Italienisch im Opernlibretto: Quantitative und qualitative Studien zu Lexik, Syntax und Stil 9783110258349, 9783110258325, 2011028401

Does opera have its own specific language? Has libretto always been a single, clearly definable linguistic form? This st

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German Pages 369 [372] Year 2011

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Table of contents :
Danksagung
Einleitung
1. Italienische Opernlibretti in Geschichte und Gegenwart
1.1. Das Libretto: eine eigene Textsorte?
1.2. Sprache und Musik: ein ungleiches Paar?
1.3. Das Libretto-Idiom: Versuch einer definitorischen Eingrenzung
2. Korpus und Methodik
2.1. Zum Korpus
2.1.1. Aspekte der Korpuszusammenstellung
2.1.2. Präsentation der Korpuslibretti
2.2. Zur Methodik
2.2.1. Korpuslinguistische Ansätze
2.2.2. Ansätze der Quantitativen Linguistik und Sprachstatistik
2.2.3. Zur Differenzierung von Rezitativ und Arie
3. Quantitative Analysen
3.1. Univariate Analysen zur Lexikostatistik
3.1.1. Univariate Analyse 1: Wort(art)häufigkeiten
3.1.1.1. Textlänge
3.1.1.2. Durchschnittliches Wortvorkommen
3.1.1.3. Relatives Wortartvorkommen
3.1.1.4. Quotient v/n
3.1.1.5. Fazit
3.1.2. Univariate Analyse 2: Durchschnittliche Satzlänge
3.1.2.1. Definition von Satz
3.1.2.2. Satzlängenrangfolge
3.1.2.3. Fazit
3.2. Bivariate Analysen zum Vokabularreichtum
3.2.1. Bivariate Analyse 1: Der Diversitätsindex (Type-token-Verhältnis)
3.2.1.1. Problematisierung
3.2.1.2. TTR-Berechnung
3.2.1.3. Fazit
3.2.2. Bivariate Analyse 2: Der Einmaligkeitsindex (Hapax legomena)
3.2.2.1. HL-Quotient
3.2.2.2. Fazit
3.3. Bivariate Analysen zur linguistischen Stilistik
3.3.1. Bivariate Analyse 3: Der Konzentrationsindex
3.3.1.1. types-Frequenzen
3.3.1.2. Konzentrationsindex I
3.3.1.3. Konzentrationsindex II
3.3.1.4. Normierter Konzentrationsindex
3.3.1.5. Fazit
3.3.2. Bivariate Analyse 4: Der Aktionsindex
3.3.2.1. Rangfolge der Aktionsquotienten
3.3.2.2. Fazit
3.4. Ergebnisse der quantitativen Analysen
4. Qualitative Analysen
4.1. Lexikalisch-semantische Analysen
4.1.1. Archaismen, Kultismen und Poetismen
4.1.1.1. Typ saria/fia
4.1.1.2. Allotrope
4.1.1.3. Topoi
4.1.1.4. Idiomatismen
4.1.1.5. Fazit
4.1.2. Interjektionen und exklamative Wendungen
4.1.2.1. Eigentliche Interjektionen
4.1.2.2. Uneigentliche Interjektionen
4.1.2.3. Exklamative Wendungen
4.1.2.4. Fazit
4.1.3. Wortfelder und Schlüsselwörter
4.1.3.1. Frequenzen von Substantiven, Adjektiven, Verben
4.1.3.2. Die iuncturae
4.1.3.3. Wortfeld SCHMERZ/TOD
4.1.3.4. Wortfelder LICHT/SCHATTEN und WÄRME/KÄLTE
4.1.3.5. Schlüsselwörter
4.1.3.6. Fazit
4.2. Syntaktisch-stilistische Analysen
4.2.1. Subjektabschwächung
4.2.1.1. si-Konstruktionen
4.2.1.2. Futur und passato remoto
4.2.1.3. Apostrophe und Selbstdialog
4.2.1.4. Fazit
4.2.2. Imperative
4.2.2.1. Quantifizierung der Imperativformen
4.2.2.2. Der imperativo tragico
4.2.2.3. Fazit
4.2.3. Inversionen
4.2.3.1. Tmesis, Hyperbaton, Inversion, Epiphrase
4.2.3.2. più non + Verb
4.2.3.3. Präpositionalphrasen mit di
4.2.3.4. Infinitiv + potere
4.2.3.5. Voran- oder Nachstellung von che
4.2.3.6. Satzsegmentierung
4.2.3.7. Fazit
4.2.4. Rhetorisch-syntaktische Verfahren
4.2.4.1. Verfahren der Hinzufügung
4.2.4.2. Verfahren der Tilgung
4.2.4.3. Verfahren der Umstellung
4.2.4.4. Fazit
4.3. Ergebnisse der qualitativen Analysen
5. Zusammenfassung der Ergebnisse
5.1. Abschließende Methodenreflexion
5.2. Auswertung der Einzeltexte
5.3. Das Librettoidiom: von der Innovation zur Konvention
6. Literaturverzeichnis
6.1. Libretto-Drucke
6.2. Libretto-Editionen
6.3. Zitierte Literatur
7. Register
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Italienisch im Opernlibretto: Quantitative und qualitative Studien zu Lexik, Syntax und Stil
 9783110258349, 9783110258325, 2011028401

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER HOLTUS UND WOLFGANG SCHWEICKARD

Band 364

ANJA OVERBECK

Italienisch im Opernlibretto Quantitative und qualitative Studien zu Lexik, Syntax und Stil

De Gruyter

ISBN 978-3-025382-5 e-ISBN 978-3-025834-9 ISSN 0084-5396 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Overbeck, Anja. Italienisch im Opernlibretto : quantitative und qualitative Studien zu Lexik, Syntax und Stil / by Anja Overbeck. p. cm. -- (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; Bd. 364) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025832-5 (alk. paper) 1. Italian language--Lexicology. 2. Italian language--Syntax. 3. Opera, Italian--Librettos. I. Title. PC1567.O94 2011 455--dc23 2011028401

%LEOLRJUD¿VFKH,QIRUPDWLRQGHU'HXWVFKHQ1DWLRQDOELEOLRWKHN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen NationalbiblioJUD¿HGHWDLOOLHUWHELEOLRJUD¿VFKH'DWHQVLQGLP,QWHUQHWEHUKWWSGQEGQEGHDEUXIEDU ‹:DOWHUGH*UX\WHU*PE+ &R.*%HUOLQ%RVWRQ 6DW]-RKDQQD%R\%UHQQEHUJ *HVDPWKHUVWHOOXQJ+XEHUW &R*PE+ &R.**|WWLQJHQ ∞*HGUXFNWDXIVlXUHIUHLHP3DSLHU 3ULQWHGLQ*HUPDQ\ ZZZGHJUX\WHUFRP

Danksagung

Die vorliegende Arbeit beruht auf meiner Anfang 2010 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommenen Habilitationsschrift. Die Realisierung eines solchen Großprojektes erfordert neben den fachlichen Qualifikationen vor allem ein hohes Maß an Motivation und Durchhaltevermögen und wäre ohne Unterstützung nicht ohne Weiteres möglich gewesen. Daher möchte ich an dieser Stelle meine Dankbarkeit für die Hilfe ausdrücken, die mir von vielen Seiten zu Teil wurde: Zunächst danke ich herzlich meinem langjährigen Betreuer und Mentor Prof. Dr. Günter Holtus (Göttingen), der mich in meiner gesamten bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn in Trier und Göttingen begleitet und gefördert hat und der mir stets Raum und Zeit für alle meine Vorhaben gewährte. Den übrigen Gutachtern dieser Arbeit sei gedankt für ihre Mühen und für die konstruktiven Hinweise, die in die Druckversion der Arbeit mit einfließen konnten: Herrn Prof. Dr. Albert Gier (Bamberg), Herrn Prof. Dr. Christoph Gabriel (Hamburg), Herrn Prof. Dr. Tobias Brandenberger (Göttingen) und Herrn Prof. Dr. Andreas Waczkat (Göttingen). Da diese Arbeit in Teilen über die Grenzen einer Einzeldisziplin hinausgeht, haben mich die Gespräche mit den jeweiligen Spezialisten sehr motiviert und mir neue Impulse in fachlicher wie in persönlicher Hinsicht gegeben. Im Einzelnen waren dies Prof. Dr. Albert Gier (Bamberg) für die Literaturwissenschaft und Librettoforschung, Prof. Dr. Andreas Waczkat (Göttingen) für die Musikwissenschaft und Dr. Karl-Heinz Best (Göttingen) für die Quantitative Linguistik; ihnen sei ausdrücklich gedankt. Den vielen Kolleginnen und Kollegen, die hier nicht einzeln aufgezählt werden können, ein herzliches Dankeschön für regen Austausch, wertvolle Hinweise und so manchen aufbauenden Paninoteca-Abend. Dem Linguistischen Kolloquium des Seminars für Romanische Philologie Göttingen sei gedankt für die Möglichkeit, meine Arbeit zu präsentieren und zu diskutieren. Besonders hervorheben für ihre fachlichen, strategischen und freundschaftlichen Gespräche und Ratschläge möchte ich Prof. Dr. Christiane Maaß (Hildesheim) und Dr. Harald Völker (Zürich), die mir in vielerlei Hinsicht neue Anschübe gaben, sowie Prof. Dr. Uta Helfrich (Göttingen) insbesondere für die Unterstützung im Vorfeld des Habilitationsverfahrens. Als Korrekturleserin danke ich Dr. des. Kristina Bedijs (Göttingen), die mit scharfem Auge und konstruktiver Kritik die qualitativen Analysekapitel durcharbeitete. V

Der Kurt-Ringger-Stiftung sei herzlich gedankt für die Verleihung des KurtRingger-Preises der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) 2011, der für mich nicht nur in finanzieller Hinsicht eine Anerkennung des Geleisteten repräsentiert. Prof. Dr. Günter Holtus (Göttingen) und Prof. Dr. Wolfgang Schweickard (Saarbrücken) danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Ein Dank geht auch an Dr. Ulrike Krauß und Norbert Alvermann (Tübingen) für die gewohnt routinierte und freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem Verlag. Nicht zuletzt habe ich auch die sich vom Thema her anbietenden angenehmen Begleitumstände sehr geschätzt, die mich im Laufe der Arbeit zu den unterschiedlichsten kleinen wie großen Opernbühnen im In- und Ausland führten, wodurch ich erneut erkennen konnte, dass sich Wissenschaft stets auch mit persönlichen Vorlieben und Freude verbinden lässt. Abschließend möchte ich meine Familie erwähnen, ohne deren vielfache Unterstützung diese Arbeit nicht zu Stande gekommen wäre: Meine Eltern und Schwiegereltern für stetige Präsenz und Hilfe bei der Kinderbetreuung, meinen Mann und meine Kinder als Beispiele für die gelebte Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für die Überwindung vieler, nicht zuletzt räumlicher Hürden, die das Pendlerdasein zwischen Göttingen und Rheinland mit sich bringt. Ihnen allen: Danke!

VI

Inhaltsverzeichnis

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Italienische Opernlibretti in Geschichte und Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Das Libretto: eine eigene Textsorte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Sprache und Musik: ein ungleiches Paar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Das Libretto-Idiom: Versuch einer definitorischen Eingrenzung . . .

1 7 7 19 36

2. Korpus und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Zum Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Aspekte der Korpuszusammenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Präsentation der Korpuslibretti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Zur Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Korpuslinguistische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Ansätze der Quantitativen Linguistik und Sprachstatistik . . . 2.2.3. Zur Differenzierung von Rezitativ und Arie . . . . . . . . . . . . . .

47 47 47 61 70 70 74 84

3. Quantitative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Univariate Analysen zur Lexikostatistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Univariate Analyse 1: Wort(art)häufigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.1. Textlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.2. Durchschnittliches Wortvorkommen . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.3. Relatives Wortartvorkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.4. Quotient v/n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1.5. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Univariate Analyse 2: Durchschnittliche Satzlänge . . . . . . . . 3.1.2.1. Definition von Satz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2. Satzlängenrangfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Bivariate Analysen zum Vokabularreichtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Bivariate Analyse 1: Der Diversitätsindex (Type-token-Verhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1. Problematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2. TTR-Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.3. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 90 91 94 95 102 105 106 107 107 108 111 111

VII

113 114 116 120

3.2.2. Bivariate Analyse 2: Der Einmaligkeitsindex (Hapax legomena) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1. HL-Quotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Bivariate Analysen zur linguistischen Stilistik . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Bivariate Analyse 3: Der Konzentrationsindex . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1. types-Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2. Konzentrationsindex I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3. Konzentrationsindex II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.4. Normierter Konzentrationsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.5. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Bivariate Analyse 4: Der Aktionsindex . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1. Rangfolge der Aktionsquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Ergebnisse der quantitativen Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Qualitative Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Lexikalisch-semantische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1. Archaismen, Kultismen und Poetismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.1. Typ saria/fia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.2. Allotrope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3. Topoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.4. Idiomatismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.5. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2. Interjektionen und exklamative Wendungen . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.1. Eigentliche Interjektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2. Uneigentliche Interjektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3. Exklamative Wendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.4. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3. Wortfelder und Schlüsselwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1. Frequenzen von Substantiven, Adjektiven, Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.2. Die iuncturae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.3. Wortfeld schmerz/tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.4. Wortfelder licht/schatten und wärme/kälte . . . . 4.1.3.5. Schlüsselwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.6. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Syntaktisch-stilistische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Subjektabschwächung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1. si-Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.2. Futur und passato remoto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.3. Apostrophe und Selbstdialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.4. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

122 123 125 126 128 129 132 133 135 143 143 144 147 147 155 156 156 158 160 167 173 175 176 184 187 188 192 200 200 211 217 221 229 230 231 232 233 235 241 252

4.2.2. Imperative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Quantifizierung der Imperativformen . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2. Der imperativo tragico . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.3. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Inversionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1. Tmesis, Hyperbaton, Inversion, Epiphrase . . . . . . . . . 4.2.3.2. più non + Verb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.3. Präpositionalphrasen mit di . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.4. Infinitiv + potere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.5. Voran- oder Nachstellung von che . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.6. Satzsegmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.7. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Rhetorisch-syntaktische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1. Verfahren der Hinzufügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.2. Verfahren der Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.3. Verfahren der Umstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.4. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Ergebnisse der qualitativen Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 253 256 261 261 262 271 277 281 288 290 293 294 295 308 312 313 315

5. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Abschließende Methodenreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Auswertung der Einzeltexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Das Librettoidiom: von der Innovation zur Konvention . . . . . . . . . .

323 323 325 332

6. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Libretto-Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Libretto-Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339 339 340 341

7. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

IX

Einleitung

Scena VI ircano e mirteo ircano La principessa udisti? Ella superba va degli affetti miei. Misero amante! Ti sento sospirar, ti veggo afflitto. Cangia, cangia desio; e per consiglio mio torna in Egitto. mirteo Mi fai pietà. La tua fiducia insana, il tuo rozzo parlar, con cui l’offendi, ti rinfaccia Tamiri; e non l’intendi. ircano Dunque in diversa guisa i loro affetti qui trattano gli amanti? E quale è mai questo vostro d’amor leggiadro stile? mirteo Con lingua più gentile qui si parla d’amor; qui con rispetto un bel volto si ammira; si tace, si sospira, si tollera, si pena, l’amorosa catena si soffre volontier, benché severa. ircano E poi si ottien mercede? mirteo E poi si spera. ircano Miserabil mercé! No, d’involarti il pregio di gentil non ho desio. Ciascun siegua il suo stile; io sieguo il mio. (Parte). (Pietro Metastasio, Semiramide riconosciuta I 6).

«Con lingua più gentile / qui si parla d’amor» – dieser Satz aus Pietro Metastasios Semiramide riconosciuta (uraufgeführt mit der Musik von Leonardo Vinci im Jahre 1729) beschreibt den Versuch des ägyptischen Prinzen Mirteo, dem skythischen Prinzen Ircano – beide lieben dieselbe Frau – die landestypischen 1

Sitten und Gebräuche näher zu bringen.1 In Ägypten benehme man sich in Liebesdingen besser und spreche gepflegter als der ungehobelte Ircano mit seinem «rozzo parlar» (ib.). Gewisse Themen, vor allem im Bereich der Liebe, fordern also demnach spezielle sprachliche Formen, und wo träfe man häufiger auf diese Konstruktion von Sprache als auf der Bühne, speziell der Opernbühne? Es ist in der Tat eine «lingua più gentile», in die der Opernbesucher eintaucht: Unabhängig von Alter und Stoff der jeweiligen Oper scheint es letztlich immer um das eine Thema zu gehen, und das in einer seltsam künstlich anmutenden Sprache, die der Zuhörer als gegebenes Charakteristikum der Gattung hinnimmt, auch wenn er sie nur in den seltensten Fällen lückenlos versteht. Zu zahlreich sind die Störfaktoren, die die akustische und kognitive Aufnahme erschweren: Nebengeräusche von der Bühne und aus dem Publikum, Klänge aus dem Orchstergraben, undeutlich artikulierende Sänger, aber auch eine Sprachvarietät, die per se weit entfernt ist von der des Alltags, selbst wenn es sich um die eigene Muttersprache handelt. Eigentlich ist die Oper also eine sehr anstrengende Sache, dennoch stellt sie für viele einen zeitlosen Ausdruck von Kunst schlechthin dar, man lässt sich allem Gefühlsbombast, allen thematischen Stereotypen und akustischen Beschwernissen zum Trotz immer wieder verzaubern und gerne für ein paar Stunden in eine fremde Welt entführen. Was ist es nun aber für eine spezielle Textsorte, die der Oper zu Grunde liegt, was macht diese sprachliche Varietät aus, und wie also lässt sich «die» Sprache der Oper oder – genauer – des Opernlibrettos definieren? In der vorliegenden Arbeit wird aus verschiedenen Blickwinkeln eine Annäherung an diese Sprachvarietät versucht. Dabei gilt es, drei Grundfragen zu verfolgen: 1. Gibt es eine spezifische «Opernsprache», ein klar definierbares Librettoidiom? 2. Wenn ja: Was zeichnet diese Varietät aus, was grenzt sie von anderen Idiomen ab? 3. Ist sie von Beginn an einheitlich? Wenn nein: Wann und wie entwickelt sie sich? Eine Folgefrage richtet sich zudem auf die Ermittlung der Ursachen der genannten Einschätzungen dieses Idioms: Worauf beruhen die allgemeinen Urteile über die Sprache der Oper? Sind alle Libretti bezüglich ihrer Sprache mehr oder weniger gleich, oder basieren diese Urteile nur auf einem kleinen Ausschnitt aus der mittlerweile mehr als vier Jahrhunderte umspannenden Opernhistorie? Zunächst und vor allem wird die Librettosprache offensichtlich dadurch charakterisiert, dass sie für die Umsetzung in Musik geschrieben wurde bzw. dafür verwendet werden kann.2 Somit stellt sich eine weitere für die sprachwissen-

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Dieses Libretto ist Teil des hier untersuchten Korpus (E4), cf. die ausführliche Beschreibung weiter unten, Kap. 2.1. Das Zitat ist in dieser Form nicht in allen Drucken enthalten; zitiert wurde hier aus der Edition von Bellina 2002, 390, die auf dem ältesten spanischen Druck (Madrid, Mojados, 1793) beruht. Nicht in jedem Fall besteht der Entstehensprozess eines Librettos darin, dass ein Komponist einen Textdichter beauftragt, einen Text zu einem bestimmten Thema zu verfas-

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schaftliche Analyse von Libretti relevante Frage: Kann ein Text, der primär zur Vertonung geschrieben wurde, überhaupt ohne seinen musikalischen Widerpart existieren und isoliert betrachtet werden? In der Literatur- und Sprachwissenschaft lautet die Antwort hier eindeutig ja; Fabio Rossi etwa, der die Libretti zu den Rossini-Opern analysiert hat, vergleicht das Verhältnis von Libretto und Musik mit dem von Drehbuch und Film und beantwortet für beide die Frage wie folgt: «Sì, se lo scopo è quello di illustrare i meccanismi della sola componente testuale, senza alcuna pretesa di estendere il discorso a tutta l’opera e senza mai pretendere di negarne la complessità e l’intreccio dei codici» (Rossi 2005a, 42).3

Auch wenn also eine Oper immer aus mindestens zwei Komponenten besteht (im Prinzip wäre noch die dramaturgische Seite hinzuzufügen), kann man doch jede der Einzelkomponenten separat betrachten; so ist es beispielsweise möglich, eine Oper konzertant aufzuführen, also ohne die Inszenierung auf der Bühne, oder sie ohne Gesang auf dem Klavier nachzuspielen. Ebenso ist ein Libretto auch «lesbar» und wie ein Buch behandelbar, ohne dass Musik und Bühnenhandlung zwangsläufig hinzutreten müssen.4 Für eine linguistische Analyse ist das Libretto demnach eine feste, klar begrenzbare Texteinheit, die auch separat betrachtet werden kann. Auf der anderen Seite ist es bedauerlich, dass gerade eine so vielschichtige Textsorte wie das Libretto bislang so selten im interdisziplinären Fokus stand. Auch wenn in der Literatur verschiedentlich auf die «wechselseitige Abhängigkeit von Musik und Dichtung, die Notwendigkeit, musikalische und poetische sowie nonverbale theatrale Strukturen wechselseitig zu erhellen und so die Oper in ihrer Gesamtheit zu erfassen» (Borchmeyer et al. 1996, 1120), hingewiesen wurde,5 wird diese Interdisziplinarität bisher nur in Ansätzen umgesetzt, teilweise werden

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sen, den er sodann in Musik setzt. So entstanden vor allem in jüngerer Zeit zahlreiche Kompositionen auf der Grundlage von bereits zuvor als eigenständige literarische Werke vorhandenen Libretti (Literaturopern); auch gibt es Texte, etwa gerade von dem Meister des Opernlibrettos, Pietro Metastasio, die mehrfach und von unterschiedlichen Komponisten für eine Oper verwendet wurden, cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.1. Cf. hierzu auch die Quattro tesi von Lorenzo Bianconi, der die Perspektive des das Libretto als autonomen Text akzeptierenden «filologo letterario» von der des «filologo musicale», des «storico del teatro d’opera» und des «studioso di letteratura comparata» (Bianconi 1995b, 429–431) differenziert. Weitere Meinungen zu dieser schwierigen Frage finden sich bei Roccatagliati 1995 (cf. auch id. 1996, 119), und Gronda/Fabbri 1997, XIVs. Cf. auch weiter unten, Kap. 1.1. Die zuletzt genannte Praxis lässt sich auch historisch belegen, so waren etwa in Privatsammlungen des 18. Jahrhunderts zahlreiche Libretti enthalten, die auch optisch wie «echte» Bücher behandelt wurden, cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.2. Einige Libretti wurden zudem nie vertont, sie existieren aber dennoch bis heute als Texte; ebenso wurde in so manches Libretto seitens des Komponisten, Regisseurs, Impresario etc. so stark eingegriffen, dass bei der musikalischen Umsetzung seine ursprüngliche Gestalt völlig verloren ging. Ihre Schlussfolgerung lautet denn auch: «Die Librettistik ist demgemäß eine interdisziplinäre Wissenschaft, die Musikologie, Philologie und Theatrologie integriert» (ib.).

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ganze Wissenschaftszweige vernachlässigt. So konstituieren sich die meisten Tagungen und Sammelbände der sich in den letzten Jahrzehnten endgültig etablierenden Librettoforschung (auch Librettistik, Librettologie) zumeist aus Beiträgen von Literatur- und (seltener) Musikwissenschaftlern, fast nie jedoch von Theaterwissenschaftlern, und auch der Bereich der Sprachwissenschaft wird zumeist – wenn vielleicht auch unabsichtlich – ganz ausgeklammert, was jedoch auch an deren geringer Eigeninitiative liegen mag: 6 «Das bisherige mangelnde Interesse der Philologie an der erst vierhundert Jahre alten literarischen Sonderform des Librettos steht in einem Missverhältnis zu ihrer weiten Verbreitung und Popularität, die von kaum einem Dramatiker der Weltliteratur erreicht wird, aber auch zu ihrer eminenten Bedeutung als Traditionsträger nicht nur theatraler Strukturen und Topoi, sondern auch allgemeinen Kulturwissens» (Borchmeyer et al. 1996, 1118).

Eine Ausnahme bildet allenfalls die italienische Philologie, die in den letzten Jahren ihre Aufmerksamkeit zunehmend der Gattung Libretto zugewandt hat, dies jedoch ebenfalls nur selten mit linguistischem Schwerpunkt und zumeist fokussiert auf die Oper des 19. Jahrhunderts: «Di libretti d’opera si sono occupati spesso, negli ultimi anni, i musicologi, un po’ meno gli italianisti, quasi per niente gli storici della lingua e i linguisti» (Rossi 2005a, 11).7

Dabei sollte gerade eine zusammengesetzte, komplexe Gattung wie die des Opernlibrettos zur übergreifenden, interdisziplinären Arbeit herausfordern. Ein literarisches Genre, das sich stets zwischen den Stühlen befunden hat und umstritten war (cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.1.), das auf eine über 400jährige, sehr bewegte

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Dies betrifft vor allem die deutsch- und französischsprachige Tagungs- und Veröffentlichungslandschaft, cf. stellvertretend den die Ergebnisse der Libretto-Sektion des Deutschen Romanistentages 1983 (Berlin) repräsentierenden Sammelband Oper als Text: Romanistische Beiträge zur Libretto-Forschung (Gier 1986a), an der nur Literatur- und Musikwissenschaftler beteiligt waren. Ähnliches liegt vor bei dem Themenband Le livret en question der Zeitschrift Musicorum (2006/2007), der die Beiträge eines deutschfranzösischen Kolloquiums zum Libretto (Januar 2007 in Bamberg) zusammenfasst. Rossi stellt im Folgenden die These auf, dass vor allem die Libretti des 18. Jahrhunderts, insbesondere die Metastasios und Goldonis, gut erforscht seien. Dies trifft zwar pauschal zu, allerdings nicht aus linguistischer Sicht. So sind die von ihm aufgezählten Studien (cf. Rossi 2005a, 11 n. 1; cf. auch id. 2005b, 75 n. 1) allesamt keine rein sprachwissenschaftlichen Veröffentlichungen, was an der unterschiedlichen Struktur der italienischen und der deutschen universitären Philologien liegen mag. Insgesamt sind es jedoch eher die Opern des 19. Jahrhunderts, die von den italienischen Wissenschaftlern mittlerweile – auch aus sprachlicher Sicht – gut erforscht sind, bezeichnenderweise meist auf die Komponisten und nicht auf die Librettisten ausgerichtet, cf. etwa Rossi 2005a und 2005b selbst (zu den Rossini-Opern), Telve 1998 (zu den Verdi-Opern) oder Baldacci 1997 (zu den Opern des 19. Jahrhunderts allgemein), allerdings auch Telve 2004 (zu den Libretti Boitos) oder Roccatagliati 1996 (zu Felice Romani) und als Überblick Bentivogli 1975. Zum weiteren Forschungsstand cf. weiter unten, Kap. 1.3.

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Geschichte zurück blicken kann (cf. hierzu Kap. 1.2.), das eine schillernde, facettenreiche Gestalt aufweist (cf. hierzu Kap. 1.3.) müsste nicht nur Literatur- und Musikwissenschaftler, sondern auch Theater- und Sprachwissenschaftler sowie Sprach- und Kulturhistoriker interessieren. Die nur für diese daher als hybrid zu nennende Gattung charakteristische Verbindung von mehreren Medien bietet an sich ein weites Forschungsfeld. Trotz dieser reizvollen Plurimedialität, die einen Musterfall für interdisziplinäre Forschungen darstellen könnte, landet das Libretto immer wieder entweder bei Musik liebenden Philologen oder bei sprachinteressierten Musikologen. Diesem Desiderat versucht die vorliegende Arbeit, die durchaus als Anregung für eine umfassende Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen in der Zukunft verstanden werden soll, zumindest aus der Sicht der Linguistik entgegenzuwirken. Ausgangspunkt der Betrachtungen sind die oben bereits gestellten Fragen, ob es ein klar definierbares und anhand zahlreicher Charakteristika für jeden dieser Musiktexte nachweisbares Librettoidiom, also eine gattungstypische Sprache, gibt und wie diese zu definieren wäre. Dabei werden im ersten Kapitel zunächst die gängigen Urteile über die Qualität und die Struktur der Librettosprache gesammelt und weitere Merkmale herausgestrichen (cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.3.). Die Leitthese, soviel sei an dieser Stelle vorweg genommen, ist die Vermutung, dass die für das Libretto als typisch postulierten Wesenszüge lediglich die Libretti des 19. Jahrhunderts ab ca. 1815 betreffen. Hier finden sich alle bisher aufgeführten Charakteristika in hoher Potenz wieder, so kreist etwa eine durchschnittliche Verdi-Oper thematisch vor allem um die Liebe, der Inhalt ist einer romantischen Vorlage entnommen (z. B. von Victor Hugo, William Shakespeare etc., cf. hierzu weiter unten, Kap. 2.1.), der Wortschatz mutet mitunter sehr altertümlich an, und die Sprache ist bei der Aufführung oftmals nur durch die Übertitelung erschließbar, was wiederum durch die verschiedensten Faktoren begründbar ist (Dominanz der Musik, große Orchesterstärke, Massenszenen auf der Bühne etc.). Doch wie stellt sich die Situation bei der Aufführung einer Mozart-Oper dar? Wie bei einer Barockoper von Händel oder gar Monteverdi? Treffen die (Vor-)Urteile hier ebenso uneingeschränkt zu? Eine Folgethese muss also lauten, dass frühe Operntexte sich noch nicht wesentlich von solchen des Sprechtheaters differenzieren lassen und dass sie evtl. für «die» Librettosprache, wie sie sich heute allgemein präsentiert, nicht oder zumindest weniger prägend waren als ihre Nachfolger aus dem 19. Jahrhundert. Um diese Thesen belegen zu können, wird daraufhin ein insgesamt 16 Libretti aus drei Jahrhunderten umfassendes Korpus (cf. zur Korpusbildung Kap. 2.1.) aus sprachwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet. Sprachlich richtet sich die vorliegende Arbeit vorrangig auf das Italienische, das in vielerlei Hinsicht besonders als Sprache der Musik hervortritt,8 doch wird bewusst auch ein einzelnes französisches Libretto in die Studien integriert, das quasi als Korrektiv dient und

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Cf. hierzu bereits Overbeck 2008.

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in vielerlei Hinsicht wertvolle, über die Arbeit hinaus weisende Randergebnisse zeitigt. Die aus verschiedensten musikhistorischen Epochen stammenden Texte werden kontrastiv überprüft, wobei – anders als in den bisher existierenden Studien zur Sprache des Opernlibrettos – nicht nur qualitative Analysen (cf. Kap. 4), sondern als methodische Neuerung auch quantitative Untersuchungen erfolgen (cf. Kap. 3). Die Methoden der Quantitativen Linguistik (QL) und der Sprachstatistik wurden bereits mehrfach auf literarische Texte angewandt,9 jedoch in dieser Form bislang noch nie auf Musiktexte,10 und dies zudem im Zusammengang mit qualitativen Ansätzen. Der Darstellung der unterschiedlichen Methodiken ist aus diesem Grund ein eigenes Unterkapitel gewidmet (cf. Kap. 2.2.). Die mit den Methoden der QL erarbeiteten Studien weisen Schwerpunkte in den Bereichen der Lexikostatistik (cf. Kap. 3.1.), des Vokabularreichtums (cf. Kap. 3.2.) und der linguistischen Stilistik (cf. Kap. 3.3) auf. In den qualitativen Analysen wird der Fokus auf lexikalisch-semantische (Archaismen, Kultismen und Poetismen, Interjektionen, Wortfelder und Schlüsselwörter, cf. Kap. 4.1.) und auf syntaktisch-stilistische Aspekte (Subjektabschwächung, Imperative, Inversionen, rhetorisch-syntaktische Verfahren, cf. Kap. 4.2.) gerichtet. Dass die beiden Methoden in der Kombination eine sehr fruchtbare Symbiose eingehen und damit die eingangs gestellten Fragen zur Gänze beantwortet werden können, zeigen die in Kapitel 5 präsentierten Ergebnisse der Gesamtstudie.

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Cf. etwa die schon als klassisch zu nennenden Studien zu den Werken Pierre Corneilles (Muller 1979b), Jean Racines (Bernet 1983) und Victor Hugos (Brunet 1988) oder, in neuerer Zeit, die Untersuchung zu Goethes Erlkönig (Altmann/Altmann 2005). Ansätze zu einer quantitativen Studie finden sich in dem kurzen Beitrag Buford Normans zur Sprache der Libretti Philippe Quinaults (cf. Norman 1988), diese bleiben jedoch eher Skizzen und können nicht als fundierte Analyse gelten.

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1.

Italienische Opernlibretti in Geschichte und Gegenwart

1.1.

Das Libretto: eine eigene Textsorte?

Die Oper als Konglomerat aus Musik und Sprache1 ist im Prinzip eine «unmögliche Kunstform» (Honolka 1979, 10): «Um Theater zu spielen, braucht man im Notfall nur ‹Bretter aufzuschlagen›. Um Oper zu spielen, muß man den ganzen kulturellen Apparat einer entwickelten Gesellschaft mobilisieren» (ib.). Die Herausforderung liegt hier in der Verschmelzung von Noten und Worten, die fast immer – und das scheint die Crux zu sein – künstlich herbeigeführt wird durch zwei verschiedene Personen, die sich in vielen Fällen nicht einmal persönlich kennen.2 Ein Libretto zu schreiben ist daher eine eher undankbare Aufgabe. Der Librettist muss sich nicht nur, wie der Theaterdichter, «von Schauspielern und Regisseuren tyrannisieren» (ib.) lassen, sondern auch noch einen Komponisten bedienen, und kann niemals gänzlich unabhängig arbeiten.3 Zudem stehen Operntexte seit jeher in dem Ruf, eben durch ihre enge Anbindung an die Musik unnatürliche und alberne Situationen hervorzurufen: «Verschwörer, die ‹Nur stille, stille› brüllen und sich damit um ihre letzten Chancen bringen; Häscher, die ihre Opfer entschlüpfen lassen, weil sie ihnen und sich Gelegenheit geben müssen, das Duett zu Ende zu singen; altgermanische Lindwürmer, die durchs Mikrophon grölen, und persische Kriegshelden, die im barocken Schmuckpanzer, eine Straußenfeder auf dem Papphelm, Koloraturen jauchzen, ehe sie eine Brücke über den Hellespont schlagen; junge Damen, die mit dem Mörderdolch in der zarten Brust die Kraft aufbringen, ihrem Schicksal wenigstens noch die fünf Minuten ab-

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Im Prinzip müsste hier auch noch das dramaturgische Element, die Inszenierung des jeweiligen Stücks genannt werden, doch tritt dieses erst sekundär auf den Plan, nämlich ausschließlich im Moment der Aufführung, während die Partitur und das Libretto auch unabhängig voneinander und von einer Inszenierung existieren. Zu diesen Gedanken cf. auch weiter unten in diesem Abschnitt. Auf die nicht immer einfache Verbindung zwischen Musik und Poesie in der Oper weist auch Fabbri in seinem Beitrag mit dem vielsagenden Titel Musica vs Poesia: quando le arti sorelle si accapigliano (Fabbri 2005) hin. Cf. auch bereits Fabbri 1997. Cf. den viel zitierten «Diener zweier Herren» bei Honolka 1978, 30s. Ausgenommen sind hier natürlich Autoren, die ihre Werke nicht ausdrücklich als Libretti konzipiert hatten, so existieren – vor allem in neuerer Zeit – durchaus Opern, deren Libretti aus späteren Bearbeitungen von Theaterstücken oder Prosatexten entstanden sind. Cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt.

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zuringen, die für eine rührende Abschiedsarie mit hohen B’s gerade nötig sind – wie unendlich viele Anlässe zur Parodie!» (ib., 9).4

Auch Kurt Ringger beschreibt anschaulich diese gerade für die Oper typischen Unglaubwürdigkeiten:5 «Im Gegensatz zum Drama ist es eben in der Oper nicht nur ‹möglich›, sondern geradezu notwendig, laut und zu mehreren Nur stille, stille, stille! oder Zitti, zitti! Piano, piano! auszurufen, ohne dadurch gegen die sogenannte ‹Wahrscheinlichkeit› zu verstoßen, welche die Poetik des ‹aristotelischen› Dramas seit der Renaissance über Racine und Lessing bis Ibsen bestimmt» (Ringger 1984, 494).

