149 1 11MB
German Pages 40 [44] Year 1916
Kriegsgeographische Zeitbilder Laud und Leute -er Kriegsschauplätze Lerausgegeben von den
Privatdozenten Dr. Hans Spethmann und Dr. Erwin kchm Die vorliegende Sammlung will in anregender und anschaulicher Form ein klares Bild der Kriegsschauplätze entwerfen, um es jedem zu ermög lichen, den amtlichen Nachrichten von den Vorgängen auf de» Kampf gebieten mit Verständnis folgen zu können. Die Darstellung wird durch zahlreiche Abbildungen und Skizzen wirkungsvoll unterstützt.
Es liegen vor: Lest 1. Die wirtschaftlichen Grundlagen der kriegführende« Machte. Von Professor Dr. 21. Oppel-Bremen. Lest 2. Kohlennot «nd Kohlenvorrate im Weltkriege. heimem Bergrat Professor Dr. Frech-Breslau.
Von Ge
Lest 3. Der Kanal mit seinen Küsten «nd Flottenstützpunkte«. Von Privatdozent Dr. L. Spethmann-Berlin. Lest 4. Antwerpen. Geographische Lage «nd wirtschaftliche Bedeutnug. Don Dr. Laus Praesent-Greifswald.
Lest 5. Der russisch»türkische Kriegsschauplatz. phiL Lugo Grothe-Leipzig.
Von Dr. jur. et
Lest 6. Der Kriegsschauplatz zwischen Mosel «nd Maas. Dr. Karl Wolff-Leipzig.
Do«
Don Dr. Ed. Lrkes-Leipzig.
Lest
7. Japan «nd die Japaner.
Lest
8. Die Boaese« «nd Ihre Kampfstätten. 2idrian Mayer-Straßburg.
Don Redakteur
Jede- Heft tat Umfange von zirka 8 Druckbogen tastet M. —.80
Verlag von Bett & Lomp.il» Leipzig, Marienstr.18
Kriegsgeographische Zeitbilder Land und Leute der Kriegsschauplätze
Herausgeber
Dr. Hans Spethmann und Dr. Erwin Scheu in Berlin
in Leipzig
Lest 7
Japan und die Japaner
Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1915
Japan und die Japaner Von
Dr. Ed. Erkes in Leipzig
Mit 8 Abbildungen im Text
Leipzig
Verlag von Veit & Comp. 1915
Herrn Professor Dr. Karl Weule
in Dankbarkeit gewidmet
Copyright 1915 by Veit L Comp. in Leipzig.
2ber sich etwas in die — in den letzten Jahrzehnten so riesenhaft angeschwollene — Literatur über Japan vertieft, der wird bald gewahr werden, daß über Japan und sein Volk fast ebensoviel verschiedene Arteile wie Bücher existieren.
Der. Grund
dieser Erscheinung ist wohl vor allem darin zu suchen, daß die
meisten Schriftsteller ihrem Arteil nur ihre eigenen mehr oder
minder zufälligen Beobachtungen zugrunde legen, anstatt sich
zu bemühen, das, was sie sehen, auch zu verstehen, indem sie
seinem geschichtlichen Werden nachforschen.
Zum Verständnis
des j-panischen Charakters und seiner Äußerungen — soweit
solches dem Fremden überhaupt möglich ist — ist es daher un
umgänglich notwendig, zu wissen, wie Japans Kultur geworden ist.
Denn nur mangelnde Geschichtskenntnis kann jene schränkens
lose Bewunderung erklären, die seit Japans Eintritt in den
Weltverkehr in Europa immer höhere Wellen schlug und nach
dem russisch-japanischen Kriege in einen gelinden Paroxysmus
ausartete, um nach den Ereignissen des vergangenen Jahres jählings in ebenso blinden Laß umzuschlagen.
Fast jedem Erforscher der japanischen Geschichte ist die völlige Anselbständigkeit
der japanischen
Kultur aufgefallen.
Alle Elemente der japanischen Kultur sind aus dem Auslande,
vor allem aus China, entlehnt, und man könnte die japanische Kulturgeschichte geradezu die Geschichte der fremden Kultur
einflüsse nennen.
Aber das war auch gar nicht anders möglich;
denn schon durch die Natur seines Landes hat sich der Japaner
5
stets auf das Ausland angewiesen gesehen.
Japan gehört zwar
landschaftlich zu den schönsten Ländern der Erde, so daß schon die alten Chinesen
hier die indische Sage von den Inseln
der Seligen lokalisierten, aber sein Boden ist außerordentlich
arm und unfruchtbar.
So fehlte die wirtschaftliche Grundlage
Abb. 1.
Japanische Landschaft.
(Vriginalbild im Besitz bes Museums für Völkerkunde zu Leipzig.)
für das selbständige Erwachsen einer höheren Kultur, und die ersten Einwanderer scheinen bereits in allen Bedürfnissen fort geschrittener Kultur vom asiatischen Festland abhängig gewesen
zu sein.
Aber anderseits hat Japans natürliche Armut auch —
mit einer Ausnahme — keine Eroberer angelockt, und seine isolierte Lage im stürmischen Meere und die Unzugänglichkeit seiner Küsten
haben
dafür gesorgt, daß die kulturelle Ab
hängigkeit niemals zur politischen geworden ist. 6
And in der
Tat ist Japan vielleicht das einzige Land der ganzen Erde, das
nie einen Feind in seinen Grenzen gesehen hat.
So hat die
japanische Kultur sich ungestört ausbilden und zu einem einheit
lichen Ganzen gestalten können. Die Japaner sind nicht die Arbewohner ihres Landes. Vor ihnen wohnten dort die jetzt auf den Norden von Lokkaido
beschränkten Ainu, ein Völkchen rätselhafter, nicht mongolischer Lerkunst, das im Äußern den Russen nahezustehen scheint und dessen Sprache möglicherweise Beziehungen zum indogermanischen
Sprachstamm hat.
Nach der Tradition der Ainu lebte schon
vor ihnen auf den japanischen Inseln ein Zwergvölkchen, die
Koropokguru, Grubenbewohner.
Einige Forscher halten die
Bewohner der Kurilen für die Nachkommen dieses Arvolkes, während andere es gänzlich ins Gebiet der Sage verweisen.
Die Japaner selbst sind nun anscheinend von drei Seiten her in den Archipel eingedrungen und haben die Ainu allmählich ver drängt.
Der eine Strom der Einwanderer war aller Wahr
scheinlichkeit nach malaiischen Stammes und kam von Süden. Für diese Lerkunst sprechen vor allem anthropologische Gründe,
die den Japaner nicht als reinen Mongolen erscheinen lassen; auch gewisse Charakterzüge hat man als malaiisches Erbgut
betrachten wollen; doch ist es immer eine unsichere Sache, Be ziehungen zwischen Rasse und Charakter nachzuweisen.
Auch
das sehr starke Reinlichkeitsgefühl des Japaners, das sich sicher
nicht im Klima Nordasiens ausgebildet hat, spricht für südliche
Herkunft.
Endlich hängt vielleicht auch der Bau des japanischen
Hauses und des Shintotempels, die beide aus Pfahlbauten hervorgegangen
sind,
mit der Bauweise der Malaien zu
sammen. Dagegen ist allerdings geltend gemacht worden, daß einmal die japanische Tradition nichts von einer Einwanderung aus
dem Süden weiß, und ferner, daß sich im Japanischen kein
7
malaiisches Sprachgut hat nachweisen lassen.
Allein auf den
ersten Einwand ist zu bemerken, daß solch alte Traditionen sehr
wohl in der Flut neuer Eindrücke, die aus China über Japan hereinbrachen und fast alles Ursprüngliche zerstörten, mit unter-
Abb. 2.
Shintotempel als Beispiel eines Pfahlbaues.
gegangen sein können.
And was den zweiten Punkt betrifft,
so stände der Fall, daß ein Volk seine ursprüngliche Sprache zugunsten einer andern gänzlich aufgibt, durchaus nicht vereinzelt da.
Man denke nur etwa an die Bulgaren, deren altes ural-
altaisches Idiom
schwunden ist.
8
vor
einer flämischen Sprache
spurlos ver
weiterer Zweig
Ein
Korea.
japanischen Volkes
des
kam
aus
Die Verwandtschaft des Japaners mit dem Koreaner
zeigt der graziöse, durch schlanken Wuchs und feine Gesichts
züge ausgezeichnete Typus an,
der sich namentlich bei den
Frauen der höheren Gesellschaft findet und sich nach Stratz'
geistvoller Hypothese wohl durch eine Art geschlechtlicher Zucht-
Abb. 3. Japanerin mit malaiischem Typus.
wähl behauptet hat. japanische
Abb. 4. Japanerin mit koreanischem Typus.
