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German Pages 181 [186] Year 2015
Jahrbuch für Regionalgeschichte Band 32
JAHRBUCH FÜR REGIONALGESCHICHTE Schwerpunkt: Nachhaltigkeit JbRG 32 (2014)
Franz Steiner Verlag
jahrbuch für regionalgeschichte Begründet von Karl Czok Herausgegeben von Mark Häberlein, Bamberg (verantwortlich), Helmut Bräuer, Leipzig / Josef Ehmer, Wien / Rainer S. Elkar, Siegen / Gerhard Fouquet, Kiel / Franklin Kopitzsch, Hamburg / Reinhold Reith, Salzburg / Martin Rheinheimer, Esbjerg / Dorothee Rippmann, Zürich / Susanne Schötz, Dresden / Sabine Ullmann, Eichstätt Redaktion: Tanja Metzger (Bamberg) www.steiner-verlag.de/jrg
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Inhaltsverzeichnis I
Abhandlungen
Johannes Arndt: Die Ächtung des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern 1706 in den Druckmedien seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Mark Häberlein: Waffen, Monturen, Getreide: Geschäfte fränkischer Kaufleute im Siebenjährigen Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
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Themenschwerpunkt: Nachhaltigkeit
Oliver Auge: „Nachhaltigkeit“ als historisches Thema – eine Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Frank Müller: Erzwungene Nachhaltigkeit? Die Peitzer Amtsheiden unter dem Einfluss des örtlichen Hüttenwerkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Arne Paysen: Die Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök als Beispiel für eine nachhaltige Ressourcennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Thomas Ludemann: Kohlplätze – Landschaftsarchive der historischen Energieholznutzung (Waldköhlerei), einzigartige Informationsquelle zur regionalen Vegetations- und Wirtschaftsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Bernd Herrmann: Kritisches Nachwort eines Umwelthistorikers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
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Inhalt
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Rezensionen und Annotationen 1. Epochenübergreifend
Roland Berg, Friedrich Ehrendorfer (Hg.): Ökosystem Wien Besprochen von Christian Kuhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Thomas Riis (Hg.): Urbanization in the Oldenburg Monarchy Sönke Loebert, Okko Meiburg, Thomas Riis (Hg.): Die Entstehung der Verfassungen der dänischen Monarchie (1848–1849) Besprochen von Rainer S. Elkar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Gisela Drossbach, Andreas Otto Weber, Wolfgang Wüst (Hg.): Adelssitze – Adelsherrschaft – Adelsrepräsentation in Altbayern, Franken und Schwaben Besprochen von Andreas Flurschütz da Cruz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Angelika Westermann (Hg.): Montanregion als Sozialregion Besprochen von Ulrich Thiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Werner Altmann (Hg.): Santiago in Schwaben Besprochen von Andreas Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
2. Mittelalter Hans Gerhard Risch: Der holsteinische Adel im Hochmittelalter Besprochen von Michael Hecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Petr Hlaváˇcek: Die Böhmischen Franziskaner im ausgehenden Mittelalter Besprochen von Sonja Bümlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Anja Meesenburg (Hg.): Pfarrer, Nonnen, Mönche Besprochen von Marina Loer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Inhalt
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Julia Kahleyß: Die Bürger von Zwickau und ihre Kirche Besprochen von Helmut Bräuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Karsten Igel: Zwischen Bürgerhaus und Frauenhaus Besprochen von Christian Hagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
3. Frühe Neuzeit Thomas Diehl: Adelsherrschaft im Werraraum Besprochen von Andreas Flurschütz da Cruz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Johannes Staudenmaier: Gute Policey in Hochstift und Stadt Bamberg Besprochen von Gerhard Fritz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Miriam Rieger: Der Teufel im Pfarrhaus Besprochen von Michaela Schmölz-Häberlein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Christiane Reves: Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert Besprochen von Mark Häberlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Barbara Rajkay, Ruth von Stetten (Bearb.): Paul von Stetten d. J. Selbstbiographie Besprochen von Johannes Staudenmaier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Peter Milan Jahn: Vom Roboter zum Schulpropheten Hanso Nepila (1766–1856) Besprochen von Joachim Bahlcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
4. 19. und 20. Jahrhundert Claudie Paye: „Der französischen Sprache mächtig“ Besprochen von Mark Häberlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
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Inhalt
Wolfgang Hofmann: Bürgerschaftliche Repräsentanz und kommunale Daseinsfürsorge Besprochen von Helmut Bräuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Werner Greiling, Hagen Rüster (Hg.): Reuß älterer Linie im 19. Jahrhundert Besprochen von Reiner Groß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Heike Talkenberger (Hg.): Die Autobiographie des Betrügers Luer Meyer 1833–1855 Besprochen von Dirk Brietzke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Frank Hoffmann: „Ein den thatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild nicht zu gewinnen“ Besprochen von Klaus Schlottau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Andrea Bergler: Von Armenpflegern und Fürsorgeschwestern Besprochen von Johannes Vossen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Theo Plesser, Hans-Ulrich Thamer (Hg.): Arbeit, Leistung und Ernährung Besprochen von Klaus Schlottau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Markus Fleischhauer: Der NS-Gau Thüringen 1939–1945 Besprochen von Harald Schmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Peter Fassl, Markwart Herzog, Jim G. Tobias (Hg.): Nach der Shoa. Jüdische Displaced Persons in Bayerisch-Schwaben 1945–1951 Besprochen von Stephan Link. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
ABHANDLUNGEN
Die Ächtung des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern 1706 in den Druckmedien seiner Zeit von Johannes Arndt I.
Prolog
In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich innerhalb der historiographischen Forschung zur Frühmoderne eine Schwerpunktverlagerung von der Verfassungs- und Sozialgeschichte des Alten Reiches, wie sie Karl Otmar Freiherr von Aretin, Peter Moraw, Volker Press oder Heinz Duchhardt betrieben haben, hin zu einer verstärkten kulturgeschichtlichen Perspektivierung vollzogen. Für das jüngere Paradigma stehen insbesondere die Studien und Großprojekte, die durch den Münsteraner Forscherkreis um Gerd Althoff und Barbara Stollberg-Rilinger angeregt und durchgeführt wurden1 . Damit ging eine Verschiebung der Sujets einher: Frühere Lieblingsprotagonisten mussten in die zweite Reihe zurücktreten, andere rückten dafür in den Vordergrund. Der Protagonist, von dem in diesem Beitrag die Rede sein soll, wird den Perspektivwechsel sicher unbeschadet überstehen, weil er politikwie kulturgeschichtlich außerordentlich folgenreich gewirkt hat: Kurfürst Max Emanuel von Bayern (*1662, reg. 1679–1706 und 1714–1726)2 . Die ältere Forschung hat dargelegt, auf welche Weise jemand zum Kurfürsten erhoben wurde. Normalerweise geschah dies bei weltlichen Kurfürsten per Erbgang, bei geistlichen per Wahl. Kurfürsten konnten auch per Standeserhöhung in ihren Rang gelangen. Ein Beispiel dafür war Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg, der 1692 von Kaiser Leopold I. zum Kurfürsten erhoben wurde3 . Manche Kurfürsten erlangten die 1
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Die zeremoniellen Formen der sozialen Differenzierung im Reich wurden von 2000 bis 2011 im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 496 („Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“) an der Universität Münster erforscht: G ERD A LTHOFF , L UDWIG S IEP: Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 3 (2001), 210–230. Vgl. zum frühneuzeitlichen Zeitabschnitt: BARBARA S TOLLBERG -R ILINGER : Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags. In: J OHANNES K UNISCH (Hg.): Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997, 91–132; BARBARA S TOLLBERG -R ILINGER : Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), 388–405; D IES . (Hg.): Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001; D IES.: Die zeremonielle Inszenierung des Reiches, oder: Was leistet der kulturalistische Ansatz für die Reichsverfassungsgeschichte? In: M ATTHIAS S CHNETTGER (Hg.): Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie, Mainz 2002, 233–246; BARBARA S TOLLBERG R ILINGER: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches, München 2008; D IES., T HOMAS W EISSBRICH (Hg.): Die Bildlichkeit symbolischer Akte, Münster 2010. – Zum Zeremoniell aus literaturwissenschaftlicher und rechtshistorischer Perspektive: J ÖRG J OCHEN B ERNS (Hg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik im Europa des 15. bis 18. Jahrhunderts, Tübingen 1995; M ILOŠ V EC : Zeremoniellwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Frankfurt a. M. 1998. Weiterhin grundlegend zum Werdegang Max Emanuels: L UDWIG H ÜTTL: Max Emanuel. Der Blaue Kurfürst (1679–1726), München 1976. Zu den Gesamtumständen des politischen Aufstiegs Kurhannovers und der Welfendynastie: G EORG S CHNATH : Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession, 1674–1714,
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 11–30
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Johannes Arndt
Würde durch Rechtsentscheid per Übertragung von einer anderen Linie ihrer Dynastie. Die beiden prominentesten Beispiele dafür waren Kurfürst Moritz von Sachsen, der 1547 von richtigen Lagerentscheidungen während des Schmalkaldischen Krieges profitierte, und Kurfürst Maximilian I. von Bayern, dem 1621 die Niederlage des böhmischen „Winterkönigs“, Friedrich V. von der Pfalz, zugutekam4 . In diesen beiden Fällen wurden die früheren Kurfürsten geächtet, was den Übergang der Kurrechte eröffnete. Auch im Fall von Max Emanuel von Bayern erlitt ein Kurfürst den Verlust seiner Standesqualität mit allen Rechtsfolgen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Übertragungsbeispielen wurde diesmal die Kur keiner anderen Person zugewendet, sondern blieb einstweilen vakant5 . Hinsichtlich der Symbolordnung des Alten Reiches konnte man diesen Verlust des Kurrechts nicht im Nebenprogramm oder implizit während einer neuen Kurbelehnung mitverhandeln, sondern man benötigte eine gesonderte Form, wie die Absetzung durchzuführen und der Öffentlichkeit zu kommunizieren war. Zusammen mit Max Emanuel wurde sein Bruder Joseph Clemens, Kurfürst von Köln (1671–1723), als Landesherr abgesetzt. Auch er hatte mit Frankreich kollaboriert und gegen Subsidien französische Truppen in seine Festungen aufgenommen, statt seinen Pflichten als Reichsfürst gegenüber dem Kaiser zu genügen6 . Die rechtlich-verfassungshistorischen Aspekte werden hier als bekannt vorausgesetzt. Es geht vielmehr um den Actus der Absetzung im Lichte der zeitgenössischen Überlieferung, d. h. um die kulturelle Form. Die kaiserliche Administration ließ sich eine Zeremonie einfallen, die eine Ableitung von der üblichen Kurfürstenbelehnung in der
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4 Bde., Hildesheim/Leipzig 1938–1982. – Zur Kurerhebung im Einzelnen: A NNETTE VON S TIEGLITZ: Der teuerste Hut des Reiches. Hannovers Ringen um die Kurwürde. In: S ABINE M ESCHKAT -P ETERS (Red.): Ehrgeiz, Luxus und Fortune. Hannovers Weg zu Englands Krone. Ausstellung des Historischen Museums am Hohen Ufer Hannover, Hannover 2001, 68–83. Zu Verlierern und Siegern: VOLKER L EPPIN , G EORG S CHMIDT, S ABINE W EFERS (Hg.): Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006; K ARLHEINZ B LASCHKE (Hg.): Moritz von Sachsen – Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni 2003 in Freiberg (Sachsen), Stuttgart 2007; B RENNAN C. P URSELL : The Winter King. Frederick V of the Palatine and the Coming of the Thirty Years War, Aldershot/Burlington/VT 2003; D IETER A LBRECHT: Maximilian I. von Bayern (1573–1651), München 1998. – Zum Verfahren der Reichsacht: C HRISTOPH K AMPMANN : Reichsrebellion und kaiserliche Acht. Politische Strafjustiz im Dreißigjährigen Krieg und das Verfahren gegen Wallenstein, Münster 1992. Erst ein Jahr später wurde die „fünfte“ Kurwürde an Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz verliehen – seine Vorfahren hatten sie bis 1620 innegehabt –, jedoch musste er sie 1714 nach dem Friedensschluss wieder an den ungeliebten Münchner Vetter zurückgeben, da dieser restitutiert wurde. Zu Kurpfalz und der innerwittelsbachischen Konkurrenz: F RANZ F ELDMEIER: Die Ächtung des Kurfürsten Max Emmanuel von Bayern und die Übertragung der Oberpfalz und der fünften Chur an Churpfalz. In: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 58 (1914), 145–269. Vgl. dazu auch G EORG W ILHELM S ANTE: Die kurpfälzische Politik des Kurfürsten Johann Wilhelm vornehmlich im Spanischen Erbfolgekrieg 1690–1716. In: Historisches Jahrbuch 44 (1924), 19–64. Zur aktuellen Bewertung der Rivalität der wittelsbachischen Linien: G ERHARD I MMLER: Der innerwittelsbachische Konflikt: Bayern gegen Pfalz. In: J OHANNES E RICHSEN , K ATHARINA H EINEMANN (Hg.): Die Schlacht von Höchstädt. The Battle of Blenheim. Brennpunkt Europas 1704, Sigmaringen 2004, 26–37, bes. 28–31. Biographischer Überblick: M AX B RAUBACH: Art. Joseph Clemens, Herzog von Bayern. In: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), 622 f. (Onlinefassung: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11909990X.html, letzter Aufruf: 14. Juli 2014); I NGRID M ÜNCH: Art. Joseph Klemens von Bayern. In: F RIEDRICH W ILHELM BAUTZ , T RAUGOTT BAUTZ (Hg.): Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, (bisher) 33 Bde. (zuzügl. Registerbände), Nordhausen 1975–2012, hier Bd. 3 (Ausg. 1992), 886–888. – Zu den französischen Subsidien für den Kölner Kurfürsten: P ETER C LAUS H ARTMANN: Die französischen Subsidienzahlungen an den Kurfürsten von Köln, Fürstbischof von Lüttich, Hildesheim und Regensburg, Joseph Clemens, im Spanischen Erbfolgekrieg (1701–1714). In: Historisches Jahrbuch 92 (1972), 358–372.
Ächtung des Kurfürsten
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Wiener Hofburg, d. h. im kleinen Zeremoniell, darstellte. Dabei war naheliegenderweise die Anwesenheit der abtretenden Wittelsbacher gar nicht eingeplant. Hätte man sie gefangengenommen, hätten sie sich entweder einem Gerichtsverfahren ausgesetzt (wie 1547 der gewesene Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen7 ), oder man hätte sie einfach ohne Verfahren interniert (wie 1635–1645 den Trierer Kurfürsten Philipp Christoph von Sötern8 ). Der kommunikative Aspekt dieser Handlung bezog sich nicht auf die Kommunikation mit den Wittelsbachern – die ihre Absetzung nicht als rechtmäßig betrachteten und ihre Kurialien einfach weiterführten –, sondern auf die Kommunikation zwischen Kaiser und Reichsöffentlichkeit. Für die politische Öffentlichkeit im Reich, vermittelt durch die Druckmedien, sollte die Absetzung inszeniert und damit die herrschende politisch-rechtliche Ordnung aktualisiert werden9 . Dies geschah allen Rechtschaffenen als Ermutigung, allen potentiellen Rechtsbrechern zur Warnung. In dieser Öffentlichkeit im Reich war Max Emanuel kein Unbekannter. Vielmehr hatte er sich durch seine Schlachtenerfolge gegen die Türken auf dem Balkan breite Anerkennung erworben10 . Sein Ruhm wurde allerdings nicht nur von den Zeitungen und Flugschriften verbreitet, sondern der Kurfürst mehrte ihn zusätzlich dadurch, dass er sich von Künstlern aller Sparten loben und preisen ließ11 . Max Emanuel erlangte langfristigen Ruhm: Bis in die jüngste Historiographie hinein, erst recht in der bayerischen Landesgeschichtsschreibung, gilt er als einer der größten Wittelsbacherherrscher. Der Umstand seiner zehnjährigen Ächtung wird normalerweise mit wenigen Nebenbemerkungen abgetan, bezeichnenderweise wird seine Regierungszeit fast immer durchgehend mit „1679–1726“ angegeben12 . Es war aber nicht die dramatische Höhe seiner hochadligen Beliebtheit in 7
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Zum Kampf des Kurfürsten, seiner Niederlage und seinem Amtsverlust: G EORG S CHMIDT: Der Kampf um Kursachsen, Luthertum und Reichsverfassung (1546–1553) – Ein deutscher Freiheitskrieg?. In: L EPPIN , S CHMIDT, W EFERS: Johann Friedrich I. (wie Anm. 4), 55–84. Zu Sötern und seiner Politik: K ARLIES A BMEIER: Der Trierer Kurfürst Philipp Christoph von Sötern und der Westfälische Friede, Münster 1986. Entfaltung des Begriffs „Öffentlichkeit der Macht“: E STHER -B EATE KÖRBER : Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618, Berlin/New York 1998, 53–164. Körber hat ihre Überlegungen in den folgenden Jahren ausgedehnt zu einer Begriffsbestimmung von „Öffentlichkeiten“ für die gesamte Frühe Neuzeit. E STHER -B EATE KÖRBER: Vormoderne Öffentlichkeiten. Versuch einer Begriffs- und Strukturgeschichte. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 10 (2008), 3–25, bes. 11–13. Vgl. zur politischen Öffentlichkeit auch J OHANNES A RNDT: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich 1648–1750, Göttingen 2013, 241–260 (Kapitel „Reichssystem und Öffentlichkeit“). Zur Militärgeschichte des Kurfürsten: M ARCUS J UNKELMANN : Kurfürst Max Emanuel von Bayern als Feldherr, München 2000. Dies betont RUDOLF F ELBINGER: Maximilian II. Emanuel von Bayern (1662–1726) – Anspruch und Inszenierung des „Blauen Kurfürsten“, München 1999 (Mschr.). Felbinger verweist darauf, dass Max Emanuel sich durch die Methoden der Selbstdarstellung seines großen Patrons und Finanziers Ludwig XIV. inspirieren ließ. Vgl. P ETER B URKE : Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Frankfurt a. M. 1995 (engl. 1992). H ANS S CHMIDT: Max Emanuels Bild in der Geschichtsschreibung. In: H UBERT G LASER (Hg.): Kurfürst Max Emanuel. Bayern und Europa um 1700, Bd. 1, München 1976, 459–474; P ETER C LAUS H ARTMANN : Kurfürst Max Emanuel von Bayern (1679–1726). Ein typischer Fürst der Barockzeit. In: Zur Debatte. Zeitschrift der Katholische Akademie in Bayern (2012), H. 6, 13 S. (unpaginiert); InternetNachweis: http://www.kath-akademie-bayern.de/tl_files/Kath_Akademie_Bayern/Veroeffentlichungen/ zur_debatte/pdf/2012/06/Hartmann.pdf (letzter Aufruf: 15. Juni 2014). – Begründung der anderen Datierung aus reichsrechtlicher Perspektive: J OHANNES A RNDT: Max Emanuel, Kurfürst von Bayern oder Graf
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Johannes Arndt
den Medien, die ihn tief fallen ließ: Zeitungen und Flugschriften suchten damals ihre Sujets noch nicht nach den Regularien des literarischen Dramas aus. Vielmehr begab sich der Kurfürst durch militärische Abenteuer ins politische Abseits. Damit rückt neben Internationalität und Öffentlichkeit ein dritter Aspekt des Konflikts ins Blickfeld: Die regionale Dimension. Der Münchener Potentat kam zu dem Schluss, dass er durch Annexionen in der Nachbarschaft seiner bayerischen Kernlande ein derart großes Herrschaftsgebiet erlangen konnte, dass dafür ein Königstitel zu gewinnen war. Max Emanuel glaubte, seine Feldherrenqualitäten, die französische Unterstützung in Form von Macht und Geld sowie etwas propagandistische Skrupellosigkeit würden dafür ausreichen. Dabei unterschätzte er zu seinem Nachteil die Widerstandsfähigkeit der kleineren Reichsstände in Franken und Schwaben, das vorherrschende Rechtsdenken auf der Grundlage der hergebrachten Landfriedensordnung im Reich sowie die feste Haltung des Kaisers, die bayerischen Praktiken nicht durchgehen zu lassen. So sehr ihm selbst Standeskonkurrenten den Königstitel zugestanden hätten, wenn er auf rechtsförmige Weise errungen worden wäre (Erbschaft, Zusammenlegung von Gebietsteilen, Tausch), so sehr waren sich alle Reichsstände einig, dass die gewaltsame Eroberung von Nachbarterritorien zur Arrondierung Bayerns inakzeptabel war. Die ersten Druckschriften, die den Kurfürsten nach der Überschreitung des Rubikons, nach der Einnahme der Reichsstadt Ulm im Herbst 1702, anfeindeten, waren Traktate der betroffenen oder geängstigten Nachbarn im Schwäbischen und Fränkischen Reichskreis. Darin versicherten sie sich gegenseitig der Überzeugung, dass die bayerischen Zumutungen rechtswidrig waren, und forderten den Schutz des Reiches ein. Die Foren für diesen politischen Kommunikationsprozess waren die Kreisorgane – Direktoren, Kreistage –, die gerade im Kampf gegen Ludwig XIV. zu spürbaren Kraftanstrengungen willens und in der Lage waren13 . Die Presse bediente sich einstweilen aus deren Deduktionen, die sie in ihre Publikationen einrückte. Jede neue militärische Handlung bot weiteren Stoff, um den Wittelsbacher zu diskreditieren. Dessen Vorstellung, Kaiser Leopold I. durch militärischen Druck zu günstigeren politischen Angeboten zu erpressen, demonstrierte seinen Mangel an Realitätssinn. Die Städteeroberungen waren landfriedensbrecherischer Art und sein Pakt mit Frankreich war nicht durch das Bündnisrecht aus dem Westfälischen Friedensvertrag gedeckt, denn er diente nicht der bayerischen Sicherheit, sondern dem Zweck eigener Annexionen und der Förderung französischer Gewaltaktionen gegen das
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von Wittelsbach? Das Gedenken an Exil und Ächtung eines Barockfürsten in der bayerischen Historiographie. In: M ARTIN W REDE , H ORST C ARL (Hg.): Zwischen Schande und Ehre – Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise (Tagung des SFB 434 „Erinnerungskulturen“ in Mainz im Oktober 2005), Mainz 2007, 65–80. Zur Politik der zusammengeschlossenen Reichskreise, der sog. „Kreisassoziationen“: K ARL OTMAR F REIHERR VON A RETIN (Hg.): Der Kurfürst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648–1746, Wiesbaden 1975; B ERND W UNDER: Die Kreisassoziationen 1672–1748. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 128 (1980), 167–266. – Zur Einordnung in die Reichspolitik der Zeit: J OHANNES B URKHARDT: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648–1763, Stuttgart 2006, 122–132.
Ächtung des Kurfürsten
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Reich14 . Die Schlacht bei Höchstädt am 13. August 1704 beendete diesen Zeitabschnitt und hatte die Flucht des Kurfürsten in den französischen Machtbereich zur Folge15 . Der Kaiser baute den Gegendruck zwar langsam auf, sah aber durchaus die Chance, durch die Disziplinierung des Bayern und seines über Kurköln regierenden Bruders die eigene Stellung als Quelle allen Rechts öffentlich vor Augen zu führen. Erst recht galt das für den jungen Kaiser Josef I., der 1705 im höchsten Reichsamt nachfolgte und zügig das Ächtungsverfahren betrieb. Im November 1705 erlangte er den Konsens der übrigen Kurfürsten; im April 1706 konnte er zur Publikation schreiten16 . II.
Die Absetzungszeremonie – Berichte in den deutschsprachigen Zeitungen
Nach den Vorentscheidungen zur Ächtung im Herbst 1705 wählte die kaiserliche Regierung eine spektakuläre Zeremonie, um den Ausschluss der Wittelsbacher aus der Rechtsgemeinschaft des Reiches der höfischen Öffentlichkeit in Wien, auf dem Wege der medialen Vermittlung aber auch der gesamten europäischen Öffentlichkeit kundzutun. Für den 29. April 1706 wurde die Wiener Hofgesellschaft dazu in die Hofburg eingeladen. In allen einschlägigen Zeitungen finden sich Berichte darüber, der ausführlichste in einer Sonderausgabe des Wienerischen Diariums von Mitte Mai 170617 . Zur Veranschaulichung wird hier der gesamte Wortlaut eingerückt: Nachdeme der Donnerstag/ welcher war der 29. April dieses lauffenden 1706. Jahrs/ von Ihrer jetzo glorwürdigst regierenden Kayserl. Majestät benennet worden/ die Achts=Erklärung wider die beede Gebrüder und Churfürsten/ von Cölln und Bayern/ publiciren zu lassen; Also wurde zu dem Ende umb Mittagszeit der kayserl. Reichs=Vice=Cantzler (Titl.) Herr Friedrich Carl/ Graf von Schönborn/ etc. zuforderist vom 6. Kayserl. Hartschieren18 zu Pferd auß seiner Wohnung abgeholet/ und biß in die Kayserl. Burg begleitet. 14
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Rechtsgrundlage für das Bündnisrecht, versehen mit dem Vorbehalt der Reichstreue: Westfälischer Friede, Osnabrücker Friedensinstrument vom 24. Oktober 1648, Art. VIII § 2. Siehe A RNO B USCHMANN (Hg.): Kaiser und Reich. Klassische Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806, München 1984, 339. – Zur kritischen Bewertung der bayerischen „Sezession“: B URKHARDT: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches (wie Anm. 13), 270–283. Zur Schlacht bei Höchstädt: H ÜTTL: Max Emanuel (wie Anm. 2), 371–374; J UNKELMANN : Kurfürst Max Emanuel von Bayern als Feldherr (wie Anm. 10), 241–265. Vgl. auch den Ausstellungskatalog von J OHANNES E RICHSEN , K ATHARINA H EINEMANN (Hg.): Die Schlacht von Höchstädt. The Battle of Blenheim. Brennpunkt Europas 1704, Sigmaringen 2004. Zum Ächtungsverfahren liegt die ältere Studie vor von J ULIUS F ROBOESE: Die Achterklärung der Kurfürsten von Baiern und Köln 1706 und ihre reichsrechtliche Bedeutung, Mühlhausen 1874. – Dieses Verfahren stellt eine der Fallstudien dar, die in meiner Monographie abgehandelt werden: A RNDT: Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit (wie Anm. 9), 339–393. Der Bericht war bereits in der Ausgabe des Wienerischen Diarium, Nr. 286 vom 30. April 1706 angekündigt worden und erschien ohne gesonderte Datierung einige Tage später unter dem Titel: „Beschreibung Der Achts=Erklärung So Ihro Röm. Kayserl. Majest. Wider die beede Gebrüder und gewesene Chur=Fürsten Von Cölln und Bayrn/ Joseph Clemens und Maximilian Emmanuel/ Allhier In Wien und zu Regenspurg offentlich vollziehen lassen“, o. O. [Wien] 1706 (eingerückt im Wiener Diarium zwischen den Ausgaben Nr. 291 und 292 vom 18. resp. 21. Mai 1706). Hartschiere(n) = kaiserliche Leibgardisten.
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Gleich darauff verfügten sich Ihre Kayserl. Majestät/ mit Vorhertrettung deren zweyen Reichs=Herolden19 und deren hohen Herren Ministern/ in Ihrer gewöhnlich=schwartzen Hof=Mantel=Kleydung/ auß Dero Retirada=Zimmer20 in die so genannte/ wegen der noch fürwährenden hohen Trauer21 durchauß mit schwartzem Tuch außspallierte und ringsum mit 30 Hartschiren auch 30 Trabanten besetzte Ritterstuben/ allwo die Kayserl. Herren geheime Räthe und Reichs=Hof=Räthe/ wie auch eine überauß grosse Menge vieler anderen hohen und nidrigen Stands=Persohnen bereits zugegen gewesen. So bald nun Ihro Kays. Majestät auff Dero Thron/ bey welchem rechter Hand der Obrist=Hof=Marschall/ (Tit.) Herr Carl Ernst Graf zu Waldstein/ etc. mit dem blossen Schwerd: und nächst ihme der Kayserl. Obrist=Hof= Meister/ Ihro Durchl. Herr Carl Theodor Otto Fürst von Salm/ etc. samt dem Kayserl. Hartschieren=Hauptmann (Tit.) Herrn Maximilian Guidobald Graf von Martinitz etc. sodann zur lincken Seiten der Kayserliche Obrist=Cämmerer/ (Tit.) Herr Leopold Johann Donat Trautsohn Graf zu Falckenstein/ etc. nebens dem Anfangs ermeldeten Herrn Reichs=Vice=Cantzlern/ so alle nechst dem erhobenen Thron: und der Kays. Reichs=Hof=Rath und geheime Referendarius, (Tit.) Herr Caspar Florentz von Consbruch/ etc. auf der ersten Staffel: die zwey Reichs=Herolden aber in ihrer gebräuchlichen Tracht mit schwartzen Hüten bedecket und Stäblein in denen Händen beederseits auff ebenem Boden gestanden/ niedergesetzet; nahete sich zu Deroselben der Herr Reichs=Vice=Cantzler mit gebogenen Knyen/ und empfienge den allergnädigsten Befelch/ die Achts=Erklärung wider die beede Gebrüder Joseph Clemens/ gewesenen Churfürsten von Cölln/ und Maximilian Emmanuel/ gewesenen Churfürsten von Bayern/ zu verkünden. Diesem zu Folg thate der Herr Reichs=Vice=Cantzler einen nachdrücklichen/ zierlich= und wohl verfassten Vortrag: Mithin behändigte derselbe dem Herrn geheimen Referendario von Consbruch beede respective Privations= und Achts=Erklärungs=Sententzen22 / welche derselbe dann auch sogleich offentlich ablase. Nach diesem tratte der Herr Reichs=Vice=Cantzler wieder hervor/ und machte einen kurtzen/ aber nachdrücklichen Schluß: überreichte darauff Ihro Kayserlichen Majestät die Lehens=Brieffe aller von Weyland vorbesagten zweyen Churfürsten inngehabten Chur= und Fürstlichen auch anderen Reichs=Lehen/ von welchen allerhöchstgedachte kayserliche Majestät einen nach dem andern mit Dero Handen zerrissen/ und auff den Boden warffen; die zwey Reichs=Herolden hebten selbige/ mit bedecktem Haubt/ auff beeden 19 20 21
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Reichsherolde = Boten im Auftrag des Kaisers und des Reiches. Sie waren an dem großen Reichsadler erkennbar, den sie auf Vorder- und Rückseite ihres Obergewandes trugen. Retirada = Wohnräume des Kaisers, die nur seinen Verwandten und den engsten Hofbeamten zugänglich waren. Die Hoftrauer nach dem Tod Leopolds I. am 5. Mai 1705 betrug ein Jahr und war noch nicht ganz abgelaufen. Dies wirkte sich sowohl auf die Dekoration der Räume als auch auf die vorgeschriebene Kleidung der Hofgesellschaft aus. Sententzen = Urteile.
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Knyen bey Ihro Kays. Majest. Füssen auff/ zerrissen solche ferners in mehrere Stücke/ giengen damit an das erste nechst dem Thron gegen die Pastey23 hinaußgehende Fenster/ woselbsten Sie es noch in kleinere Stückl zerrissen/ und endlich zum Fenster hinauß geworffen. Da dieses nun vollbracht/ begaben Sich Ihr Röm. Kayserl. Majest. wieder in Dero Retirada unter Begleitung derer Herren Ministern und Cavallieren; Die Reichs=Herolden aber (nachdeme sie beede Sentenzen/ oder Achts=Erklärungen auß denen Handen vorgedachten Herrn Geheimben Referendarii empfangen/ mit dem Befehl/ solche auff den gewöhnlichen Plätzen dieser Kayserlichen Residentz Statt sowohl/ als auch nachgehends in denen von beeden gewesten Chur=Fürsten besessenen Ländern kund zu machen) setzten sich/ außer der neuern Burg/ da die Schweitzer die Wacht halten/ zu Pferdt/ und ritten sogleich in die Mitte des Burgg=Platzes/ allwo/ nebst der daselbst gewöhnlichen Wacht von der Kayserl. Stadt=Gardt/ so bey Aufsitzung das Gewehr praesentirte/ nachmahls aber selbiges vor den Fuß stellete/ 12. Kayserliche Trompeter/ 1. Paucker und 6. Hartschiers/ sambt 4. Kayserlichen Reut=Knechten/ alle zu Pferdt/ benebens einer unbeschreiblichen Menge Volcks warteten/ und bey der Ankunfft gedachter 2. Reichs=Herolden mit ihren Trompeten und Paucken sich vernehmen liessen; darauff einer von mehr besagten zweyen Reichs=Herolden die Sentenz oder Achts Erklärungen unter erhebtem Gewehr deren Hartschieren ablase/ und als solches geschehen/ die Trompeter mit dem Paucker auch nach jedesmahliger Ablesung eines Sentenz sich hören lassen/ ritten sie sambtlich/ als erstlichen 6. Trompeter vorauß/ nach denen der Paucker/ darauff wieder 6. Trompeter/ sodann die zwey Reichs=Herolden/ und hinter ihnen die Hartschierer/ denen die 4. Kayserl. Reut=Knechte folgeten/ von dem Burgg=Platz hinweg/ auff den Graben24 / allwo sie erstlich bey der Säulen: und hernacher auff dem Neuen Marckt/ unweit dem Brunnen/ auff eben die Manier/ wie im Burg=Platz/ die Ablesung verrichteten. Welchem allen nach Sie sambtlich in obiger Ordnung zurück in die Kayserliche Burg gekehret/ daselbst die beede Reichs=Herolden ferneren Kayserlichen Befehl erhalten: Daß ein jeder in Begleitung zweyer Kayserlichen Hartschieren und eines Reut Knechts zu Pferdt/ in vorbenante Länder sich verfügen/ und alldort vorgedachte respective Privation- und Achts=Erklärung publiciren solle; worauff sich dann alles Reyßfertig machte/ und langte folgends der eine Kays. Reichs=Herold/ Adrian von Pecquerau, mit seinen zweyen Kayserl. Hartschieren den 9. May zu Regenspurg an/ liefferte auch sogleich von Ihro Kays. Maj. dasigem Magistrat ein Schreiben/ worinnen Allerhöchst besagte Kayserl. Majest. demselben kund thaten/ wie sie erwehnten Reichs=Herold dahin geschicket/ ihre wider die bißherige Chur=Fürsten von Cölln und Bayrn erlassene gerechteste Erklär= und Verordnungen in dasiger Stadt offentlich zu verkündigen und zu publiciren; derohalben Sie an dem Magistrat begehret/ ihn/ Herold/ hierunter zu gebührlicher Vollbringung seines 23 24
Pastey = Bastei, Teil der Stadtbefestigung. Graben = Platz in der Wiener Innenstadt, westlich vom Stephansdom.
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obhabenden Befehls willfährig an Hand zugehen; wie Sie dann denselben übrigens an Ihro Hochfürstl. Eminenz, den Herrn Principal=Commissarium25 , verwisen/ als welche hierunter die Nothdurfft verordnen würde; weßwegen auch allda den 10. Dito das Kayserl. Commissions=Decret offentlich dictiret: den 11. dieses aber/ die Publication der Kayserl. Verordnung folgender Gestalt vollzogen wurde: Nach 8. Uhr marschirte dasiger Stadt=Adjutant mit ohngefehr 40. biß 50. Mann von der Stadt=Garnison hinauff/ in Ihro Hochfürstl. Eminenz Quartier/ und kamen von dar in folgender Ordnung: erstlichen die Helffte von obgedachter Garnison, dann 4. Trompeter von Ihro Hochfürstlichen Eminenz, (so zu 2. und 2. abgewechslet bliessen) folgends der Reichs=Herold in der Mitte/ in dem gewöhnlichen Herolds=Habit, worauff vorn und hinten der Kayserl. Adler gestickt/ auff dem Hut gelb= und schwartze Federn/ in der rechten Hand einen dinnen Herolds=Staab/ und auff jeder Seithe einen Kayserl. Hartschiern habend/ (der Herold/ die 4. Trompeter und 2. Hartschierers waren zu Pferd) und letztlich der Rest gedachter Garnison, durch den Bach nach dem Rath=Hauß; woselbst die von der Stadt=Garnison, umb dem Herold/ 2 Hartschirer und 4. Trompeters/ einen Creyß machten/ und gedachte 4. Trompeters zugleich bliessen/ umb die Leuthe herbey kommen zu machen; alsdann verlaß der Herold erstl. den Sentenz gegen Weyland Chur=Cölln/ und dann den gegen Weyl. Chur=Bayrn; so offt einer verlesen/ stosten die Trompeter in ihre Trompeten; Wie solches geschehen/ gieng der Marsch weiter den Bischoffs=Hoff vorbey/ nach der neue Pfarr/ wo abermahls die Patenta von dem Herold abgelesen: und von da die lange Gasse hinauff/ die neue Kirche vorbey/ nach dem Jacobs=Platze/ wo es zum dritten mahl verlesen: und dabey eben das observirt ward/ wie beym Rath=Hauß; von dar begleiteten obige von hiesiger Stadt=Garnison den Reichs=Herold widerumb in Ih. Hochfürstl. Eminenz Quartier; Gedachter Herold aber ware selbigen Nachmittag weiter auff Cölln und Lüttig gangen/ umb allda dergleichen zuverrichten. Die öffentliche Darstellung konnte aber auch viel knapper ausfallen. Der Hamburger Relations-Courier schrieb in seiner Ausgabe Nr. 74 vom 11. Mai 1706: Vorgestern seynd endlich beyde gewesene Chur Fürsten von Cölln und Bayern/ gleich nach 12 Uhren/ durch einen solennen Actum in der Kayserl. Ritter=Stube in die Reichs=Acht und Bann declariret worden: Ihro Kayserl. Majestät sassen unter einem Baldachin/ so offt nun eine von denen Cöllnischen und Bayrischen Investituren verlesen waren/ wurden solche aller höchstgedachter Ih. Kays. Majest. vorgezeiget/ die einen Riß daraine gethan/ sodann thate auch der Reichs=Herold mit seinem stabe einen Stoß hinein/ zerrisse es/ und wurde es zum Fenster hinausß auff den Burg=Platz/ allwo 2 Chöre/ jeder von 6 Trompetern/ stunde/ so wechselsweise dazu geblasen/ welches auch durch die gantze stadt/ auff denen vornehmsten Plätzen geschehen. Es werden auch bem. Reichs=Herolden nach dem Reich und an 25
Johann Philipp von Lamberg (seit 1700 Kardinal) war Bischof von Passau und amtierte seit 1699 als kaiserlicher Prinzipalkommissar am Reichstag.
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die Städte/ allwo diese Publication durch Affigirung der Patenta nothwendig geschehen muß/ abgefertiget werden26 . In der neueren politischen Kulturgeschichte wird das Alte Reich als ein Zeichensystem verstanden, innerhalb dessen Herrschaft und Ordnung nicht per positiver Rechtssetzung wie im modernen Rechts- und Verfassungsstaat hergestellt wurde, sondern durch Vergemeinschaftungsrituale. Herausgehobener Rang wurde nicht an sich besessen, sondern musste bei entsprechenden Anlässen zur Schau gestellt werden. Barbara Stollberg-Rilinger hat diesen Zusammenhang in ihrer Studie „Des Kaisers alte Kleider“ veranschaulicht, indem sie nicht nur das Reichstagsprocedere am Beispiel des Wormser Reichstags von 1495 vorstellte, sondern auch konfessionelle Konflikte auf dem Augsburger Reichstag von 1530 analysierte27 . Das kulturelle Zeichensystem konnte nämlich auch zu Äußerungen von Missbilligung verwendet werden, wenn sich Gruppen nicht an die Regeln zu halten bereit waren. In diesem Fall handelte es sich um die Veranschaulichung der Missbilligung des Reichsoberhaupts, des Kaisers, gegenüber einem abtrünnigen Reichsfürsten. So wie die Belehnungszeremonie mit Reichslehen einen Fürsten hervorhob, so aktualisierte die Zeremonie eines Entzugs der Lehen die Macht der kaiserlichen Lehnsherrschaft auf eindrucksvolle Weise28 . Josef I. ging es darum, nicht nur die Wittelsbacher und insbesondere den Bayernherrscher aus dem Reich zu vertreiben, sondern der deutschen und der europäischen Öffentlichkeit zeichenhaft zu verdeutlichen, dass die Lehnstreue keine leere Floskel war, sondern dass der Verstoß gegen die Reichspflichten fatale Folgen hatte. Daher wurde die Absetzungszeremonie zunächst vor der Hofgesellschaft vorgenommen, um an drei Orten in Wien, anschließend in Regensburg und in den Residenzen der betroffenen Fürsten per Proklamation wiederholt zu werden. Die Aktion hatte die gewünschten Folgen: In diesem Krieg wagte kein fürstlicher Stand von Gewicht mehr, die französische Seite zu unterstützen, niemand nutzte die Kriegszeiten zur eigenen Vergrößerung auf Kosten benachbarter Reichsstände und zur Verbreitung von Angst und Schrecken in seinen umgebenden Regionen. III.
