Vgl. das Supplemental Paper No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Class, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,13 (S. 2: „Property which gives him a stake in the country“).
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„clerks, foremen, shopmen, skilled laborers and artizans of the higher classes of trade and young men commencing business in hired offices while they live in lodgings“ und „most of the unbeneficed clergy“35. Hinsichtlich der an Immobilien geknüpften Qualifikation sollte drittens die Untergrenze in den boroughs für Besitzer oder Mieter von Gebäuden auf einen Steuerwert von £ 6 (dies entsprach einem Mietwert von £ 8 statt zuvor £ 10) und in den counties von einem Pachtwert von £ 50 auf £ 20 gesenkt werden36. Schließlich sollte je ein zusätzlicher Sitz für die Universitäten London und Edinburgh und die Mitglieder des College of Physicians and Surgeons, der Four Courts in Dublin sowie der Society of Advocates in Schottland der Reform eine (bildungs-) ständische Komponente verleihen37. Auf diese Weise sollten insgesamt 250 000 neue Wähler in den boroughs hinzukommen, während die Zahl in den counties, aufgrund der Umschichtung der in den boroughs wohnhaften freeholder auf die boroughs, etwa konstant geblieben wäre38. Gegen Ende des Jahres 1858 liefen die Diskussionsprozesse im Umfeld des Kabinetts, wie Derby der Königin vermeldete, auf eine Überwindung der verschiedenen Differenzen zu39, doch fürchtete Disraeli Anfang 1859, als es konkret wurde, „nothing but our colleagues“40. In der Tat traten binnen weniger Wochen der Innenminister und der Präsident des Board of Trade, Walpole und Henley, aufgrund inhaltlicher Meinungsverschiedenheiten über die Reform zurück41, und innerhalb der Gefolgsleute im Unterhaus sorgte der Eindruck für ungeduldigen Unmut, von der Führungscrew über ihre Absichten im Dunkeln gelassen zu werden42. 35
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Memorandum on Reform No. 3: As to Lodgers and Occupiers of portions of Houses, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2; vgl. auch das Supplemental Paper No. 1: Considerations on the Proposed Extension of the Franchise to the Working Class, NL Jolliffe, Somerset RO Taunton, DD/HY/24/15,13; vgl. auch Supplemental Paper No. 2: Suggestions for removing anomalies in the present Parliamentary Qualifikation to vote, and for simplifying the Franchise. Vgl. das Memorandum on Reform, NL Stanley, Liverpool RO, 920 DER (15), 27/2, S. 11 und 13 (fol. 357 und 361). Vgl. EBD., S. 6 (fol. 347). Vgl. EBD., S. 12 f. (fol. 359/361). Vgl. Derby an Victoria, 8. Dezember 1858, RA VIC/F 12/11; zur Diskussionslage im Kabinett vgl. JONES, Derby, S. 247 f., und HAWKINS, Parliament, S. 184 f., 187 und 189 f. Disraeli an Derby, 1. Januar 1859, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 145/6 (auch in M&B IV, S. 192 f., hier 193). Vgl. das in seine Unterhausrede vom 1. März 1859 inserierte Rücktrittsschreiben Walpoles an Derby vom 27. Januar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1061 f., sowie Malmesburys Tagebucheintrag vom 28. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 152 f. Vgl. Newdegate an seine Mutter, 5. Februar 1859, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 3272; vgl. auch HAWKINS, Parliament, S. 177.
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Am 7. Februar 1859 wandte sich Derby brieflich an die Kabinettsmitglieder, um ihnen zwei Grundsatzentscheidungen vorzulegen. Er hatte sich inzwischen, erstens, von den Vorzügen eines Wahlrechts für die avisierte, nicht durch immobilen Besitz qualifizierte Klientel und dabei für eine Angleichung des county- und borough-Wahlrechts überzeugen lassen; ein Junktim mit dem Transfer des Wahlrechts der borough freeholders auf die boroughs sollte allerdings weiterhin die Trennung von county- und borough-Wählerschaft gewährleisten. Eine Umverteilung der Sitze und eine Neugestaltung der Wahlkreiseinteilung wollte er unterdessen, zweitens, vorerst verschieben43. Disraeli stimmte dieser insgesamt eher moderaten, im Hinblick auf die neugeschaffenen Qualifikationen allerdings qualitativ innovativen Vorgabe, mit Rücksicht auf die eigene parlamentarische Minderheitsposition, ausdrücklich zu44. Innerhalb des Kabinetts war diese vor allem von Derby bestimmte mittlere Linie45 allerdings Spannungen ausgesetzt, aus der die nicht unerheblichen Diskrepanzen und die ganz unterschiedlich weitreichende Reformbereitschaft innerhalb der Konservativen deutlich werden. Auf der einen, hochkonservativen Seite ging sie Hardwicke und General Peel bereits zu weit46, Walpole und Henley hatten das Kabinett wegen der Angleichung
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Vgl. Derby an die Mitglieder des Kabinetts, 7. Februar 1859, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 47/1; zum Junktim mit dem Transfer der freeholders vgl. Derby an Victoria, 15. Februar 1859, RA VIC/F 12/20 („the two measures of equalization of the County and Borough franchise, and of the transfer of the Borough Freeholders are inseparably connected; and should one be carried, and the other rejected, they [i. e. the Cabinet] would not consider themselves at liberty, whatever might be the consequence, to proceed with the Bill“). Vgl. Disraelis Antwort auf Derbys Brief ebenfalls vom 7. Februar 1859, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 47/1: „The demand for a redistribution of seats is not even popular with those, in whose behalf it has been made. This would render it very difficult to carry any measure of disfranchisement [. . .]. A Government without a majority is not in a position to deal with the question in an arbitrary manner, + the theories, [ein Wort unleserlich] it has been proposed to reconstruct our representative system, are all either dangerous, or unsound. Even were it possible, to propose a measure, at once safe and popular, I should hesitate, under present circumstances, to do so. With our small parliamentary following, it would be impossible to guard the Bill during its passage through the House against amendments [ein Wort unleserlich] of its original character. I agree, entirely, with Lord Derby’s memorandum, + consider that the course wh: he recommends, will be satisfactory to the House of Commons, + would be popular with the country. I am of opinion, that public opinion, on the question of the suffrage, is ripe.“ HAWKINS, Parliament, etwa S. 207 und 274–276, betont insbesondere die Bedeutung Derbys („unobtrusive mastery over Conservative front and backbenches“, S. 274) für die Reform Bill 1858/59. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 9. Februar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 156.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
des county- und borough-Wahlrechts bereits verlassen47, Drummond und George Bentinck lehnten jede Weiterentwicklung des Wahlrechts von 1832 ab48, und Newdegate empfand die Reform als geradezu radikal; er befürchtete eine Stärkung der Städte durch den Transfer der freeholders und insbesondere den Verlust seines eigenen Wahlkreises49. Auf der anderen, keineswegs allein liberal zu nennenden Seite monierten Ellenborough, Manners und Stanley das Fehlen einer Wahlkreisreform50, und letzterem, zudem wohl neben Manners auch Malmesbury und Pakington, fiel die Reform ohnehin in toto viel zu wenig liberal aus, da sie nicht der Entwicklung der Konservativen seit 1852 entspreche, die gerade Disraeli so nachdrücklich vorangebracht hatte: We have hitherto, against many difficulties, maintained our position with the public, and administered affairs in a liberal spirit. We may do it still, with care and firmness. But what you now suggest (or rather assent to, for I do not believe the suggestion can be yours) will simply throw us back into the old track of obstruction and resistance, from which we have emerged with so much trouble.51
In einer ausführlichen Antwort verwies Disraeli auf das Machbare und rekurrierte auf die epistemologischen Grundlagen konservativen Denkens, namentlich situativen Pragmatismus anstelle abstrakter Theorie: I want the Bill, above all, to be a Bill which we can carry. [. . .] I am anxious that we should carry our measure, and that we should not get the reputation of being theorists, pursuing an ideal perfection, and in that pursuit throwing away the opportunity of achieving a reasonable success.
Angesichts der parlamentarischen Verhältnisse sei es kontraproduktiv, namentlich durch eine Wahlkreisreform „individuelle Interessen“ von Abge47 48 49
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Vgl. Walpoles und Henleys Erklärungen im Unterhaus am 1. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1058–1064, hier 1060 und 1063, sowie Sp. 1064–1068, hier 1065 f. Vgl. Drummonds und Bentincks Unterhausreden vom 28. Februar 1859, EBD., Sp. 1029–1031, bes. 1030 f., sowie Sp. 1033–1037, bes. 1034. Vgl. Newdegates Briefe, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136, an Derby vom 9. März (B 6641: „the Re[di]str[ib]ution of the freeholders to voting for the Boroughs would strengthen the claim of the large towns to an addition to the numbers of their Representatives“; Derbys Antwort vom 10. März: B 6642), und an seine Mutter vom 10. März (B 3278: Disraeli und Derby „dont [sic] know that they can neither mortify [?] nor subdue me by their conduct – they may and probably will try to turn me out for North Warwick, though I dont [sic] know, that they can – but I am sorry to see the party sacrificed in that way“) sowie vom 13. März 1859 (B 3279: Disraeli [. . .] dont [sic] want such stiff old Tories as I am and by establishing the £ 10 franchise he would swamp North Warwickshire with Liberalism [. . .;] the Bill in its present form is Locke King’s Bill pure and simple“). Vgl. die Antwortschreiben der Kabinettsmitglieder auf Derbys Brief vom 7. Februar 1859 in: NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 47/1. Stanley an Disraeli, etwa 9. Februar 1859, M&B IV, S. 197; vgl. auch Malmesburys Tagebucheintrag vom 9. Februar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 156.
2. Erster Angriff: 1859
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ordneten – wie im Falle Newdegates – und somit im einzelnen zwar unbedeutende, in der Summe jedoch erhebliche Widerstände zu provozieren. Schließlich sei es schwierig genug, die eigenen Reihen hinter das Gesetz zu bringen, vielmehr sei dort mit Ablehnung und sogar Desertion zu rechnen52. Die Kritiker der Bill auf beiden Seiten markieren das Spannungsfeld, in dem sich Derby, vor allem aber Disraeli innerhalb der eigenen Partei bewegten. Dieser hatte die Wahl, seine allgemeine, aber zur Aktivität drängende Inspiration einer Bekämpfung von Radikalismus und Demokratie durch die konservative Verfassungspolitik der „national party“ im Zeichen einer erweiterten societas civilis zugunsten innerparteilich pazifizierender Passivität zurückzustellen oder aber das Meinungsspektrum durch einen Spagat zu überbrücken, der stets die Gefahr einer politischen Überdehnung oder des Gleichgewichtsverlustes in sich barg. Vor diesem Hintergrund offenbart die politische Umsetzung einer Wahlrechtsreform, allein schon die Vorlage von 1859, viel mehr noch aber die parlamentarisch erfolgreiche Gesetzgebung von 1867, die exzeptionelle Bedeutung Disraelis für die Konservativen, als politisch handelnder und inspirierender Führer, so wenig konkret seine Ideen im allgemeinen und so sprunghaft sie im einzelnen sein mochten. Während Derbys Rolle53 im Bereich der geistig-inhaltlichen Führung weithin blaß blieb und er auch im Bereich der politischen Umsetzung von sich aus zumeist nicht besonders initiativ war, allerdings den konkreten Anstoß für beide konservativen Wahlrechtsreformvorlagen gab, ist seine politische Bedeutung für die Konservativen und gegenüber Disraeli jedoch keineswegs zu unterschätzen. Erstens gab er den Ideen, die ihm einleuchteten, den Rückhalt, ohne den Disraeli in der Partei gar nichts zu bewegen vermochte, zweitens verhinderte er die meisten der Aktionen Disraelis, die ihm widerstrebten, und drittens gewährleistete er somit den Zusammenhalt und, soweit dies möglich war, die Integration innerhalb der Partei, die auf diese 52 53
Disraeli an Stanley, 10. Februar 1859, M&B IV, S. 199 f. Derby wird in der traditionellen Politikgeschichte der Konservativen mit Blick auf den politischen Aktivitätsgrad gegenüber Disraeli in aller Regel pauschal vernachlässigt (vgl. dazu Kapitel I.3.b); HAWKINS betont demgegenüber gerade Derbys führende und prägende Rolle und überwindet somit den klassischen Disraeli-Zentrismus (vgl. etwa Parliament, S. 276: „the Conservative party was led from Knowsley not Hughenden. [. . .] It was Derby, not Disraeli, who educated the mid-Victorian Conservative party“, vgl. auch Party Politics, S. 122 und 129), argumentiert dabei aber (trotz der zitierten Formulierung) ebenfalls ganz auf der prozeduralen Ebene der (high) politics, nicht auf der inhaltlichen Ebene von policy samt ihrer Implementierung. Die hier vorgenommene Interpretation folgt Hawkins’ Revisionismus auf der prozeduralen Ebene, nicht aber in inhaltlicher Perspektive, die auch von der traditionellen high politics-Schule für ihr Disraeli-Bild weitestgehend ausgeblendet wird; die hier mit dem Konzept der „politischen Kultur“ herausgearbeitete Dominanz Disraelis ist daher von spezifisch anderer Art.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
Weise erst die erforderliche politische Handlungsfähigkeit, insbesondere in der Regierung, gewann. Wenn der Parteichef die inhaltlich-politische Entwicklung der Konservativen in aller Regel auch nicht selbst vorantrieb, war er sich ihrer doch bewußt, trug sie mit und machte sie erst möglich. Derby, „der Schiedsrichter des Konservatismus“54, machte Disraeli mit den Konservativen erst kompatibel. Und so repräsentieren die beiden Führungspersonen in ihrer Kombination auch das Gravitationszentrum der Partei in politics und policy und ihre spezifische Entwicklungsrichtung. Derby legte den Kabinettskollegen schließlich am 16. Februar 1859 ein neues Memorandum vor, das eine Umverteilung von 15 Sitzen vorsah, die somit zwar höchst beschränkt ausfiel, aber die Zustimmung der Regierungsmitglieder fand55. So konnte Disraeli am 28. Februar in einer dreistündigen Rede56 die erste konservative Reform Bill im Unterhaus vorstellen. Er argumentierte ebenso mit der konservativen Figur einer organischen Weiterentwicklung des Überlieferten, wie er auf die Whig-Liberalen zuzugehen suchte, wenn er die Reform als „Adapt[ion] der Regelung von 1832 an das England von 1859“ im Geiste der bestehenden Verfassung ausgab. Sie strebe eine Repräsentation weder allein von „numbers“ noch allein von „property“ an, sondern aller, oft entgegengesetzen und rivalisierenden Interessen des Landes, deren Vielfalt den „englischen Charakter“ ausmache. So verfolge die Reform das Ziel, to confer the franchise on all of those to whom we thought that privilege might be safely entrusted, and who would exercise it for the general welfare of the country.
Im konkreten bedeutete dies, daß die Qualifikation von £ 10 Mietwert in den boroughs unangetastet blieb, das Wahlrecht aber zusätzlich – die von Bright verspotteten „fancy franchises“57 – an Personen mit jährlichen Einkünften von mindestens £ 10 aus Staatspapieren oder bestimmten Aktienkapitalien oder mit einem Guthaben von mindestens £ 60 in einer Sparkasse (savings bank), an Empfänger von Pensionen von jährlich mindestens £ 20 aus Armee- oder Staatsdienst, an Bewohner von Haushälften (statt ganzen
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JONES, Derby, S. 230 („the arbiter of conservatism“); den gleichrangigen Anteil Derbys und Disraelis betont auch STONE, Reform Bill, S. 213 f. Vgl. Derbys Memorandum vom 16. Februar 1859 sowie die brieflichen Antworten der Kabinettsmitglieder, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 47/1; vgl. auch HAWKINS, Parliament, S. 207. Unterhausrede Disraelis vom 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005 (Zusammenfassung im ANNUAL REGISTER 1859, S. 52–55), im folgenden bes. Sp. 973 f., 979–982, 985–987, 991 f. und 999–1004, die folgenden Zitate 973 f., 985 und 982. Unterhausrede Brights vom 28. Februar 1859, HANSARD 2/152, Sp. 1022–1029, hier 1025 (vgl. auch seinen Spott über diese Qualifikationen, Sp. 1024 f.).
2. Erster Angriff: 1859
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Häusern) mit einem Gesamtmietwert von jährlich mindestens £ 20, an Universitätsgraduierte, Pfarrer, Juristen und Mediziner sowie unter gewissen Umständen an Lehrer verliehen werde. Das Wahlrecht sollte in counties und boroughs gleich sein und am Wohnort ausgeübt werden; zur Vorbereitung einer Wahlkreisreform werde eine Kommission eingesetzt. Disraelis „Conservative measure [. . .] in the highest and holiest interpretation of which it is capable“58 wurde wenige Tage später durch einen mit der fehlenden Berücksichtigung der working classes begründeten Zusatzantrag John Russells auf Absenkung der Wahlrechtsqualifikation in den boroughs attackiert59. Derby und Disraeli erachteten die Abstimmung über diesen Antrag als Vertrauensfrage für die Regierung60. So blickte die Parteiführung mit großer Skepsis der Debatte über die zweite Lesung entgegen61, die Bulwer-Lytton auf konservativer Seite mit einer fulminanten Rede62 – „one of the greatest speeches ever delivered in Parliament“, schwärmte Disraeli gegenüber der Queen63 – eröffnete. Daraufhin aufkeimende zaghafte Hoffnung, doch eine Mehrheit zu erringen64, schwand jedoch bald wieder65 und endete definitiv mit der dann doch über Erwarten deutlichen Abstimmungsniederlage von 291 zu 330 am 31. März66. Nach der von Derby erbetenen Auflösung des Parlaments67 und den Neuwahlen im April und Mai 58 59 60
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Unterhausrede Disraelis vom 28. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 966–1005, hier 1004. Vgl. ANNUAL REGISTER 1859, S. 55 f. und 60. Vgl. Disraeli an Victoria, 10. März 1859, RA VIC/F 12/32, sowie Derby an Victoria, 23. März 1859, RA VIC/F 12/41. Zum parlamentarischen Verfahren vgl. die detaillierte Darstellung bei HAWKINS, Parliament, S. 204–225. Vgl. Gathorne Hardys Tagebucheintrag vom 12. März 1859, GATHORNE HARDY MEMOIR I, S. 128 f., sowie Derby an Victoria, 19. März 1859, RA VIC/F 12/35. Unterhausrede Bulwer-Lyttons vom 22. März 1858, HANSARD 3/153, Sp. 542–559, bes. 558 f. („That main object [. . .], was [. . .] to confirm and extend to the middle class the political power which, during the last twenty-seven years, so as to render liberty progressive and institutions safe; but at the same time, to widen the franchise the middle class now enjoys, so that it may include all belonging to the class who are now without a vote; and, instead of bringing the middle class franchise down to the level of the workmen, lift into that franchise, the artisan who may have risen above the daily necessities of the manual labourer by the exercise of economy and forethought. The Bill [. . .] is emphatically a Bill for the middle class. The cause is theirs; it is not the cause of the aristocrat; and it is not the cause of the Conservative country Gentleman, who, of all parties concerned, now tenders the largest concession. The cause is that of the middle class, down to the verge at which the influence of that class would melt away amidst the necessities of manual labour and the turbulence of concentred number“). Disraeli an Victoria, 9. März 1859, RA VIC/F 12/38. Vgl. Derby an Victoria, 23. und 25. März 1859, RA VIC/F 12/41 und 47. Vgl. Derby an Victoria, 29. März 1859, RA VIC/F 12/50. Vgl. HANSARD 3/153, Sp. 1257–1261; vgl. auch Derby an Victoria, 1. April 1859, RA VIC/F 12/53. Vgl. Derby an Victoria, 2. April 1859, RA VIC/F 12/54.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
war es vor allem der Zusammenschluß der zersplitterten liberalen Kräfte zur viktorianischen Liberal Party Anfang Juni 1859, der zum Sturz von Derbys zweitem Kabinett führte und konservative Reformaktivitäten vorerst erledigte. Und nicht nur diese: zwar brachte die Regierung Palmerston im darauffolgenden Jahr noch einmal eine Reformvorlage ein, die aber nicht nur auf konservativer Seite, insbesondere nach dem gerade erst erlebten eigenen Scheitern, weder besonderes Engagement noch argumentative Innovationen68 hervorrief. Angesichts allgemeinen Desinteresses wurde die Bill bereits im Juni wieder zurückgezogen und das Thema, ganz in Palmerstons Sinne, auf Eis gelegt69; party truce bedeutete zugleich Reform Bill truce: the question of Parliamentary Reform has ceased to be a party question, and the Tories are cleared of the taint of opposition to popular franchise.70
Sowie jedoch Palmerstons Tod den fünfjährigen Waffenstillstand beendete, hatte Disraeli die Wahlrechtsreform bereits wieder auf die Agenda gesetzt71 und den alten Kampfgeist wiederbelebt, wie Stafford Northcote in seinem Tagebuch festhielt: Jolliffe thought it might not be a bad plan to let the Government pass a moderate Reform Bill, and so get rid of the question, – a view which Dis. received, when I told him our conversation, with the deepest contempt, considering that such a course would seat the Whigs for a lifetime.72
3. DEFENSIVE GROSSOFFENSIVE: 1867 A)
RATED RESIDENTIAL HOUSEHOLD FRANCHISE: MOTIVE UND ERKLÄRUNGEN
1867 setzte die konservative Minderheitsregierung im Unterhaus mit Hilfe der Radikalen eine Wahlrechtsreform durch, die weit über die konservative Reform Bill von 1859, die (von den Konservativen abgelehnte) liberale Vor68 69
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Vgl. etwa Bulwer-Lytton an John Forster, 19. April 1860, NL Bulwer-Lytton, Hertfordshire RO Hertford, D/EK C27 (Mikrofilm: part 2). Vgl. Malmesburys Tagebucheinträge vom 2. und 8. Juni 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 228 f. (8. Juni, S. 229: „The Government, except Lord John and Mr. Gladstone, are as much against the measure as we are“), sowie BUCKINGHAM MEMOIRS II, S. 425 f. Disraeli an William Miles, 11. Juni 1860, M&B IV, S. 289–291, hier 291. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 27. Oktober 1865, STANLEY JOURNALS, S. 237 f. Tagebucheintrag Northcotes vom 22. Februar 1866, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063A, fol. 72–75, hier 74 (auch LANG, Northcote I, S. 240–243, hier 242).
3. Defensive Großoffensive: 1867
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lage des Jahres 1866 und auch den ursprünglich eingebrachten eigenen Gesetzesentwurf hinausging. Die am 15. August 1867 mit dem Royal Assent versehene „Act further to amend the Laws relating to the Representation of the People in England and Wales“73 verlieh das Wahlrecht in boroughs an alle männlichen Haushaltsvorstände („Inhabitant Occupier, as Owner or Tenant, of any Dwelling House“), die ihre Armensteuer entrichtet hatten und seit zwölf Monaten am Ort wohnten, unabhängig vom Wert ihrer Immobilie, sowie, mit derselben Residenzpflicht, an alle männlichen Mieter von Wohnungen mit einem Wert von mindestens £ 10; in den counties wurde die Mindestpacht auf jährlich £ 5 bei Pachtverträgen mit mindestens 60jähriger Laufzeit und auf £ 12 bei kürzerfristigen Pachtverhältnissen unter der Voraussetzung der Entrichtung der Armensteuer gesenkt; 45 eingezogene borough-Sitze wurden auf 25 counties, 19 boroughs (darunter ein zusätzlicher Sitz für die mit nunmehr drei Abgeordneten in quantitativer Hinsicht noch immer unterrepräsentierten Großstädte Birmingham, Leeds, Liverpool und Manchester) und die Universität London umverteilt74. Warum ausgerechnet die Konservativen eine solch unerwartet weitgehende Ausweitung des Wahlrechts insbesondere in den boroughs herbeiführten und dabei die Whig-Liberalen in einer „Konfusion der Parteistellungen“75 gleichsam links überholten, ist seit jeher eine der kontroversesten Fragen in der Geschichte des viktorianischen Englands ebenso wie der konservativen Partei, der Lackmustest auf ihre Entwicklung seit 1846 bzw. 1852 und der Gegenstand verschiedener „Mythen von 1867“76. Eine von Radika-
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STATUTES OF THE REALM, 30 & 31 Vict. c.102; die wesentlichen Auszüge in HANHAM, Nineteenth-Century Constitution, 217/273 f. Die entsprechende Gesetzgebung für Irland und Schottland erfolgte ein Jahr später (STATUTES OF THE REALM, 31 & 32 Vict. c.49; Auszüge ebenfalls in HANHAM, Nineteenth-Century Constitution, 218/274 f.). Vier boroughs verloren ihren Sitz wegen Korruption und 38 entsandten nach der Reform nur noch einen Abgeordneten; dafür erhielten Manchester, Liverpool, Birmingham und Leeds drei Sitze statt zuvor zwei, zehn neue boroughs wurden eingerichtet, davon einer mit zwei Abgeordneten, und vier boroughs entsandten ein zusätzliches Unterhausmitglied, zudem wurden dreizehn neue county divisions mit jeweils zwei Abgeordneten eingerichtet, und schließlich erhielt die Universität London einen Sitz. FONTANE, Unechte Korrespondenzen, S. 791 (2. Juli 1867). Vgl., auch zum folgenden, HAWKINS, Party Politics, S. 112–114 (das Zitat 112), sowie BLAKE, Conservative Party, S. 100–103. Zur zweiten Wahlrechtsreform von 1867 vgl. insbesondere die detaillierten Gesamtdarstellungen von COWLING, 1867, und SMITH, Second Reform Bill, im allgemeinen Zusammenhang HAWKINS, Party Politics, S. 112–140, sowie HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 237–271, bes. 246–253; für die Konservative Partei vgl. STEWART, Foundation, S. 358–366, BLAKE, Conservative Party, S. 98–111, COLEMAN, Conservatism, S. 131–138, und RAMSDEN, Appetite, S. 93–100, zur konservativen Politik in 1866 COWLING, Fusion; hinsichtlich der führenden Politiker vgl. BLAKE, Disraeli, S. 450–477, SMITH, Disraeli, 136–149, JONES,
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
len und Labour-Historikern geteilte Theorie führt das Zustandekommen der Reform auf den äußeren Druck der außerparlamentarischen Massenagitation der Reformbewegungen aus den middle und working classes zurück, der die konservative Regierung in die Kapitulation getrieben habe, versinnbildlicht im tränenerstickten Zusammenbruch des Innenministers Walpole angesichts öffentlicher Ausschreitungen im Juli 186677. Insbesondere die entscheidenden Erweiterungen der ursprünglichen Reformvorlage im Mai 1867 gingen demzufolge ursächlich und konkret auf die große Demonstration der Reform League in Hyde Park am 6. Mai zurück. Die liberale „Whig interpretation“, verkörpert vor allem von John Morley, sah demgegenüber den verborgen wirkenden Weltgeist am Werke, indem Disraeli und die Konservativen, nach der Ablehnung der liberalen Vorlage in 1866, in zynischem Opportunismus die eigentlich liberalen Reformmaßnahmen durchsetzten und somit die Liberalen letztlich als die eigentlichen Kräfte des Fortschritts bestätigten. Demgegenüber wirkten für Theodore Kebbel und Gertrude Himmelfarb78 originär konservative Kräfte, indem nämlich Disraeli, im Vertrauen auf den inhärenten Konservatismus der working classes, die schon früh konzipierte Allianz von Konservativen und Arbeiterschaft angestrebt habe, die dann als „Tory Democracy“ die wahlpolitische Dominanz der Konservativen seit 1874 etablierte. Viel prosaischer erklärt die high politics-Schule (Maurice Cowling, John Ramsden) die konservative Reform aus einer Verbindung von machtpolitischem Kalkül und brillanter parlamentarischer Taktik: demzufolge kompensierten die Konservativen das konzedierte Wahlrecht durch eine Reform der Wahlkreise zugunsten der counties, die den Konservativen echte Zugewinne bescherte79; zurückhaltender, aber tendenziell ähnlich fällt Robert Blakes Erklärung der Motive Derbys und Disraelis aus, ihre Partei als Regierungspartei zu beweisen und zu befestigen80, oder, machtpolitischer
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Derby, S. 291–330, sowie SHANNON, Gladstone II, S. 28–42; vgl. auch die sprachpraktische Untersuchung von STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 317–377. Vgl. die Aufzeichnung von John Manners über das Gespräch Walpoles mit einer Abordnung der Reform League nach den Ausschreitungen der öffentlichen Demonstration am 25. Juli 1866, WHIBLEY, Manners and his Friends II, S. 118 f., hier 118: „after the second sentence he broke down, and, burying his face in his hands, gave way for a minute or two“. Vgl. KEBBEL, Tory Memories, S. 256–258, und HIMMELFARB, Democracy, sowie HIMMELFARB, Reform Act of 1867, bes. S. 377 f., 382 f. und 388–390. Vgl. COWLING, 1867, bes. S. 46, 67, 71–79 und 303 f., 310, 334 und 336. Vgl. BLAKE, Conservative Party, S. 105, und BLAKE, Disraeli, S. 463–465 und 476 f., ähnlich
3. Defensive Großoffensive: 1867
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akzentuiert: den parlamentarischen Erfolg gegen Gladstone und die Liberalen zu erzielen und an der Macht zu bleiben81. Die hier vorgetragene Interpretation erklärt die Politik Disraelis als der verantwortlichen Führungsfigur und somit die Politik der Konservativen als Partei demgegenüber mit einer spezifischen Ursachenkonstellation. Leitend war dabei das Motiv der Bekämpfung des Radikalismus und der Verhinderung der Demokratie als der Bedrohung der Verfassungs- und Sozialordnung schlechthin durch eigene Maßnahmen auf verfassungspolitischer Ebene (daher auch die Ablehnung der liberalen Bill von 1866). Daß dieser Kampf teilweilse in Allianz mit den Radikalen gefochten wurde und im Ergebnis bis in Sichtweite der Demokratie führte, rückt das Konzept in die Nähe der Paradoxie, das seine historische Logik nichtsdestoweniger unberührt läßt: den Wandel, die „Revolution“82 lieber zu machen als zu erleiden, dabei in möglichst konservativem Sinne zu gestalten83 und die eigenen Grundlagen, namentlich eine inhaltlich und sozial erweiterte Vorstellung der societas civilis, mit Hilfe einer populären „national party“ zu wahren. Die dazu erforderlichen Maßnahmen waren daher inhaltlich nicht von vornherein im einzelnen festgelegt – so erklären sich auch die unterschiedlichen inhaltlichen Positionen im Verlauf der verschiedenen Wahlrechtsdebatten – und vor allem, statt feststehenden Prinzipien zu folgen, offen für die im mittviktorianischen politischen System besonders zu gewärtigenden Entwicklungen innerhalb des parlamentarischen Prozesses. Dabei waren die Grenzen zwischen Flexibilität und Opportunismus fließend und innerhalb der Konservativen höchst strittig84. In der Tat verbanden sich gerade in Derbys und Disraelis Politik der allgemeine inhaltliche Ansatz – I feel great hope of [. . .] realising the dream of my life and re-establishing Toryism on a national foundation85 –
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HAWKINS, Party Politics, S. 121 („intention to prove Conservative government responsive, enlightened, and capable of reform“). Vgl. STEWART, Foundation, S. 358 f. und 364–366, und JONES, Derby, S. 323. Vgl. Carnarvon an Richmond, 11. März 1867, NL Carnarvon, PRO London, PRO 30/6, 169 fol. 195–197, hier 196: „It may be good or bad: but it is a revolution.“ Hierin ähnlich, aber ohne den übergreifenden Kontext die Einschätzung von COLEMAN, Conservatism, S. 131–133. Vgl. auch MCDOWELL, British Conservatism, S. 84: „expediency and rapid development of ideas (it is not easy to distinguish between them) had astounding effects on the conservative party’s policy.“ Disraeli an Lord Beauchamp, April 1867, M&B IV, S. 528.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
und machtpolitisches Kalkül86 – I accepted office very unwillingly, but having accepted it, I mean to keep it as long as I can.87
Diese symbiotische Kombination aus aktiver konservativer Teilhabe an der Gestaltung des unaufhaltsamen Wandels und Machtstreben nach den Spielregeln des parlamentarischen Systems bestimmte die regierungsoffizielle Parteilinie und die Genese der konservativen Reform des Jahres 1867. B) SCHLEPPENDE
MOBILISIERUNG
Nachdem die Regierung Russell Ende Juni 1866 mitsamt ihrer Reform Bill an einer Parlamentsmehrheit aus Konservativen, Radikalen und reformfeindlichen liberalen Dissidenten, den sogenannten „Adullamiten“, gescheitert war88, stellte sich für Derbys daraufhin ins Amt gekommenes drittes Kabinett die Frage, wie in der Reformfrage weiterzuverfahren sei, die allerdings frühestens im darauffolgenden Jahr wieder auf der parlamentarischen Agenda stehen konnte. Allerdings hatte Disraeli offenbar noch die laufende Parlamentssession im Auge (was praktisch jedoch kaum zu bewerkstelligen gewesen wäre), als er Derby Ende Juli vorschlug, Gladstones Bill dort aufzunehmen, wo sie 86
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Elemente der verschiedenen Erklärungen, deren spezifisches Verhältnis zueinander allerdings nicht klar bestimmt wird, verbindet die Interpretation von SMITH, Disraeli, S. 143–145, der als Motive Disraelis „inspiration of party conflict“ v.a. gegenüber Gladstone und den Liberalen, „the ambition at all costs to succeed and to stay in office“ sowie eine eher soziale als politische „vision of national and popular Toryism“ unter Einschluß einer ungleichen Gesellschaft benennt. „If Disraeli was guided by no concealed purpose to launch his party into ‚Tory Democracy‘, he was certainly operating with a conception of Toryism which made it easy and in a sense obligatory to trust the political reliability of the people to any extent to pass a Conservative reform bill.“ Derby an Pakington, 4. Dezember 1866, NL Pakington, Worcestershire RO Worcester, 705:349, 4732/3 (iii), auch in NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 193/1, fol. 133–135, hier 133 f.; vgl. auch Derbys Oberhausrede vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1774–1803, hier 1783: „I did not intend for a third time to be made a mere stop-gap until it should suit the convenience of the Liberal party to forget their dissensions and bring forward a measure which should oust us from office and replace them there; and I determined that I would take a course as would convert, if possible, an existing minority into a practical majority.“ Zur Reformvorlage von 1866 vgl. SMITH, Second Reform Bill, S. 50–120, knapper HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 246–248, HAWKINS, Party Politics, S. 115–118, und SHANNON, Gladstone II, S. 13 f. und 18–24; die Bezeichnung der liberalen Reformgegner um Robert Lowe, Edward Horsman, Lord Elcho und Lord Grosvenor als „Adullamiten“ stammt von John Bright und bezog sich auf die biblische Erzählung (1 Sam 22,1 f.) der Flucht Davids vor Saul in die Höhle von Adullam, in der er sich mit etwa vierhundert Gefolgsleuten verschanzte; zu nicht realisierten Plänen einer Koalition aus Konservativen und Adullamiten im Sommer 1866 vgl. die minutiöse Rekonstruktion von COWLING, Fusion.
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ende. Eine zügig eingebrachte Reform des Wahlrechts auf Steuerwertsbasis (an der Forderung nach dem rating-Wahlrecht war Gladstones Reform, die auf dem Mietwert gründete, gescheitert) von £ 6 für boroughs und £ 14 für counties unter Einschluß einer Zuteilung von Sitzen für die nördlichen boroughs (gemeint waren wohl die großen Industriestädte) habe Chancen, das Unterhaus zu passieren, und verhindere damit weitere Agitation in den mindestens viermonatigen Parlamentsferien89. Die Interpretation dieser letzten Äußerung führt in die ideologisch aufgeladene Debatte zwischen Tory- und Labour-nahen Historikern, ob sich die Regierung mit ihrer Reform dem Druck der außerparlamentarischen Reformbewegung der middle und vor allem der working classes gebeugt habe, nachdem am 23. Juli die „Hyde Park riots“ begonnen hatten90. Abgesehen davon, daß diese Debatte inzwischen mehr reminisziert als noch wirklich geführt wird, ist in der Tat nicht zu erkennen (und wird auch nicht mehr aktiv behauptet), daß die Regierung von außerparlamentarischer Agitation substantiell beeinflußt gewesen wäre, geschweige denn aus Furcht vor ihr gehandelt hätte, im Juli 1866 ebensowenig wie im Mai 1867. Die Reformgesetzgebung von 1867 war, im Gegensatz zu 1832, ein primär innerparlamentarisches Phänomen. Unabhängig von Datierungsfragen des Briefes Disraelis an Derby hatte der konservative Wahlagent und Chef-Statistiker Dudley Baxter unter dem Datum des 21. Juli ein „Memorandum für eine konservative Reform Bill“ vorgelegt91. Darin schlug er, Disraeli über weite Strecken ähnlich, als Grundlage des Wahlrechts den Steuerwert statt des Mietwertes vor, da die Voraussetzung der Zahlung von Steuern „die am wenigsten vertrauenswürdige Klasse“, das keine Steuern zahlende Residuum, dauerhaft ausschließe (hier kam das auf die Zahlung von Steuern erweiterte Eigentumsverständnis der Konservativen zum Tragen): £ 6 in boroughs und £ 14 in counties; zudem sollten – diese Vorschläge knüpften an die Ideen von 1859 an – Wahlrechtsqualifikationen für die „educated classes“ geschaffen und das Wahlrecht der in boroughs wohnhaften Landbesitzer in die boroughs transferiert werden; hinsichtlich der Wahlkreisreform wurden eine Beibehaltung der kleinen und eine Ausweitung der großen boroughs, dort das Wahlrecht für
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Vgl. Disraeli an Derby, 29. Juli 1866, M&B IV, S. 452 f. Vor diesem Hintergrund zieht BLAKE, Disraeli, S. 450 Anm. 1, das Datum des Briefes in Frage: weil Disraeli sich darauf bezieht, „what Gladstone said yesterday“, der 29. Juli aber ein Sonntag war und das Unterhaus am 28. Juli nicht tagte, sondern am Freitag, dem 20. Juli, müsse der Brief vor dem 23. Juli verfaßt worden sein. Vgl. auch COWLING, 1867, S. 19 f., 24–27, 31–33, 36–39, 42, 60 f. und 242–266. Dudley Baxter, Memorandum on a Conservative Reform Bill, 21. Juli 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 52/3, bes. S. 1f. und 5, dort auch die folgenden Zitate.
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gebildete Schichten („by giving a third member with only votes for two“) und schließlich Sitze für die großen, bislang nicht vertretenen Städte vorgeschlagen. Das Kalkül lag auf der Hand, Machtpolitik und Abwehr der Demokratie waren dabei nicht zu trennen: it would permanently and effectually strengthen the Moderate party and the Landed interest both in the Counties and in the small boroughs, and by the third Member of the large boroughs – and this by enfranchisement and a wider basis – the surest way of rendering them secure against future democratic attacks. [. . .] such a Reform bill would be a measure of self defence, and [. . .] it would save the Nation from a rapid decline into democracy.
So erklärt sich auch, warum Disraeli, nachdem er Gladstones Gesetzesentwurf abgelehnt hatte, eine, vom rating franchise abgesehen, nicht wesentlich andere Reformvorlage erwog: „self defence“ ließ sich eben nur durch eine eigene Reform bewerkstelligen, und machtpolitisch gewendet bedeutete dies, „Gladstone den Boden unter den Füßen wegzuziehen“92. Doch Disraeli spielte in den Monaten der Vorbereitung der Bill von 1867 eine undurchsichtige Rolle. Bedrängt von allerlei politischen Planspielen, etwa einer Koalition aus liberalen Reformgegnern und Konservativen, die Disraeli zugleich politisch ausschalten würde93, verhielt er sich, nachdem sein Kurzfristprogramm vom Juli keinen Anklang gefunden hatte, in Fragen der Wahlrechtsreform zunächst ganz abwartend. Es war Derby, der ihm Mitte September schrieb, „I am coming reluctantly to the conclusion that we shall have to deal with the question of Reform“94: „the general feeling is that we cannot escape doing something“95, und konservative Reformmaßnahmen eröffneten dabei zugleich die Chance, den eigenen Ruf als Reformgegner loszuwerden96. Und daß John Bright versuche, öffentliche Agitation zu schüren, komme den Konservativen nur entgegen, erhöhe es doch die allgemeine Akzeptanz für eine „moderate and Conservative measure“. Schließlich wolle auch die Königin die Frage geregelt sehen97. In der Tat gab sich die Königin, so berichtete Stafford Northcote im Oktober von einem Besuch auf Balmoral, „most anxious for a settlement of the question“, und daher bot sie sogar an, ein vermittelndes Gespräch mit 92 93 94 95 96 97
Disraeli an Derby, 29. Juli 1866, M&B IV, S. 452 f., hier 453 („it would cut the ground entirely from under Gladstone“). Vgl. dazu COWLING, Fusion, passim. Derby an Disraeli, 16. September 1866, M&B IV, S. 453, sowie JONES, Derby, S. 296 f., hier 296. Derby an Disraeli, 27. September 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 191/2, fol. 131–140, hier 135. Derby an Disraeli, 9. Oktober 1866, EBD., fol. 171–176, hier 172. Derby an Disraeli, 27. September 1866, EBD., fol. 131–140, hier 135 f. (das Zitat 136).
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Russell und Gladstone zu führen98. Diese Idee jedoch brachte Disraeli geradezu in Rage, denn wenn die Konservativen schon Reform machten, dann sollte es auch die ihre sein: The royal project of gracious interposition with our rivals is a mere phantom. It pleases the vanity of a Court deprived of substantial power, but we know, from the experience of similar sentimental schemes, that there is nothing practical in it, or rather, that the only practical result is to convey to our rivals that we are at the same time feeble and perplexed. Our future, and in some degree the future of our country, depends on the course we shall chalk out for ourselves.99
Klaren Kurs nahm Disraeli im Herbst des Jahres 1866 zunächst allerdings nicht. Gerade in der Wahlrechtsreformfrage, die er in den fünfziger Jahren als erfolgversprechenden Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Radikalismus anvisiert hatte, gab er sich nun, angesichts der beschränkten Erfolgsaussichten einer Regierung ohne parlamentarische Mehrheit, zunächst sehr zurückhaltend. Wenig perspektivreich nahm sich seine Vorgabe aus, Beschlußvorlagen einzubringen, auf deren Grundlage eine Kommission einzusetzen und dabei auf die mäßigenden Auswirkungen einer möglichst verzögerten Diskussion zu vertrauen100. Disraelis Argumentation zog nicht eine konservative Wahlrechtsreform an sich in Zweifel, sondern ihre Realisierbarkeit, sie bezog sich nicht auf Inhalte, sondern auf das Procedere. Zwei unterschiedlich gerichtete Beobachtungen knüpfen hier an. Erstens sprechen seine Skepsis, obwohl sie darüber streng genommen nichts aussagt, und seine Zögerlichkeit gegen die (von Disraeli selbst nach Abschluß des Gesetzgebungsprozesses behauptete, inzwischen aber auch historiographisch so kaum mehr formulierte) Annahme, er habe einen „Masterplan“ verfolgt, durch ein bestimmtes Maß an Ausweitung des Wahlrechts in die working classes hinein die Grundlagen für „Tory Democracy“ zu legen. Zweitens aber war Disraelis Haltung im Herbst 1866 nicht typisch für ihn. Sie widersprach vielmehr, auch wenn seine Argumentation nicht auf Inhalte zielte, seiner gesellschaftspolitischen Grundhaltung einer offensiven Auseinandersetzung mit Radikalismus und Demokratie und vor allem, in Verbindung damit, seiner Initiative und Angriffslust, sowohl in all den Jahren
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Northcote an Disraeli, 17. Oktober 1866, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063B, fol. 105–107, hier 105, vgl. auch M&B IV, S. 455 f., hier 455; zum Interesse Victorias an einer Regelung der Wahlrechtsreform vgl. auch ihren Brief an Derby vom 28. Oktober 1866, EBD., S. 457 f. Disraeli an Northcote, 22. Oktober 1866, EBD., S. 456 f., hier 457. Disraeli an Derby, 18. November 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 145/6, auch in M&B IV, S. 459–461, hier 460; vgl. auch Disraeli an Cranborne, 26. Dezember 1866, M&B IV, S. 463, auch in G. CECIL, Salisbury I, S. 214.
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zuvor als auch später im konkreten Gesetzgebungsprozeß im Jahr 1867. So wenig eindeutig seine Haltung in diesen Monaten zu erklären sein mag, sollte sie aufgrund ihrer Exzeptionalität jedoch nicht dazu verleiten, Disraelis Bedeutung insgesamt zu unterschätzen. Demgegenüber sprach John Pakington für die reformbereite und in diesem Sinne „liberale“ Richtung der Partei, die inhaltlich an sich eher Disraeli nahestand. Er befürchtete, Zurückhaltung in der Frage der Wahlrechtsreform führe die Regierung in eine Zwangslage zwischen dem Drängen der Befürworter einer Reform und der Furcht der Reformgegner vor weiterer Agitation. Er schlug vor, in die Offensive zu gehen: „a wide extension of the franchise without overwhelming property by numbers“101. Denn, und diese Argumentation erinnerte an den gewohnten Disraeli, „ein kühner Kurs wäre der sicherste“, und ein einfaches und effektives Wahlrecht wäre einem komplizierten und unvollständigen System vorzuziehen102. Derby war derweil entschlossen, die einmal übertragene Macht und Regierungsverantwortung nun auch zu behalten und zu nutzen. Die Chance der Konservativen in ihrer parlamentarischen Minderheitsposition lag dabei seiner Meinung nach in der Uneinigkeit ihrer Gegner: „Our chance of safety, and ultimate success, lies in the discordant views of our opponents“103. Inhaltlich schwebte ihm ein Wahlrecht für alle Haushaltsvorstände (household franchise) vor, das allerdings, um das bisherige Elektorat nicht in einer Flut neuer Wähler aus unteren Schichten zu ertränken, mit gewissen „Sicherungen“ umgeben sein sollte, namentlich einem Mehrfachwahlrecht; dazu sei es wichtig, sich auf diese Prinzipien, keinesfalls aber auf
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Pakington an Derby, 2. Dezember 1866 (Kopie für Disraeli mit Schreiben vom 4. Dezember), NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 107/3, fol. 49 f. (Schreiben an Disraeli fol. 47 f.) (alte Signatur: B/XX/P/82a, das Anschreiben 82): „Men who are really anxious for a popular measure and early legislation, [. . .] may say we are seeking postponement only for the sake of delay [. . .] – and they may urge plausibility that none, or at most only one, of our assigned [ein Wort unleserlich] for a Commission is of any value. Others, who do not care about Reform and would gladly see it postponed, may nevertheless be apprehensive of the consequences of another year of agitation, and may wish the question settled and may think with some reason, that after the failure of last year the present time is unfavourable for a settlement [. . .;] we may find ourselves exposed, as the Session approaches to a greater pressure than we now anticipate.“ Pakington an Disraeli, 1. Februar 1867, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 107/3, fol. 55–57 (alte Signatur: B/XX/P/84), hier 57. Derby an Pakington, 4. Dezember 1866, NL Pakington, Worcestershire RO Worcester, 705:349, 4732/3 (iii); NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 193/1, fol. 133–135, hier 134; vgl. auch Gathorne Hardy an Sotheron-Estcourt, 18. Februar 1867, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, F 367: „Our opponents are far from agreed and there is a general desire to have the reform question settled. If we can do it they will let us.“
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Details festzulegen, um ein Höchstmaß an taktischer Offenheit und Flexibilität zu wahren: of all possible Hares to start I do not know a better than the extension of household suffrage, coupled with plurality of voting. You may add, if you please, Bribery, and Polling Papers; and the advantage of multiplying such questions is that we do not bind ourselves to the adoption of any, but afford an opportunity for feeling the pulse of Parliament, and the Country on [?] all, and showing how many doubtful points there are to be cleared up before Parliament commits itself to so great and irreversable a change.104
Im Sinne dieser Flexibilität lag auch ein parlamentarisches Vorgehen nicht über die sofortige Vorlage eines Gesetzesentwurfes, sondern von allgemeinen Resolutionen, die die Zustimmung des Unterhauses erhalten und dann die abgesicherte Grundlage für eine Gesetzesvorlage bilden sollten105. Hinsichtlich der Umverteilung der Sitze wollte Derby, insbesondere was den Entzug von Abgeordneten für die kleineren boroughs betraf, Zurückhaltung walten lassen, wobei er insbesondere der Besetzung der zu bildenden Kommission für die Wahlkreisreform höchste Bedeutung beimaß106. Zwar sah Robert Cecil seitens der Hochkonservativen durchaus hellsich-
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Derby an Disraeli, 22. Dezember 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 192/1, fol. 122–127 (Abschrift), hier 125; NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/2, fol. 216–219 (alte Signatur: B/XX/S/380); vgl. auch Derby an Pakington, 4. Dezember 1866, NL Pakington, Worcestershire RO Worcester, 705:349, 4732/3 (iii); NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 193/1, fol. 133–135, hier 135 („Our object must be to affirm principles, and postpone details as far as possible“); vgl. auch Derby an Disraeli, 27. Dezember 1867, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/2, fol. 220–225 (alte Signatur: B/XX/S/381) („I am quite satisfied with what you say on the plurality of votes question, which I only wish introduced as one mode by which the Franchise may be carried lower than would otherwise be safe“), sowie Derby an Disraeli, 2. Februar 1867, M&B IV, S. 489: „without plurality of voting we cannot propose household suffrage, which would give the working classes a majority of nearly 2 : 1.“ Vgl. Derby an Disraeli, 9. Oktober 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 191/2, fol. 171–176: „If [. . .] we get the House pledged to our principles, we shall be in a much better position for hereafter discussing details.“ Vgl. dazu auch den Entwurf von John Manners vom 5. November 1866, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 52/4 (Erhöhung der Zahl der Wähler in counties und boroughs in England und Wales durch Senkung der bestehenden und Schaffung neuer Qualifikationen; Besitzwahlrecht in counties und boroughs „based on the principle of Rating“; Transfer des Wahlrechts der in boroughs wohnhaften freeholders in den borough; Schritte gegen Wahlbestechung und Aberkennung von Sitzen für der Bestechung überführte Wahlkreise; kein weiterer Entzug von Sitzen, nur Reduzierung von zwei Abgeordneten auf einen in einigen der kleinsten boroughs; Einsetzung einer Royal Commission zur Wahlkreiseinteilung u. a.), sowie die Kabinettsvorlage vom 8. November 1866, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/2, fol. 204 f. (alte Signatur: B/XX/S/374); vgl. auch SMITH, Second Reform Bill, S. 138 f. Vgl. Derby an Disraeli, 27. Dezember 1867, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/2, fol. 220–225 (alte Signatur: B/XX/S/381), hier 222.
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tig die Gefahr voraus, daß das abgesicherte household franchise im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens durch Zusatzanträge der Gegenseite seine Sicherungen verliere107. Doch Carnarvon signalisierte Anfang Februar seine Zustimmung zu einem Wahlrecht für Haushaltsvorstände mit „some very distinct checks“108. Zwar räumte er rückblickend, im August 1867, ein, sein Brief an Disraeli sei „offen für Mißverständnisse“, weil „zu konziliant“ gewesen109. Doch konnten Disraeli und Derby Anfang Februar 1867, als das parlamentarische Vorgehen konkretisiert werden mußte, von der Unterstützung der Hochkonservativen ausgehen; denn auch Walpole, noch 1859 wegen der konservativen Reformvorlage von seinem Ministeramt zurückgetreten, befürwortete nun ein „household suffrage, founded on residence and rating, which he is convinced is most conservative – no compound householders on any account“110. C) SAMMLUNG UND PARLAMENTARISCHE
VORHUTGEFECHTE
Als die Königin am 5. Februar 1867 die neue Parlamentssession eröffnete, kündigte sie im Namen der Regierung eine Parlamentsreformvorlage an111. Am 11. Februar nahm Disraeli im Unterhaus Stellung zu dem Vorhaben. Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Gegenüberstellung der Auffassungen vom Wahlrecht als „popular privilege“ oder aber als „democratic right“. Nach konservativem Verständnis war das Wahlrecht ein Privileg, das auf die Repräsentation von Klassen und Interessen zielte (insofern eine wesentlich ständische Komponente enthielt) und vor allem auf Eigentum und Bildung beruhte und insofern die politische Umsetzung der Vorstellung einer ungleichen Gesellschaftsordnung darstellte, nicht aber ein Individualrecht, das
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Cranborne an Disraeli, 1. Februar 1867, G. CECIL, Salisbury I, S. 225, auch in M&B IV, S. 488 f. Carnarvon an Disraeli, 2. Februar 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60831, fol. 154 f. sowie Add MSS 60763, fol. 8; auch in HARDINGE, Carnarvon I, S. 341 f. Undatierte Ergänzung Carnarvons zu seinem Brief an Disraeli vom 2. Februar möglicherweise vom 19. August 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60831, fol. 152 f., hier 152, auch in HARDINGE, Carnarvon I, S. 340 f. („It is too conciliatory – too much framed to avoid, than, as it should have been, to mark, differences of opinion“). Disraeli an Derby, 4. Februar 1867, M&B IV, S. 490. Die compound householders führten ihre Armensteuern nicht direkt an die Gemeinde, sondern zusammen mit der Miete an den Hausbesitzer (landlord) ab, der sie an die Kommune weiterleitete (und für diese Verwaltungsleistung einen Rabatt erhielt, an dem auch die Mieter partizipierten). Die compounder erschienen daher nicht in den Steuerlisten und waren keine offiziellen Steuerzahler. The Queen’s Speech, 5. Februar 1867, HANSARD 3/185, Sp. 2–8, hier 6.
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all die Bedeutungen der quantifizierenden numbers samt einer egalitären Gesellschaft assoziierte112. Diese Unterscheidung verlor mit der Ausweitung des Wahlrechts auf alle steuerzahlenden Haushaltsvorstände im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses, wie noch darzulegen sein wird, an Trennschärfe, und das Wahlrecht näherte sich insofern der Qualität eines Individualrechts an, wie von hochkonservativer Seite auch scharf kritisiert wurde. Dennoch war dieses qualifizierende „Prinzip“ des Wahlrechts – „that the enjoyment of a public right should depend on the performance of a public duty“113 – mehr als eine bloße rhetorische Leerformel und „Hilfe zur Selbsttäuschung“ bei „faktische[r] Anerkennung des individuellen Rechts auf Repräsentation“114. Denn zwischen „Privileg“ und „Individualrecht“ bestand trotz der deutlichen Unterscheidung keine starre Dichtotomie115, weil das „Privileg“ in sozialer Hinsicht nicht eindeutig und exklusiv festgelegt war. Vielmehr figurierte das Eigentum als inhaltlich dehnbares Bindeglied. Gerade die Erweiterung des Eigentumsbegriffs wie die inhaltliche und soziale Erweiterung des Konzepts der societas civilis überhaupt hatten zwar auch ihre erhebliche, integrierende rhetorische Seite, gingen darin aber nicht vollständig auf. Sie waren mehr als bloß „kommunikative[r] Passierschein“116 und sprachliche Fiktion in einer von den Inhalten entkoppelten Rede – an dieser Stelle berühren sich, trotz grundverschiedener Ausgangspunkte, high politics und linguistic turn –, sondern wesentlich auch sachlich-inhaltlicher Natur, als spezifisch erweiterbare, wenn auch dadurch an Randschärfe verlierende und dennoch kohärente Grundlage. In diesem Sinne schlug die Regierung eben auch kein allgemeines Wahlrecht für Männer (manhood suffrage), sondern für (männliche) Haushaltsvorstände vor, die ihre Steuern abführten und
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Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 11. Februar 1867, HANSARD 3/185, Sp. 214–243, bes. Sp. 230–237; vgl. dazu auch seine Unterhausrede vom 18. März, HANSARD 3/186, Sp. 6–25, hier 6 f., zit. in Kapitel V.2; vgl. dazu auch Kapitel II.2. Disraeli an Victoria, 15. März 1867, RA VIC/C 42/62; auch in LQV 2 I, S. 407–409, hier 407; vgl. auch Derby an Lord Denmare, 28. Februar 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 193/1, fol. 263 f., hier 264 („the principle of rating [. . .] I consider of great importance“), sowie Banks Stanhope über Taylor an Derby, 13. März 1867, SMITH, Second Reform Bill, S. 160 (personal rating als Barriere gegen manhood suffrage und „some one firm basis [. . .] against democracy“). STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 349, 366 f. und 371–374, die Zitate 349 und 371. Steinmetz identifiziert dabei, unter Berufung auf Disraeli, das „popular privilege“ mit der Verschiedenartigkeit der Wahlrechtsformen, die im Laufe des Gesetzgebungsprozesses verloren gingen; Disraeli bezog den Begriff der „variety“ allerdings nicht auf die Wahlrechtsformen, sondern auf die Gesellschaftsordnung. STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 349.
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somit eine, wenn auch sehr allgemeine, gemeinwohlorientierte Eigentumsqualifikation erfüllten117. Was das konkret bedeutete, war Anfang Februar 1867 allerdings sowohl in inhaltlicher als auch in prozeduraler Hinsicht erst noch zu klären. Die Regierung hatte zunächst ein Vorgehen mittels Resolutionen avisiert, die Disraeli am 11. Februar ankündigte und am Tag darauf vorlegte118: Sie formulierten die Ziele einer Erhöhung der Zahl der Wähler in englischen und walisischen boroughs und counties, die Senkung der Besitzqualifikationen auf der Basis des Steuerwerts sowie die Einführung zusätzlicher franchises, eine größere direkte Repräsentation der working classes, nicht aber deren Dominanz, ein Mehrfachwahlrecht in boroughs (mit dem von vornherein einschränkenden Zusatz „if adopted by Parliament“), eine Revision der Sitzverteilung in Form der Vertretung bisher unberücksichtigter Orte ohne völlige Auflösung von (kleinen) boroughs und die Einsetzung einer Kommission zur Überarbeitung der borough-Grenzen, und schließlich Vorkehrungen gegen Wahlbestechungen. Generell erzeugte die Vorlage von per se eher unverbindlichen Resolutionen den Eindruck eines wenig kalkulierten Vorgehens der Regierung und allgemeine Enttäuschung119. Einen Tag später vollzog Disraeli daher eine Kehrtwendung und kündigte nunmehr die Vorlage eines konkreten Gesetzesentwurfs an120. Die Geburt der konservativen Bill von 1867 stand unter einem schlechten Stern. Und es kam noch schlimmer: Die Vorbereitung der Gesetzesvorlage endete am 25. Februar im Tohuwabohu. D)
MEUTEREI UND KRISE: 25. FEBRUAR 1867
Am 23. Februar, einem Samstag, legte sich die Regierung, auf der Grundlage statistischer Wahlanalysen Dudley Baxters, in einer kurzen Kabinettssitzung auf das Prinzip ihrer Reformvorlage fest, mit der sie am darauffolgenden Montag vor das Unterhaus treten wollte: das Wahlrecht für Haushaltsvorstände, die selbst Steuern zahlten und eine bestimmte Zeit am
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Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 6–25, hier 10: „being rated to the poor and the paying of the rates constituted a fair assurance that the man who fulfilled those conditions was one likely to be characterized by regularity of life and trustworthiness of conduct.“ Vgl. HANSARD 3/185, Sp. 214 (im Inhaltsverzeichnis unter 11. Februar; Datierung hier nach COWLING, 1867, S. 12 f. und 138), sowie ANNUAL REGISTER 1867, S. 22 f. Vgl. ANNUAL REGISTER 1867, S. 22. Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 456.
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Ort wohnten (rated residential household suffrage) in den boroughs121. Am darauffolgenden Sonntag prüfte Cranborne, wie Cecil zwischen 1865 und 1868 hieß, Baxters Zahlen, die er zunächst für zutreffend gehalten hatte122, im einzelnen nach und kam zu dem Schluß, daß der konservative Statistiker seine Berechnungen auf falschen Grundlagen vorgenommen habe123. Er setzte sich mit Carnarvon in Verbindung, und beide kamen, voller Vorbehalte vor allem gegen Disraeli und seine vermeintliche Überrumpelungstaktik, zu dem Schluß, „that an interior Cabinet was carrying out a pre-arranged scheme of policy“124. Daraufhin trat er an Derby heran und legte ihm dar, daß Disraelis Reformvorlage aufgrund ihrer falschen Berechnungsgrundlage darauf hinauslaufe, die kleineren boroughs weitgehend den neu hinzukommenden Wählern unterhalb der alten £ 10-Grenze auszuliefern. Da die Reform in der vorliegenden Form den „Ruin der Konservativen Partei“ bedeute, bat er um eine neue Kabinettsbesprechung zwecks Revision der Bill am nächsten Tag125. „This is stabbing in the back!“126 So schrieb Disraeli in auffallend flüchtiger, nervöser Schrift an Derby, als er am Morgen eines dramatischen Montags von der Wendung der Dinge erfuhr, die der Öffentlichkeit zunächst verborgen blieben und durch eine Rede Pakingtons in Droitwich am 13. März bekannt wurden127. Am Mittag trat das Kabinett vor dem Beginn
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Vgl. COWLING, 1867, S. 146 f., SMITH, Second Reform Bill, S. 152–154, JONES, Derby, S. 305, und BLAKE, Disraeli, S. 458. Vgl. Cranborne an Carnarvon, 22. Februar 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60761, fol. 16 f. Zu Cranborne im Zusammenhang der Wahlrechtsreform insgesamt vgl. STEELE, Salisbury, S. 44–61, und ROBERTS, Salisbury, S. 86–99. Vgl. Cranborne an Derby, 24. Februar 1867, G. CECIL, Salisbury I, S. 233 f., sowie M&B IV, S. 499 f., hier 499: Er sei erst am Sonntag dazu gekommen, die Zahlen ausgiebig zu prüfen, da sie unerwartet kurzfristig vorgelegt worden seien. „Mr. Baxter’s error has been that he has made the calculation in a lump, and has assumed that the effect would be distributed equally over all boroughs. This assumption is unfounded: for while in small boroughs the addition is large and the counterpoise small, in the large boroughs, where we are hopelessly overmatched, the counterpoise is large and the addition small.“ Undatierte Aufzeichnung Carnarvons (19. August 1867?), NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60831, fol. 152 f., hier 153, auch in HARDINGE, Carnarvon I, S. 340 f., hier 341: „The system of separate and confidential communications which Mr. Disraeli had carried on with each member of the Cabinet from whom he had anticipated opposition had divided them and lulled their suspicions; whilst the pre-arranged decision of the interior Cabinet, and the weakness of the general Cabinet had so strengthened Mr. Disraeli’s hands that the individuals in question stood in an isolated and therefore powerless position.“ Vgl. Cranborne an Derby, 24. Februar 1867, G. CECIL, Salisbury I, S. 233 f., auszugsweise auch in M&B IV, S. 499 f., hier 499. Disraeli an Derby, 25. Februar 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 145/6. Vgl. COX, Administrations, S. 47 f. Zum 25. Februar vgl. Derby an Victoria, 25. Februar 1867, RA VIC/C 42/31 bzw. LQV 2 I, S. 399–401; Stanleys Tagebucheintrag vom 25. Februar 1867,
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der auf 14 Uhr angesetzten Parteibesprechung zusammen. Unter dem Druck des drohenden Rücktritts Cranbornes, Carnarvons und Peels entschlossen sich die Minister buchstäblich in letzter Minute, kurzfristig umzudisponieren, um das Zerbrechen der Regierung zu verhindern: der beschlossene Entwurf wurde zurückgezogen und durch eine Reformvorlage auf der Grundlage von £ 6 rating in den boroughs, £ 20 rating in den counties und einer moderaten Umverteilung ersetzt, die als „ten minutes bill“ berühmt wurde und die Disraeli am 25. Februar dem hinsichtlich der Umstände ahnungslosen Unterhaus ankündigte128. Das Echo fiel negativ aus – „a wretched proposition“, urteilte nicht nur Bright129 –, und den Konservativen blieb ein mehr als schaler Nachgeschmack dieses bewegten Tages. Als „demütigendes Ergebnis“ empfand Derby die Einigung auf eine „weniger befriedigende und umfassende“ Maßnahme130, die den Konservativen weder zur Ehre noch zum Nutzen gereiche, vielmehr die Position der Regierung um allzu geringer Vorteile willen gefährde131: there is a general, almost an universal, feeling of annoyance, almost of indignation, among the Conservative benches, that Lord Derby should have been, as it were, forced to surrender his policy, which no doubt had, alike, all the elements of security, popularity, and permanence. [. . .] General Peel and Lord Cranborne have acted in a complete ignorance and misapprehension of the real feeling of the Conservative party and of the country generally, for the Conservative party, though slow, is always accurate in the long run.132
Unter den deprimierten Konservativen133 machte sich nach dem Schock
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STANLEY JOURNALS, S. 290 f.; Carnarvons Memorandum vom 25. Februar 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60831, fol. 88 (zur Vorgeschichte auch 89–91 und 94–100), vgl. auch HARDINGE, Carnarvon I, S. 347–349; John Manners’ Aufzeichnung vom 26. Februar 1867, WHIBLEY, Manners and his Friends II, S. 122–124; Gathorne Hardys Tagebucheintrag vom 27. Februar 1867, GATHORNE HARDY DIARY, S. 31 f.; Cranbornes Memorandum vom 1. März 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60761, fol. 18–21; ANNUAL REGISTER 1867, S. 30–32; M&B IV, S. 498–503; G. CECIL, Salisbury I, S. 234; SMITH, Second Reform Bill, S. 148–161, bes. 154–158; COWLING, 1867, S. 146–151; JONES, Derby, S. 305 f.; BLAKE, Disraeli, S. 458 f.; STEELE, Salisbury, S. 50–52, und ROBERTS, Salisbury, S. 89–93. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 25. Februar 1867, HANSARD 3/185, Sp. 937–952 (Zusammenfassung im ANNUAL REGISTER 1867, S. 24–26). Tagebucheintrag Brights vom 25. Februar 1867, BRIGHT DIARIES, S. 295. Derby an Victoria, 25. Februar 1867, LQV 2 I, S. 399–401, hier 400. Vgl. Disraeli an Derby, 25. Februar 1867 (im Original: Monday), NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 145/6: „What I fear is, that for the sake of obtaining comparatively slight results, you are endangering your position.“ Disraeli an Victoria, 26. Februar 1867, RA VIC/C 42/36 bzw. LQV 2 I, S. 401 f. Vgl. Manners an Malmesbury, 27. Februar 1867, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 367: „We are in a very broken and disorganised condition.“
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allerdings binnen weniger Tage eine zunehmende Stimmung für eine Rückkehr zur ursprünglich beschlossenen Vorlage breit134. Am 28. Februar, drei Tage nach dem turbulenten Montag, machten etwa 150 konservative Abgeordnete bei einem Treffen im Carlton Club, mit genuin konservativer Begründung, ihre Präferenzen für eine energische und konsequent betriebene Maßnahme Derbys und der Konservativen deutlich: household suffrage, thus protected, especially with the power of cumulative voting, was urged as a Conservative measure – on the ground that it offered the best means of resisting farther and wilder changes.135
Disraeli sah dies nicht anders. Er hatte inzwischen, nach der eigenümtlichen Zurückhaltung der vorhergehenden Monate, wieder Zuversicht, Initiativkraft und Risikobereitschaft geschöpft und argumentierte nun auch wieder entlang seiner üblichen Linien: All I hear and observe, more and more convinces me that the bold line is the safer one, and, moreover, that it will be successful.136
Tags darauf teilte Derby, unter Berufung auf die Stimmung in der Partei und seine eigene Überzeugung zugleich, den innerparteilichen Opponenten seine Entscheidung mit, zur ursprünglichen Vorlage zurückzukehren137. Selbst um den Preis ihres Rücktritts konnte Derby dabei auf den Rückhalt der Parteimitglieder bauen, wie ihn etwa Malmesbury wissen ließ: I do not hesitate to say that the only course that can have our credit before the country is for your master mind to determine what is the best bill, and in spite of secession, of a menacing press and of all plausible intrigues whatever, to adhere to that bill – nor have I any doubt to which is the best – I always preferred household suffrage (properly counterpoised) to any halfway resting-place, and I believe the whole
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Vgl. Disraeli an Derby über Äußerungen Stanleys, 27. Februar 1867, M&B IV, S. 505. Richard P. Long an Disraeli, [1. März 1867], zit. nach SMITH, Second Reform Bill, S. 159; vgl. auch Manners an Malmesbury, 28. Februar 1867, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 367 f., hier 368 („Much difference in opinion, no resolutions passed, but a general disposition evinced in favour of rated residential household suffrage v. 6l. rating and an equal division of new seats between the counties and the boroughs. An anxious desire expressed that we should fix upon the franchise we thought best and then stick to it, declining to carry our opponents’ measures“), sowie Disraeli an Victoria, 28. Februar 1867, RA VIC/C 42/43 bzw. LQV 2 I, S. 403 f., hier 403 („There was a great meeting of M.P.’s at the Carlton to-day, more than 150; no person in office being invited. There was only one feeling that Lord Derby ought to be encouraged to fall back on his own policy, and that the measure he seemed forced to introduce was not equal to the occasion“). Disraeli an Derby, 28. Februar 1867, M&B IV, S. 508. Derby an Cranborne, Carnarvon und Peel, 1. März 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), fol. 268, 269 und 270 f., hier 268 (an Cranborne): „I find the feeling in favour of our original scheme very general among the Conservative party, and my own opinion is very strong that it is our only chance of safety.“
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
country is of that opinion [. . .] The loss of three able and honourable men is a great one, but far greater would be the loss of reputation which a vacillating and subservient policy would inevitably bring upon us personally, and upon our party. No colleagues can be worth that sacrifice.138
Das Desaster des 25. Februar gab den Konservativen, der Gefolgschaft ebenso wie der Parteiführung, nach dem schleppenden Beginn offensichtlich erst den entscheidenden Reformimpuls: „the feeling of the party grows stronger every hour in favour of your original scheme of Reform“, schrieb der Abgeordnete Henry Edwards an Disraeli, „and the hope is that Lord Derby may at the Cabinet Council today get rid of the Dissentients at any risk to save us from irretrievable ruin.“139 Konsequenterweise folgten der offiziellen Kabinettsentscheidung am 2. März140 die Rücktritte der Minister Cranborne, Carnarvon und Peel. Am 4. und 5. März wurden die Rücktritte ebenso wie die Rücknahme der „ten minutes bill“ zugunsten der ursprünglichen Vorlage im Unterhaus bekanntgegeben141. John Bright konnte es kaum fassen: Great interest excited: wonderful conversion to Household Suffrage on every side. I begin to be an authority with the Tory Party! What next?142
In der Tat lagen die Konservativen nun auf der Linie des household franchise143, das erstmals Eingang in eine Regierungsvorlage gefunden hatte, allerdings in Verbindung mit verschiedenen Einschränkungen wie dem Mehrfachwahlrecht, den Zusatzqualifikationen, der Residenzzeit oder dem Ausschluß der compounders, die eine Dominanz der neu wahlberechtigten Angehörigen der working classes verhindern sollten144. Dabei gab Disraeli dem Mehrfachwahlrecht von vornherein keine Chance und schien nun vielmehr, zumal auch die anderen Sicherungen im Verlauf des parlamentarischen Verfahrens durch Zusatzanträge (amendments) aus den Reihen der Opposition zu Fall gebracht werden mochten, einem „rated house-
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Malmesbury an Derby, 1. März 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 144/4 (Unterstreichungen im Original); auch in M&B IV, S. 511 (dort ohne die Hervorhebungen). Edwards an Disraeli, 2. März 1867, zit. nach SMITH, Second Reform Bill, S. 160. Vgl. Derby an Victoria, 2. März 1867, RA VIC/C 42/47 bzw. LQV 2 I, S. 404. Vgl. HANSARD 3/185, Sp. 1284–1289, 1309 f. und 1339–1345; vgl. auch ANNUAL REGISTER 1867, S. 30 f., 32 f. und 34–36. Tagebucheintrag Brights vom 4. März 1867, BRIGHT DIARIES, S. 298. Vgl. G.W. Clive an Taylor, 6. März 1867, zit. nach SMITH, Second Reform Bill, S. 164: „I am quite sure that we shall lose nothing by Household Suffrage.“ Vgl. Long an Derby, [1. März 1867], SMITH, Second Reform Bill, S. 159, sowie den zitierten Brief Malmesburys an Derby vom 1. März 1859, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 144/4 bzw. M&B IV, S. 511.
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hold suffrage pure and simple, with a rating check“ zuzuneigen145. Dies aber ging den Konservativen zu weit146, die schon, so der durchaus reformbereite Malmesbury, mit einem durch „counterpoises“ abgesicherten Wahlrecht für Haushaltsvorstände „die Grenzen konservativer Prinzipien bis zum Äußersten gedehnt“ hatten147. Viel kritischer und grundsätzlicher als solches zunächst interne und immanente Unbehagen fiel, stellvertretend für die Hochkonservativen, Carnarvons Urteil aus: Household suffrage will produce a state of things in many boroughs, the result of which I defy anyone to predict. [. . .] It may be good or bad: but it is a revolution. The Conservative party is in imminent danger of going to pieces now if indeed it does not disappear in the deluge that the Government are bringing on.148
Derby aber war nun, in ansonsten von Disraeli gewohnter Art und Weise, fest entschlossen, die Reformvorlage erfolgreich durch das Parlament zu bringen – „um jeden Preis an der Macht zu bleiben“, wie sein Sohn befremdet bemerkte – und dafür auch weitreichende Konzessionen zu machen149. Am 15. März, drei Tage vor der Vorlage im Parlament, versammelte Derby die konservativen Abgeordneten in Downing Street, um sie auf die Bill einzuschwören. Zufrieden teilte Disraeli der Königin die Zustimmung „aller repräsentativen Männer“ (mit Ausnahme William Heathcotes) mit, als er ihr am selben Tag die Gesetzesvorlage zur Wahlrechtsreform erläuterte150, die er drei Tage später im Unterhaus vorstellte151. E)
FANAL: VORLAGE DER BILL
Die Bill sah folgende Regelungen vor: Ausgehend von der tatsächlichen persönlichen Zahlung der Armensteuern erhielten in den boroughs steuerzahlende männliche Haushaltsvorstände nach zweijähriger Residenz am Ort (237 000 neue Wahlberechtigte) das Wahlrecht, nicht aber die 486 000 145 146 147
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Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 7. und 9. März 1867, STANLEY JOURNALS, S. 293 f., das Zitat 294. Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom 9. März 1867, EBD., S. 294: „All opposed this, though Ld. D. wavered a good deal.“ Malmesbury an Derby, 8. März 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 144/4: „In giving household suffrage I think we do a wise thing, but it is stretching the limit of Conservative principles to the utmost.“ Daher seien „important counterpoises“ unabdingbar. Carnarvon an Richmond, 11. März 1867, NL Carnarvon, PRO London, PRO 30/6, 169 fol. 195–197, hier 195 f. Tagebucheintrag Stanleys vom 10. März 1867, STANLEY JOURNALS, S. 294. Disraeli an Victoria, 15. März 1867, RA VIC/C 42/62 bzw. LQV 2 I, S. 407–409; zur Versammlung der Abgeordneten vgl. auch ANNUAL REGISTER 1867, S. 38–40. Unterhausrede Disraelis vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 6–25 (Zusammenfassung im ANNUAL REGISTER 1867, S. 40–42).
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compound householders, denen jedoch die Möglichkeit der direkten Entrichtung der Steuern gegeben werden solle, zusätzlich, wie bereits 1859, die Zahler von jährlich 20s. direkter Steuern (ca. 200 000 neue Wahlberechtigte), die Eigentümer von Sparkassen- oder Fondseinlagen in Höhe von mindestens £ 50 (70 000 neue Wähler) sowie die Besitzer von Bildungspatenten (35 000 neue Wahlberechtigte). In den counties sollte es auf £ 15-Steuerwertsbasis (171 000 neue Wähler) und aufgrund derselben Zusatzqualifikationen wie in den boroughs (ca. 250 000 neue Wähler, darunter aber viele Doppelqualifikationen) verliehen werden. Hinzu kamen in bestimmten Fällen ein Doppelwahlrecht und eine Neuverteilung von 30 Sitzen. Unter Einschluß der knapp 500 000 compounders, die das Wahlrecht zwar nicht direkt erhielten, aber erwerben können sollten, erhielten somit über eine Million Männer in den boroughs und zudem über 300 000 Männer in den counties zusätzlich das Wahlrecht bzw. die Möglichkeit, es zu erhalten152. Was Disraeli nicht sagte, war sein Kalkül, das er der Königin unterbreitete, daß nämlich aus verschiedenen Gründen153 letztlich keine 50 000 von der Steuerqualifikation betroffenen Haushaltsvorstände in den boroughs von ihrem Recht oder ihrer Möglichkeit, es zu erwerben, Gebrauch machen würden154. Und ein weiteres kalkulierte Disraeli, nicht erst jetzt, ohne es aber dem Parlament und vor allem seiner eigenen Partei zu sagen: daß nämlich das Doppelstimmrecht keineswegs zu den unverzichtbaren Grundlagen des Reformgesetzes gehöre155. Nachdem es bereits unmittelbar nach der Vorlage insbesondere von liberaler und radikaler Seite heftig attackiert worden war156, wurde das dual voting, und somit die erste Sicherung, bereits fünf
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Vgl. EBD., hier 12–14, 17–19, 21 und 24. Disraeli nannte Migration (somit die Unterschreitung der erforderlichen Residenzzeit) und Pauperismus; hinzu kam, daß mit der Abführung der Armensteuern mit der Miete an den Vermieter ein Steuerrabatt von kommunaler Seite verbunden war, der im Falle der persönlichen Zahlung der Armensteuern zwecks Erwerbs des Wahlrechts aufgegeben worden wäre. Vgl. Disraeli an Victoria, 15. März 1867, RA VIC/C 42/62 bzw. LQV 2 I, S. 407–409; abgesehen von seinem Kalkül mit der ausbleibenden Nutzung der Berechtigungsmöglichkeiten und seiner Haltung stimmen seine Angaben zur Wahlrechtsreform, insbesondere die Zahlenangaben, gegenüber der Königin und dem Parlament überein. Vgl. Disraeli an Victoria, 15. März 1867, RA VIC/C 42/62 bzw. LQV 2 I, S. 407–409, hier 408 („this must only be known to her Majesty and ourselves; he cannot venture to say that, as yet, even to his colleagues“). Vgl. die Unterhausreden Gladstones, Lowes, Henleys, Roebucks, Butler-Johnstones, Sandfords, Osbornes und sogar Cranbornes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 26–46, hier 43, Sp. 52–62, hier 61, Sp. 62–65 und Sp. 65–68, hier 67, Sp. 73–76, hier 75, Sp. 77–81, hier 77, Sp. 81–83, hier 83, und Sp. 83–89, hier 86.