Auf koreanische Herkunft weist auch die
Sprache hin,
die
höchstwahrscheinlich
zum ural-
altaischen Sprachstamme gehört, sich nach den Untersuchungen
von Kanazawa unmittelbar mit dem Koreanischen berührt und weiterhin mit dem
Ungarischen und den übrigen finnischen
Sprachen verwandt zu sein scheint. Das letzte Drittel der alten Ansiedler endlich dürfte aus
Südchina gekommen sein, und von dort scheint auch die älteste, 9
sogenannte prähistorische Kultur
der Japaner zu
stammen,
historische Notizen über einen alten Verkehr mit Japan be sitzen wir freilich nur spärlich, vielleicht gehört hierher die Notiz
des chinesischen Geschichtswerkes Kuohyü, wonach die Königs familie von Wu, einem alten Feudalreiche in der Gegend des heutigen Shanghai, 475 v. Chr. nach Osten ausgewandert sein
soll.
Allzuhoch darf man sich die eingeführte Kultur wohl
auch nicht vorstellen; denn diese Gegenden waren selbst noch wenig zivilisiert und von der sich aus Nordchina ausbreitenden
chinesischen Kultur erst halb durchtränkt.
Daß sie aber alte
Beziehungen zu Japan gehabt haben müssen, ist aus Anlage und Ausstattung der japanischen „prähistorischen" Gräber zu
ersehen, die nach den Forschungen von Conrady ganz den alt
chinesischen entsprechen und u. a. Bronzeschwerter und Bronze
spiegel, sogar solche mit chinesischen Zeichen, enthalten.
Die
Bronze aber ist den Japanern erst aus China bekannt geworden, wenngleich sie deren Erfindung — ohne Berechtigung — zu
weilen für sich in Anspruch nehmen.
Für alten Handelsver
kehr sprechen auch die sogenannten Magatama, „gekrümmten
Edelsteine", seltsam geformte Gegenstände aus Nephrit, Glas und andern Stoffen, die in Japan nicht vorkommen oder damals noch nicht hergestellt werden konnten, also offenbar vom Fest lande her importiert sind.
Vielleicht waren es Tauschgegen
stände, vermittels derer chinesische Händler in Japan Tausch
geschäfte betrieben. Nähere Nachrichten über Japan bringen die chinesischen
und koreanischen Quellen erst vom dritten vorchristlichen Jahr
hundert an.
Kulturell muß Japan damals noch auf recht
tiefer Stufe gestanden haben.
Die chinesischen Berichte heben
namentlich hervor, daß die Japaner sich tätowierten und die
Zähne schwärzten — Gebräuche, die sich übrigens hier und da noch bis gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts erhielten —, 10
daß sie nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren,
das
Schwert, die spätere Nationalwaffe, aber noch nicht kannten —
ein Beweis mehr für dessen chinesische Lerkunft — u. dgl. m. Der wenig günstige Eindruck, den die Chinesen von den Japa
nern hatten, geht namentlich aus dem Namen hervor, den sie ihnen gaben.
Sie nannten sie wo, ein Wort, das etwa dem
englischen dwarf entspricht, also kleine Menschen von wenig
angenehmen
Eigenschaften
Japanische
bezeichnet.
Gelehrte
haben allerdings versucht, diesen Namen als eine Bezeichnung der Ainu oder als Verstümmlung eines alten Dynastennamens
hinzustellen,
allein
diese Erklärungen
scheitern
an dem be
stimmten Sinn, den die Chinesen noch in später Zeit damit verbunden haben. Ähnliche liebenswürdige Benennungen, wie
siau tuet, kleine Teufel u. dgl. führen die Japaner im chine sischen Volksmund übrigens
noch heute.
Anangenehm aus
gefallen ist den Chinesen auch bereits der durch das Gefühl
unangreifbarer Sicherheit hervorgerufene japanische National-
Kam es doch schon damals vor, daß ein japanischer
stolz.
Läuptling sich weigerte, eine Gesandschaft des Kaisers von China zu empfangen.
Im Südwesten von Japan hatte sich damals bereits eine Art Staatswesen
gebildet,
das Reich Idzumo,
das
einen
regelmäßigen, wenn auch wohl beschränkten Verkehr mit Korea
unterhielt.
wenig
Allerdings scheint sich dieser Verkehr zum Teil in
angenehmen Formen
abgespielt zu haben;
denn fast
alles, was die koreanischen Annalen von den Japanern zu berichten wissen, sind räuberische Überfälle auf die Küste
von Korea.
Indes wurden diese Angriffe sämtlich abgeschlagen.
An China haben
die Japaner sich nicht herangewagt, sie
zogen es vielmehr vor,
zu diesem mächtigen Nachbar —
und dann auch zu den koreanischen Reichen — in freund
schaftliche
Beziehungen zu treten und ihre eigene Stellung 11
durch Übernahme der so weit überlegenen chinesischen Kultur zu kräftigen.
Llm 400 n. Chr. beginnen die engeren Beziehungen Japans zu China.
Eines der ersten Kulturgüter, das die Japaner von
China empfingen, war die Schrift.
405 brachte ein koreanischer
Gelehrter, Wani, die chinesische Schrift nach Japan, und erst jetzt beginnen schriftliche Aufzeichnungen und damit die wirk
liche Geschichte Japans.
japanische
Gelehrte,
Zwar behaupten noch heute einzelne
Japan
habe schon vorher eine eigene
Silbenschrift besessen, von der sogar noch einige allerdings un
lesbare Inschriften „Götterschriften" genannt, existierten.
Allein
diese Behauptung ist unbegründet und entstammt wohl weniger wissenschaftlicher Überzeugung als nationaler Eitelkeit; sie steht
etwa auf gleicher Stufe wie die Ansicht gewisser europäischer Prähistoriker, nach der unser Alphabet beileibe nicht semitischer
Herkunft sein darf, sondern irgendwo in Portugal oder auf Kreta oder an einem andern möglichst ungeeigneten Orte ent
standen sein muß.
Diese alten Schriftzeichen sind vielmehr,
wie Kitasato gezeigt hat, Nachbildungen von Sanskritzeichen, müssen also jünger sein als die Einführung des Buddhismus
in Japan.
Überdies sind sie nicht originell, sondern haben an
der altkoreanischen Ridoschrift bereits einen Vorläufer gehabt. Die
offizielle japanische Auffassung läßt die Geschichte
des Landes freilich schon erheblich früher beginnen.
Sie fängt
mit der Erschaffung Japans an, auf die ein Götterzeitalter folgte, dem sich wiederum das menschliche Zeitalter anschließt;
beginnend mit dem 11. Februar 660 v. Chr., da der Enkel der Sonnengöttin, Kaiser Jimmu, den Thron von Jdzumo bestieg. Natürlich ist das alles Mythe und Legende, von den Kom
pilatoren des 8. Jahrhunderts zusammengefügt und mit reich
lichen Entlehnungen aus chinesischen Historikern als Geschichte
aufgeputzt. 12
Allein
obgleich
japanische
und europäische Ge-
schichtsforscher längst den sagenhaften Charakter des ganzen ersten Jahrtausends
der japanischen Geschichte nachgewiesen
haben, so hindert das doch nicht, daß all dies noch heute auf
den japanischen Schulen offiziell als Geschichte gelehrt wird. Selbst die neueste, von einem namhaften japanischen Listoriker in deutscher Sprache veröffentlichte Geschichte Japans beginnt
noch mit dem nur verschämt als sagenhaft bezeichneten histo rischen Moment, da der Gott Izanagi seinen Speer ins Meer
stieß und die japanischen Inseln an die Oberfläche zog.
Eine
kritischere Darstellung wäre wohl auch etwas gewagt gewesen. So kostete es seinerzeit den Listoriker Kume seine Stellung, daß er in der Abstammung des Kaiserhauses einige Unregel
mäßigkeiten aufgezeigt hatte.
Die Geschichte Japans beginnt also erst mit seinen Be ziehungen zu China, und seine Kulturgeschichte bleibt im wesent
lichen die Geschichte der chinefischen Einflüsse.
Wie primitiv
die alte Kultur Japans noch war, zeigt die Tatsache, daß sich
unter den ersten fremden Kulturbringern Frauen befanden, die
Weben und Nähen lehrten; also selbst diese ursprünglichen
Techniken waren noch unbekannt.
All die Gewerbe, die man
als japanisch zu betrachten gewohnt ist, sind erst damals und
in noch späterer Zeit nach Japan gekommen.
So wurde jetzt
der Seidenbau, später ein Laupterwerbszweig der Japaner, nach Japan verpflanzt, ebenso u. a. die Lackindustrie — zwar ist
von den Japanern hier und da der Anspruch erhoben worden, diese Technik selbst erfunden zu haben; allein diese Behauptung wird schon durch die Tatsache widerlegt, daß der Lackbaum in Japan überhaupt nicht wild wächst.
Noch umwälzender als in wirtschaftlicher Beziehung wirkte der chinesische Einfluß auf sozialem und politischem Gebiete.
Von den sozialen Einrichtungen des älteren Japan wissen wir sehr wenig, höchstens könnte man aus einzelnen Anzeichen, wie
13
aus dem Amstand, daß die höchste Gottheit des japanischen
Pantheon, die Sonnengöttin Amaterasu, weiblicher Natur ist, den Schluß ziehen, daß auch bei den Japanern, wie ja wohl
bei allen Völkern, einmal das Mutterrecht geltend war.