Die Absetzungszeremonie auf Bildflugblättern
Das Bildflugblatt (Abb. 1 auf der nächsten Seite) beinhaltet drei Abbildungen, von denen das große Bild oben die gesamte Blattbreite einnimmt, während die anderen beiden kleinen unten nebeneinander stehen und eine ca. halb so hohe Abbildungsgröße aufweisen. Das große Bild zeigt den Beginn der Absetzungszeremonie vom 29. April 1706: Alle Anwesenden, handelnde Personen und Publikum, haben sich bereits im Rittersaal der Wiener Hofburg versammelt. Die Legende hat der Produzent oben auf dem Druck plaziert, direkt unter dem – barock ausladenden – Titel. 26 27 28
Hamburger Relations-Courier, Hamburg 1674–1811, hier Nr. 74 vom 11. Mai 1706. S TOLLBERG -R ILINGER: Des Kaisers alte Kleider (wie Anm. 1), bes. 23–92 (Wormser Reichstag 1495) und 93–136 (Augsburger Reichstag 1530). Zur Zeichenhaftigkeit des Reichslehnssystems: BARBARA S TOLLBERG -R ILINGER: Das Reich als Lehnssystem. In: H EINZ S CHILLING , W ERNER H EUN , J UTTA G ÖTZMANN (Hg.): Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962–1806. Altes Reich und neue Staaten 1495–1806. 29. Ausstellung des Europarats im Deutschen Historischen Museum Berlin, Bd. 2: Essays, Dresden 2006, 55–67.
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Abbildung 1: Abbildung / welcher Gestalt von Ihro Kayserl: Majestät / die Achts=Erklärung wider die beede Gebrüder / und gewesene Chur=Fürsten von Cölln und Bayrn / auff dem Ritter=Saal / den 29. April / Anno 1706. in Wienn vorgenommen / und vollzogen worden. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Historische Blätter Nr. 24523 (Kapsel 1328); andere Ausgabe Nr. 6332 (Kapsel 1328). – Beide Blätter haben kein Impressum.
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Neun Funktionsträger sind zu unterscheiden: Im Mittelpunkt befindet sich Kaiser Josef I., er ist der einzige Anwesende, der sitzt. Sein Thron steht mittig unter dem Baldachin. Im Vordergrund der Funktionsgruppe stehen die beiden Reichsherolde, zu erkennen an ihren Langgewändern mit den in der Art einer Kasel übergeworfenen Reichsadlerabzeichen. Kaiser und Herolde tragen jeweils eine Kopfbedeckung, die übrigen Anwesenden sind barhäuptig (mehrheitlich allerdings perückentragend). Der Autor des Flugblattes hat die Funktionäre mit Großbuchstaben kenntlich gemacht: Neben den Genannten stehen aus Sicht des Kaisers rechts von ihm zunächst der Obersthofmarschall, Graf Karl von Waldstein, dann der Obersthofmeister, Fürst Karl Theodor Otto von Salm, und anschließend der Sicherheitsbeauftragte für den Actus, der kaiserliche Hartschier-Hauptmann, Graf Maximilian Guidobald von Martinitz. An der linken Seite aus kaiserlicher Perspektive steht zunächst der kaiserliche Oberstkämmerer, Graf Leopold Johann Donat von Trautson, dann der Reichsvizekanzler, Graf Friedrich Karl von Schönborn, und schließlich der kaiserliche Reichshofrat und Geheime Referendar, Caspar Florens von Consbruch. Letzterer hat die „Acht-Erklärungs-Sententz“ bereits in der Hand und liest sie öffentlich vor. Das Publikum besteht aus zweierlei Arten von Personen. Zunächst sind die Höflinge, Standespersonen wie Amtsträger, zu sehen, erkennbar an ihren Allongeperücken. Sie bilden die „Öffentlichkeit“ stellvertretend für das gesamte Reich, denn die Acht und Absetzung der beiden Wittelsbacher soll allgemein bekanntgemacht werden, damit die erwarteten Rechtsfolgen – Vermeidung fremder Unterstützung für die Geächteten und Aktualisierung der kaiserlichen Strafrechtshoheit – dem gesamten Heiligen Römischen Reich präsentiert werden. Die andere Personengruppe ist an den Langwaffen erkennbar: Es handelt sich um die Hartschieren, die persönlichen Leibgardisten des Kaisers, die hier unter die Hofgesellschaft gemischt zu erkennen sind. Dies ist ebenfalls als zeichenhaftes Handeln zu verstehen. Ein wirkliches Sicherheitsbedürfnis für ihre so zahlreiche Anwesenheit – mindestens 25 Langwaffen sind auf dem Bild erkennbar – war nicht gegeben. Auf dem zweiten Bild ist dieselbe Szenerie aus den neun Funktionsträgern zu einem zeitlich fortgeschrittenen Punkt zu sehen. Inzwischen ist die Verlesung der Achterklärungspatente verklungen, und Kaiser Josef I. hat die Lehnsbriefe der Wittelsbacher eingeschnitten und auf den Boden werfen lassen. Die beiden Herolde knien vor dem Kaiser und zerreißen die Dokumente in kleine Stücke. Dabei wird es sich wohl um gesondert erstellte urkundenähnliche Dokumente gehandelt haben, denn die Originalurkunden befanden sich in den Archiven der beiden gewesenen Kurfürsten. Es ist allerdings denkbar, dass ein Teil der Lehnsbriefe für Max Emanuel nach der Besetzung Münchens durch die habsburgischen Truppen 1704 nach Wien geschafft wurde29 . Die Lehnsbriefe für den Kurfürsten von Köln hatte der Kaiser wohl kaum zur Hand. 29
Die Frage, welche Dokumente der Kaiser zerriss, ließ sich auf Nachfrage im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München nicht zweifelsfrei klären. Die Belehnung Max Emanuels mit der Kurwürde und der Oberpfalz vom 28. Februar 1681 liegt noch im Original vor: Hauptstaatsarchiv (künftig: HStA) München, Kurbayern Urkunden, Nr. 192. – Sicher ist, dass Max Emanuel nach seiner Restituierung neue Lehnsurkunden empfing. Konzepte: Belehnung Max Emanuels mit der Kurwürde und der Oberpfalz, 19. Mai 1717: Haus-, Hof- und Staatsarchiv (künftig: HHStA) Wien, Reichshofkanzlei, Reichsregister: Karl VI., Nr. 10, fol. 68–70 r; unter demselben Datum zur Belehnung mit Ober- und Niederbayern: Ebenda, Nr. 10, fol. 1–5 r. – Ausfertigungen: Belehnung Max Emanuels mit der Kurwürde und der Oberpfalz, 19. Mai 1717: HStA München, Kurbayern Urkunden, Nr. 195; unter demselben Datum zur Belehnung mit Ober- und Niederbayern: Ebenda, Nr. 194/2.
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Die Legende unter dem Bild weist darauf hin, dass die Herolde anschließend die Schnipsel aus dem Fenster der Ritterstube auf den Hof gegen die Pastey hinauß warfen. Dieser Akt verband das zeichenhafte Handeln gegenüber der höfischen Öffentlichkeit in der Stube, die den Prozess des Zerreißens sah, mit dem breiteren, nichtadligen Publikum auf dem Hof, das die flatternden Pergamentschnipsel im Stil niederfallenden Laubs wahrnehmen konnte und damit die endende Herrschaft der Wittelsbacherkurfürsten in Analogie zur endenden Vegetationsperiode in der Natur vor Augen geführt bekam: Auf die strafbaren Handlungen im hitzigen Kriegssommer sollte der Winter der Reichsacht folgen. Ob in dieser Analogie allerdings auch der folgende Frühling, politisch gesehen die Aussöhnung der Wittelsbacher mit dem Kaiser und die Rückkehr in den früheren Stand und die alten Herrschaftsrechte, mitgedacht war, die später tatsächlich eintrat, muss dahingestellt bleiben. Für die breitere Öffentlichkeit im Innenbereich der Hofburg vollzogen sich der symbolische Akt und die Textverlesung in umgekehrter Reihenfolge. Erst im Anschluss an die Präsentation der zerrissenen Lehnsurkunden erschienen die beiden Reichsherolde hoch zu Ross, eskortiert durch eine Kavallerieeinheit samt Trommler und Trompeter, um die beiden Ächtungspatente mit lauter Stimme vorzulesen. Die Legende unter dem dritten Bild verweist darauf, dass diese Verlesung nicht nur an diesem Ort, sondern noch an zwei weiteren Plätzen in der Stadt, nämlich auf dem Graben nahe der St. Stephanskirche und auf dem Neuen Markt, wiederholt wurde. Diese Motive werden auch auf einem anderen Bildflugblatt (Abb. 2 auf der nächsten Seite gezeigt. Die Bildvorlagen sind dieselben. Die Texte unterscheiden sich in kleinen orthographischen Einzelheiten, sind aber sonst inhaltsgleich. Diesem Blatt ist ein Impressum beigefügt, das auf Leipzig als Entstehungsort des Druckes verweist. IV.
Die Darstellung in den deutschsprachigen Zeitschriften
In den räsonnierenden Zeitschriften wurde der Herrschaftsverlust Max Emanuels als reichspatriotisch konsequente Folge seiner falschen Handlungen gefeiert. Dies zeigt sich deutlich an einem Periodikum, das im zeitweiligen fränkisch-schwäbischen Machtbereich des Kurfürsten erschien: dem in Augsburg verlegten Monatliche[n] Staats-Spiegel30 . Die Zeitschrift blieb zwischen 1702 und 1704 in ihrer Interpretation defensiv. Ende 1703 hatte sie, vermutlich verursacht durch die bayerische Besetzung der Stadt, zeitweilige Verzögerungen erlitten und musste in den folgenden Monaten sehr vorsichtig argumentieren. Umso mehr merkte man ihrem Herausgeber Stanislaus Reinhard Acxtelmeier die Freude an, mit der er die Ächtung von 1706 kommentierte. Acxtelmeier reichte auch das Conclusum des Kurfürstenrats vom November 1705 nach, durch das die rechtlichen Voraussetzungen für die Absetzung der beiden Wittelsbacherkurfürsten geschaffen worden waren31 . Die Europäische Fama hatte sich schon zuvor kritisch zu Max Emanuel geäußert. Sie 30
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[S TANISLAUS R EINHARD ACXTELMEIER (Hg.)]: Monatlicher Staats-Spiegel; Worinnen der Kern aller Avisen; Ein Begriff der vornehmsten im H. Röm. Reich vorfallenden Affairen mit vilen Curiosen Beylagen, samt einigen Politischen Reflexionen sich repraesentirt und vorstellet, Augsburg 1698–1709. Bericht über die Ächtungszeremonie: Monatlicher Staats-Spiegel, Jg. 1706, Mai-Heft, 9–40; Bericht über das vorausgegangene Conclusum des Kurfürstenrats vom 27. November 1705: Jg. 1706, August-Heft, 17–20.
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Abbildung 2: Warhaffte Abbildung / Welcher gestalt von Sr. Röm. Kays. Maj. JOSEPHUS I, die Acht= und Ober=Achts=Erklärung / wider die beede Gebrüder / und gewesene Chur=Fürsten von Cölln und Bayern auf dem Ritter=Saal den 29. April An. 1706. in Wien vorgenommen / und vollzogen worden. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Historische Blätter Nr. 24977,1 (Kapsel 1332). – Impressum: LEJPZJG / Bey JOH. THEOD. BOETIO, 1706.
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wurde von Philipp Balthasar Sinold von Schütz in Leipzig herausgegeben und war damit, anders als der Monatliche Staats-Spiegel, dem bayerischen Zugriff entzogen32 . Bereits das Kriegsmanifest, durch das Max Emanuel seine Städteeroberungen in Süddeutschland 1702 bemäntelt hatte, war mit den Worten zur Beschönigung seines Unternehmens kritisch kommentiert worden33 . Die Absetzungszeremonie füllte das gesamte 49. Heft des Periodikums aus, in dem neben der Schilderung des Actus auch die beiden Ächtungspatente im vollen Wortlaut abgedruckt wurden34 . Es folgte ein Exkurs über die Praxis und die Rechtsfolgen der Reichsacht. Im Folgeheft wurden auch die Publikationen in Regensburg und an anderen Orten mitgeteilt35 . In der Zeitschrift Der neubestellte Agent von Haus aus deutete Andreas Stübel die Ächtungszeremonie im erweiterten kosmischen Kontext. In der Nacht vom 27. auf den 28. April 1706 hatte es eine Mondfinsternis gegeben, am 12. Mai 1706 ereignete sich eine totale Sonnenfinsternis, die in Süddeutschland zu sehen war. Die beiden grosse[n] Lichter, die verfinstert worden waren, wurden mit den abgesetzten Wittelsbacherherrschern in Verbindung gebracht. Auch das schwere Gewitter vom 30. April auf den 1. Mai, bei dem der Wiener Stephansdom vom Blitz getroffen worden war, ließ sich als Bannstrahl des Kaisers gegen die hochadligen Rechtsbrecher umdeuten. Diese Omina erfreuten die Leserschaft mit angenehmem Gruseln, denn sie aktualisierten den Glauben an die Zeichenhaftigkeit von Himmels- und Wettererscheinungen zur göttlichen Mahnung an die Menschen36 . Eine symbolische Handlung der Folgezeit fand in der Europäischen Fama gebührende Würdigung. Die Mitteilung, dass in den Räumen der kaiserlichen Schlösser in Wien alle Abbildungen mit den beiden gewesenen Wittelsbacherkurfürsten abgehängt worden seien, kommentierte Sinold von Schütz mit den Worten: Das [. . . ] ist eine Revange, die von dem Triebe der Menschlichen Natur entspringet, alldieweil niemand gerne das Bild desjenigen lieben oder in seinem Zimmer leiden wird, der uns alles gebrannte Hertzeleid angethan, und biß dato nicht unterlässet, uns den äussersten Verdruß allenthalben zu verursachen, und unsern gäntzlichen Ruin zu suchen37 .
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[P HILIPP BALTHASAR S INOLD VON S CHÜTZ (Hg.)]: Die Europäische Fama, welche den gegenwärtigen Zustand der vornehmsten Höfe entdecket, Leipzig 1702–1735. Handstreich gegen Ulm, 8. September 1702, mit Kriegsmanifest: Die Europäische Fama, 1702, H. 8, 741–744. Bayerisches Schreiben an die benachbarten Reichskreise, Herbst 1702: Ebenda, H. 9, 795–802. – Warnendes Kaiserliches Handschreiben vom 18. September 1702: Die Europäische Fama, 1702, H. 9, 802–805. Ächtungspatent gegen den früheren Kurfürsten von Köln, 29. April 1706: Die Europäische Fama, 1706, H. 49, 16–24; Ächtungspatent gegen den früheren Kurfürsten von Bayern, 29. April 1706: Ebenda, 24–32. Bekanntgabe der Ächtungspatente: Die Europäische Fama, 1706, H. 50, 110–112. [A NDREAS S TÜBEL (Hg.)]: Der neubestellt Agent von Haus aus, mit allerhand curieusen Missiven, Brieffen, Memoralien, Staffeten, Correspondencen, und Commissionen, nach Erforderung der heutigen Staats- und gelehrten Welt, Freyburg [= Leipzig] 1704–1707, hier Heft 6, 1706, 410–435. Die Europäische Fama, 1706, H. 50, 116.
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Die Berichte in den fremdsprachigen Periodika
Begreiflicherweise wurde die Absetzung der Wittelsbacherkurfürsten auch in der Presse außerhalb des Reiches stark beachtet. Die wichtigste französische Zeitung, die Gazette de France, unterlegte den Bericht über die Wiener Zeremonie mit dem Vorwurf, keine der rechtlichen Formalitäten sei eingehalten worden, weshalb der ganze Akt nichtig sei. Der Reichstag habe nicht im Ganzen darüber abgestimmt, zudem handele es sich um einen Konflikt der Wittelsbacher mit dem Haus Österreich, wie die Betroffenen mehrfach in ihren Manifesten ausgeführt hätten38 . Auf die weiteren öffentlichen Zeremonien verwies die Zeitung nicht, denn sie waren aus ihrem Verständnis heraus allesamt unrechtmäßig und substanzlos. In London hatte die London Gazette bereits den Sieg der kaiserlich-englischen Koalition 1704 bei Blenheim/Höchstädt mit Jubelstürmen gefeiert und monatelang Glückwunschadressen aller gesellschaftlich relevanten Gruppen bis hinunter zu Handwerkerkorporationen an Königin Anna abgedruckt39 . Die förmliche Absetzungszeremonie vom 29. April wurde kurz und sachlich vermerkt40 . Die übrigen öffentlichen Verkündigungen fanden keine Beachtung; die Zeitung war mit Berichten über den Spanischen Erbfolgekrieg gefüllt, Zeremonien geringeren Gewichts mussten dahinter zurückstehen. Die Drehscheibe der politischen Nachrichtenübermittlung im 17. und frühen 18. Jahrhundert war indessen die Niederländische Republik41 . Dort berichteten mehrere Zeitungen über das Geschehen in Europa und zudem in den Kolonien der europäischen Mächte. Der Spanische Erbfolgekrieg gehörte zu den zentralen Themen, zumal die Republik zwischen 1689 und 1702 unter Wilhelm III. von Oranien mit England in Personalunion verbunden war und weiterhin in der antifranzösischen Koalition mitwirkte. Die wichtigste Zeitung war die Gazette d’Amsterdam. In Frankreich wurde sie bald auch Gazette de Hollande genannt. Sie erschien nach einigen Vorläufern von 1691 bis 1796 kontinuierlich in französischer Sprache, der Lingua franca der Zeit, und genoss in vielen Ländern hohes Ansehen wegen ihrer Unabhängigkeit. Die Stände der Provinz Holland waren bereit, das frankreichskeptische Blatt zu dulden, ebenso wie eventuelle Proteste aus Paris42 . Über die 38
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Gazette de France, 22. Mai 1706, per Bericht aus Wien vom 1. Mai: Le 29., les Electeurs de Cologne, & de Baviere furent mis au Ban de l’Empire, par un decret du Conseil Aulique, par ordre & en presence de l’Empereur sans observer aucune des formalitez prescrites par les loix de l’Empire, qui veulent qu’en de pareilles occasions, les accusez soient jugez en pleine Diete, aprés avoir esté citez & entendus en leurs défenses en persone, ou par leurs Procureurs. Cependant on ne peut leur rien imputer, sinon qu’ils ont voulu demeurer neutres dans une querele à laquelle l’Empire n’a aucune part, & qui ne regarde que les interests particuliers de la Maison d’Autriche, ainsi que ces Princes ont plusieurs fois representé, quoique inutilement, dans leurs Manifestes. Diese Adressen zogen sich von Anfang September 1704 bis mindestens April 1705 hin. The London Gazette, 13. Mai 1706, per Bericht aus Wien vom 5. Mai: The Electors of Cologne and Bavaria being put to the Ban of the Empire, the Sentence against them was declared the 28th [richtig: 29th , J. A.] past with great Solemnity, the Emperor being present, sitting on his Throne, and attended by the great Officers of State, and the Rest of the Nobility. Zur Bedeutung der Niederlande vgl. J OHANNES A RNDT: Die europäische Medienlandschaft im Barockzeitalter. In: I RENE D INGEL , M ATTHIAS S CHNETTGER (Hg.): Auf dem Weg nach Europa. Deutungen, Visionen, Wirklichkeiten. Kolloquium zum 65. Geburtstag von Heinz Duchhardt, 13. bis 15. November 2008, Göttingen 2010, 25–40, bes. 28–30. Zu Entstehung und Struktur der Zeitung: P IERRE R ÉTAT: La Gazette d’Amsterdam, miroir de l’Europe au 18e siècle, Oxford 2001. Lexikalischer Überblick: J EAN S GARD: Art. Gazette d’Amsterdam. In: J EAN S GARD (Hg.): Dictionnaire des journaux (1600–1789), Bd. 1, Paris 1991, 450–453. – Das Periodikum liegt in einer CD-ROM-Edition komplett vor: Gazette d’Amsterdam, 1691–1796. Niederländische Zeitung
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Ächtung Max Emanuels und seines Bruders berichtete die Zeitung sehr knapp, erwähnte dann allerdings auch die Publikationen des Banns in Regensburg, München, Köln, Lüttich und an anderen Orten43 . In niederländischer Sprache erschien der Oprechte Haerlemse Courant44 . Das Periodikum hatte an der bayerischen Expansionspolitik in Süddeutschland ebenso Anteil genommen wie an der Schlacht von Höchstädt. Die Ächtungszeremonie aus Wien wurde knapp erwähnt. Das Ergebnis sei gewesen, dass sich die früheren Kurfürsten nur noch Josef Clemens und Max Emanuel aus dem Haus Wittelsbach nennen dürften. Ihre Untertanen und Bediensteten seien von allen Eiden befreit worden, die sie den früheren Herren geschworen hatten45 . In zwei weiteren Ausgaben berichtete die Zeitung von der Verkündung der Achtserklärung am Reichstag in Regensburg46 . Für die Zeitschriften in Frankreich stellte die Absetzung der Wittelsbacherkurfürsten kein Thema dar. Dies überrascht angesichts der Verstrickung der französischen Krone in diesen Fall nicht. Nur die im französisch besetzten Luxemburg erscheinende Zeitschrift La Clef du Cabinet berichtete zugunsten der Pariser Politik47 . Für die Bewertung der Politik Max Emanuels sind die Supplementbände von 1713 heranzuziehen. Dort wurde argumentiert, der Bayernherzog sei berechtigt gewesen, für Frankreich zu kämpfen, denn Leopold I. habe seinen Kampf um das spanische Erbe nur in seiner Eigenschaft als Erzherzog von Österreich, nicht aber als Kaiser führen können48 . Die Absetzungszeremonie vom April 1706 charakterisierte die Zeitschrift demnach als unrechtmäßig49 . Im Juliheft schrieb der Redakteur desselben Periodikums, eine Fürstenabsetzung im Reich sei nur dann legitim, wenn alle drei Kurien des Reichstags zuvor zugestimmt hätten50 . Diese Rechtsauffassung behielt die Zeitschrift auch in der Folgezeit bei. In England berichtete The Present State of Europe über den Ächtungsakt in einem fast zwei Seiten langen Text51 . Die anwesenden Hofbeamten wurden namentlich genannt, der Kaiser als gerechter Herrscher bezeichnet, der die Verbrechen der beiden früheren Kurfürs-
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in französischer Sprache. CD-ROM-Ausgabe, hgg. von P IERRE R ÉTAT, PASCALE F ERRAND , DANIEL ROUX, 12 CD-ROMs, Oxford, Paris 2000–2002 (Voltaire Foundation). Gazette d’Amsterdam, Ausgaben vom 14. Mai bis 25. Mai 1706. Die Zeitung wurde von Pieter und Abraham Casteleyn gegründet und erschien in Haarlem von 1656 bis 1795. Ältere monographische Studie: W ILLEM P IETER S AUTIJN K LUIT: De Haarlemsche Courant, Leiden 1873. Oprechte Haerlemse Courant, 15. Mai 1706, per Bericht aus Wien vom 1. Mai. Oprechte Haerlemse Courant, 18. und 22. Mai 1706, per Bericht aus Regensburg vom 10. und 13. Mai. [A NDRÉ C HEVALIER (Hg.)]: La Clef du Cabinet des Princes de l’Europe ou Recueil Historique et Politique sur les matières du temps [. . . ], 87 Bde., Luxemburg 1704–1747. – Lexikalische Vorstellung: J EAN -P IERRE K UNNERT: Art. La Clef du Cabinet des Princes (1704–1773). In: S GARD: Dictionnaire des journaux (wie Anm. 42), Bd. 1, 234 f. Zur Zeitschrift im Kontext der luxemburgischen Mediengeschichte: ROMAIN H ILGERT: Zeitungen in Luxemburg 1704–2004, Luxemburg 2004, 14. La Clef du Cabinet, Supplementband 2, 1713, Buch 5, Kap. 6, 349 f. La Clef du Cabinet, Bd. 4, H. 1 (Juniheft), 1706, 422. La Clef du Cabinet, Bd. 5, H. 2 (Juliheft), 1706, 27 f. [H ENRY R HODES , J OHN H ARRIS (Verl.)]: The Present State of Europe: Or, the Historical and Political Monthly Mercury. Containing all the Public and Private Occurrences, Civil, Ecclesiastical, and Military, that are most Considerable in every Court: The Various Interests of Princes, their Pretensions, Disputes, and Intrigues etc. [. . . ], London 1691–1733. Robin Walker hält das Periodikum für einen englischsprachigen Ableger des Mercure Historique et Politique aus Den Haag, der nur um den England-Teil vermindert war: ROBIN B. WALKER: The Newspaper Press in the Reign of William III. In: The Historical Journal 17 (1974), 691–709, hier 697.
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ten ahndete. Es folgte der Hinweis auf die Verlesung der Vergehen, den Schuldspruch und die Zerstörung der Belehnungsarchivalien. Am Schluss wies der Berichterstatter auf die Verkündigungen in Wien, Regensburg und an früheren Regierungsorten der beiden Geächteten hin52 . Im folgenden Monatsheft wurde bestätigt, dass die vorgesehenen öffentlichen Verlautbarungen in den betroffenen Städten inzwischen vollzogen worden waren53 . In den Niederlanden griff vor allem der Mercure historique et politique die Wiener Zeremonie auf. Der Mercure historique war die führende französischsprachige Zeitschrift mit europaweiter Ausstrahlung; er wurde in Den Haag verlegt54 . Jean Lombard hat dem aus Frankreich stammenden Gründungsherausgeber Gatien des Courtilz de Sandras mehrere Studien gewidmet, die ihn als Literaten, scharfzüngigen Publizisten und Zeitungsherausgeber charakterisieren55 . Der Mercure historique beschrieb die Absetzungszeremonie unter Angabe der anwesenden Funktionsträger und unter Nennung der Vorwürfe, die zum Urteil geführt hatten. Der erste Satz war identisch mit dem Anfangssatz der Meldung in der Gazette d’Amsterdam56 . In den Additions zum Maiheft 1706 schrieb der Mercure historique, es sei allen Reichsuntertanen verboten, die geächteten Wittelsbacher anders als Josef Clemens oder Max Emanuel aus dem Haus Bayern zu bezeichnen. Auch sei Josef Clemens weiterhin in seiner Person geschützt, was mit seinen geistlichen Würden zusammenhänge57 . Im Juniheft der Zeitschrift verwies der Redakteur auf die Publikation der Ächtungen an den üblichen Orten im Reich. Auch wurde das Publikum unterrichtet, dass die Söhne des früheren Kurfürsten von Bayern auf Anordnung des Kaisers nach Klagenfurt gebracht worden seien58 . Die in Amsterdam und Den Haag erscheinenden Lettres historiques interpretierten das Geschehen in Wien neutraler als der Mercure historique59 . Schon zu Beginn der Militäraktionen Max Emanuels waren auch dessen Standpunkte in der Berichterstattung dargestellt worden. Im Aprilheft der Zeitschrift erschien ein Hinweis auf die bevorstehende Ächtung60 . Im Maiheft folgte dann die Kurzschilderung der Absetzungszeremonie im Umfang eines ca. 200 Wörter umfassenden Absatzes. Die handelnden Personen wurden nicht aufgelistet, dafür das Verlesen der Achterklärungen sowie das Zerreißen der Belehnungsdokumente und die öffentlichen Publikationen in Wien durch den kaiserlichen Herold61 .
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Present State of Europe, 1706/1, Aprilheft, 157 f. Present State of Europe, 1706/1, Maiheft, 183. [G ATIEN DES C OURTILZ DE S ANDRAS (Begründer)]: Mercure historique et politique, 192 Bde., Den Haag 1686–1782. J EAN L OMBARD : Courtilz de Sandras ou l’aventure sous le regne de Louis XIV, Diss. Paris 1978; DERS.: Courtilz de Sandras et la crise du roman à la fin du Grand Siècle, Paris 1980; DERS.: Les rédacteurs du Mercure historique et politique de La Haye (La Haye, novembre 1686 – avril 1782). In: ROGER L ATHUILLÈRE (Hg.): Langue, Littérature du XVIIe et du XVIIIe siècle. Mélanges offerts à Frédéric Deloffre, Paris 1990, 295–307. Mercure historique, 1706, H. 40/1, Maiheft 1706, 505 f. Mercure historique, 1706, H. 40/1, Maiheft 1706, 573. Mercure historique, 1706, H. 40/1, Juniheft 1706, 614. Lettres historiques, contenant ce qui se passe de plus important en Europe, et les réflexions nécessaires sur ce sujet, 73 Bde., Den Haag/Amsterdam 1692–1728 (Verleger: Adrien Moetjens/Jacques Desbordes; Redaktion: Jacques Bernard/Jean Dumont). – Forschungsüberblick zum Periodikum: P HILIP S TEWART: Art. Lettres historique. In: S GARD: Dictionnaire des journaux (wie Anm. 42), Bd. 2, 744 f. Lettres historiques, Bd. 29, 1706, Aprilheft, 380. Lettres historiques, Bd. 29, 1706, Maiheft, 498 f.
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Im Juniheft wurden auch die öffentlichen Bekanntgaben der Ächtung in Regensburg und den Residenzen der früheren Kurfürsten vermerkt62 . In niederländischer Sprache erschien der Europische Mercurius im Verlag von Timotheus ten Hoorn in Amsterdam63 . Ähnlich wie der Mercure historique stand das Periodikum auf Seiten der kaiserlich-englischen Koalition und damit auf Seiten der geschädigten Reichsstände. Es bezeichnete die Absetzungszeremonie mit dem Attribut „endlich“ zur Charakterisierung eines Prozesses, der schon lange erwartet worden war. Der Ablauf des Geschehens wurde unter Nennung der beteiligten Akteure berichtet. Auch der feine Unterschied zwischen der völligen Ächtung Max Emanuels und der Privatierung Josef Clemens’, der seine kirchlichen Würden und den damit verbundenen Schutz behielt, wurde korrekt dargestellt64 . Der Leser erfuhr im Weiteren von den Proklamationen der Ächtung in Regensburg, in den Residenzen der Wittelsbacherherrscher, wo die Untertanen von ihren Treueiden entbunden wurden, aber auch in den Reichsstädten Augsburg, Nürnberg, Ulm und Frankfurt am Main65 . Der Europische Mercurius wies im Folgeband darauf hin, dass Max Emanuel den niederländischen Generalstaaten im Herbst 1706 in französischem Auftrag Friedensgespräche angetragen hatte. Dabei wird deutlich, dass die Generalstaaten dem Wittelsbacher weiterhin die kurfürstlichen Kurialien gaben, vermutlich, weil sonst kein diplomatischer Verkehr hätte aufgenommen werden können66 . Die in Zürich erschienene Zeitschrift Historischer und Politischer Mercurius berichtete detailliert über Max Emanuels Expansionspolitik in Süddeutschland, zumal die Eidgenossenschaft sich ebenso bedroht fühlen konnte wie Tirol67 . Die Berichterstattung war sachlich. Zur Schlacht von Höchstädt wurde räsonniert, dass Frankreich seit der Schlacht bei St. Quentin 1557 keine Niederlage dieses Ausmaßes mehr hatte erleiden müssen68 . Über die Ächtung wurde mit fast zwei Seiten Umfang ausführlich berichtet. Die Ächtungsgründe, einige der handelnden Personen, der Verlauf der Zeremonien und die weiteren Bekanntgaben wurden angeführt69 . Eine reichsrechtliche Bewertung, eine Verurteilung der gewesenen Kurfürsten oder gar ihres Protektors in Versailles ließ sich im Periodikum hingegen nicht finden. 62 63
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Lettres historiques, Bd. 29, 1706, Juniheft, 603–605. [T IMOTHEUS TEN H OORN (Begründer)]: Europische Mercurius, Behelzende Al het voornaamste ’t geen, zo omtrent de zaaken van Staat als Oorlog, in alle de Koningryken en Landen van Europa, en ook zelfs in verscheidene Gewesten van d’andere Deelen der Wereld, is vorgevallen, 50 Bde., Amsterdam 1690–1739. – Forschungsstand: J OOP W. KOOPMANS: Supply and Speed of Foreign News to the Netherlands during the Eighteenth Century. A Comparison of Newspapers in Haarlem and Groningen. In: D ERS. (Hg.): News and Politics in Early Modern Europe (1500–1800), Leuven 2005, 185–201. Europische Mercurius, Stuk XVII, 1706/I, 240–243. Europische Mercurius, Stuk XVII, 1706/I, 284. Brief von Max Emanuel an die Generalstaaten, 21. Oktober 1706: Europische Mercurius, Stuk XVII, 1706/II, 308 f. – Zur Antwort der Generalstaaten an Max Emanuel, 19. November 1706: Ebenda, 309 f.; Abdruck der gesamten Resolution: 312–314. [J OHANN H EINRICH G ESSNER u. a. (Hg.)]: Historischer und Politischer Mercurius Das ist/ Kurze Monatliche Erzehlung was sich durch das ganze [1694.] Jahr/ in Europa von allerhand Welt=Händlen in Kriegs= und Friedens=Sachen/ auch in der Natur und Freyen Künsten neues zugetragen/ samt einigen Politischen Anmerkungen darüber, o.O. [Zürich] 1694–1723. – Zum Periodikum: K ARL L UDWIG L ANG: Die Zeitschriften der deutschen Schweiz bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1939, 24; R ENÉ S ALATHÉ: Die Anfänge der historischen Zeitschriften in der deutschen Schweiz (1694–1813), Basel 1959, 17. Historischer und Politischer Mercurius, 1704/II, Septemberheft, 238. Historischer und Politischer Mercurius, 1706/I, Maiheft, 364 f.
Ächtung des Kurfürsten
VI.
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Ein Fazit: Die Adressaten der öffentlichen Verlautbarungen
Üblicherweise gelten als Leser öffentlicher politischer Verlautbarungen in der Frühmoderne der Adel und das Bildungsbürgertum. Die jüngere Leseforschung hat dieses Bild bekräftigt, allerdings auf eine schrittweise Ausdehnung der Lesefähigkeit auch in anderen Bevölkerungsgruppen hingewiesen70 . Im Zuge der Erforschung frühmoderner Öffentlichkeit ist das politische Lesepublikum nach Funktionsgruppen differenziert untersucht worden. So unterscheidet Esther-Beate Körber zwischen Machtöffentlichkeit, Bildungsöffentlichkeit und Informationenöffentlichkeit71 . Im Falle der Öffentlichkeit bei diesem Ächtungsverfahren darf von zusätzlichen Teilöffentlichkeiten ausgegangen werden. Da es sich um ein rechtsförmiges Verfahren vor dem Reichshofrat unter Beteiligung des Kurfürstenkollegiums gehandelt hatte, das am 29. April 1706 seinen öffentlichen Abschluss im Sinne einer Urteilsverkündung erfuhr, war die wichtigste Adressatengruppe die der Beteiligten am Alten Reich als Rechtssystem. Die beiden hochadligen Rechtsbrecher wurden bestraft. Ihre inkriminierten Aktionen zwischen 1702 und 1704, ihre Flucht aus dem Geltungsbereich des Reichsrechts sowie ihre fortdauernde Weigerung, von ihren Vorhaben abzulassen und die strittigen Rechtsgüter ihren legitimen Eigentümern zurückzuerstatten, führten zur Absetzung in absentu und zum Verlust ihrer Herrschaft. Diese Adressatengruppe umfasste alle Gerichte im Alten Reich, von denen keines künftig Ansprüche von Josef Clemens und Max Emanuel verhandeln durfte. Hinzu kam die Gesamtheit aller Reichsstände, die es nun nicht mehr mit hochadligen Rechtsgenossen, sondern mit Geächteten zu tun hatten. Den bisherigen Verkehr mit ihnen zu pflegen war fortan verboten. Die nächste Adressatengruppe bestand aus denjenigen, deren Rechte durch Max Emanuel beeinträchtigt oder geschädigt worden waren. Dies waren vor allem die Reichsstände im Fränkischen und Schwäbischen Kreis, d. h. die regionalen Nachbarn Bayerns. Sie durften ihre Position als reichsrechtlich anerkannt sehen, durften erwarten, wenigstens wieder in den früheren Zustand zurückversetzt zu werden. Auf eine Entschädigung zu hoffen, war allerdings verfrüht, denn ein solcher Anspruch hätte nur an die Verursacher gerichtet werden können, die sich allerdings durch ihre Flucht jeglichem Zugriff entzogen hatten. Das Rechtssystem begünstigte damit die Eigentümer von Herrschaftsrechten und Immobilien, denn diese konnten nicht mit nach Frankreich genommen werden. Insbesondere gehörten zu dieser Gruppe die Städte, die Max Emanuel gewaltsam überfallen, in denen er Garnisonen und Stadtkommandeure eingelegt und von denen er hohe Kriegskontributio70
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H ANS E RICH B ÖDEKER , E RNST H INRICHS (Hg.): Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999; E RNST H INRICHS: Zur Erforschung der Alphabetisierung in Nordwestdeutschland in der Frühen Neuzeit. In: A NNE C ONRAD u. a. (Hg.): Das Volk im Visier der Aufklärung. Studien zur Popularisierung der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert, Hamburg 1998, 35–56; E RNST H INRICHS: Alphabetisierung. Lesen und Schreiben. In: R ICHARD VAN D ÜLMEN , S INA R AUSCHENBACH (Hg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln/ Weimar/Wien 2004, 539–561; H ANS -M ARTIN G AUGER: Die sechs Kulturen in der Geschichte des Lesens. In: PAUL G OETSCH (Hg.): Lesen und Schreiben im 17. und 18. Jahrhundert. Studien zu ihrer Bewertung in Deutschland, England, Frankreich, Tübingen 1994, 27–47; E RICH S CHÖN: Geschichte des Lesens. In: B ODO F RANZMANN , K LAUS H ASEMANN , D IETRICH L ÖFFLER , E RICH S CHÖN (Hg.): Handbuch Lesen, München 1999, 1–85. – Zu den angelsächsischen Vorbildern: JACK G OODY (Hg.): Literacy in Traditional Societies, Cambridge 1968. KÖRBER: Öffentlichkeiten der frühen Neuzeit (wie Anm. 9), passim; D IES.: Vormoderne Öffentlichkeiten (wie Anm. 9), 3–25.