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Tage nach Vorlage der Bill intern liquidiert und drei weitere Tage später offiziell zurückgezogen157. Die Reaktionen auf Disraelis Vorlage im Unterhaus fielen gemischt aus, zumal, wie der konservative Abgeordnete Baring bemerkte, „not two of us seem to agree as to what has to be done“158. Seiner Sache sicher war sich hingegen Gladstone, der wohl über die profundesten Kenntnisse der Materie verfügte, mit seiner „scharf definierten, aber taktisch ineffektiven Bekenntnispolitik“159, ganz im Gegensatz zu Disraeli, einem „amateur in the field compared with Gladstone [. . .] made free by his ignorance and incompetence“160. Er bezweifelte nicht nur Disraelis Zahlen, sondern erhob auch vier zentrale sachliche Einwände gegen eine „gigantische Betrugsmaschinerie“, die nichts anderes als den Klassenkampf proklamiere: erstens ziehe das household franchise keine klare Grenze nach unten gegenüber dem sogenannten Residuum, den Unterschichten, die nach allgemeiner Auffassung nicht in den Genuß des Wahlrechts kommen sollten161; die notwendige quantitative Ausschlußwirkung erziele es dafür, zweitens, auf willkürliche Weise durch den Ausschluß der compounders; damit werde die Entscheidung über das Wahlrecht in die Hände der lokalen Eliten gelegt, die auf kommunaler Ebene über die Art der Armensteuererhebung (persönliche Zahlung oder compounding) entschieden (diesen Vorwurf wies der Solicitor General, John Karslake, mit dem Argument zurück, die compounders sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Steuern selbst zu zahlen162); drittens lehnte er die persönliche Zahlung von Steuern als Prinzip ab, und viertens vermißte er ein Wahlrecht für Mieter von Wohnungen (lodger)163. Ähnlich scharf attackierte der liberale Reformgegner Robert Lowe, der im Vorjahr schon Gladstones Bill zu Fall gebracht hatte, die konservative
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Vgl. Malmesburys lakonischen Tagebucheintrag vom 23. März 1867, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 368 („On Reform Bill. Dual vote given up“) sowie Disraelis Unterhausrede vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 642–664, hier 662 f. Unterhausrede Barings vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 51 f., hier 51. STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 347 (dazu allgemein S. 341–347). SHANNON, Gladstone II, S. 32. Vgl. dazu auch die Unterhausrede des Radikalen Roebuck vom 25. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 539–544, hier 540: „of that artizan or labouring class, there is a portion who, as to character, probity, intelligence, sagacity, and every other point that distinguishes men, are quite equal to any other portion of the community [. . .;] to bring the opinions and the feelings of these men into this House is a thing we ought to do; and which we can do without danger. But there is another portion of that body who are not educated, who are vicious, who are unfit to have in their hands the government of mankind.“ Unterhausrede Karslakes vom 25. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 545–556, hier 549–552. Unterhausrede Gladstones vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 26–46, hier 28–31, 32–34, 36–43, bes. 37 f. und 43 f., das Zitat 42.
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Vorlage. Ihm ging nicht nur die Ausdehnung des Wahlrechts auf gesellschaftliche Klassen, die seines Vertrauens entbehrten, viel zu weit. Vor allem machte er der konservativen Regierung Vorwürfe, wie sie ansonsten Konservative den Radikalen zu machen pflegten: neue und gefährliche Experimente zu machen und die natürliche gesellschaftliche Ordnung mit ihrer natürlichen inneren Ungleichheit künstlich und unhistorisch umzugestalten und somit zu zerstören. „We are going to try a new, dangerous, and [. . .] desperate experiment“, a „highly dangerous [attempt]“ in pursuit of that ‚firstborn of things’, divine equality. [. . .] It is the order of Providence that men should be unequal, and it is [. . .] the wisdom of a State to make its institutions conform to that order. But to invert that order, to give the lower classes a preponderance over the others, to make the highest inferior to the lowest, and all for the sake of levelling inequality, and then to set to work to create a fresh aristocracy to counterpoise and balance the evil you have done, seems to me an amount of absurdity which I could not have believed any Government capable of.164
Konservative Argumente gegen die konservative Vorlage165 brachten aber auch Konservative vor, aus deren Reihen deutliche Vorbehalte zu vernehmen waren. William Heathcote klagte, die angestrebte Reform drohe, erstens, die bestehende „balance of our constitution in order and stability“ zu zerstören166. Mit dem Wahlrecht für steuerzahlende Haushaltsvorstände löse sie zweitens, so Cranbornes Schwager Beresford-Hope, der ein auf bloße Zahlung von Steuern erweitertes Eigentumsverständnis nicht mittrug, die Verbindung zwischen Eigentum und Repräsentation auf; an ihrem Ende stünden dann wahlweise Demokratie oder eine korrupte Plutokratie, die schlimmer sei als das System vor 1832167. Thomas Baring äußerte drit-
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Unterhausrede Lowes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 52–62, hier 62 (vgl. auch 61: „I, for one, will be no party to giving power to classes in whom I have no confidence“); vgl. auch Lowes Unterhausrede vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1539–1550, hier 1540 f.: „The principle [. . .] is that on which all democracies are established. It is the principle of a right existing in the individual as opposed to general expediency. It is the principle of numbers as against wealth and intellect. It is [. . .] the principle of equality. [. . .] Up to this time we have had inequalities and anomalies existing in this country, and the object has been not to frame a form of Government under which political power should be most equally divided, but a form of Government which should confer the greatest amount of benefit on the community at large.“ Zur Interpretation dieser Argumentationsfiguren vgl. Kapitel VI.3.f) und h). Unterhausrede Heathcotes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 46 f., hier 46. Unterhausrede Beresford-Hopes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 68–73, hier 69 und 71 („Supposed the Bill passed in its broadest and most dangerous form, it would induce either democracy – a system under which property and intelligence had not their due weight, and under which mere numbers and the cravings of those who wanted and had not became predominant – or, what would be still worse, a more base form of plutocratic government than any that we had known hitherto – worse even than the plutocracy which was
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tens Zweifel daran, daß die Vorlage wirklich verbindlich gegen ein reines household franchise abgesichert war168, und viertens hielt Beresford-Hope einen Rückgriff auf die Zusatzqualifikationen aus der Zeit vor 1832 für vollkommen unzeitgemäß169. Fünftens schließlich wurde ein (gegenüber Disraeli nicht unübliches) moralisches Argument angeführt: die Regierung mache sich der Prinzipienlosigkeit schuldig und verstoße gegen Wahrhaftigkeit und Ehre, wenn sie nun ganz anders rede und handle als ein Jahr zuvor in der Opposition bei der Ablehnung der liberalen Reform, wenn persönlicher Ehrgeiz über die Interessen des Landes gehe; dies bringe die Loyalität zur Partei in Konflikt170. Damit hatten die ersten konservativen Kommentatoren keinen definitiven Widerstand gegen den Entwurf ihrer eigenen Regierung angekündigt, und über die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei sagten diese Äußerungen auch noch nichts aus; substantielle Unterstützung brachten jedoch nur wenige Konservative zum Ausdruck171. Dafür forderten ausgerechnet Radikale und fortschrittliche Liberale, die im Parlament traditionell für household franchise pur et simple eintraten und nur vereinzelt, in den außerparlamentarischen Reihen der Reform League und der London Working Men’s Association, ein allgemeines Männerwahlrecht verlangten172, ein
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an element of the system before 1832“ – „all the worst evils of corrupt, dirty, and low electioneering“). Unterhausrede Barings vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 51 f., hier 51. Unterhausrede Beresford-Hopes vom 18. März 1867, EBD., Sp. 68–73, hier 70 („wholly unsuited to modern civilization“). Vgl. die Unterhausreden Beresford-Hopes, Sandfords und Cranbornes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 68–73, hier 68, Sp. 77–81, hier 80 f. und Sp. 83–89, hier 88, Shaftesburys Tagebucheintrag zu Gladstone und Disraeli bereits vom 9. März 1867, HODDER, Shaftesbury III, S. 217 f. („Here are two tigers over a carcase; and each one tries to drive the other away from the tit-bits. [. . .] I could forgive, and even admire, a republican zeal, a democratic fury, however mistaken I might think it, founded on firm, though erroneous, convictions of human advancement; but this mockery of patriotism and truth is beyond one’s endurance. [. . .] It is not the welfare of the realm, the security of our institutions, but the certainty of place“), sowie Cranborne an J.A. Shaw-Stewart, 17. April 1867, G. CECIL, Salisbury I, S. 262–264 („My connection with the Conservative party has been purely one of principle – for [. . .] I have no feelings of attachment to either of their leaders [. . .] After having for years opposed every Reform Bill on the ground that it admitted too many of the working class, the very moment they get into office they introduce a measure admitting far more than it was ever proposed to admit before“). Vgl. zum Argument der „Ehre“ auch STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 348–351. Vgl. die Unterhausrede Henleys vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 62–65. Vgl. SMITH, Second Reform Bill, S. 186–188, COWLING, 1867, S. 15 und 34, ADELMAN, Victorian Radicalism, S. 4, 40 und 53, sowie BELCHEM, Popular Radicalism, S. 116.
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„faires Verfahren“173. Ein vielversprechender Auftakt war das nicht unbedingt, und Gathorne Hardy war nicht der einzige, der die weiteren Aussichten der konservativen Reform reichlich düster einschätzte174. Einzig Disraeli war erfüllt von Entschlossenheit und kämpferischem Optimismus: It comes to this: if the Cabinet will be wise and bold, and relinquish duality on the second reading, and take a bold stand on personal rating, their honour would be saved entirely by that, the Opposition would be completely baffled, the Bill would pass, and the prospect of a strong and permanent Government not impossible. Mr. Bright said to-day the Liberal Party would never, perhaps, recover [sic] the passing of the Bill.175
Eine Vorentscheidung über das weitere Schicksal der konservativen Reform Bill mußte die Debatte über die zweite Lesung bringen, die eine Woche nach ihrer Vorlage, am 25. und 26. März, stattfand. Nicht nur der liberale Earl of Kimberley war voller Spannung und Faszination über das Geschehen: „What a spectacle the H. of Commons presents!“176 F)
VERWIRRUNG DER REDEFRONTEN: ZWEITE LESUNG
Die Debatte über die zweite Lesung eröffnete der Oppositionsführer mit einem Generalangriff auf die Regierungsvorlage. Statt des household franchise plädierte er für eine eindeutige Grenze des Steuerwertes, die eine klare Trennlinie zwischen der Klasse der mit dem Wahlrecht zu Betrauenden und dem nicht vertrauenswürdigen Residuum ziehe, statt wie die Regierungsvorlage einen Prozeß darwinistischer Auslese durch legislative Unterschiede und Willkür auf lokaler Ebene in Gang setze. Dabei bediente er sich durchaus konservativer Argumentation mit konkreter Qualität statt mit allgemeiner Quantität: not the payment of rates, but the condition of a man in life, his presumable character, his presumable amount of education, and his presumable amount of independence are the criteria which you should employ in order to ascertain who should have the franchise.177
173 174 175 176 177
Vgl. die Unterhausreden Roebucks und Osbornes vom 18. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 65–68, hier 68 und Sp. 81–83, hier 82. Vgl. Gathorne Hardys Tagebucheinträge vom 20. März, zudem vom 10. Januar sowie vom 11. und 24. Februar 1867, GATHORNE HARDY DIARY, S. 28, 29, 31 und 34. Disraeli an Victoria, 21. März 1867, RA VIC/C 42/76 bzw. LQV 2 I, S. 412–414, hier 413. Tagebucheintrag Kimberleys vom 23. März 1867, KIMBERLEY JOURNAL, S. 200. Vgl. Gladstones Unterhausrede vom 25. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 472–504, hier 485–488, das Zitat 485. Vgl. auch Beresford-Hopes Bewertung der Rede Gladstones vom 18. März als „really Conservative speech“, HANSARD 3/186, Sp. 68.
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Solche Argumente waren Gladstone von seiner politischen Sozialisation her bestens vertraut, doch davon abgesehen waren sie zugleich nicht untypisch und wiesen somit über den Einzelfall hinaus. Denn die Debatte über die Wahlrechtsreform wurde, anders als 1832, nicht ideologisch polarisiert geführt178. Daß kein starrer Dualismus herrschte, verwies auf die Veränderung des sozio-politischen Kontextes und zugleich auf die Entwicklung der Konservativen nach 1852, die ihre isolierende gesellschaftspolitische Fundamentalopposition der Jahre nach 1846 aufgegeben und sich in die ihrerseits offener gewordene politische Kultur der politischen Nation integriert hatten. Aus dieser Konstellation erwuchsen den Konservativen Gestaltungsspielräume und politische Optionen, die sie gerade 1867 aktiv zu nutzen beabsichtigten. Die parlamentarische Diskussion über die konservative Vorlage gestaltete sich daher dieser konservativen Offenheit und der Offenheit gegenüber den Konservativen entsprechend offen. Dabei gehörte es zu den parlamentarischen Gepflogenheiten, daß auch von eigenen Parteigängern vorgetragene, durchaus massive Kritik an zuweilen vielen Einzelpunkten eines Gesetzesentwurfes nicht unbedingt gleichbedeutend mit seiner Ablehnung war. Vor allem folgte die Debatte im Unterhaus keineswegs einem starren Pro und Contra entlang der Parteilinien. Die Debatte um die zweite Lesung drehte sich vor allem um das der Regierungsvorlage zugrundeliegende Prinzip und um die sogenannten Sicherungen und machte signifikante Unterschiede innerhalb der Konservativen sichtbar. Gegen die schon unmittelbar nach der Präsentation im Unterhaus vorgetragene Kritik, die Bill laufe auf ein uneingeschränktes household franchise hinaus179, führten ihre Befürworter ins Feld, sie basiere auf „household residential rating“180. Die zweijährige Residenzpflicht in Verbindung mit der persönlichen Zahlung der Steuern stelle eine sinnvolle und ausreichende Sicherung dar, wie James Banks Stanhope den gemeinsamen Vorwurf seitens der fortschrittlichen und reformfeindlichen Liberalen ebenso wie der Hochkonservativen zurückwies, die Vorlage sei radikaler als die Radikalen sie wünschten, und die Konservativen verrieten ihren Konservatismus:
178 179
180
Vgl. dazu auch STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 328 f. und 331. In der Debatte um die zweite Lesung vgl. v.a. die Unterhausrede des Liberalen Laing vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 617–624, vgl. auch die Zusammenfassung im ANNUAL REGISTER 1867, S. 51. Unterhausrede Gathorne Hardys vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 504–518, hier 508 (vgl. auch 507 f.: die Vorlage sei kein „household suffrage pure and simple, but a household suffrage based on rating“).
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
He was a strong Conservative by birth, education and feeling, and [. . .] in maintaining the two principles [. . .] he was keeping his character as a Conservative.
Dabei goutierte auch der Radikalliberale Roebuck die Kriterien der Residenz und der persönlichen Zahlung, und obendrein verteidigte er, ebenfalls in bester konservativer Diktion – auch die Radikalliberalen integrierten sich in den fünfziger Jahren verstärkt in den Konsens der viktorianischen politischen Kultur –, die bestehende Wahlkreiseinteilung, die die Repräsentation einer „variety of interests“ gewährleiste und keiner grundlegenden Änderungen bedürfe. All dies vermochte unterdessen diejenigen nicht zu beruhigen, die kein Vertrauen in die „Sicherungen“ der Reform hatten und als Ergebnis ein „household franchise pure and simple“ und die Vorherrschaft der working classes erwarteten181. In geradezu systematisch konservativer Argumentation trug Henry Butler-Johnstone seine Ablehnung vor. Mit seinem auf die Bill bezogenen Kernsatz „numerical representation [. . .] was the democratic principle – it was the very principle of evil“ belegte er die Vorlage der konservativen Regierung mit den beiden zentralen Gegenbegriffen konservativen Denkens: „numbers“ und „democracy“: Die blanken Zahlen standen dem Grundwert des Eigentums samt seinen assoziierten Qualitäten von Bildung, Unabhängigkeit, Charakter und Moral diametral gegenüber, und die Herrschaft der Zahl – „mere numbers are mere anarchy“ – drängte die Befähigten und „natural leaders“182 (retired tradesmen, barristers, medical men, professional men, and literary men – men who read their newspapers and talked politics, and took an interest in the collective action of the country, yeomen [. . .;] independent men living upon their own incomes, owing no man anything – men who reverenced the law)
zurück. Am Ende stünden „a pure democracy, equal electoral districts, and the reign of the 50 000 tailors“183. Gerade die hier aufscheinende Gleichsetzung von Demokratie und Herrschaft der Mittelschichten offenbart unterdessen, daß die Semantik von Butler-Johnstones konservativer Diktion der politischen Kultur der Konservativen, ihren politisch prägenden Meinungen, Einstellungen und Werten nicht mehr entsprach. Dies war demgegenüber in Roundell Palmers Rede der Fall, die das innerhalb der Konservativen inzwischen verbreitete, stärker harmonische Gesell181
182 183
Vgl. die Unterhausreden Yorkes und Lowthers vom 25. sowie Eslingtons vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 522–524, hier 523 f. (das erste Zitat 523), Sp. 544 f. (dasselbe Zitat 544) und Sp. 609–614, hier 610–613. Hier brachte er über den Begriff „natürlich“ die Argumentationsfigur des Organischen ein. Vgl. Butler-Johnstones Unterhausrede vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 569–576, bes. 570–572 und 574 f., die Zitate 571, 575, 572 und 574.
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schaftsbild zum Ausdruck brachte und vor diesem Hintergrund auch das vorgesehene household franchise befürwortete: My confidence, in this matter, is founded upon the broad basis of the state of society in this country; upon the manner in which the different classes of society are seen to be practically united and co-operating together; and upon the fact, that in every town, if this principle of enfranchisement were adopted, it would place the suffrage in the hands of those who at least were the heads of their own class, whether that class were high or low.184
Diese allgemeine, nicht nur auf die Konservativen beschränkte Überkreuzung der Argumente und Verwirrung der Redeweisen, wenn Radikale und Liberale in konservativen Worten redeten und die Konservativen mit radikalen Prädikaten belegten und wenn die Konservativen untereinander mit denselben Worten doch nicht dasselbe meinten, spricht zum einen einmal mehr für die Auflösung des starren Dualismus der gesellschaftlich-politischen Kräfte nach 1852 und den Zustand des politischen Systems. Zum zweiten offenbart sie die inhaltliche Entwicklung der politisch wirksamen Hauptrichtung der Konservativen auf den breiten, in gemeinsam verwendbarer Sprache zum Ausdruck kommenden Generalkonsens der viktorianischen politischen Kultur zu (ohne dabei die distinkten Grundpositionen völlig aufzugeben), insbesondere die spezifische inhaltliche und soziale Erweiterung der Gesellschaftsvorstellung185. Demgegenüber blieb der hochkonservative Flügel in dieser Hinsicht einem älteren Verständnis verhaftet, so daß diese konservativen Richtungen mit gleichen Worten in der Sache an-
184
185
Unterhausrede Roundell Palmers vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 576–592, hier 577. Vgl. ähnlich auch die Unterhausreden Gathorne Hardys vom 25. März, HANSARD 3/186, Sp. 504–518, hier 517 („We are not bringing in a Bill to meet the wishes of one section of the community; but we are bringing in a Bill to meet the wishes of the enlightened and quiet and well-disposed portion of the community of this country“), Francis Powells vom 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 624–626, hier 626 („a more direct representation of the working men in that House would lead to a more accurate knowledge of their condition and their capacity; and that circumstance would necessarily be productive of some amount of advantage, enabling Parliament as it would to legislate with more wisdom on matters relating to the most numerous classes of society“), sowie Nicholas Kendalls vom 11. April 1867, HANSARD 3/186, Sp. 1539–1541 hier 1541: „He should like to know what some of the lower orders would think when they heard of such terms [i.e. unskilled peasantry, substrata, residuum; AR] being applied to them by Members of Parliament [. . .;] his honest belief was that household suffrage would bring in a large number of men, honest, simple-minded (using the word in the best sense), who in disposing of their votes would look to men of respectability and character, and would vote for them in preference of excitable men.“ Vgl. dazu auch die erstaunliche Relativierung der konservativen Haltung gegenüber „numbers“ in Disraelis Unterhausrede am 26. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 642–664, hier 660: „It is a mistake to suppose that mere numbers make democracy. So long as you have fitness and variety it is impossible that democracy can prevail.“
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
einander vorbeiredeten. Drittens eröffnete diese semantische Verwirrung oder Offenheit über Parteigrenzen hinweg Disraeli die Möglichkeit seiner „Politik verbaler Kontinuität bei faktischer Flexibilität“186, ohne daß dabei Inhalte und Sprache voneinander völlig getrennt gewesen wären und zwischen Rede und Sache – zu solchen Annahmen neigen vom historischen Kontext abstrahierende diskursanalytische Untersuchungen – ein bloß beliebiges Verhältnis bestanden hätte. Jedenfalls bewies die Mehrheit im Unterhaus, bei allen vorgetragenen Vorbehalten, durchaus Offenheit für die Reformvorlage, die keine unmittelbare strikte Ablehnung erfuhr. Als Disraeli zum Abschluß der Debatte Konzessionsbereitschaft für das darauffolgende Komiteestadium signalisierte – namentlich Sympathie für ein lodger franchise und Kompromißbereitschaft hinsichtlich des £ 15-Wahlrechts in counties sowie den Verzicht auf das Doppelwahlrecht –, ging die konservative Bill, anders als 1859, ohne Abstimmung durch die zweite Lesung187, wobei sie im Komiteestadium noch immer jederzeit durch eine Mehrheit für einen zur Grundsatzfrage erklärten Zusatzantrag zu Fall gebracht werden konnte. Das Unterhaus hatte mit der zweiten Lesung aber seine grundsätzliche Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, das Gesetz anzunehmen. Auf einmal hatten sich die anfangs so vermeintlich trüben Aussichten gewandelt, wie Earl Stanhope keineswegs zur Freude der Hochkonservativen und voller Vorbehalte gegen Disraeli kommentierte: A most marvellous change in the prospects of the Reform Bill! Quite a coup de baguette from the great magician – some would call it jugglar – Mr. Disraeli [. . .] he declares himself ready to ‚consider‘ in Comittee, that is give up, all the disputed points. [. . .] By this surrender it becomes very probable I suppose that the Bill may pass as moulded by the opposition and the Ministers continue in their places.188
Doch Gladstone plante, die von ihm so scharf abgelehnte Reformvorlage gleich zu Beginn des Komiteestadiums189, in welches das Unterhaus am 8. April eintrat, durch einen Zusatzantrag zu Fall zu bringen, der das household franchise durch einen Zensus auf Steuerwertsbasis ersetzen sollte. Doch auch diese Aussichten hatten sich gewandelt, wie Gladstone dann schmerzlich erfahren sollte:
186 187 188 189
STEINNMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 348. Vgl. HANSARD 3/186, Sp. 664. Stanhope an Carnarvon, 27. März 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60831, fol. 36–38, hier 36 f. Zu den Beratungen im Komitee vom 8. April bis zum 9. Juli vgl. die Zusammenfassung im ANNUAL REGISTER 1867, S. 54–87.
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The present situation is gloomy. It is doubtful whether the Whigs will back up Gladstone in fixing a £5 rating line with uniform composition beneath it. They trust to being able to do what they like with the bill in Committee. The policy is very perilous, but their hatred of Gladstone almost exceeds, if that be possible, our hatred of Dizzy.190 G)
MANÖVER ODER KAPITULATION? KOMITEESTADIUM
Nachdem er die zweite Lesung der Bill hatte hinnehmen müssen, plante Gladstone also, gleich zu Beginn des Komiteestadiums die entscheidende Attacke zu reiten. Kompromißlos überzeugt von der Richtigkeit seiner Politik, mißachtete er die Warnzeichen der „Tearoom-Revolte“ am 8. April, als etwa fünfzig Dissidenten, die sich vehement über Gladstones diktatorischen Führungsstil beklagten, dem liberalen Whip in einer Versammlung im Tearoom des Unterhauses die Gefolgschaft versagten. Am 12. April brachte er einen Zusatzantrag gegen Artikel 3 des Gesetzesentwurfs ein, dem Disraeli jedes Entgegenkommen verweigerte. Als um zwei Uhr morgens 289 Abgeordnete für und 310 Abgeordnete, darunter 47 Liberale, gegen Gladstones Antrag stimmten (und die Zahl der Unzufriedenen lag noch höher), erlebte der Oppositionsführer seinen „smash perhaps without example“, Disraeli hingegen nach seinem bahnbrechenden Triumph einen begeisterten Empfang im Carlton Club191. Selbst die Königin war voll des Lobes: Mr. Disraeli deserves great praise for the temperate and judicious way in which he has conducted the very difficult discussions in the House of Commons during the past fortnight.192
Doch die Bill war damit noch keineswegs in sicheren Gewässern, und Disraeli erwartete weitere „Brecher“193, die in Form weiterer Zusatzanträge insbesondere von radikaler Seite über die Regierungsvorlage hereinschlugen und denen er, solange sie nicht von Gladstone stammten, mit einer Strategie weitgehender Konzessionsbereitschaft begegnete, wie er sie in der Debatte über die zweite Lesung signalisiert hatte. Nicht ohne Vorbehalte beobachtete Malmesbury dieses Vorgehen, dem die Mehrheit der Unterhausabge-
190 191
192 193
Cranborne an Carnarvon, 4. April 1867, NL Carnarvon, BL London, Add MSS 60761, fol. 30. Vgl. SHANNON, Gladstone II, S. 36 f., Gladstones Tagebucheintrag vom 12. April 1867, GLADSTONE DIARIES VI, S. 513 (dort das Zitat), BLAKE, Disraeli, S. 466 f., COWLING, 1867, S. 195–201 und 215–222, sowie SMITH, Second Reform Bill, S. 175–183. Vgl. auch G.R. Gleig, The Reform Bill, in: BM 101, S. 633–648 (Mai 1867), hier 641 und 648. Victoria an Derby, 13. April 1867, LQV 2 I, S. 418. Disraeli an Lord Beauchamp, 18. April 1867, M&B IV, S. 528: „There are, no doubt, breakers yet ahead, but I feel great hope of overcoming them“.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
ordneten, abgesehen von der innerparteilichen Opposition der Hochkonservativen, folgte: The laissez-aller system followed by the Government, trying to make the best they could of it, but constantly yielding something. The Conservative members seem disposed to adopt anything, and to think that it is ‚in for a penny, in for a pound.‘194
Im wesentlichen waren es drei Zusatzanträge, denen die Regierung nachgab195. Am 2. Mai akzeptierte sie den mit großer Mehrheit angenommenen Antrag des radikalen Abgeordneten für Tower Hamlets, Acton Ayrton, auf Senkung der Residenzpflicht in den boroughs von zwei Jahren auf eines196. „Wir stehen am Rande des household franchise“, sorgte sich Gathorne Hardy, und man müsse sich nun darüber klar werden, was noch zugestanden werden könne197. Zehn Tage später stand das nächste amendment zur Debatte: der Antrag des „fortschrittsliberalen“198 William Torrens, auch den Mietern von Wohnungen in boroughs mit einem Mindeststeuerwert von £ 10 das Wahlrecht zu geben. Disraeli willigte ohne Abstimmung ein199. Den entscheidenden Änderungsantrag brachte unterdessen Grosvenor Hodgkinson ein, der reformorientierte liberale Abgeordnete für Newark, und er zielte auf die beinahe 500 000 compounders. Hodgkinson beantragte dabei nicht einfach das Wahlrecht für die compounders, das die Regierung, wie im Falle eines früheren Antrags geschehen, mit dem Hinweis auf das Prinzip der persönlichen Steuerzahlung leicht zurückweisen konnte; er beantragte vielmehr das Verbot des compounding, womit die bisherigen compounders automatisch persönliche Steuerzahler und somit wahlberechtigt wurden. Als der Antrag am 17. Mai 1867 im schwach besetzten Haus zur Abstimmung stand, willigte Disraeli ohne Abstimmung in die Änderung ein, mit der sich die ursprünglich vorgesehene Zahl der zusätzlich Wahlberechtigten in den boroughs auf einen Schlag beinahe verdoppelte200. Während auf liberaler Seite Hochrufe ausbrachen, trauten die Konservativen ihrer eigenen Courage nicht, wie der Doorkeeper des Unterhauses beobachtete: 194 195 196 197 198 199 200
Tagbucheintrag Malmesburys vom Mai 1867 (nicht näher datiert), MALMESBURY MEMOIRS II, S. 369 f., hier 369. Vgl. dazu COWLING, 1867, S. 234–239 und 267–287, bes. 266–268, 276 f. und 279–284, SMITH, Second Reform Bill, S. 184–209, und BLAKE, Disraeli, S. 469–473. Vgl. HANSARD 3/186, Sp. 1908–1911; der Antrag wurde mit 278 zu 197 Stimmen angenommen. Tagebucheintrag Gathorne Hardys vom 3. Mai 1867, GATHORNE HARDY DIARY, S. 38. Begriff nach der Selbstbezeichnung als „advanced Liberal“ in DOD’S PARLIAMENTARY COMPANION. Vgl. HANSARD 3/187, Sp. 454–456 (Torrens) und 465–467 (Disraeli). Vgl. HANSARD 3/187, Sp. 708–712 (Hodgkinson), 720–726, 749–753 und 755 f. (Disraeli).
3. Defensive Großoffensive: 1867
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over the faces of most of the Government supporters there came a puzzled, perplexed look, with something of astonishment and even dismay in it.201
Disraelis Einwilligung in diese außergewöhnliche Ausdehnung der Reform über ihren ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinaus stand im Zentrum schon der zeitgenössischen politischen und steht seit jeher im Mittelpunkt der historiographischen Debatten. Die einfachste Erklärung, daß nämlich das Verbot des compounding die Betroffenen zu persönlichen Steuerzahlern machte und diese Qualifikation, ungeachtet ihrer quantitativen Dimension, im Einklang mit der Bill stand und mit den politischen Grundlagen Disraelis und der Konservativen vereinbar war, wird Disraeli, zumal er das Wahlrecht für die compounders ursprünglich strikt abgelehnt hatte, offenbar nicht zugetraut. Vielmehr wird sein Einlenken, sozusagen einmal um die Ecke, mit machtpolitischem Opportunismus erklärt, die Bill durch das Unterhaus bringen und die eigene Regierungsmacht erhalten zu wollen202. Geht man dabei indes davon aus, daß Disraeli die schließlich beschlossene Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten nicht von vornherein anstrebte – dieses Argument liegt angesichts der ursprünglichen Gestalt der Reformvorlage auf der Hand –, weil er nicht davon ausgehen konnte, dort ein neues konservatives Wählerpotential zu erschließen, so bedeutet diese Erklärung in der Konsequenz, daß Disraeli aus kurzfristigen taktischen Motiven etwas mittelfristig und strategisch Widersinniges getan und hasardierend gegen die eigentlichen Interessen der Konservativen gehandelt habe. Disraeli selbst rechtfertigte seine Einwilligung am Tag nach dieser „größten Nacht der Session“203 gegenüber Gathorne Hardy mit drei Argumenten: erstens der eigengesetzlichen und unvorhersehbaren parlamentarischen Entwicklung, zweitens der Vereinbarkeit mit den Prinzipien der konservativen Bill und drittens Macht (wovon nicht selten nur letzteres zitiert wird204): Two months ago such a repeal was impossible: but a very great change had occured in the public mind on this matter. [. . .] I went down to the House; and about nine o’clock, being quite alone on our bench, and only forty-five men on our side, some of whom were going to vote for Hodgkinson, the amendment was moved [.. .] I felt that the critical moment had arrived when, without in the slightest degree receding from our principle and position of a rating and residential franchise, we might take
201 202 203 204
Tagebucheintrag Whites vom 25. Mai 1867, WHITE, Inner Life II, S. 60–67, hier 66. Vgl. etwa COWLING, 1867, S. 282–284 und 303, STEWART, Foundation, S. 365, und BLAKE, Disraeli, S. 472. Tagebucheintrag Whites vom 25. Mai 1867, WHITE, Inner Life II, S. 60–67, hier 60. Vgl. etwa BLAKE, Disraeli, S. 471.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
a step which would destroy the present agitation and extinguish Gladstone & Co. I therefore accepted the spirit of H.’s amendment.205
In der Tat war Disraeli in seiner „effektiven, aber unscharfen Politik der Formelkompromisse, deren Berechenbarkeit nicht mehr sicherzustellen war“206, offen für die Eigendynamik des parlamentarischen Prozesses samt seiner Rhetorik, ohne dabei wider die politischen Inhalte handeln zu müssen, wie bereits Paul Smith sein „Konzept eines nationalen und populären Toryismus“ beschrieb: „To the extent that it was determinedly inclusive and integrationist, its logic and its rhetoric could assimilate almost any degree of enfranchisement, so long as its confidence in the capacity of social ties and influences to shape and bind the political sphere could be sustained.“207 Befriedigender als bloß kurzfristiges und inhaltsleeres, dabei langfristig widersinnniges machtpolitisches Kalkül, so die hier vorgetragene These, erklärt diese spezifische Konstellation (erstens) von Machtorientierung im Rahmen (zweitens) des politisch-parlamentarischen Systems auf (drittens) seit 1852 systematisch erweiterten und bis an die äußersten Grenzen ausgenutzten gesellschaftspolitischen Grundlagen in (viertens) defensiv generierter, aber offensiv gestalteter Auseinandersetzung mit Radikalismus und Demokratie auf verfassungspolitischem Felde die Politik Disraelis und die Reform der Konservativen im Jahr 1867. Mit dem Hodgkinson-Amendment waren, wie Disraeli gehofft hatte, die schwersten Gewässer passiert208. Nachdem sie das Komiteestadium am 12. Juli ohne Niederlage in einer „stand or fall“-Frage überstanden hatte, war der Weg durch das Unterhaus frei. Die dritte Lesung war nurmehr Formsache. H)
TRIUMPH, PYRRHUSSIEG ODER NIEDERLAGE? DIE VERABSCHIEDUNG DER BILL
Cranbornes Generalabrechnung mit der Regierung, mit der er die abschließende Debatte über die dritte Lesung eröffnete, war daher politisch ebenso wirkungslos wie beißend polemisch. Dabei bündelte sie die Themen und Kontroversen der abschließenden Lesung und offenbarte darüber hinaus noch einmal die charakteristischen Differenzen und somit ex negativo die spezifische Entwicklung der Konservativen nach 1846 bzw. 1852. 205 206 207 208
Disraeli an Gathorne Hardy, 18. Mai 1867, GATHORNE HARDY MEMOIR I, S. 208–210, hier 209; auch in M&B IV, S. 540 f., hier 540. STEINMETZ, Das Sagbare und das Machbare, S. 347, die folgende Aussage allerdings entgegen seiner Position. SMITH, Disraeli, S. 145. Vgl. Disraeli an Gathorne Hardy, 18. Mai 1867, M&B IV, S. 540 f., hier 541.
3. Defensive Großoffensive: 1867
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Cranbornes Vorwürfe gingen davon aus, daß die Regierung alle ursprünglichen Sicherungen des household franchise geopfert habe: if it be a Conservative triumph to have introduced a Bill guarded with precautions and securities, and to have abandoned every one of those precautions and securities at the bidding of your opponents, then in the whole course of your annals I will venture to say the Conservative party has won no triumph so signal as this.209
Was sie nun als Sieg verkaufe, sei in Wahrheit nichts anderes als die Kapitulation vor den Liberalen und insbesondere vor Gladstone, dessen Forderungen bei Beginn der zweiten Lesung sie vollständig erfüllt habe – so formulierte Cranborne bereits zeitgenössisch die hochkonservative Variante der Whig-Interpretation, daß die konservative Regierung lediglich als das Werkzeug der Liberalen fungiert habe210. Diese Wahlrechtsreform bedeute eine „tremendous revolution“, deren irreversible Konsequenz sich erst im sozialen Konfliktfall herausstellen werde, indem sie den working classes die politische und in der Folge auch die soziale Vorherrschaft übertrage211. Und die Dominanz dieser Klasse bedeutete für Cranborne die Herrschaft der Besitzlosen und nach seinem integralen Verständnis des Begriffs daher nichts anderes als die verhaßte Demokratie212. Daß zudem die Radikalen wie John Bright und Joseph Cowen die Reform geradezu enthusiatisch begrüßten und Disraeli beglückwünschten213, machte diesen Eindruck natürlich nicht besser214. Im Gegenteil, es leistete dem Vorwurf Vorschub, die konservative Regierung habe die Sache und die Ziele der Konservativen verraten: The campaign which we are now concluding, the battle which you (the Opposition) have now won, has begun in the year 1852 when Lord Derby declared himself the bulwark against the advance of democracy. [. . .] It was the natural attitude which they
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211
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213 214
Unterhausrede Cranbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp 1526–1539, hier 1528 f. Vgl. dazu auch die Unterhausrede Osbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1581–1587, hier 1583: der wahre Vater der Reform sei nicht Disraeli, sondern Bright; Disraeli habe sie wie ein „Zigeuner“ gestohlen und „disfigured to make it pass for his own“. Unterhausrede Cranbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, hier 1530; vgl. auch die Unterhausreden John Gorsts und William Barrows ebenfalls vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1557–1559, hier 1557 f., und 1574. Unterhausrede Cranbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1526–1539, hier 1533; vgl. auch die Unterhausreden seines Schwagers Beresford Hope sowie der Liberalen Lowe und Osborne vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1539–1550, hier 1540 und 1542 (Lowe), Sp. 1561–1570, hier 1561 (Beresford-Hope), sowie Sp. 1581–1587, hier 1583. Zu Cranbornes Demokratiebegriff im Gegensatz zu Disraeli vgl. Kapitel V.4. Vgl. die Unterhausreden Brights und Cowens vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1550–1554, hier 1554, und 1559–1561, hier 1560. Vgl. die Unterhausreden Gorsts und Osbornes vom 15. Juli 1867, EBD., Sp. 1557–1559, hier 1558, und 1581–1587, hier 1583.
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VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
should assume, the consistent course which they should pursue on every occasion, that they should struggle to resist any further encroachments [. . .]; and this is the end of it – this is the ignominious conclusion – that Lord Derby’s Government, the Tory government – the Government of those Statesmen who prompted and encouraged that steadfast resistance – should in the end have proposed a change far more sweeping and extensive than any man had before submitted to the House of Commons.215
Ihr Verhalten sei nichts anderes als feige Fahnenflucht – men who are bold when no danger is present, but who at the first threat of battle throw their standard into the mud and seek safety in flight216 –,
ihre politischen Manöver entbehrten der Aufrichtigkeit und der Ehre, bedeuteten vielmehr „politischen Betrug“. Insbesondere Disraeli mit seiner „Moral eines politischen Windhundes“ („ethics of the political adventurer“), aber auch allgemein die Regierungsführer hätten gegen alle ihre früheren Aussagen gehandelt und dabei behauptet, ihre Meinung nicht geändert zu haben217. Anders gewendet: sie hätten die Änderung in der Sache mit Konstanz in der Rede kaschiert und Konsistenz behauptet, wo pure Unbeständigkeit war. Cranbornes zeitgenössische Diskursanalyse der Trennung von Sprache und Inhalt, von Reden und Handeln war aus der Perspektive seiner traditionellen Begrifflichkeit schlüssig. Sie stand jedoch im Gegensatz zur spezifischen Entwicklung der politischen Semantik und allgemein der politischen Kultur auf seiten der konservativen Hauptrichtung seit 1852. Und mit der inhaltlich und sozial erweiterten Vorstellung der societas civilis, insbesondere des Eigentums, ebenso mit dem an Polemik reduzierten Verständnis von Demokratie nicht als integralem, sozio-ökonomischem und politischem Phänomen, sondern allein als einem verfassungspolitischen Zustand, obendrein mit einer entspannten und harmonischeren Vorstellung des Verhältnisses zwischen den gesellschaftlichen Klassen mußte die Rede der Regierungsverantwortlichen keineswegs inkongruent sein. Nach vier Monaten passierte die konservative Bill am 15. Juli 1867 das Unterhaus ohne weitere Abstimmung in dritter Lesung und ging in die Kammer der Lords. Trotz erheblicher Vorbehalte war dem Oberhaus anders als 1832 klar (und dies dokumentierte die seitherige verfassungspolitische Entwicklung), daß es sich eine Ablehnung des vom Unterhaus gebilligten Gesetzes nicht erlauben konnte.
215 216 217
Unterhausrede Cranbornes vom 15. Juli 1867, EBD., Sp. 1526–1539, hier 1533 f. EBD., Sp. 1530. EBD., bes. 1534–1539, die Zitate 1539.
3. Defensive Großoffensive: 1867
377
Derby eröffnete die Debatte mit einer sachlichen, faktengesättigten Rede, in der er zugleich bekannte, er habe nicht ein drittes Mal als Lückenbüßer bis zu einer Einigung der Liberalen zum Zwecke seines Sturzes herhalten wollen, sondern bewußt einen Kurs eingeschlagen, der aus seiner Minderheit eine faktische Mehrheit machte. Die Bill sei dabei, so bilanzierte er, „at once large, extensive, and Conservative“218. Die 1867 zugespitzt kontroverse Frage war nur: was ist konservativ? Neben den bereits im Unterhaus diskutierten Fragen kaprizierte sich die Debatte im Oberhaus auf das Phänomen, das Cranborne erst einige Wochen später bei dem später gängigen Namen nannte219: „Tory Democracy“, im Sinne einer breiten Unterstützung für die Konservativen aus der Arbeiterschaft, insbesondere in den Wahlen. Der whig-liberale Earl Grey beklagte die zu weitgehende Absenkung des Zensus, weil die Ausdehnung des Elektorats über die £ 10 householders hinaus, denen die liberale Reform von 1832 das Wahlrecht verschafft hatte, unzweckmäßig sei220. Schon der hochkonservative Beresford-Hope und der liberale Osborne hatten im Unterhaus beklagt, daß diese Ausdehnung die unqualifizierten Unterschichten, das sogenannte Residuum, in den Genuß des Wahlrechts bringe221. Dort, so lautete der Vorwurf, suche Disraeli offenkundig nach Verbündeten der Konservativen, denn, so der Earl of Morley, der intelligente Handwerker sei
218 219
220 221
Oberhausrede Derbys vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1774–1803, hier 1783 und 1803 (dort das Zitat). Vgl. Cranborne, The Conservative Surrender, in: QR 123, Nr. 246 (Oktober 1867), S. 533–565, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 264 („the project of Tory Democracy“); vgl. auch seinen Artikel „The Past and Future of the Conservative Policy“, in: QR 127, Nr. 254 (Oktober 1869), S. 538–561, S. 541 f. (mit Bezug auf die Reform von 1867): „The phantom of a Conservative democracy was a reality to many men of undoubted independence and vigour of mind. A vague idea that the poorer men are the more easily they are [sic] influenced by the rich; a notion that those whose vocation it was to bargain and battle with the middle class must on that account love the gentry; an impression – for it could be no more – that the ruder class of minds would be more sensitive to traditional emotions; and an indistinct application to English politics of Napoleon’s (then) supposed success in taming revolution by universal suffrage; all these arguments, never thought out, but floating loosely in men’s mind, and accepted as motives for action at a time when the party battle was too hot to admit of close reflection, went to make up the clear conviction of the mass of the Conservative party, that in a Reform bill more Radical than that of the Whigs they had discovered the secret of a sure and signal triumph.“ Vgl. die Oberhausrede Greys vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1803–1817, hier nach ANNUAL REGISTER 1867, S. 94. Vgl. die Unterhausreden Beresford-Hopes und Osbornes vom 15. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1561–1570, hier 1567 f., und Sp. 1581–1587, hier 1584: Disraeli „has always been consistent in his works, and in them he has maintained that the true allies of the nobility and gentry are not the intelligent artizans or the educated middle classes, but that residuum of whose blissful ignorance we have heard so much, and about whom we know so little.“
378
VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
liberal, der weniger intelligente konservativ222. Drastischer drückte sich der liberale Earl of Kimberley in seinem Tagebuch aus: The Tories say [. . .] the lower you go, the more ignorant and dependent the voters will be! Thus it seems if you dig deep enough you come to a lowest stratum of dirt which is Tory dirt. A truly noble creed for the gentlemen of England.223
All diese Äußerungen bringen die soziale Exklusivität der Whig-Liberalen ebenso wie der Hochkonservativen zum Ausdruck, wie er sich auch in ihrem begrenzten Begriff vom „Volk“ („people“) und, damit zusammenhängend, ihrer exklusiven Vorstellung von politischer Partizipation niederschlug224. So war auch der Duke of Rutland im Sinne eines traditionellen Eigentumsbegriffs im Gegensatz zur neueren politischen Semantik der Konservativen kaum bereit, die persönliche Zahlung von Steuern als eine Form der Eigentumsqualifikation anzuerkennen225. In orthodoxer Diktion formulierte Carnarvon seine Kritik, die Reform, die in Wahrheit eine Revolution sei, habe zur Konsequenz, „to ‚swamp‘ [. . .] property and education by the vast numerical preponderance of the artizan classes“226. Entscheidend und spezifisch für die Konservativen im Jahr 1867 war dabei nicht so sehr, daß sich diese Hochkonservativen vernehmlich oppositionell artikulierten, sondern vielmehr, daß sie innerhalb der Partei nicht mehrheitsfähig und politikbestimmend waren. Denn der konservative mainstream befürwortete die Verbindung von Besteuerung und Wahlrecht als Prinzip der Bill, durchaus als ein „altes konstitutionelles Prinzip“. So erachtete Lord Beauchamp, der Adressat von Disraelis Bekenntnis seines „Lebenstraums“ einer „nationalen Partei“, die Reform als einen weisen Kompromiß, der ihm keine Angst um die Institutionen des Landes mache227, weil sich die gesellschaftlichen Kräfte in harmonischer Balance befänden, wie es Lord Feversham ausdrückte: their Lordships might be justly proud of the people among whom they lived [.. .;] trusting to the energy, the intelligence, and the enlightened patriotism of his countrymen, he felt that in admitting them in larger numbers within the pale of the Constitution we should be strengthening their attachment to the institutions under
222 223 224 225 226 227
Vgl. Morleys Oberhausrede vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1822–1826, hier 1824. Tagebucheintrag Kimberleys vom 18. Mai 1867, KIMBERLEY JOURNAL, S. 202 f. Zum Begriff „people“ vgl. Kapitel V.4. Vgl. die Oberhausrede Rutlands vom 22. Juli 1867, HANSARD 3/188, Sp. 1828–1830, hier 1830. Oberhausrede Carnarvons vom 22. Juli 1867, EBD., Sp. 1833–1846, hier 1834 und 1839. Vgl. die Oberhausreden Beauchamps und Chelmsfords vom 22. und 23. Juli 1867, EBD., Sp. 1846–1854, bes. 1846, 1848 f., 1851 und 1853, sowie Sp. 1934–1942, bes. 1938 (dort das Zitat) und 1942.
3. Defensive Großoffensive: 1867
379
which they lived, while, at the same time, we should be promoting the happiness and contentment of the people.228
In solchem Sinne konnte Hugh McCalmont Cairns, der neu geadelte Baron Cairns, die Bill als „entirely consistent with the Conservative policy“ deklarieren, als einen Beitrag zur Aufrechterhaltung und zur Stärkung der Institutionen des Landes229. In ebendiesem Sinne resümierte Derby die Reform, die das Oberhaus ohne Abstimmung passierte, mit seinem berühmten Satz vom „Sprung ins Dunkle“: No doubt we are making a great experiment and ‚taking a leap in the dark,‘ but I have the greatest confidence in the sound sense of my fellow-countrymen, and I entertain a strong hope that the extended franchise which we are now conferring upon them will be the means of placing the institutions of this country on a firmer basis, and that the passing of this measure will tend to increase the loyalty and the contentment of a great portion of Her Majesty’s subjects.230
„What an unknown world we are to enter“231, bilanzierte Gathorne Hardy, als die Konservativen eine Reform durch das Parlament gebracht hatten, mit der sie unter Mithilfe der Radikalen die liberalen Reformmonopolisten ausstachen, mit der sie Radikalismus und Demokratie bekämpfen wollten und mit der sie sich den Vorwurf einhandelten, die Demokratie einzuführen. Bei allem Unbehagen über die unvorgesehenermaßen radikalisierte Wahlrechtsreform232 waren die meisten Konservativen, im Gegensatz zum hochkonservativen Flügel, jedoch zuversichtlich, und sie sagten dies intern ebenso wie öffentlich, die Demokratie gerade verhindert, ihr Vordringen zumindest eingedämmt – „The adoption of household suffrage was, in my opinion, the safeguard against urban democracy“233 – und zur substantiellen Aufrechterhaltung der Institutionen des Landes beigetragen zu haben234. Denn hier lag das defensive Ziel der konservativen Reform: die Bewahrung der sozialen und politischen Ordnung auf dem Wege einer eigenen
228 229 230 231 232 233
234
Oberhausrede Fevershams vom 23. Juli 1867, EBD., Sp. 1971–1975, hier 1975. Oberhausrede Cairns’ vom 23. Juli 1867, EBD., Sp. 1988–2008, hier 2007. Oberhausrede Derbys vom 6. August 1867, HANSARD 3/189, Sp. 951 f., hier 952. Tagebucheintrag Gathorne Hardys vom 9. August 1867, GATHORNE HARDY DIARY, S. 47. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom Juni 1867, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 371. Malmesbury an Derby, 11. Juni 1867, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 144/4; vgl. auch Viscount Courtenays Adresse anläßlich des jährlichen Treffens der Woodbury Agricultural Association, 28. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 30. Oktober 1868, S. 4b: „he did not agree with the gloomy view that the country was drifting into democracy. He believed that the heart of the country was as sound as ever.“ Vgl. auch COWLING, 1867, S. 47. Vgl. Disraelis Rede auf dem Mansion House Banquet am 7. August 1867, M&B IV, S. 553, Datierung nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 264 Anm. 2.
380
VI. Vorwärtsverteidigung 1852–1867
Wahlrechtsreform. Solch eine offensive Strategie der Vorwärtsverteidigung bedurfte der Manövrierräume, und diese Grundlagen stellte die inhaltliche Erweiterung der politischen Kultur im Einklang mit der semantischen Erweiterung der politisch-sozialen Begriffe der Konservativen seit 1852 zur Verfügung. Sie führte zu einer auffälligen Verwirrung der Argumentationslinien und Redefronten und eröffnete dabei vor allem die bis zum Äußersten genutzten Spielräume für die Anerkennung der amendments, ohne die eigenen Grundlagen, entgegen der Behauptungen der innerparteilichen ebenso wie der whig-liberalen Opponenten, zu verlassen. Diese weitreichenden Veränderungen der ursprünglich eingebrachten Gesetzesvorlage vollzogen sich im Rahmen der Bedingungen des parlamentarisch-politischen Systems; diese Entwicklung der Bill folgte keineswegs einer klaren konkreten Zielvorgabe und apriorischen Intention (etwa der Etablierung von „Tory Democracy“ qua Wahlrechtsreform), sondern sie entsprang vielmehr der Offenheit Disraelis und der Konservativen für das parlamentarische Verfahren und seine Eigengesetzlichkeiten, ohne daß sie sich die Bill faktisch hätten entwinden lassen und sie als ein bloßes Medium Gladstones (dessen Vorstellungen die Reform zudem, was Cranborne übersah, gar nicht entsprach) und der Liberalen durchgesetzt hätten. Gladstone und die Liberalen verliehen Disraeli und den Konservativen unterdessen zu einem großen Teil den konkreten Impuls, „to dish the Whigs“235 und die eigene (Regierungs-) Macht zu erhalten und durch einen Erfolg zu befestigen. Streben nach Macht war ein, aber eben auch nur ein (und zudem ein eher abgeleiteter) Faktor innerhalb der spezifischen Ursachenkonstellation aus Ziel, Weg und Grundlagen, Rahmen und Impuls, aus policy und politics sowie polity. Sie erklärt die konservative Reform des Jahres 1867, in der die Entwicklung der Konservativen und ihres Konservatismus seit 1846 bzw. 1852 kulminierte.
235
Vgl. BLAKE, Disraeli, S. 474.
1. Die Protestantische Verfassung
381
VII. RELIGION UND KIRCHE 1. DIE PROTESTANTISCHE VERFASSUNG A)
BEKENNTNISSE
Affinitäten zwischen Konservatismus und Christentum bzw. christlichen Kirchen gründen schon auf dem Boden gemeinsamer Denkformen und Grundannahmen – dem Menschenbild, der Präferenz für Tradition und Ordnung sowie dem (einer Offenbarungsreligion in gewissem Maße notwendig eigenen) Antirationalismus. Auch Theorien des Konservatismus betonen durchgehend diese enge Verbindung1; ob Konservative dabei, in transzendenter Perspektive, die Legitimation der Ordnung in ihrem göttlichen Ursprung erblicken2 oder aber, in konservativ-utilitaristischer Sicht, in ihrer Nützlichkeit, unter die auch die Religion fällt – jedenfalls gelten Religion und Kirche als unstrittiges Fundament der Gesellschaftsordnung konservativer Vorstellung3. Ebenso nannten die englischen Konservativen unter den zu bewahrenden Inhalten neben der Monarchie und der Verfassung bzw. den Institutionen stets und an prominenter Stelle die Anglikanische Staatskirche4. Daß dieser Gegenstandsbereich hier bislang ebensowenig zur Sprache gekommen ist wie allgemein in der Literatur, mag unterdessen auf seine eingeschränkte Bedeutung in der praktischen Politik hinweisen, so wie Rodney Barker dem englischen Konservatismus im Vergleich zum kontinentaleuropäischen eine geringere Bedeutung der Religion und einen Vorrang säkularer Werte bescheinigt5. In der Tat findet sich im Rahmen der ausgewerteten Quellen kaum einmal ein Bezug auf die Grundsatzfragen, in denen sich Religion und Politik treffen. Fragen etwa nach der Rolle des Göttlichen oder der Vorsehung in der Politik oder nach dem Ursprung der Ordnung wurden kaum gestellt und höchstens von Hochkonservativen vereinzelt und en passant thematisiert6, ohne daß sich daraus ein kohärentes Bild und eine identifizierbare, politisch relevante Position ersehen ließe. 1 2
3 4 5 6
Vgl. dazu Kapitel I.2.d). Vgl. dazu HUNTINGTON, Conservatism, S. 456, KRAUS, Deutscher Konservatismus, S. 120, für den deutschen Konservatismus, oder GLICKMAN, Toryness, S. 119 f., für die englischen Tories. Vgl. dazu MULLER, Conservatism, S. 13 f., und QUINTON, Conservatism, S. 258. Vgl. dazu Kapitel II.6.a) mit Anm. 148. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 34. Vgl. etwa Drummonds Unterhausrede vom 10. April 1858, HANSARD 3/98, Sp. 112–117, hier 112 f., Archibald Alison, The Year of Revolutions, in: BM 65, S. 1–19 (Januar 1849), hier 11
382
VII. Religion und Kirche
Dafür legten die Konservativen stets und in meist gleicher oder ähnlicher Diktion, vor allem anläßlich von Wahlen, topische Bekenntnisse zum „highest and best principle of Protestantism“7 ab. Dabei war mit der „Protestant Church“ als der „reinsten Form des Christentums“ allein die Church of England, nicht die nonkonformistische chapel gemeint8; und wenn der Duke of Richmond beklagte, zu viele Konzessionen des Parlaments in Religionsfragen über Jahrzehnte hinweg hätten den Eindruck erweckt, „that there was not a very strong Protestant feeling in this country“9, dann identifizierte er „Protestantismus“ mit Anglikanismus und deutete zugleich auf die Bedrängnisse der Anglikanischen Kirche hin, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, gerade in ihrer Union mit dem Staat, von verschiedenen Seiten in Frage gestellt sah. Denn im Inneren summierten sich organisatorische und institutionelle Defizite wie etwa überbordender Nepotismus, Sinekuren oder weit verbreiteter Absentismus der Geistlichen und spirituelle Mangelerscheinungen zu krisenhaften Zuständen. Die innere Gegenbewegung der evangelikalen Partei suchte dem durch strengeren Schriftbezug und Philanthropie (prominent dabei die Anti-Sklaverei-Bewegung unter maßgeblicher Gestaltung des späteren Bischofs von Oxford, Samuel Wilberforce) zu begegnen, während die hochkirchlich-episkopale Partei institutionelle Reformen anvisierte, die allerdings erst im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts zur Umsetzung gelangten. Von außen setzte der Staatskirche unterdessen das sprunghafte Wachstum des Dissent zu. Die nichtanglikanischen protestantischen Denominationen
7 8
9
(„By accident, or rather the good providence of God, it [the British constitution; AR] grew up from the wants of men during a series of generations“), G.F. Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–163, hier 159, Edward Balls Unterhausrede vom 11. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 118–121, hier 118, DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 8 und 37 („The Church is the only living instrument by which is revealed ‚the constitution of society as designed by God‘“), Drummonds Unterhausrede vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, S. 1589 f., hier 1589 („They had now arrived at that point when the question was involved whether as a nation we would worship God or not“), oder James Whitesides Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 275. Digby Mackworth, Adresse an die Wähler von Liverpool, 28. Juli 1847, in: THE TIMES vom 29. Juli 1847, S. 4e. Lord Lovaine, Adresse an die Wähler von Northumberland North, 7. August 1847, in: THE TIMES vom 9. August 1847, S. 3d/e, hier 3e; vgl. auch die Wahladressen von J. Wm. Freshfield (City of London) vom 22. Juli, Lord Pelham Clinton (Canterbury) vom 29. Juli und Lord Burghley (South Lincolnshire) vom 4. August 1847, in: THE TIMES vom 23. Juli 1847, S. 8e, vom 30. Juli 1847, S. 3f/4a, hier 4a, und vom 5. August 1847, S. 2e; vgl. auch die Unterhausrede John Youngs vom 24. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 468–472, hier 470, sowie Derbys Oberhausrede vom 16. März 1857, hier nach KEBBEL, Derby, S. 122 f. Oberhausrede Richmonds vom 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 30–33, hier 32.
1. Die Protestantische Verfassung
383
(vor allem die der Church of England noch vergleichsweise nahestehenden wesleyanischen Methodisten sowie der klassische Dissent: Presbyterianer und die calvinistischen Sekten der Independenten bzw. Kongregationalisten und der Baptisten) verbreiteten sich mit der Industrialisierung in den rasch wachsenden Städten des Nordens vor allem in den wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten und drohten die etablierte Kirche landesweit in eine Minderheitsposition abzudrängen. Die Aufhebung der Test Acts und der Corporation Act im Jahre 1828, mit der Nichtanglikaner Zugang zu herausgehobenen Ämtern in Staat und Gemeinden gewannen, besaß zwar kaum materielle Bedeutung, weil sie nur eine längst ausgeübte Praxis rechtlich fixierte, aber sie führte doch hochsymbolisch die Emanzipation des Dissent vor Augen. Ihre konsequente Vervollständigung fand diese Aufhebung der Gesetze zum Ausschluß von Nichtanglikanern von den hohen Staatsämtern durch die Emanzipation der Katholiken ein Jahr später. Sie erhielten die vollen politischen und gesellschaftlichen Rechte, waren nun ebenfalls zu allen Staatsämtern (mit einigen Ausnahmen im Zusammenhang der Staatskirche) zugelassen und konnten vor allem Mitglieder des Unterhauses werden. Mit diesen Reformen hatte der Staat seinen exklusiv anglikanischen und zudem protestantischen Charakter verloren. So stellte sich die Frage nach dem Vorrang und der Position der Anglikanischen Staatskirche, die zunächst in ihre tiefste Krise stürzte, nicht zuletzt aufgrund innerer Reformen durch die von Robert Peel eingesetzte Ecclesiastical Commission aber im mittleren Jahrhundertdrittel eine Phase der Erholung und des Wiedererstarkens erlebte10. Die Bedrängnis von seiten der verschiedenen Opponenten blieb ihr jedoch unverändert erhalten: die Volkszählung (census) von 185111 offenbarte, daß 40% der Bevölkerung, vor allem aus den working classes, ohne kirchliche Bindung waren. Auch wenn diese Zahlen nur einen auch früher nicht anderen Zustand und keine akute Entwicklung ausdrücken mochten, bewirkte die Entdeckung dieser Situation fortgeschrittener Säkularisierung einen öffentlichen Schock12. Unterdessen sickerte der Katholizismus, ohnehin der Erzfeind des Anglikanismus, vor allem in den vierziger Jahren von hochkirchlicher Seite her in die Church of England ein. Der seit 1833 von Oxford ausgehende Traktarianismus13 rekurrierte, auf der Suche nach den 10 11 12 13
Vgl. dazu GASH, Reaction, S. 85 und 109. Vgl. die Auszüge aus dem Census Report of 1851–1853 on Religious Worship in: EHD XII(1), 124/371–376, bes. 373., und 132/383–394, bes. 384–386 und 389 f. Vgl. GASH, Aristocracy, S. 335; vgl. auch Disraeli an Stanley, 7. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS VI, 2203X/532: „The new census was a body blow“. Zum „Oxford Movement“ vgl. MACHIN, Politics and the Churches, S. 75–91.
384
VII. Religion und Kirche
gesunden Wurzeln der angeschlagenen Kirche, auf die Kontinuität der christlichen Kirche, die eine Relativierung der Reformation und eine Rehabilitation Roms mit sich brachte; die Konversionen prominenter Anglikaner, etwa der Kardinäle Manning und Newman, drohten Sogwirkung zu entfalten. Der Dissent machte der Anglikanischen Kirche weiterhin allein schon durch seine soziale und demographische Entwicklung Konkurrenz. Dies galt folgerichtigerweise nicht zuletzt in Fragen von Erziehung, Bildung und Schulwesen, auch wenn Bestrebungen, das Monopol der Staatskirche zugunsten einer paritätischen nonkonformistischen Beteiligung aufzuheben, und entsprechende Gesetzesvorhaben in den späten dreißiger und den vierziger Jahren (schließlich bis hin zu Gladstones Reformkabinett von 1868) noch zurückgedrängt werden konnten14. In einem nicht mehr anglikanischen Staat verlor die Anglikanische Staatskirche zusehends ihre gesellschaftliche Dominanz, und die alte exklusive Verbindung mit dem Staat löste sich langsam. Um die Jahrhundertmitte war dieser Prozeß, der den konservativen Vorstellungen gar nicht entsprechen konnte, im unübersehbaren Fortgang begriffen, allerdings keineswegs abgeschlossen. Die Konservativen sahen den Zustand der Anglikanischen Kirche, auch in der Phase ihrer Erholung um die Jahrhundertmitte, nicht ohne Kritik an ihren organisatorisch-institutionellen ebenso wie geistlich-spirituellen Zuständen. Solche Kritik richtete sich auf die Amtsführung der Bischöfe, Amtsmißbrauch und gar Korruption15, auf die Praxis der Besetzung hoher Kirchenämter ohne Rücksicht auf die Eignung für das zu besetzende Amt16 und generell auf die Vernachlässigung von Liturgie und Lehre17. Demge-
14 15
16 17
Vgl. dazu GASH, Reaction, S. 86–88 und 101–103, und MACHIN, Politics and the Churches, S. 64–69 und 151–160. Vgl. Croker an den Herausgeber des Standard, Giffard, 22. August 1846, CROKER PAPERS III, S. 83–85, hier 84, Ashleys Unterhausrede vom 10. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 300–312, hier 312, oder Disraeli an Derby, 28. Januar 1861, M&B IV, S. 358. Vgl. Cecils Unterhausrede vom 24. April 1856, HANSARD 3/141, Sp. 1435–1439, hier 1438. Vgl. Drummonds Unterhausreden vom 5. März 1856, HANSARD 3/140, Sp. 1907–1910, hier 1909 („we had gone on reducing the whole of our ancient ritual, until we had left a mere residuum of intellectual philosophy; and yet some innocent people were astonished at the spread of schism, and even of infidelity, while murder and crime were on the increase daily“), und vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1589 f., hier 1590 („The Church itself had abolished the Church, in denying the essentials of a church. [. . .] Churchmen themselves [. . .] had destroyed the very essence of the church; and now they complained that the Dissenters wanted to throw down the walls which they rendered useless“), sowie Disraeli an Sarah Williams, 13. November 1861, M&B IV, S. 360 („The state of the Church is critical, from dissensions and heresy among its own children“), und (implizit) William Heathcote an John Coleridge, 12. November 1850, AWDRY, Heathcote, S. 97.
1. Die Protestantische Verfassung
385
genüber wurden die Schrift, die 39 Artikel und die Liturgie „in their pure, literal and natural sense“ als Bezugsgrößen und somit ein Mittelweg zwischen den Extremen von „Genf“ und „Rom“ angemahnt18 – gerade gegenüber letzterem dabei eine zu große Nähe innerhalb des Klerus moniert19 – und die Reinheit, wenn nicht gar die Reinigung von Institutionen und Lehre unter Besinnung auf die Reformation gefordert20. Solche Kritik war inhaltlich breit gefächert, aber sie wurde nicht systematisiert und ging erst recht nicht ins Grundsätzliche; nicht nur abstrakt, sondern ganz konkret stand die Anglikanische Staatskirche außerhalb jeder Disposition. Etwas anderes als „firm, undivided, and deeply rooted attachment to the Church of England“21, als „ardent attachment to the Protestant institutions of this empire“22 wurde nicht zum Ausdruck gebracht, wenn auch nicht immer mit solcher Emphase vorgetragen. Denn unter den Konservativen herrschte grundlegende Einigkeit, daß that Establishment which embodied the Christianity of the nation [. . .,] the National Church was intimately connected with the hereditary monarchy and the aristocracy, and if one were destroyed, the others would be endangered.23 18 19 20
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Vgl. REDESDALE, Observations, S. 27 f., sowie seine Oberhausrede vom 3. Juni 1850, HANSARD 3/111, Sp. 639–642, hier 640 f. (dort das Zitat). Vgl. Ashleys Rede auf einer Versammlung in Freemason’s Hall am 5. Dezember 1850, HODDER, Shaftesbury II, S. 331–334, hier 333 f. Vgl. die Unterhausreden Ashleys vom 10. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 300–312 („the laity love their Church, its doctrines, its discipline, its parochial system; [. . .] they desire to maintain its orders of bishop, presbyter, and deacon, in all their efficiency and all their dignity; but they will maintain it in purity and not in corruption“; daher sei es notwendig, „to bring back the church that they love, still nearer and nearer, day by day, to the standard of the glorious Reformation“), und Booker-Blakemores vom 25. November 1852, HANSARD 3/123, Sp. 532–536, hier 535. Adresse Northcotes an die Wähler von Exeter, vor 4. Mai 1852, LANG, Life of Northcote I, S. 97–99, hier 97. W.M. Hodgson, Adresse an die Wähler von Carlisle, vor 21. März 1857, in: THE TIMES vom 21. März 1857, S. 12a. Vgl. auch die Wahladressen von J.Y. Buller (Cardiganshire) vom 3. August, H. Halford (South Leicestershire) vom 4. August und Lord Ossulston (Northumberland North) vom 7. August 1847, in: THE TIMES vom 4. August, S. 2e/3a, hier 3a, vom 5. August, S. 2d/e, hier 2d, und vom 9. August 1847, S. 3d, Youngs Unterhausrede vom 24. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 468–472, hier 471, Richard Cross’ Entwurf einer Adresse an die Wähler von Preston, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/30, Octavius Duncombes Adresse an die Wähler von North Riding, vor 17. März 1857, in: THE TIMES vom 17. März 1857, S. 5f, Disraelis Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298, oder W. Davenports Adresse an die Wähler von North Warwickshire vom 4. November 1868, in: THE TIMES vom 6. November 1868, S. 8a. Unterhausrede Gathorne Hardys vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 932–951, hier 935 und 950 f.; vgl. auch die Unterhausrede Charles Packes vom 8. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 678 f., hier 679 („a national Church, an hereditary aristocracy, and an hereditary monarchy, would stand together, and, if there were occasion, would fall together“). So auch die einstimmigen ablehnenden Reaktionen auf die über den Rahmen dieser Untersuchung
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VII. Religion und Kirche
Die Staatskirche war ein zentraler Bestandteil der „protestantischen Verfassung“ des Landes24, und ihre Gefährdung – Protestant Christianity is the foundation of the Constitution of this country and of the blessings it has conferred upon all classes, and I know that in consequence of the perpetual bartering away of the legal safeguards of this great principle we are committed to a constant struggle with deadly adversaries25 –
fügte sich in die umfassende Kontroverse um die Verfassungs- und Sozialordnung ein, die auf sozialer, ökonomischer und politischer Ebene von der
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hinausweisende Trennung von Staat und Anglikanischer Kirche (disestablishment) in Irland durch die Regierung Gladstone 1869, die im Wahlkampf von 1868 ihre Schatten bereits vorauswarf (vgl. dazu MACHIN, Politics and the Churches, S. 355–372): vgl. die Adressen von Viscount Sandon (Liverpool, Oktober 1868), Disraeli (Buckinghamshire, 1. Oktober), Arthur Walsh (Radnorshire, vor 10. Oktober), Newdegate (North Warwickshire, vor 13. Oktober), Thomas Baring (Huntingdon, 13. Oktober), Thomas Whethered (Great Marlow, vor 19. Oktober) und J.W. Henley (Oxfordshire, vor 23. Oktober 1868), in: THE TIMES vom 17. November [sic], S. 3d, vom 3. Oktober, S. 5a/b, hier 5a, vom 10. Oktober, S. 5d, vom 13. Oktober 1868, S. 6a (Newdegate und Baring), vom 19. Oktober, S. 5a, und vom 23. Oktober 1868, S. 6b; die Adressen von W.C. Worsley (Whitby, vor 24. Oktober 1868), Joseph Hoare und Hugh Birley (Manchester, 24. Oktober), Alderman Gibbons und P. Twells (City of London, 26. Oktober) und John Pakington (Droitwich, 29. Oktober und 6. November), in: THE TIMES vom 24. Oktober 1868, S. 5d, vom 26. Oktober, S. 6c, vom 27. Oktober, S. 5a, vom 31. Oktober, S. 7d/e, hier 7e, und vom 9. November, S. 7d; die Adressen von C. Bell (City of London, 3. November), W. Davenport (North Warwickshire, 4. November), J. Hay (Stamford, 13. und 16. November), Col. Patten (North Lancashire, 14. November), des Conservative Central Committee (City of London), und von Massey Lopes (South Devonshire, 24. November), in: THE TIMES vom 4. November 1868, S. 7b, vom 6. November, S. 8a, vom 16. November, S. 7a, vom 17. November, S. 6c, vom 16. November, S. 6c, vom 17. November, S. 3d, und vom 25. November, S. 7e, sowie die Adresse von George Cubbitt (West Surrey) 25. November 1868, in: THE TIMES vom 26. November 1868, S. 10c: „It was truly a strange spectacle to see the Presbyterians of Scotland, the Roman Catholics of Ireland, and the Nonconformists of England united with the admirers of Mr. Gladstone to upset the Church of Ireland. [. . .] How long would those who made themselves hoarse by shouting a welcome to Garibaldi, shout to hand over Ireland to the dominion of the Pope?“ Vgl. die Adressen von Robert Bevan (City of London, 8. Juli 1847), Richard Spooner (North Warwickshire, 10. August 1847) und Col. Powell (Cardiganshire, 14. August 1847), in: THE TIMES vom 9. Juli 1847, S. 8e, vom 11. August, S. 4e, und vom 16. August, S. 4a, Disraelis Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 6. Juni 1852, in: THE TIMES vom 7. Juni 1852, hier nach DISRAELI LETTERS VI, 2304/74 f. („we cannot sanction an opinion now in vogue, that since the act of 1829 the constitution of this country has ceased to be Protestant. By the Act of Settlement, our form of Government is that of a Protestant monarchy; and it is our belief that the people of this country are resolved so to maintain it, not only in form, but in spirit [. . .;] the Church of England shall still remain a national Church; [. . .] the Crown of England shall still be a Protestant Crown“), und Disraelis Rede in Wycombe vom 30. Oktober 1862, M&B IV, S. 364 („Industry, Liberty, Religion – that is the history of England“). Newdegate an einen „Sir Robert“, 5. März 1864, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6565.
1. Die Protestantische Verfassung
387
Bedrohung durch den Manchester-Radikalismus ausging26. Auf religiöskirchlicher Ebene artikulierte sie sich vorrangig im Dissent; hier kam allerdings noch als „old object of antagonism to the Established Church of this country“27 der römische Katholizismus hinzu. Dabei wurden für die protestantische Verfassung, soweit Begründungen überhaupt als erforderlich angesehen wurden, aus der Defensive heraus dieselben Argumente vorgebracht wie für die dezentrale, freiheitsstiftende und sozial benevolente Gesellschaftsordnung allgemein28: The Church of England is a part of England – it is a part of our strength, and a part of our liberties, a part of our national character. It is a chief security for that local government [. . .,] a principal barrier against that centralizing supremacy which has been in all other countries so fatal to liberty.29
Wenn vor allem die freiheitsstiftende und freiheitssichernde Bedeutung dieser protestantischen Ordnung durchgehend hervorgehoben wurde – beneath the union of Church and State more perfect liberty, both civil and religious, has been preserved and confirmed to this country than has been witnessed in any other age or in any other country30 –,
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Vgl. dazu auch Crokers Gegenüberstellung von Kirche und Monarchie auf der einen und Demokratie auf der anderen Seite, Postscript, in: QR 91, Nr. 181 (Juni 1852), S. 269–271, hier 271. Vgl. andererseits John Brights grundsätzliche Kritik an der Verbindung von Staat und Anglikanischer Kirche in seiner Unterhausrede vom 7. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 242–256, hier 251 f.: „the Church of England would [not] last for a month as a united Church, if it were not for its connexion with the constitution and government of this country, and if it were not for the vast revenues which are placed at its disposal“; die Church of England stehe nicht für „religious liberty“, sondern für Vormacht („ascendancy“) auf Kosten von Katholiken und Dissentern; die aufgeworfene Frage nach dem „principle of establishment“ verfolgte er zwar nicht explizit weiter, die Tendenz lag aber offen zutage. Oberhausrede Wellingtons vom 21. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1113–1116, hier 1114. Vgl. dazu Kapitel IV.2. Unterhausrede Disraelis vom 27. Februar 1861, HANSARD 3/161, Sp. 1039–1045, hier 1045; vgl. auch seine Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 1. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 3. Oktober 1868, S. 5a/b, hier 5a: „The religious liberty which all Her Majesty’s subjects now happily enjoy is owing to the Christian Church in this country having accepted the principles of the Reformation, and recognized the supremacy of the Sovereign as the representative of the State, not only in matters temporal, but in matters ecclesiastical. This is the stronghold of our spiritual freedom. So long as there is in this country the connexion, through the medium of a Protestant Sovereign, between the State and the national Church, religious liberty is secure.“ Unterhausrede Du Canes vom 7. März 1866, HANSARD 3/181, Sp. 1655–1660; vgl. auch die Unterhausrede Richard Spooners vom 12. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 481–483, hier 483 („the constitution in all the fulness of its Protestant character [. . .] was the best security for the maintenance of civil and religious liberty“), den Leitartikel in der PRESS vom 23. September 1854, Vol. II, Nr. 73, S. 889 („utmost freedom of thought and action that is consistent with the preservation of freedom“), Gathorne Hardys Unterhausrede vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 932–951, hier 950 („the Established Church in this country was toler-
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VII. Religion und Kirche
dann handelte es sich dabei um Freiheit im konservativen Sinne31: um qualifizierte, tradierte und sozialmoralisch gebundene Freiheiten, die ihren Wert im Zusammenhang einer umfassenden, konkret der spezifisch englischen Ordnung gewannen32. Diese Ordnung wiederum gewann durch die Verbindung mit der Staatskirche ihre religiöse oder transzendente Dimension und Legitimation33. Darüber hinaus war sie nach konservativer Diktion im Gegensatz zum Dissent, der vor allem auf die Mittelschichten zielte34, eine Kirche der Armen, und ihre soziale Fürsorge wies sie als eine Institution zum Nutzen aller aus35. Allein schon aus solch konservativem Utilitarismus heraus ließ sich, unabhängig von der sachlich begründeten und traditionsgenerierten Überzeugung, wie in allen gesellschaftspolitischen Fragen mit dem entsprechenden Pragmatismus samt der empirischen Skepsis gegenüber dem menschlich Machbaren zugunsten der Aufrechterhaltung der protestanstischen Verfassung und der Staatskirche samt ihrer Vorrechte argumentieren: Before they destroyed one institution they should know how they were going to get a better.36
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ant, free, open, and comprehensive“), Newdegates Unterhausrede vom 18. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1032–1036, hier 1035 („the purity of the religion established with the Church of this country had contributed essentially to the maintenance of the free institutions of this country“), Beresford-Hopes Unterhausrede vom 20. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 220–224, hier 223 („unique [. . .] spectacle of an Established Church existing with great privileges and position, and alongside of it perfect civil and religious liberty“), Viscount Sandons Adresse an die Wähler von Liverpool vom Oktober 1868, in: THE TIMES vom 17. November 1868, S. 3d („Protestantism [. . .] has been the mother and nurse of our civil and religious liberties, and is essential to their continuance“), sowie Pakingtons Adresse an die Wähler von Droitwich, 6. November 1868, in: THE TIMES vom 9. November 1868, S. 7d („those Protestant principles which lay at the root of the liberties of this country“). Vgl. dazu Kapitel IV.5.c). Vgl. dazu auch die Unterhausrede Whitesides vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 276: „the established Church is intertwined and inseparably connected with our political system, and to separate them is not to reform or amend, but to revolutionize the State while you destroy the Church. When revolutions have occured in other countries we have been quiet, because the people of this country are a believing, and in the main a religious people, because they are taught daily and weekly all the duties of life by ministers of religion who are supported by the State, not merely because they teach the moral duties and preach the Scriptures, but because they promote order, peace and security throughout the country.“ Vgl. Gathorne Hardys Unterhausrede vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 932–951, hier 950. Vgl. dazu Kapitel VII.3. Vgl. Gathorne Hardys Unterhausrede vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 932–951, hier 946 f., sowie Newdegates Unterhausrede vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1305–1307, hier 1305. W.C. Worsley, Adresse an die Wähler von Whitby, vor 24. Oktober 1868, in: THE TIMES vom 24. Oktober 1868, S. 5d.