Zur
Zeit, da die japanische Geschichte beginnt, war es aber jeden
falls schon längst der patriarchalischen Ordnung gewichen.
Die
Grundlage der Gesellschaft bildete nunmehr die vaterrechtlich
organisierte Familie, deren Erweiterung das Aji, Geschlecht,
darstellte.
Die Festigkeit dieser Institutionen wurde nun durch
das Eindringen der chinesischen Familienideen noch verstärtt. In China, dessen alte Kultur ganz aus sich selbst heraus er
wachsen ist, dessen geschichtliche Entwicklung nie einschneidend unterbrochen wurde und dessen alte Traditionen noch heute un
geschwächt fortleben, hat sich das Familien- und Clanleben der Arzeit im wesentlichen bis heute behauptet. Während in Europa die Familie praktisch so gut wie aufgelöst ist, das einzelne In
dividuum für sich die soziale Einheit bildet und sich um die
Familie nur soweit kümmett, wie es seine eigenen Interessen erfordern, ist in China die Familie die soziale Grundlage und
das Individuum kann an seine persönlichen Interessen nur so weit denken, als sie mit denen der Familie vereinbar sind.
Die straffe
chinesische Familienorganisation
wurde nun auf
Japan übertragen, und mit ihr kamen auch die moralischen und religiösen Gedanken Chinas ins Volk.
Der Kernpunkt dieser
Vorstellungen ist die kindliche Pietät, welche die Familie zu
sammenhält.
And da nach der noch aus der primitiven Arzeit
überkommenen Seelenlehre die Eltern und Vorfahren geistig
weiterlebend und weiterwirkend gedacht werden, so muß ihnen pietätvolle Verehrung noch übers Grab hinaus erwiesen werden. So wird der Ahnenkult zum Band, das die Familie eint.
Diese Ideen verbanden sich in Japan mit der alten National religion, dem Shintoismus, der dieselben Züge trug wie die 14
Er bestand in der Ver
Religionen aller primitiven Völker.
ehrung der Natur- und Totengeister; von ethischen Ideen zeigen sich kaum Ansätze, die Morallehren kamen erst aus China dazu. Aber sie sind die Arsache geworden für die Entfaltung vieler
Züge, die sich dem japanischen Charakter ausgeprägt haben, und sind vor allem grundlegend gewesen für den festen Zu sammenhalt der Familie und ihrer höheren Einheit, der Nation,
und für die Anterordnung des einzelnen unter das Wohl der Gesamtheit, die in Japan in so hohem Maße erreicht worden
ist wie bei keiner andern Nation, nicht einmal bei China. Wie im sozialen, so bewirkte auch im politischen Leben die
Einwirkung Chinas eine gewaltige Amwälzung.
Altjapan war
ein Adelsstaat; es gab zwei Klaffen von Adligen, deren Macht wohl von der Größe ihres Grundbesitzes abhing.
Einen ge
wissen Vorrang besaß nur der später als Kaiser auftretende
Oberhäuptling von Vamato in Südjapan.
Woher diese Supre
matie ursprünglich rührte, ist unbekannt; vielleicht hing sie damit
zusammen, daß sein Territorium durch seine günstige Lage die nächsten Beziehungen zu China hatte und die fremden Errungen
schaften ihm zunächst zugute kamen.
Als der ständige Verkehr
mit China einsetzte, wurde er jedenfalls zuerst gehoben und machte seine Oberherrschaft über die andern Läuptlinge zuerst aus religiösem, dann auch auf wirtschaftlichem und politischem
Gebiete gellend.
Allmählich zwang er sie unter seine Bot
mäßigkeit und verwandelte die einst selbständigen Grundherren in bloße Lehnsfürsten.
Japan wurde zur Monarchie nach chi
nesischem Muster, zum Beamtenstaat.
Aber der demokratische
Grundzug des chinesischen Staates, der von jeher eine konstitutio
nelle, nach dem Willen des Volkes geleitete Monarchie war, fehlte vollständig.
Die japanische Regierungsform war ein Ab
solutismus von reinstem Wasser.
Alles, was demokratischen
Anhauch hatte, wurde ängstlich vermieden.
Waren doch die 15
Schriften MengHes, eines der größten chinesischen Philosophen
und Staatslehrer, bis in die jüngste Zeit hinein verfehmt, weil sie die Lehre enthalten, das Volk sei das vornehmste, der Fürst
hingegen das geringfügigste Element des Staates, und die Ab
setzung eines unfähigen Herrschers empfehlen.
Auf die Dauer
konnte sich die Monarchie fteilich doch nicht unumschränkt be haupten; wenn auch nicht das Volk, so kam doch der alte Adel gar bald wieder in die Löhe. Vorläufig aber behauptete sich das Kaisertum, und ge
stärkt wurde seine Macht noch durch den Buddhismus, der, 552 über Korea eingeführt und 587 mit Gewalt zur An
erkennung gebracht, sich als eine universelle Religion über die alten Geschlechts- und Stammeskulte ausbreitete und so die
gegebene Stütze des Kaiserhauses wurde.
Die Pracht seines
Kultus und seine tröstlichen und erhabenen Lehren, nicht minder
auch die Flut von Aberglauben und religiöser Mystik, die er
aus China mitbrachte, haben den Buddhismus rasch in allen Gesellschastsschichten heimisch werden lassen.
Freilich hat er
sich wie in China dem Volkscharakter angepaßt; seine pessi mistische Grundstimmung vermochte wohl in der degenerierenden
Atmosphäre Indiens zu gedeihen, nicht aber in der gesunden Lust Ostasiens.
Im wesentlichen hat.sie hier nur in der Lite
ratur einen Niederschlag gefunden und den heiteren Charakter deS Volkes wenig beeinflußt.
Mit dem Buddhismus, und zunächst ganz vorwiegend im Dienste der Religion, kamen Kunst und Kunstgewerbe nach
Japan.
In vorchinesischer Zeit war die bildende Kunst noch
kaum über die ersten Anfänge hinausgelangt, wie das Fehlen der Götterbilder im Shinto zeigt.
Alle höhere Kunstbetätigung
stammt aus China, hat aber in Japan durchweg eine glückliche
und verständnisvolle Aufnahme gefunden.
Eine selbständige
Weiterentwicklung hat allerdings nur in seltenen Fällen statt16
gefunden, auch die Anstöße zur Weiterbildung sind in der Regel
von China
her erfolgt.
Technisch entfalten die japanischen
Künstler, trotz mancher primitiv anmutenden Eigentümlichkeit, ein bewundernswertes Können, und die Erzeugnisse der Malerei und Plastik zeichnen sich
häufig vor den chinesischen durch
In den mehr kunstgewerblichen
Leichtigkeit und Eleganz aus.
Zweigen dagegen,
in den feineren Arbeiten aus Ton und
Porzellan, Bronze und Cloisonne, Äolz und Elfenbein stehen
die japanischen Erzeugnisse allerdings meist hinter den chinesischen zurück.
Nur auf dem Gebiet der Lacktechnik hat der Japaner
seinen Lehrmeister übertroffen, und der prächtige Goldlack ge hört zu den wenigen Erfindungen, die im Lande selbst gemacht
worden sind. Die ganze materielle Kultur Japans ist überhaupt eigentlich erst in dieser Zeit geschaffen oder vielmehr eingeführt worden.
Das japanische Äaus, in seiner Grundlage vielleicht auf den
malaiischen Pfahlbau zurückführend, entspricht in seiner Aus
stattung völlig dem altchinesischen, wie der japanische Palast Die japa
aus dem buddhistischen Tempel hervorgegangen ist.
nische Nationaltracht in ihrer hübschen und geschmackvollen Zu sammenstellung ist nur eine Nachahmung der chinesischen Lof-
tracht der Tangzeit.
gerichte aus China
Die japanische Küche hat ihre Haupt
wenngleich der Japaner wohl
entlehnt,
in keinem Punkte soweit hinter dem Chinesen zurückgeblieben
ist wie in der
der
Gastronomie.
Japaner sind
sämtlich
Musik,
aus China
Tänze
und
entlehnt;
Spiele
selbst die
nationale Fechtkunst Iiu Zitsu ist nichts als ein altes Kampf spiel der Provinz Shantung.
Ja sogar eine anscheinend ganz
moderne japanische Erfindung wie die Riksha geht möglicher weise auf ein uraltes chinesisches Vorbild zurück, von dem
das chinesische Geschichtswerk Tsochuan schon ums Jahr 700 v. Chr. berichtet. (Erstes, Japan und die Japaner.
2
Auf geistigem Gebiete ist Japan ebensosehr Chinas Schüler
geworden wie auf materiellem.
Erwähnt wurde schon, wie sehr
die sozialen und ethischen Ideen Chinas auch Japan in ihren Bann schlugen.