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nen erpresst hatte. Die bayerischen Truppen waren inzwischen schon abgezogen, weitere Kontributionen an Max Emanuel konnten nicht mehr durchgesetzt werden. Was doch gezahlt worden war, musste verloren gegeben werden. Falls sich die Städte verschuldet hatten, um die Kontributionen aufzubringen, so blieben diese Verbindlichkeiten gegenüber Bankhäusern oder anderen Kreditgebern bestehen. Die dritte Adressatengruppe waren die Inhaber bayerischer Lehen, Beamte oder Landesuntertanen, die einen Lehns- oder Huldigungseid gegenüber Max Emanuel geleistet hatten. Diese Eide wurden nun aufgehoben. An ihre Stelle traten Verpflichtungen gegenüber der habsburgischen Besatzungsmacht, die nun ihrerseits Kriegssteuern erhob und die Untertanen zur Anerkennung ihrer Regierungsbefugnisse verpflichtete. Die vierte Gruppe bildeten Geldgeber, die der bayerischen Regierung vor 1704 Darlehen zur Verfügung gestellt hatten. Diese Kreditgeber konnten für die Phase der Abwesenheit Max Emanuels mit keinen Zins- und Tilgungsleistungen rechnen. Die habsburgische Militäradministration fühlte sich dafür auch nicht verantwortlich. Es blieb den Gläubigern nichts anderes übrig, als auf eine spätere Wiederkehr des Geächteten zu hoffen und darauf, dass dieser dann seine Verpflichtungen erfüllen würde. Die fünfte Gruppe waren Gebildete und Rechtsgelehrte, die mit reichsrechtlichen oder zeithistorischen Fragen befasst waren, sei es als Beauftragte anderer Verwaltungen, als Universitätsprofessoren oder als Privatgelehrte. Sie studierten die Berichte über den Ächtungsakt und bezogen die Aussagen der verlautbarten Patente in ihre Überlegungen von der Rechtssituation des Reiches oder in ihre Schriften zur Reichsgeschichte ein72 . Zu dieser Gruppe gehörten auch die Novellanten, die im Auftrag namhafter oder anonymer Geldgeber politische Nachrichten sammelten, zu Berichten zusammenstellten und verschickten. So wurden nicht nur die offiziellen Dienststellen im Reich und in Europa informiert, sondern jeder Interessent, der sich die Berichte etwas kosten ließ, darunter auch die zahlreichen Verleger und Herausgeber von Periodika aller Art in ganz Europa. Die sechste Gruppe waren die europäischen Zeitungsleser in anderen Sprachgebieten. Nachrichten aus dem Reich, vor allem mit militärisch-politischem Bezug, wurden mindestens in den ausländischen Medienregionen ständig verfolgt und daher zeitnah, wie gezeigt, ins Französische, Englische und Niederländische und vermutlich auch in andere Sprachen übersetzt. Die Presseberichterstattung im frühen 18. Jahrhundert war eine europaweite, politische und sprachliche Grenzen stellten kein Hindernis dar73 . Von „unpolitischer“ Berichterstattung, wie manchmal in der Zeitungsforschung angedeutet, kann bei der internationalen Presse keine Rede sein: Frankreich nahestehende Periodika verdeutlichten ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ächtung der Wittelsbacher, während in England und den Niederlanden entweder neutrale oder antibayerische Tendenzen nachweisbar sind. Die europäische Leserschaft konnte damit in der Gesamtheit der Presseerzeugnisse ablesen, dass das Schicksal der beiden Kurfürsten unterschiedlich perspektivierte Deutungen herausgefordert hatte. 72
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Zu Reichsrechtsausbildung und Pressesystem: J OHANNES A RNDT: Zeitung, Mediensystem und Reichspublizistik. In: VOLKER BAUER , H OLGER B ÖNING (Hg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011, 179–200. Die Nachrichtenübermittlung über Sprachgrenzen hinweg ist bislang noch nicht vergleichend untersucht worden; hier wartet noch ein weitgehend unerschlossenes Forschungsfeld auf seine Bearbeitung. Vgl. Vorüberlegungen bei A RNDT: Die europäische Medienlandschaft im Barockzeitalter (wie Anm. 41), 25–40.
Waffen, Monturen, Getreide: Geschäfte fränkischer Kaufleute im Siebenjährigen Krieg von Mark Häberlein I.
Einführung
Dass Geschäfte mit Waffen und anderen Rüstungsgütern ein Thema sind, das sowohl wirtschaftlich relevant als auch politisch sensibel ist, wurde der deutschen Öffentlichkeit erst im Sommer 2014 wieder vor Augen geführt, als Berichte über Waffenexporte deutscher Hersteller in das Bürgerkriegsland Kolumbien in den Medien zirkulierten und die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete künftig stärker zu kontrollieren, von den betroffenen Produzenten mit der Ankündigung beantwortet wurden, in diesem Fall Produktionsstätten und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern1 . Die historische Tiefendimension dieses Themas ist in den letzten Jahren durch eine Reihe von Studien zum Handel mit Rüstungsgütern und zur Belieferung von Armeen ausgelotet worden. So haben mehrere Arbeiten gezeigt, dass hanseatische, niederländische, oberdeutsche und genuesische Finanziers während des Dreißigjährigen Kriegs auf diesem Feld gute Geschäfte machten2 ; auch der Handel mit militärischen Gütern im spanisch-niederländischen Krieg und im englischen Bürgerkrieg sowie die Zirkulation von gebrauchten Gütern in frühneuzeitlichen Armeen sind näher untersucht worden3 . Unter globalgeschichtlicher Perspektive haben verschiedene Autoren auf die Bedeutung des Exports militärischer Güter nach Übersee im Zeitalter des Kolonialismus hingewiesen. „Bereits in der frühen Neuzeit,“ schreibt Jürgen Osterhammel, „war die Diffusion europäischer Rüstungstechnologie keine Seltenheit gewesen. Portugiesische, deutsche oder andere Waffenschmiede und Kanoniere hatten Inder, Chinesen, Japaner und manche anderen Abnehmer mit Musketen und Kanonen europäischen Stils versorgt.
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Vgl. exemplarisch: Gabriel verspricht Kehrtwende bei Waffengeschäften, http://www.zeit.de/politik/ 2014-05/gabriel-ruestungsexport-waffen, 18.5.2014; Deutsche Rüstungsfirmen drohen mit Abwanderung, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streit-um-exportverbote-deutsche-ruestungsfirmen-drohenmit-abwanderung-1.2138620 (abgerufen am 20.9.2014). J ULIA Z UNCKEL: Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg. Unternehmerkräfte, Militärgüter und Marktstrategien im Handel zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 49), Berlin 1997; R EGINA S CHULTE: Rüstung, Zins und Frömmigkeit. Niederländische Calvinisten als Finanziers des Dreißigjährigen Krieges. In: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder 35 (1994), 1, 46–62; A RNO S CHÜTZE: Waffen für Freund und Feind. Der Rüstungsgüterhandel Nürnbergs im Dreißigjährigen Krieg. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 45 (2004), 2, 207–224. P ETER E DWARDS: Dealing in Death. The Arms Trade and the British Civil Wars, London 2000; M ICHIEL A. G. DE J ONG: „Staat van oorlog“. Wapenbedrijf en militaire hervorming in de Republiek der Verenigde Nederlanden, 1585–1621, Hilversum 2005; B RIAN S ANDBERG: „The Magazine of all their Pillaging“. Armies as Sites of Second-Hand Exchanges during the French Wars of Religion. In: L AURENCE F ONTAINE (Hg.): Alternative Exchanges. Second-Hand Circulations from the Sixteenth Century to the Present (= International Studies in Social History 10), New York/Oxford 2008, 76–96; M ARJOLEIN ‘ T H ART: The Dutch Wars of Independence: Warfare and Commerce in the Netherlands 1570–1680. The Eighty Years Struggle, 1566–1648 (= Modern Wars in Perspective), London/New York 2014, 181–185.
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 31–42
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Mark Häberlein
Das Osmanische Reich hatte sich systematisch um europäische Waffen und die zugehörige Technologie bemüht.“ Diese „globale Verbreitung“ von Rüstungsgütern wurde im 19. Jahrhundert in großem Stil weitergeführt4 . Dass die Belieferung von Armeen mit Waffen, Uniformen, Fourage und anderen kriegswichtigen Gütern in frühneuzeitlichen Konflikten auch auf regionaler Ebene ein lukratives Geschäftsfeld darstellte, versucht der folgende Beitrag am Beispiel der Aktivitäten einer Gruppe fränkischer Kaufleute im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) zu zeigen. Eine regionalhistorische Perspektive auf Waffen- und Armeelieferungsgeschäfte erscheint gerade für die militärischen Konflikte in Mitteleuropa während des späten 17. und 18. Jahrhunderts lohnend, da zahlreiche kleinere und mittelgroße Territorien des Heiligen Römischen Reichs in dieser Zeit eigene stehende Heere aufbauten und im Rahmen der Reichskriege gegen das Frankreich Ludwigs XIV. sowie das Preußen Friedrichs II. Truppenkontingente zu stellen hatten5 . Zudem hat die Forschung gezeigt, dass die Reichskriege gegen Frankreich zwischen 1672 und 1714 sowie die im gleichen Zeitraum stattfindenden Türkenkriege der jüdischen Minderheit im Reich neue wirtschaftliche Chancen eröffneten und maßgeblich zur Herausbildung einer Wirtschaftselite jüdischer Hof- und Heereslieferanten beitrugen. Die Namen Samuel Oppenheimer, Samson Wertheimer, Behrend Lehmann und Leffmann Behrens stehen exemplarisch für die Finanzkraft dieser Wirtschaftselite und ihre organisatorischen Leistungen als Hoflieferanten, -bankiers und -juweliere sowie als Truppenversorger6 . Für das Hochstift Bamberg, das im Zentrum dieses Beitrags steht, weist eine neue Untersuchung nach, dass die Entstehung einer Gruppe großer Hof- und Armeelieferanten im späten 17. Jahrhundert aufs engste mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) sowie mit dem Regierungsantritt des Fürstbischofs Lothar Franz von Schönborn (1655– 1729) im Jahre 1693 zusammenhing. Die Bamberger „Hofjuden“ des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts – Nathan und Gabriel Heym, Marx Menasse, Moses Isaak Brillin – waren Teil des Netzwerks zur Belieferung der Reichsarmee, das die kaiserlichen Faktoren Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimer aufgebaut hatten. Sie integrierten sich in überregionale geschäftliche und verwandtschaftliche Netzwerke und avancierten zu unentbehrlichen Finanziers des Schönborn-Bischofs, der nach seiner Wahl zum Mainzer Kurfürsten (1695) zu den mächtigsten Fürsten im Reich gehörte. Insbesonde4
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J ÜRGEN O STERHAMMEL: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 4. Aufl. München 2009, 696 f. (Zitat 696); vgl. G ABOR AGOSTON: Guns for the Sultan. Military Power and the Weapons Industry in the Ottoman Empire, Cambridge 2005; E MRYS C HEW: Arming the Periphery. The Arms Trade in the Indian Ocean During the Age of Global Empire, Basingstoke 2012. Vgl. exemplarisch B ERNHARD S ICKEN: Das Wehrwesen des fränkischen Reichskreises. Aufbau und Struktur (1681–1714), 2 Bde., Nürnberg 1967; P ETER H. W ILSON: War, State and Society in Württemberg, 1677–1791 (= Cambridge Studies in Early Modern History), Cambridge 1995; J UTTA N OWOSADTKO: Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn u. a. 2007. J ONATHAN I SRAEL: European Jewry in the Age of Mercantilism, 1550–1750, 3. Aufl. Oxford 1998, 101– 118; M ORDECHAI B REUER , M ICHAEL G RAETZ: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit. Band I: Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 1996, 106–125; ROTRAUD R IES , J. F RIEDRICH BATTEN BERG (Hg.): Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 25), Hamburg 2002; P ETER R AUSCHER: Prekäre Güter: Hofjuden als Heeres- und Münzlieferanten in der Frühen Neuzeit. Ein Plädoyer für die (Re)Integration einer jüdischen Elite in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 23 (2013), 53–76.
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re während des Spanischen Erbfolgekriegs (1701–1713/14) erreichte der Umfang ihrer Armeelieferungen enorme Dimensionen7 . Obwohl Juden auch während des Siebenjährigen Krieges noch mit Heereslieferungen in beträchtlicher Größenordnung in Erscheinung traten, hatte die jüdische Wirtschaftselite in Bamberg bereits um 1730/40 ihren Zenit überschritten. Dies wird einerseits mit Konflikten und zentrifugalen Tendenzen innerhalb dieser Gruppe, andererseits mit einem Wandel in der Politik der Bamberger Fürstbischöfe erklärt. So versuchte bereits Lothar Franz von Schönborns Neffe und Nachfolger Friedrich Karl (reg. 1729–1746), die Abhängigkeit der von ihm regierten Hochstifte Würzburg und Bamberg von jüdischen Lieferanten und Kreditgebern zu reduzieren, und Adam Friedrich von Seinsheim (1708–1779), der seit 1755 bzw. 1757 in den beiden fränkischen Bistümern herrschte8 , bevorzugte seit etwa 1760 bei der Vergabe von Aufträgen gezielt christliche Kaufleute vor jüdischen9 . In diesem Kontext ist auch der vorliegende Aufsatz zu verorten. Im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen zwei große Lieferverträge, welche eine Gruppe christlicher Kaufleute in den späten 1750er Jahren mit der Bamberger Regierung bzw. mit einem Bevollmächtigten der Reichsarmee abschloss und deren Nichteinhaltung mehrere Prozesse vor hochstiftischen Gerichten und dem Reichskammergericht in Wetzlar nach sich zog. Der Beitrag ist somit an einer Schnittstelle zwischen Handelsgeschichte, Regionalgeschichte und der Geschichte der Zivilrechtspraxis angesiedelt und verortet sich im Kontext aktueller Studien, welche die Überlieferung der höchsten Reichsgerichte für die Erhellung ökonomischer Zusammenhänge und sozialer Strategien, im konkreten Fall der Strukturen und Mechanismen der Truppenbelieferung auf regionaler Ebene, nutzen10 .
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M ICHAELA S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN: Juden in Bamberg (1633–1802/03). Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume einer städtischen Minderheit (= Judentum – Christentum – Islam. Interreligiöse Studien 11 / Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 18), Würzburg 2014, 107–119. Vgl. zu ihm E GON J OHANNES G REIPL: Seinsheim, Adam Friedrich von. In: E RWIN G ATZ (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1990, 455–458. S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN: Juden (wie Anm. 7), 119–121; A NDREAS F LURSCHÜTZ DA C RUZ: . . . damit das geld in dem Landt bleibe. Hof- und Armeelieferanten unter Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim (1757–1779). In: M ARK H ÄBERLEIN , M ICHAELA S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN (Hg.): Handel, Händler und Märkte in Bamberg (1300–1800). Akteure, Strukturen und Entwicklungen in einer vormodernen Residenzstadt (= Stadt und Region in der Vormoderne 3), Würzburg 2015. Vgl. A NJA A MEND -T RAUT: Wechselverbindlichkeiten vor dem Reichskammergericht. Praktiziertes Zivilrecht in der Frühen Neuzeit (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 54), Köln/Weimar/Wien 2009; D IES .: Brentano, Fugger und Konsorten – Handelsgesellschaften vor dem Reichskammergericht (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 37), Wetzlar 2009; D IES ., A LBRECHT C ORDES , W OLFGANG S ELLERT (Hg.): Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, NF 23), Berlin/Boston 2013; M ARK H ÄBERLEIN: Der Kopf in der Schlinge. Praktiken deutscher Kaufleute im Handel zwischen Sevilla und Antwerpen um 1540. In: D ERS ., C HRISTOF J EGGLE (Hg.): Praktiken des Handels. Geschäfte und soziale Beziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und früher Neuzeit (Irseer Schriften, NF 6), 335–353; ROBERT R IEMER: Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht. Zwei Handels- und Handwerkszentren im Vergleich (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 60), Köln/Weimar/Wien 2011.
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Zugleich ergänzt er neuere Arbeiten zur Militär- und Sozialgeschichte Frankens im Siebenjährigen Krieg11 um eine wirtschaftshistorische Facette. II.
Der Waffenhandel der Hellerschen Erben
Im Januar 1757 schlossen die Erben des Bamberger Kaufmanns Johann Joseph Meinhard Heller – seine Witwe Margaretha, seine Söhne Franz Gallus und Adam Heller sowie ihre Schwester Maria Barbara Meisnerin12 – einen Vertrag mit der Bamberger Obereinnahme (einer der beiden höchsten Finanzbehörden des Hochstifts)13 über die Lieferung von 500 Gewehren samt Bajonetten für die hochstiftischen Truppen. Daraufhin trafen sie Ende Februar 1757 eine Vereinbarung mit dem Würzburger Büchsenspanner Georg Ignaz Staudinger (1698–1773)14 , der ihnen diese 500 Flinten und Bajonette zum Stückpreis von drei Reichstalern 15 Batzen (bzw. fünf Gulden 45 Kreuzern) zu liefern versprach; ein Liefertermin war in dieser Übereinkunft nicht enthalten15 . 11
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E RIK O MLOR: Der Untertan im Krieg der Fürsten. Zum Verhältnis von Militär und lokaler Bevölkerung am Beispiel der preußischen Invasion des Hochstifts Bamberg 1758. In: M ARK H ÄBERLEIN , K ERSTIN K ECH , J OHANNES S TAUDENMAIER (Hg.): Bamberg in der Frühen Neuzeit. Neue Beiträge zur Geschichte von Stadt und Hochstift (= Bamberger Historische Studien 1 / Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 11), Bamberg 2008, 143–172; A NDREAS L EIPOLD: Der preußische Einfall ins Hochstift Bamberg im Jahr 1758. In: Archiv für Geschichte Oberfrankens 89 (2009), 49–79; J ONAS G EISSLER: „Wenn wie alle Helden wären!“ – Eine landesgeschichtliche Posse aus dem Siebenjährigen Krieg (Kronach 1763). In: C HRISTOPH PAULUS (Hg.): Perspektiven einer europäischen Regionalgeschichte. Festschrift für Wolfgang Wüst zum 60. Geburtstag (= Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 106), Augsburg 2014, 37–60. Im Bamberger Bürgerbuch ist die Aufnahme des aus Würzburg stammenden Schönfärbers und Tuchfabrikanten (Johann) Joseph Meinhard Heller in das für die Aufnahme einer Handelstätigkeit erforderliche Große Bürgerrecht am 20. März 1737 verzeichnet. Er war mit der aus Gerolzhofen im Hochstift Würzburg stammenden Maria Margaratha, einer geborenen Lindnerin, verheiratet. Der Bürgerbucheintrag vermerkt explizit, dass die Kinder des Ehepaars namens Johann Philipp, Johann Franz Gallus, Maria Barbara, Hans Adam, Johann Joseph und Barbara Theresia vom Bürgerrecht ausgeschlossen blieben: Stadtarchiv Bamberg, B 7, Nr. 8, fol. 138 v. Am 5. Mai 1758 erhielten Hellers damals noch ledige Söhne (Johann) Franz Gallus und (Hans) Adam gegen Zahlung von jeweils 25 Gulden das zu einer Handelstätigkeit berechtigende Große Bürgerrecht der Stadt Bamberg: Stadtarchiv Bamberg, B 7, Nr. 9, fol. 94 r. Ihre Schwester (Maria) Barbara Meisnerin wurde am 5. Oktober 1764 in das Bürgerrecht aufgenommen: ebenda, fol. 127 r. Ich danke Lina Hörl für die Mitteilung dieser Einträge aus den Bürgerbüchern. Zum Bürgerrecht in Bamberg vgl. L INA H ÖRL: Worin eigentlich die Würkungen des Großen und Kleinen Burgerrechts bestehen? Das Bamberger Bürgerrecht im 17. und 18. Jahrhundert. In: A DA R AEV, M ARGARETE WAGNER -B RAUN , M IRJAM S CHAMBECK (Hg.): Kolloquium 2009. Beiträge Bamberger Nachwuchswissenschaftlerinnen (= Forschende Frauen in Bamberg 2), Bamberg 2009, 63–95; D IES .: Schneider, Schuster und Zitronenkrämer. Die Bürgerbücher der Stadt Bamberg von 1625 bis 1819. In: Jahrbuch für Regionalgeschichte 28 (2010), 79–98. Vgl. zu diesem Gremium D IETER J. W EISS: Reform und Modernisierung. Die Verwaltung des Bistums Bamberg in der Frühen Neuzeit. In: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 134 (1998), 165–187, bes. 182 f.; J OHANNES S TAUDENMAIER: Gute Policey in Hochstift und Stadt Bamberg. Normgebung, Herrschaftspraxis und Machtbeziehungen vor dem Dreißigjährigen Krieg (= Studien zu Policey und Policeywissenschaft), Frankfurt a. M. 2012, 54 f., 60 f. Er ist als herausragender Vertreter des Würzburger Büchsenmachergewerbes erwähnt in Hans-Peter Trenschel: Die Würzburger Zunft der Schlosser, Büchsen-, Uhr- und Windenmacher. In: U LRICH WAGNER (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg. Bd. 2: Vom Bauernkrieg 1525 bis zum Übergang an das Königreich Bayern 1814, Stuttgart 2004, 448–453, hier 453. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (im Folgenden BayHStA), Bestand Reichskammergericht (im Folgenden RKG), Nr. 6 537, Erben Johann Joseph Meinhard Hellers contra Georg Ignaz Staudinger, Quad. 9,
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Vor dem Reichskammergericht behaupteten die Hellerschen Erben später jedoch, sie hätten mit Staudinger mündlich vereinbart, dass die Lieferung der ersten 150 Flinten binnen drei, der übrigen 350 Exemplare binnen sechs Wochen erfolgen solle. Staudinger lieferte die 150 Gewehre offenbar wie geplant aus: Im Sommer 1757 gab er vor dem Bamberger Stadtrat zu Protokoll, dass Franz Gallus Heller und dessen Schwager Georg Meisner den Kontrakt mit ihm in Würzburg geschlossen und ihm bei dieser Gelegenheit einen Abschlag in Höhe von rund 64 Talern bezahlt hätten. Als Staudinger die erste Lieferung nach Bamberg gebracht habe, habe Franz Gallus Heller sie in seiner Gegenwart ausgepackt, besonders auch dem H[errn] v. Egloffstein, der es auch ausnehmend gelobt, dem H[errn] BauInspector und anderen in dem oberen Wohnzimmer vorgezeigt. Einige Zeit später, am Wahltag des neuen Fürstbischofs Seinsheim, sei Staudinger bei Heller zu Gast gewesen, der ihm sehr viele Ehren Bezeigung erwiesen habe. Zwei Gewehre seien sogar nach Schloss Seehof, wo der neugewählte Fürstbischof sich aufhielt, geschickt und ihm gezeigt worden16 . Die übrigen 350 Waffen hatte Staudinger hingegen erst nach drei Monaten lieferfertig. Zu diesem Zeitpunkt weigerten sich die Hellerschen Erben, sie noch anzunehmen, weil die fürstbischöfliche Obereinnahme mittlerweile nicht mehr bereit gewesen sei, diese abzunehmen17 . Letzterer Umstand hing einerseits mit dem Tod des Fürstbischofs Franz Konrad von Stadion und Thannhausen im März 1757 zusammen18 , nach dem laufende und noch nicht erfüllte Lieferverträge offenbar auf Eis gelegt wurden. Andererseits geht aus einer Supplikation der Witwe Margaretha Heller an den neu gewählten Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim vom 11. Mai 1757, die den Prozessakten beiliegt, hervor, dass die Heller ihrerseits den mit der Bamberger Regierung vereinbarten Liefertermin überschritten hatten, weswegen sich Letztere offenbar nicht mehr an die Vereinbarung gebunden fühlte19 .
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Nr. 1. Vgl. die Beschreibung dieser Akte in W ILHELM F ÜSSL , M ANFRED H ÖRNER (Bearb.): Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichskammergericht. Bd. 11: Nr. 4 492–5 584 (Buchstabe H) (= Bayerische Archivinventare 50/11), München 2004, 244 f. (Nr. 4 778). BayHStA, RKG, Nr. 11 482, Quad. 24 (Vorakt), fol. 64 v–80 r (Zitat 75 v). Ebenda, Quad. 8 (Klaglibell), fol. 35 v–36 r; RKG, Nr. 11 482, Georg Ignaz Staudinger contra Hellersche Erben 1770–1776, Quad. 15. E GON J OHANNES G REIPL: Stadion und Thannhausen, Franz Konrad von. In: G ATZ (Hg.): Bischöfe (wie Anm. 8), 481 f. BayHStA, RKG, Nr. 11 482, Quad. 16, Lit. K: Euer Hochfürstl.n Gnaden geruhen gnädigst, höchst Ihro wehemüthigst vorstellen zu dörfen, welcher gestalten ich dorthin bey Hochfürstl.r ober Einnamb einen allerseits verbindlichsten accord dahin abgeschloßen, gegen die zu gleicher zeit für Jedes stuck ausbedungene 4 thlr 500 stuck flinten, und zwar 50 stuck binnen 14 tägen, den überrest dahingegen nach 6. wöchigen zeit Verlauf zu lieferen, welche Verabredung ich weiters dem Hochfürstl: Würtzburg.n büchßen spanner Staudinger in der absicht überlaßen, alldieweilen mir zur zeit dießes berichtigten accords die gnädigste zusicherung geschehen, daß Sr Hochfürstl. Gnaden in anderen derley lieferungs-fällen auf mich huldenreichigste reflexion zu nehmen geruhen werden: Es ist demnechst etwa 14 täg nach dießen getroffenen accord das ableben Sr Hochfürstl. Gnaden höchst seel. Andenckens erfolget, und mir alsdann weiters nichts eröffnet worden, als daß ich mit der gewehr lieferung quaest. etwas inhalten sollte, welche zusag in dem gantz naturlichen Verstand eingenomen, daß die lieferung des quaest. gewehrs nicht allzu pressire. Inzwischen habe meines orths 600, dann Er Staudinger 200 thlr denen büchßen machers gesellen und anderen nebenher bedürftigen arbeits-leüthen avanciret, und es mit einander dahin bewürcket, daß das besagte gewehr würcklichen nach gestalt des Prob stucks gerathener dahier angekommen ist. Gleich wie aber die Hochfürstl. ober Einnamb zu der an- und übernahm dießes gewehrs von darumen sich nicht anverstehen will, alldieweilen wir angeblich in Tempore mit der lieferung nicht eingehalten hätten, dießes sich von uns nicht sagen laßen kann; Als habe Eüer Hochfürstl. Gnaden fusfälligst bitten wollen,
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Staudinger verklagte die Hellerschen Erben daraufhin vor dem Bamberger Stadtmagistrat und erwirkte dort Ende Oktober 1757 ein Urteil, dem zufolge die Beklagten binnen 14 Tagen nachweisen mussten, dass der Liefervertrag tatsächlich eine sechswöchige Lieferfrist vorsah. Die Hellerschen Erben appellierten gegen diese Entscheidung an die fürstbischöfliche Regierung und erreichten dort, dass Staudinger und seine Frau unter Eid aussagen sollten, welche mündlichen Absprachen zwischen ihnen getroffen worden seien. Nach längeren Auseinandersetzungen um diese Eidesleistung forderten die Hellerschen Erben am 8. Mai 1758 plötzlich vor dem Bamberger Stadtmagistrat, dass die restlichen 350 Gewehre ihnen nunmehr binnen acht Tagen geliefert werden sollten. Staudinger wies hingegen darauf hin, dass die Wege sehr unsicher seyen, und teilte seinen Vertragspartnern schließlich mit, dass die bei dem Gewehrhändler Jakob Friedrich Schübler & Consorten im thüringischen Zella lagernden 350 Gewehre bereits im April bei einem Vorstoß eines preußischen Freikorps unter dem Obristen Mayr erbeutet worden seien. Schübler schrieb im Mai 1758 aus Zella an Staudinger, er sei nach Dresden gereist und bei Prinz Heinrich von Preußen wegen der Rückgabe der Gewehre vorstellig geworden; allein es war vergebens, und ich wurde abgewießen, es wäre feindlich reichß gewehr, und muste unverrichter Sache wieder nach Hauß Reißen. Nach seiner Auffassung hatte Staudinger für den entstandenen Schaden aufzukommen: der Herr wird wohl vorstellen können. daß wir zu der Sache nicht stillschweigen können, sondern unßern regress an dem Herrn suche, Es ist unser schuld nicht, es ist dem Herrn bekannt, daß solches schon voriges Jahr zu Ende Julij monath als ich in Würtzburg geweßen, fertig gestanden, und also der Herr unseren Contract nicht gehalten, erwarte ehestens dero resolution20 . Obwohl diese Darstellung vom Amtmann zu Zella offiziell bestätigt wurde, schenkten ihr die Hellerschen Erben keinen Glauben und vermuteten, dass Staudinger ganz etwas anders im Schild führe. Obwohl Staudinger nur 150 Flinten ausgeliefert hatte, verlangte er die Bezahlung der ganzen vereinbarten Lieferung und erhielt im Oktober 1759 vor dem Bamberger Stadtrat recht. Dennoch ging die Auseinandersetzung weiter: Die Hellerschen Erben wandten sich erneut an die Bamberger Regierung, welche im Juli 1760 entschied, dass sie zunächst nur die 150 tatsächlich gelieferten Gewehre bezahlen und für die übrigen eine Kaution leisten sollten21 . Die Frage, wer für den Verlust der 350 Gewehre finanziell aufzukommen hatte, blieb auch in der Folgezeit umstritten. Im Februar 1763 beschwerte sich der Anwalt Staudingers bei Fürstbischof Seinsheim, dass die Hellerschen Erben die Forderung über 1 915 Gulden, die seinem Mandanten gerichtlich zuerkannt worden sei, immer noch nicht beglichen hätten22 , und zwei Monate später erschien der kaiserliche Notar Heinrich Carl Christoph Schindler mit zwei Zeugen vor dem Bamberger Stadtrat und bot an, 757 Gulden als Kaution für die 150 gelieferten Gewehre zu hinterlegen, wurde vom Rat aber an die fürst-
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höchst dieselbe geruhen gnädigst, wenigstens so vielles gewehr mir abnehmen zu laßen, als die Jenige 800 thlr, so ich denen arbeits-leüthen avanciret, austragen, damit ich nicht den ohnverschmertzlichsten schaden ohne all mein verschulden und ohne mindeste Vortheils gewinnung zu erleiden haben mögte. Im August 1757 appellierte die Witwe nochmals an den Fürstbischof: ebenda, Lit. L. BayHStA, RKG, Nr. 11 482, Quad. 16, Lit. E; Quad. 24 (Vorakt), fol. 40 v–41 r. BayHStA, RKG, Nr. 6 537, Quad. 8 (Klaglibell), fol. 36 r–45 r; Quad. 9, Nr. 2–3 (fol. 55 v–57 r), Nr. 6 (fol. 59 v–60 r), Nr. 7–8 (fol. 60 v–65 r); Quad. 11, fol. 81 r–101 v; Quad. 19 (Vorakt); RKG, Nr. 11 482, Quad. 15. BayHStA, RKG, Nr. 6 537, Quad. 5, fol. 18 r–20 r; Quad. 6, fol. 25 r–26 r.
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bischöfliche Regierung verwiesen23 . Noch im selben Jahr appellierten die Hellerschen Erben an das Reichskammergericht, das im Juli 1769 jedoch das vorinstanzliche Urteil bestätigte und die Kläger zur Übernahme der Gerichtskosten verurteilte24 . Die Bamberger Regierung vollstreckte zwar das Urteil, entschied aber am 23. November 1769, dass die Hellerschen Erben für die 350 von den Preußen erbeuteten Gewehre nicht aufzukommen hätten. Dagegen appellierte nun Georg Ignaz Staudinger 1770 an das Reichskammergericht, weil er der Auffasung war, dass für die fatale Zeitverzögerung zwischen August 1757, als sie der Bamberger Stadtrat zur Abnahme der Gewehre verpflichtet hatte, und April 1758, als diese in die Hände des preußischen Detachements fielen, allein die Heller verantwortlich seien. Aus Sicht von Staudingers Anwalt konnten sie ihr eitles und bodenloses angeben, es wäre eine 6. wochige lieferungs-zeit dem Contract beygesetzt worden, [. . . ] weder durch den accord, noch sonst mit einem schein der wahrheit beweisen25 . 1775 wies das Reichskammergericht Staudingers Klage ab und verwies sie an die Vorinstanz zurück. Das Gericht hielt es nicht für plausibel, dass die Hellerschen Erben mit der Bamberger Obereinnahme einen festen Liefertermin vereinbart hatten, Staudinger aber in dieser Hinsicht völlig frei gewesen sei. Das bloße Anerbieten des Würzburger Büchsenspanners, die Gewehre zu liefern, sei zudem nicht gleichbedeutend mit der Erfüllung des Kontrakts; Staudinger hätte vielmehr auch die 350 ausstehenden Gewehre nach Bamberg liefern müssen. Ferner habe er nicht glaubhaft dargelegt, dass die in Zella erbeuteten Gewehre tatsächlich den Hellerschen Erben gehörten, und habe keinen entsprechenden Vertrag mit dem Gewehrhändler Schübler vorgelegt. Schließlich wäre es Staudingers Pflicht gewesen, die Gewehre an einen sicheren Ort bringen zu lassen26 . Die Darstellung der Auseinandersetzung zeigt, dass es sich um ein komplexes Geschäft handelte, in das eine ganze Lieferantenkette involviert war, die von Bamberg über Würzburg bis in das zum Herzogtum Sachsen-Gotha gehörende thüringische Zella reichte. Die Hellerschen Erben verfügten offenbar über so gute Beziehungen zur fürstbischöflichen Regierung in Bamberg, dass sie von dieser mit einem größeren Waffenlieferungsgeschäft betraut wurden; sie waren jedoch nicht in der Lage, diesen Vertrag selbst auszuführen, sondern mussten Subunternehmer beauftragen. Zugleich verdeutlicht der Konflikt, mit welchen Risiken ein regionales Liefergeschäft in dieser Größenordnung behaftet war: Unklare Absprachen, fehlende Erfahrung und mangelndes Vertrauen zwischen den Vertragspartnern erschwerten die Durchführung ebenso wie Wechsel auf dem Bischofsthron und die Unwägbarkeiten der militärischen Konstellation im fränkisch-thüringischen Raum, in dem schnelle Vorstöße der beweglichen und kampferprobten preußischen Freikorps immer wieder für Unruhe sorgten und erhebliche Schäden verursachten27 . Mehrere dieser Faktoren kennzeichneten auch das zweite große Liefergeschäft der Hellerschen Erben im Siebenjährigen Krieg, das ziemlich genau zwei Jahre nach dem ersten abgeschlossen wurde und ebenfalls zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten führte. 23 24 25 26 27
Ebenda, Quad. 9, Nr. 12, fol. 70 v–72 r. Ebenda, Spruchprotokoll. BayHStA, RKG, Nr. 11 482, Quad. 15; Quad. 24, fol. 199 r–199 v. Ebenda, Spruchprotokoll und Rationes decidendi. RUDOLF E NDRES: Franken in den Auseinandersetzungen der Großmächte bis zum Ende des Fränkischen Reichskreises. In: A NDREAS K RAUS (Hg.): Geschichte Frankens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (= Handbuch der bayerischen Geschichte III, 1), 3. Aufl. München 1997, 496–517, hier 510 f.; O MLOR: Untertan (wie Anm. 11); L EIPOLD: Einfall (wie Anm. 11).
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III.
Der Getreidehandel der Hellerschen Erben und ihre Kontakte zu Bamberger Juden
Am 10. Januar 1759 schlossen die Erben des Bamberger Kaufmanns Johann Joseph Meinhard Heller in Nürnberg einen Vertrag mit dem Feldzeugmeister und Kriegskommissar der Reichsarmee, Graf von Wilczek, über die Lieferung von 6 000 Nürnberger Zentnern trockenen, in Fässern verpackten Roggenmehls zum Preis von drei Gulden zwanzig Kreuzern pro Zentner sowie 5 000 Nürnberger Simra Hafer zum Preis von dreizehn Gulden pro Simra. Sie verpflichteten sich, die Gesamtmenge bis Ende Februar desselben Jahres an das kaiserliche Proviantmagazin nach Kitzingen im Hochstift Würzburg zu liefern, und erhielten dafür vom Proviantamt einen Vorschuss in Höhe von 28 333 Gulden und zwanzig Kreuzern. Nur zwei Tage später übertrugen die Hellerschen Erben die Durchführung dieses Vertrags mit allen Clauseln, Bedingnißen und vorrechten den Bamberger Schutzjuden Wolf Brüll, Isaak Lazarus (der für seinen Sohn Samuel handelte), Hirsch Süßlein und Jeidel Joseph Kohn. Die jüdischen Subunternehmer sagten den Hellerschen Erben und dem bei diesem Geschäft gemeinsam mit ihnen agierenden Stadtbaumeister Johann Leonhard Kratzer 4 000 rheinische Gulden als eine Erkenntlichkeit vor die grosmüthige Abtrettung nominirten Accords zu, von denen die Hälfte sofort, die andere Hälfte nach vollständiger Lieferung zu entrichten war. Zur Absicherung des Geschäfts setzten die Juden ihr gesamtes liegendes und fahrendes Vermögen hypothekarisch ein; dafür bezahlten ihnen die Hellerschen Erben 26 333 Gulden zwanzig Kreuzer, also den Vorschuss des kaiserlichen Kriegskommissars abzüglich der ersten Hälfte der Provision28 . Wie im Fall des oben behandelten Waffengeschäfts beabsichtigten die Hellerschen Erben also nicht, die für die Versorgung der Truppen benötigten Güter selbst zu beschaffen, sondern delegierten diese Aufgabe an Subunternehmer. Anders als bei der Gewehrlieferung des Jahres 1757 ging es ihnen bei diesem Getreidegeschäft aber offensichtlich allein um das Einstreichen der Provision von ihren jüdischen Vertragsnehmern. Jüdische Unternehmer hatten bei der Versorgung der hochstiftischen Truppen seit Ende des 17. Jahrhunderts eine zentrale Rolle gespielt und verfügten daher über jahrzehntelange Erfahrung auf diesem Gebiet. So stammte (Mayer) Wolf Brüll (Brillin) aus einer der wichtigsten Familien der Bamberger Wirtschaftselite. Er war ein Sohn des Hof- und Armeelieferanten Wolf Isaak Brillin, in dessen Haus er 1721 lebte. Wie Isaak Lazarus gehörte Mayer Wolf Brillin 1747 zu den gewählten Deputierten der Bamberger Landjudenschaft und zählte in dieser Funktion zu den Protagonisten einer Auseinandersetzung um die Rechnungslegung innerhalb dieser zentralen Korporation der jüdischen Selbstverwaltung. 1767 besaß er eineinhalb Häuser in Bamberg, deren Wert in einer Steuerveranlagung auf 1 100 Gulden geschätzt wurde. Hirsch Süßleins Haus in Bamberg wurde im selben Jahr auf 1 200 Gulden taxiert29 . Bei Jeidel Joseph Kohn schließlich, der 1745 einen Schutzbrief für die Residenzstadt Bamberg erhalten hatte, handelte es sich um den Oberrabbiner der dortigen 28
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BayHStA, RKG, Nr. 6 538, Erben Johann Joseph Meinhard Hellers contra Wolf Brüll und Konsorten, 1763–1769, Quad. 7, fol. 20 v–22 r; Quad. 10, fol. 38 r–38 v; Quad. 20 (Acta prioria), fol. 1 r–12 r. Wortlaut der beiden Verträge: Ebenda, Quad. 8, fol. 34 r–35 r; Quad. 9, fol. 36 r–37 r; Quad. 20 (Acta prioria), fol. 15 r–20 r. In den Verträgen ist von den Kaufmann Johann Joseph Meinhard Heller die Rede, der aber – wie der oben geschilderte Fall zeigt – zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war. Vgl. auch die Beschreibung der Akte in F ÜSSL , H ÖRNER (Bearb.): Reichskammergericht, Bd. 11 (wie Anm. 15), 242–244 (Nr. 4 777). S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN: Juden (wie Anm. 7), 32, 37, 81–83, 145.