1. Die Protestantische Verfassung
389
Dies galt insbesondere für den Bereich der Erziehung, in dem zwischen den legislativen Projekten der Regierungen Peel (1843) und Gladstone (1870) relative Ruhe in politicis herrschte; nichtsdestoweniger stellten sich die grundsätzlichen Fragen nach einer verpflichtenden Elementarschule, nach einer Beteiligung anderer Denominationen außerhalb der Staatskirche am bisherigen freiwilligen Schulsystem, nach der Rolle des Staates und somit, in summa, nach der künftigen Rolle der bislang monopolistisch dominierenden Staatskirche. Ohne den Zwang einer politischen Entscheidungssituation sprach die konservative Stimme unisono durchaus für eine Ausweitung des Schulsystems, jedenfalls und vor allem aber auf religiöser Grundlage, während eine säkulare Erziehung strikt abgelehnt wurde, weil sie der protestantischen Verfassung zuwiderlief: education conducted in a purely secular system [. . .] may instruct the intellect, but it denies the only source of true wisdom; it cannot elevate the moral feelings, and is utterly inconsistent with the duty of a Christian nation.37
Im Rahmen dieser Verfassung war die Kirche ein tragender Bestandteil der lokal organisierten, sozialmoralisch qualifizierten Zivilgesellschaft und zugleich eng mit dem Staat und dem politischen System verbunden38, namentlich der Krone als dem Oberhaupt auch der Staatskirche. Dabei war unter den Konservativen, soweit sie sich dazu äußerten, unstrittig, daß die Suprematie innerhalb der Kirche bei der Krone als der weltlichen Gewalt lag, nicht bei der geistlichen Gewalt des Klerus oder des Episkopats39. Wie weit
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Marquis of Blandford, Adresse an die Wähler von Woodstock, 23. März 1857, in: THE TIMES vom 25. März 1857, S. 5b; vgl. auch die Adressen von H.W. Wickham an die Wähler von Bradford vom 23. Juli 1847, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72, von E.S. Cayley (North Riding, 6. August 1847) und Lord Lovaine (Northumberland North, 7. August 1847), in: THE TIMES vom 7. August 1847, S. 3d, und vom 9. August 1847, S. 3d/e, hier 3e, sowie die Adressen von W. Smith (West Kent, 12. März 1857), W. Rose (Newport, 19. März 1857) und A. Willson (West Kent, 1. April 1857), in: THE TIMES vom 14. März 1857, S. 8b, vom 23. März 1857, S. 5c, und vom 3. April 1857, S. 5f. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 291–299, hier 298; vgl. auch die bereits zitierte Unterhausrede Whitesides vom selben Tag, HANSARD 3/158, Sp, 259–277, hier 276. Vgl. dazu Croker an den Herausgeber des Standard, Giffard, 22. August 1846, CROKER PAPERS III, S. 83–85, hier 83 („Crown patronage is the real bond between Church and State; if that were severed, there would be no longer a ‚Church of England‘ (as we understand the term), and the election of bishops by the clergy would soon follow the nomination of the clergy by the bishops“), John Stuarts Unterhausrede vom 7. März 1851, HANSARD 3/114, Sp. 1137–1140, hier 1139 („the supremacy of the Crown – another name for Protestantism“), Spencer Walpoles Unterhausrede vom 21. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 381–399 („You must not set up in any church [. . .] the sacerdotal power above the temporal; still less must you exalt the Pontifical authority above the regal. If you do, you will put to peril the supremacy of the Crown, the freedom of the Church, and the integrity of our Constitution“),
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VII. Religion und Kirche
der Einfluß des Staates auf die Angelegenheiten der Kirche reichte, ob der Vorrang der weltlichen gegenüber der geistlichen Gewalt nur in weltlichorganisatorischen Dingen oder auch in Fragen der geistlichen Lehre galt, stand anläßlich des Streits um Reverend Gorham im Jahr 1850 zur Debatte. B)
KIRCHE UND STAAT: DER FALL GORHAM (1850)
Reverend George Cornelius Gorham aus Cambridge war ein exponierter Vertreter der evangelikalen Partei innerhalb der Church of England. 1846 wurde er vom Lordkanzler als Pfarrer von St. Just in Penwith (Cornwall) in der Diözese Exeter eingesetzt. Nachdem er noch im selben Jahr in einen ersten Konflikt mit seinem streitbaren hochkirchlichen Bischof Phillpotts geraten war, der einen neu einzusetzenden Vikar in Gorhams Gemeinde aufgrund einer vermeintlich tendenziösen Stellenausschreibung einer dogmatischen Examination unterziehen wollte, wurde der sechzigjährige Gorham im August 1847 auf eigenen Antrag vom Lordkanzler in die Pfarre Brampford Speke (Devonshire), eine Stiftung der Krone in der Diözese Exeter, versetzt. Phillpotts indes verweigerte ihm die Investitur bis zum Nachweis seiner Rechtgläubigkeit. Nach zwei mehrtägigen Examinationen Gorhams im Dezember 1847 und im März 1848 allein über die Frage der Wiedergeburt durch die Taufe erkannte der Bischof Gorhams Lehre als calvinistisch und somit unzureichend und setzte eine Disziplinarkommission gegen ihn ein. Daraufhin rief Gorham im Juni 1848 den Court of Arches an, um seine Investitur zu erzwingen, doch das Gericht entschied im August 1849 gegen ihn. Gorham legte Widerspruch beim Judicial Committee des Privy Council ein, das 1832/40 als Letztinstanz für Fragen der kirchlichen Organisation und Lehre eingerichtet worden war. Diese weltliche Gerichtsbarkeit entschied am 9. März 1850 zugunsten Gorhams, der schließlich am 10. August offiziell als Pfarrer investiert wurde. Das Judicial Committee begründete seine Entscheidung nicht als eine kirchliche Lehrfeststellung, sondern als individuelle Entscheidung aufgrund mangelnder erwiesener substantieller Abweichung Gorhams. So blieb die Grundsatzfrage unbeantwortet, welches Mitspracherecht der Episkopat bei der (regulär in staatlichen Händen liegenden) Ernennung von Geistlichen der Staatskirche besaß, namentlich im Fall des Einwandes der Häresie, und inwiefern sich, umgekehrt, die weltlichen Gewalten (Krone, sowie HERRIES MEMOIR II, S. 284 („The Church, connected with the State, upheld by the State, but subordinate to the State, and controlled by the State, was valued by him as a preservative institution very beneficial in its action, if judiciously directed“).
1. Die Protestantische Verfassung
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Patron etc.) in solchen Personalfragen über die geistlichen Einwände der kirchlichen Autorität hinwegsetzen konnten, ebenso die Frage, wer über solche Fragen von Rechtgläubigkeit oder Häresie zu entscheiden berechtigt war. Obwohl die pragmatische Entscheidung dem Einzelfall die Zuspitzung nahm und die Kontroverse nach der Investitur abklang, warf der Fall Gorham40, neben der hier nicht weiter zu verfolgenden dogmatischen Frage nach dem sakramentalen Charakter der Taufe, grundsätzlich die Frage nach dem Einfluß des Staates auf die kirchlichen Angelegenheiten und nach der letztinstanzlichen Entscheidungsbefugnis in Kirchenfragen weltlicher und zugleich geistlicher Provenienz auf. Die Konfliktlinie lief mitten durch die Anglikanische Kirche: die evangelikale und low church party auf seiten Gorhams stützte seine dogmatische Sicht der Taufe und plädierte für die Entscheidungskompetenz in Kirchenfragen auf seiten der weltlichen Gewalt, um sich möglichst vom Einfluß der (prononciert von Phillpotts repräsentierten) hochkirchlichen Partei freizuhalten, die wiederum in zunehmendem Maße41 auf eine Autonomie der geistlichen Autorität (und somit in erster Linie des Episkopates) in Lehrfragen gegenüber staatlicher Einflußnahme drängte. So brachte der Londoner Bischof Blomfield, nachdem er schon in den voraufgegangenen Jahren ähnlich gerichtete Anläufe ohne Erfolg unternommen hatte, im Oberhaus eine Gesetzesvorlage ein, die auf die Einrichtung einer eigenen finalen Appellationsinstanz der Church of England in Glaubens- und Lehrfragen zielte42. Denn das Judicial Committee, so schrieben 63 Laien, darunter 11 Peers und 18 Unterhausabgeordnete unter Einschluß von Charles Adderley, William Beresford, Alexander Beresford-Hope, William Gladstone, John Manners, Stafford Northcote, Roundell Palmer, Lord Redesdale und Ker Seymer Ende März 1850 an Blomfield, sei nicht geeignet, in Fragen der christlichen Lehre zu entscheiden43. Es unterminiere vielmehr mit seiner Entscheidung 40
41 42
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Vgl. zum gesamten Zusammenhang CHADWICK, Victorian Church I, S. 250–271, MACHIN, Politics and the Churches, S. 202–208, und DAVIES, Phillpotts, S. 230–263; vorwiegend die dogmatische Seite der Kontroverse behandelt NIAS, Gorham; vgl. auch SHANNON, Gladstone I, S. 211 und 217–221; vgl. die zeitgenössische Darstellung im ANNUAL REGISTER 1850, S. 141–147; aus dem Bereich der Life and Letters-Biographien vgl. BLOMFIELD MEMOIR II, S. 114–133, und (aus der Perspektive Mannings im Jahr vor seiner Konversion und sehr parteiisch für ihn) PURCELL, Manning I, S. 523–551. Vgl. MACHIN, Politics and the Churches, S. 196–202. Vgl. dazu konkret CHADWICK, Victorian Church I, S. 258, MACHIN, Politics and the Churches, S. 204 f., und BLOMFIELD MEMOIR II, S. 125–133 (dort S. 125–127 auch sein Brief an den Erzbischof von Canterbury vom 14. März 1850, in dem er die Idee der Gesetzesinitiative vortrug). Brief von 63 Laien an Bischof Blomfield von London, in: THE TIMES vom 28. März 1850, S. 4e.
392
VII. Religion und Kirche
zugunsten Gorhams die Fundamente der Anglikanischen Kirche, indem es Häresie in einer zentralen dogmatischen Frage unsanktioniert lasse und somit ein Defizit an verbindlicher Lehre offenbare, das wiederum die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche aufwerfe44. Als Blomfield seine Ecclesiastical Appeals Bill am 3. Juni 1850 im Oberhaus einbrachte, erklärte er es als die gemeinsame Aufgabe von Staat und Kirche, die Lehre und die Disziplin der Staatskirche unverletzt zu bewahren. Die königliche Suprematie beziehe sich in kirchlichen Fragen dabei auf „things temporal“, in erster Linie auf Rechtsfragen. In „matters purely spiritual, involving questions of divine truth“ sei das Judicial Committee allerdings inkompetent, da es nur aus Laien zusammengesetzt war, die nicht einmal der Anglikanischen Kirche angehören mußten. In dogmatischen Streitfragen müßten daher die geistlichen Autoritäten das letzte Wort haben, und da Synoden in der Englischen Kirche weder Tradition hätten noch durchsetzbar seien, müsse diese Entscheidungsgewalt bei den Bischöfen liegen45. Gerade dies wurde von den Whig-Lords Lansdowne und Brougham strikt abgelehnt: Blomfields Vorlage schränke die Prärogative der Monarchie ein, zu der die Leitung der Kirche gehöre; die Einhaltung der bestehenden Lehren könne am besten durch qualifizierte Laien gewährleistet werden, nicht aber durch eine Konzentration der kirchlichen Kompetenzen beim Episkopat46; selbst der Bischof von St. David’s lehnte stärker bischöfliche Strukturen der Kirche ab, die er als bedenkliche Annäherung an den römischen Katholizismus kritisierte47. Daß Blomfields Gesetzesvorlage nur 51 Stimmen erhielt und mit 84 Gegenstimmen schon bei der Vorlage zu Fall kam48, offenbart die wenig energische Unterstützung durch die im Oberhaus dominierenden Konservati-
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Vgl. REDESDALE, Observations, S. 21 und 24, zum dogmatischen Gehalt der Kontroverse v.a. S. 18–20, und die Resolution von Vertretern der Hochkirche vom 19. März 1850, PURCELL, Manning I, S. 532 f., LIDDON, Pusey III, S. 240 f., NIAS, Gorham, S. 123 f., Datierung nach CHADWICK, Victorian Church I, S. 263 f., dazu auch Manning an Phillpotts, 29. Mai 1850, DAVIES, Phillpotts, S. 253–255, bes. 254 („The Crown has effected three points. 1. An assertion of its jurisdiction over all matters, howsoever purely spiritual, cognizable by the Courts of the Church. 2. The legalizing of a heresy. 3. The complete annulling of the claim of the Church to teach by Divine mission and authority: thereby reducing all doctrine from faith to opinion“). Oberhausrede Blomfields vom 3. Juli 1850, HANSARD 3/111, Sp. 598–620, hier 602 f. und 606 f., die Zitate 603 und 606. Vgl. die Oberhausreden Lansdownes und Broughams vom 3. Juni 1850, EBD., Sp. 620–628, hier 620, 622 f. und 626, sowie Sp. 628–633. Vgl. die Oberhausrede des Bischofs von St. David’s vom 3. Juni 1850, EBD., Sp. 635–639, bes. 634 und 637 f. Vgl. EBD., Sp. 674 f.
1. Die Protestantische Verfassung
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ven. Zwar unterstützten die Lords Redesdale und Derby die Bill mit dem Argument, die Suprematie der Krone solle sich auf weltliche Angelegenheiten beschränken und die Kompetenz in geistlichen Fragen der geistlichen Gewalt überlassen, so daß eine verbindliche Autorität in Fragen der Glaubenslehre bestehe49. Allerdings fehlte der Bill nicht nur die geschlossene Unterstützung der Tories im Oberhaus, sondern auch die Aufmerksamkeit der Konservativen allgemein. Im Gegensatz zu Gladstone und mit Ausnahme der Unterzeichner des Laienbriefes herrschte vor allem auf parteipolitischer Ebene grundsätzliches Desinteresse, das auch in den wenigen überhaupt überlieferten Reaktionen zum Ausdruck kam, wenn etwa William Heathcote ein Urteil für Gorham aus dem Grund begrüßte, daß es die Loyalität der low church party zur Kirchenverfassung stärke, während Disraeli privatim an dem Urteil seine Vorbehalte gegen Prinz Albert aufhängte50. Auf den Agenden der praktischen Politik blieb die Bedeutung solcher kirchenpolitischer Fragen deutlich hinter ihrem Stellenwert auf deklamatorisch-programmatischer Ebene zurück. Die Konservativen wußten sich dabei mit keiner der beiden Parteien wirklich zu identifizieren. Denn so sehr ihnen die evangelikale Partei in ihren nonkonformistischen Tendenzen suspekt sein mußte, so wenig kamen ihnen die Ambitionen der hochkirchlichen Partei entgegen, die zum einen die Prärogative der Monarchie schmälern wollten und zum anderen mit ihren Vorstellungen einer (in geistlicher Hinsicht) autonomen Episkopalkirche im Verdacht der Nähe zur römischen Kirche standen. In der Tat stellte Rom die Alternative zur monarchieregierten Staatskirche dar, die durch den Fall Gorham und die Zurückweisung einer innerkirchlichen Letztentscheidungskompetenz in geistlichen Fragen entgegen den Interessen der hochkirchlichen Partei Bestätigung erfuhr51. Angesichts dieser unverändert fortbestehenden Gravamina orientierten sich einzelne Vertreter der hochkirchlichen Partei verstärkt zum römischen Katholizismus hin, und gerade Henry Manning empfing durch den Fall Gorham den vorletzten Impuls zur Konversion52. Den letzten Anstoß gab ihm der öffentliche Aus49 50 51
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Vgl. die Oberhausreden Redesdales, Lytteltons und Stanleys, EBD., Sp. 639–642, Sp. 645 f., bes. 646, und Sp. 648–653, bes. 649 und 651. Vgl. William Heathcote an John Coleridge, 14. Februar 1850, AWDRY, Heathcote, S. 94, und Disraeli an Lady Londonderry, 22. April 1850, DISRAELI LETTERS V, 1995/319. Vgl. dazu die Deklaration von Henry Manning, Robert Wilberforce und William Mill vom Juli 1850, CHADWICK, Victorian Church I, S. 267, PURCELL, Manning I, S. 540 f., und LIDDON, Pusey III, S. 271 f., sowie den Bericht über die Versammlung in Freemason’s Tavern und in der Concert Hall von St. Martin’s in Long Acre am 23. Juli 1850, CHADWICK, Victorian Church I, S. 267 f., und LIDDON, Pusey III, S. 247–255. Vgl. PURCELL, Manning I, S. 524–527.
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VII. Religion und Kirche
bruch des Antikatholizismus im darauffolgenden Jahr53, in den auch die Konservativen einfielen. Sie verhielten sich, zumindest in den ersten Jahren nach 1846, in religionspolitischer Hinsicht mehr antikatholisch als proanglikanisch.
2. KATHOLIZISMUS ALS GEFAHR (1845–1852) A)
„NO POPERY CRY“ (1846–1850)
Als ein entschiedener Anhänger der Staatskirche wolle er niemandem den Genuß der vollen Freiheit, der „freest liberty“ in religiösen Angelegenheiten vorenthalten, bekannte Henry Wickham, als er sich im Juli 1847 um ein Unterhausmandat in Bradford bewarb54; „toleration of the opinion of others, and the extension of charity to all“ erklärte auch John Pakington als eine seiner Maximen55. Religiöse Freiheit bedeute indes nicht unbegrenzte Toleranz, schränkte demgegenüber Joseph Napier ein56; und während Stafford Northcote allen christlichen Denominationen dieselben religiösen Freiheiten einräumte wie der Staatskirche (deren Vorrechte dabei nicht angetastet wurden), gab er sich zugleich entschlossen, allen Ambitionen entgegenzutreten, die mit der Church of England nicht vereinbar seien57. Solche Vorbehalte klangen von den parlamentarischen Hinterbänken in der Regel noch erheblich schärfer, und religiöse Toleranz gehörte dort nicht unbedingt zu den vorherrschenden Eigenschaften. Ob Henry Wickham seine Wahl aufgrund seiner religionspolitischen Äußerungen verfehlte, ist nicht bekannt; jedenfalls war seine Haltung für die Breite der Partei so nicht typisch. Dies zeigte sich bei der Frage nach der Zulassung von Juden zum Unterhaus, die sich seit 1847 aufgrund der wiederholten Wahl Baron Rothschilds stellte, denn er konnte seinen Sitz aufgrund einer Eidesformel, mit der die Abgeordneten auf den christlichen Glauben schworen, nicht einnehmen. Mit dem Argument, daß der christliche Charakter des Landes keine Beteiligung von Juden an der Legislative erlaube, sprachen sich viele Konservative 53 54 55 56 57
Vgl. MACHIN, Politics and the Churches, S. 221. Henry Wickham, Adresse an die Wähler von Bradford, NL Gathorne Hardy, Suffolk RO Ipswich, HA 43, T 501/72. John Pakington, Adresse an die Wähler von Droitwich, 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 5b. Unterhausrede Napiers vom 12. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 458–466, hier 462. Vgl. Northcotes Adresse an die Wähler von Exeter, vor 4. Mai 1852, LANG, Life of Northcote I, S. 97–99, hier 98 f.
2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852)
395
gegen ihre Zulassung zum Unterhaus aus58. Dagegen stellte Lyndhursts Auffassung, daß die Eidesformel ursprünglich anders beabsichtigt gewesen sei und die Juden an der Ausübung ihres „Geburtsrechts“ hindere59, eine Minderheitsposition dar. Ebenso bezeichnend aber ist, daß trotz dieser Ausgangslage gerade das konservative zweite Kabinett Derby im Jahr 1858 schließlich die Abschaffung der Eidesformel durchsetzte60. Im Zentrum konservativer Antipathie standen nach 1846 (und auch schon zuvor) unterdessen die Katholiken, denn „the aggressions of the Papal power“ wurden als scharfe Bedrohung der englischen Religion, Konstitution und Monarchie erachtet61. Dies kam in besonderem Maße anläßlich der Parlamentswahlen von 1847 zum Ausdruck. Again, the only real cry in the country is the proper and just old No Popery cry. [. . .] I say just, because it is no longer the same cry which refused the Catholics equal rights, it is a cry against their attempt at domination. They are no longer content with fair equality, they aim at supremacy.62
Die überbordenden Vorbehalte der Konservativen richteten sich dabei weniger gegen die katholische Bevölkerung in England, der durchaus Toleranz entgegengebracht wurde63, als vielmehr gegen die Institution der katholischen Kirche und vor allem gegen das römische Papsttum64. Die römische
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Vgl. etwa die Wahladressen Lovaines (Northumberland North) vom 7. August 1847, in: THE TIMES vom 9. August 1847, S. 3d/e, hier 3e, von W. Smith (West Kent), Charles Newdegate (North Warwickshire) und Richard Spooner (North Warwickshire) vom 3. April 1857, in: THE TIMES vom 4. April 1857, S. 7e und 8b. Oberhausrede Lyndhursts vom 31. Mai 1853, HANSARD 3/127, Sp. 844, hier nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 451 f. (das Zitat 452), auch in CAMPBELL, Lives of Lyndhurst and Brougham, S. 181. Vgl. dazu HAWKINS, Parliament, S. 148–150, MACHIN, Politics and the Churches, S. 292–294, WOODALL, Jewish Relief Act, sowie zum Gesamtzusammenhang SALBSTEIN, Emancipation, S. 141–245. Rede Newdegates vor der Protestant Alliance Association in Leamington, 14. Januar 1852, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/D3; zur Haltung Newdegates v.a. in religionspolitischen Fragen, insbes. seiner Gegnerschaft gegen katholische Frauenklöster vgl. ARNSTEIN, Newdegate, bes. S. 62–73, 212–214 und 221. Für die Konservativen allgemein vgl. auch COLEMAN, Conservatism, S. 101, MCDOWELL, British Conservatism, S. 67, und STEWART, Foundation, S. 214, 230 f., 255–257, 296 f., 345 und 349. Beresford an Croker, [Juli] 1847, CROKER PAPERS III, S. 117 f., hier 118. Vgl. die Adressen von John Manners und Digby Mackworth an die Wähler von Liverpool (in den nordwestlichen Industriegebieten, insbesondere in Lancashire, lebten vergleichsweise viele Katholiken vorwiegend irischer Herkunft) vom 17. Juni und 28. Juli 1847, in: THE TIMES vom 21. Juni, S. 3c/d, und vom 29. Juli 1847, S. 4e. Vgl. die Adressen von Digby Mackworth an die Wähler von Liverpool (28. Juli 1847) und von Lord Pelham Clinton an die Wähler von Canterbury (29. Juli 1849), in: THE TIMES vom 29. Juli 1847, S. 4e, und vom 30. Juli 1847, S. 3f/4a, hier 4a.
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VII. Religion und Kirche
Kirche galt als „directly antagonistic to Protestantism“65 und als veritable Gefahr für das geistliche und weltliche Wohl des Landes66, weil sie aggressiv nach Dominanz strebe – Popery [. . .] never was and never will be contended with toleration, or even with equality67 –,
wie Henry Drummond dem High Sheriff von Surrey in einem wahren Horrorszenario vor Augen führte: Der Papst habe immer nach der Suprematie über alle christlichen Konfessionen gestrebt; zudem fordere Rom die Loyalität der Laien, die daher nur zu eingeschränkter Loyalität gegenüber dem eigenen Land in der Lage seien. Der katholische Klerus aber maße sich die alleinige Souveränität in der Kirche an – „the priests have decided that the priests alone have the right to decide“ – und setze seinen absoluten Führungsanspruch nicht nur gegenüber den „versklavten“ eigenen Laien, sondern auch gegenüber Andersgläubigen mit unbarmherziger Härte durch: the priests have caused more human blood to be shed by persecution of Jews, Albigenses, Protestants, &c., &c. than the priests of Moloch or of Juggernaut.68
Die Herrschaftsansprüche dieses wahrhaftigen Antichristen waren demzufolge unbeschränkt und richteten sich auch auf die britischen Inseln mit ihrer protestantischen Verfassung. Einem solch unersättlichen Antipoden69 sollten daher, nach der Emanzipation von 1829, keine weiteren Konzessionen gemacht werden70. Vor allem sollte die katholische Kirche insbesondere in Irland, nachdem bereits 1845 die von der Regierung Peel bewilligten Zuschüsse für das Priesterseminar in Maynooth auf schärfste Widerstände in der Partei gestoßen waren, keine zusätzlichen staatlichen Finanzmittel erhalten71.
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J.Y. Buller, Adresse an die Wähler von Cardiganshire vom 3. August 1847, in: THE TIMES vom 4. August 1847, S. 2e/3a, hier 3a. Vgl. die Wahladressen von Robert Bevan (City of London, 8. Juli 1847), Lord Pelham Clinton (Canterbury, 29. Juli 1849) und von John Walsh (Radnor county, 7. August), in: THE TIMES vom 9. Juli 1847, S. 8e, vom 30. Juli, S. 3f/4a, hier 4a, und vom 9. August 1847, S. 3f. Redesdale an Stanley, 19. Januar 1851, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 149/6. Drummond an J.W. Freshfield, 17. Dezember 1850, DRUMMOND, Speeches II, S. 377–379, die Zitate 378 und 378 f. Vgl. die Adresse John Mastermans an die Wähler der City of London vom 8. Juli 1847, in: THE TIMES vom 9. Juli 1847, S. 8d („no giving bit by bit would satisfy the Catholics“). Vgl. die Wahladressen von John Vance (Canterbury, 29. Juli 1847) und von J.Y. Buller (Cardiganshire, 3. August 1847), in: THE TIMES vom 30. Juli 1847, S. 4a, und vom 4. August 1847, S. 2e/3a, hier 3a, sowie Newdegates Rede vor der Protestant Alliance Association in Leamington am 14. Januar 1852, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/D3. Vgl. die Wahladressen von Masterman und Johnson (City of London, 8. Juli), Freshfield (City of London, 26. Juli), Clinton (Canterbury, 29. Juli 1847), John Gladstone (Ipswich,
2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852)
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In diesem einstimmigen Chor stimmte nur eine Minderheit andere Töne an, wenn John Pakington die Subvention von Maynooth positiv würdigte72 oder John Patten sich nicht von vornherein darauf festlegte, jegliche Konzessionen an die Katholiken abzulehnen73. Zu dieser Minderheit zählte auch Unterhausführer George Bentinck, der seine Meinung mit der ihm eigenen Unbeugsamkeit vertrat und damit bei seinen Wählern auf Vorbehalte stieß, wie der Bericht über seine Ansprache ausweist: I will remain the Protestant establishment untouched [. . .], but I think that the Catholics [in Ireland; AR] are entitled to an equivalent for what they have lost. (Murmurs.) I frankly express my opinions on this point. I know that I have the ball at my foot if I choose to hoist the old Orange flag, and raise the ‚No Popery‘ cry; but, conscientiously believing that such a course would be inconsistent with truth, and injurious to the interests of the protestant church, I would not adopt it to become the leader of the greatest party this party ever produced. [. . .] (Loud and continued cheering, mingled with disapprobation, and cries of ‚No Popery‘.)74
Da er in King’s Lynn keinen Gegenkandidaten zu fürchten hatte, war seine Wahl ins Unterhaus dadurch nicht gefährdet, doch machte ihm seine liberale religionspolitische Haltung große Schwierigkeiten in seiner Partei. Als sie nach der Wahl dem erstmals gewählten Baron Rothschild den Zugang verweigerte, indem sie gegen seine Entbindung von der Eidesformel stimmte, beklagte sich Bentinck, der über diese Frage stürzte, heftig über the great Protectionist party having degenerated into a ‚No Popery‘, ‚No Jew‘ party [. . .]. A party that can muster 140 on a Jew Bill and cannot muster much above half those numbers on any question essentially connected with the great interests of the empire, can only be led by their antipathies, their hatreds and their prejudices.75
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29. Juli 1847) und Henry Lennox (Chichester, 31. Juli 1847), in: THE TIMES vom 9. Juli, S. 8d, vom 27. Juli, S. 8a, vom 30. Juli 1847, S. 3f/4a, hier 4a (Clinton) und 5b (Gladstone), und vom 2. August, S. 3a, von Filmer (West Kent, 3. August), Burghley (South Lincolnshire, 4. August), Duncombe (North Riding, 6. August), Ossulston und Lovaine (Northumberland North, 7. August), in: THE TIMES, vom 4. August, S. 3c, vom 5. August 1847, S. 2e, 7. August, S. 3d, und vom 9. August, S. 3d bzw. 3d/e, hier 3e; vergleichsweise moderat (Rechtfertigung von Maynooth, aber Ablehnung weiterer Zuwendungen) die Adressen von Manners (Liverpool, 17. Juni 1847) und Adderley (North Staffordshire, 4. August) ‚ in: THE TIMES vom 21. Juni 1847, S. 3c/d, und vom 5. August, S. 3e/f, hier 3 f. Zum Problem der Subvention des Seminars von Maynooth allgemein vgl. NORMAN, AntiCatholicism, S. 23–51. Vgl. Pakingtons Adresse an die Wähler von Droitwich vom 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3c/d. Vgl. Pattens Adresse an die Wähler von North Lancashire, 3. August 1847, in: THE TIMES vom 4. August 1847, S. 3c/d; vgl. auch Edward Cayleys Adresse an die Wähler von North Riding vom 6. August 1847, in: THE TIMES vom 7. August 1847, S. 3d. Adresse Bentincks an die Wähler von King’s Lynn vom 30. Juli 1847, in: THE TIMES vom 31. Juli 1847, S. 3f-4b, hier 4b. Bentinck an Croker, 26. Dezember 1847, CROKER PAPERS III, S. 158–160, hier 159.
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VII. Religion und Kirche
Die Parteiführung, namentlich Derby, war sich über die Probleme eines solch überschäumenden Antikatholizismus im klaren76, hielt sich allerdings, gerade in Wahlkampfzeiten, für weitgehend machtlos: The Protestant fever runs high, and the utmost that can be done at the elections is to induce one’s friends to abstain from pledging themselves up to the ears by antiPopery declarations, which will be exacted by a vast majority of the constitutents.77
Nach den Wahlen hoffte Derby allerdings, diese Flut kanalisieren zu können, und in die rechten Bahnen gelenkt, mochten diese hochfahrenden Leidenschaften, so sein Kalkül, durchaus auch Chancen zu eröffnen. Sie mochten sich erstens positiv auf die Unterstützung für die Anglikanische Kirche auswirken78, und Derby hoffte zweitens auf eine Sammlung der Konservativen im Inneren, derer die Partei nach der Spaltung und angesichts der inneren Auseinandersetzungen um den Protektionismus dringend bedurfte. Drittens versprach er sich vom „No Popery cry“ äußeren Zulauf, indem die Konservativen die allgemeine antikatholische Stimmung im Lande und insbesondere unter vielen Radikalen auf ihre Mühlen lenkten und somit den liberalen und peelitischen Freihändlern Wasser abgrüben: If I can consolidate with them [the Conservatives; AR] the now awakened spirit of Conservatism, and at the same time keep the same within reasonable bonds, I can go to the country with a strong war-cry [. . .] ‚Protestantism, Protection, and down with the Income Tax‘. [. . .] among all its evils and all its dangers, the evocation of the Protestant spirit, which has been aroused, is not without its use. Even the most Radical towns, but especially the constituencies in which protestant Dissent has any power, are so furiously antiPapal, that that feeling will neutralize the cheap bread cry.79
Ein solches Kalkül mit hochfahrenden Emotionen zwang zu einer prekären Gratwanderung, weil sie kaum kontrolliert in der Balance zu halten sein konnten. Und sie schlugen 1851 einmal mehr aus, als der Papst in Rom in ei-
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Stanley an Croker, 12. September 1847, EBD., S. 134–136, hier 134 („We have [. . .] a nominal party of something like 230; but there is not a large amount of debating power among them; and unfortunately, the strongest bond of union among them is an apprehension of Popery, which I think exaggerated“). Stanley an Croker, 7. Juni 1847, EBD., S. 109 f., hier 110. Vgl. Redesdale an Stanley, 19. Januar 1851, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 149/6: „Protestant feeling in this country is very strong still (stronger than I thought it was) but very wild. There is nevertheless a sense of the importance of the Church as a shield against Rome, which may be turned to a good account if the movement is properly directed – and this is the point to which we must chiefly attend.“ Stanley an Croker, 22. März 1851, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237; zur Bedeutung der innerparteilichen Geschlossenheit in diesen Fragen vgl. auch Stanley an Herries, 9. Mai und 25. Juni 1851, NL Herries, BL London, Add MSS 57409, fol. 56 f. und 58 f.
2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852)
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nem „Akt monströser Dreistigkeit“80 seine vermeintlichen Herrschaftsansprüche manifestierte und einen „unverschämten Anschlag“ auf „die Suprematie der Königin“ verübte, „um die protestantische Religion in diesem Lande zu Fall zu bringen“81 – so zumindest die verbreitete insulare und insbesondere die konservative Sicht der Dinge. B)
DIE ECCLESIASTICAL TITLES BILL (1851)
Im Oktober 1850 wurde der englischen Öffentlichkeit bekannt, daß Papst Pius IX., ohne vorher mit der Königin Rücksprache gehalten zu haben, der katholischen Kirche in England erstmals seit der Reformation eine neue Diözesanordnung und episkopale Hierarchie zu geben gedachte, an deren Spitze, mit gleichem Titel wie der anglikanische Amtsträger, der Erzbischof von Westminster stehen sollte. In die schnell hochschlagenden Flammen öffentlicher Erregung goß Premierminister Russell, der die Stimmung für sich zu nutzen versuchte, weiteres Öl, als er Anfang November einen offenen Brief an den anglikanischen Bischof von Durham schrieb, in dem er sich entschieden gegen die päpstlichen Anmaßungen zur Vergabe territorialer Titel in England wandte und von „mummeries of superstition“ sprach82. In diesen öffentlichen Chor der antikatholischen Aufwallung, die auch die hochkirchlichen Traktarianer in ihre Entrüstung einbezog – „this Cockney no-Popery cry, headed by Johnny Russell, who bids far to close his political career in the character of a religious persecutor“, empörte sich Richard Cobden83 –, stimmten auch die Konservativen umgehend ein84.
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Rede Ashleys auf einer Versammlung in Freemason’s Hall am 5. Dezember 1850, HODDER, Shaftesbury II, S. 331–334, hier 331. Charles Henry Gordon Lennox, Adresse an die Wähler von West Sussex, 26. Juni 1852, West Sussex RO Chichester, Goodwood MS 1761, fol. 1188. Russell an den Bischof von Durham, 4. November 1850, in: EHD XII(1), 121/368. Zu Russells Brief vgl. auch PREST, Russell, S. 319–324. Cobden an Bright, 22. November 1850, MORLEY, Cobden, S. 549 f., hier 549. Vgl. auch die Tagebucheinträge Grevilles vom 10. und 21. November 1851, GREVILLE MEMOIRS VI, S. 256–259 und 259–261, bes. 260 („A more disgusting and humiliating manifestation has never been exhibited; it is founded on prejudice and gross ignorance“); seitens der Beteiligten vgl. Ashleys Rede auf der Versammlung in Freemason’s Hall am 5. Dezember 1850, HODDER, Shaftesbury II, S. 331–334, hier 331: „A foreign priest and potentate, who misunderstands and misgoverns his own people, who is kept on his miserable throne, to the oppression of his own subjects and all religious liberty, only by outlandish bayonets, [. . .] has presumed to treat this realm of England like ‚to a tenement or paltry farm‘ [. . .] and usurp the functions of our Royal Mistress.“ Vgl. Drummonds bereits zitierten Brief an J. Freshfield, 17. Dezember 1850, DRUMMOND, Speeches II, S. 377–379, sowie Hardwicke an Disraeli, 28. Dezember 1850, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden, 130/2, fol. 197–200 (alte Signatur: B/XXI/H/181), hier
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VII. Religion und Kirche
Die Parteiführung erwog das Ganze unterdessen allein unter parteitaktischen Vorzeichen. Disraeli kultivierte als protestantisch getaufter Jude ohnehin eine (zuletzt von der Forschung wieder verstärkt betonte) individuelle und eigenwillige Vorstellung seiner und allgemeiner „Jewishness“85 und verfügte dabei kaum über originäre und tiefergehende persönliche Bindungen an den Anglikanismus, über den er sich dementsprechend ebenso deklamatorisch wie wolkig äußerte. Solcherartige Religionsfragen und insbesondere die Ecclesiastical Titles Bill behandelte er daher ganz nach politischer Zweckmäßigkeit86. Ähnlich kalkulierte Derby „with reference to party objects“87 und, ganz unter taktischen Gesichtspunkten, mit „corn and Catholics“88:
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197 f.: „I would give the Minister all the support I could on his Popish affair & praise him in spades for the line he has taken.“ Vgl. etwa Disraelis Briefentwurf nach 1845, M&B IV, S. 350 („For myself, I look upon the Church as the only Jewish institution that remains, and, irrespective of its being the depository of divine truth, must ever cling to it as the visible means which embalms the memory of my race, their deeds and thoughts, and connects their blood with the origin of things. There are few great things left, and the Church is one. No doubt its position at this moment is critical, and, indeed, the whole religious sentiment of the country is in a convulsive state; but I believe the state of affairs is only one of the periodical revolts of the Northern races against Semitic truth, influenced mainly by mortified vanity in never having been the medium of direct communication with the Almighty; and that it will end as in previous instances, after much sorrow and suffering, in their utter discomfiture“); vgl. auch das Kapitel „Religion and the Jews 1847–1858“ in M&B III, S. 55–79; vgl. aus der neueren Forschung v.a. die Arbeiten von PAUL SMITH, bes. Disraeli, S. 6 und 86–105, sowie die Beiträge von PATRICK BRANTLINGER (Disraeli and orientalism) und TODD M. ENDELMAN („A Hebrew to the end“: The emergence of Disraeli’s Jewishness) in dem von CHARLES RICHMOND und PAUL SMITH edierten Band mit dem programmatischen Titel „The Self-Fashioning of Disraeli, 1818–1851“. Vgl. Disraeli an Stanley, 18. November und 7. Dezember 1850, DISRAELI LETTERS V, 2063/376–379 und 2069/384; vgl. auch SAAB, New Tories, S. 297, Disraeli an Granby, [24.?] Dezember 1850, DISRAELI LETTERS V, 2079/390, Disraeli an John Manners, 25. Dezember 1850, EBD., 2079/392 („The papal question will be difficult to deal with, but with courage & prudence, I don’t despair of appropriating the sound protestant feeling of the country“), die Antwort von Manners vom 29. Dezember 1850, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 106/1, fol. 170 f. (alte Signatur: B/XX/M/70), sowie Disraeli an Lady Londonderry, 20. April 1851, DISRAELI LETTERS V, 2122/429; etwas anders in der Tendenz und auf die künftigen Entwicklungen weisend Stanleys Tagebucheintrag aus dem Jahr 1855 zum Jahr 1851, STANLEY JOURNALS, S. 31–35, hier 34: „On the No-Popery agitation at this time raging furiously, D[israeli]’s ideas were moderate and wise. He disliked the movement, would do nothing to increase it, but if it must be dealt with, would try to direct it as much as possible away from the English Catholics, against the Pope and his foreign adherents. He had no measure, but would wait and see that of Govt.“ Stanley an Herries, 25. Juni 1851, NL Herries, BL London, Add MSS 57409, fol. 58 f., hier 58. Smith Child, Unterhausrede vom 21. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 366–368, hier 367, über seine eigene Partei „which strangely mixed up corn and Catholics together; who
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we should rather follow the stream, which is running quite strong enough, than attempt to take a lead of our own. I think the government are in a most awkward dilemma, from which they will find it very difficult to escape; and the more rope you give them the more chance there is of their hanging themselves at one end or the other.89
Auf Schwierigkeiten, gar ein Zerbrechen der Regierung über der Katholikenfrage zu bauen und dies behutsam zu befördern, empfahl ihm auch Lord Redesdale als taktische Marschrichtung, die ganz der gewohnten Direktive des Parteiführers entsprach: The Government has a shell in the cabinet in the shape of this Popish affair ready to explode and blow them to pieces at any moment. [. . .] What we have to take care of is that the shell shall explode, and this requires careful management. We must not commit ourselves to any movement, or to any definite policy on this question [.. .;] our line is to declare that we accept Lord John’s letter as expressing the opinion and indicating the policy of the Government [. . .] and consequently await patiently the measures they intend to propose. This will put them in an awkward position among themselves, with their radical and popish allies [. . .] without embarrassing us in any way.90
In diesem Sinne äußerte Derby bei der Eröffnung der Parlamentssession Anfang Februar 1851 seinen Protest gegen die „insolent, unauthorised, and illegal interference“ des Papstes „not with names and titles, not with shadows and ideas, but with substantial realities, in the government of the country“. Er forderte eine umfassende Maßnahme der Regierung, der er mit eindeutigen Hintergedanken zurief: „Deal manfully and boldly with the question“91. Die Regierung legte ihrerseits Anfang Februar die Ecclesiastical Titles Bill92 im Unterhaus vor, die erstens die Annahme territorialer Titel im Vereinigten Königreich durch Kleriker außerhalb der Anglikanischen Kirche unter erhöhte Strafe stellte, zweitens die Amtshandlungen und Schriftstücke von Geistlichen unter solchen Titeln für ungültig erklärte und drittens den Verlust von Pfründen (endowments) solcher Personen an die Krone vorsah.
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thought that to repel the aggression of the Pope was to re-enact the corn laws, and who seemed to consider Protestant ascendancy and a dear loaf as synonymous terms.“ Stanley an Malmesbury, 2. Dezember 1850, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 267. Redesdale an Stanley, 13. Januar 1851, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 149/6. Oberhausrede Stanleys (Address in Answer to the Queen’s Speech), 4. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 16–30, die Zitate 26, 27 und 30. Vgl. dazu allgemein (auch zur Vorgeschichte) CHADWICK, Victorian Church I, S. 291–309, MACHIN, Politics and the Churches, S. 209 f. und 213–227, sowie NORMAN, English Catholic Church, S. 99–108, NORMAN, Anti-Catholicism, S. 52–80, und PREST, Russell, S. 322–325 und 327–330.
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VII. Religion und Kirche
Bei der Vorlage der Bill hob Russell darauf ab, daß der Papst sich Suprematie und territoriale Souveränität in England angemaßt habe; daß solche weltliche Gewalt in England schon der Anglikanischen Kirche und erst recht also auch der Römischen Kirche nicht zukomme; und daß die zentralistische Papst- und Episkopalkirche mit ihrem geistlichen Absolutheitsanspruch „our notions of freedom, civil and religious“ zuwiderlaufe93. Um diese zivilen und religiösen Freiheiten, die die Anglikanische Kirche gewähre, die das römische Papsttum aber unterdrücke, drehten sich auch die folgenden Debatten, nicht zuletzt von konservativer Seite. Thomas Conolly etwa forderte on behalf of Protestants some guarantee against the temporal encroachment of the Bishop of Rome, and for the preservation of that liberty which always was considered as the birthright of Englishmen.94
Denn der katholische Episkopat, der Papst in Rom und Kardinal Wiseman in London planten die Errichtung einer „geistlichen Tyrannei“95, und sie strebten anstelle der Königin nach der Suprematie in England: the Pope, a temporal prince, had, in the appointment of those bishops, in the face of Europe, and in the teeth of that great empire, declared that England was his fief, and that he would divide and govern it;96
mit diesen weltlichen Herrschaftsansprüchen aber verstießen sie gegen das englische Recht97. Dabei redete sich Henry Drummond im Unterhaus dermaßen in Rage, daß seine antikatholischen Invektiven schließlich in tumul-
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Unterhausrede Russells vom 7. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 187–211, hier 194, 199, 206 und 209 (dort das Zitat). Unterhausrede Conollys vom 10. Februar 1851, EBD., Sp. 321 f., hier 322; ebenso die Unterhausreden Drummonds vom 7. Februar 1851, Ashleys vom 10. Februar, Spooners vom 12. Februar und George Hamiltons vom 14. Februar, EBD., Sp. 223–231, bes. 224, Sp. 300–312, bes. 301, Sp. 481–483, bes. 483, und Sp. 663–667, hier 667, sowie Loftus Wigrams vom 17. März und Drummonds vom 20. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 45–51, hier 45, und Sp. 261–280, hier 273. Unterhausrede Newdegates vom 20. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 233–256, hier 252 („spiritual tyranny“). Oberhausrede Malmesburys vom 21. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1116–1119, hier 1117; vgl. auch Ashleys Unterhausrede vom 10. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 300–312, hier 307. Vgl. die Unterhausreden Wigrams vom 17. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 34–51, hier 50, Newdegates vom 20. März, Walpoles vom 21. März und Thesigers vom 25. März, EBD., Sp. 233–256, hier 234–245, Sp. 381–399, hier 383 und 387, und Sp. 550–564, hier 558, sowie die Oberhausrede Lyndhursts vom 22. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1223–1235, hier 1225 f., und R.H. Cheneys Polemik Papal Pretensions in: QR 89, Nr. 178 (September 1851), S. 451–491, bes. S. 452, 480 f. und 485 f.
2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852)
403
tuarischen Zuständen endeten98. Solche Aufwallungen waren Derbys Sache nicht, und er suchte solche Übertreibungen zu dämpfen99; aber auch er sah zumindest die Gefahr eines Übergreifens päpstlicher Ambitionen von geistlichen Dingen auf weltliche, eines gradual growth and encroachment of the power of the Pope, and of the prelates acting under his authority, in interfering with matters not purely and strictly religious, and in assuming to themselves powers which, if not in violation with the law of the land, are at variance with that law.100
Ohne die Glaubensfreiheit der Katholiken in England einzuschränken101, sei es daher dringend geboten, die protestantische Verfassung des Landes entschlossen und aktiv zu verteidigen102. Wie nicht zuletzt die großen Mehrheiten bei den parlamentarischen Abstimmungen über das Gesetz zeigten, waren die Ausnahmen von dieser Stimmung nicht sehr zahlreich. Sie fanden sich außer bei den irischen Abgeordneten bevorzugt in den Reihen der Radikalen und Fortschrittsliberalen, die, trotz verbreiteter antikatholischer Affekte im ihnen nahestehenden Dissent und trotz eigener Vorbehalte gegen Rom, die vom Papsttum ausgehende Gefährdung für „an imaginary sentiment and nothing more“ und die gesamte öffentliche Erregung für Hysterie hielten103, sowie, aus den nämlichen Gründen, bei den in konfessioneller Hinsicht traditionell liberalen und toleranten Peeliten104. Vereinzelte, dafür erstaunlich deutliche Gegenstimmen waren auch von den konservativen Bänken zu vernehmen, ohne daß sie dabei einer der innerparteilichen Richtungen zuzuordnen waren. Sie beklagten die allgemeine Hysterie religiöser Intoleranz und Vorurteile105,
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Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 20. März 1851, HANSARD, 3/115, Sp. 261–280, bes. die Reaktionen Sp. 266 f. und 275–277. Vgl. auch Stanley an Newdegate, 12. Mai 1851, NL Newdegate, Warwickshire RO Warwick, CR 136/B 6633: zwar sei „the presence of a Cardinal in England [. . .] not necessary“ und auch „not expedient“, nicht aber (wie von Newdegate in einem Pamphlet behauptet) als Legat „illegal“. Oberhausrede Stanleys vom 21. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 1003–1026, hier 1023. Vgl. Ashleys Unterhausrede vom 10. Februar 1851, EBD., Sp. 300–312, hier 303. Vgl. etwa die Unterhausreden Joseph Napiers und Richard Spooners vom 12. Februar 1851, EBD., Sp. 458–466, hier 462–464, und Sp. 481–483. Vgl. Cobden an Bright 22. November 1850, MORLEY, Cobden, S. 549 f., hier 549, und die Unterhausreden Roebucks und Brights vom 7. Februar, HANSARD 3/114, Sp. 211–218, hier 211–213, und Sp. 242–256, bes. 244 f. (dort 244 das Zitat Brights). Vgl. die Unterhausreden von Francis Charteris vom 17. März, von James Graham vom 20. März, und von Gladstone vom 25. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 80–87, Sp. 280–309 und Sp. 565–597 (vgl. dazu auch ANNUAL REGISTER 1851, S. 51 f.). Vgl. die Unterhausreden Baillie-Cochranes vom 21. und Castlereaghs vom 24. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 359–362, und Sp. 481–483, bes. 482.
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VII. Religion und Kirche
die sich einen bloßen Popanz aufgebaut habe106, zumal die Maßnahmen des Papstes rein geistlicher Natur seien107 und gar keinen wirklichen weltlichen Machtanspruch erheben könnten: „You have only not to believe, and the Pope’s authority ceases and determines“108. Sie mahnten statt der aggressiven Wendung nach außen eine innere Besinnung auf die eigenen Stärken der protestantischen Verfassung an109. Der Mehrheit der Konservativen ging jedoch die Ecclesiastical Titles Bill, die Russell, nachdem er zwischenzeitlich kurzfristig zurückgetreten, aber wieder in sein Amt zurückgekehrt war, Anfang März erneut, nun aber in entschärfter Form vorlegte110, nicht weit genug, weil sie die Rechte der Church of England nicht ausreichend schützte – „a Jesuitical, hypocritical production – [. . .] a mere piece of clap-trap“, wie Colonel Sibthorp, der unbeirrbare Kämpfer für die Ulmen in Hyde Park, in der ihm eigenen Zuspitzung und in seiner antikatholischen Polemik nichtsdestoweniger repräsentativ brandmarkte111. Dennoch unterstützten sie das Gesetz112 mehr-
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Vgl. die Unterhausrede Beresford-Hopes vom 24. März 1851, EBD., Sp. 483–485, hier 485. Vgl. die Unterhausrede Alexander Oswalds vom 12. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 494–497, hier 494 und 497. Vgl. die Unterhausrede George Smythes vom 24. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 441–446, hier 441–443, das Zitat 443. Vgl. die Unterhausrede des irischen Protestanten John Young vom 24. März 1851, EBD., Sp. 468–472, hier 470 f.: „What the Roman Catholic religion boasted of, was the infallibility of her maxims, the unchangeableness of her doctrines, and the inflexibleness of her dogmas. What step, then, he asked, ought they to adopt to meet that ever-inflexible opponent? It was not by measures of restriction – it was not by penal laws. It was by the cultivation of the arts and the intellect, and by reinforcing those institutions by which the conscience would be protected, and under which that country had grown up to the maturity and greatness at which she had arrived. What Protestantism boasted of was, that it was open, and that it appealed to the intelligence and reason of the human race. Her strength lay in free discussion; and where there was free debate and the liberty of the press, religious liberty was safe. [. . .] What appeared him to be their duty, was, to maintain in dignity and respect the Established Church, and then to afford to all who dissented from its doctrines complete toleration. He believed that toleration was as essential to the safety of the established Church as it was in accordance with its doctrines.“ In der modifizierten Version fehlten die ursprüngliche zweite und dritte Klausel. Unterhausrede Sibthorps vom 7. März 1851, HANSARD 3/114, Sp. 1161 f., hier 1161; vgl. auch die Unterhausreden von John Stuart, Robert Inglis, George Bankes, Claud Hamilton („an insult and a mockery to the Protestants of this realm“), Charles Newdegate, John Frederick Stanford und John Plumptre ebenfalls vom 7. März, EBD., Sp. 1137–1140, hier 1139, Sp. 1141, Sp. 1141–1144, hier 1142 und 1144, Sp. 1145 f., hier 1146, Sp. 1152–1154, hier 1154, Sp. 1154–1159, hier 1154 f., und Sp. 1159 f., hier 1160, die Unterhausreden von Robert Inglis vom 14. März 1851, EBD., Sp. 1365–1375, hier 1371 („in the first instance, a miserably defective Bill, and from that he had subsequently extracted almost all that was valuable“), von Brownlow William Knox vom 20. März, HANSARD 3/115, Sp. 256 („A wretched remnant“), und Frederick Thesiger vom 25. März 1851, EBD., Sp. 550–564, hier 550 und
2. Katholizismus als Gefahr (1845–1852)
405
heitlich, um weitere katholische Übergriffe bereits im Ansatz zu vereiteln: „principiis obsta“113. Auch Disraeli stimmte dem Gesetz zu, nachdem er eine ungewöhnlich blasse Rede gehalten hatte, die seiner ebenso wenig konkreten und inspirierten Rede bei der Vorlage der Bill entsprach114. Diese Katholikenfrage war ganz offensichtlich nicht sein Thema. Und als Stanley Anfang Mai sichtlich erleichtert in seinem Tagebuch notierte, daß auf einem Parteitreffen anläßlich der Komiteeberatungen der Ecclesiastical Titles Bill keine „violent anti-papal speeches“ gehalten wurden und „on the religious subject men seemed to have become more rational“115, deutete sich noch während der antikatholischen Aktion an, daß die Parteiführung zur Abrüstung einer schwer kontrollierbaren Waffe neigte, die obendrein bestenfalls zur Bekämpfung von Pappkameraden taugte, mit der aber keine nachhaltigen Siege zu erzielen waren. C)
ABRÜSTUNG DES ANTIKATHOLIZISMUS NACH 1852
Im Zuge seiner Bemühungen um eine zukunftsfähige inhaltliche Neuausrichtung der Konservativen nach 1846, insbesondere seit seinem eigenen Antritt als Unterhausführer 1849, unterzog Disraeli die Programmatik der Partei einer kritischen Musterung und kam dabei zu vernichtenden Ergebnissen sowohl in bezug auf den Protektionismus als auch auf den Antikatholizismus: We framed an Opposition on Protection and Protestantism [. . .,] those exclusive and limited principles, clearly unfitted for a great and expanding country, of various elements, like this of ours.116
Wenn Disraelis Vertraute in der Einschätzung der Folgewirkungen schwanken mochten, ob der Partei, so Henry Lennox, „promising young stuff for
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561–564, sowie die Oberhausrede Winchilseas vom 22. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1219–1223, hier 1222 f. STATUTES OF THE REALM, 14 & 15 Vict. c.60, abgedruckt in: EHD XII(1), 122/369 f. Vgl. die Unterhausreden von Inglis, 14. März 1851, HANSARD 3/114, Sp. 1365–1375, hier 1375, von Wigram, 17. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 45–51, hier 50 (dort das Zitat), von Ralph Lopes, 18. März 1851, EBD., Sp. 128–131, hier 130 (dort ebenfalls das Zitat), von Newdgate, 20. März 1851, EBD., Sp. 233–256, hier 233, und von Thesiger, 25. März 1851, EBD., Sp. 550–564, hier 563, sowie die Oberhausrede Lyndhursts vom 22. Juli 1851, HANSARD 3/118, Sp. 1233–1235, hier 1235 (dort abermals das Zitat). Vgl. Disraelis Unterhausreden vom 25. März 1851, HANSARD 3/115, Sp. 597–605, und vom 7. Februar 1851, HANSARD 3/114, Sp. 256–262. Tagebucheintrag Stanleys vom 5. Mai 1851, STANLEY JOURNALS, S. 64. Disraeli an Henry Lennox, 18. Juli 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2335/93.
406
VII. Religion und Kirche
so absurd & bigoted a piece of folly“ verloren gehe117, oder ob die Konservativen darauf vertrauen durften, daß, so die schonungslos realistische und zugleich fatalistische oder zynische Analyse des jungen Stanley, „reasonable people are tolerant of such manoeuvres at election time, and the unreasonable are mostly with us“118 – jedenfalls fiel die Bestandsaufnahme des virulenten Antikatholizismus keineswegs zu seinen Gunsten aus, wie Disraeli ohne Rücksicht auf die überkommenen Befindlichkeiten der Partei formulierte: We built up an opposition on Protection & Protestantism. The first the country has positively pissed upon. I don’t think it has done us any harm. [. . .] I did not much like our second great principle, but reluctantly gave in my adhesion to it under the belief, that there were particular circumstances, wh: rendered its adoption less injurious, than a profession of so limited a principle wo[ul]d otherwise have been. It seems however to have worked us harm.119
In der Tat gab sich Disraeli dem römischen Katholizismus gegenüber künftig moderat, und so verhielt sich auch das konservative erste Kabinett Derby insgesamt120. Dabei hatte auch seine fürderhin demonstrative Toleranz121, wie seine gesamte Religions- und Kirchenpolitik, ihre genuin taktische Komponente, da er bei den Katholiken ein konservatives Wählerpotential vermutete und dies im Wahlkampf von 1859 auch ganz konkret, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg und nachhaltige Wirkung anzuzapfen versuchte122. In den Wahlkämpfen von 1857 und 1868 war insgesamt ein deutlich geringeres Maß an antikatholischen Äußerungen zu vernehmen als 1847, wenn auch eine keineswegs unbedeutende Minderheit, prominent
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Henry Lennox an Disraeli, 7. August 1852, EBD., 2352/106 Anm. 1. Stanley an Disraeli, 19. Juli 1852, EBD., 2336/95 Anm. 1. Disraeli an Stanley, 18. Juli 1852, EBD., 2336/95. Vgl. Disraeli an Bulwer, Anfang Oktober 1852, EBD., 2409/161 f.: „Everything is really different from what it appears on the surface. Instead of the continuance of Ld D’s government being a circ[umstanc]e hostile to the rights & privileges [of] our R.C. popul[ati]on, the existence of that govt. is at this moment the only cause wh: prevents an eruption of feeling agst R Catholicism. [. . .] It will be strange if for the mild wisdom of a Conservative Cabinet is substituted in this country a soi-disant Prot: Government sympathising with the Republicans of Rome. Yet, believe me, stranger things have happened.“ Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 21. Juli 1852, STANLEY JOURNALS, S. 76 f., hier 76 (Disraeli „spoke despondingly of the elections, laying all the blame of what he called our failure on the proclamation respecting R. Catholic processions, which has created great exasperation and alienated many moderate men, even on our own side. But this proclamation was carefully framed, with his approval, with a view to its effect upon the Protestant voters!“), und vom 18. Februar 1861, EBD., S. 167 (Disraeli „says the union of the R. Catholics with the Conservative party has been his object for twenty years“). Vgl. dazu HOPPEN, Tories, Catholics, and the Election of 1859.
3. Church Rates und Dissent (1853–1868)
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darunter insbesondere Charles Newdegate, von ihrem eingefleischten Antikatholizismus nicht abließ123. Ebenso wie der Protektionismus erwies sich der vehemente Antikatholizismus, wie er, in Anlehnung an frühere Agitationen, im Zusammenhang der Parteispaltung nicht nur von vielen einzelnen Konservativen, sondern auch von der Partei insgesamt betrieben wurde, trotz der affektiven Neigung zahlreicher Parteigänger alles in allem nicht als dauerhaft tragfähige Basis konservativer Politik124. Zudem wurde diese Agitation auf einem Nebenkriegsschauplatz ausgetragen, der mit dem großen Kampf um die gesellschaftliche und politische Verfassung des Landes nichts zu tun hatte und die dort erforderlichen Kräfte band, zumal die Abwehrfronten gegen Katholizismus und „Demokratie“ keineswegs deckungsgleich verliefen. Die Parteiführung, und wieder war es in maßgeblicher Weise Disraeli, rüstete daher nach 1852 zusammen mit dem Protektionismus ihren Antikatholizismus ab. Während eine starke Minderheit unter antikatholischen Waffen blieb, folgte der mainstream der Partei diesem Kurswechsel, der das konservative Augenmerk in religionspolitischen Fragen zugleich auf den Dissent richtete, der den Konservativen als konfessioneller Flügel in einer Front mit seinem Hauptgegner, dem Manchester-Radikalismus, gegenüberstand. Disraelis Konzentration auf das Operationsgebiet der Verfassungspolitik anstelle des sozio-ökonomischen Feldes hatte allerdings zugleich Konsequenzen für die Einschätzung der Bedeutung des religiösen Aufmarschgebietes.
3. SACHFRAGE ODER VERFASSUNGSKONFLIKT? CHURCH RATES UND DISSENT (1853–1868) „The Established Church is the only Church in which the poor have a right to go and to worship God, and hear his Words preached without paying for it“, schrieb Henry Drummond im November 1858 in seinem offenen 123
124
Vgl. dazu, als repräsentative Auswahl, Cross’ Entwurf einer Adresse an die Wähler von Preston, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/30, und die Wahladressen von Beresford-Hope (Maidstone, 11. März 1857), Henry Selwyn (Ipswich, 20. März) und William Smith (West Kent, 3. April 1857), in: THE TIMES vom 20. März 1857, S. 8b (und öfter), vom 23. März, S. 12c, und vom 4. April 1857, S. 7e, sowie die Adressen von Newdegate (North Warwickshire, vor 13. Oktober und 4. November 1868), P. Twells (City of London, 26. Oktober 1868), Pakington (Droitwich, 29. Oktober und 6. November) und Alderman Gibbons (City of London, 3. November 1868), in: THE TIMES vom 13. Oktober 1868, S. 6a, und vom 6. November, S. 7f/8a, hier 7 f., vom 27. Oktober, S. 5a, vom 31. Oktober, S. 7d/e, hier 7e, und vom 9. November, S. 7d, sowie vom 4. November 1868, S. 7b. Vgl. auch GASH, Reaction, S. 99, und MCDOWELL, British Conservatism, S. 67 f.
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VII. Religion und Kirche
„Letter to Mr. Bright on his Plan for Turning the English Monarchy into a Democracy“. Ganz anders stehe es mit dem überwiegend in den Mittelschichten beheimateten Dissent: dort seien Kirchen und Gottesdienst, bar sozialer Verantwortung für die Armen, allein der eigenen Klientel vorbehalten125. Mit dieser knappen Gegenüberstellung brachte der Hochkonservative in einem den gesamten Resonanzraum der alten konservativen Begrifflichkeit von den middle classes zum Klingen, die als klassenegoistisch und materialistisch, unmoralisch, inhuman und letztlich unchristlich diskreditiert wurden126. Somit erstreckte sich die Front des fundamentalen weltanschaulichen Gegners von der Wirtschaft und Gesellschaft, hier in Form der Manchester-School, über die Politik, hier als Radikalismus und Demokratie, bis hin zu Kultur und Religion, im Gewande des Dissent. So sah auch Robert Cecil die Lage: Während die Anglikanische Kirche sich nach den Bedürfnissen der Menschen richte und daher von kurzfristigen Schwankungen des Zeitgeistes unabhängig bleibe, handle der Dissent nach dem „commercial principle of supply and demand“; er stelle seine Dienste nur gegen Bezahlung zur Verfügung und sei damit zugleich von den kulturellen Konjunkturen abhängig. Über den Vorwurf des „spirit of rash and theoretical change“ war Cecil dann ohne weiteres bei der Verbindung von „democrats and Dissenters“ und ihrer „Allianz“ gegen den gemeinsamen Feind: die Staatskirche und damit natürlich zugleich die gesamte Gesellschafts- und Verfassungsordnung127. So erwartete der Hocharistokrat aus Hatfield House in den sechziger Jahren denn auch für die allernächste Zeit „die volle Wucht des Angriffs, der lange herangereift ist und dessen erste Gefechte bereits stattgefunden haben“. Dabei gehe es nicht um irgendwelche Außenposten, sondern „um die Zitadelle, die wir halten“128. Nun waren sowohl Drummond als auch Cecil weder tagespolitisch noch begrifflich auf der Höhe der Parteiführung und nach 1852, erst recht in den sechziger Jahren auch nicht repräsentativ für die Partei. Aber auch ein moderater und Disraeli nahestehender, kirchlich fest verwurzelter Parteigänger wie Stafford Northcote hielt die Frage der Verbindung von Staat und Kirche
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Vgl. DRUMMOND, Letter to Mr. Bright, S. 8. Vgl. dazu Kapitel IV.3.a). Cecil, Church Rates, in: QR 110, Nr. 220 (Oktober 1861), S. 544–578, hier 553 f. und 545. Cecil, The Church in her Relations to Political Parties, in: QR 118, Nr. 235 (Juli 1865), S. 193–224, hier 224: „During the next five or six years, we shall probably have to bear the brunt of the attack that has been long maturing, and of which the first skirmishes have already taken place. The contest will differ from all to which we have been recently accustomed, in that it is no longer for the outworks, but for the citadel of the position that we hold.“
3. Church Rates und Dissent (1853–1868)
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und die Bewahrung der Staatskirche, wie er 1866 in sein Tagebuch notierte, für ein keineswegs leichtes Unterfangen und für das nächst der Parlamentsreform wichtigste Problem auf der politischen Agenda der Konservativen129. Ob dem wirklich so war, konnte sich anhand der jahrelangen Kontroversen um die church rates erweisen. Denn hier stießen die religionspolitischen Fronten der Anhänger der Staatskirche und der Gegner dieser engen Verbindung von Kirche und Staat, den Disestablishers, die sich zumeist aus dem Dissent rekrutierten, aufeinander. Bei den church rates handelte es sich nicht um die regulären Kirchensteuern (das waren die tithes), sondern um kommunale Abgaben zur Instandhaltung der Pfarrkirchen und des Kirchenbetriebs, deren Erhebung von der Gemeindeversammlung (parish vestry) beschlossen wurde und deren Zahlung von der konfessionellen Zugehörigkeit der Steuerzahler unabhängig war. Das Problem lag also darin, daß im Falle eines solchen kommunalen Beschlusses auch steuerzahlende Angehörige anderer Konfessionen und Denominationen, zumeist also des Dissent, für die Erhaltung der anglikanischen Kirchenbauten und den Betrieb des staatskirchlichen Gottesdienstes aufkommen mußten. Insbesondere die nonkonformistische Liberation Society, 1844 unter dem Namen Anti-State Church Association gegründet und 1853 in Society for the Liberation of Religion from State Patronage and Control umbenannt130, forderte daher die Abschaffung der church rates. Seit 1854 wurden im Unterhaus regelmäßig dementsprechende Anträge eingebracht und debattiert131. 129
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Vgl. Northcotes Tagebucheintrag vom 4. Februar 1866, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063A, fol. 63–65, hier 64 (mit etwas anders gerichteter als hier herausgehobener kirchenpolitischer Aussagetendenz): „I told Dis that I thought the chief question for us to consider was the future position of the party when the Reform hitch should have been got over. The question of the relation of Church and State will probably become the most important with which we shall have to deal. We must endeavour to maintain the Establishment without unduly subjecting the Church to the State. This will be difficult under any circumstances, but especially so if the Government we form does not command the confidence of Churchmen. Already some of the High Churchmen are so alarmed at the danger of Erastianism that they are for a free Church, and they look to W.E.G. as their leader to that result. If we compose our Cabinet of men who have so little of their confidence as Stanley, Lowe and Horsman the breach may be precipitated, and men like myself may be forced to join the free Church party as the lesser evil.“ Vgl. ELLENS, Routes, S. 115–119, und MACHIN, Politics and the Churches, S. 161–164 und 291 f. Vgl. dazu allgemein (und mit Blickrichtung auf die Verbindung von Gladstone und den Nonkonformisten im Gladstonismus) ELLENS, Routes, S. 10–17, 115–166 (für die Jahre bis 1859 unter Einschluß des zweiten Kabinetts Derby), 167–222 (für die Debatten der Jahre
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VII. Religion und Kirche
Die Debatten der Jahre 1854 und 1856 bereiteten das argumentative Feld für das eigentliche Kräftemessen ab 1858. Die abolitionistischen liberalen Dissenter brandmarkten die church rates als ungerecht und verwiesen auf das Prinzip der Freiwilligkeit, mit dem auch der Dissent operierte. Sie sprachen obendrein dem Staat und damit der Staatskirche die Aufgabe der religiösen Erziehung ab, zumal die Anglikanische Kirche ihre reformatorische Substanz verloren habe132. John Bright attackierte die Staatskirche als Institution breitseits, die, ebenso wie die church rates, nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung auf ihrer Seite habe. Wenn er ganz generell am gesamtgesellschaftlichen Nutzen der Staatskirche zweifelte und anglikanischer Dürre den „deepening, widening, fertilising, and purifying stream of nonconformity“ entgegenhielt133, dann argumentierte er so, wie es Cobden für die Mittelschichten gegen die Aristokratie tat, und enthüllte seinerseits die umfassende Frontstellung von Radikalismus und Konservativen. Demgegenüber argumentierten die Konservativen mit denselben Mustern und Begriffen wie auf genuin gesellschaftspolitischer Ebene, um den Radikalen den Anspruch auf die societas civilis abzustreiten. So betonte John Manners die gemeinwohlorientierten, sozial benevolenten, moralischen Qualifikationen der Anglikanischen Kirche: gerade die church rates verkörperten die aus dem Eigentum erwachsende soziale Verpflichtung des Landbesitzers „of obtaining a church which is free to the poor of the land“134, und die Staatskirche diene wesentlich dem „benefit of the poor“135. Angesichts ihres gesellschaftlichen Nutzens gefährde daher die
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1859–1865) und 223–262 (für die Lösung des Konflikts zwischen 1865 und 1868), sowie MACHIN, Politics and the Churches, S. 258 f., 289–292 (1858), 311–319 (1859/60) und 349–355 (1867/68 und die Abschaffung). Vgl. die Unterhausreden von Apsley Pellatt und John Patrick Murrough vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 427 f. und Sp. 428–430, hier 429: „The reformation of the Church is a question upon which no sincere Churchman would desire a compromise; through a continued system of compromise she has lost not only the respect of the people, but even that ecclesiastical action necessary to her well-being. Local as the most unimportant institution, an Anglican propaganda is unknown. Simony has corrupted the character of her priesthood, and estranged them from cures with whom they have no sympathy, and [. . .] the moral structure of a nation’s mind, which it was their duty to embellish and adorn, has, by them been utterly disregarded.“ Unterhausrede Brights vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 459–469, hier 461 und 465 (dort das Zitat); vgl. auch seine Unterhausrede vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 277–291, hier 289. Unterhausrede Manners’ vom 5. März 1856, HANSARD 3/140, Sp. 1876–1892, hier 1888; vgl. auch seine Unterhausrede vom 21. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1441–1446, bes. 1443–1445. Vgl. zu diesem verbreiteten Argument die Unterhausrede Charles Packes vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 456–458, hier 457 („The Established Church was, in fact, not intended
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Aufhebung der church rates den sozialen Frieden im Land. Denn die Abschaffung dieser althergebrachten Finanzierungsquelle führe zum Ruin der Staatskirche, für die das nonkonformistische Freiwilligkeitsprinzip aufgrund ihrer umfassenden nationalen Aufgaben nicht ausreiche. Ungerecht seien die church rates obendrein insofern nicht, als alle Steuern, unabhängig von der konkreten Verwendung, für alle Steuerzahler verbindlich seien136. Die wahre Frage, um die es gehe, so argumentierte die prinzipienfeste Richtung weiter, sei ohnehin „as to whether the Church should be destroyed as a national establishment, or maintained in the same manner as heretofore“137. Von dieser tendenziell kompromißlosen konservativen Linie, die in der Initiative zur Abschaffung der church rates einen Anschlag auf die Verfassung und in der Auseinandersetzung somit einen fundamentalen Verfassungskonflikt sah, wich unterdessen eine pragmatischere, grundsätzlich, wenn auch nicht uneingeschränkt kompromißbereite Haltung von Konservativen ab. Die von der Parteiführung betriebene spürbare Entspannung in der gesellschaftspolitischen Konfrontation mit dem Manchester-Radikalismus nach 1852 färbte auch auf die Religionspolitik ab und schuf Raum für Pragmatismus. In der Frage der church rates zeichnete sich die Möglichkeit einer Exemtion der Dissenter von der Zahlung gegen Verlust ihrer Mitsprache und des Anspruchs auf Leistungen in der Kirche ab, während eine generelle Abschaffung der church rates und erst recht natürlich eine formelle Trennung von Staat und Kirche kategorisch abgelehnt wurden138.
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for individuals merely, but for the nation collectively, and particularly for the poorer classes of the country, and the question raised by this Bill was, were they prepared to destroy the established Church as such, or were they not?“), die Unterhausreden von Charles Newdegate vom 21. April und von Brook Bridges und Spencer Walpole vom 8. Juni 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1451 f., hier 1451, und HANSARD 3/150, Sp. 1706–1708, dort 1707 das Zitat, sowie Sp. 1719–1722, hier 1722, die Oberhausrede von Lord St. Leonards vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 807–811, hier 807 f., und die Unterhausreden Robert Montagus vom 13. Juli 1859 und vom 8. Februar 1860, HANSARD 3/154, Sp. 1140–1148, hier 1144, und HANSARD 3/156, Sp. 647–657, hier 649. Vgl. die Unterhausreden Henry Liddells vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 434–437, bes. 435 und 437, sowie Drummonds vom 5. März 1856, HANSARD 3/140, Sp. 1907–1910, hier 1907 f.; vgl. auch die Unterhausrede von Charles William Packe vom 8. Juni 1858, HANSARD 3/150, Sp. 1708–1710, hier 1709 („With regard to raising the amount required by voluntary contributions that was just as reasonable and practicable a proposal as if the Chancellor of the Exchequer were to bring forward a voluntary budget for levying voluntary taxes“), und die Oberhausrede Derbys vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 824–837, hier 829 („the principle that no individual should be subject to any charge of which he himself did not happen to approve [. . .] strike[s] at the root of the whole system of taxation of this country. Within certain limits and for certain purposes of importance the majority as to taxation must have the power of binding the minority“). Unterhausrede Charles Packes vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 456–458, hier 456 f. Vgl. Manners’ Unterhausrede vom 5. März 1856, HANSARD 3/140, Sp. 1876–1892, bes.
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Eine kompromißorientierte Position hatte Edward Stanley schon vor Beginn der ersten parlamentarischen Debatten öffentlich bezogen139: die church rates würden als ungerecht empfunden und gärten daher als Unzufriedenheitspotential in der Gesellschaft. Sie seien zwar mit dem staatskirchlichen Prinzip vereinbar, aber angesichts der vergleichsweise geringen Beträge – sie machten zwischen 1/60 und 1/120 der Gesamteinnahmen der Kirche aus – lohne es nicht, auf einem starren rechtlichen Standpunkt des unbedingten Bewahrens zu verharren: Is this a tax worth fighting for? ‚No change or compromise‘ may be a fit motto for Rome; but it is scarcely one which can or should be adopted by our Reformed and Protestant Church.
Es sei viel zweckmäßiger, den Dissentern auf Antrag die Zahlungspflicht für die church rates zu erlassen; dann dürften sie in Kirchenfragen nicht mehr mitbestimmen, sollten aber gegen eine Gebühr auf geweihtem Boden begraben werden dürfen. Somit werde das „stigma of an ancient and still existing unjustice“ getilgt, der soziale Friede wiederhergestellt, und die Kirche gewinne den Respekt, zumindest die Neutralität „of numerous classes now arrayed in bitter hostility against her“140. Stanley war sich dabei im klaren und auch keineswegs abgeneigt, daß sein Plan einer Exemtion der Dissenter letzten Endes auf die Abschaffung der church rates hinauslaufe141, für die er seit 1858 offen eintrat142. Verbergen ließ sich dies auch zuvor nicht, und so empfand John Bright Stanleys Schrift als well written, and very liberal in spirit, indicating a large freedom from prejudices and bigotry. I suspect some of his friends will begin to doubt his orthodoxy in ‚Conservatism‘.143
In der Tat war eine (wenn auch nur potentiell) so weitgehende Haltung unter den Konservativen keineswegs mehrheitsfähig, und Stanley selbst spürte die wachsende Distanz zwischen seinen zunehmend liberalen Positionen und der Mehrheit der Partei144, die in dieser Frage zunächst ohne
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1878; vgl. auch die Adresse John Trollopes an die Wähler von South Lincolnshire vom 1. April 1857, in: THE TIMES vom 3. April 1857, S. 5f. Vgl. STANLEY, Church Rate Question (Mai 1853), zum folgenden bes. S. 2 und 51, sowie seinen Artikel „Church Rates“ in der PRESS vom 20. August 1853, Vol. I, Nr. 16, S. 361 f., das folgende Zitat 362. STANLEY, Church Rate Question, S. 2. Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 18. Mai 1853 und vom 23. Mai 1854, STANLEY JOURNALS, S. 107 und 125. Vgl. Stanleys Unterhausrede vom 17. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1570–1575. Tagebucheintrag Brights vom 25. Mai 1853, BRIGHT DIARIES, S. 144. Vgl. Stanley an Disraeli, 27. Januar 1857, M&B IV, S. 61–63, hier 62.