Auch die Literatur steht ganz und gar im
Zeichen des Chinesentums. Namentlich die Lyrik, von der manch schöne Perle durch die eleganten Übertragungen von
Florenz auch in Deutschland bekannt geworden ist, bewegt sich in
Inhalt und Form in chinesischen Bahnen; es ist dieselbe Natur schwärmerei, Gleichnisse.
dieselbe Sentimentalität,
dieselben Bilder und
Auch die Geschichtsschreibung folgt dem Beispiel
der chinesischen Historiker, deren unbedingte Treue und Zuver lässigkeit sie freilich nicht kopieren konnte.
Einen großen Auf
schwung nahm die Literatur durch die Verbreitung des in China
bereits im 5. Jahrhundert erfundenen Druckes; 764 wurde der
erste Druck, ein buddhistisches Gebet, gleich in angeblich einer Million Exemplaren hergestellt.
Natürlich macht sich der chi
nesische Einfluß auch in der Sprache stark bemerkbar; ist doch an die Hälfte des japanischen Wortschatzes chinesisches Sprachgut; und die geistige Abhängigkeit Japans von China zeigt sich be sonders deutlich darin, daß das Japanische sogar seine eigenen
Zahlwörter zugunsten der chinesischen aufgegeben hat.
Viele Charaktereigenschaften, die manchmal als Natur anlage der Japaner bezeichnet werden, haben sich wohl erst damals entwickelt. So das Naturgefühl und der Kunstsinn des Japaners, dessen Äußerungen sich heute wie einst ganz in
den Bahnen chinesischer Gedanken bewegen.
Auch die sprich
wörtliche japanische Höflichkeit ist eine erst unter chinesischem
Einfluß erwachsene Tugend.
Aber wie in China hat die künst
lerische und gesellschaftliche Kultur alle Schichten der Bevölke rung durchdrungen und ist in einem Maße Gemeingut der
ganzen Nation geworden, wie es bei keinem europäischen Volke, die Italiener vielleicht ausgenommen, der Fall ist. 18
Der Einfluß Chinas dauerte ungeschwächt bis gegen Ende
des 9. Jahrhunderts an.
Am diese Zeit aber führten Chinas
innere Zustände zu Anruhen, die den Thron der Tangdynastie (617—907) erschütterten und endlich ihren Sturz herbeiführten. Vielleicht weil man von diesem schlechten Beispiel auch für
Japan üble Wirkungen befürchtete, wurden 895 die Beziehungen zu China plötzlich abgebrochen, mit der Erklärung, daß man
von China nur noch Schlechtes lernen könne.
Aber dieser un
dankbare Akt konnte den Verfall der Kaisermacht in Japan
nicht aufhalten.
Wirtschaftlich geschwächt wurde das Kaiser
tum zunächst durch den von ihm selbst herangezogenen Buddhis mus, dessen geistliche Vertreter sich immer mehr als Parasiten
zeigten, deren Ansprüche den kaiserlichen Schatz durch unmäßige
Aufwendungen für Tempel und Klöster leerten.
Schädigung
Eine weitere
der wirtschaftlichen und zugleich der politischen
Macht des Kaisers ging von den Hofdamen aus, die meist
Töchter der großen Adelsgeschlechter waren und so einerseits dem Kaiserhause stetig gewaltige Schätze entzogen und ihren Familien zuführten, anderseits ihren Angehörigen zu politischem Einfluß verhalfen.
Wie so die Macht des Kaisers sank und
sich mehr und mehr auf eine bloß sakrale Repräsentations
stellung beschränkte, so stiegen Macht und Reichtum der Feudal
herren.
Der kaiserliche Hof verarmte allmählich; es kam in
späteren Zeiten vor, daß ein Kaiser nicht bestattet werden konnte, weil die Mittel zu seiner Beisetzung fehlten; ein anderer Lerrscher sah sich sogar gezwungen, für Geld Gedichte zu schreiben.
Die großen Adelsherren, die Daimyo, wurden die eigentlichen Herrscher des Landes, aus ihren bewaffneten Gefolgsleuten
entwickelte sich ein erblicher Kriegerstand, die Ritter, Samurai. Das Reich zerfiel in kleine Landesherrschaften, zwischen denen
sich bald Verwicklungen aller Art ergaben.
Blutige Kämpfe
zwischen den Adelsparteien, von denen bald die eine, bald die 19
andere die Suprematie erlangte, erfüllen das japanische Mittel alter- Schon den ersten fremden Forschern ist die Ähnlichkeit
der japanischen Zustände dieser Zeit mit denen des europäischen Mittelalters aufgefallen, und in der Tat ist auch die Geistes
richtung dieser Periode mit jener der europäischen Nitterzeit in
etwa zu
vergleichen.
Abb. 5.
Die
vielgefeierten
Charakterzüge
der
Schloß eines mittelalterlichen Feudalherrn.
(Griginalbild im Besitz des Museums für Völkerkunde zu Leipzig.)
Ritterlichkeit und Treue, worunter freilich bloß die Treue gegen
den Lehnsherrn zu verstehen ist, sind erst in jenen wilden Zeiten
zur Ausbildung gelangt.
Die Lehnstreue findet ihren höchsten
Ausdruck darin, daß der Samurai seinem verstorbenen Äerrn
durch freiwilligen Tod ins Jenseits folgt, indem er sich — übrigens nach altchinesischer Sitte — den Leib aufschlitzt; das
von europäischen Schriftstellern gewöhnlich mit dem vulgären Namen Äarakiri
benannte Seppuku.
Auch
die japanische
Tapferkeit und Todesverachtung haben sich erst im Mittelalter
20
entwickelt; daneben freilich auch Tücke und Grausamkeit, die
man wohl eher der geschichtlichen Entwicklung als dem malai
ischen Blute des Japaners zuschreiben darf.
Wenn Japans Kultur unter den jahrhundertelangen inneren Wirren nicht mehr gelitten hat, so ist das wohl hauptsächlich
wieder den chinesischen Einflüssen zu danken, die auch durch den Abbruch der offiziellen Beziehung nicht gänzlich unter
bunden wurden.
Neue Strömungen in Kunst und Literatur,
besonders das Aufkommen einer eigenen Dramatik nach deut
lichem Muster des chinesischen Theaters, verraten die fort gesetzte Einwirkung des chinesischen Geistes. hundert
wurden
geknüpft,
Seit dem 12. Jahr
wieder direkte Beziehungen zu China an
das unter der Sungdynastie wieder eine Periode
hoher kultureller Entwicklung
erlebte.
Im 13. Jahrhundert
aber erfuhr das freundliche Verhältnis durch die von Japan aus betriebene Seeräuberei eine Störung.
herrschenden Piratenflotten heim.
Anarchie
begünstigt,
Von der in Japan
organisierten
sich
ganze
und suchten die Küsten Chinas und Koreas
Der Mongolenkaiser
Kublai Khan,
der nach
dem
Sturze der Sung ganz China dem mongolischen Weltreiche einverleibt hatte, unternahm mehrere Versuche, durch gütliche
Vorstellungen bei der jeweiligen japanischen Negierung Abhilfe zu schaffen; erst als seine Gesandtschaften abgewiesen und die
Teilnehmer der letzten gar mißhandelt und hingerichtet wurden,
rüstete er eine große Strafexpedition zur Unterwerfung Japans aus.
Das Unternehmen mißlang gänzlich; die Flotte wurde
durch einen Taifun vernichtet.
Die Japaner sind indes auf
dieses Ereignis nicht weniger stolz als die Engländer auf den Untergang der spanischen Armada, ja sie haben es sogar noch einmal ins graue Altertum zurückverlegt.
Es ist nämlich über
liefert, daß der chinesische Kaiser Shihuangti Ende des 3. Jahr hunderts v. Chr. eine Expedition gen Osten sandte, um die
21
sagenhaften
Inseln
der
Seligen
aufzusuchen.
Die Flotille
kehrte unverrichteter Dinge zurück und berichtete, die Inseln
zwar von ferne gesehen zu haben, aber durch widrige Winde an
dev Landung
Berichte
hat
verhindert worden zu
die japanische
sein.
Geschichtsschreibung
Aus diesem nun einen
Kriegszug gegen Japan gemacht, der durch die Ungunst des
Himmels gescheitert sei, und zum besseren Beweise zeigt man
in Nagasaki gar noch das Grab des chinesischen Admirals!
Im 16. Jahrhundert war Japan durch die inneren Wirren endlich so zerrüttet und erschöpft, daß es schließlich einem der mächtigsten Adelshäupter, Jyeyasu aus der Familie Tokugawa,
gelang, 1600 seine Rivalen niederzuwerfen und die Zentral gewalt in seiner Person zu vereinen.
Im Namen und nomi
nellen Auftrag des Kaisers, dessen geheiligte und unantastbare Person jetzt weniger denn je eine.Rolle spielte, regierte er das neugeeinte Reich und schuf die Grundlage eines Regierungs
systems, das sich über zwei und ein halbes Jahrhundert be hauptet hat.
Das Fundament dieses Systems aber war die
Absperrung des Landes gegen den auswärtigen Verkehr, die sich eben jetzt als notwendig herausstellte.
Ins 16. Jahrhundert nämlich fallen Japans erste Berüh rungen mit Europa.