Wie kann man nun diese komplizierte, künstlich-kunstvolle und oft verpönte Textsorte innerhalb der weiten literarischen Gattungslandschaft verorten? «Ambiguo è lo statuto del testo nel libretto d’opera», lässt Lorenzo Bianconi seine Quattro tesi zur Philologie des Librettos beginnen (Bianconi 1995b). Um dieser Textgattung trotz aller Ambiguität dennoch näher zu kommen, seien zunächst einige strukturelle und historische Grundvoraussetzungen genannt: 6 Im 17. und 18. Jahrhundert war das Libretto zunächst eine Art Programmheft, das vor der Aufführung verkauft wurde und nicht nur den Text der Oper, sondern auch eine Widmung, ein Vorwort, ein Personenverzeichnis und eine Inhaltsangabe enthielt (cf. Fabbri 2003, 82).7 Anders als heute war der Zuschauerraum bis etwa zu den Zeiten von Richard Wagner erleuchtet, so dass ein Mitlesen des Textes problemlos möglich war und auch praktiziert wurde. Bei der Aufführung italienischer Opern im Ausland wurde das Libretto sogar zweisprachig gedruckt – ein Beleg für die Bedeutung des Wortes für den damaligen Zuschauer. Dennoch war die Textvorlage zu dieser Zeit keine «Literatur» im engeren Sinne, sondern ein Gebrauchstext, der auf billigem Papier in schlechter Qualität gedruckt, während der Aufführung durchgeblättert und danach weggeworfen wurde.8 Die Bedeutung

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Zur Glaubwürdigkeit von Operntexten und -handlungen cf. auch Ringger 1978, 507, der auf eine Textstelle aus Thomas Manns Zauberberg hinweist (Hans Castorps Reflexionen über die Schlussszene aus Aida), und Hildesheimer 1980, 246, der über die Ungereimtheiten im Don Giovanni nachdenkt, jener Oper, deren gesamte Handlung sich in der Nacht abspielt. Ringger prägte zudem die treffende Wendung der «Kohärenz des Irrealen» (Ringger 1984, 505), die innerhalb der «librettoeigenen Bühnenlogik» (ib.) jedoch durchaus funktioniere. Cf. auch id. 1987 zur internen (Un)Logik von Così fan tutte. Cf. auch den Beitrag Bodo Plachtas zur Debatte über die Oper in der deutschen Aufklärung mit dem viel sagenden Titel «Die Vernunft muß man zu Hause lassen, wenn man in die Oper geht» (Plachta 1996a). Einen knappen Abriss zur Struktur und Geschichte des Librettos geben auch Gronda 1997, Betzwieser 2001 und Beghelli 2004. Zu diesen so genannten «Schwellentexten», die für sich schon eine reizvolle literarische Gattung darstellen, cf. Gier 1998a, 54. Schon der Diminutiv scheint anzudeuten, dass das Libretto, das ‘Büchlein’ oder ‘Büchelchen’ (bei Mozart auch ‘büchel’, cf. den Brief an seinen Vater vom 7. Mai 1783, ed. Kunze 1987, 330), in seiner langen Geschichte nie vollkommen als eigenständiges

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des Textverständnisses nahm im Laufe der Zeit – unterstützt auch durch die Abdunklung des Zuschauerraums – zugunsten des spätestens im 19. Jahrhundert mehr und mehr dominierenden visuellen Aspektes der Opernhandlung stark ab.9 Zudem waren (und sind) die Übersetzungen von fremdsprachigen Operntexten oftmals von dermaßen schlechter Qualität, dass Albert Gier sich fragt, ob die gängigen Vorurteile über Librettisten nicht vorrangig aus diesen teils wirklich stümperhaften Übertragungsversuchen herrühren (cf. Gier 1998a, 4).10 Kurt Ringger spricht von dem Usus des Opernfreundes, «Libretti und Librettisten als notwendiges Übel zu betrachten» und die «Verseschmiede» (Ringger 1978, 508) allenfalls mitleidig zu belächeln. Sie waren «in jenen trüben Bereich verwiesen, wo die Musik noch nicht einsetzt, die Literatur aber schon längst aufgehört hat» (ib.).11 Auch der Literat Peter Hacks fragt sich in seinem ironisch-amüsanten Essay Versuch über das Libretto, «ob das Libretto überhaupt ein Genre sei» (Hacks 1976, 209): «Sicher, irgendetwas ist es. Es ist eine Menge von Worten und geht gelegentlich bei Reclam zu kaufen. Darüber hinaus sind kaum Bestimmungen dieses Dings unternommen worden. Für die Praxis ist es schlichtweg entweder ein eingestrichenes mittelmäßiges Stück oder das heimliche Laster eines Komponisten. Für die Theorie ist es derjenige Teil der Oper, auf den einzugehen sich nicht lohnt. Das Libretto ist das Blümlein, das

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literarisches Werk anerkannt wurde. Der Name rührt jedoch ursprünglich aus dem handlichen Format der ersten Textbücher (ca. 10 x 15 cm), die im Venedig des 17. Jahrhunderts bei Kerzenschein während der Aufführung mitgelesen wurden und deren Verkauf den Librettisten ein bescheidenes Einkommen sicherte, cf. Honolka 1979, 11, und Gier 1998a, 3–5. Im Italienischen wurde der Begriff libretto bereits ab dem 13. Jahrhundert verwendet, allerdings zunächst unabhängig von muskalischen Inhalten als Diminutiv von libro (ca. 1294, Brunetto Latini), etwa als ‘libretto segreto’ (der Kaufleute, Florenz 1310), ‘libretto de’ pagamenti’ (1494) oder ‘taccuino per appunti, indirizzi, conti’ (ca. 1519, Leonardo), cf. DELI, 872. In der Bedeutung ‘testo di un melodramma’ wird libretto im Italienischen erst seit 1724 durch Pietro Metastasio offiziell verwendet, cf. ib. Auch in den anderen europäischen Sprachen tritt der Terminus Libretto im Sinne von ‘selbstständiger Text zu einer Oper’ erst etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auf; in dieser Bedeutung ist der Begriff im Englischen erstmals 1742 belegt, im Französischen seit 1817 (neben der Lehnprägung livret, die seit 1867 in der Bedeutung ‘paroles d’une pièce de théâtre lyrique’ verwendet wird, cf. FEW, 297), im Deutschen seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, im Russischen seit den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts und im Spanischen seit 1884, cf. Gier 1998a, 3. Cf. hierzu im Detail weiter unten, Kap. 1.2., und passim. Ein schönes Beispiel für Giers Vermutung führt Ringger an, wenn er die deutsche Übersetzung des im Italienischen noch gerade «sagbaren» Che gelida manina mit Wie eiskalt ist dies Händchen zitiert (cf. Ringger 1984, 505). Auch Otellos Todesworte Un bacio..., un bacio ancora... un altro bacio... wirken in der deutschen Übersetzung deutlich uneleganter: Noch einmal küss’ ich dich wieder, / Ach! küss’ ich dich wieder... (cf. ib.). Eine anschauliche Übersicht über den Gestaltwandel einer Oper in den Händen ihrer zahlreichen Übersetzer gibt Gschwend 2006 anhand von 18 deutschen Übertragungen der bekannten Arie Nr. 9 (Non più andrai farfallone amoroso) aus dem ersten Akt der Oper Le nozze di Figaro. Zu diesem Komplex cf. auch Kaindl 1995 und den aktuellen Sammelband von Marschall 2004. Cf. auch Ringger 1984, 491.

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am Fuße der Mauer der großen Gattung dahinkümmert, und auch diese selbst, die Oper, ist von der Ästhetik selten zu anderen Zwecken besucht worden als zu dem, den eine Klagemauer eben hat. Es ist kein leichtes Unterfangen, etwas Licht in die schattige Szenerie zu bringen» (ib., 209s.).

Seine Beurteilung des Librettos fällt dem entsprechend negativ aus: «Die meisten Libretti sind schlecht; schlecht häufig als Libretti, schlecht immer als Stücke. Die Musiker, die, ihrer Veranlagung nach, mit der Literatur wenig anzufangen wissen, vergreifen sich fast regelmäßig in der dramatischen Vorlage; die bisher bestmögliche Wahl, die eines zugkräftigen Lust- oder Intrigenspiels, bleibt eben bloß eine bestmögliche; furchtbar oft scheitert eine schöne Komposition an solchem Mißgriff. Die Dichter wiederum kommen mit dem Libretto nicht zurecht, weil dessen sämtliche Regeln nicht aus der Gesetzeswelt der Literatur stammen. Die Sache scheint kaum durchführbar und will nicht wohl taugen, und es wäre allerdings nur erfreulich, wenn sich die Frage des Librettos kurzerhand durch den Verzicht auf dasselbe lösen ließe» (ib., 211s.).

Auch wenn sich diese pauschalen Be- bzw. Verurteilungen von Libretti in der Forschung heute nicht mehr in diesem Maße halten lassen (cf. weiter unten in diesem Abschnitt) und zudem die fortschreitende Entwicklung der elektronischen Medien trotz einiger Missgriffe so manche solide Neu- oder Erstedition von Operntexten ermöglicht hat, gewinnt man doch manchmal den Eindruck, die zahlreichen, oft populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen trügen gerade zum Tradieren ihrer Unbeliebtheit bei. So finden sich beispielsweise ausgerechnet in der Einführung (mit der bezeichnenden Überschrift Das Libretto – Büchlein ohne Leser, cf. Finkbeiner 2002) zu Band 57 der Digitalen Bibliothek mit dem Titel Operntexte von Monteverdi bis Strauss. Originalsprachliche Libretti mit deutschen Übersetzungen (Hafki 2002) folgende bezeichnende Formulierungen: «Unter allen literarischen Gattungen fristet das Libretto, der Opern-, Operetten- oder Ballettext, das erbärmlichste Dasein. Gelesen wird es nicht, dafür ist es auch im engeren Sinne gar nicht geschrieben. [...] Der Librettist hat also wohl nur einen einzigen Leser, der zunächst an seinem Text unmittelbar interessiert ist, diesen aber doch schließlich nur auf den Gebrauchswert für sein eigenes Schaffen hin überprüft: das ist in den meisten Fällen der Komponist, seltener der Impressario [sic] oder Dramaturg eines Opernhauses. Während des Lesens ist dabei weniger sein literarisches Interesse als vielmehr bereits seine musikalische oder kaufmännische Phantasie aktiv. Er ist auch derjenige, der meistens über Wohl und Wehe des ‹Büchelchens› entscheidet, ob es also letztendlich in seiner Vertonung seinem eigentlichen Zweck, nämlich der Aufführung der Oper zugeführt wird, oder ob es, gar nicht erst vertont, der Vergessenheit anheimfällt, da es in dem Fall fast keine Aussichten auf irgendeine Form der Veröffentlichung hat. Über das Schicksal nicht komponierter Libretti ist nur in den aller seltensten Fällen irgend etwas in Erfahrung zu bringen. Als selbständige Literatur also kommt das Libretto nicht in Frage» (Finkbeiner 2000, o. P.).12

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Im Übrigen ist es auch bezeichnend, dass diese elektronische Edition von Operntexten nach den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Komponisten sortiert ist und die Librettisten nur am Rande erwähnt werden. Auch die Auswahl der Libretti ist schwer nachvollziehbar und nur teilweise durch die Erklärung zu rechtfertigen, dass man sich einerseits auf

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In der Forschung werden Libretti dagegen spätestens seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als Teil des literarischen Kanons anerkannt, vielleicht auch im Rahmen der allgemein geänderten Auffassung über Trivialliteratur. Etwa seit den 1970er Jahren gelangte man zu der Erkenntnis, dass das Libretto eine selbstständige Gattung darstellt und als solche nicht nur notwendigerweise ganz eigenen Gesetzen folgt, sondern auch einen Beitrag zur Erklärung von gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Vorgängen leisten kann.13 Die sich verändernde Bewertung dieser Gattung lässt sich gut an den entsprechenden Einträgen zum Stichwort Libretto in den beiden Auflagen der MGG verfolgen (cf. Blume 1951–1986 und Finscher 1994–2008).14 1960 hatte Anna Amalie Abert in vol. 8 der ersten Auflage das Libretto noch als nicht wirklich «literarisch» zu nennende Form charakterisiert: «Das Libretto bildet praktisch das Rückgrat jeder Oper [...]. Will ein Komp[onist] ein derartiges Werk schreiben, so muß er sich zuallererst um den Text bemühen, sofern ihm dieser nicht schon beim Auftrag gleich mit übergeben wurde. Auch das Publikum beginnt seine Auseinandersetzung mit einer Oper gemeinhin beim Libretto, schon darum, weil zu dessen Verständnis keine Spezialkenntnisse erforderlich sind. Trotz dieses scheinbaren Primats in der Praxis aber ist das Libretto durch seine Bestimmung zur Kompos[ition] seinem Wesen nach unselbständig, von vornherein auf die Mitw[irkung] der Musik hin angelegt und den Eigenheiten dieser Kunst angepaßt» (Abert 1960, 710).

Ihre Gesamtbewertung des Librettos liest sich denn auch entsprechend negativ: «Ein Libretto ist mithin zwar ein Gebilde aus Worten, aber keine Dichtung im landläufigen Sinne, es erweckt den Eindruck einer literarischen Gattung, ist aber mit literarischen Maßstäben nicht zu messen, obwohl es sich literarischer Formen und Praktiken bedient, denn sein Ziel liegt außerhalb seiner selbst» (ib., 710s.).

Im Sinne dieser noch in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts wurzelnden Auffassung ist das Libretto als ein Teil der Gebrauchsliteratur nicht als eigenständiges literarisches Kunstwerk anzusehen.15 Im 5. Band der zweiten Auflage der MGG von 1996 präsentiert sich der Artikel zum Libretto in völlig neuem Gewand: Was 1960 in ca. 19 Spalten von Abert abgehandelt wurde, ist nun von mehr als 20 Autoren

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die vom Deutschen Bühnenverein jährlich herausgegebene Werkstatistik gestützt und die Opern mit den höchsten Aufführungs- und Besucherzahlen bevorzugt aufgenommen habe und dass man zudem auf urheberrechtlich geschützte Textvorlagen verzichten musste, deren Librettist oder Übersetzer nicht seit mindestens 70 Jahren verstorben ist (cf. den in der Einführung enthaltenen Abschnitt Zur Textauswahl). Cf. Ringger 1978, 508s. MGG = Die Musik in Geschichte und Gegenwart, das umfangreiche Werk erschien erstmals in 17 Bänden von 1951 bis 1986 unter der Herausgeberschaft von Friedrich Blume und wurde in zweiter Auflage unter der Ägide von Ludwig Finscher 1994–2008 veröffentlicht (seither 26 Bände). Diese Auffassung wurde in den Folgejahren häufig unreflektiert übernommen; auch heute finden sich noch allenthalben Überreste dieser überkommenen ästhetischen Anschauungsweise (cf. zu diesem Thema auch Gier 1998b, 1s.).

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auf über 140 Spalten verteilt und berücksichtigt auch Randgebiete wie etwa das ostslawische, das sorbische oder das makedonische Libretto (cf. Borchmeyer et al. 1996). Das Libretto wird nun allgemein wertfreier betrachtet, doch auch hier ist man sich der Gattungsproblematik bewusst: «Das Libretto sitzt aufgrund seiner Funktionsgebundenheit an die Musik, aber eben als nicht-musikalisches Genre gewissermaßen zwischen den Stühlen der Musik und der Literatur sowie der auf sie bezogenen Wissenschaften. Lange fühlten sich weder Musikologie noch Philologie für diese Gattung zuständig. Sie genießt bis heute den schlechten Ruf einer subliterarischen Zweckgattung» (Borchmeyer et al. 1996, 1117).16

Seit einigen Jahren entwickelt sich nun ein Wissenschaftszweig, der sich selbst Librettologie, Librettistik oder Librettoforschung nennt.17 Besonders aktiv auf diesem Sektor sind zur Zeit etwa das Dokumentationszentrum für Librettoforschung unter der Leitung von Prof. Dr. Albert Gier (Universität Bamberg), das LesMuProjekt (Lessico della letteratura musicale italiana) an der Universität Florenz unter der Leitung von Fiamma Nicolodi und Paolo Trovato,18 sowie (bis Ende 2008) das Da Ponte-Institut für Librettologie, Don Juan-Forschung und Sammlungsgeschichte in Wien.19 Auch an diesen sind jedoch in der Mehrzahl Musikwissenschaftler beteiligt, cf. etwa das LesMu-Projekt, das ursprünglich wesentlich durch den Sprach- und Literaturwissenschaftler Gianfranco Folena inspiriert wurde. Zumindest wird dem Libretto heute also ein Platz innerhalb der literarischen Gattungsvielfalt eingeräumt, und es wird nicht mehr nur als leblose Vorform angesehen, die einzig dem Zweck dient, ein musikalisches Kunstwerk herzustellen. Das mag auch an der inzwischen anerkannten Tatsache liegen, dass an der Her-

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Zur Kritik auch an diesem Artikel cf. jedoch Gier 1998b, 3 und 13s. Er moniert vor allem, dass Borchmeyer et al. bei dem Definitionsversuch zum Libretto – wie viele andere auch – von der klassischen Tragödie ausgehen, was für Gattungen wie diese nicht günstig bzw. nicht zulässig ist. Als Pionierarbeit wird hier oft das – eher populärwissenschaftlich gehaltene und mitunter sehr vergnüglich zu lesende – Bändchen Kulturgeschichte des Librettos von Kurt Honolka genannt (cf. Honolka 1979). Noch 1986 bezeichnete allerdings Carl Dahlhaus die Librettoforschung als «eine noch unsichere, ihren Weg suchende Disziplin oder Teildisziplin, deren Ziele einstweilen ebenso wenig feststehen wie die Methoden, mit denen sie erreicht werden sollen» (Dahlhaus 1986a, 95). Den besten Überblick über die inzwischen sehr regen Aktivitäten auf diesem Sektor liefern heute die unter der Ägide von Albert Gier (Bamberg) zwei Mal jährlich erscheinenden Mitteilungen des Dokumentationszentrums für Librettoforschung, cf. den folgenden Abschnitt. Cf. auch die Einleitung zu dem Sammelband von Gier (1986a), in der der Herausgeber die Entwicklung der Librettoforschung seit den 1970er Jahren zusammenfassend darstellt (cf. Gier 1986b). Cf. hierzu Nicolodi/Trovato 1991 und die bisher erschienenen drei Bände der Reihe Le parole della musica (1994–2000). Seit 2007 ist das Lexikonwerk auf CD-ROM erhältlich, cf. Nicolodi/Trovato 2007. Letzteres existiert seit Ende 2008 nicht mehr, die Nachfolge hat das Da Ponte Research Center angetreten, cf. http://www.daponte.at; das Don-Juan-Archiv wurde 2007 ausgegliedert (cf. http://www.donjuanarchiv.at, beide zuletzt eingesehen am 16.01.2011).

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stellung von Libretti weitaus häufiger als angenommen auch die Komponisten beteiligt waren, so dass die Oper nicht mehr nur als mehr oder weniger gelungene Kombination von zwei unabhängigen Kunstprodukten angesehen wird, sondern als Ergebnis einer Durchdringung verschiedener künstlerischer Domänen. Mozart hat beispielsweise, da seine Suche nach guten bereits vorhandenen Textvorlagen ihn wenig zufrieden stellte,20 durchaus aktiv an der Entstehung und Gestaltung der Libretti zu seinen Kompositionen mitgewirkt; aus seinen Briefen geht hervor, dass er sich gerade zu den Ungereimtheiten der Handlung und der Wirkung auf der Bühne Gedanken gemacht hat. So schreibt er etwa 1780 an seinen Vater über das von Abbate Giambattista Varesco verfasste Libretto zu Idomeneo:21 «Sagen sie mir, finden Sie nicht, daß die Rede von der unterirdischen Stimme zu lang ist? Ueberlegen Sie es recht. – Stellen Sie sich das Theater vor, die Stimme muss schreckbar seyn – sie muss eindringen – man muss glauben, es sey wirklich so – wie kann sie das bewirken, wenn die Rede zu lang ist, durch welche Länge die Zuhörer immer mehr von dessen Nichtigkeit überzeugt werden? – Wäre im Hamlet die Rede des Geistes nicht so lang, sie würde noch von besserer Wirkung seyn» (Mozart an seinen Vater, 29. November 1780, ed. Kunze 1987, 175s.).

Die möglichst logisch nachvollziehbare Verbindung von Musik und Sprache war ihm ebenfalls ein wichtiges Anliegen: «Ich habe nun eine Bitte an H: Abbate; – die Aria der Ilia im zweyten Ackt und zweyten Scene möchte ich für das was ich sie Brauche ein wenig verändert haben – se il Padre perdei in te lo ritrovo; diese stropfe könte nicht besser seyn – Nun aber kömmts was mir immer NB: in einer Aria, unnatürlich schien – nemlich das à parte reden. im Dialogue sind diese Sächen ganz Natürlich – Man sagt geschwind ein paar Worte auf die Seite – aber in einer aria – wo man die wörter wiederhollen muß – macht es üble Wirkung – und wenn auch dieses nicht wäre, so wünschte ich mir da eine Aria – der anfang kann bleiben wenn er ihm taugt, denn der ist Charmant – eine ganz Natürlich fortfliessende Aria – wo ich nicht so sehr an die Worte gebunden, nur so ganz leicht auch fortschreiben kann, denn wir haben uns verabredet hier eine aria Andantino mit 4 Concertirenden Blas-Instrumenten anzubringen, nemlich auf eine flaute, eine oboe, ein Horn, und ein Fagott. – und bitte, daß ich sie so bald als möglich bekomme» (Mozart an seinen Vater, 8. November 1780, ed. Kunze 1987, 164s.).

Auch von Verdi, dessen Trovatore ein viel zitiertes Beispiel für eine Oper mit undurchschaubarer, unrealistischer Handlung darstellt,22 sind zahlreiche Briefe

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Cf. etwa Mozarts verzweifelte Äußerung: «ich habe leicht 100 – Ja wohl mehr bücheln durchgesehen – allein – ich habe fast kein einziges gefunden mit welchem ich zufrieden seyn könnte; wenigstens müsste da und dort vieles verändert werden. – und wenn sich schon ein dichter mit diesem abgeben will, so wird er vieleicht leichter ein ganz Neues machen» (Mozart an seinen Vater, 7. Mai 1783, ed. Kunze 1987, 329s.). Zu Mozart und seinen Librettisten cf. auch Beeson 1988, Gallarati 1993, Candiani 1994 und Scher 1994. Zu diesem Libretto und seinem Verfasser cf. weiter unten, Kap. 2.1. (Libretto mit der Korpusnummer Q6), und Kesting 2005, 16–23. Auch Kesting beschreibt die intensive Mitwirkung Mozarts am Entstehen des Librettos. So behauptet man vom Trovatore oftmals, selbst der Komponist habe sich nicht mehr

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an seinen Librettisten Cammarano überliefert, in denen deutlich wird, dass er als Komponist diese Szenarien absichtlich so anforderte und dass sie nicht Produkte eines mittelmäßigen Stückeschreibers sind. Mit dem Verhältnis von Sprache und Musik in der Oper hat er sich ebenfalls intensiv beschäftigt, vor allem mit dem Begriff des parlar cantando bzw. recitar cantando.23 Im Zusammenhang mit der Oper Aida fordert er die viel zitierte und diskutierte parola scenica von seinem Aida-Librettisten Ghislanzoni: «Ma quando in seguito l’azione si scalda mi pare che manchi la parola scenica. Non so s’io mi spiego dicendo parola scenica; ma io intendo dire la parola che scolpisce e rende netta ed evidente la situazione» (Brief von Verdi an Ghislanzoni, 17. August 1870, zit. nach Della Seta 1994, 274).24

Insgesamt kann man festhalten, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Librettisten und dem Komponisten um so enger sein muss, je weniger feste Formen und Regeln für die Verkettung von Sprache und Musik vorgegeben sind, was sich wiederum meist aus dem historischen Kontext ergibt. So konnte im 18. Jahrhundert wohl jeder halbwegs erfahrene Musiker ungefähr angeben, wie ein Libretto Metastasios zu vertonen wäre, während sich dies mit der fortschreitenden Loslösung von musikalisch-ästhetischen Vorgaben während des 19. Jahrhunderts bis heute als immer schwieriger erweist.25

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ganz in der Handlung zurechtgefunden, cf. Ringger 1978, 508, und id. 1984, 493–495. Cf. auch Dahlhaus 1989b, der das Libretto des Trovatore für «miserabel konstruiert und dennoch brauchbar» hält (ib., 32) und es als Beleg für seine These verwendet, die Substanz einer Oper sei das Sichtbare und nicht das Erzählbare. Zur Kritik an dieser Auffassung cf. jedoch Gier 1998a, 12s. Zur Herkunft des Ausdrucks recitar cantando (in Ergänzung zu cantar recitando, cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.2.), der schon um 1600 belegt ist, cf. Ringger 1978, 512, und Strohm 1998, 225. Cf. demnächst auch Overbeck in Vorbereitung. Im Anschluss an den zitierten Satz gibt Verdi ein Beispiel aus der Aida, das zeigt, warum Della Seta diesen kontrovers diskutierten Begriff als «vago e preciso insieme» (Della Seta 1994, 272) bezeichnet. Verdi drückt hiermit vermutlich eine Verflechtung von Sprache und Musik, aber auch Inszenierung aus, die nur schwer entwirrbar ist. Das Wort im Libretto soll, so fordert es Verdi von Ghislanzoni, vor allem in dramatische Handlung umzusetzen sein, weshalb der Librettist auf eine komplexe Syntax und Lexik verzichten und so dem Darsteller die Möglichkeit bieten soll, das Gesungene mit einfachen Mitteln durch Gesten und Bühnenaktion zu verdeutlichen. Zu dem Begriff der parola scenica bei Verdi cf. zusammenfassend Döhring 2006/2007; ausgelöst hatte die Debatte Dahlhaus 1980. Cf. dazu auch Ringger 1984, 503, und (auch zu weiteren musikdramatischen Begriffen Verdis) Goldin Folena 1995, bes. 244–250. Zur Zusammenarbeit von Verdi und Boito sowie anderen Librettisten cf. außerdem Telve 1998, 324–327 und passim, sowie Zoppelli 2001a und 2001b. Cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.2., sowie Gier 1998b, 8. Auch zwischen Rossini und seinem Librettisten Rossi ist eine enge Zusammenarbeit nachgewiesen, cf. Rossi 2005a, 30, cf. auch Libretto Q7 in der vorliegenden Arbeit. Serianni (2005, 113s.) berichtet von Beschwerden der Librettisten Puccinis über die komplizierte Zusammenarbeit mit diesem Komponisten.

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Bemerkenswert ist auch, dass sich bereits ab dem frühen 18. Jahrhundert unter Dramatikern, Librettisten und Komponisten durchaus ein Bewusstsein für die mitunter komischen oder absurden Seiten des Opernlebens feststellen lässt, das sich in zahlreichen Parodien und Satiren niedergeschlagen hat. So ist etwa das Intermezzo La Dirindina von Girolamo Gigli aus dem Jahre 1712 als frühe Opernparodie anzusehen, ebenso Metastasios Libretto L’Impresario delle Canarie von 1724 oder das von Baldassare Galuppi vertonte Libretto Le virtuose ridicole von Carlo Goldoni (1752).26 Kritisiert bzw. dem Spott ausgesetzt werden in diesen Parodien vor allem drei Aspekte des Opernbetriebes:27 Zum einen der soziologische Aspekt (etwa die Gestalten des Impresario – wie im Falle des genannten Librettos von Metastasio –, des Sängerstars und des protettore der Sängerin), zum anderen der theatralische Aspekt (Themen, Dramaturgie, Gesang, Musik; etwa schlecht ausgebildete Sänger) sowie – für den hier untersuchten Zusammenhang besonders relevant – der sprachliche Aspekt, nämlich eben jenes zumeist äußerst stereotype und weit von der Alltagssprache entfernte Librettoidiom.28 Wie lässt sich die Textsorte Libretto, die mittlerweile auf eine mehr als 400jährige Tradition zurück blicken kann,29 nun zusammenfassend definieren, wenn man sie nicht mehr nur als in Musik gesetztes Drama, sondern als komplexe Gattung mit eigenen Kriterien betrachtet? Als Grundlage einer defi nitorischen Eingrenzung sei hier in Kurzform die von Albert Gier in seinem Standardwerk zum Libretto (cf. Gier 1998a) vorgenommene Strukturierung referiert. Gier setzt sich von früheren Definitionen wie den bereits zitierten ab, nach denen das Libretto «ein zur Komposition bestimmter Text, dessen Inhalte und Form entscheidend durch die Rücksicht auf diese Bestimmung geprägt werden» (Abert 1960, 708) sei, da hier etwa ein Sonderfall wie die Literaturoper nicht eingeschlossen wäre.30 Er erweitert daher diese Definition: «Als Libretto wäre demnach nicht der zur Vertonung bestimmte, sondern jeder vertonbare dramatische Text zu bezeichnen» (Gier 1998a, 6) und empfiehlt einen eher semiotischen statt literaturhistorischen Zugang.31 Zur

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Cf. hierzu ausführlicher Ringger 1987, 544s. Zu Goldonis komischen Librettotexten cf. auch Folena 1983, 307–324. Cf. hierzu auch Ringger 1987, 545ss. Konkret illustriert wird diese Kritik z. B. durch in den weiter unten in Kap. 1.3. wiedergegebenen Zeilen aus dem Stück Il poeta di teatro (1808) von Filippo Pananti. Als erstes Libretto wird allgemein Ottavio Rinuccinis Dafne angesetzt, das 1598 zuerst von Iacopo Peri vertont wurde, cf. Gier 1998a, 5 und 41–46. Dagegen cf. jedoch Leopold 2004, 61, die die Uraufführung von L’Euridice derselben beiden Künstler am 6. Oktober 1600 als Geburtsstunde der Oper bezeichnet. Als Literaturoper bezeichnet man ein (auch älteres) Sprachdrama, das von einem Komponisten des 20. oder 21. Jahrhunderts bearbeitet und vertont wurde, das aber genuin nicht zur Komposition verfasst wurde, cf. Gier 1998a, 6. Zu diesem Komplex cf. auch Roth 1999. Cf. hierzu ergänzend Gier 1998b. Hier stellt sich natürlich die Frage, welcher – zumal dramatische – Text nicht vertonbar wäre und ob diese Definition daher nicht als zu offen gelten muss. Sicherlich gibt es mehr oder weniger für die musikalische Aufführung geeignete Texte, doch ist nicht theoretisch jeder Text ein mögliches Libretto?

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Verdeutlichung zitiert Gier eine Kategorie, die Thomas Beck in seiner 1997 veröffentlichten Dissertation zu den Libretti Ingeborg Bachmanns für Hans Werner Henze eingeführt hat, nach der ein Libretto-Text durch eine «semantische Unterdetermination» (Beck 1997, zit. nach Gier 1998b, 6) charakterisiert wird. Damit gemeint ist eine gewisse Offenheit des als Libretto konzipierten Textes, der bestimmte Leerstellen aufweisen soll, die der Komponist dann durch musikalische Mittel füllen kann. So hat etwa Ingeborg Bachmann absichtlich bestimmte expressive Metaphern aus ihren Texten entfernt, um der Musik nicht allzu sehr vorzugreifen bzw. diese nicht zu stark zu lenken. Für die Musikästhetik der Moderne sei dieser Ansatz, so Gier, durchaus nachvollziehbar, doch zeichnen sich etwa die Arien in der Barockoper eher durch eine Übercodierung in Text und Musik als durch mit Musik gefüllte Leerstellen aus (cf. ib., 6), man denke etwa an die unzähligen Wellenmetaphern, die im Text einen Seelenzustand der betreffenden Figur beschreiben und die zusätzlich durch entsprechende Orchesterbewegungen musikalisch unterstützt werden. Es sind also, so kann man also aus der Diskussion schlussfolgern, stets die Zeitumstände zu berücksichtigen, unter denen ein Libretto entstanden ist, wenn man seine Gestalt eindeutig definieren möchte. Eine für alle Libretti geltende Definition muss, wenn sie umfassend sein soll, recht allgemein und abstrakt bleiben. Dennoch gibt es natürlich einige wesentliche Merkmale, die im Prinzip alle Libretti aufweisen; diese sind nach Gier 1. Kürze, 2. diskontinuierliche Zeitstruktur, 3. Selbstständigkeit der Teile, 4. Kontraststruktur und 5. Primat des Wahrnehmbaren (cf. Gier 1998a, 14). Die Kürze als relative Kategorie ergibt sich aus der Tatsache, dass gesungener Text stets eine längere Zeitdauer ausfüllt als gesprochener; je nach Epoche lässt sich hier für den Umfang von Opern- gegenüber Schauspieltext ein Verhältnis zwischen 1 : 1,5 und 1 : 3 angeben.32 Die Anzahl der Verse eines Librettos kann zumeist mit ca. 1000 umrissen werden (natürlich in Abhängigkeit von der Verslänge); Libretti Zenos oder Metastasios weisen allerdings meist 1500 und mehr Verse auf.33 Die diskontinuierliche Zeitstruktur der Oper stellt einen der Hauptgegensätze zum Schauspiel dar; während im Sprechtheater das Redetempo dem des Alltagsgesprächs zumindest annähernd entspricht, sind vor allem Arien im Zeitverlauf stark gedehnt, während Rezitative die Handlung eher vorantreiben.34

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Cf. ib., 6. War für eine Barockoper eine Aufführungslänge von 5–6 Stunden durchaus nicht ungewöhnlich, so wurde die Toleranz des Publikums in späteren Jahrhunderten selten länger als 3–4 Stunden in Anspruch genommen (sieht man von Sonderfällen wie den Wagner-Opern einmal ab). Cf. hierzu auch die quantitativen Angaben zur Länge der in der vorliegenden Arbeit analysierten 14 Libretti weiter unten, Kap. 2.1., 3.1. und 3.2. Mit dem Verhältnis von Statik und Dynamik in Oper und Schauspiel hat sich besonders Carl Dahlhaus beschäftigt (cf. z. B. Dahlhaus 1989a). Dessen stark polarisierende Darstellung relativiert Gier jedoch, cf. Gier 1998b, 10s. Cf. zu dieser Thematik auch

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Ein besonders typisches Kennzeichen des Librettos ist die Selbstständigkeit seiner Teile. Die verschiedenen Bilder oder Akte sind zumeist in sich abgeschlossen, oft ist – schon aus dramaturgisch-praktischen Gründen – die Einheit von Ort und Handlung innerhalb eines solchen Bildes oder Aktes gewährleistet, sie ändert sich jedoch oft mit dem nächsten Abschnitt. Mit der Kontraststruktur des Librettos ist jene Opposition gemeint, die den meisten Operntexten ihre Dynamik verleiht. Teilweise ist diese Opposition auf die zentrale Figur fokussiert, wie etwa die in der italienischen opera buffa oder seria oftmals anzutreffende Thematik der getauschten oder falschen Identität (die Adlige als Magd, der König als Hirte etc.), teilweise ergibt sie sich aus verschiedenen entgegen gesetzten Prinzipien, die durch unterschiedliche Figuren oder Figurengruppen dargestellt werden. Diese Kontraststruktur findet sich nun sicherlich auch im Sprechtheater, doch ist sie nach Gier in Verbindung mit Musik statischer (Arie, gesungener Monolog, im Gegensatz zur eher dynamischen Struktur im Drama) und dadurch deutlicher ausgeprägt (cf. ib.).35 Beide stellen wie in narrativen Texten die Differenz zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit auf der Bühne dar, doch wird die Kluft zwischen fiktiver und realer Zeit in der Oper stärker wahrgenommen, da hier selbst in Dialogen das Sprechtempo durch die Musik beliebig variiert werden kann, was im Sprechdrama kaum möglich ist. Die Dominanz des Wahrnehmbaren ergibt sich schließlich aus der Tatsache, dass die Oper eine «multimediale Kunstform» (ib., 13) ist, in der nicht nur das Sichtbare, sondern alles Wahrnehmbare der Sinndeutung durch den Zuschauer dient. Muss im Sprechtheater oftmals aus einer Andeutung oder aus Gestik und Mimik der Schauspieler auf ein außerhalb der reinen Texthandlung liegendes Phänomen – etwa den Seelenzustand einer Figur – geschlossen werden, so kann in der Oper zum einen die Musik «unsagbare» Nuancen hörbar machen, zum anderen werden aber vom Libretto vorgegebene Empfindungen auch ausgesprochen, etwa in einer Arie zum Liebesleid einer Figur: «Die Reihung weitgehend statischer Bilder führt zum Vorrang des Zuständlichen gegenüber dem Prozeßhaften» (ib., 13). Zu ergänzen wäre noch, dass sich das Libretto nicht zuletzt dadurch von anderen literarischen Gattungen unterscheidet, dass es zahlreiche metatextuelle Informationen enthält. So finden sich im Libretto – vor allem dem des 17. und 18. Jahrhunderts – nicht nur die bereits zitierten Schwellentexte wie Inhaltsangabe, Liste der Akteure, Widmung etc.,36 sondern auch Angaben zu Aufführungsort

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Dechant 1993, 10–12 und passim, sowie weiter unten, Kap. 2.2.3. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass im Libretto selbst etwa die Arientexte natürlich nicht ständig wiederholt werden, sondern dass auf die musikalische Struktur durch bestimmte Handlungsanweisungen nur hingewiesen wird (wodurch wiederum teilweise seine relative Kürze bedingt ist). Hinzuzufügen wäre noch, dass das Hinzutreten der Musik und bestimmte kompositorische Mittel vorhandene Antithesen noch hervorheben können (cf. etwa die Wagnersche Leitmotivtechnik). Cf. weiter oben in diesem Abschnitt und weiter unten, Kap. 1.2.

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und -datum, zu Handlungsort und -zeit, Regieanweisungen für die Sänger oder (und hier geht es über das Sprechtheater hinaus) Hinweise auf zu verwendende Instrumente oder musikalische Aufführungspraktiken. Spezifisch besonders für die frühen Libretti sind auch Textpassagen, die nur zur Lektüre bestimmt sind und durch so genannte virgolette vom zum Vortrag vorgesehenen Text abgetrennt werden.37 Mit Charakteristika dieser Art bestätigt das Libretto seinen Rang als autonome literarische Gattung entgegen allen geschilderten Vorbehalten. Diese bestehen verständlicher Weise auch aus musikwissenschaftlicher Perspektive, aus der heraus man sich fragen muss, ob ein Text, der ausschließlich zur Vertonung geschrieben wurde (abgesehen sei hier von der weiter oben zitierten Literaturoper), überhaupt ohne sein musikalisches Pendant betrachtet werden kann.38 In der Literatur- und Sprachwissenschaft wird dies durchaus so gehandhabt, wie weiter oben bereits geschildert wurde (cf. die Einleitung dieser Arbeit sowie Roccatagliati 1996, 119, und Gronda/Fabbri 1997, XIVs.). Einen weiteren erwähnenswerten Ansatz zur Typisierung des Genres Opernlibretto skizziert Rossi (cf. ib., 26s.), wenn er das Konzept der Inter- bzw. Hypertextualität auf Opernlibretti bezieht. Dieses Konzept wurde in den 1980er Jahren von Gérard Genette entwickelt und ursprünglich nicht auf eine literarische Gattung beschränkt (cf. Genette 1982). Es lässt sich jedoch sehr gut auf Theater- und Operntexte mit ihren zahllosen Veränderungen, Übernahmen, Neufassungen, Wiederholungen und Bearbeitungen übertragen (cf. Cioni 1993 und Emanuele 2001).39 Libretti sind danach, mehr als Sprechtheatertexte, auch dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund ihrer teilweise nicht klar nachvollziehbaren Autorschaft sehr komplexe und vielschichtige Texte darstellen. Ähnlich wie bei der mittelalterlichen Handschriftenüberlieferung kann man oftmals kaum einen «Urtext» ausmachen,40 denn dadurch, dass vielfach bereits ein denkbares «Urlibretto», also eine von einem Librettisten geschriebene, autorisierte und noch nicht vom Komponisten in Musik umgesetzte Version, lediglich eine Bearbeitung älterer Stoffe, Motive, Werke darstellt, handelt es sich nur selten um einen freien, selbstständigen Text.