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aktive Führung blieb. Denn Disraeli und Derby hielten sich zu Beginn der Debatten um die church rates auffällig zurück. Ein Indiz für Disraelis Position mochte allerdings die höchst pragmatische Position der Press sein, die in der Regel orthodox auf Disraelis Kurs lag und in dieser religionspolitischen Frage eine Haltung des „live and let live“ an den Tag legte145. Eine andere Ausnahme innerhalb der Konservativen stellte der Dissenter Edward Ball dar, der, darin Stanley ähnlich, für die Abschaffung der church rates eintrat, um „bitterness“ zu beseitigen und gesellschaftliche Harmonie herzustellen. Er hielt der Staatskirche das Freiwilligkeitsprinzip der Nonkonformisten entgegen, mit dem auch sie gesellschaftliche Leistungen wie Schulen und biblische Bildung erbrächten; sein Verweis auf die Ergebnisse des census von 1851, daß Großbritannien nämlich mehr praktizierende Dissenter als Anglikaner zähle, streute dabei Salz in die Wunden der Staatskirche und markierte ihre offene Flanke146. Doch um die Mitte der fünfziger Jahre spitzte sich der Streit noch nicht zu, da die Whig-Liberalen, namentlich John Russell, die Gesetzesvorlagen als Versuch einer Trennung von Staat und Kirche ablehnten, Russell aber ebenso wie die Konservativen von der Notwendigkeit der Bewahrung der Staatskirche als Teil der Verfassung als Ganzes überzeugt war und sich für pragmatische Regelungen, aber gegen die Aufhebung der church rates aussprach. Diese aber, nicht die Exemtion, stand zur parlamentarischen De145
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Vgl. die Artikel „Church Rates“ in der PRESS vom 27. Mai 1854, Vol. II, Nr. 56, S. 483 („the Church and its best friends would do well to consider in what way those funds for the repair of churches, and for the decent performance of divine service, which have heretofore been raised from church rates, can be otherwise obtained“), und vom 23. Juni 1855, Vol. III, Nr. 112, S. 582 (dort das Zitat): „On the one hand, the Church is our national endowment – God’s gift to us. The hallowed fabrics of her worship are our national property – most especially and most sacredly they are the inheritance and birthright on our poor. On the other hand, there are many who dissent from her forms of worship, maintain at their own cost their own, and do not approve of being made to pay for both. Let us [. . .] accept the situation. The principles of a settlement of the Church-rates question [. . .] should be something of this sort. The maintenance of the fabrics should be borne by the nation, as the maintenance of all our other social apparatus is, in the shape of a county rate. Let any one who dissents from this arrangement be excused from payment of this extra penny in the pound (it would be no more) on his certifying his dissent before two Justices of the Peace. Let it be paid by the rest. As the natural result of this, let the persons dissenting cease to have any voice in the management of our churches [. . .;] let all the costs of worship (as distinct of the maintenance of the fabrics) be provided for by the church vestry, or by the congregation; and then let them be left to manage their own affairs without the interference of dissenters, just as the private affairs of dissenting chapels are free from the interference of Church people.“ Vgl. Balls Unterhausrede vom 21. Juni 1854, HANSARD 3/134, Sp. 437–441, hier 437 (dort das Zitat) und 439; vgl. auch seine argumentativ deckungsgleiche Unterhausrede vom 17. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1565–1568.
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batte und wurde am 21. Juni 1854 mit 209 zu 182 Stimmen abgelehnt; zwei Jahre später wurde der parlamentarische Antrag, nachdem er allerdings zunächst eine Mehrheit gefunden hatte, zurückgezogen147. Für die Anhänger der Staatskirche stellte sich die Frage, ob sie mit dem Scheitern zufrieden sein oder die Abstimmungsergebnisse als Vorboten künftigen Unheils auffassen sollten, wie es der Bischof von London tat: Ground is already broken for the assault by the proposal to abolish Churchrates altogether; and although the principles on which those are claimed by the Church differs materially from that upon which she grounds her right to tithes, or an equivalent to tithes, her adversaries flatter themselves that if they succeed in carrying the outworks, the citadel will, ere long, be forced to capitulate.148
Dahinter stand die eigentliche Frage, ob die religionspolitische Materie der church rates als Gegenstand eines verfassungspolitischen Grundsatzkonflikts oder einer kompromißfähigen Sachauseinandersetzung eingestuft wurde, mit der man den Disestablishern Wind für weitere Manöver aus den Segeln nehmen konnte. Diese Frage war vor allem seitens der Parteiführung zu klären, als die Debatten 1858 in ihre heiße Phase eintraten, die sich, mit Unterbrechungen, schließlich über zehn Jahre hinzog. Nach einer Debatte, in der die bekannten Argumente ausgetauscht wurden, fand am 17. Februar 1858 die zweite Lesung über die church rates abolition Bill eine Mehrheit von 214 zu 160 im Unterhaus149, die damit die entscheidende Hürde genommen hatte. Die Vertreter der strikten und kompromißunwilligen pro-staatskirchlichen Richtung, die sich in weiten Teilen, aber nicht vollständig mit dem hochkonservativen Flügel in gesellschaftsund verfassungspolitischen Fragen deckte, artikulierte sich daraufhin über das 1856 zur Verteidigung der church rates gegründete Committee of Laymen150. Ihm gehörten unter anderem Charles Adderley, Robert Cecil, der Duke of Marlborough, John Manners, Charles Newdegate, Stafford Northcote, John Pakington und Richard Spooner an151, die allerdings keine in allem identische Linie verfolgten, sondern sich hinsichtlich ihrer Kompromißbereitschaft durchaus unterschieden. Am 19. April 1858 sprach eine
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Vgl. HANSARD 3/134, Sp. 475–478, sowie HANSARD 3/140, Sp. 1924–1927, und HANSARD 3/142, Sp. 476. Aufzeichnung Blomfields vom 21. September 1854, BLOMFIELD MEMOIR II, S. 169–172, hier 171. Vgl. HANSARD 3/148, Sp. 1583–1585. Vgl. dazu MACHIN, Politics and the Churches, S. 292 und 312, und ELLENS, Routes, S. 136 f., 141 und 147 f. Vgl. die Adresse des Committee of Laymen Nr. 1: Church Rates vom März 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86.
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Abordnung von „Members of Parliament and others interested in the welfare of the Church of England“ bei Lord Derby vor152, der inzwischen als Premierminister in Downing Street eingezogen war. Sie argumentierten nicht pragmatisch, wie Cecil es im Unterhaus getan hatte, indem er auf die geringe Zahl akuter Probleme mit den church rates in gerade einmal 5% der Pfarrgemeinden hingewiesen und für eine Beibehaltung der Wahlfreiheit für die einzelnen Gemeinden plädiert hatte153, sondern grundsätzlich: Die Bewegung zur Abschaffung der church rates sei wesentlich politisch motiviert. Die vorgebrachten Gewissensgründe wurden in Zweifel gezogen, den betreffenden Dissentern hingegen (so auch in den folgenden Unterhausdebatten) in sozialmoralisch delegitimierender Absicht unterstellt, sie wollten bloß Sozialbeiträge einsparen154. Vor allem aber gehe es ihnen um die Trennung von Staat und Kirche, ihr Ziel sei „the destruction of the National Church“155. Eine Abschaffung der church rates wäre nicht nur ein „act of spoliation“, mit dem der Kirche eine wesentliche Finanzierungsgrundlage entzogen würde, sondern zugleich eine Kapitulation des ersten attackierten Außenpostens156 und somit ein „signal for fresh attacks and an encouragement to make them“157. Als Gegenmaßnahme schlugen die Herren eine Erweckung des schlafenden „Protestant cry“ im Lande vor, um den Kampf um die Staatskirche und somit die gesamte Verfassung des Landes158 frühzeitig aufzunehmen und den „contest à l’outrance“159 zu führen160. 152 153 154
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Vgl. die Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 1. Vgl. Cecils Unterhausrede vom 17. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1560–1564, hier 1561 f. Vgl. die Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 2; vgl. auch die Unterhausrede Packes vom 21. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1424–1428, hier 1424, die Oberhausrede von Lord St. Leonards vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 807–811, hier 808, und die Unterhausrede Cecils vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1291–1297, hier 1295. Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 2. Vgl. die Adresse des Committee of Laymen Nr. 1: Church Rates vom März 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, S. 2f., das Zitat 2; vgl. auch Spencer Walpoles Unterhausrede vom 8. Juni 1858, HANSARD 3/150, Sp. 1719–1722, hier 1721. Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 2; vgl. auch die Oberhausreden von St. Leonards und Marlborough vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 807–811, hier 810, und Sp. 812–817, hier 813. Vgl. dazu auch Henry Drummonds Unterhausrede vom 17. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1568–1570, hier 1569 f. Henry Drummond, Unterhausrede vom 13. Juli 1859, HANSARD 3/154, Sp. 1172 f., hier 1172. Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL
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Nun brauchte Derby natürlich weder von der Bewahrung der Staatskirche noch von der Aufrechterhaltung der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung überzeugt zu werden. Die Frage war nur, was als unabänderliche Substanz und was als disponible Akzidenz dieser Ordnung angesehen und, daraus folgend, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln, mit welchen Konzessionen dem Ziel am nächsten zu kommen war. Auch Derby war vom grundlegend politischen Charakter der Agitation gegen die church rates überzeugt, und doch ist aus seiner Antwort an die delegierten Laymen das für die Parteiführung generell gültige größere Maß an Kompromiß- und Konzessionsbereitschaft und politischem Realismus anstelle rigider Beharrung auf dem Status quo erkennbar, der obendrein in dieser Sache durchaus angreifbar war und für ihn keinen casus belli darstellte: he saw no reason why the rate should not be continued, as he agreed with those who addressed him, that it was necessary to maintain the principle of an Established Church. He intended to pursue the same course with regard to the Church-rates as hitherto, unless he saw a solution which might be adopted without sacrificing the main principle. He believed the feeling was that both parties agreed in refusing to accept anything like a compromise; one party will have it as at present, while another would have nothing less than its entire abolition. He should not, therefore, depart from his present course until he had laid down a solution which would not sacrifice the main principle of the question, but which would finally put an end to the struggle. He believed the feeling of the House of Commons was in favour of the abolition of the rate.
Daher erwog Derby ein system of voluntary commutation of Church-rates, to give permission to parishes to buy up the rates, or, in other words, to give power to landholders to charge their estates with a certain sum annually to meet that object. He believed that if anything of that kind could be worked out it would form the basis of a good principle.161
Seiner Kompromißbereitschaft in Richtung einer Exemtion der Dissenter162 stand jedoch, worauf er selbst hinwies, Kompromißlosigkeit auf bei-
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Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 3 („there exists in this country, though a dormant, yet a most powerful, spirit, which, like the dry bones in the vision of Ezekiel, can be recalled into the activity of life [. . .] and if it be decreed on High that our national church shall fall, it is far, far better that she should fall overwhelmed by the assault of her too powerful foes, rather than that she should fall because her own children surrender her bulwarks, from the craven fear that they may not be able to defend them“). Druckschrift des Committee of Laymen Nr. 7: Church Rates, zum 19. April 1858, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X 86, hier S. 4. In seiner Oberhausrede vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 824–837, hier 830 f. und 834 f., deutete Derby Flexibilität an, das Schwergewicht der Rede lag aber auf der Zurückweisung der Abolition Bill durch das Oberhaus; zur konservativen Kompromißbereitschaft
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den Seiten gegenüber, bei hochkonservativen Status quo-Anglikanern ebenso wie bei radikalen Anti-church rates-Dissentern163. So machte auch William Gladstone, in dieser Zeit politisch noch nicht eindeutig liberal festgelegt und kirchenpolitisch noch deutlich hochkirchlich argumentierend, eine „disposition [. . .] to fight the question of a Church Establishment upon the ground of church rates“ aus164. Vor diesem Hintergrund wurde die vom Unterhaus am 8. Juni in dritter Lesung mit 266 zu 203 angenommene Bill in der konservativ dominierten Adelskammer keine vier Wochen später mit 187 zu 36 beiseite gefegt. Diese Mehrheitsverhältnisse mochten die konservativen Befürchtungen um church rates und Staatskirche dämpfen. Nichtsdestoweniger beließ die Regierung Derby es im Jahr 1859 nicht dabei, daß John Trelawny, der liberale Abgeordnete für Tavistock und parlamentarische Wortführer der Bewegung165, abermals eine church rates abolition Bill ins Unterhaus einbrachte166. Sie legte selbst eine church rates Bill vor, die Innenminister Walpole am 21. Februar vorstellte: demzufolge sollten die church rates, die ohnehin nur in weniger als einem Zehntel der Gemeinden angefochten würden (das Gegenargument der Abolitionisten zielte unterdessen nicht auf diese Fälle, sondern auf die Gemeinden, in denen church rates erhoben wurden und Dissenter gegen ihren Willen zur Zahlung verpflichtet waren), eine an Grundbesitz gebundene „landlord’s rate“ bleiben, die aber auf eine berechenbare dauerhafte anstelle der wechselnden jährlichen Grundlage gestellt werden solle; zugleich sollten durch steuerliche Abzugsmöglichkeiten freiwillige Beiträge gefördert werden. Vor allem aber sollten die Dissenter die
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vgl. auch die Unterhausreden von David Pugh und Ker Seymer vom 21. April 1858, HANSARD 3/149, Sp. 1434 f. und Sp. 1435–1439, hier 1437, sowie die Oberhausrede Marlboroughs vom 2. Juli 1858, HANSARD 3/151, Sp. 812–817, hier 817. Vgl. etwa die Unterhausrede des radikalen MP für Tower Hamlets, Acton Ayrton, vom 8. Juni 1858, HANSARD 3/150, Sp. 1722 f., hier 1722: „there could be no compromise [. . .], the principle of the Bill being the total abolition [of the church rates].“ Unterhausrede Gladstones vom 8. Juni 1858, HANSARD 3/150, Sp. 1723–1727, hier 1723; vgl. auch seine geradezu konservative Argumentation (Sp. 1725): „the church rates were a small fixed charge on the real property of the parish. In return the Church provided space in which the entire population, including the poor, could attend divine service, at the cost mainly of the landowners of the parish. [. . . This law] was founded upon a popular basis, because it intrusted to the majority of the parishioners the business of satisfying their local wants. [. . .] it was founded on an ancient law, and it established a local supervision in a manner most agreeable to English feelings. In the rural parishes the law worked well, and was generous and just, because it imposed a hereditary and traditional burden upon the owners of property, while the benefits were reaped by the poorer classes.“ Vgl. dazu die Einführung von Terence Jenkins zu TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 2–19. Vgl. HANSARD 3/152, Sp. 199–201 (8. Februar 1859).
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Möglichkeit der Ausnahme von der Steuer erhalten, dann aber nicht mehr an den Gemeindeversammlungen über church rates teilnehmen dürften167. Die Konservativen erachteten diese Maßnahme als Kompromiß und Konzession, ohne den Rubikon zu überschreiten168, als Beseitigung konkreter Mißstände nicht durch die Abschaffung169, sondern durch Ausnahmen von einer traditionsbewährten Regel, die nicht nur in der überwältigenden Mehrzahl der Gemeinden reibungslos funktioniere, sondern auch im Zusammenhang des freiheitlichen „Saxon principle of self-government“ stehe170. Während sich nur Henry Drummond mit dem Argument gegen die Regierungsvorlage aussprach, dies sei eine „Frage des Prinzips“171, gab sich Disraeli, der hier erstmals zumindest in Erscheinung trat, gegenüber der Königin der Hoffnung hin, „that it will pass“172. John Trelawny würdigte zwar den „höflichen und versöhnlichen Geist“ der Vorlage Walpoles173, äußerte sich in der Folgezeit jedoch zunehmend kritisch: das Grundproblem der „compulsoriness of the tax“ bleibe bestehen, und die vorgesehene Art der Exemtion durch Registrierung stigmatisiere die Dissenter und führe zu neuerlichen Spannungen174. Walpoles Bemühen gleiche daher „changes of posture upon an uneasy bed“ – „nothing short of the total abolition of church rates would meet the difficulties of the case“175. 167 168 169 170
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Unterhausrede Walpoles vom 21. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 610–629, hier 613 und 621–625. Zur konservativen Gesetzesvorlage vgl. auch ELLENS, Routes, S. 152–156. Vgl. Beresford-Hopes Unterhausrede vom 21. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 644–648, hier 644. Vgl. Pakingtons Unterhausrede vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1581–1587, hier 1586. Vgl. Sotheron-Estcourts Unterhausrede vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1574–1577, hier 1574–1576, das Zitat 1576, sowie seine Unterhausreden vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1283–1291, hier 1284 f., und vom 14. Mai 1862, HANSARD 3/166, Sp. 1684–1693, hier 1690 f.; vgl. auch die Unterhausreden Robert Cecils vom 17. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1560–1564, hier 1561 f., John Hubbards und Disraelis vom 8. Februar sowie James Whitesides vom 27. April 1860, HANSARD 3/156, Sp. 672–676, hier 673 f., und Sp. 679–681, sowie HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 263–266, 269 und 275 („the existing law is both an old and a good law“), sowie John Manners’ vom 29. April 1863, HANSARD 3/170, Sp. 965–970, hier 967; vgl. auch die Sotheron-Estcourt von einem Vertreter des Protestant Association Office am 20. Mai 1862 übermittelte, undatierte Resolution, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X86. Vgl. Drummonds Unterhausrede vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1589 f., das Zitat 1590. Disraeli an Victoria, 21. Februar 1859, LQV 1837–1861 III, S. 323. Unterhausrede Trelawnys vom 21. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 629–633, hier 629. Tagebucheintrag Trelawnys vom 25. Februar 1859, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 668–68, hier 68. Unterhausrede Trelawnys vom 9. März 1859, HANSARD 3/152, Sp. 1567–1572, hier 1568; vgl. auch die Unterhausrede des liberalen Abgeordneten Arthur Elton vom 21. Februar 1859, EBD., Sp. 639–643.
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Die radikalen und liberalen Gegner der church rates ließen sich nicht auf den von den Konservativen vorgeschlagenen Kompromiß ein und brachten Walpoles Bill am 9. März eine herbe Niederlage von 171 zu 254 bei176. Statt dessen verfolgten sie nach dem Regierungswechsel ihre eigene church rates abolition Bill weiter, der nun die Konservativen nach dem gescheiterten Kompromißvorschlag keinerlei Konzilianz entgegenbrachten. Vielmehr vertraten sie nun einmütiger denn je, mit den bekannten Argumenten, die Auffassung, hinter der Bill „lauere mehr als die church rates“; sie beruhe beruhe auf „blinder Feindschaft gegenüber der Kirche“, die von „diversen Agitatoren in ein paar großen Städten“ geschürt werde177. Damit war abermals das Panorama der umfassenden radikalen Gegenfront aufgerissen, in der sich die Abschaffung der church rates, disestablishment und Demokratie verbanden. Auf der anderen Seite rückten die Whigs, nachdem sie sich mit den Radikalen zur viktorianischen Liberal Party zusammengeschlossen hatten, mit dem Hinweis auf die öffentliche Meinung im Lande und auf die Stimmung im Parlament von den church rates ab. Sie stimmten der abolition Bill zu178, die am 13. Juli 1859 mit 263 zu 193 ihre größte Mehrheit fand179. Die Konservativen mußten allerdings nicht auf ihr Bollwerk im Oberhaus bauen (auf das sich Derby ohnehin nicht in erster Linie verlassen wollte180), da die Bill aufgrund der fortgeschrittenen Parlamentssession nicht mehr zum Abschluß gebracht werden konnte181. 176 177
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Vgl. HANSARD 3/152, Sp. 1598–1601. Vgl. die Unterhausreden Charles du Canes, Robert Montagus und Charles Adderleys vom 13. Juli 1859, HANSARD 3/154, Sp. 1129–1140, hier 1138, Sp. 1140–1148, hier 1141 und 1148, sowie Sp. 1151–1153, die Zitate Adderleys 1152 und 1153; vgl. auch die Unterhausrede James Whitesides vom 27. April 1860, HANSARD 3/158, Sp. 259–277, hier 264, 267 und 272 f. Vgl. Trelawnys Tagebucheintrag vom 13. Juli 1859, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 88 („The debate was remarkable as proving that the leaders of the Whigs have succumbed – not so much to the pressure of reason, as to the voice of opinion out of doors“), sowie die Unterhausreden Palmerstons (er sei an sich durchaus für die Aufrechterhaltung der church rates, aber er müsse seine Präferenzen hinter die öffentliche Meinung innerhalb und außerhalb des Parlaments zurückstellen, which „has been declared strongly and by great majorities in favour of a change“) und Russells („Neither my noble friend nor myself say that the exaction of church rates is unjust and intolerable, but we do say, looking at the state of public opinion out of doors, and looking at the feeling of this House, that it will be better and safer for the Church to rely upon the voluntary offerings of the people than to continue a compulsory rate which is disliked by almost all classes of the community“) vom 13. Juli 1859, HANSARD 3/154, Sp. 1173–1175, das Zitat 1174, und Sp. 1179–1183, das Zitat 1183. Vgl. HANSARD 3/154, Sp. 1183–1186. Vgl. auch ELLENS, Routes, S. 156–163. Vgl. Derby an Disraeli, 12. Dezember 1860, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/1, fol. 206–209 (alte Signatur: B/XX/S/277), hier 209 („the Commons, where it is most important that the real battle should be fought“). Vgl. HANSARD 3/155, Sp. 729, sowie ANNUAL REGISTER 1859, S. 143 f.
420
VII. Religion und Kirche
Im darauffolgenden Jahr stand sie jedoch wieder auf der Tagesordnung und gewann in zweiter Lesung abermals eine Mehrheit, die mit 29 Stimmen allerdings knapper als 1859 ausfiel und bei der Abstimmung über die dritte Lesung auf ganze neun schrumpfte, bevor sie im Oberhaus abermals scheiterte182. Die Rückläufigkeit der Bewegung war unübersehbar, für die Trelawny nicht zuletzt die aggressive Taktik und staatskirchenfeindliche Rigidität der Abolitionisten verantwortlich machte, die die Auseinandersetzung als Grundsatzkonflikt um die Staatskirche, in konservativer Diktion: um die protestantische Verfassung des Landes, führten: Our case has retrograded. [. . .] I have doubts now whether my Bill will ever pass. I fear my supporters out of doors have damaged our position. + messed matters. [.. .] The Dissenters see their way to an immediate separation of Church & State. The Church rate question is a good lever, & Vestries afford an excellent fulcrum. Now we are not quite in the same boat.183 The truth is, the Dissenters have rendered it more than ever difficult for a Conservative to make a handsome offer – they sounded the Tocsin of ‚No compromise‘ so loudly that, had a Tory offered to yield much, he would have lost his own character & not benefited them or the Public. [. . .] My point of view is not that of the Dissenters – nor is my manner of proceeding theirs. We are like incommensurable quantities in Mathematics. They have not followed my counsel in the beginning of our joint-crusade agt. Church Rates, which was to avoid the mixing up of the Separation question with that of the Special evils arising from Church Rates.184
Trelawny selbst bemühte sich um Kompromißbereitschaft gegenüber den Konservativen und erkannte auch ihre Argumente etwa hinsichtlich der lokalen Selbstverwaltung oder der Belastung des Eigentums zugunsten der Armen als „an honest sentiment“ an. Auf konservativer Seite wurden umgekehrt die Schwächen der church rates realisiert, und insbesondere Derby war weiterhin im Grundsatz kompromißbereit: Still the present law is, if not so objectionable in itself, so difficult of enforcement, that if an amendment could be obtained by some concession, I think it would be worth the sacrifice.185
182 183
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Vgl. HANSARD 3/156, Sp. 682–686 (2. Lesung Unterhaus), HANSARD 3/158, Sp. 301 (3. Lesung Unterhaus), und HANSARD 3/159, Sp. 663–665 (2. Lesung Oberhaus). Tagebucheinträge Trelawnys vom 8. und 13. Februar 1860, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 96 f., hier 96, und S. 98 f., hier 99; vgl. auch seinen Eintrag vom 27. April 1860 (nach der Abstimmung über die 2. Lesung), EBD., S. 118: „we have suffered a virtual defeat [. . .] I never knew the Tories more exuberant & uproarious in their exultation. It seemed that their cheers would never cease – & one lady was waving her white handkerchief in the gallery.“ Tagebucheintrag Trelawnys vom 7. Juni 1861, EBD., S. 178 f., hier 178. Derby an Disraeli, 12. Dezember 1860, NL Disraeli, BodL Oxford, Dep. Hughenden 110/1, fol. 206–209 (alte Signatur: B/XX/S/277), hier 209.
3. Church Rates und Dissent (1853–1868)
421
Für ihn wie für die Parteiführung stellten die church rates nach wie vor keinen casus belli dar. Und da die eigene Mäßigung im Zusammenspiel mit der Kompromißlosigkeit der Gegner der church rates zuletzt durchaus parlamentarische Erfolge gezeitigt hatte, lehnte er eine „policy of shutting the door beforehand against any overtures of our opponents“ weiterhin ab186. Konservative Kompromißbereitschaft regte sich sogar bei den besonders orthodoxen, hochkonservativen Anhängern der Staatskirche wie Robert Cecil und John Hubbard187, vor allem aber bei einer Gruppe um Richard Assheton Cross188 und insbesondere Thomas Sotheron-Estcourt, der im Unterhaus drei verschiedene Gruppen im Hinblick auf die church rates ausmachte: (1) „those who raised the cry of ‚No surrender!‘ and said that they would never give up church rates“ – (2) „those who declared that they would be content with nothing short of converting the Church of England into a sect“ – (3) „those who did not agree with either of those parties, but were determined to have an arrangement.“189
Die konservativen Kämpfer im letzten Graben wie Henry Drummond oder Charles Newdegate190 lagen dabei auch in dieser kirchenpolitischen Frage einmal mehr nicht auf der von der Partei und ihrer Führung generell verfolgten Linie, die von den Befürwortern eines Kompromisses bestimmt wurde. Derby lehnte allerdings aktive Kompromißangebote ab, solange die gegnerische Seite „kompromißlose Feindseligkeit“ an den Tag legte191. So hielten die Konservativen zunächst an den church rates fest192, während die 186 187
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192
Derby an Malmesbury, 26. Dezember 1860, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 243 f., hier 243. Vgl. die von Cecil und Hubbard am 12. Februar 1861 vorgelegte church rates law amendment Bill, die eine Festlegung der Verwendungszwecke der church rates, das Recht der Nonkonformisten auf Exemtion und deren Ausschluß von den Kirchengemeindeversammlungen vorsah, NL Cross, BL London, Add MSS 51289, fol. 191–193. Vgl. dazu Cross’ Unterhausrede vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1299–1301, sowie MITCHELL, Cross, S. 24–26. Unterhausrede Sotheron-Estcourts vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1283–1291, hier 1287; zu seiner Kompromißbereitschaft vgl. Sp. 1288 und 1290. Vgl. Newdegates Unterhausrede vom 19. Juni 1861, HANSARD 3/163, Sp. 1305–1307. Vgl. Derby an Sotheron-Estcourt, 9. März 1861, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, F 379: „My opinion [. . .] is very strong and decided that it would be injudicious to introduce any Bill into the House of Commons [. . .] until Sir J. Trelawny’s Bill shall have been finally disposed of. As long as that Bill is before the House, it is [. . .] a practical refusal of all terms of compromise. That stumbling-block once removed, the ground is cleared for amicable arguments as to terms on which the present law may be usefully amended; but in presence of an uncompromising hostility on the part of a majority however small, of the House of Commons, I think it unwise, by a succession [?] of proposals, to exhibit the great differences which prevail among the friends of the Church as to the character of amendments to be introduced.“ Vgl. dazu Derbys Oberhausrede vom 19. Juni 1860, HANSARD 3/159, Sp. 659–663, bes. 662 f., der gegenüber dem Antrag auf völlige Abschaffung der church rates seine durchaus differenzierte Argumentation im Ergebnis zugunsten ihrer Bewahrung wendet.
422
VII. Religion und Kirche
Abolitionisten ihre Bill auch 1861 durch das Unterhaus trieben. Allerdings hatte sich der Wind inzwischen noch weiter gegen sie gedreht, so daß bei der Abstimmung über die dritte Lesung der Bill im Unterhaus am 19. Juni der seltene Fall eines Stimmengleichstandes eintrat. Angesichts der Entwicklung der Abstimmungsergebnisse in den vorigen Jahren stimmte Speaker Denison, dessen Votum nun den Ausschlag gab, gegen die church rates abolition Bill193. Dieses Debakel der Dissenter verstanden die konservativen Kompromißbefürworter als Anlaß, nun „a settlement of this interminable question“ zu suchen und ihrerseits die Initiative für eine Lösung zu ergreifen194. So brachten sie noch in der Session 1861 eine „Bill to Amend the Law of the Church Rates“ ein195. Sie fand allerdings alles andere als Derbys Wohlgefallen, dessen Kritik vor allem den Stellenwert der church rates-Frage für die Parteiführung decouvriert, nämlich den einer nachgeordneten Sachfrage ohne originäre Gewinnperspektive statt des Inhalts einer dualistischen Auseinandersetzung um ein integrales Alles oder Nichts: I am as anxious as any one can be to see this question set at rest; but I am afraid the nervous anxiety shown by Conservatives to put forward scheme after scheme, to be successively rejected, rather tends to encourage our Opponents, and diminish our chances of success. Whatever scheme may be ultimately adopted, we cannot hope to obtain for it anything like the unanimous support of our own friends. It is therefore unwise, in my opinion, to parade our differences of opinion, unless we are satisfied that the plan will obtain such an amount of support from the other side, as to secure its passing.196
So stellten die konservativen Kompromißsucher ihre Suche nach einem Kompromiß vorerst zurück und beschränkten sich, als sich in den beiden folgenden Jahren das immergleiche Verfahren der Vorlage einer church rate abolition Bill wiederholte, auf die Ablehnung der Vorlage und die Betonung eigener Kompromißbereitschaft197, wobei die konservativen Debattenredner, die selten von der Vorderbank stammten, in erster Linie das Argument vorbrachten, die Agitation zur Abschaffung der church rates ziele in politi-
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196 197
Vgl. HANSARD 3/163, Sp. 1322, und DENISON, Journal, S. 94–99. Banks Stanhope an Sotheron-Estcourt, 21. Juni 1861, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X86. Vgl. NL Cross, BL London, Add MSS 51289, fol. 194–196; vgl. auch den Briefwechsel zwischen Cross und Sotheron-Estcourt (hauptsächlich über das parlamentarische Procedere) vom Juli 1861, NL Cross, BL London, Add. MSS 51269, fol. 7–28. Derby an Sotheron-Estcourt, 24. Juni 1861, NL Sotheron-Estcourt, Gloucestershire RO Gloucester, D 1571, X86. Vgl. Sotheron-Estcourt an Cross, 24. Januar 1862, NL Cross, BL London, Add MSS 51269, fol. 29–32, hier 31.
3. Church Rates und Dissent (1853–1868)
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scher Absicht vor allem auf die „destruction of the Church as a State establishment“198. Nicht zuletzt von daher war der Agitation zur Abschaffung der church rates auch in den beiden Jahren nach 1861 kein günstigeres Schicksal beschieden, denn beide Male blieb die Bill bereits bei der Abstimmung über die zweite Lesung auf der Strecke199. 1863 legte Trelawny die Führung der Bewegung nieder200, und für drei Jahre verschwand der Dauerbrenner von der parlamentarischen Agenda. Als die Abolitionisten 1866 ein weiteres Mal ihren üblichen Gesetzesantrag auflegten, der nun auch wieder Mehrheiten fand201, brachte William Gladstone einen eigenen Kompromißvorschlag, die compulsory church rates abolition Bill, im Unterhaus ein202. Aus Zeitgründen in der Session von 1866203 und auch im Jahr der Wahlrechtsreform nicht zum Zuge gekommen, stellte Gladstone seinen Antrag am 19. Februar 1868 ein weiteres Mal vor, mit dem er das church rate-System nicht abzuschaffen, sondern auf freiwilliger Basis beizubehalten versprach. Das „principle of compulsion“ sollte aufgehoben und dafür den Gemeinden die Möglichkeit zum Beschluß freiwilliger church rates eingeräumt werden, der dann aber auch Rechtsverbindlichkeit besitze; die Verwaltung der erhobenen Gelder sollte in den Händen der Zahler liegen, wobei auch Nicht-Zahler zugelassen werden konnten204. Daß damit das alte Prinzip der church rates als verpflichtender Steuer untergraben wurde, rief denn auch konservativen Widerstand von Vertretern der orthodoxen Kirchenpartei hervor205. Die allgemeine Stimmung unter
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Unterhausrede Pakingtons vom 14. Mai 1862, HANSARD 3/166, Sp. 1716–1720, hier 1719. Vgl. EBD., Sp. 1727–1731 (14. Mai 1862: 287 zu 286 gegen die Bill), und HANSARD 3/170, Sp. 974–978 (29. April 1863: 285 zu 275 gegen die Bill). Vgl. Trelawnys Tagebucheintrag vom 30. April 1863, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 244 f., hier 244. Vgl. HANSARD 3/181, Sp. 1691–1695 (7. März 1866), und HANSARD 3/186, Sp. 247–250 (20. März 1867). Vgl. Gladstones Unterhausrede vom 8. Mai 1866, HANSARD 3/183, Sp. 619, vgl. auch ANNUAL REGISTER 1866, S. 74, sowie SHANNON, Gladstone II, S. 12 und 14 f., zum Zusammenhang der Initiative Gladstones MACHIN, Politics and the Churches, S. 349–355, und ANDERSON, Gladstone’s Abolition, S. 185–191. Vgl. HANSARD 3/184, Sp. 1885. Vgl. Gladstones Unterhausrede vom 19. Februar 1868, HANSARD 3/190, Sp. 957–964, bes. 959–961 und 963 f.; vgl. auch ANNUAL REGISTER 1868, S. 147 f., sowie MACHIN, Politics and the Churches, S. 351 f., ELLENS, Routes, S. 240–254 (zur gesamten Initiative Gladstones), und SHANNON, Gladstone II, S. 47 und 53. Vgl. die Unterhausreden Henleys und Newdegates vom 19. Februar 1868, HANSARD 3/190, Sp. 964–966 und Sp. 970–973, bes. 971. Vgl. bereits die Unterhausreden Beresford Hopes vom 18. Juli und von George Hunt, John Manners und Charles Newdegate vom 1. August 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1041–1046, hier 1041, Sp. 1855–1859, hier 1857 f., Sp. 1862–1868, hier 1864 und 1866–1868, sowie Sp. 1874–1876.
424
VII. Religion und Kirche
den Tories neigte sich in einer auffällig sachorientierten, vergleichsweise wenig parteipolitisch und ideologisch geführten Debatte indes in eine andere Richtung, wie Gathorne Hardy nicht ohne Unbehagen, auch über die eigene Haltung, beobachtete: Ch. Rates. All but Newdegate & Henley supported Gladstone and I confess it was with mortification that I spoke for the Government letting it go on unopposed. All our people appear to like it & yet it is Abolition with barely a rag of disguise. What use are we if the questions fought by us in opposition are so given up. My conscience rather troubles me & yet who cd be more pledged than Cranborne who spoke with his usual animosity against the Govt & in favour of the Bill.206
In der Tat stimmte Cranborne der Bill mit dem ihm zuweilen ebenso wie seine Prinzipienfestigkeit eigenen Pragmatismus207 zu, um Weitergehendes und Schlimmeres zu verhindern. Denn unter Auslotung aller Möglichkeiten anstelle einer Haltung des „no surrender“ sei diese Lösung des Konflikts, dessen unabsehbare Fortsetzung der Kirche keinerlei Vorteil verspreche, allemal besser als die völlige Abschaffung der church rates208. Auch die bekannt Hochkonservativen wie Beresford-Hope und Carnarvon, die sich allerdings in kirchenpolitischen Fragen nicht wie in verfassungspolitischen Angelegenheiten auf strikt orthodoxer Seite exponierten, willigten in diese Lösung ein209, ebenso bislang strikte Verfechter der church rates wie John Hubbard und viele weitere Konservative210. Derby, der sich in den Jahren der hochfahrenden Auseinandersetzung und der Polarisierung stets um einen Kompromiß bemüht hatte, war mit der nun gefundenen Lösung allerdings keineswegs glücklich, und er akzeptierte sie nur schweren Herzens,
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Tagebucheintrag Gathorne Hardys vom 21. Februar 1868, GATHORNE HARDY DIARY, S. 64. Vgl. auch bereits die Unterhausreden Roundell Palmers vom 18. Juli und Charles Goldneys vom 1. August 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1046–1051, hier 1051, und Sp. 1859 f. Vgl. dazu PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 78–81: Cecil verwendete den für ihn zentralen Begriff „principle“ sowohl im Sinne von Motiven politischer Handlungen als auch im Sinne von Konsistenz, somit als „‚medium‘ concept of principles [. . .], as rules which should be obeyed most of the time, but not all the time [. . .]. To be ‚principled‘ is to follow a consistent line of policy, which is desirable if that consistency is not adhered to in an excessively dogmatic manner.“ Unterhausrede Cranbornes vom 19. Februar 1868, HANSARD 3/190, Sp. 968–970, das Zitat 970. Vgl. die Unterhausrede Beresford-Hopes vom 20. März 1867, HANSARD 3/186, Sp. 220–224, hier 224, und die Oberhausrede Carnarvons vom 23. April 1868, HANSARD 3/191, Sp. 1127–1129; hingegen lehnte Hardwicke die Bill ab, vgl. seine Oberhausrede ebenfalls vom 23. April 1868, HANSARD 3/191, Sp. 1140 f. Vgl. die Unterhausreden Hubbards, Gathorne Hardys, John Scourfields und von Michael Hicks-Beach vom 19. Februar 1868, HANSARD 3/190, Sp. 974 f., Sp. 977–979, bes. 978, Sp. 979 und Sp. 979 f.
4. Bilanz
425
weil er übergeordneten politischen und parlamentarisch-strategischen Erwägungen den Vorzug gab. Er bedauerte zutiefst, that the House of Commons should, apparently from sheer wearyness upon this subject, have acquiesced in this Bill; but I confess that the large majorities by which the Bill has been passed in the other House is a ground – a sufficient ground, although the only one – to justify the Government in not opposing the present Motion.
Denn die Gesetzesvorlage sei one of the steps – and a large one – by which the Legislature of this country is [.. .] rapidly advancing in the direction of placing the Established Church on a level with all other religious sects and denominations in the State.211
Derbys Haltung traf sich mit seiner Partei aber vor allem insofern, als den church rates nicht, in vielen Fällen nicht mehr, der Rang eines essentials zugemessen wurde, das unbedingte Verteidigung erfordert hätte. Diese hätte weder dem Gegenstand noch der allgemeinen politischen Entwicklung der Konservativen im Grunde seit 1852 und erst recht in den mittleren sechziger Jahren entsprochen, die auf gesellschaftspolitische Entspannung baute, mit der Freiräume für eigene Vorstöße an erfolgversprechenden Fronten gewonnen wurden. Die church rates ebenso wie die Religionspolitik stellten dabei, trotz vielfältig anderslautender verbaler Bekenntnisse, in politicis letztlich nur einen Nebenkriegsschauplatz dar. Die meisten Konservativen waren 1868 froh, das leidige Problem los geworden zu sein, und in dieser Haltung trafen sie sich auch mit Edward Stanley wieder: I think you must be congratulated on having got rid of the church-rate controversy, as to which I think now, as I always did think, that it alienated more friends from the Establishment than the money involved was worth.212
4. BILANZ: DIE BEDEUTUNG DER RELIGIONSFRAGE IM GROSSEN KONFLIKT Breit und grundlegend war der konservative Konsens über die protestantische Verfassung des Landes, die in zentraler Weise die Anglikanische Staatskirche einschloß. Diese Überzeugung war jedoch nicht auf die Tories be211
212
Oberhausrede Derbys vom 23. April 1868, HANSARD 3/191, Sp. 1124–1127, hier 1124 und 1126; vgl. auch seine Oberhausrede vom 3. Juli 1868, HANSARD 3/198, Sp. 599 f. („although he retained all his objections to doing away with the compulsory power of levying church rates, yet, at the same time, the principle [. . .] having been adopted by their Lordships, and accepted also by a large majority in the House of Commons, he thought it would be useless to struggle against such a majority in both Houses“). Adresse Stanleys an die Wähler von King’s Lynn vom 14. November 1868, in: THE TIMES vom 14. November 1868 [sic], S. 3a-d, hier 3a.
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VII. Religion und Kirche
schränkt, sondern auch auf seiten der Whig-Liberalen wie Russell, Palmerston oder Gladstone verbreitet. Bedroht sahen die Konservativen diese Ordnung zunächst ganz traditionell durch die katholische Kirche und insbesondere den römischen Papst. Antikatholizismus war in England aber ebensowenig den Konservativen vorbehalten, sondern auf seiten des gesamten Protestantismus in Anglikanismus und Dissent und, politisch gewendet, auf liberaler und radikaler Seite anzutreffen213. Spezifisch für die Konservativen waren unterdessen erstens die Vehemenz und das Ausmaß des Antikatholizismus in den Reihen der Partei, der nach 1845/46 mehrere Jahre lang auch die offizielle Linie der Partei und jedenfalls ihr Erscheinungsbild in der politischen Öffentlichkeit zumindest beeinflußte, wenn nicht gar bestimmte, und der moderate Whig-Liberale, die in religionspolitischen Angelegenheiten ohnehin tendenziell toleranten Peeliten und einzelne moderate Konservative abstieß. Auch die Parteiführung stand diesem emotionalisierten Protestantismus skeptisch gegenüber und bemühte sich um Mäßigung, zugleich aber um die Instrumentalisierung des gesamtgesellschaftlichen Antikatholizismus zu eigenen Gunsten. Dies zwang zu einer prekären Gratwanderung und eröffnete letztlich keine wirklichen politischen Aussichten, zumal in den fünfziger Jahren wie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene so auch im konfessionellen Konflikt eine allgemeine Entspannung eintrat214. Nach 1852 verlor der Antikatholizismus innerhalb der Konservativen an Schärfe und an Bedeutung, und wenn er auch bei einer nicht unbedeutenden Minderheit virulent blieb, so vermochte er doch die religionspolitische Hauptrichtung nicht mehr zu bestimmen. Was blieb und die Konservativen zweitens unterschied, war die Exklusivität der Festlegung auf die Anglikanische Staatskirche, gegenüber dem römischen Katholizismus, aber auch gegenüber dem nonkonformistischen Dissent, der nach 1852 als die gefährlichere Bedrohung der protestantischen Verfassung ausgemacht wurde, insofern er die Verbindung von Staat und Anglikanischer Kirche zu trennen und die Staatskirche als Verfassungsinstitution aufzuheben trachtete. Diese Abgrenzung vom Dissent trennte die Konservativen von den konfessionell offeneren Whig-Liberalen und insbesondere einmal mehr von den (mit ihnen seit 1859 zudem fester in der Liberalen Partei zusammengeschlossenen) Radikalen, die sich in erheblichem Maße aus dem Dissent rekrutierten und mit ihm eng verbunden waren. 213 214
Vgl. etwa William Gladstone, The Declining Efficiency of Parliament, in: QR 99, Nr. 198 (September 1856), S. 521–570, hier 568–570. Vgl. GASH, Aristocracy and People, S. 175 und 336.
4. Bilanz
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Damit verlängerte sich, in konservativer, aber auch in radikaler Perzeption, die umfassende radikale Gegenfront von der sozio-ökonomischen „Manchester School“ über die verfassungspolitische „Demokratie“ bis hin zum religiös-kulturellen Dissent – das Szenario einer totalen Bedrohung der gesellschaftlich-politischen Ordnung konservativer Vorstellung. Wie in genuin gesellschafts- und verfassungspolitischer Hinsicht, so zielte auch in religionspolitischer Perspektive die entscheidende Frage auf die Handhabung dieses Konflikts: „contest à l’outrance“ oder Entspannung zwecks eigener Strategie? In der Beantwortung dieser Frage traten abermals kennzeichnende Differenzen innerhalb der Konservativen auf. Sie lagen erstens im Grad der Kompromißbereitschaft gegenüber Andersdenkenden – weitgehende Kompromißlosigkeit auf seiten der orthodoxen Verfechter der Staatskirche, bedingte und konkrete Kompromißbereitschaft auf seiten der Parteiführung und der Hauptrichtung – und zweitens im politischen Stellenwert bzw. der Relevanz, die der Religionsfrage im gesamten politischen Spektrum zugemessen wurden. Gerade im Vergleich zu den durchgehenden und besonders prominenten, geradezu stereotypen Bekenntnissen zur Bewahrung der protestantischen Verfassung als politischer Inhaltsvorgabe spielten religiöse und kirchliche Angelegenheiten in politicis keine herausragende Rolle, waren policy und politics in dieser Hinsicht nicht wirklich kongruent. Disraeli, der auf gesellschafts- und verfassungspolitischer Ebene so wegweisende Marken setzte, war als getaufter Jude mit der Anglikanischen Staatskirche nicht wirklich vertraut und persönlich verbunden; sie stellte für ihn letztlich einen Gegenstand von Zweckmäßigkeit und Opportunismus dar, auf den sich eine Rhetorik der „Phantasmagorie“ projizieren ließ215. Robert Cecil wiederum war zwar ein in der Wolle gefärbter hochkonservativer Anhänger der Staatskirche, trennte aber zumindest Glaubensfragen und Religion als Privatsache von der Politik, was ihnen in der Konsequenz auch an politischer Relevanz nahm216. Dabei waren gesellschafts- und verfassungspolitisch Hochkonservative wie Beresford-Hope und Carnarvon 215
216
Vgl. dazu etwa Disraelis Briefentwurf nach 1845, M&B IV, S. 350, Stanley an Disraeli, 19. Oktober 1854, DISRAELI LETTERS VI, 2692/375, Anm. 2, Disraelis Rede im Sheldonian Theatre in Oxford vom 25. November 1864, M&B IV, S. 370–374, bes. 371 f. (dort 372 das Zitat), oder Trelawnys Tagebucheintrag vom 27. April 1863, TRELAWNY, Parliamentary Diaries, S. 243, sowie den ihm höchst gewogenen KEBBEL, Tory Memories, S. 42 („The Church of England [. . .] was not Mr. Disraeli’s strong point. He had not studied its history, and did not understand its claims, though of its practical benefits, and of what would result from the loss of it, no man [. . .] has spoken with greater force and clearness“), vgl. auch SAAB, New Tories, S. 297. Vgl. PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 72 und 81.
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VII. Religion und Kirche
in kirchenpolitischen Fragen durchaus kompromißbereit, während der ansonsten moderate Pakington in kirchenpolitischen Fragen unnachgiebig auftrat. Die Inkongruenz der innerparteilichen Fronten in religionspolitischen und in allgemeinen politischen Angelegenheiten wies die Religionspolitik ebenfalls als tendenziell getrennten Bereich und somit als politisches Nebengebiet aus. Die Religionspolitik der Kabinette Derby steuerte einen pragmatischen Kurs, suchte, wie 1852 gegenüber den Katholiken, Provokationen zu vermeiden und, wie 1859 in der church rates-Frage, durchaus Kompromisse anstatt Kontroversen zu führen217. Religionspolitik war keine konservative causa maior, nach 1852 nicht einmal als „cry“, und die Parteiführung gab auch keine distinkte inhaltliche Richtung vor. Trotz der unumstrittenen Analyse der fundamentalen radikalen Herausforderung der eigenen Ordnungsvorstellungen auch im Bereich der Staatskirche und an religionspolitischer Front ließ sich die Parteiführung in ihrer praktischen Politik nicht auf einen dualistischen Antagonismus ein und sah in den anhängigen Auseinandersetzungen, namentlich den church rates, keinen casus belli. Das bedeutet nicht, daß sie in einer wirklichen Grundsatzfrage nicht auch zum Grundsatzkonflikt bereit gewesen wäre. Doch sie war allzu froh, daß sie diese Potenz nicht aktualisieren und daß sie auf diesem Nebenkriegsschauplatz keine unnötigen Kräfte mobilisieren und verschleißen mußte.
217
Vgl. auch COLEMAN, Conservatism, S. 121 f., und GASH, Reaction, S. 100.
1. „Europäisches Konzert“? Frieden im Krimkrieg
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VIII. AUSSENPOLITIK UND EMPIRE 1. „EUROPÄISCHES KONZERT“? FRIEDEN IM KRIMKRIEG „It is unfortunate that so few of our public men give much of their attention to foreign affairs“1, klagte Lord Derby, gerade zum dritten Mal als Premierminister im Amt, der Königin am 1. Juli 1866, als der Krieg zwischen Preußen und Österreich ein weiteres Mal die Staatenordnung Europas erschütterte. „Our characteristic ignorance respecting foreign politics“ war auch Disraeli wohlbekannt2, und sie läßt sich auch an der überragenden Zahl der Wahladressen ablesen, in denen außenpolitische Angelegenheiten keine Rolle spielen. In der Tat stellte Außenpolitik, von gelegentlichen Ausbrüchen öffentlicher Erregung abgesehen, grundsätzlich und nicht nur innerhalb der Konservativen kein „Masterthema“ der mittviktorianischen Politik dar. Sie war auch kein grundsätzlich entlang parteipolitischer Linien kontroverser Gegenstand, sondern in der Regel eine von einzelnen Personen bestimmte Angelegenheit einer politischen und administrativen Elite3. So sind Außenpolitik und internationale Beziehungen innerhalb der Geschichtsschreibung der englischen Konservativen im mittleren 19. Jahrhundert ebenso wie in der allgemeinen Konservatismusforschung wenig prominente Themen. Am ehesten hat Disraelis Imperialismus der späteren siebziger Jahre die Frage nach seinen Wurzeln in den fünfziger und sechziger Jahren aufgeworfen, und ansonsten hat dem Krimkrieg, diesem „merkwürdigen Gemisch aus Kabinettskrieg und totalem Krieg“4, historiographische Aufmerksamkeit gegolten. Hatten schon die Revolutionen von 1848/49 offenbart, daß die Sprengkraft der nationalen Frage und der schwindende Konsens über Werte und Regeln der Mächtebeziehungen die Ordnung von 1815 unterminierten und daß die „Realpolitik“ genannte einzelstaatliche Interessenpolitik an die Stelle des überwölbenden, auf Mächtesolidarität gründenden gemeinsamen europäischen Interesses einer Aufrechterhaltung der Staatenordnung trat, so brachte der Krimkrieg das nur vordergründig restaurierte Staatensystem vollends zum Einsturz und hinterließ eine „Anarchie der Staatenbeziehungen“5.
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Derby an Victoria, 1. Juli 1866, LQV 2 I, S. 353 f., hier 353. Disraeli an den König der Belgier, 23. Dezember 1860, M&B IV, S. 323 f., hier 324. Vgl. HAWKINS, Parliament, S. 17, und HILDEBRAND, No Intervention, S. 54, 68 f. und 79 f. BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 336. Vgl. dazu BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 333–335, DOERING-MANTEUFFEL, Vom
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So stellt sich anhand des Krimkriegs, konkret anhand der Suche nach dem Frieden, die Frage, welche Vorstellung sich die Konservativen von der Staatenordnung nach dem Zusammenbruch der „Wiener Ordnung“ und von der Stellung Englands in ihr machten und welchen Stellenwert überhaupt Außenpolitik und das internationale System in ihrem Denken und (soweit sie dazu kamen) in ihrer Politik besaßen. Derbys und Disraelis Äußerungen legen nahe, daß die Behandlung dieses Gegenstandes auf einen deutlich kleineren Personenkreis beschränkt war als die anderen bislang behandelten, gesellschafts- und verfassungspolitischen Themen. A)
„THE CONSERVATIVE PARTY DISUNITED“: DIE FRIEDENSDEBATTE IM HERBST 1855
Mit der Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Rußland am 27. und 28. März 1854 trat der Fall ein, der seit 1815 hatte verhindert werden sollen und können: ein Krieg der Großmächte untereinander. Dabei waren sowohl das Unterhaus als auch die Bevölkerung im Lande so „excessively warlike“, klagte der Chronist Charles Greville, that they are ready to give any number of men and any amount of money, and seem only afraid the Government may not ask enough.6
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Wiener Kongreß, S. 10–13, 41–56 und 316–324 (S. 10–13 die Begrifflichkeit vom „Wiener System“ als der engeren, kooperativeren und interventionistischen Form der Großmächtebeziehungen im Zeichen von monarchischer Legitimität und Solidarität in den Jahren unmittelbar nach 1815 und der „Wiener Ordnung“ als eines loseren, aber dennoch systemischen Zusammenhangs mit dem gemeinsamen grundsätzlichen Ziel einer Wahrung der Staatenordnung seit den früheren zwanziger Jahren), auch DOERING-MANTEUFFEL, Deutsche Frage, S. 4–13, 16, 31–35, bes. 79–84 sowie 92–96, den Überblick bei METZLER, Strukturmerkmale, S. 162–166, 170 f. und 173 (dort das Zitat), sowie SCHROEDER, Transformation, S. 797–804, und SCHROEDER, Crimean War, S. 392–427, bes. 400, 404–412, 417–419 und 424–427, letzteres auch eines der zentralen Werke zur Geschichte des Krimkriegs in internationaler Dimension, ebenso die Darstellungen von RICH, Crimean War, WETZEL, Crimean War, und WERTH, Krimkrieg, sowie der Überblick und die kommentierten Literaturangaben bei BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 336–351; zum Krimkrieg aus englischer Perspektive vgl. ANDERSON, Liberal State, BAUMGARTS Einleitungen zu AGKK III/3 und 4, die Darstellungen von CONACHER, Aberdeen Coalition, bes. S. 385–491, sowie Britain and the Crimea, DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 187–324, CHAMBERLAIN, Pax Britannica, S. 102–119, WENTKER, Zerstörung, die allerdings etwas disparate Darstellung von VINCENT, Parliamentary Dimension, sowie den Überblick und die Literaturangaben bei HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 167–183 und 736 f.; für die Konservativen vgl. LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 204–241, STEWART, Foundation, S. 302–306 und 314 f., SAAB, New Tories, M&B III, S. 522–524, 536–539 und 549–572, sowie M&B IV, S. 1–31, und BLAKE, Disraeli, S. 359–364. Greville, Tagebucheintrag vom 20. Februar 1854, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 18–20, hier 19.
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Insbesondere das „müßige Volk der Zeitungsschreiber“, namentlich die Times, beförderte diese Stimmung nach Kräften7, die in unterschiedlichem Maße auch die Konservativen erfaßte8, wobei im Umfeld des Kriegsausbruchs eine verbreitete, aber ganz unterschiedlich begründete Skepsis vorherrschte: Of the country gentlemen some joined in the war cry out of mere thoughtlessness, some out of fear of Russia, some in order to annoy the Government, some to stave off reform: a few because they liked the prospect of popularity which was to cost them nothing in the way of a sacrifice of class interests: but there remains a large number of those who dislike prospective disturbance in Europe, who object to fight where England has nothing to gain: and who in their hearts agree with Cobden .. .9
England habe in diesem Krieg nichts zu gewinnen, argumentierte Stanley ganz im Sinne nationaler Interessenpolitik. Dieses Argument teilte er dabei nicht nur mit Richard Cobden, sondern auch mit Thomas Carlyle10 und Spencer Walpole11, und allein diese Namen umreißen die von Parteien und Weltanschauung unabhängige Breite des Spektrums dieser kühl realpolitischen Skeptiker. Ganz anders begründete John Wilson Croker seine Ablehnung des Krieges mit einer aus dem kontinentalen Konservatismus vertrauten prorussischen und antifranzösischen Haltung12. Disraeli wiederum hielt nicht nur das Unterfangen für aussichtslos, den russischen Zaren letzten Endes an der Verwirklichung seiner Ziele zu hindern13, der Krieg hatte vor
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Tagebucheintrag Carlyles vom Frühjahr 1854, FROUDE, Carlyle II, S. 267 f. (nicht näher datiert). Vgl. Stanleys Tagebucheintrag vom oder zum 25. Januar 1854 (möglicherweise eine nachträgliche Einfügung), STANLEY JOURNALS, S. 116–118, hier 118: „Of all the party, both now and later, Lytton held the most warlike language, and Walpole the most pacific. I inclined to the latter side, and expressed myself decidedly in private, but did not choose to take a strong part publicly.“ Tagebucheintrag Stanleys vom 20. Februar 1854, EBD., S. 120. Vgl. Carlyles Tagebucheintrag vom Frühjahr 1854, FROUDE, Carlyle II, S. 267 f., hier 267: „Was [. . .] das Anwachsen der russischen Macht u.s.w. betrifft, so würde ich lieber warten, bis Rußland sich in meine Sachen mischte, ehe ich das Schwert zöge, um das Anwachsen seiner Macht zu hindern.“ Vgl. Walpole an Disraeli, 25. Oktober 1854, DISRAELI LETTERS VI, 2694/377 Anm. 3: „I am clear as ever that the expedition to the Crimea was a great mistake.“ Vgl. Croker an Hardwicke, 17. November 1854, CROKER PAPERS III, S. 324: Rußland sei „a natural ally, whose power could do us no direct injury, and could do us a great deal of good (as it has done in 1812) as a counter-balance to France, which seems to me to be inevitably and from mere vicinity, and without regard to the individual character of sovereigns or ministries, our natural rival and, of course, natural enemy.“ Vgl. auch Croker an Lyndhurst, 20. Oktober 1854, EBD., S. 320–323. Vgl. Disraeli an Lord Londonderry, 15. Dezember 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2599/298–300, hier 300: „what do you think of modern Diplomacy? I have little doubt my-
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allem den Nachteil, wie Malmesbury sein Kalkül notierte, die Regierung im Amt zu halten14. Dennoch sicherte die konservative Opposition der Regierung zu, im Krieg keine „factious opposition“ auszuüben, ohne sich indes das Recht auf Kritik nehmen zu lassen15, und so begleitete sie das weitere Geschehen auch durchgängig, intern wie öffentlich: die Regierung habe die Dimension des Problems unterschätzt, den Krieg daher fehlkalkuliert und dann nach Kriegsbeginn nicht die nötige Konsequenz in seiner Führung aufgebracht16. Den konservativen Kurs gegenüber der Regierung beschrieb Derby daher als cordial support in every exertion which they think is necessary, or can be induced, to make for the prosecution of the War, in which they have involved us, [. . .] combined with unsparing criticism upon the past, more especially for the apparent absence of any thing like a definite object or plan, of any foresight as to what would be required, or any timely preparation to meet the exigencies of a war, the magnitude of which, in spite of all warnings, they (to use an Americanism) have all along failed to ‚realize‘.17
In der publizistischen Umsetzung der Press wurde daraus die Formulierung vom „just but unnecessary [war]“, der zwar in den Zielen gerechtfertigt sei, sich aber durch eine deutlichere Politik gegenüber Rußland hätte vermeiden lassen; zugleich sprach sich Disraeli nun für eine Lösung nicht durch Verhandlungen, sondern durch einen „großen und entscheidenden militärischen Erfolg“ aus18. Diese Position konnte sachlich begründet sein, in dem Sinne, daß eine einmal begonnene Aktion unabhängig von ihrem Zustandekommen dann auch konsequent zu Ende gebracht werden müsse, im Sinne eines „all-out war for limited objects“19. Diese Kritik an der Regierungspolitik konnte aber auch primär parteipolitische Wurzeln haben, denn Disraeli ließ Anfang 1855 unübersehbar „hopes of getting into power“ erkennen20, und Derbys Weigerung, die Regierung zu übernehmen, brachte ihn furcht-
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self that the Emperor of Russia will gain his ends – but if so, why have quarrelled with him, & why let not have let him quietly obtained an inevitable result?“ Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 12. Mai 1854, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 433 f., hier 434: „Disraeli is furious with the war which he thinks keeps Government in“; vgl. auch John Brights Tagebucheintrag vom 4. Mai 1854, BRIGHT DIARIES, S. 170. Vgl. STEWART, Foundation, S. 302 (dort das Zitat), und BLAKE, Disraeli, S. 359. Vgl. Derby an Colville of Culross, 3. Dezember 1854, AGKK III/3, 2/81–83, hier 82. Derby an Disraeli, 3. Dezember 1854, DISRAELI LETTERS VI, 2700/383 f. Anm. 4. Disraeli, Leitartikel in der PRESS vom 9. Dezember 1854, Vol. II, Nr. 84, S. 1153 (Autorschaft Disraelis nach SAAB, New Tories, S. 302). So die Argumentation von SAAB, New Tories, S. 302 f., 306 und 311. Vgl. Derby an Disraeli, 18. Januar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2722/400 Anm. 1, Disraeli an Derby, 19. Januar 1855, EBD., 2722/400, und Grevilles Tagebucheintrag vom 19. Februar 1855, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 115–117, das Zitat 115.
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bar in Rage21. Im April votierte er wieder für einen Friedensschluß, wobei er über Fragen der Ehre höchst pragmatisch dachte: There sho[ul]d be peace, for our affairs have been so ill-managed throughout this business, that there is really no point to fight about. It is now a mere question of military honor[.] There was something more than this at Waterloo & in the Peninsula.22
Disraeli stand, alles in allem, dem Krimkrieg höchst skeptisch gegenüber und plädierte überwiegend nach Möglichkeit für einen Friedensschluß; doch war seine Haltung von unübersehbarer Unruhe und Sprunghaftigkeit gekennzeichnet und läßt sich nicht wirklich als konzise auffassen23. Dies konnte durchaus in der Sache eines wechselnden Kriegsverlaufs begründet liegen, mehr aber spricht für eine primär oder zumindest in erheblichem Maße parteipolitische Motivation seiner Haltung zum Krieg, der für den Unterhausführer in erster Linie ein Gegenstand tagespolitischer Taktik war. Darüber kam es im Herbst 1855 zu einer grundsätzlichen innerparteilichen Kontroverse24. Nach der Eroberung der Festung Sewastopol auf der Krim am 8. September 1855 stand die Frage eines Friedensschlusses bzw. der weiteren Kriegsziele zur Debatte25. Insbesondere der frühere Premierminister Aberdeen und seine Minister Gladstone, Herbert und Graham, die im Februar 1855
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Disraeli an Lady Londonderry, 2. Februar 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2730/404 f.; vgl. dazu Kapitel V.3, vgl. auch STEWART, Foundation, S. 297–300. Disraeli an Sarah Willyams, 13. April 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2745/418. So hingegen die Interpretation von SAAB, New Tories, bes. S. 306 und 311, mit gleicher Tendenz allgemein PARRY, Disraeli, S. 720; allerdings stehen den Press-Artikeln andere Zeugnisse gegenüber, die sich nicht bruchlos in das Bild einer konsistenten Strategie des „totalen Krieges“ für begrenzte Ziele einfügen lassen; auch waren die Konservativen keineswegs einhellig prorussisch oder antifranzösisch orientiert (so SAAB, New Tories, S. 302 und 310 f.), sondern auch in dieser Frage in sich gespalten; vgl. etwa Lyndhursts Kritik an Rußland, Oberhausrede vom 12. Juli 1853, hier nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 456–458, hier 458, als „this barbarous nation, this enemy of all progress except that which leads to strengthen and consolidate its own power, this State which punishes education as a crime“, gegenüber Crokers Auffassung von Rußland als dem „natural ally“ und von Frankreich als dem „natural enemy“, Croker an Hardwicke, 17. November 1854, CROKER PAPERS III, S. 324, während sich außer Disraeli etwa auch Wellington, Lyndhurst und Beresford-Hope für eine enge Kooperation mit Frankreich auch unter Napoleon III. aussprachen, vgl. Wellington an Lady Salisbury, 22. Dezember 1851, WELLINGTON, Friendship, S. 234 f., Lyndhursts Oberhausrede vom 14. Juli 1856, HANSARD 3/143, Sp. 710–721, sowie die Unterhausreden BeresfordHopes und Disraelis vom 9. Februar 1858, HANSARD 3/148, Sp. 1010–1016, hier 1013, und Sp. 1053–1063, hier 1060. Vgl. dazu auch, unter der Fragestellung nach Politikverständnis und Machtbegriff, Kapitel V.3; vgl. auch CONACHER, Britain and the Crimea, S. 136 f. Vgl. dazu BAUMGART, Einleitung zu AGKK III/4, S. 29–32; zur Kriegszieldebatte im weiteren Sinne vgl. auch WENTKER, Zerstörung, S. 258–314 (dort aber nichts Weiterführendes zu den Konservativen).
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noch in die Regierung Palmerston eingetreten waren, diese aber bereits zwei Wochen später verlassen hatten, drangen nach diesem durchschlagenden militärischen Erfolg auf einen raschen Friedensschluß26. Resonanz fanden sie vor allem in den Reihen der Konservativen, so daß bereits der Verdacht einer Friedenskoalition Gladstones und Disraelis kolportiert wurde27, während die Times mit ihrer dominierenden Stellung in der Öffentlichkeit28 und die Regierung, insbesondere der Premierminister, vehement auf eine Fortführung des Krieges setzten. Dabei verfolgte Palmerston weitreichende Ziele, das Zarenreich durch die Abtrennung umfangreicher Grenzprovinzen zu einer Macht zweiten Grades zu degradieren und somit „absolute Sicherheit vor Rußland“ zu gewinnen29. Am 22. September 1855 nahm die Press in einem Leitartikel, für den Disraeli als Autor nicht nachgewiesen ist und der doch ganz unübersehbar (wie ja auch in anderen Fragen) auf der Linie des Unterhausführers und in diesem Falle auch Stanleys lag, in ungewöhnlich grundsätzlicher Weise zur Frage eines Friedens im Krieg Stellung: If Peace be not practical now, it will not be practical till the Allies are in possession of St. Petersburg, or till they have pursued the last Army Russia can raise to the gates of Moscow. This war must end in such a defeat of Russia as will deprive her of all power to rank as a first-rate power in Europe, or it must result in terms of pacification which will
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Insbesondere Aberdeen litt schwer unter seiner persönlichen Verantwortung für den Krieg, vgl. seinen Brief an Gladstone vom 4. Oktober 1855, AGKK III/4, 70/173 f.: „I rather fear that we must be prepared to see a desperate policy on the part of our Government, and that no serious attempt will be made to put an end to the war, notwithstanding all his objects have been fully obtained. [. . .] We have a gloomy prospect before us, for which I cannot help feeling myself deeply responsible. I clearly foresaw all these consequences, and although unsupported, I ought more firmly to have resisted the final decision. [. . .] I assure you that often, in the silence of the night, this fatal decision weighs heavily on my conscience. I am aware that much may be said in justification of it, and God knows, it was reluctantly assented to by me; but nevertheless, when a man acts contrary to his own clear convictions, he cannot escape from severe self reproach.“ Vgl. auch Herbert an Aberdeen, STANMORE, Herbert II, S. 8–11 (Regest in: AGKK III/4, 155/306), Graham an Gladstone, AGKK III/4, 168/329, und Aberdeens Memorandum wohl von Ende November 1855, EBD., 226/423 f. Vgl. Außenminister Clarendon an den britischen Botschafter in Konstantinopel, Stratford, 17. September 1855, EBD., 26/114 f.: „I have good reason to believe that a coalition has been entered into between Gladstone & Co & Dizzy & Co upon the peace principle & with refce to the necessity of making peace now that Sebastopol has fallen, but the country is less disposed than ever for a peace wh is not safe & honorable & is more likely to demand a glorious peace than to consent to one that shd be of a doubtful character even“; vgl. auch Granville an Clarendon, 18. September 1855, EBD., 28/117 („a junction between Dizzy and Gladstone for Peace“ als Möglichkeit). Vgl. BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 342 f. Vgl. WENTKER, Zerstörung, S. 315 (dort auch das Zitat).
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leave her strong enough to attempt at some future time the realisation of those ambitious schemes which have been freely imputed to her. In the latter case we never can have any security against her aggressive policy, save that which arises from dread of the opposition it will be certain to provoke from other States, and especially from the Governments of the West, and from her knowledge that her movements must always be viewed with jealousy. But on the supposition that in the course of this contest the strength of Russia is destroyed [. . .] there will remain but two first rate Powers in the world – France and England. Some politicians may regard this contingency with satisfaction. We are not of them. The political world requires a balance of forces for its freedom and safety. It is most secure when its equilibrium is preserved by the counter but harmonious action of numerous independent States. Triumvirates have often had a long reign, as there is a shifting weight which can be thrown into one scale or the other. But when one of the governing powers is lost, the contest between the remaining two is seldom long delayed; and that regulated system of independent States which it has required centuries to build up, and that balance of political power which it has uniformly been the object of great statesmen to uphold, are in danger of being totally overthrown.30
In keineswegs moralischer, sondern strikt gleichgewichtspolitischer Argumentation wurde die Alternative einer Zerstörung oder der grundsätzlichen Bewahrung der russischen Macht aufgezeigt. Unter Abwägung von Kosten und Nutzen sowie unter Einbeziehung der Erfahrungen insbesondere seit 1815 wurde einer Bewahrung Rußlands als Großmacht der Vorzug gegeben, mit der sich nach dem Sieg von Sewastopol nunmehr eine vernünftige Balance restitutieren ließe, statt eine Ordnung auf nurmehr zwei funktionsfähige Großmächte England und Frankreich zu gründen. Diese Argumentation baute auf Realismus, Flexibilität und Mäßigung, und sie richtete sich gegen Unbedingtheit und Maßlosigkeit31, gegen „sentimental
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THE PRESS vom 22. September 1855, Vol. III, Nr. 125, S. 893 (Leitartikel). Vgl. auch den Leitartikel sowie den Beitrag „Conservative Policy“ in der PRESS vom 13. Oktober 1855, Vol. III, Nr. 128, S. 965 und 966 f., hier 967: „The equilibrium of Europe, to be assured, must rest, not on petty conditions of limitation in this sea or that, not in adding to the barriers which already exist to divide States, but in affording to the great communities the freest scope for the development of their forces. To avow that we have no security for the future but that which arises from the powerlessness of the nation with which we are at any time contending, is to submit ourselves to a kind of political atheism which must lead to the most shocking consequences. It must render all quarrels mortal, and make peace impossible until one or other of the belligerents is destroyed. We cannot, from the necessity of things, have any positive security that the nation with which we are at war will never provoke us to war again unless we ravage it after the manner of Attila. It is impossible to draw the talons of a nation – to leave it strong for peace but harmless for war. Whatever strength it possesses internally, that strength it cannot be prevented from manifesting externally in some way or other. In opposition to the principle we hear propounded, that peace, to be secure, must depend on the humiliation of an opponent, we say that we can only expect the peace to be lasting which rests on moderate terms, and which leaves no sense of injustice or desire of retaliation.“
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politics“32 und „diplomacy of passion“. Sie orientierte sich an den „Interessen Europas und Englands gleichermaßen“33, hielt also trotz ihrer fundamentalen Erschütterung durch den Krieg an der Idee des Europäischen Konzerts fest, weil sie mit den nationalen Interessen, in erster Linie der Wahrung des Friedens, grundsätzlich kongruierte. So gesehen wirkt Disraelis außenpolitische Vorstellung ganz kohärent und geradezu integral, die Frage ist nur, ob sie autogen und substantiell oder aber von anderen Elementen abgeleitet, letztlich akzidentiell war. Derby etwa, und nicht nur er, bezweifelte die Aufrichtigkeit und Konsistenz der Position Disraelis und verdächtigte ihn vielmehr eines primär an Regierungsmacht orientierten parteipolitischen Kalküls, dem er die außenpolitischen Argumente unterordne und je nach Sachlage anpasse34. Disraeli selbst leistete dieser Auffassung kräftigen Vorschub, wenn er etwa an BulwerLytton schrieb: An Opposition must represent a policy, and if it represents the policy of the Minister, it ceases to be an Opposition. To shrink from conducting the war and then to stimulate it, seems to me to reduce us too much to the level of the little boys who will cheer Palmerston on Lord Mayor’s Day.35
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Ähnlich die Argumentation Sidney Herberts in seiner Unterhausrede vom 6. Mai 1856, HANSARD 3/142, Sp. 35–46, hier 45 f.: „the popular opinion is, that all our alliances should be founded upon political sympathy with respect to domestic institutions and forms of government. I believe that to be a great error. [. . .] We have found, in the case of France, that we can be closely allied with a country which does not possess our form of government; and I trust that, having established a good understanding with Austria – having detached her from the Northern Powers – we shall not think it necessary by hostile and incessant criticism upon her internal government to alienate her people as we did before. I believe that the only moderate and safe course for us to pursue is to cultivate the friendship of all the great European States, whatever their form of government may be, and I am convinced that by such means we shall best secure the great object which we ought always to have in view – the promotion of civilisation and the happiness of mankind.“ Vgl. M&B III, S. 187 (dort das Zitat), und MCDOWELL, British Conservatism, S. 62–64. Disraeli, Anfrage im Unterhaus, 14. März 1856, HANSARD 3/141, Sp. 153–159, hier 158 (erstes Zitat) und 159 (zweites Zitat). Vgl. Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855, AGKK III/4, 121/247: Jolliffe habe ihm Disraelis Position geschildert: „‚that a party which has shrunk from the responsibility of carrying on the war, is bound to prepare the public mind for a statesmanlike peace; that a war-opposition and a War-Ministry cannot co-exist, that nothing can save the party but representing a policy; & that we should be degraded by stimulating the war after declining to conduct it.‘“ Disraeli an Bulwer-Lytton, 6. November 1855, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 235–237, hier 236 f. (auch in DISRAELI LETTERS VI, 2787, 445–447); vgl. auch das Memorandum Stanleys, der mit Disraelis Friedenspolitik in der Sache völlig konform ging, vom November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–136, hier 135: Disraelis „principal argument, a very characteristic one, for taking the side of peace, is that Palmerston represents the war, and is recognised as war minister. If the opposition support the war, they must support him: which is to occupy a subordinate and uncongenial post. Their only chance of independent and suc-
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Gegenüber parteipolitischem Opportunismus brachte Derby die Momente der Konsistenz sowie der übergeordneten Interessen des Landes in Stellung: having been, in common with the Country at large, parties to entering into it, and having blamed previous Governments for want of vigour in carrying it on, we cannot with honor, or even with regard to party interests, constitute ourselves a peace opposition, merely because we have a War-Ministry; & I will never consent to weaken an Administration to which I am opposed, by increasing their difficulties in carrying the Country through what has become an inevitable War. [. . .] I hope that neither you, nor any of our friends would desire that for party purposes we should seek to discourage the country; & increase the difficulties of those who are charged with bringing the War to a satisfactory conclusion. [. . .] I hope I am led by higher motives in determining not at this moment to make a peace cry the means of attacking the Government, still less of making it the basis of any new political combination. If the Conservative party cannot be kept together on any other grounds, it is time that it should fall to pieces, or at least that I should retire from the scene.36
Rußland werde nur unter starkem Druck in Friedensbedingungen einwilligen, die Europa die nötige Sicherheit vor weiteren russischen Aggressionen gegen die Türkei verschafften. Ein solcher Friede sei aber gegenwärtig noch nicht absehbar, vielmehr würde ein sofortiger Friede zur Restitution des russischen Machtpotentials führen. Dabei verschlechtere die Friedenspartei in England die Situation nur, weil sie in Rußland die Hoffnung auf Kriegsmüdigkeit bei den Gegnern nähre und die Bereitschaft zum erforderlichen Frieden schwäche: „the greater the anxiety we show for peace, the less our chance of obtaining it“37. Jedenfalls hülfen keine „halben Maßnahmen“, sondern nur „some diminuition of her power“; wie dieses an Palmerstons Diktion gemahnende Ziel aber konkret erreicht werden sollte, war auch Derby nicht recht klar38. Eine Dauerlösung der russischen Probleme strebte auch Malmesbury an, und dazu schwebte ihm eine Abtrennung der Krim und Bessarabiens vor; dafür sah auch er die Zeit nach dem Fall von Sewastopol noch nicht gekom-
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cessful action lies in adopting an exactly opposite course. In a word, as D. has written up the war in the press during the summer of 1853 in order to turn out Aberdeen, so he now prepared to write it down, in order to turn out Palmerston.“ Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855, AGKK III/4, 121/247 f. Vgl. Derby an Jolliffe, 19. Oktober 1855, AGKK III/4, 101/215 f., und Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855. EBD., 121/248 (dort das Zitat); vgl. auch Derby an Jolliffe, 20. November 1855, EBD., 175/341. Vgl. Derby an Disraeli, 25. Oktober 1855, EBD., 121/248: „I do not, & never have disguised from myself the enormous magnitude of the struggle in which we engaged, when we came to blows with Russia; but engaged in it, no half measures can serve our turn; &, though I do not pretend to point out the precise nature or extent of the restrictions to be imposed, some diminuition of her power must take place, and some effectual curb be placed upon designs.“
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men; und darin wähnte er sich mit der Stimmung im Land und in der Konservativen Partei einig39. „So matters stood: the Conservative party disunited on this vital question, the ablest politicians inclining towards peace, but the numerical majority of M.P.’s, the cabinet, the Times, and the general public, still bent on continued war“40. An der Spitze der Friedenspartei, der auch Henry Lennox, Spencer Walpole41 und Edward Stanley42 angehörten, vertrat Disraeli ein Konzept der Mäßigung und der Realpolitik, die sich, entgegen dem europäischen Trend der fünfziger Jahre, aber nicht als einzelstaatliche Interessenpolitik artikulierte, sondern an der tradierten Großmächtebalance und dem Europäischen Konzert festhielt. Diese Haltung stand für das bestehende Mächtesystem, aber gegen praktizierte Mächtesolidarität, wobei sie im nicht von der Hand zu weisenden Verdacht stand, eigenen partei- und machtpolitischen Motiven untergeordnet zu sein43. Sie offenbart jedenfalls, daß Außenpolitik für Disraeli zu diesem Zeitpunkt kein zentrales Feld und keinen grundlegenden Gegenstand der Politik darstellte. Disraelis zumindest vermeintlichem Opportunismus stellte Derby an der Spitze der Befürworter einer Fortsetzung des Krieges, zu denen insbeson-
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Vgl. Malmesbury an Stanley, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 34–36 (Regest: AGKK III/4, 108/227), hier 35 f.: „Having the help of France, I thought the time come when we could successfully save Turkey from this invasion, and perhaps prevent Russia from attempting, for many years to come, these attacks, which he has made periodically [. . .] four or five times during this century. We have of course succeeded in my first object, but not yet in my second. This latter security cannot [. . .] be really obtained, unless you divest Russia of the Crimea and Bessarabia, and make the Black Sea a peaceful lake [. . .]. The Conservative party in the country are for it, and all the press, except ‚The Press.‘ But ‚The Press’ only carps and asks questions, and proposes no solution. [. . .] I do not think the time come for peace, or that we could obtain a solid one. I do not think that this country believes that the time has arrived.“ Vgl. auch Herbert an Gladstone, 9. Januar 1856, STANMORE, Herbert II, S. 21 f. Stanley, Memorandum on Public Affairs, November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–136, hier 135 f. Vgl. Lennox an Disraeli, 10. Oktober 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2785/444 Anm. 1: Walpole „is ULTRA PEACE.“ Vgl. Derby an Jolliffe, 19. Oktober 1855, AGKK III/4, 101/217, Stanleys Memorandum on Public Affairs vom November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–136, hier 135, sowie seinen Artikel „Growth of War Passions and Interests“ in der PRESS vom 17. November 1855, Vol. III, Nr. 133, S. 1087 f. (Autorschaft Stanleys nach Disraeli an Sarah Willyams, 18. November 1855, DISRAELI LETTERS VI, 2792/451). Vgl. auch Disraeli an Malmesbury, 30. November 1855, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 37 f., hier 38: „We are off the rail of politics, and must continue so long as the war lasts; and the only thing that can ever give us a chance is that the war should finish, and on the terms which may be now practicable. Then we shall, at least, revert to the position we occupied before the fatal refusal to take the reins last February, which lost us the heart and respect of all classes.“
1. „Europäisches Konzert“? Frieden im Krimkrieg
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dere Bulwer-Lytton44 und Malmesbury zählten, die Prinzipien der Konsistenz und der übergeordneten nationalen Verantwortung gegenüber. Diese Richtung setzte auf praktizierte Mächtesolidarität, allerdings nicht auf das Mächtesystem rebus sic stantibus: Derby bewegte sich argumentativ auf Palmerston zu, der das überlieferte Europäische Konzert durch eine nachhaltige Schwächung Rußlands im Sinne absoluter Sicherheit umzugestalten trachtete, ohne Gestalt, Perspektiven und Funktionsfähigkeit einer so veränderten Staatenordnung weiter zu reflektieren. „Most, though not all, the country gentlemen, took the same view: and the farmers, connecting the idea of war with prosperity and high prices, supported them to a man“45. Am Ende des Krimkrieges herrschte unter den Konservativen Uneinigkeit über konkrete Kriegsziele und über Krieg und Frieden, während über die Gestalt der Staatenordnung nach dem Krieg und die Rolle Englands darin kaum konkrete Vorstellungen bestanden. B)
DER FRIEDE VON PARIS 1856
Die Alternative zwischen Europäischem Konzert und nationalstaatlicher Interessenpolitik, die im Rückblick auf die internationalen Beziehungen im Umfeld des Krimkrieges mit dem Paradigmenwechsel von „Wien“ nach „Solferino“ und „Sadowa“ so deutlich hervortritt, stand den Zeitgenossen in dieser Form und auch in dieser Deutlichkeit keineswegs vor Augen46. In England wurde sie zudem zum einen immer noch von der keiner dieser Optionen eindeutig zuzuordnenden, aber gerade in den fünfziger Jahren besonders wirkmächtigen „Kanonenbootdiplomatie“ Palmerstons überlagert47, und zum anderen ließen sich in Opposition zum Palmerstonismus nationale Real- und Interessenpolitik und die Erhaltung der Staatenordnung aus britischer Perspektive durchaus vereinbaren. So sind auch Äußerungen über nationale Interessen und gesamteuropäische Verpflichtung
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Vgl. Bulwer-Lytton an Disraeli, 15. Oktober und 12. November 1855, LIFE OF BULWERLYTTON II, S. 204 f. und 237–240, hier 238 f. Stanley, Memorandum on Public Affairs, November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 134–136, hier 135. So notierte Malmesbury noch 1863 offenbar erstaunt in sein Tagebuch, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 306 f., in englischen Zeitungen sei Napoleon III. mit der Aussage zitiert worden, „that the treaties of 1815 are at an end“. Der Palmerstonismus setzte sich vom Europäischen Konzert und der „Wiener Ordnung“ durch seinen Bezug auf die nationalen Interessen statt auf die Wahrung der Staatenordnung ab, unterschied sich von der (verstärkt seit den ausgehenden fünfziger Jahren aufkommenden) spezifisch englischen Interessenpolitik der non-intervention (vgl. dazu Kapitel VIII.3) aber wiederum durch ihren bereitwilligen Interventionismus.