Portugiesen,
Seit 1542
kamen
fremde Seefahrer,
Spanier, Holländer nach Japan
Handelsbeziehungen anzuknüpfen.
und
suchten
In ihrem Gefolge erschienen
die Jesuiten, als deren erster der heilige Franziskus Taverius
selbst auftrat, und andere Orden und propagierten mit Eifer und teilweise mit ziemlichem Erfolge das Christentum.
Aber die
üblen Folgen der christlichen Propaganda führten bald zur
Störung
des
anfangs
freundlichen
Japan und dem Auslande.
Verhältnisses
zwischen
Die Ausschreitungen der Christen,
die sich den Gemeindesteuern entzogen, Shinto, Buddhismus
und Ahnenkult, die Grundlagen von Staat und Gesellschaft, 22
bekämpften und sich
gegen ihre Mitbürger Anduldsamkeiten
aller Art zuschulden kommen ließen, führten bald Bekämpfung und endlich völliges Verbot des Christentums herbei.
Da trotz
wiederholter Verbote immer wieder Missionare heimlich nach
Japan gelangten und die wohl nicht ganz unbegründete Be fürchtung bestand, daß den Missionaren wie anderswo einmal die
spanischen Truppen nachfolgen könnten, so erfolgte 1639 das
Abb. 6.
Die Gräber der Tokugawa-Shogune im Shibapark zu Tokyo.
gänzliche Verbot des auswärtigen Verkehrs.
Nur die Chinesen,
ohne die man doch nicht ganz auszukommen wußte, und die
Holländer, durch die man die Produkte der übrigen Welt
weiter bezog, durften unter sehr erschwerenden Bedingungen weiter Landet treiben.
Das Christentum wurde fast gänzlich
ausgerottet; die Berührung mit Europa blieb nur eine Episode ohne wesentlich nachhaltige Wirkungen.
Das Shogunat, seit 1600 fest begründet, baute sein wirt schaftliches und politisches System auf der Abschließung des
Landes auf.
Die alte Form des Lehnsstaates blieb zwar 23
bestehen; aber sie wurde jetzt straff zentralisiert.
Der Shogun
stützte seine politische Macht auf einen riesigen Grundbesitz, der
ein Drittel des Landes umfaßt haben soll.
Der Kaiser, formell
mit allen Ehren umkleidet, war eine rein repräsentative Figur, die zu Kyoto in vollkommener Abgeschlossenheit residierte und
durch
den
wurde.
Shogun in allen Regierungsgeschäften vertreten
Die Daimyo waren ganz von der Shogunatsregierung
abhängig, die sie bis ins kleinste kontrollierte und von selb ständigen Landesherren fast zu bloßen Beamten herabdrückte.
Die Ritterklaffe der Gefolgsleute lebte ganz in Abhängigkeit von ihren Herren und meist in sehr bescheidenen Verhältnissen. Anter dem Adel standen nach chinesischem Vorbild die drei Klaffen des Volkes; die oberste die der Bauern, die in Japan
wie in China allezeit das Grundelement des Staates gebildet
nächste
die
der
Landwerker
der Kaufleute,
die
bei
der
haben; die
die
und
die
unterste
staatlichen Regelung
von
Produktion und Absatz, bei dem Äberwiegen der Natural wirtschaft
dem
und
Fehlen
eines
überseeischen
Handels
von selbst zu einer untergeordneten Rolle verurteilt waren. Was
freilich
demokratischen
in
China
Grundzug
mehr
theoretisch
des Volkes
stark
und
durch
gemildert
den
war,
das bildete sich im aristokratischen Japan zu einem wirklichen
Ständewesen aus, wie denn auch die Geburtsaristokratie ein fremdes Element darstellte gegenüber China, das seit zwei tausend Jahren keinen Erbadel, sondern nur eine Aristokratie des Geistes mehr kennt.
Aber diese ganze Staatsform, durch
ein sinnreiches System von Kontrollen ergänzt und durchgeführt, trug
doch in sich schon den Keim der Erstarrung und des
Unterganges. Die natürliche Entwicklung der Nation ließ sich auf die Dauer nicht künstlich auf einer bestimmten Stufe festhalten. Mißbräuche aller Art schlichen
24
sich
ein und unterminierten
langsam das kunstvolle Gebäude der Staatsverfassung; eine schlechte Finanzverwaltung trug zu seiner Erschütterung wesent lich bei; und während die Tokugawa und andere große Adels
ihren Reichtum
familien Masse
des Adels
sinnlos
allmählich
verschwendeten, geriet die
in
drückende Armut.
Auf
geistigem Gebiete zeigte sich die Anzufriedenheit mit der be stehenden Regierung in bedenklicher Weise in der neuentstehenden
historisch-politischen Literatur.
In der Zeit der Bürgerkriege war die Wissenschaft in Japan arg verfallen.
Nun, da Friede war, lebte sie wieder
auf und erhielt einen mächtigen Anstoß durch die neueindringende
chinesische Wissenschaft. Besonders chinesische Gelehrte, die nach der Eroberung Chinas durch die Mandschu (1644) nach Japan geflüchtet
Lebens.
waren,
inaugurierten
eine
neue Epoche geistigen
Die Arbeiten und Gedanken der neueren chinesischen
Philosophen drangen ein; besonders der in China selbst wenig
beachtete Wang Bangming (1472—1528) hat in Japan eine
große Gemeinde gefunden.
Auch die philologische und historische
Arbeit begann in großem Maßstabe.
Seit Ende des 17. Jahr
hunderts nun erstand eine mehr nationalen Charakter tragende
Schule, die sich gegen die Vertreter der Sinologie wandte und auf die eigenen Traditionen, auf die alte Geschichte und die
Shintolehre zurückgriff.
And sie brachte wieder die alte Lehre
hoch, daß der Kaiser der einzige rechtmäßige Kerrscher Japans sei, und zog im Einklang mit der allgemeinen Stimmung daraus die Schlußfolgerung, daß die Regierung des Shoguns mithin
eine ungesetzliche Tyrannei darstelle.
Schon der Philologe
Motoori bekämpfte Ende des 18. Jahrhunderts die Regierung,
und sein Schüler Lirata trat so offen gegen den Shogun auf, daß er 1841 aus der Hauptstadt verbannt wurde.
Aber das
Ansehen des Shogunats hatte einen unheilbaren Stoß erhalten,
und seine Macht konnte nicht mehr von langer Dauer sein. 25
Der Anstoß, der die alte Verfassung zu Fall bringen
sollte, kam von außen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts kam Japan wieder mit fremden Völkern in Berührung, und zwar
zuerst mit seinen Nachbam auf dem asiatischen Festland, den Russen.
Im Jahre 1805 kam der russische Admiral Krusen-
stern auf seiner Weltumseglung in die japanischen Gewässer, und der ihn begleitende Diplomat Rjesanow gab sich alle Mühe,
Handelsbeziehungen
mit Japan
Die
anzuknüpfen.
Aus Wut
japanische Regierung blieb indes unzugänglich.
über das Scheitern seiner Mission ließ der Russe seine Schiffs mannschaft einen Überfall auf die nächsten Küstendörfer unter
nehmen.
Sie wurden indes zurückgeschlagen, und auch eine
zweite russische Expedition, die Admiral Golownin 1811 unter
nahm, scheiterte vollständig.
Den Japanern aber wurde die
Gefährlichkeit der russischen Macht
allmählich klar.
Schon
damals verkündete der Kanzler Matsudaira Sadanobu, Japan
werde einmal mit Rußland um die Lerrschaft im Osten zu
kämpfen haben, und ermahnte die Regierung zu rechtzeitigen Rüstungen.
Ja man dachte sogar an einen Rachezug gegen
die sibirische Küste, doch war die Zeit für solche Pläne noch
nicht gekommen. Qualitäten
der
Daß die
Russen
Japaner von den militärischen
keinen
allzugünstigen
Eindruck
be
kommen hatten, zeigt ein Vorschlag, der der Regierung ge macht wurde: man möge die auszusendenden Schiffe nicht mit Soldaten, sondem mit verurteilten Verbrechern bemannen, da
die Russen ein reguläres Aufgebot nicht wert seien!
Die Erschließung Japans geschah nicht von Europa, son dern von Amerika aus.
Durch bexi Opiumkrieg war China be
reits 1842 dem fremden Lande! erschlossen worden, und Japan lag nun an der Welthandelsstraße zwischen China und Amerika. Das Interesse der Amerikaner richtete sich bald auf das viel
versprechende Land, und 1853 erschien der Commodore Perry 26
mit bewaffneter Macht an der japanischen Küste und verlangte den Abschluß eines japanisch-amerikanischen Handelsvertrages.
Das Shogunat, ohne eine modern ausgerüstete Armee und
Flotte, in außerordentlich schwankender und unsicherer Stellung,
war hilflos und mußte den amerikanischen Forderungen nach Mit diesem Vertrag, dem bald auch solche mit euro
geben.
päischen Mächten folgten, war Japan in den Weltverkehr ein getreten.
Aber im Lande selbst zog die Einwirkung des fremden
Handels zunächst eine heillose Verwirrung
allgemeines
nach sich.