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jüdischen Gemeinde. In einer Liste der jüdischen Einwohner aus dem Jahre 1786 wird er als vermögend bezeichnet30 . Obwohl die Hellerschen Erben behaupteten, dass diese Gruppe jüdischer Kaufleute sich aus eigener Bewegung an sie gewandt habe, erscheint es plausibler anzunehmen, dass ihnen die christlichen Kaufleute den Vertrag vor der Nase weggeschnappt hatten, um daraus schnellen Profit zu schlagen. Wie im Fall der Gewehrlieferung des Jahres 1757 traten bei der Durchführung des Geschäfts allerdings Schwierigkeiten auf. Die Hellerschen Erben warfen den jüdischen Subunternehmern in einer Klage, die sie 1763 vor dem Reichskammergericht anstrengten, vor, sie hätten vereinbarte Liefertermine nicht eingehalten und mehr als 657 Zentner ohndürftiges, von der ehemalige Schmögerischen Admodiation31 übergebliebenes Mehl, betrügerischer weiße mit eingeschoben; dies sei ihnen so übel bekommen, dass der kaiserliche Oberkriegskommissar Thomy 2 191 Gulden 22 Kreuzer, die sie für Monturlieferungen an ein kurkölnisches und paderbornisches Bataillon zu fordern hatten, einbehalten habe. Nachdem das kaiserliche Proviantamt wegen der von den Juden verschuldeten Unrichtigkeiten und des angeblichen jüdischen Betrugs keine Gelder mehr auszahlte, hätten die Hellerschen Erben ihnen Subunternehmern zu Abwendung ihres total Umsturzes aus eigenen Mitteln noch 18 447 Gulden vorstrecken müssen, um die vollständige Lieferung auch nach dem vereinbarten Termin sicherzustellen. Zudem hätten die Juden versäumt, ihnen die Quittungen über die ins Proviantmagazin gelieferten Getreidemengen auszuhändigen, und nachdem die Kasse der Reichsarmee erschöpft war, hätte man sie genötigt, eine größere Partie Stahl und Eisen zu einem überhöhten Preis anzunehmen. Auf das Angebot, diese Güter zum selben Preis zu übernehmen, sei die Gruppe um Wolf Brüll jedoch nicht eingegangen. Stattdessen hätten sie die ohnehin durch die jüdische Boßheit in den empfindlichsten Schaden gestürzte[n] Hellerschen Erben beim Bamberger Stadtmagistrat wegen einer Forderung in Höhe von knapp 7 227 Gulden verklagt und überdies vor dem fürstbischöflichen Fiskal einen Wucherprozess wegen der vereinbarten Provision von 4 000 Gulden gegen sie angestrengt. Damit hätten sie zwar keinen Erfolg gehabt, aber in der Hauptsache hätten sie im Oktober 1759 vor dem Bamberger Stadtrat und im Frühjahr 1763 auch vor der fürstbischöflichen Regierung Recht bekommen32 . Es ist offenkundig, dass die Hellerschen Erben in ihrer Klage mit antijüdischen Stereotypen arbeiteten. Sie beklagten, dass die jüdische chicanen mehrsten theils pflegen auf das 30
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Archiv des Erzbistums Bamberg, Pfarrei St. Martin, Rep. IV. 10.30./1, Tabelle über Schutzbrieferteilung, 11.2.1784, unfoliiert und Verzeichnis der allhiesigen Judenschaft in Bamberg, 2.1.1786, unfoliiert. Für diesen Hinweis danke ich Michaela Schmölz-Häberlein. Bei dieser Schmögerschen Admodiation handelte es sich um ein von dem Adeligen Franz Anton von Schmöger organisiertes Konsortium zur Versorgung der Reichsarmee. Als Unterlieferanten Schmögers werden 1758 unter anderem Johann Leonhard Kratzer, der 3 000 Zentner Mehl und fast 12 000 Simra Hafer lieferte, sowie die Bamberger Juden Joseph Brüll und Consorten, Hirsch Löw und Jakob Ullmann genannt. Kratzer führte auch die Rechnung über die Lieferungen an das Militär während der preußischen Besatzung Bambergs im Jahre 1758. Siehe dazu die Prozessschrift: F RANZ A NTON VON S CHMÖGER: Vorläufige doch gründliche Widerlegung jenes Famosen Impressi, welches unter den Nahmen des Ersten Abschnitts einer kurz und acten-mäßigen Entwicklung wider . . . Franz Anton Edlen von Schmöger, und dessen SchwiegerSohn . . . Marx Christoph Anton Mässenhauser, von Johann Christoph Edlen von Oetinger . . . mit verbitterter Schmähsucht, und unwahrhaften Vorwürffen zum Vorschein gekommen ist, München: Vötter 1761, Beilage Nr. 9, 64–67, 103 f. Der Einstieg der Hellerschen Erben in das Getreidelieferungsgeschäft scheint zeitlich mit dem Rückzug Schmögers aus diesem Metier in Verbindung zu stehen. Für diese Hinweise danke ich Michaela Schmölz-Häberlein. BayHStA, RKG, Nr. 6 538, Quad. 7, fol. 22 v–26 r; Quad. 20 (Acta prioria), fol. 112 r–143 r.
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höchste getrieben zu werden, und warfen ihren Vertragspartnern offenbahre Betrügereyen vor33 . Damit rekurrierten sie auf Klischees des verschlagenen, wucherischen und betrügerischen Juden, die bereits seit Jahrhunderten geläufig waren und immer wieder situativ aktiviert werden konnten34 . Weder die jüdischen Prozessgegner, die selbst eine Wucherklage gegen ihre christlichen Kontrahenten anstrengten, noch der Bamberger Stadtrat ließen sich davon jedoch beeindrucken. Obwohl der mit den Hellerschen Erben assoziierte Johann Leonhard Kratzer selbst dem Gremium angehörte, berichtete der Magistrat der fürstbischöflichen Regierung im Februar 1760, dass ihre Beschwerde lediglich in einem großen geschrey und leeren wort-gepräng bestehe. Die Juden hätten eine begründete Forderung vorgelegt, und die Hellerschen Erben hätten zugegeben, daß sie sich nicht getrauet hätten, den mit dem Herrn General-Feldzeugmeister grafen von Wilzeck Excell[enz] berichtigten, sonach denen benannten Juden wiederum abgetrettenen Lieferungs-Accord wohl bemercklich bis zu Ende Febru[ar] zu erfüllen. Nicht die Juden, sondern Kratzer und seine Konsorten seien für die eingetretenen Verzögerungen verantwortlich, weil sie ihren jüdischen Vertragspartnern Gelder zu spät ausgehändigt, sie verspätet über Lieferorte und -termine informiert und ihre Lieferungen nicht pünktlich bezahlt hätten. So hätten die Juden das Getreide nicht wie vereinbart nach Kitzingen, sondern nach Marktbreit liefern müssen. Allein für ihre am 5. und 6. Februar 1759 erfolgten und durch Magazinquittungen belegten Lieferungen hätten sie zwischen 28 000 und 29 000 rheinische Gulden erhalten sollen; stattdessen hätten sie am 6. Februar nur 3 412 Gulden, eine Woche später 4 618 Gulden und an den beiden folgenden Tagen 2 023 und 594 Gulden als Teilzahlungen erhalten. Für eine am 21. Februar 1759 erfolgte Lieferung hatten die Juden nochmals 18 000 Gulden zu fordern, mussten aber erheblichen Druck ausüben, ehe sie am 18. April endlich bezahlt wurden; sie hätten also zur Durchführung des Geschäfts erhebliche Vorschüsse leisten müssen35 . Die jüdischen Lieferanten bezifferten die Kosten, die ihnen durch diese Zahlungsverzögerungen entstanden seien, im Juli 1760 auf 7 125 Gulden36 . Diese Darstellung wurde von Johann Leonhard Kratzer und seinen Kompagnons energisch bestritten37 . Aus den Belegen, die den Akten beiliegen, ergibt sich, dass die beteiligten Juden innerhalb weniger Wochen eine bemerkenswerte organisatorische und logistische Leistung vollbrachten. Hirsch Süßlein, Wolf Brüll und ihre Partner konnten zwölf Magazinquittungen über die Lieferung von insgesamt 5 732 Zentnern Mehl und 4 750 Nürnberger Simra Hafer im Januar und Februar 1759 vorlegen, deren Gegenwert sich auf 80 860 Gulden 33 34
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Ebenda, Quad. 7, fol. 25 r–25 v. Vgl. z. B. S TEFAN ROHRBACHER , M ICHAEL S CHMIDT: Judenbilder. Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile, Reinbek 1991; N ICOLINE H ORTZITZ: Die Sprache der Judenfeindschaft in der frühen Neuzeit (1450–1700). Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation, Heidelberg 2005; J OACHIM E IBACH: Stigma Betrug. Delinquenz und Ökonomie im jüdischen Ghetto. In: H ELMUT B ERDING , D IETHELM K LIPPEL , G ÜNTHER L OTTES (Hg.): Kriminalität und abweichendes Verhalten. Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen 1999, 15–38; ROBERT J ÜTTE: Das Bild vom ‚Kornjuden‘ als Antifigur zum frühneuzeitlichen Prinzip der ‚guten narung‘ und der ‚moral economy‘. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 23 (2013), 27–52; M ARK H ÄBERLEIN: Christlich-jüdische Beziehungen zwischen Konkurrenz, Exklusion und Kooperation – ein Kommentar. In: Ebenda, 101–110, bes. 105–109. BayHStA, RKG, Nr. 6 538, Quad. 20 (Acta prioria), fol. 20 r–31 r (Zitate 20 v, 23 r). Ebenda, fol. 99 v–103 r. Ebenda, fol. 38 r–42 v.
Waffen, Monturen, Getreide
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belief. Außerdem hatten sie noch 249,5 Nürnberger Simra Hafer und etwas mehr als 267 Zentner Mehl im Gesamtwert von knapp 4 140 Gulden in Händen, die sie im Rahmen des Lieferkontrakts erworben hatten, aber wegen ausstehender Bezahlung zurückbehielten. Über den vertraglich vereinbarten Vorschuss von 26 333 Gulden zwanzig Kreuzern hinaus hatten sie verschiedene Teilzahlungen erhalten, doch summierten sich diese lediglich auf 77 773 Gulden, woraus sich ihre Restforderung in Höhe von 7 227 Gulden ergab38 . Nachdem die jüdischen Unternehmer bereits vor dem Stadtrat und der fürstbischöflichen Regierung Recht bekommen hatten, bestätigte auch das Reichskammergericht im Januar 1769 das Urteil der Vorinstanz und wies die Appellation der Hellerschen Erben ab39 . Der Fall bestätigt somit einmal mehr, dass Juden ihre Interessen vor obrigkeitlichen Gerichten im frühneuzeitlichen Reich effektiv zu vertreten wussten und in ökonomischen Auseinandersetzungen mit Christen – ungeachtet der gegen sie vorgebrachten Stereotypen und Ressentiments – Recht bekommen konnten, wenn die Aktenlage für sie sprach40 . Ihre Forderung tatsächlich geltend zu machen, erwies sich für Hirsch Süßlein und seine Kompagnons allerdings als schwieriger: 1770 wurden sie erneut bei der Bamberger Regierung vorstellig, weil die Hellerschen Erben eine Restforderung in Höhe von knapp 3 000 Gulden immer noch nicht beglichen hatten. Die Regierung beschloss daraufhin, die Exekution des Urteils anzuordnen41 . IV.
Fazit
Mit den Erben des Bamberger Kaufmanns Johann Joseph Meinhard Heller stand eine christliche Handelsgesellschaft im Mittelpunkt dieses Beitrags, die während des Siebenjährigen Krieges in Franken eine spezifische wirtschaftliche und politische Konstellation für sich zu nutzen versuchte. Auf der einen Seite machten die Mobilisierung großer Truppenkontingente für die Reichsarmee wie bereits in früheren militärischen Konflikten umfangreiche Waffen-, Uniform-, Lebensmittel- und Fouragelieferungen zur Versorgung der Soldaten notwendig. Auf der anderen Seite waren der in Würzburg und Bamberg herrschende Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim und seine Bamberger Regierung bemüht, die Abhängigkeit von jüdischen Lieferanten, die während der Kriege des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts einen Großteil der erforderlichen organisatorischen 38 39 40
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Ebenda, fol. 87 v–88 v, 205 v–207 v. Ebenda, Spruchprotokoll. Vgl. allgemein BARBARA S TAUDINGER: „Gelangt an eur kayserliche Majestät mein allerunderthenigstes Bitten“. Handlungsstrategien der jüdischen Elite am Reichshofrat im 16. und 17. Jahrhundert. In: S ABINE H ÖDL , P ETER R AUSCHER , D IES . (Hg.): Hofjuden und Landjuden. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit, Berlin/Wien 2004, 143–183; A NDREAS G OTZMANN , S TEPHAN W ENDEHORST (Hg.): Juden im Recht. Neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden im Alten Reich (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 39). Speziell für Bamberg S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN: Juden (wie Anm. 7), 64–75. S CHMÖLZ -H ÄBERLEIN: Juden (wie Anm. 7), 67. – Dass die Erben Johann Joseph Meinhard Hellers zu diesem Zeitpunkt keineswegs verarmt waren, zeigt der Umstand, dass ihr Vermögen in der Steuerveranlagung des Jahres 1767 auf 3 100 Gulden taxiert wurde; damit standen sie hinsichtlich ihres steuerpflichtigen Besitzes an der Spitze der damals 24 Bamberger Handelsbürger. Vgl. Z ENO H IPPKE: Zur Erforschung der frühneuzeitlichen Sozialstruktur Bambergs. Die Steuerrevision im Stadtgericht von 1767. In: H ÄBERLEIN , K ECH , S TAUDENMAIER (Hg.): Bamberg (wie Anm. 11), 223–260, sowie die von Hippke auf Grundlage dieser Quelle erstellte Datenbank im Stadtarchiv Bamberg. Der Handelsbürger Meißner im Heller‘schen Haus agierte zudem als Einnehmer der Würzburger Lotterie in Bamberg: Hochfürstlich-Bambergische Wochentliche Frag- und Anzeig-Nachrichten, 30. Mai 1760, Nr. 40.
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Mark Häberlein
und logistischen Aufgaben bewältigt hatten, zu verringern und bevorzugten systematisch christliche gegenüber jüdischen Lieferanten42 . In dieser Situation sicherten sich die Hellerschen Erben Lieferverträge, die in früheren militärischen Konflikten direkt an jüdische Unternehmer erteilt worden wären. Da ihnen aber offensichtlich die Erfahrung und Kompetenz zur Durchführung solcher Aufträge fehlte, mussten sie diese an Subunternehmer delegieren. Im Falle des 1757 mit der Bamberger Regierung abgeschlossenen Liefervertrags über 500 Gewehre war die Beteiligung eines Würzburgers Gewehrexperten und eines thüringischen Lieferanten erforderlich, so dass hier eine regionale Lieferkette mobilisiert wurde. Im Falle des Getreide- und Fouragelieferungsvertrags von 1759 wurden jüdische Unternehmer eingeschaltet, die im Hochstift Bamberg und in anderen Territorien des Fränkischen Kreises über jahrzehntelange Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügten. In der praktischen Abwicklung dieser Geschäfte traten jedoch erhebliche Koordinationsund Kommunikationsprobleme auf, die zu finanziellen Verlusten führten und langwierige juristische Auseinandersetzungen der Beteiligten nach sich zogen. In beiden Fällen zogen die Konfliktparteien schließlich vor das Reichskammergericht, das im 18. Jahrhundert nach wie vor erhebliche Bedeutung als Schlichtungsinstanz für Konflikte zwischen Wirtschaftsakteuren hatte43 . Die Auseinandersetzung zwischen den Hellerschen Erben und ihren jüdischen Subunternehmern exemplifiziert überdies die Möglichkeiten der Justiznutzung durch Angehörige der jüdischen Minderheit. Insgesamt lassen die hier untersuchten Fälle deutlich erkennen, dass Armeelieferungsgeschäfte während des Siebenjährigen Kriegs ein Untersuchungsfeld darstellen, das auf der Ebene der Reichskreise und Territorien, aber auch im Hinblick auf Formen regionaler wirtschaftlicher und politischer Kooperation noch beträchtliches Erkenntnispotential birgt.
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Vgl. F LURSCHÜTZ DA C RUZ: Hof- und Armeelieferanten (wie Anm. 9). Vgl. M ARK H ÄBERLEIN: Der Fall d’Angelis. Handelspraktiken, Kreditbeziehungen und geschäftliches Scheitern in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: D ERS ., K ECH , S TAUDENMAIER (Hg.): Bamberg (wie Anm. 11), 173–198; A MEND -T RAUT: Wechselverbindlichkeiten (wie Anm. 10); R IEMER: Frankfurt und Hamburg (wie Anm. 10).
THEMENSCHWERPUNKT: NACHHALTIGKEIT
„Nachhaltigkeit“ als historisches Thema – eine Hinführung von Oliver Auge „Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde1 . Unternehmen versprechen sich Erfolg durch eine nachhaltige Produktpalette oder ein ebensolches Management2 , während politische Parteien im Wettstreit um Wähler eine nachhaltige Politik in Aussicht stellen3 . Finanzpolitik im Zeichen der Euro-Krise steht unter dem Diktat der Nachhaltigkeit4 , wie man auch von moderner Bildungspolitik Nachhaltigkeit verlangt5 . Volkswirtschaften mit beständigem und langfristigem Wachstum sowie einer profitablen Marktwirtschaft werden wirtschaftswissenschaftlich als nachhaltig angesehen6 . Legt man übrigens diesen Maßstab an, sind alle modernen Industriegesellschaften ihrem Wesen nach nachhaltig geworden. Dauerhafte physiologische Tüchtigkeit wiederum stellt für Mediziner eine Zustandsform der Nachhaltigkeit dar, wohingegen Politik- und Sozialwissenschaftler von nachhaltigen Gesellschaften sprechen, wenn sie imstande sind, ihre politischen und sozialen Institutionen stets neu zu reproduzieren. Der amerikanische Landwirt und Kulturkritiker Wendell Berry wiederum bezog den Begriff Nachhaltigkeit auf eine Landwirtschaft, die keinen Raubbau an Böden und Menschen zugleich betreibe7 . Die Beispiele ließen sich weiter vermehren. Kein Wunder also, wenn für immer mehr Wissenschaftler und Publizisten der Begriff der Nachhaltigkeit den Charakter eines „Mode-“ oder gar „Gummiworts“ mit den damit verbundenen negativen wie positiven Implikationen – immerhin ist der Terminus Nachhaltigkeit durch seinen Gummicharakter in fast aller Munde – angenommen hat8 . Michael Rödel hat jüngst erst „die Invasion“ des Wortes Nachhaltigkeit linguistisch unter die Lupe genommen und empfiehlt angesichts seiner inflationären Verwendung und des 1
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Siehe als verständlich einführenden Überblick zur Geschichte des Begriffs „Nachhaltigkeit“ U LRICH G ROBER: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, München 2010. Eine erste hilfreiche Zusammenstellung wichtiger allgemeiner Literatur liefert auch der Artikel „Nachhaltigkeit“ unter http://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit (letzter Zugriff am 23. September 2012). Siehe dazu etwa E VELINE L UBBERS (Hg.): Battling Big Business, Countering Greenwash, Infiltration and other Forms of Corporate Bullying, Monroe 2002; S TEFAN S CHALTEGGER: Sustainability as a Driver for Corporate Economic Success. Consequences for the Development of Sustainability Management Control. In: Society and Economy 33 (1) (2011), 15–28. J ÖRG T REMMEL: Nachhaltigkeit als politische und analytische Kategorie. Der deutsche Diskurs um nachhaltige Entwicklung im Spiegel der Interessen der Akteure, München 2003, 41 ff. Ebenda, 126 f. Ebenda, 28 f. Dazu und zum Folgenden D ONALD W ORSTER: Auf schwankendem Boden. Zum Begriffswirrwarr um „nachhaltige Entwicklung“. In: W OLFGANG S ACHS (Hg.): Der Planet als Patient. Über die Widersprüche globaler Umweltpolitik, aus dem Englischen von H ANS D IETER H ECK (Wuppertal Paperbacks), Berlin/ Basel/Boston 1994, 93–122, hier: 97 ff. W ES JACKSON , W ENDELL B ERRY, B RUCE C OLMAN (Hg.): Meeting the Expectations of the Land: essays in sustainable agriculture and stewardship, San Francisco 1984. Vgl. dazu etwa U LRICH G ROBER: Modewort mit tiefen Wurzeln – Kleine Begriffsgeschichte von ‚sustainability‘ und ‚Nachhaltigkeit‘. In: Jahrbuch Ökologie 2003, München 2002, 167–175; K ARIN W ULLENWE BER : Wortfang. Was die Sprache über Nachhaltigkeit verrät. In: Politische Ökologie 63/64 (2000), 23–24, hier: 23 f.
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 45–53
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Oliver Auge
damit einhergehenden Bedeutungsverlustes bis hin zur Wahrnehmung als nichtssagende „Mogelpackung“ eine stärkere kontextuelle Definition davon, was man jeweils unter Nachhaltigkeit und nachhaltig versteht9 . Bernd Klauer versuchte sich in diesem Sinne 1999, also sozusagen am Beginn der „Invasion“ der Nachhaltigkeit, noch mit einer recht allgemeinen Begriffsbestimmung: „Die Gemeinsamkeit aller Nachhaltigkeitsdefinitionen ist der Erhalt eines Systems bzw. bestimmter Charakteristika eines Systems [. . . ]. Es soll [. . . ] immer etwas bewahrt werden zum Wohl der zukünftigen Generationen“10 . Entscheidende Bedeutung für die gesellschaftsweite Verbreitung und Verwendung des Terminus Nachhaltigkeit kommt nachweislich der Entwicklungs- und Umweltpolitik des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu. Hatte bereits Dennis L. Meadows im Bewusstsein um die Endlichkeit der Ressourcen in seinem mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ versehenen Bericht an den Club of Rome von 1972 das Wort „sustainable“ an prominenter Stelle verwendet11 und hatte der Generaldirektor der Internationalen Naturschutzunion, David Munro, den Terminus „sustainable development“ im Jahr 1980 in die „World Conservation Strategy“ eingebracht12 , so verhalf vor allem die unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland 1983 eingesetzte „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“, kurz: Brundtland-Kommission, dem Leitgedanken des sustainable development zum Durchbruch, indem sie in ihrem Abschlussbericht von 1987 ebendiese Idee als eine Entwicklung definierte, innerhalb derer die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedige, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur eigenen Bedürfnisbefriedigung zu gefährden13 . Von dort fand der Gedanke des sustainable development Eingang in die Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro und wurde als „nachhaltige Entwicklung“ in die deutsche Umweltpolitik rückübersetzt. Gemeint ist damit nach Konrad Ott im Wesentlichen, dass „regenerierbare lebende Ressourcen [. . . ] nur in dem Maße genutzt werden [dürfen], wie Bestände natürlich nachwachsen“14 . Bewusst wurde gerade von einer „Rückübersetzung“ gesprochen, denn bei dem deutschen Begriff der nachhaltigen Entwicklung handelt es sich bekanntlich nicht um eine Wortneuschöpfung in Anlehnung an das englische sustainable development, sondern um den Rückgriff auf einen Fachterminus, der in der deutschen und europäischen Forst-
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M ICHAEL RÖDEL: Die Invasion der „Nachhaltigkeit“. Eine linguistische Analyse eines politischen und ökonomischen Modeworts. In: Deutsche Sprache 41 (2013), 115–141, hier bes.: 138. – Ich danke Prof. Dr. Mark Häberlein, Bamberg, für diesen wertvollen Hinweis vielmals. – Siehe auch die entsprechenden Hinweise im Beitrag von B ERND H ERRMANN in diesem Band. B ERND K LAUER: Was ist Nachhaltigkeit und wie kann man eine nachhaltige Entwicklung erreichen? In: Zeitschrift für angewandte Umweltforschung 12 (1) (1999), 86–97, hier: 86. D ENNIS L. M EADOWS: The Limits of Growth, New York 1972, 158: „We are searching for a model output the represents a world system that is: 1. Sustainable without sudden and uncontrollable collapse [. . . ].“ Vgl. dazu U LRICH G ROBER: Tiefe Wurzeln: Eine kleine Begriffsgeschichte von ‚sustainable development‘ – Nachhaltigkeit. In: Natur und Kultur 3 (1) (2002), 116–128, hier: 116 ff. Siehe dazu auch Brundtland-Report: Unsere gemeinsame Zukunft 1987, Tl. 1, Kap. 3, Art. 27. Abrufbar unter http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/brundtland_report_1987_728.htm (letzter Zugriff am 10. Oktober 2012). Vgl. dazu und zum Folgenden kurzgefasst auch R EINHOLD R EITH: Art. Nachhaltigkeit. In: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 8, Stuttgart/Weimar 2008, 1009–1012, hier: 1009. KONRAD OTT: Läßt sich das Nachhaltigkeitskonzept auf Wissen anwenden? In: C HRISTOPH H UBIG (Hg.): Unterwegs zur Wissensgesellschaft. Grundlagen – Trends – Probleme, Berlin 2000, 299–313, hier: 301.
Nachhaltigkeit als historisches Thema
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wirtschaft bereits eine lange Geschichte hat15 . Schon die Forstordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts und sogar die Waldweistümer des ausgehenden Mittelalters16 spiegeln sinngemäß Nachhaltigkeitsdenken wider. So heißt es z. B. zur Holzgewinnung in der Kursächsischen Forstordnung von 1560, dass diese an den Enden geschehe, da es unserer wild Bahne am wenigsten nachteilig, die Wald und Holzunge auch eine vor und vor gleich wehrende Nutzunge bleiben könte und möge17 . Erstmals taucht das Wort selbst offenbar in der „Sylvicultura oeconomica oder [. . . ] Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ auf, die der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz 1713 veröffentlichte18 . Dem Buch lag seine Beobachtung zugrunde, dass innerhalb weniger Jahre in Europa mehr Holz abgetrieben worden / als in etlichen seculis erwachsen sei19 . Carlowitz forderte daher, dass man mit dem Holtz pfleglich umgehe, damit auch der lieben Posterität Holz zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehe20 . Die Holzwirtschaft sei anzustellen / dass es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe21 . Hermann Friedrich von Göchhausen griff diese Formulierung 1732 in der Neuauflage seiner „Notabilia venatoris oder Jagd- und Weidwerks-Anmerkungen“ auf22 , Wilhelm Gottfried Moser sprach 1757 in seinen „Grundsätzen der Forst-Oeconomie“ dann zum ersten Mal von „nachhaltig“ statt von „nachhaltend“23 . Ohne das Wort selbst zu verwenden, definierte schließlich Georg Ludwig Hartig 1795 in seiner „Anweisung zur Taxation und Beschreibung der Forstbestände“, was er unter Nachhaltigkeit im forstwirtschaftlichen Sinne konkret verstand: eine Waldwirtschaft nämlich, bei der stets nur so viel Holz geschlagen wird, wie auch wieder nachwachsen kann, so dass der Wald nie ganz abgeholzt wird, sondern immer wieder die Möglichkeit zur Regeneration erhält24 . Zeitgemäß ging es diesen Autoren dabei ganz offenkundig um die Erreichung einer planmäßigen, systematischen Holzproduktion; erst
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Siehe dazu J OACHIM R ADKAU: „Nachhaltigkeit“ als Wort der Macht. Reflexionen zum methodischen Wert eines umweltpolitischen Schlüsselbegriffs. In: F RANÇOIS D UCEPPE -L AMARRE , J ENS I VO E NGELS (Hg.): Umwelt und Herrschaft in der Geschichte / Environnement et pouvoir: une approche historique (= Ateliers des Deutschen Historischen Instituts Paris 2), München 2008, 131–136; R EITH: Nachhaltigkeit (wie Anm. 13), 1009–1011; D ERS.: Umweltgeschichte der frühen Neuzeit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 89), München 2011, 135 f. Siehe zu diesen die weiteren Ausführungen von A RNE PAYSEN in diesem Band. Zitiert nach K URT M ANTEL: Forstgeschichte des 16. Jahrhunderts unter Einfluß der Forstordnungen und Noe Meurers (= Schriftenreihe der forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 1980), Hamburg/Berlin 1980, 377; zwei weitere Beispiele liefert R EITH: Nachhaltigkeit (wie Anm. 13), 1010. H ANNSS C ARL VON C ARLOWITZ: Sylvicultura oeconomica oder Hauswirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, Reprint der Ausgabe Leipzig 1713, hrsg. und bearbeitet von K LAUS I RMER , A NGELA K IESSLING, mit einem Vorwort versehen von U LRICH G ROBER, Freiberg 2000. – Siehe dazu R ADKAU: „Nachhaltigkeit“ (wie Anm. 15), 131; R EITH: Nachhaltigkeit (wie Anm. 13), 1010. VON C ARLOWITZ: Sylvicultura oeconomica (wie Anm. 18), 44. Ebenda, 1. Widmung. Ebenda, 105 f. E KKEHARD S CHWARTZ: Oberlandjägermeister v. Göchhausen. Vom Wirken eines Jagd- und Forstbeamten zu Anfang des 18. Jahrhunderts. In: Archiv für Forstwesen 9 (7) (1960), 579–594, hier: 587. W ILHELM G OTTFRIED M OSER: Grundsätze der Forst-Ökonomie, Frankfurt/Leipzig 1757, 31. G EORG L UDWIG H ARTIG: Anweisung zur Taxation der Forste oder zur Bestimmung des Holzertrags der Wälder, Gießen 1795, Reprint Wiesbaden 1996.
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Oliver Auge
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gelangte naturnaher Waldbau, den man heute womöglich zuerst mit Nachhaltigkeit konnotiert, ins Blickfeld25 . Die Allgegenwart des also selbst historischen Begriffs führte fast zwangsläufig dazu, dass sich auch die moderne Geschichtsforschung, in Sonderheit die interdisziplinäre Umweltgeschichte26 , mit Nachhaltigkeit als Phänomen und analytischem Konzept beschäftigt und auseinandersetzt. Das Phänomen als solches spielte natürlich oft schon bei älteren Arbeiten zur Technik- und Umweltgeschichte in Bezug auf historische Ressourcennutzung implizit eine wichtige Rolle, ohne dass das Kind aber direkt beim Namen genannt wurde27 . Auch heute noch ist das bei vielen Arbeiten der Fall28 . Bei der expliziten Beschäftigung mit dem Stichwort Nachhaltigkeit verwundert es indes angesichts der historischen Genese des Begriffs nicht, dass es dabei zuvorderst um den Blick auf den Wald und die frühmoderne Forstwirtschaft ging und geht29 . Wenn nun freilich das Stichwort Nachhaltigkeit 25
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Dazu J OACHIM R ADKAU , I NGRID S CHÄFER: Holz. Ein Naturstoff in der Technikgeschichte (= Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik), Reinbek 1987, 159–168; R EITH: Nachhaltigkeit (wie Anm. 13), 1010 f. Vgl. zu deren Konzeption B ERND H ERRMANN: Umweltgeschichte als Integration von Natur- und Kulturwissenschaften. In: G ÜNTER BAYERL , N ORMAN F UCHSLOCH , T ORSTEN M EYER (Hg.): Umweltgeschichte. Methoden, Themen, Potentiale, Münster 1996, 21–30. Siehe z. B. das grundlegende Werk von R ADKAU , S CHÄFER: Holz (wie Anm. 25), 53 f., 59 ff., 66 ff., 99 ff. und passim; J OACHIM R ADKAU: Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts: Revisionistische Betrachtungen über die „Holznot“. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), 1–37; D ERS.: Holzverknappung und Krisenbewußtsein im 18. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), 513–543; ROLF -J ÜRGEN G LEITSMANN: Rohstoffmangel und Lösungsstrategien: Das Problem vorindustrieller Holzknappheit. In: Technologie und Politik 16 (1980), 104–154; D ONALD W OODWARD: ‚Swords into Ploughshares‘: Recycling in Pre-Industrial England. In: The Economic History Review, N. F. 2 (1985), 175–191. Vgl. etwa G ÜNTER BAYERL: Die Natur als Warenhaus. Der technisch-ökonomische Blick auf die Natur in der Frühen Neuzeit. In: S YLVIA H AHN , R EINHOLD R EITH (Hg.): Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven (= Querschnitte 8), München 2001, 33–52; R EINHOLD R EITH: Recycling im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Eine Materialsammlung. In: Frühneuzeit-Info 14 (2003), 47– 65; E LISABETH B REITENLECHNER , M ARINA H ILBER , A LOIS U NTERKIRCHER: Von der (Über)Nutzung eines ökologischen und sozialen Raumes am Beispiel des Montanreviers Schwaz im 17. Jahrhundert – eine interdisziplinäre Annäherung. In: L ARS K REYE , C ARSTEN S TÜHRING , TANJA Z WINGELBERG (Hg.): Natur als Grenzerfahrung. Europäische Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung in Mittelalter und Neuzeit: Ressourcennutzung, Entdeckungen, Naturkatastrophen, Göttingen 2009, 51–77; T HOMAS K NOPF: ‚Schleichende Katastrophen‘ – Bodenübernutzung in vorindustriellen Gesellschaften. In: PATRICK M ASIUS , JANA S PRENGER , E VA M ACKOWIAK (Hg.): Katastrophen machen Geschichte. Umweltgeschichtliche Prozesse im Spannungsfeld von Ressourcennutzung und Extremereignis, Göttingen 2010, 31–45. Siehe etwa K URT H ASEL: Zur Geschichte der Waldverwüstung in Deutschland und ihrer Überwindung durch die Forstwirtschaft. In: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 37 (2) (1993), 117–125; R ICHARD G ROVE: Green Imperialism. Colonial Expansion, Tropical Island Edens and the Origins of Environmentalism 1600–1860, Cambridge 1995, 393–404; N ICOLE C. K ARAFYLLIS: „Nur soviel Holz einschlagen, wie nachwächst“. Die Nachhaltigkeitsidee und das Gesicht des deutschen Waldes im Wechselspiel von Forstwissenschaft und Nationalökonomie. In: Technikgeschichte 69 (2002), 247–273; B ERND -S TEFAN G REWE: Das Ende der Nachhaltigkeit? Wald und Industrialisierung im 19. Jahrhundert. In: Archiv für Sozialgeschichte 43 (2003), 61–79; B ERNWARD S ELTER: Wald- und forstgeschichtliche Untersuchungen zur Entwicklung des Leitbildes der forstlichen Nachhaltigkeit. In: Westfälische Forschungen 57 (2007), 71–101; C HRISTIAN L OTZ: Konflikte um Wald und Holz in Nordwesteuropa während des 19. Jahrhunderts. Vorüberlegungen zu einem Forschungsprojekt. In: K REYE , S TÜHRING , Z WINGELBERG (Hg.): Natur als Grenzerfahrung (wie Anm. 28), 79–89, bes. 82 ff.; B ERND F UHRMANN: Holzversorgung, Waldentwicklung, Umweltveränderungen und wirtschaftliche Tendenzen in Spätmittelalter und beginnender Neuzeit. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 100 (2013), 311–327, bes. 323 f. (Abschnitt „Regelungen der Waldnutzung“) mit dem Schlagwort „Sustainable Forestry“ (311).
Nachhaltigkeit als historisches Thema
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wie selbstverständlich in der Enzyklopädie der Neuzeit begegnet30 und ihm auch in der 2011 erschienenen Umweltgeschichte der frühen Neuzeit von Reinhold Reith ein eigenes Kapitel („Nachhaltigkeit und naturale Ressourcen“) zugewiesen wird31 , verdeutlicht das den Stellenwert, den das Thema derzeit in der Frühneuzeitforschung einzunehmen vermag. In der Mittelalterforschung sucht man solche prominenten Platzierungen mit wenigen jüngeren Ausnahmen32 bislang vergeblich, wie es überhaupt – trotz wertvoller Ansätze und Impulse etwa seitens Ulf Dirlmeiers33 oder Ernst Schuberts34 – an der mediävistischen Beschäftigung mit dem Thema mehr oder minder fehlt. Das erstaunt, denn die Idee der Nachhaltigkeit gab es natürlich schon früher, als es die frühneuzeitlichen Quellen glauben machen; nördlich der Alpen lässt sie sich bis zu den ersten Rodungsverboten und Waldordnungen im 13. Jahrhundert zurückverfolgen35 . Joachim Radkau schreibt dazu ganz richtig: „Viele Konzepte existieren bereits, bevor es einen Begriff dafür gibt. In der Tat, in einem gewissen Sinne ist die Forderung nach Nachhaltigkeit eine Trivialität. Natürlich wußte jeder Bauer, daß er hungern muß, wenn er nicht dafür sorgt, daß sich die Fruchtbarkeit seines Bodens erneuert, und jeder Besitzer eines Obstgartens, daß er einen neuen Baum pflanzen muß, wenn der alte Obstbaum keinen Ertrag mehr bringt. So gesehen ist Nachhaltigkeit als Kriterium eine Banalität“36 . Allerdings sei auch angemerkt, dass andere Forscher, wie etwa der – nicht unumstrittene – Anthropologe Marvin Harris, die historische Existenz von Nachhaltigkeit oder zumindest einer möglichst perfekten Form davon, deren vermeintliche Existenz man zuweilen in eine „romantisierte“ Vergan30 31 32
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R EITH: Nachhaltigkeit (wie Anm. 13), 1009–1012. R EITH: Umweltgeschichte (wie Anm. 15), 134–142. Siehe z. B. die – allerdings im Fachbereich Archäologie/Ur- und Frühgeschichte angesiedelte – Dissertation von A RNE PAYSEN: Nachhaltige Energiewirtschaft? Brenn- und Kohlholznutzung in Schleswig-Holstein in Mittelalter und früher Neuzeit, Kiel 2009, 20; vgl. den Beitrag von A RNE PAYSEN in diesem Band. Mit der mittelalterlichen Energiewirtschaft aus wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive hat sich jüngst Harm von Seggern anlässlich der Winterschule „Hansegeschichte als Regionalgeschichte“ befasst. Siehe H ARM VON S EGGERN: Energiewirtschaft als Problem einer regionalen Hansegeschichte. In: O LIVER AUGE (Hg.): Hansegeschichte als Regionalgeschichte. Beiträge einer internationalen und interdisziplinären Winterschule in Greifswald vom 20. bis 24. Februar 2012 (= Kieler Werkstücke. Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 38), 85–102. Schwerpunktmäßig behandelt David Petry in seiner anregenden Studie den Bereich der frühen Neuzeit, doch setzt er damit immerhin – überlieferungsbedingt – schon im 15. Jahrhundert ein: DAVID P ETRY: Zwischen Ausrottung und Nachhaltigkeit: Das Mensch-Natur-Verhältnis im Spiegel fränkischer Dorfordnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 71 (2011), 113–129. Wertvoll ist diese Studie u. a. deshalb, weil sie über die Betrachtung der historischen Waldnutzung hinausgeht. U LF D IRLMEIER: Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters (Mitte 14. bis Anfang 16. Jahrhundert), Heidelberg 1978, 254, 407, 414, 418. E RNST S CHUBERT: Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander, Darmstadt 2002, 36–64, bes. das Unterkapitel „Die ersten Maßnahmen zum Schutz des Waldes“, 60–64 und hier 60: „Der heute weit verbreitete Altersklassenwald geht zwar auf den ‚Försterwald‘ zurück, wie er seit dem Entstehen einer Forstwissenschaft um 1800 (auch den Gedanken der ‚Nachhaltigkeit‘ enthaltend) zur wirtschaftlichen Optimierung der Erträge entworfen wurde, aber er hat seine spätmittelalterlichen Vorläufer – von der Haubergswirtschaft im Siegerland abgesehen – in Gestalt der Mittelwaldwirtschaft.“ F UHRMANN: Holzversorgung (wie Anm. 29), 323. Vgl. hierzu auch nochmals den Hinweis auf die (spät)mittelalterlichen Waldweistümer als gewisse Vorläufer der Forstordnungen. Siehe zu den Waldweistümern M ANTEL: Forstgeschichte (wie Anm. 17), 952–964; R ADKAU , S CHÄFER: Holz (wie Anm. 25), 60 f.; F RANCISCUS W ILHELMUS M ARIA V ERA: Grazing Ecology and Forest History, 2. Aufl., New York 2002, 103–123. Zitiert nach R ADKAU: „Nachhaltigkeit“ (wie Anm. 15), 132.