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VIII. Außenpolitik und Empire
nicht als Gegensätze überzuinterpretieren. Ohnehin wurden Auffassungen vom Staatensystem zuallermeist nur ganz vereinzelt und nicht in systematischem Zusammenhang geäußert. Ganz in der Tradition englischer Außenpolitik seit den frühen zwanziger Jahren standen die Konservativen dabei, wenn sie, wie es nicht nur Derby im Revolutionsjahr 1848 tat48, Interventionen aufgrund der inneren Angelegenheiten und Entwicklungen anderer Staaten ablehnten, und zwar sowohl zugunsten der Herrscher gegen ihre Völker – insofern entgegen den konservativen Ostmächten und entgegen einer genuin konservativen, auf Legitimität gegründeten Mächtesolidarität – als auch zugunsten der Völker gegen ihre Herrscher – und insofern entgegen den modernen liberalen und nationalen Massenbewegungen, wie sie 1848 und insbesondere seit den späteren fünfziger Jahren auf die internationale Bühne drängten49. Die kolonialen Besitzungen und die Handelsinteressen machten die Wahrung des Friedens zum ersten Ziel Englands. Mahnte Disraeli dazu 1848 die Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der englischen Außenpolitik und die Erfüllung von Garantien und vertraglichen Verpflichtungen an50, so verloren diese Regularien des Europäischen Konzerts durch den Krimkrieg offenkundig auch für die Konservativen an Verbindlichkeit. Dies konnte nur bedeuten, sich auf sich selbst zu verlassen51, wie etwa in Blackwood’s Magazine anläßlich des Pariser Friedens zu lesen stand: 48
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Vgl. etwa auch die Reaktion auf den Staatsstreich und die Kaiserproklamation Napoeleons III. 1851/52, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 289–296 (Tagebucheinträge Malmesburys vom Dezember 1852, Derby an Malmesbury, 5. Dezember, und Persigny an Malmesbury, 26. Dezember 1852), JONES, Derby, S. 168 f., und DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 152–159. Vgl. Derbys Befürwortung der „doctrine [. . .] of the right of any nation, in connexion with the sovereign authorities of that nation, to introduce any internal reforms, any modification of their constitution, which they should conclude to be for their own national advantage, and that there was no justification for any other nation, from the remote fear of probable consequences, interfering with the internal affairs of that nation with an armed force. [. . .] [I]f there was a country in the world whose essential interest it was to rebut and reject this doctrine as to the right of interference, it was this country with its widespread and outlying colonial possessions. It of all others, therefore, should most strongly protest against the attempt of any country by foreign force, whether on the part of the Souvereign against the people, or on the part of the people against the Souvereign, to interfere with the internal affairs of other States“, Oberhausrede Stanleys vom 3. April 1848, HANSARD 3/97, 1197 f.; vgl. ebenso seine Regierungserklärung vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 44–64, hier 58 f. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 19. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 509–524, hier 517 und 522 f.; vgl. auch Malmesbury an den Botschafter in Berlin, Bloomfield, 18. März 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 321 f., hier 322. Vgl. Pakingtons Unterhausrede vom 25. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 912 f.: „if England wishes to be peaceful she must be powerful. The best guarantee for peace is to show that we are prepared for war.“
1. „Europäisches Konzert“? Frieden im Krimkrieg
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no greater error can be committed by any statesman or people than to place too much reliance on treaties – or to believe themselves safe, though unarmed, because their enemy has promised not to attack them for the future. [. . .] Treaties exist no longer than there is a power to enforce them.52
Der am 30. März 1856 in Paris geschlossene Friede internationalisierte die Frage der Christen, garantierte dem Osmanischen Reich Unabhängigkeit und territoriale Integrität (Art. 7), legte dem Sultan bestimmte innere Verpflichtungen auf (Art. 9), schloß die türkischen Meerengen für fremde Kriegsschiffe (Art. 10/Konvention a), entmilitarisierte und neutralisierte das Schwarze Meer, an dessen Ufer Rußland keine militärischen Befestigungen unterhalten durfte (Art. 11–14, die für Rußland besonders schmerzliche sog. Pontusklausel), schlug die Donaumündungen und einen Teil Bessarabiens dem Donaufürstentum Moldau zu (Art. 20), das zusammen mit der Walachei der Souveränität der Pforte und einer Garantie der Großmächte unterstellt wurde (Art. 22), verbot russische Befestigungen auf den Aalands-Inseln (Art. 33/Konvention c) und verfügte die Freiheit der Donauschiffahrt anstelle russischer Kontrolle (Art. 15–19)53. England habe wohl den unter den gegebenen Umständen bestmöglichen Frieden erzielt, kommentierte die Quarterly Review, den „ersten Ausbruch des Sturms“ zurückgeschlagen und den Nationen eine Atempause verschafft. Doch der Orkan mochte, so richtete sich der sorgenvolle Blick in die Zukunft, wohl noch erst bevorstehen, denn der Krieg habe dem „spirit of nationality and revolution slumbering in many parts of the Continent“ kräftigen Odem eingehaucht. „The future of Europe looks troubled, and pregnant with serious complications“, und daher dürfe England nicht in die Lethargie der Vorkriegszeit zurückfallen, sondern müsse die Lektionen des Krieges lernen, sich auf seine eigene Stärke verlassen und weder einem großmächtlichen „Russianism à tout prix“ noch cobdenitischem Idealismus des Weltfriedens durch Freihandel verfallen54. Ein solches Verständnis der Mächtebeziehungen nach dem Krieg deutete sich allerdings in den von Genugtuung und Selbstrechtfertigung durchzogenen Kommentaren der Press an: Der Krieg habe dem Zarenreich eine 52 53
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R.H. Patterson, The Peace, in: BM 79, S. 608–624 (Mai 1856), hier 615. Vertragstext in: CTS 114, S. 410–420 (Vertrag), 402 f. (Schwarzmeer-Konvention), 406 f. (Konvention über die Aalands-Inseln) und 422–425 (Konvention über die Dardanellen). Zur Pariser Konferenz und zum Friedensvertrag vgl. BAUMGART, Friede von Paris, RICH, Crimean War, S. 182–198, SCHROEDER, Crimean War, S. 347–391, WETZEL, Crimean War, S. 183–203, und WERTH, Krimkrieg, S. 287–307. R.H. Patterson, The Peace, in: BM 79, S. 608–624 (Mai 1856), hier S. 615, 617 und 621–624, die Zitate 624, 621, 615 und 622; zur konservativen Haltung zur liberalen Utopie der Staatenbeziehungen vgl. Kap. VIII.3.a).
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VIII. Außenpolitik und Empire
„strenge Lektion“ erteilt, und Rußland müsse die Vergrößerung seiner Macht und Stärke fortan nicht in territorialer Expansion, sondern in der „Ausweitung seiner immensen natürlichen Ressourcen“, in „social improvement“ und im „essentially industrious genius of her people“ suchen; denn dies sei die „wahre Größe“, die zur „Prosperität der ganzen Welt“ und zum „human progress“ beitrage und Rußland vom Feind zum Konkurrenten mache55. Indem sie auf Modernität und Fortschrittlichkeit statt territorialer Größe und militärischer Machtprojektion als Kriterien für die Bedeutung der einzelnen Staaten und Nationen abzielte und auf die kommerziellen Auswirkungen des Vertrages abhob, artikulierte die Press den „weltanschaulichen Ordnungsentwurf“ des mittviktorianischen England, der ökonomische, primär handelspolitische Überzeugungen mit philosophischem Fortschrittsglauben in moralischer Überhöhung verband56 und der grundsätzlich freihändlerischen und radikalliberalen Ursprungs war, also keineswegs konservativem Gedankengut entsprang. Die Frage war nur, wie schon im Falle der Haltung Disraelis im Herbst 1855, wie autogen und konsistent diese Position war. Denn die anfängliche Zustimmung zu den von der Regierung ausgehandelten Friedensbedingungen wich scharfer Kritik, als sich das Problem der Tscherkessen als ein Thema entpuppt hatte, mit dem die Opposition der Regierung im Parlament zusetzen konnte. 55
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Vgl. den Leitartikel der PRESS vom 5. April 1856, Vol. IV, Nr. 153, S. 313 („Russia has been taught a severe lesson. Her dream of universal empire is at an end – a result of the War unquestionably glorious; and it is probable she will now acknowledge that she must look for an increase of power and strength, not to an extension of territory, but to the use and extension of those immense natural resources which she possesses, and to the essentially industrious genius of her people. [. . .] While contributing to her real greatness, it will contribute also to the prosperity of the world at large. We shall feel much more pleasure in contending with her as a rival than as a foe, nor shall we ever dread that kind of power, or shall ever seek to repress its growth by arms, which springs from natural sources, and is extended by pacific influences. If it be the fate of nations [. . .] to pass through periods of infancy, maturity, and decay, there should be little cause for regret though Russia should assume an ascendancy over the older States of Europe, when she has established a superiority over them, in the acts which civilise and elevate mankind“), den Beitrag „Future Policy of Russia“ vom 19. April 1856, THE PRESS, Vol. IV, Nr. 155, S. 363 f., hier 364 („If Russia really turn to the work of social improvement with hearty good-will – if she seek to strengthen herself by those means which Western Europe has recognised as the only true path to national greatness, it will ill-become us to look sullenly on, and grumble to ourselves about the policy of the past. We must refuse no coadjutor in the great work of human progress“), sowie den Leitartikel vom 3. Mai 1856, THE PRESS, Vol. IV, Nr. 157, S. 409. Vgl. dazu DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 326 f., DOERING-MANTEUFFEL, Europäisches Mächtekonzert, S. 59–61, HILDEBRAND, No Intervention, S. 32 f. und 83 (dort S. 32 das Zitat), METZLER, Weltmacht in Europa, S. 58–62 und 303–305, sowie METZLER, Spectator, S. 84.
1. „Europäisches Konzert“? Frieden im Krimkrieg
443
Mit den Tscherkessen war die englische Regierung im Sommer und Herbst 1855 in Kontakt getreten57, um die Möglichkeit zu sondieren, an der Küste des Schwarzen Meeres einen Aufstand zu entfachen. Sie hatte schließlich aber nur materielle Unterstützung zugesagt. Auf der Pariser Friedenskonferenz trug Außenminister Clarendon die Forderung einer Unabhängigkeit des tscherkessischen Gebietes von Rußland vor, fand dafür allerdings keinerlei Unterstützung, so daß er die Forderung schließlich zurücknehmen mußte58. Nachdem Derby und Disraeli entschieden hatten, die Parlamentsdebatte über den Pariser Frieden „in condemnation of the Treaty“ zu eröffnen59, kritisierte Malmesbury die zu milden Friedensbedingungen für Rußland – ungenügende Sicherungen gegen russische Militärbefestigungen, unverhältnismäßige territoriale Rückgaben an Rußland, unzureichende Bestimmungen zur Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres – entgegen dem Ziel, künftige russische Aggressionen zu verhindern, und er gipfelte in dem Vorwurf: „we have deserted the Circassians“60. Ähnliche, wenn auch nicht in derselben Schärfe vorgetragene Einwände brachte Derby gegen den Frieden vor, den er allerdings widerstrebend und „ohne Enthusiasmus, aber ohne Opposition“ annahm61. Diese Linie verfolgten die Konservativen auch im Unterhaus, wo sie abermals den Einwand unzureichender Eindämmung russischer Expansionspotentiale und den Verrat an den Tscherkessen brandmarkten62. Der einstmalige Unterhausführer Granby hingegen sah England mit dem Frieden „in so high a position“, daß es mit Stolz in die Vergangenheit und mit Zuversicht in die Zukunft blicken könne63.
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Vgl. zur Reise Newcastles an die Ostküste des Schwarzen Meeres MARTINEAU, Newcastle, S. 276–278; Newcastles eigenes Journal über seine Mission ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Zum gesamten Zusammenhang vgl. BAUMGARTS Einleitung zu AGKK III/4, S. 41–44, WENTKER, Zerstörung, S. 206–237, und SCHROEDER, Crimean War, S. 194, 204 f., 322, 342 f. und 347. Vgl. dazu Clarendon an Victoria, 2. März 1856, und an Palmerston, 3. und 9. März 1856, AGKK III/4, 495/822–824, 297/825–828 und 517/854–856. Tagebucheintrag Malmesburys vom 3. Mai 1856, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 46. Oberhausrede Malmesburys vom 5. Mai 1856, HANSARD 3/141, Sp. 1867–1988, hier 1971–1973 und 1977–1979, das Zitat 1973; vgl. auch CONACHER, Britain and the Crimea, S. 217. Vgl. Derbys Oberhausrede vom 5. Mai 1856, HANSARD 3/141, Sp. 2001–2013, bes. 2002, 2010 und 2012, das Zitat 2002. Vgl. die Unterhausreden von John Manners und Claud Hamilton vom 5. Mai und von William Fitzgerald vom 6. Mai 1856, HANSARD 3/141, Sp. 2049–2066, bes. 2050, 2053, 2059 und 2065 f., und Sp. 2099–2166, hier 2103 f., sowie HANSARD 3/142, Sp. 77–81, zudem den Artikel „The Case of the Circassians“ in der PRESS vom 10. Mai 1856, Vol. IV, Nr. 158, S. 433. Unterhausrede Granbys vom 6. Mai 1856, HANSARD 3/142, Sp. 31–35, hier 34.
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VIII. Außenpolitik und Empire
Grundsätzlicher wurde die Debatte allerdings kaum. Über die Gestalt des Staatensystems nach dem ersten Krieg unter den Großmächten seit vierzig Jahren, über die Zukunftsfähigkeit des Europäischen Konzerts, geschweige denn über das neue Paradigma einzelstaatlicher Realpolitik wurde im Parlament anläßlich des Friedens kaum debattiert. Die Einschätzungen des Friedens ebenso wie der gesamten Lage waren auf konservativer Seite vor allem disparat und bildeten ein Konglomerat verschiedener alter und neuer Elemente ohne systematische Reflexion oder ein außenpolitisches „grand design“. Hier stand die Verpflichtung auf das Europäische Konzert neben Ansätzen eines Rückzugs auf eine nationale Interessenpolitik, stand Interventionspolitik zur Wahrung der Mächtebalance neben Ansätzen zur realpolitischen Nichtintervention und dem wiederum weniger europäisch als vielmehr national motivierten Interventionismus Palmerstons64. Die Positionen spannten sich bis zu Cobdens Verständnis kommerziell-zivilisatorischer statt mächtepolitisch-militärischer Staatenbeziehungen, und überwölbt wurde all dies von parteipolitischem Kalkül, das sich keineswegs immer mit konsistenten außenpolitischen Positionen deckte, während Derby sich auf eine inhaltlich nicht näher konkretisierte nationale Verantwortung berief. Die Konservative Partei war am Ende des Krimkriegs in außenpolitischer Hinsicht gespalten und ohne klare, distinkte und konzise Vorstellungen und Richtungsvorgaben über Ziele und Kurs in der Außenpolitik. Das lag an den Umständen der mangelnden Absehbarkeit der künftigen Entwicklung einer Staatenordnung im Übergang nach ihrer Erschütterung durch den Krieg, den sie ja gerade hatte vermeiden sollen, und es lag auch daran, daß die Konservativen keine exekutive außenpolitische Verantwortung trugen. Zugleich verweist es auf den insgesamt eher untergeordneten Rang, den die Außenpolitik – als ein hinsichtlich der politischen Frontverläufe mit der Gesellschafts- und Verfassungspolitik, wo sich deutlich konzisere und distinktere Positionen bestimmen lassen, bestenfalls bedingt kongruentes Feld – in der fundamentalen Auseinandersetzung mit dem Radikalismus und auf der Agenda selbst der Parteiführung und erst recht der Partei in ihrer Breite in den mittleren fünfziger Jahren einnahm. Ein Jahr nach dem Pariser Friedensschluß begehrte ein anderes bislang wenig beachtetes Thema – Blackwood’s Magazine beklagte noch im De-
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So läßt sich für die konservative Perspektive nicht eindeutig behaupten, die europäische Nachkriegsordnung von 1815 habe sich für England spätestens 1852 „endgültig [. . .] überlebt“ gehabt, so DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 152 f., das Zitat 153; vgl. auch Anm. 46.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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zember 1856 das völlige Desinteresse der britischen Öffentlichkeit65 – Aufmerksamkeit, als der Aufstand der Sepoy die englische Herrschaft in Indien in Gefahr brachte. Das Thema war zwar parteipolitisch vergleichsweise wenig kontrovers und ist daher nicht unterscheidend, aber es stellt doch einen wichtigen Gegenstand der Perzeption dar; wenn überhaupt, dann mußten sich die Vorstellungen der Konservativen von Gestalt, Bedeutung und Zukunft des Empire am indischen Aufstand von 1857 kristallisieren.
2. EMPIRE: DER INDISCHE AUFSTAND VON 1857 Seit dem frühen 19. Jahrhundert bemühte sich das Parlament in London, gestaltenden Einfluß auf die Angelegenheiten Indiens zu gewinnen und das aus dem 18. Jahrhundert überkommene faktische Handels- und Herrschaftsmonopol der Ostindischen Kompanie zurückzudrängen66. Dabei bestanden zwischen der Gesetzgebung und der öffentlichen Diskussion in England auf der einen und den Maßnahmen und Zuständen in Indien auf der anderen Seite durchaus erhebliche Diskrepanzen. In England herrschte, vorwiegend auf liberaler Seite, die Vorstellung einer zivilisierenden Westernisierung bzw. Anglisierung Indiens, und auf allen Seiten wurden, soweit Indien in den Gesichtskreis rückte, die Kulturleistungen der englischen Herrschaft zugunsten des Landes und seiner Eingeborenen betont67: die
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Vgl. R.H. Patterson, Our Indian Empire, in: BM 80, S. 636–659 (Dezember 1856), hier S. 637; vgl. auch James Fergusson, Our Indian Empire, in: QR 103, Nr. 205 (Januar 1858), S. 253–278, hier 254 („trance“). Vgl. hierzu und zum folgenden sowie zum Aufstand von 1857 die beiden Überblicke, jeweils mit Verweis auf die neueste Literatur und den Forschungsstand, von HOPPEN, MidVictorian Generation, S. 183–197, und WASHBROOK, India, S. 395–421 (zur Zeit nach 1858 vgl. MOORE, Imperial India, S. 422–434); vgl. auch ANNUAL REGISTER 1857, S. 238–335, und ANNUAL REGISTER 1858, S. 233–266, LLOYD, British Empire, S. 172–179, und CARRINGTON, British Overseas, S. 443–455; zur englischen Politik gegenüber dem Aufstand im Jahr 1857, aber mit mikroskopischer Perspektive auf die Mechanismen des politischen Systems und den machtpolitisch motivierten Tageskampf in Westminster vgl. HAWKINS, Indian Issue, und Parliament, v.a. S. 78–86 und 123–144. Vgl. dazu auch, auf konservativer Seite, R.H. Patterson, Our Indian Empire, in: BM 80, S. 636–659 (Dezember 1856), bes. S. 645–657, sowie Grevilles Tagebucheintrag vom 19. Juli 1857, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 292–294: „Our administration may not have been faultless, and in some instances it may have been oppressive, and it may have often offended against the habit and prejudices of the natives, but it is certainly very superior in every respect, and infinitely more beneficent than any rule, either of Hindoos or Mahometans, that has ever been known in India. However, people much more civilised and much more sagacious than the Indians do not always know what is best for them, or most likely to promote their happiness.“
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VIII. Außenpolitik und Empire
Abschaffung von Witwenverbrennungen (suttee), Menschenopfern und der Tötung weiblicher Neugeborener, der Aufbau einer Infrastruktur für Verkehr und Kommunikation sowie administrativer Kapazitäten, und schließlich die christliche Mission. Ob diese englische Perzeption – und um die geht es hier – dabei der indischen Realität entsprach oder ob vor Ort ein von der Kompanie verfolgtes Konzept einer „different ‚Oriental‘ civilization“ dominierte68, ist hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls wurde die Politik weiterhin in erster Linie vor Ort und nicht im weit entfernten Westminster bestimmt69. Generalgouverneur Dalhousie kam unterdessen 1846 mit expliziten Vorstellungen der Westernisierung nach Indien und schenkte örtlichen Traditionen wenig Beachtung. Dazu gehörte insbesondere das überkommene Erbrecht der lokalen Herrscher mit ihrem Adoptionsrecht im Falle von Kinderlosigkeit, und so wurden in seiner Amtszeit allein sieben indische Staaten annektiert, wobei insbesondere die Annexion von Oudh im nordöstlichen Indien 1856 eine veritable Expansion darstellte. Ein zentrales Problem der britischen Herrschaft in Indien lag in der Behandlung des Landbesitzes, dessen Besteuerung der Verwaltung als Haupteinnahmequelle diente. Allerdings herrschten in ganz Indien höchst unterschiedliche Formen des Besitzrechts. In den drei indischen „Presidencies“ herrschte in Madras im Südosten grosso modo ein Recht eher der Landnutzer, in Bengalen im Nordosten der Besitzer und in Bombay im Westen eine Mischform70. Ohnehin war die indische Kultur mit ihrer Mischform von verschiedenen Nutzungsansprüchen und Rechten an Grund und Boden mit der europäischen Vorstellung eindeutiger Besitztitel kaum kompatibel, so daß das englische Bestreben, die Veräußerbarkeit von Landbesitz einzuführen und ihn somit den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, an die Grundlagen der indischen Sozialordnung rührte. Zusammen mit der Entthronung einzelner Herrscher erzeugte es Unzufriedenheitspotentiale, die, zusätzlich gespeist von verletztem Stolz nach der Annexion von Oudh, im Aufstand von 1857 zusammenflossen. Ausgelöst wurde er allerdings vom Militär.
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So die Interpretation von WASHBROOK, India, bes. S. 399, 408 und 415, der generell die despotischen Seiten der britischen Herrschaft, die Stagnation der einheimischen Wirtschaft und eine gesellschaftliche „Traditionalisierung“ in Indien im 19. Jahrhundert betont. Vgl. dazu, in breiterer Perspektive der „Dynamik territorialer Expansion“, DARWIN, Imperialism, bes. S. 617, 626 f., 636 und 641. Vgl. dazu, mit weiteren Literaturhinweisen, HOPPEN, Mid-Victorian Generation, S. 186, sowie Patterson, Our Indian Empire, in: BM 80, S. 636–659 (Dezember 1856), hier S. 641–643.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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In der indischen Armee dienten zu dieser Zeit 45 000 Europäer und 232 000 Inder, die, insbesondere in Bengalen, unter starkem Einfluß von Mitgliedern der höchsten Kaste standen, deren Privilegien um 1856 zunehmend abgebaut wurden. Zu dieser Unzufriedenheit kam die Einführung eines neuen Gewehrs hinzu, von dem die Rede ging, daß es mit Schweineund Rinderfett geschmiert sei. Vielfältige Gerüchte heizten eine Stimmung auf, die sich in Rebellion entlud. Sie begann am 10. Mai 1857 in Meerut in Bengalen, setzte sich angesichts völlig überraschter und nur schleppend reagierender britischer Truppen über die Besetzung Delhis fort und breitete sich vor allem im nordwestlichen und zentralen Bengalen sowie in Oudh, nicht hingegen im Punjab im Norden sowie in den Presidencies Madras und Bombay aus, so daß eher von einer Serie lokaler Aufstände statt einer zusammenhängenden Rebellion zu sprechen ist. Am 7. Juni begann die Belagerung von Cawnpore, der sich die Eingeschlossenen am 26. Juni ergaben, woraufhin die gefangenen Briten einem großen Massaker zum Opfer fielen. Gerade diese Nachrichten prägten die Perzeption und die Diskussion in England, wo hochschießende Gerüchte über indische Grausamkeiten zirkulierten, die in Wahrheit nicht im hysterisch angenommenen Maße71, dafür von beiden Seiten verübt wurden. Als die ersten Nachrichten über den Aufstand Anfang Juni in England bekannt wurden, bemühte sich die Regierung Palmerston, das Thema als nationales Problem aus dem Parteienstreit herauszuhalten, und behandelte es bis in den Herbst hinein mit demonstrativer – und die Königin aufreizender – Gelassenheit72. Opposition und Kritik übten vorerst nur der konservative Lord Ellenborough, der selbst zu Beginn der 1840er Jahre Generalgouverneur von Indien gewesen war, und Disraeli.
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Vgl. dazu Disraeli an Lady Londonderry, 16. September 1857, M&B IV, S. 96 f., hier 96 („suspicion [. . .] that many of the details of horrors, which have so outraged the sensibility of the country, are manufactured“ und „complete invention“), und Victoria an Cambridge, 19. Oktober 1857, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 192 („a good many of those dreadful stories of torture and mutilation, &c. are not true, or at least greatly exaggerated. Several instances [. . .] have proved to be sheer inventions, and our evidence depends almost entirely upon the evidence of natives“), mit dem Kommentar des Herausgebers. Vgl. die Stellungnahmen von Lord President Granville im Oberhaus am 29. Juni, 13. und 30. Juli sowie 14. August 1857, HANSARD 3/146, Sp. 520–523, bes. 522, und Sp. 1331–1333, sowie HANSARD 3/147, Sp. 694 f. und Sp. 1622–1624, und von Vernon Smith im Unterhaus am 29. Juni 1857, HANSARD 3/146, Sp. 540–545; vgl. auch Victoria an Palmerston, 22. August 1857, LQV 1837–1861 III, S. 244 („The Queen, the House of Lords, the House of Commons, and the Press, all call out for vigorous exertion, and the Government alone take an apologetic line, anxious to do as little as possible, to wait for further news, to reduce as low as possible even what they do grant, and reason as if we had at most only to replace what was sent out“). Vgl. auch HAWKINS, Parliament, S. 79.
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VIII. Außenpolitik und Empire
Am 9. Juni stellte Ellenborough eine erste Anfrage im Oberhaus über den Zustand in Indien, die er zugleich mit einer Kritik an britischen Einmischungen in die Religion der Einheimischen, namentlich durch christliche Mission, und mit der Aufforderung zu einer „policy of respecting the feelings and prejudices of the natives“ verband73. Obwohl er damit keinen konkreten Vorwurf an die Regierung formulierte, deren Vertreter ihm in der Sache auch zustimmten74, richtete sich seine Äußerung doch gegen Generalgouverneur Canning (den die Regierung allerdings in Schutz nahm) und insbesondere gegen die Westernisierungspolitik allgemein, für die vor allem Cannings Vorgänger Dalhousie stand. Den Schutz des bedrohten Empire bezeichnete Ellenborough als eine Frage sowohl des britischen Interesses als auch, insbesondere angesichts des Aufstandes, der Ehre. Dazu sei eine „strong hand of power“ vonnöten, um die Erhebung niederzuschlagen; die Regierung aber setze durch ihre Tatenlosigkeit die britische Herrschaft aufs Spiel75. Disraeli hatte bis 1857 kein ausgeprägtes Interesse am Empire und an imperialer Politik erkennen lassen. Als „fine adjunct“, aber keineswegs als einen zentralen Gegenstand hatte er kolonialpolitische Überlegungen 1850 eingeschätzt76, Ende 1851 kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt (den ihm Derby umgehend wieder ausblies), die Kolonien als Instrument in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den städtisch-wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten einzusetzen77, und im Sommer 1852 in einem Brief
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Vgl. Ellenboroughs Anfrage im Oberhaus vom 9. Juni 1857, HANSARD 3/145, Sp. 1393–1396, das Zitat 1395; vgl. auch Malmesburys Stellungnahme vom selben Tag, HANSARD 3/145, Sp. 1398 f., sowie dieselbe Position schon bei Travers Twiss, Austria and Germany, in: QR 84, Nr. 167 (Dezember 1848), S. 185–222, hier 186 („the supreme government shall scrupulously respect the historical peculiarities of the different races. This is and always will be the secret of imperial sway; and the observance of this fundamental condition has contributed in a great degree to maintain the ascendancy of British rule in the East“). Vgl. die Stellungnahmen Granvilles und Lansdownes im Oberhaus vom 9. Juni 1857, HANSARD 3/145, Sp. 1396–1398 und Sp. 1399 f. Vgl. Ellenboroughs Oberhausreden vom 29. Juni, 13. und 30. Juli 1857, HANSARD 3/146, Sp. 512–520, hier 518, und Sp. 1323–1331, hier 1324 und 1330, sowie HANSARD 3/147, Sp. 691–694. Disraeli an Stanley, 2. November 1850, DISRAELI LETTERS VI, 2035X/528. Vgl. Disraeli an Derby, 9. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS V, 2205/495 (Idee eines „great push [. . .] to reconstruct our colonial system, or rather empire by freeing the colonies from all duties, or some other mode, & conceding to them as represented in the imperial parliament the vacancy occasioned by the disenfranchised boroughs – so bringing a third element formally into the house & healing that too obvious division & rivalry betn. town & country. If feasible, it wd. allow us to prevent perhaps the increase of the town, or democratic, power, witht. the odium of directly resisting its demands“); vgl. dazu Derbys Antwort vom 11. Dezember 1851, EBD., 2205/496 f. Anm. 3; vgl. auch Kapitel VI.1.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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an Außenminister Malmesbury das berühmte Wort vom „Mühlstein“ formuliert: These wretched colonies will all be independent [. . .] in a few years, and are a millstone round our necks.78
Ist diese Äußerung auch im Zusammenhang der Sorge des Schatzkanzlers um seinen Haushalt zu verstehen, der ihm durch imperiale und zudem durch zusätzliche verteidigungspolitische Kosten belastet und durcheinandergebracht wurde79, so ist doch festzuhalten, daß das Empire (ebenso wie Außenpolitik) jedenfalls bis in die mittleren fünfziger Jahre hinein nur eine nachgeordnete Rolle in Disraelis politischem Denken spielte und seine inhaltlichen Positionen abgeleiteter, nicht autogener Natur waren. Am 29. Juni 1857 dann sprach Disraeli vom Empire als „Stolz des Landes“ und als „einer der wichtigsten Quellen seines Wohlstandes, seiner Macht, und seines Ansehens“. Es sei von allerhöchster Bedeutung, daß die Reputation Englands in allen orientalischen Ländern unangetastet bleibe, und daher dürfe kein Aufwand gescheut werden, um die Herrschaft in Indien zu sichern80. Ganz auf Disraelis Kurs segelte, wie üblich, die Press, die Anfang Juli 1857 die englische Verantwortung für Indien betonte und überzogenes Vertrauen und militärische Nachlässigkeit von britischer Seite in den vergangenen Jahren – zwei später oft artikulierte Argumente – für den Aufstand verantwortlich machte81. Daß Indien ein großes Thema der innenpolitischen Debatte werden müsse, implizierte natürlich eine parteipolitische Dimension: India must become a Parliamentary subject of the first magnitude, and parties will stand opposed to each other on this most urgent of questions. The preservation of our empire will demand the united energies of Conservative politicians.82
Dieses Kalkül wird Disraeli kaum ferngelegen haben, als er am 27. Juli 1857 eine durchaus unerwartete, dreistündige Grundsatzrede über Indien und das Empire im Unterhaus hielt83, in der er vor allem den Segen der britischen Herrschaft für das traditionell der Tyrannei unterworfene Indien betonte: 78 79 80 81 82 83
Disraeli an Malmesbury, 13. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2358/113; auch MALMESBURY MEMOIRS I, S. 343 f., hier 344. Vgl. auch Disraeli an Derby, 31. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2378/130. Anfrage Disraelis im Unterhaus, 29. Juni 1857, HANSARD 3/146, Sp. 536–540, hier 537 f., das Zitat 538. Vgl. den Artikel „The Indian Mutinies“ in der PRESS vom 4. Juli 1857, Vol. V, Nr. 218 (4. Juli 1857), S. 642 f., hier 643, sowie den Leitartikel vom 18. Juli 1857, Vol. V, Nr. 220, S. 689. Leitartikel der PRESS vom 18. Juli 1857, Vol. V, Nr. 220, S. 689. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 27. Juli 1857, HANSARD 3/147, Sp. 440–481, die folgenden Zitate 446 und 478.
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VIII. Außenpolitik und Empire
our conquest of India in the main has been a conquest of India only in the same sense in which William of Orange conquered England. We have been called in [. . .] by populations suffering under tyranny, and we have entered those kingdoms and principalities to protect their religion and their property. It will be found in that wonderful progress of human events which the formation of our Indian empire presents that our occupation of any country has been preceded by a solemn proclamation and concluded by a sacred treaty, in which we undertook to respect and maintain inviolate the rights and privileges, the laws and customs, the property and religion of the people, whose affairs we were about to administer.
Abgesehen von der Vernachlässigung genuin britischer merkantiler und militärischer Interessen liegt die Bedeutung dieser Sichtweise Disraelis in der Wichtigkeit, die er der Anerkennung der einheimischen Verhältnisse, insbesondere im Hinblick auf Besitzverhältnisse und Religion und die unabhängigen Staaten zumißt. Dies aber sei in den vergangenen zehn Jahren – dem Gouvernement Dalhousies – sträflich vernachlässigt, ja umgekehrt worden. Die Zerstörung der einheimischen Herrschaftsgewalten durch die Annexionen, vor allem von Oudh, sowie die massiven Eingriffe in Besitzverhältnisse und einheimische Religion hätten ein Klima der Unzufriedenheit und des Aufruhrs geschaffen, dessen Vorboten dann obendrein mißachtet worden seien. (Der konservative Abgeordnete Baring warf seinem Unterhausführer daraufhin giftig vor, er habe in dem Moment, da Loyalität zur Regierung angezeigt sei, den Eindruck erweckt, als sei ein Aufstand des gesamten indischen Volkes gerechtfertigt84.) Vonnöten sei, so skizzierte Disraeli die kurz- und mittelfristigen Perspektiven, zunächst eine Wiederherstellung der britischen Herrschaft mit konsequent eingesetzten militärischen Mitteln, dann aber eine Verbindung von „justice the most severe with mercy the most indulgent“. Vor allem aber solle die britische Herrschaft in Indien zukünftig auf weitere Eroberungen und Annexionen verzichten und zu einer Politik der Respektierung der einheimischen Verhältnisse zurückkehren, dabei aber die Bindung Indiens an England und namentlich die Königin verstärken. Konsequenzen aus dem Aufstand ebenso wie seine Gründe wurden verstärkt im Herbst 1857 debattiert, als sich seine Niederschlagung abzeichnete. In dieser Situation brachte auch Derby seine Vorstellungen über den Fortgang der indischen Angelegenheiten zu Papier. Die schuldigen Aufständischen seien hart zu bestrafen, die britische Herrschaft vollständig wiederherzustellen und durch verstärkte britische Truppen zu befestigen. 84
Vgl. die Unterhausrede Thomas Barings vom 27. Juli 1857, HANSARD 3/147, Sp. 542 f.; vgl. dazu auch Grevilles Tagebucheintrag vom 2. August 1857, GREVILLE MEMOIRS VII, S. 294 f.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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Der Generalgouverneur und seine Gremien sollten dabei von Einflußnahmen des Londoner Parlaments ausgenommen werden, da die imperiale Herrschaft, „which must be in its nature to a great extent arbitrary and independent of popular influences“, mit den Mechanismen des parliamentary government und der freien Diskussion nicht kompatibel sei: With an energetic Governor General, and a trustworthy Council, the less Parliament meddles, the better for the happiness and advancement of India.
Dieses Argument, das sich hier nicht zuletzt gegen die innen- und parteipolitische Indienstnahme des Empire richtete, wurde häufig vorgetragen, ohne sich dabei, wie um die Jahrhundertwende im Zeichen des Hochimperialismus, weitergehend auf die Vorstellungen von Staatsform und Regierungssystem im englischen Mutterland auszuwirken85. Auch der Peelit James Graham verfolgte ähnliche Vorstellungen86, wie überhaupt Derbys Haltung keineswegs kontrovers war. Das Empire fiel nach herrschendem englischem Verständnis in dieser Zeit keineswegs unter die Segnungen der freiheitlichparlamentarischen Verfassung des Mutterlandes. Die indische Verwaltung, so schloß Derby seinen Rundblick ab, solle dabei jedoch keineswegs unumschränkt schalten und walten, sondern sich aus der internen Administration der eingeborenen Herrscher heraushalten, die örtlichen Gesetze und Gebräuche wie auch das Kastenwesen respektieren und die freie Ausübung der Religion gewährleisten, solange sie mit der (englisch-christlichen) Moral vereinbar sei87. Im Herbst dieses vom indischen Aufstand geprägten Jahres 185788 verschärfte sich dann die Debatte. Die Nachrichten über indische Grausamkeiten gegenüber Briten erzeugten ein öffentliches Bild der „natives of India (the few allowed to survive)“, wie Lord Minto mit ätzendem Spott formulierte, „as monsters to be held in slavish subjection by the sword“89. Dazu
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Vgl. zu dieser Diskussion SCHIEREN, Weltreich, S. 2–5, 8 f. und 12 f.; vgl. die zeitgenössischen Äußerungen von Patterson, Our Indian Empire, BM 80, S. 636–659 (Dezember 1856), S. 636–659, hier 652, oder Thomas Barings Unterhausrede vom 24. Juni 1858, HANSARD 3/151, Sp. 370 f., hier 370. Vgl. Graham an Russell, 27. Dezember 1857, PARKER, Life of Graham II, S. 327 f., hier 328: „The great modern discovery of self-government and free institutions, whereby continents are still ruled as British dependencies, will not assist you here. In India the British dominion must be absolute as well as supreme; and the disconnection of the great body of the public servants there from the vicissitudes of party warfare here will be found essential to the maintenance of steady counsels and commanding authority.“ Derby an G.A. Hamilton, 20. September 1857, NL Derby, Liverpool RO, 920 DER (14), 183/2, fol. 252–265, Vgl. ANNUAL REGISTER 1857, S. 125. Minto an Russell, 31. Oktober 1857, zit. nach HAWKINS, Indian Issue, S. 80.
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VIII. Außenpolitik und Empire
zählte auch ein massives öffentliches Verlangen nach Vergeltung, das etwa auch der paternalistische Philanthrop Shaftesbury mit evangelikaler Strenge und dem Argument der gerechten Bestrafung vortrug und dem sich vor allem Disraeli nachdrücklich widersetzte90. Vor diesem Hintergrund diskutierten im Herbst 1857 auch die Quarterly Review und Blackwood’s Magazine Gründe und Konsequenzen des Aufstandes. Die britische Herrschaft habe zwangsläufig Unzufriedenheit unter den betroffenen depossedierten Machthabern und innerhalb der Armee hervorgerufen, sie habe aber vor allem durch zu große und vertrauensvolle Konzessionsbereitschaft – diese Analyse setzte sich durch – bei den Einheimischen den fatalen Eindruck der Schwäche erweckt, der angesichts einer Lockerung der britischen Herrschaft sofort für den Aufstand ausgenutzt worden sei91. Da der Inder keine andere Herrschaftsform als „pure and unadulterated despotism“ kenne92, müsse zuerst mit harter Hand die britische Suprematie und Superiorität wiederhergestellt werden: „We must be supreme, sole masters.“ Der Herrschaft des Schwertes müsse dann aber die Herrschaft der Überzeugung folgen, und dazu sei Mäßigung vonnöten, vor allem die Respektierung der einheimischen Gesetze und Gebräuche, allerdings auf der Grundlage von „firmness, consistency, and [. . .] justice“93. Schließlich stelle sich die schwierige Frage nach der christlichen Religion, die Shaftesbury eindeutig und offensiv anging, indem er einen „kühneren, christlicheren Kurs“ in Indien anmahnte. Dabei traf er jedoch zögernde Konservative, die zwar von der Überlegenheit und auch dem missionarischen Auftrag des Christentums überzeugt waren, ebenso aber um dessen destabilisierende Auswirkungen wußten und sich daher zunächst missionarische und religiöse Zurückhaltung auferlegten. Dies galt auch für Derby, der ansonsten, wie auch in der Frage der Bestrafung der Aufständischen, einen konsequenten, aber nicht allein auf die Konservativen beschränkten, ganz paternalistischen Herr-im-Haus-Standpunkt vertrat, der den Kolo-
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Vgl. Disraeli an Sarah Willyams, 23. September 1857, M&B IV, S. 97, sowie seine Rede auf einem farmer’s dinner in Newport Pagnell am 30. September 1857, EBD., S. 98 f., hier 99 („I protest against meeting atrocities by atrocities“), demgegenüber Shaftesburys Rede auf einer Versammlung in Wimborne Minster am 30. Oktober 1857, HODDER, Shaftesbury III, S. 57–60, bes. 57, sowie den Artikel „India in Mourning“ vom 29. September 1857 in: FM 56, S. 737–750 (Dezember 1857), bes. S. 747 f. Vgl. Thomas James, Indian Mutiny, in: QR 102, Nr. 204 (Oktober 1857), S. 534–570, hier 535 und 566–569, und Charles Hamley, Our Indian Empire, in: BM 82, S. 643–664 (Dezember 1857), hier S. 643 f. und 659. James Fergusson, Our Indian Empire, in: QR 103, Nr. 205 (Januar 1858), S. 253–278, hier 263. Vgl. Hamley, Our Indian Empire, in: BM 82, S. 643–664 (Dezember 1857), hier S. 661 und 663 (dort auch die Zitate), zum folgenden Satz S. 664.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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nien den Status der Schutzbefohlenen in der klassischen societas civilis zuwies: we must strenuously maintain the principle of convincing the native, more than he has as yet ever been convinced, of our unconquerable superiority and supremacy. There must be no half measures. You must make him feel that England is his master; but having done that, make him also feel that the mastery will be exercised, notwithstanding all that has happened [. . .] for his own benefit. He must be your servant, but you must be his benefactor; and though you will have to govern the whole of India by the dominion of the sword and by force, you must not hope to govern it by the sword alone, unaccompanied by measures of amelioration.94
Die Forderung der Quarterly Review, die europäischen Elemente in Indien zu verstärken95, deutete dann schon auf die Government of India-Bill hin, die 1858 durch das Parlament ging und in die Verantwortlichkeit von Derbys zweitem Kabinett fiel, das im Februar 1858 nach dem (nicht durch die indische Frage beeinflußten) Sturz der Regierung Palmerston ins Amt kam. Dieses Gesetz stellte einen administrativen, nicht kontroversen Akt dar96, und sein durchgehend in Absprache mit John Russell erfolgtes parlamentarisches Procedere97 bedarf daher an dieser Stelle keiner detaillierten Erörterung. Es übertrug die Regierungsgewalt in Indien formell von der Ostindischen Kompanie auf die Krone und sah einen Minister im Kabinettsrang vor, der zugleich einem Council of India vorstand98. In der parlamentarischen Debatte äußerte sich John Bright skeptisch über das Empire und die Möglichkeit Englands, Indien zu beherrschen, und er ließ damit in vorsichtigen Worten die Vorbehalte anklingen, die Richard Cobden intern schon während der gesamten Rebellion artikuliert hatte: „It will be a happy day when England has not an acre of territory in Continental Asia“99. 94 95 96 97 98
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Oberhausrede Derbys vom 3. Dezember 1857, HANSARD 3/148, Sp. 24–55, hier 49 f., zur Religionsfrage in Indien S. 52 f. Fergusson, Our Indian Empire, in: QR 103, Nr. 205 (Januar 1858), S. 253–278, hier 276. Vgl. dazu auch Derby vor dem Oberhaus, 15. Juni 1858, HANSARD 3/151, Sp. 1450 f. Vgl. dazu ANNUAL REGISTER 1858, S. 74, und HAWKINS, Indian Issue, S. 92–94, sowie HAWKINS, Parliament, S. 123–134. Vgl. dazu ANNUAL REGISTER 1858, S. 69–82 und 113–130, Disraelis Unterhausrede vom 26. März 1858, HANSARD 3/149, S. 818–833, Stanleys Unterhausrede vom 24. Juni 1857, HANSARD 3/151, Sp. 315–330, bes. 316 und 329, Whites Tagebucheintrag vom 3. April 1858, WHITE, Inner Life I, S. 51–54, hier 52, sowie HAWKINS, Indian Issue, S. 88–94. Cobden an Bright, 22. September 1857, MORLEY, Cobden, S. 675–677, hier 677; vgl. auch Cobden an Bright, 24. August 1857, EBD., S. 672–675, hier 674 („I have no faith in the doctrine that by any possible reforms we can govern India well, or continue to hold it permanently. [. . .] And if it be true, as even Voltaire believed it to be, that there is ‚un Dieu rétributeur et vengeur‘, the deeds perpetrated by the British in times past, and still more the bloody deeds now being enacted, and which all arise from our own original aggression upon distant and unoffending communities, will be visited with unerring justice upon us or our
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VIII. Außenpolitik und Empire
Jetzt gab es für die Konservativen endlich etwas Kontroverses: John Bright und die Radikalen versuchten ohnehin, echauffierte sich James Whiteside, alles zu diskreditieren, was in England bestehe, und so hätten sie auch keinen Sinn für die britische Herrschaft in Indien, die gerechter und wohltätiger für die Einheimischen sei als jede vorherige einheimische Herrschaft: not for the grandeur or the false glory of conquest, but for the happiness and good of the people, ought that Government of that country to be conducted.100
Wenn in dieser Argumentation einmal mehr die Vorteile für England aus der Herrschaft über Indien nicht vorkamen, dann hatte dies natürlich rhetorische Gründe, aber es entsprach doch grundsätzlich durchaus der zeitgenössischen Perzeption. Denn daß Indien für das Inselreich erhebliche ökonomische, vorwiegend handelspolitische Bedeutung und obendrein militärischen Wert besaß, weil dort Truppen stationiert werden konnten und sich England somit den Luxus leisten konnte, kein stehendes Heer auf heimischem Boden zu unterhalten, was als Garant der englischen Freiheit galt, war nicht strittig101. Aber zum einen wurden die Vorteile für Indien selbst als größer angesehen102, und zum anderen standen den eigenen Vorteilen erhebliche Kosten gegenüber. Ob die Bilanz zu Englands Gunsten ausfiel, bezweifelte Robert Cecil durchaus, doch aus Verpflichtung und Ehre müsse es das Empire aufrechterhalten; schon ironisch klingt gerade aus seinem Mund als ein weiterer Grund, sich dem Gefühl hingeben zu können, „daß die Sonne im Reich niemals untergeht.“ Schließlich hinterläßt auch das
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children“), und Cobden an Henry Ashworth, 16. Oktober 1857, EBD., S. 669–672, hier 670–672 („I am, and have always been, of opinion [. . .] that we have attempted an impossibility in giving ourselves to the task of governing one hundred millions of Asiatics. [. . .] I have no faith in the power of England to govern that country at all permanently; [. . .] I do not believe in the possibility of the Crown governing India under the control of Parliament. [. . .] Hindoostan must be ruled by those who live on that side of the globe. Its people will prefer to be ruled badly – according to our notice – by its own colour, kith and kin, than to submit to the humiliation of being better governed by a succession of transient intruders from the antipodes. [. . .] there is no future but trouble and loss and disappointment and, I fear, crime in India, and they are doing the people of this country the greatest service who tell them the honest truth according to their convictions, and prepare them for abandoning at some future time the thankless and impossible task“). Unterhausrede Whitesides vom 24. Juni 1858, HANSARD 3/151, Sp. 353–360. Vgl. T. Maltby, The Value of India to England, in: QR 120, Nr. 239 (Juli 1866), S. 198–220, bes. 201–203, 205, 207 und 216 f., Stanleys Adresse an die Wähler von King’s Lynn vom 27. März 1857, in: THE TIMES vom 28. März 1857, S. 7c/d, hier 7d, BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 437, und Robert Cecil, Merivale on Colonization, in: SR XII, Nr. 302 (10. August 1861), S. 146–148, hier 147. Vgl. T. Maltby, The Value of India to England, in: QR 120, Nr. 239 (Juli 1866), S. 198–220, hier 207.
2. Empire: Der indische Aufstand von 1857
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Argument des imperialen Sachzwangs unter den Mächten nicht gerade den Eindruck von Euphorie für das Weltreich103. In der Tat läßt sich keineswegs behaupten, daß Überzeugungen von ökonomischem und militärischem Nutzen im Zentrum des Indienbildes, gar eines breiten imperialen Diskurses gestanden hätten. Dabei bejahten die Konservativen das Empire allgemein und grundsätzlich ausnahmslos, waren gegenüber (vorwiegend liberal inspirierten) Ideen einer Westernisierung und Anglisierung vor allem Indiens skeptisch eingestellt und in Fragen der christlichen Mission nicht eindeutig orientiert. Den Empire-kritischen Radikalen brachten sie Ablehnung entgegen, so daß sich der grundlegende Gegensatz zum Radikalismus auch auf imperialem Terrain fortsetzte. Er hinterließ aber hier keine so tiefen Spuren wie auf gesellschafts- und verfassungspolitischem Gelände, denn das Empire war und blieb, trotz gegenteiliger Appelle104, auch nach 1857 kein „Masterthema“, vielmehr ging die Aufmerksamkeit bald wieder zurück105. Disraeli allerdings hatte das Thema entdeckt: What could be a more sure basis for public confidence, and a more glorious claim for a nation’s gratitude, than to restore that Empire in India which the Whigs have all but fast lost?106
Imperien würden dabei nicht durch intellektuelle Systeme von Professoren geschaffen, sondern durch „instinct of power“ und „love of country“ von
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Vgl. Cecils Unterhausrede vom 5. März 1861, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 127 („It may fairly be questioned whether it was wise originally to colonise these territories, and whether – looking back on all the results – we have been repaid for the great cost and anxiety which they have entailed. But, having entered into a pledge with the emigrants whom we sent out to those colonies, it is impossible with honour to refuse to guarantee their security“), Cecil, Merivale on Colonization, in: SR XII, Nr. 302 (10. August 1861), S. 146–148, hier 147 (dort das Zitat: „we spend about a million and a half yearly on their defence – an expenditure which enables us to furnish an agreeable variety of station to our soldiers, and to indulge in the sentiment that the sun never sets on our Empire“), und Cecil, The Revolution in Japan, in: SR XV, Nr. 375 (3. Januar 1863), S. 8f., hier 9 („It is easy to philosophise about the vanity of extended territory, until we see it grasped by others. [. . .] The instinct of the nation will never be content without a share in the booty which it sees its neighbours greedily dividing“). Vgl. auch PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 132. Vgl. James, Indian Mutiny, in: QR 102, Nr. 204 (Oktober 1857), S. 534–570, hier 535. Derby etwa erwähnte das Thema Indien schon 1858 weder in seiner Entgegnung auf die Thronrede am 4. Februar, HANSARD 3/148, Sp. 686–698, noch in seiner Regierungserklärung vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, in nennenswerter Weise; auch in den konservativen Periodika ging das Interesse an Indien rasch erheblich zurück; vgl. auch Cecil, Merivale on Colonization, in: SR XII, Nr. 302 (10. August 1861), S. 146–148, hier 147. Disraeli an Pakington, 6. Oktober 1857, NL Pakington, Worcestershire RO Worcester (city centre branch), 705:349, 3835/7(ii).
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VIII. Außenpolitik und Empire
Staatsmännern und Feldherren107. Nicht ein nüchternes außenpolitisches Kalkül von ökonomischem Wert und militärischem Nutzen108, sondern die Perspektive „phantasmagorischer“109 Inspiration und der politisch verwertbaren, integrativen Imaginationskraft des Themas bestimmte seine Vorstellung von Indien und dem Empire, das den gesellschafts- und verfassungspolitischen Grundlagen seines politischen Denkens nachgeordnet blieb. Seine imperialen Ideen waren auch nach 1857 nicht autogener, sondern abgeleiteter Natur, ein Derivat seiner Vorstellung von der „national party“ und Instrument im Kampf um die „territorial constitution“, dessen zukünftigen Nutzen Disraeli allerdings bereits 1857 vor Augen hatte: It will be a great thing to have carried the India Bill [. . .]; but it is only the antechamber of an imperial palace; and Your Majesty would do well to deign to consider the steps which are now necessary to influence the opinions and affect the imagination of the Indian populations. The name of your Majesty ought to be impressed upon their native life. Royal Proclamations, Courts of Appeal, in their own land, and other institutions, forms, and ceremonies, will tend to this great result.110
Zuvor jedoch stellte die Umgestaltung der (mittel)europäischen Landkarte nach dem Krimkrieg im Zeichen von einzelstaatlicher Interessenpolitik und nationalen Bewegungen England und die Konservativen vor die Frage nach der künftigen außenpolitischen Orientierung. Der bald gefundene parteiübergreifende Konsens der non intervention-Politik wirft unterdessen die Frage nach Genese und Motiven dieser außenpolitischen Direktive, die für gewöhnlich mit genuin ökonomisch-freihändlerischen, gar liberal-utopischen Grundsätzen assoziiert wird, auf konservativer Seite auf.
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Rede Disraelis wohl aus dem Jahr 1863, M&B IV, S. 334 f., hier 335. Im Hinblick auf Kanada etwa, das im Unterschied zu Indien allerdings auch eine Siedlungsund keine Kronkolonie war, lehnte Disraeli militärische Verpflichtungen Englands strikt ab, vgl. seinen Brief an Derby vom 30. September 1866, EBD., S. 476 f., hier 476: „It can never be our pretence or our policy to defend the Canadian frontier against the U.S. [. . .] Power and influence we should exercise in Asia; consequently in Eastern Europe, consequently also in Western Europe; but what is the use of these colonial deadweights which we do not govern? [. . .] Leave the Canadians to defend themselves; recall the African squadron; give up the settlement on the west coast of Africa; and we shall make a saving which will make at the same time enable us to build ships and have a good Budget.“ Begriff aus Disraelis Rede im Sheldonian Theatre in Oxford am 25. November 1864, EBD., 370–374, hier 372, im Zusammenhang der Religion, aber durchaus mit Bezug auf das Empire. Disraeli an Victoria, 24. Juni 1858, LQV 1837–1861 III, S. 293 f., hier 294.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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3. LIBERALE UTOPIE ODER KONSERVATIVE REALPOLITIK? „ÖKONOMISIERUNG DER AUSSENPOLITIK“ UND NICHTINTERVENTION Die besondere Bedeutung von Außenhandelspolitik für die klassische Handelsnation England mit ihren weltumspannenden Verbindungen liegt offen zutage. Ausgehend von der Frage nach den Gründen für die vor allem militärisch passive Politik Englands gegenüber der Umgestaltung der europäischen Landkarte durch die italienischen und vor allem deutschen Einigungskriege zwischen 1859 und 1871 richtet sich dabei das Augenmerk insbesondere der deutschen Englandforschung auf den Stellenwert der Außenhandelspolitik und allgemein der Ökonomie innerhalb des inhaltlichen und institutionellen Gefüges der Außenpolitik sowie innerhalb der britischen Auffassung von den internationalen Beziehungen. Anknüpfend an Anselm Doering-Manteuffels Interpretation eines Paradigmenwechsels der britischen Außenpolitik nach 1848 von Legitimität und Solidarität hin zu gesellschaftlicher Modernität und Ökonomie als Kriterien äußerer Orientierung im Zeichen der Konzentration auf die nationalen Interessen111 hat Gabriele Metzler die These von einer „Ökonomisierung“ der äußeren Politik im Rahmen eines Verständnisses vom europäischen Staatensystem als einem „Markt im ökonomischen Sinne“ formuliert112. Geboren aus den Erfordernissen der imperialen und ökonomischen Krise von 1857/58 und dem bürgerkriegsbedingten Zusammenbruch der amerikanischen Märkte zu Beginn der sechziger Jahre habe sich England, verdichtet im Handelsvertrag mit Frankreich von 1860, dem Kontinent mit einem spezifisch handelspolitischen Konzept zugewandt, um Märkte zu erschließen und auf diese Weise zugleich „informelle Kontrolle über die Entwicklung auf dem Kontinent“ zu gewinnen und somit genuin ökonomischfreihändlerisch definierte Macht im Sinne von Führung durch Autorität anstelle von Herrschaft durch Zwang auszuüben. Dieses parteiübergreifende Konzept einer neuartigen Außenpolitik nach den Maßgaben der politischen Ökonomie mitsamt der ideologischen Vision vom Weltfrieden durch Frei111 112
Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 101, 222 und 327. Vgl., auch zum folgenden Absatz, METZLER, Weltmacht in Europa, S. 58–62 und 301–305, sowie METZLER, Spectator, S. 69 f., 84 und 95–101, die Zitate S. 84, das folgende Zitat S. 99; vgl. auch WENDT, Freihandel, S. 46–50, 53 und 61. Vgl. auch DAVIS, Britain and the Zollverein, bes. S. 169–175, der, im Ergebnis weniger zugespitzt, auf eine Trennung von Handel und Politik (statt auf eine Ersetzung der Politik durch den Handel) abhebt, aber ebenfalls den politischen Stellenwert sowie die ideologisch-moralische Aufladung der britischen Außenhandelspolitik des „unilateralen Freihandels“ (S. 174) betont.
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VIII. Außenpolitik und Empire
handel habe jedoch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahren im militarisierten Bezugsrahmen der internationalen Politik seine Ohnmacht erfahren und zu einer neuerlichen Abwendung der englischen Außenpolitik vom Kontinent geführt. Aus den englischen Erfahrungen im Krimkrieg, den Traditionen der Geschichte des Landes und den weltanschaulichen Überzeugungen der freihändlerischen Lehre erklärt Klaus Hildebrand die Politik der militärischen Nichtintervention bei gleichzeitiger ökonomischer, zivilisatorischer und politischer Intervention. „Handel und Profit“ statt „Prestige und Ehre“ bestimmten die „optimistische Perspektive“ der überparteilich anerkannten „Pax Britannica“ mit ihrem Glauben an wirtschaftliche Stärke und zivilisatorischen Fortschritt, „wonach sich die herkömmliche Außenpolitik im Wirtschaftlichen auflösen lasse“, ohne daß damit auf die kriegerische ultima ratio verzichtet worden wäre. Aber: „Nichtintervention galt als Sicherheitspolitik“113. Anders gewichtet, aber ebenfalls unter Verbindung von Außenpolitik und Ökonomie hat Peter Ghosh eine integrale finanz-, außen- und verteidigungspolitische Konzeption Disraelis vorgestellt, in der sich das Prinzip des Haushaltsgleichgewichts („economy and retrenchment“) mit zurückhaltender Außenpolitik verband; denn als politisch notwendig erachtete niedrige Steuern und niedrige Staatsausgaben setzten auf außenpolitischer Ebene Frieden in Europa voraus, der sich am ehesten durch die Entente mit Frankreich aufrechterhalten ließ114. Im Hinblick auf die Konservativen stellt sich die Frage, warum sie die Nichtinterventionspolitik befürworteten, und insbesondere, ob oder inwiefern sie deren dezidiert freihändlerisch-ideologischen und somit radikalliberalen Motive teilten. Dazu wird anhand ihrer Reaktion auf den CobdenVetrag von 1860 zunächst ihre Haltung zur Vision einer „Ökonomisierung der Außenpolitik“ bestimmt, um dann anhand ihrer Politik gegenüber dem deutschen Krieg von 1866, die von den Konservativen mit regierungsverantwortlicher Verbindlichkeit zu betreiben war, Motive und Elemente ihrer Nichtintervention zu ermitteln.
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Vgl. HILDEBRAND, No Intervention, S. 11–13, 33, 37 f., 42–45, 48–51, 55, 83, 99 und 412, die Zitate S. 45, 412 und 44. Vgl. auch BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 167 und 351, sowie CHAMBERLAIN, Pax Britannica, S. 123. Vgl. GHOSH, Disraelian Conservatism, S. 284–286, 289 f. und 293 f., das Zitat S. 286.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention A)
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„MAMMON-WORSHIPPING PEACE CROTCHETS“: DER COBDEN-VERTRAG VON 1860
Mit dem bilateralen Handelsvertrag vom 23. Januar 1860 verpflichtete sich Frankreich zur Abschaffung aller Einfuhrverbote auf englische Waren und zur schrittweisen Senkung der Zölle auf maximal 25%; im Gegenzug senkte England die Abgaben auf Spirituosen und Seidenwaren aus Frankreich und hob die Zölle auf Kohle gänzlich auf; beide Länder gewährten sich zudem Meistbegünstigung115. Die Bedeutung des Abkommens ging dabei über das rein Handelspolitische hinaus und lag nicht zuletzt in seiner sozialen und ideologischen Dimension. Der von Richard Cobden offiziell als Privatmann geschlossene und vom Board of Trade unterstützte, nicht aber vom Foreign Office ausgehandelte Vertrag bedeutete erstens schon durch die Art seines Zustandekommens einen Angriff auf die klassische Diplomatie, wie er sich in John Brights Tagebuch niederschlug: Lords and diplomatists, spending £ 15 000 a year, have been in Paris for half a century past, and have done nothing. Cobden, a simple citizen, unpaid, unofficial – but earnest and disinterested – has done all. If your statesmen were such as he, what would England not become!116
Die im Zusammenhang des Vertrages aufbrechende Rivalität der beiden Ministerien, des klassischen Amtes für Äußeres und der neueren Administration für Handel, ließ sich zweitens zugleich als „ein verdeckter Machtkampf zweier sozialer Schichten: der vorindustriellen Eliten auf der einen Seite, der aufstrebenden Mittelklassen in Handel und Industrie auf der anderen“ verstehen117. Wenn sich Cobden von dem Vertrag „a change in the relations between these two great neighbours by placing England and France in mutual commercial dependence on each other“118 versprach, dann richtete sich dieses Konzept der Gestaltung der internationalen Beziehungen mittels ökonomischer Verflechtung drittens gegen die klassischen Mechanismen des Mächtesystems im Zeichen von „Balance“ und „Konzert“, die obendrein 115
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Vertragstext in: CTS 121, S. 243–258, Zusatzabkommen aus dem Jahr 1860 S. 258–267, Zolltarifaufstellungen im einzelnen S. 268–308, vgl. auch ANNUAL REGISTER 1860, S. 223–229, die Zusatzabkommen S. 229–231. Tagebucheintrag Brights vom 25. Januar 1860, BRIGHT DIARIES, S. 244 f., hier 245; vgl. auch Cobdens Äußerung, hier zit. nach BOURNE, Foreign Policy, S. 85: „Free Trade is God’s Diplomacy, and there is no other certain way of uniting people in bonds of peace.“ Vgl. bereits Cobdens Rede in Manchester vom 15. Januar 1846, EBD. 38/269 f. METZLER, Weltmacht in Europa, S. 149, und WENDT, Freihandel, S. 38–42. Tagebucheintrag Cobdens vom 23. Januar 1860, MORLEY, Cobden, S. 730.
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VIII. Außenpolitik und Empire
von Regierungen bedient wurden, während Cobden und Bright „bonds for uniting not only the two Governments, but the two peoples“ knüpfen wollten119. Viertens schließlich war auch den zeitgenössischen Beobachtern klar, daß sich dieser Handelsvertrag mit Frankreich und die militärische Rüstung gegen den Nachbarn schlechterdings nicht vertrugen; in der Tat lag es in radikalliberaler Absicht, die ohnehin als Instrument des aristokratischen Klassenegoismus betrachteten Militärausgaben überflüssig zu machen120. Gegenüber dieser freihändlerisch-ideologischen Aufladung behandelten Premierminister Palmerston und Außenminister Russell den Handelsvertrag betont pragmatisch. Sie deklarierten ihn keineswegs als einen außenpolitischen Paradigmenwechsel, sondern als eine kurzfristige handelspolitische Maßnahme, um das Verhältnis zu Frankreich zu verbessern, ohne dazu ein formelles Bündnis schließen zu müssen121. Die Konservativen hatten sich mit dem Vertrag zu befassen, als er im Parlament in Verbindung mit Gladstones Haushalt für das Jahr 1860 debattiert wurde. Gladstones kühner Entwurf setzte auf Steuer- und Zollsenkungen (außer für die Einkommensteuer), um den Handel zu beleben, und riskierte dazu ein kurzfristiges Haushaltsdefizit. Daß damit die Militärausgaben, namentlich für das Küstenbefestigungsprogramm der Regierung Palmerston, nicht zu leisten sein würden, lag auf der Hand122. In der unmittelbaren Debatte des Handelsvertrages wenige Wochen nach seinem Abschluß brachten die Konservativen in allererster Linie fiskalische Argumente und Einwände vor, während die außenpolitische Dimension, nicht nur auf den Oppositionsbänken, sondern ebenso im wahrlich wirtschaftsliberalen Economist, 119 120
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Unterhausrede Brights vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1619–1637, hier 1634; vgl. auch WENDT, Freihandel, S. 46–50. Vgl. Graham an Gladstone, 18. Januar 1860, PARKER, Life of Graham II, S. 392 f., hier 393 („those who advocate a commercial treaty with France can hardly at the same time contend for an increase of the standing army, for ten millions to be spent on fortresses, for Channel and Mediterranean fleets on a war scale, and for a National Guard in the shape of riflemen. Our nearest neighbour is friendly and trustworthy, or he is not. Our policy must in some measure be based either on confidence or mistrust. We cannot act at the same time in the two opposite senses“), sowie Brights Unterhausrede vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1619–1637, hier 1632–1637; vgl. auch Cobden an George Wilson, 23. September 1856, hier nach WRIGHT (Hg.), Democracy and Reform, S. 127 („The aristocracy have gained immensely since the people took to soldiering“), sowie Cobdens Tagebucheintrag zum November 1860, MORLEY, Cobden, S. 788 („the expenditure for our warlike services on which our aristocratic system flourishes“). Vgl. Palmerstons Unterhausrede vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/167, Sp. 1815–1818, hier 1817 f., Russell an Cobden, 31. Juli 1860, MORLEY, Cobden, S. 788, und METZLER, Weltmacht in Europa, S. 140 und 143 f. Vgl. zu Gladstones Haushalt und den Unterhausdebatten über Hauhaltsvorlage und Handelsvertrag Kapitel IV.5.a) sowie METZLER, Weltmacht in Europa, S. 146–157.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
461
kaum zur Sprache kam123. Im Grundsatz wußten die Konservativen nicht nur die ökonomische, sondern auch die friedensstiftende Bedeutung des Handels durchaus zu schätzen. Derby versprach sich von einem englischfranzösischen Handelsvertrag, mit überraschend optimistischem Tenor, a great moral influence in indisposing Frenchmen and the people of this country unnecessarily or rashly to enter into a war [. . .] though it cannot be a complete preservative against the hazard of war between the two countries.124
Angesichts der internationalen Umbrüche nach dem Krimkrieg und angesichts der jüngsten Erfahrungen des Krieges in Italien sei es mit Zollerleichterungen allerdings nicht getan125. Gerade die zumindest zeitliche Koinzidenz des Vertrages mit der französischen Annexion (bzw. der piemontesischen Abtretung) Nizzas und Savoyens bedeute obendrein im Ergebnis, so kritisierten die Konservativen wiederholt, die sardinisch-französische Aggression von 1859 und somit den Bruch aller Prinzipien der Verträge von 1815 um handelspolitischer Interessen willen zu legitimieren: if any significance attaches, in the eyes of Europe, to this Commercial Treaty, it is [. . .] that we think it of less consequence to defend Savoy by argument, by remonstrance, and by protests, than to sacrifice the chance which is thrown out to us of selling a certain additional quantity of cotton and other manufactures.126
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Dieser Befund resultiert aus dem Schweigen der Quellen, namentlich der Parlamentsdebatten; vgl. in diesem Sinne hinsichtlich des ECONOMIST z. B. den Artikel „The Budget“ vom 11. Februar 1860, Vol. 18, Nr. 859, S. 137 f. Oberhausrede Derbys vom 24. Januar 1860 (Address in Answer to the Queen’s Speech), HANSARD 3/156, Sp. 44–66, hier 48; vgl. auch Disraelis Unterhausrede vom 24. Januar 1860 (Address in Answer to the Queen’s Speech), HANSARD 3/156, Sp. 88–107, hier 90 f.: „a prospect of increased commercial relations with France is one undoubtedly of much gratification“, auch als „sign of the good and cordial feeling“ zwischen den beiden Regierungen. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 24. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1799–1815, hier 1812: „Are we to be told, in such circumstances as these, that all a Statesman should do is to simplify a tariff? Was there ever a moment in the history of this country, when we ought more to husband our resources? Is this a time wantonly to put an end to the sources of your ordinary revenue? Is this the time you should fix upon to anticipate the resources of your direct taxation?“ Oberhausrede Malmesburys vom 15. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 584–590, hier 589; vgl. auch die Unterhausrede Fitzgeralds vom 5. März 1860, HANSARD 3/156, Sp. 2238–2241, hier 2240 („Instead of using language [. . .] recording our earnest, emphatic, and unflinching protest against the annexation of Savoy and Nice, the Government proposed that [. . .] Parliament should take into consideration the clauses of a Commercial Treaty with France at the very moment when the policy of France was creating distrust and alarm troughout Europe“), die Unterhausreden Baillie-Cochranes und Vane-Tempests vom 8. März 1859, HANSARD 3/157, Sp. 145–148, hier 147, und Sp. 161–163, hier 161 f., Disraelis vom 9. März 1860, EBD., Sp. 289–309, hier 307 („that critical condition of Europe turns out to be an act of aggression on the part of France which we strongly disapprove, yet by this treaty appear to sanction“), und Derbys Oberhausrede vom 15. März 1860, EBD., Sp. 616–634, hier 630.