Ein
Emporschnellen der Preise war die Folge der
fremden Nachfrage; das nur künstlich erhaltene Finanzsystem brach mit der Öffnung des Landes zusammen und eine all
gemeine Geldnot war die Folge.
Dazu kam die Erbitterung
über die politische Demütigung und über das oft brutale und anmaßende Auftreten der — meist englischen — Fremden, gegen
die das Shogunat in seiner militärischen Ohnmacht nicht auf zutreten wagte.
Nun reifte die Saat Motooris und Liratas.
Der größte Teil des Adels lehnte sich gegen die unfähige
Regierung auf und scharte sich um den Kaiser.
Zu Anfang
des Jahres 1868 bemächtigten sich die entschlossensten Führer
durch
einen Staatsstreich
des eben zum Throne gelangten
fünfzehnjährigen Kaisers Mutsuhito und erließen ein kaiserliches Edikt, welches das Shogunat abschaffte. nach
Der Shogun dankte
kurzem Widerstande ab, die Anhänger der Tokugawa
wurden überall geschlagen, und der Kaiser vereinigte nach sieben hundertjährigem Schattendasein wieder die Regierungsgewalt
in seiner Person. Die Mitglieder der neuen Regierung hatten in den ver-
siossenen 15 Jahren genügend Gelegenheit gehabt, die Schwäche Japans gegenüber fremden Ländern kennen zu lernen. erkannten sehr wohl,
wendigkeit
war,
seine
Sie
daß es für Japan dringendste Not technische
und
besonders militärische 27
die
Staats-
und
Finanzverwaltung forderte eine vollständige Umgestaltung.
Aus
Zurückgebliebenheit
auszugleichen.
Auch
sich selbst konnte Japan diese Riesenarbeit natürlich nicht leisten,
und so schritt man zur Berufung zahlreicher fremder Lehrer,
die die Errungenschaften europäischer Technik und Wissenschaft nach Japan verpflanzen sollten.
Vor allem war es Deutschland,
als das wissenschaftlich fottgeschrittenste Land Europas, das als Lehrmeister Japans auftrat.
Deutsche Offiziere bildeten
das japanische Leer aus, deutsche Ingenieure bauten Eisen bahnen und Telegraphen, und die besten deutschen Gelehrten unterrichteten an den neugegründeten Lochschulen und trugen
anderseits das Beste zum Aufbau der in Europa noch kaum
in den ersten Anfängen steckenden Iapanforschung bei.
Ernst
licher Widerstand gegen die neuen Reformen erhob sich kaum. Der Samuraistand, jahrhundertelang an unbedingten Gehorsam
gewöhnt, folgte der Regierung ohne Bedenken, und das Volk,
dem dieser Gehorsam ebenso selbstverständlich war, folgte nach. Dazu darf man die Tragweite dieser Reformen nicht gar zu sehr überschätzen.
Man hat oft beliebt, von einer „Europäi
sierung" Japans zu sprechen und diese gar in Parallele mit
der Sinisierung der Japaner im 5. Jahrhundert zu setzen. davon kann doch wohl keine Rede sein.
Allein
Als die Japaner mit
China in Verkehr traten, waren sie noch ein unzivilisiettes Volk,
dem alles, was Kultur bedeutete, erst gebracht werden mußte,
und das mit den Formen der chinesischen Kultur auch ihren Geist einatmete.
Als aber die europäischen Einflüsse begannen,
war Japan seit vielen Jahrhunderten bereits im Besitze einer hohen, allen Bedürfnissen des Volkes angepaßten Kultur, die,
von ihrer technischen Rückständigkeit abgesehen, der europäischen Kultur keineswegs nachstand, ja ihr in einzelnen Punkten, wie
der künstlerischen und gesellschaftlichen Durchbildung des ganzen Volkes, eher überlegen war.
28
Japan konnte also mit Erfolg
nur übernehmen, was ihm selbst fehlte; vor allem diejenigen technischen Fortschritte, deren es zum erfolgreichen Kampf mit der von allen Seiten eindringenden Konkurrenz und zur Be hauptung und Kräftigung seiner Weltstellung bedurfte.
Lind
darauf hat sich die japanische Reformarbeit denn auch im wesentlichen beschränkt, wenn auch im Anfang viele Über treibungen und Mißgriffe vorkamen.
Man darf eben niemals
das alte Grundgesetz der Völkerkunde vergessen, daß Entlehnung nie etwas anderes darstellt als beschleunigte Entwicklung, und daß ein Volk auf die Dauer nur das entlehnen kann, was
im Zuge seiner eigenen Entwicklung liegt.
Zu solchen Mißgriffen, die nach kürzerer oder längerer
Zeit wieder verschwanden, gehörte z. B. die Einführung euro
päischer Kleidung, die in den achtziger und neunziger Jahren
des verflossenen Jahrhunderts versucht wurde.
Leute ist die
abendländische Tracht aus dem Bilde der japanischen Städte so gut wie verschwunden.
Nicht nur, weil sie den ästhetischen
Sinn des Japaners beleidigte und für das Klima Japans
unzuträglich ist, sondern ihre Annahme würde auch eine un
übersehbare Anzahl anderer Veränderungen nach sich ziehen, die
geradezu einer völligen Llmwälzung des täglichen Lebens gleich kämen.
Denn die europäische Kleidung gestattet nicht, wie die
japanische, das Kauern auf dem Boden, ebensowenig gewährt sie wie die japanische, bei der man einfach beliebig viel Kleidungs stücke übereinanderziehen oder weglassen kann,
ausreichenden
Schuh gegen Litze und Kälte. Sie würde also die Einführung von Möbeln und Leizvorrichtungen und damit eine Änderung der ganzen Bauweise herbeiführen.
Welch ungeheuere Kosten
aber würde das Aufgeben der bisherigen sparsamen Lebensweise verursachen, und dies noch dazu in diesem armen Lande, dessen Armut sich mit der zunehmenden Übervölkerung und
dem Andringen der fremden Konkurrenz immer weiter vermehrt! 29
Ein anderer verfehlter Vorschlag,
allerdings
dessen Durchführung
nie in Angriff genommen wurde,
war die Ein
führung des lateinischen Alphabetes für die japanische Sprache. Nun ist das lateinische Alphabet bei seiner Zeichenarmut schon
für die meisten europäischen Sprachen ganz ungeeignet; bei den ostasiatischen Sprachen aber versagt es vollkommen.
Lind
der groteske Gedanke, die Japaner sollten ihre Sprache zu gunsten des Englischen
genommen worden.
aufgeben,
ist doch
wohl nie
ernst
Das chinesische Schriftzeichensystem, das
sich siegreich über alle Anfechtungen behauptet hat, ist nicht nur von einer Schönheit und Anschaulichkeit, die einer Buch staben- oder Silbenschrift völlig abgehen, sondern ist auch, ein
mal gelernt — und seine Erlernung bietet, zumal für Kinder, gar keine besonderen Schwierigkeiten —, praktischer und ein facher als jene.
Dazu bietet es den unschätzbaren Vorteil,
daß sich die Japaner mit Chinesen, Koreanern unb' Annamiten
— also über 400 Millionen anderssprachiger Völker — ohne
weiteres
schriftlich
verständigen
Sind die kommer
können.
ziellen Erfolge Japans in China doch nicht zum geringsten Teile darauf zurückzuführen, daß die gemeinsame Schrift eine
glatte Verständigung
auch
ohne Kenntnis
der Sprache er
möglicht; während der Europäer leider meist zu bequem ist,
sich
die
chinesische Schrift anzueignen.
Selbst die geistige
Kultur Japans würde unter dem Aufgeben der alten Schrift schwer leiden.
Denn Japan lebt noch immer in geistiger Ab
hängigkeit von China.
Mehr als je hat das Japanische in
den letzten Jahrzehnten chinesische Fremdwörter zur Benennung all der neuen Errungenschaften
entlehnen
müssen; und die
Lehren der chinesischen Philosophie bewähren sich heute wie
einst als festestes Bollwerk gegen zersetzende ausländische Ideen. Ebenso ergebnislos verliefen die Bemühungen, den Japa
nern neue religiöse und ethische Ideale bringen zu wollen. Mit 30
den Vertretern europäischer Kultur erschienen auch die Send boten des Christentums wieder in Japan; aber ihr Wirken
blieb säst ohne Erfolg und ohne Bedeutung.
Der Grund
hierfür lag nicht nur darin, daß in Europa selbst die Religion
als geistige Macht zurückgegangen war, und daß das Ein dringen europäischer Wissenschaft dem Christentum nicht günstig
war, sondern im Gegenteil dem Buddhismus zu einer neuen Blüte mit verhalf.
Sondern es war vor allem der Wider
spruch, in dem die fremde Religion mit dem Ahnenkult, der
Grundlage
des
ließ.
ethischen
Grundvorstellungen
das
stand,
der sie
Ihre Annahme würde das Aufgeben dieser
scheitern
moralisches
Lebens,
ganzen nationalen
Chaos
Christentum
bedeuten.
mit seinen
und
ein
soziales
und
abgesehen davon,
daß
damit
Ganz
auf das
Jenseits
orientierten
Gedanken dem ganz im Diesseits wurzelnden Ostasiaten nichts
bieten kann. So kann man von einer Aufgabe des nationalen Lebens
in Japan in keiner Weise sprechen.