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genheit zurückprojiziert findet, negieren, denn vergangene wie auch heutige Zivilisationen hätten sich stets unter dem Druck einer ökologischen Ressourcenerschöpfung technisch und kulturell fortentwickelt. Anderenfalls würden wir vielleicht noch immer als Jäger und Sammler dahinleben, wie Harris provokativ schreibt37 . Der gummiartige, vieldeutige Charakter des Terminus Nachhaltigkeit erschwert seine Verwendung als analytischen Begriff, macht ihn als solchen andererseits aber auch erst recht interessant. Fasst man Nachhaltigkeit in dem heute weit verbreiteten umweltpolitischen Sinn auf und bezieht ihn auf Aspekte der Diversität von Ökosystemen, gelangt man zu ganz anderen Resultaten und Schlussfolgerungen, als wenn man Nachhaltigkeit im gewissermaßen klassischen Sinne eines Managements naturaler Ressourcen versteht. Entscheidet man sich für letzteres, stellt sich sogleich weiter die Frage, ob man den Nachhaltigkeitsbegriff auf eine bestimmte Ressource anwendet oder ob man wiederum die Wirtschaftsordnung als Ganzes betrachtet: Während in der sektorspezifischen Perspektive die frühneuzeitliche Rodung durchaus als ein Raubbau, als nichtnachhaltiges Wirtschaften begriffen werden kann, kann die ökonomisch-anthropozentrische Gesamtperspektive im Sinne der sog. „constant capital rule“ im Gegenteil eine positive Nachhaltigkeitstendenz erbringen, weil die Summe des involvierten Kapitals anwuchs oder zumindest gleichblieb. Einfacher gesprochen: Anstelle zerstörten Waldes trat regelmäßig eine intensivierte Landbzw. Gutswirtschaft, welche die freigewordenen Flächen produktiver einsetzte als zuvor38 . Einen wichtigen wie hinterfragbaren39 Beitrag zur Diskussion um die Anwendbarkeit des Begriffs der Nachhaltigkeit bei der historischen Analyse liefert Joachim Radkau in seinem 2008 gedruckten Aufsatz „‚Nachhaltigkeit‘ als Wort der Macht“, in dem er unter Verweis auf den ökonomischen Ursprung des Wortes Nachhaltigkeit40 in einer Zeit enormen Holzbedarfs für Flottenbau und Eisenverhüttung darauf aufmerksam macht, dass es sich um einen „Kampfbegriff“ mit politischen Implikationen bzw. um einen „Begriff der Macht“ handelt. „Nachhaltige Waldwirtschaft bedeutete, nach bestimmten Kriterien den Holzschlag einzuschränken. Das war natürlich ein geeignetes Mittel, um die Preise hochzuhalten“41 . Aber gerade weil Nachhaltigkeit ein Begriff der Macht sei, könne man mit ihm Umweltgeschichte vor allem in Bezug auf europäische Verhältnisse, in denen die Grenzen des Wachstums viele Jahrhunderte lang und weit mehr als unter amerikanischen Bedingungen bekannt waren, schreiben, denn hinter ihm würden historische Triebkräfte des Geschehens sichtbar42 . Mit diesem Ansatz schlägt Radkau gewissermaßen die Brücke zu den Kritikern einer Verengung des Blickwinkels allein auf ökonomische Aspekte, bei der ökologische und auch soziale Facetten unberücksichtigt blieben43 . Natürlich ist zu beachten, dass ein für die heutige wissenschaftliche Debatte tauglicher analytischer 37 38
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M ARVIN H ARRIS: Cannibals and Kings: the origins of cultures, New York 1977. Zu diesem Gedankengang siehe P IERCE ATKINSON: The concept of sustainable development: An evaluation of its usefulness ten years after Brundtland, CSERGE Working Paper PA 98–02, abrufbar unter: http://cserge.ac.uk/sites/default/files/pa_1998_02.pdf (letzter Zugriff am 9. Oktober 2012). Ich danke Daniel Jesche, Kiel, für diesen freundlichen, wertvollen Hinweis. Siehe den Beitrag von B ERND H ERRMANN in diesem Band. Dazu weiter B ERND H ERRMANN: Rezension zu: Reinhold Reith: Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit. München 2011. In: H-Soz-u-Kult, 21.12.2011, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4207, der gar von der „Utopie des Managements naturaler Ressourcen“ spricht. R ADKAU: „Nachhaltigkeit“ (wie Anm. 15), bes. 132–135. Ebenda, 135. Siehe dazu und zum Folgenden die instruktive Gedankenführung bei L OTZ: Konflikte (wie Anm. 29), 83.
Nachhaltigkeit als historisches Thema
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Begriff der Nachhaltigkeit von dem historischen, wie er im deutschsprachigen Raum um 1800 verstanden wurde, durchaus verschieden ist. Umgekehrt ist es bei alledem nicht problemfrei, heutige (ökologische) Wertvorstellungen und Grundsätze auf die Verhältnisse in der Vergangenheit zurück zu projizieren44 . Die Frage, ob die Kategorie der Nachhaltigkeit zur Analyse der historischen Vergangenheit geeignet ist, ist noch unentschieden; sie gehört, wie Reinhold Reith im Anschluss an Joachim Radkau richtig schreibt, zum noch abzuarbeitenden Katalog „Unausdiskutiertes in der Umweltgeschichte“45 . Sicher wird man stärker als bisher eine räumliche und eine zeitliche Dimension zu berücksichtigen haben, wie es Christian Lotz vorgeschlagen hat46 . Die räumliche Perspektive könne z. B. ergeben, dass in der Vergangenheit Nachhaltigkeit in einem begrenzten Raum auf Kosten der Nachhaltigkeit in anderen Ländern erlangt worden ist47 . Die zeitliche Dimension, die in der Forschung bisher nur randständig angeklungen sei48 , könne demgegenüber auf den historischen Konnex von Nachhaltigkeit einerseits und Fortschritt sowie Fortschriftssbewusstsein andererseits abheben49 . Zu dieser laufenden spannenden Diskussion möchten die folgenden vier interdisziplinären Aufsätze ihren Beitrag leisten. Sie gingen allesamt aus einer Sektion hervor, die auf dem 49. Deutschen Historikertag in Mainz im regional vergleichenden Bogen von Schleswig-Holstein über das Siegerland und das östliche Brandenburg bis zum Schwarzwald speziell nach einer etwaigen Nachhaltigkeit im Energieverbrauch des Mittelalters und der frühen Neuzeit fragte – hierzu natürlich motiviert durch die aktuelle Energiedebatte50 . Aus zeitlichen Gründen wie aus Gründen der inhaltlichen Vergleichbarkeit beschränkte sich der Blick in der Mainzer Sektion zum Energiekonsum lediglich auf Prozessenergie, die sich der entsprechenden Nutzung von Holz bzw. Holzkohle verdankte. Komplementär hierzu muss künftig auch die Nutzung anderer Energien, z. B. des Windes oder des Wassers, verstärkt in die Betrachtung miteinbezogen werden. In der Sektion galt dabei stets zwei Fragen die besondere Aufmerksamkeit: Lassen sich im regionalen Kontext in der Vergangenheit Phänomene beobachten, die dem weiten Feld des „Gummiworts“ Nachhal44
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Vgl. zu dieser Problematik insgesamt J OACHIM R ADKAU: Nachdenken über Umweltgeschichte. In: W OLFRAM S IEMANN , N ILS F REYTAG (Hg.): Umweltgeschichte. Themen und Perspektiven, München 2003, 139–148. R EITH: Umweltgeschichte (wie Anm. 15), 142 nach J OACHIM R ADKAU: Unausdiskutiertes in der Umweltgeschichte. In: M ANFRED H ETTLING , C LAUDIA H UERKAMP, PAUL N OLTE , H ANS -WALTER S CHMUHL (Hg.): Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen. Hans Ulrich Wehler zum 60. Geburtstag, München 1991, 44–57. L OTZ: Konflikte (wie Anm. 29), 84 ff. Siehe dazu die Resultate von G REWE: Das Ende der Nachhaltigkeit (wie Anm. 29), 61–79; D ERS.: Der versperrte Wald. Ressourcenmangel in der bayerischen Pfalz 1814–1870 (= Umwelthistorische Forschungen 1), Köln 2004. Siehe dazu etwa U RSULA L EHMKUHL , S TEFANIE S CHNEIDER (Hg.): Umweltgeschichte – Histoire totale oder Bindestrich-Geschichte?, Erfurt 2002, 8. Implizit zielen darauf die Beiträge von T HOMAS L UDEMANN und F RANK M ÜLLER in diesem Band ab. Vgl. zum genauen Ablauf der Sektion das Programmheft zum 49. Deutschen Historikertag 2012 „Ressourcen-Konflikte“, Mainz/Berlin 2012, 72 bzw. den Bericht zur Sektion vom M ARTIN G ÖLLNITZ unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4416 (letzter Zugriam 14. August 2014). Der allgemein gehaltene Eröffnungsvortrag von PD Dr. Frank Uekötter, München, („Energie vor der Energie? Einleitende Bemerkungen zu einem anachronistischen Geschichtsverständnis“) konnte leider nicht zum Abdruck gelangen, ebenso nicht der Vortrag von Prof. dr. Rolf-Jürgen Gleitsmann-Topp, Karlsruhe („Das Siegerländer Montanrevier und das System einer nachhaltigen Energiewirtschaft. Zu den Implikationen des Konzeptes eines ‚Sustainable Development‘“).
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tigkeit zuzuordnen sind? Und eignet sich auf der Basis der regionalen Beobachtungen und Befunde die weiche Kategorie der Nachhaltigkeit überhaupt zur analytischen Einordnung dieser historischen Phänomene? Zuerst stellt der Kieler Archäologe Arne Paysen in seinem Beitrag die Waldwirtschaft des Kartäuserklosters Ahrensbök in Ostholstein als ein – seiner aus archäologisch-anthrakologischen Befunden wie historischen Schriftquellen begründeten Meinung nach – Musterbeispiel für eine nachhaltige Ressourcennutzung im Mittelalter dar. Im Anschluss daran führt der Geobotaniker und Biologe Thomas Ludemann aus Freiburg im Breisgau am regionalen Beispiel des Südschwarzwalds vor, wie die Nutzung von mittelalterlichen und mehr noch frühneuzeitlichen Kohlplätzen als „Landschaftsarchive“ einzigartige anthrakologische Informationen zur regionalen Vegetations- und Wirtschaftsgeschichte bereitstellen kann, was wiederum Rückschlüsse auf eine etwaige nachhaltige Nutzung der betreffenden Kohlwälder zulässt. Den sogenannten Peitzer Amtsheiden in Brandenburg unter dem Einfluss des örtlichen Hüttenwerks widmet sich darauf der Umwelthistoriker Frank Müller aus Cottbus. Neben der beginnenden Sensibilisierung für den Forstschutz im Brandenburg des 18. Jahrhunderts waren ihm zufolge doch wohl vor allem verschiedene produktionsmindernde Faktoren, die ihrerseits mehr oder minder lange Produktionspausen zur Folge hatten, für die – so gar nicht beabsichtigte – Schonung der Peitzer Waldgebiete verantwortlich. Viertens begriff ursprünglich noch der Karlsruher Technikhistoriker RolfJürgen Gleitsmann-Topp das Siegerländer Montanrevier als historisches Fallbeispiel einer sogenannten steady-state-economy, der es vom ausgehenden 15. bis zum 19. Jahrhundert gelungen sei, ihre energetische Basis Holz nachhaltig zu nutzen. Er hat seinen Beitrag aber bereits an anderer Stelle publiziert51 . Ein kritisches Nachwort zur Sektion, das ganz gewollt über die Einzelbeiträge weit hinaus ins Grundsätzliche führt, liefert schließlich der Göttinger Umwelthistoriker Bernd Herrmann mit der auf den ersten Blick vergleichsweise banalen, auf den zweiten Blick aber die weitere Diskussion um die Anwendbarkeit des Begriffes Nachhaltigkeit sicher positiv befördernden Beobachtung, dass Nachhaltigkeit kein bewusstes Problem in Mittelalter und früher Neuzeit dargestellt habe, aber eben das „gelebte Prinzip“ aller Lebewesen und der Ökonomie in dieser Zeit gewesen sei. Wie damit implizit schon gesagt wurde, handelt es sich bei den Aufsätzen eigentlich nicht um regionalhistorische Beiträge. Vielmehr sind sie zusammengenommen das erfreuliche Resultat eines interdisziplinären Experiments, durch das Regionalhistoriker, Technikund Umwelthistoriker, Archäologen und Landschaftsökologen anhand eines historisch relevanten Problems miteinander ins Gespräch kommen und ihre Erkenntnisse, für die anderen verständlich gemacht, miteinander austauschen sollten. Oft genug wird eine solche Interdisziplinarität eingefordert und als hehres Ziel propagiert, ebenso oft aber auch wird der Versuch, sie zu realisieren, durch die Bedingtheiten aktueller Wissenschaftsstrukturen jäh niedergeschmettert und verunmöglicht. Umso erfreulicher und innovativer erscheint es da, dass die Herausgeberschaft des Jahrbuchs für Regionalgeschichte geradezu spontan bereit war, sich mit dem Gedanken einer Veröffentlichung der Sektionsbeiträge in dem Jahrbuch näher zu befassen, und dass sie nach der üblichen Begutachtung der Einzelbei51
ROLF -J ÜRGEN G LEITSMANN -T OPP: Strukturelle Nachhaltigkeit: Die Implikationen des Zentralressourcenmanagements des Siegerländer Montanwesens vom Spätmittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion und zur Geschichte des Siegerlandes. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte 18 (2013), 51–89.
Nachhaltigkeit als historisches Thema
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träge dieser Veröffentlichung auch tatsächlich zustimmte, wofür ich als Organisator und Leiter der Mainzer Sektion, der auch das Lektorat der betreffenden Aufsätze besorgte, sehr dankbar bin. Natürlich schlug allein schon die Regionalität der jeweiligen Beiträge, die, wie gesagt, auf Beobachtungen zu Ostholstein, der Region des Südschwarzwaldes, dem Raum Peitz im östlichen Brandenburg und dem Siegerland aus der Perspektive und unter Heranziehung der Methodik der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin fußen, eine erste Brücke zum Jahrbuch für Regionalgeschichte. Aber auch die allbekannte Tatsache, dass die Regionalgeschichte insbesondere die strukturbildenden Entwicklungen einer Region in ihren beschleunigenden oder retardierenden Momenten in den Fokus ihrer Betrachtung nimmt52 und dass sie sich diese „ihre“ Region zuvor theoretisch konstruiert und mit eigenen „Erkenntnisinteressen, Fragestellungen, Methoden, Arbeitstechniken, Materialaufbereitungen und Darstellungsweisen“ füllt53 , legte die Aufnahme der Sektionsbeiträge ins Jahrbuch für Regionalgeschichte nahe. Denn klare inhaltliche Schwerpunkte bei dieser wissenschaftlichen Kreation des regionalen Zugriffs bilden neben anderen nach wie vor die raumorientierte Wirtschaftsgeschichte und Agrargeschichte ab dem Hochmittelalter bis in die Gegenwart54 . Genau diese beiden Bereiche bilden sich aber ganz konkret in den Beiträgen der Mainzer Sektion „Nachhaltigkeit im Energieverbrauch des Mittelalters und der frühen Neuzeit?“ ab. Insofern steht zu erwarten – und dies dürfte das letztliche Movens der verantwortlichen Herausgeber zur Aufnahme ins Jahrbuch gewesen sein –, dass die interdisziplinären Beiträge die nun genuin fachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem aktuellen Thema „nachhaltig“ beeinflussen55 .
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W OLFGANG KÖLLMANN: Zur Bedeutung der Regionalgeschichte im Rahmen struktur- und sozialgeschichtlicher Konzeptionen. In: Archiv für Sozialgeschichte 15 (1975), 43–50, hier: 46 f. Zitat aus C ARL -H ANS H AUPTMEYER : Zu Theorien und Anwendungen der Regionalgeschichte. Warum sind Überlegungen zur Theorie der Regionalgeschichte sinnvoll? Auf welche Weise lässt sich Regionalgeschichte anwenden? In: Jahrbuch für Regionalgeschichte 21 (1997/98), 121–130, hier: 123. – Vgl. insgesamt dazu den nach wie vor grundlegenden Beitrag von E RNST H INRICHS : Regionalgeschichte. In: C ARL -H ANS H AUPTMEYER (Hg.): Landesgeschichte heute (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1522), Göttingen 1987, 16–34. H INRICHS: Regionalgeschichte (wie Anm. 53), 18–22. Siehe etwa nur meine von den Erkenntnissen und Anregungen dieser Sektion ausgehende eigene Beschäftigung mit der Frage der Nachhaltigkeit: O LIVER AUGE: Nachhaltigkeit als historisches Thema: Das Beispiel Schleswig-Holstein in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Natur- und Landeskunde. Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg 120 [10–12] (2013), 141–149.
Erzwungene Nachhaltigkeit? Die Peitzer Amtsheiden unter dem Einfluss des örtlichen Hüttenwerkes1 von Frank Müller I.
Einführung
Bei der Betrachtung vorindustrieller Eisenproduzenten erscheint der Gedanke an Nachhaltigkeit verwunderlich. Auch im untersuchten Fallbeispiel muss der Einfluss eines solchen Holzgroßverbrauchers auf den Kulturlandschaftswandel in vorindustrieller Zeit kritisch betrachtet werden. Es soll nicht darum gehen, zu zeigen, dass das Peitzer Eisenhammer- und Hüttenwerk keinen Einfluss auf die Kulturlandschaft im Raum Peitz ausgeübt hat. Auch die Holznotdebatte der 1980er Jahre ist nicht das Thema der Untersuchung, wenngleich sich einige Überschneidungen nicht vermeiden lassen werden. Was der folgende Beitrag am Beispiel des Peitzer Hüttenwerkes leisten möchte, ist ein Versuch, den Fokus auf die Auswirkungen von Betriebsunterbrechungen auf den Waldzustand zu richten. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Betriebspausen und produktionsmindernde Faktoren die Produktion des Hüttenwerkes und damit indirekt über den reduzierten respektive gebremsten Holzverbrauch auch den Zustand der beanspruchten Waldgebiete beeinflusst haben. Ließe sich ein Zusammenhang herstellen, würde sich die Frage ergeben, ob man in diesem Fall von einer unbewussten, nicht einkalkulierten, nachgerade erzwungenen nachhaltigen Waldnutzung sprechen könne. Erzwungen, weil die meisten Ursachen für Betriebspausen nicht im Interesse des Werks gewesen sein konnten, führten diese doch unweigerlich zu Produktionsausfällen. Die hier aufgeworfene Fragestellung ist ein Teilaspekt einer übergeordneten Untersuchung des Einflusses des Peitzer Eisenhüttenwerkes auf die Kulturlandschaft im Raum Peitz. Hintergrund der Untersuchung sind archäologische Grabungsfunde im Vorfeld des Braunkohletagebaus Jänschwalde, ca. 15 km nordöstlich von Cottbus. Dort wurden durch die Archäologen des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums (BLDAM) bereits Hunderte Holzkohlemeilergrundrisse dokumentiert und prospektiert. Die Grabungen werden gegenwärtig mit dem Voranrücken des Tagebaus Jänschwalde fortgeführt. Dabei handelt es sich um einen der flächenmäßig größten Grabungsplätze von Holzkohlemeilern in Deutschland2 . Als Hauptabnehmer der hier produzierten Holzkohle kommt als einziger größerer Holzverbraucher der Region nur das ehemalige Eisenhammer- und Hüttenwerk Peitz in Frage. Aufgrund der durch den Tagebau Jänschwalde ermöglichten flächendeckenden 1
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Die vorgestellte Arbeit wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg im Rahmen der Nachwuchsforschergruppe „Anthropogener Landschaftswandel und Paläoumweltforschung“ der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) unterstützt. Vgl. H ORST RÖSLER ET AL .: Pre-industrial Charcoal Production in southern Brandenburg and its impact on the environment. In: S JOERD J. K LUIVING , E RIKA G UTTMANN -B OND (Hg.): Landscape Archaeology between Art and Science: From a Multi- to an Interdisciplinary Approach (= Amsterdam University – Landscape and Heritage Studies Proceedings), Amsterdam 2012, 167–178, hier: 167.
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 55–72
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Untersuchung der ehemaligen Jänschwalder Heide als Teil des königlich Tauerschen Forstreviers bietet sich die ideale Gelegenheit, den Wandel einer Kulturlandschaft aus verschiedenen Perspektiven umfassend zu betrachten3 . Analog zu Befunden in vielen Gebieten, die von größeren holzintensiven Gewerben beeinflusst wurden, finden sich auch in den einschlägigen Akten zum Peitzer Hüttenwerk und den Peitzer Amtsheiden zahlreiche Klagen über eine ausgesprochene Holznot sowie Waldverwüstungen durch den Betrieb des Hüttenwerkes. Hier wird schnell der Eindruck einer „klassischen Karriere“ vorindustrieller Eisenproduzenten vermittelt. Ein reiches Naturdargebot im 16. Jahrhundert habe zur Anlegung eines Hüttenwerks geführt, welches in der Folgezeit einen gravierenden Einfluss auf die Landschaft ausübte. Dadurch sei es am Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Holzkrise gekommen, welche letztendlich zum Niedergang des Werkes entscheidend beitrug. Zu diesem Ergebnis sind auch HeinzDieter Krausch und Gerd Reichmuth gekommen. Krausch sieht den wesentlichen Grund des Niedergangs des Hüttenwerks in dem ausgesprochenen Holzmangel aufgrund der fortwährenden Erschöpfung der Altholzbestände4 . Er bezieht sich hier direkt auf den prognostizierten Holzmangel durch die Forstbeamten und kommt zu dem Schluss, dass sich die Holznutzungen besonders an jenen Stellen verändernd auf die ursprünglichen Waldgesellschaften ausgewirkt haben dürften, „wo große Einschläge für das Hüttenwerk stattfanden“5 . Andernorts hingegen konstatiert er, dass zwar in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein deutlicher Schwund der Altholzbestände, bedingt durch den anwachsenden Holzbedarf, zu verzeichnen, es allgemein in der Region aber nicht zu einer Waldverwüstung gekommen sei6 . Gerd Reichmuth führt neben dem Mangel an Holzkohle vor allem die Knappheit von Raseneisenstein als Hauptgrund an. „Der Mangel an Raseneisenstein und Holzkohle dürften wohl die Hauptgründe für die Auflösung des Hüttenwerkes Peitz und die Verpachtung des Geländes an den Tuchfabrikanten Berger im Jahre 1858 gewesen sein“7 . Grundlegend für die meisten Arbeiten zum Peitzer Hüttenwerk sind zudem die frühen Texte von Hermann Cramer und Franz Groger, aber auch die 1955 von Richard Hilpert verfasste unveröffentlichte Abschlussarbeit „Beiträge zur Geschichte des Eisenhüttenwerkes Peitz“8 gewesen. Hilpert hat zwar eine sehr umfangreiche Quellenarbeit geleistet, kommt über die bloße chronologische Anordnung der Quellenzitate jedoch kaum hinaus. Der Umstand, dass er bei seinen Quellenzitaten nicht unmittelbar auf die entsprechenden Aktenstellen verweist, macht die Arbeit mit dem eigentlich umfangreichen Quellenfundus äußerst problematisch. Zudem hatte er als Ingenieur vor allem Interesse an den techni3
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Dies wird seit 2010 im Rahmen der Nachwuchsforschergruppe „Anthropogener Landschaftswandel und Paläoumweltforschung“ in Kooperation zwischen dem Lehrstuhl für Geopedologie und Landschaftsentwicklung und dem Lehrstuhl für Technikgeschichte der BTU Cottbus in Zusammenarbeit mit dem BLDAM realisiert. H EINZ -D IETER K RAUSCH: Die Heiden des Amtes Peitz. Ein Beitrag zur Vegetationsgeschichte der Niederlausitz. In: Abhandlungen und Berichte des Naturkundemuseums 35 (2) (1957), 153–181, hier: 172. Ebenda. H EINZ -D IETER K RAUSCH: Beiträge zur Wald-, Forst- und Landschaftsgeschichte Brandenburgs, Remagen-Oberwinter 2008, 70. G ERD R EICHMUTH: Die Produktion im ehemaligen Eisenhüttenwerk Peitz. In: Geschichte und Gegenwart des Bezirks Cottbus (= Niederlausitzer Studien 20), Cottbus 1986, 103–111, hier: 110. R ICHARD H ILPERT: Beiträge zur Geschichte des „Eisenhüttenwerkes Peitz“ 1535 bis 1898, Cottbus 1955 (Manuskript).
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schen Abläufen des Verhüttungsprozesses. Auf die Frage nach den Auswirkungen des Betriebs des Werks auf den Waldzustand gehen die frühen Texte indes nicht ein. Groger etwa befasste sich in seiner Peitzer Stadtgeschichte nur am Rande mit dem Hüttenwerk9 . Cramer hingegen setzte sich zwar äußerst differenziert mit der Geschichte des Werks auseinander und legte in vielerlei Hinsicht Grundlagen für die weitere Beschäftigung mit dem Peitzer Hüttenwerk10 , eine Ausdeutung hinsichtlich des Einflusses des Hüttenwerkes auf die Waldreviere nahm er allerdings ebenso wenig vor wie Richard Hilpert. Vielmehr stand eine deskriptive Beschreibung der Entwicklung im Vordergrund. Klagen über den schlechten Zustand der Peitzer Amtsheiden häuften sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zusehends, vornehmlich seitens der verantwortlichen Forstbeamten. 1779 berichtete der Oberförster Lampmann aus Tauer, er habe angezeigt, dass Zwölf bis Fünfzehn Jahr die Köhlung mit Zwey tausend Hütten Claftern noch gehen könnte. Es sind zwar die hiesige Forsten mit jungen anwachsenden Holtz gut versehen, aber bey den schlechten Grundt das Holtz nicht so einen guten Trieb hat, [. . . ] und auf denen jahren die Köhlung in das junge Kohl und Stangen Holtz kommt, dadurch ein weit größere Abholtzung geschiehet, und das Holtz nicht so geschwindt Nachwachsen wird, das es von längeren volligen Bestand verbleibe11 . Acht Jahre später äußerte auch der Forstmeister Netter aus Crossen seine Bedenken und zeichnete eine katastrophale Gesamtsituation der königlich Tauerschen Heide. Er berichtete, dass nicht nur das hiesige Crossensche, sondern auch das Peitzische Eisen Hütten Werck, in höchstens 2 bis 3 Jahren kein Holtz mehr zu Kohlen, weiters aus den [. . . ] königl. Tauerschen Forst Revieren erhalten könnte, indehm während dieser Zeit, mit der Zahl, und alten Schramhöltzer als dem gäntzlich aufgeräumt sein würden, durch welchen entstehenden Holtz Mangel entweder diese beiden Wercke aufhören, oder aber in anderen gegenden Kohlenholtz anzukaufen sich werden bemühen müßen12 . So machte er auch den Vorschlag, aus dem Pinnowschen Revier in Sachsen Holzkohle anzukaufen, da der dortige Faktor Braun dieses – es ging dabei um 5 000 bis 6 000 Klafter Holz – aufgrund der abgeschiedenen Lage der eigenen Waldungen nicht absetzen konnte. 1789 stellte Netter fest, dass durch die denen Hüttenwerken aljährlich assignirte so große Quantiteeten Kohlen Holtz nun mehr der völlige Holtzmangel entstanden sei13 . Zu dieser Feststellung veranlasste ihn ein Bericht des Oberförsters Nitschke vom 11. April 1789. Dieser habe gut anderthalb Jahre Zeit gehabt, die Tauerschen Reviere zu respiciren. Sein Ergebnis sehe wie folgt aus: Es ist Ew. Wohlgebohren bekannt, daß die sämtlichen Tauerschen Reviere theils durch Raupen Fraß, theils durch das Eisen Hütten Werk zu Peitz sehr gelitten haben, und durch Letzters sind die Reviere von allen zu weiter nichts als zu Kohlen taugliches Holtz zum Theil gereinigt, und man würde wie ein Lügener heißen müßen, wenn ich sagte, daß diese Tauerschen Reviere nicht ein Bestandt von allen Sorten des besten Bau Holtzes hätten, allein sie sind so wenig jetzt, als in der Folge das assignirte Quantum Kohlen Holtz zu verabreichen nicht 9 10 11
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F RANZ G ROGER: Die urkundliche Geschichte der Stadt und ehemaligen Festung Peitz, Teil 1, Peitz 1913. H ERMANN C RAMER: Beiträge zur Geschichte des Bergbaus in der Provinz Brandenburg, Heft 5: Die Niederlausitz, Halle a. d. Saale 1878, 358–426. Bericht des Oberförsters Lampmann vom 10.03.1779, Brandenburgisches Landeshauptarchiv (im Folgenden BLHA) Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 18007 Lieferung von Bau- und Nutzholz an das Eisenhüttenwerk Peitz (1768–1799), unfoliiert. Ebenda, Bericht des Forstmeisters Netter aus Crossen vom 25.07.1787. Ebenda, Forstmeister Netter aus Crossen am 30.04.1789.
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im Stande. Sollte das Generalforstdepartement ungeachtet seines Berichtes das jährliche Holz für das Peitzer Hüttenwerk dennoch anweisen, so entbinde er sich jedweder Schuld, wenn dadurch die Reviere ruiniret würden. Geschehe dies nämlich, so könne an die Städte und Dörfer kein Bauholz mehr verkauft werden, da dieses für den Betrieb des Werkes verwendet werden müsste, wolle man den Betrieb aufrechterhalten14 . Blasius Nawka stellte 1966 die Frage, inwieweit die zeitgenössischen Forstbeamten überhaupt in der Lage sein konnten, den Zustand der Wälder verlässlich zu ermitteln15 . Nawka bezog sich hier auf eine Anzeige des Vaters des bereits zitierten Försters Lampmann vom 5. Juni 174516 . Darin sollte Lampmann aufzeigen, wo für das Hüttenwerk noch Kohlenholz bezogen werden könne. Auch in diesem Jahr beschrieb der Förster einen katastrophalen Zustand. Wo sich überhaupt noch Holz beschaffen ließe, müsse man auf schlechtes Holz zurückgreifen. Er schätzte zu diesem Zeitpunkt, dass das Werk noch sechs Jahre betrieben werden könne17 . Nawka bezog sich in diesem Fall auf einen Passus, der besagte, dass in den Tauerschen Revieren kein Meiler mehr angesetzt werden könne18 . Dieser Punkt ist so nicht ganz korrekt wiedergegeben, da Lampmann jene Aussage nur auf die durch Windschaden gefällten Bäume bezog. Dieses Holz sollte zur Erfüllung der Forstrechnungen verkauft werden. Daher habe davon kein Meiler mehr angesetzt werden können19 . Die Schlussfolgerungen Nawkas sind dennoch naheliegend, da dem Werk, wie noch zu zeigen sein wird, auch in den Folgejahren noch ausreichend Kohlenholz zur Verfügung gestellt werden konnte. Diese Widersprüchlichkeit zwischen den Aussagen der Zeitgenossen und den ununterbrochenen Lieferungen des benötigten Holzes spiegele, so Nawka, die Ratlosigkeit der damaligen Forstbeamten wider. „Die Ursache hierfür liegt in der mitunter stark übertriebenen, wenn auch bei den wenig entwickelten Methoden der Waldpflege nicht unberechtigten Angst vor der Holznot infolge Unvermögens, den Vorrat und das jährliche Zuwachsquantum zuverlässig berechnen und regulieren zu können“20 . Zu diesem Schluss kam bereits Wilhelm Pfeil in seiner 1839 veröffentlichten Arbeit zur Forstgeschichte Preußens. Pfeil beschrieb ein grundlegendes Problem in der Ausbildung der Forstbeamten, die gar nicht dazu in der Lage gewesen seien, den Forsthaushalt zu führen. „Die Oberforstmeister waren damals, wie noch jetzt, die Beamten, in deren Händen der eigentliche technische Betrieb allein lag. Die Kammer (jetzige Provinzial=Regierung), konnte ihrer Natur nach nur Kenntniß von dem Kassen= und Rechnungswesen, den rechtlichen und polizeilichen Angelegenheiten, den Personalsachen und anderen Dingen, welche keine technische Bildung voraussetzten, nehmen; der innere Forsthaushalt blieb ihr ganz fremd.“ Weiter führte er aus: „Eben so wenig konnte derselbe aber auch von dem technischen Vorgesetzten der Oberforstmeister, dem Oberjägermeister, später den technischen Mitgliedern des Forstdepartements im Generaldirektorio, controlirt werden, da diese nicht 14 15
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Ebenda, Nitschke aus Tauer am 11.04.1789. B LASIUS NAWKA: Meilereien und Eisenhämmer in der Lausitz. Beitrag zur Lebenswirklichkeit der Holzschläger, Köhler und Fuhrleute. In: Lˇetopis. Jahresschrift des Instituts für sorbische Volksforschung, Reihe C: Volkskunde 9 (1966), 13–73, hier: 18. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 18006 Lieferung von Bau- und Nutzholz an das Eisenhüttenwerk Peitz (1732–1759), Bl. 8 f. Ebenda. NAWKA: Meilereien (wie Anm. 15), 18. BLHA Potsdam, Rep. 3, Nr. 18006, Bl. 8 f. NAWKA: Meilereien (wie Anm. 15), 18.
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reiseten oder doch wenigstens nicht genug, um die Forsten so kennen zu lernen, dass sie direkt auf die gute Bewirthschaftung derselben hätten einwirken können“21 . In den letzten Jahren wurde die Geschichte des Peitzer Eisenhüttenwerkes differenzierter betrachtet. Besonders die Ursachen für den Niedergang des Werkes standen hierbei im Fokus. Nicht allein der Ressourcenmangel sei ausschlaggebend für die Einstellung des Betriebes gewesen, sondern vielmehr die seit dem 17. Jahrhundert stetig nachlassende Produktivität und damit Rentabilität des Werkes, welche das Ende der Produktion absehbar erscheinen ließ. Zudem sei mit der Etablierung Schlesiens und des Ruhrgebiets seit Ende des 18. bzw. seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Zeit der Eisenhütten im Wirtschaftsraum Berlin-Brandenburg aufgrund mangelnder Konkurrenzfähigkeit zu Ende gegangen. Dies habe auch Peitz betroffen22 . Bereits 1966 deutete Blasius Nawka einen ähnlichen Befund beiläufig an, ohne jedoch näher auf diesen Aspekt einzugehen. „Nach der Überwindung der Transportschwierigkeiten durch Eisenbahnen wanderten die Eisenerze in die Steinkohlenbecken, wo neue, größere und bessere Eisenhüttenwerke entstanden. Infolge dieser grundsätzlichen Wandlung der Standortbedingungen musste die Eisenproduktion auf Holzkohlenbasis auch in der Lausitz zwangsläufig eingehen“23 . II.
Zur Betriebsgeschichte des Peitzer Eisenhüttenwerks
Die Stadt Peitz ist im weiten Niederungsgebiet der Spree und Malxe, etwa 14 km nordöstlich von Cottbus, in der Niederlausitz gelegen und fand anlässlich des Verkaufs der Mark Lausitz an das Erzstift Magdeburg 1301 urkundlich ihre Ersterwähnung24 . Das Untersuchungsgebiet ist Teil des eiszeitlich geprägten Nordostdeutschen Tieflandes. Verwaltet wurden die Ämter Cottbus und Peitz zwischen 1462 und 1815 von der Neumark aus als brandenburgische Exklave in einer seit dem Frieden von Guben 1462 böhmischen und seit dem Frieden von Prag 1635 sächsischen Niederlausitz25 . Das Peitzer Eisenhammer- und Hüttenwerk selbst wurde vermutlich um 155426 ca. 1 400 m südöstlich von Peitz an einem Gefälle des nördlich von Cottbus von der Spree abgeleiteten Hammergrabens angelegt. In engem Zusammenhang mit dem Hüttenwerk stand auch die Errichtung der Peitzer Festung durch den Markgrafen Johann von Küstrin (1513–1571) zwischen 1559 und 156227 . Der hohe Eisenbedarf der Festung, vor allem in Form von Munition, sicherte bis 21 22
23 24 25 26
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W ILHELM P FEIL: Die Forstgeschichte Preußens bis zum Jahre 1806, Leipzig 1839, 151 f. G ÜNTER BAYERL: Manufakturwesen und Industrialisierung in Preußen vom 16.–19. Jahrhundert. In: Museumsverband des Landes Brandenburg e. V. (Hg.): Ortstermine. Das Hüttenwerk Peitz – Aufstieg und Niedergang eines Industriestandortes, Berlin 2001, 39–62, hier: 43; T ORSTEN M EYER: Das Eisenhüttenwesen in Brandenburg – Beispiel Peitz. In: G ÜNTER BAYERL , K LAUS N EITMANN (Hg.): Brandenburgs Mittelstand. Auf dem langen Weg von der Industrialisierung zur Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt 33), Münster u. a. 2008, 137–148, hier: 145. NAWKA: Meilereien (wie Anm. 15), 50. DANIEL B URGER: Die Landesfestungen der Hohenzollern in Franken und Brandenburg im Zeitalter der Renaissance, München 2000, 236 f. BAYERL: Manufakturwesen (wie Anm. 22), 42; G ROGER: Peitz (wie Anm. 9), 39. Im Peitzer Amtsbuch von 1554 wird das Peitzer Hüttenwerk, wie auch die Peitzer Teiche, erstmals erwähnt. Da an dieser Stelle beide Einrichtungen bereits in Betrieb waren, muss der Beginn vor 1554 angesetzt werden. Das exakte Gründungsjahr ist jedoch unbekannt; BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 7 Amt Cottbus-Peitz, Nr. 942 Amtsbuch des Amtes Peitz (1554). Vgl. B URGER: Landfestungen (wie Anm. 24), 244 ff.
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zur Schleifung der Festung nach dem Siebenjährigen Krieg den Absatz des Werks. Die Wasserkraft zum Antrieb der Hämmer wurde durch den zur Bewässerung der Peitzer Teiche angelegten Hammergraben gewährleistet. Das Amt Peitz verfügte über umfangreiche Waldgebiete nördlich und östlich der Stadt, die eine umfassende Versorgung mit der für den Verhüttungsprozess als Brennstoff benötigten Holzkohle versprachen. Ähnlich stand es um das zu reduzierende Raseneisenerz, ein sedimentäres Eisenerz, dessen Bildung an grundwasserbeeinflusste Böden gebunden ist28 . Da das Erz besonders in der sumpfigen Peitzer Niederung, aber auch auf dem restlichen Gebiet der Ämter Cottbus und Peitz reichlich vorkam und es sich aufgrund des oberflächennahen Vorkommens leicht abbauen ließ, bot sich die Verarbeitung zu Eisen in einem Hüttenwerk nachgerade an. Da der Erzabbau zu den Schatzregalen gehörte, wie im Edikt von 1583 wegen des Salpetergrabens und Siedens festgehalten wurde, konnte der Raseneisenstein vom Peitzer Hüttenwerk uneingeschränkt abgebaut werden29 . Die Reviere lagen vor allem im südlichen Vorspreewald, westlich von Peitz, und südlich des Hüttenwerks30 . Der zusätzlich als Flussmittel beigesetzte Kalkstein wurde aus Rüdersdorf bei Berlin eingeführt31 . Bis zu seinem Ableben 1571 verwaltete Johann von Küstrin die Neumark und damit auch das Amt Peitz mitsamt dem Hüttenwerk. Danach ging das Werk an die jeweiligen Kurfürsten von Brandenburg über und wurde von den landesamtlichen Domänenämtern Cottbus/Peitz durch einen Hammerschreiber verwaltet. Das Hüttenwerk wurde einmalig zwischen 1641 und 1644 und regelmäßig ab 1691 meistbietend an private Betreiber verpachtet32 . Gegen eine jährliche Pachtsumme wurden den Pächtern unter der Bedingung ausreichender Vorratshaltung die notwendigen Rohstoffe zum Betrieb des Werks und Baumaterialien zur Instandhaltung desselben frei geliefert. Ihnen wurden weiterhin Absatzgarantien zu festgelegten Preisen eingeräumt, Nutzungsrechte in den umgrenzenden Ländereien überlassen und der Betrieb einer eigenen Schankwirtschaft auf Rechnung des Pächters gestattet33 . Die Hüttenleute hatte der Pächter selbstständig zu unterhalten, er konnte diese dafür allerdings nach eigenem Ermessen anstellen und entlassen. Bei Auflösung des Pachtverhältnisses mussten alle bei der Verpachtung übergebenen Vorräte in gleichen Mengen wieder übergeben werden34 . Nach Annahme der Königswürde durch das Haus Hohenzollern ab 1701 wurde das Werk unter königlich preußischer Verwaltung weitergeführt. Auf die Verpachtungspraxis hatte diese Umgestaltung zunächst noch keine Auswirkungen. Erst nach der Gründung des Berg- und Hüttendepartements als Teil des Generaldirektoriums 1768 sowie der damit einhergehenden Neuorganisation der preußischen Verwaltung änderte sich die Verwaltungsstruktur des Hüttenwerks, als 1778 das Peitzer Hüttenamt etabliert wurde. Das 28
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H EIDEMARIE S ITSCHICK ET AL .: Raseneisenerz – auch in Brandenburg ein mineralischer Rohstoff mit bedeutender wirtschaftlicher Vergangenheit. In: Brandenburgische geowissenschaftliche Beiträge 12 (1/2) (2005), 119–128, hier: 119 f. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 376 f. Ebenda, 382 f. D IRK R EDIES: Zur Geschichte des Eisenhüttenwerkes Peitz. In: Museumsverband des Landes Brandenburg e. V. (Hg.): Ortstermine. Das Hüttenwerk Peitz – Aufstieg und Niedergang eines Industriestandortes, Berlin 2001, 4–16, hier: 8. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 366. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 142. R EDIES: Eisenhüttenwerk Peitz (wie Anm. 31), 10.