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Cf. hierzu Dubowy 1995, 1460s., und weiter unten, Kap. 2.1. Für die Darstellung dieser Perspektive danke ich Herrn Prof. Dr. Andreas Waczkat, Musikwissenschaftler an der Georg-August-Universität Göttingen. Auch bei dieser interessanten und nicht abschließend beantwortbaren Frage muss man vermuten, dass eine einheitliche Antwort für alle Libretti nicht möglich ist. So kann man als weiteres Argument für die Autonomie zumindest der frühen Libretti z. B. die Tatsache anführen, dass diese durchaus auch als Buch behandelt wurden, das im Regal stand und unabhängig von jeder musikalischen Komponente gelesen wurde (cf. hierzu weiter unten, Kap. 1.2.). Dies trifft für die Libretti des 19. Jahrhunderts jedoch deutlich weniger zu; diese Veränderung liegt auch in der Sprache der jeweiligen Libretti begründet, was u. a. durch die vorliegende Arbeit belegt werden soll. Erwähnenswert ist hier auch die interessante These der «intertestualità intersemiotica» des Theaters (Cioni 1993, 393). Cf. hierzu etwa Overbeck 2003b.

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Häufig werden zudem im Verlauf der Vertonungsgeschichte von den Librettisten selbst Umschreibungen vorgenommen bzw. Zweit- oder Mehrfachfassungen erstellt, etwa um einem veränderten Zeitgeschmack nachzukommen, einen anderen Komponisten zu beliefern oder um Beschränkungen eines Impresarios oder Regisseurs bezüglich Aufführungsort, Orchesterstärke, Sängerbesetzung o. ä. zu berücksichtigen. Teilweise verwertet auch ein Librettist eine Szene, meist eine Arie, in zwei oder mehreren Opern (cf. hierzu die weiter unten in Kap. 1.2. geschilderte Pasticciotechnik Metastasios und seiner Zeitgenossen). Ist das Libretto eine Auftragsarbeit, entsteht es also in einem durch verschiedene Herrscher, Mäzene, Impresarii mehr oder weniger eng vorgegebenen Kontext, wird es erst Recht zu einem mehrdimensionalen, variablen Text. Ebenso wird jede Inszenierung einer Oper anders ausfallen, da sich die praktischen Umstände von Aufführung zu Aufführung verändern und auch den Text beeinflussen können. Ein Opernlibretto ist aus dieser Perspektive im Prinzip ein virtuelles, multivalentes Gebilde, das durch seine fast schon hypertextuell zu nennenden Züge nur schwer fassbar und kaum definierbar ist.41 Die geschilderten Komplikationen sollen nun jedoch nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass es unmöglich ist, das Opernlibretto und seine Sprache eingrenzen zu können. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, kann man aus linguistischer Sicht sehr wohl eine Messlatte anfertigen, anhand derer sich vor allem sprachliche Charakteristika dieses Genres detailliert festmachen und es gegenüber anderen Gattungen abgrenzbar werden lassen.

1.2.

Sprache und Musik: ein ungleiches Paar?

In ihrer nunmehr rund 400jährigen Geschichte ist die Oper stets und unbestritten als zusammengesetzte Kunstform angesehen worden, in welcher Musik und Sprache in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander auftreten. Das Verhältnis jedoch, in dem die beiden Komponenten zueinander stehen, ist immer wieder neu defi niert worden. «Prima la musica e poi le parole»?42 Oder doch «prima le parole e dopo

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Zusätzlich finden sich auch Beispiele, in denen der Komponist ein Libretto für die Komposition einrichtet, und dies sowohl mit als auch ohne Beratung durch den Librettisten, wie etwa die vier verschiedenen Vertonungen von Metastasios Ezio durch Hasse (1730 und 1755), Händel (1732) und Graun (1755) zeigen, die sämtlich von der «Urform» des Librettos abweichen, cf. hierzu ausführlich Thöming 1999. Richard Wagner bildet auch hier wieder einen Sonderfall, indem er als Librettist seiner eigenen Kompositionen fungierte. So der Titel eines Divertimento teatrale von Giambattista Casti (vertont von Antonio Salieri) aus dem Jahre 1786, cf. PEnz 5, 534–536, und Ringger 1987, 545. Die Auffassung von der Dominanz der Musik wurde erstmals explizit von Pier Jacopo Martello im Jahre 1714 vertreten, cf. Gier 1998a, 22, und Martello 1715.

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la musica»?43 Für die Beschreibung des dialektischen Verhältnisses werden gerne die Metaphern von Vater und Tochter oder Herr und Diener herangezogen, so etwa in der viel zitierten Aussage Mozarts: «bey einer opera muß schlechterdings die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn» (Brief an den Vater vom 13.10.1781, ed. Kunze 1987, 270). Ebenfalls oft zitiert wird die Aussage Hofmannsthals, die Dichtung könne «nur ein Drahtgestell sein, um die Musik gut und hübsch daran aufzuhängen» (cf. etwa Abert 1960, 710, und Honolka 1979, 14).44 Die entgegen gesetzte Auffassung findet sich etwa bei Christoph Willibald Gluck: «Ich versuchte... die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, nämlich der Poesie zu dienen» (cf. Honolka 1979, 15).45 Um diese aus dem kulturwissenschaftlichen und chronologischen Kontext gerissenen Zitate nachvollziehen und interpretieren zu können, muss man die wechselvolle Geschichte der Oper von ihren Anfängen an verfolgen. Der nun folgende kurze Abriss der Operngeschichte kann (und soll) keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung erheben, sondern lediglich einen Hintergrund für die in der vorliegenden Arbeit präsentierten Analysen bilden. Dem entsprechend werden nur diejenigen Aspekte erwähnt, die für das Verhältnis von Sprache und Musik im Laufe der Zeit relevant sind.46

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So die Formulierung des Dichters Olivier (passim) in Richard Strauss’ Capriccio (1942), einer Oper über die Oper (cf. Krauss/Strauss 1980), der auch meint: «Poesie ist die Mutter aller Künste» (ib., 149). Sein Diskussionspartner, der Komponist Flamand, nimmt die Gegenposition ein («Musik ist die Wurzel, der alles entquillt», ib., 149s.). Richard Strauss entzieht sich übrigens geschickt einer Entscheidung zwischen Wort und Ton, indem er den Ausgang des Streits wie auch der geschilderten Liebesgeschichte am Ende offen lässt. Cf. auch Honolka 1979, 13s. (Kapitelüberschrift Prima la musica – prima le parole). Gianfranco Folena betitelt einen Aufsatz zu Scipione Maffei mit «Prima le parole, poi la musica» (cf. Folena 1983, 235ss.). Cf. jedoch auch den Hinweis von Gier (1998b, 1), dass dieses Zitat oft unvollständig aufgeführt wird und dadurch missverständlich wirkt; Hofmannsthal selbst ergänzte die Möglichkeit, der Librettist könne auch ein «mehr dienendes Verhältnis der Musik» verlangen (cf. auch Abert 1960, 710). Goethe tendiert zur gegensätzlichen Meinung, so erteilt er den Rat, «die Poesie der Musik zu subordinieren» (Goethe an den Komponisten Philipp Christoph Kayser vom 14.10.1787, cf. Borchmeyer et al. 1996, 1120). Cf. auch Strohm 1979, 32, der das Gegensatzpaar la musica serva della parola vs. la parola serva della musica zitiert. Das in diesem Zusammenhang oftmals herangezogene Diktum «L’orazione sia padrona del armonia e non serva» stammt nicht, wie etwa bei Honolka (1979, 15) angegeben, von Claudio Monteverdi, sondern von Giulio Cesare Monteverdi und steht in Zusammenhang mit der sog. Monteverdi-Artusi-Kontroverse. Es ist zudem auf die Textvertonung im Madrigal bezogen und weist keinerlei thematische Verbindung mit der zu dieser Zeit erst in Entstehung begriffenen Oper auf. Ich danke Prof. Dr. Andreas Waczkat (Göttingen) für diesen Hinweis. Als Referenz und Grundlage einer ausführlicheren Übersicht sei hier auf die Bände 11, 12 und 13 aus dem Handbuch der musikalischen Gattungen (cf. Mauser 1993–2006) verwiesen, die das 17., 18. und 19. Jahrhundert betreffen (cf. Leopold 2004, Schneider/ Wiesend 2001 und Döhring/Henze-Döhring 1997).

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Dass die ersten Opern das Wort der Musik voranstellten, ergibt sich aus ihrer historischen Entstehung: Am Ende des 16. Jahrhunderts verbreitete sich die Auffassung, die antiken Tragödien seien in einer Art Gesang vorgetragen worden (cf. Gier 1998a, 41, und 257 n. 1). Ein von den frühen, dem antiken Ideal anhängenden Operndichtern wie auch Komponisten gemeinsam angestrebtes Ziel war demnach eine möglichst hohe Textverständlichkeit. Die Folgen dieser Bestrebungen waren nicht nur die Verdrängung der mittelalterlichen Polyphonie durch die neu aufkommende Monodie, sondern auch die Entstehung des stile recitativo,47 der danach in Form des Rezitativs lange Zeit einen der typischen Bestandteile der Oper bilden sollte. Die Verbindung von Sprechen und Singen (cantar recitando) 48 besteht in den frühen Opern daher mehr in der Unterstreichung denn in der Interpretation des Textes durch die Musik, wobei der Komponist nur in gewissen Ausnahmefällen seine Kunst durch musikalische Verzierungen zur Schau stellte. Der Text der frühen Opern ist bereits geteilt in eher erzählende, unregelmäßige und eher kommentierende, strophische Partien, aus denen sich auf musikalischer Ebene das Rezitativ als Ort der «Affekt-Begründung» und die Arie als Ort der «Affekt-Darstellung» (Gier 1998a, 42, Hervorhebungen vom Autor) ergeben.49 Die Mischung dieser beiden Ebenen ist aus gattungstypologischer und metrisch-stilistischer Sicht

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Cf. Gier 1998a, 41s., nach dem man Jacopo Peri als Erfinder dieses Stils bezeichnen kann; er zitiert als Beleg eine Stelle aus Peris Euridice-Vorrede (1600): «[...] veduto che si trattava di poesia drammatica, e che però si doveva imitar col canto chi parla (e senza dubbio non si parlò mai cantando), stimai che gli antichi Grechi e Romani, (i quali secondo l’opinione di molti cantavano su le scene le tragedie intere) usassero una armonia, che avanzando quello del parlar ordinario, scendesse tanto dalla melodia del cantare, che pigliasse forma di cosa mezzana» (ib.). Cf. weiterhin das Zitat da Gaglianos in der folgenden Fußnote. Aus diesem Umkreis entstammt auch das «erste gedruckte Libretto der Musikgeschichte» (Borchmeyer et al. 1996, 1124), La Dafne von Ottavio Rinuccini aus dem Jahre 1598, das Jacopo Peri erstmals in Musik umsetzte; cf. Gier 1998a, 41–46, und Libretto E1 im hier zu Grunde liegenden Korpus (zu dessen Beschreibung cf. weiter unten, Kap. 2.1.). Zum Diskurs über die Form der frühen Opern cf. Di Benedetto 1988. Zum stile recitativo und der Herleitung aus lat. recitare, das zunächst in Ergänzung bzw. als Abgrenzung zu cantare verwendet wurde, cf. Strohm 1998, 224–226. Cf. zu diesem Themenkomplex demnächst auch Overbeck in Vorbereitung. Gier verwendet hier die deutsche Übersetzung der «musikalischen Rede» (ib., 41). Seltener findet sich auch die umgekehrte, aber synonym gebrauchte Formulierung des recitar cantando, cf. das Zitat aus M. da Gaglianos Vorrede zu einer Ausgabe von La Dafne aus dem Jahr 1608: «[...] ritrovò il Sig. Jacopo Peri quella artifiziosa maniera di recitar cantando, che tutta Italia ammira» (nach Strohm 1998, 225). Bereits zu Beginn dieser historischen Entwicklung werden die strophischen Gebilde als aria bzw. arietta bezeichnet, cf. hierzu Ruf 1994, 809–813. Demnach ist die Etymologie von dt. Arie (seit ca. 1620), it. aria (seit 1550, cf. DELI, 125), frz. air/aire, prov. aire/ agre, engl. air/ayre etc. nicht eindeutig geklärt und kann sowohl auf lat. aer ‘Luft’ als auch auf lat. ager ‘Acker, Heimat, Familie, Art’ zurückgeführt werden (cf. ib. 809). Nach Ruf ist hier eine semantische Doppelschichtigkeit anzunehmen, die sich «einerseits auf die Luft als physikalische Substanz der Musik und andererseits auf die Art und Weise eines musikalisch Dargebotenen oder Komponierten» (ib.) bezieht. Zu den ältesten Libretti aus metrischer Sicht cf. Fabbri 2003, 36–45.

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eine besondere Errungenschaft der Oper dieser Zeit, denn sie ist dadurch keine reine Gattung mehr: Während die Rezitative mit ihren willkürlich zusammen gestellten Sieben- und Elfsilbern von ihrer Versform her den mittelalterlichen Madrigalen nahe kommen und damit den hohen Stil einer Tragödie erreichen können, sind die Arien mit ihrer strophischen Form eher dem mittleren Stil zuzuordnen (cf. Gier 1988, 42, und Mehltretter 1994, 48–52). Im Laufe der Operngeschichte verliert sich diese klare Differenzierung in zunehmendem Maße. Zwar bleiben die verschiedenen Dichtungsformen (versi sciolti in Rezitativen, gesungene Lyrik in Arien) und Vortragstypen (Monolog/Dialog) über die Zeit hinweg weitgehend unverändert, doch kann man bereits bei Metastasio nicht mehr von unterschiedlichen Diskurstypen sprechen, da er nicht – wie weiter oben erwähnt – stringent zwischen Erzählung und Affektdarstellung differenziert, sondern je nach Handlungsführung durchaus auch affektstarke und affektschwache Stücke in Arien- wie in Rezitativform verwendet (cf. Schneider/Wiesend 2001, 29).50 Die ersten Opern sind als pastorale Tragikomödien zu bezeichnen, zumal sich der Begriff opera als Gattungsbezeichnung erst später durchsetzt.51 Hier sind auch die im Korpus der vorliegenden Arbeit enthaltenen Werke La Dafne von Ottavio Rinuccini (vertont von Iacopo Peri, Korpusnr. E1) und La favola d’Orfeo von Alessandro Striggio (vertont von Claudio Monteverdi, Korpusnr. Q1, Beschreibung cf. Kap. 2.1.) einzuordnen. Ein weiteres wichtiges Zentrum für die Weiterentwicklung der Oper und für die Diskussion um das Primat von Sprache oder Musik ist Venedig, wo die Oper nun erstmals zu einem öffentlichen Unterhaltungsinstrument wird.52 Im Jahre 1637 finden die ersten Aufführungen vor zahlendem Publikum statt (cf. Gier 1998a, 49). Von der höfischen Aufführung vor adeligem Publikum wandelt sich die Oper zu einer Belustigung für alle sozialen Schichten, verbunden mit dem Karneval, während dessen alle Normen für wenige Tage in spielerischer Weise aufgehoben werden. Daher ist es nachvollziehbar, dass die venezianischen Libretti nicht mehr mit der aristotelischen Regelpoetik gemessen werden können; die zu-

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In diesem Zusammenhang sei auch auf den treffenden Begriff des chiaroscuro hingewiesen, der den Wechsel zwischen Extrem- und Mittelwerten beschreibt, cf. ib. Zur Differenzierung zwischen Rezitativ und Arie cf. auch Dechant 1993 und Maeder 1993, 45–131, sowie weiter unten, Kap. 2.2.3. Cf. DELI, 1078; demnach wurde der Begriff opera im Sinne von ‘opera musicale’ zum ersten Mal offiziell im Jahre 1639 für das in Venedig uraufgeführte Werk Le nozze di Tetide e Peleo (vertont von Pietro Francesco Cavalli) verwendet. Der sich im 17. Jahrhundert vollziehende begriffliche Übergang von opera ‘lavoro (teatrale)’ zu opera ‘melodramma’ ist jedoch nicht mehr eindeutig nachvollziehbar; evtl. handelt es sich sogar um eine semantische Lehnprägung aus dem Französischen (cf. ib.). Zur Musikterminologie im 17. Jahrhundert cf. auch Gargiulo 1994. Ein weiteres Zentrum der wechselvollen Operngeschichte war – nach Florenz und Mantua – zeitweise Rom, u. a. repräsentiert durch Giulio Rospigliosi (ab 1667 Papst Clemens IX.), cf. Leopold 2004, 67–70, und Dechant 1993, 37–44 (zu Venedig cf. ib., 45–57). Zur Geschichte der Oper in Venedig im Folgejahrhundert (18. Jh.) cf. Muraro 1981.

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vor bereits erkennbare Gattungs- und Stilmischung wird hier verstärkt und z. T. bewusst eingesetzt (cf. Mehltretter 1994, bes. 20–37). An diesem Punkt beginnt zudem die eigentliche Geschichte des Librettos als Druckwerk: Um den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, die Oper mitzulesen, wurden vor der Aufführung kleine Textheftchen verkauft und im Kerzenschein mitverfolgt.53 Die Einnahmen aus dem Verkauf durfte der Librettist behalten, der sich auch um die Veröffentlichung sowie einen Mäzen für den Druck zu kümmern hatte. Diesem wurde dann in einer Widmung zu Beginn des Librettos gedankt.54 Die Librettisten der venezianischen Opern waren teils Berufsschriftsteller, teils Juristen oder auch – oft adelige – Laien (cf. Fabbri 2003, 77),55 da in den immer zahlreicher werdenden Opernhäusern eine ständige Nachfrage nach neuen Stücken bestand. Dies führte auch zu einer Veränderung des Ansehens der Librettisten und des Opernbetriebs im Allgemeinen: «‹Der Poet› weicht dem Librettisten-Handwerker, der allein noch den Massenbedarf befriedigen kann, die Arie hält triumphalen Einzug im Opernhaus, und mit ihr der Sängervirtuos. In Neapel wird Oper vollends zum Vorwand für Belcanto-Produktionen, Handlung und ‹Drama› Nebensache. Sie erstarren zum Typus. Das hat den Vorteil, daß sich Librettos am laufenden Band herstellen lassen [...]» (Honolka 1979, 16).56

Inhaltlich stellen die venezianischen Libretti keine einheitliche Gruppe dar, so bedienen sich die Librettisten der antiken Mythologie wie der mittelalterlichen Ritterepik oder historischer Stoffe. Aus formaler Sicht sind sie dagegen eher stereotyp: Sie sind recht kurz und einfach gehalten (weniger als 1000 Verse; Metastasios Libretti haben in der Regel ca. 1500 Verse) und weisen ähnliche Figurenkonstellationen und -typen auf, etwa den treuen Diener, den weisen König oder die komische Amme (cf. Gier 1998a, 55). Die Verwendung dieser Rollentypen bedingt eine inhaltliche Festlegung auf bestimmte, immer wiederkehrende Situationen, die meist in Arien zum Ausdruck gebracht werden, etwa Schlaflied, Verhör

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Cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 1.1. Cf. auch Gier 1998a, 54, und Fabbri 2003, 79s. Gier (1998a, 54) bezeichnet diese Widmungen, zusammen mit anderen Angaben wie dem Vorwort (avvertenza), einer Inhaltsangabe (argomento), einem Personenverzeichnis etc., als Schwellentexte (cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 1.1.) und weist darauf hin, dass diese für eine (literaturwissenschaftliche) Analyse äußerst informativ sind. So ist es sehr zu begrüßen, dass in modernen Editionen mehr und mehr auch diese die Kontextualisierung der Oper erleichternden Informationen mitgeliefert werden, cf. etwa die vorbildliche Edition der drammi per musica Metastasios durch Bellina 2002–2004 oder die Anthologie Libretti d’opera italiani von Gronda/Fabbri 1997. Zur Edition von Musiktexten cf. allgemein Borghi/Zappalà 1995, darin v. a. die tavola rotonda zum Thema La filologia dei libretti (ib., 421–482). Cf. auch Bianconi 1995a und 1995b. Typische Vertreter der venezianischen Librettisten waren Mateo Noris, Nicolò Minato und Aurelio Aureli; von den beiden Letztgenannten wird je ein Libretto in der vorliegenden Arbeit analysiert: Xerse (Minato, 1654, Korpus-Nr. E2) und L’Orfeo (Aureli, 1672, Korpus-Nr. Q2), Beschreibung cf. Kap. 2.1. Cf. hierzu auch Dubowy 1995, 1460s.

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oder Wahnsinnsszene.57 Die Oper nähert sich dabei mehr und mehr der Commedia dell’arte an, indem sie ebenfalls feste Rollen und versatzstückähnliche Situationen immer wieder neu aneinander reiht. Die Sprache nimmt dadurch zwangsläufig an Bedeutung ab, denn wo der Zuschauer auf eine ihm bereits aus anderen Opern bekannte Struktur stößt, ist das Textverständnis mitunter nur noch sekundär, und der Kunstgenuss resultiert in zunehmendem Maße aus dem Vergnügen an Musik und Inszenierung. Dieses Strukturprinzip der Reihung betrifft nun aber nicht nur, wie man erwarten könnte, die komischen Elemente der venezianischen Oper, sondern durchaus auch ernste Handlungsabschnitte, und hier liegt wohl der Grund dafür, dass es sich in der Geschichte der Oper durchsetzen sollte (cf. ib.). Es stellt zudem den Hauptunterschied zu den ersten Opern dar, etwa den Vertonungen der Libretti von Alessandro Striggio und Ottavio Rinuccini, die noch einen einzigen großen Spannungsbogen und einen mehr oder weniger linearen Handlungsablauf aufwiesen (cf. auch Borchmeyer et al. 1996, 1126). Die venezianischen Libretti «mit ihrer nachdrücklichen Nichtbeachtung jeglicher Regelpoetik» (ib.) behielten ihren Modellstatus noch bis fast zum Ende des 17. Jahrhunderts: «Dabei kamen die Librettisten zunehmend der wachsenden Schaulust des Publikums entgegen, die nicht nur durch Bären und Meeresungeheuer, sondern auch durch Bühneneffekte wie Blitz und Donner, Seestürme, Sprünge von brennenden Türmen ins rettende Wasser eines Burggrabens oder einstürzende Paläste befriedigt wurde» (ib.). Erst die im Jahre 1690 in Rom gegründete Accademia dell’Arcadia gebot der immer weiter ausufernden Karnevalisierung der Oper Einhalt. Ihre Forderung nach einer Rückbesinnung auf die klassische Antike und die italienischsprachige Literatur des 14. bis 16. Jahrhunderts, vor allem Petrarca, bewirkte auch bei den Librettisten ein Umdenken, die sich nun zunehmend bemühten, eine eigene Regelpoetik zu etablieren. Dies betraf nun vor allem die Arien, deren Anzahl gekürzt und fester reglementiert wurde, und die sonstige formale Gestaltung. Die verworrenen Intrigen und Verwicklungen wichen einem neuen Ideal der Einfachheit und Klarheit und dem Streben nach aristotelischen Grundsätzen (cf. ib., 1126s., und Gier 1998a, 69).58 Es entstand nach der opera buffa mit der opera seria eine neue Kunstform,59 die für die kommenden 100 Jahre fast unverändert bestehen und vor allem durch den Namen Pietro Metastasio geprägt sein sollte.60 Sie folgt einem festen Schema, das nicht nur die Makro-

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Zu Letzterer cf. auch den Anhang von Fabbri (2003, 341–381), Alle origini di un topos operistico: la scena di follia. Einer der ersten Reformer war Apostolo Zeno; cf. auch Korpuslibretto Q4. Zu den Reformen Zenos und Metastasios cf. insbesondere Freeman 1981. Cf. hierzu Strohm 1995. Er betont den Rang, den diese neue Untergattung auch auf nationaler Ebene hatte, indem sie in Italien eine – auf politischer Ebene undenkbare – kulturelle Einheit stiftete (cf. ib., 1481s.). Sprachlich drückt sich dies durch die Wahl des Toskanischen aus, was der opera seria (im Gegensatz etwa zur meist regionalsprachlichen Komödie) eine weitläufige Rezeption ermöglichte. Zur Reform der Oper am Wiener Hof cf. auch Radoš-Perkoviü 2007. Zu ihm cf. weiter unten in diesem Abschnitt und Kap. 2.1., Libretti Q5 und E4. Als

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struktur der Oper (3 Akte), sondern auch Form, Vorkommen und Struktur der Arie (Abgangsarie, Da-capo-Arie) oder die Rollenkonstellation und Anzahl der Auftritte (Herrscher plus zwei Paare, Primadonna und Primo uomo erhalten je 5, der Herrscher 4, das zweite Paar 3 Arien etc.) reglementiert (cf. Gier 1998a, 68, und Borchmeyer et al., 1127). Den Inhalt bestimmt stets ein scheinbar unlösbarer Konflikt, der am Ende doch in einen lieto fine mündet. Dabei findet die Haupthandlung hinter der Bühne statt und wird nur berichtet (Rezitative) bzw. reflektiert (Arien).61 Eine Regelpoetik nach aristotelischen Grundsätzen ist jetzt wieder möglich; die drei Akte entsprechen ähnlich wie in der zeitgenössischen Tragödie der Trias von Exposition, Peripetie und Katastrophe mit abschließender Auflösung. Charakteristisch für die Oper, da nur durch die Verknüpfung von Sprache und Musik möglich, sind zusätzliche Einschübe von Balletteinlagen oder Intermezzi, die durchaus komische Züge tragen dürfen.62 Zudem wird die lineare Struktur des Librettos teilweise gebrochen, indem die Arien als Einzelnummern erscheinen und als solche austauschbar sind, und zwar nicht nur innerhalb einer Oper oder als heraus gelöstes Musikstück, sondern sogar zwischen verschiedenen Opern: «In letzter Konsequenz führt das zum Pasticcio als einer Vorform der Hitparade: Beliebte Arien (meist) verschiedener Komponisten werden lose in eine zu diesem Zweck neu erfundene Handlung eingebunden. Isoliert wirken die Musiknummern zum einen deshalb, weil es sich um Abgangsarien handelt: Auch wenn der Text sich an einen auf der Bühne anwesenden Partner richtet, ist eine unmittelbare Antwort nicht möglich. Zum anderen handelt es sich meist um Da-capo-Arien, also um zirkuläre (statische) Gebilde. Die dominant paradigmatische Struktur der Oper steht in einem dialektischen Verhältnis zu den Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums: Die formale Geschlossenheit der Arien verleitet die Zuschauer dazu, in einem bereits bekannten Werk nur noch auf ihre Lieblingsstücke zu achten und die Zeit dazwischen mit Gesprächen etc. auszufüllen; aus diesem Verhalten wiederum mögen Komponisten und Librettisten den Schluß ziehen, daß eher spektakuläre Einzelnummern als eine schlüssig konstruierte Fabel den Erfolg eines Werkes garantieren» (Gier 1998a, 69).

Was bedeutet diese Entwicklung nun für das Verhältnis von Sprache und Musik? Die von Gier geschilderte Pasticcio-Praxis lässt die logische Schlussfolgerung zu, dass die Sprache in einem nicht mehr konsequent linear ablaufenden Werk, dessen

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stellvertretend für die Fülle an Literatur über Pietro Metastasio seien hier die Sammelbände von Sommer-Mathis/Hilscher 2000, Sala Di Felice 1983 und 1985, Sala Di Felice/ Caira Lumetti 2001 sowie Lütteken/Splitt 2002 genannt. Zu Metastasios musikalischen und sprachlichen Kompetenzen cf. Nicolodi 1994. Zur Struktur der Oper in der metastasianischen Ära cf. besonders Maeder 1993 und Schneider/Wiesend 2001, 23–36. Zwar gilt gerade Metastasio als Verbanner der komischen Rollen und als Verfechter der Stilhöhenregel, doch war er, wie viele seiner Libretti zeigen, durchaus nicht gegen die Integration von Komik. Diese wird jedoch weniger durch komische Rollen als durch die Auswahl von Themen und Situationen erzeugt und ergibt sich eher aus der Handlung heraus, cf. Borchmeyer et al. 1996, 1128, und Gier 1998a, 74s.; Beispiele etwa aus L’Olimpiade (Korpuslibretto Q5) cf. ib., 81.

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stofflicher Inhalt sekundär ist gegenüber den (vorwiegend musikalisch begründeten) Lieblingsstücken des Publikums, keine große Rolle mehr spielt. Dennoch gilt gerade Metastasio als Verfechter vom Primat des Textes (cf. etwa Honolka 1979, 16, und Gier 1998a, 22). Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man Metastasios Interpretation der Poetik des Aristoteles betrachtet.63 Ist für Aristoteles die syntagmatische Entwicklung der Tragödienhandlung entscheidend, legt Metastasio mehr Gewicht auf die «paradigmatische Dimension der Charaktere und der Affekte» (Gier 1998a, 75), die durch die antithetische Konstruktion der Rollen ausgedrückt wird. Diese in den Arien stattfindende Gegenüberstellung führt zu einer in musikalischer Sicht austauschbaren Reihung von Situationen, die als sprachliche Mikroeinheiten jedoch unangetastet bleiben. Die szenische Umsetzung des Wortes folgt den Vorgaben des Textes, wodurch die Musik eher zweitrangig wird.64 Auch die von Metastasio verwendete Bezeichnung dramma per musica65 ist ein Beleg für das Dominieren der Sprache über die Musik: Es handelt sich um ein Drama, das in Musik gesetzt wird, bei dem der Text jedoch das entscheidende Moment bleibt und als eigenständiges Gebilde auch unabhängig von Musik (und Inszenierung) existiert.66 Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich viele Libretti dieser Zeit in Privatsammlungen finden; ein Hinweis darauf – wenn auch kein Beweis –, dass diese häufig außerhalb der Opernbühne wie Dramen gelesen wurden (cf. hierzu Strohm 1995, 1479, und weiter oben, Kap. 1.1.). Die Text-Musik-Streitfrage wurde nicht zuletzt in Frankreich heftig diskutiert. Die Entwicklung der Operndichtung unterscheidet sich hier von der in Italien in zahlreichen Aspekten; unter anderem darin, dass in Frankreich zu Beginn der Operngeschichte bereits eine lange Theatertradition bestand, die die Oper nachhaltig und mehr als in andern Ländern beeinflusst hat. Ausgangspunkt waren hier Ende des 16. Jahrhunderts neben der Pastorale vor allem die ballets de cour und

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Cf. Gier 1998a, 75s.; Auszüge aus Metastasios Estratto dell’Arte poetica d’Aristotele e considerazioni su la medesima (Erstdruck 1780–1782) finden sich in der Edition der Werke Metastasios durch Brunelli/Fubini 1968, 553–584. Cf. hierzu ausführlich Sala Di Felice 1983, 7s. Cf. hierzu ausführlich Dubowy 1995, bes. 1453–1455. Er bezeichnet das dramma per musica als «Oberbegriff für jegliche Art von Dramen [...], die für eine musikalische Aufführung gedacht sind» (ib., 1453). Als Gattungsbezeichnung setzt sich der Begriff um die Mitte des 17. Jahrhunderts durch; er findet sich z. B. auf den Titelblättern der Opern Il Teutone (1645) und Ersilla (1648) (cf. ib.). Allerdings ist die Vielfalt der Werkbezeichnungen im 17. Jahrhundert sehr groß, so existieren parallel auch etwa die Bezeichnungen dramma musicale, melodramma, tragedia musicale, festa teatrale, opera scenica, opera drammatica oder favola, jeweils mit nur leichten, kaum trennbaren Bedeutungsunterschieden. Cf. hierzu auch die Bewertung Costantino Maeders, der sich intensiv mit den Libretti Metastasios beschäftigt hat: «I libretti [di Metastasio, eig. Hinzufügung] infondono allo studioso un senso di sicurezza. Esistono materialmente, sono completi, non si distinguono molto da altri testi teatrali. Anche senza essere a conoscenza del contesto culturale o di quello spettacolare possono essere letti e interpretati» (Maeder 1993, 85).

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die tragédies à machines.67 Nachdem man zunächst – auch gefördert durch staatliche Maßnahmen – zahlreiche italienische Opern rezipiert und aufgeführt hatte,68 war es bald das erklärte Ziel, eine eigene nationale Operntradition aufzubauen. Als besonders fruchtbar erwies sich hier die Zusammenarbeit von Molière und Lully, die Komödie und ballet de cour zu der neuen Gattung des comédie-ballet vereinten.69 Es war unter anderen der Dichter Pierre Perrin (ca. 1620–1675), der um 1660 scharfe Kritik an der italienischen Oper übte und dabei vor allem das Rezitativ kritisierte. Solche halb gesungenen, halb gesprochenen Passagen seien lächerlich und daher aus der modernen Oper zu verbannen.70 Seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Robert Cambert führte im Jahre 1659 zur ersten so genannten comédie en musique, einer Pastorale ohne Maschinen und Ballette (Pastorale d’Issy, cf. Gier 1998a, 56s., und Borchmeyer et al. 1996, 1142), die eine neue, genuin französische Gattung begründete. Diese Veränderungen hatten natürlich Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Sprache und Musik in der Oper; wird das Rezitativ als textdominantes Medium beseitigt und die Arie als musikalische Einzelszene mit Affektausdruck gestärkt, ist das Libretto und damit das Textverständnis während der Aufführung nicht mehr ausschlaggebend. Durch das von König Ludwig XIV. ab 1669 ausgestellte Opernprivileg, das zunächst Perrin und ab 1672 Lully inne hatten, wurde die Weiterentwicklung der Oper in Frankreich, anders als etwa in Italien, institutionalisiert und zentralisiert, wozu auch die Eröffnung der Académie d’Opéras en Musique et Verbe François 1671 und die Einrichtung der Académie Royale de Musique 1672 als Pflegestätten der Oper beitrugen (cf. Gier 1998a, 57, und Borchmeyer et al. 1996, 1142). Für die Librettistik ist besonders die Tatsache von Vorteil, dass neben dem Opernprivileg auch ein Druckprivileg eingeführt wurde, das es Lully gestattete, über Druck und Drucker aller aufgeführten Libretti allein zu entscheiden. Daraus resultiert eine heute komfortable Überlieferungslage der französischen Librettodrucke jener Jahrzehnte,71 die sich so für Italien nicht bietet. Ähnlich wie Metastasio mit der opera seria in Italien schuf zuvor schon in Frankreich der häufig mit dem Komponisten Lully zusammen arbeitende Librettist

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Auf die ausführliche Darstellung der Geschichte der Librettistik in Frankreich – wie auch in anderen Ländern – muss im Rahmen dieser sprachwissenschaftlichen Arbeit verzichtet werden; zusammenfassend zu Frankreich cf. Borchmeyer et al. 1996, 1141–1151, Gribenski 2005 oder Schreiber 1988, 80–139. So förderte etwa Kardinal Mazarin ab etwa 1640 nachdrücklich die Aufführung italienischer Opern, cf. Borchmeyer et al. 1996, 1142. Cf. hierzu z. B. Schreiber 1988, 86s. Cf. Gier 1998a, 56s.; der Brief, in dem Perrin diese Meinung äußert, ist ediert in Becker 1981, 105–111. Im Jahr 1680 schloss Lully überdies einen Verlagsvertrag mit seinem Hauptlibrettisten, Philippe Quinault, und dem Verleger Pierre Ballard, so dass in der Folge fast alle Drucke dort erschienen, cf. Borchmeyer et al. 1996, 1143.

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Philippe Quinault72 (1635–1688) mit der tragédie lyrique eine Art Libretto-Modell, das für viele Jahrzehnte, in diesem Fall sogar bis weit über den Tod des Dichters gattungskonstitutiv blieb.73 Die tragédie lyrique ist – wie ihr Name schon evoziert – eng verwandt mit den Tragödien des Sprechtheaters,74 auch wenn Quinault in seinen Libretti zumeist auf epische Vorlagen zurückgreift, etwa auf die Metamorphosen Ovids oder auf die mittelalterliche Ritterepik. Sie bestehen aus fünf Akten (und einem allegorischen Prolog, der zumeist die Taten des Königs verherrlicht), respektieren jedoch nicht die Einheiten der Zeit und des Ortes und enthalten neben der Tragödienhandlung oft auch komische Elemente (bzw. Figuren) und Ballettszenen mit Chören (Divertissements). Metrisch unterscheiden sie sich von den meist in paarweisen Alexandrinern gereimten Tragödien, indem sie verschieden lange (heterometrische) Verse im Wechsel oder zu Strophen verbunden aufweisen (cf. Gier 1998a, 58, und Borchmeyer et al. 1996, 1144). In den jeweils einen Akt beendenden Divertissements werden Situationen durch Tanz und Chorgesang dargestellt, etwa Feste, Opferzeremonien oder Kampfszenen, die ähnlich der Pasticcio-Praxis in den metastasianischen Opern (cf. weiter oben in diesem Abschnitt) zu einer teilweisen Retardierung oder gar Auflösung der Handlung führen und – zumindest hier – der Musik bzw. der Inszenierung eindeutigen Vorrang vor dem Text geben. Affektdarstellung und Bühnenhandlung dominieren hier über das rezitativische Berichten. Die tragédie lyrique kann somit als Genre zwischen Barock und Klassik angesehen werden; in ihr mischen sich die verschiedensten Gattungs- und Stilebenen, weshalb man sie nicht eindeutig als der einen oder anderen Epoche zugehörig bezeichnen sollte (cf. Gier 1998a, 59s.). Zudem ist sie – auch bezüglich ihrer Bewertung – wohl die «literarischste» aller Libretto-Untergattungen, da sie schon vom zeitgenössischen Publikum auch als Text gelesen und nicht nur als Wort zur Musik auf der Bühne wahrgenommen wurde (cf. ib., 63).75 Das Verhältnis von Sprache und Musik ist in der tragédie

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Zu Quinault cf. die Standardwerke von Gros 1926 und Buijtendorp 1929, cf. auch Korpuslibretto Q3. Borchmeyer et al. (1996, 1143) sprechen von einer Dominanz dieses Typus bis «zur Mitte des 18. Jh.», nach Gier (1998a, 58) hält sich die Gattung bis «zum Tod Rameaus 1764». Zu dieser Untergattung cf. ausführlich Girdlestone 1972, zu Lully und Quinault bes. 6ss. Quinault konnte zu Beginn seiner Zusammenarbeit mit Lully auf umfangreiche Erfahrungen mit dem Sprechtheater zurück blicken; so hatte er bereits fünf Tragödien, sieben Tragikomödien und vier Komödien geschrieben, cf. Gier 1998a, 58. Zudem wagte er es als erster, mit der Alceste eine Sprechtheater-Tragödie zu einer Oper umzuarbeiten, was ihm viel Kritik einbrachte und u. a. die Querelle des anciens et des modernes auslöste, cf. Borchmeyer et al. 1996, 1143, und Girdlestone 1972, 60–69. Dies verleitet auch heute noch zu einer positiven Kritik der Texte Quinaults: «Daß seine Libretti zur Literatur gehören, ist unbestritten» (Borchmeyer et al. 1996, 1143). Aussagen wie diese verhüllen allerdings immer wieder nur schlecht die insgesamt kritische Haltung gegenüber Opernlibretti. Welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Werk «zur Literatur gehört», wird selten expliziert, ebensowenig der jeweils zu Grunde gelegte Literaturbegriff.