Ist doch auch die wirt
schaftliche Grundlage des Staates, die Landwirtschaft, dieselbe
geblieben, und der Bauer nach wie vor das Grundelement der Bevölkerung.
Selbst die japanische Industrie, auf deren Empor
kommen die Japaner besonders stolz sind, ist im Grunde doch
nur eine alte Sache, die mit verbesserten Mitteln und zu weit ausgedehnteren Zwecken betrieben wird.
Man könnte wohl die
Kultur des heutigen Japan als eine Ergänzung, Vollendung der altjapanischen Kultur bezeichnen,
aber nicht als etwas
ganz Neues, unvermittelt Linzugekommenes. And wie das Leben, so ist auch das Denken des Japaners
und damit der Nationalcharakter im ganzen derselbe geblieben. Wohl sind auch hier viele neue Ideen dazugekommen; aber sie
haben das Alte nicht zu verdrängen noch zu erschüttem ver
mocht.
Anverändert fest ist das Gefüge der Familie geblieben, 3L
jener Institution,
um
die sich von jeher alles Denken und
Wirken des Japaners dreht.
Wie wir oben sahen, ist diese
feste Familienorganisation die Arsache für das von dem unsern so völlig verschiedene soziale Empfinden des Japaners; er fühlt
sich
als Teil seiner Familie,
denkt also kollektivistisch,
wir
fühlen uns als selbstständige Einzelwesen, denken also indivi
dualistisch.
Natürlich ist das kein „angeborener Charakterzug
der Rasse", sondern, wie oben gezeigt, mit seinen Arsachen aus China gekommen und im Geiste der eigenen Entwicklung aus
gebildet. Aus
dieser „Anpersönlichkeit"
erklären sich viele Eigen
tümlichkeiten — von unserm Standpunkt — des ostasiatischen
Denkens?
So
die
eigentümliche Stellung der Frau.
Die
Ehe dient nicht, wie bei uns, persönlicher Liebhaberei, sondern den Zwecken der Familie.
Daher ist sie auch Familiensache
und nicht persönliche Angelegenheit.
durch Familienbeschluß zusammen.
Die Paare kommen bloß
Wenn man nun aber dar
aus gefolgert hat, dem Japaner sei Liebe und Eheglück un
bekannt, so ist das eben ein Schluß, bei dem wir unser eigenes Empfinden zugrunde legen, der aber durch eigene Äußerungen
der Japaner keineswegs bestätigt wird.
And in Sachen ihres
Innenlebens sind diese schließlich die allein maßgebenden Au toritäten, und der europäische Forscher muß sich hier streng an
die einheimischen Quellen halten, will er nicht Gefahr laufen,
eigene Gedanken hineinzutragen und das Bild zu verschieben. Der Japaner
nun
kennt
in
diesem Punkt
von jeher freie
Willensbestimmung noch weniger denn anderswo und scheint 1 Vgl. zu diesen Verhältnissen die meisterhafte Darstellung, die Lafcadio Learn in seinen auch in Deutschland bestens bekannten Werken, besonders in seinem Aufsatz über „das Ewigweibliche" gegeben hat. Auch Percival Lowells geistreiches Buch „Die Seele des fernen Ostens" ist daneben zu nennen, wenn auch sein Wert durch die Unkenntnis des Verfassers in geschichtlichen Dingen leider stark vermindert wird.
32
es sich auch nicht anders vorstellen zu können.
Daher erscheint
ihm auch in Europa nichts so unmoralisch wie der freie Ver kehr der Geschlechter und die ihn verherrlichende Literatur. Man täte indes sehr unrecht, wollte man den Japanern das
Gefühl für Liebe absprechen. daß
Ihre ganze Literatur beweist,
sie für Frauenreiz und Frauenliebe nicht weniger emp
fänglich sind als wir, und die Art und Weise ihrer erotischen Darstellungen zeigt, daß sie unsere Literatur nicht etwa aus
Ansittlich erscheint dem Japaner nur die
Prüderie ablehnen.
Verquickung von Liebe und Ehe, also die Anterordnung einer
dem Familienintereffe dienenden Institution sönliche Liebhaberei.
unter eine per
Da somit die Frau im Leben des Ost
asiaten nicht jene universelle, alles andere verdrängende Stellung
einnimmt wie bei uns,
Lebensanschauung
so ist auch seine ganze Welt- und
anders.
Der Europäer ist,
wie
es
der
singhalesische Philosoph Lionel de Fonseka ausdrückt, ein Pangynist, für den alles Schöne, Verehrungswürdige unter den
Begriff des Weiblichen fällt.
Wir können uns das Schöne
nur als weiblich vorstellen; unsere zusammenklingenden Begriffe
von Schönheit und Symmetrie sind dem harmonischen Bau des weiblichen Körpers entlehnt; und unsere Kunst sieht in der Darstellung der weiblichen Gestalt ihren Hauptzweck, ja
vielfach ihren einzigen Sinn. anders.
Das alles ist beim Ostasiaten
Er lebt nicht als Persönlichkeit, daher denkt er auch
nicht persönlich.
Er sieht die Natur daher auch nicht durch
unsere Brille, die sie uns vermenschlicht oder vielmehr verweiblicht erscheinen läßt, sondern er sieht sie indifferent, so wie sie
tatsächlich ist.
Daher rührt es auch wohl, daß unsere Kunst
die ostasiatische nur so wenig zu beeinflussen vermocht hat, während sich umgekehrt ein gewaltiger Einfluß feststellen läßt. Denn bei aller Konvention ist jene doch die naturgetreuere
und wahrere.
Als wesentlichster Charakterzug des Japaners, mit dem
manche andere, uns zuerst wohl befremdende Eigentümlichkeit zusammenhängt, darf also seine Anpersönlichkeit bezeichnet werden,
die das Interesse des Einzelwesens ganz dem Wohle der Ge
samtheit unterordnet.
And wie in der Familie, so geht der
Japaner nun auch in deren höherer Einheit, dem Staate, auf. And diese vollständige Anterordnung des einzelnen unter das
Staatsinteresse erklärt allein die einmütige Geschlossenheit, mit der die ganze Nation ihre in den letzten Jahrzehnten neu
erwachsenen politischen Ziele verfolgt. Wohl sind auch in Japan, namentlich seit Einführung einer Konstitution (1889), und be sonders in den letzten Jahren, Parteiungen und innere Zwistig
keiten zum Vorschein gekommen.
Aber das sind doch weit
mehr Streitigkeiten persönlicher denn sachlicher Natur; Kämpfe um die politische Macht, nicht um die politischen Ziele — soweit sie nicht überhaupt nur zur Irreführung des Auslandes künstlich
inszeniert werden.
Bei seinem Eintritt in den Weltverkehr sah sich Japan in einer schwierigen und nicht ungefährlichen Lage.
Von allen
Seiten war es von fremden Großmächten umgeben, die ein Gebiet des Stillen Ozeans nach dem andern in ihre Macht
sphäre einbezogen, und mit denen es einstweilen noch nicht riva lisieren konnte.
Von Anfang an dürfte es daher das Ziel der
japanischen Politik gewesen sein, die fremden Mächte nicht all
zunahe
heranzulaffen,
sondern ihnen
durch
eigene
Gebiets
erweiterungen zuvorzukommen und sich selbst zu einer Groß macht emporzuarbeiten.
Neben den inneren Reformen begann
daher schon früh eine planmäßige äußere Kolonisation.
Die
Besiedlung der bisher stark vernachlässigten Nordinsel Lokkaido,
die Erwerbung der Kurilen (1874), wofür freilich die japa nischen Ansprüche auf Karafto, den Süden der Insel Sachalin,
an Rußland abgetreten werden mußten, bezeichnen ihre An-
34
fange.
1879 erfolgte dann die Einverleibung des Königreiches
der Liukiu-Inseln, die eigentlich unter chinesischer Oberhoheit
standen, aber schon seit Jahrhunderten zugleich als eine Art autonomer Provinz von Japan gegolten hatten.
Bald schweiften die Blicke der Japaner nach Korea her über, das schon im hohen Altertum das Ziel japanischer Angriffe gewesen und Ende des
16. Jahrhunderts noch einmal für
kurze Zeit unter japanische Botmäßigkeit geraten war.
nur die
Nicht
natürlichen Reichtümer des Landes mußten Japan
locken, sondern es lag auch in seinem Interesse, die Lalbinsel nicht in die Lände einer andern Militärmacht, etwa Ruß lands, fallen zu lassen.
Bei der geringen Entfernung würde
eine solche Besetzung eine stete Gefahr für Japan dargestellt haben.
Korea war von jeher ein Tributärstaat Chinas; doch hatte die chinesische Regierung der koreanischen in allen inneren An
gelegenheiten stets freie Land gelassen.