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Werk ging damit wieder vollständig in staatlichen Besitz über, auch wenn der amtierende Pächter Andrä als Oberhütteninspektor übernommen wurde35 . 1755 ließ der damalige Pächter Crüger im heutigen Peitzer Ortsteil Ottendorf auf eigene Kosten ein weiteres Hammerwerk errichten, den „Neuen Hammer“, welcher allerdings nur bis Anfang der 1820er Jahre betrieben werden konnte36 . Aufgrund des Rückstaus des Wassers für das obere ältere Hüttenwerk lag der „Neue Hammer“ im Unterwasser, was sich negativ auf das Produktionsvolumen auswirkte. So sei es gerade in Wintern oft zu zwei- bis dreimonatigen Produktionspausen gekommen. Daher entschloss man sich dazu, beide getrennt liegenden Betriebsorte zweckmäßig zu vereinheitlichen, wozu wasserbauliche Maßnahmen vorgenommen wurden37 . Mit dem Frieden von Tilsit 1807 gelangten die Ämter Cottbus und Peitz bis 1813 unter sächsische Verwaltung. Der Bergkommissionsrat Johann Carl Freiesleben zu Freiberg übernahm die Aufsicht über das Hüttenwerk. Bereits vor der Übernahme wurde 1804 ein Neubau des Werks projektiert. Ausgeführt wurde der Umbau hingegen zwischen 1808 und 1810 unter sächsischer Führung38 . 1810 nahm man den Ofen wieder in Betrieb. Während der Absatz der „Friedensware“ – z. B. Öfen, Töpfe, Pfannen – zufriedenstellend verlief, ging der Munitionsabsatz nur schleppend voran. Nur drei Jahre später eroberten preußische Truppen das Werk zurück39 . 1815 wurde die Herrschaft Cottbus/Peitz mitsamt einem Großteil der sächsischen Niederlausitz Preußen zugesprochen. Damit hatte die territoriale Zergliederung der Niederlausitz endgültig ihr Ende gefunden, und das Peitzer Eisenhüttenwerk wurde erstmals Teil eines einheitlichen Preußens und offiziell bis 1858 unter staatlicher Verwaltung weitergeführt. Trotz abermaliger Versuche, das Hüttenwerk in den folgenden Jahren zu modernisieren und das Portfolio der produzierten Eisenwaren zu erweitern, was die Einrichtung einer Emaillierhütte 1821, eines Kupolofens 1831 und eines Torfgasofens im Jahr 1848 einschloss, konnte das Werk nicht mehr Schritt halten. Mit der Aufhebung des Dienstzwangs 1821 war das Werk bereits an finanzielle Grenzen gestoßen. Die schlechte infrastrukturelle Anbindung und das Festhalten an Holzkohle als primärem Brennstoff, welche weder als Kostenfaktor noch in der Quantität ihrer Verfügbarkeit oder in der Qualität der erzeugten Produkte gegen die Steinkohle punkten konnte, machten es unmöglich, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Zwischen 1845 und 1855 war der Ertrag des Peitzer Hüttenwerks stetig rückläufig, und auch für die Zukunft kalkulierte man Verluste. Daher stellte man die Produktion schließlich mit dem Ende des Jahres 1856 ein. Noch vorhandene Erzeugnisse, Rohstoffe und Modelle wurden verkauft oder an andere königliche Hüttenwerke übergeben40 . Bereits 1855 erwogen die Ministerien für Handel und Finanzen, das Werk anderweitig zu verpachten oder zu verkaufen. Man kam jedoch zu dem Schluss, dass bei einem Verkauf der Fischereibetrieb auf dem Gelände aufgrund unklarer Wassernutzungsrechte gestört werden könnte, weshalb man einen Pächter suchte41 .
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C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 372. Ebenda, 369, 375. Ebenda, 375. Ebenda, 373 f. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 143. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 389. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 144.
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Offiziell stellte schließlich auch das königliche Hüttenamt zu Peitz mit dem Erlass des Handelsministers vom 3. Februar 1858 die Arbeit ein. Um die Pacht bewarben sich die Peitzer Tuchmacherinnung und die Tuchfabrikantenfamilie Berger. Den Zuschlag erhielten Georg Berger sen. und seine beiden Söhne, der Tuchfabrikant Moritz und der Besitzer der Maustmühle Georg jun. Die Produktion von Roheisen wurde nicht fortgeführt. Stattdessen nahm man die Gießerei mit zwei Kupolöfen wieder in Betrieb. Als Schmelzmaterial verwendete man importiertes Roheisen oder altes Gusseisen. Hergestellt wurden vor allem Maschinenteile. In der Stabhammerhütte erzeugte man in beschränktem Umfang Schmiedeeisen. Ein Großteil der Anlagen wurde aber für die Tuchfabrikation genutzt42 . Die gewerbliche Nutzung des Geländes wurde 1898 endgültig eingestellt. Seit 1973 befindet sich hier das Fischerei- und Hüttenmuseum. III.
Das königlich Tauersche Forstrevier
Die Peitzer Amtsheiden, offiziell als königlich Tauersches Forstrevier bezeichnet, umfassten jene Waldgebiete, die sich seit der deutschen Kolonisation im Besitz der Herrschaft bzw. seit 1473 des Amtes Peitz befanden. Die Waldungen waren vornehmlich Kiefernstandorte mit einigen Traubeneicheninseln und lokalen Vorkommen von Fichten-Mischwald sowie Stieleichen-Birkenwald. Vereinzelt traten auf grundwassernahen Böden in Tal- und Beckenniederungen und an kühlfeuchten Hängen im Moränengelände auch Rotbuchen auf. Diese konnten etwa im ehemaligen Jänschwalder Busch nachgewiesen werden43 . Im Wesentlichen lässt sich das Gebiet in drei Abschnitte teilen. Den kleinsten Teil stellte die Kleine Heide auf Dünensanden am Rand des Cottbuser Schwemmsandfächers zwischen den Peitzer Teichen, Bärenbrück und Neuendorf dar. Das hier gewonnene Holz wurde vornehmlich als Bauholz genutzt. Um 1779 war hier Krausch zufolge fast nur noch Jungwuchs vorzufinden44 . Die Walde, jene Waldgebiete in unmittelbarer Nähe zur Stadt und den Amtsdörfern des Amtes Peitz, bestanden aus Bruchwäldern auf Nassböden des Baruther Urstromtales in der Peitzer Niederung. Hier war der Anteil an Laubhölzern am höchsten. Bis 1790 wurden diese vollständig gerodet und in Wiesen umgewandelt45 , welche teilweise auch als Siedlungsland für die vielen im 18. Jahrhundert neu angelegten Kolonien und teilweise gegen ein Pachtgeld als Weideflächen genutzt wurden. Aufgrund der geringen Entfernung zu Peitz und dem Hüttenwerk stellten diese Waldflächen vermutlich den ersten Bezugspunkt von Bau-, Nutz- und Brennholz für den privaten und gewerblichen Bedarf der Stadt Peitz und deren umliegenden Amtsdörfern dar. Auch das Hüttenwerk wird aus diesen Gebieten mit Kohlenholz versorgt worden sein, da die geringe Entfernung zum Werk eine optimale Holzversorgung gewährleistete. Den weitaus größten Teil der Peitzer Amtsheiden nahm die Große Heide auf dem Höhendiluvium des Lieberoser Plateaus in der Duringsheide ein, welche bis in das Urstromtal reichte. Sie hatte eine Ost-West-Ausdehnung von über 30 km, vom Neißetal
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C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 393. K RAUSCH: Beiträge (wie Anm. 6), 63 f. Ebenda, 70. Ebenda, 53.
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bis nördlich Straupitz46 . Diese Fläche war angesichts ungünstiger Bodenverhältnisse nie stärker besiedelt, weshalb die Waldfläche im Wesentlichen konstant blieb47 . Dies trifft auch heute noch weitgehend zu, muss allerdings in Bezug auf den Braunkohletagebau Jänschwalde für die Jänschwalder Heide korrigiert werden, da hier mit Voranschreiten des Tagebaus eine umfängliche Waldabnahme nicht zu verhindern ist. Seit dem Mittelalter gehörte die Große Heide den Herrschaften Peitz, Straupitz und Lieberose. Die Grenze verlief in etwa in der Mitte des Gebietes, wurde 1504 durch aufgeworfene Malhügel und Markierungen an Bäumen kenntlich gemacht und blieb seitdem unverändert48 . Entsprechend dieser Grenzen führte auch die böhmische bzw. sächsische Grenze durch dieses Gebiet. Der zu Peitz gehörige Abschnitt der Großen Heide umfasste neben kleineren Waldungen in der Hauptsache die Fehrowsche, Drachhausensche, Tauersche und Jänschwalder Heide. Unter Friedrich II. wurden die gesamten Heiden 1764 in drei Abteilungen zu jeweils 70 Schlägen eingeteilt49 . Außerdem löste man die Plenterwirtschaft durch eine planmäßige Schlagwirtschaft ab, wodurch von Naturverjüngung auf Aussaat und Anpflanzung der ohnehin begünstigten Kiefer umgestellt wurde50 . Der Sitz des Oberförsters war Tauer, weswegen man das gesamte Waldgebiet gemeinhin auch nur königlich Tauersches Forstrevier nannte. 1827 wurde das Waldgebiet in die Oberförstereien Tauer und Taubendorf aufgeteilt. Die Jänschwalder Heide und weitere Waldteile östlich von Peitz bezeichnete man seitdem als Taubendorfer Forst51 . IV.
Holzverbrauch und Waldentwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Die Holzkohle für das Hüttenwerk wurde durch Verkohlung vor allem von Kiefernholz in Rundmeilern, seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vornehmlich in den Forstrevieren der Großen Heide hergestellt. Die Köhler wurden direkt vom Hüttenwerk angestellt und bezahlt. Das Schlagen und Spalten des Holzes, die Aufklafterung desselben sowie den Transport der Holzkohle an das Werk verrichteten die Amtsuntertanen in Hand- und Spanndiensten52 . Das zur Verkohlung angesetzte Kohlenholz für das Werk musste jährlich genehmigt und angewiesen werden. Die Holzmenge wurde bis zum Pachtvertrag des Kriegsrates Giesel 1768 jährlich zu Trinitatis (1. Sonntag nach Pfingsten) festgelegt. In der Folge setzte man für die Pachtzeit von 1768 bis 1778 ein jährliches Quantum von 1 988 Klaftern sechsfüßiges Kohlenholz fest53 . Diese Angaben beziehen sich auf einen vollen Kubikklafter, also einen Klafter mit sechs Kubikfuß und somit 6,678 m3 Raumholz. Die festgesetzte Menge entsprach damit in etwa einem Umfang von 13 276 m3 Holz. Als das Hüttenwerk 1778 in staatliche Verwaltung überging, wurde dieser Satz beibehalten. 46 47 48 49 50 51 52 53
K RAUSCH: Beiträge (wie Anm. 6), 53, 59. Ebenda, 65. Ebenda, 59. Ebenda, 60. Ebenda, 70. Ebenda, 60. NAWKA: Meilereien (wie Anm. 15), 38, 47. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 4861 Rechtsstreit des Fiskus gegen Giesel und Andrä wegen Bezugs und Bezahlung von Kohlenholz (1780–1782), Bl. 3 f.
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Erst für das Etatjahr 1797/98 wurde diese Holzmenge zugunsten der Schonung der Amtsheiden auf 1 000 Klafter jährlich reduziert. Darüber einigten sich das Hüttenamt und das Forstamt einvernehmlich54 . Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die Klafterangaben bei der Zuweisung von Kohlenholz für die Holzkohlemeiler variieren konnten. Die Scheitlänge wurde oft mit den für Preußen üblichen drei Fuß, aber auch gelegentlich mit vier Fuß angegeben, wie etwa in der Holz- und Kohlenordnung von 177955 . Damit ergibt sich bei einer Klafterhöhe und -breite von sechs Fuß und einer Tiefe von drei bzw. vier Fuß ein Holzvolumen von einem halben respektive einem Zweidrittel-Kubikklafter, also die gängigen 3,339 m3 bzw. im Falle der Verordnung 4,45 m3 Holz pro Klafter. Darauf ist bei der Berechnung der Holzmengen hinsichtlich der Produktion von Holzkohle zu achten. Bei der Umrechnung der Klaftermengen in m3 handelt es sich stets um Raummeter, also gestapeltes Holz mit Zwischenräumen. Hinweise auf die tatsächlich bezogenen Holzmengen ergeben sich einerseits aus den Rechnungen und Quittungen des Hüttenamtes über angewiesene Mengen zu den Holzmärkten, jeweils zu Trinitatis, andererseits über Gesamtdarstellungen, meist infolge von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Hüttenamt bzw. den Pächtern des Werks und dem Forstamt sowie der Neumärkischen Kammer (Diagramm 1 auf der nächsten Seite). 1780 kam es zu einem Rechtsstreit zwischen dem Fiskus und den Pächtern Giesel und Andrä bezüglich der ausstehenden Zahlung von 5 378 Rthlr. 3 Gr. aufgrund 5 071 zu viel erhaltener Klafter Kohlenholz, also ca. 33 864 m3 , im Zeitraum von 1768 bis 177856 . Zwischen 1778 und 1804 wurden dem Werk hingegen insgesamt 9 706,66 Klafter, also in etwa 64 821 m3 Kohlenholz zu wenig übergeben, weswegen es 1804/06 zu einem Rechtsstreit zwischen dem Hüttenamt Peitz und dem Forstamt kam. Das Hüttenwerk berief sich auf diese fehlende Holzmenge und forderte deswegen für das Jahr 1805 noch wenigstens 4 000 Klafter57 . Letztendlich wurde dies genehmigt und wie auch alles weitere Holz, welches zwischen 1801/02 und 1806/07 übergeben wurde, aus den durch Raupenfraß geschädigten Beständen der Tauerschen und Jänschwalder Heide entnommen. Da man das befallene Holz ohnehin aus den Forsten herausnehmen musste, konnte, wie mehrmals festgehalten wurde, in diesen Jahren bedeutend mehr Holz an das Hüttenwerk abgegeben werden als üblich. Man wies jedoch ebenfalls darauf hin, dass, sobald die Kalamitäten überwunden seien, auf das alte Maß von 1 000 Klaftern zurückzukommen sei58 .
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Schreiben des Forstdepartements vom 04.04.1801, BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegsund Domänenkammer, Nr. 5021 Versorgung der Eisen- und Blechwerke der Neumark mit Kohlenholz (1799–1809), unfoliert. Verordnung, wie es mit dem Holzschlag zu Kohlen und den Köhlereyen bey den königlichen Eisen= Blech= Kupfer= auch andern Hütten= und Hammerwerken gehalten werden soll (1779), Tit. VII § 4., BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2A III F Regierung Potsdam, Nr. 487 Generalia. Holzkohlen-Sachen. Kohlenschwelen in den kgl. Forsten und Holzschlag für Köhlereien bei den kgl. Hütten- und Hammerwerken (1738–1849), Bl. 11. BLHA Potsdam, Rep. 3, Nr. 4861, Bl. 3. Vgl. Schriftwechsel ab 1805, insbesondere den Nachweis von v. Normann vom 29.10.1805, BLHA Potsdam, Rep. 3, Nr. 5021, unfoliiert. Vgl. Schriftwechsel zwischen 1801 und 1806, insbesondere die Bestätigung durch König Friedrich Wilhelm II. vom 17.07.1806 und der beigefügte abschriftliche Bericht von v. Voss, BLHA Potsdam, Rep. 3, Nr. 5021, unfoliiert.
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Kohlenholz in m3
30,000
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hat erhalten sollte erhalten
20,000
10,000
17
47 / 17 48 50 / 17 51 53 / 17 54 56 / 17 57 59 / 17 60 62 / 17 63 65 / 17 66 68 / 17 69 71 / 17 72 74 / 17 75 77 /7 17 8 80 / 17 81 83 / 17 84 86 / 17 87 89 / 17 9 0 92 / 17 93 95 / 17 9 6 98 /9 18 9 01 / 18 02 04 / 1 8 05 07 /0 8
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Abbildung 1: Jährlich angewiesenes Kohlenholz für das Peitzer Hüttenwerk (1747–1808) Die Auswahl des Zeitraums liegt in seiner Quellendichte begründet. Für die Jahre vor 1747 können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse vorgestellt werden. Angaben ermittelt nach: BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 4861, 4925, 5021, 18006, 18007.
Für den Zeitraum zwischen 1759 und 1768 bestehen hingegen noch offene Fragen, da die Quellenlage hier infolge der Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges auf das Werk problematisch ist. Konkrete Angaben zu gelieferten Holzmengen konnten bislang nicht ausfindig gemacht werden. Die Werte für die Jahre 1765/66 und 1766/67 wurden den Ausführungen von Richard Hilpert entnommen und müssen noch geprüft werden59 . Insgesamt bezog das Peitzer Eisenhüttenwerk im betrachteten Zeitraum von 1747 bis 1808 nach derzeitigem Kenntnisstand ca. 684 729 m3 Holz, durchschnittlich also ca. 11 225 m3 Holz pro Jahr. Dieser Umfang entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Holzbezug von etwa 1 681 Kubikklaftern Holz. Damit liegt der durchschnittliche Holzbezug unter der seit 1768 festgesetzten Holzmenge von 1 988 Klaftern und über dem seit dem Etatsjahr 1797/98 korrigierten Umfang von 1 000 Klaftern. Die Holzeinsparung und damit auch die Schonung der Waldgebiete im vorgestellten Zeitabschnitt wird am deutlichsten durch die Folgen des Siebenjährigen Krieges und die Maßnahmen staatlicher Forstpolitik sichtbar. In letzteren wird zudem die Wirkmächtigkeit der zeitgenössischen Klagen über Holznot deutlich. Insofern hatten diese, wenngleich die prognostizierte Holznot als übertrieben einzustufen ist, wie anhand der Entwicklung der Waldflächen im Untersuchungsgebiet noch zu zeigen sein wird, einen nicht unerheblichen Einfluss auf Maßnahmen zur Schonung der Waldflächen. Wenn sich der Schädlingsbefall gegen Ende des 18. Jahrhunderts negativ auf den königlich Tauerschen Forst ausgewirkt hat, kann dies nicht dem Hüttenwerk zur Last gelegt werden, da das Holz ohnehin keinem anderen Zweck mehr zugeführt werden konnte. Das Peitzer Hüttenwerk war hier, wie 59
H ILPERT: Eisenhüttenwerk Peitz (wie Anm. 8), 45, 48, 50, 53.
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schon bei der Entwaldung der Bruchwälder der Peitzer Niederungen, mehr Nutznießer denn Waldverwüster. Zudem kann konstatiert werden, dass es in der Gesamtschau nicht zu einer Devastierung der Waldgebiete der Großen Heide kam. Dies soll ein Vergleich der Waldflächen in den Jahren 1779 und 1815 aufzeigen. Nach der 1787/89 durch Voelker berichtigten Vermessung von 1764 umfasste das Gebiet der Peitzer Amtsheiden im Jahr 1779 eine Gesamtfläche von 12 667 ha Wald (Tabelle 1, mittlere Spalte)60 . Ältere Vermessungen liegen nicht vor. Tabelle 1: Umfang der Waldflächen im Amt Peitz 1779 und der entsprechende Zustand um 1815.
Waldgebiet Jänschwalder Heide Tauersche Heide Drachhausensche Heide Fehrowsche Heide Sonstige Gesamtfläche
Fläche in ha (1779)
Fläche in ha (um 1815)
1 415 4 766 2 694 2 044 1 749
1 681 4 650 1 894 1 989 838
12 667
11 052
Nach der Rückkehr des Hüttenwerkes in preußischen Besitz infolge des Wiener Kongresses 1815 nahm der Oberförster Nitschke aus Tauer eine Einschätzung der königlichen Tauerschen Forstreviere vor (Tabelle 1, rechte Spalte)61 . Demnach umfasste das Gebiet zu diesem Zeitpunkt noch eine Gesamtfläche von 11 052 ha. Unter der Annahme, dass die von Voelker und Nitschke zusammengetragenen Messergebnisse zutreffend sind, hat die Waldfläche zwischen 1779 und 1815 um insgesamt 1 615 ha abgenommen. Der Anteil des Jungwuchses sowie explizit für Bauholz ausgeschriebene Teile der Forstgebiete sind in dieser Betrachtung allerdings noch unberücksichtigt. Ferner wären noch der Bedarf an Bau-, Nutz- und Brennholz der Stadt Peitz und der umliegenden Amtsdörfer mit einzubeziehen. Schließlich könnte die Waldabnahme auch auf fehlerhafte Messungen der Zeitgenossen zurückzuführen sein oder andere Ursachen, etwa die Anlegung neuer Wiesen oder Ackerflächen bzw. Siedlungsland, gehabt haben. Eine Umrechnung des verbrauchten Holzumfanges in Waldfläche ist nicht zweckmäßig, da hier zusätzlich noch die Nachwuchsrate des Holzes berücksichtigt werden müsste. Daher verkompliziert sich die Interpretation der Waldabnahme im Untersuchungsgebiet erheblich. Die genaue Rekonstruktion der Entwicklung der Bodenverhältnisse und der Bestandsdichte über längere historische Zeiträume ist aufgrund der Quellenlage kaum möglich. Um zumindest eine näherungsweise Abschätzung der Dimension des Holznachwuchses vornehmen zu können, wurde die Ertragstafel der Kiefer im nordostdeutschen Tiefland zugrundegelegt62 . Die Kiefer war im 18. Jahrhundert, wie auch heute, 60 61 62
K RAUSCH: Beiträge (wie Anm. 6), 60. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 2A III F Regierung Potsdam, Nr. 59 Acta betreffend die Beschaffenheit der Tauerschen Forst im Amte Peitz, 1815, unfoliiert. G UNTER L EMBCKE ET AL .: Ertragstafel für die Kiefer (Pinus sylvestris L.) im nordostdeutschen Tiefland, Eberswalde 2000.
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die bestandsbildende Baumart im Untersuchungsgebiet. Die Bodengüteklassen lassen sich im Wesentlichen den Klassen III. bis V. im unteren Ertragsniveau auf sandigen, trockenen Standorten zuordnen. Für die Bestandsdichte wurde ein Wert von 0,95 bei einem durchschnittlichen Bestandsalter von 80 Jahren angenommen. Damit ergäbe sich eine durchschnittliche jährliche Nachwuchsrate für Derbholz von etwa drei Festmetern pro Hektar. Bei Zugrundelegung der vom Hüttenwerk beanspruchten Waldflächen nach der Vermessung von 1779 ergäbe sich bei 10 919 ha also eine durchschnittliche jährliche Nachwuchsleistung von ca. 32 757 Festmetern im untersuchten Gebiet. Dass das Werk zwischen 1798/99 und 1806/07 den Nachwuchs überhaupt nicht beeinträchtigte, ist, wie bereits angedeutet, dem Umstand geschuldet, dass sämtliches in diesem Zeitraum ausgegebene Holz aus den geschädigten Holzbeständen genommen wurde. Im Zeitraum von 1779/80 bis 1806/07 wurden vom Hüttenwerk 245 174 m3 Holz bezogen, im jährlichen Durchschnitt also 9 080,5 m3 bzw. 6 356,35 fm. Hier wird deutlich, dass bei Betrachtung der gesamten Waldfläche keine dauerhafte Schädigung der Großen Heide stattgefunden hat. Der Befund schließt jedoch nicht aus, dass es lokal, vor allem in den nahe dem Hüttenwerk gelegenen Waldteilen, zu Holzengpässen gekommen sein kann. Ein Großteil des königlichen Tauerschen Forstreviers war aufgrund seines enormen Umfanges praktisch nicht vom Hüttenwerk erreichbar, da die Transportkosten den Ertrag der gewonnenen Holzkohle bei Weitem überstiegen hätten. Dennoch kann festgehalten werden, dass es trotz der prognostizierten Holznot im untersuchten Zeitraum nicht zu Lieferengpässen des benötigten Brennmaterials aufgrund von Holzmangel kam. Ausfälle der Lieferungen waren, wie etwa infolge des Siebenjährigen Krieges, stets auf den ausbleibenden Transport der Holzkohle durch die Amtsuntertanen zurückzuführen. Insofern kann von einer dezidierten Waldverwüstung oder gar einer durch das Hüttenwerk verursachten Waldverwüstung kaum die Rede sein. Zu diesem Schluss scheint auch der Oberförster Nitschke zu kommen, wenn er im Anschluss an die Vermessung von 1815 formuliert: Nach Abzug des unglücklichen und sehr bedeutenden Raupenfraßes, sind die Tauerschen Forstreviere immer noch in vorzüglich guten Stande63 . Dieses Ergebnis wird umso erstaunlicher, wenn man Nitschkes Einschätzung von 1789 berücksichtigt. Ein Verdienst des Hüttenwerkes selbst ist dies jedoch noch nicht. Die unzulängliche Auslastung des Werkes kann kaum im Interesse der Betreiber gewesen sein. Was die Produktionsmengen des Peitzer Hüttenwerks betrifft, so fehlen in der Literatur genaue Angaben über längere Zeitreihen. Eine differenzierte Gesamtdarstellung zur Produktion des Werks und den verbrauchten Ressourcen steht noch aus. Allein Hermann Cramer stellt zumindest die produzierte Eisenmenge zwischen 1778 und 1823 und den Ertrag des Werks zwischen 1824 und 1857 tabellarisch dar64 , ohne jedoch speziell auf den entsprechenden Rohstoffeinsatz einzugehen. Diesbezüglich stellt er nur eine Schätzung der Gesamtmengen des benötigten Eisenerzes und der benötigten Holzkohle vor. Demnach habe das Werk zwischen 1778 und 1821 in 31 Schmelzkampagnen 35 125 Kasten und 10 Scheffel Raseneisenstein unter Beifügung von 1 143 Zentnern und 68 3/4 Pfund Wascheisen verschmolzen. Dabei seien 18 649 Fuder und 34 Scheffel Holzkohlen verbraucht und insgesamt 188 036 Zentner 10 1/2 Pfund bzw. etwa 9 691,2 t Roh- und Gusseisen 63 64
BLHA Potsdam, Rep. 2A III F, Nr. 59. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 386 f, 388 f.
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hergestellt worden65 . Dies entspräche einer durchschnittlichen jährlichen Eisenproduktion von 225,38 t. Die Umrechnung der eingesetzten Menge an Holzkohle in Holz ist nur näherungsweise möglich, da sich der Ertrag beim Verkohlen des Holzes nicht einheitlich angeben lässt. Laut Vorgabe der Holzschlag- und Kohlenordnung von 1779 sollte aus drei Klaftern Kohlenholz mit einer Scheitholzlänge von vier Fuß ein Fuder Holzkohle zu 112 Berliner Scheffel hergestellt werden66 . Dieser Vorgabe zufolge hätte das Hüttenwerk etwa 55 947,4 Klafter oder 248 965,93 m3 Holz im betrachteten Zeitraum verbraucht. Dieses Ergebnis stimmt in der Dimension weitgehend mit dem aus den Akten ermittelten Kohlenholzbezug des Werks überein. Hier wurde für den Zeitraum zwischen 1779 und 1808 ein Wert von 245 174 m3 Holz ermittelt. Die Jahre bis 1821 bleiben allerdings noch unklar. Hermann Cramer gibt an, dass zwischen 1809 und 1821 16 072 Ztr. 41 1/4 Pfd. Eisen produziert worden seien67 . Laut seinen Berechnungen konnte aus einem Fuder Holzkohle zehn Zentner und drei Pfund Eisen erschmolzen werden. Dies würde einem Holzeinsatz von 21 398,18 m3 im fraglichen Zeitraum entsprechen. Für die Differenz zwischen Cramers Befunden und den aus den Akten ermittelten Werten dürfte die abweichende Menge ausgebrachter Holzkohle beim Verkohlungsprozess ursächlich sein. V.
Erzwungene Nachhaltigkeit? Produktivität zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Zweierlei Tendenzen zeichnen sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt der Forschungsarbeiten ab. Einerseits wurde der Betrieb des Hüttenwerks ungeachtet der wiederholt geäußerten Befürchtungen nicht eingestellt. Die Holzbezüge wurden infolge von Forstschutzmaßnahmen, welche durchaus in den negativen Prognosen der Forstbeamten begründet sein konnten, allenfalls eingeschränkt. Andererseits lässt die Aufarbeitung der Werksgeschichte eine bereits vor der Beschränkung der Holzbezüge grundsätzlich unzulängliche Produktivität des Werks vermuten. Wirklich produktiv konnte das Werk nur in den Jahren nach seiner Gründung betrieben werden, was vor allem auf die Deckung des Eisenbedarfs der Peitzer Festung zurückzuführen ist. Spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg hatte das Peitzer Hüttenwerk mit erheblichen ökonomischen Problemen zu kämpfen. Trotz mehrfacher Versuche der Modernisierung sowie der Erweiterung der Produktpalette um Friedensware verschlechterte sich die Situation immer weiter. Auch wenn im 17. Jahrhundert ökonomische Kalküle noch keine große Rolle gespielt haben dürften, da es ursprünglich allein um die Sicherung des militärischen Bedarfs ging, stiegen die Kosten nach dem Dreißigjährigen Krieg immer weiter an, so dass bereits 1673 die Einstellung des Betriebes erwogen wurde. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete die kurfürstliche Verwaltung und empfahl, das Werk nach Fürstenwalde an der Spree verlegen zu lassen, um die Transportkosten für nach Spandau und Berlin gelieferte Waren zu senken68 .
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Ebenda, 384. BLHA Potsdam, Rep. 2A III F, Nr. 487, Bl. 11. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 385. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 141 f.
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Anstatt den Betrieb einzustellen oder das Werk zu verlegen, entschloss man sich 1691 letztendlich dazu, das Werk an Private zu verpachten. Mit diesem Schritt wurde die ökonomische Lage des Werks aber umso wichtiger, da der jeweilige Pächter für die Pacht aufkommen musste. Trotz der zahlreichen Vorteile, welche die kameralistische Wirtschaftspolitik in Preußen ermöglichte, etwa fixierte Verkaufspreise, Abnahmegarantien für militärische Produkte, Schutz des lokalen Marktes durch Einfuhrverbote sowie Zollfreiheit, konnte das Werk kaum je rentabel wirtschaften69 . Weitere private Hüttenwerke in der Neumark, beispielsweise Zanzhausen, Vietz, Kutzdorf und Himmelstadt sowie das kurfürstlich verwaltete Werk in Crossen, wirkten sich zusätzlich ungünstig auf den Peitzer Standort aus70 . Mit der systematischen Schleifung der Peitzer Festung nach dem Siebenjährigen Krieg entfiel ein wichtiger und vor allem sicherer Abnehmer für das produzierte Eisen. Auch die verstärkte Ausrichtung auf Friedensware milderte die Problematik nicht. Günter Bayerl betont diesen Umstand, indem er das Scheitern des Peitzer Hüttenwerks im Zusammenhang mit der Peitzer Festung und der Militärpolitik des Landes betrachtet. „Das Hüttenwerk, das seine Entstehung der brandenburgischen Militärpolitik verdankte, verlor als Gewerbebetrieb an Bedeutung, als die Festung unwichtig wurde. Das Eisengewerbe der Kernlande konzentrierte sich um und in Berlin“71 . Die periphere Lage von Peitz sowie die für den Absatz zusätzlich hinderliche räumliche Trennung der Herrschaft Cottbus/Peitz vom restlichen brandenburgischen Territorium erschwerte auch den Transport der Waren erheblich. Das Verkehrsnetz wurde erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts ausgebaut. Auch die Eisenbahn entfaltete sich erst spät (seit 1867), also erst nachdem die Peitzer Hütte ihre Arbeit bereits eingestellt hatte. „Die Region, damit auch das Hüttenwerk Peitz, blieben mithin auf Jahrzehnte von industriellneuzeitlichen Verkehrsinfrastrukturen abgekoppelt“72 . Produkte für Berlin mussten erst über Land nach Goyatz am Schwielochsee transportiert werden. In Lieberose war sächsischer Zoll zu entrichten. Danach wurden die Waren mit hohem Aufwand über die Spree weiterverschifft73 . Diesen grundlegenden standortbedingten strukturellen Problemen gesellten sich weitere Einflussfaktoren hinzu, welche wiederholt zu kürzeren oder längeren Unterbrechungen im Produktionsprozess führten. In diesem Zusammenhang ist zunächst die für vorindustrielle Zeiten unausweichliche Abhängigkeit von Umweltbedingungen zu nennen. So war der kontinuierliche Schmelzprozess, die Ofenreise oder Kampagne, ohnehin von nicht zu beeinflussenden Witterungsverhältnissen abhängig. Besonders stark wirkten sich diese auf den Wasserstand des Hammergrabens aus, von dem das Ausmaß erfolgreicher Kampagnen entscheidend bestimmt wurde. In zu trockenen Sommern konnte das Werk wegen niedrigen Wasserstands des Hammergrabens nicht betrieben werden, bei Eisbildung im Winter hielt das Werk ebenfalls ‚Kaltlager‘74 . Zudem bedurfte der Hammergraben einer regelmäßigen Räumung durch die zu Hand- und Spanndiensten verpflichteten Amtsuntertanen. Blieb 69 70 71 72 73 74
Ebenda, 145. Vgl. ebenda, 142. BAYERL : Manufakturwesen (wie Anm. 22), 43. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 146. Ebenda. T ORSTEN M EYER: „Den größten Metallreichthum hat das Vaterland an nützlichen Eisenwerken“. Eisenerzeugung und Eisenverarbeitung in der Frühen Neuzeit (1500–1800). In: Museumsverband des Landes
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diese aus, versandete der Graben, was ebenfalls zu verminderten Kampagnen führte. Torsten Meyer konstatiert, dass die Ofenreisen im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf 30 bis 40 Wochen im Jahr ausgedehnt werden konnten75 . Dieser Wert scheint nach jetzigem Kenntnisstand zu hoch zu sein. Eine Auswertung der einzelnen Schmelzkampagnen steht noch aus. Neben den witterungsbedingten Faktoren sorgte der Mensch selbst für die längsten Unterbrechungen im Produktionsprozess. Gerade in Kriegszeiten, besonders während des Dreißigjährigen und Siebenjährigen Krieges, zeigte sich dies deutlich. Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Werk 1641 durch die kaiserlichen Truppen geplündert und zerstört76 . Als problematisch erwiesen sich hierbei nicht nur die Schädigungen am Werk selbst, sondern insbesondere schwere Schäden in den Amtsdörfern77 , da diese durch das Ausbleiben der Dienste der Amtsuntertanen zu erheblichen Ausfällen der Produktion führten. Die Lage war nach dem Krieg derart zugespitzt, dass die Arbeiter zunächst nur mit Eisen bezahlt werden konnten78 . Ab 1647 gab es massive Klagen über den schlechten Zustand des Werks. Erst 1659 mit einem Reskript des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, einen neuen Hohen Ofen bauen zu lassen, stabilisierte sich die Lage. Der erste echte Hochofen Brandenburgs ging 1660 in Betrieb79 . Im Siebenjährigen Krieg wiederholte sich diese Entwicklung, als das Werk 1759 vollständig zerstört wurde. Infolge „der durch Truppen der Oesterreicher und Russen bewirkten Einäscherung von Werksgebäuden, Kohlenmeilern, Geräthschaften, Kohlenholz, Fortschleppung von Eisen, Demolirung der Schützen und Wehre“ musste das Hüttenwerk kalt gelegt werden80 . Die Lage stellte sich ähnlich dramatisch wie in den 1640er Jahren dar. Die Dörfer waren teilweise verbrannt und geplündert, die Ernte vernichtet und das Zugvieh gestohlen81 . Dies machte es den Amtsuntertanen unmöglich, den Diensten für das Hüttenwerk Folge zu leisten. Erst 1765 war es möglich, einen neuen Hochofen zu bauen. Unterdessen mussten die Arbeiter in Notunterkünften untergebracht werden82 . Zwischen 1759 und 1762 etwa soll es zu einem Ausfall im Wert von 28 071 Talern gekommen sein83 . Weiterhin sind Dienstverweigerungen oder unsachgemäßes Arbeiten der Amtsuntertanen zu nennen, wodurch sich Lieferungen verzögern konnten oder Aufgaben in Lohnarbeit verrichtet werden mussten, was sich negativ auf den Ertrag des Werks auswirkte. Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weigerten sich die Untertanen wiederholt, das für die Holzkohlenproduktion benötigte Holz zu schlagen und zu spalten84 . So hielt der Oberförster Lampmann in einem Schreiben an den König vom 4. Dezember 1780 fest: Ew. Königl. Majesteet habe allerunterthänigst anzuzeigen, daß die Dienende Unterthanen zum
75 76 77 78 79 80 81 82 83 84
Brandenburg e. V. (Hg.): Ortstermine. Das Hüttenwerk Peitz – Aufstieg und Niedergang eines Industriestandorts, Berlin 2001, 17–38, hier: 24 f. M EYER : Eisenerzeugung (wie Anm. 74), 24. M EYER : Eisenerzeugung (wie Anm. 74), 10. Vgl. G ROGER: Peitz (wie Anm. 9), 143. M EYER: Eisenerzeugung (wie Anm. 74), 10. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 141. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 370. Vgl. H ILPERT: Eisenhüttenwerk Peitz (wie Anm. 8), 43 f. C RAMER: Niederlausitz (wie Anm. 10), 369 f. R EICHMUTH: Produktion (wie Anm. 7), 107. Vgl. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 4845 Acta wegen Schlagung des Kohlen=Holzes bey dem Hüttenwerk zu Peitz (1769), Bl. 8–11.
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Königl. Eisen Hütten= Werck Peitz aus dem Dorfe Fehrow und Schmogrow das Kohlholtz in der Drachhausschen Heyde sich gäntzlich wiedersezet zu spalten, worauf ich genötiget worden, eine Probe mit 30 Haufen zu machen, und solche vor Geld spalten zu laßen, den Haufen mit 2 g. bezahlt, um Ihnen zu zeigen, das es recht gut geht, [. . . ]. Es sind 600 Haufen gehauen, dazu ich nicht so viel Geldarbeiter bekommen kann, sie spalten zu laßen. Das Königl. Justitz Amt hat Ihnen die Ordre zum spalten gegeben, sie befolgen derselbigen aber nicht85 . Weitere Probleme ergaben sich aus Pachtstreitigkeiten und Absatzschwierigkeiten. All diese Unterbrechungen verminderten nicht nur den Absatz; Verluste wurden auch dadurch generiert, dass man den Arbeitern während dieser Unterbrechungen die Lebenshaltung ermöglichen musste. Dafür zahlte man ihnen ein sogenanntes Wartegeld, was sich ebenfalls negativ auf die Jahresbilanzen niederschlug86 . Schließlich sind auch kalkulierte Betriebspausen anzuführen. Ausbesserungen, Neubauten und Instandsetzungsarbeiten am Werk und am Hammergraben, welche regelmäßig vorgenommen wurden und die Effizienz des Werks steigern sollten, beeinträchtigten die Ofenreise ebenso und brachten nur selten den gewünschten Ertrag ein. Umfangreiche mehrjährige Betriebspausen hatten freilich den größten Einfluss auf den Ertrag des Werks, waren abseits der Kriegsschäden aber eher die Ausnahme. Dennoch scheint der Schluss naheliegend, dass das Peitzer Hüttenwerk so wirtschaften musste, wie es durch das regionale Naturdargebot möglich war. Auch das stetig abnehmende staatliche Interesse am peripheren Standort des Peitzer Eisenhüttenwerks dürfte Einfluss darauf gehabt haben. Dies konnte nicht im Interesse der jeweiligen Betreiber des Werks gewesen sein, galt es doch, gerade in den Phasen privater Verpachtung, das Werk zumindest kostendeckend zu betreiben. VI.