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lyrique daher als ausgeglichen zu bezeichnen. Einerseits stehen die Textvorlagen Quinaults in einem recht engen Verhältnis zu Sprechtheatertexten und wurden auch isoliert von der Musik rezipiert, andererseits waren bei der Aufführung selbst – dem Zeitgeschmack des Publikums folgend – die optischen und akustischen Effekte dominant. Zudem bildeten Quinault und Lully ein Librettisten-KomponistenDuo, in dem, folgt man der ausführlichen Darstellung Jean-Laurent Le Cerf de la Viévilles, die dieser zu Beginn des 18. Jahrhunderts in seiner Comparaison de la musique italienne, et de la musique françoise wiedergibt,76 der Komponist die entscheidende Rolle spielte: «Quinaut cherchoit & dressoit plusieurs sujets d’Opera. Ils les portoient au Roi , qui en choisissoit un. Alors Quinaut écrivoit un plan du dessein & de la suite de sa Piéce. Il donnoit une copie de ce plan à Lulli , & Lulli voyant dequoi il étoit question en chaque Acte , quel en étoit le but , préparoit à sa fantaisie des divertissemens , des danses & des chansonnettes de Bergers , de Nautonniers , &c. Quinaut composoit ses Scenes : aussi-tôt qu’il en avoit achevé quelques-unes , il les montroit à l’Académie Françoise , dont vous sçavez qu’il étoit : aprés avoir récueilli & mis à profit les avis de l’Académie , il aportoit ces Scenes à Lulli [...].77 Vous croiriez que Lulli recevoit les Scenes de Quinaut sans y regarder aprés de si habiles reviseurs , nenni. Il ne s’en reposoit nullement sur leur autorité. Il examinoit mot à mot cette Poësie déja revûë & corrigée , dont il corrigeoit encore , ou retranchoit la moitié , lors qu’il le jugeoit à propos. Et point d’apel de la critique. Il faloit que son Poëte s’en retournât rimer de nouveau. Dans Phaëton , par exemple , il le renvoya vingt fois changer des Scenes entieres , aprouvées par l’Académie Françoise. Quinaut faisoit Phaëton dur à l’excés , & qui disoit de vrayes injures à Théone. Autant de rayé par Lulli. Il voulut que Quinaut fît Phaëton ambitieux , & non brutal ; & c’est à Lulli , Mesdames , que vôtre Sexe doit le peu de galanterie que conserve Phaëton , qui , sans lui , auroit donné de fort mauvais exemples» (Le Cerf de la Viéville 1705, 212–215 [110 der Faks.-Ausgabe]).78

Diese anschauliche Darstellung der Zusammenarbeit an einer entstehenden Oper liefert ein lebendiges Zeugnis dafür, dass die Verzahnung von Sprache und Musik mitunter ein komplexes Gebilde hervorbringt, das im Nachhinein nicht ohne weiteres zurück in seine sprachlichen und musikalischen Bestandteile zerlegt werden kann. Bereits während der Entstehung der Oper hatte – zumindest bei diesem Duo – der Komponist großen Einfluss auf den Dichter, so dass man davon ausgehen kann, dass Quinault schon beim Verfassen des Textes darauf achtete, die Vertonbarkeit zu gewährleisten und eine überschaubare Länge der Libretti einzuhal-

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Cf. Le Cerf de la Viéville 1705. Dieses Werk spielte eine Rolle in der Querelle des bouffons, cf. hierzu zusammenfassend Schreiber 1988, 115s. Die Transkription der folgenden Passage gibt die Graphie des Drucks (ein Exemplar lagert unter der Signatur 8 MUS II, 60 in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen) wieder; lediglich das dort verwendete lange s wurde durch rundes ersetzt. Im hier nicht wiedergegebenen Abschnitt entbrennt eine Diskussion unter den Gesprächspartnern der in Dialogform gehaltenen Comparaison darüber, wem Quinault seine Texte vorzulegen hatte; der Académie Française oder einer aus Perrault und Boileau bestehenden Kontrollinstanz. Cf. zu dieser Schilderung auch Gier 1998a, 64, und Gros 1926, 106.

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ten.79 Lully sogte sodann dafür, dass der Text eng an die Komposition gebunden wurde, notfalls eben auch durch die mehrfache Überarbeitung einer Szene durch den Textdichter. Bei der Analyse dieser (und der meisten frühen) Libretti muss also bedacht werden, dass ihre Vertonung bereits bei der Abfassung intendiert und recht präzise vorgegeben war und ihre Form und Struktur von vorneherein mitbestimmt hat.80 Das 18. Jahrhundert kann sowohl in Frankreich als auch in Italien (und vielen anderen europäischen Ländern, in denen sich die Geschichte der Oper verfolgen lässt) als das Jahrhundert der Debatten und Reformen auf und außerhalb der Opernbühne bezeichnet werden.81 Die fest gefügten Formen gerieten mehr und mehr in die Kritik, sprachliche und musikalische Ausdrucksmittel wurden intensiv beleuchtet, die Daseinsberechtigung der Oper selbst wurde immer wieder in Frage gestellt. Dabei mischten sich z. T. auch nationale Traditionen, da vor allem die italienische Oper über ihre Ländergrenzen hinaus rezipiert, nachgeahmt und kritisiert wurde, so dass nun französische und italienische, aber auch etwa deutsche und englische Opernpflege wie Opernkritik ineinander flossen und nicht mehr voneinander trennbar waren. Reinhard Strohm sieht drei Hauptströmungen der Kritik und Reform (cf. Strohm 1995, 1490s.). Zum einen wurde die Oper als «eine unvernünftige Entartung der echten Tragödie» (ib., 1490) angesehen, dies vor allem von Vertretern einer klassizistisch-literarischen Sichtweise, aus der her-

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Cf. hierzu Gier 1998a, 264 n. 59, und Norman 1988, bes. 289s., der einige (allerdings sehr wenig fundierte) statistische Angaben zum Wortschatz der Libretti Quinaults macht. Demnach weisen dessen 11 Libretti insgesamt 68.515 Okkurrenzen auf, was einen durchschnittlichen Umfang von 6229 Okkurrenzen pro Libretto ausmacht. Zum Vergleich: Racines 11 Tragödien enthalten, folgt man Norman, 158.899 Okkurrenzen, also im Durchschnitt 14.445 pro Werk. Cf. hierzu weiter unten, Kap. 2.2.2. und 3.2.1., und Overbeck 2006/2007. Anders ist dies bei vielen neueren Werken besonders des 19. und 20. Jahrhunderts, etwa bei der so genannten Literaturoper, cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1., und Gier 1998a, 199–210. Im Rahmen der vorliegenden, sprachwissenschaftlich ausgerichteten Arbeit kann nicht ausführlich auf im Analyseteil nicht berücksichtigte Operngattungen (etwa opera buffa oder opéra-comique) sowie einzelne nationale Traditionen, etwa die Geschichte der Oper in England, eingegangen werden. Eine gute Zusammenfassung der Situation im Italien des 18. Jahrhunderts bietet Gallarati 1984; cf. auch den Sammelband von Maehder/Stenzl 1994. Einen umfassenden, nach Jahrhunderten gegliederten Überblick über die Operngeschichte bietet Mauser 1993–2006, v. a. die Bände 11 (17. Jh.), 12 (18. Jh.) und 13 (19. Jh.), cf. . Leopold 2004, Schneider/Wiesend 2001 und Döhring/HenzeDöhring 1997. Zur Opernkritik im 18. Jahrhundert in Deutschland cf. etwa Plachta 1996a, 1996b und 2003, zu deutschen Libretti des 17. Jahrhunderts cf. Aikin 2002, speziell zur nord- und mitteldeutschen Oper im 17./18. Jh. cf. Jahn 2005, zur Rezeption der italienischen Oper in Preußen cf. Maehder 1999, zu England cf. White 1983 und Cervantès 2002. Mit dem Einfluss des esprit français auf die Musik Europas beschäftigt sich der aktuelle Sammelband von Biget-Mainfroy/Schmusch 2007, zum französischen Opernlibretto im 19. Jahrhundert cf. Labussek 1994, zum französischen Einfluss auf die italienische Oper cf. Werr 2002.

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aus auch auf die Querelle des anciens et des modernes rekurriert wurde und die u. a. von der bereits weiter oben erwähnten Accademia dell’Arcadia in Rom, aber auch von bekannten Personen wie Lodovico Antonio Muratori, Joseph Addison, Scipione Maffei oder Johann Christoph Gottsched eingenommen wurde. Ein in der Geschichte der Oper immer wieder vorgebrachtes Hauptargument dieser Kritiker war die Unglaubwürdigkeit des Singens auf der Bühne, womit gleichzeitig die These der frühen Operndichter von den gesungenen Tragödien der Antike (cf. weiter oben in diesem Abschnitt) negiert wurde. Zugleich kamen jedoch auch aus theologisch-moralischer Richtung Einwände gegen die Sittenlosigkeit der Oper und ihrer Entourage. Dagegen versuchten die Opernbefürworter, den literarischen Anspruch und die Wahrscheinlichkeit von Operntexten zu belegen, indem sie vor allem Opern mit heroischen oder historischen Stoffen verteidigten und ihre Abdrängung in den pastoral-mythologischen Bereich zu verhindern suchten. Eine zweite, vor allem in Italien und Frankreich geäußerte kritische Tradition setzte sich – für die vorliegende Arbeit besonders bedeutsam – intensiv mit dem Wunsch nach der Priorität des Wortes vor der Musik auseinander, auch um die Oper wieder zu einer mehr dramatischen Wirkung zurück zu führen. Kritisiert wurden zudem viele Begleiterscheinungen der Oper, etwa das Kastratentum, das Primadonnenwesen, die Starallüren der Sänger, die Macht des Impresarios, aber auch innere Strukturmerkmale der Oper wie «die Unwahrscheinlichkeit der Dacapo-Anlage, die Inkohärenz der Intrigenhandlung, das Überhandnehmen von Bravourarien, Balletten und ähnlichen nichtdramatischen Attraktionen, die endlosen Ritornelle und Textwiederholungen der Arie, der undramatische Festeslärm der Sinfonia» (ib., 1491). In diese Tradition gehören u. a. François Raguenet mit seiner Paralele des Italiens et des François, en ce qui regarde la Musique et les Opéra (cf. Raguenet 1702) 82 und Pier Jacopo Martello (Della tragedia antica e moderna, cf. Martello 1715), später auch Literaten und Historiker wie Francesco Algarotti (Saggio sopra l’opera in musica, 1755, ed. Da Pozzo 1963),83 Stefano Arteaga (Le rivoluzioni del teatro musicale italiano, cf. Arteaga 1783) 84 oder François-Jean de Chastellux (Essai sur l’union de la poësie et de la musique, cf. Chastellux 1765). In der durch eine Aufführung des Intermezzos La serva padrona (Gennaro Antonio Federico; Musik von Giovanni Battista Pergolesi) 1752 in Paris ausgelösten Querelle des buffons wurde vor allem die tragédie lyrique diskutiert, die von Anhängern der Aristokratie verteidigt und von vielen Aufklärern und Enzyklopädisten zugunsten der italienischen Oper abgelehnt wurde.85 Dabei bestanden besonders die Befürworter der französischen Oper auf dem Primat des Textes (cf. Gier 1998a, 93). Ein Beispiel für die Durchmischung nationaler Musikstile ist

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Cf. auch seine Défense du Parallele des Italiens et des François (Raguenet 1705), und den in der englischen Übersetzung dieser Werke abgedruckten anonymen Critical Discourse on Opera’s and Musick in England (cf. Raguenet 1709). Zu Algarotti cf. ausführlich Bonomi 1998, bes. 176–183. Teilweise abgedruckt in Bonomi 1998, 258–268. Die einzelnen Pamphlete der Querelle des bouffons finden sich bei Launay 1973.

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etwa Jean-Jacques Rousseaus – beim Publikum recht erfolgreicher – Versuch, mit seiner Oper Le devin du village (1752) das Modell der italienischen opera buffa auf das Französische zu übertragen. Sein Hauptbeitrag zum Buffonistenstreit war jedoch die Lettre sur la musique françoise von 1753, in der er darzulegen versuchte, warum sich die französische Sprache nicht zum Singen eignet.86 Die dritte kritische Hauptströmung setzt bei den gleichen Argumenten an wie die zweite, unterscheidet sich jedoch von ihr dadurch, dass ihre Vertreter nicht nur theoretische Traktate verfassten, sondern auch praktische Umsetzungen anboten (cf. Strohm 1995, 1491s.). Ihr Kopf war Raniero de’ Calzabigi, der als Librettist u. a. auch mit Christoph Willibald Gluck zusammen arbeitete. Am Beginn dieser Opernreform steht ihre gemeinsame Oper Orfeo ed Euridice (1762), die ebenfalls ein Beispiel für die Bestrebungen nach einer Synthese von französischer und italienischer Oper darstellt.87 Hierbei wurde eine Reformierung nicht nur des Librettos, sondern gleichzeitig auch der musikalischen Form angestrebt (cf. Gier 1998a, 110s.). Die Reformbestrebungen nahmen ihren Ausgang in Wien, wo noch während des Wirkens von Pietro Metastasio als Hofdichter (1750 bis zu seinem Tod 1782) eine französische Operntruppe dafür sorgte, dass das Publikum den in Frankreich verbreiteten opéra-comique kennen lernte;88 Gluck besorgte hier die Anpassung an die musikalischen Gegebenheiten. Hier wie auch in der tragédie lyrique wird – anders als in der Mehrzahl der italienischen opere serie dieser Jahrzehnte – wiederum viel Wert auf die Verständlichkeit der Sprache und die Nachahmung der Prosodie der gesprochenen Sprache in der Musik gelegt; so verzichtet man etwa auf das Hörverständnis erschwerende Verzierungen und Silbenwiederholungen (cf. ib.) und bemüht sich um Wahrscheinlichkeit und Natürlichkeit89 – sofern dies bei gesungenem Text überhaupt möglich ist. Auf musikalischer Ebene findet ebenfalls eine Zusammenrückung der opera seria und der tragédie lyrique statt, indem sich Arien und Rezitative einander annähern und Chöre und Ballette an Bedeutung gewinnen.90 Auf theoretischer Ebene sind hier Parallelen zu der zweiten, weiter oben geschilderten kritischen Strömung zu sehen, etwa mit Francesco Algarottis Saggio sopra l’opera in musica (1755), der ebenso wie Calzabigi und Gluck eine Wiederannäherung der Oper an die antike Tragödie forderte. In seiner Bevorzugung des Wortes vor der Musik ist Calzabigi dem von ihm zunächst bewunderten91 und später scharf kritisierten Metastasio sehr nahe

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Cf. hierzu etwa Zimmermann 1984 und Overbeck 2006/2007. Der Brief ist ediert bei Gagnebin/Raymond 1995. Zu diesem Themenkomplex cf. ausführlich Gallarati 1984, Kap. 3, Crisi e rinnovamento dell’opera seria, und Kap. 4, Le riforme. Zum opéra-comique in Frankreich cf. Vendrix 1992, zu seiner Rezeption in Deutschland cf. Betzwieser 1999. Zu diesem Themenkomplex bei Rousseau und anderen cf. Carvalho 1995. Zur Poetik der Oper bei Rousseau cf. auch Kintzler 1991. Cf. hierzu Gallarati 1984, 61–63, und Gier 1998a, 110s. Cf. auch weiter unten, Kap. 2.2.3. So schreibt er etwa in seiner Dissertazione di Ranieri de’ Calsabigi dell’Accademia

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(cf. ib., 113), wenn sich ihre Libretti auch in Handlung und Struktur stark unterscheiden.92 Am Ende des 18. Jahrhunderts erscheint der Typus der opera seria als überholt, wenn er sich auch noch einige Jahrzehnte hält; eine neue Operngattung, die sich mehr an der opera buffa orientiert, beginnt sich heraus zu bilden und gipfelt u. a. in der nicht mehr völlig eindeutig zu definierenden opera semiseria.93 Im frühen 19. Jahrhundert herrschen jedoch zunächst noch die verschiedenen Spielarten der opera buffa vor, die stark von anderen, auch nicht-musikalischen Gattungen beeinflusst ist, etwa von der commedia dell’arte, von der sie die Figurentypen teilweise übernimmt, oder der comédie larmoyante, von der die teils rührenden Sujets stammen (cf. ib., 126). Daneben existiert die opera seria weiter, allerdings beginnen beide Formen zu erstarren und sich zu eher stereotypen Modellen zu entwickeln. Sprachliche und metrische Muster des vorher gehenden Jahrhunderts verfestigen sich mehr und mehr zu starren Regeln, was einer der Gründe dafür sein mag, dass das Textverständnis nun zunehmend unwichtiger wird: «Die neuen Libretti sind auf klare Kräftekonstellationen und überschaubare Konflikte angelegt, die im Text der Arien und Ensembles eher impliziert als explizit ausformuliert sind und die der Komponist in Musik ‹übersetzt›. Folglich muß das Publikum nicht jeden gesungenen Vers verstehen (oder im Textbuch mitlesen), um dem Gang der Geschichte folgen zu können: Es genügt, wenn z. B. in einem Duett schlagwortartig der Gesprächsgegenstand bezeichnet wird; daß es zum Streit kommt, und wer dabei die Oberhand behält, ist aus der musikalischen Gestaltung zu erschließen» (ib., 127).94

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di Cortona su le Poesie Drammatiche del Signor Abate Pietro Metastasio (1755–1757) hinsichtlich dessen Leistung für die Sprache der Musik im 18. Jahrhundert: «[...] è mio disegno di far vedere: che l’eccelenza a cui si è ella [la musica] in questo secolo felicemente sollevata è alle Poesie del Signor Metastasio in gran parte dovuta: che l’eleganza, la dolcezza, il sublime della Poesia è indispensabile all’Armonia; e che non può la musica muover gli affetti, e interesse negli animi nostri produrre senza l’aiuto della Poesia, la quale nella confusione de’ suoni di guida ci ha da servire per passo a passo condurci a quella sensibilità che l’armonia vuol farci provare più viva, e più efficace di quella che la semplice declamazione è atta a produrre» (zit. nach Gallarati 1984, 72). Cf. auch Gier 1998a, 114: «Alles in allem erscheint Calzabigi als Repräsentant einer ambivalenten, teils fortschrittlichen, teils eher traditionalistischen Ästhetik, der zwar in mancher Hinsicht über Metastasio hinausgeht, aber keineswegs radikal mit der LibrettoKonzeption der Opera seria bricht». Diese Bezeichnung setzt sich jedoch erst nach 1810 durch, cf. (mit weiterführenden Literaturangaben) Gier 1998a, 279 n. 35. Da in diesem Abschnitt nur die für die vorliegende Arbeit relevanten Librettogattungen beleuchtet werden, wird im Folgenden auf eine genauere Beschreibung dieser Untergattung (wie auch die der Werke anderer wichtiger Librettisten, etwa Lorenzo Da Ponte) zu Gunsten des Abrisses der Librettistik im 19. Jahrhundert verzichtet. Einen guten Überblick verschafft hier das Werk von Schneider/Wiesend 2001, bes. Kap. 3, in dem neben opera buffa und opera semiseria auch das dramma eroicomico behandelt wird (cf. ib., 82–92). Speziell zur opera semiseria cf. Jacobshagen 2005. Zu dieser Schlagwort-Technik cf. auch weiter unten, Kap. 1.3. und 4.1.4.

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Diese einschneidende Veränderung in der Wertschätzung der Sprache hat natürlich Auswirkungen auf die Gestalt – man könnte auch sagen: die Qualität95 – des Librettos. Durch die sich zunehmend vollziehende Vereinfachung der Handlung, die Entwirrung der Intrigen und die Betonung der durch Musik erzeugten Stimmungen hat ein Librettist jetzt weniger Raum für die Schilderung von Figuren und Situationen; er muss zwangsläufig auf Handlungsmuster und vorgefertigte Rollen zurückgreifen, bei denen das Publikum ergänzend mitwirken kann. Auch die Verbindung von metrischen und rhythmischen Elementen in Text und Musik ist mehr oder weniger vorgegeben, so dass der Komponist – der nun in der Regel erst nach Verfertigung des Librettos auf den Plan tritt – sich mehr als in den vergangenen Jahrhunderten nach den Vorgaben des Librettisten richten bzw. diesem klare Änderungswünsche mitteilen muss.96 Als Hauptvertreter der Romantik in Italien gilt Felice Romani (1788–1865), der insgesamt 90 Libretti verfasste und u. a. mit den Komponisten Vincenzo Bellini und Gaetano Donizetti zusammen arbeitete.97 Er selbst sah sich mehr als Klassizist, doch stehen seine Libretti für den neuen Typus des romantischen melodramma. Sie zeichnen sich vor allem durch Knappheit (auch der Sprache) und Klarheit (der Handlung) aus, was sie für eine kontrastive sprachliche Analyse besonders attraktiv macht (cf. weiter unten, Kap. 3 und 4, Korpuslibretto Q8) und den ästhetischen Wandel der Zeit widerspiegelt. Dabei ist bereits der Terminus melodramma bezeichnend für den Paradigmenwechsel in der Operngeschichte: Aus dem «Drama für Musik» (dramma per musica) wird nun eine Gesangsoper, «für die der Text nur mehr das Gerüst abgab» (Döhring/Henze-Döhring 1997, 13). Als literarische Vorlagen dienen nicht mehr Tragödien oder Boulevardstücke, sondern das romantische Drama wird mehr und mehr zum Stofflieferanten für Opern, etwa Theaterstücke von Victor Hugo.98 Gier sieht in dieser Adaptation von Theaterstücken eine Kontinuität von Rossi und Romani bis hin zu Piave und Boito (cf. Gier 1998a, 155), die insofern recht leicht realisierbar war, als sich das Schauspiel in der Zwischenzeit dem Libretto angenähert hatte.99 Dazu kommt,

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Wobei später noch zu klären ist, ob und wann man ein Libretto als «gut» oder «gelungen» bezeichnen kann und welche Kriterien dabei anzulegen sind, cf. dazu weiter unten, bes. Kap. 3.2. Cf. als Beispiel hierfür die von Gier (1998a, 129s.) zitierten Briefe des Librettisten Gaetano Rossi an den französischen Komponisten Albert Guillion, in denen er zu dessen Änderungswünschen Stellung nimmt und konkrete Fragen nach der metrischen Umgestaltung stellt. Zu diesen Briefen cf. ausführlich Miggiani 1994, zu Rossi allgemein cf. Rossi 2005a. Cf. auch Korpuslibretto Q7. Zu ihm cf. Roccatagliati 1996 und Gier 1998a, 133–136. Cf. auch Korpuslibretto Q8. Cf. etwa Lucrezia Borgia (Libretto 1833 von Felice Romani, vertont von Donizetti), Hernani (Libretto 1844 von Francesco Maria Piave, vertont von Verdi, Korpuslibretto Q9) oder Rigoletto (nach Le roi s’amuse, 1851 ebenfalls von Piave/Verdi, Korpuslibretto E6). Gier erklärt diese Affinität damit, dass man – ausgehend von der komischen Oper um 1850 in Italien und Frankreich – nun insgesamt darum bemüht war, Komödie und

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dass die Funktion des Librettisten zunehmend gering geschätzt wurde. Im Italien zu Zeiten Verdis wurden nicht mehr, wie es zuvor meist der Fall war, Librettist und Komponist zu gleichen Teilen mit einer neuen Oper beauftragt, sondern der Komponist war verantwortlich für das Gelingen auch des Textes, d. h. er suchte den Textdichter aus und bezahlte ihn für seine Leistungen. Gier erklärt diese entstandene Dominanz des Komponisten durch die Veränderung der ästhetischen Wahrnehmung: «Die Genieästhetik des späten 18. Jahrhunderts ersetzt den überindividuellen Maßstab der ästhetischen Normen durch das Postulat der Subjektivität» (ib., 156). Bildeten im 17. und 18. Jahrhundert noch Musiker und Librettist ein sich bei der Arbeit an einer Oper ergänzendes Duo, bei dem der Musiker den literarischen Code und der Literat den musikalischen Code beherrschte, so ist der romantische Künstler ein Individuum, das den gesamten Schaffensprozess eines wie auch immer gearteten Kunstwerks beherrschte. Der Librettist ist nun also – trotz einiger Ausnahmen100 – tatsächlich der Diener seines Komponisten-Herrn und eher Handwerker als Künstler, auch wenn das Libretto an sich dadurch nicht gleichzeitig an Bedeutung verliert. Als einen der Gründe, warum das Prestige der Librettisten in der Nachfolge von Metastasio rapide abnimmt, nimmt Giuseppe Maria Iacovelli einen Bruch an, den die Operndichter bezüglich des literarischen Wertekanons selbst erzeugen: Danach entnehme die Librettistik «die verschiedensten Elemente [...] aus dem Reservoir der dramatischen Dichtung, ohne aber die kodifizierten Regeln des literarischen Kanons zu respektieren» (Iacovelli 2003, 493). Albert Gier stimmt dieser überzeugenden These zu, weist jedoch darauf hin, dass sie ausschließlich auf das 19. Jahrhundert, im Prinzip nur auf die romantische Epoche einzuschränken ist: «[...] die Operndichter des 17. und 18. Jhs trennen dagegen sehr genau zwischen den Gattungen (und den ihnen entsprechenden Stilhöhen)» (Gier 2004, 16). Insofern hat die Oper des 19. Jahrhunderts auch aus soziohistorischer Sicht eine völlig andere Position inne als zuvor. So weist etwa Immacolata Amodeo nach, dass verschiedene Faktoren die zunehmende Popularität der Oper in dieser Zeit begünstigt haben, etwa die bereits seit Jahrhunderten andauernde Fremdherrschaft in Italien, die sprachliche und politische Heterogenität, die hohe Analphabetenrate und die wirtschaftliche und soziale Rückständigkeit einiger Gebiete (cf. Amodeo 2007, 107–131). Damit «war die Oper ein Medium, das sich für Kollektivierungsprozesse besser eignete [als die Literatur, eig. Hinzufügung]» (ib., 131). Durch die Missachtung der Regeln des literarischen Kanons (Verwendung nonverbaler Codes, Affekt erzeugender Elemente, semantisch aufgeladener Schlüsselwörter

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Tragödie einander anzunähern und in einem Drama wie im realen Leben Ernstes und Heiteres nebeneinander zu präsentieren (cf. ib.). So ist etwa Arrigo Boito als Dichter und Theoretiker, aber auch als Übersetzer und Komponist eine durchaus angesehene Künstlerfigur im zeitgenössischen Italien; sein Otello-Libretto hebt sich denn auch durch lexikalischen und metrischen Reichtum aus den anderen Verdi-Libretti hervor, wie die nachfolgenden Analysen an Hand von Korpuslibretto Q10 eindrucksvoll bestätigen, cf. weiter unten, bes. Kap. 3.4. und 4.3.

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etc.) konnten die Operndichter und -komponisten Schichten und Regionen übergreifend Begeisterung erzeugen. Somit sind die Opern des 19. Jahrhunderts nicht nur prägend für den allgemeinen Geschmack, sondern ihre Ausgestaltung wird gleichzeitig auch durch die Wünsche und Belange des Publikums bestimmt. Diese wechselseitige Beziehung ging zu Lasten der Librettisten, die durch die Dominanz der Komponisten und deren Streben nach Erfolg und Anerkennung dazu gezwungen waren, dem «Zeitgeist» nachzukommen und ihre Texte zunehmend in den Dienst der großen Gesten und der musikalischen Höhenflüge zu stellen. Dies stellte das Verhältnis zwischen Text und Musik, das noch im 18. Jahrhundert vorherrschend war, auf den Kopf: «L’Ottocento segna irreversibilmente il primato del musicista sul poeta, invertendo il prestigio che vigeva nel Settecento metastasiano» (Serianni 2002, 114). Das oft kritisierte hohle Pathos und die künstliche Konventionalität der Libretti dieser Zeit sind daher mehr dem äußeren Zwang geschuldet als einer literarischen Ungebildetheit der Autoren: «Prima la musica e poi le parole».

1.3.

Das Libretto-Idiom: Versuch einer definitorischen Eingrenzung

Die bislang geschilderten gattungstheoretischen und musikhistorischen Überlegungen führen unweigerlich zu der Frage, wie denn nun «die Librettosprache» einzugrenzen und zu charakterisieren ist. Unbestritten ist, dass die Sprache im Libretto durch ihre Ausrichtung auf das Gesungenwerden eine Art Chimäre ist: Weder entspricht sie völlig dem geschriebenen Wort der Prosa oder Lyrik, noch dem gesprochenen auf der Theaterbühne. Sie weist deswegen so spezifische Formen auf, weil sie eine durch Musik unterstützte oder gar getragene Handlung transportieren oder zumindest intensivieren soll. Bedingt das mehr oder weniger homogene Genre Libretto nun aber eine einheitliche Sprache mit Wiedererkennungswert, eben ein so zu bezeichnendes Libretto-Idiom? Oder ist sie so heterogen wie die wechselhafte Geschichte der parole-musica-Debatte? Es gilt also zunächst, die gängigen Urteile über diese Sprachvarietät zu sammeln und diese anschließend vor dem Hintergrund der sich im Laufe der Zeit wandelnden äußeren Umstände der Musikgeschichte (cf. weiter oben, Kap. 1.2.) zu überprüfen. Die Leitfragen auch der in den folgenden Kapiteln dargestellten Analysen müssen daraufhin lauten, ob eine solche eigenständige Varietät in der literarischen Sprachlandschaft überhaupt existiert, ob diese – falls ja – sich im Zuge des ästhetischen Wandels verändert, also diachronische Etappen erkennen lässt, und ob die (Vor-)Urteile über das Opernlibretto diese Veränderungen – falls vorhanden – berücksichtigen. Als These sei hier die Vermutung vorausgeschickt, dass die meisten Aussagen zur Sprache des Librettos explizit oder implizit ausschließlich auf den Stand des 19. Jahrhunderts Bezug nehmen, ohne die soziohistorischen Begleitumstände und den sich im Übergang zu diesem Jahrhundert ergebenden Paradigmenwechsel wahrzunehmen. Die allgemeine Beurteilung des Librettoidioms wäre also ein auf einem kleinen – wenn auch bedeutenden – Aus36

schnitt aus der Geschichte des Genres beruhendes, unvollständiges Bild von einer eigentlich viel umfassenderen, differenzierteren historischen Entwicklung. Betrachtet man die Veröffentlichungslandschaft zum Thema Opernlibretto, so fällt zunächst auf, dass auf dem Feld der mittlerweile recht umfangreichen Literatur zur Librettistik, in der es meist um literatur- oder musikwissenschaftliche Inhalte geht, die Untersuchungen zur Sprache von Libretti sehr dünn gesät sind. Eine längere Tradition der linguistischen Librettoanalyse existiert im Prinzip nur in Italien, wo neben dem bereits erwähnten LesMu-Projekt und den Bänden Le parole della lingua (cf. weiter oben, Kap. 1.1.) nach und nach einzelne Studien erscheinen, die auch die Sprache der Libretti – zumindest am Rande – einer Untersuchung unterziehen, so etwa die Arbeiten von Ilaria Bonomi (cf. Bonomi 1998 oder 2000), Daniela Goldin Folena (cf. Goldin Folena 1982, 1985, 1995, 1997 oder 2001), Stefano Telve (cf. Telve 1998, 2002 oder 2004), Fabio Rossi (cf. Rossi 2005a, als Zusammenfassung davon 2005b) oder die Beiträge im Sammelband von Elisa Tonani (cf. Tonani 2005). Meist werden sprachliche Themen allerdings nur am Rande gestreift, die Rede ist dann recht pauschal von «il libretto in sé» (Roccatagliati 1996, 161) oder einer allgemeinen «langue melodrammatica» (Rossi 2005a, 26), ohne dass spezifiziert würde, auf welche Libretti – aus musikhistorischer Sicht – sich die Bewertungen beziehen. Über diese italophonen Veröffentlichungen hinaus ist es schwierig, differenzierte Bewertungen des Librettoidioms zu finden. Als gemeinsamer Nenner besonders auch der älteren Literatur zu diesem Thema werden immer wieder dieselben Kennzeichen genannt, allen voraus die extreme Konventionalität und Formelhaftigkeit der Sprache der Oper, die von den Librettisten gewollt und auf den Wiedererkennungswert beim Publikum angelegt ist, also ein Genre konstituierendes Merkmal darstellt. Das Libretto erscheint als «un genere che si basa essenzialmente proprio sui meccanismi d’attesa e sulla facile riconoscibilità di pochi spunti essenziali da parte del pubblico più vasto» (ib.). Bereits im 19. Jahrhundert wurde dieser konventionelle Aspekt der Oper erkannt und beschrieben, wie ein Auszug aus dem Bericht Edmond Michottes von einem Treffen zwischen Richard Wagner und Gioachino Rossini zeigt:101 «Cette indépendance que réclame la conception littéraire, comment la maintenir dans l’alliance de celle-ci avec la forme musicale, qui n’est que convention? vous avez dit le mot! Car s’il faut rester dans l’esprit de la logique absolue, il va de soi qu’on ne chante pas en discourant; l’homme colère, le conspirateur, le jaloux ne chantent pas! (plaisamment). Une exception peut-être pour les amoureux, qu’à la rigueur on peut faire roucouler... Mais encore plus fort: va-t-on à la mort en chantant? Donc convention que l’opéra d’un bout à l’autre. Et l’instrumentation elle même?... Qui donc, dans un orchestre déchaîné, pourrait préciser la différence de description entre une tempête, une émeute, un incendie?... toujours convention!» (Michotte 1906, 410s.).

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Der vermögende Belgier Edmond Michotte, ein enger Vertrauter Rossinis, hatte zu diesem Treffen im Jahre 1830 angeregt und dessen Verlauf skizziert; der Bericht selbst erschien allerdings erst 1906 (cf. Michotte 1906). Auch Rossi (2005a, 26) zitiert diesen Auszug.

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Diese Auffassung verweist auf die weiter oben (cf. Kap. 1.1.) geschilderte Kritik an der Oper sui generis und ihrer oft unglaubwürdigen und unrealistischen Gesamtkonzeption: Wer kämpft, Intrigen schmiedet oder stirbt, kann nicht gleichzeitig singen. Die Sprache der Oper kann mithin nur als Kunstprodukt und nicht als Mittel zur Reproduktion der Realität interpretiert werden. Kurt Ringger attestierte 1984 das Vorhandensein eines solchen Kunstidioms, einer «Libretto-Koiné» (Ringger 1984, 504), deren Hauptmerkmal neben der Konventionalität eine Intensivierung oder Transposition der Alltagssprache in ein höheres Register sei, was nicht nur im Bereich der Lexik, sondern auch in der Morphologie oder der Syntax spürbar werde. So verwende ein italienischer Librettist eher detti oder accenti als parole, eher tempio als chiesa, eher rai als occhi, eher talamo als letto; er bevorzuge Archaismen wie sarìa oder fia statt sarebbe, potrebbe oder sarà.102 Aus dem umgangssprachlichen Dammi un sorso d’acqua wird etwa in La Traviata ein Dammi d’acqua un sorso (cf. auch id. 1987, 557). Durch die Ausweitung des Fokus von lexikalischen Phänomenen (literarische Ausdrücke statt Alltagsvokabular, cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.1.1. und 4.1.3.) auf die Bereiche der Morphologie (Archaismen, cf. Kap. 4.1.1.) und der Syntax (Transpositionen, Inversionen, cf. Kap. 4.2.3.) nimmt Ringger eine gesamtsprachliche, strukturelle Wertung vor. Die Sprache des Librettos stelle sich danach als eine Art Kode dar, in dem bestimmte Schlüssel- oder Kodewörter das Verständnis des Zuhörers (der je nach Bildung und Übung mehr oder weniger in den entsprechenden Kode eingeweiht ist) erleichtern bzw. überhaupt gewährleisten, auch wenn das gesungene Wort durch die Fülle an weiteren akustischen und optischen Faktoren nur schwer aufzunehmen ist.103 Die Libretto-Koiné ergibt sich nach Ringger «aus der wirksam dosierten Verbindung von gattungseigener parola scenica, leidenschaftsverstrickter Situationstopik, signifikanter Stimmentypologie und unmittelbar ablesbarer Gestik» (ib., 505).104 Die zum Verständnis des Handlung durch den Zuhörer notwendigen Schlüsselwörter seien Begriffe wie etwa amore, gioia, morte oder dolore, die selbst dem der Sprache nicht mächtigen Opernbesucher geläufig sind und bei ihm die vom Komponisten/Librettisten beabsichtigten Gefühle auslösen:

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Cf. auch Fabio Rossi: «Soprattutto i saggi di Luca Serianni e di Stefano Telve hanno rivelato, tra libretti anche molto diversi, come a campi semantici contigui si accompagni spesso il medesimo materiale espressivo, all’insegna di alcuni moduli ricorrenti quali l’antirealismo e l’aulicismo: e dunque l’occhio che piange è quasi sempre il ciglio, mentre gli occhi dell’amata sono rai; barbaro è perlopiù l’amato che non corrisponde; capo è quasi sempre una testa coronata, mentre testa è soprattutto de genere buffo» (Rossi 2005a, 25). Er bezieht sich dabei vermutlich vor allem auf Serianni 2002 und Telve 1998, 2002 und 2004. Ein Erschwernis der akustischen Rezeption stellen häufig auch undeutlich artikulierende Sänger dar, cf. hierzu anschaulich Seedorf 2001, 37–41. Der weiter oben bereits problematisierte Begriff der parola scenica (cf. Kap. 1.1. und 1.2.) wird von Ringger an dieser Stelle nicht definiert.