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VIII. Außenpolitik und Empire
Diese Position lief der liberalen Utopie des Friedens durch Freihandel direkt zuwider. Weil die Rüstungsanstrengungen vielmehr aufrechterhalten werden müßten, so argumentierte Blackwood’s Magazine, führe der Handelsvertrag wegen der Einnahmeausfälle zugunsten Frankreichs im Ergebnis zu Steuererhöhungen in England127, „als der Preis“, wie der Abgeordnete Hubbard spottete, „für eine Lektion in politischer Ökonomie, die Mr. Cobden dem Kaiser der Franzosen gegeben hat“128. Kurzum: in originär freihändlerisch-ideologischen Dimensionen der politischen Ökonomie diskutierten die Konservativen außenpolitische und internationale Angelegenheiten nicht. Dabei wußten auch sie, wie Derby in seiner Oberhausrede vom 24. Januar 1860 artikuliert hatte, durchaus um die Bedeutung des Handels129, und auch die Protektionisten waren ehedem keineswegs Gegner des Außenhandels, sondern des Freihandels gewesen130, wie auch die mit der Schiffahrt verbundenen Wirtschaftszweige (shipping interest) politisch traditionell den Konservativen zuneigten. Handel im Sinne der Konservativen entsprach aber dem vorindustriellen commercial interest, nicht dem industriellen Manchester-Kapitalismus (wobei die beiden Linien durchaus handelspolitische Berührungs- und Anknüpfungspunkte aufwiesen). Insofern die städtisch-wirtschaftsbürgerlichen Mittelschichten das Board of Trade als Einfallstor für ihre Interessen in die Außenpolitik zu nutzen suchten131, implizierte Disraelis Bemerkung gegenüber Malmesbury: „That office is filled with our enemies“132 eine allgemeine und grundsätzliche Absage an das Konzept einer freihändlerisch-ökonomisierten Außen(handels)politik. Die liberale Utopie lag ohnehin über die gesamten fünfziger Jahre hinweg unter rhetorischem Dauerbeschuß mit konservativen Breitseiten: It was proclaimed as a doctrine, at home and abroad, that mankind were created for no higher functions than to buy and sell – to produce and to barter – and it was gravely and seriously asserted that war, upon a great scale, was impossible in Europe, because no nation would submit to the necessary interruption of its markets.133
127 128 129 130 131 132 133
Vgl. W.E. Aytoun, The Anglo-Gallican Budget, in: BM 87, S. 381–396 (März 1860), hier 382. Unterhausrede Hubbards vom 23. Februar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 1574–1586, hier 1577. Vgl. etwa Disraelis Anfrage im Unterhaus vom 19. April 1848, HANSARD 3/99, Sp. 808 f. Vgl. etwa G.F. Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 157–159. Vgl. METZLER, Weltmacht in Europa, S. 22, 26 und 148 f. Disraeli an Malmesbury, 13. August 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2358/113, auch in MALMESBURY MEMOIRS I, S. 343 f., hier 344. W.E. Aytoun, Administrative Reform – The Civil Service, in: BM 78, S. 116–134 (Juli 1855), hier 116.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
463
Die Hoffnungen der „visionary Peace Dreamers“ seien aber spätestens durch den Krimkrieg ad absurdum geführt worden. Die „miserable Cobdens“ seien indes nicht bloß „Narren“134, und Cobden war demzufolge auch mehr als nur ein „Monomane“135, vielmehr bringe die realitätsresistente Ideologie der altbekanntermaßen klassenegoistischen „mammon worshipping peace crotchets“136 das Land in veritable Gefahr. Systematisch entfaltete Robert Cecil, der nicht für alle Konservativen stehen mochte, in dieser Hinsicht aber repräsentativer als in mancher anderen sprach, den Zusammenhang, ausgehend vom grundlegenden epistemologischen Unterschied zwischen theoriegeleitetem (radikal)liberalem und empirischem konservativem Denken137: above and beyond the mere commercial gain, there rose under Mr. Gladstone’s magic wand the vista of an age of security and peace [. . .]; pleasant dreams, constantly belied by experience, constantly renewed by theorists, but too closely linked to the hopes of all who believe either in material progress or in the promises of religion ever to be abandoned as chimeras. [. . .] Is this a time for soft Arcadian dreams of peace [. . .]? Time was when we fondly loved to fancy that war was worn-out barbarism, and that civilization was a defence stouter than a shield of steel. Men who, living for a theory, see only through its spectacles and reason only from its assumptions, are found to use this language still.138 134 135 136 137 138
Bulwer-Lytton an John Forster, [Februar/März] 1848, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 161 f., hier 161. ALISON, Life and Writings I, S. 566 (ad November 1847). R.H. Patterson, The Peace, in: BM 79, S. 608–624 (Mai 1856), hier 622. Vgl. dazu Kapitel II.2. R. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, die Zitate 117 und 127, das folgende Zitat 130: „England had once a traditional policy which was not very difficult to fathom or to apply. She did not meddle with other nations’ doings when they concerned her not. But she recognised the necessity of an equilibrium and the value of a public law among the states of Europe. When a great power abused its superiority by encroaching on the frontier of its weaker neighbours, she looked on their cause as her cause, and on their danger as the forerunner of her own. But a change has come over the spirit of our policy in recent years. It is no longer dictated by any single principle, but it is the confused and heterogeneous resultant of two conflicting elements. The traditions and the habits of the old far-sighted and manly doctrines which admitted the duties that England owes to the European commonwealth of which she is a citizen, still linger among our leading statesmen. But they have been sadly modified by the maxims of a very different philosophy. The gambling and reckless spirit of trade, which never cares to count up distant possibilities and lives only for the chances and profits of the morrow, has bred a school of politicians whose chief claim to attention is that they cast out as barbarous all the precautions on which our ancestors relied. They have selected an age in which steam has infinitely multiplied our intercourse with Europe and has provided facilities for an invader which none of us are as yet able accurately to estimate, to proclaim, as a new discovery, that we ought to be as completely disconnected from the politics of Europe by the Channel as the Americans are by the Atlantic. [. . .] Just as they ridicule all perils of invasion as an old wife’s tale, so they inveigh against all active efforts to
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VIII. Außenpolitik und Empire
Die Vision vom bevorstehenden Frieden entsprang demzufolge nicht nur naivem Idealismus, sondern auch der materiell und egoistisch verengten Perspektive der „chances and profits of the morrow“, die den „gambling and reckless spirit of trade“ auszeichne. Aus diesen Quellen speise sich die außenpolitische Option, „that we ought to be as completely disconnected from the politics of Europe by the Channel as the Americans are by the Atlantic“, kurz: handelspolitisch motivierte Nichtintervention139. Cecil setzte dem sein Leitbild der „old far-sighted and manly doctrines“ der traditionellen Außenpolitik Englands entgegen, das sich ganz an der „Wiener Ordnung“ und dem Europäischen Konzert orientierte und somit der Entwicklung des europäischen Staatensystems in den fünfziger Jahren kaum Rechnung trug: sich in die Angelegenheiten anderer Nationen nicht einzumischen, soweit England nicht betroffen war, sehr wohl jedoch als „citizen“ des „European commonwealth“ die Notwendigkeit eines Gleichgewichts und eines „public law“ unter den europäischen Staaten zu kennen und für die Einhaltung Sorge zu tragen. Die freihändlerische Außenpolitik jedenfalls ruiniere, indem sie die internationale Verantwortung des Landes leugne, seine Ehre und gefährde, indem sie die militärische Verteidigungsfähigkeit vernachlässige, zugleich seine nationale Sicherheit. Damit sind, in charakteristischer Verbindung, zwei Faktoren des außenpolitischen Denkens angesprochen, Ehre und Militär bzw. Krieg: [these men] would reduce us to the state of humiliation [. . .], instead of maintaining our establishments as they now exist, and holding high the honour and reputation of England.140
„Ehre“ wurde als Kriterium der Außenpolitik häufig und in zumeist allgemeiner Bedeutung deklamiert, zumeist in der Verbindung mit den „Interessen“ des Landes141. Die Verwendung des Ehrbegriffs auf seiten der Konser-
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141
maintain the peace and public law of Europe as a piece of wasteful Quixotism and an act of treason against trade.“ Vgl. dazu Kapitel VIII.3.b). Oberhausrede Lyndhursts vom 1. Mai 1860, zit. nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 491–493, hier 493; vgl. auch Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 132: „National ignominy is the logical consequence of Manchester finance.“ Vgl. etwa Malmesburys Tagebucheintrag vom 3. Februar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 153 f., hier 154, Derbys Oberhausrede vom 3. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 49, Disraelis Unterhausrede vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 88–107, hier 95, Cranbornes Dankadresse an die Wähler von Stamford nach dem 10. Juli 1865, Sandons Adresse an die Wähler von Liverpool vom Oktober 1868, in: THE TIMES vom 17. November 1868, S. 3d, PULLING, Life of Salisbury I, S. 68, oder HERRIES MEMOIR II, S. 284.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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vativen entsprach dabei dem allgemein üblichen Begriffsgebrauch und ging über das Maß Palmerstons oder Victorias nicht hinaus142. Das Maximum konservativen Prestigedenkens war erreicht, wenn Cecil die dänische Politik Palmerstons 1864 immer wieder als ehrlos und feige geißelte143 oder wenn Derby einen rüstungstechnischen Rückstand gegenüber Frankreich als unvereinbar mit Ehre und Sicherheit des Königreichs erachtete144. Inhaltlich umschloß der Ehrbegriff in erster Linie äußere Verteidigungsfähigkeit145 und Autonomie des Inselreiches, nicht zuletzt die uneingeschränkte Gewährleistung seiner Handelswege. Das alles bewegte sich im Rahmen eines britischen Normalmaßes. „Ehre“ stellte für die Konservativen kein zugespitztes und verabsolutiertes oder schnell und aggressiv instrumentalisiertes, sondern ein moderat und pragmatisch gehandhabtes Kriterium dar. Die Möglichkeit eines Krieges spielte im außenpolitischen Denken der Konservativen durchaus eine Rolle146. Krieg wurde dabei in traditioneller Perspektive gesehen; der moderne Krieg mit seiner umfassenden Einbeziehung der Zivilbevölkerung und seinen erschütternden inneren Auswirkungen, wie er im amerikanischen Bürgerkrieg seine Schatten vorauswarf, blieb außerhalb des Blickfeldes. Einigkeit herrschte, ob man der in England allgemein immer wiederkehrenden Furcht vor einer (französischen) Invasion der Insel aufsaß oder nicht, auf der Bandbreite zwischen Cecil und Stanley über die Notwendigkeit der Verteidigungsfähigkeit des Landes147. Unter142
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Vgl. die Adresse Blandfords an die Wähler von Woodstock vom 23. März 1857, in: THE TIMES vom 25. März 1857, S. 5b, Victoria an Derby, 13. Januar 1859, LQV 1837–1861 III, S. 309 („under the present aspect of political affairs in Europe, there will be no safety to the honour, power, and peace of this country except in Naval and Military strength“), Victoria an Russell, 15. Februar 1864, LQV 2 I, S. 159 f., oder die Unterhausrede des Liberalen Samuel Laing vom 20. Juli 1866, der britische Ehre und Interessen über „commerce and [. . .] civilisation“ stellte, HANSARD 3/184, Sp. 1217–1226, hier 1218. Vgl. Cecil, Foreign Policy of England, in: QR 115, Nr. 230 (April 1864), S. 481–529, hier 484 und 506 f.; vgl. auch Carnarvons Oberhausrede vom 8. Juli 1864, HARDINGE, Carnarvon I, S. 250–255, hier 254 f. Vgl. Derby an Victoria, 14. August 1858, hier nach METZLER, Weltmacht, S. 89 mit Anm. 17. Vgl. Lyndhursts Oberhausrede vom 1. Mai 1860, hier nach MARTIN, Life of Lyndhurst, S. 491–493, hier 492 f. Vgl. etwa Derby an Croker, 22. Dezember 1851, CROKER PAPERS III, S. 250–252, Graham an Gladstone, 3. Dezember 1856, PARKER, Life of Graham II, S. 297 („at this moment there is not much difference in creed between the followers of Lord Derby and of Lord Palmerston. Indeed, of the two the Derbyites have been the more warlike. None have been so urgent in the demand of large naval and military establishments“), oder die Adresse von Cumming Bruce an die Wähler von Elginshire vom 2. April 1857, in: THE TIMES vom 6. April 1857, S. 7f. Vgl. Stanleys Adresse an die Wähler von King’s Lynn vom 27. März 1857, in: THE TIMES vom 28. März 1857, 7c/d, hier 7d, sowie Cecil, Scientific Warfare, in: SR XVI, Nr. 418 (31. Oktober 1863), S. 577 f.
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VIII. Außenpolitik und Empire
schiede traten allerdings in der Frage nach dem Umfang der Mittel für die Verteidigung auf, weniger in gattungsspezifischer Hinsicht – der Vorrang der Marine vor Heeresstreitkräften stand außer Frage148 – als in finanzieller. Die alte Forderung nach retrenchment, nach einem möglichst niedrigen Standard der Staatsausgaben und zugleich der Steuern betraf natürlich in erster Linie die Rüstungsausgaben. Auf konservativer Seite wurde indessen stets betont, daß Ausgabenkürzungen nicht auf Kosten der Verteidigungsfähigkeit gehen dürften: The first idea of a perplexed financier always is to cut down the army. It is looked upon as a sort of luxury, like a private gentleman’s carriage, which is naturally „put down“ when times are bad. [. . .] Defence is an article of the first necessity.149
Disraelis Bereitschaft zur Kürzung der Militärausgaben ging demgegenüber signifikant weiter. Schon 1852 hatte er sich als Schatzkanzler nach Kräften gegen zusätzliche Verteidigungsanstrengungen gewehrt150, die ihm dennoch von der Königin und vom Premierminister aufgezwungen wurden und seine haushaltspolitischen Verteilungsspielräume ruinierten. Mochte dies unmittelbar aus den Interessen seines Regierungsamtes herrühren, so zieht sich die Skepsis gegenüber den Militärausgaben doch durch seine gesamte Politik der fünfziger und sechziger Jahre. „To be acting together, and at the same time to be arming against one another, is an absurdity“, war Stafford Northcote überzeugt von der Unvereinbarkeit von Handel und Rüstung, der er ohnehin nur beschränkten Wert zumaß: „if we ever have to put our strength out for a great contest, it is our financial superiority that will carry us through, if anything does.“ Finanzpolitische Konsolidierung gehe daher vor, und dies bedeute, die Staatsausgaben zu senken und die Erhebung der Einkommensteuer als Not-
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Vgl. George Bentincks Unterhausrede vom 6. Mai 1856, HANSARD 3/142, Sp. 67–71, hier 69, Victoria an Derby, 13. Januar 1859, LQV 1837–1861 III, S. 309, sowie BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 437: „A conservative policy in England would vigilantly guard our maritime power, and spare no cost necessary to maintain a navy superior to that of any other single European Power; but it would regard with great jealousy any attempt to maintain, in England itself, more than the well-disciplined nucleus and framework of a standing army.“ Cecil, Reduction of Estimates, in: SR XIV, Nr. 372 (13. Dezember 1862), S. 702 f., hier 702; vgl. den Redeentwurf von Cross aus dem Jahre 1857 mit gleicher Aussage, NL Cross, Lancashire RO Preston, DDX 841/1/33 („keep up character: army [and] navy [. . .]: retrench [. . .] not in efficiency“), oder die Adressen von Henry Drummond und Henry Currie an die Wähler von West Surrey vom 1. April 1857, in: THE TIMES vom 2. April 1857, S. 7c/d. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 12. November 1852, MALMESBURY MEMOIRS I, S. 363 f., hier 364; vgl. auch Kapitel III.3.c).
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
467
reserve für Kriegszeiten vorzuhalten, in Friedenszeiten aber endlich abzuschaffen151. Disraeli teilte diese Auffassung: Sir, these are times for economy – they are times for a scrutinizing revision of our expenditure. [. . .] I believe that revision can be made with a view to retrenchment without in the last degree impairing or compromising [. . .] either our defences at home or our influence and interests abroad.152
Daß „reduction of our expenditure towards its proper ordinary level“ und Einsparung bei den Militärausgaben einhergingen mit außenpolitischer Zurückhaltung153, lag auf der Hand. Insofern trifft Peter Ghoshs Interpretation eines integrierten außen-, finanz- und verteidigungspolitischen Konzepts zu, nicht zuletzt hinsichtlich des abgeleiteten Charakters von Disraelis außenpolitischen Positionen. Es stand jedoch, entgegen Ghoshs Auffassung, nicht im Zentrum von Disraelis nicht primär finanz-, sondern gesellschafts- und verfassungspolitisch bestimmtem Konservatismus. Im hier zu behandelnden Zusammenhang ist es insofern von Bedeutung, als Disraelis außenpolitische Zurückhaltung nicht freihändlerischen, sondern fiskalischen Ursprungs war, wie es etwa auch Edward Bulwer-Lytton für die Konservativen zum Ausdruck brachte: A conservative policy in England will favour peace, if only because England is essentially a commercial commonwealth, and its real sinews of strength are in its financial resources. War exposes commerce to hazard, and financial resources to an indefinite drain.154
Eine dezidiert außenhandelspolitische „Ökonomisierung der Außenpolitik“ ist auch bei diesen, innerhalb der Konservativen am meisten mit Handel und Finanzen argumentierenden Positionen, wie sie Disraeli, Northcote, Stanley oder Bulwer-Lytton in merklichem Unterschied zu Derby und Cecil vertraten, nicht zu beobachten. Bei allen Gegensätzen innerhalb der Konservativen im einzelnen: die radikalliberale Utopie einer freihändlerisch inspirierten Außenpolitik war ihnen fremd. So stellt sich die Frage: Warum befürworteten sie die Politik der non intervention, warum verzichteten sie 151 152
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Vgl. Northcote an Disraeli, 19. April 1862, LANG, Life of Northcote I, S. 189–198, hier 191–196, die Zitate 194 und 196. Unterhausrede Disraelis vom 3. Juni 1862, HANSARD 3/167, Sp. 333–355, hier 345; vgl. auch seine Unterhausrede vom 21. Juli 1859, HANSARD 3/155, Sp. 160–179, hier nach M&B IV, S. 263 („Let us terminate this disastrous system of rival expenditure, and mutually agree, with no hypocrisy, but in a manner and under circumstances which can admit of no doubt – by a reduction of armaments – that peace is really our policy“; vgl. auch Disraelis eigenen Haushalt für 1859 und die Marineausgaben, EBD., S. 253–256). Vgl. Northcote an Disraeli, 25. April 1862, LANG, Life of Northcote I, S. 199–201, hier 199 f., das Zitat 199. BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism, S. 437.
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VIII. Außenpolitik und Empire
auf mit Zwang, vor allem mit angedrohter oder angewandter physischer Gewalt verbundene Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten? B)
„MADMEN“: NON INTERVENTION IN ITALIEN (1859) UND DÄNEMARK (1864)
Bevor non intervention angesichts der kontinentaleuropäischen Konflikte seit 1859 zu einer konkreten außenpolitischen Direktive werden konnte, votierten die Konservativen, soweit sie dazu überhaupt Stellung bezogen, in der ungewissen und hinsichtlich ihrer zukünftigen Entwicklung schwer absehbaren internationalen Situation nach dem Ende des Krimkrieges für eine Außenpolitik der Zurückhaltung. Jede der im Raum stehenden, auf Intervention hinauslaufenden Optionen lehnten sie ab: Palmerstons „diplomatic interference pushed to its utmost limits“155 ebenso wie eine Mächtepolitik der monarchischen Solidarität oder aber eine von konstitutionellen Sympathien für parlamentarische Staaten geleitete Orientierung156. Die Vorstellung minimaler Einmischung ohne eigene territoriale oder militärische Ambitionen, „compatible with harm and safety“157 und unter Sicherung der Handelswege, zog sich in dem Wunsch zusammen, „that the present state of territorial possession in all parts of the world should remain unaltered“158, den allerdings spätestens der italienische Krieg von 1859 als ebenso fromm wie unrealistisch entlarvte. Die italienische Frage159 aktualisierte drei bislang nur potentielle Probleme: die Frage der Nation, die Frage nach der Bedeutung der konstitutionellen Gestalt anderer Länder für die englische Außenpolitik und die Frage der non intervention. Als „dreamy and dangerous nonsense“ hatte Disraeli die „German nationality“ schon 1848 abqualifiziert und die deutsche Nationalstaatsbewegung generell für verrückt erklärt160. Dies galt keineswegs nur für den deutschen Fall, vielmehr stieß der Nationalismus allgemein auf Verständnis-
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160
Stanley an Palmerston, 1. November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 137–139, hier 138. Regierungserklärung Derbys im Oberhaus vom 1. März 1858, HANSARD 3/149, Sp. 22–44, hier 29. Stanley an Palmerston, 1. November 1855, STANLEY JOURNALS, S. 137–139, hier 138. Runderlaß Malmesburys vom 8. März 1858, hier nach METZLER, Weltmacht in Europa, S. 103 f. Anm. 30. Vgl. dazu BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 352–363, aus englischer Perspektive vor allem BEALES, England and Italy, HAWKINS, Parliament, S. 171–176, 192–195, 199–204, 230–235 und 253 f., sowie METZLER, Weltmacht in Europa, S. 87–114. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 19. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 509–524, hier 515–517 und 521 (dort das Zitat), sowie Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848, DISRAELI LETTERS V, 1643/24.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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losigkeit und Ablehnung bei den englischen Konservativen. Travers Twiss suchte das fremde Phänomen im Dezember 1848 in der Quarterly Review zu erklären161. Dazu unterschied er zwischen der Nation als politischer Idee (der Staatsnation bzw. dem Nationalstaat) und der Nation als historischem Faktum (der Kulturnation). Die Nationalstaatsbewegung verwirre nun beide Bedeutungen, indem sie jeder Kulturnation ihren eigenen Nationalstaat verschaffen wolle: The peculiar pretension of the Nationalistic School is that of assigning territorial limits to historical nationalities, which at once establishes confusion between historical and political questions, whilst it seeks to effect an object which is incapable of realisation.
Diese Lehre sei nicht nur absurd und unrealisierbar, sondern „essentially aggressive in its application“: im Donauraum zerstöre sie den inneren Frieden, und am Rhein provoziere sie äußere Konflikte. Daß der Nationalismus, ob er kleinere Einheiten zusammenführte oder größere aufspaltete, „would be to undo the work of civilisation“162 und daß er die Gefahr von Kriegen heraufbeschwöre163, machte das Ganze nicht sympathischer. Zugleich stellte sich, auch wenn sie mehr anklang, die Frage nach der außenpolitischen Relevanz des mit der Nation eng verbundenen anderen Gegenstands der liberalen Bewegung, der Konstitution. Hier waren die Affinitäten zu England ungleich größer, und Sympathien für ein nach englischem Vorbild im Inneren freies und parlamentarisiertes Land wurden auf der Insel auch auf konservativer Seite verspürt. Dies galt insbesondere für Sardinien: We have all hoped that Sardinia may be the means by which the improvement of Italy, morally and materially, in public liberty as well as in other respects, may be affected; and I do not relinquish [. . .] hopes which seemed so well founded, and were so encouraging to every generous spirit.164
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Travers Twiss, Austria and Germany, in: QR 84, Nr. 167 (Dezember 1848), S. 185–222, bes. S. 186, 200 f., 220 und 222, die Zitate 186. R. Cecil, English Politics and Parties, in: BQR Vol. I, Nr. 1 (März 1859), S. 1–32, hier 22; vgl. dazu auch PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 120. Vgl. Disraeli an Lady Londonderry, [12. April 1849], DISRAELI LETTERS V, 1811/167, sowie seine Unterhausrede vom 9. März 1860, HANSARD 3/157, Sp. 289–309, hier 308. Disraeli an Derby, 14. Januar 1859, M&B IV, S. 225 f., hier 226; vgl. auch Derbys Oberhausrede vom 3. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 46 („there it has been proved experimentally that the concession of a large amount of constitutional liberty does not impair the loyalty of the people to their Sovereign, while it contributes largely to the prosperty [sic] of the country“).
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VIII. Außenpolitik und Empire
Doch diese Sympathie wurde durch Sardiniens (allerdings nicht vollständig bekannte) „Absicht zu derart nackter Aggression“165 enttäuscht166, wie sie im Akkord von Plombières bekundet und Anfang 1859 politisch umgesetzt wurde. Da sich Österreich aber schließlich in die Rolle des Schuldigen am Krieg hineinmanövrierte, blieb eine grundsätzlich positive Einstellung der englischen Konservativen gegenüber Sardinien bestehen167. Entscheidend aber war Englands „entire abstinence from participation in the struggle“; in summa bestätigte der italienische Krieg die konservative Grundhaltung, in der inneren Verfaßtheit anderer Länder kein Kriterium für die äußere Politik des eigenen Landes zu sehen. Damit ist bereits die non intervention angesprochen, die in der italienischen Frage von 1859 zu ihrem ersten außenpolitischen Einsatz kam. Nachdem der sardische Ministerpräsident Cavour im Sommer 1858 in Plombières mit Napoleon III. einen gemeinsamen Angriffskrieg gegen Österreich vereinbart hatte, um die Donaumonarchie aus Italien herauszutreiben, und als er Österreich im Januar 1859 mit planmäßigen Provokationen zum Krieg zu reizen suchte, steckten Malmesbury und Derby eine dreifache Zielvorgabe ab168. Erstens müsse England längstmögliche „neutrality at all events“ üben169; zweitens solle ein Krieg wenn nur irgend möglich verhindert werden170; und drittens seien die Verträge von 1815 „as a matter of vital importance to the peace of Europe“ strikt einzuhalten, da anderenfalls Präzedenzfälle für „greater and more fatal violations“ geschaffen würden171.
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BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 354. Vgl. Malmesbury an den britischen Gesandten in Turin, Hudson, 13. Januar 1859, TEMPERLEY/PENSON, Foundations 54/199 f. Vgl. Derby an Victoria, 2. Juni 1859, LQV 1837–1861 III, S. 336–339, hier 337 (dort auch das folgende Zitat). Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag über Derbys Oberhausrede vom 3. Februar 1859 (HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 42–46), MALMESBURY MEMOIRS II, S. 153 f., hier 154: Derby „declared for upholding all the treaties of 1815, spoke very openly against war, [. . .] and announced the firm determination of the English Government to observe perfect neutrality“. Vgl. auch BEALES, England and Italy, S. 36–61. Malmesbury an den britischen Gesandten in Paris, Cowley, 7. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 147. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 12. Januar 1859, EBD., S. 148, Malmesbury an Hudson, 13. Januar 1859, TEMPERLEY/PENSON, Foundations 54/199, und Malmesbury an Cowley, 15. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 149. Vgl. Malmesbury an den britischen Gesandten in Wien, Loftus, 10. Januar 1859, hier nach METZLER, Weltmacht in Europa, S. 92 („all powers have an equal interest in and a right jealousy to watch over the strict observance of treaties as a matter of vital importance to the peace of Europe inasmuch as the slightest deviation from the terms of an international engagement may be accused on a subsequent occasion as a precedent for which to justify greater and more fatal violations of it“).
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
471
In diesem Kalkül steckten allerdings zwei Probleme: „strict observance“ der Verträge stellte Malmesbury selbst in Frage, wenn er Konzessionsbereitschaft hinsichtlich begrenzter territorialer Veränderungen in Mittelitalien andeutete172. Vor allem aber drohte die Unvereinbarkeit von strikter Neutralität und Friedenswahrung bzw. Aufrechterhaltung der Wiener Verträge, zumal wenn die Beteiligten zum Krieg entschlossen waren. Die Königin setzte auf Demonstration militärischer Stärke und ostensible Aufrüstung173, und darin folgte ihr das Kabinett174. Wenn sich auf diese Weise aber Krieg nicht abwenden ließ und alle britischen Vermittlungsversuche vergeblich blieben, dann war der Zielkonflikt zwischen Friedenswahrung und Neutralität da, und für diesen Fall setzte die Regierung ihre Prioritäten von vornherein eindeutig: the best attitude for us now is to fold our arms like men who have advised madmen in vain to refrain from mutual follies, look on as if they thought them mad, and leave them with sorrow to their fate.175
Denn letzten Endes standen in Italien weder Englands „Ehre“ noch seine „Interessen“ – „no direct concern [. . .] beyond that which every great commercial and maritime power must always have in the general peace and prosperity of Europe“176 – auf dem Spiel, und es war durch keine vertraglichen oder sonstigen Verpflichtungen gebunden. Das gab den Ausschlag, wie Derby unter allgemeiner Zustimmung im Oberhaus ausführte177. 172
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Vgl. Malmesbury an Cowley, 7. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 147 („We are ready, if Austria and France choose to join, to improve the Legations, to give our moral support and even to consider a reconstruction of the Central territory if we see hopes of improving the condition of the people without weakening the spiritual authority of the Pope; but we will not consent beyond this to any alterations in the territorial arrangements of 1815, which have ensured the longest peace on record“). Ob diese Bereitschaft allerdings eine grundsätzliche Abkehr von der Verbindlichkeit der Verträge von 1815 zugunsten ihrer prinzipiellen Unterordnung allein unter englische Interessen und somit einen „Schritt zur Zertrümmerung kollektiver Regelungsmechanismen“ bedeutete, so METZLER, Weltmacht in Europa, S. 91 f., das Zitat 92, mag in dieser Zuspitzung bezweifelt werden. Vgl. Victoria an Derby, 13. Januar 1859, LQV 1837–1861 III, S. 309 f.: „under the present aspect of political affairs in Europe, there will be no safety to the honour, power, and peace of this country except in Naval and Military strength. [. . .] England will not be listened to in Europe, and be powerless for the preservation of the general peace, which must be her first object under the present circumstances, if she is known to be despicably weak in her military resources, and no statesman will, the Queen apprehends, maintain that if a European war were to break out she could hope to remain long out of it. For peace and for war, therefore, an available Army is a necessity to her.“ Vgl. Malmesbury an Victoria, 18. Januar 1859, LQV 1837–1861 III, S. 312. Malmesbury an Cowley, 26. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 151 f., hier 152. Oberhausrede Derbys vom 3. Februar 1859, HANSARD 3/152, Sp. 34–49, hier 42 f., vgl. auch 44–46 und 49. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag über Derbys Rede vom 3. Februar 1859, MALMESBURY
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VIII. Außenpolitik und Empire
So war eine gewisse Halbherzigkeit nicht zu übersehen, als London angesichts der neuerlichen Zuspitzung der italienischen Angelegenheiten im März einen abermaligen Vermittlungsversuch unternahm178. Die Regierung Derby hatte sich auf eine „peaceful foreign policy“ festgelegt, die weit hinter Palmerstons Interventionismus zurückblieb und die Opposition des ehemaligen und künftigen Premierministers auf sich zog179 und die nicht um jeden Preis den Verhandlungserfolg suchte: England cannot go on running from one to the other like an old aunt trying to make up family squabbles, and when I wind up it will be to put the saddle on the right horse. The papers will show that you and I have done our best to prevent a war and to obtain a Congress which nobody than Prussia and ourselves ever intended should take place.180
Denn gegen „reckless determination to go to war“181, und seien es nur „two or three unprincipled men“182 an der Spitze der europäischen Staaten, half keine Vermittlung. Und wenn die anderen die Verträge von 1815 aufkündigten, so die englisch-konservative Sicht, dann konnte England ihre Aufrechterhaltung nicht gewährleisten. Als der Krieg im April ausbrach, blieb dem Inselreich nur, sich um eine Begrenzung des Konflikts zu bemühen183, ansonsten aber to watch the course of events, to protect her own interests, and to look out for any opportunity which may offer to mediate between the contending parties.184
England hielt sich also aus dem italienischen Konflikt heraus. Wenn keine eigenen Interessen auf dem Spiel standen und wenn Vermittlungsbemühungen gegen kriegsbereite Staaten nichts nutzten, dann gab London und dann gaben die englischen Konservativen der eigenen Neutralität den Vorzug vor vergeblichen Friedensbemühungen, den Vorzug aber auch vor einer Aufrechterhaltung der ohnehin längst erschütterten und von England allein
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MEMOIRS II, S. 153 f., hier 154: „we had neither engagements, obligations, treaties, nor understandings which bound us or prevented our following the course we considered best for the honour and interest of England. He was received with great cheering on all sides.“ Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 24. März 1859, EBD., S. 163; vgl. auch METZLER, Weltmacht in Europa, S. 92–94. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 25. März 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 163 f., hier 164. Malmesbury an Cowley, 11. April 1859, EBD., S. 169 f., hier 169. Derby an Victoria, 21. April 1859, LQV 1837–1861 III, S. 327 f., hier 327. Malmesbury an Cowley, 15. Januar 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 149. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 29. April 1859, EBD., S. 175 f., hier 176. Zur Politik der Regierung Derby nach Ausbruch des Krieges vgl. BEALES, England and Italy, S. 62–92. Derby an Victoria, 27. April 1859, LQV 1837–1861 III, S. 328 f., hier 329; vgl. auch Derby an Victoria, 1. Mai 1859, EBD., S. 330 f., hier 330.
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nicht zu rettenden „Wiener Ordnung“. Als Derbys Regierung im Verlauf des italienischen Krieges von Palmerstons zweitem Kabinett abgelöst wurde, skizzierte der Staatssekretär im Foreign Office die Grundzüge und Perspektiven der non intervention-Politik, wie sie die Konservativen mit aus dem Amt nahmen: We have announced our readiness, at any convenient season, to interpose our good offices for the restoration of peace; but warned by the fruitlessness of our late exertions in conjunction with other Powers to avert the war, we have declared that if invited or induced to mediate for the restoration of peace, we should be indisposed to act otherwise than alone for that object, or allow ourselves to be hampered in our singleness of purpose by the conflicting prejudices, or passions, or interests of any Power associated with us avowedly for the same object.185
Nach den italienischen Erfahrungen herrschte unter den Konservativen hinsichtlich ihrer äußeren Orientierung in zweifacher Hinsicht grundlegender Konsens. Völlig unstrittig war, erstens, daß Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und Länder in jedem Fall zu unterbleiben hatten: If there is one principle more recognized than another in this country it is that every State has an undoubted right to settle its own internal affairs at its own will and pleasure, whether with regard to the constitution it may wish to have, or the dynasty it may desire to establish, and that without the intervention of any foreign country.186
Zweitens bestand Einigkeit, daß die Freiheit und der Schutz des englischen Handels und seiner Verkehrswege zu den vitalen Interessen Englands zählten187; daß Handel Frieden voraussetzte und daß daher des Handels
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E[dmund] H[ammond], Memorandum on the State of Foreign Relations at the close of Lord Derby’s Administration (Confidential), 14. Juni 1859, NL Malmesbury, Hampshire RO Winchester, 9M73/75, S. 13. Vgl. auch Malmesbury an Cowley, 2. Mai 1859, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 176 f., hier 176, sowie Derby an Victoria, 2. Juni 1859, LQV 1837–1861 III, S. 336–339, hier 337. Oberhausrede Derbys vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 44–64, hier 58 f.; vgl. auch Disraelis Unterhausrede vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 88–107, hier 95 („it ought to be held a political dogma that the people of other countries should settle their own affairs without the introduction of foreign influence or foreign power“), und R. Cecil, Lord Castlereagh, in: QR 111, Nr. 221 (Januar 1862), S. 201–238, zit. nach PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 137: „All the failures that have taken place have arisen from one cause: the practice of foreign intervention in domestic quarrels. [. . .] Domestic discord is bad enough: but the passions which provoke it burn themselves out at last [. . .]. But if foreign intervention on either side be once threatened, much more if it be carried out, a venom is infused into the conflict which no reaction weakens and no revenge exhausts.“ Vgl. R. Cecil, The Danish Duchies, in: QR 115, Nr. 229 (Januar 1864), S. 236–287, hier nach G. CECIL, Salisbury I, S. 309: „Of the true policy of England there can be little doubt, for it has been upheld by statesmen of all sides in every age. As the greatest of commercial Powers
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VIII. Außenpolitik und Empire
wegen auch der Friede zu den „British interests“ zählte, war ebenfalls unbestritten188. Unterschiedliche Akzente wurden innerhalb der Konservativen jedoch in der Frage gesetzt, wann England in einen Konflikt einzugreifen habe. Solche Fälle gebe es, bekannte Disraeli, „when the interests or the honour of England are at stake, or when, in our opinion, the independence of Europe is menaced“. Aber, und diese Adversation vermochte er kaum dick genug zu unterstreichen, das „general principle“ der englischen Außenpolitik lag doch darin, „not to interfere in the affairs of foreign nations, unless there is a clear necessity“189. Denn Freiheit und Wohlstand seien die wichtigsten Interessen Englands und auch die Hauptquelle seiner Stärke190, betonte Disraeli im Sinne seiner grundsätzlich inneren, gesellschafts- und verfassungspolitischen Prioritätensetzung, hinter der äußere Verpflichtungen möglichst zurücktraten. Diese äußeren Bindungen samt der möglichen Erforderlichkeit von bewaffneter Intervention betonte hingegen Robert Cecil in seinen am Europäischen Konzert und am „public law among the states of Europe“ orientierten Vorstellungen, die auf die Ordnung von 1815 zurückgriffen191. Deren Boden vermochte jedoch spätestens seit dem Krimkrieg kaum mehr zu tragen und Cecils Vorgabe den Kurs der Konservativen nicht zu bestimmen192. Diese Fragen einer englischen Intervention wurden besonders in der Schleswig-Holstein-Krise und im deutsch-dänischen Krieg von 1864 virulent193, als die Konservativen jedoch keine Regierungsverantwortung
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she can never suffer the highway of nations to fall into hands that may close it. The Sound, the Bosphorus, and the Straits of Gibraltar, the Isthmus of Suez and the Isthmus of Darien, must never be subject to the will of a first-rate Power.“ Vgl. die in Kapitel VIII.3.a) zitierte Passage aus BULWER-LYTTONS Spirit of Conservatism, S. 437; vgl. auch die Adresse von Samuel Kekewich an die Wähler von South Devonshire vom 24. November 1868, in: THE TIMES vom 25. November 1868, S. 7e: „economy could only be secured by the promotion of peace, and [. . .] the policy of Lord Stanley in encouraging arbitration between nations, instead of appeals to arms, had tended in a large measure to place this country on a footing of friendship and amity with foreign Powers.“ Unterhausrede Disraelis vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 88–107, hier 95; ähnlich, wenn auch etwas weniger dezidiert, die Äußerungen Derbys in seiner Oberhausrede vom 24. Januar 1860, HANSARD 3/156, Sp. 44–64, hier 59 und 62. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 3. Juni 1862, HANSARD 3/167, Sp. 333–355, hier 345. Vgl. Cecil, The Budget and the Reform Bill, in: QR 107, Nr. 214 (April 1860), S. 514–554, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 115–158, hier 130 f., das Zitat 131. Vgl. Northcotes Tagebucheintrag vom 22. Februar 1866 über Disraelis Äußerung zu Cecils Haltung gegenüber den USA und Dänemark, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063A, fol. 72–75, hier 75: „he had tried to lead the country on the American and the Danish questions, would have led it wrong, and had failed.“ Vgl. dazu (mit weiterführender Literatur) BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 370–377, MOSSE, European Power, S. 146–212, MOSSE, Queen Victoria, und METZLER, Weltmacht in Europa, S. 233–240.
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trugen. Einhelligkeit bestand in ihren Reihen in der Kritik am Palmerstonismus, the strange bucaneering spirit, which is as characteristic of Englishmen now as in the days of Elizabeth, and which is compounded of love of gain, love of adventure, love of fighting, a certain kind of religious feeling, and a dominant conviction of the superiority of the English race to all foreigners, of whatsoever nation or colour.194
Die Diskrepanz zwischen Palmerstons starken Worten – im Sommer 1863 hatte er den Dänen Hoffnung auf aktive Unterstützung gemacht – und ausbleibenden Taten in der Krise des Jahres 1864 machte den Premierminister unberechenbar195. Demgegenüber lehnte die Königin eine englische Intervention mit dem Argument strikt ab, daß in der dänischen Frage weder englische Interessen noch Verpflichtungen berührt seien, wohl aber der europäische Friede auf dem Spiel stehe196. Die Konservativen in England neigten unterdessen, regierungsamtlicher Verbindlichkeit enthoben, der Sache der unterlegenen Dänen zu197. Cecil sah, in signifikanter Argumentation, handels- und sicherheitspolitische Interessen gefährdet, wenn die Freiheit des Sunds beeinträchtigt sei. Er wandte sich sowohl gegen strikte Nichtinterventionspolitik als auch gegen Palmerstons Schlingerkurs, den er als inkonsistent198, unglaubwürdig und ehrlos brandmarkte: Non-intervention, in the abstract, may be good policy or bad: it is non-intervention heralded by threats to one side, and promises to the other, that we condemn. It is the attempt to secure the advantages of action by blustering diplomacy when there was no real resolve to fight that we deplore. It is not in the policy itself, which for the moment we pass by, but in the language by which it is introduced, that we find the deep offence that the Government has committed against English honour.199
Auf die Wahrung des „public law of Europe“200 anstelle eines „merest Faustrecht“201 des Stärkeren und anstelle von Frieden um jeden Preis, auch 194 195
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Northcote an Disraeli, 18. Februar 1864, LANG, Northcote I, S. 213–219, hier 217 f. Vgl. Malmesburys Tagebucheintrag vom 29. Januar 1864, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 314 f., und Granville an den Privatsekretär der Königin, Gen. Grey, 13. Februar [1864], LQV 2 I, S. 157. Vgl. Victoria an Russell, 15. Februar 1864, LQV 2 I, S. 159 f. Vgl. Malmesburys Tagebucheinträge vom 9. und 12. März 1864, MALMESBURY MEMOIRS II, S. 318 f. Vgl. zum Stellenwert der Konsistenz in Cecils Denken PINTO-DUSCHINSKI, Political Thought of Salisbury, S. 79–81. Cecil, Foreign Policy of England, in: QR 115, Nr. 230 (April 1864), S. 481–529, hier 506. Vgl. Carnarvons Oberhausrede vom 8. Juli 1864, hier nach HARDINGE, Carnarvon I, S. 250–255, hier 254 f., das Zitat 254. Salisbury, Ministerial Embarrassments, in: QR 151 (April 1881), S. 535–567, zit. nach PINTO-DUSCHINSKY, Political Thought of Salisbury, S. 122.
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VIII. Außenpolitik und Empire
der nationalen Demütigung, pochte noch immer Lord Carnarvon. Auch Derby war, wie noch weitere Konservative, „very hot for war, at least so far as to wish it, but sees the difficulties“202. Demgegenüber plädierte Stanley, mit ähnlichen innen- und gesellschaftspolitischen Akzenten wie Disraeli, für non-intervention, keeping clear of continental squabbles, and not undoing by a few months of fighting, all that has been done in the last ten years to make our people prosperous and contented: Ld. D. a little indignant, calls this pig-philosophy and so forth.203
Für einen Krieg einzutreten, so argumentierte Stanley auf dieser Linie weiter, „would lose us the middle class, the towns, and many supporters in all ranks“204. Damit brachte Stanley, ohnehin der liberale Exponent der Tories, die auch von Konservativen vertretene non intervention-Politik mit den Mittelschichten in Verbindung. Am weitesten ging er in diese auf eine „manchesterliche“ Grundierung der konservativen Außenpolitik hindeutende Richtung, mit der (in dieser Form allerdings für die Konservativen nicht repräsentativen) Formulierung seines Tagebucheintrags vom 17. Juli 1864, nachdem das Unterhaus über einen konservativen Tadelsantrag gegen Palmerston und die britische Neutralität gegenüber der dänischen Frage debattiert hatte205, während sich der preußische Sieg über Dänemark abzeichnete: the peace policy, which is essentially that of the middle class, has been adopted by the House generally, and in particular by the Conservative part of it.206
So wie Stanley und Disraeli jedoch 1864 längst ein entspanntes und entideologisiertes Verhältnis zu den städtischen Mittelschichten gewonnen hatten, so war auch diese außenpolitische Vorstellung nicht genuin ideologisch aufgeladen, etwa im Sinne der industriellen Mittelschichten und ihrer liberalen Utopie. Die konservative non intervention-Politik resultierte zum einen aus der Einsicht in die mangelnden Möglichkeiten, die „madmen“ auf dem Kontinent zur Vernunft zu bringen, und zum anderen aus einer klaren Definition englischer Interessen, die, auch wenn sie hinsichtlich der je einzelnen Mischungsverhältnisse unterschiedlich gelagert sein mochten, Wohlstand, Freiheit und Handel selbstverständlich einschlossen.
202 203 204 205 206
Vgl. Stanleys Tagebucheinträge vom 3. und 5. Juni 1864, STANLEY JOURNALS, S. 217 f., das Zitat 217 (3. Juni). Tagebucheintrag Stanleys vom 3. Juni 1864, EBD., S. 217 f., hier 218. Tagebucheintrag Stanleys vom 5. Juni 1864, EBD., S. 218. Vgl. dazu METZLER, Weltmacht in Europa, S. 237–240. Tagebucheintrag Stanleys vom 17. Juli 1864, STANLEY JOURNALS, S. 221 f.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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Auch die Konservativen faßten England in erster Linie als Handels- und nicht als Machtstaat auf. Nichtintervention bedeutete eine realpolitische Abkehr vom überlebten Europäischen Konzert – ob sich England selbst zuerst aus der „Wiener Ordnung“ verabschiedet hatte207 und ob es nach dem Willen der Konservativen am Interventionismus eines funktionsfähigen Mächtekonzerts (anstelle des national-interventionistischen Palmerstonismus) hätte mitwirken sollen, sei in diesem Zusammenhang dahingestellt – und schien zugleich einen gangbaren Mittelweg zwischen „fussy interference and absolute indifference“208 zu eröffnen. Non intervention konservativer Couleur war pragmatisch motiviert. Ein geschlossenes und autonomes, genuin ideologisches und missionarisch angelegtes Konzept oder ein (selbst auf abstrahierend interpretatorischer Ebene) systemisches Phänomen im Sinne eines außenpolitischen Paradigmenwechsels auf der Grundlage eines neuartigen, ökonomisierten Verständnisses der internationalen Beziehungen bedeutete sie für die Tories nicht. C)
„ODIOUS PEOPLE“ UND REALPOLITIK: DER DEUTSCHE KRIEG VON 1866
Die englischen Haltungen, namentlich der Konservativen, gegenüber Preußen und der deutschen Frage vor 1866 waren weder einheitlich noch festgelegt, und der Gegenstand war vor allem keineswegs zentral209. Disraelis nicht nur auf die Ereignisse von 1848/49 beschränkten und repräsentativen Vorbehalten gegenüber der Nationalstaatsbewegung und ihrer kriegerischen Wendung nach außen210 stand die Auffassung von Preußen, ja „den Deutschen“ als „natürlichen Verbündeten“ Englands gegenüber211, während die preußische Politik der sechziger Jahre wiederum auf erhebliche Skepsis stieß. Ob Bismarck gegenüber Disraeli im Juni 1862 wirklich mit
207
So DOERING-MANTEUFFEL, Vom Wiener Kongreß, S. 326 f., und DOERING-MANTEUFEuropäisches Mächtekonzert, S. 49 f. und 59–61. Northcote an Disraeli, 6. Juli 1864, NL Northcote (Iddesleigh Papers), BL London, Add MSS 50063B, fol. 72. Vgl. HILDEBRAND, No Intervention, S. 109, 117 und 121–123. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 19. April 1848, HANSARD 3/98, Sp. 509–524, hier 515–517 und 521, Disraeli an Lady Londonderry, 1. Mai 1848 und 12. April 1849, DISRAELI LETTERS V, 1643/24 und 1811/167. Vgl. Disraelis Unterhausrede vom 14. März 1856, HANSARD 3/141, Sp. 153–159, hier 157 f., sowie Robert Cecil, France and Europe, in: BQR Vol. II, Nr. 3 (Oktober 1859), S. 1–32, hier 31 („The Germans must always be our natural allies for they are the only great people besides ourselves who harbour no schemes of European conquest, and whose welfare is bound up with peace“).
FEL, 208 209 210
211
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VIII. Außenpolitik und Empire
solch klarer Voraussicht seine kriegerische Einigung Deutschlands voraussagte, wie der sächsische Gesandte in London, Graf Vitzthum von Eckstädt überlieferte212, jedenfalls stand Disraeli einer aktiven preußischen Suprematie in Deutschland zunächst mit größter Reserve gegenüber213. Auch der deutsch-dänische Krieg erhöhte die britischen Sympathien für Preußen keineswegs, und in seinem Gefolge empörte sich Queen Victoria gegenüber dem belgischen König: In Germany things look rather critical and threatening. Prussia seems inclined to behave as atrociously as possible, and as she always has done! Odious people the Prussians are, that I must say.214
Die neuerlichen Spannungen zwischen Preußen und Österreich um die Elbherzogtümer in den ersten Monaten des Jahres 1866 brachten die Königin noch weiter gegen die norddeutsche Macht auf215. Außenminister Clarendon machte ihr jedoch unmißverständlich klar, that we could not, even in conjunction with France, use the language of menace which might entail the necessity of action, first, because the time for such action is gone by; we might have gone to the defence of Denmark when she was attacked by Austria and Prussia, but it was wisely determined that such a war ought not to be undertaken. Secondly, because, England having acquiesced, although under protest, in the Treaty by which Austria and Prussia obtained possession of the duchies, it is for Germany [. . .] to assist Austria [. . .]. Thirdly, the case is one in which neither English honour nor English interests are involved.216 212
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214 215 216
VITZTHUM VON ECKSTÄDT, Petersburg und London II [1886], S. 159: „‚Ich werde‘, so ungefähr hatte sich der preußische Staatsmann geäussert, ‚binnen kurzem genöthigt sein, die Leitung der preussischen Regierung zu übernehmen. Meine erste Sorge wird sein, mit oder ohne Hilfe des Landtages die Armee zu reorganisiren. Mit Recht hat sich der König die Aufgabe gestellt, er kann sie jedoch mit seinen bisherigen Räthen nicht durchführen. Ist die Armee erst auf Achtung gebietenden Stand gebracht, dann werde ich den ersten besten Vorwand ergreifen, um Österreich den Krieg zu erklären, den deutschen Bund zu sprengen, die Mittel- und Kleinstaaten zu unterwerfen und Deutschland unter Preussens Führung eine nationale Einheit zu geben. Ich bin hierher gekommen, um dies den Ministern der Königin zu sagen.‘ Disraeli’s Commentar zu diesem seitdem Zug für Zug ausgeführten Programme lautete: ‚Take care of that man! He means what he says.‘“ Vgl. Apponyis Botschafterbericht vom 9. Juli 1862, TEMPERLEY/PENSON, Foundations 80/249: Bismarck habe Disraeli gesagt, Deutschland könne Sicherheit nur unter preußischer Suprematie finden, und Preußens Politik müsse sein, in Deutschland zu tun, was Sardinien in Italien getan habe. Disraeli habe einem seiner [Apponyis] Kollegen gesagt, er vertraue darauf und sei überzeugt, „that they [die britische Regierung; AR] would reject such insinuations and never lend a hand in projects of this kind.“ Victoria an den belgischen König, 3. August 1865, LQV 2 I, S. 271 (Kursiva im Original). Vgl. Victoria an den preußischen Kronprinzen Friedrich, 28. März 1866, LQV 2 I, S. 310 f. Clarendon an Victoria, 31. März 1866, LQV 2 I, S. 314 f., hier 314; vgl. auch Clarendon an Cowley, 12. Mai 1866, zit. nach HILDEBRAND, No Intervention, S. 143 („We are willing to do anything for the maintenance of peace except committing ourselves to a policy of action that we cd. not justify & wh. wd. not be sanctioned by public opinion at home“).
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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Während in Deutschland der Kriegsknoten geknüpft wurde217, entspann sich am 11. Juni im Londoner Unterhaus eine spontane Debatte über den „Zustand Europas“, die allerdings signifikanterweise nicht von den preußischen Aktivitäten, sondern von der für die englische Sicht wichtigeren Frage nach den italienischen Angelegenheiten und namentlich dem Schicksal der Habsburgermonarchie, konkret einer Abtrennung Venetiens ausging. Die Konservativen präsentierten sich dabei uneins. Der Abgeordnete George Sandford betonte die englische Verpflichtung „to preserve the peace and power of Europe“, die er aus den Wiener Verträgen von 1815 herleitete218. In diesem Sinne sprach Robert Cecil, nun Lord Cranborne, vehement gegen das nationale Selbstbestimmungsrecht gegenüber der vertraglich fixierten territorialen Ordnung Europas – a principle of public law that whenever a nation desires to be free from the Sovereign who possesses it, and desires to be annexed to another nation then the latter deserves and acquires the right to the sympathy of himself and of the people of this country –
als „most pernicious doctrine of public law“, die in der Konsequenz auch das Empire in Frage stellte219. Daher stehe auch die Legitimität der österreichischen Herrschaft in Italien außer Zweifel, wie nicht nur die konservativen Gegner der Nichtinterventionspolitik anerkannten220, sondern auch ihre Befürworter221. Während aber erstere die „popularitätsheischende Politik“222 des „watching with indifference“, die nur auf das „unmittelbare Interesse“ schaue, in Gegensatz zur englischen Ehre stellten223 und somit die nichtinterventionistische Legitimation der Einheit von interest und honour bestritten, legten die anderen den Akzent auf die Klugheit und Umsicht einer Politik, die sich eines „meddling“ enthalte, das nur in Demütigung ende224. Damit war der Punkt der allseitigen Einigkeit, innerhalb der Konservativen und auch mit den Liberalen, markiert: die Ablehnung des Palmerstonis-
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Vgl. zum gesamten Zusammenhang vor allem HILDEBRAND, No Intervention, S. 119–183, und METZLER, Weltmacht in Europa, S. 250–255, 259 f. und 264–273. Unterhausrede Sandfords vom 11. Juni 1866, HANSARD 3/184, S. 135–137, hier 136. Unterhausrede Cranbornes vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 149–152, hier 151 f.; vgl. auch die Unterhausrede Baillie-Cochranes vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 133–135, hier 135. Vgl. die Unterhausrede George Cavendish-Bentincks vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 155–160, hier 158. Vgl. die Unterhausrede Claud Hamiltons vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 161–164, hier 162. Unterhausrede Cavendish-Bentincks vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 155–160, hier 159. Unterhausrede Baillie-Cochranes vom 11. Juni 1866, EBD., S. 133–135, hier 134. Vgl. Hamiltons Unterhausrede vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 161–164, das Zitat 164.
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VIII. Außenpolitik und Empire
mus225, mit dem jede Form von Interventionismus diskreditiert war. James Whiteside brachte die Alternative auf den Punkt: the offering of advice at all at a critical time, unless you mean to act on what you say, is attended with more danger than advantage.226
Wenn England sich einmische, dann müsse es auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, statt zu bluffen und aufzufliegen. Ganz oder gar nicht zu intervenieren, lautete die Alternative, die sich im Juni 1866 stellte, als der Krieg zwischen Preußen und Österreich begann. Unvermittelt mußten die Konservativen Farbe bekennen, als Derby Ende Juni sein drittes Kabinett bildete. Dabei war schnell klar, daß es nicht vom Kurs der Vorgängerregierung abweichen und daß es sich äußerer Einmischung außerhalb der globalen Interessen des klassischen Handelsstaates enthalten würde, wie sie Disraeli seinen Wählern anläßlich seiner (wegen der Übernahme eines Regierungsamtes erforderlichen) Wiederwahl skizzierte: The abstention of England from any unnecessary interference in the affairs of Europe is the consequence, not of her decline of power, but of her increased strength. England is no longer a mere European power; she is the metropolis of a great maritime empire, extending to the boundaries of the farthest ocean. It is not that England has taken refuge in a state of apathy, that she now almost systematically declines to interfere in the affairs of the Continent of Europe. England is as ready and as willing to interfere as in old days, when the necessity of her position requires it. There is no power, indeed, that interferes more than England. She interferes in Asia because she is really more an Asiatic Power than an European. She interferes in Australia, in Africa, and New Zealand, where she carries on war often on a great scale. [.. .] Not that we can ever look with indifference upon what takes place on the Continent. We are interested in the peace and prosperity of Europe, and I do not say that there may not be occasions in which it may be the duty of England to interfere in European wars.227
Jedenfalls ließen diese Äußerungen ebensowenig auf eine Bereitschaft zur Intervention in den kontinentalen Konflikten schließen wie die Beru-
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226 227
Vgl. die Unterhausreden Cranbornes, Cavendish-Bentincks, Hamiltons, Whitesides und Knox’ vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 149–152, hier 150, Sp. 155–160, hier 159 f., Sp. 161–164, hier 164, Sp. 164–168, hier 166, und Sp. 175 f., hier 176. Unterhausrede Whitesides vom 11. Juni 1866, EBD., Sp. 164–168, hier 167. Rede Disraelis nach dem 28. Juni 1866, M&B IV, S. 467; vgl. auch die von Vitzthum von Eckstädt überlieferte, hinsichtlich ihrer wörtlichen Authentizität nicht zu verifizierende, sinngemäß aber stimmige Äußerung Disraelis, VITZTHUM VON ECKSTÄDT, London, Gastein und Sadowa, S. 257–261, hier 259: „Die Stimmung in England ist für unbedingte NichtEinmischung. [. . .] Wir können uns nur freuen, wenn man uns in Ruhe läßt. Wir schweigen und sehen zu. [. . .] Es ist uns namenlos gleichgültig, was aus Deutschland wird. Unsere Hauptinteressen liegen in Asien, nicht mehr in Europa.“ Vgl. auch Gathorne-Hardys Tagebucheintrag vom 28. Juni 1866, GATHORNE HARDY DIARY, S. 17 f., hier 18.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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fung Edward Stanleys228, des liberalen Exponenten der Tories, zum Außenminister, dem die Königin daher auch deutliche Vorbehalte entgegenbrachte: may he not be inclined to go too far in the line of non-interference, which might become serious, when matters take a form which would require us in the interests of humanity and Europe in general, to take a prominent part, in conjunction with France, to put a stop to further bloodshed?229
Der Premierminister suchte die Sorgen der Königin zwar zu zerstreuen. Aber schon seine Rede ausschließlich vom „moral influence of England“230 deutete, zum Kummer mancher, aber nicht der ausschlaggebenden Tories231, auf die glasklare außenpolitische Linie der Regierung Derby hin, wie sie der Premierminister auch in seiner Regierungserklärung vorgab: Nichtintervention pur et simple. It is the duty of the Government of this country, placed as this country is with respect to geographical position, to keep itself upon terms of goodwill with all surrounding nations, but not to entangle itself with any single or monopolizing alliance with any one of them; above all to endeavour not to interfere needlessly and vexatiously with the internal affairs of any foreign country, not to volunteer to them unasked advice with regard to the conduct of their affairs, looking at them from our own point of view, and not considering how different are the views and feelings of those whom we address. Above all, I hold that it is the duty of a Government to abstain from menace if they do not intend to follow that menace by action.
Für die Haltung gegenüber dem deutschen Krieg bedeutete dies, to maintain a strict and impartial neutrality between all the contending parties, only ready at any time to offer their good offices, if there should appear the slightest gleam of hope that, combined with those of other neutral Powers, such as France and Russia, they might lead to a termination of this bloody struggle and to the restoration of peace.232
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Vgl. dazu insbesondere BOURNE, Stanley, zudem HILDEBRAND, No Intervention, S. 161–164, und METZLER, Weltmacht in Europa, S. 264 f. und 267 f. Victoria an ihren Privatsekretär Charles Grey, 30. Juni 1866, LQV 2 I, S. 352 f. Derby an Victoria, 1. Juli 1866, LQV 2 I, S. 353 f.: „Though Lord Stanley would desire, as would Lord Derby also, to keep his country as far as possible from any entanglement in Continental politics, he is sure that he would never shrink from using the moral influence of England, and especially in conjunction with France, to stop the effusion of blood, and restore to Europe the blessings of peace.“ Vgl. den Tagebucheintrag des Duke of Cambridge vom 11. Juli 1866, CAMBRIDGE MEMOIR I, S. 262 f.: „I am afraid that Lord Derby and Lord Stanley are going to carry the principle of non-intervention to a very far extent. I deplore this more than words can say. [. . .] It amounts to a total abstention from all interest in the affairs of Europe.“ Regierungserklärung Derbys vor dem Oberhaus, 9. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 726–744, hier 736 f.
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VIII. Außenpolitik und Empire
Auch Außenminister Stanley ließ keinen Zweifel an einer Politik der realitätsbezogenen Kongruenz von ideellen Ansprüchen auf der einen und Potentialen und Interessen auf der anderen Seite, die obendrein mit der öffentlichen Meinung harmonierte und von allen politischen Parteien akzeptiert wurde233. In der deutschen Frage herrschte im Sommer 1866 Konsens. Zudem erkannten die englischen Politiker zunehmend, daß die Umgestaltung des Kontinents die englischen Interessen nicht nur unberührt ließ, sondern ihnen vielmehr durchaus entsprach, mochte doch gerade ein geeintes Deutschland französische und russische Ambitionen neutralisieren und auf dem Kontinent stabilisierend wirken234. Dies setzte freilich, wie der liberale Abgeordnete Samuel Laing bemerkte, ein anderes Verständnis von Balance voraus als das starre interventionistische Beharren auf dem 1815 geschaffenen Status quo235. Aber gerade 1866 erklärte Stanley die Wiener Verträge jetzt auch offiziell für überholt: „in the actual state of Europe, it was useless to appeal to those Treaties as being still binding“236. Als die Entscheidung im deutschen Krieg gefallen war, fiel Derbys Bilanz für die englische Seite lakonisch aus: We have not been asked for advice, and we have not offered any. We have taken no part whatever in the negotiations which have taken place between the Emperor of the French and the various belligerents. We have simply stood aloof, waiting for any
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Vgl. Stanley an Cowley, 7. Juli 1866, RA VIC/I 45/152, Stanley an Cowley, 12. Juli 1866, hier nach METZLER, Weltmacht in Europa, S. 270 („our policy for the moment was that of reserve, declining to commit ourselves to any definite proposition while favouring any plan that might appear likely to succeed in bringing about a lasting peace“), sowie Stanleys Tagebucheintrag vom 13. Juli 1866, STANLEY JOURNALS, S. 259 f., hier 259; vgl. auch METZLER, Weltmacht in Europa, S. 267, und HILDEBRAND, No Intervention, S. 160. Vgl. Stanleys Unterhausrede vom 20. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1252–1257, hier 1256, Stanley an Cowley, 8. August 1866, RA VIC/I 46/159, Stanleys Tagebucheintrag vom 1. November 1866, STANLEY JOURNALS, S. 272 f., hier 273, sowie Stanley an Cowley, 12. Dezember 1866, zit. nach HILDEBRAND, No Intervention, S. 186 („We, however, have nothing to fear: France has a new rival, and in her antagonism to the united Germany which is evidently destined to be, will be found our security and repose“); vgl. auch die Unterhausreden der Liberalen Laing, Horsman und Gladstone vom 20. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1217–1226, hier 1223–1225, Sp. 1226–1235, hier 1231 und 1234, sowie Sp. 1241–1252, hier 1248; vgl. auch HILDEBRAND, No Intervention, S. 165–167. Vgl. Laings Unterhausrede vom 20. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1217–1226, hier 1221. Stanley an Bloomfield, 21. Juli 1866, RA VIC/I 46/61; vgl. auch Stanley an Cowley, 8. August 1866, RA VIC/I 46/159 („with regard to the Treaties of Vienna, the present is not the first instance in which they have been violated without any protest being made by the part of the Powers by whom they were signed“), sowie, zur Verbindlichkeit internationaler Verträge allgemein, Stanley an den britischen Botschafter in Berlin, Loftus, 25. Juni 1867, TEMPERLEY/ PENSON, Foundations, 121/313.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
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opportunity which might occur to interpose our good offices, if they should be required, towards the restoration of peace.237
Auch die Regelung des Friedens trachtete die konservative Regierung in London allein den Kriegsparteien zu überlassen238. Weder ließ sie sich auf den russischen Wunsch eines Kongresses ein, torpedierte die Idee vielmehr absichtlich239, noch auf eine ebenfalls russischerseits gewünschte Protestdeklaration gegen den Nikolsburger Vorfrieden240. Und auch als das wesentlich ernsthaftere Problem auftauchte, daß Napoleon III. Kompensationsforderungen an Preußen stellte – „the frontiers of 1814, and something more“241 – und die Queen eine Reaktion gegen dieses Ansinnen verlangte242, lehnte Stanley weiterhin jede Form von Einmischung oder Vermittlung als „hopeless undertaking“ ab, von dem England nur Schwierigkeiten zu erwarten habe243:
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Antwort Derbys auf eine Anfrage im Oberhaus am 23. Juli 1866, HANSARD 3/184, Sp. 1271–1274. Vgl. Stanley an Cowley, 28. Juli 1866, RA VIC/I 46/112: er habe dem französischen Botschafter heute gesagt, „that my personal impression was that the best course was to allow the belligerents as far as possible to settle matters between themselves, which indeed they appeared disposed to do.“ Am 30. Juli 1866 nannte Stanley (Tagebucheintrag vom 30. Juli 1866, STANLEY JOURNALS, S. 262) dem französischen Botschafter La Tour d’Auvergne Bedingungen für einen Kongreß, deren letzte für Preußen unerfüllbar sein würde, „so that by her response, not ours, the proposal wd fall through.“ Daraufhin ließ er den preußischen Botschafter Bernstorff wissen (Stanley an Loftus, 31. Juli 1866, RA VIC/I 46/135), „while England had on the one hand nothing to gain by such a step as the assembling of a Congress, she had on the other no reason to object to it, or to fear it; but that it was idle to accept an invitation of that kind without knowing what were the precise questions likely to be discussed; how far it was likely that an agreement could be come to, upon them; and, above all, whether the various Powers on entering the Congress were prepared to abide by the decisions at which it might arrive, it being obvious that the mere discussion of great questions by a body so composed, could serve no useful purpose, if the parties chiefly interested went into it, with their minds made up beforehand as to the course they should take. In such a case a Congress would be either an idle and needless ratification of decisions independently arrived at by some of the parties, or there would be disagreement, and it would end in nothing or in the last resort, an appeal to arms must be contemplated, which was an alternative I could not seriously consider as far as England was concerned.“ Am nächsten Tag gab ihm Bernstorff die erwartete preußische Ablehnung bekannt. „Armed with this, I gave La Tour and Brunnow a conditional consent on the part of England: feeling sure that the conditions were such as could not be agreed to“ (Tagebucheintrag vom 31. Juli 1866, STANLEY JOURNALS, S. 262). Vgl. Stanley an den britischen Botschafter in Rußland, Buchanan, 6. August 1866, RA VIC/I 46/152, sowie Stanley an Cowley, 8. August 1866, RA VIC/I 46/159. Tagebucheintrag Stanleys vom 7. August 1866, STANLEY JOURNALS, S. 263. Vgl. Victoria an Stanley und an Derby, 7. bzw. 8. August 1866, LQV 2 I, S. 364 f. Stanley an Victoria, 8. August 1866, RA VIC/I 46/158.
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VIII. Außenpolitik und Empire
Our line is plain: let German and Frenchman fight, or divide the plunder as they please.244
Dies war non intervention stricte, die Stanley auch im darauffolgenden Jahr in der Luxemburger Krise praktizierte245, damit allerdings Kritik nicht nur der Königin246, sondern nun auch Disraelis auf sich zog247. Der allerdings von höchst interessierter Seite sprechende österreichischungarische Botschafter in London, Apponyi, machte Stanley den Vorwurf, mit seiner „eminent praktischen und positiven Art“ und seinem „Dogma der vollständigen Nichtintervention und der absoluten Enthaltung Großbritanniens“ das „Recht des Stärkeren und die Absorption kleinerer Nationen durch große“ zu befördern248. According to Lord Stanley the only great interest of this country consists in the pacific development of its prosperity and its colonial and commercial power, and as England could not attain this goal and at the same time interfere actively and influentially in the affairs of Europe she ought not to hesitate between the two courses, but choose that which best assures her riches and prosperity. Consequently foreign affairs should only have a secondary place in English policy, and the true interests of the country being engaged in none of the different questions agitating the Continent it is better to abstain from all advice or interference when one has decided that no result can follow and to retire into complete passivity and neutrality.
Der Vetreter des Habsburgerreiches faßte sein Unverständnis zusammen: „very strong convictions, his opinions are a mixture of Toryism and Radicalism.“ Dies deutet abermals auf eine außenpolitische Nähe Stanleys zum Manchester-Liberalismus hin, wie er auch bei einer Wahlversammlung in King’s Lynn, als er seine Außenpolitik erläuterte, den Zuruf hinnehmen mußte „John Bright’s policy!“249 In der Tat war die Außenpolitik des dritten Kabinetts Derby zwischen Konservativen, Liberalen und Radikalen nicht umstritten, hier herrschte 244 245
246 247 248
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Stanley an Cowley, 11. August 1866, zit. nach BOURNE, Stanley, S. 69. Vgl. Stanley an Grey, 27. April und 9. August 1867, LQV 2 I, S. 423 und 458, Apponyis Botschafterbericht vom 30. April 1867, TEMPERLEY/PENSON, Foundations, 119/310, Stanley an Loftus, 25. Juni 1867, TEMPERLEY/PENSON, Foundations, 121/313, sowie Stanleys Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1867, STANLEY JOURNALS, S. 326; zur luxemburgischen Krise von 1867 vgl. BAUMGART, Europäisches Konzert, S. 388–394, HILDEBRAND, No Intervention, S. 185–271, und METZLER, Weltmacht in Europa, S. 273–277. Vgl. Grey an Disraeli, 29. Juli, Disraeli an Grey, 31. Juli, und Grey an Disraeli, 5. August 1867, LQV 2 I, S. 451–455, hier 451, S. 455 f., hier 455, und S. 456–458, hier 456 f. Vgl. Disraeli an Stanley, 30. Dezember 1866 und 22. April 1867, M&B IV, S. 469 und 470 f., hier 471. Vgl. Apponyis Botschafterberichte vom 3. Juli 1866 und vom 7. April 1868, TEMPERLEY/ PENSON, Foundations, 117/306 f. (dort 306 das mittlere Zitat, die folgenden Zitate 306 f. und 307), 118b/308 (dort das erste und dritte der vorhergehenden Zitate). THE TIMES vom 14. November 1868, S. 3b.
3. „Ökonomisierung der Außenpolitik“ und Nichtintervention
485
vielmehr Konsens statt ideologischer Differenzen. Auf verfassungspolitischer Ebene suchte die Regierung, in erster Linie Disraeli, zugleich mit Erfolg die Unterstützung der Radikalen bei der parlamentarischen Durchsetzung der Wahlrechtsreform. Eine direkte, funktionale Verklammerung von Innen- und Außenpolitik ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht zu verifizieren, wobei Außenpolitik für die Konservativen ganz generell einen nachgeordneten Gegenstandsbereich ihrer Politik darstellte. Außenpolitische Positionen waren dementsprechend veränderlich und nicht selten abgeleiteter Art, und auch die non intervention war nicht autogener oder autonomer Natur. So sehr gerade Stanley freihändlerischer Ökonomie und den Liberalen zuneigte (und schließlich, 1880, auch zu ihnen übertrat), war seine und die allgemeine konservative Übereinstimmung mit der liberalen Nichtinterventionspolitik doch in erster Linie pragmatisch motiviert: „our insular position requires an insular policy“250. Konservative Nichtintervention, im Sommer 1866 und allgemein, speiste sich in erster Linie aus zwei Motiven: zum ersten aus der Einsicht in die eigene Mittellosigkeit gegenüber den „madmen“ auf dem Kontinent, die zur eigenstaatlichen nationalen Interessenpolitik ohne Rücksicht auf die übergeordneten Interessen des Staatensystems und auch zum Krieg entschlossen waren. Der Palmerstonismus galt als durch und durch diskreditiert, und ein europäischer Interventionismus im Geist von 1815 wäre nicht nur höchst risikobehaftet gewesen, sondern ohnehin völlig chancenlos, weil die Wiener Ordnung, wie die Konservativen nolens volens einsahen, ruiniert war. Aus dieser Erkenntnis resultierte das – möglicherweise, aber das ist für die Konservativen nicht zu verifizieren, zumindest partiell auch autogene – zweite Motiv: der Rückzug auf die nationalen Interessen, die für den klassischen Handels- statt Machtstaat in der territorialen Unversehrtheit der Insel und der Sicherheit der imperialen Handelswege und somit in der Wahrung des Friedens lagen. Hinzu kam die zunehmende Einsicht, daß die Umgestaltung Mitteleuropas den Kontinent stabilisieren und somit durchaus im englischen Sinne liegen mochte; ganz vereinzelt klang auch die Vorstellung einer Zivilisierung des Kontinents nach englischem Vorbild an251. Jedenfalls herrschte unter den englischen Politikern auch konservativer Couleur ein deutliches Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Kontinent, 250 251
Adresse Stanleys an die Wähler von King’s Lynn, 14. November 1868, in: THE TIMES vom 14. November 1868, S. 3a-d, hier 3b. Vgl. Victoria an Stanley, 7. August 1866, LQV 2 I, S. 364, W.C. Cartwright, The Reconstruction of Germany, in: FM 74, S. 366–384 (September 1866), S. 368, 370 und 382 f., sowie BULWER-LYTTON, England and her Institutions, in: QR 120, Nr. 240 (Oktober 1866), S. 536–560, hier 540.
486
VIII. Außenpolitik und Empire
das sich nicht zuletzt aus der Überzeugung von der freiheitlichen Verfassungs- und Sozialordnung der englischen societas civilis speiste. Hier, im Bereich von Gesellschaft und Verfassung – our free constitution in Church and State, to which, under Divine Providence, we are indebted for a greater degree of happiness and liberty, than is enjoyed by any other country in the world252 –,
nicht im Bereich von Handel und Finanzen und Ökonomie allgemein, nicht von Außenpolitik und Empire und, trotz anderslautender Selbstdarstellung, auch nicht von Religion und Kirche, lag der Kern der politischen Kultur, das Spezifikum des Konservatismus der englischen Konservativen und ihrer Entwicklung nach der Parteispaltung von 1846.
252
Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire, 18. Juni 1852, DISRAELI LETTERS VI, 2317/82 f. Zu diesem Bewußtsein nationaler Besonderheit und Überlegenheit Englands vgl. Kapitel II.6.e).
Der Konservatismus der englischen Konservativen 1846–1868
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IX. RESÜMEE: DER KONSERVATISMUS DER ENGLISCHEN KONSERVATIVEN 1846–1868 FRONTEN: DIE RADIKALE HERAUSFORDERUNG „Hostility to radicalism, incessant, implacable hostility, is the essential definition of Conservatism“1. Mit der ihm eigenen Zuspitzung brachte der hochkonservative Außenseiter Robert Cecil in diesem Fall die Sache der gesamten Partei auf den Punkt: Anti-Radikalismus war der Kern des Konservatismus der englischen Konservativen im mittleren 19. Jahrhundert. Die Konservativen sahen sich, wie schon in der allgegenwärtigen zeitgenössischen Kampfmetaphorik zum Ausdruck kam, von einem fundamentalen Gegner bedroht, der ihnen auf breiter Front unter verschiedenen Fahnen gegenüberstand. Auch wenn die Konservativen das Feindbild zuweilen angstbedingt überzeichneten, nahmen sie doch einen realen Antagonismus wahr. Aus dieser Defensive heraus artikulierten sie ihre eigenen Positionen und Parolen. Die Vorstellungen von Politik gründen auf dem Bild vom Menschen. Hier sahen sich die Konservativen mit den fortschrittsoptimistischen „Utopisten“ konfrontiert, die sich dem Glauben an die „natural perfectibility and perfection of the human race“2 hingaben. Dem stand auf konservativer Seite die Überzeugung von der gemischten, und das bedeutete insbesondere von der unwandelbar unvollkommenen, Natur des Menschen gegenüber. Daraus folgten drei Grundannahmen: erstens die Notwendigkeit der Ordnung, zweitens die biologische, intellektuelle, moralische und auch soziale Ungleichheit der Menschen und drittens ihr Unvermögen, die Wirklichkeit vollständig zu erkennen und zu gestalten oder zu steuern. Daran schloß ein fatalistisch grundierter, utilitaristischer Pragmatismus an. Damit ist bereits das benachbarte Terrain der Epistemologie betreten, wo der Gegner in Gestalt der „Theoretiker“ auftrat: Theorie und Rationalismus auf radikaler Seite standen geradezu topisch gegen Empirie, Sensualismus und Instinkt auf konservativer, Utopie und futurischer Konjunktiv gegen Bekanntes und imperfektischen Indikativ, Letztbegründung und Deduktion gegen common sense und Induktion, Abstraktes und allgemeingültige Norm gegen Konkretes und Kontextualität, Quantifizierung gegen Quali1 2
Cecil, English Politics and Parties, in: BQR I, Nr. 1 (März 1859), S. 1–32, hier 12. Cecil, Democracy on its Trial, in: QR 110, Nr. 219 (Juli 1861), S. 247–288, hier 259.
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IX. Resümee
fizierung, kurz: der platonische Realismus des Allgemeinen vor dem Besonderen gegen den aristotelischen Realismus des Besonderen im Allgemeinen. Das politische Denken der englischen Konservativen gruppierte sich allgemein um zwei Zusammenhänge. Die Ordnung war, erstens, Voraussetzung und Garant der Freiheit, die nicht autonom und egalitär, sondern kontextuell, qualifiziert und konkret verstanden wurde und insofern Ähnlichkeiten zum ständischen Verständnis der Freiheiten (als Plural) aufwies, ohne in sozialer Hinsicht ständisch gebunden zu sein. In der Vorstellung der Freiheit verbanden sich konservative Elemente mit spezifisch englischen: als ihre Kennzeichen galten Staatsfreiheit (status negativus libertatis), ein traditionell hohes Maß an persönlichen Freiheiten und die Harmonie von Freiheit und Ordnung. In dieser Harmonie wurde die nationale Besonderheit Englands gesehen. Sie zeichnete sich wiederum durch ihre Nützlichkeit aus und legitimierte die Ordnung somit säkular-utilitaristisch und nicht transzendent. Ein zweiter Zusammenhang ging von der Tradition aus, die das Überlieferte als bewährt auswies und die zugleich als organische Entfaltung verstanden wurde, welcher der Wandel zwangsläufig innewohnte. Statt einer Fixierung auf den Status quo stricte waren somit Reformen als evolutionäre Anpassung, nicht aber als Eingriffe zwecks grundlegender Umgestaltung, in diesen Zusammenhang grundsätzlich inbegriffen. Das Feindbild auf der Ebene von Wirtschaft und Gesellschaft waren, insbesondere in den ersten Jahren nach 1846, die middle classes. Sozialökonomisch reduziert gefüllt und sozialmoralisch negativ konnotiert, bezeichnete der Begriff in konservativer Diktion das neue und aufsteigende städtisch-industriekapitalistische Wirtschaftsbürgertum. Die middle classes wurden mit dem ebenfalls polemischen Begriff der radikalliberalen freihändlerischen „Manchester School“ identifiziert, die als spiritus rector der Abschaffung der Getreideschutzzölle im Jahre 1846 und somit der hochsymbolischen und als gesellschaftspolitisch wegweisend erachteten Niederlage der protektionistischen Konservativen galt. Die Stadt auf radikaler stand gegen das Land auf konservativer Seite, das moneyed und manufacturing interest gegen das landed interest, die middle classes gegen die Aristokratie, mit Disraelis Worten aus dem Jahre 1849: eine „second-rate & manufacturing republic“3 gegen die „territorial constitution“4 unter aristokratischer Führung
3 4
Disraeli an G.F. Young, 19. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1902/237. Disraeli, Adresse an die Wähler von Buckinghamshire vom 22. Mai 1847, M&B III, S. 20–22, hier 20.
Der Konservatismus der englischen Konservativen 1846–1868
489
(„aristocratic settlement“5). Die Konservativen sahen die gesamte tradierte und somit bewährte und legitimierte Ordnung des Landes (im doppelten Sinne des Wortes) bedroht. Diese konzentrierte sich im hier aus heuristischen Gründen begrifflich eingeführten und interpretierend abstrahierten, in dieser Form jedoch nicht zeitgenössisch artikulierten Konzept der societas civilis. Dieses genuin vormoderne Gesellschaftskonzept war erstens ländlichagrarisch geprägt, es war zweitens ungleich und hierarchisch angelegt, mit dem Grundbesitzer an der Spitze, es gründete drittens auf Eigentum, konkret auf Eigentum an Grund und Boden, es war viertens aristokratisch geführt, fünftens auf paternalistische Weise gemeinwohlverpflichtet und daher sozialmoralisch qualifiziert sowie – auf eigene konservative Weise – utilitaristisch legitimiert, und es sah sechstens keine Trennung einer staatlichen und einer gesellschaftlichen Sphäre, wohl aber lokale Autonomie und einen höchst zurückhaltenden Staat vor, baute also auf weitgehende Staatsfreiheit statt auf einen bürokratischen Anstalts- oder gegenüber der Gesellschaft autonomen Machtstaat. Unter dem Begriff der societas civilis firmierte zugleich der zentrale gesellschaftspolitische Anspruch der Radikalen in der Tradition des Reformradikalismus des 18. Jahrhunderts. Im Unterschied zur konservativen Vorstellung war das radikale Konzept, zumindest im Hinblick auf die Einbeziehung der Mittelschichten, stärker egalitär und partizipatorisch geprägt, und es maß den middle classes anstelle der Aristokratie die sozialmoralisch qualifizierte gesellschaftliche Führungsrolle zu. Doch bereits in diesem sozialmoralischen Legitimationsanspruch, das Gemeinwohl zu vertreten und ganzheitlich alle gesellschaftlichen Interessen wahrzunehmen, steckte eine unübersehbare Gemeinsamkeit, zu der die möglichste Staatsfreiheit und die Gründung auf Eigentümer bzw. das Eigentum als soziales Ordnungsprinzip traten. Die Konservativen und die Radikalen führten somit, namentlich zwischen 1846 und 1852, im gesellschaftspolitischen Kern eine polemische Kontroverse um den sozialmoralischen Anspruch auf das (auf beiden Seiten unhinterfragt männlich bestimmte) Konzept der societas civilis. Dazu bedienten sie sich weitgehend derselben Terminologie, wobei die Konservativen und insbesondere Disraeli die Begriffe der Mittelschichten aufnahmen und ihre Argumentation in deren eigener Sprache gegen sie verkehrten. Sie reklamierten die Ansprüche der middle classes für sich selbst bzw. die länd5
Disraeli an Stanley (den späteren 14. Earl of Derby), 26. Dezember 1848, und Disraeli an Robert Harvey, 25. Oktober 1849, DISRAELI LETTERS V, 1755/118 und 1910/244.