Schlussbetrachtung
Da die Arbeit am Projekt gegenwärtig noch nicht abgeschlossen ist, zahlreiche weitere Akten auszuwerten sind und noch einige offene Fragen beantwortet werden müssen, ist eine Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage, inwiefern sich produktionsmindernde Faktoren auch auf den Zustand der vom Hüttenwerk beanspruchten Waldgebiete auswirkten, noch nicht endgültig möglich. Festzuhalten ist jedoch, dass sich die prognostizierten, explizit durch das Hüttenwerk verursachten irreparablen Schädigungen im königlichen Tauerschen Forstrevier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht bestätigen ließen. Der Umfang der Peitzer Amtsheiden ist mit Ausnahme der Bruchwälder in der Peitzer Niederung bis zum Beginn des Braunkohletagebaus weitgehend konstant geblieben. Trotz der wiederholt durch die Forstbeamten aufgezeigten potentiellen Grenzen möglicher Holzlieferungen für das Hüttenwerk brachen die Lieferungen von Holzkohle nicht ab und wurden höchstens durch Maßnahmen staatlicher Forstpolitik reduziert. Das vollständige Verschwinden der Bruchwälder in unmittelbarer Nähe zur Stadt Peitz und den Amtsdörfern kann nicht primär dem Werk zur Last gelegt werden, da diese Flächen zur Gewinnung von Weide-, Acker- und Siedlungsland ohnehin gerodet worden wären. Das Werk hat hier, 85 86
BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 3 Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer, Nr. 4862 Versorgung des Eisenhüttenwerkes Peitz mit Kohlenholz (1780–1783), Bl. 4 f. M EYER: Eisenhüttenwesen (wie Anm. 22), 141; NAWKA: Meilereien (wie Anm. 15), 47.
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wie auch bei den Kalamitäten gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als Nutznießer gewirkt. Dennoch stellt die Rodung der Bruchwälder den „sichtbarsten“ Eingriff in die Kulturlandschaft im Raum Peitz dar. Mit Verschwinden dieser Waldungen wurde zwangsläufig die Große Heide das Hauptbezugsgebiet für sämtliche regionalen Holzinteressenten und damit unweigerlich auch für das Peitzer Eisenhüttenwerk. Letztendlich dürfte die erhebliche Größe des königlichen Tauerschen Forstreviers ursächlich dafür gewesen sein, dass der Holzbestand, trotz intensivierter Beanspruchung durch das Hüttenwerk, weitgehend konstant blieb, wenngleich lokale Holzengpässe in der Nähe des Werks nicht auszuschließen waren. Weit entlegene Waldteile waren aber praktisch nicht erreichbar. Weiterhin bleibt offen, wie groß die Anteile des Jungwuchses in den stärker beanspruchten Waldgebieten waren und wie sich mögliche Wasserwege auf die Transportreichweite auswirkten. Hierfür wäre es erfreulich, wenn sich der Waldzustand im 18. Jahrhundert schlüssig rekonstruieren ließe, was allerdings aufgrund der Quellenlage nicht vollständig möglich sein wird. Diese Lücken sollen daher mittels archäologischer und geowissenschaftlicher Befunde ausgeglichen werden. Weitere Faktoren, wie gezielte Maßnahmen zur Waldschonung, müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Ein wesentliches Ziel im weiteren Arbeitsgang des Projektes wird es daher sein, so lückenlos wie möglich die einzelnen Kampagnen des Hüttenwerks zu rekonstruieren, soweit dies das vorhandene Quellenmaterial zulässt, um konkrete Aussagen über die verminderte Produktivität des Werks und deren Einfluss auf den Waldzustand im Untersuchungsgebiet treffen zu können. Als vorläufige These lässt sich formulieren: Neben dem sich im 18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen allmählich durchsetzenden Bewusstsein einer nachhaltigen Forstwirtschaft erzwangen zahlreiche produktionsmindernde Faktoren kürzere und längere Betriebspausen des Peitzer Eisenhüttenwerkes, welche unweigerlich zu einer nicht intendierten Schonung oder zumindest zu einer stark gebremsten Abnutzung der beanspruchten Waldgebiete beitrugen.
Die Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök als Beispiel für eine nachhaltige Ressourcennutzung von Arne Paysen I.
Einleitung
Das Holz war bis zur überregionalen Einführung der fossilen Brennstoffe im ausgehenden 18. Jahrhundert der wichtigste Energieträger. Gleichzeitig wurde Holz als Baustoff genutzt, die Wälder dienten der Schweine- und Rindermast und waren wichtiger Lebensraum für viele vom Menschen genutzte Tiere und Pflanzen. Dem Wald kam somit eine große Bedeutung sowohl als Holzproduzent als auch als facettenreiche Ressource zu, die in vielfältiger Form genutzt und oftmals auch übernutzt wurde. Im ehemals waldreichen Schleswig-Holstein führte die Übernutzung der Wälder zu einer fast vollständigen Entwaldung und der Ausbreitung großer Heideflächen1 . Der aus der Übernutzung resultierende Holzmangel und die Möglichkeiten, diesen Mangel zu beseitigen, avancierten zum allgegenwärtigen Thema, bis die Einführung fossiler Brennstoffe die Not zu mindern vermochte2 . Auch in anderen Regionen Mitteleuropas sah es im 18. Jahrhundert kaum besser aus. So wundert es nicht, dass der Begriff der Nachhaltigkeit erstmalig im forstlichen Zusammenhang aufkommt und zwar in der „Sylvicultura oeconomica“ von Hans Carl von Carlowitz3 . Er beschreibt die zwingende Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen Holzzuwachs und Holzeinschlag zu erreichen, um langfristig Nutzen aus den Wäldern zu ziehen, und widmet sich sehr detailliert den verschiedenen forstwirtschaftlichen Ansätzen seiner Zeit. Auch wenn die Begrifflichkeiten „Nachhaltigkeit“, „Energie“ und „Forstwirtschaft“ erst nach 1700 aufkamen, zeigen die ab etwa 1500 vielerorts erlassenen Holz- und Forstordnungen4 , dass man sich der Konsequenzen, die aus übernutzten Wäldern resultierten, durchaus bewusst war und diese verhindern wollte. Schutzmaßnahmen, die regelmäßig zu finden sind, sind das Verbot oder die Einschränkung der Waldweide, Schutz des Jungwuchses und Schutz der Saatbäume. In Summa wurden die landwirtschaftlichen Nutzungen weitgehend zugunsten der Holzproduktion verboten. Die alleinige Existenz von Forstordnungen bedeutet jedoch nicht, dass auch von Seiten der Landesherrschaft besonders schonend mit den Wäldern umgegangen wurde, vielmehr ging es um eine Sicherung der Nutzungsrechte, die es der Landesherrschaft erlaubte, große, landwirtschaftlich ungenutzte Waldbestände an Großabnehmer wie Hüttenwerke oder Glasbläser zu verkaufen. Auch 1
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K LAUS -J OACHIM L ORENZEN -S CHMIDT: Waldverlust und Waldaufbau in Schleswig-Holstein vom Mittelalter bis 1914. In: Dünger und Dynamit, Beiträge zur Umweltgeschichte in Schleswig-Holstein und Dänemark 31 (1999), 41–64. J OACHIM R ADKAU , I NGRID S CHÄFER: Holz. Ein Naturstoff in der Technikgeschichte (= Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik), Reinbek 1987. H ANS C ARL VON C ARLOWITZ: Sylvicultura oeconomica oder Hauswirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, Reprint der Ausgabe Leipzig 1713, hrsg. und bearbeitet von K LAUS I RMER , A NGELA K IESSLING, mit einem Vorwort versehen von U LRICH G ROBER, Freiberg 2000, 105. K URT M ANTEL: Forstgeschichte des 16. Jahrhunderts unter Einfluß der Forstordnungen und Noe Meurers (= Schriftenreihe der forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 1980), Hamburg/ Berlin 1980.
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 73–86
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Carlowitz geht in seinen forstwirtschaftlichen Betrachtungen vorrangig vom Nutzen für die frühe Hüttenindustrie in Sachsen aus. Zudem bedeutet die Existenz einer gesetzlichen oder vertraglichen Regelung zur Nutzung der Wälder nicht, dass diese auch umgesetzt wurde. Waldfrevel, illegale Waldweide und Holzdiebstahl sind in den historischen Quellen zur Waldnutzung ebenfalls allgegenwärtig. Es ist anzunehmen, dass viele Maßnahmen zum Schutz der Wälder bis ins 19. Jahrhundert hinein erfolglos blieben. Die Publikation von Joachim Radkau und Ingrid Schäfer bringt diese Problematik auf den Punkt: „Zwar gibt es eine Fülle an forstgeschichtlichen Untersuchungen; aber diese stützen sich für die ältere Zeit vor allem auf die Masse der Forstordnungen. Was im Wald tatsächlich vor sich ging, ist damit noch nicht gesagt“5 . Eine rein historische Untersuchung der Waldnutzungsgeschichte muss demnach zwangsläufig lückenhaft bleiben. II.
Möglichkeiten der Holzkohleanalyse
Um eine Vorstellung von der Nutzung der Wälder im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zu bekommen, können neben schriftlichen Quellen auch archäologische und archäobotanische Quellen herangezogen werden. Während durch Schriftquellen gesetzliche Regelungen sehr gut fassbar werden, fehlen Angaben zum Waldzustand und zu den verwendeten Holzsortimenten fast vollständig. Diese Informationen können jedoch durch die archäobotanische Auswertung von Holzkohlen aus den archäologischen Relikten ehemaliger Brenn- und Kohlholzverbraucher gewonnen werden. Im Idealfall ist ein Vergleich der gesetzlichen Situation zum Betriebszeitraum mit dem vorhandenen Brennstoffabfall in der Form möglich, dass die Tragweite der gesetzlichen Regelungen ersichtlich wird6 . Grundlage der archäobotanischen Untersuchung von Holzkohle ist die Tatsache, dass alle wesentlichen Holzmerkmale7 in den Holzkohlen erhalten bleiben (Abb. 1 auf der nächsten Seite)8 . Dadurch ist es nicht nur möglich, die verschiedenen Holzarten, sondern anhand der Jahrringkrümmung auch den verwendeten Holzdurchmesser und anhand der Jahrringstruktur auch Astholz9 , Stammholz und Stockausschläge10 voneinander zu unterscheiden. Allein anhand der Zusammenstellung der Holzarten lässt sich einiges über die Nutzung eines Waldes aussagen. Wurde ein Wald übermäßigem Holzeinschlag ausgesetzt, so dass der vorhandene Jungwuchs die entstehenden Lücken im Kronendach nicht zu füllen vermochte, setzten sich schnell wachsende Lichtgehölze oder Pioniergehölze wie Weide oder Birke durch, die in einem geschlossenen Wald nicht häufig zu finden wären. Bei übermäßigem Viehverbiss wiederum würden sich die Arten durchsetzen, die vom 5 6
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R ADKAU , S CHÄFER: Holz (wie Anm. 2), 16. A RNE PAYSEN: Nachhaltige Energiewirtschaft? Brenn- und Kohlholznutzung in Schleswig-Holstein in Mittelalter und früher Neuzeit. Dissertation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 2009, Kiel 2009. F RITZ H ANS S CHWEINGRUBER: Mikroskopische Holzanatomie, 3. Aufl., Teufen 1990. T HOMAS L UDEMANN: Eintrag „Meiler“. In: H EINRICH B ECK , D IETER G EUENICH , H EIKO S TEUER (Hg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 19, Berlin 2001, 507 f. S CHWEINGRUBER: Holzanatomie (wie Anm. 7), 188. M ARCO S PURCK: Waldnutzung in der Umgebung des mittelalterlichen Konstanz. In: Alt Thüringen 30 (1996), 209–216.
Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök
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Abbildung 1: Zellstruktur des Querschnittes einer Hainbuche bei 40-facher Vergrößerung. Typisch sind die radialen Porengruppen und die breiten, zusammengesetzten Markstrahlen. Weitere Unterscheidungsmerkmale fänden sich im Tangential- und Radialschnitt. Quelle: S CHWEINGRUBER: Mikroskopische Holzanatomie (wie Anm. 7), 84.
Vieh gemieden werden, insbesondere dornenbewährte Pflanzen wie Ilex, Schlehe oder Weißdorn11 . Die nicht holzartbezogenen Wachstumsmerkmale wie Durchmesser und Jahrringstruktur sind Resultat der Wachstumsbedingungen der gefällten Hölzer und geben Hinweise auf den Waldzustand während der Nutzungszeit. Während asymmetrisch angeordnete Jahrringe ein deutlicher Hinweis auf die Verwendung von Astholz sind, deuten besonders breite Jahrringe in den ersten Wachstumsjahren auf die Verwendung von Stockausschlägen hin. Außerdem ist es möglich, den Fällzeitpunkt anhand der Vollständigkeit des letzten Jahrrings festzustellen. Ist der letzte Jahrring voll ausgeprägt, liegt eine Fällung während der Vegetationspause, also im Winterhalbjahr, vor. Gerade die Verwendung von in der Vegetationspause gefällten Stockausschlägen ist ein deutlicher Hinweis auf eine intensive, jedoch in einem gewissen Gleichgewicht befindliche Holzwirtschaft, denn durch das gezielte Zurückschneiden von jungen Laubgehölzen im beginnenden Frühjahr kann das Holzwachstum für eine gewisse Zeit besonders angeregt werden. Die Wurzel des gefällten Baumes hat genug Kraft, innerhalb kürzester Zeit neue Ruten zu bilden, welche die weggefallene Krone ersetzen (Abb. 2 auf der nächsten Seite).
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R ICHARD P OTT, J OACHIM H ÜPPE: Die Hudewaldgesellschaften Nordwestdeutschlands (= Abhandlungen aus dem westfälischen Museum für Naturkunde 53, 1/2), Münster 1991.
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Abbildung 2: Typische Wuchsformen von mehrfach beschnittenen Stockausschlägen im Niederwald. Quelle: S TEFANIE L ABES , U LRIKE S OMMER: Wald und Mensch. Begleitheft zum Waldlehrpfad des Archäologischen Freilichtmuseums Groß Raden, Bützow 1995, 29.
Gelingt es, den Wurzelstock im dauernden Zustand der wachstumsreichen Stabilisierungsund Aufbauphase12 zu halten, kann der jährliche Zuwachs einer Waldfläche deutlich gesteigert werden13 . Ein historisch gut dokumentiertes Beispiel für diese Form der ertragreichen und gut zu steuernden Waldwirtschaft sind die Hauberge des Siegerlandes14 . Während alle Laubgehölze mit Ausnahme der Rotbuche das regelmäßige Zurückschneiden grundsätzlich vertragen und mit einer Erhöhung des durchschnittlichen jährlichen Zuwachses reagieren, sind Nadelgehölze – bis auf in geringem Maße die Eibe – nicht ausschlagfähig15 . Ein häufiges Vorkommen von Nadelholzkohlen innerhalb eines Befundes bedeutet somit in der Regel, dass eine entsprechend bestandene Waldfläche gerodet wurde und ohne erneute Aufforstung nur langsam wieder zu Wald werden konnte. Die hier genannten nutzungsgeschichtlich relevanten Details finden in der schriftlichen Überlieferung zur Waldwirtschaft nur selten Erwähnung. Daher ergänzen sich die Methoden der historischen und archäobotanischen Forschung bei der Rekonstruktion der Waldnutzungsgeschichte in besonderem Maße, wie das folgende Beispiel der Bewirtschaftung der Kohlholzschläge des Klosters Ahrensbök verdeutlichen soll.
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P ETER B URSCHEL , J ÜRGEN H USS: Grundriß des Waldbaus. Ein Leitfaden für Studium und Praxis, Stuttgart 2003, 135–141. J ULIUS H AMM: Der Ausschlagwald, Berlin 1896. ROLF J ÜRGEN G LEITSMANN: Die Haubergwirtschaft des Siegerlandes als Beispiel für ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft. In: Scripta Mercaturae 1 (1982), 21–54; H UGO W INGEN: Energie aus dem Hauberg, Siegen 1982. H AMM: Ausschlagwald (wie Anm. 13).
Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök
III.
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Das Köhlereiregister des Klosters Ahrensbök
Das Kartäuserkloster Ahrensbök wurde 1397 etwa 25 km nordwestlich von Lübeck gegründet. Im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts vereinigte das Kloster durch Stiftungen und Schenkungen ausgedehnte Landflächen im Bereich des östlichen Schleswig-Holsteins unter seiner Verwaltung. Aus den Eintragungen des Zinsbuches16 lässt sich der Einflussbereich des Klosters gut erkennen, er umfasste die Ortschaften Gothendorf, Barkau, Süsel, Schwienkuhlen, Siblin, Steenrade, Holstendorf, Barghorst, Havekost, Ahrensbök, Gnissau, Birkenhof, Schwochel, Flörkendorf, Lebatz, Tankenrade, Pronsdorf, Cashagen, Curau und die heute wüstgefallenen Ortschaften Wahlsdorf und Spechs (Abb. 3).
Abbildung 3: Der Einflussbereich des Kloster Ahrensbök, hervorgehoben sind die Ortsnamen, die im Köhlereiregister erwähnt werden. Quelle: PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 208.
Neben dem Zinsregister wurde im Kloster von 1455 bis 1556 auch ein Köhlereiregister geführt, in welchem sehr detailliert die vom Kloster festgesetzten Rahmenbedingungen zur Nutzung der klostereigenen Holzschläge zum Zwecke der Köhlerei festgehalten wurden. Da für Schleswig-Holstein vor Ende des 17. Jahrhunderts keine Forstordnungen belegt 16
W OLFGANG P RANGE: Kloster Ahrensbök 1328–1565 (= Schleswig-Holsteinische Regesten und Urkunden 10, Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 23, Nr. 1527), Neumünster 1989.
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sind17 , kommt dem Köhlereiregister Carbonature des Klosters Ahrensbök insofern eine besondere Bedeutung zu, da hier erstmalig für eine größere Region eine Art Waldgesetzgebung auf Grundlage vieler im Wortlaut ähnlicher Einzelverträge existiert zu haben scheint. Es ist damit der umfassendste und älteste bisher bekannte Nachweis für den Versuch einer Waldnutzungsregulierung in Schleswig-Holstein. Im Köhlereiregister sind die Ortschaften und Personen aufgeführt, die Nutzungsrechte an Holzschlägen und Köhlerstellen vom Kloster erworben hatten. Ingesamt handelt es sich um über 100 einzelne Pachtverträge. Eine solch intensive Köhlereitätigkeit ist nicht durch den regionalen Verbrauch im Einflussbereich des Klosters zu erklären, vielmehr wird ein Großteil der Holzkohle an die Hansestadt Lübeck verkauft worden sein, da mehrere Kohlenlieferungen dorthin im Köhlereiregister nachweisbar sind18 . Für welche Gewerbe die Kohle im Einzelnen gebraucht wurde, geht aus dem Köhlereiregister leider nicht hervor. Vergleicht man die in den Verträgen festgehaltenen Nutzungszeiträume der Holzschläge, so fällt ein deutlicher Schwerpunkt der Köhlereitätigkeit ab etwa 1500 auf. Dieser Umstand ist jedoch nicht mit einer plötzlich aufkommenden Köhlereitätigkeit gleichzusetzen, die Erklärung liegt laut Prange vielmehr in einer konsequenteren Buchführung in diesem Zeitraum. In den darauf folgenden Jahren lässt die Zuverlässigkeit der Einträge immer weiter nach, weshalb anzunehmen ist, dass nur in den Jahren kurz nach 1500 der wirkliche Umfang der Köhlerei erkennbar ist19 . In annähernd jedem Vertrag wurden neben den Namen der Pächter, meist Bauern, welche die Köhlerei als Nebengewerbe betrieben, die Grenzen der Holzschläge anhand von Flurnamen oder landschaftlichen Besonderheiten wie Wegen, Bächen oder Baumgruppen genau festgelegt. Die Nutzungsdauer und die Höhe der Pacht orientierten sich am Holzbestand des jeweiligen Schlages, wobei die Zahlung der ersten Rate erst nach begonnener Holzkohleproduktion, meist auf den Johannistag (24. Juni) festgesetzt wurde. Nach Ablauf der Schlagerlaubnis hatte der Pächter ein Jahr Zeit, das bereits gefällte Holz zu verkohlen und die Meilerstelle zu räumen. In einigen Verträgen lassen sich Hinweise finden, dass auch die Schlagzeiten geregelt waren, denn mitunter wurde der erstmögliche Schlagtermin festgelegt. Häufig liegen diese Daten im Herbst oder Winter: St. Michaelis (29.9.), St. Gallen (16.10.) St. Martin (7.11.), Weihnachten (25.12), Sylvester (31.12.), Dreikönigstag (6.1.), Fastnacht und Ostern werden des Öfteren als erste Schlagtermine genannt, im Frühling und Sommer werden nur Pfingsten und Johannis baptistae (24.7.)20 als Schlagtermine erwähnt. Eine weitere bemerkenswerte Regelung ist, dass zur Vermeidung von Holzverschwendung in einigen Verträgen erwartet wurde, dass ein Pächter, sofern er nicht in der Nutzung eines Holzschlages und in der Herstellung von Holzkohle bewandert war, einen Bürgen stellen musste, der ihn in der Köhlerei unterweisen konnte und die Verantwortung für den gepachteten Schlag übernahm21 . Die Bürgen wurden ebenfalls namentlich in den
17
18 19 20 21
F RIEDRICH M AGER: Entwicklungsgeschichte der Kulturlandschaft des Herzogtums Schleswig in historischer Zeit (= Veröffentlichungen der Schleswig-Holsteinischen Universitätsgesellschaft 25, 1) Kiel 1930, 188 f., 250 f. P RANGE: Ahrensbök (wie Anm. 16), 335. Ebenda, 10 f. PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 208. P RANGE: Ahrensbök (wie Anm. 16), 323 und 327.
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Pachtverträgen registriert und sind aus anderen Einträgen des Registers hinlänglich als Köhler bekannt. Trotz dieser recht penibel wirkenden Vergaberegelung deuten einzelne Quellen darauf hin, dass zwischen Klosterverwaltung und Pächtern ein gewisses Einvernehmen bestand. So wird eine Beanstandung des geschätzten Holzvorrates nach Prüfung mit einem Pachtnachlass berichtigt22 und Rückstände in der Ratenzahlung werden großzügig gehandhabt23 . Besonders wertvoll für die Rekonstruktion der Waldbewirtschaftung wird die Quelle durch ihre zeitliche Tiefe von über 100 Jahren, wodurch die Häufigkeit der Nutzung einzelner Schläge fassbar wird. Mindestens 22 Flurstücke wurden in diesem vom Köhlereiregister umfassten Zeitraum mehrfach verpachtet.
Abbildung 4: Tabellarische Auflistung der vom Kloster Ahrensbök verpachteten Holzschläge. Quelle: Eigene Erstellung
Zwischen den einzelnen Nutzungsperioden lassen sich Ruhephasen von elf bis 20 Jahren erkennen, in denen das Holz wieder aufwachsen konnte und keine Vergabe durch das Kloster stattfand (Abb. 4). Über den Bestand der Holzschläge sind aus den Pachtverträgen nur wenige Hinweise zu bekommen. Lediglich einige Flurbezeichnungen wie heynenholte24 legen nahe, dass es sich bei den Holzschlägen um Hainbuchenniederwälder handelte, an anderer Stelle kann von der Nutzung eines Erlenbruches25 ausgegangen werden. Die Gesamtheit der Verträge lässt den Schluss zu, dass das Kloster die Holzschläge im nachhaltigen Niederwaldumtrieb bewirtschaftet wissen wollte, wobei sich Phasen der intensiven Nutzung und entsprechende Ruhephasen ablösten. Weit vor der Formu22 23 24 25
Ebenda, 317 und 339. Ebenda, 368 f., 376 f. Ebenda, 187 f., 347 und 368. Ebenda, 312.
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lierung allgemein gültiger Waldgesetze oder Forstordnungen zeigt sich hier in vielen Einzelverträgen das Bestreben, die Nutzung der Wälder langfristig und nachhaltig zu strukturieren, Übernutzung zu vermeiden und Regenerationszeiträume zu schaffen. Damit wird im Köhlereiregister ein durchaus vergleichbarer Ansatz verfolgt, wie ihn Hans Carl von Carlowitz in seiner Schrift „Sylvicultura oeconomica“26 forderte, die bis heute als Grundlage für die Prinzipien des nachhaltigen Waldbaus gilt. IV.
Relikte der Holzkohlewirtschaft des Klosters Ahrensbök
Vollkommen im Unklaren bleibt in den Aufzeichnungen des Köhlereiregisters, inwiefern die Regularien zielführend umgesetzt werden konnten und sich eine nachhaltige Niederwaldnutzung im Einflussbereich des Klosters etablieren konnte. Ein Brücheregister, welches wiederholten Waldfrevel oder Holzdiebstahl verzeichnen würde, existiert nicht. Auch ist in keiner Quelle erwähnt, dass ein Pächter seinen Pflichten nicht nachkam und danach das Recht auf einen Holzschlag verwirkt hatte. Zur Klärung dieser Frage wurden die Waldstücke im ehemaligen Einflussbereich des Klosters begangen, um Relikte der ehemaligen Holzkohleproduktionsstätten zu finden und untersuchen zu können. Während sich im Mittelgebirgsraum viele Meilerstellen als flache Terrassen im Hangbereich abzeichnen27 , handelt es sich bei einer Meilerstelle im Flachland um einen vergleichsweise unauffälligen Befund, der durch geringste landwirtschaftliche Aktivität bereits zerstört werden würde. Aufgrund dieser Anfälligkeit kann bei einer gezielten Suche nach Meilerstellen eine Eingrenzung des Prospektionsgebietes vorgenommen werden. Auf Ackerflächen sowie in mechanisch aufgeforsteten Waldgebieten sind die Möglichkeiten, eine Meilerstelle zu finden und diese zweifelsfrei als solche einzuordnen, ausgesprochen gering, da zu viele Bodenüberprägungen stattgefunden haben. Weitaus günstigere Bedingungen herrschen in Wäldern, deren Bestand nie übermäßig ausgedünnt wurde und in denen die Holzernte nicht voll mechanisiert durchgeführt wird. Hier ist es möglich, ungestörte Meilerstellen zu finden, die sich durch die wallförmig um die Meilerstelle aufgeworfene Meilerabdeckung, den so genannten Löschewall, und eine auffällig flache Kohlplatte vom umgebenden Gelände abheben28 . Da die Köhler zum Ablöschen der Kohle Wasser benötigten, wurden bei der Anlage von Meilerstellen trockene Lagen nahe Bachläufen oder Seeufern bevorzugt, sodass entlang von naturnah verlaufenden Gewässern besonders häufig Meilerstellen zu finden sind. Ein weiteres Indiz für das Vorhandensein von Meilerstellen ist ein wie auch immer gearteter historischer Hinweis auf ehemalige Köhlereitätigkeit. So wird im Köhlereiregister des Klosters Ahrensbök des Öfteren die Bauernfamilie Bokhorst aus Curau erwähnt, deren Hofstelle möglicherweise mit dem noch heute existierenden Bokhof wenige Kilometer nördlich von Curau identisch ist. Des Weiteren deutet der Flurname eines Köhlen genannten Waldstückes südwestlich von Ahrensbök eindeutig auf ehemalige Köhlereitätigkeit hin. Hinweisen dieser Art sollte auf jeden Fall bei einer Geländeprospektion nachgegangen
26 27 28
VON C ARLOWITZ: Sylvicultura (wie Anm. 3). O LIVER N ELLE: Zur holozänen Vegetations- und Waldnutzungsgeschichte des vorderen bayrischen Waldes anhand von Pollen- und Holzkohleanalysen. In: Hoppea 63 (2002), 194–198. PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 33.
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werden, da hier die Erfolgsaussichten ebenfalls sehr gut sind, sofern die topografischen Gegebenheiten eine Überlieferung von Meilerstellen zulassen. Mittels der soeben beschriebenen Vorgehensweise konnten zwei Meilerstellen in den Wäldern um die Ortschaft Ahrensbök gefunden werden. Aus beiden wurden an mehreren Stellen Holzkohlen entnommen, um verwendete Holzarten, Wachstumsmerkmale und mittels C-14-Datierung das Alter der Meilerstellen zu bestimmen. Die erste Meilerstelle befindet sich im Waldstück Köhlen, direkt an der Uferböschung eines schmalen, namenlosen Bachlaufes. Der Durchmesser der Meilerstelle beträgt etwa 5 m. Der Boden innerhalb des nur noch sehr schwach zu erkennenden Löschewalles ist stark mit großstückiger Kohle durchsetzt. 103 Holzkohlen wurden an verschiedenen Stellen der Meilerstelle entnommen und für die Analyse in Wasser gereinigt. Eine C-14-Datierung der Holzkohlestücke ergab, dass die Meilerstelle mit einiger Sicherheit in den Zeitraum des Köhlereiregisters, das beginnende 16. Jahrhundert, datiert werden kann29 . Durch die Holzkohleanalyse (Abb. 5) konnte ein Großteil der gefundenen Kohlen der Hainbuche (64 %) zu geordnet werden. Pappel (15,5 %), Hasel (14,5 %), Birke (4 %) und Buche (2 %) kommen in deutlich geringeren Anteilen vor. Das Artenspektrum muss im Vergleich zu anderen schleswig-holsteinischen Meilerstellen dieser Zeitstellung als außerordentlich gering gelten. Die Durchmesser der verwendeten Holzarten bewegen sich um 5 cm, die Fällung der Hölzer fand vorrangig im Winterhalbjahr statt. An gut einem Drittel der Holzkohlen lassen sich breite Jahrringe in den ersten Wachstumsjahren nachweisen. Viele der größeren Holzkohlen, an denen Mark und Rinde noch erkennbar sind, weisen ein einheitliches Stammalter von 18 bis 20 Jahren auf30 .
Abbildung 5: Holzkohleanalyse der Meilerstelle im Waldstück Köhlen. Quelle: PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 217.
29 30
PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 349. Ebenda, 216.
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Die untersuchten Holzkohlen tragen alle Merkmale, die von der Bewirtschaftung von Niederwäldern in der Region Ostholstein anzunehmen sind. Die Hainbuche war dort, solange die Niederwaldwirtschaft noch praktiziert wurde, eine der häufigsten im Umtrieb bewirtschafteten Arten31 . Auch Hasel ist sehr gut für die Niederwaldwirtschaft geeignet. Da viele der Holzkohlen noch Rinde tragen, ist der Fälldurchmesser der genutzten Hölzer gut zu bestimmen. Die rekonstruierbare mittlere Stammdicke von 5 cm entspricht dem, was in kurzem Umtrieb in Hainbuchenniederwäldern erreicht werden kann. Auch die Jahrringstruktur mit großen Zuwächsen in den ersten Wachstumsjahren und nachfolgender Kulmination ist ein deutlicher Hinweis auf die Umtriebswirtschaft, die in diesem konkreten Fall mit Zyklen von 18 bis 20 Jahren Dauer angenommen werden kann. Dieser Befund deckt sich weitestgehend mit der aus dem Köhlereiregister zu rekonstruierenden Umtriebszeit von elf bis 20 Jahren. Der hohe Anteil an Rindenstücken legt nahe, dass das Holz ungespalten in den Meiler eingestellt wurde; bei gespaltenen Hölzern wäre der Rindenanteil in der Holzkohleprobe deutlich geringer. Eine weitere Meilerstelle wurde im Schwinkenrader Forst gefunden. Auch diese liegt dicht neben einem Wasserlauf, dem Schwinkenrader Mühlenbach. Durch den Mühlenstau bei Schwinkenrade wurde die Meilerstelle stark in Mitleidenschaft gezogen, sodass die ursprüngliche Ausdehnung nur anhand der Holzkohlefunde mit 6 m angenommen werden kann. Die 97 Holzkohlen aus dem Meiler im Schwinkenrader Forst weisen ein deutlich breiteres Artenspektrum auf (Abb. 6 auf der nächsten Seite). Auch hier ist mit 38 % die Hainbuche die am häufigsten vertretene Holzart, gefolgt von Buche (19 %), Weide oder Pappel (14 %), Hasel (10 %), Erle (10 %) und Birke (6 %). Ahorn und Esche kommen nur in einzelnen Stücken vor. Die Holzdurchmesser bewegen sich in den unteren Durchmesserklassen zwischen 3 cm und 5 cm, etwa ein Viertel der Holzkohlen weist breite Jahrringe in den ersten Wachstumsjahren auf. An den Holzkohlestücken mit Rinde ist zu erkennen, dass die Bäume fast ausschließlich im Winter gefällt wurden. Auch wenn das Artenspektrum breiter und die erreichten Holzdurchmesser etwas geringer als die in der Meilerstelle des Waldstückes Köhlen sind, kann auch hier von einer Umtriebswirtschaft ausgegangen werden, wie sie von der Verwaltung des Klosters Ahrensbök gefordert wurde. Umso überraschender ist die C-14-Datierung der Köhlerstelle, die auf das späte 13. Jahrhundert, also in die Zeit vor der Gründung des Klosters verweist32 .
31 32
WALTER C LAUSEN: Zur Geschichte und Vegetation ostholsteinischer Stockausschlagwälder (= Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Geobotanik in Schleswig-Holstein und Hamburg 24), Kiel 1974. PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 351.
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Abbildung 6: Holzkohleanalyse der Meilerstelle im Schwinkenrader Forst. Quelle: PAYSEN: Energiewirtschaft (wie Anm. 6), 217.
V.
Rekonstruktion der Waldwirtschaft des Klosters Ahrensbök
Der historische Quellenbefund im Köhlereiregister des Klosters Ahrensbök zeigt, dass die wesentlichen Prinzipien einer nachhaltigen Niederwaldnutzung im Kloster bekannt waren und man bestrebt war, diese Prinzipien bei der Anlage und Nutzung von Holzschlägen zur Holzkohleproduktion umzusetzen. Wichtige Punkte, die mehrfach vertraglich festgelegt wurden, sind neben einer durch die winterliche Schlagführung erwirkten Maximierung des Holzzuwachses auch die gezielte Schonung frisch geernteter Schläge und ein Bürgenprinzip zur Tradierung von Fähigkeiten und Fachwissen innerhalb der Köhlergemeinschaft. Durch die nahen Absatzmärkte in Lübeck und die großzügigen Zahlungsmodalitäten einerseits und durch die strenge Kontrolle der Qualifikation andererseits wurden für die Köhler Anreize geschaffen, sich entsprechend der Vertragsvorschriften zu verhalten. Die Analyse der Holzkohlen aus der Meilerstelle im Waldstück Köhlen deutet darauf hin, dass in der Zeit um 1500 und früher eine intensive Hainbuchen-Niederwaldwirtschaft im Raum Ahrensbök bestanden hat, die entsprechend der vertraglichen Regelungen durchgeführt wurde. Der geringe Anteil an lichtbedürftigen Holzarten in der Meilerstelle im Waldstück Köhlen lässt darauf schließen, dass das Waldstück nicht durch übermäßigen Hieb aufgelichtet wurde. Außerdem ist durch das Fehlen von dornenbewehrten Holzarten im Analysespektrum ein übermäßiger Verbiss durch Tiere auszuschließen. Die gleichförmige Altersstruktur in den Holzkohlen aus der Meilerstelle im Waldstück Köhlen kann als Hinweis auf eine geregelte Schlagführung mit verbindlichen Schonzeiten gedeutet werden. Damit kann zumindest für das Waldstück Köhlen nachgewiesen werden, dass die vertraglichen Vorgaben des Klosters zielführend umgesetzt wurden. Eine Waldbewirtschaftung im Niederwaldumtrieb kann insofern als besonders nachhaltige Waldnutzungsstrategie angesehen werden, als dass der Wald permanent in einer Phase der vegetativen Verjüngung und nachwuchsstarken Aufbauphase gehalten wird.
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Dadurch können deutlich größere Zuwächse pro Jahr und Hektar erzielt werden, als es in der heute bekannten Hochwaldwirtschaft möglich ist, wenngleich die Stammdurchmesser und der Holzvorrat auf den genutzten Flächen deutlich geringer sind. An für den Niederwald günstigen Standorten kann der durchschnittliche jährliche Zuwachs bis zu verdreifacht werden. Die Erhöhung des Holznachwuchses und die Kalkulierbarkeit der kurzen Umtriebe gestatten eine nachhaltige Nutzung der vorhandenen Waldflächen weit eher, als es die Hochwaldwirtschaft erlaubt, die meist mit Umtrieben von über einhundert Jahren arbeitet. Die Hainbuche eignet sich für diese Form der Waldwirtschaft ganz besonders. Sie erträgt den Schatten bereits höher aufgewachsener Bäume gut und bildet ihrerseits dunkle, dicht bestockte Wälder mit geringem Unterwuchs aus. Hainbuchenstämme wachsen im Niederwald lang, astfrei und gerade, sind damit einfach zu ernten und zu transportieren und bedürfen nur geringer Zurichtung beim Aufbau eines Kohlenmeilers. Im östlichen Hügelland Schleswig-Holsteins ist die Rotbuche (Fagus sylvatica) aufgrund der Bodengegebenheiten die von Natur aus dominierende Holzart33 . Die Hainbuche (Carpinus betulus) ist der Buche bei fehlendem Beschnitt unterlegen, so dass die in den Holzkohleproben nachweisbare Hainbuchendominanz auf eine lange Tradition in der Niederwaldbewirtschaftung zurückgehen muss. Die Hüttenmeister des 16. Jahrhunderts wussten Heinbuchenkohle sehr zu schätzen, da es sich um eine gute, schwere Kohle handelt, die sehr heiß brennt und eine lang anhaltende Glut erzeugt, ohne bei heftiger Luftzufuhr zu viele Funken zu schlagen34 . Interessant ist der Umstand, dass auch die in das 13. Jahrhundert datierende Meilerstelle im Schwinkenrader Forst mit Holz versorgt worden ist, welches aus Niederwaldwirtschaft zu stammen scheint. Auch wenn sich keine eindeutige Umtriebszeit nachweisen lässt, sind doch die wesentlichen Merkmale der Niederwaldwirtschaft – geringe Durchmesser, Winterfällung und Ausschlagholz – gut zu erkennen. Der noch hohe Buchenanteil im rekonstruierten Holzsortiment ließe sich dahingehend interpretieren, dass die von Natur aus dominierenden Buchen noch nicht vollständig durch den fortwährenden Beschnitt verdrängt worden waren. Die frühe Datierung der Meilerstelle ist ein Hinweis darauf, dass das System der Niederwaldbewirtschaftung keinesfalls durch die klösterliche Verwaltung eingeführt wurde, sondern in wesentlichen Zügen schon vorher bestand. Die Verträge im Köhlereiregister zeigen jedoch sehr deutlich, dass auch dem Prior und den vergabeberechtigten Mönchen die Bewirtschaftungsgrundsätze des Niederwaldes vertraut waren und sie auf der Fortführung dieser Grundsätze bestanden.
33 34
L ORENZEN -S CHMIDT: Waldverlust (wie Anm. 1), 43. A RNE PAYSEN: The very beginning of anthrocological investigation. In: Saguntum extra 11 (2011), 181 f.
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Abbildung 7: Die Bodenanomalien der Laserscanaufnahme, übertragen auf die deutsche Grundkarte 1:5 000 (nicht Maßstabsgetreu). Quelle: Eigene Erstellung auf Grundlage der Deutschen Grundkarte 2005, Landesvermessungsamt SchleswigHolstein.
VI.
Weitere Forschungen
Aufgrund der historischen Quellendichte im Köhlereiregister des Klosters Ahrensbök sind weitere Meilerstellen in den umliegenden Waldungen anzunehmen. Die seit dem Jahr 2009 erfolgte Laserscanaufnahme Schleswig-Holsteins bietet neue Möglichkeiten, bislang unentdeckte Meilerstellen aufzuspüren und die Relikte der Holzkohlewirtschaft in der dargestellten Weise weiter zu untersuchen. Die Laserscan-Methode ist zur Prospektion von Meilerstellen in Gebirgsregionen seit einigen Jahren bewährt35 , im Flachland jedoch ist der Erfolg noch unsicher, da sich Meilerstellen nur undeutlich abzeichnen. Auf der Laserscanaufnahme des Waldstückes Köhlen zeichnen sich allerdings noch einige weitere Bodenanomalien ab, die in Form und Größe der untersuchten Meilerstelle gleichen (Abb. 7). Ob es sich dabei jedoch wirklich um Meilerstellen handelt, kann erst nach einer Begehung im Gelände festgestellt werden. Eine weitere Untersuchung des Gebietes ist in 35
T HOMAS L UDEMANN: Airborne laser scanning of historical wood charcoal production sites – A new tool of kiln site anthracology at the landscape level. In: Saguntum Extra 13 (2012), 247–252.
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Vorbereitung. Es steht zu hoffen, dass durch die Untersuchung weiterer spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Meilerstellen die bisherigen Untersuchungsergebnisse ergänzt werden können.
Kohlplätze – Landschaftsarchive der historischen Energieholznutzung (Waldköhlerei), einzigartige Informationsquelle zur regionalen Vegetations- und Wirtschaftsgeschichte von Thomas Ludemann I.