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«Kode-Wörter als konzentrierte ‹Information›, deren psychologisches, beziehungsfunktionales oder handlungsnotwendiges Gehaltspotential erst der Gesang ausbreitet, wodurch sprachlich Redundantes in musikalisch – und damit szenisch-situationell – Signifikantes umgewertet wird» (ib., 503s.).

Diese typische sprachliche Redundanz produziere nun, in Verbindung mit der Kodierung, eine eigene, nur für die Gattung Libretto charakteristische Koiné: «Als kodierte Sprache stellt somit die Sprache des italienischen Librettos ein Kunstidiom dar, dessen Hauptmerkmal in der Höhertransposition des mittleren Ausdrucksregisters besteht» (Ringger 1984, 504).105

Andererseits enthalte das Libretto-Italienisch jedoch auch zahlreiche Elemente aus der gesprochenen Alltagssprache, in welcher keine Art von Höhertransposition in ein kunstvolles Stilregister stattfinde:106 «[...] beides gehört, vom Standpunkt des Standarditalienischen aus betrachtet, eindeutig zum Libretto-Italienischen; einer ‹Sprache›, in welcher das Wort insofern ein ‹verständliches›, d.h. ‹entzifferbares› Zeichen darstellt, als es einem durchaus erlernbaren Kode angehört, über den die ‹Eingeweihten› [...] eben verfügen» (ib.).

Diese an sich paradoxe Verbindung von Künstlichkeit und hohem Stil mit Alltäglichkeit und Banalität kann somit als Charakteristikum der Opernsprache gelten. So spürt etwa auch Immacolata Amodeo bei ihrer Suche nach dem «Opernhaften» in Italien und Europa (cf. Amodeo 2007) trotz der großen Vielfalt und Komplexität der verschiedenen Ansätze am Ende eben diese, bereits von Antonio Gramsci festgestellte paradoxe Verknüpfung auf, in der «extreme Künstlichkeit und Konventionalität» auf «reine Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit» (ib., 197) treffe. Dieses zwiespältige Verhältnis ist in der Sprache der Libretti allerorten wieder zu finden: In dem Moment, in dem Sprache mit Musik und Bühnenhandlung verknüpft wird – so lautet also die These –, wird sie zu einer speziellen Kunstform, bei der aus Gründen der Verständlichkeit bzw. Verstehbarkeit der Mangel an Tiefe und Komplexität durch die Anhäufung gewisser sprachlicher und stilistischer Mittel wie etwa expressive Schlüsselwörter und rhetorische Formeln ausgeglichen wird. Als früher Vertreter dieser Schlüsselwort-Theorie kann bereits im 17. Jahrhundert Charles Perrault zitiert werden, der in seiner Paralelle des Anciens et des Modernes folgende Auffassung vertritt:

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Coletti bezeichnet dieses Phänomen als potenzierte poetische Sprache («un italiano che ha tutte le caratteristiche di quello letterario e poetico coevo, ma in una versione che le espone all’ennesima potenza», Coletti 2005, 21). Zu seinen Thesen cf. weiter unten im vorliegenden Kapitel. Als Beispiel für das banale Alltagsidiom nennt Ringger die Textzeile Che gelida manina! / Se la lasci riscaldar (La Bohème I), ein Beispiel für die kodierte Kunstsprache wäre Deserto sulla terra, / col rio destino in guerra (Il Trovatore I 3) (Ringger 1984, 504).

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«Il faut que, dans un mot qui se chante, la syllabe qu’on entend fasse deviner celle qu’on n’entend pas; que, dans une phrase, quelques mots qu’on a ouïs fassent suppléer ceux qui ont échappé à l’oreille, qu’une partie du discours suffise seule pour le faire comprendre tout entier. Or cela ne se peut faire à moins que les paroles, les expressions et les pensées ne soient fort naturelles, fort connues, et fort usitées» (Perrault 21693 [1971], vol. 3, 241).107

Mit derartigen Techniken setzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Ferruccio Busoni auseinander, der zugleich Komponist und Librettist war und sich seine Operntexte in der Regel selbst schrieb. In seinem Entwurf eines Vorwortes zur Partitur des «Doktor Faust» enthaltend einige Betrachtungen über die Möglichkeiten der Oper (Busoni 1922) verwendet er den Begriff des Schlagwortes,108 das der Musik und der Handlung den Raum verschaffe, den sie benötigen, um vom Publikum richtig wahrgenommen und verstanden zu werden. Das sei zwar unnatürlich und unrealistisch, aber im Zusammenhang der spezifischen literarischen Form der Oper eben unausweichlich: «(Wie unnatürlich! Aber gewiß, recht sehr unnatürlich. Was anderes kann und soll die Oper sein, als etwas Unnatürliches? Was könnte in der Oper ‹natürlich› wirken? Von diesen Voraussetzungen müssen wir, bei der Ausgestaltung der Oper, bewußt ausgehen, jene zum Fundament jeden Aufbaues machen.) So verlange ich vom Operntext, daß er nicht allein die Musik herbeibeschwöre; sondern überdies, daß er ihr Raum zur Entfaltung gönne. Das Wort gestatte der Musik auszuklingen; andererseits zwinge es sie nicht, sich ihm, dem Wort, zu Diensten ungebührlich auszudehnen, wenn sie selbst zu Ende gesprochen hat» (Busoni 1922, 24).

An Hand einer fiktiven Szene, die er zunächst als Schauspielszene, dann als Opernszene konstruiert, erläutert er sodann, warum der Text in der Oper deutlich kürzer und bildhafter zu sein hat und kommt zu folgendem Schluss: «Darum ist für die Oper das Schlagwort ein unschätzbares Instrument, weil hier dem Zuschauer die Aufgabe zugemutet wird, zugleich zu schauen, zu denken und zu hören. Ein durchschnittlicher Zuschauer (und das Publikum stellt sich, im Groben, aus solchen zusammen) vermag aber nur einem von diesen Dreien auf einmal zu folgen. Deshalb ist dieser Kontrapunkt von geforderter Aufmerksamkeit dahin zu vereinfachen, daß Wort und Musik zurücktreten, wo die Handlung die vorderste Rolle hat (Beispiel: ein Zweikampf): daß Musik und Handlung im Hintergrund bleiben, wo ein Gedanke mitgeteilt

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Cf. hierzu auch Norman 1988, 291: «There is much more going on in an opera than is contained in the words of the text, and a librettist is obliged to choose understandable words and to use them in common, or at least ‹natural› and thus easy to understand, ways. A librettist is also obliged to choose words that, for the most part, are easy to sing and have pleasant sounds». An späterer Stelle verwendet er den Terminus «‹szenisches› Schlagwort» (Busoni 1922, 26), das – vermutlich unbeabsichtigt, da Busoni Verdis Brief an Ghislanzoni aller Wahrscheinlichkeit nach unbekannt war (cf. hierzu Döhring 2006/2007, 37) – stark an Verdis parola scenica erinnert und auch annähernd dasselbe bezeichnet, cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1.

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wird; daß Handlung und Wort sich bescheiden, wo die Musik ihren Faden spinnt. Ist doch die Oper Schaustück, Dichtung und Musik in Einem» (ib., 27).

Als Beispiel für ein solches Schlagwort nennt Busoni das Wort «Rivale», das dem Zuschauer sogleich signalisiere, welche Richtung die Interpretation der nun folgenden Handlung einzuschlagen habe. Die Signalhaftigkeit des sprachlichen Schlagwortes, das für ihn auch auf optischer (typische Kostüme, etwa eine Rittertracht) und szenischer Ebene (Dekoration und Schauplatz, etwa Wald, Kirche, Rittersaal, cf. ib., 26) existiert, ist das spezifische Charakteristikum der Kunstform Oper, die seiner ästhetischen Auffassung nach keine Illusion von Wirklichkeit oder Wahrscheinlichkeit erzeugen, sondern das Alltagsleben im Spiegel einer bewusst künstlichen, auf das Wesentliche reduzierten Welt zeigen soll.109 Auch die Formelhaftigkeit der Opernsprache, die aus wenigen ständig wiederholten und austauschbaren Versatzstücken zu bestehen scheint, wurde schon früh erkannt und parodiert. Luca Serianni zitiert den Poeten Filippo Pananti, der 1808 in seinem Stück Il poeta di teatro die Librettosprache satirisch überspitzt imitiert: «Senti, che pensi? Olà figli, consorte, Gelo, palpito, oh dei, sogno o son desto? Scostati, oh ciel! Ti lascio, io vado a morte! Tremo, che orror, che strano caso è questo! Misero, che farò? Sorte rubella! Fuggi, deh non partir, siedi e favella» (zit. nach Serianni 2002, 114).

Diese Zeilen sind ein Kaleidoskop der für die Librettosprache als typisch bezeichneten Techniken und Charakteristika. Zusätzlich zu den Schlüssel- oder Schlagwörtern (ciel, morte, orror, sorte etc.) klingen hier weitere sprachliche Strategien an, die an späterer Stelle detailliert analysiert werden sollen, so etwa Interjektionen und Invokationen (cf. weiter unten, Kap. 4.1.2.), Imperative (cf. Kap. 4.2.2.) oder Metaphern und Wortfelder (cf. Kap. 4.1.3.). All diese Aussagen beziehen sich allerdings auf eine Periode in der Geschichte der Oper, in der die Musik bereits der dominante Faktor gegenüber dem Text darstellt. Auch wenn dieser Bezug zumeist nicht expliziert wird, stammen die als Belege heran gezogenen Librettozitate fast ausschließlich aus Opern des 19. Jahrhunderts.110 Wie das voran gegangene Kapitel gezeigt hat, bedingt das Primat der

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Cf. hierzu Gier 1998a, 216. So zitiert etwa Serianni besonders Opern von Puccini oder Verdi (cf. Serianni 2002, passim), auch Ringger bezieht sich ausnahmslos auf Werke des 19. Jahrhunderts. Rossi lässt in seiner Analyse der Sprache und des Stils der Libretti zu den Rossini-Opern mehrfach Bemerkungen zum Libretto an sich fallen; trotz seiner expliziten Bezugnahme auf Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts (cf. Rossi 2005a, 25) zitiert er jedoch zumeist nur Libretti aus der Zeit nach 1800, dabei am häufigsten solche zu Rossini- oder Verdi-Opern. Libretti des 17. Jahrhunderts werden nicht erwähnt. Auch die geschilderte ästhetische Konzeption Busonis ist als Ausdruck seiner persönlichen Interpretation der Oper des 20. Jahrhunderts und nicht als historische Reflexion anzusehen.

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Musik («prima la musica», cf. weiter oben, Kap. 1.2.) jedoch eine Art Erstarrung der Sprache, die sich mehr und mehr durch Kodifizierung auszuzeichnen beginnt («[l]a forte codificazione della lingua librettistica», ib.): In dem Moment, in dem die Musik in der Oper einen höheren Stellenwert übernimmt als die Sprache, braucht letztere nicht mehr originell, innovativ und «reich» zu sein,111 komplizierte lexikalische Wendungen oder syntaktische Konstruktionen würden im Gegenteil sogar eher das Verständnis der Oper erschweren. Es bestätigt sich also der eingangs geschilderte Verdacht, dass die Geringschätzung der Librettosprache wie auch der gesamten Gattung vor allem auf nach 1800 entstandenen Werken basiert. Die bislang zitierten Aussagen über diese Sprachvarietät beziehen sich nahezu ausschließlich auf Opern von Rossini, Puccini, Bellini, Donizetti oder Verdi (bzw. auf die Oper zu Beginn des 20. Jahrhunderts, cf. Busoni 1922). Die genannten Strategien und Stilmittel lassen sich dort in der Tat in großer Zahl nachweisen (cf. hierzu die Analysen weiter unten, Kap. 4), doch wie stellen sich die in dieser Hinsicht bislang kaum untersuchten älteren Libretti dar? Sind die frühen Libretti des 17. Jahrhunderts «besser» oder «literarischer» als die des 19. Jahrhunderts? Weisen sie weniger oder mehr Stilmittel auf? Ist ein Libretto eines Philippe Quinault sprachlich «ärmer» als eine seiner zeitgleich entstandenen Tragödien? Gibt es im 17. und 18. Jahrhundert überhaupt deutlich wahrnehmbare Differenzen zwischen Opern- und Schauspieltexten?112 Und warum sollte ein Metastasio, der 27 Opernlibretti, 8 azioni sacri (Oratorien) und mehr als 30 azioni teatrali (Festspiele) schrieb, seine Sprache und seinen Stil jeweils ändern? Diesen Fragen gilt es in detaillierten Analysen auf den Grund zu gehen, um eine differenziertere Bewertung der hier untersuchten Sprachvarietät zu erreichen. Auch außerhalb der sprachlichen Analyse gelten oftmals die von Verdi vertonten Libretti als Idealtypus der gesamten Gattung, wenn dies auch nicht immer expliziert wird. So kritisiert etwa Carl Dahlhaus, dass oftmals die «Opera seria

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Wobei eine Erklärung, worin dieser sprachliche Reichtum bestehen soll, noch aussteht. Einen Ansatz dazu bieten die sprachstatistischen Analysen zur so genannten richesse du vocabulaire, die in Kap. 3.1. und 3.2. näher erläutert werden. So hat etwa ein Vergleich der Libretti Quinaults mit den Tragödien Racines einen weniger «reichen» Wortschatz bei Erstgenanntem erbracht (cf. Norman 1988), und dies, obwohl auch Racine für einen überwiegend recht eingeschränkten – allerdings nicht zwangsläufig minderwertigen – Wortschatz bekannt ist, cf. Bernet 1983, passim. Der Begriff «arm» sollte hier folglich nicht in einem pejorativen Sinne, sondern zunächst rein statistisch-wertfrei als Bezeichnung für einen weniger variationsreichen Wortschatz verwendet werden, der auch vom Autor beabsichtigt gewesen und ausgesprochen kunstvoll sein kann, cf. dazu weiter unten, Kap. 3. Man kann mit einiger Sicherheit annehmen, dass die ersten, um 1600 entstandenen Opernlibretti nicht sogleich ein fixiertes Idiom wiedergeben, das sie von anderen zeitgenössischen Texten abgrenzt, cf. z. B. Gier (1998a, 46) zu der bereits erwähnten Favola d’Orfeo von Alessandro Striggio (1607 zur Musik von Claudio Monteverdi uraufgeführt, cf. Korpuslibretto Q1): «Im Bewußtsein des Publikums existiert also noch keine Kunstform ‹Oper›: Das musikalische Drama ist vor allem Drama (oder Commedia), d. h., es definiert sich über den Text».

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des 19. Jahrhunderts das Anschauungsmodell» darstelle, an dem die «Ästhetik des musikalischen Theaters schlechthin» (Dahlhaus 1989c, 294) festgemacht werde.113 Auf historische oder kulturspezifische Differenzierungen wurde hier bislang kaum geachtet. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen stellt sich also die Notwendigkeit, zum einen Messfaktoren dafür zu ermitteln, wie reich oder komplex ein Text aus linguistischer Sicht ist, und zum anderen ein umfangreiches Datenmaterial aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Hauptgegenstand der vorliegenden Analysen soll daher die Untersuchung dieses spezifischen Idioms sein, wie es sich in italienischen (und – zum Vergleich – französischen) Libretti des 17., 18. und 19. Jahrhunderts darstellt (und verändert). Begleitend zu der Analyse von einzelnen Libretti muss außerdem ein Augenmerk auf die Fragen gelegt werden, wie stark der (kultur)historische Kontext die Sprache in der Oper beeinflusst hat und ob sich die genannten sprachlichen Strategien dieses Genres auch schon vor 1800 zeigen. Interessant erscheint zudem die Frage, ob sich das Librettoidiom von ca. 1600 bis ca. 1800 kontinuierlich entwickelt, oder ob sich ein – evtl. durch die beschriebene Umbewertung der Wort-Musik-Relation ausgelöster – Bruch feststellen lässt. Einen ersten Ansatz für eine solche Untersuchung bietet Coletti (2005), der ebendiesen Bruch zwischen den im metastasianischen Stil geschriebenen opere serie des späten 18. und dem romantischen melodramma des frühen 19. Jahrhunderts ansetzt.114 Auch er stellt die bereits genannten Charakteristika von Libretti heraus (phonomorphologische Archaismen, lexikalische Raritäten, hyperliterarische syntaktische Strukturen); anders als seine Vorgänger schreibt er diese Merkmale allerdings explizit dem primo Ottocento zu und entwirft ein «modello romantico», das er dem «modello metastasiano» (ib., 22) gegenüber stellt. Letzteres wird allerdings nur kursorisch mit den Kennzeichen «sintassi mediamente lineare», «lessico non esibito» und «morfologia letteraria consolidata e tradizionale» (ib.) versehen und nicht im Detail analysiert. Coletti erklärt den Bruch zwischen den beiden Modellen, den er als «un momento di radicale cambiamento linguistico» (ib., 21) bezeichnet,115 mit dem Zusammentreffen von «[l]a rivoluzione alfieriana nella lingua del teatro e la contorsione arcaizzante del neoclassicismo in quella della poesia» (ib.), das Auswirkungen auch auf die Sprache des Librettos hatten. Die einschneidende Veränderung des Librettoidioms koinzidiere also zeitlich nicht mit der bereits zuvor abgewickelten musikalisch-dramaturgischen Opernreform durch Gluck und Calzabigi (cf. weiter oben, Kap. 1.2.). Der große und bis heute

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An anderer Stelle widerspricht er sich jedoch teilweise selbst, cf. Dahlhaus 1989b, dazu Gier 1998b, 12s. Cf. hierzu auch bereits weiter oben, Kap. 1.2. Auf diese Aussage wird noch verschiedentlich zurückzukommen sein, cf. weiter unten, Kap. 4.

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anhaltende Erfolg der romantischen Oper116 habe allerdings bewirkt, so Coletti, dass oftmals versucht werde, deren linguistischen Merkmale auch in Barockopern und allgemein in Opern des 17. Jahrhunderts zu wieder zu finden, ohne dass jedoch der Versuch unternommen werde, die verschiedenen Modelle voneinander abzugrenzen: «Si aspetta dunque ancora una storia della lingua dei libretti che documenti e misuri il progressivo e infine decisivo complicarsi e aggrovigliarsi del linguaggio e quindi evidenzi i tratti di semplificazione e limpidità formale che caratterizzano i libretti seisettecenteschi e quelli di intorbidamento e complicazione propri di quelli romantici» (ib., 23).

Als Beleg für die großen Differenzen zwischen beiden Formen stellt Coletti Zeilen aus Metastasios Didone solchen aus La Sonnambula von Romani/Bellini gegenüber, die sich vor allem in morphologisch-syntaktischer Hinsicht unterscheiden («progressione lineare» vs. «torsione sintattica», ib.).117 Den barocken Stil charakterisiert er als «tutto antitesi e simmetrie» (ib., 24), präzisiert diese Angaben jedoch nicht weiter. Im Folgenden analysiert er sehr fundiert die metrischen Gegebenheiten der Librettosprache des 18. und 19. Jahrhunderts, doch bleibt auch hier die eigentliche Differenzierung zwischen den beiden Modellen an der Oberfläche, indem er sie lediglich als «tendenzialmente poliritmico e persino polimetrico» (Settecento) vs. «fortemente isoritmico oltre che isometrico» (Ottocento) bezeichnet (ib., 27). Auch Coletti verfällt schließlich der Verlockung, die Librettosprache vorrangig aus dem Kontext der Oper des 19. Jahrhunderts heraus zu defi nieren, indem er fast ausschließlich Werke von Bellini, Puccini, Rossini oder Verdi zitiert (und die Librettisten gar nicht mehr nennt). Es bleibt ein Desiderat, das vor allem die Sprache der frühen Libretti des 17. Jahrhunderts betrifft. Hier gilt es auszuloten, welche Charakteristika gerade die ersten Operntexte aufweisen, die sie von Sprechtheater- und lyrischen Texten unterscheiden. Ab wann, so kann man sich fragen, beginnt sich das LibrettoIdiom eindeutig als Genre konstituierendes Merkmal auszuprägen, und welche

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Betrachtet man einmal die Spielpläne der großen Opernhäuser hinsichtlich der Verteilung der Opern nach Jahrhunderten, so fällt – ohne dass hier verlässliche Zahlen genannt werden könnten – auf, dass die Opern des 19. Jahrhunderts den mit Abstand größten Anteil bilden, gefolgt von Mozart-Opern und, je nach Schwerpunkt der jeweiligen Spielstätte, der einen oder anderen Barockoper von Händel oder Vivaldi. Die frühen Opern kommen äußerst selten zur Aufführung, und dies zumeist bei Festspielen oder anderen speziellen Anlässen. Die Differenz zwischen opere serie und opere buffe sei dagegen, so Coletti, eher gering, sie bestehe im großen Jahrhundert der komischen Oper, dem 18. Jahrhundert, vor allem in der Lexik. Aus syntaktischer Sicht verwende die opera buffa lediglich längere Sequenzen, z. B. Aufzählungen; ansonsten bediene sie sich zur Abgrenzung vom ernsten Fach vorrangig der Fremdsprachen, Dialekte oder erfundener Sprachen (cf. ib., 24). Dieser Aspekt müsste allerdings noch gründlich hinterfragt und empirisch belegt werden.

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sprachlichen Bereiche sind davon betroffen? Zudem soll der Bruch zwischen den beiden (drei?) Modellen näher untersucht werden. Liegen die Ursachen für die starke Veränderung der Librettosprache nach 1800 im außermusikalischen Kontext begründet oder sind sie doch eher ein Resultat aus der sich wandelnden Auffassung der musica-parole-Dominanz (cf. weiter oben, Kap. 1.2.)? Die Analyse des im folgenden Kapitel vorgestellten heterogenen Korpus soll erste Ansätze für die Beantwortung dieser Fragen liefern.

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2.

Korpus und Methodik

2.1.

Zum Korpus

2.1.1.

Aspekte der Korpuszusammenstellung

Die in dieser Arbeit präsentierten Untersuchungen basieren auf zwei unterschiedlichen Korpora: einem Analysekorpus, das speziell für die auf Methoden der quantitativen Linguistik beruhenden Untersuchungen (Kap. 3.) zusammengestellt und erschlossen wurde («Quantitatives Korpus», im Folgenden Q, 10 Libretti), und einem «Ergänzungskorpus» (im Folgenden E, 6 Libretti), das als zusätzliche Datengrundlage für die weiteren Analysen (Kap. 4.) diente. Beide Korpora wurden anfänglich auf ähnliche Weise entwickelt: Zur sprachlichen Absicherung wurde jedes Werk zunächst – sofern greifbar – im Originaldruck eingesehen oder andernfalls von einer soliden Edition ausgehend digitalisiert.1 Die überwiegende Anzahl der Libretti ist zudem frei im Internet verfügbar, allerdings in aus editionsphilologischer Sicht nur teilweise zuverlässiger Form. Eine reichhaltige Auswahl an elektronisch gespeicherten und frei zugänglichen Opernlibretti liefert beispielsweise (wenn auch mit einer wenig umfangreichen Auswahl an Analysewerkzeugen) die Sammlung gallica der Pariser Bibliothèque nationale.2 Auch die vom Institut National de la Langue Française (INaLF) hergestellte Datenbank Frantext bietet einige (ausschließlich französische) Librettotexte.3 Für sprachstatistische Analysen sehr hilfreich ist die IntraText Digital Library, die diverse Texte – u. a. ausgewählte

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Die Drucke der älteren Libretti (bis ca. 1750) sind dabei in der Regel recht leicht erreichbar, bei den späteren Werken wurde zumeist auf eine moderne kritische Edition zurückgegriffen. Die Quellenangaben zu den einzelnen Libretti werden weiter unten in diesem Abschnitt detailliert aufgeführt. Cf. http://gallica.bnf.fr, hier sind vor allem französische Texte verfügbar. So findet sich etwa der gescannte Originaldruck von Philippe Quinaults Roland in der Neuausgabe von Christophe Ballard (Paris, 1709) unter der Adresse http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ bpt6k89397t.notice (beide zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Cf. http://atilf.atilf.fr/artis/nvlbiblio.htm (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Hier findet sich ebenfalls das Roland-Libretto von Philippe Quinault nach dem ersten Druck von Ballard (Paris, 1685). Die Datenbank ist allerdings nur im (kostenpflichtigen) Abonnement zugänglich.

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(hauptsächlich italienische) Opernlibretti – als lexikalische Hypertexte anbietet.4 Dort können vor allem für quantitative Detailanalysen relevante Werkzeuge direkt an den Texten eingesetzt und etwa Konkordanzen, Glossare, Frequenzlisten oder kwic-Indizes5 erstellt werden; auch die Ermittlung von durchschnittlichen Silbenlängen oder anderen statistischen Werten ist möglich.6 Weitere für diese Arbeit genutzte elektronische Medien sind vor allem die die hervorragende Printedition sämtlicher drammi per musica Metastasios durch Anna Laura Bellina (2002–2004) begleitende cd-rom, deren Inhalte auch frei im Internet verfügbar sind,7 und das ebenfalls im Internet wie (gegen Gebühr) auf cd-rom erhältliche Korpus Libretti d’opera italiani von Dario Zanotti.8 Die letztgenannte Sammlung von italienischen Libretti ist ausdrücklich nicht auf philologische Forschungen ausgerichtet,9 bietet aber dennoch wertvolle Hilfen zum Erschließen der einzelnen Texte (Statistiken, Ordnung der Daten nach bestimmten Rubriken) sowie – neben Hörproben – vor allem historisch und musikwissenschaftlich relevante Daten und Dokumente, bis hin zu Bilddateien der Titelseiten von Programmen zu Erstaufführungen.10 Zu nennen ist außerdem die bereits erwähnte cd-rom Operntexte von Monteverdi bis Strauß. Originalsprachliche Libretti mit deutschen Übersetzungen (Hafki 2002), die in der Reihe Digitale Bibliothek (vol. 57) erschienen ist, jedoch nur bedingt für Forschungen der vorliegenden Art eingesetzt werden kann (cf. die Kritik weiter oben, Kap. 1.2.).11

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Cf. http://www.intratext.com (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Diese Datenbank enthält allein 20 Libretti von Felice Romani und 32 von Pietro Metastasio. kwic steht für Key Word In Context und meint die Darstellung von ausgewählten Stichwörtern in ihrem textuellen Zusammenhang; so könnte man etwa sämtliche Belege des Wortes druidi in der Oper Norma (19 Belege) im Kontext ansehen und semantische oder syntaktische Zusammenhänge ermitteln, was auch zur Auffindung von operntypischen Schlüssel- oder Schlagwörtern hilfreich sein kann, cf. weiter unten, Kap. 4.1.1. Für den Laien ist diese interaktive Datenbank allerdings nicht ohne weiteres erschließbar; für wissenschaftlich solide Ergebnisse müssen zudem zahlreiche Kontextanalysen durchgeführt werden. Cf. http://www.progettometastasio.it/pietrometastasio (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Cf. http://www.librettidopera.it (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). «Non c’è un intento filologico, troppo complesso per essere trattato con le nostre risorse: vi è invece un intento divulgativo, la volontà di far conoscere i vari aspetti di una parte della nostra cultura» (Dario Zanotti in der Presentazione zu http://www.librettidopera.it). So z. B. die Titelseite der Erstaufführungen von Aida in italienischer, französischer, türkischer und arabischer Sprache. Weitere hilfreiche Internet-Seiten, die Libretti bzw. diesbezügliche Informationen liefern, sind etwa http://www.karadar.com, http://www.impresario.ch/libretto, http://opernarchiv.net (diese Seite wird allerdings bereits seit längerer Zeit überarbeitet), http://musiscope.com/livrets.htm, http://www.aria-database.com etc. Eine Sammlung von nützlichen Links bietet auch http://wwwsys.informatik.fh-wiesbaden.de/weber1/opera/ libsrc.htm (alle zuletzt eingesehen am 16.01.2011).

48

Die Qualität der im Print vorliegenden Librettoeditionen schwankt ebenfalls erheblich. Während für die bekannten Librettisten wie Pietro Metastasio eine breite Editionslandschaft mit teilweise sehr anspruchsvollen textkritischen Editionen vorzufinden ist,12 existieren von unbekannteren Werken oftmals nur eine oder zwei Editionen, manchmal lediglich als Teil der Partitur.13 Teilweise sind die hier zu Grunde gelegten Libretti auch in Gesamteditionen der Werke eines Komponisten enthalten und dann aus eher literatur- oder musikwissenschaftlicher denn aus textphilologischer Sicht geprägt.14 Eine weitere Quelle, die zu Textvergleichen herangezogen wurde, sind Anthologien, die entgegen ihrem Ruf z. T. eine beachtliche textkritische Qualität aufweisen.15 Die durch den auch intermedialen Vergleich der verschiedenen Editionen entstandenen Korpora können also aus textphilologischer Sicht als durchgehend verlässlich gelten.16 Während Korpus E in dieser «reinen» Form bestehen blieb, wurde für jedes der 10 Libretti aus Q darauf hin aus den auf reine Textdaten reduzierten Dateien17 ein ausführlicher Thesaurus erstellt, in dem sämtliche auftretenden Okkurrenzen aufgelistet, lemmatisiert und annotiert wurden.18 Ein sehr hilfreiches Instrument für diese semiautomatische Annotierung war der TreeTagger, ein am Institut für Maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart (IMS) entwickelter stochastischer Tagger, der sprachunabhängig u. a. Texte mit

12 13 14

15

16

17

18

Die bekannteren sind Brunelli 1947–1954, Brunelli/Fubini 1968 und zuletzt Bellina 2002–2004. Letztere wurde hier maßgeblich zu Grunde gelegt. Cf. etwa Benvenuti 1942 (Partitur von Monteverdis Favola d’Orfeo). Cf. etwa den Band Tutti i libretti di Verdi von Baldacci 1975 oder – qualitativ höher einzuschätzen – die Edizione critica delle opere di Gioachino Rossini durch Gossett 2001. Zu Rossini cf. auch Beghelli/Gallino 1991. Cf. etwa die Libretti d’opera italiani dal Seicento al Novecento von Gronda/Fabbri 1997. Weniger textkritisch, jedoch ebenfalls recht zuverlässig ist das Grande libro dell’opera italiana von Mioli 2001, dessen Auswahl der cento migliori libretti della tradizione operistica (Untertitel) allerdings kritisch gesehen werden kann. Auch wenn in einer korpuslinguistischen und nur am Rande sprachhistorischen Arbeit wie der vorliegenden Aspekte wie etwa Varianz, Interpunktion, Schrifttyp etc. eine untergeordnete Rolle spielen (anders als etwa in der Edition mittelalterlicher Dokumente, cf. hierzu etwa Holtus/Overbeck/Völker 2003a oder Overbeck 2003a), wurde auf die orthographische wie formale Korrektheit der Quellentexte großen Wert gelegt. Sämtliche Schwellentexte wie Regieanweisungen, Personenangaben oder Bühnenanweisungen wurden getilgt, bis nur noch der reine Gesangstext übrig blieb, cf. weiter unten in diesem Abschnitt, Dokumentation 2. Auf die Problematik der Festlegung und Definition einer lexikalischen Einheit, die jeder quantitativen Untersuchung vorausgehen muss, cf. weiter unten, Kap. 2.2.1. und 2.2.2., und grundlegend Muller 1972, 161ss. Grundsätzlich wurde dem allgemeinen Konsens gefolgt, dass für die quantitative Auszählung zunächst – als bestmöglicher Kompromiss – gilt: 1 Wort = 1 graphische Einheit. Cf. hierzu Bernet 1983, 28s., und Best 2005, 265s.

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Wortart- und Lemmainformationen annotieren kann.19 Der große Vorteil dieses Taggers besteht darin, dass er zur Disambiguierung von Homographien, Polysemien und anderen grammatikalisch nicht eindeutigen Okkurrenzen nicht nur mit probabilistischen Methoden arbeitet, sondern zur korrekten Annotierung so genannte Entscheidungsbäumchen (decision trees) verwendet, die den Kontext der zu bestimmenden Okkurrenz eingrenzen und bei der morphologisch-syntaktischen Definition mit einbeziehen (cf. Schmid 1994 und Stein/Glessgen 2005).20 Dabei ist – anders als bei vergleichbaren probabilistischen Ansätzen 21 – besonders erfreulich, dass der TreeTagger auf der Grundlage eines relativ geringen Trainingsmaterials eine hohe Ergebnispräzision erreichen kann.22 Jede Okkurrenz wird zunächst im Vollformlexikon gesucht, das aus einem getaggten Trainigskorpus erzeugt wurde. Im Falle des Scheiterns wird sodann ein Suffixlexikon (bzw. Präfixlexikon, cf. Schmid 1995, 6) durchsucht, das bestimmte Wahrscheinlichkeitsvektoren liefert. Auf der Grundlage dieses Programms konnte zunächst für alle Libretti im Korpus Q ein Thesaurus erstellt werden, der jeder Okkurrenz (= alle auftretenden Belege, tokens) ein Lemma (= alle verschiedenen Wörter, types)23 und eine Wort-

19

20

21

22 23

Er wurde von Helmut Schmid entwickelt und von Achim Stein für das Französische und Italienische angepasst. Momentan liegen Parameterdateien für die Sprachen Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Bulgarisch, Russisch und Griechisch vor; mit Hilfe einer Lexikondatei und einem manuell getaggten Korpus kann der TreeTagger jedoch auch in weiteren Sprachen «trainiert» werden. An Stelle einer Auflistung technischer Details sei an dieser Stelle verwiesen auf die Site http://www. ims.uni-stuttgart.de/projekte/corplex/TreeTagger/. Neuerdings existiert auch ein sehr benutzerfreundliches Windows-Interface für den Tree Tagger von Ciarán Ó Duibhín, cf. http://www.smo.uhi.ac.uk/~oduibhin/oideasra/interfaces/winttinterface.htm (alle zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Cf. auch Schmid 1994 und 1995 und Stein/Glessgen 2005. Zur Polysemie als Phänomen, mit dem sich die Quantitative Linguistik auseinandersetzt, cf. weiter unten, Kap. 2.2.2., und Levickij 2005. Er schildert dieses Phänomen anschaulich (ib., 459) am Beispiel von stark ‘dick, fest’ und stark ‘dick, beleibt’, zu dessen Disambiguierung der Kontext oft eindeutige Hinweise (Zwirn, Tuch, Mauer, Ast vs. Mann, Frau) liefert. Ausgelassen wurde jedoch – ohne weitere Erläuterung – die semantische Komponente stark ‘durchhaltefähig, zäh’. Zum probabilistischen Parsing cf. grundlegend Naumann 2005. Diese vorwiegend syntaktische Annotation wurde in der vorliegenden Arbeit nicht durchgeführt, wäre aber für Folgeanalysen vorstellbar. Die fortschreitenden Entwicklung elektronischer Ressourcen und des entsprechenden Analyseinstrumentariums machen solche komplexen Anwendungen auch für den Nicht-Informatiker zunehmend zugänglich. Cf. etwa den Beitrag von Stein (2004), dessen Voraussagen zu den Perspektiven der Forschung mit elektronischen Ressourcen (cf. ib., bes. 121s.) sich inzwischen bereits teilweise bewahrheitet haben. Cf. zuvor bereits Stein 1995. Im Altfranzösisch-Korpus von Stein/Glessgen (2005, 141) etwa wurde eine Trefferquote von 96,3 % erreicht. Im Folgenden werden die Begriffe Okkurrenz und token einerseits sowie Lemma und type andererseits jeweils synonym verwendet. Auf die Verwendung des in der Linguistik ohnehin schwer definierbaren Begriffes Wort wird bewusst verzichtet, auch wenn die Terminologie hier schwankt; so unterscheidet die französische Schule zumeist zwischen mot-occurrence und vocable (cf. etwa Bernet 1983, 33 und passim), was in der deutschen

50

artinformation zuweist (part-of-speech tagging oder étiquetage, cf. Stein 2004, 12). Danach musste das vom Programm gelieferte Material (cf. weiter unten, Dokumentation 3) in einer Reihe von Korrekturläufen manuell überprüft werden, wobei z. B. nicht erkannte Homographien bzw. Polysemien zu trennen und richtig zuzuordnen waren. Auch die für die italienische Sprache der Dichtung typischen troncamenti mussten dem Programm erst «beigebracht» werden. Die Überführung der korrigierten Version in eine excel-Datei ermöglichte sodann die Verwendung diverser Filterfunktionen, durch die nun beliebige Wortartklassen zusammengefasst, getrennt betrachtet oder kontrastiv untersucht werden können, wobei sowohl korpusweite als auch auf ein oder mehrere ausgesuchte Libretti beschränkte Analysen möglich sind (cf. weiter unten, Dokumentation 4). Als ebenfalls hilfreich, jedoch weniger variabel stellte sich eine weitere Software zur Frequenzanalyse und Konkordanzenerstellung mit dem Namen langanal dar,24 die absolute und relative Werte für Textkorpora ermittelt und Frequenzlisten erstellt, jedoch letztendlich nicht im gleichen Maße einsatzfähig war wie der TreeTagger. Im Folgenden seien die zur Vorbereitung auf die quantitativen Analysen nötigen Arbeitsschritte kurz exemplarisch am Beispiel der ersten Szene im ersten Akt der Oper Ernani von Francesco Maria Piave und Giuseppe Verdi aus dem Jahr 1851 illustriert:

[Dokumentation 1: Ernani I 1, Ausschnitt aus Datei Piave_Ernani.doc]

Giuseppe Verdi, Ernani, Dramma lirico in quattro parti, Libretto di Francesco Maria Piave Parte I: Il bandito Scena I Montagne dell’Aragona. Vedesi in lontananza il moresco castello di Don Ruy Gomez de Silva. È presso il tramonto. Coro di ribelli montanari e banditi. Mangiano e bevono: parte gioca, e parte assetta le armi.