Erst das bedrohliche
Auftreten der Japaner veranlaßte sie, die Zügel fester anzuziehen. Bald ergaben sich Gegensätze zwischen den chinesischen und ja
panischen Interessen; ernste Verwicklungen folgten, bis es 1894 zum Krieg kam.
Die gut ausgebildete japanische Armee, die
schon 1877, als sie den Aufstand des Reaktionärs Saigo nieder
warf, ihre ersten Lorbeeren errungen hatte, gewann einen voll ständigen Sieg.
Schon wollte Japan nicht nur Korea unter
seine Oberhoheit bringen, sondern auch die Lalbinsel Liautung
mit der Festung Lüshun, die meist unter ihrem russischen Namen
Port Arthur bekannt ist, in Besitz nehmen und sich so auf chinesischem Gebiete festsetzen.
Aber Rußland, von Frankreich
und leider auch von Deutschland unterstützt, intervenierte, und
Japan sah sich durch die mächtige Koalition gezwungen, sich vorläufig mit der Abtretung der Insel Taiwan (Formosa) zu
begnügen, deren Verwaltung ihm bisher viel Arbeit und wenig 35
Stimmung der Bevölkerung natürlich nicht verbessert.
Trotz
aller Reformen dürfte Japan in Korea noch auf lange einen schweren Stand haben. Als ausgesprochenes Inselvolk scheinen die Japaner über
haupt bessere Erfolge zur See und auf Inseln als auf dem Fest lande zu erzielen.
Schon seit Jahren sind die Vorläufer der
japanischen Eroberung im ganzen Stillen Ozean tätig; wie auch der Annexion der deutschen Südsee-Inseln eine jahrelang sorg fältig betriebene Erkundungspolitik vorherging.
Aber Japan
will nicht in den Verdacht kommen, Raubpolitik zu betreiben,
nein, es sucht seine Ansprüche auf fremden Besitz historisch
und moralisch nachzuweisen, geradezu wissenschaftlich zu bebegründen, und die ausländische Forschung muß die notwendige
Grundlage dazu liefern.
So ist die Theorie des deutschen
Anthropologen Erwin von Bälz, daß ein großer Teil der Ja
paner malaiischer Herkunft sei, mit der Nutzanwendung ver sehen worden, daß mithin die Südsee die eigentliche Heimat
der Japaner sei und ihnen daher gehören müsse.
Noch origi
neller ist die Rechtfertigung der japanischen Ansprüche auf
China.
Zwei europäische Forscher, Terrien de Lacouperie und
Ferdinand von Richthofen, hatten seinerzeit die vielbesprochene
Theorie aufgestellt, die Chinesen seien nicht die Ureinwohner
des heutigen China, sondern in grauer Vorzeit aus Westasien ein gewandert.
Diese Ansicht ist heute zwar durch die Forschungen
von Conrady, Saussure u. a. widerlegt; wir wissen längst, daß die Chinesen Autochthonen der chinesischen Erde sind und ihre Kultur selbständig entwickelt haben.
Das hindert aber nicht,
daß man in Japan noch daran festhält und die weitgehendsten
Schlüsse daraus zieht: die Chinesen sind also fremde Usurpa toren, die von China widerrechtlich Besitz ergriffen haben und
unter die sittliche Aufsicht Japans gehören!
Und neuerdings
zieht man gar noch die angeblich mongoloide Herkunft der 38
Indianer heran, um Japans Anrecht auf Mexiko und Kali
fornien zu begründen.
Bei Ausbruch des Weltkrieges 1914 säumte Japan nicht, seine Pläne in die Tat umzusetzen.
Man hatte in Deutschland
gehofft, Japan werde nun die schwere Schuld der Dankbarkeit gegen Deutschland, dem es doch im Grunde alle Erfolge der
letzten Jahrzehnte verdankte,
abzutragen suchen, werde vom
Bündnis mit England zurücktreten und sich gegen England und
Rußland wenden. Zu mindestens rechnete man auf wohlwollende Neutralität.
Vergebens.
Japan vergalt Deutschland mit dem
selben Andank, den es früher gegen China gezeigt hatte.
Es
bemächtigte sich Tsingtaus, das bei seiner stetig wachsenden handelspolitischen Bedeutung den Japanern schon immer ein
Dorn im Auge gewesen war, und der deutschen Südsee-Inseln,
der Karolinen, Marianen und Salomonen, die ihm für weitere Operationen prächtige Flottenstützpunkte liefern und mit deren
planmäßiger Besiedlung nach Zeitungsmeldungen schon gleich
begonnen wurde. Welchen Lauf die Ereignisse im Stillen Ozean weiter nehmen werden, wie sich insbesondere nach dem Kriege das
Verhältnis Deutschlands zu Japan gestalten wird — über diese
Fragen läßt sich vorläufig wohl noch nicht urteilen.
Soweit
sie schon zu übersehen sind, hat sie unlängst der berufenste
Kenner Japans, Karl Florenz, in sachkundigster und gerecht abwägender Weise behandelt.
Auf seine Arbeit sei statt weiterer
Ausführungen verwiesen? Vorläufig scheint Japan auf der eingeschlagenen Bahn munter fortschreiten zu wollen.
Schon versucht es, China
unter Ausschaltung aller fremden Interessen in seine Macht
sphäre zu zwingen.
Allein dieses Anternehmen ist doch wohl
1 Karl Florenz, Deutschland und Japan. richsen).
Äamburg 1915 (Fried-
nicht so leicht, wie es scheinen könnte.
weitesten Maße abhängig.
schaftlich von China im bildet
für japanische
Äauptabsatzgebiet
das
Denn Japan ist wirt China
Waren.
And
China besitzt trotz seiner militärischen Schwäche eine mächtige
Waffe,
mit
der es schon
wiederholt militärisch
überlegene
Gegner bezwungen hat — den wirtschaftlichen Boykott, den es
mit einer für andere Nationen unmöglichen Solidarität
durchzuführen
vermag.
Daher dürfte Japan hier auf die
ernstesten Schwierigkeiten stoßen, und man ist fast versucht zu glauben, daß sein Vorgehen gegen China in der Hauptsache
eine Finte ist, dazu bestimmt, die Aufmerksamkeit des Aus
landes von einer andern Richtung abzulenken. Doch
Süden
ob
Japans
gerichtet
sind
Pläne —
dem
gegen
Westen,
Abendlande
ist
Osten aus
oder
seinem
einstigen Schüler ein gefährlicher Konkurrent erwachsen, dessen Auftreten auf der Weltbühne noch von zahlreichen Über
raschungen begleitet sein dürfte.
Länder und Völker -er Türkei Schriftensammlung -er Deutschen vorderasienkomitees herausgegeben von
Dr. Hugo Grothe-Leipzig (Es liegen vor: Heft
1.
Heft
2.
Heft
5.
Heft
4.
Die Zukunftsarbeit der deutschen Schule 1« der Türket, von Landtagsabgeordnetem (Oberlehrer Dr.Blau. Keuburg-Seitz. Islamische GeisteSknltur. von Professor Dr. Horten. Bonn. Zypern und die Engländer. 6in Beispiel britischer Kolonialer Willkür, von Professor Dr. Freiherrn von Lichtenberg-Gotha. Das Volk der Georgier im Kaukasus, von Professor Dr. BorK-RSnigsberg. In Vorbereitung befinden sich:
Heft
5.
Heft
6.
Heft
7.
Heft Heft
8. 9.
Heft 10.
Heft 11. Heft 12.
Arabien und daS arabische VolkSelemeut in türkisch Asien, von Dr. Roloff. Die neue Türkei in ihrer Entwicklung von 1908 biS 1914. von Studienrat Professor Dr. Heinrich 3tmmerer.Regens6urg. Die deutsche Forschung in türkisch Borderafien. von Prof. Dr. Fritz Regel-Würzburg. Die Inden der Türkei. Don Danis Trietsch.Berlin. Das Griechentum Kleinasiens, von Privatdozent Dr. vieterich-Leipzig. Die Armenier und Deutschland, von Professor Dr. Roth.Müuchen. Die Ukraine und ihre Beziehungen zum osmanischen Reiche, von Dberlehrer Dr. Rudolf Stübe-Leipzig. Deutsch-türkische wirtschaftliche Interessengemein schaft. Von Dr. jur. et phil. Hugo Grothe-Leipzig.
Der gegenwärtige Weltkrieg hat uns die Türkei als Bundesgenossen zur Seite gestellt. Rus der Waffenbrüderschaft werden sich unstreittg über aus enge Beziehungen aus dem Gebiete des Staats., Bildungs- und Wirtschaftslebens zu entwickeln vermägen. Die vorliegende Sammlung trägt diesen Fragen und Gedanken in zeitgemäßer Weise Rechnung und wird dem Politiker, dem Manne der Wiffenschaft, dem Kauf mann wie jedem gebildeten Laien werwolle Anregungen bieten.
Jedes Heft im Umfange von zirka 8 Druckbogen lostet M. —.50
Verlag von veil & Comp. in Leipzig» Marienstratze 18