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IX. Resümee
lich-aristokratische Ordnung, während sie den Mittelschichten ihren eigenen Anspruch ab- und das Gegenteil zusprachen: [Free Trade] is in its very essence a mercenary, unsocial, democratising system, opposed to all generous actions, all kindly feelings. Based on selfishness [. . .] it directs that impulse into the lowest of all channels, the mere sordid pursuit of wealth. It teaches competition and isolation, instead of co-operation and brotherhood; [.. .] it disregards the claims of humanity towards the poor, if opposed to the pecuniary interests of the rich [. . .]. Wealth is its end and Mammon its divinity.6
Jenseits dieser Polemik barg das inhaltlich jeweils unterschiedlich gefüllte Programm der societas civilis jedoch zugleich Ansatzpunkte für Berührungen, die das allgemeine Phänomen einer besonderen Verbundenheit der schärfsten Gegner auch im Verhältnis von Konservativen und Radikalen aufscheinen lassen7. Das für den Konservatismus der englischen Konservativen konstitutive Verhältnis zum Radikalismus war somit spezifisch ambivalent: waren die Gegensätze auf dem Gebiet des Menschenbildes und der Epistemologie unüberbrückbar, so verbanden sich insbesondere auf gesellschafts- und verfassungspolitischer Ebene grundsätzliche Unterschiede mit nicht nur akzidentiellen Affinitäten, die sich politisch aktualisieren ließen, wie es vor allem in der Wahlrechtsreform von 1867 konkret zum Ausdruck kam. Auf dem Felde von Staat, Verfassung und Politik erblickten die Konservativen den Gegner unter dem Banner der „Demokratie“. Die konservative Semantik dieses Begriffs war nicht eindeutig, sondern variabel, jedenfalls aber war er negativ besetzt. „Demokratie“ bedeutete demzufolge weniger eine Verfassungsform, die staatliche Herrschaft auf der Souveränität des Volkes und auf allgemeinem und gleichem Wahlrecht gründete, sondern nach 1846 zunächst in erster Linie die Herrschaft der middle classes, gegebenenfalls unter Stützung auf die working classes. „Demokratie“ bedeutete „Manchester“ in politicis: the real struggle, the real battle of the Constitution which has to be fought is whether the preponderance, in the legislative power, is to rest with the land and those connected with it, or with the manufacturing interests of the country. If the former, the Throne is safe; if the latter, in my deliberate judgement, it is gone.8
Die Herrschaft der Mittelschichten würde nach konservativer Einschätzung die „territorial constitution“ also nicht nur auf sozio-ökonomischer, sondern auch auf staatlich-politischer Ebene aushebeln und die Monarchie 6 7 8
G. F. Young, Free Trade, in: QR 86, Nr. 171 (Dezember 1849), S. 148–183, hier 183. Vgl. ALLEN, Modern Conservatism, S. 600. Derby an Croker, 22. März 1852, CROKER PAPERS III, S. 237–239, hier 237.
Der Konservatismus der englischen Konservativen 1846–1868
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sowie das Oberhaus abschaffen. Zwar erlebte der konservative DemokratieBegriff nach 1852 eine signifikante Wandlung, nichtsdestoweniger blieb er aber durchgängig negativ konnotiert und mit den Radikalen verbunden und somit für die Konservativen ein Kampfbegriff. Die radikale Gegenfront verlängerte sich auf dem Gebiet von Religion und Kirche um den nonkonformistischen Dissent, der die Position der Anglikanischen Staatskirche bedrohte, und schließlich auf das Terrain der Außenpolitik, auf dem „mammon worshipping peace crotchets“9 der liberalen Utopie eines Weltfriedens durch ungebremsten Freihandel anhingen. Weder Religion noch Außenpolitik waren für die Konservativen indes zentrale Politikfelder, und in der Auseinandersetzung mit dem Radikalismus stellten sie nur Nebenkriegsschauplätze dar. Im Falle von Religion und Kirche steht dieser Befund in deutlichem Widerspruch zur konservativen Rhetorik, er belegt aber die Annahme von der nachgeordneten Bedeutung religiöser Fragen gegenüber säkularen Themen im englischen Konservatismus10. Auf außenpolitischer Ebene bestätigt er, daß Empire und Nationalismus in der politischen Öffentlichkeit und in der operativen Politik im England des mittleren 19. Jahrhunderts nur eine untergeordnete Nebenrolle spielten. Im Vergleich zu diesem fundamentalen Antagonismus gegenüber dem Radikalismus traten die Unterschiede der Konservativen zu den WhigLiberalen deutlich zurück. Gerade mit den traditionell stärker als die Konservativen am Hochadel orientierten Whigs bestanden, insbesondere gegenüber den Radicals, weitreichende Gemeinsamkeiten über eine aristokratisch dominierte Sozialordnung. Die nach 1846 besonders markant hervortretenden Differenzen, auf seiten der Whig-Liberalen die Befürwortung des Freihandels und die traditionelle Bereitschaft zu Reformen in Korrespondenz mit der politischen Öffentlichkeit, verloren nach 1852, mit der Abkehr der Konservativen vom Protektionismus und ihrer zunehmenden Orientierung hin auf eine Wahlrechtsreform, an Trennkraft. So offenbarten der „Waffenstillstand der Parteien“ und die konservative Duldung, ja stille Unterstützung Palmerstons zwischen 1859 und 1865 den Konsens zwischen Konservativen und Whig-Liberalen gegenüber den Radikalen. Diesen Gemeinsamkeiten standen eher „weiche“ Unterscheidungen in Stil und Tendenzen, nicht zuletzt gegenseitige Wahrnehmungen und Vorurteile zur Seite. Selbst Disraelis notorischer sozialmoralischer Vorwurf an die Adresse der Whigs
9 10
R. H. Patterson, The Peace, in: BM 79, S. 608–624 (Mai 1856), hier 622. Vgl. BARKER, Political Thought, S. 33.
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IX. Resümee
als einer engherzigen und egoistischen (factious) Oligarchie11 war jedoch sozial wenig substantiiert und wurde politisch kaum aktualisiert. Die Differenzen zwischen Konservativen und Whig-Liberalen lagen weniger auf der Ebene der policy als der politics, wirkten von dort aus aber wiederum auf die policy zurück. Die zentrale Diskrepanz bestand in der Koalition respektive der Koalitionsfähigkeit der Whig-Liberalen mit den Radikalen, die sich politisch insbesondere im sozialreformerischen Gladstone-Liberalismus der ausgehenden 1860er Jahre manifestierte. Der Gladstonismus wiederum beförderte die Verschiebung der politischen Tektonik hin zu einer konservativ-whiggistischen Allianz gegen diesen Reformliberalismus, wie sie schließlich nach der liberalen Spaltung von 1886 zustande kam. Diese sich anbahnende Verschiebung wurde allerdings insbesondere nach 1859 durch den Zusammenschluß von Whig-Liberalen, Peeliten und Radikalen zur Liberal Party verdeckt, so daß zunächst, trotz des party truce, auf der Ebene der politics vor allem die Trennlinie zwischen den Konservativen und den vereinten Liberalen sichtbar war. Daß sich unter den liberalen Dissidenten von 1886 auch Radikale befanden, verweist unterdessen abermals auf eine weitere Verwerfung der politischen Grenzen: das spezifisch ambivalente Verhältnis der Konservativen zu den Radikalen. BEWEGUNGEN: SOCIETAS CIVILIS – OFFENSIVE
CONSTITUTIONAL PARTY – RADIKALE
Die Konservativen erlebten die Abschaffung der Schutzzölle im Jahre 1846 weit über ihre ökonomische Dimension hinaus als fundamentale und richtungsweisende Niederlage gegen „Manchester“ im umfassenden Sinne des Feindbildes. Jenseits des für Konservative typischen Maßes an Skepsis war die konservative Erwartung der Zukunft in den ersten Jahren nach 1846 von nachgerade panischen, mindestens grimmig fatalistischen Untergangsängsten geprägt. „Revolution“ und „Anarchie“ wurden prognostiziert, und daß dies auch nach 1848 der Fall war, verweist darauf, daß damit nicht in erster Linie eine politische Revolution der working classes gemeint war, wie sie sich mit dem Jahr 1848 und dem Chartismus identifizieren ließ, sondern die soziale Revolution der middle classes, für die das Jahr 1846 stand. In diesem Sinne war auch das Schreckbild der „Demokratie“ zu verstehen: die Herrschaft der Mittelschichten, des „commercial principle [. . .] omnipotent in 11
Vgl. etwa JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 136–139, und SMITH, Disraeli’s Politics, S. 160.
Der Konservatismus der englischen Konservativen 1846–1868
493
this island“12. Sie würde die „territorial constitution“ und das „aristocratic settlement“, die auf der hierarchisch strukturierten und aristokratisch geführten Sozialordnung des Landes beruhende überkommene Verfassung zerstören, mit der die Conservative Party sich selbst in eins setzte13. Dabei machte sich unter den Konservativen eine hysterisch anmutende, aber offenbar authentische Furcht vor einer konkreten materiellen Enteignung der Aristokratie und der Grundbesitzer auf heißem oder auf kaltem Wege breit. Der Radikalismus stellte in dieser Perzeption, die den Konservativen zwischen 1846 und 1852 weitestgehend gemeinsam war, eine umfassende ökonomische, soziale und politische Bedrohung und somit ein integrales Feindbild dar. Den unausweichlichen und unmittelbar bevorstehenden, wenn nicht bereits begonnenen „terrible struggle [. . .] betn. the aristocratic & democratic principles“14 sahen die Konservativen dabei voller Resignation und Fatalismus als bereits verloren an: Some talk on politics with Lord Derby: he said „I knew as long ago as 1845, that I was playing a losing game: [. . .] the game is lost, but I think it ought to be played, and I will play it out to the last.“ By this he means resistance to democracy.15
Die Zukunft erschien in dunkelsten Farben des Untergangs – „I have never taken before so gloomy a view of our position“, bekannte Derby16 –, und auf seiten der Konservativen herrschte in den Jahren nach dem Bruch von 1846 lähmende Angst: „Where it will all end, Heaven only knows! I tremble for the future.“17 12
13 14 15
16 17
Disraeli an Lady Londonderry, 30. Dezember 1849, DISRAELI LETTERS V, 1947/281. Vgl. auch Disraeli an Granby, 29. November 1849, EBD., 1926/260, Hardwicke an Croker, 30. Dezember 1852, CROKER PAPERS III, S. 260 f., und Drummond an Croker, 19. Dezember 1853, EBD., S. 269 f. Vgl. Disraeli an Lord Londonderry, 29. Dezember 1850, DISRAELI LETTERS V, 2081/394. Disraeli an Manners, 29. Januar 1849, EBD., 1781/139. Tagebucheintrag Stanleys vom 28. Dezember 1852, STANLEY JOURNALS, S. 94. Vgl. auch Croker, Democracy, in: QR 85, Nr. 169 (Juni 1849), S. 260–312, hier 260, 307 und 312, Stanleys Tagebucheintrag vom 17. Juni 1849, STANLEY JOURNALS, S. 11, und Croker an Derby, 11. August 1852, CROKER PAPERS III, S. 258 („die this Constitution will and must“). Stanley an Croker, 18. August 1850, CROKER PAPERS III, S. 219–221, hier 221. Walpole an Croker, 13. Januar 1853, EBD., S. 262 f., hier 263; vgl. auch Thomas Carlyle an seinen Bruder Alexander, 16. Juni 1848, LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER, 221/665 („bad days are coming“), Disraeli an Graf d’Orsay, 1. Januar 1850, DISRAELI LETTERS V, 1951/285 („England is only sinking: France is finished. What a mournful fate to be born in the decline & fall of gt countries. Europe – at least the Europe, of our fathers & our youth – approaches its end“), Disraeli an Manners, 9. Januar 1850, EBD., 1953/287 („the turning point in the fortunes of this empire – at least of its aristocratic settlement, is at hand. I almost despair“), sowie Disraeli an Stanley, 7. Dezember 1851, DISRAELI LETTERS VI, 2203X/532 („I never saw things tumble down so fast as the landed interest“).
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IX. Resümee
Mit dem Jahr 1852 änderte sich diese Befindlichkeit. Zwar gab es in den konservativen Reihen, insbesondere auf hochkonservativer Seite, auch weiterhin strikte Pessimisten18, und der konservative Grundton blieb zukunftsskeptisch19. Doch er wurde merklich aufgehellt durch eine größere Offenheit für das Kommende. Prognosen wurden seltener und nahmen weniger eindeutig den unausweichlichen und unmittelbar bevorstehenden Untergang ins Visier. Die Erwartung der Zukunft gestaltete sich mindestens ambivalent, wie Disraeli etwa 1862 formulierte: It is a privilege to live in this age of rapid and brilliant events. What an error to consider it an utilitarian age! It is one of infinite romance. Thrones tumble down and crowns are offered, like a fairy tale, and the most powerful people in the world, male and female, a few years back, were adventurers, exiles, and demireps20.
Zuweilen war sogar regelrechtes Vertrauen in die Zukunft anzutreffen. Der konservative Stimmungswandel war mit Händen zu greifen. Er ging zurück auf das Jahr 1852, das die entscheidende Wende in der Entwicklung der Konservativen nach der Niederlage und der Spaltung von 1846 markierte. Auf politischer Ebene bedeutete die Abkehr vom Protektionismus eine tiefe Zäsur. Sie wurde durch das Führungshandeln des drängenden Disraeli und des zunächst zögerlichen Derby gegen die Breite der Partei durchgesetzt, die am Protektionismus aus Prinzip hing. Demgegenüber zog die Parteiführung die pragmatischen Konsequenzen aus der realistischen Einsicht, daß der Protektionismus die politischen Perspektiven der Konservativen verbaue. Hinzu kam das Ausbleiben der vorhergesehenen Katastrophe. Landwirtschaft und landed interest waren nach 1846 eben nicht dem Untergang verfallen, und hinzu mochte – mit zeitlicher Verzögerung und ohne daß sich der direkte Beweis aus den Quellen führen ließe – die Erfahrung kommen, daß die middle classes die bestehende Ordnung 1848 gegen revolutionäre Gefährdungen zu verteidigen geholfen hatten. Daran konnte, unbeschadet
18
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Vgl. etwa DRUMMOND, Letter to Mr. Bright (November 1858), S. 8 und 39, ALISON, Life and Writings II, S. 409 (ad 1862), R. Cecil, The Church in her Relations to Political Parties, in: QR 118, Nr. 235 (Juli 1865), S. 193–224, hier 224, sowie seine Rede vom 30. Mai 1867, G. CECIL, Salisbury I, S. 270 f., und seinen Artikel „The Conservative Surrender“, in: QR 123, Nr. 246 (Oktober 1867), S. 533–565, hier nach SMITH (Hg.), Salisbury on Politics, S. 257–291, hier 257 f. und 267. Vgl. etwa Lyndhurst an Croker, 2. Dezember 1856, CROKER PAPERS III, S. 370, BulwerLytton an seinen Privatsekretär Henry Wolff, 1. April 1859, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 308, oder Northcotes Tagebucheintrag vom 4. Februar 1866, NL Northcote, BL London, Add MSS 50063A, fol. 63–65, hier 64. Disraeli an Sarah Willyams, 9. Dezember 1862, M&B IV, S. 331. Vgl. auch Disraeli an Sarah Willyams, 18. Dezember 1860, EBD., S. 321, oder Bulwer-Lyttons Rede vor Studenten der Universität Edinburgh, LIFE OF BULWER-LYTTON II, S. 193–195, hier 194.
Der Konservatismus der englischen Konservativen 1846–1868
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weiterwirkender gesellschaftspolitischer Differenzen, eine langsame Entspannung anknüpfen. Mit dem Verzicht auf den Protektionismus 1852 war die raison d’être von 1846 obsolet geworden. Die Konservativen bedurften der inhaltlichen Neuorientierung. Seit etwa 1852 verfestigte sich die günstige konjunkturelle Entwicklung in England zu einer allgemeinen Prosperität, die auch das landed interest erfaßte und statt des befürchteten Niedergangs nachgerade ein goldenes Zeitalter der Landwirtschaft herbeiführte. Im Zeichen materieller Entspannung klang auch die in den vierziger Jahren noch so drängende soziale Frage ab, und die sozialen Konfliktpotentiale innerhalb der Gesellschaft gingen zurück, so daß sich die fünfziger und sechziger Jahre nicht nur im Rückblick, sondern bereits im zeitgenössischen Empfinden als „age of equipoise“ (W. L. Burn) ausnahmen. Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung kam den Konservativen und die Konservativen kamen der gesellschaftlichen Entwicklung entgegen. Die Integration der Konservativen in die gesamtgesellschaftliche politische Kultur war somit ein Prozeß der Assimilierung und der Akkomodation. Er wurde durch die Kompatibilität der englischen Kultur des common sense und der pragmatischen Anpassungsbereitschaft der Konservativen befördert, und doch setzte dieser Kurswechsel in erheblichem Maße politische Anstrengungen und innerparteiliches Durchsetzungs- und Stehvermögen voraus. Dafür steht in allererster Linie der Name Disraeli. Die Untersuchung der Partei in möglichster personeller Breite führt zum Ergebnis der entscheidenden Bedeutung ihrer Spitze. Die Artikulation und Führung der relevanten Meinungen, Einstellungen und Werte, die Prägung der politischen Kultur der Partei lag bei ihrer Elite. In der allerersten Reihe der Parteiführung herrschte mit Derby, Disraeli, Malmesbury und Walpole personelle Konstanz von der Spaltung bis zur zweiten Wahlrechtsreform. Die weitere Parteiführung wurde zwischen 1846 und 1867 sukzessive ausgetauscht, ohne daß damit jedoch ein sozialer Wandel einhergegangen oder eine neue Generation in die Partei eingerückt wäre. Vielmehr bestritt die Partei diese beiden Dekaden überwiegend mit Führungspersonal, das die Spaltung selbst politisch aktiv mitvollzogen hatte. Aus sozialen oder generationellen Umständen lassen sich keine maßgeblichen Schlüsse auf die Spezifika der Entwicklung der englischen Konservativen ziehen. Auch ein signifikanter Wandel der parteiinternen Topographie ist nicht zu beobachten. In den sechziger Jahren waren zwar schillernde Figuren wie Henry Drummond und John Wilson Croker vom hochkonservativen Flügel abgetreten. Dafür waren neue Ultra-Tories wie der 4. Earl of Carnarvon
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IX. Resümee
oder insbesondere Robert Cecil, der spätere 3. Marquess of Salisbury, nachgerückt, die beiden jüngsten Angehörigen der Parteiführung im Jahre 1866. Die Hochkonservativen bildeten keinen konsistenten Flügel innerhalb der Partei, wohl aber eine innerparteiliche Opposition vor allem gegen den politischen Kurs Disraelis, ohne indes die relevanten Positionen oder die Linie der Partei bestimmen zu können. Die breite Masse der Partei verhielt sich in aller Regel eher passiv, oft auch widerwillig, aber sie übte doch im Ergebnis Gefolgschaft. Dabei agierte Parteiführer Derby vor allem auf der Ebene der politics, insbesondere als Vermittler zwischen dem rank and file und Disraeli, der sowohl auf der Ebene von policy als auch von politics aktives und richtunggebendes, somit spezifisches Führungshandeln ausübte. Gegenüber dem sowohl zeitgenössischen als auch historiographischen Urteil, Disraelis Politik habe sich weitestgehend, wenn nicht ausschließlich an machtpolitisch motiviertem Opportunismus ausgerichtet, wird hier die Symbiose von Machtstreben und Inhalt in seiner Politik behauptet. Derby war, in der Sprache der Mathematik, das notwendige, Disraeli aber das hinreichende Kriterium und von schlechthin überragender Bedeutung für die spezifische Entwicklung der englischen Konservativen nach 1852. Diese setzte sich aus drei Elementen zusammen, die sich, ohne teleologisch zu argumentieren, in der konservativen Wahlrechtsreform von 1867 bündelten und die eine schlüssige Antwort auf die bis heute kontroverse Frage nach ihrer Genese und ihren Gründen ermöglichen. Das erste Element dieser Entwicklung war die Entspannung im Klassenkampf von konservativer Seite. Dies bedeutete zum einen, das starre integrale Feindbild in seine Bestandteile aufzulösen. Während die Hochkonservativen unter „Demokratie“ zunächst die Herrschaft der middle classes und seit den späteren fünfziger Jahren die Herrschaft der Besitzlosen (möglicherweise, aber nicht konkret expliziert der working classes unter Führung der Mittelschichten) verstanden und in dieser Angstprojektion jedenfalls die sozio-ökonomische und die (verfassungs-)politische Ebene verbanden, suchte Disraeli eben diese Konfliktebenen zu trennen. Er identifizierte im Laufe der fünfziger Jahre die middle classes und „Manchester“ eben gerade nicht mehr mit der „Demokratie“, die er nicht mehr als Herrschaft der Mittelschichten verstand und auch nicht mit der Vorstellung einer Herrschaft der working classes füllte. „Demokratie“ bedeutete für ihn nurmehr eine Verfassungsform, die vor allem auf dem allgemeinen und gleichen (Männer-) Wahlrecht gründete. Durch diese Trennung der sozio-ökonomischen und der (verfassungs-) politischen Schauplätze verkürzte er die gegnerischen Fronten und schuf somit Entlastung und Manövrierräume.
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Hinzu kam zum anderen die Schließung des sozio-ökonomischen Schlachtfeldes. Disraelis programmatische Absicht, „to reconcile town and country“21, bedeutete konservatives Entgegenkommen gegenüber dem industrial interest und ein Bemühen um Ausgleich der konfligierenden Interessen anstelle der starren Konfrontation zwischen Stadt und Land, zwischen landed und manufacturing interest. Auf dem Boden der viktorianischen Prosperität und der innergesellschaftlichen Entspannung fanden die Konservativen unter Disraelis Anleitung zu einem harmonischeren Gesellschaftsbild, das den Grundlagen ihres politischen Denkens eher entsprach. Ohne daß dadurch die grundlegenden gesellschaftspolitischen Differenzen aufgehoben worden wären, war auf konservativer Seite doch verstärkt ein Bemühen um Entspannung, wenn nicht gar Kooperation mit middle und working classes statt Konfrontation anzutreffen, wie 1859 in Blackwood’s Magazine zu lesen war: „the time has gone by when the several interests were regarded as antagonistic. A better and sounder feeling now prevails; and men have begun to understand and appreciate the doctrine of mutual dependence“22.
Darüber hinaus stellte Disraelis Idee der „one nation“ einen ganzheitlichen Gesellschaftsentwurf dar, in dem die Konservativen als „national party“ reüssieren sollten. Dem lag dieselbe gesellschaftspolitische Konstellation wie ehedem zugrunde: Disraelis Konzept richtete sich gegen Radikalismus und Demokratie, und es zielte auf die grundsätzliche Wahrung der Sozialund Verfassungsordnung (territorial constitution) unter aristokratischer Führung (aristocratic settlement), allerdings in modernisierter Form durch eine soziale und inhaltliche Erweiterung der societas civilis. Dies war das zweite Element der konservativen Entwicklung. Das Bemühen um einen Ausgleich mit den middle classes bedeutete eine soziale Ausweitung des Konzepts der societas civilis auf die städtischen Mittelschichten und somit über ihre exklusiv ländliche Verortung hinaus. Entscheidender noch und der Kern dieser Extension war die inhaltliche Erweiterung des Eigentumsbegriffs insbesondere als Qualifikation für politische Partizipation, wie sie in den Wahlrechtsreformdebatten diskutiert wurde: von ländlichem Grundbesitz auf mobiles Eigentum wie Geldvermögen und Sparguthaben, gar auf Arbeit und Geist und schließlich auf die persönliche Zahlung von Steuern.
21 22
Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207. W. E. Aytoun, The New Reform Bill, in: BM 85 (1859), S. 506–514, hier 508.
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IX. Resümee
Durch diese begriffliche ebenso wie sachliche Ausweitung – daß Begriffe und Sache hier beziehungslos auseinandergetreten wären und Begriffe zu inhaltsleeren Parolen degeneriert wären, läßt sich, abgesehen von dekonstruktivistischer Negierung jeder philologisch interpretierbaren Bedeutung von Text, nicht verifizieren – verlor die societas civilis bzw. die territorial constitution an exklusiver Distinktion und gewann somit Züge eines Topos. Dennoch blieb ihre Substanz weitgehend gewahrt: die hierarchische und ungleiche Gesellschaft, ihre staatsfreie, lokale und subsidiarische Organisation, und ihre sozialmoralische Qualifikation samt der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums, die sich in der Erforderlichkeit der Entrichtung der Armensteuer für die Anerkennung der Steuerzahlung als Eigentumsqualifikation niederschlug. Auch die aristokratische Führung der Gesellschaft sollte nach konservativer Absicht erhalten bleiben. Dies ließ sich jedoch auf Dauer mit der Ausweitung des gesamten Konzepts nicht vereinbaren. Entgegen den aristokratischen Interessen und ursprünglichen konservativen Intentionen schlug jedoch gerade diese soziale Erweiterbarkeit auch der gesellschaftlichen Führung, wie sie sich ja im übrigen gerade an der Person des tief aus den Mittelschichten stammenden Disraeli zeigte, dem konservativen Gesellschaftskonzept die Brücke in eine Zukunft zunehmender politischer Partizipation bis hin zu demokratischen Verhältnissen. Die hier vorgetragene Interpretation bestätigt Panajotis Kondylis’ These von der societas civilis als dem inhaltlichen Kern des Konservatismus, führt sie jedoch entgegen seiner eigenen Deutung weiter. Denn gegenüber seiner Auffassung, daß die konservative Vorstellung der societas civilis sozialgeschichtlich untrennbar an den alten Adel gebunden gewesen sei und daß ihre Erweiterung die Verbürgerlichung und das Aufgehen des Konservatismus im Liberalismus bedeutet habe, wird hier mit der originär konservativen Erweiterung und Erweiterbarkeit der societas civilis argumentiert. Sie war ein Wesensmerkmal der Entwicklung der Conservative Party nach 1846. Die Ausweitung des Konzepts der societas civilis bedeutete zugleich die Ausweitung eines ihrer Konstitutiva: der politischen Partizipation. Die Frage, wer der politischen Nation angehören und den Status politischer Teilhabe besitzen sollte, konstituierte den zentralen politischen Diskurs der englischen Gesellschaft nach der Jahrhundertmitte. Hier hatten sich auch die Konservativen positioniert, und dies führt zum dritten Element der konservativen Entwicklung. Im Einklang mit dieser allgemeinen Entwicklung der englischen politischen Kultur betrieben die Konservativen, und insbesondere war es einmal mehr Disraeli, die Verschiebung der Auseinandersetzung mit dem Radikalismus von der sozio-ökonomischen auf die verfassungspolitische Ebene
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und namentlich das Feld der Wahlrechtsreform. Hier konnten die Konservativen an ihre Tradition als church and king-party23, als Verfassungspartei anknüpfen, und zugleich lagen hier Berührungspunkte mit den Radikalen, in diesem Falle den seit dem 18. Jahrhundert traditionell Parlamentsreformen propagierenden Reformradikalen und John Bright, weniger den Manchester-Radikalen cobdenitischer Couleur. Hier wurzelte zugleich das Paradoxon der Bekämpfung des Radikalismus mit Hilfe der Radikalen und der Verhinderung der Demokratie durch ihre partielle Einführung, das sich in Bismarcks Sentenz auflöst: „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden“24. Aus der Defensive heraus setzten Disraeli und die Konservativen auf Offensive und betrieben Wahlrechtsreformpolitik als Vorwärtsverteidigung. So läßt sich die konservative Reform von 1867 mit ihrer nachgerade radikalen Ausweitung der Wahlberechtigten schlüssiger erklären als mit den verschiedenen üblichen und doch defizitären Interpretationen, entweder daß die Regierung Derby nur Handlanger außerparlamentarischer oder liberaler Vernunft gewesen sei oder daß sie die Vision von „Tory Democracy“ verfolgt habe oder daß sie reine Machtpolitik zwecks kurzfristigen Machterhalts entgegen ihren eigenen mittel- und langfristigen Interessen betrieben habe. Spätestens seit 1853 spielte Disraeli mit dem Gedanken einer eigenen konservativen Wahlrechtsreform, „which, while it should be very popular, would consolidate and confirm our power“25. Das zweite Kabinett Derby machte 1859 die erste konservative Wahlrechtsreformvorlage, die innovative Ansätze einer qualitativen Ausweitung enthielt, zu seinem zentralen Vorhaben, an dem es schließlich scheiterte. Anders endete der nächste Versuch, als die dritte Regierung Derby ihr Schicksal abermals mit dem Thema der Wahlrechtsreform verknüpfte. Die konservative Politik und die Reform des Jahres 1867 lassen sich aus einer spezifischen Ursachenkonstellation26 aus Ziel, Weg und Grundlagen, Rahmen und Impuls auf den Ebenen von policy, politics und polity erklären. 23 24 25 26
Vgl. GASH, Reaction, S. 131. Telegramm Bismarcks an Edwin von Manteuffel, 11. August 1866, in: BISMARCK. Die gesammelten Werke (Friedrichsruher Ausgabe), Bd. 6, Berlin 1929, S. 120. Disraeli an Malmesbury, 26. Januar 1853, DISRAELI LETTERS VI, 2480/207 mit Anm. 1. Ursachen werden hier in Anlehnung an Max Weber als kausal wesentliche Umstände verstanden, ohne die ein Vorgang nicht gedacht werden kann, deren Fehlen jedoch möglich ist bzw. gewesen wäre, vgl. MAX WEBER, Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung (1906), in: M.W., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von JOHANNES WINCKELMANN, 7. Aufl. Tübingen 1988, S. 266–290, hier 273–277 und 288–290.
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IX. Resümee
Das Ziel war defensiv und inhaltlicher Art: die Bewahrung der Sozialund Verfassungsordnung der „territorial constitution“ und des „aristocratic settlement“. Auch die Grundlagen waren auf der Ebene von policy angesiedelt: die soziale und inhaltliche Erweiterung der politischen Kultur der Partei, insbesondere des Konzepts der societas civilis, die hier bis an den Rand des für die Konservativen Erträglichen ausgereizt wurde. Sprachverwirrungen nicht zuletzt innerhalb der Konservativen, namentlich zwischen Disraeli und seinen Anhängern auf der einen und den Hochkonservativen auf der anderen Seite, die mit gleichen Begriffen Unterschiedliches meinten, offenbarten auf semantischer Ebene die Entwicklung, die Disraeli im mainstream der Partei gegen viele Widerstände insbesondere der opponierenden Hocharistokraten durchgesetzt hatte. In der Methode der offensiven Vorwärtsverteidigung verbanden sich policy und politics, während letzteren der konkrete Impuls, nämlich das Streben nach Macht bzw. nach dem Erhalt der Regierungsmacht zuzuordnen ist. Schließlich zog die polity den Rahmen in Form des politischen Systems, konkret des parlamentarischen Verfahrens und seiner Eigengesetzlichkeiten, die die verschiedenen Veränderungen an der ursprünglichen Gesetzesvorlage möglich machten, während von einem „Masterplan“ Disraelis, der diese Veränderungen intendiert und die Reform von vornherein in ihrer schließlich verabschiedeten Form angestrebt hätte, keine Rede sein kann. Alles in allem lassen sich somit vier Spezifika des Konservatismus der englischen Konservativen zwischen Parteispaltung und zweiter Wahlrechtsreform benennen. Erstens positionierten sie sich als constitutional party. Dies bedeutete zum einen, daß ihr oberstes Ziel in der Wahrung der Sozial- und Verfassungsordnung lag. Zum anderen räumten sie, und namentlich war es Disraeli, verfassungspolitischen Themen den Vorrang ein. Auf dem Wege eines „popular constitutionalism“27 betrieben sie die angesichts der gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozesse unverzichtbaren weitreichenden verfassungs- und gesellschaftspolitischen Anpassungsleistungen. Den Hebel dafür stellte das zweite Spezifikum zur Verfügung: Im Zentrum der gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Konservativen stand das vormoderne Konzept der societas civilis unter aristokratischer Führung. Es ließ sich über seine ursprüngliche ländlich-aristokratische Fixierung hinaus in sozialer und inhaltlicher Hinsicht erweitern und modernisieren, ohne damit seine Substanz in wesentlichem Maße einzubüßen und somit unter
27
JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 151.
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Verlust der eigenen Identität zu einer bloßen Verbürgerlichung der Konservativen zu führen. Vielmehr schlug das anpassungsfähige und weiterentwickelte Konzept einer ungleichen, subsidiarischen und sozialmoralisch qualifizierten Gesellschaft mit starken intermediären Gewalten den Konservativen eine Brücke in die moderne, schließlich sogar demokratische Massengesellschaft. Drittens war der mittviktorianische Konservatismus hinsichtlich seiner Genese und seiner Ziele in erster Linie defensiver Anti-Radikalismus, den er, viertens, auf dem Wege der Offensive aktiv verfolgte. Disraelis Konservatismus machte lieber Revolution, als sie zu erleiden, und unterschied sich somit ebenso von einer bloßen Fixierung auf den Status quo stricte wie von Salisburys passivem Konzept, „to delay changes, ‘till they became harmless“28. Nicht zu den Wesensmerkmalen des Konservatismus nach 1846 zählen demgegenüber erstens sozio-ökonomische Vorstellungen – Handels-, Wirtschafts- und Finanzpolitik spielten insbesondere im Vergleich zu Peels Konservatismus nur eine nachgeordnete Rolle –, zweitens eine Orientierung an Religion und Kirche und drittens Positionierungen auf dem Gebiet von Außenpolitik und Empire. Die Entwicklungsrichtung der Konservativen läßt sich von daher zunächst darüber bestimmen, in welchen Traditionen sie nicht lag. Zunächst griff der mittviktorianische Konservatismus nicht Peels Liberalkonservatismus wieder auf, denn weder setzte er den Primat auf sozio-ökonomischen Themen und Reformen, noch folgte er, aber dies ist nur von nachgeordneter Bedeutung, Peels exekutiv-gouvernementalen Verfassungsvorstellungen. Dieser Konservatismus betrieb auch nicht Reformpolitik mit dem Ziel, individuelle Freiheiten und Pluralismus zu mehren. Insofern läßt er sich nicht in eine „Whig Interpretation of Tory History“ integrieren. Ebensowenig paßt er aber mit einer „Tory Interpretation of Tory History“ zusammen. Denn er legte seinen Schwerpunkt nicht auf paternalistisch motivierte Sozialreformen, und er stand auch nicht in der Tradition von Tory-Radikalen wie etwa Richard Oastler und der ländlich-antiindustriell motivierten sozialkonservativen Fabrikgesetzbewegung29. Denn 28
29
Zit. nach ROBERTS, Salisbury, S. 834. Nicht zufällig setzte daher auch die Kritik des preußischen Altkonservativen Ernst Ludwig von Gerlach „das Unheil der Politik Derby-Disraeli in der Reformlegislation von 1867“ mit Bismarcks „Verleugnung der Principien und Verachtung und Verleugnung des Parteiwesens“ gleich, KRAUS, Gerlach, S. 743 f. Anm. 300. Vgl. dazu FRANCIS/MORROW, English Political Thought, S. 112–117, METZ, Social Chain, S. 169–173, und METZ, Industrialisierung und Sozialpolitik, S. 40–48.
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IX. Resümee
erstens standen sozial-ökonomische Beziehungen nicht an der Spitze der politischen Agenda des Konservatismus nach 1846 und zweitens mochte er zwar das sozialkonservative Gesellschaftsbild grundsätzlich in vielem teilen, unterschied sich aber doch durch die benannte spezifische Weiterentwicklung, die den Paternalismus zugunsten von Partizipation zurückdrängte. Dennoch sind weder die Begriffe „Tory“ noch „Radical“ falsch, um den von Disraeli geprägten Konservatismus zu charakterisieren. Mit den topischen Losungen von „territorial constitution“ und „aristocratic settlement“, von „one nation“ und „national party“ knüpfte er zum einen auf spezifische Weise an den allgemeinen konstitutionellen Diskurs im viktorianischen England (in Sonderheit auf seiten des popular Radicalism) an. Zum anderen griff er mit dem Konzept einer „re-invention of the Tory party“30 imaginierte und tatsächliche konservative Traditionsbestände auf. Aus seiner ebenso idealisierten wie wohl ernsthaften Geschichtsinterpretation31 der alten „country party“ als den „champions of everything national and popular“32 leitete Disraeli den „Traum seines Lebens“ her: „re-establishing Toryism on a national foundation“33. Zugleich hatten diese Vorstellungen ihren realgeschichtlichen Bezug, der sich im Konzept der societas civilis bündelte, einer vormodernen, ganzheitlichen Gesellschaftsvorstellung, die für das politische Massenzeitalter adaptiert wurde. Dieses Konzept wies nicht nur auf der Ebene der policy manche inhaltliche Nähe zur radikalen Vorstellung der societas civilis auf34, es wurde auch auf der Ebene der politics mit radikalen Mitteln einer offensiven und weitreichenden Wahlrechtsreform und gar mit Hilfe der Radikalen betrieben. Insofern läßt sich dieser von Disraeli geprägte Konservatismus mit seinen Zügen einer complexio oppositorum als anti-radikaler Radikal-Konservatismus35 beschreiben, der an Traditionsbestände anknüpfte und doch in keine der Parteitraditionen wirklich einzuordnen ist. Mit Hilfe der Adaptierung des Vormodernen für die Moderne versuchten die Konservativen den Tiger zu reiten, und sie vermochten ihn sogar, wie ihre politische Dominanz zwischen 1874 und 1997 zeigt, zu beherrschen.
30 31 32 33 34 35
Vgl. SMITH, Disraeli’s Politics, S. 162, hier mit Bezug auf die 1830er Jahre. Vgl. JUPP, Disraeli’s Interpretation of History, S. 151, sowie PARRY, Disraeli, S. 700 und 707 f. Unterhausrede Disraelis vom 20. Juni 1848, HANSARD 3/99, Sp. 944–966, hier 964. Disraeli an Lord Beauchamp, 18. April 1867, M&B IV, S. 528. So auch SMITH, Disraeli’s Politics, S. 155 f. und 168. Vgl. auch die Formulierung von SAAB, New Tories, S. 310: „[Disraeli’s] Conservatism was not the Conservatism of tradition; it was the radical Conservatism of self-made men like Napoleon [. . .] who reached out to new classes.“
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AUSBLICK: DIE ENGLISCHEN KONSERVATIVEN UND DER KONSERVATISMUS Konservatismustheorien dienten dieser Studie als heuristische Grundlage für ihre leitenden Fragestellungen. Verbindliche Rückschlüsse von ihren Ergebnissen auf das Wesen von Konservatismus allgemein sind, abgesehen von der Gefahr des hermeneutischen Zirkelschlusses, nicht möglich, weil der Untersuchungsgegenstand zeitlich und geographisch zu begrenzt ist, um repräsentativ zu sein, und weil zudem das hier untersuchte Phänomen unter den besonderen historischen Umständen eines parlamentarischen Konservatismus stand; das England der 1850er Jahre war in vielfacher Hinsicht anders als der Kontinent. Und dennoch läßt sich benennen, welche allgemeinen und theoretischen Annahmen der Konservatismusforschung durch die Untersuchung des englischen Konservatismus nach der Mitte des 19. Jahrhunderts empirisch verifiziert werden und sich möglicherweise über den konkreten zeitlichen und örtlichen Bezug hinaus verallgemeinern lassen. Auf diese Weise können zumindest hypothetische Tendenzen und Perspektiven formuliert werden. In diesem Sinne lassen sich zwei Charakteristika des mittviktorianischen Konservatismus wie Brennpunkte einer Ellipse bestimmen. Sie liegen auf der Ebene der mentalen Disposition ebenso wie der Ideologie (im wertfreien Sinne des Wortes) und weisen Konservatismus als einen inhaltlich fundierten Denkstil aus. Diese Charakteristika sind der Anti-Radikalismus und die societas civilis. Der Anti-Radikalismus, der in der Konservatismusforschung weithin als genetisches Moment des Konservatismus angesehen wird, war dabei weder durch konkrete fixe Inhalte sozialer oder politischer Art, wie etwa bestimmte Gesellschaftsordnungen oder Verfassungsformen, noch durch begrenzte (sozial)geschichtliche Trägergruppen bestimmt, sondern vor allem durch die Grundlagen des politischen Denkens. Auf dieser Ebene wurden die theoretischen Annahmen der Konservatismusforschung durch die empirischen Befunde über die mittviktorianischen Konservativen in besonderem Maße verifiziert36. Das Menschenbild stellte die inhaltliche Grundlage dar: die Auffassung von den unvollkommenen und nicht zu vervollkommnenden, untereinander ungleichen Menschen, die nicht steuernd und souverän gestaltend über die Wirklichkeit zu verfügen vermögen und daher auf eine (bestehende) Ordnung angewiesen sind. Die Epistemologie legte den methodologischen 36
Vgl. dazu besonders Kapitel II.1–5.
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IX. Resümee
Grund: die Präferenz für das Konkrete, die Überzeugung von der Kontextualität aller Dinge und vor allem der Vorrang von Empirie, Instinkt und Induktion – allgemein und abstrakt gesprochen: die artistotelische Auffassung vom Allgemeinen im Besonderen – gegenüber Rationalismus, Theorie und Utopie, Abstraktion, apriorischer Norm und Quantifizierung. Das Konzept der societas civilis war vormodernen Ursprungs und gründete auf der ländlich-aristokratischen Ordnung, ließ sich aber ausweiten und somit modernisieren zur Vorstellung einer ungleichen, subsidiarischen, auf sozialmoralisch verpflichtendem Eigentum gründenden Zivilgesellschaft, die Vorrang vor dem Staat besaß. Die ursprüngliche Verwandtschaft dieses gesellschaftspolitischen Entwurfs mit radikalen Vorstellungen und partielle sachliche Gemeinsamkeiten verweisen zugleich auf eine Ambivalenz von konstitutivem Antagonismus und partieller Affinität im Verhältnis zwischen Konservatismus und Radikalismus. Ob dies als ein Spezifikum von Konservatismus allgemein anzusehen ist, werden künftige Forschungen zu diskutieren haben. Ausgehend von dem Ansatz, das ideengeschichtliche Phänomen des Konservatismus und den politikgeschichtlichen Gegenstand der Konservativen anhand des begrifflich-heuristischen Instrumentariums der politischen Kultur zu verbinden, ist diese Studie mittels der konkreten empirischen Verifizierung theoretischer Vorannahmen zu der Hypothese gelangt, Anti-Radikalismus in Form des Menschenbildes und der Epistemologie sowie das Gesellschaftskonzept der societas civilis als inhaltlichen Kern des europäisch-neuzeitlichen Phänomens Konservatismus anzusehen. Sie markiert einen Ausgangspunkt für vergleichende empirische Untersuchungen im europäischen Maßstab, um, auch in Ergänzung um sozial- und kulturgeschichtliche Zugänge, der Sache des Konservatismus auf die Spur zu kommen und neue Antworten auf die alte Frage zu finden: „What will you conserve?“
Abkürzungen
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X. ANHANG ABKÜRZUNGEN einschließlich Auflösung in der Bibliographie nicht unter dem Schlagwort aufgeführter Kurztitel AGKK AHR AKG App. BIHR BL BM BodL BQR brit. Col. d DERBY, Speeches CTS EHD EHR FM GG HANSARD 3 HJ HJB HL HMRG HR HZ JBS JEH JMH kons. l lib.
Akten zur Geschichte des Krimkriegs The American Historical Review Archiv für Kulturgeschichte Appendix Bulletin of the Institute of Historical Research British Library Blackwood’s Magazine Bodleian Library Bentley’s Quarterly Review britisch Colonel Penny/Pence s.v. Stanley The Consolidated Treaty Series English Historical Documents English Historical Review Fraser’s Magazine for Town and Country Geschichte und Gesellschaft Hansard’s Parliamentary Debates. Third Series Historical Journal Historisches Jahrbuch Hartley Library Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft Historical Research Historische Zeitschrift Journal of British Studies Journal of Ecclesiastical History Journal of Modern History konservativ Pfund liberal
506 LQV M&B
X. Anhang
The Letters of Queen Victoria [DISRAELI:] WILLIAM F. MONYPENNY/GEORGE EARLE BUCKLE, The Life of Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield MP Member of Parliament MSS Manuscript Sources ND Neu-/ Nachdruck NL Nachlaß NPL Neue Politische Literatur peelit. peelitisch PER Parliaments, Estates & Representations PH Parliamentary History PP Past and Present PRO Public Record Office protekt. protektionistisch QR Quarterly Review RA Royal Archives rad. radikal RO Record Office röm. römisch s. Shilling SMITH (Hg.), [CECIL:] Lord Salisbury on Politics. A Selection Salisbury on Politics from his Articles in the Quarterly Review 1860–1883, hg. von PAUL SMITH Sp. Spalte SR Saturday Review TRHS Transactions of the Royal Historical Society VS Victorian Studies VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ZFG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
Quellen und Literatur
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QUELLEN UND LITERATUR 1. Bibliographische Hilfsmittel a. Bibliographien, Literaturberichte b. Quellenkunden c. Indices für Periodika 2. Ungedruckte Quellen a. Nachlässe b. Institutionen 3. Gedruckte Quellen a. Aktenpublikationen, Editionen, Dokumentationen b. Persönliche Quellen, Selbstzeugnisse, Life and Letters-Biographien 4. Periodika 5. Nachschlagewerke 6. Darstellungen
1. BIBILIOGRAPHISCHE HILFSMITTEL a. Bibliographien, Literaturberichte ANNUAL BIBLIOGRAPHY OF BRITISH AND IRISH HISTORY 1975 ff., hg. von GEOFFREY R. ELTON für die Royal Historical Society, Hassocks 1976 ff. BIBLIOGRAPHY OF BRITISH HISTORY, Bd. 4: 1789–1851, bearb. von LUCY M. BROWN und IAN R. CHRISTIE, Oxford 1977 Bd. 5: 1851–1914, bearb. von H. J. HANHAM, Oxford 1976 Conference on British Studies. Bibliographical Handbooks, hg. von J. JEAN HECHT. Bd. 9: Victorian England, 1837–1901, bearb. von JOSEF L. ALTHOLZ, Cambridge 1970 ELTON, GEOFFREY RUDOLPH: Modern Historians on British History, 1485–1945. A Critical Bibliography, 1945–1969, London 1970 GOEHLERT, ROBERT U./FENTON S. MARTIN: The Parliament of Great Britain. A Bibliography, Lexington (Mass.), 1983 NICHOLLS, DAVID: Nineteenth-Century Britain 1815–1914, Folkestone 1978 The World Bibliographical Series, Bd. 160: England, bearb. von ALAN DAY, Oxford u. a. 1993
b. Quellenkunden Archives of the British Conservative Party, 1867–1986. A Detailed Guide to the Microform Collections, Reading 1989; zit.: Archives of the British Conservative Party, 1867–1986 BALL, STUART: A Summary List of the Regional and Local Records of the Conservative Party 1867–1945 (bei der Historical Manuscripts Commission, London,
508
X. Anhang
und beim Conservative Party Archive, Bodleian Library, Oxford, deponiertes Mauskript); zit.: BALL, Records of the Conservative Party BALL, STUART: National Politics and Local History. The Regional and Local Archives of the Conservative Party 1867–1945, in: Archives, Vol. XXII, Nr. 94 (1996), S. 27–59; zit.: BALL, National Politics BATTS, J. S.: British Manuscript Diaries of the Nineteenth Century. An Annotated Listing, Fontwell 1976 A Bibliography of Parliamentary Debates of Great Britain (= House of Commons Library, Document No. 2), London 1956 BOND, MAURICE F.: Guide to the Records of Parliament, London 1971 ELZ, WOLFGANG: Die Tagebücher von William Ewart Gladstone, in: HZ 262 (1996), S. 783–797 FETTER, FRANK W.: The Economic Articles in the Quarterly Review and their Authors, 1809–1852, in: Journal of Political Economy 66 (1958), S. 45–64 FETTER, FRANK W.: The Economic Articles in the Quarterly Review. Articles, Authors and Sources, in: Journal of Political Economy 66 (1958), S. 150–170 FETTER, FRANK W.: The Economic Articles in Blackwood’s Edinburgh Magazine, and their Authors, 1817–1853, in: Scottish Journal of Political Economy 7 (1960), S. 85–107 und 213–231 GUIDES TO SOURCES FOR BRITISH HISTORY, based on the National Register of Archives, hg. von der Royal Commission on Historical Manuscripts Bd. 1: Papers of British Cabinet Ministers 1782–1900, London 1982 Bd. 4: Private Papers of British Diplomats 1782–1900, London 1985 Bd. 7: Papers of British Politicians 1782–1900, London 1989 MATTHEWS, WILLIAM (Hg.): British Autobiographies. An Annotated Bibliography of British Autobiographies Published or Written before 1951, Berkeley 1955 MATTHEWS, WILLIAM (Hg.): British Diaries. An Annotated Bibliography of British Diaries Written between 1442 and 1942, Gloucester (Mass.) 1967 MENHENNET, DAVID: The Journal of the House of Commons. A Biographical and Historical Guide, London 1971 MENHENNET, DAVID: Erskine May’s Private Journal, 1857–1882. Diary of a Great Parlamentarian, in: Contemporary Review 219 (1971), S. 191–195 NATIONAL REGISTER OF ARCHIVES, c/o The Royal Historical Commission on Historical Manuscripts, Quality House, Quality Court, Chancery Lane, London WC2A 1HP (auch über Internet zugänglich) ROYAL COMMISSION OF HISTORICAL MANUSCRIPTS: Record Repositories in Great Britain, hg. von IAN MORTIMER, 10. Aufl. London 1997 STREET, SARAH: Archival Report: The Conservative Party Archives, in: TwentiethCentury British History 3 (1992), S. 103–111
c. Indices für Periodika PALMER’S INDEX TO THE TIMES NEWSPAPER 1847, Shepperton-on-Thames 1889 1857, London 1884 1868, London 1868
Quellen und Literatur
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POOLE’S INDEX TO PERIODICAL LITERATURE 1802–1881, hg. von WILLIAM FREDERICK POOLE und WILLIAM I. FLETCHER, 2 Bde., ND Gloucester (Mass.) 1963 (zuerst 1882) THE WATERLOO DIRECTORY OF VICTORIAN PERIODICALS 1824–1900 WELLESLEY INDEX TO VICTORIAN PERIODICALS 1824–1900. Tables of Content and Identification with Bibliographies of their Articles and Stories, 5 Bde., Toronto 1966–1989; zit.: WELLESLEY INDEX
2. UNGEDRUCKTE QUELLEN1 a. Nachlässe Bright, John: British Library London, Bright Papers (Add MSS 43383–92 und 43649–52) Bulwer-Lytton, Edward George Earl Lytton: Hertfordshire Record Office Hertford, Bulwer Lytton Papers (D/EK) Cairns, Hugh McCalmont: Public Record Office Richmond, The Cairns Papers (PRO 30/51) Croker, John Wilson: British Library London, John Wilson Croker Papers (Add MSS 22630, 38078 f., 41124–29, 44895–99, 52465–72, 60286–89, 63624) Cross, Richard Assheton: British Library London, Richard Assheton Cross Papers (Add MSS 51263–289); Lancashire Record Office Preston, Richard Assheton Cross MSS (Constituency Papers; DDX 841) [Derby:] Stanley, Edward George Geoffrey Smith, 14th Earl of Derby: Liverpool City Record Office (920 DER [14]) Disraeli, Benjamin: Bodleian Library Oxford, Dep. Hughenden [Ellenborough:] Law, Edward, 1st Earl of Ellenborough: Public Record Office Richmond, The Ellenborough Papers (PRO 30/12) Gathorne-Hardy, Gathorne: Suffolk Record Office Ipswich, Cranbrook MSS (MSS HA 43) [Hardwicke:] Yorke, Charles Philip, 4th Earl of Hardwicke: British Library London, Yorke Papers (Add MSS 25653, 35788–813 und 36361–64) Herbert, Henry Howard Molyneux, 4th Earl of Carnarvon: British Library London, Carnarvon Papers (Add MSS 60757–61100); Public Record Office Richmond, Carnarvon Papers (PRO 30/6) Herries, John Charles: British Library London, Herries Papers (Add MSS 57366–465, 71096 f.) Jolliffe, William George, 1st Baron Hylton: Somerset Record Office Taunton, Hylton MSS (DD/HY) [Malmesbury:] Harris, James Howard, 3rd Earl of Malmesbury: Hampshire Record Office Winchester, Malmesbury Papers (9 M 73) 1
Adlige Personen werden nach ihrem zwischen 1846 und 1868 überwiegenden und im Sprachgebrauch üblichen Namen aufgeführt (etwa: Edward George Stanley, 14. Earl of Derby, unter Derby, aber Edward Henry Stanley, 15. Earl of Derby, unter Stanley; Robert Cecil, Lord Cranborne, 3. Marquess of Salisbury, unter Cecil; Henry John Temple, 3rd Viscount Palmerston, unter Palmerston)
510
X. Anhang
[March:] Gordon Lennox, Charles Henry, Earl of March, 6th Duke of Richmond: West Sussex Record Office Chichester, Goodwood MS Newdegate, Charles: Warwickshire Record Office Warwick, Newdegate of Arbury Papers (CR 136) Northcote, Stafford Henry: British Library London, Iddesleigh Papers (Add MSS 50013–64, 50209 f.) Pakington, John Somerset: Hereford and Worcester Record Office Worcester (city centre branch), Pakington Papers (705:349) [Richmond:] Gordon Lennox, Charles, 5th Duke of Richmond and Lennox: West Sussex Record Office Chichester, Goodwood MS Sotheron-Estcourt, Thomas Henry Sutton: Gloucester Record Office Gloucester, Sotheron-Estcourt family of Shipton-Moyne Papers (D 1571) Stanley, Edward Henry Stanley, 15th Earl of Derby: Liverpool City Record Office (920 DER [15]) Wellesley, Arthur, 1st Duke of Wellington: Southampton University Library, Wellington Papers (MS 61) Young, George Frederick: British Library London, Young Papers (Add. MSS 46712–715)
b. Institutionen Conservative Party Archive, Bodleian Library Oxford Constituency Archive of the Conservative Party [Liverpool], Liverpool City Record Office Royal Archives, Windsor Castle (RA VIC) C 41–42: Lord Derby’s Administration 1852 F 12–15: Parliamentary Reform 1857–1859/1859–1861/1864–1866/1867–1868 G 47: Oriental Question 1856 I 45–47: Germany
3. GEDRUCKTE QUELLEN a. Aktenpublikationen, Editionen, Dokumentationen AKTEN ZUR GESCHICHTE DES KRIMKRIEGS, hg. von WINFRIED BAUMGART. Serie III: Englische Akten zur Geschichte des Krimkriegs, zit.: AGKK III Bd. 3: 3. Dezember 1854 bis 9. September 1855, bearb. von WINFRIED BAUMGART unter Mitwirkung von MARTIN SENNER, München 1994 Bd. 4: 10. September 1855 bis 23. Juli 1856, bearb. von WINFRIED BAUMGART unter Mitwirkung von WOLFGANG ELZ, München 1988 THE ANNUAL REGISTER, or a View of the History and Politics of the Year; ab 1863: THE ANNUAL REGISTER. A Review of Public Events at Home and Abroad, New Series, Bd. 88 (1846), London 1847 – Bd. 110 (1868), London 1869 und Bd. 116 (1874), London 1875; zit.: ANNUAL REGISTER ASPINALL, ARTHUR: Three Early Nineteenth Century Diaries, London 1952 BATEMAN, JOHN: The Great Landowners of Great Britain and Ireland. A List of all Owners of three thousand Acres and upwards, worth £ 3 000 a Year; also, one
Quellen und Literatur
511
thousand three hundred Owners of two thousand Acres and upwards, in England, Scotland, Ireland, & Wales, Their Acreage and Income from Land, Culled from The Modern Domesday Book; also Their Colleges, Clubs, and Services. Corrected in the Vast Majority of Cases by the Owners Themselves, 4. Aufl. London 1883 (ND Leicester 1971, mit einer Einführung von DAVID SPRING); zit.: BATEMAN, Landowners BRITISH DOCUMENTS ON FOREIGN AFFAIRS: Reports and Papers from the Foreign Office Confidential Print, hrsg. von KENNETH BOURNE und D. CAMERON WATT. Part I: From the Mid-Nineteenth Century to the First World War Series A: Russia, 1859–1914, Bd. 1: 1859–1880, [o.O.] 1983 Series C: North America, Bd. 5 und 6: The Civil War Years, [o.O.] 1986 Series F: Europe, Bd. 9: France, 1847–1878, [o.O.] 1989 Series F: Europe, Bd. 18: Germany, 1848–1897, [o.O.] 1990 Series F: Europe, Bd. 23: Italy, 1855–1873, [o.O.] 1991 Series F: Europe, Bd. 33: The Habsburg Monarchy, 1859–1905, [o.O.] 1991 THE CONSOLIDATED TREATY SERIES (1648–1919), hg. und kommentiert von CLIVE PARRY, 231 Bde., New York 1969–1986; zit.: CTS COSTIN, W. C./J. STEVEN WATSON (Hgg.): The Law and Working of the Constitution: Documents 1660–1914, 2 Bde., 2. Aufl. London 1961/64 CROMWELL, VALERIE: Revolution or Evolution. British Government in the Nineteenth Century, London 1977 DOD, CHARLES R.: Electoral Facts from 1832 to 1853. Impartially Stated, Constituting a Complete Political Gazetteer, hg. von H.J. HANHAM, Brighton 1972 (zuerst 1853) DOD, CHARLES R. (Hg.): The Parliamentary Companion, London 1832 ff.; zit.: DOD’S PARLIAMENTARY COMPANION English Historical Documents, hg. von DAVID C. DOUGLAS, Bd. XII(1): 1833–1874, bearb. von G. M. YOUNG und W. D. HANDCOCK, London 1956; zit.: EHD XII(1) GASH, NORMAN (Hg.): The Age of Peel, London 1968; zit.: GASH (Hg.), Age of Peel GUTTSMAN, W. L. (Hg.): The English Ruling Class, London 1969; zit.: GUTTSMAN (Hg.), English Ruling Class HANHAM, H. J. (Hg.): The Nineteenth-Century Constitution 1815–1914, Documents and Commentary, Cambridge 1969; zit.: HANHAM (Hg.), Nineteenth-Century Constitution HANSARD’S PARLIAMENTARY DEBATES: Third Series, Commencing with the Accession of William IV; zit.: HANSARD 3 Bd. 83–88: 22. Januar – 28. August 1846 Bd. 89–95: 19. Januar – 20. Dezember 1847 Bd. 96–101: 3. Februar – 5. September 1848 Bd. 102–107: 1. Februar – 1. August 1849 Bd. 108–113: 31. Januar – 15. August 1850 Bd. 114–118: 4. Februar – 8. August 1851 Bd. 119–123: 3. Februar – 31. Dezember 1852 Bd. 124–129: 10. Februar – 20. August 1853 Bd. 130–135: 31. Januar – 12. August 1854 Bd. 136–139: 12. Dezember 1854 – 14. August 1855 Bd. 140–143: 31. Januar – 29. Juli 1856 Bd. 144–147: 3. Februar – 28. August 1857
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X. Anhang
Bd. 148–151: 3. Dezember 1857 – 2. August 1858 Bd. 152–155: 3. Februar – 13. August 1859 Bd. 156–160: 24. Januar – 28. August 1860 Bd. 161–164: 5. Februar – 6. August 1861 Bd. 165–168: 6. Februar – 7. August 1862 Bd. 169–172: 5. Februar – 28. Juli 1863 Bd. 173–176: 4. Februar – 29. Juli 1864 Bd. 177–180: 7. Februar – 6. Juli 1865 Bd. 181–184: 1. Februar – 10. August 1866 Bd. 185–189: 5. Februar – 21. August 1867 Bd. 190–193: 19. November 1867 – 31. Juli 1868 JENNINGS, IVOR W./GERHARD A. RITTER: Das britische Regierungssystem. Leitfaden und Quellenbuch, 2 Bde., Köln 1958 MCCALMONT, F.H.: The Parliamentary Poll Book, Nottingham 1880 (siehe VINCENT/STENTON) MULLER, JERRY Z.: Conservatism. An Anthology of Social and Political Thought from David Hume to the Present, Princeton 1997; zit.: MULLER, Conservatism O’GORMAN, FRANK (Hg.): British Conservatism. Conservative Thought from Burke to Thatcher, London 1986 PIKE, EDGAR ROYSTON: Human Documents of the Victorian Golden Age 1850–1870, London 1967; zit.: PIKE (Hg.), Human Documents RUTSON, A. O. (Hg.): Essays on Reform, London 1867 SCRUTON, ROGER (Hg.): Conservative Texts. An Anthology, London 1991 TEMPERLEY, HAROLD/LILLIAN M. PENSON (Hgg.): Foundations of British Foreign Policy from Pitt (1792) to Salisbury (1902), Cambridge 1938, ND London 1966; zit.: TEMPERLEY/PENSON, Foundations VINCENT, J. R./MICHAEL STENTON (Hgg.): F.H. McCalmont’s Parliamentary Poll Book. British Parliamentary Election Results 1832–1918, ND der 8. Aufl. Brighton 1971; zit.: MCCALMONT’S Poll Book WRIGHT, D. G.: Democracy and Reform, 1815–1885, London 1970; zit.: WRIGHT (Hg.), Democracy and Reform
b. Persönliche Quellen, Selbstzeugnisse, Life and Letters-Biographien [ADDERLEY:] CHILDE-PEMBERTON, W.S.: The Life of Lord Norton [Charles Bowyer Adderley], 1814–1905. Statesman and Philanthropist, London 1909 ALISON, Sir ARCHIBALD: Some Account of my Life and Writings. An Autobiography, 2 Bde., Edinburgh 1883; zit.: ALISON, Life and Writings BAGEHOT, WALTER: The English Constitution, with an Introduction by the First Earl of Balfour, London 1928 (und mehrere Neudrucke, zuerst London 1867, 2. Aufl. mit einer Einführung 1872; dt.: Die englische Verfassung, hg. und eingel. von KLAUS STREIFTHAU, Neuwied 1971); zit.: BAGEHOT, English Constitution [BLOMFLIED:] A Memoir of Charles James Blomflied, Bishop of London, with Selections from his Correspondence, hg. von seinem Sohn ALFRED BLOMFIELD, 2 Bde., London 1863; zit.: BLOMFIELD MEMOIR [BRIGHT:] The Diaries of John Bright, hg. von R. A. J. WALLING, London 1930; zit.: BRIGHT DIARIES
Quellen und Literatur
513
[BROUGHAM:] CAMPBELL, JOHN LORD: Lives of Lord Lyndhurst and Lord Brougham, Lord Chancellors and Keepers of the Great Seal of England, London 1869; zit.: CAMPBELL, Lives of Lyndhurst and Brougham BUCKINGHAM AND CHANDOS, Duke of: Memoirs of the Courts and Cabinets of William IV and Victoria. From Original Family Documents, 2 Bde., London 1861; zit.: BUCKINGHAM MEMOIRS BUCKINGHAM AND CHANDOS, Duke of: The Private Diary of Richard, Duke of Buckingham and Chandos, 3 Bde., London 1862 BULWER-LYTTON, EDWARD: Letters to John Bull, Esq. on Affairs Connected with his Landed Property and the Persons who Live Thereon, London 1851; zit.: BULWER-LYTTON, Letters to John Bull BULWER-LYTTON, EDWARD: Caxtoniana, London 1875 (zuerst in Blackwood’s Magazine 1862/63); darin: On the Differences between the Urban and Rural Temperament (Essay 2, S. 19–31); zit.: BULWER-LYTTON, Differences On the Spirit in which New Theories Should be Received (Essay 13, S. 135–139); zit.: BULWER-LYTTON, New Theories On the Spirit of Conservatism (Essay 27, S. 428–439); zit.: BULWER-LYTTON, Spirit of Conservatism [BULWER-LYTTON:] Speeches of Edward Lord Lytton, with some of his Political Writings and a Prefatory Memoir by his Son, 2 Bde., London 1874; zit.: BULWERLYTTON, Speeches [BULWER-LYTTON:] The Life, Letters and Literary Remains of Edward Bulwer, Lord Lytton, by his Son, 2 Bde., London 1883 [BULWER-LYTTON:] LYTTON, Earl of (Hg.): The Life of Edward Bulwer, First Lord Lytton, by his Grandson the Earl of Lytton, 2 Bde., London 1913; zit.: LIFE OF BULWER-LYTTON [BURKE:] The Writings and Speeches of Edmund Burke, Bd. III: Party, Parliament and the American War, 1774–1780, hg. von W.M. ELOFSON und JOHN A. WOODS, Oxford 1996; zit.: BURKE, Writings and Speeches III BURKE, EDMUND: Reflections on the Revolution in France, in: The Writings and Speeches of Edmund Burke, Bd. VIII: The French Revolution, 1790–1794, hg. von L.G. MITCHELL und WILLIAM B. TODD, Oxford 1989, S. 53–293; zit.: BURKE, Reflections BURKE, EDMUND: Betrachtungen über die Französische Revolution [1790]. In der deutschen Übertragung von Friedrich Gentz, bearb. und mit einem Nachwort von LORE ISER, eingel. von DIETER HENRICH, Frankfurt/M. 1967 BURKE, EDMUND: Betrachtungen über die Französische Revolution [1790]. Aus dem Englischen übertragen von FRIEDRICH GENTZ. Gedanken über die Französischen Angelegenheiten. Aus dem Englischen übertragen von Rosa Schnabel, hg. von ULRICH FRANK-PLANITZ, Zürich 1986; zit.: BURKE, Betrachtungen [CAMBRIDGE:] SHEPPARD, EDGAR: George Duke of Cambridge. A Memoir of his Private Life. Based on the Journals and Correspondence of His Royal Highness, 2 Bde., London u. a. 1906; zit.: CAMBRIDGE MEMOIR [CARLYLE:] Letters of Thomas Carlyle to John Stuart Mill, John Sterling and Robert Browning, hg. von ALEXANDER CARLYLE, 2. Aufl. London 1924; zit.: LETTERS OF CARLYLE TO MILL ETC.
514
X. Anhang
[CARLYLE:] The Letters of Thomas Carlyle to his Brother Alexander with related Familiy Letters, hg. von EDWIN W. MARR JR., Cambridge (Mass.) 1968; zit.: LETTERS OF CARLYLE TO HIS BROTHER [CARLYLE:] FROUDE, JAMES ANTHONY: Das Leben Thomas Carlyles, 2 Bde. in einem Bd., Gotha 1887 (zuerst engl.: Thomas Carlyle. A History of his Life in London, 1834–1881, 2 Bde. London 1884); zit.: FROUDE, Carlyle [CARNARVON:] HARDINGE, ARTHUR: Life of Henry Howard Molyneux Herbert, Fourth Earl of Carnarvon, 1831–1890, 3 Bde., London 1925; zit.: HARDINGE, Carnarvon [CECIL:] Lord Salisbury on Politics. A Selection from his Articles in the Quarterly Review 1860–1883, hg. von PAUL SMITH, Cambridge 1972; zit.: SMITH (Hg.), Salisbury on Politics [CECIL:] F. S. PULLING: The Life and Speeches of the Marquis of Salisbury, 2 Bde. London 1885; zit.: PULLING, Life of Salisbury [CECIL:] CECIL, GWENDOLYN: Life of Robert, Marquis of Salisbury, 4 Bde., London 1921–32; zit.: G. CECIL, Salisbury [COBDEN:] MORLEY, JOHN: The Life of Richard Cobden, London 1879; zit.: MORLEY, Cobden [COBDEN:] The European Diaries of Richard Cobden, 1846–1849, hg. von MILES TAYLOR, Aldershot 1994 [COLERIDGE, JOHN TAYLOR:] COLERIDGE, BERNARD: This for Remembrance, London 1925 [darin S. 29–96 Auszüge aus dem Tagebuch von John Taylor Coleridge] [COWLEY:] The Paris Ambassy during the Second Empire. Selections from the Papers of Henry Richard Charles Wellesley 1st Earl of Cowley, Ambassador at Paris 1852–1867, hg. von F. A. WELLESLEY, London 1928 COX, HOMERHAM: Whig and Tory Administrations during the Last Thirteen Years, London 1868; zit.: COX, Administrations The CROKER Papers. The Correspondence and Diaries of John Wilson Croker, hg. von LOUIS J. JENNINGS, 3 Bde., 2. Aufl. London 1885; zit.: CROKER PAPERS DENISON, JOHN EVELYN: Notes from my Journal when Speaker of the House of Commons, London 1900; zit.: DENISON, Journal [DERBY, 14TH EARL OF:] KEBBEL, T. E.: The Life of the Earl of Derby, London 1892; zit.: KEBBEL, Derby [DERBY, 14TH EARL OF:] SAINTSBURY, GEORGE: The Earl of Derby, London 1892 DISRAELI, BENJAMIN: A Vindication of the English Constitution, in a Letter to a Noble and Learned Lord, London 1835; zit: DISRAELI, Vindication DISRAELI, BENJAMIN: Coningsby or The New Generation. With an Introduction by Walter Allen, London 1948 (zuerst 1844); zit.: DISRAELI, Coningsby DISRAELI, BENJAMIN: Sybil or The Two Nations, London 1845 DISRAELI, BENJAMIN: Lord George Bentinck. A Political Biography, London 1852 [DISRAELI:] Marquis of ZETLAND (Hg.): Letters of Disraeli to Lady Bradford and Lady Chesterfield, 2 Bde., London 1929 DISRAELI, BENJAMIN: Letters from Benjamin Disraeli to Frances Anne, Marchioness of Londonderry, 1837–61, hg. von der Marchioness of LONDONDERRY, London 1938 DISRAELI, BENJAMIN: Letters; zit.: DISRAELI LETTERS [Bd.-Nr.], [Dok.-Nr.]/[Seitenzahl] Bd. 1: 1815–1834, hg. von J. A. W. GUNN, JOHN MATTHEWS, DONALD M. SCHURMAN und M. G. WIEBE, Toronto u. a. 1982
Quellen und Literatur
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Bd. 2: 1835–1837, hg. von J. A. W. GUNN, JOHN MATTHEWS, DONALD M. SCHURund M. G. WIEBE, Toronto u. a. 1982 Bd. 3: 1838–1841, hg. von M. G. WIEBE, JAMES B. CONACHER, JOHN MATTHEWS und MARY S. MILLAR, Toronto u. a. 1987 Bd. 4: 1842–1847, hg. von M. G. WIEBE, JAMES B. CONACHER, JOHN MATTHEWS und MARY S. MILLAR, Toronto u. a. 1989 Bd. 5: 1848–1851, hg. von M. G. WIEBE, JAMES B. CONACHER, JOHN MATTHEWS und MARY S. MILLAR, Toronto u. a. 1994 Bd. 6: 1852–1857 hg. von M. G. WIEBE, MARY S. MILLAR und ANN ROBSON, Toronto u. a. 1997 [DISRAELI:] KEBBEL, T. E.: Lord Beaconsfield and Other Tory Memories, London 1907; zit.: KEBBEL, Tory Memories [DISRAELI:] MONYPENNY, WILLIAM FLAVELLE/GEORGE EARLE BUCKLE: The Life of Benjamin Disraeli, Earl of Beaconsfield, 6 Bde., London 1910–1920; zit.: M&B DRUMMOND, HENRY: A Letter to Mr. Bright on his Plan for Turning the English Monarchy into a Democracy, London 1858; zit.: DRUMMOND, Letter to Mr. Bright [DRUMMOND, HENRY?], Thoughts on the State of Political Parties, o.O. wohl um 1859 (eingebunden in einen Band mit Pamphleten überwiegend von H. Drummond, BL London, 764K8); zit.: [DRUMMOND], Political Parties DRUMMOND, HENRY: Speeches in Parliament and Some Miscellaneous Pamphlets of the Late Henry Drummond, hg. von Lord LOVAINE, 2 Bde., London 1860; zit.: DRUMMOND, Speeches FONTANE, THEODOR: Unechte Korrespondenzen. [Bd. 1:] 1860–1865, [Bd. 2:] 1866–1870 hg. von HEIDE STREITER-BUSCHER, Berlin 1996; zit.: FONTANE, Unechte Korrespondenzen GATHORNE HARDY, First Earl of CRANBROOK. A Memoir with Extracts from his Diary and Correspondence, hg. von ALFRED E. GATHORNE-HARDY, 2 Bde., London 1910; zit.: GATHORNE HARDY MEMOIR [GATHORNE HARDY:] The Diary of Gathorne Hardy, later Lord Cranbrook, 1866–1892. Political Selections, hg. von NANCY E. JOHNSON, Oxford 1981; zit.: GATHORNE HARDY DIARY The GLADSTONE Diaries, 14 Bde., Bd. 1 und 2 hg. von MICHAEL RICHARD DOUGLAS FOOT, Bd. 3 und 4 hg. von MICHAEL RICHARD DOUGLAS FOOT und HENRY COLIN GREY MATTHEW, Bd. 5–14 hg. von HENRY COLIN GREY MATTHEW, Oxford 1968–1994; zit.: GLADSTONE DIARIES [GLADSTONE:] MORLEY, JOHN: Life of William Ewart Gladstone, 3 Bde., London 1903 [GRAHAM:] Life and Letters of Sir James Graham, hg. von CHARLES STUART PARKER, 2 Bde., London 1907; zit.: PARKER, Life of Graham The GREVILLE Memoirs 1814–1860, hg. von LYTTON STRACHEY und ROGER FULFORD, 8 Bde., London 1938; zit.: GREVILLE MEMOIRS GREY, H. G. G.: Parliamentary Government Considered with Reference to Reform of Parliament, London 1858, Second Edition Containing Suggestions for Our Representative System, and Reform Bills of 1859 and 1861, London 1864; zit.: GREY, Parliamentary Government MAN
516
X. Anhang
CHARLES PHILIP YORKE, Fourth Earl of HARDWICKE, Vice Admiral, RN. A Memoir, by his Daughter Lady BIDDULPH OF LEDBURY, London 1910 [HATZFELD:] Botschafter Paul von Hatzfeld. Nachgelassene Papiere, 1838–1901, hg. von GERHARD EBEL (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 51/I und II), 2 Bde., Boppard 1976 [HAYWARD:] A Selection from the Correspondence of Abraham Hayward from 1834 to 1884, hg. von HENRY E. CARLISLE, 2 Bde., London 1886 [HEATHCOTE:] AWDRY, FRANCIS: A Country Gentleman of the Nineteenth Century. Being a Short Memoir of the Right Honourable Sir William Heathcote, Bart. of Hursley, 1801–1881, Winchester 1906; zit.: AWDRY, Heathcote [HERBERT:] ARTHUR HAMILTON GORDON Baron STANMORE: Sidney Herbert, Lord Herbert of Lea. A Memoir, 2 Bde., London 1906; zit.: STANMORE, Herbert [HERRIES:] HERRIES, EDWARD: Memoir of the Public Life of the Right Hon. John Charles Herries, 2 Bde., London 1880; zit.: HERRIES MEMOIR [HICKS BEACH:] Lady VICTORIA HICKS BEACH: Life of Sir Michael Hicks Beach, Earl St Aldwyn, 2 Bde., London 1932 [LYNDHURST:] CAMPBELL, Lord: Lives of Lord Lyndhurst and Lord Brougham, London 1869; zit.: CAMPBELL, Lives of Lyndhurst and Brougham [LYNDHURST:] MARTIN, THEODORE: A Life of Lord Lyndhurst from Letters and Papers in Possession of his Family, London 1883; zit.: MARTIN, Life of Lyndhurst [MACAULEY:] TREVELYAN, GEORGE OTTO: Life and Letters of Lord Macaulay, Popular Edition, 2. Aufl., London 1889; zit.: TREVELYAN, Life of Macauley MALMESBURY, JAMES HOWARD H. Earl of: Memoirs of an Ex-Minister. An Autobiography, 2 Bde., London 1884; zit.: MALMESBURY MEMOIRS [MANNERS:] WHIBLEY, CHARLES: Lord John Manners and his Friends, 2 Bde., London 1925; zit.: WHIBLEY, Manners and his Friends [MANNING:] PURCELL, EDMUND SHERIDAN: Life of Cardinal Manning, Archbishop of Westminster, 2 Bde., London 1896; zit.: PURCELL, Manning MAY, THOMAS ERSKINE: The Constitutional History of England Since the Accession of George III, 1760–1860, 3 Bde., 5. Aufl. London 1875 (zuerst 1861–1863) MAY, THOMAS ERSKINE: Practical Treatise on the Law, Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, 3. Aufl., London 1855; zit.: MAY, Parliament ERSKINE MAY’s Private Journal, 1857–1882. Diary of a Great Parlamentarian, hg. von DAVID HOLLAND und DAVID MENHENNET, London 1972 [MAYO:] HUNTER, WILLIAM WILSON: The Life of the Earl of Mayo, Fourth Viceroy of India, 2 Bde., London 1875 MILL, JOHN STUART: Considerations on Representative Government, London 1861; zit.: MILL, Representative Government MILL, JOHN STUART: Autobiography, London 1873 [MILNES:] REID, THOMAS WEMYSS: The Life, Letters, and Friendships of Richard Monckton Milnes, First Lord Houghton, 2 Bde., London 1890 [NEWCASTLE:] MARTINEAU, J.: The Life of Henry Pelham, Fifth Duke of Newcastle 1811–1864, London 1908; zit.: MARTINEAU, Newcastle NEWDEGATE, CHARLES NEWDEGATE: Five Letters on the Balance of Trade [1849–52], 3. Aufl., London 1870 NORTHCOTE, STAFFORD HENRY: Twenty Years of of Financial Policy. A Summary of
Quellen und Literatur
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the Chief Financial Measures Passed between 1842 and 1861, with a Table of Budgets, London 1862; zit.: NORTHCOTE, Twenty Years [NORTHCOTE:] LANG, ANDREW: Life, Letters and Diaries of Sir Stafford Northcote, First Earl of Iddesleigh, 2 Bde., London 1890; zit.: LANG, Life of Northcote [PALMERSTON:] The Life of Henry John Temple, Viscount Palmerston: 1846–1865, hg. von EVELYN ASHLEY, 2 Bde., 3. Aufl. London 1877 [PEEL:] Sir Robert Peel from his Private Papers, hg. von CHARLES STUART PARKER, 3 Bde., London 1891–1899; zit.: PEEL, Private Papers [PEEL:] The Private Letters of Sir Robert Peel, hg. von GEORGE PEEL, London 1920; zit.: PEEL, Private Letters [PUSEY:] LIDDON, HENRY PARRY: Life of Edward Bouverie Pusey, hg. von J. O. JOHNSTON und ROBERT J. WILSON, 4 Bde., London 1893–95; zit.: LIDDON, Pusey [RAIKES:] Private Correspondence of Thomas Raikes with the Duke of Wellington and Other Distinguished Contemporaries, hg. von HARRIET RAIKES, London 1861 [RAIKES:] A Portion of the Journal Kept by Thomas Raikes, Esq., from 1831 to 1847, 4 Bde., London 1856–58 REDESDALE, Lord: Observations on the Judgement in the Gorham Case, and the Way to Unity, London 1850; zit.: REDESDALE, Observations [RIPON:] WOLF, LUCIEN: Life of the First Marquess of Ripon, 2 Bde., London 1921 [SHAFTESBURY:] HODDER, EDWIN: The Life and Work of the Seventh Earl of Shaftesbury, 3 Bde., London 1886/87; zit.: HODDER, Shaftesbury [SMITH:] MAXWELL, HERBERT: Life and Times of the Right Hon. William Henry Smith MP, 2 Bde., London 1893 [STANLEY:] Edward Stanley, Claims and Ressources of the West Indian Colonies. A Letter to the Right Hon. W. Gladstone, M.P., late Secretary of State for the Colonies, 3. Aufl. London 1850 [STANLEY:] The Church Rate Question Considered, London 1853; zit.: STANLEY, Church Rate Question [STANLEY:] Speeches and Addresses of Edward Henry, 15th Earl of Derby, hg. von T.H. SANDERSON und E. S. ROSCOE, 2 Bde., London 1894; zit.: DERBY, Speeches [STANLEY:] Disraeli, Derby and the Conservative Party. Journals and Memoirs of Edward Henry, Lord Stanley, 1849–1869, hg. von JOHN VINCENT, Hassocks 1978; zit.: STANLEY JOURNALS [STANLEY:] A Selection from the Diaries of Edward Henry Stanley, 15th Earl of Derby (1826–93) between September 1869 and March 1878, hg. von JOHN VINCENT, London 1994 [STANLEY:] The Later Derby Diaries: Home Rule, Liberal Unionism, and Aristocratic Life in Late Victorian England, hg. von JOHN VINCENT, Bristol 1981 [TRELAWNY:] The Parliamentary Diaries of Sir John Trelawny, 1858–1865, hg. von TERENCE ANDREW JENKINS, London 1990; zit.: TRELAWNY, Parliamentary Diaries [VICTORIA:] The Letters of Queen Victoria 1st Series: A Selection from Her Majesty’s Correspondence and Journal between the Years 1837 and 1861, hg. von ARTHUR CHRISTOPHER BENSON und Viscount ESHER, 3 Bde., London 1907 [leicht gekürzt als:] The Letters of Queen Victoria. A Selection from Her Majesty’s Correspondence between the Years 1837 and 1861, hg. von ARTHUR
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X. Anhang
CHRISTOPHER BENSON und Viscount ESHER, 3 Bde., London 1908; zit.: LQV 1837–1861 2nd Series: A Selection from Her Majesty’s Correspondence and Journal between the Years 1862 and 1878, hg. von GEORGE EARLE BUCKLE, 2 Bde., London 1926; zit.: LQV 2 VITZTHUM VON ECKSTÄDT, CARL FRIEDRICH: St. Petersburg und London in den Jahren 1852–1864. Aus den Denkwürdigkeiten des damaligen k. sächsischen ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers am k. großbritannischen Hofe, 2 Bde., Stuttgart 1886; zit.: VITZTHUM VON ECKSTÄDT, Petersburg und London [VITZTHUM VON ECKSTÄDT:] London, Gastein und Sadowa 1864–1866. Denkwürdigkeiten von Karl Friedrich Graf Vitzthum von Eckstädt, damals: k. sächsischer wirklicher geheimer Rath, ausserordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister am k. großbritannischen Hofe, Stuttgart 1889; zit.: VITZTHUM VON ECKSTÄDT, London, Gastein und Sadowa [WELLINGTON:] GLEIG, GEORGE R.: History of the Life of Arthur, Duke of Wellington, 4 Bde., London 1858–60 [WELLINGTON:] Despatches, Correspondence and Memoranda of Field Marshal Arthur, 1. Duke of Wellington, hg. vom 2. Duke of WELLINGTON, 8 Bde., London 1867–1880 [WELLINGTON:] A Great Man’s Friendship. Letters of the Duke of Wellington to Mary, Marchioness of Salisbury, 1850–1852, hg. von Lady BURGHCLERE, London 1927; zit.: WELLINGTON, Friendship WHITE, WILLIAM: The Inner Life of the House of Commons, hg. von JUSTIN MCCARTHY, 2 Bde., London 1897; zit.: WHITE, Inner Life [WILBERFORCE:] ASHWELL, A. R.: Life of Samuel Wilberforce, 3 Bde., London 1880 [WODEHOUSE:] The Journal of John Wodehouse First Earl of Kimberley for 1862–1902, hg. von ANGUS HAWKINS und JOHN POWELL, London 1997; zit.: KIMBERLEY JOURNAL
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550
X. Anhang
Abstract
551
ABSTRACT What is Conservatism and what does Conservative mean? Is Conservatism an ideology determined by content or a methodical way of thinking, is it a concrete historical or a universal phenomenon? Another mystery about the English Conservatives in the mid-19th century: How did it happen that the anti-modernist rural Conservatives, who had split from the Liberal Conservatives in 1846, put through an electoral reform twenty years later that outdid even the reform-minded Liberals, founding a Conservative dominance for almost a century? Conservatism as a political idea and Conservative politics have so far been studied separately. This study links the dimensions of policy and politics by using the concept of „political culture“. By looking at the Members of Parliament, which was the centre of the mid-Victorian political system as well as the Conservative Party, and the Conservative press, substance and forms of political thought and politically relevant beliefs, attitudes and values are described. Case studies help to trace their actual political meaning. As a result, the Conservatism of the mid-19th century English Conservatives can be identified as anti-Radicalism. At the centre of their policy were the social concepts of the aristocracy-dominated, locally governed and benevolent societas civilis of the (land-)owners. Nevertheless, this concept proved to be extendable to the urban middle classes and tax payers as owners in general. Benjamin Disraeli was foremost in pressing forward the extension of this social concept which aimed at harnessing the modernisation process for Conservative aims. This extension was at the heart of the 1867 electoral reform, among aspirations for power, short-term tactical considerations, and inherent patterns of the representative system. The reform, therefore, gains a new, comprehensive explanation combining policy, politics and polity. This way, the Conservatives left the grooves of economically oriented Liberal Conservatism and sharpened their traditional profile as constitutional party. The party followed a social forward strategy that pushed through an electoral reform short of democracy in order to prevent democracy. Their Conservatism, Disraelian Conservatism was an anti-Radical Radical Conservatism. For general purposes (as a perspective on further comparative studies on Conservatism on a European scale), these results provide us with a comprehension of Conservatism as a content-based style of thought grouped around two cores: first, anti-radicalism in its concept of human nature and
552
X. Anhang
its (essentially Aristotelian-Thomist) epistemology and, second, the image of a non-equal, subsidiarian civil society based on property with its obligations of social morality and with precedence over the state.