24

Übersetzung als Wort und Vokabel wiedergegeben wird (cf. etwa Muller 1972, 164 und passim), jedoch zu uneindeutigen Definitionen führen kann. Es handelt sich um ein am Romanischen Seminar der Universität Mainz entwickeltes und unter der Adresse http://www.romanistik.uni-mainz.de/hisp/software/langanal.zip (zuletzt eingesehen am 22.06.2009) ehemals frei abrufbares, jetzt nur noch für Lehrende und Studierende der Universität Mainz zugängliches DOS-basiertes Programm. Es war hilfreich zur Erstellung der Rang-Frequenz-Listen, die in Kap. 3.1.1. vorgestellt werden.

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TUTTI Evviva!... Beviamo! – Nel vino cerchiamo almeno un piacer! Che resta al bandito, – da tutti sfuggito, se manca il bicchier? CORO I Giuochiamo, ché l’oro – è vano tesoro, qual viene sen va. Giuochiam, se la vita – non fa più gradita ridente beltà! CORO II Per boschi e pendici – abbiam soli amici, moschetto e pugnal. Quand’esce la notte – nell’orride grotte ne forman guancial. TUTTI Allegri! Beviamo!... Beviam! – Nel vino cerchiam almeno un piacer!

[Dokumentation 2: Ernani I 1, Ausschnitt aus Textdatei Piave_Ernani.txt, reine Textdaten ohne Interpunktion und Schwellentexte] Evviva Beviamo Nel vino cerchiamo almeno un piacer Che resta al bandito da tutti sfuggito se manca il bicchier Giuochiamo ché l’oro è vano tesoro qual viene sen va Giuochiam se la vita non fa più gradita ridente beltà Per boschi e pendici abbiam soli amici moschetto e pugnal Quand’esce la notte nell’orride grotte ne forman guancial Allegri Beviamo Beviam Nel vino cerchiam almeno un piacer

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[Dokumentation 3: Ernani I 1, Ausschnitt aus Datei TTPiave_Ernani.txt, nach 1. Durchgang des TreeTagger, ohne Korrektur, nicht alphabetisiert] 25 Evviva Beviamo Nel cerchiamo almeno un piacer Che resta al bandito da tutti sfuggito se manca il bicchier Giuochiamo ché l’ oro è vano tesoro qual viene sen va Giuochiam se la vita non fa più gradita ridente

25

INT VER:impe NOM VER:impe ADV DET:indef VER:in¿ ADJ NOM PRE:det NOM PRE PRO:indef VER:pper CON VER:pres DET:def NOM VER:impe CON DET:def NOM VER:pres ADJ NOM ADJ VER:pres NOM VER:pres NOM CON DET:def NOM ADV VER:pres ADV VER:pper VER:ppre

evviva bevere Nel cercare almeno un piacere che resta al bandito da tutto sfuggire se mancare il bicchier giocare ché il oro essere vano tesoro quale venire sen andare Giuochiam se il vita non fare più gradire ridere

ADJ = Adjektiv, ADV = Adverb, CON = Konjunktion, DET = Artikel, INT = Interjektion, NOM = Substantiv, NPR = Eigenname, PRE = Präposition, PRO = Pronomen, VER = Verb (mit den entsprechenden Tempus-Spezifizierungen). Hier sind die Fehler gut ersichtlich, die das Programm ohne «Training» an einem Librettokorpus begeht, cf. etwa die Zuordnung NOM zu Nel und Per (wegen der Majuskel?), die Verwechslung der Homographien resta (Substantiv) und resta (3.P.Sg.Präs.Ind. von restare) oder die Falschzuordnung der zahlreichen librettotypischen troncamenti wie bei forman, Giuochiam oder Beviam etc.

53

beltà Per boschi e pendici abbiam soli amici moschetto e pugnal Quand’ esce la notte nell’ orride grotte ne forman guancial Allegri Beviamo Beviam Nel vino cerchiam almeno un piacer

NOM NOM NOM CON NOM VER:cpre ADJ ADJ NOM CON NOM PRO VER:pres DET:def NOM PRE:det ADJ NOM PRE NOM NOM ADJ VER:impe NOM NOM NOM NOM ADV DET:indef VER:in¿

beltà Per bosco e pendice abbiam solo amico moschetto e pugnal quando uscire il notte nel orrido grotta ne forman guancial allegro bevere Beviam Nel vino cerchiam almeno un piacere

etc. [Dokumentation 4: Ernani, Ausschnitt aus EXCEL-Datei ThesPiave_Ernani.xls, alphabetisierter, korrigierter Thesaurus (Beginn Buchstabe A)] 26 Okkurrenz/token

Wortart

Lemma/type

Anzahl tokens Anzahl tokens pro type

a abbandono (t’) abbatterò abbi abbia

PRE VER:pres VER:futu VER:impe VER:cpre

a abbandonarsi abbattere avere avere

57 1 1 1 2

26

57 1 1 40 #

In der ersten Spalte steht die jeweilige Okkurrenz, es folgt die abgekürzte Wortartangabe, die dritte Spalte enthält das dazu gehörige Lemma, gefolgt von der gezählten Anzahl der tokens (= absolute Anzahl der identischen Wortformen/Okkurrenzen) und der tokens pro entsprechendem type (= absolute Anzahl von Belegen zu dem entsprechenden Lemma; [#] bedeutet, dass die Zahl bei der jeweils ersten Nennung des Lemmas aufgeführt

54

Okkurrenz/token

Wortart

Lemma/type

Anzahl tokens Anzahl tokens pro type

abbiam Abbiate abborra (t’) abborrito accenda accento acciar acciaro acclamava (v’) accresca acquista ad addio additeranno adduci adesso adora adorato adornasti (t’) aduna (s’) adunque affanni affanno affetti affetto afÀlano affretta affretterò aggira (s’) agli ah ahi ai aiuole aiuto al

VER:pres VER:impe VER:pres ADJ VER:pres NOM NOM NOM VER:impf VER:pres VER:pres PRE INT VER:futu VER:pres ADV VER:pres VER:pper VER:remo VER:pres CON NOM NOM NOM NOM VER:pres VER:pres VER:futu VER:pres PRE:det INT INT PRE:det NOM NOM PRE:det

avere avere abborrarsi abborrito accendere accento acciaro acciaro acclamarsi accrescere acquistare ad addio additare addurre adesso adorare adorare adornarsi adunarsi adunque affanno affanno affetto affetto afÀlare affrettare affrettare aggirarsi al ah ahi al aiuola aiuto al

2 2 1 1 1 3 1 1 1 1 1 5 2 1 1 2 2 1 1 1 3 6 3 1 1 1 4 1 1 1 19 1 2 1 1 45

# # 1 1 1 3 2 # 1 1 1 5 2 1 1 2 3 # 1 1 3 9 # 2 # 1 5 # 1 59 19 1 # 1 1 #

ist und nicht wiederholt wird). Ein Beispiel: Die Okkurrenz abbi als Imperativ Sg. tritt insgesamt 1 Mal im Ernani auf; sie wird dem Lemma (hier = Infinitiv) avere zugeteilt, das wiederum mit 40 Belegen im Gesamtlibretto vertreten ist. Bei abbia (2 Okkurrenzen) wird dann in Spalte 5 das Zeichen [#] eingesetzt. Hier wird gut ersichtlich, warum ein manueller Kontrollgang unerlässlich ist: So kann das Programm etwa bei den Tempora auch aus dem Kontext oft nur schwer erschließen, ob eine Form wie abbiamo (bzw. trunkiert abbiam) den Indikativ oder Konjunktiv Präsens (oder gar den Imperativ Präsens) wiedergibt. Zuverlässiger war der TreeTagger bei der Disambiguierung von unterschiedlichen Wortarten, etwa bei amante (Substantiv) und amante (Adjektiv), da in diesen Fällen der Kontext entscheidende Schlüsse auf die Wortart zulässt (hier etwa ein das Substantiv begleitender Artikel).

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Okkurrenz/token

Wortart

Lemma/type

Anzahl tokens Anzahl tokens pro type

alcuno alÀne all’ alla Allegri alletta allo alma alme almeno altar altri altro alzerò ama amante amante amare amarmi amaro amate amate (v’) ambi ambirien ambo ami amiamo amici amico

PRO:indef ADV PRE:det PRE:det ADJ VER:pres PRE:det NOM NOM ADV NOM PRO:indef PRO:indef VER:futu VER:pres ADJ NOM ADJ VER:inÀ ADJ VER:impe VER:pres ADJ VER:pres ADJ VER:pres VER:cpre NOM NOM

alcuno alÀne al al allegro allettare al alma alma almeno altare altro altro alzare amare amante amante amaro amarsi amaro amare amarsi ambo ambire ambo amare amare amico amico

1 6 6 4 2 1 1 2 2 6 1 1 3 1 1 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 3 1 2 1

1 6 # # 2 1 # 4 # 6 1 4 # 1 9 2 2 2 2 # # # 2 1 # # # 3 #

etc. Das nach quantitativen Gesichtspunkten zusammen gestellte Textkorpus Q besteht aus insgesamt 10 Opernlibretti, davon drei aus dem 17. Jahrhundert, drei aus dem 18. und vier aus dem 19. Jahrhundert. Dieses Korpus umfasst insgesamt 11.411 Verse und 53.956 thesaurierte Okkurrenzen, was vielleicht deutlich machen kann, weshalb das «Quantitative Korpus» im Rahmen dieser Arbeit keine größere Zahl an Libretti umfassen kann. Ergänzungskorpus E enthält 6 weitere Libretti, davon eines vom Ende des 16. Jahrhunderts,27 eines aus dem 17., zwei aus dem 18. und zwei aus dem 19. Jahrhundert.28

27

28

Angesprochen ist hier die als erste Oper überhaupt bezeichnete Dafne von 1598, cf. weiter oben, Kap. 1.1. und 1.2, die in sprachlicher Hinsicht den florentinischen Opern des frühen 17. Jahrhunderts zuzuordnen ist. Details zu den einzelnen Opern finden sich weiter unten in diesem Abschnitt.

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Für die Beantwortung der Frage, ob die Sprache italienischer Libretti erst im 19. Jahrhundert die Form erreichte, die heute in der Literatur als das Librettoidiom bezeichnet wird, sind zudem Querschnitte durch beide Korpora möglich, die eine diachrone Erschließung gewährleisten, etwa nach Jahrhunderten (17. Jh.: 5 Libretti, 18. Jh.: 5 Libretti, 19. Jh.: 6 Libretti) oder kontrastiv «19. Jahrhundert vs. Rest» (19. Jh.: 6 Libretti vs. 17./18. Jh.: 10 Libretti). Auch eine spätere Gegenüberstellung von Sprachen (französische vs. italienische Libretti) 29 oder Gattungen (Libretti vs. Sprechtheatertexte) ist denkbar, in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht angelegt. Die Auswahl der hier analysierten Libretti erfolgte unter Berücksichtigung der verschiedensten Gesichtspunkte, die sowohl linguistischen als auch musikhistorischen sowie rein praktischen Anforderungen entsprechen. Zum einen wurde darauf geachtet, dass die Opern – auch die aus jeweils denselben Jahrhunderten – möglichst unterschiedlich sind, damit trotz der relativ geringen Anzahl der Libretti eine möglichst große sprachliche wie kulturelle Spanne umfasst werden kann. So sind etwa die vier Opern aus dem 16./17. Jahrhundert kaum als Einheit zu bezeichnen, nicht nur wegen der bis zu 74 Jahre, die zwischen ihrem jeweiligen Entstehen liegen (E1: 1598 – Q2: 1672), sondern vor allem weil sie aus gänzlich unterschiedlichen kulturhistorischen Kontexten stammen.30 Das als Korrektiv fungierende einzelne französische Libretto kann selbstredend nicht die französische Opernsprache repäsentieren, wurde jedoch aus Gründen der Varianz (und als Anregung für eventuelle sprachkomparatistische Folgestudien) aufgenommen; es hat somit eine gewisse Kontrollfunktion inne, die verhindert, dass der Blick zu isoliert auf nur eine der großen Opernsprachen gerichtet wird. Vor allem die quantitativen Analysen illustrieren hier sehr anschaulich die strukturellen Differenzen zwischen der italienischen und der französischen Sprache (cf. Kap. 3). Da es sich nicht um eine textkritische Analyse handelt, wurden hauptsächlich solche Libretti ausgesucht, die jeweils eindeutig einem einzelnen Librettisten zugeordnet werden können und möglichst auf einer klar identifizierbaren literarischen

29 30

Hier müsste die Materialbasis natürlich erweitert bzw. um andere Sprachen, etwa das Englische oder Deutsche, ergänzt werden. Während die früheste Oper, La Dafne (1598, E1), wie auch das erste der hier aufgenommenen Orfeo-Libretti von Alessandro Striggio (1607, Q1) vom Typ her eher pastoralen Tragikomödien entsprechen (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.), sind die beiden späteren Libretti von Nicolò Minato (Xerse, 1654, E2) und Aurelio Aureli (L’Orfeo, 1672, Q2) typische Vertreter des venezianischen Librettos der Zeit und aus musikhistorischer Sicht von ihren Vorgängern zu differenzieren (cf. Kap. 1.2.). Mit Absicht wurden für das Korpus der vorliegenden Arbeit hier zwei verschiedene Libretti mit demselben Stoff (Orpheus), aber gänzlich anderer musikalischer Prägung ausgewählt (cf. Q1 und Q2). Auch der Umfang ist sehr unterschiedlich: Während das Libretto von Striggio insgesamt nur 678 Verse und 3966 Okkurrenzen enthält, wächst der Umfang bei Aureli auf 1706 Verse und 8607 Okkurrenzen. Ob sich diese Differenzen jedoch auch in sprachlicher Hinsicht bestätigen lassen, soll an späterer Stelle geklärt werden.

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Vorlage beruhen.31 Bevorzugt wurden zudem Libretti, die in nur einer Version vorliegen und nur von einem Komponisten vertont wurden, was allerdings in manchen Fällen, etwa bei Pietro Metastasio, so gut wie unmöglich ist. Alle Libretti sind zudem der Gattung der opera seria (bzw. ihrer Vorgänger und Nachfolger)32 zuzuordnen; alle Arten von opera buffa, komischer Oper, opéra-comique etc. wurden bewusst vernachlässigt, was mehrere Gründe hat: Zum einen kann ein Korpus von insgesamt 16 Libretti nicht die gesamte Gattungsgeschichte der Oper repräsentieren, eine gewisse formale Kontinuität wurde daher als Vorteil angesehen. Zum anderen zeichnet sich in den wenigen bisher erschienenen Untersuchungen zur Sprache von Opernlibretti bereits ab, dass die beiden «macrogeneri» (Rossi 2005a, 17) für die sprachliche Gestaltung prägend sind. Rossi schematisiert dieses Verhältnis überzeugend, indem er für die opera buffa drei Stilebenen unterscheidet: A (lingua aulica) + B (lingua bassa) + C (lingua colloquiale) (cf. Rossi 2005a, 306).33 Die seria bewegt sich dagegen ausschließlich auf der Stilebene A, was sie aus sprachlicher Sicht einfacher, aber auch klarer definierbar macht. Das einzige gemeinsame Terrain der beiden Untergattungen liege, so Rossi (ib., 306–309), in den Liebesszenen. Das spezifische Opernidiom, das ja in der vorliegenden Arbeit erforscht werden soll, ist nun aber – so eine der Grundannahmen hier – eher in den ernsten Opern fassbar, da die komischen Opern sich einerseits mitunter sehr nah an der commedia dell’arte bewegen und andererseits eine sprachlich bunte Stilmischung aufweisen34 und somit noch schwerer von anderen Genres abgrenzbar sind. Mit der Fokussierung der opera seria wird hier also a priori einer

31

32 33

34

Die überwiegende Anzahl aller Opernlibretti beruht zwar mehr oder weniger auf separaten Vorlagen, doch wechseln diese zunächst je nach Zeitgeschmack und literarischer Mode (mittelalterliche Stoffe, antike Stoffe etc., cf. Kap. 1.2.). Im 19. Jahrhundert erobert dann das romantische Drama die Opernbühne, und es ist schwierig, ein Libretto zu finden, das nicht direkt aus einer literarischen Quelle gespeist wird. So beruhen etwa die Vorlagen zu Verdis Ernani und Rigoletto (Libretti von Piave) beide auf Dramen Victor Hugos (Hernani und Le roi s’amuse), cf. Gier 1998a, 154, und weiter unten in diesem Abschnitt. Viele, zumal die frühen Libretti nehmen jedoch darüber hinaus Themen auf, die im Prinzip bereits seit der Antike existieren. Das hier anklingende Thema der Metatextualität wurde in letzter Zeit vor allem in der Literaturwissenschaft viel diskutiert, so haben die Theorien zum Paratext von Gérard Genette (cf. z. B. Genette 1987) auch vor der Gattung des Opernlibrettos nicht Halt gemacht, cf. hierzu Rossi 2005a, 26s. Cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1. Die opera buffa böte für eine diskursanalytische Untersuchung eine äußerst interessante Grundlage und verlangt förmlich nach einer detaillierten Auseinandersetzung an anderer Stelle, da dort eine Fülle an metalinguistischen und die Sprechsprache imitierenden Wendungen enthalten ist; auch dialektologische Studien fänden hier weitaus mehr Material als in der opera seria, die sich seit ihrer Entstehung an einer literarischhochsprachlichen Varietät orientiert und als diatopisch arm zu bezeichnen ist. Luca Serianni bezeichnet die opera buffa als «terreno privilegiato per la sperimentazione linguistica», die sich in Phänomenen wie «iperaulicismo ludico», «onomatopee», «forestierismi» und «simulazione del parlato» (Serianni in der Presentazione zu Rossi 2005a, 8) manifestieren.

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Vermischung textsortenbedingter Gestaltungsprinzipien auf stilistischer wie auf sprachlicher Ebene entgegen gewirkt. Auch rein praktische Beweggründe spielten eine Rolle, etwa ob das Libretto im Originaldruck überprüfbar ist und/oder eine solide Edition vorliegt. Für eine linguistische Untersuchung ist der Text ausschlaggebend und nicht die Musik, weshalb als Grundlage der Analysen keine Partituren – die ja eher die Intentionen des Komponisten ausdrücken –, sondern ausschließlich die Libretti als vom Librettisten autorisierte Texte dienen. Zudem ist das Libretto – zumindest sofern es vor der Musik existiert, was aber den Normalfall darstellt –35 ein zu einem vom Librettisten bestimmten Zeitpunkt abgeschlossener Text, während die Partitur noch weiteren Veränderungen durch den Komponisten selbst oder gar durch Personen aus dem Opernbetrieb (Dirigent, Impresario) unterliegen kann.36 In dem Fall, in dem ein Libretto doch in mehreren Textversionen vorliegt, wurde jeweils die älteste im Druck erreichbare Version verwendet.37 Geringe Unterschiede zwischen den hier digitalisierten Daten und etwa den gängigen Vertonungen – die je nach Inszenierung ohnehin oftmals gekürzt oder anderweitig verändert wurden – wurden daher einkalkuliert; sie verändern das sprachliche Gesamtbild eines Librettos nicht entscheidend. Ebenso wird nicht jedes Wort aus dem Libretto zwingend vom Komponisten in Musik umgesetzt, so schildert etwa Rossi (2005a, 17s.) Fälle, in denen Rossini Libretto-Passagen bei der Vertonung gestrichen hat. In guten Editionen werden diese Stellen durch (meist eckige) Klammern gekennzeichnet (cf. etwa Beghelli/Gallino 1991), in den Drucken sind sie meist durch die so genannten virgolette markiert.38 Nicht berücksichtigt werden für die eigentliche Analyse die von Gier als «Schwellentexte» (cf. Gier 1998a, 54, und weiter oben, Kap. 1.1. und 1.2.) bezeichneten Metatexte wie Widmung, Vorwort, Personenverzeichnis und Inhaltsangabe, ebenso wenig die Regieanweisungen. Wichtig war am Rande auch das Vorhandensein einer soliden Tonträger-Aufnahme der jeweiligen Oper, die zu Hörproben heran gezogen werden konnte. Die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung, ob es eine einheitliche Librettosprache von Beginn der historischen Entstehung der Gattung Libretto an gibt oder ob sich die heute als Librettoidiom bezeichnete Varietät erst später entwickelt, ist Ausschlag gebend für die Heterogenität des Korpus. Anders als in den wenigen bisher vorliegenden Beiträgen zum Thema Opernlibretto geht es hier also nicht darum, eine Einheit zu bestätigen, sondern exemplarische Vertreter

35 36 37

38

Cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1. Cf. hierzu auch Rossi 2005a, 17s., und Gronda/Fabbri 1997, 1807–1812. Im Falle der hier auch behandelten Oper L’Olimpiade, die in insgesamt fünf Drucken vorliegt, wurde etwa bewusst die Version ausgewählt, deren Erstdruck durch Bettinelli (Venedig 1748) in der Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek unter der Signatur 8 P DRAM I, 6781 einsehbar ist. Der ebenfalls dort vorhandene Druck von Hérissant (Paris 1780–1782, Poet.Ital. II 1916) wurde wegen seiner späteren Entstehungszeit hingegen vernachlässigt bzw. nur zu Vergleichszwecken heran gezogen. Cf. hierzu Beghelli/Gallino 1991, 18 n. 17, und Dubowy 1995, 1460s.

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von möglichst vielen unterschiedlichen Libretto-Untergattungen zu betrachten.39 Einer der wenigen bisher unternommenen Versuche, der Sprache des Opernlibrettos in einer umfangreichen Studie näher zu kommen, ist Fabio Rossis bereits zitierte Analyse von 39 Libretti Rossinis (Rossi 2005a, cf. als Zusammenfassung auch id. 2005b). Sie ist jedoch auf gänzlich andere Ziele ausgerichtet als die vorliegende Arbeit, nämlich die Homogenität der von diesem Komponisten verwendeten Libretti nachzuweisen und damit eine einzelne, personal definierte Periode der Operngeschichtsschreibung zu untersuchen. Folglich kommt Rossi denn auch zu dem Ergebnis, dass sich die 39 Libretti – obschon von 19 verschiedenen Librettisten verfasst – aus sprachlicher Sicht erstaunlich einheitlich präsentieren. Er vermeidet allerdings auch komplementäre Analysen und richtet seine komplette Untersuchung auf das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten aus. Bei ihm ist einzig die Zugehörigkeit der Einzellibretti zu einem der beiden «macrogeneri» opera seria und opera buffa40 entscheidend für die Art der verwendeten sprachlichen Mittel. Das vorliegende Korpus versammelt dagegen absichtlich sehr unterschiedliche Texte, um eine a priori konstruierte Einheitlichkeit zu vermeiden. So wurden etwa neben den beiden bereits thematisierten Bearbeitungen des Orpheus-Stoffes (Q1 und Q2) auch zwei Opern ausgewählt, die den Semiramis-Stoff behandeln (Q7 und E4), sowie Libretti der beiden Wiener Hoflibrettisten des 18. Jahrhunderts, Apostolo Zeno (Q4) und Pietro Metastasio (E4 und Q5), auch weil Ersterer als eher unmusikalisch und Letzterer als besonders begabt gilt.41 Auch Varescos Idomeneo-Libretto galt lange als nicht besonders gelungen,42 weshalb die Oper nach ihrem Entstehen fast anderthalb Jahrhunderte lang in den unterschiedlichsten Bearbeitungen auf die Bühnen kam, bevor man sich wieder vermehrt der Originalfassung zuwandte.

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Natürlich ist hier der Vorwurf nahe liegend, dass eine solch selektive Auswahl fehleranfällig sein kann, dennoch ist es das erklärte Ziel der vorliegenden Arbeit, Tendenzen und nicht exhaustive Detailergebnisse zu präsentieren. Besser wäre unbestritten eine Untersuchung, die ein umfangreiches Datenmaterial aus allen Perioden der Operngeschichte – gerade auch aus Reform- und Umbruchzeiten – auswertet, doch ist dies im Rahmen einer Habilitationsschrift nicht realisierbar. Denkbar wäre ein zukünftiges Projekt, in dessen Verlauf, ähnlich wie bei dem LesMu-Projekt (cf. weiter oben, Kap. 1.1.), mit Hilfe einer vielköpfigen Arbeitsgruppe in mehrjähriger Arbeit ein Großkorpus erarbeitet und auf der Grundlage der hier vorgeschlagenen und weiterer Kriterien ausgewertet wird. Hinzuzufügen ist an dieser Stelle, dass Rossi zu den opere buffe auch die opere semiserie und die Farcen rechnet («i lavori semiseri e farseschi», Rossi 2005a, 25). Cf. zu den Differenzen zwischen den beiden Untergenres vor allem ib., Kap. 5. Cf. Gier 1998a, 74–81, bes. 73s. Er begründet das negative Urteil über Zeno (das nicht nur er vertritt) durch die außergewöhnliche Länge von dessen Libretti, die zudem sehr prosaisch wirkende Rezitative mit unregelmäßig wechselnden Versformen und z. T. ohne Reimbindung aufweisen und sich somit als eher sperrig und wenig euphonisch präsentieren (cf. auch Gallarati 1984, 14: «una versificazione più aspra e volutamente antimusicale»). Cf. etwa PEnz vol. 4, 297, oder Kloiber/Konold/Maschka 92002, 455 («verunglücktes Textbuch»). Dagegen cf. Kesting 2005, 15.

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Andererseits wurden drei Opern von Verdi in das Korpus aufgenommen, davon zwei von dem erfolgreichen Duo Piave/Verdi (E6, Q9), auch um die Möglichkeit der Bestätigung von Parallelen in diesem für das 19. Jahrhundert prägenden Operntypus offen zu halten. Mit Mozart (Q6) und Händel (E3) wurden zudem idealtypisch zwei große Komponisten des deutschsprachigen Raumes ausgewählt, die das Italienische beherrschten und sich häufig italienischer Libretti für ihre Opern bedienten. Im Folgenden werden die 16 Libretti detailliert in ihrem Entstehungskontext vorgestellt und in aller Kürze thematisch wie formal umrissen.43 2.1.2.

Präsentation der Korpuslibretti

E1: Ottavio Rinuccini/Iacopo Peri, La Dafne (Florenz, 1598, Musik verloren) 44 1. Librettist: Ottavio Rinuccini (* 1562 in Florenz, † 1621 ebenda), Dichter und Librettist, Adliger und Höfling am Hofe der Medici, verfasste v. a. Libretti und Madrigale. 2. Stoff: antiker Daphne-Mythos. 3. Quelle: Ovid, Metamorphosen. 4. Form: Prologo e un atto, 6 Szenen. 5. Musikhistor. Kontext: entstanden nach einer Anregung von Iacopo Corsi (Mitglied der Accademia degli Alterati); Textverständlichkeit wichtiger als Musik und szenische Darstellung; Erfindung des stile recitativo; Herausbildung von Arie und Rezitativ; der Text mit Musik von Marco da Gagliano wurde in Mantua am Hof der Gonzaga 1608 erneut aufgeführt und diente 1627 der gleichnamigen deutschen Oper von Martin Opitz (Libretto) und Heinrich Schütz (Musik) als Basis.45

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Die Opern werden wie folgt aufgelistet: laufende Nr. im Korpus Q bzw. E, Librettist, Komponist der ersten Bühnenfassung, Titel, Ort und Datum der Erstaufführung. Die Daten der Erstaufführungen sind nachzuschlagen bei Loewenberg 31978 (das Werk ist geordnet nach dem Jahr der Erstaufführung und umfasst die Jahre 1597 bis 1940). Auf inhaltliche Zusammenfassungen und musikwissenschaftliche Kommentare wurde in dieser Arbeit bewusst verzichtet, die allgemeinen Angaben entstammen hauptsächlich Gier 1998a und Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters (PEnz 1986–1997) sowie weiteren gängigen Opernführern, die hier nicht im Einzelnen aufgelistet werden können. Die Angaben zum musikhistorischen Kontext (Punkt 5) sind bewusst sporadisch gehalten und können durch die Lektüre von Kap. 1 (besonders 1.2.) ergänzt werden. Zur besseren Vergleichbarkeit werden die Libretti in chronologischer Reihenfolge und nicht nach Korpora getrennt aufgeführt. Von der Komposition existieren lediglich noch zwei Chöre, drei Arien und ein Rezitativ, die auf die ungefähre musikalische Form dieser ersten Oper schließen lassen, cf. Gronda/Fabbri 1997, 4. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass teilweise eine andere Oper von Rinuccini und Peri, L’Euridice (Uraufführung 1600), als erste ihrer Art bezeichnet wird, cf. Leopold 2004, 61 und passim. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 41–46, und Gronda/Fabbri 1997, 4s.

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6. Umfang: 445 Verse.46 7. Druck(e): La Dafne, Firenze, Marescotti, 1600. 8. Edition(en): Solerti 1904, 74–99; Gronda/Fabbri 1997, 3–20, u. a. Q1: Alessandro Striggio d. J./Claudio Monteverdi, La favola d’Orfeo (Mantua, 1607) 47 1. Librettist: Alessandro Striggio der Jüngere (* 1573 in Mantua, † 1630 in Venedig), Sohn des Madrigalisten Alessandro Striggio d. Ä.; Dichter, Librettist und Diplomat; hoher Hof- und Regierungsbeamter in Diensten der Gonzaga in Mantua, Mitglied der Accademia degli Invaghiti. 2. Stoff: Mythologie (pastorale Tragikomödie), Orpheus-Stoff.48 3. Quelle: u. a. Vergil, Ovid. 4. Form: Favola in musica, Prolog und 5 Akte. 5. Musikhistor. Kontext: ähnlicher Kontext wie E1.49 6. Umfang: 678 Verse, 3966 Okk. 7. Druck(e):50 La favola d’Orfeo, Rappresentata in musica Il Carnevale dell’Anno MDCVII Nell’Accademia de gl’ Invaghiti di Mantova [...], Mantova, Osanna, 1607.51 8. Edition(en): Benvenuti 1942, Gronda/Fabbri 1997, 21–47, Mioli 2001, 766–770. E2: Nicolò Minato/Francesco Cavalli, Xerse (Venedig, 1654)52 1. Librettist: Nicolò Minato (* ca. 1630 in Bergamo, † 1698 in Wien), Dichter, Librettist und Impresario in Venedig, ab 1669 Hofdichter in Wien, Mitglied der Accademia degli Imperfetti, ca. 200 Libretti, 40 geistliche Texte und Oratorien.53 2. Stoff: historisch, Persien um 480 v. Chr. 3. Quelle: u. a. Herodot.

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Bei den Libretti aus Korpus E wird lediglich die Versanzahl (sofern ermittelbar) aufgeführt, während bei den annotierten Texten aus Q auch die Angabe der Okkurrenzenanzahl möglich ist. Erstere ist aus quantitativer Sicht weniger aussagekräftig als die Anzahl der Okkurrenzen, da Verse in ihrer Form und Länge – teilweise auch abhängig von der typografischen Darstellung und der Interpretation des Herausgebers – variieren können, während diese Variationsbreite bei der Anzahl der Okkurrenzen nicht gegeben ist und diese daher einen ersten Hinweis auf den tatsächlichen Umfang des Librettos gibt. Eine detaillierte Übersicht über die quantitativen Daten findet sich in Tabellenform zu Beginn von Kap. 3. Cf. Loewenberg 31978, 5–7. Zum Orpheus-Stoff und seinen musikalischen Bearbeitungen cf. Sternfeld 1993. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 46–49, und PEnz vol. 4, 241–245. Unter 7. und 8. werden hier und im Folgenden jeweils nur die Drucke und Editionen genannt, die für die vorliegende Arbeit relevant waren und eingesehen werden konnten. Der Druck ist in digitalisierter Form einsehbar unter http://diglib.hab.de/drucke/549quod–1/start.htm (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Eine bekannte Version dieses Librettos ist Händels Serse (1738), das auf der Überarbeitung Silvio Stampiglias von 1694 beruht, cf. Gier 1998a, 84–88. Ein Verzeichnis der Werke Minatos liegt mit Noe 2004 vor.

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4. Form: dramma per musica; Prolog und drei Akte. 5. Musikhistor. Kontext: venezianisches Libretto (cf. Q2); typischer Vertreter der Oper des 17. Jahrhunderts vor den Reformen Zenos und Metastasios; Überarbeitung des Librettos durch Silvio Stampiglia 1694; Behandlung des historischen Stoffs eher in der Art einer Komödie.54 6. Umfang: 1614 Verse. 7. Druck(e): Xerse. Drama per musica Nel Teatro a SS. Gio: e Paolo Per l’Anno MDC.LIV. [...], Venedig, Leni, 1654.55 8. Edition(en): Gronda/Fabbri 1997, 209–284. Q2: Aurelio Aureli/Antonio Sartorio, L’Orfeo (Venedig, 1672)56 1. Librettist: Aurelio Aureli (* ca. 1630 auf Murano, † nach 1709),57 Librettist u. a. in Diensten des Herzogs von Parma; hauptsächlich Librettist der Republik Venedig, Mitglied der Accademia Delfica und der Accademia degli Imperfetti, ca. 50 Libretti. 2. Stoff: cf. Q1. 3. Quelle: cf. Q1. 4. Form: dramma per musica, 3 Akte. 5. Musikhistor. Kontext: venezianisches Libretto; typischer Vertreter der Oper des 17. Jahrhunderts vor den Reformen Zenos und Metastasios.58 6. Umfang: 1706 Verse, 8607 Okk. 7. Druck(e): L’Orfeo, Drama per musica, Rappresentato Nel Teatro di Braunsveic, Braunschweig, Bismarck, 1690.59 8. Edition(en): Rosand 1983. Q3: Philippe Quinault/Jean-Baptiste Lully, Roland (Versailles, 1685) 60 1. Librettist: Philippe Quinault (* 1635 in Paris, † 1688 ebenda), auch Sprechtheater-Dichter, Begründer des Modells der tragédie lyrique.61 2. Stoff: mittelalterliches Ritterepos. 3. Quelle: Ludovico Ariosto, Orlando furioso (1516–1532). 4. Form: tragédie lyrique, 5 Akte, jeweils beschlossen durch ein Divertissement (Chor, Tanz).

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Cf. PEnz vol. 1, 521. Eine zweite, bereits veränderte Druckfassung liegt vor mit Minato 21657 (Venezia, Giuliani). Cf. Loewenberg 31978, 51. Die genauen Lebensdaten sowie der Sterbeort Aurelis sind unbekannt. Cf. E2 und weiter oben, Kap. 1.2. Cf. zur venezianischen Oper auch Mehltretter 1994 und Fabbri 2003. Druck in digitalisierter Form unter http://diglib.hab.de/drucke/sch-km-1-8/start.htm (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Cf. Loewenberg 31978, 76s. Dasselbe Libretto wurde 1778 durch Piccinni erneut vertont, cf. ib., 77. Zu ihm cf. weiter oben, Kap. 1.2., und die immer noch gültigen Standardwerke von Gros 1926 und Buijtendorp 1929 sowie Norman 2001 (dort speziell zu Roland 305–323).

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5. Musikhistor. Kontext: Vertreter des neu geschaffenen und von dem Duo Quinault/Lully erfolgreich praktizierten Modells der tragédie lyrique, Zuordnung zu Barock oder Klassik umstritten.62 6. Umfang: 1177 Verse, 7446 Okk. 7. Druck(e): Le théâtre de Mr Quinault, contenant ses tragédies, comédies et opéras. Dernière édition, augmentée de sa vie [par G. Boffrand], d’une dissertation sur ses ouvrages et de l’origine de l’opéra, Paris, Ribou, 1715.63 8. Edition(en): Norman 1999, vol. 2. Q4: Apostolo Zeno/Antonio Vivaldi, Teuzzone (Mantova, 1719) 64 1. Librettist: Apostolo Zeno (* 1668 in Venedig, † 1750 ebenda), Gelehrter und Dichter, Gründungsmitglied der Accademia degli Animosi, später Mitglied der Accademia dell’Arcadia, verfasste ca. 50 Libretti, 1718–1729 Hofdichter in Wien.65 2. Stoff: China-Folklore (zu historischer Zeit). 3. Quelle: unbekannt. 4. Form: Nummernoper mit Pasticciotechnik, opera seria, dramma per musica in 3 Akten. 5. Musikhistor. Kontext: typisches Beispiel der sich seit dem letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts verfestigenden Form der opera seria mit Rezitativen und (Abgangs- und Da-capo-)Arien; konstante Gattungskennzeichen, festes Schema; ästhetisches Ideal der Klarheit und Simplizität durch die Accademia dell’Arcadia.66 6. Umfang: 1523 Verse, 8010 Okk. 7. Druck(e): Teuzzone. Melo-drama, Venezia, Rossetti, 1707; Teuzzone, Dramma per musica di Apostolo Zeno, Mantua, Pazzoni, 1717; London, Wood, 1727. 8. Edition(en): Vitali 1996.67

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Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 57–67 (zur Frage nach Barock/Klassik cf. bes. 59s., zum Roland speziell 64–67); cf. zu diesem Libretto weiterhin Girdlestone 1972, 103–112, und Gros 1926. Der Druck liegt in digitalisierter Form vor in der Collection gallica der Pariser Bibliothèque nationale unter http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k55025402.r=quinault+roland. langFR (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Ein früher Partiturdruck ist zudem in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen unter der Signatur Mus. VI 1050 einsehbar (Roland, Tragedie mise en musique, Par Monsieur de Lully, Escuyer, Conseiller, Secretaire du Roy [...], Paris, Ballard, 1685). Loewenberg (31978) führt diese Vertonung nicht auf; er zitiert lediglich den von Attilio Ariosti im Jahre 1727 komponierten Teuzzone und erwähnt, dass das Zeno-Libretto erstmals 1706 durch Paolo Magni und Clemente Monari vertont wurde (cf. ib., 158). Zu ihm cf. auch Kanduth 1986a. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., und Gier 1998a, 68–81 (speziell zu Zeno 73s.). Für Zenos Teuzzone war keine geeignete Printedition greifbar, weshalb hier die sehr zuverlässige Transkription von Carlo Vitali (cf. Vitali 1996) als Textgrundlage dient, die auf dem Druck von 1719 (Mantua, Pazzoni) beruht und von ihm sorgfältig mit der Partitur abgeglichen wurde, cf. http://opera.stanford.edu/iu/libretti/teuzzone0.html (zuletzt eingesehen am 16.01.2011).