Einleitung
Als Energieträger, Baumaterial und Werkstoff kam dem Rohstoff Holz bis weit in die Neuzeit hinein eine einzigartige Schlüsselstellung im Leben und in der Wirtschaft des Menschen zu. Für die Gewinnung von Metallen, für bergbauliche Aktivitäten und metallurgische Prozesse war eine gesicherte Holzversorgung mindestens ebenso wichtig wie das Vorhandensein abbauwürdiger Erze. Alleine die zur Verhüttung benötigte Holzmenge war um ein Vielfaches schwerer als das damit verhüttbare Erz. Bei fast allen Schritten auf dem Weg vom Rohstoff Erz zum Endprodukt Metall war Holz notwendig. Auch im alltäglichen Leben hatte Holz aufgrund seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten in früheren Zeiten eine große Bedeutung, nicht nur für die Bergleute, sondern für alle Bürger. Von größter Bedeutung war die energetische Nutzung, denn bevor fossile Brennstoffe genutzt werden konnten, wurde der Energiebedarf der Bevölkerung weitgehend durch Holz gedeckt. Dabei war Holzkohle neben dem unverkohlten Holz der wichtigste Energieträger. Aufgrund des größeren Energiegehalts und der leichteren Transportierbarkeit von Holzkohle gegenüber unverkohltem Holz spielte die Holzkohle-Herstellung (Köhlerei) eine zentrale Rolle. Die kulturelle Entwicklung der Menschheit seit der Steinzeit und bis weit ins Industriezeitalter hinein ist ohne die ausreichende Verfügbarkeit von Holzkohle undenkbar. Holzkohle war über Jahrtausende unverzichtbar für die Metallurgie, um die erforderlichen Ausschmelz- und Reaktionstemperaturen zur Gewinnung der Metalle zu erzielen. Dieser nichtfossile Energieträger kann somit auch als das „Schwarze Gold“ der vor- und frühindustriellen Zeit bezeichnet werden. War die Steinzeit auch Holzzeit, so können die Metallzeiten bis zur vorherrschenden Nutzung fossiler Energieträger auch als Holzkohlezeit (auf)gefasst werden. Die Herstellung von Holzkohle (Meilerköhlerei, Waldköhlerei; siehe Abbildung 1 auf der nächsten Seite) war früher dementsprechend weit verbreitet, insbesondere auch im europäischen Mittelgebirgsraum. Der Wald konnte auf diese Weise von innen heraus genutzt werden, ohne dass eine nennenswerte Erschließung notwendig war. Daher wurde die Köhlerei vor allem auch in entlegenen, unerschlossenen Waldgebieten betrieben, in denen das Holz nicht abtransportiert und in keiner anderen Weise genutzt werden konnte. Solche Gebiete nahmen im Schwarzwald bis in die Neuzeit hinein ausgedehnte Flächen ein. Alleine im Südschwarzwald wurden Tausende von Kohlplatten (Kohlplätze, Meilerplätze, Meilerpodien) angelegt. Es handelt sich um die bei weitem häufigsten „Geländearchive“ historischer Waldnutzungen, die mit den übriggebliebenen Holzkohlestücken gut analysierbare Rückstände mit wertvollem Informationsgehalt bergen.
Jahrbuch für Regionalgeschichte 32 (2014), S. 87–108
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Zum größten Bedarf an Holzkohle kam es in der frühindustriellen Zeit, in der die Köhlerei im oberrheinischen Mittelgebirgsraum ihre Blütezeit erlebte. Der Niedergang der traditionellen Holzkohle-Herstellung vollzog sich in Mitteleuropa bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts, mit der zunehmenden Verwendung von fossilen Energieträgern und dem Ausbau der notwendigen Transportwege und -kapazitäten (Eisenbahnbau) als „Gegenbewegung“. Weltweit betrachtet ist die Holzkohlewirtschaft vielerorts weiterhin von erheblicher Bedeutung für die Primärenergieversorgung der Bevölkerung, zum Teil auch für die industrielle Produktion.
Abbildung 1: Holzkohle-Herstellung in stehenden Rundmeilern. A: Historische Darstellung des Gesamtprozesses vom Holzeinschlag über das Errichten des Meilers bis zum brennenden Meiler. H. G ROSS (um 1550): La Rouge Myne de Sainct Nicolas de la Croix (Vogesen). In: H EINRICH W INKELMANN (Hg.): Bergbuch des Lebertals. Federzeichnungen vom Lothringer Bergbau, Lünen 1962, ohne Seitenangabe. B: Meiler kurz vor dem Abdecken. Historische Metz-Aufnahme 1905 (Verlag Metz, Tübingen). C: Meiler kurz nach dem Start des Verkohlungsprozesses. Experimentalmeiler Nr. 4, Südwest-Schwarzwald bei Freiburg. Juni 2008.
Kohlplätze
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Bei unseren forstgeschichtlich-vegetationsökologischen Untersuchungen historischer Kohlplätze in Südwestdeutschland und angrenzenden Gebieten, die in diesem Artikel vorgestellt werden, geht es um die Klärung der folgenden Fragenkomplexe: (1) Wo liegen im Gelände Rückstände der historischen Waldköhlerei vor, in welcher Dichte und in welcher Verteilung sind sie vorhanden? (2) Welches Holz (Taxa, Stärken u. a.) wurde als Kohlholz verwendet? Gibt es Hinweise auf Holzselektion oder Holzmangel? (3) Wie sahen die genutzten Wälder aus und wie wurden sie verändert (Gehölzartenzusammensetzung, Struktur, Zustand)? Gibt es Hinweise auf anthropogene Umweltveränderungen und Walddegradation? (4) Spiegelt sich das natürliche Holzangebot in den Nutzungsspektren des Kohlholzes wider? Welche Baumarten waren von Natur aus an den verschiedenen Standorten vorhanden? (5) Lassen sich Aussagen zur Nachhaltigkeit der Kohlholznutzungen ableiten? Welche Empfehlungen können im Hinblick auf zukünftige, verstärkt energetisch ausgerichtete Waldnutzungen gegeben werden? Begonnen wurden die holzkohleanalytisch-waldgeschichtlichen Arbeiten der Freiburger Geobotanik in enger Zusammenarbeit mit der Montanarchäologie und der Archäometallurgie, die die Geschichte des Bergbaus sowie der Metallgewinnung und -nutzung untersuchten1 . Im Rahmen dieser Forschungen standen zunächst Fragen zu anthropogenen Eingriffen und Veränderungen in den Wäldern sowie die Suche nach Hinweisen auf Holzselektion und Walddegradation im Vordergrund. 1
H EIKO S TEUER: Zur Frühgeschichte des Erzbergbaus und der Verhüttung im südlichen Schwarzwald. Literaturübersicht und Begründung eines Forschungsprogramms. In: D ERS. (Hg.): Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 1, Sigmaringen 1990, 387–415; D ERS.: Frühe Erzgewinnung und Verhüttung in Europa. Programm und Perspektiven des Kolloquiums. In: D ERS ., U LRICH Z IMMERMANN (Hg): Montanarchäologie in Europa. Berichte zum Internationalen Kolloquium „Frühe Erzgewinnung und Verhüttung in Europa“ in Freiburg im Breisgau vom 4. bis 7. Oktober 1990 (= Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 4), Sigmaringen 1993, 11–27; D ERS.: Alter Bergbau im Sulzbachtal – das Forschungsprogramm. In: Archäologische Nachrichten aus Baden 61/62 (1999), 5–13; D ERS.: Montanarchäologie im Südschwarzwald. Ergebnisse aus 15 Jahren interdisziplinärer Forschung. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 31 (2003), 175–219; D ERS ., U LRICH Z IMMERMANN: Erze, Schlacken und Metalle. Früher Bergbau im Südschwarzwald. In: Freiburger Universitätsblätter 109 (1990), 21–180; D IES. (Hg.): Alter Bergbau in Deutschland (= Sonderheft der Zeitschrift Archäologie in Deutschland), Stuttgart 1993; T HOMAS L UDEMANN : Die Holzkohle der montanarchäologischen Grabungen im Revier Sulzburg, Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg (1994), 341–349; D ERS.: Die Wälder im Sulzbachtal (Südwest-Schwarzwald) und ihre Nutzung durch Bergbau und Köhlerei. In: Mitteilungen des Vereins für Forstliche Standortskunde und Forstpflanzenzüchtung 38 (1996), 87–118; D ERS.: Zur Brennstoffversorgung im Bergbaurevier Sulzburg. In: Archäologische Nachrichten aus Baden 61/62 (1999), 131–138; D ERS .: Holzkohle – Energiequelle für den Bergbau, Informationsquelle für die Wissenschaft. In: Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 41 (1999), 123–129; D ERS.: Zur Brennstoffversorgung einer römischen Siedlung im Schwarzwald. In: S EBASTIAN B RATHER (Hg.): Archäologie als Sozialgeschichte: Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im frühgeschichtlichen Mitteleuropa. Festschrift für Heiko Steuer (= Internationale Archäologie. Studia honoraria 9), Rahden/Westf. 1999, 165–172; D ERS ., O LIVER N ELLE: Die Wälder am Schauinsland und ihre Nutzung durch Bergbau und Köhlerei (=Schriftenreihe Freiburger Forstliche Forschung 15), Freiburg i. Br. 2002; L ANDESDENKMALAMT BADEN -W ÜRTTEMBERG (Hg.): Früher Bergbau im südlichen Schwarzwald. Begleitheft zur Ausstellung des Museums für Ur- und Frühgeschichte der Stadt Freiburg i. Br. (= Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 41), Stuttgart 1999.
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Die konkreten Holznutzungen und Herstellungsprozesse fanden auf der regionalen und lokalen Raumebene statt. Von Gebiet zu Gebiet bestehen dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten (räumliche Lage und Verteilung, Dichte und Intensität der Aktivitäten, genutzte Baumarten und Holzstärken, natürliches Potenzial etc.) erhebliche Unterschiede, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Daher sind hochauflösende, regionale bis lokale Studien unerlässlich. Kombinierte vegetationskundlich-anthrakologische Untersuchungen an Kohlplätzen mit entsprechender räumlicher Auflösung sind dazu geeignet, die örtlichen Gegebenheiten und Vorgänge der Vergangenheit, das frühere Wirken des Menschen und den anthropogenen Einfluss zu erschließen, tragen zugleich aber auch zum Verständnis des gegenwärtigen Zustandes von Vegetation und Landschaft bei. II.
Material und Methodik
II.1.
Untersuchungsgebiet
Der Bezugsraum der vorgestellten Studien ist das Oberrheingebiet mit den angrenzenden Mittelgebirgsräumen von Schwarzwald, Vogesen und Jura-Massiv (Schwäbische Alb, Schweizer Jura). Besonders geeignet ist dieses Gebiet einerseits aufgrund seiner vielfältigen naturräumlich-standörtlichen wie auch siedlungs- und nutzungsgeschichtlichen Differenzierung, andererseits aufgrund seiner besonders günstigen anthrakologischen Datenlage. Das Hauptaugenmerk wird dabei aus geobotanischer und vegetationsökologischer Sicht auf die Betrachtung der Landschaftsebene gerichtet, bei gleichzeitig hoher räumlicher Auflösung. Entsprechende Auswertungsbeispiele für Landschaftsausschnitte verschiedener Größe, überregional bis lokal, sind im Ergebnisteil (Kap. III.3) exemplarisch zusammengestellt. II.2.
Untersuchungsobjekte, Fundplätze
In den von uns untersuchten Gebieten ist es die sehr seltene Ausnahme, dass die Lage von historischen Kohlplätzen in Schriftquellen oder Karten dokumentiert ist. Daher sind vor allem drei Arten von Überlieferungen der historischen Köhlerei von Bedeutung, die zum Auffinden derartiger Objekte im Gelände genutzt werden können: (1) Flurund Ortsnamen, (2) charakteristische Veränderungen der Geländeoberfläche sowie (3) Holzkohle-Anreicherungen im Boden (Abb. 2–5).
Abbildung 2: Namensüberlieferung der Köhlerei in Vogesen, Schwäbischer Alb, Schwarzwald und Schweizer Jura.
Kohlplätze
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Abbildung 3: „Geländeüberlieferung“ der Köhlerei. A: (1) Flurnamen. (2) Veränderung der Geländeoberfläche. (3) Holzkohle-Anreicherung. A–C: Veränderungen der Bodenoberfläche an Kohlplätzen in Hanglage, D–F: in flachem Gelände. A/D: schematisch. B/E: Laserscan-Visualisierung (LiDAR-Hillshades; © FVA/LGL 2011) von Doppelplatte K590/591 und Einzelplatte K538. C/F Geländebefund derselben Kohlplatten im Feldberggebiet, Südschwarzwald. Quelle: Digitales Geländemodell DGM1. Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA; www.fva-bw.de) und Landesamt für Geoinformationen und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL; www.lgl-bw.de) Az. 2851.9–1/3. Für die Bereitstellung und Erlaubnis zur Nutzung der LaserscanDaten danke ich der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt und dem Landesamt für Geoinformationen und Landentwicklung des Landes Baden-Württemberg.
So weisen unzählige überlieferte Flur- und Ortsnamen auf die Tätigkeit der Köhler hin. Im Extremfall heißt nicht nur ein Ort selbst nach den Köhlern (Les Charbonniers in den Südvogesen), sondern es wurden dort auch in und um den Ort die verschiedensten Objekte, Berge, Gewässer, Gebäude, Verkehrswege (Straßen, Pässe) etc. nach den Köhlern benannt. Entsprechende Flurnamen, wie im deutschen Sprachraum Kohlwald, Kohlholz, Kohlbach oder Kohlplatz, in der Schweiz zum Teil mit „Ch“ geschrieben (Abb. 2 auf der vorherigen Seite), waren wiederholt hilfreich beim Auffinden der zu untersuchenden Fundplätze, insbesondere dann, wenn keine konkreteren Hinweise und keine zufälligen Entdeckungen vorlagen. Allerdings sind derartige Flurnamen bei den allermeisten der uns inzwischen bekannten Kohlplätze nicht vorhanden; die charakteristischen Rückstände der historischen Waldköhlerei sind noch an vielen weiteren Orten im Gelände nachweisbar, ohne dass entsprechende Flurnamen darauf hindeuten. Anhand der beiden anderen genannten Merkmale, der charakteristischen Veränderungen der Bodenoberfläche (Abb. 3 auf dieser und 4 auf der nächsten Seite) und der Anreicherung von Holzkohle (Abb. 5 auf Seite 93), sind die ehemaligen Meilerplätze im Gelände sicher aufzuspüren, gut zu erkennen und exakt zu lokalisieren. Es sind typischerweise ein oder mehrere kreisrunde bis ovale Hangterrassen oder ringwall- bis kraterartige Geländestrukturen mit einem Durchmesser von 8 bis 12 m (Abb. 3). Dies sind die eigentlichen
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Abbildung 4: Doppelplatte (K1067/1068, links) und Einzelplatte (K1066, rechts) im Wilden Feld der Gemeinde Menzenschwand, Südschwarzwald.
Kohlplätze, Kohlplatten oder Meilerplätze, die zur Errichtung der Holzkohlemeiler angelegt wurden. In Hanglage weisen sie charakteristischerweise eine berg- und eine talseitige Böschung auf, durch bergseitiges Abgraben und talseitiges Auffüllen von Bodenmaterial entstanden (Abb. 3 A–C). In ebenem Gelände sind sie eher ringförmig abgegrenzt durch eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte ringwallartige Aufwölbung (Abb. 3 D–F). Dieser sogenannte Stübbewall besteht aus dem vom Meiler abgezogenen Abdeckmaterial, dem Stübbematerial aus Asche, Holzkohle-Bruchstücken und Erde. II.3.
Luftbildgestützte territoriale Dokumentation
Bis vor wenigen Jahren wurden die historischen Fundplätze zum größten Teil im Rahmen gezielter Geländebegehungen dokumentiert; zunächst wurden sie vielfach auch nur durch Zufall bei vegetationskundlichen Geländearbeiten gefunden. In jüngerer Zeit erleichtert die Auswertung von LiDAR-Daten (hochauflösende, flugzeuggestützte Laserscan-Daten) das Auffinden entsprechender Plätze ganz erheblich. Eine exemplarische Auswertung und Überprüfung von Laserscan-Bildern (LiDAR hillshades; aktuelle Quelle DGM12 ) hat nämlich ergeben, dass viele Kohlplätze auf derartigen Bildern der Geländeoberfläche tatsächlich erkennbar sind3 . Die verfügbaren Daten liefern die gewünschte exakte Lageinformation der Plätze auch unter Schirm, d. h. für geschlossene Waldbestände mit 2
3
Digitales Geländemodell DGM1. Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA; www.fva-bw.de) und Landesamt für Geoinformationen und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL; www.lgl-bw.de) Az. 2851.9–1/3. T HOMAS L UDEMANN: Scanning the historical and scientific significance of charcoal production – local scale, high resolution kiln site anthracology at the landscape level. In: Saguntum Extra 11 (2011), 23 f.; D ERS.: Airborne laser scanning of historical wood charcoal production sites – a new tool of kiln site
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Abbildung 5: A: Freigelegte Holzkohleschicht von K713, Schauinslandgebiet. B: Probenahme an K248, Feldberggebiet, Südschwarzwald.
dichtem Kronenschluss, denn vielfach handelt es sich bei unseren Untersuchungsgebieten um aktuell dicht bewaldete Gebiete. Auf diese Weise lassen sich genaue Angaben zur Lage, Dichte und Verteilung der Fundplätze gewinnen, so dass deren systematische Kartierung und Dokumentation nun genauer und effektiver erfolgen kann – allerdings nicht ohne ergänzende Überprüfung bei gezielten Geländebegehungen (vgl. Kap. III.1). Die Kenntnis der exakten Geländelage der Untersuchungsobjekte ist wiederum eine notwendige Voraussetzung für das Auffinden und die Probenahme und damit auch für die im folgenden Kapitel beschriebene naturwissenschaftlich-großrestanalytische Bearbeitung der verkohlten Rückstände/Holzkohleproben. II.4.
Anthrakologische Analyse und Auswertung (Kohlplatz-)Anthrakologie
Neben den Pollenprofilen und der Palynologie („Mikrorestanalyse“) sind es vor allem verkohlte Großreste und deren Analysen (Makrorestanalyse/Großrestanalyse), die ein bedeutendes vegetationsgeschichtliches Forschungspotenzial bergen. Bei der Großrestanalyse spielt wiederum die Anthrakologie4 eine wichtige Rolle; es ist das spezielle Forschungsfeld, das sich die Analyse und Auswertung von verkohltem historischem Holz zum Ziel gesetzt hat. Im Gegensatz zu unverkohltem Holz bleibt nämlich Holzkohle auch unter den bei uns weit verbreiteten terrestrischen Bodenbedingungen über lange Zeiträume erhalten. Die spezifischen zellulären Strukturen und Merkmale des Holzes werden durch den Verkohlungsprozess konserviert, so dass auch ihr dendrologisch-holzanatomischer Informationsgehalt erhalten bleibt. Unverkohltes Holz wird dagegen – am oder im Boden liegend – unter den bei uns vorherrschenden Bodenbedingungen in der Regel innerhalb weniger Jahre durch natürliche Prozesse abgebaut und zersetzt. Eine günstige, konservierende Feuchterhaltung organischer Rückstände, die auch eine wichtige Voraussetzung
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anthracology at the landscape level. In: Saguntum Extra 13 (2012), 247–252; siehe auch Abb. 6 auf der nächsten Seite. Holzkohlekunde; Holzkohleanalyse. Von griech. Anthrakos: Kohle.
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Abbildung 6: Mit hochauflösenden Laserscan-Daten (LiDAR) lassen sich Tausende von Kohlplatten im Südschwarzwald visualisieren. Hillshade-Ausschnitt (ca. 2 km2 ) aus dem Blauen-BelchenGebiet, Südschwarzwald, mit extrem hoher Kohlplatzdichte (©FVA/LGL 2011). Quelle: Digitales Geländemodell DGM1. FVA/LGL Az. 2851.9–1/3.
für die Gewinnung von aussagekräftigen Pollenprofilen ist, ist nur an entsprechend seltenen und kleinflächigen Sonderstandorten gegeben, vor allem bei nassen, sauren und nährstoffarmen Bedingungen in Mooren und Seen. Mit den zellulären holzanatomischen Strukturen, die in der Holzkohle auch im wechselfeuchten, sauerstoffreichen Milieu konserviert sind, bleiben zugleich zahlreiche Merkmale und Detailinformationen des Holzes langfristig erhalten. So kann an Holzkohle auch nach Jahrtausenden noch festgestellt werden, von welcher Baumart und von wie starkem Holz sie stammt und wie groß der jährliche Holzzuwachs (Jahrringbreite) damals war. An den entsprechenden Fundplätzen sind auf diese Weise Aktivitäten des Menschen und damit frühere anthropogene Einflüsse auf die Wälder detailliert dokumentiert. Zugleich sind in der Holzkohle Eigenschaften der historischen Waldbestände festgehalten. Die Analyse der verkohlten Rückstände kann somit wertvolle qualitative und quantitative Informationen zu den historischen Waldnutzungen und Waldbeständen liefern. Wie die Pollenanalyse ist die Anthrakologie ein wichtiger Arbeitsbereich der historischen Geobotanik und der vegetationsgeschichtlichen Forschung; jedoch werden ihre Forschungspotenziale in Mitteleuropa erst wenig genutzt. Sie wurde bisher vor allem dort umfassend und systematisch angewendet, wo ungünstige Voraussetzungen für die Moorbildung, für die Pollenerhaltung und damit auch für pollenanalytische Untersuchungen bestehen, von Montpellier in Südfrankreich5 ausgehend vor allem in Südeuropa und im Mittelmeergebiet. Die behandelten Epochen liegen dabei vielfach mehr oder weniger 5
Studien von Jean-Louis Vernet. Siehe dazu auch die folgende Anmerkung.
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weit vor der Zeitenwende. Eine gute Übersicht über die entsprechenden Forschungsaktivitäten geben die Tagungsbände der fünf internationalen Anthrakologie-Tagungen, die bisher stattgefunden haben – in Montpellier 19906 , Paris 20007 , Lecce, Süditalien 20048 , Brüssel 20089 und Valencia 201110 . Inzwischen hat sich die Holzkohleanalyse auch in Deutschland zu einem wichtigen Standbein vegetationsgeschichtlicher Forschungen entwickelt. Werden überdies Aussagen auf Landschaftsebene und zugleich mit feiner räumlicher Auflösung angestrebt, so bietet die anthrakologische Analyse von Kohlplätzen einzigartige Möglichkeiten: Bei den Kohlplatten handelt es sich nämlich um die bei weitem häufigsten Rückstände historischer Waldnutzung in der Landschaft und zugleich um diejenigen, die den engsten Raum-, Landschafts- und Standortsbezug haben. Letzterer ist besonders gut ausgeprägt, da es sich bei derartigen Plätzen um Herstellungsorte und Produktionsstätten der Holzkohle handelt und nicht um Verbrauchsorte, wie es bei vielen anderen Untersuchungsobjekten historischer Holzkohle der Fall ist. Die Köhlerei wurde vor allem dort betrieben – und von uns untersucht –, wo das Holz nicht in anderer Weise gewinnbringend genutzt werden konnte, in unerschlossenen, siedlungsfernen Wäldern, aus denen der Abtransport des unverkohlten Holzes nicht möglich oder zu aufwändig war (Waldköhlerei). Das Gewicht des Energieträgers wurde nämlich durch den Verkohlungsprozess erheblich reduziert und ein energiereiches Produkt in gut transportabler (zerkleinerter) Form hergestellt. Im Hinblick auf waldgeschichtliche und waldökologische Fragestellungen kann folglich bei der Analyse von Kohlstätten ein besonders enger, lokaler Raumbezug erwartet werden, so dass sich weitergehende Interpretationsmöglichkeiten eröffnen. Aufgrund ihres engen Raumbezuges sind bei entsprechenden regionalen und lokalen Fragestellungen somit gerade anthrakologische Großrestanalysen von Kohlplätzen erfolgversprechend. Durch derartige Studien werden nämlich die Rückstände historischer Gehölzbestände, die wesentliche Informationen zum anthropogenen Einfluss und zur früheren Vegetation enthalten, direkt und mit hoher räumlicher Auflösung analysiert. Die Analyse liefert detaillierten Aufschluss über die lokalen historischen Vorgänge und Gegebenheiten, insbesondere über die konkreten lokalen Aktivitäten des Menschen zur Sicherstellung der Energieversorgung und über den Zustand der historischen Wälder. Demgegenüber werden bei der Pollenanalyse, der häufig bevorzugten vegetationsgeschichtlichen Methode, die im Verlauf der Zeit in spezielle Sedimentprofile eingetragenen und dort erhalten gebliebenen Pollenkörner 6
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J EAN -L OUIS V ERNET (Hg.): Les charbons de bois les anciens écosystèmes et le rôle de l’homme: colloque organisé à Montpellier du 10 au 13 septembre 1991 (= Bulletin de la Société Botanique de France: Actualités botaniques 139 [2/3/4]), Paris 1992. S TÉPHANIE T HIÉBAULT (Hg.): Charcoal analysis. Methodological approaches, palaeoecological results and wood uses (= British Archaeological Reports. International Series 1063), Oxford 2002. G IROLAMO F IORENTINO , D ONATELLA M AGRI (Hg.): Charcoals from the past: Cultural and palaeoenvironmental implications. Proceedings of the Third International Meeting Anthracology, Cavallino, Lecce (Italy), June 28th–July 1st 2004 (= British Archaeological Reports. International Series 1807), Oxford 2008. A NDREW C. S COTT, F REDDY DAMBLON (Hg.): Charcoal and its use in palaeoenvironmental analysis – Selected papers from: 4th International Meeting of Anthracology, Brussels, 8–13 September 2008. In: Palaeogeography Palaeoclimatology Palaeoecology 291 (1/2) (2010), 1–166. E RNESTINA BADAL , YOLANDA C ARRION ET AL . (Hg.): 5th international meeting of charcoal analysis. The charcoal as cultural and biological heritage (= Saguntum Extra 11 [2011]); D IES . ET AL . (Hg.): Wood and charcoal. Evidence for human and natural history (= Saguntum Extra 13 [2012]).
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untersucht. Damit lassen sich die historischen Vegetationsverhältnisse und die Einwirkung des Menschen nur indirekt und mit unsicherem räumlichem Bezug erschließen. Taxonomisch-holzanatomische Bestimmung Da die zellulären holzanatomischen Strukturen in der Holzkohle weitestgehend erhalten sind, können zur Bestimmung der Holztaxa, von denen die Holzkohle stammt, die gebräuchlichen holzanatomischen Bestimmungsschlüssel für unverkohltes Holz verwendet werden11 . Ergänzend werden Sammlungen von verkohltem Referenzmaterial bekannter Gehölzarten genutzt. Die Analyse erfolgt lichtmikroskopisch unter Auflicht an Quer-, Radial- und Tangential-Bruchflächen der Holzkohlestücke. Für die Erfassung der genutzten Holzstärken wurde eine neue einheitliche Analysemethode entwickelt12 . Dabei wird der Durchmesser des genutzten Holzes durch Einpassen der Holzkohlestücke in eine Kreisschablone mit Radialeinteilung ermittelt – mit Hilfe der Jahrringkrümmung und des Winkels der Markstrahlen zueinander. Unterschieden werden fünf Durchmesserklassen. Die ermittelten Verteilungen der Holzkohlestücke auf Durchmesserklassen liefern wertvolle taxaspezifische Zusatzinformationen über die historischen Waldnutzungen. Auch diffizilere Gegebenheiten kommen darin zum Ausdruck, so z. B. welches Gehölzmaterial bei der Holzkohleherstellung zum Abdecken der Meiler verwendet wurde. Der Mengenanteil der verkohlten Holztaxa wird für jede Probe sowohl nach Stückzahl als auch nach Gewicht ermittelt. Anthrakologische Ergebnisse liegen von über 800 historischen Kohlplätzen aus dem Untersuchungsraum vor. Ausgewählte Fundplatz-Kollektive wurden exemplarisch mit überregionalem bis lokalem Raumbezug ausgewertet (vgl. Kap. III.3). Rezent-Holzkohleanalyse und Experimentalmeiler-Untersuchungen Zur Überprüfung und Absicherung der verwendeten Analysemethodik werden rezentholzkohleanalytische und experimentell-anthrakologische Untersuchungen durchgeführt. Dabei werden allgemein Prozesse untersucht, die heute noch nach den historischen Verfahren ablaufen – teilweise experimentell nachgestellt. In unserem Fall ist es die traditionelle Holzkohle-Herstellung in stehenden Rundmeilern. Das verwendete Holz wird vor dem Verkohlungsprozess genau vermessen, und die ermittelten Ergebnisse werden den holzkohleanalytischen Ergebnissen vergleichend gegenübergestellt. Im Hinblick auf die Absicherung von quantitativen Aussagen zu Art und Stärke des in der Vergangenheit verwendeten Holzes soll auf diese Weise geklärt werden, wie gut sich die Mengenverhält-
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Siehe dazu z. B.: D IETGER G ROSSER: Die Hölzer Mitteleuropas. Ein mikrophotographischer Lehratlas, Berlin 1977; F RITZ H ANS S CHWEINGRUBER: Mikroskopische Holzanatomie. Formenspektren mitteleuropäischer Stamm- und Zweighölzer zur Bestimmung von rezentem und subfossilem Material, 2. Aufl., Teufen 1982; D ERS.: Anatomie europäischer Hölzer: ein Atlas zur Bestimmung europäischer Baum-, Strauch- und Zwergstrauchhölzer, Bern, Stuttgart 1990; RUDI WAGENFÜHR: Anatomie des Holzes – unter besonderer Berücksichtigung der Holztechnik, 2. Aufl., Leipzig 1980. L UDEMANN: Die Wälder im Sulzbachtal (wie Anm. 1), 87–118; D ERS.: Zur Brennstoffversorgung einer römischen Siedlung im Schwarzwald (wie Anm. 1), 165–172; D ERS., N ELLE: Die Wälder am Schauinsland (wie Anm. 1); siehe auch Abbildung 7 auf der nächsten Seite in diesem Beitrag.
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Abbildung 7: Anthrakologische Holzstärken-Bestimmung. A: Messschablone mit den fünf Durchmesserklassen (1–5) und vier eingepassten Holzkohle-Bruchstücken der Klassen 2–5. B: Beispiel für ein Ergebnisdiagramm der taxaspezifischen prozentualen Verteilung auf die fünf Durchmesserklassen. Quelle: L UDEMANN: Brennstoffversorgung im Bergbaurevier Sulzburg (wie Anm. 1), 131–138; D ERS., N ELLE: Die Wälder am Schauinsland (wie Anm. 1).
nisse der im Meiler verwendeten Holztaxa und Holzstärken mit den anthrakologischen Analysen abbilden lassen. Möglichkeiten zu rezent-holzkohleanalytischen Studien boten sich insbesondere beim letzten traditionell arbeitenden Köhler im Münstertal, Südschwarzwald13 sowie im AtlasGebirge/Marokko in Gebieten, in denen die Köhlerei heute noch berufsmäßig betrieben wird. Experimentalmeiler wurden in den Jahren 2002, 2003, 2006, 2008 und 2012 vom Forstamt der Stadt Freiburg betrieben (Abb. 1C) und von uns wissenschaftlich begleitet14 . II.5.
Vegetations- und standortskundliche Erhebungen
Zur Klärung der weitergehenden Fragen nach dem Bezug der Holznutzung zur Vegetation und zu den Wuchsbedingungen der genutzten Wälder werden in der Umgebung der historischen Fundstätten standorts- und vegetationskundliche Daten erhoben (Höhe, Exposition, Hangneigung, aktuelle Baumschicht und Waldgesellschaften). Die aktuelle Vegetation wird mit den pflanzensoziologischen Standardmethoden erfasst15 . Standortsökologische Parameter werden mit einfachen Methoden im Gelände gemessen oder aus der Literatur und kartographischen Darstellungen ermittelt. 13 14 15
T HOMAS L UDEMANN: Anthracological analysis of recent charcoal-burning in the Black Forest, SW Germany. In: British Archaeological Reports. International Series 1483 (2006), 61–70. D ERS.: Experimental charcoal-burning with special regard to anthracological wood diameter analysis. In: British Archaeological Reports. International Series 1807 (2008), 147–157. Klassifizierung und Kartierung von Pflanzengesellschaften nach: E RICH O BERDORFER (Hg.): Süddeutsche Pflanzengesellschaften, Teil IV: Wälder und Gebüsche, 2. Aufl., Jena 1992; H ARTMUT D IERSCHKE: Pflanzensoziologie. Grundlagen und Methoden, Stuttgart 1994; OTTI W ILMANNS: Ökologische Pflanzensoziologie. Eine Einführung in die Vegetation Mitteleuropas, 6. Aufl., Wiesbaden 1998.
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Darüber hinaus wurden in größeren Teilgebieten flächendeckende, großmaßstäbliche Vegetationskartierungen durchgeführt. Sie sollen die Verknüpfung der historischen Daten mit der aktuellen Waldvegetation auf Landschaftsebene und zugleich mit hoher räumlicher Auflösung ermöglichen. Innerhalb des Hauptuntersuchungsgebietes wurde dazu eine Fläche von gut 100 km2 flächendeckend im Maßstab 1:5 000 kartiert16 . Mit der Verknüpfung der verschiedenen Datensätze – standortskundlich, holzkohleanalytisch, vegetationskundlich – wird die Brücke geschlagen von der lokalen Standortsökologie, den natürlichen Wuchsbedingungen und dem (potenziellen) natürlichen Holzangebot über die historische (vollständige oder selektive) Holznutzung und deren Auswirkungen bis hin zum heutigen Waldbild und weiter, mit Empfehlungen für den naturnahen Waldbau und zukünftige Nutzungen, zur modernen Forstwirtschaft. Die holzkohleanalytischen Untersuchungen sollen dabei vor allem Rückschlüsse auf frühere anthropogene Eingriffe ermöglichen, wie auch auf die Baumartenzusammensetzung der historischen Waldbestände. III. Ergebnisse und Diskussion III.1.
Dichte und Verbreitung der Kohlplätze
Lange Zeit lagen die höchsten im Südschwarzwald ermittelten Meilerplatzdichten bei 40 Kohlplatten/km2 , d. h. man trifft dort im Gelände im Durchschnitt alle 170 m auf einen Kohlplatz. Bei der exemplarischen Prüfung der Laserscan-Daten konnte dieser Wert auf über 150 Meilerplätze pro km2 erhöht werden17 . Bei optimaler gleichmäßiger Verteilung auf der Fläche entspricht dies einem mittleren Abstandswert zwischen den einzelnen Plätzen von unter 90 m; d. h. man trifft dort durchschnittlich alle 90 m im Gelände auf einen Kohlplatz (vgl. auch Abb. 6 auf Seite 94). Ohne die Nutzung der Laserscan-Daten waren der Freiburger Arbeitsgruppe nach jahrelangen umfangreichen Geländeerhebungen im weiteren Mittelgebirgsraum um Ober- und Hochrhein (Schwarzwald, Vogesen, Jura-Massiv) immerhin etwa 2 700 Fundplätze der historischen Holzkohle-Herstellung bekannt. Mit Hilfe der neuen Fernerkundungsmethode (LiDAR) konnte die Anzahl bekannter bzw. vermuteter historischer Kohlplätze innerhalb von kurzer Zeit auf ein Vielfaches erhöht werden, alleine im Südschwarzwald von etwa 2 000 Fundplätzen, die nach vielen Jahren Feldforschung dokumentiert waren, auf über 9 000 Plätze auf der Grundlage des hochauflösenden Geländemodells18 . Bei konservativer Schätzung und nach exemplarischer Überprüfung im Gelände gehen wir nun davon aus, dass es im Südschwarzwald im Ganzen weit über 10 000 historische Meilerplätze gibt. Sie finden sich dort weit gestreut in verschiedensten Geländelagen, in allen Höhenlagen und sowohl in den höchsten und abgelegensten Gebieten als auch siedlungsnah. Damit 16
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T HOMAS L UDEMANN , W OLFGANG RÖSKE , M ATTHIAS K RUG: Atlas zur Vegetation des Südschwarzwaldes – Feldberg, Belchen, Oberes Wiesental (= Mitteilungen des Vereins für Forstliche Standortskunde und Forstpflanzenzüchtung 45), Freiburg 2007; T HOMAS L UDEMANN: Die Waldlebensräume und ihre Vegetation – Standorte, Charakterisierung und Verbreitung. In: R EGIERUNGSPRÄSIDIUM F REIBURG (Hg.): Der Feldberg. Subalpine Insel im Schwarzwald, Ostfildern 2012, 181–278. L UDEMANN: Airborne laser scanning (wie Anm. 3). Digitales Geländemodell DGM1. Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA; www.fva-bw.de) und Landesamt für Geoinformationen und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL; www.lgl-bw.de) Az. 2851.9–1/3; siehe auch Abbildung 8 auf der nächsten Seite.
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Abbildung 8: Kohlplatzdichte im Südschwarzwald. *Gauß-Krüger-Koordinaten. Km2 Gitter. ***Untersuchungsgebiet. 40 x 40 km-Ausschnitt. Quelle: L UDEMANN: Airborne laser scanning (wie Anm. 3), 247–252.
kommt zum einen die große, zum Teil flächendeckende und landschaftsprägende Bedeutung der historischen Köhlerei zum Ausdruck, zum anderen das große wissenschaftliche Forschungspotenzial der Kohlplatz-Anthrakologie. Die räumliche Verteilung der Fundplätze gibt Aufschluss darüber, in welchen Orten und Gebieten die Holzkohleproduktion eine große Rolle spielte und mit welcher Intensität sie betrieben wurde. Darüber hinaus können auf der Grundlage der ermittelten Fundplatzdichten Modellrechnungen für die nachhaltige und die vollständige Nutzung der natürlichen Holzvorräte durchgeführt werden. Daraus lassen sich Aussagen zum möglichen Umfang (Menge) sowie zum Arbeitskräfte- und Zeitbedarf für die Holzkohleproduktion in bestimmten Gebieten ableiten.
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III.2.
Das verwendete Holz, anthrakologische Klassifikation
Nach den anthrakologischen Untersuchungen wurde als Energieholz nicht nur die weit verbreitete und gut geeignete Rotbuche (Fagus sylvatica) genutzt, wie häufig angenommen, sondern alle einheimischen Baumgattungen und einige Sträucher (siehe Abbildung 9 auf der nächsten Seite): Rotbuche (Fagus sylvatica), Weißtanne (Abies alba), Fichte (Picea abies), Eiche (Quercus), Ahorn (Acer), Kiefer (Pinus), Kernobstgewächse (Pomoideae; Sorbus u. a.), Pappel (Populus), Birke (Betula), Hasel (Corylus avellana), Weide (Salix), Erle (Alnus), Hainbuche (Carpinus betulus), Esche (Fraxinus excelsior), Kirsche (Prunus), Linde (Tilia) und Ulme (Ulmus), sowie äußerst selten und in Abbildung 9 unter Sonstige zusammengefasst Stechplame (Ilex aquifolium), Eibe (Taxus baccata), Schneeball (Viburnum) und Hartriegel (Cornus). Deren Holz gilt zum Teil gegenüber demjenigen der Buche als erheblich schlechterer Energieträger, insbesondere dasjenige der Nadelbäume (Fichte, Tanne, Kiefer) und der Weichlaubhölzer (Weide, Pappel), und dementsprechend auch als erheblich schlechter für die Holzkohle-Produktion geeignet. Die Mengenanteile der nachgewiesenen Gehölzgattungen sind sehr verschieden. Einen großen Anteil erzielen lediglich die Arten der weit verbreiteten natürlichen Schlusswälder (Klimaxwälder), Fagus, Abies und Picea. Des Weiteren sind Eiche, Ahorn und Kiefer zu erwähnen, auf die ein Anteil von einem bis wenigen Prozent entfällt (Abbildung 9). Die einzelnen Fundplätze weisen sehr verschiedene Zusammensetzungen der Holzkohleproben auf. In Abbildung 9 sind ähnliche Proben zu anthrakologischen Einheiten (HK-/Holzkohle-Typen) zusammengefasst. Sie sind jeweils gekennzeichnet durch eine bestimmte Kombination vorherrschender Taxa, wobei dominante (>2:1; fett hervorgehoben), kodominante (2:1 bis 1:2) und subdominante (