Zeittafel
553
ZEITTAFEL 1846 9. 3. 27. 3. 15. 5. 25. 6.
27./30. 6.
Proklamation Lord Stanleys (ab 1851: 14. Earl of Derby) zum Führer der Protektionisten Annahme der Corn Law Bill in 2. Lesung im Unterhaus (302–214) Annahme der Corn Law Bill in 3. Lesung im Unterhaus (327–229) Annahme der Corn Law Bill in 3. Lesung im Oberhaus Ablehnung der Irish Coercion Bill im Unterhaus (292–219) Rücktritt Peels – 1. Kabinett Russell (bis 21. Februar 1852)
1847 1845–47 Juni 28. 7.–1. 9.
Herbst 23. 12.
Hochphase des Eisenbahnbaus Ten Hours Act (gesetzliche Einführung des ZehnStunden-Tages) General Elections1 (367 Sitze/236 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; DOD: Liberale ca. 330 Sitze, Protektionisten ca. 229 Sitze, Peeliten ca. 98 Sitze) Finanz- und Wirtschaftskrise Rücktritt Bentincks als Führer der Konservativen im Unterhaus
1848 9. 2.-Anfang März Führung der Konservativen im Unterhaus durch Charles Manners, Marquess of Granby 22. 2. Beginn der Revolution in Paris 3. 3. Beginn der Revolution in Wien 10. 4. Chartisten-Demonstration in London 18. 5. Zusammentreten der Nationalversammlung in Frankfurt Juli Public Health Act
1
Wahlstatistische Zahlenangaben differieren je nach Quelle in zumeist geringfügigem Maße. Zwischen 1832 und 1867 entsandten zwischen 399 und 401 Wahlkreise des Vereinigten Königreiches zwischen 654 und 658 Unterhausabgeordnete.
554
X. Anhang
1849 1849–52 seit 31. 1.
1. 5.
Agrardepression Führung der Konservativen im Unterhaus offiziell durch Granby, Herries und Disraeli (bis 1851/52), faktisch durch Disraeli Gründung der National Association for the Protection of British Industry and Capital
1850 9. 3. 3. 6. 4. 7.
Entscheidung des Judicial Committee des Privy Council zugunsten Reverend Gorhams Oberhausdebatte über die Ecclesiastical Appeals Bill Ober- und Unterhausdebatte über die Weltausstellung
1851
22. 2.–3. 3. 7. 2.–4. 7. 1. 5. Dezember
Census on Religious Worship Einwohnerzahlen (in Mio.): England & Wales 17,9 – Schottland 2,9 – Irland 6,5 (1841: England & Wales 15,9 – Schottland 2,6 – Irland 8,2) Regierungskrise – Ablehnung einer Regierungsbildung durch Derby Lesungen der Ecclesiastical Titles Bill in Unter- und Oberhaus Eröffnung der „Exhibition of the Works of Industry of all Nations“ in London Entlassung Palmerstons
1852 22. 2. 6. 7.–3. 8.
23.–26. 11. 3./10.–16. 12. 17./19. 12.
1. Kabinett Derby (bis 17. Dezember 1852) General Elections (255 Sitze/170 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; DOD: Liberale ca. 323 Sitze, Protektionisten ca. 291 Sitze [Derby: 310 Sitze], Peeliten ca. 40 Sitze) Unterhausdebatte über Freihandel (Villiers’ Motion) Haushaltsdebatten Demission des 1. Kabinetts Derby Kabinett Aberdeen (bis 30. Januar 1855)
Zeittafel
555
1853 7. 5. 23. 11.
erste Ausgabe der Press Report on the Organisation of the Permanent Civil Service (Northcote-Trevelyan Report)
1854 29. 3. 21. 6.
Kriegserklärung an Rußland Debatte über die 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus
1855 30. 1.–6. 2.
8. 9.
Demission des Kabinetts Aberdeen – Ablehnung einer Kabinettsbildung durch Derby – 1. Kabinett Palmerston (bis 21. Februar 1858) Eroberung Sewastopols
1856 Februar 5. 3. 30. 3. 5./6. 5.
Annexion von Oudh 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus Friede von Paris Parlamentsdebatten über die Ratifizierung des Friedensvertrags
1857 26. 3.–20. 4. 10. 5. 26. 6. September Herbst
General Elections (333 Sitze/219 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; Jolliffe: Konservative ca. 260 Sitze) Ausbruch der Meuterei in Indien (Meerut) Kapitulation Cawnpores Rückeroberung Delhis Finanz- und Wirtschaftskrise
1858 17. 2./8. 6. 21./23. 2. März
Zulassung von Juden zum Parlament 2. und 3. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus Demission des 1. Kabinetts Palmerston – 2. Kabinett Derby (bis 11. Juni 1859) Rückeroberung Lucknows
556 2.7. 20.7. 26.7. 3.8. 1.9.
X. Anhang
Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Oberhaus (36–187) Treffen Napoleons III. und Cavours in Plombières Zulassung von Juden zum Parlament (Baron Rothschild) Inkrafttreten der India Act (Unterstellung unter die Krone) Inkrafttreten der Local Government Act
1859 Januar 28. 2.–31. 3. 9. 3. 23. 4. 28. 4.–20. 5. 4./24. 6. 6. 6. 11./12. 6. 13. 7. 10. 11.
Beginn der Krise zwischen Piemont-Sardinien und Österreich Debatten über die Wahlrechtsreform im Unterhaus Ablehnung der Church Rates Bill der Regierung im Unterhaus (171–254) Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich/SardinienPiemont und Österreich General Elections (383 Sitze/240 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; Hendrick: Konservative ca. 306 Sitze) Schlachten von Magenta und Solferino Zusammenschluß der Liberal Party in Willis’s Rooms Demission des 2. Kabinetts Derby – 2. Kabinett Palmerston (bis 18. Oktober 1865) 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill (263–193; aber 29.7.: Vertagung) Friede von Zürich
1860 23. 1.
Unterzeichnung des französisch-britischen Handelsvertrages (Cobden-Vertrag) 8. 2. 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (263–234) 20.–24. 2., 5.–9. 3., Debatten über den Handelsvertrag im Unter- und 15. 3. Oberhaus 24. 3. Abtretung Savoyens und Nizzas durch SardinienPiemont an Frankreich 27. 4. 3. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (235–226) 19. 6. Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Oberhaus (31–128)
Zeittafel
557
1861
27. 2. 19. 6.
Einwohnerzahlen (in Mio.): England & Wales 20,1 – Schottland 3,1 – Irland 5,8 Debatte und 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (281–266) Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (274–274)
1862 14. 5.
Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (286–287)
1863 10. 1. 19. 4.
Eröffnung des ersten U-Bahn in London Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (275–285)
1864 Januar 16. 4. 30. 10.
Beginn der Krise um Schleswig-Holstein Preußischer Sieg über dänische Truppen an den Düppeler Schanzen Friede von Wien
1865 10.–29. 7.
18. 10. 29. 10.
General Elections (302 Sitze/194 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; Malmesbury: Konservative ca. 290 Sitze) Tod Palmerstons 2. Kabinett Russell (bis 26. Juni 1866)
1866 7. 3. 15. 6.–26. 7. 26./28. 6. 3. 7.
2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (285–252, aber 1.8.: Vertagung) Krieg zwischen Preußen und Österreich/Deutschem Bund Demission des 2. Kabinetts Russell – 3. Kabinett Derby (bis 25. Februar 1868) Schlacht von Königgrätz
558 18. 7./1. 8. 23. 7. 26. 7. 23. 8.
X. Anhang
Debatte der Compulsory Church Rates Abolition Bill (Gladstone) im Unterhaus Demonstration der Reform League in Hyde Park Vorfriede von Nikolsburg Friede von Prag
1867 5./11. 2. 23./25. 2.
4. 3.
18./25./26. 3. 20. 3. 8. 4.–9. 7. 12. 4. 2. 5. 6. 5. 9. 5.
13. 5. 17. 5. 15. 7. 16./22./23. 7. 29. 7.–5. 8.
Ankündigung einer Regierungsvorlage zur Wahlrechtsreform; 13 Resolutionen erste Reformvorlage (rated residential franchise) – Rücknahme – Kabinettsbeschluß und Ankündigung einer neuen Vorlage im Unterhaus („ten minutes bill“: £6 rating franchise) Bekanntgabe des Rücktritts der Minister Cranborne, Carnarvon und Peel (2.3.) und der Rückkehr zur ursprünglichen Vorlage Vorlage, 1. und 2. Lesung der Representation of the People Bill im Unterhaus 2. Lesung der Church Rates Abolition Bill im Unterhaus (263–187) Committee Stage der Representation of the People Bill im Unterhaus Abstimmung über personal payment of rates – Niederlage Gladstones gegen Disraeli Annahme von Ayrton’s Amendment (einjährige Residenzpflicht) im Unterhaus Demonstration der Reform League in Hyde Park Rücktritt Walpoles als Innenminister Vertrauensabstimmung im Unterhaus zugunsten Disraelis (322–256) Einwilligung der Regierung in Torrens’ Amendment (£10 lodger franchise) Einwilligung der Regierung in Hodgkinson’s Amendment (Abschaffung des compounding) 3. Lesung der Representation of the People Bill im Unterhaus 1. und 2. Lesung der Representation of the People Bill im Oberhaus Committee Stage der Representation of the People Bill im Oberhaus
Zeittafel
6. 8. 8. 8. 15. 8.
559
3. Lesung der Representation of the People Bill im Oberhaus Ablehnung der Church Rates Abolition Bill im Oberhaus (24–82) Royal Assent zur „Act further to amend the Laws relating to the Representation of the People in England and Wales“
1868 25./27. 2. 19. 2.–25. 7. 31. 7. 16. 11.–8. 12.
Rücktritt Derbys – 1. Kabinett Disraeli (bis 1. Dezember 1868) parlamentarische Beratung und Annahme des Gesetzes zur Abschaffung der verpflichtenden Church Rates Royal Assent zur „Act for the Abolition of compulsory Church Rates“ General Elections (212 Sitze/140 Wahlkreise ohne Gegenkandidaten; Konservative ca. 271 Sitze)
560
X. Anhang
Personenregister
561
PERSONENREGISTER Aufgeführt werden historische Personen im Falle ihrer für den Gang der Untersuchung bedeutsamen Erwähnung mit ihren in diesem Zusammenhang relevanten Funktionen sowie Forschende im Falle der Darstellung grundlegender Forschungspositionen. Members of Parliament werden im Regelfall nur mit den zwischen 1846 und 1867 vertretenen Wahlkreisen aufgeführt. Parteizuschreibungen erfolgen nach den Angaben in Dod’s Parliamentary Companion bzw. McCalmont’s Parliamentary Poll Book of All Elections 1832–1918, wobei die Unterscheidungen zwischen den einzelnen Richtungen (insbes. zwischen „radikal“ und „liberal“ sowie zwischen „liberalkonservativ“ und „konservativ“) häufig unscharf waren. Für die Zeit nach 1846 bezeichnet der Begriff „konservativ“ den protektionistischen Flügel der Konservativen, der diesen Parteinamen beibehielt, in Abgrenzung von den Peeliten, die zuweilen (aber ohne exklusive zeitgenössische Trennschärfe gegenüber den Konservativen) auch auch als „liberalkonservativ“ benannt werden. Ministerämter werden außer im Falle des Premier-, des Innen- und des Außenministers in der englischen Bezeichnung aufgeführt.
Aberdeen: siehe Hamilton-Gordon Adderley, Charles Bowyer (1814–1905), 1st Baron Norton (1878): kons. MP für North Staffordshire 1841–1878 100, 108, 166, 176, 204, 245 f., 277, 391, 397, 414, 419 Albert, Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha (1819–1861): Gatte Königin Victorias (seit 1840, seit 1857 mit dem Titel Prince Consort) 73 f., 76–78, 97, 164, 178, 197, 200, 202, 211, 312, 393 Alison, Archibald (1792–1867): Historiker, Redakteur von Blackwood’s Magazine 108, 112, 120, 124, 126, 155 f., 176, 186, 226, 236, 252, 297 f., 324, 381, 463, 494 Allen, David 45 Almond, Gabriel 17 Angerstein, William (1811–1897): lib. MP für Greenwich 1859–65 142 Apponyi, Rudolf Graf von: österreichisch(-ungarischer) Botschafter in London 1856–1871 478, 484 Arbuthnot, Thomas 164 Archdall, Captain Mervyn Edward (geb. 1812): kons. MP für Fermanagh 1834–74 166 Ashley: siehe Cooper Aughey, Arthur 101 Ayrton, Acton Smee (1816–1886): rad. MP für Tower Hamlets 1857–74 372, 417
Aytoun, William Edmonstoune (1813–1865): Schriftsteller, Redakteur von Blackwood’s Magazine 98, 191, 198, 201, 211, 234, 236, 241, 243, 249, 254 f., 257, 276, 285, 291, 316, 319, 462, 497 Bagehot, Walter 77 f. Baillie-Cochrane, Alexander Dundas: siehe Cochrane-Baillie Ball, Edward (1793–1865): kons. MP für Cambridgeshire 1852–1863 204, 206, 208 f., 382, 413 Bankes, George (gest. 1856): kons. MP für Dorsetshire 1841–56 66, 404 Baring, Thomas (1800–1873): kons. MP für Huntingdon 1844–73 247, 254 f., 363–365, 386, 450 f. Barker, Rodney 381 Barrow, William Hodgson (1784–1876): kons. MP für South Nottinghamshire 1851–74 205, 375 Bath: siehe Thynne, John Alexander Baxter, Dudley: solicitor bei Baxter, Rose, Norton & Co., Solicitors, Wahlkampforganisator der Konservativen 143, 349, 356 f. Beach, William Wither Bramston (1826–1901): kons. MP für North Hampshire 1857–85 254
562
Personenregister
Beauchamp: siehe Lygon, Frederick Bell, Charles (1805–1869): kons. MP für London (City) 1868–69 386 Bentham, Jeremy (1748–1862): brit. Jurist und Philosoph 135 f. Bentinck, George William Pierrepont (1803–1886): kons. MP für West Norfolk 1852–68 und 1871–84 106, 157, 238, 254, 340, 466 Bentinck, Lord William George Frederick (1802–1848): kons. MP für Lynn Regis 1828–48, 1846–48 Führer der Protektionisten 65 f., 68, 70 f., 105 f., 133, 138, 141, 187–189, 231, 275, 397 Bentinck: siehe auch Cavendish-Bentinck Beresford, William (1798–1883): kons. MP für Harwich 1841–47 und North Essex 1847–65, Secretary at War im 1. Kabinett Derby, Chief Whip 1846–52 66, 74, 192, 391, 395 Beresford-Hope (bis 1854 Hope), Alexander James (1820–1887): kons. MP für Maidstone 1841–52 und 1857–59, für Stoke 1865–68 und die Universität Cambridge 1868–87; Schwager Salisburys 35, 119 f., 125, 131, 133 f., 156, 179, 257, 321, 364–366, 375, 377, 388, 391, 404, 407, 418, 423 f., 427, 433 Berg-Schlosser, Dirk 17 Berkeley, George Charles Grantley FitzHardinge (1800–1881): zunächst lib., seit 1847 protekt. MP für West Gloucestershire 1832–52 196 Berlin, Isaiah 270 Bernstorff, Albrecht Graf von (1809–1873): preuß. Gesandter 1854–61 und Botschafter in London 1862–73 483 Bevan, Robert C.L.: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat in London (City) 1847 387, 396 Biagini, Eugenio 223, 323 Birch, Thomas Bernhard (1791–1880): lib. MP für Liverpool 1847–52 142 Birley, Hugh (1817–1883): kons. MP für Manchester 1868–83 386 Bismarck, Otto Eduard Leopold von (1815–1898), Graf von BismarckSchönhausen (1865): preußischer Ministerpräsident 1862–90 13, 477 f., 499, 501 Blair, Col. James Hunter (1817–1854): kons. MP für Ayrshire 1852–54 209
Blake, Robert 15 f., 23, 72, 102–106, 148, 346, 373 Blomfield, Charles James (1786–1857): Bischof von London 1828–56 391 f., 414 Blandford, John Marquis of (1822–1883), 7th Duke of (1857), kons. MP für Woodstock 1847–1857, Lord President of the Council 1868 188, 246 f., 257, 389, 465 Booker-Blakemore, Thomas William (1801–1858): kons. MP für Herefordshire 1850–58 137, 196, 205 f., 385 Bourke, Richard Southwell (1822–1872), Lord Naas, 6th Earl of Mayo (1867): kons. MP für Kildare 1847–52, Coleraine 1852–57, und Cockermouth 1857–67, Chief Secretary für Irland in den drei Kabinetten Derby 100 Bridges, Brook William (1801–1875), Lord Fitzwalter (1868): kons. MP für East Kent 1852 und 1857–1868 411 Bright, John (1811–1888): rad. MP für Durham 1843–47, Manchester 1847–57 und Birmingham 1857–88 75, 98, 119, 130, 143, 146, 148, 194, 205, 210, 219, 244, 254, 313 f., 316, 342, 348, 350, 358, 360, 366, 375, 387, 403, 410, 412, 432, 453 f., 459 f., 484, 499 Briscoe, John Ivatt (1791–1870): lib. MP für West Surrey 1857–70 137 Brougham, Henry Peter (1778–1868), 1st Baron Brougham and Vaux (1830) 68, 179, 392 Broun-Ramsay, James Andrew (1812–1860), 10th Earl of Dalhousie (1838), Marquess of Dalhousie (1849): Generalgouverneur von Indien 1847–56 446, 450 Bruce, Charles Lennox Cumming (1790–1875): kons. MP für Elginshire 1840–68 299, 465 Brunnow, Philipp Graf (1797–1875): russ. Botschafter in London 1840–54 483 Bryant, Arthur 101 Buckingham: siehe Grenville Buller, John Buller Yarde (geb. 1799): kons. MP für South Devonshire 1835–58 322, 385, 396 Bulwer-Lytton (zuvor Bulwer), Edward George Earl Lytton (1803–1873), 1st Baronet (1838) und 1st Baron (1866) Lytton: Schriftsteller; lib. MP bis 1841, kons. MP für Hertfordshire 1852–1866,
Personenregister Secretary of State for the Colonies 1858/59 35, 75, 90, 100, 113–116, 118–125, 127, 129–131, 135–137, 142–144, 152–156, 160, 162, 175 f., 186, 208, 225, 228, 230, 234–237, 247, 250, 256, 267–273, 277, 286, 289, 294–297, 302 f., 307, 314 f., 317, 319, 321 f., 326, 343 f., 439, 463, 466 f., 474, 485, 494 Burghley, Lord (1825–1895), 3rd Marquess of Exeter (1867): kons. MP für South Lincolnshire 1847–1857 und North Northamptonshire (1857–67) 188, 228, 382, 397 Burke, Edmund (1729–1797): brit. Politiker und Publizist 13 f., 41, 49, 53–55, 57, 59–61, 78, 107 f., 111 f., 116, 119, 125, 128, 135, 155, 159, 220 f., 225 f., 229, 266, 285 f., 288, 297 Butler-Johnstone, Henry (geb. 1809): kons. MP für Canterbury 1852/53 und 1857–62 205 f. Butler-Johnstone, Henry Alexander Munro (1837–1902): kons. MP für Canterbury 1862–1878 118, 362, 368 Butterfield, Herbert 156 Cairns, Hugh McCalmont (1819–1885), 1st Baron Cairns (1867), 1st Earl Cairns (1878): kons. MP für Belfast 1852–66, Solicitor General März 1858 – Juni 1859, Lordkanzler 1868 100, 138, 241, 254, 298, 304, 379 Cambridge, George William Frederick Charles (1819–1904), 2nd Duke of Cambridge (1851): General Commanding in Chief im Krimkrieg 1856, Feldmarschall 1862 156, 161 f., 176, 181, 481 Canning, Charles John (1812–1862), 2nd Viscount (1837), Earl Canning (1859): Generalgouverneur von Indien 1856–62 448 Carlyle, Thomas (1795–1881): kons. Essayist und Historiker 107, 109, 112, 117, 124, 161, 176, 182 f., 225, 252, 431, 493 Carnarvon: siehe Henry Herbert Cartwright, William Cornwallis (1825–1915): Autor für Fraser’s Magazine, lib. MP für Oxfordshire 1868–85 485 Castlereagh, Viscount (1805–1872), 4th
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Marquess Castlereagh (1854): kons. MP für Down (Irland) 1826–52 403 Cavendish-Bentinck, George Augustus Frederick (1821–1891): kons. MP für Taunton 1860–65 und Whitehaven 1865–91 479 f. Cavour, Camillo Graf Benso di (1810–1861): sardischer Ministerpräsident 1852–59 und 1860/61 470 Cayley, Edward Stillingfleet (1802–1862): lib.-kons. MP für North Riding (1832–62) 389, 397 Cecil, Hugh 61, 101 Cecil, James Brownlow William Gascoyne (1791–1868), 2nd Marquess of Salisbury (1823): Lord Privy Seal 1852, Lord President of the Council 1858/59 99, 165 Cecil, Robert Arthur Talbot Gascoyne (1830–1903), Viscount Cranborne (1865), 3rd Marquess of Salisbury (1868): kons. MP für Stamford 1853–68, Secretary of State für Indien und Privy Councillor 1866/67 13, 32, 35, 78, 83, 98–101, 105–109, 111, 113–121, 123 f., 126 f., 130–138, 143–145, 152, 155 f., 226, 241, 247, 249 f., 257–260, 262–264, 268 f., 271–273, 275, 277, 285–290, 292–295, 297–299, 302–305, 308, 315, 318, 320 f., 324–326, 334, 353 f., 357 f., 360, 362, 365, 371, 374–377, 380, 408, 414 f., 418, 421, 424, 427, 454 f., 463–467, 469, 473–475, 477, 479 f., 487, 494, 496 Chadwick, Edwin (1800–1890), britischer Sozialreformer 283 Chamberlain, Austen (1863–1937), Konservativer, brit. Außenminister 1924–29 53 Chamberlain, Joseph (1836–1914), Führer der Liberal Unionists, Secretary of State for the Colonies 1895–1903 13 Charteris, Francis (1818–1914), 10th Earl Elcho (1883): lib.-kons. MP für Haddingtonshire 1847–1883, 1846 Peelit 348, 403 Chateaubriand, François René Vicomte de (1768–1848): franz. Schriftsteller und Politiker 41 Chelmsford: siehe Thesiger Cheney, Robert Henry (1799/1800–1866): Autor der Quarterly Review 126, 402
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Personenregister
Child, Smith (1808–1896): kons. MP für North Staffordshire 1851–59 und West Staffordshire 1868–74 400 Christopher, Robert Adam: siehe Nisbet Churchill, John Winston Spencer (1822–1883), Marquis of Blandford, 7th Duke of Marlborough (1857): kons. MP für Woodstock 1847–57, Lord Steward of the Household 1866–68, Lord President of the Council 1868 414 f., 417 Churchill, Randolph Henry Spencer (1849–1895): kons. MP für Woodstock 1874–85 und Paddington 1885–95 18 Clanricarde: siehe De Burgh Clarendon: siehe G.W. F. Villers Clinton, Henry (1785–1851), 4th Duke of Newcastle under Lyme (1795) 133, 192 Clinton, Henry, Lord Lincoln (1811–1864), 5th Duke of Newcastle under Lyme (1851): MP für South Nottinghamshire 1832–46 und für Falkirk 1846–51, 1846 Peelit 443 Clinton, Lord T. C. Pelham: protekt. Bewerber um ein Unterhausmandat in Canterbury 1847 188, 382, 395–397 Clive, George Herbert Windsor (1835–1918): kons. MP für Ludlow 1860–85 360 Cobden, Richard (1804–1865): rad. Abgeordneter für Stockport 1841–47, West Riding 1847–57 und Rochdale 1859–65 96, 113, 131, 161 f., 170, 190, 196, 204 f., 209 f., 219 f., 231 f., 235 f., 240, 247, 252 f., 255 f., 262, 264, 297, 305, 314, 329, 399, 403, 410, 431, 444, 453 f., 459 f., 462 f., 499 Cochrane-Baillie, Alexander Dundas Ross Wishart (1816–1890), 1st Baron Lamington (1880): kons. MP für Bridport 1841–46 und 1847–52, Lanark 1857 und Honiton 1859–68 403, 461, 479 Coleman, Bruce 104 f. Coleridge, Samuel Taylor (1772–1834): Dichter und Philosoph 121, 128, 228, 233 f. Colville of Culross (1818–1903), Charles John, 17th Lord Colville of Culross: schott. Peer im Oberhaus, kons. Whip im Oberhaus 1852–1870 75 Conolly, Thomas (1823–1876): kons. MP für Donegal 1849–76 402 Cooper, Anthony Ashley (1801–1885), 7th Earl of Shaftesbury (1851): kons., 1846
peelit. MP für Dorsetshire 1831–46 und Bath 1847–51 13, 114, 127, 152, 155, 160 f., 163, 167, 181, 226, 249 f., 264, 321 f., 324, 365, 384 f., 399, 402 f., 452 Copley, John Singleton Copley (1772–1863), Baron Lyndhurst (1827) 75, 259, 269, 286, 292, 395, 402, 405, 433, 464 f., 494 Coulton, David Trevena (1810–1857): Herausgeber der Press 1854–57 und Autor der Quarterly Review 115, 134, 186, 201, 234, 322 Courtenay, Viscount (1807–1888), 12th Earl (1859): kons. MP für South Devonshire 1841–49 188, 322, 379 Cowen, Joseph (1800–1873): rad. MP für Newcastle on Tyne 1865–73 375 Cowley: siehe Wellesley Cowling, Maurice 15, 100, 346, 373 Cowper-Temple, William Francis (1811–1888): lib. MP für Hertford 1835–68, Präsident des Board of Health 1855–58 276 Cranborne: siehe Cecil Cranbrook: siehe Gathorne-Hardy Crawford, William Sharman: lib. MP für Rochdale 1841–52 166 Croker, John Wilson (1780–1857): Redakteur der Quarterly Review (bis 1854) 42, 106–108, 112 f., 118, 131, 134, 138, 143, 145, 155, 160–163, 172, 174, 177, 185, 187, 191, 201, 208, 234, 238 f., 262 f., 272, 288, 290, 294, 296–298, 300, 303 f., 306, 317–319, 322, 384 f., 387, 389, 431, 433, 493, 495 Cross, Richard Assheton (1832–1914): kons. MP für Preston 1857–62 121, 123–125, 130, 137, 139, 140, 257, 303, 407, 421 f., 466 Cubitt, George (1828–1917): kons. MP für West Surrey 1860–85 386 Currie, Henry (1798–1873): lib.-kons. Bewerber um ein Unterhausmandat in West Surrey 1857 137, 331, 466 Curzon, Viscount (1821–1876): kons. MP für South Leicestershire 1857–70 130 Dalhousie: siehe Broun-Ramsay Davenport, William Bromley (1821–1884): kons. MP für North Warwickshire 1864–84 385 f. Davison, Richard (geb. 1796): kons. MP für Belfast 1852–60 208
Personenregister De Burgh, Ulick John (1802–1876), 1st Marquess of (1825) 206 Denman, Lord 175 Derby: siehe Stanley Disraeli, Benjamin (1805–1881), Earl of Beaconsfield and Viscount Hughenden (1876): kons. MP für Shrewsbury 1841–47 und Buckinghamshire 1847–76, 1849 kons. Unterhausführer, 1852, 1858/59 und 1866–68 Chancellor of the Exchequer in den drei Kabinetten Derby, Premierminister 1868 und 1874–80 13, 16, 32, 35 f., 38 f., 63, 66, 68 f., 71–76, 89–91, 93–100, 102 f., 106, 110, 115–118, 120, 122, 125, 128–131, 134, 137–141, 143–153, 155 f., 160, 162, 164, 168–170, 173 f., 176, 179, 182, 184, 188, 192–200, 202 f., 206–211, 220, 222, 224, 226, 228, 230 f., 233–247, 251 f., 254, 257 f., 260 f., 264 f., 267 f., 270, 273, 277, 280, 284, 288–295, 301 f., 305, 307–310, 312–317, 320 f., 323, 326–336, 338–344, 346, 347–352, 354–359, 361–363, 365 f., 369–380, 384–387, 389, 400, 405–408, 413, 418, 427, 429–434, 436–438, 440, 442 f., 447–450, 452 f., 455 f., 461 f., 464, 466–469, 473 f., 476–478, 480, 484–486, 488 f., 491–502 Doering-Manteuffel, Anselm 457 Douro: siehe Wellesley Drummond, Henry F.R. S. (1786–1860): kons. MP für West Surrey 1847–1860 72, 106 f., 109–113, 115, 124, 129 f., 132, 144, 157, 169 f., 194, 205, 208, 222, 225, 228–230, 234, 236, 246, 249, 258, 262–264, 285, 292, 294, 296–298, 303 f., 306, 308, 318, 321 f., 329, 340, 381, 384, 396, 399, 402 f., 407 f., 411, 418, 421, 466, 493–495 Du Cane, Charles (1825–1889): kons. MP für Maldon 1852–53 und North Essex 1857–68 254 f., 382, 387, 415, 419 Duckworth, John Thomas Buller (1809–1887): kons. MP für Exeter 1845–57 209 Dugdale, William Stratford (1801–1871): kons. MP für North Warwickshire 1832–47 175 Duncombe, Octavius (1817–1879): kons. MP für North Riding 1841–59 und 1867–74 188, 385, 397 Duncombe, William Ernest (1829–1915),
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3rd Baron (1867), 1st Earl Feversham (1868): kons. MP für East Retford 1852–57 und North Riding 1859–67 250 f., 321, 378 f. Dunne, Col. Francis Plunket (gest. 1874): kons. MP für Portarlington 1847–57 und Queen’s County 1859–68 196 Earle, Ralph Anstruther (1835–1879): kons. MP für Berwick 1859 und Maldon 1865–68, Privatsekretär Disraelis 1858/59, Parliamentary Secretary im Poor Law Board im 3. Kabinett Derby 75 Eccleshall, Robert 44 Edwards, Henry (1812–1886): kons. MP für Halifax 1847–52 und Beverley 1857–68 360 Egerton, Edward Christopher (1816–1869): kons. MP für Macclesfield 1852–68 182, 204, 246 Eglinton: siehe Montgomerie, Archibald Elcho: siehe Charteris Ellenborough: siehe Law, Edward Elton, Arthur Hallam (1818–1885): lib. MP für Bath 1857–59 276, 418 Elwin, Whitwell (1816–1900): Autor und Herausgeber der Quarterly Review 109, 130, 138, 144 f., 226, 229 f., 234, 268, 272, 275, 291 f., 303, 320 f. Epstein, Klaus 14 Eslington, Lord: siehe Liddell, H.G. Feiling, Keith 101 Fergusson, James (1808–1886): Autor der Quarterly Review 445, 452 f. Feversham: siehe Duncombe, William Ernest Filmer, Edmund (1809–1857): kons. MP für West Kent 1838–57 137, 187 f., 287, 397 Finch-Hatton, George William (1791–1858), 10th Earl of Winchilsea und 5th Earl of Nottingham (1826): kons. Peer 405 Fitzgerald, William Robert Seymour (1817–1885): kons. MP für Horsham 1848, 1852–65 und 1874/75 443, 461 Fontane, Theodor (1819–1898), Schriftsteller, Redakteur der Neuen Preußischen Zeitung („Kreuzzeitung“) 1860–1870 75, 96, 152, 273, 345 Freshfield, James William (1775–1864):
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Personenregister
kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für London (City) 1847, MP für Boston 1851–52 und für Penryn and Falmouth 1852–57 130, 382, 396 Froude, James Anthony (1818–1894): Historiker, Autor für Fraser’s Magazine, seit 1860 Herausgeber 111 Gadamer, Hans-Georg 26–28, 31 Gambles, Anna 16, 68, 101, 187 Gash, Norman 23, 102 Gaskell, James Milnes (1810–1873): kons. MP für Wenlock 1832–68 116, 206 Gathorne-Hardy, Gathorne (1814–1906), 1st Earl of Cranbrook (1878): Bewerber um ein Unterhausmandat für Bradford 1847, kons. MP für Leominster 1856–65 und für die Universität Oxford 1865–78, Under Secretary for the Home Department im 2. Kabinett Derby, President of the Poor Law Board 1866/67, Innenminister 1867/68 36, 99 f., 116, 126, 131, 245–247, 252, 343, 352, 358, 366 f., 369, 372 f., 379, 385, 387 f., 424, 480 Gerlach, Ernst Ludwig von (1795–1877): preuß. Jurist und Politiker 501 Ghosh, Peter R. 72, 203, 207 f., 261, 458, 467 Gibbons, Alderman S.J.: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für London (City) 1868 122, 130, 322, 386, 407 Gladstone, William Ewart (1809–1898): kons., ab 1846 peelit., schließlich lib. MP für Newark 1841–46, die Universität Oxford 1847–65, South Lancashire 1865–68, Chancellor of the Exchequer 1852–55 und 1859–66, Premierminister 1868–74, 1880–85, 1886 und 1892–93 35, 80, 86, 96, 141, 210 f., 253, 284, 294, 347, 350, 362 f., 366 f., 370 f., 374 f., 380, 391, 396 f., 403, 417, 423 f., 426, 433 f., 460, 463, 482 Glickman, Harvey 23, 103 Goderich: siehe Robinson Goldney, Gabriel (1813–1900): kons. MP für Chippenham 1865–85 424 Gordon Lennox (zuvor Lennox), Charles (1791–1860), 5th Duke of Richmond and Lennox (1819): Vorsitzender der Central Agricultural Protection Society (1844) 65, 75, 106, 175, 178, 186, 189, 194 f., 234, 236, 321, 382
Gordon Lennox, Charles Henry (1818–1903), Earl of March (1819), 6th Duke of Richmond (1860), 1st Duke of Gordon (1876): kons. MP für West Sussex 1841–1860 202, 208, 399 Gordon Lennox, Henry George Charles (1821–1886): 2. Sohn des 5th Duke of Richmond, kons. MP für Chichester 1846–1885 70, 75, 95, 106, 138 f., 308 f., 314, 397, 405 f., 438 Gorham, George Cornelius (1787–1857): Vikar von Brampford Speke (Devonshire) 1847/50–57 390 f., 393 Gorst, John Eldon (1835–1916): kons. MP für Cambridge (borough) 1866–68 375 Goulburn, Henry (1784–1856): (lib.)kons. MP für die Universität Cambridge 1831–56, Chancellor of the Exchequer 1841–46, 1846 Peelit, 1850 Church Estate Commissioner 209 Graham, James Robert George (1792–1861): lib.-kons. MP für Dorchester 1841–47, für Ripon 1847–52 und Carlisle 1852–61, 1846 Peelit, Innenminister 1841–46, First Lord of the Admiralty 1852–55 68, 75, 81, 96, 142, 196, 235, 403, 433 f., 451, 460, 465 Granby: siehe Manners, Charles Cecil John Granville: siehe Leveson-Gower Greg, William Rathbone (1809–1881): Autor der Quarterly Review 275 Greenleaf, W.H. 103 Grenville, Richard Plantagenet (1797–1861), 2nd Duke of Buckingham and Chandos: 2. Vorsitzender der Central Agricultural Protection Society (1844) 36, 65, 82, 344 Greville, Charles Cavendish Fulke (1794–1865): Clerk to the Council 1821–59 36, 70, 72, 75, 77, 80, 94 f., 97, 139, 143, 160, 162, 165, 168, 176, 181, 184, 197, 233, 294, 309, 399, 430, 432, 445, 450 Grey, Charles (1804–1870), General (1865): Privatsekretär Prinz Alberts 1849–61 und Königin Victorias 1861–70 484 Grey, George (1799–1882): lib. MP für Devonport 1832–47, North Northumberland 1847–52 und Morpeth 1853–74, Innenminister 1846–52, 1855–58 und 1861–66, Secretary of State für die Ko-
Personenregister lonien 1854–55, Chancellor of the Duchy of Lancaster 1859–61 166 Grey, Henry George (1802–1894), 3rd Earl Grey (1845): Secretary of State for War and the Colonies 1846–52, Führer der Liberalen im Oberhaus 377 Grogan, Edward: kons. MP für Dublin 1841–65 166 Grosvenor, Hugh Lupus (1825–1899), 3rd Marquess (1869) 1st Duke of Westminster (1874): lib. MP für Chester 1847–69 348 Halford, Henry (1798–1868): kons. MP für South Leicestershire 1832–57 188, 288, 385 Hamilton, Lord Claud (1813–1884): kons. MP für Tyrone 1835–37 und 1839–74 404, 443, 479 f. Hamilton, George Alexander (1802–1871): kons. MP für die Universität Dublin 1842–59, Assistant Whip, 1853 Mitglied des „council of advice“, Permanent Secretary der Treasury 1859 88, 402 Hamilton-Gordon, George (1784–1860), 4th Earl of Aberdeen (1801): Premierminister 1852–55 71, 433 f. Hamley, Charles Ogilvie (1817–1863): Captain, Autor für Blackwood’s Magazine 452 Hamley, Edward Bruce (1824–1893): General, Autor für Blackwood’s Magazine 327 Hammond, Edmund (1802–1890): Permanent Under Secretary of State for Foreign Affairs 1854–73 473 Hardwicke: siehe Yorke, Charles Philip Hardy, Gathorne Gathorne: siehe Gathorne-Hardy Harris, James Howard (1807–1889), 3rd Earl of Malmesbury: kons. Whip im Oberhaus 1846–1852, Außenminister im 1. und 2. Kabinett Derby, Lord Privy Seal 1866–68 35 f., 72 f., 75 f., 87, 91 f., 94 f., 97 f., 100, 106, 138, 160, 165 f., 168, 174, 194, 200, 203, 207, 209 f., 214, 233, 252, 254, 300 f., 309, 311, 313, 316, 338–340, 344, 359–361, 363, 371 f., 379, 402, 432, 437–440, 443, 448, 461, 464, 466, 468, 470–473, 475, 495 Hawkins, Angus 15, 73, 78, 80, 309, 339, 341 Hay, John Charles Dalrymple
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(1821–1912): lib.-kons. MP für Stamford 1866–80 386 Heathcote, William (1801–1881): kons. MP für North Hampshire 1837–49, für Oxford University 1854–68 36, 100, 138, 235, 361, 364, 384, 393 Henley, Joseph Warner (1793–1884): kons. MP für Oxfordshire 1841–78, President of the Board of Trade 1852 und 1858/59 100, 334, 338–340, 362, 365, 386, 423 f. Herbert, Henry Howard Molyneux (1831–1890), 4th Earl of Carnarvon (1849): Under-Secretary of State for the Colonies 1858/59, Secretary of State for the Colonies 1866/67 95, 99 f., 118, 130, 132, 325, 347, 354, 357 f., 360 f., 378, 424, 427, 465, 475 f., 495 Herbert, Sidney (1810–1861), Lord Herbert of Lea (1861): lib.-kons. MP für South Wiltshire 1832–61, 1846 Peelit 433 f., 436, 438 Herries, John Charles (1778–1855): kons. MP für Harwich 1823–41 und für Stamford 1847–53, 1849 kons. Unterhausführer, 1852 President of the Board of Control 36, 71, 194 Heywood, James (1810–1897): lib. MP für North Lancashire 1847–57 142 Hicks-Beach, Michael Edward (1837–1916), Viscount St. Aldwyn (1906), Earl St. Aldwyn (1915): kons. MP für East Gloucestershire 1864–85 424 Hildebrand, Klaus 458 Himmelfarb, Gertrude 346 Hoare, Joseph (1814–1886): (lib.-)kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Manchester 1868 386 Hodgkinson, Grosvenor (1818–1881): lib. MP für Newark 1859–74 372 Hodgson, William Nicholson (1807–1876): kons. MP für Carlisle 1847–52, 1857–59 und 1865–68 196, 273, 385 Hogg, Quintin, Lord Hailsham 61, 101 Honderich, Ted 45 Horsfall, Thomas Berry (1805–1878): kons. MP für Derby 1852–53 und Liverpool 1853–68 253 Horsman, Edward (gest. 1876): lib. MP für Cockermouth 1836–52 und Stroud 1853–68 348, 482
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Personenregister
Hubbard, John Gellibrand (1805–1889): kons. MP für Buckingham 1859–68 241, 246, 253–255, 418, 421, 424, 462 Hudson, George (1800–1871): kons. MP für Sunderland 1845–59 208 Hume, Joseph (1777–1855): rad. MP für Montrose 1842–55 166, 219, 289, 329 Hunt, George Ward (1825–1877): kons. MP für North Northamptonshire 1857–77, Financial Secretary to the Treasury 1866–68, Chancellor of the Exchequer 1868 423 Huntington, Samuel 14, 49 f. Hylton: siehe Jolliffe Inglis, Sir Robert Harry: kons. MP für Oxford 1829–54 166, 174, 182, 272, 322, 404 f. James, Thomas (1809–1863): Autor der Quarterly Review 231, 245, 452, 455 Jenkinson, George Samuel (1817–1892): kons. MP für North Wiltshire 1868–80 257 Jocelyn, Viscount (1816–1854): kons. MP für King’s Lynn 1842–54 209, 296 Johnson, Alderman John: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für London (City) 1847 245, 323, 396 Jolliffe, Sir William George (1800–1876), 1st Baron Hylton (1866): kons. MP für Petersfield 1830/31, 1830–35 und 1837–66, Under Secretary of State des Inneren 1852, kons. Chief Whip 1853–1860, Parliamentary Secretary der Treasury 1858/59 74, 87 f., 90, 97, 100, 313, 315, 334 f., 344, 436 Joyce, Patrick 25, 31, 218, 323, 327 Jupp, Peter 150 Karslake, John Burgess (1821–1881): kons. MP für Andover 1867–68, Solicitor General Nov. 1866–Juli 1867, Attorney General Juli 1867–Dez. 1868 363 Kebbel, Theodore 102, 346 Kekewich, Samuel Trehawke (1796–1873): kons. MP für South Devonshire 1858–73 474 Kelly, Fitzroy (1796–1866): kons. MP für Cambridge 1843–47, Harwich 1852 und East Suffolk 1852–66, Solicitor General im ersten Kabinett Derby, Attorney General im zweiten Kabinett Derby 331, 334
Kendall, Nicholas (1800–1878): kons. MP für East Cornwall 1852–68 206, 250, 369 Kenealy, Edward Vaughan Hyde (1819–1889): Redakteur der Press 139 Kimberley: siehe Wodehouse King, Peter John Locke (1811–1885): lib. MP für East Surrey 1847–74 175 Kirk, Russell 44 Kissinger, Henry 270 Knox, Brownlow William (gest. 1873): kons. MP für Marlow 1847–68 404 Knox, William Stuart (1826–1900): kons. MP für Dungannon 1851–74 480 Kondylis, Panajotis 14, 24, 42, 47–49, 59, 103 f., 113, 222, 280, 498 Koselleck, Reinhart 42 Kronick, Bernard 47 Labouchere, Henry (geb. 1789): lib. MP für Taunton 1830–59, President of the Board of Trade 1847–52 179 Laing, Samuel (1812–1897): lib. MP für Wick 1852–57 und May 1859–60 und 1865–68 367, 465, 482 Lampedusa, Giuseppe di 13 Lansdowne: siehe Petty-Fitzmaurice La Tour d’Auvergne, Henry Alphonse Godefroy Bernard, prince Lauragais (1823–1871): franz. Botschafter in London 1863–69 483 Law, Edward (1790–1871), 2nd Baron (1818), 1st Earl of Ellenborough (1844): Generalgouverneur von Indien 1841–1844, President of the Board of Control 1858; kons. Peer 68, 340, 447 f. Lennox: siehe Gordon Lennox Leveson-Gower, Granville George (1815–1891), 2nd Earl Granville (1846): Außenminister 1851–52, Lord President of the Council 1852–54, 1855–58 und 1859–66, Chancellor of the Duchy of Lancaster 1854–55, Sonderbotschafter in Rußland Juli 1856 179, 447 f. Lewis, George Cornewall (1806–1863): lib. MP für Herefordshire 1847–52 und Radnor 1855–63, Chancellor of the Exchequer 1855–58, Innenminister 1859–61 und War Secretary 1861–63 284 f. Liddell, Henry Thomas (1797–1878), 2nd Baron Ravensworth (1855): (lib.-)kons. MP für Liverpool 1853–55 411 Liddell, H.G., Lord Eslington
Personenregister (1821–1903), 3rd Baron and 2nd Earl of Ravensworth (1878): kons. MP für Northumberland 1852–1878 368 Lincoln: siehe Clinton Lockhart, John Gibson (1794–1854): Herausgeber der Quarterly Review 1825–53 301 Long, Richard Penruddocke (1825–1875): lib.-kons. MP für Chippenham 1859–65 und North Wiltshire 1865–68 359 f. Lonsdale: siehe Lowther, William Lopes, Massey (1818–1908): kons. MP für Westbury 1857–68 und South Devonshire 1868–85 386 Lopes, Ralph (1788–1854): kons. MP für Westbury 1841–47 und Devon 1849–54 405 Lovaine, Lord (1810–1899), 6th Duke of Northumberland (1867): kons. MP für North Northumberland 1852–65 188, 204, 246, 382, 389, 395 Lowe, Robert (1811–1892): lib. MP für Kidderminster 1852–59 und Calne 1859–68 209, 348, 362–364, 375, 397 Lowther, James (1840–1904): kons. MP für York 1865–80 139, 368 Lowther, William (1787–1872), 3rd Earl of Lonsdale of 2nd creation (1844): Lord President of the Council 1852 80, 95, 143 Lübbe, Hermann 42 Lygon, Frederick (1830–1891), 6th Earl Beauchamp (1866): kons. Peer 117, 378 Lyndhurst: siehe Copley Macauley, Thomas Babington, 1st Baron (1800–1859) 208 Macintyre, Angus 16, 68 Mackay, Charles (1814–1889): Journalist, Autor für Blackwood’s Magazine 118, 122, 226, 244, 248, 250, 321 Mackworth, Digby: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Liverpool 1847 245, 257, 382, 395 Macmillan, Harold 53, 60 Malmesbury: siehe Harris, James Howard Maltby, [Thomas James?]: Autor der Quarterly Review 454 Manners, Charles Cecil John (1815–1888), Marquess of Granby, 6th Duke of Rutland (1857), Bruder von Lord John Manners: kons. MP für Stamford 1837–52 und North Leicestershire
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1852–57, 1848 und 1849 kons. Unterhausführer 71, 166, 196, 202, 206, 229, 246, 378, 443 Manners, Lord John (1818–1906), 7th Duke of Rutland (1888), Bruder von Charles Manners: kons. MP für Newark 1841–47, Colchester 1850–57 und North Leicestershire 1857–85, „Young Englander“, First Commissioner of Works im Kabinettsrang in den drei Kabinetten Derby 74 f., 100, 190, 194, 197 f., 208, 237, 245, 301, 317, 334, 340, 346, 353, 358, 391, 395, 397, 400, 410 f., 414, 418, 423, 443 Mannheim, Karl 14, 43, 46, 54, 123 Manning, Henry Edward (1808–1892): anglikanischer Priester, Konversion zum röm. Katholizismus (1851), Erzbischof (1865) und Kardinal (1875) von Westminster 384, 393 March: siehe Gordon Lennox, Charles Henry Marlborough: siehe Churchill, John Winston Spencer Masterman, John: kons. MP für City of London (1841–57) 121, 166, 168, 188, 396 McDowell, Robert 104 McKenzie, Robert 23, 104 f. Metzler, Gabriele 457 f. Metternich, Klemens Wenzel Fürst von (1773–1859): österr. Staatskanzler 1821–48 169, 172 Miles, Philip William (gest. 1881): kons. MP für Bristol 1837–52 66 Mill, John Stuart (1806–1873): Philosoph, lib. MP für Westminster 1865–68 18, 43, 119, 222, 224, 274, 333 Miller, John: Autor der Quarterly Review 41 Mills, Arthur (1816–1898): kons. MP für Taunton 1852/53 und 1857–65 209 Milnes, Richard Monckton (1809–1885), 1st Lord Houghton (1862): bis 1847 kons., ab 1848 lib. MP für Pontefract 1837–62 169 f., 299 Minto, 2nd Earl of (1782–1859): Lord Privy Seal 1846–52, Whig 451 Mitchell, William (geb. 1794): kons. MP für Bodmin 1852–57 und 1859 306 Mitford, John Thomas Freeman, 2nd Baron Redesdale (1805–1886): Chairman of Committees und Deputy Speaker des
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Personenregister
House of Lords 1851–1886, Protektionist 123, 131, 133, 385, 391–393, 396, 398, 401 Montagu, Lord Robert (1825–1902): kons. MP für Huntingdonshire 1859–74 307, 411, 419 Montgomerie, Archibald William (1812–1861), 13th Earl of Eglinton (schott. Titel) und 1st Earl of Winton (engl. Titel, 1859): kons. Whip im Oberhaus 1846–1850, Lord-Lieutenant für Irland und Privy Councillor 1852 und 1858/59 75, 195 Moore, David C. 19, 83, 229 Morley, Earl of: siehe Parker, Albert Edmund Morley, John 346 Muller, Jerry Z. 15, 23, 59, 136 Murrough, John Patrick (geb. 1822): lib. MP für Bridport 1852–57 410 Naas: siehe Bourke Namier, Lewis 79, 90 Napier, Joseph (1804–1882): kons. MP für die Universität Dublin 1848–58, Lord Chancellor für Irland 1858/59 394, 403 Napoleon III. (Charles Louis Napoléon Bonaparte; 1808–1873): franz. Präsident 1848–52 und Kaiser der Franzosen 1852–70 433, 439 f., 462, 470, 483 Newcastle: siehe Clinton Newdegate, Charles Newdigate (1816–1887): kons. MP für North Warwickshire (1843–1885), Chief Whip 1846–1853 66, 74, 111, 121, 123, 125, 137, 155, 188 f., 193, 206, 255, 271, 288, 296, 322, 338, 340, 386, 388, 395, 402–405, 407, 411, 414, 421, 423 f. Newman, John Henry (1801–1890): Vikar an St. Mary’s, Oxford, Vertreter des Oxford Movement, Konversion zum röm. Katholizismus (1845), Kardinal (1879) 384 Nisbet, Robert Adam Hamilton Christopher (1804–1877): kons. MP für North Lincolnshire 1837–57, Chancellor of the Duchy of Lancaster 1852 204 Nisbet, Robert 44, 49 Northcote, Stafford Henry (1818–1887), 1st Earl of Iddesleigh (1885): kons. MP für Dudley 1855–57, Stamford 1858–66 und North Devon 1866–85, Financial Secretary to the Treasury 1858/59, Pre-
sident of the Board of Trade 1866/67, Secretary of State for India 1867/68 35, 89 f., 99 f., 131, 207, 253 f., 260 f., 283 f., 291, 318, 344, 350 f., 385, 391, 394, 408 f., 414, 466 f., 474 f., 477, 494 Norton, Philip 101 Nottingham, Earl of: siehe Finch-Hatton Oastler, Richard (1789–1861): Vertreter der Fabrikgesetzbewegung 123, 138, 245, 501 O’Brien Stafford, Augustus (1811–1857): kons. MP für North Northamptonshire 1841–57 66 O’Brien, William Smith: MP für Limerick 1835–49, 1849 wegen Hochverrats verurteilt 166 f. O’Connell, John: lib. MP für Kilkenny City 1841–47, für Limerick 1847–51, für Clonmell 1853–57 166 O’Connor, Feargus (1796–1855): rad. MP für Nottingham 1847–52 165–168 Osborne, Ralph Bernal (1811–1882): lib. MP für Wycombe 1841–47, Middlesex 1847–57, Dover 1857–59, Liskeard 1859–65, Nottingham 1866–68 129, 131, 171, 175, 209, 231f., 236, 329, 362, 366, 375, 377 Ossulston, Lord (1810–1899), 6th Earl (1859): kons. MP für North Northumberland 1832–58 385, 397 O’Sullivan, Noël 44, 49 Oswald, Alexander (gest. 1868): kons. MP für Ayrshire 1843–52 404 Ottmann, Henning 14 Packe, Charles William (1792–1867): kons. MP für South Leicestershire 1836–67 188, 385, 410 f., 415 Pakington (zuvor Russell), John Somerset (1799–1880): kons. MP für Droitwich 1837–74, Secretary of State for War and the Colonies 1852, First Lord of the Admiralty 1858/59 und 1866/67, Secretary of State for War 1867/68 95, 100, 125, 131, 137, 188, 206, 209, 244, 246, 322, 334, 340, 352, 357, 388, 394, 397, 407, 414, 418, 423, 428, 440 Palmer, Roundell (1812–1895), 1st Baron (1872), 1st Earl of Selbourne (1883): (lib.-) kons. MP für Plymouth 1847–52 und 1853–57 und für Richmond 1861–72 368 f., 391, 424
Personenregister Palmerston: siehe Temple Parker, Albert Edmund (1843–1905), 3rd Earl of Morley (1864) 377 f. Parry, Jonathan 72, 150, 433 Patten, John Wilson (1802–1892): kons. MP für North Lancashire 1832–74 99, 247 f., 331, 386, 397 Patterson, Robert Hogarth (1821–1886): Journalist, Autor für Blackwood’s Magazine 441, 445, 451, 463, 491 Peacocke, George Montagu Warren: siehe Sandford Peel, Jonathan (1799–1879): kons. MP für Huntingdon 1831–68, Secretary of State for War 1858/59 und 1866/67, Bruder Robert Peels 99 f., 334, 339 Peel, Robert (1788–1850): MP für Tamworth 1830–50, Premierminister 1834/35 und 1841–46 13, 18, 42, 45, 58, 63–70, 78, 85 f., 103, 105, 137, 202, 252, 291, 295, 358, 360 Pell, Albert (geb. 1820): kons. MP für South Leicestershire 1868–85 242 Pellatt, Apsley (1791–1863): lib. MP für Southwark 1852–57 410 Petty-Fitzmaurice Henry (1780–1863), 3rd Marquess of Lansdowne (1809): whiggist. Peer 392, 448 Phillips, John Henry: siehe Scourfield Phillpotts, Henry (1778–1869): Bf. von Exeter 1830–69 390 Pinto-Duschinsky, Michael 99, 135 Pius IX. (Giovanni Maria Mastai-Ferretti; 1792–1878): Papst 1846–78 399, 401 f. Plumptre, John Pemberton (1791–1864): kons. MP für Kent 1832–52 404 Pocock, John G.A. 45, 83, 222, 229 f. Ponsonby, John (1770–1855), 1st Viscount Ponsonby 115, 157 Potter, Arthur Bayley: Sohn von T. B. Potter 147, 210 Potter, Thomas Bayley (1817–1898): rad. MP für Rochdale 1865–95 147 Powell, Francis Sharp (1827–1911): kons. MP für Wigan 1857–59, Cambridge 1863–68 250, 369 Powell, Col. W. E. (geb. 1788): kons. MP für Cardiganshire 1816–1854 386 Powis: siehe Clive Pugh, David (1806–1890): kons. MP für Carmarthenshire 1857–68 417 Quinton, Anthony 47
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Ramsden, John 15, 100, 346 Redesdale: siehe Mitford, John Thomas Freeman Richmond: siehe Gordon Lennox Ripon: siehe Robinson Roberts, Andrew 99 Robinson, George Frederick Samuel (1827–1909), Viscount Goderich (1833), 3rd Earl de Grey und 2nd Earl of Ripon (1859), 1st Marquess of Ripon (1871): lib. MP für Hull 1852–53, Huddersfield 1853–57 und West Riding 1857–59, Secretary of State for War 1863–66 und für Indien 1866 284 Roebuck, John Arthur (1801–1879): lib. MP für Bath 1832–1837 und 1841–47 und Sheffield 1849–1869 und 1874–79 362 f., 366, 368, 403 Rohe, Karl 17 Romilly, John (gest. 1874), Baron Romilly (1866): lib. MP für Devonport 1847–52, Solicitor General 1848–50, Attorney General 1850–51 166 Rose, Philip (1816–1883): Disraelis persönlicher solicitor, Chairman des Conservative Central Committee und Wahlkampforganisator der Konservativen 1853–1859 87 f., 93, 335 Rose, William Anderson (1820–1881): kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Newport 1857, MP für Southampton 1862–65 131, 247, 284, 331, 389 Rothschild, Baron Lionel Nathan de (1808–1879): lib. MP für die City of London 1858–74 70, 394 Russell, Lord John (1792–1878), Earl Russell (1861): lib. MP für London (City) 1841–61, Premierminister 1846–52 und 1865/66, Außenminister 1852/53 und 1859–65, Minister ohne Geschäftsbereich 1853/54, Secretary of State für die Kolonien 1855 129, 156, 161 f., 166, 171, 196, 208, 296, 298, 307, 329 f., 343, 399, 402, 404, 413, 419, 426, 453, 460 Rutland: siehe Manners Saab, Ann Pottinger 72, 102, 106, 432 f. St. Leonards: siehe Sugden Salisbury: siehe Cecil Sandars, George (1805–1879): kons. MP für Wakefield 1847–57 209 Sandford (bis 1866 Peacocke), George
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Personenregister
Montagu Warren (gest. 1879): kons. MP für Harwich 1852–53 und für Maldon 1854–57, 1859–68 und 1874–78 209, 254, 362, 365, 479 Sandon, Viscount (1831–1900), 3rd Earl (1882): kons. MP für Lichfield 1856–59 und Liverpool 1868–82 247, 386, 388, 464 Scourfield (bis 1862 Phillips), John Henry (1808–1876): kons. MP für Haverfordwest 1852–68 284, 424 Scruton, Roger 44 Searle, G.R. 29 Selwyn (Selwin-Ibbetson), Henry John (1826–1902): kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Ipswich 1857 und 1859, MP für South Essex 1865–68 und West Essex 1868–85 258, 331, 407 Seymer, Henry Ker (1807–64): kons. MP für Dorsetshire 1846–64 108, 166, 205, 318, 391, 417 Shaftesbury: siehe Cooper Shannon, Richard 15, 104, 323 Sibthorp, Colonel Charles Delaet Waldo (gest. 1855): kons. MP für Lincoln (1826–32 und 1835–55) 166, 168, 180 f., 204, 206, 208, 321, 404 Silver, Allan 23, 104 f. Sinclair, George (1790–1868): kons. MP für Caithness 1831–1841; Autor 238 Singer, Wolf 28 Smith, Goldwin (1823–1910): Historiker, Essayist, Autor für Fraser’s Magazine 114, 117, 156, 231, 271 f. Smith, Paul 16, 23, 72, 104, 348, 374 Smith, Robert Vernon (gest. 1873), Lord Lyveden (1859): lib. MP für Northampton 1831–59, President of the Board of Control 1855–58 447 Smith, William Henry (1808–1872): Philosoph, Autor für Blackwood’s Magazine 111, 127, 183 f. Smith, William Masters (1802–1861): kons. MP für West Kent 1852–57 137, 258, 389, 395, 407 Smollett, Patrick Boyle (1805–1895): (lib.-)kons. MP für Dumbartonshire 1859–68 258, 331 Smythe, George Augustus Frederick (geb. 1818): kons. MP für Canterbury 1841–52, „Young Englander“ 404 Sotheron-Estcourt, Thomas Henry Sutton (1801–1876): kons. MP für North
Wiltshire 1844–65 273, 275, 331, 418, 421f. Spofforth, Markham (geb. 1824): Assistent von Philip Rose als Wahlkampforganisator der Konservativen seit 1853, Chairman des Conservative Central Committee 1859–1870 86 f. Spooner, Richard (1783–1864): kons. MP für Birmingham 1844–47 und North Warwickshire 1847–64 188, 257, 268, 321, 386 f., 395, 402 f., 414 Stafford O’Brien: siehe O’Brien Stafford Stanford, John Frederick (gest. 1880): kons. MP für Reading 1849–52 404 Stanhope, James Banks (geb. 1821): kons. MP für North Lincolnshire 1852–68 206, 355, 367, 370, 422 Stanhope, Philip Henry (1781–1855), 4th Earl Stanhope (1816) 191, 200 f., 299 Stanhope, Lord (1831–1871), 7th Earl June (1866): kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für South Derbyshire 1857, MP für South Nottinghamshire 1860–66 137 Stanley, Edward George Geoffrey Smith (1799–1869), Baron Stanley of Bickerstaffe (1844), 14th Earl of Derby (Juni 1851): Premierminister 1852, 1858/59 und 1866–68, Führer der Konservativen 1846–68 13, 18, 33, 35, 38, 64, 66–73, 76, 78, 80 f., 91–100, 106, 108, 128, 130, 137–140, 145 f., 155, 157, 165, 178, 185–189, 192–195, 197–207, 210 f., 228, 231, 234 f., 237–241, 246, 248, 254, 276, 288–290, 292, 294 f., 297, 299–301, 307, 309–314, 316–320, 322, 330–334, 337–344, 346–350, 352–354, 357–361, 375–377, 379, 382, 393, 398, 400 f., 403, 411, 413, 415 f., 419–422, 424 f., 428–430, 432, 436–440, 443, 448, 450–453, 455, 461, 464 f., 467–474, 476, 480–484, 490, 493–496, 499, 501 Stanley, Edward Henry (1826–1893), 15th Earl of Derby (1869): kons. MP für Kings Lynn 1848–69, Under Secretary of State im Außenministerium im 1. Kabinett Derby, Secretary of State für die Kolonien (März-Juni 1858), Präsident des Board of Control (Juni-September 1858) und Secretary of State für Indien (September 1858-Juni 1859) im 2. Kabinett Derby, Außenminister im 3. Kabinett Derby und im 1. Kabinett Disraeli
Personenregister 33, 35 f., 66, 72–76, 83 f., 87, 92–95, 99 f., 106, 119, 128, 134, 137–140, 143, 172, 179, 181 f., 188, 194 f., 197, 234 f., 241, 252, 283 f., 289 f., 292–294, 296, 298–302, 307 f., 310–312, 314 f., 317–319, 325–327, 330 f., 334, 340, 344, 357, 361, 400, 405 f., 412 f., 425, 427, 431, 436 f., 439, 453 f., 465, 467 f., 476, 481–485, 493 Stedman Jones, Gareth 25, 31 Steele, David 99 Steinmetz, Willibald 31, 355, 370, 374 Stephenson, Robert F.R. S. (1803–1859): Eisenbahningenieur und Lokomotivenfabrikant, kons. MP für Whitby 1847–59 178 f. Stewart, Robert 15, 68, 101–103, 105, 347, 373 Stone, G.L. 332 Stuart, John (1793–1876): kons. MP für Newark 1846–52 und Bury-St. Edmunds 1852, Vice-Chancellor 1852–71 389, 404 Sugden, Edward Burtenshaw (1781–1875), 1st Baron St. Leonards (1852): Lordkanzler im ersten Kabinett Derby 411, 415 Taylor, Colonel Thomas Edward (1812–1883): kons. MP für Dublin County 1841–83, Assistant Chief Whip 1853–60, Chief Whip 1860–68 94, 100, 315 Taylor, Miles 218 f. Temple, Henry John, (1784–1865), 3rd Viscount Palmerston (1802): lib. MP für Tiverton 1835–65, Außenminister 1846–51, Innenminister 1852–55, Premierminister 1855–58 und 1858–65 95–99, 125 f., 143, 206, 311, 313, 316, 344, 419, 426, 434, 436, 439, 447, 460, 468, 472 f., 475 Thesiger, Frederick (1794–1878), 1st Baron Chelmsford (1858): kons. MP für Abingdon 1844–52 und für Stamford 1852–58, Attorney General 1852, Lord Chancellor 1858/59 und 1866–68 100, 110, 125, 130, 166, 247, 257, 287, 334, 378, 402, 404 f., 465 Thompson, William (1753–1854): kons. MP für Westmoreland 1841–54, Bankier und Unternehmer 178, 209 Thynne, John Alexander (1831–1896), 4th
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Marquis of Bath: kons. Whip im Oberhaus 1852–64 99 Torrens, William Torrens McCullagh (1813–1894): lib. MP für Dundalk 1848–52, Yarmouth 1857 und Finsbury 1865–85 372 Trelawny, John (1816–1885): lib. MP für Tavistock 1843–52 und 1857–65 und für East Cornwall 1868–74 97, 149, 417–421, 423, 427 Trollope, John (1800–1874): kons. MP für South Lincolnshire 1841–68 100, 247 f., 412 Twells, P.: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für London (City) 1868 386, 407 Twiss, Travers (1809–1897): Autor der Quarterly Review 172 f., 448, 469 Urquhart, David (1805–1877): kons. MP für Stafford 1847–52 112 f., 123, 127, 273, 296 Vance, John (gest. 1875): protekt. Bewerber um ein Unterhausmandat in Canterbury 1847, kons. MP für Dublin (City) 1852–65 und Armagh 1867–75 188, 396 Vane-Tempest, Lord Adolphus Frederick Charles William (1825–64): kons. MP für Durham City 1852/53 und für North Durham 1854–64 208, 461 Verba, Sidney 17 Vernon, James 26, 31, 323, 327 Victoria (1819–1901): Königin von Großbritannien und Irland 1837–1901, Kaiserin von Indien 1876 77, 94 f., 160, 162, 181, 201, 207, 350 f., 354, 362, 371, 447, 465, 471, 475, 478, 481, 483–485 Villiers, Charles Pelham (1802–1898): lib. MP für Wolverhampton 1835–98, 1886 Liberal Unionist 205 f. Villiers, George William Frederick (1800–1870), 4th Earl of Clarendon (1838): Liberaler, brit. Außenminister 1853–58, 1865/66 und 1868–70 142, 434, 443, 478 Vitzthum von Eckstädt, Carl Friedrich Graf: sächischer Gesandter in London 299, 478, 480 Voltaire (François Marie Arouet; 1694–1778): franz. Schriftsteller und
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Personenregister
Philosoph, virtueller Besucher der Londoner Weltausstellung von 1851 110, 127, 183 f., 466 Wakley, Thomas (1795–1862): rad. MP für Finsbury 1835–52 166 Walpole, Spencer Horatio (1806–1898): kons. MP für Midhurst 1846–56 und Cambridge University 1856–82, Innenminister in den drei Kabinetten Derby 35, 76, 91, 93, 97, 100, 106, 113, 116, 118 f., 122, 124, 127, 130, 137, 155, 208, 253, 255, 259, 289 f., 296–299, 303, 315 f., 321, 323, 334, 338–340, 346, 354, 389, 402, 411, 415, 417–419, 431, 438, 493, 495 Walsh, Arthur (1827–1881): kons. MP für Leominster 1865–68 und Radnorshire 1868–80 386 Walsh, John Benn (1798–1881): kons. MP für Radnorshire 1840–68 396 Ward, J.T. 102 Weber, Max 16 f., 499 Wellesley (bis 1798 Wesley), Arthur (1769–1852), 1st Duke of Wellington (1814): Feldmarschall, Premierminister 1828–30 und 1834, Commander in Chief 1842 41, 78, 159–162, 165, 174, 195, 252, 387, 433 Wellesley, Arthur Richard (1807–1884), Marquess of Douro (1814), 2nd Duke of Wellington (1852): kons. MP für Norwich 1837–1852 194 Wellington: siehe Wellesley Weston, Corinne Comstock 292 f. Whethered, Thomas Owen (1832–1921): kons. MP für Great Marlow 1868–80 130, 386 White, William (1807–1882): assistant doorkeeper, dann doorkeeper des House of Commons 1854–75 75, 80, 140, 294, 316, 372 f., 453 Whiteside, James (1806–1876): kons. MP für Enniskellen 1851–59 und für die Universität Dublin 1859–66 124, 138, 154 f., 209, 229, 254, 258, 292, 382, 388 f., 418 f., 454, 480
Wickham, Henry Wickham (1800–1867): kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Bradford 1847, MP 1852–67 389, 394 Wigram, Loftus Tottenham (1803–1889): kons. MP für die Universität Cambridge 1850–59 155, 402, 405 Wilberforce, Samuel (1805–1873): Vertreter des Oxford Movement, Bischof von Oxford 1845–69 382, 393 Wilkinson, William 102 Wilson (Willson), Anthony (geb. 1811): kons. MP für South Lincolnshire 1857–59 247 f., 258, 389 Winchilsea, Earl of: siehe Finch-Hatton Wirsching, Andreas 216, 222 f. Wiseman, Nicholas (1802–1865): Erzbischof und Kardinal von Westminster (1850) 402 Wodehouse, John (1826–1902), Baron Wodehouse (1846), 1st Earl of Kimberley (1866): lib. Peer 366, 378 Wood, Charles (1800–1885): lib. MP für Halifax 1832–65 und für Ripon 1865–66, Chancellor of the Exchequer 1846–52, President of the Board of Control 1852–55, First Lord of the Admiralty 1855–58, Secretary of State für Indien 1859–66 209 Woods, Maurice 103 Worsley, W.C.: kons. Bewerber um ein Unterhausmandat für Whitby 1868 386, 388 Yorke, Charles Philip (1799–1873), 4th Earl of Hardwicke: Postmaster General 1852, Lord Privy Seal 1858/59 75, 235, 318 f., 334, 339, 399, 424, 493 Yorke, John Reginald (1836–1912): kons. MP für Tewkesbury 1864–68 368 Young, George Frederick (gest. 1870): kons. MP für Scarborough 1851–52, Schiffsbesitzer und Protektionist 35, 186, 190–193, 235 f., 319, 382, 462, 490 Young, John (1807–1876): kons. MP für Cavan 1831–55, 1846 peelit. Whip im Unterhaus 382, 385, 404