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E3: Nicola Francesco Haym/Georg Friedrich Händel, Giulio Cesare in Egitto (London, 1724) 68 1. Librettist: Nicola Francesco Haym (* 1678 in Rom, † 1729 in London), Cellist und Komponist, Sekretär der Royal Academy of Music in London (als Nachfolger Paolo Antonio Rollis). 2. Stoff: römisch-ägyptische Antike (ca. 48 v. Chr.); Auseinandersetzung Cäsar – Pompejus. 3. Quelle: Giacomo Francesco Bussani, Libretto zum gleichnamigen dramma per musica von Antonio Sartorio (Venedig, 1677); Hauptquelle für Bussani: Plutarch. 4. Form: Dramma per musica in tre atti (13 Bilder). 5. Musikhistor. Kontext: vormetastasianischer Librettotypus (Auftrittsarien, Rolle des Chors, Tableaus); rege Beteiligung Händels am Libretto; parallele Handlungsstränge, irreales Zeitkontinuum; opera-seria-Ästhetik.69 6. Umfang: 934 Verse. 7. Druck(e): Giulio Cesare in Egitto, London, Wood, 1724. 8. Edition(en): Bianconi 1992, vol. I.1, 325–354; Mioli 2001, 459–466. E4: Pietro Metastasio/Leonardo Vinci, Semiramide riconosciuta (Paris, 1729)70 1. Librettist: Pietro Metastasio, eigtl. Pietro Trapassi (* 1698 in Rom, † 1782 in Wien), Nachfolger Zenos als poeta cesareo am Wiener Hof (1730–1782); verfasste 27 melodrammi, 8 azioni sacri, ca. 30 azioni teatrali, häufige Vertonungen seiner Libretti, begründete das Modell der opera seria.71 2. Stoff: antike Mythologie. 3. Quelle: u. a. Herodot, cf. Q7. 4. Form: dramma per musica in 3 Akten. 5. Musikhistor. Kontext: cf. Q4; Metastasio wird als berühmtester und erfolgreichster Librettist seiner Zeit angesehen.72 6. Umfang: 1256 Verse. 7. Druck(e): Opere drammatiche del Sig. Abate Pietro Metastasio Romano Poeta Cesareo, Nona edizione notabilmente accresciuta, e corretta, Venezia,

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Zu Händels Bühnenwerken cf. ausführlich Scheibler 1995, zu Giulio Cesare speziell 387–400. Cf. PEnz vol. 2, 676–679. Das Semiramide-Libretto Metastasios stellt eines der meistvertonten Libretti der Operngeschichte dar, es wurde u. a. vertont durch Vinci, Porpora, Hasse, Gluck, Sarti, Salieri, Cimarosa und Meyerbeer. Zu Metastasio existiert eine Fülle an Literatur, zumal seit dem Jubiläumsjahr 1998; cf. etwa Sala di Felice 1983 und 1985, Maeder 1993, Candiani 1998, Sommer-Mathis/ Hilscher 2000, Sala di Felice/Caira Lumetti 2001, Lütteken/Splitt 2002 sowie die reichhaltig kommentierte Edition der Drammi per musica durch Bellina 2002–2004. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 74–81 (zur Olimpiade speziell cf. 78–81), und PEnz vol. 1, 491.

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Bettinelli, 1733; Opere del Signor Abate Pietro Metastasio, Paris, Hérissant, 1780–1782 (Semiramide: vol. 7, 1–106). 8. Edition(en): Brunelli 1947–1954; Gronda/Fabbri 1997, 449–528; Bellina 2002, 377–444, u. a. Q5: Pietro Metastasio/Antonio Caldara, L’Olimpiade (Wien, 1733)73 1. Librettist: cf. E4. 2. Stoff: antike Mythologie (griechische Tragödie), Olympia-Mythos. 3. Quelle: angelehnt an Apostolo Zenos Gl’inganni felici (1699). 4. Form: dramma per musica, melodramma, opera seria, festa teatrale, Pastorale, 3 Akte. 5. Musikhistor. Kontext: cf. E4. 6. Umfang: 1488 Verse,74 9095 Okk. 7. Druck(e): Opere drammatiche del Sig. Abate Pietro Metastasio Romano Poeta Cesareo, Nona edizione notabilmente accresciuta, e corretta, Venezia, Bettinelli, 1748 (L’Olimpiade: vol. 1, 197–257); Opere del Signor Abate Pietro Metastasio, Paris, Hérissant, 1780–1782 (L’Olimpiade: vol. 2, 1–120) u. a.75 8. Edition(en): Brunelli 1947–1954; Gronda/Fabbri 1997, 529–598; Bellina 2003, 221–296, u. a. Q6: Giambattista Varesco/Wolfgang Amadeus Mozart, Idomeneo, re di Creta (München, 1781)76 1. Librettist: Abbate Giambattista Varesco, eigtl. Girolamo Giovanni Battista Varesco (* 1736 in Trento, † 1805 in Salzburg), ab 1766 Kaplan am Salzburger Hof. 2. Stoff: antike Mythologie, Trojanischer Krieg. 3. Quelle: frz. Libretto von Antoine Danchet für die tragédie lyrique mit dem Titel Idoménée von André Campra (Paris, 1712). 4. Form: dramma per musica, 3 Akte (7 Bilder). 5. Musikhistor. Kontext: Auftragswerk in italienisch-französischem Mischstil (wie von Francesco Algarotti 1754 propagiert, cf. Algarotti, ed. Da Pozzo 1963); Änderung der Vorlage v. a. im III. Akt (lieto fine ersetzt das ursprünglich tragische Ende), um der Form der opera seria zu entsprechen; 1786 für eine Aufführung in Wien umgearbeitet.77

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Cf. Loewenberg 31978, 179 (unter der Vertonung Antonio Vivaldis aus dem Jahre 1734). Metastasios Text wurde in der Folge noch vielfach zur Grundlage diverser Kompositionen (Vivaldi, Pergolesi, Leo, Galuppi, Hasse, Jomelli, Cimarosa u. a.); Kanduth (1986a, 42) spricht von über 50 Vertonungen. Zu Caldara und den Reformen Zenos und Metastasios cf. ausführlich Freeman 1981 (zu Caldara bes. Kap. 4). Angabe nach Bellina 2003; Gier kommt auf 1505 Verse (cf. Gier 1998a, 81). Je nach Art der Darstellung und Zählung können die Versangaben voneinander abweichen. Der Erstdruck (Wien, Ghelen, 1733) konnte nicht eingesehen werden. Cf. Loewenberg 31978, 385–387, und Kesting 2005, 10–23. Cf. PEnz vol. 4, 293–299. Typisch für die französische Oper der Zeit sind vor allem die Spektakel (Seesturm, Meerungeheuer, Auftritt Poseidons, Tempelszene), die großen

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6. Umfang: 884 Verse, 4420 Okk. 7. Druck(e): Idomeneo, re di Creta, München, Thuille, [1781], u. a. 8. Edition(en): Heartz 1972, Serie II/5, vol. 11; Honolka 1973; Neunteufel 1973, u. a. Q7: Gaetano Rossi/Gioachino Rossini, Semiramide (Venedig, 1823)78 1. Librettist: Gaetano Rossi (* 1774 in Verona, † 1855 ebenda), Poet in Venedig am Teatro La Fenice; ab 1810 in Diensten Napoleon Bonapartes; ca. 120 Libretti. 2. Stoff: antike Mythologie (Herodot u. a.), evtl. assyrische Quellen, cf. E4. 3. Quelle: Voltaire, La Tragédie de Sémiramis (1748, von Melchiorre Cesarotti 1771 in das Italienische übersetzt). 4. Form: melodramma tragico in due atti (10 Bilder). 5. Musikhistor. Kontext: das italienische Libretto auf dem Weg zur Romantik; Kodifizierung dramaturgischer und formaler Modelle, die bis ca. 1850 prägend blieben; sehr erfolgreiche Oper, die im 19. Jh. im Repertoire der führenden Bühnen Italiens zu finden war; letzte Oper Rossinis für ein italienisches Theater.79 6. Umfang: 1005 Verse, 5119 Okk. 7. Druck(e): Semiramide, Melo-dramma tragico da rappresentarsi nel Gran Teatro La Fenice Nel Carnovale 1823, Venezia, Casali, 1823, u. a. 8. Edition(en): Beghelli/Gallino 1991; Gronda/Fabbri 1997, 1133–1182; Gossett 2001, vol. 34; Mioli 2001, 885–892. Q8: Felice Romani/Vincenzo Bellini, Norma (Mailand, 1831) 80 1. Librettist: Felice Romani (* 1788 in Genua, † 1865 in Moneglia), erfolgreichster Librettist der Romantik in Italien, verfasste ca. 90 Libretti (teilweise mehrfach vertont), Begründer des romantischen melodramma.81 2. Stoff: Konflikte zwischen Römern und Galliern, ca. 50 v. Chr., Druidenkult. 3. Quelle: Alexandre Soumet, Norma (Tragödie von 1831).82

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Chorszenen und die Ballette; der italienischen opera seria entstammen hingegen der kontrastreiche musikalische Affektausdruck mit Eifersuchts- und Verzweiflungsausbrüchen sowie die innere Form. Cf. Loewenberg 31978, 686s. Loewenberg erwähnt die zahlreichen Übersetzungen dieser Oper, etwa in das Deutsche (1826 erstmals aufgeführt), das Russische (1836), das Englische (1842) das Französische (1844) oder das Tschechische (1864). Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 130–133, und PEnz vol. 5, 431–435. Cf. Loewenberg 31978, 738–741. Loewenberg führt eine beeindruckende Liste der Aufführungsorte des 19. Jahrhunderts außerhalb Italiens an, die u. a. Barcelona, Madrid, Corfu, Brno, Budapest, Prag, Zagreb, Mexico und Havanna umfasst. Ein ausführliches Werk zu Felice Romani liegt mit Roccatagliati 1996 vor. Zu Bellini und der opera seria seiner Zeit cf. die Studie Friedrich Lippmanns (Lippmann 1969) und deren italienische Version in Adamo/Lippmann 1981. Zum Verhältnis von dramatischer Vorlage und Libretto cf. Cazaux 2006/2007.

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4. 5. 6. 7. 8.

Form: romantisches melodramma, tragedia lirica in due atti. Musikhistor. Kontext: Typischer Vertreter der romantischen Periode in Italien.83 Umfang: 726 Verse, 4694 Okk. Druck(e): Norma, Tragedia lirica in due atti, Mailand, Truffi, 1831, u. a. Edition(en): Quandt 1985; Gronda/Fabbri 1997, 1231–1266; Mioli 2001, 746– 751.

E5: Salvatore Cammarano/Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor (Neapel, 1835) 84 1. Librettist: Salvatore Cammarano (* 1801 in Neapel, † 1852 ebenda), Literat, Librettist und Regisseur am Teatro San Carlo in Neapel. 2. Stoff: Liebende aus zwei verfeindeten Adelsfamilien (Schottland, Ende 16. Jh.). 3. Quelle: Walter Scott, The Bride of Lammermoor (1819, ital. Übersetzung 1826 von Gaetano Barbieri). 4. Form: opera seria, tragedia lirica in due parti (tre atti). 5. Musikhistor. Kontext: erfolgreicher Abschluss einer Reihe von Versuchen, den Roman von Walter Scott für die Bühne zu bearbeiten; einer der Höhepunkte der Belcanto-Oper.85 6. Umfang: nicht ermittelt. 7. Druck(e): Lucia di Lammermoor, Tragedia lirica in due parti, Venedig, Tipografia di Commercio, 1837; Florenz, Galletti, 1837. 8. Edition(en): Mioli 2001, 628–633. Q9: Francesco Maria Piave/Giuseppe Verdi, Ernani (Venedig, 1844) 86 1. Librettist: Francesco Maria Piave (* 1810 auf Murano, † 1876 in Mailand), Librettist und Regisseur am Teatro La Fenice in Venedig, ab 1861 am Mailänder Teatro alla Scala. 2. Stoff: romantisches Drama, spielt 1519 in Aachen und Saragossa. 3. Quelle: Victor Hugo, Hernani ou L’Honneur castillan (1830).87

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Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 133–136, und PEnz vol. 1, 250–254. Eine zweite Fassung (in 4 Akten) wurde 1839 in Paris als Lucie de Lammermoor uraufgeführt; der Cammarano-Text wurde dazu durch Alphonse Royer und Gustave Vaëz bearbeitet, cf. PEnz vol. 2, 1. Cf. PEnz vol. 2, 1–9. Cf. Loewenberg 31978, 837–839. Folgt man dem Kommentar Ulrich Schreibers zu dieser Oper im Verdi-Handbuch (cf. Gerhard/Schweikert 2001, 326s.), so liegt hier der kuriose Fall vor, dass die Oper eigentlich die passendere Kunstform für die Handlung zu sein scheint als die dramatische Vorlage. Findet man bei Hugo eine ungewohnte Stilmischung des Erhabenen und Grotesken mit zum Teil fast absurd wirkenden Elementen vor (Schreiber führt etwa das Blasen des Horns durch Silva an, durch das Ernani sein Leben verwirkt hat), wirken diese Stilmittel in der Oper viel «natürlicher». Hier lässt sich eine Verbindung zu dem weiter unten in Kap. 4 (passim) ausführlich behandelten Antirealismus der Librettosprache ziehen. Da der Zuhörer-Zuschauer geradezu erwartet, dass die Sprache der Oper unnatürlich und

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4. Form: Dramma lirico in quattro atti (5 Bilder). 5. Musikhistor. Kontext: Adaptation eines Schauspieltexts; Beginn der erfolgreichen Zusammenarbeit Verdis mit Piave; starke Beeinflussung des Librettos durch den Komponisten; Vorläufer der späteren Meisterwerke Rigoletto, Il trovatore und La traviata.88 6. Umfang: 904 Verse, 4332 Okk. 7. Druck(e): Ernani, Dramma lirico in quattro atti, Mailand, Truffi, 1844. 8. Edition(en): Baldacci 1975, 67–85; Gallico 1985, [Ricordi] 2002, 52–65. E6: Francesco Maria Piave/Giuseppe Verdi, Rigoletto (Venedig, 1851) 1. Librettist: cf. Q9. 2. Stoff: romantisches Melodram; 16. Jahrhundert. 3. Quelle: Victor Hugo, Le roi s’amuse (1832).89 4. Form: melodramma in tre atti (4 Bilder). 5. Musikhistor. Kontext: zweite Adaptation eines Schauspieltextes von Victor Hugo (nach Ernani 1844, s. o.), angeblich in 40 Tagen niedergeschrieben; Schlüsselwerk für die im 19. Jahrhundert statt findende Reform der italienischen Gesangsoper; Weiterentwicklung der parola scenica; «Resultat einer einzigartigen Symbiose zwischen dem nachrevolutionären Volkstheater Frankreichs und dem Elan des italienischen Risorgimento» (PEnz vol. 6, 436).90 6. Umfang: 708 Verse. 7. Druck(e): Rigoletto, Melodramma in tre atti, New York, Rullman, 1859. 8. Edition(en): Baldacci 1975, 245–267; Gronda/Fabbri 1997, 1315–1359, [Ricordi] 2002, 187–203; Mioli 2001, 830–836. Q10: Arrigo Boito/Giuseppe Verdi, Otello (Mailand, 1887) 91 1. Librettist: Arrigo Boito, eigentlich Enrico Giuseppe Giovanni Boito (* 1842 in Padua, † 1918 in Mailand), Dichter, Theoretiker, Librettist, Komponist.92 2. Stoff: romantisches Drama, Zypern, Ende 15. Jh.

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nicht normkonform daherkommt, passen die zitierten absurden Elemente per se besser dorthin als in ein Sprechtheaterstück. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 154–156, Gerhard/Schweikert 2001, 323–328, und PEnz vol. 6, 397–401. Zu den Gemeinsamkeiten und Differenzen von Vorlage und Bearbeitung cf. Döhring 1986. Zum Entstehensprozess der Oper cf. auch Lavagetto 1979. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 157–159, und PEnz vol. 6, 432–439. Zur Entwicklung des Stoffes vom französischen drame zum italienischen melodramma cf. Döhring 1986. Cf. Loewenberg 31978, 1126–1128, und Gerhard/Schweikert 2001, 474–486 (Artikel von Dietmar Holland). Auch hier ist die Liste der Aufführungsorte bereits im 19. Jahrhundert beachtlich. Zur Sprache Boitos cf. auch Telve 2004.

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3. Quelle: William Shakespeare, The Tragedy of Othello, the Moore of Venice (um 1603), bzw. dessen Übertragung in das Französische durch François-Victor Hugo (1860).93 4. Form: Dramma lirico in quattro atti. 5. Musikhistor. Kontext: Adaptation eines Schauspieltexts; beeinflusst durch Rossinis Otello (1816); starke Lenkung des Librettos durch Verdi.94 6. Umfang: 1320 Verse, 6007 Okk. 7. Druck(e): Otello, Dramma lirico in quattro atti, Milano, Ricordi, 1887. 8. Edition(en): Baldacci 1975, 499–530, Rescigno 1998, [Ricordi] 2002, 360–381.

2.2.

Zur Methodik

2.2.1.

Korpuslinguistische Ansätze

Um eine systematische sprachliche Erfassung des umfangreichen Datenmaterials zu gewährleisten, wurden in dieser Arbeit neben den herkömmlichen qualitativen Analysetechniken zusätzlich Methoden und Programme der Korpuslinguistik, der Textlinguistik, der Quantitativen Linguistik sowie der Sprachstatistik kombiniert und angewandt.95 Dabei wurde keine vollständige und umfassende Anwendung sämtlicher in diesen Disziplinen existierender Methoden angestrebt, sondern es wurden vielmehr diejenigen Aspekte ausgewählt, die für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit relevant erschienen. Bekanntlich bestimmt die Wahl der Methode (auch) das Ergebnis, weshalb in diesem Abschnitt der Methodenreflexion ein gewisser Raum gegeben werden soll, auch um Vorwürfen wie diesem zuvor zu kommen: «Eine Zeitlang hat man in der Linguistik geglaubt, ohne Methodologie zu Theorien gelangen zu können. Seit sich das als irrig herausgestellt hat, ist die Entwicklung von Methoden ein fühlbares Desiderat geworden. Wie man repräsentative Daten erhebt, wie man ein Korpus zusammenstellt und nutzt, wie man eine Sprache dokumentiert, sind alles Fragen, die eigentlich in die Alltagsroutine einer Wissenschaft fallen müssten. Dass sie noch weitgehend ungeklärt sind, ist ein Symptom dafür, dass die Linguistik noch keine erwachsene Wissenschaft ist» (Lehmann 2007, 9).

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Zum Verhältnis von Vorlage und Bearbeitungen cf. Clausen 2002. Cf. weiter oben, Kap. 1.2., Gier 1998a, 159–162, und PEnz vol. 6, 484–490. Zur romanistischen Korpuslinguistik cf. die inzwischen zum Standardwerk avancierten Sammelbände von Pusch/Raible 2002 (vol. 1) und Pusch/Kabatek/Raible 2005 (vol. 2). Zur Textlinguistik cf. nach wie vor Brinker 1992. Zu den Grundlagen von Quantitativer Linguistik und Sprachstatistik cf. u. a. Altmann 1980 und 1988, Altmann/Altmann 2005 und 2008, Best 2006, Muller 1972, 1973, 1979a und 1985, Pieper 1979, Tuldava 1998, den Sammelband von Thoiron/Labbé/Serant 1988 und das den aktuellen Forschungsstand wiedergebende umfangreiche Handbuch von Köhler/Altmann/Piotrowski 2005 (= HSK, vol. 27; daraus etwa Aichele 2005b, Best 2005a und 2005b, Köhler 2005a, Levickij 2005, Mehler 2005, Wimmer 2005 etc.).

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Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich zunächst um eine korpuslinguistische Studie, weshalb bestimmte Gesetze der Korpuslinguistik gelten und berücksichtigt werden müssen.96 Zum anderen soll der durch den (gemessen an der Fülle von Texten der Gattung Libretto) relativ geringen Umfang des Datenmaterials bedingte exemplarische Charakter der Analysen aufgewertet werden durch eine möglichst vielfältige Methodik und die Kombination sowohl quantitativ-statistisch (cf. weiter unten, Kap. 3.) als auch qualitativ-stilistisch ausgerichteter Detailstudien (cf. weiter unten, Kap. 4.). Die in der Forschung bereits – wenn auch in geringer Zahl – vorhandenen Vorstudien (cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1., und v. a. Rossi 2005a) resultieren offensichtlich ausnahmslos aus der Anwendung qualitativ ausgerichteter Methoden, die durch die exemplarische Auswahl von sprachlichen Charakteristika und deren Überprüfung an Hand ausgewählter Texte geprägt sind. Diese recht subjektive Methode, die sehr auf der eigenen Bewertung der untersuchten Aspekte beruhen kann,97 soll hier nur einen Teil der Analyse begründen; die im Folgenden und in Kap. 2.2.2. geschilderten Methoden der Korpuslinguistik sowie der Quantitativen Linguistik und Sprachstatistik wurden daher zusätzlich hinzugezogen, um den Eindruck der Subjektivität zu vermeiden und u. a. mit Mitteln der Mathematik den mit rein philologischen Methoden gewonnenen Ergebnissen objektive, übertragbare und nachprüfbare Ergebnisse zur Seite zu stellen. Wie sich zeigen wird, ergänzen sich beide Ansätze auf das Vorteilhafteste, da sie quasi gegenseitig ihre Schwächen kompensieren (cf. hierzu weiter unten, Kap. 5.1.). Ähnlich wie die im folgenden Abschnitt behandelte Quantitative Linguistik (QL) ist auch die Korpuslinguistik keine genuin eigene, von der restlichen Linguistik abtrennbare Disziplin. Viele sprachliche Aspekte betreffen mehrere Forschungsbereiche gleichzeitig und sind nicht ausschließlich von einer linguistischen Fachrichtung her zu interpretieren. Allgemein gilt die Korpuslinguistik als das Gebiet der Sprachwissenschaft, das sich mit der Erstellung und Auswertung von Korpora beschäftigt, wobei in den Anfängen dieser Disziplin das Erstellen eines Korpus das größere Problem darstellte, während sich im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung das Gewicht zunehmend auf die Auswertung verlagert (cf. hierzu und zum Folgenden grundlegend Klöden 2002). Ist der Beginn der Geschichte der Korpuslinguistik auch bereits mit dem Ende des 19. Jahrhunderts anzusetzen (etwa bei den Forschungen zur Graphemverteilung im Deutschen durch Kaeding im Jahre 1897, cf. ib., 8), so ist sie als eigentliche Forschungsrichtung im Prinzip nicht älter als etwa 20 Jahre. Bestärkt durch die rapide Entwicklung der elektronischen Medien sind vor allem seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts große und bedeutende Korpora für die meisten europäischen Sprachen

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Zur Definition von (Text)Korpus cf. etwa Bergenholtz/Mugdan 1989, 141s., und Lehmann 2007, 16s. Mit dem Zusammenspiel von qualitativen und quantitativen Methoden speziell in der Korpuslinguistik beschäftigt sich auch Lüdeling 2007. Cf. hierzu Lüdeling 2007, die die Verwendung von Korpora als bloße «Beispielbank» (ib., 28 und 30) kritisiert und ebenfalls für ein Mehrebenen-Modell plädiert.

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entstanden,98 deren Auswertung jedoch größtenteils noch nicht abgeschlossen ist und auch noch einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Als eine der Leistungen speziell der romanistischen Korpuslinguistik ist die Aufwertung der gesprochenen Sprache zu nennen, die Auswirkungen auf alle Bereiche der Linguistik, v. a. auf Didaktik und Sprachunterricht hatte.99 Heute arbeitet man nahezu ausschließlich mit maschinenlesbaren Korpora,100 weshalb die meisten wissenschaftlichen Korpora nicht mehr nur reine Sprachdatensammlungen sind, sondern annotierte Korpora wie das hier entwickelte Korpus Q, die oftmals metatextuelle Informationen enthalten (grammatische Kategorien, Markierung von Schlüsselbegriffen etc.)101 und mit deren Hilfe neue Analysewerkzeuge wie Konkordanzen (etwa kwic-Konkordanzen) oder Datenbanken erzeugt werden können. Hiermit sind jedoch die Grenzen der maschinellen Korpuslinguistik erreicht, denn die Auswertung und Analyse bleiben nach wie vor dem Anwender vorbehalten. Die maschinelle Auswertung ist bis zu einem gewissen Punkt möglich und zuverlässig, etwa durch hoch entwickelte Tagger (wie den erwähnten TreeTagger) oder Parsingprogramme, die in Zukunft sicher noch an Leistungsfähigkeit gewinnen werden, doch kann ein Korpus immer nur den Ausgangspunkt und nicht das Ziel der Forschungen darstellen.102 Eine weitere Gefahr der Korpuslinguistik besteht in der Überbewertung der Vergleichbarkeit und Repräsentativität von Ergebnissen: «Korpuslinguistik verleitet zur Verallgemeinerung und Pauschalisierung» (Klöden 2002, 11). So sind varietätenlinguistische Aspekte gerade bei sprechsprachlichen Korpora zu berücksichtigen, von denen jedoch nicht ohne weiteres auf die Schriftsprache geschlossen werden kann.103 Korpuslinguistik sollte also in jedem Fall interdis-

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Beispiele vor allem für Korpora romanischer Sprachen nennt Klöden 2002; cf. dazu auch Stein 2004. Klöden (ib., 9) weist zu Recht darauf hin, dass etwa die gesamte das Unterrichtskonzept revolutionierende educazione linguistica in Italien ohne die Erkenntnisse der sprechsprachlichen Korpuslinguistik nicht möglich gewesen wäre, die sich auch auf das Gebiet der Grammatikographie auswirkte. Zumindest, sofern eine Annaotation möglich ist. Zahlreiche Analysen, etwa solche zur Morphsegmentierung, sind jedoch nicht programmierbar. Eine enorme Arbeitserleichterung lieferte hier die Einführung der vereinheitlichten Markierung durch SGML (Standard Generalized Markup Language), deren Codes durch die ISO-Norm 8879:1986 normiert wurden. Seitdem sind einheitliche und vergleichbare Forschungen an ein und demselben Korpus möglich, die eine Arbeitsteilung und Vernetzung innerhalb der Forschergemeinde realistisch machen. Eine durchaus ernsthafte, wenn auch mit einem Augenzwinkern dargebotene Warnung vor dem falschen Gebrauch der EDV liefert etwa Trauth 2004, indem er etwa rät, die EDV stets nur als Mittel zum Erreichen der Ziele des eigenen Erkenntnisinteresses anzusehen und nicht als Wundermittel, das per se eine wissenschaftliche Leistung darstellt. So führt etwa Klöden (ib., 12s.) als Beispiel die Bewertung des passé simple im Französischen an, das aus der Sprechsprache zu gut wie verschwunden ist, weshalb es im Umkehrschluss als nur noch in der Schriftsprache vitales Tempus angesehen wurde, ohne dass dies jedoch systematisch überprüft worden wäre. Neuere Untersuchungen an der französischen Zeitungssprache wie am modernen Roman haben jedoch gezeigt, dass es auch dort im Verschwinden begriffen ist. Wichtig ist also die Auswertung so-

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ziplinär betrieben werden; die Trennung von Disziplinen wie der Computerlinguistik, der QL, auch der Literaturwissenschaft und anderer Teilgebiete ist nicht nur schwierig, sondern auch nicht ratsam. Mit der vorliegenden Arbeit vergleichbare Studien im Bereich der Korpuslinguistik – allerdings in keinem Fall auf Musiktexte bezogen (cf. hierzu die Einleitung weiter oben) – existieren vor allem für das Französische.104 So schildern etwa Prévost/Heiden (2002) die Arbeit einer CNRS-Equipe, die sich unter der Leitung von Christiane Marchello-Nizia der Erarbeitung und Auswertung eines umfangreichen Korpus alt- und mittelfranzösischer Texte widmet (Base de Français Médiéval, BMF). Hier wurden 50 Texte des 9. bis 16. Jahrhunderts mit über 2,5 Millionen Wörtern aufgenommen und, ähnlich wie in der vorliegenden Arbeit, zunächst in einer Konkordanz thesauriert und daraufhin nach morphosyntaktischen Gesichtspunkten annotiert. Anders als bei den hier analysierten Libretti handelt es sich dort jedoch um ein höchst heterogenes Korpus, das sich nicht nur aus diachroner (8 Jahrhunderte), sondern auch aus literarhistorischer (verschiedenste Genres, wie etwa Roman, Novelle, Memoiren, hagiographische Texte, Dramen und selbst Gebrauchstexte wie Urkunden) und diatopischer Sicht (dialektale Diversität) sehr uneinheitlich darstellt (cf. ib., 128). Dieser Heterogenität wurde mit einer doppelten Strategie entgegengewirkt, indem zunächst ein Tagger entwickelt und an einem Versuchskorpus trainiert wurde, bevor die eigentliche Arbeit am Analysekorpus einsetzte.105 Dennoch war eine umfangreiche manuelle Arbeit nicht zu umgehen, denn die für die altfranzösische Sprache als im Prinzip positiv bewertbaren Aspekte des sprachlichen Formenreichtums und der Varianz stellen für die elektronische Auswertung nur schwer überwindbare Hindernisse dar,106 neben denen die weiter oben geschilderten Schwierigkeiten

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wohl sprach- wie auch schriftsprachlicher Korpora, besonders in Bezug auf diachrone grammatikalische Veränderungen. Für das Italienische werden momentan vor allem korpusbasierte Studien zum italiano parlato angezeigt, die jedoch teilweise ebenfalls diachron angelegt sind, cf. etwa Scarano/Signorini 2005 und Bosco/Bazzanella 2005 (hier sind auch einige aktuelle Korpora für das Alt- wie das Neuitalienische angegeben, cf. ib., 446), oder solche, die das Altitalienische betreffen, cf. etwa Stark 2005. Dies entspricht in etwa der in Kap. 2.1. beschriebenen Vorgehensweise mit dem TreeTagger nach Schmid 1994 und 1995, Stein/Schmid 1995 oder Stein/Glessgen 2005. Auf diese Problematik weisen auch die Mitarbeiter des Projekts zur Erweiterung der Reihe Les Plus Anciens Documents Linguistiques de la France um die Dokumente aus den Archives Départementales de la Meuse hin, die zur Lösung dieser Schwierigkeiten gemeinsam mit Tübinger Computerexperten ein Makro (phoenix) geschaffen haben, das – basierend auf dem TUebinger System von TExtverarbeitungsProgrammen (tustep) – speziell für solche nicht-standardisierten historischen Sprachstufen eine semi-automatische linguistische Annotation ermöglicht, cf. Matthey 2005 und Glessgen/Kopp 2005. Zur Arbeit mit tustep-basierten Programmen an mittelalterlichen Gebrauchstexten cf. auch Holtus/Overbeck/Völker 2003a und 2003b, Overbeck 2003a, Overbeck/Völker 2007 sowie (zur Diskussion des Begriffs Hypertext in historischen Textkorpora) Völker 2005.

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der Homographien oder Polysemien in den italienischen Libretti (cf. Kap. 2.1.) als geringfügig bezeichnet werden können.107 Andererseits ist es eines der Ziele des Projekts, die Sprache in ihrer diachronen Entwicklung hin zum Neufranzösischen zu beschreiben, so dass hier gerade die Erkenntnis der problematischen Heterogenität zugleich einen Beitrag zur Sprachdeskription liefert und letztendlich die Entwicklung einer Texttypologie anhand objektiver Kriterien ermöglicht. In der vorliegenden Arbeit geht es dagegen primär weder darum, einen synchronen Sprachzustand zu beschreiben, noch morphosyntaktische Veränderungen im Verlaufe der Sprachentwicklung zu beobachten, sondern vielmehr festzustellen, ob in einer bestimmten Periode (19. Jahrhundert) vorhandene sprachliche Charakteristika – und zwar sowohl quantitativ messbare wie die Type-token-Relation (TTR) oder die Anzahl der Hapax legomena (cf. hierzu den folgenden Abschnitt und Kap. 3.2.1. und 3.2.2.) als auch qualitative wie Inversionen oder rhetorische Figuren (cf. hierzu Kap. 4.2.3. und 4.2.4.) – bereits zu Beginn der Entwicklung des Genres Opernlibretto (um 1600) vorhanden sind. Hier soll also ein durch einen mehr oder weniger synchronen Schnitt ermittelter Sprachzustand innerhalb eines Zeitabschnitts (mehrere Jahrzehnte innerhalb des 19. Jahrhunderts) auf eine diachrone Entwicklung durch zwei Jahrhunderte hindurch (17. und 18. Jahrhundert) übertragen und mit ihr verglichen werden. Dabei ist eine relative Homogenität der im Korpus enthaltenen Texte von großem Vorteil, weshalb – anders als bei der genannten CNRS-Arbeitsgruppe – die Zugehörigkeit aller Texte zu ein und demselben Genre, die relative Dialektlosigkeit der Texte108 und der geschlossene zeitliche Rahmen (1598–1887) von Vorteil sind. Was in dieser Arbeit nur ansatzweise geleistet werden kann, aber eigentlich in einem späteren Schritt unabdingbar für stabile Thesen zum Libretto-Idiom wäre, ist die Abgrenzung der analysierten von anderen Texten, und dies sowohl in Bezug auf andere Sprachen (hier nur durch ein französisches Libretto exemplarisch dargestellt) als auch auf andere Genres, besonders auf Sprechtheatertexte. 2.2.2.

Ansätze der Quantitativen Linguistik und Sprachstatistik109

Während in der Formalen Linguistik vorrangig qualitative Eigenschaften von Sprache(n) behandelt und entsprechend eher die qualitativen mathematischen Hilfsmittel wie Algebra, Mengenlehre oder Logik eingesetzt werden, ermittelt man in der Quantitativen Linguistik (QL) die quantitativen Eigenschaften, die zur Beschreibung und für das Verständnis der Entwicklung und Funktionsweise

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So schildern Prévost/Heiden (2002, 129) die Probleme, die etwa die Varianten des Verbs avoir in der 1. P. Pl. Impf. darstellen, die als aviiens, avïens, aviens, aviions, avyons auftreten. Cf. hierzu auch bereits weiter oben, Kap. 2.1. Für zahlreiche wertvolle Hinweise und Ergänzungen zu diesem Abschnitt und zum folgenden Kapitel 3 danke ich herzlich Dr. Karl-Heinz Best, Göttingen.

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von Sprachsystemen nötig sind.110 Die Aufgaben, die sich die QL setzt, bestehen darin, sprachliche Phänomene zu entdecken, sie systematisch zu beschreiben und entsprechende Gesetze zu formulieren. Während in den Naturwissenschaften die Methoden Zählen und Messen zu den Basisoperationen gehören, «werden sie in den Geisteswissenschaften als eher niedere und jedenfalls nutzlose Beschäftigungen angesehen» (Köhler 2005a, 2). Auch etwa in Soziologie, Psychologie und Ökonomie sind quantitative Modelle unverzichtbar, in der Linguistik finden sie dagegen fast ausschließlich in der Phonetik Verwendung und sind erst seit ca. 50 Jahren überhaupt als Forschungsmethode anerkannt, doch nach wie vor verwendet sie nur eine Minderheit der Forscher.111 Die Verwendung qualitativer mathematischer Methoden (Algebra, Mengenlehre, Logik) wurde v. a. ab dem aufkommenden Strukturalismus praktiziert, doch kann man mit Köhler kritisieren: «Die historische Entwicklung der Sprachwissenschaft und die anschließende einseitige Betonung bestimmter Elemente der strukturalistischen Errungenschaften hatten dazu geführt, dass sich ein absolut statischer Systembegriff herausgebildet hatte, der bis in unsere Zeit leider weitgehend erhalten geblieben ist. Die Beschäftigung mit den über die Struktur hinausgehenden Aspekten von Systemen: Funktion, Dynamik, Prozess unterblieb fast vollständig in der westlichen mathematischen Sprachwissenschaft. [...] Dem Mangel, der aus der künstlichen Ausgrenzung ganzer begrifflicher Bereiche entstand, abzuhelfen ist das eigentliche Ziel der quantitativen Linguistik, und zu diesem Zweck benötigt man auch die quantitativen Teile der Mathematik, z. B. Analysis, Wahrscheinlichkeitstheorie mit Statistik, Funktionentheorie, Differenzen- und Differentialgleichungen» (ib., 3).112

Die Geschichte der QL113 beginnt bereits im 19. Jahrhundert,114 als erste Zählungen von sprachlichen Einheiten vorgenommen wurden (cf. hierzu ib., 3s.). Die

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Cf. hierzu und zum folgenden Abschnitt grundlegend Köhler 2005a und – vor allem zum Bereich der quantitativen Stilanalyse – Pieper 1979, besonders 13–34. Von dieser Tatsache zeugt allein der Begriff «Quantitative Linguistik», der die QL von der übrigen Linguistik differenziert, obwohl die Forschungsinteressen sich oftmals nicht unterscheiden. Köhler (2005a, 2) weist zu Recht darauf hin, dass es schließlich auch keine «quantitative Meteorologie, Astronomie oder Medizin» gebe. Vergleichbar ist diese Situation in der so genannten «Computerlinguistik», die an manchen Universitäten sogar als gesondertes Fach unterrichtet wird, obwohl niemand auf die Idee käme, von einer «Computerphysik» o. ä. zu sprechen. Cf. in ähnlicher Diktion auch Best (2006, 5), der beklagt, dass die «Fächer der philosophischen Fakultäten», anders als Mediziner, Psychologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler, weitgehend darauf verzichten, «Kenntnisse in Statistik auch nur zu empfehlen, geschweige denn in die Studiengänge einzubeziehen». Zur Geschichte der QL in Deutschland und Österreich, die hier nur ansatzweise skizziert werden kann, cf. auch Best 2006, 7–11, und Aichele 2005a. Wenn man kombinatorische Überlegungen berücksichtigt, könnte man die Anfänge der QL bereits in der griechischen Antike ansetzen. Erste philologische Zählungen stellten etwa auch die Masoreten an, Überlieferer der hebräischen Bibel im Judentum, die etwa zwischen 780 und 930 ein System zur Fixierung des Textes erarbeiteten. Dank an KarlHeinz Best für diesen Hinweis.

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Theorie der Markov-Ketten (begründet 1913 durch den Mathematiker A. A. Markov) gab der Sprachwissenschaft einen neuen, wenn auch erst spät entdeckten Impuls (cf. die Hidden Markov Chains, die heute in der Computerlinguistik eine wichtige Rolle spielen). Als Pionierwerk der QL sind die Arbeiten von George Kingsley Zipf (1902–1950) zu nennen, von dessen Bedeutung für die QL noch heute das berühmte «Zipfsche Gesetz» zeugt (cf. hierzu Prün 2005). Seine Theorien wurden später von Benoît Mandelbrot und anderen korrigiert und verfeinert, haben aber im Grunde noch heute ihre Bedeutung. Eine Welle der Begeisterung für quantitative Methoden löste ab 1949 die Anwendung der Informationstheorie in der Linguistik durch Shannon und Weaver aus, die jedoch schnell abflaute, da bei diesem Ansatz semantische Aspekte von Sprache vernachlässigt wurden und er sich daher als nicht sehr Erkenntnis bringend erwies (cf. Köhler 2005a, 4). Der Physiker Wilhelm Fucks (1902–1990) stellte als einer der Ersten ein in der Linguistik verwendbares Modell für die Wortlängenverteilung auf,115 wandte es auf verschiedene Bereiche von Sprache und Musik an und verlagerte die QL in Deutschland wieder mehr hin zur Theorie. Fucks stellt sich vor allem Fragen nach Stilistik, Textauthentizität und Morphologie; er führte z. B. Stiluntersuchungen in die Linguistik ein, bei denen Stil als die Summe der objektiv fassbaren Eigenschaften eines Werkes – unter Ausschluss semantischer Merkmale – defi niert wird.116 So diente ihm etwa als Kriterium für den Stil eines Textes das Maß der Wortlänge und die Satzlänge in Wörtern bzw. Silben,117 wobei er ermittelte, dass belletristische Autoren durchschnittlich kürzere Wort- und Satzlängen erzeugen als die übrigen Schriftsteller. Diese und andere Ergebnisse belegten für Fucks die Existenz von Ordnungsprinzipien, denen ein Autor folgt, ohne es zu wissen, und die allein mit Methoden der QL ermittelbar sind. Praktischen Nutzen haben solche Ermittlungen etwa bei der Klärung von Autorschaften und Authentizitätsfragen.118 Fucks wandte seine Erkenntnisse auch auf die Musikwissenschaft an und untersuchte dort Aspekte wie die Häufigkeitsverteilung von Tonhöhen und Tondauern, von Intervallen, Übergangswahrscheinlichkeiten benachbarter Töne sowie Intervalle und Bindungskräfte. Diese Untersuchungen wurden jedoch vor allem von Musikwissenschaftlern nicht nur positiv bewertet (cf. Aichele 2005b, 156). Seine Forschungen gipfelten in den Büchern Formeln zur Macht (1965) und Mächte von morgen (1978), in denen er Fragen nach der zukünftigen Entwicklung von Bevölkerung und Machtverhältnissen mit mathematischen Berechnungen zu beantworten versuchte. Sein besonderes Verdienst besteht aber wohl darin, intuitiv und mit qualitativen Methoden feststellbare Entwicklungen mit quantitativen Mitteln zu überprüfen und berechenbar zu machen.

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Vor ihm hatte bereits der Russe Sergej Victoroviþ ýebanov (1897–1966) ein ähnliches Modell entworfen, von dem Fucks jedoch vermutlich keine Kenntnis hatte. Cf. zu Fucks v. a. Aichele 2005b. Die gleichen Kriterien wurden etwa zur gleichen Zeit von Rudolf Flesch (1911- 1986) für den Lesbarkeitsindex verwendet. Zur Geschichte der linguistischen Stilistik cf. auch Pieper 1979, 13–22.

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Als eigenständige linguistische Teildisziplin ist die QL im Prinzip erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen, als der Bochumer Linguist und Mathematiker Gabriel Altmann systematisch einen Kreis von Studierenden und Mitarbeitern aktiv zu quantitativen Arbeiten anleitete und heute als einer der Begründer der QL in Deutschland gilt (cf. hierzu Aichele 2005a, 19) und auch heute noch aktiv die «QL-Gemeinde» zusammenhält. Diese Arbeiten setzte ab den 80er Jahren besonders Reinhard Köhler fort, der diverse neue Modelle auf fast allen Ebenen linguistischer Forschung entwickelte. Heute findet QL-Forschung maßgeblich an den Universitäten Trier, Köln und Göttingen statt; in Göttingen rief z. B. der Germanist Karl-Heinz Best 1993 (zusammen mit Gabriel Altmann) das Projekt «Quantitative Linguistik» ins Leben, das sich noch heute vor allem mit Verteilungen sprachlicher Einheiten und ihrer Eigenschaften im Lexikon und in Texten beschäftigt.119 Für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind außerdem die Arbeiten von Charles Muller, der eine neue Richtung der Analyse des Textvokabulars begründete, die noch heute weiterentwickelt wird.120 Im Folgenden soll kurz in die grundlegenden methodologischen Begriffe eingeführt werden, um die im quantitativen Analyseteil der Arbeit (Kap. 3.) verwendeten Operationen transparenter zu machen.121 Der erste Ansatz der QL bedient sich

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Cf. http://wwwuser.gwdg.de/~kbest (zuletzt eingesehen am 16.01.2011), Best 2001a und Best 2006. Als wichtigstes Publikationsorgan der QL fungieren heute das Journal of Quantitative Linguistics, das die seit 1978 existierende (von Gabriel Altmann initiierte), interdisziplinär und international ausgerichtete Buchreihe Quantitative Linguistics ergänzt und die wichtigsten Ergebnisse der seit 1991 statt findenden Quantitative Linguistics Conference (QUALICO), Austauschort der 1994 gegründeten International Quantitative Linguistics Association (IQLA), zusammen fasst. Zu nennen sind außerdem die Zeitschriften Glottometrics und Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft, in denen regelmäßig Beiträge zur QL veröffentlicht werden (cf. etwa Overbeck/Best 2008 und Overbeck et al. 2010). Zudem existiert eine eigene Bibliographie, die Bibliography of Quantitative Linguistics (BQL), die unter Reinhard Köhler an der Universität Trier gepflegt wird. Für Österreich ist etwa das Grazer Projekt zur Quantitativen Textanalyse (QuanTA) zu nennen, das maßgeblich aus der Zusammenarbeit des Slavisten Peter Grzybek und des Statistikers Ernst Stadlober entstanden ist, cf. http://www-gewi.uni-graz. at/quanta/site.php (zuletzt eingesehen am 16.01.2011). Über die Zukunft der QL kann im Zuge der derzeit in der deutschsprachigen universitären Landschaft stattfindenden «generativen Wende» allerdings nur spekuliert werden. Cf. dazu ausführlich weiter unten in diesem Abschnitt und die Aufsatzsammlungen von Muller 1979a und 1985. Auf weitere allgemeine Ausführungen zur QL, etwa zur Ontologie, Epistemologie oder Heuristik, wird an dieser Stelle zugunsten der Erläuterung der in der vorliegenden Arbeit angewandten Methoden verzichtet, cf. dazu zusammenfassend Köhler 2005a, 4ss. Cf. auch hierzu zusammenfassend Köhler 2005a, 6ss., und ausführlich Best 22003. Zum Einstieg in die QL geeignet sind auch die gut verständlichen, online abrufbaren Einführungen von Best (http://wwwuser.gwdg.de/~kbest/einfueh.htm) und Köhler/Altmann (http://www.citeulike.org/user/spinfo/article/315893) sowie die am Beispiel von Goethes Erlkönig sehr anschaulich dargestellten Gesetze der QL durch Altmann/Altmann 2005 (http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2005/325/pdf/Erlkoenig1.pdf und http://...Erlkoenig2.pdf) (alle zuletzt eingesehen am 16.01.2011).

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qualitativer (auch: nominalskalierter) Begriffe, mit deren Hilfe man den Bezug zweier oder mehrerer Objekte auf eine Eigenschaft ausdrücken kann: E(A) = E(B) oder E(A) ≠ E(B). Köhler (2005a, 6) nennt als Beispiel hierfür die Zuordnung von Wörtern zu Wortarten, die auf der Grundlage von eindeutigen Dichotomien wie {wahr, falsch} möglich sei.122 Für weitergehende Fragestellungen ist dieses erste Modell zu grob, weshalb nun einfache quantitative Begriffe zum Einsatz kommen, die eine Graduierung ermöglichen, nämlich komparative (oder: ordinalskalierte) Begriffe: E(A) > E(B), E(A) = E(B) oder E(A) < E(B). Nun ist eine Sortierung in Bezug auf die untersuchte Eigenschaft möglich und ein höherer Typ von Ordnung erreicht. Köhler (ib., 7) nennt hier als linguistisches Beispiel die Akzeptabilität von Satzkonstruktionen. Soll nun als dritter Ordnungstyp noch angegeben werden, um wie viel mehr oder weniger ein Objekt von einer Eigenschaft besitzt als ein anderes, werden intervallskalierte Begriffe nötig, z. B. E(A) – E(B) = d, bzw. ratioskalierte Begriffe, falls ein fester Referenzpunkt wie etwa Null auf einer Skala hinzukommt: E(A) = aE(B) + d. Mit Hilfe dieses höchsten Ordnungstyps können nun komplexe sprachliche Zusammenhänge wie etwa – für die vorliegende Arbeit wichtig – die Eigenschaft der Polysemie ermittelt werden.123 Aus qualitativer Sicht kann man lediglich feststellen, ob ein Ausdruck polysem ist oder nicht; mit quantitativen Mitteln dagegen ist ermittelbar, wie viele Bedeutungen ein Ausdruck besitzt. Mag diese Feststellung auch zunächst banal klingen, so ist es doch in der QL gelungen, einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Bedeutungen eines Wortes und seiner Länge zu ermitteln: Das Gesetz, nach dem mit zunehmendem Umfang eines Wortes dessen direkte Konstituenten immer kleiner werden (Menzerathsches Gesetz, cf. Cramer 2005), ist danach auch auf semantischer Ebene gültig und lässt sich zu der Aussage erweitern, dass sich die Menge an Wortbedeutungen bei wachsender Wortlänge verringert (cf. Levickij 2005, 460), mathematisch ausgedrückt heißt das: «Die Veränderungsrate der Polylexie ist umgekehrt proportional zur Länge» (ib.). Auch die Wortlänge ist eine in der QL relevante und gut untersuchte Größe; so hat man etwa bereits im 19. Jahrhundert überlegt, ob man Fragen nach der Autorschaft anonymer Texte nicht durch Wortlängenanalysen lösen könne (cf. Best 2005a, 260s.).124 Problematisch ist dabei die Definition von Wortlänge: Soll man die Anzahl der Silben, der Grapheme, Phoneme, Akzente oder Morphe zu Grunde legen? Best und sein «Göttinger Projekt» bestimmen die Wortlänge in der Regel nach der Anzahl der

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Gerade dieses Beispiel ist jedoch problematisch, da die Zuordnung zu Wortarten nicht immer eindeutig ist. So führen etwa Altmann/Altmann (2005, 80) die im Deutschen mehreren Wortarten zuordenbaren Formen ächzend (Verb oder Adverb) oder ein (Artikel, Zahlwort, Präfix) auf. Cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1., und Levickij 2005. Zur modernen statistischen Stilanalyse (statistical stylistics, stylostatistics, stylometrics, quantitative stylistics, computational stylistics), mit deren Hilfe neben der Ermittlung von Autorschaften anonymer Texte auch nach individuellem oder funktionalem Stil von Texten geforscht wird, cf. Tuldava 2005 und Mehler 2005, 339s.

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Silben (cf. ib., 266). Für die vorliegende Arbeit war ein noch grundlegenderes Problem zu lösen, nämlich die Definition von «Wort». Dabei wurde als bestmöglicher Kompromiss die allgemein in der QL übliche Verfahrensweise gewählt, nach der ein Wort zunächst eine orthographische Einheit, also eine ununterbrochene Graphemkette darstellt (cf. ib., 265). Problematische Einzelfälle, die sprachabhängig auftreten (Best nennt etwa das französische voulez-vous, das trotz des Bindestrichs als zwei Wörter aufgefasst werden muss) und auch im Italienischen vorhanden sind, wurden bei der manuellen Korrektur gelöst (cf. weiter oben, Kap. 2.1.).125 Eine in der Sprachwissenschaft häufig genutzte Methode der QL ist die Herstellung von Indizes, also «die Definition mathematischer Operationen, mit deren Hilfe Eigenschaften auf Zahlenverhältnisse abgebildet werden» (ib., 7). Die Ziele der QL sind, das zeigt der vorhergehende Abschnitt, von denen der anderen Bereiche der Sprachwissenschaft nicht zu differenzieren, lediglich die verwendete Methodik kann von der anderer linguistischer Ansätze abweichen.126 Die Erkenntnis der stochastischen Eigenschaften von Sprache führt zu der Bestrebung, hierarchische Modelle zu entwickeln, die zunehmend mehr sprachliche Erscheinungen kategorisieren und erklären können. Durch die Variabilität und Vagheit natürlicher Sprachen stoßen rein deterministische Methoden an ihre Grenzen, und hier gelangen quantitative Modelle, vor allem Metrisierung und Wahrscheinlichkeitsmodelle, zum Einsatz. Dies gilt auch und besonders für die Bereiche Lexikographie und Lexikologie, da der Wortschatz einer Sprache nie im Ganzen fassbar und beschreibbar ist. Hier sind quantitative Methoden der am ehesten geeignete Weg, um zumindest Tendenzen und Regularitäten zu erforschen: «The lexicon of a language cannot be described completely because it is an open system and subject to continuous changes. It cannot be captured, even not for a given moment of time, because the number of lexical elements is so large that the majority of their (indeterministic) regularities cannot be recognised without statistical methods» (Köhler 2005b, 305).

Die Exaktheit der Erfassung von Eigenschaften ist dabei vor allem von den beiden Faktoren Schärfe der Definition und Güte der Messmethoden anhängig, d. h. je genauer eine sprachliche Eigenschaft erfasst werden kann, desto einfacher wird die Möglichkeit, mathematische Operationen mit ihr auszuführen und zu Erkenntnissen zu gelangen, die die sprachliche Realität adäquater erfassen als deterministische Modelle:

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So stellt sich im Italienischen etwa das Problem der reflexiven Verben, deren Infinitiv eine zusammengesetzte Form des Typs lavarsi, sentirsi etc. darstellt, während die flektierten Formen das Pronomen zumeist abtrennen (Typ Giovanni si prepara la colazione). In beiden Fällen wurde hier von einem Wort ausgegangen. Die enge Beziehung der QL zur Computerlinguistik (CL) muss nicht extra betont werden. Cf. dazu auch den Aufsatz von Köhler/Altmann (1989) im für die CL grundlegenden HSK-Sammelband (vol. 4) von Bátori/Lenders/Putschke 1989. Eine gute Zusammenfassung der Entwicklung der CL bietet der Einleitungsaufsatz von Bátori 1989.

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«So können Beurteilungskriterien, die zuvor nur in subjektiver und tentativer Form existierten, objektiviert und operationalisiert werden (z. B. in der Stilanalyse), es können Zusammenhänge zwischen Einheiten bzw. Eigenschaften erkannt werden, die mit dem qualitativen Instrumentarium nicht sichtbar sind [...], und es lassen sich praktikable Methoden für technische und andere Anwendungsbereiche finden, in denen entweder aufgrund der großen Menge der zu verarbeitenden sprachlichen Daten oder wegen ihrer stochastischen Eigenschaften die Mittel [sic, lies: mit Mitteln] der herkömmlichen linguistischen Modelle Aufgaben nicht oder nur unzureichend lösbar waren» (Köhler 2005a, 8).

Dies ist genau der Grund, warum für die vorliegende Arbeit – zumindest für die 10 Libretti aus Korpus Q – quantitative Methoden zum Einsatz kamen: Im Bereich literarischer Texte existieren bisher nur sehr wenige sprachstatistische Untersuchungen, zumal bezogen auf die italienische Sprache. Für das Französische zeigten in den 70er und 80er Jahren Charles Muller (cf. Muller 1979b, zum Theater Pierre Corneilles), Charles Bernet (cf. Bernet 1983, zu den Tragödien Jean Racines) und Étienne Brunet (cf. Brunet 1988, zum Wortschatz Victor Hugos), was – damals noch ohne die Zuhilfenahme der heute verfügbaren elektronischen Ressourcen und Programme – mit Mitteln der Sprachstatistik möglich ist. Muller hatte in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts damit begonnen, die ihm am Herzen liegenden Gebiete der Mathematik und der Grammatik mit Hilfe der Statistik zu verknüpfen und damit einen eigenen Weg innerhalb der QL einzuschlagen (cf. die Einleitung zu Muller 1979a). Zunächst erforschte er den von ihm als style familier bezeichneten, für einen Autor typischen eigenen Stil anhand der Quotientenbildung aus der Anzahl der in einem Text (etwa in Szenen aus Stücken von Molière, cf. ib., 107–116) auftretenden Personalpronomen der 1. und 2. Person und der Anzahl der korrespondierenden Possessiva, später wandte er sich zunehmend der Sprachstatistik und der Lexiktheorie zu (cf. ib., II). Ein Hauptaugenmerk Mullers galt dem Vokabularreichtum, der richesse lexicale (cf. etwa seinen Beitrag Sur la mesure de la richesse lexicale. Théorie et expériences von 1970, ib., 281–307), den er ohne die heute zur Verfügung stehenden technischen Mittel und elektronischen Werkzeuge vor allem für Texte Racines und Corneilles errechnete.127 Diese Forschungen gipfelten in seinem Werk über den Wortschatz der Theaterstücke von Pierre Corneille (Muller 1979b), das durch entsprechende Arbeiten seiner Schüler Charles Bernet zum Vokabular der Tragödien Jean Racines und Étienne Brunets zu Victor Higo (s. o.) ergänzt wird. Für die Entwicklung der QL – bzw. der Sprachstatistik – waren Analysen dieser Art zunächst sehr wertvoll, auch wenn sie heute als überholt anzusehen sind. So stellt etwa Bernet am Ende seiner Analyse fest, dass der Wortschatz Corneilles in der Regel reicher ist als der Racines, relativiert sein Ergebnis jedoch selbst, indem er darauf hinweist, dass diese Aussage nur für die Tragödien zutrifft, die Racine zwischen 1659 und 1677 geschrieben hat, während Phèdre, Médée und einige sakrale Tragödien einen im Gegenteil sehr

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Zur richesse lexicale cf. weiter unten, Kap. 3.2.

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reichen Wortschatz aufweisen (cf. Bernet 1983, 221). Dies wiederum zeigt, dass ein und derselbe Autor den lexikalischen Reichtum seiner Werke – evtl. bewusst – variieren kann und dass statistische Aussagen dieser Art immer nur für einen Text gelten können. Für Wimmer (2005) sind Analysen zum Vokabularreichtum eines Autors – anders als unter gewissen Umständen Analysen zum Vokabularreichtum eines Textes (cf. hierzu weiter unten, Kap. 3.2.) – stets zum Scheitern ver urteilt: «As a matter of fact, all texts of an author converge to different points, thus any prediction is illusory. Every adult person knows almost all words of his/her language, even if he/she does not use them all; the difference consists in some thousands of words contained in special dictionaries. In order to save the hypothesis, mathematicians assumed that the point of convergence means the number of those words which the writer placed at his own disposal for writing the given text. This is a sheer nonsense» (Wimmer 2005, 362).

Daher können auch die in den folgenden quantitativen Analysen gewonnenen Ergebnisse stets nur für die dort ausgewerteten Texte gelten und nicht für das Gesamtwerk des jeweiligen Librettisten. Dass dennoch immerhin Tendenzen – zumindest aus qualitativer Sicht – erkennbar sind, belegen die ergänzenden Analysen in Kap. 4. wie auch die zumindest in groben Zügen immer noch relevanten Arbeiten von Muller, Bernet und anderen.128 Ein weiteres Beispiel für eine solche quantitative Wortschatzanalyse bietet – im kleinen Rahmen – Norman (1988), der die Sprache der 11 Libretti Philippe Quinaults mit der der 11 Tragödien Racines vergleicht.129 Auch wenn der Artikel nur wenige und zudem wissenschaftlich nicht eindeutig nachweisbare Ergebnisse präsentiert, so ist Norman doch einer der wenigen Forscher, die die Möglichkeiten der Sprachstatistik anhand (musik)dramatischer Texte ausschöpfen. Er belegt damit die verbreitete, aber nie wirklich verifizierte Annahme, dass der Wortschatz Philippe Quinaults relativ eingeschränkt ist.130 Demnach enthalten Racines 11 Tragödien 158.899 Okkurrenzen (tokens), Quinaults 11 Libretti aber nur 68.515, also ca. 43 % gegenüber Racine. Eine typische Racine-Tragödie enthält durchschnittlich 14.445 Okkurrenzen (verteilt auf 3263 types), ein Libretto Quinaults nur durchschnittlich 6229 (2050 types). Norman (ib., 289s.) begründet dies u. a. durch die höhere Zahl kurzer Verse bei Quinault. Die weiter unten dargestellten quantitativen Analysen der vorliegenden Arbeit belegen diese Tendenzen anschaulich. Auch bezogen auf korpuslinguistische Untersuchungen stellen sich in der QL einige methodologische Probleme: So soll ein Textkorpus stets repräsentativ für eine bestimmte, viel umfangreichere Textmenge sein, und die gewonnenen Ana-

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Cf. dazu auch den Sammelband von Thoiron/Labbé/Serant 1988. Als Überblick über die Sprachstatistik sind die Einführungen von Muller 1968 und 1973 noch immer als Standardwerke zu benennen. Diese Parallelen zog schon Gros 1926, passim. Cf. Norman 1988, 288s., Gier 1998a, 264 n. 52, und Gros 1926, 647–714. Cf. auch weiter unten, Kap. 3.2.

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lyseergebnisse sollen – zumindest virtuell – auf eine bestimmte Gesamtheit beziehbar sein (cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 2.2.1.). Im vorliegenden Fall sind 10 Opernlibretti (sowie ihre Ergänzung um 6 weitere, nicht quantitativ ausgewertete Texte) Repräsentanten für die gesamte Gattung des Opernlibrettos; die nicht unerhebliche, aber angesichts der großen Anzahl von existierenden Opernlibretti winzige Menge von ca. 54.000 Okkurrenzen steht für eine erheblich größere, nicht bezifferbare Einheit sämtlicher Libretto-Okkurrenzen. Jeder Einzeltext umfasst dennoch prinzipiell alle linguistischen Eigenschaften und Zusammenhänge des Systems Sprache und kann auf allen Ebenen linguistischer Analyse betrachtet werden, etwa nach phonetisch/phonologischen, nach morphologischen, lexikalischen, syntaktischen, semantischen oder stilistischen Aspekten. Ebenso können sprachliche Charakteristika im konkreten Einzelkontext (etwa lexikalische Einheiten in einem bestimmten Text) wie auch auf einer höheren, abstrahierenden Ebene (etwa polyseme Ausdrücke) untersucht werden. Zu unterscheiden ist hierbei stets zwischen «beobachtbaren Instanzen sprachlicher Äußerungen einerseits und linguistischen Konstrukten andererseits» (Köhler 2005a, 10), also zwischen Rede als Realisiertem und Sprache als System, oder – nach der de Saussureschen Dichotomie – um parole und langue. Köhler (ib.) weist hier jedoch auf die Problematik hin, von einem mit quantitativen Mitteln untersuchten Korpus auf ein anderes oder gar auf «Sprache als Ganzes» zu schließen, da – anders als in anderen empirischen Wissenschaften – in der Linguistik nicht von Stichproben auf eine Population bzw. von einem Text auf ein Korpus oder auf die Sprache als System geschlossen werden kann.131 Die Inhomogenität von Sprachdaten stellt sich somit im Prinzip sämtlichen statistischen Verfahren entgegen, die naturgemäß von homogenen Stichproben und der Normalverteilung von Abweichungen ausgehen. Dazu kommen Probleme wie das der extremen Schiefe der Häufigkeitsverteilungen, das für die Sprache typisch ist (in poetischen und dramatischen Texten z. B. die ungleiche Verteilung von Lauten, Silben, Reimen etc., die nicht mit anderen Sprachvarietäten vergleichbar ist).132 Alle aus einem Sprachkorpus heraus gewonnenen Schlüsse können also nur Anhaltspunkte sein, die Wahrscheinlichkeiten angeben und – trotz aller Objektivität der angewandten Methoden – nicht als absolute Gewissheiten dargestellt werden können. Eine universelle Sprachtheorie kann demnach auch die QL nicht liefern,133 wohl aber eine Reihe von Sprachgesetzen, die in Ausschnitten der Sprachrealität anwendbar sind.

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Zur Korpusproblematik aus der Sicht der Computerlinguistik cf. auch Bergenholtz/ Mugdan 1989. Die genannten Probleme finden sich auch bereits (in komprimierter Form) dargestellt in Köhlers Vorwort zu Tuldava 1998 (p. I-III). Best weist in diesem Zusammenhang (im persönlichen Gespräch) auf die linguistische Synergetik hin, deren (u. U. erfüllbarer) Anspruch darin besteht, dass die (Sprach)gesetze allgemeingültig sind und die Individualität der Texte sich nur in Parameterwerten oder unterschiedlichen Ansätzen für Funktionen wie g(x) bei Px = g(x) Px–1 ausdrücken.

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Eine weitere für die vorliegende Arbeit wichtige quantitative Forschungsrichtung ist die quantitative Textlinguistik (QTL).134 Abweichend vom traditionellen Textlinguistik-Begriff nach Brinker (1992), nach dem sich die Textlinguistik (TL) in zwei Bereiche (sprachsystematisch ausgerichtete TL, die den Satz als primäre Struktureinheit ansieht, und kommunikationsorientierte TL, in der v. a. die Funktion textueller Einheiten in Abhängigkeit von der Kommunikationssituation untersucht wird) aufteilt, ist für die QTL ein bisher zumeist ausgeblendeter Aspekt wichtiger, nämlich der der statistischen Textorganisation: «Ist für die sprachsystematische Textlinguistik in Anlehnung an das Syntaxmodell Chomskys alles Probabilistische von Texten irrelevant, so betont die quantitative Textlinguistik umgekehrt gerade die Bedeutsamkeit quantitativer Aspekte von Textproduktion und -rezeption» (Mehler 2005, 325). Grundlegend ist dabei der Gedanke, dass jeder Text gewisse quantitativ messbare konstitutive Eigenschaften aufweist und dass diese Eigenschaften «textspezifische Ordnungszustände» (ib.) abbilden. Einerseits wird daher in der QTL die Entwicklung einer Texttheorie angestrebt, die Texte auf Grund quantitativer Eigenschaften von anderen semiotischen Einheiten differenziert, andererseits zielt sie auf eine Klassifikation von Texten und Textsorten. Zudem versucht die QTL, Textgesetze zu ermitteln, die in gewissem Maße für alle – nur äußerlich chaotisch wirkenden – Fluktuationen von Textprozessen in ihrem Kontinuum zwischen Determinismus und Stochastik gelten (cf. ib., 325ss.). Schwierig wird dies vor allem wegen der Komplexität und des stochastischen Charakters von Texten, die sich durch Eigenschaften wie Vagheit, Kontextsensitivität, Dynamik und Variabilität auszeichnen. Methodisch ist die QTL vor allem in der Statistik verankert, wobei man zwischen univariaten (Beschreibung), bivariaten (Vergleich) und multivariaten Analysen (Klassifi kation) differenzieren muss.135 Für die vorliegende Arbeit relevant sind vor allem uni- und bivariate Analyseverfahren; erstere beruhen auf der isolierten Betrachtung von Texteigenschaften wie etwa der durchschnittlichen Satzlänge oder der mittleren Häufigkeit von Wörtern oder Wortarten (Kap. 3.1.), letztere ermitteln numerische Zusammenhänge zwischen paarweise auftretenden Textcharakteristika, etwa der Diversitäts- oder Type-token-Index (Kap. 3.2.1.), der Einmaligkeitsindex (Hapax legomena, cf. Kap. 3.2.2.), der Konzentrationsindex (Kap. 3.3.1.) oder der Aktionsquotient (Kap. 3.3.2.). Die Anwendung multivariater Analyseverfahren erübrigt sich in der vorliegenden Arbeit (cf. dazu ib., 333, und weiter unten, Kap. 3.1.). Da nun – das haben die voran gegangenen Ausführungen gezeigt – eine Universalität auch von solchen Ergebnissen, die auf der Grundlage von quantitativen Analysen gewonnen wurden, nicht oder nur in geringem Maße gegeben ist, sollen in der vorliegenden Arbeit zusätzlich einige Aspekte mit Hilfe herkömmlicher,

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Einen guten Überblick über den derzeitigen Forschungsstand, den die vorliegende Arbeit durch die Anwendung der dort beschriebenen Methoden auf Musiktexte zu erweitern versucht, bietet Mehler 2005. Zu den drei unterschiedlichen Verfahren cf. bereits Pieper 1979, v. a. 48–95. Cf. auch weiter unten, Kap. 3.1.

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qualitativer Methoden untersucht werden. Hier sind vor allem sprachliche Charakteristika aus den Bereichen der Lexik und Semantik (Kap. 4.1.) und der Syntax und Stilistik (Kap. 4.2.) angesprochen. Die Verwendung des Begriffes «qualitativ» ist hier nur im Zusammenhang mit nicht-qualitativen, also eben quantitativen Methoden sinnvoll. Er tritt folglich nur in solchen Beiträgen auf, die sich ausdrücklich mit quantitativen Zugängen befassen und diese von den herkömmlichen Methoden abgrenzen (cf. etwa Pieper 1979)136 bzw. die in neuester Zeit beide Methoden zu kombinieren versuchen (cf. etwa Lüdeling 2007).137 Das Zusammenspiel diverser quantitativer und qualitativer Analysen in der vorliegenden Arbeit kann somit als Versuch angesehen werden, dem beispielhaft-stichprobenartigen Charakter entgegenzuwirken, den traditionelle korpusbasierte Sprachstudien oftmals aufweisen. 2.2.3.

Zur Differenzierung von Rezitativ und Arie

In den folgenden quantitativen (Kap. 3) und qualitativen Analysen (Kap. 4) werden die jeweils untersuchten Aspekte stets auf das gesamte Libretto bezogen, ohne dass eine weitere Differenzierung oder Binnengliederung von einzelnen Textpassagen erfolgt. Damit ist, zumal in den frühen Libretti, zumeist die Unterscheidung von Rezitativen und Arien gemeint, die von Beginn der Operngeschichte an die Struktur und Gestaltung dieser Gattung mitbestimmt, im 19. Jahrhundert jedoch an Bedeutung verliert (cf. hierzu auch bereits weiter oben, Kap. 1.2.).138 So ist das Rezitativ zunächst «der Handlungsträger der älteren Oper schlechthin» (Dechant 1993, 10s.). Vittorio Coletti weist nach, dass bereits in musikhistorischen Traktaten des 17. Jahrhunderts der grundlegende Unterschied zwischen Rezitativ und Arie unterstrichen wird, etwa bei Giovanni Battista Doni, dessen Auffassung Coletti mit den Worten «Il canto dunque come sgorgo di affetti e il parlato come scambio di informazioni» (Coletti 2003, 42) zusammenfasst.139 Im 18. Jahrhundert festigt sich diese binäre Form der Oper weiter, die vor allem durch Metastasio geprägt wird: «Die strikte Aufteilung des Textes in die Handlung fortführende Recitativi secchi und Arien ermöglichte die Verbindung von Drama und Musik

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Sie verwendet synonym auch den Begriff «traditionell» (Pieper 1979, 11). Cf. auch Köhler (2005a, passim), der mehrfach darauf hinweist, dass man eigentlich nicht die mit quantitativen Methoden operierenden Zweige der Linguistik von denen der qualitativen, in seinem Sinne also formalen Linguistik differenzieren sollte, da eine Miteinbeziehung statistischer und anderer messender Methoden in jeglicher Richtung von Wissenschaft alltäglich sein sollte und dies – mit Ausnahme der Geisteswissenschaften, in denen Mathematik allenfalls als Hilfswissenschaft angesehen wird – auch ist. Zur Entwicklung des Verhältnisses von Rezitativ und Arie cf. zusammenfassend Coletti 2003, 42–52. Zum stile recitativo in den frühen Opern, besonders bei Monteverdi, cf. Müller 1984. Cf. hierzu auch die bereits in Kap. 1.2. zitierte Auffassung Albert Giers vom Rezitativ als Ort der «Affekt-Begründung» und der Arie als Ort der «Affekt-Darstellung» (Gier 1998a, 42, Hervorhebungen vom Autor). Dagegen cf. Schneider/Wiesend 2001, 29.

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nach den Prinzipien der Metastasianischen Ästhetik» (Henze-Döhring 1986, 9). Die Da-capo-Arie wird für einige Jahre zur beherrschenden Mikrostruktur in der opera seria des 18. Jahrhunderts (cf. ib., 11s.). Zugleich beginnt die Arie jedoch bereits, sich in Untergattungen aufzuspalten (Affekt-, Sentenz-, Gleichnisarien, cf. ib. n. 19, und Strohm 1976, 239ss.) und verliert damit zunehmend ihre einheitliche Form. Auch im Bereich der Rezitative gibt es nun eine bewusste Zweiteilung zwischen den erwähnten recitativi secchi und musikalisch begleiteten Rezitativen (recitativi accompagnati). Bereits bei Metastasio kann man also nur noch von zwei verschiedenen Dichtungsformen oder Vortragsarten,140 nicht aber von verschiedenen Diskurstypen im Sinne des Gegensatzpaares Erzählung/Handlung vs. Affektdarstellung/Betrachtung ausgehen.141 Gegen Ende des Jahrhunderts treten dann vermehrt Arie und Rezitativ kombinierende Zwischenformen wie Duette oder Terzette auf, «che sfoceranno nei grandi concerti, capaci di unire il volume e l’alto profilo musicale dell’aria con la dinamicità scenica dei recitativi» (Coletti 2003, 44s.). Mit zunehmender Dominanz der Musik und abnehmender Relevanz des Textes (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2., und weiter unten, passim) entwickeln sich die Arien zu den beim Publikum immer beliebteren Höhepunkten der Oper (cf. ib., 46), die streckenweise nur noch aus den berühmten Solo-Arien mit musikalischer Umrahmung zu bestehen scheint.142 Auch unter dem Einfluss der Gluckschen Opernreform verlieren die Rezitative weiter an Bedeutung, und die Chöre, Ensembles und Ballette nehmen an Gewicht zu (cf. hierzu auch Gier 1998a, 110s.). Bei Verdi schließlich, der bekanntlich stark in den Entstehensprozess der Libretti zu seinen Opern eingriff (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1.), gipfelt diese Entwicklung in einer längst nicht mehr zweiteiligen, sondern mehrgestaltigen Struktur, in der die festen Formen der vorhergehenden Jahrhunderte zu großen musikalischen Szenen verbunden werden und die Ensemblestücke mehr hervortreten als einzelne Arien. Seinen Kompositionen liegt in der Regel eine vierteilige Standardform zu Grunde (solita forma). Verdis berühmte Forderung nach einer parola scenica, die Wort, Musik und Inszenierung darstellungswirksam vereinigt,143 belegt die endgültige Auflösung der einst streng regulierten Formen Rezitativ und Arie.144

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Das Rezitativ ist aus dichtungstechnischer Sicht ein Monolog oder (seltener) Dialog in so genannten versi sciolti (ungereimte Sieben- und Elfsilber in unregelmäßigem Wechsel), die Arie eher eine Art gesungener Lyrik in der Gattungstradition der canzonetta, cf. hierzu Schneider/Wiesend 2001, 29. Zur Differenzierung von Rezitativ und Arie bei Metastasio cf. auch Maeder 1993, 45–60, speziell zum Rezitativ 85–131. Cf. hierzu auch die Darstellung der Pasticcio-Technik in der Folge Metastasios weiter oben in Kap. 1.2. und bei Gier 1998a, 69. Cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1.; eine gute Zusammenfassung bieten Della Seta 1994 und Döhring 2006/2007. Zum melodramma des 19. Jahrhunderts und zu Verdi im Besonderen cf. auch Portinari 1981, bes. 135–181.

85

Nun liegt die Vermutung nahe, dass die Sprache – wie es in der übrigen Dichtung oftmals der Fall ist – auch in der Oper durch die Form beeinflusst wird. So ist etwa zu erwarten, dass sich die Syntax von Rezitativen durch einen höheren Komplexitätsgrad von der der Arien unterscheidet, da mit der größeren Relevanz des Textes gegenüber der Musik auch die sprachlichen Strukturen subtiler konstruiert sein können, was v. a. bezüglich der eingesetzten rhetorischen Verfahren wie etwa Parallelismus, Chiasmus, Hyperbaton etc. wahrscheinlich ist (cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.2.4.). Dass sich dies auch auf lexikalischer Ebene widerspiegelt, ist möglich, jedoch bisher noch nicht in größerem Umfang untersucht worden. In der Analysepraxis haben sich diese theoretischen Grundüberlegungen, die in eine getrennte Betrachtung der Sprache in den beiden Formtypen münden sollten, allerdings als äußerst schwer umsetzbar erwiesen. Neben verschiedenen eher praktischen Gründen, die weiter unten aufgeführt werden, war das größte Problem das eben geschilderte Oszillieren der musikalischen Gestalt beider Typen im Laufe der Musikgeschichte, das eine einheitliche Differenzierung verhindert. Es wäre an dieser Stelle eine Verknüpfung der linguistischen mit kultur- und musikgeschichtlichen Faktoren nötig, die bezüglich der qualitativen Analysen für jedes einzelne Libretto neu angepasst werden müsste, was jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich sprengen würde. Die ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in struktureller Hinsicht zunehmend schwierigere Definition von Rezitativ und Arie stellt auch für quantitative Untersuchungen eine hohe Hürde dar, da eine elektronische Annotierung nach klaren Differenzierungen verlangt. Zudem ist, wie es sich in verschiedenen Studien abgezeichnet hat, die Abgrenzung von Rezitativ und Arie selbst in den frühen Libretti nicht immer eindeutig vollziehbar, und dies aus sprachlicher wie auch aus musikalischer Sicht: So weist etwa Sieghart Döhring eine bereits zu Beginn der Operngeschichte bei Striggio existierende Art von parola scenica nach, die der Librettist zwar nicht selbst so benennt, die er aber gemeinsam mit dem Komponisten Monteverdi praktiziert. Die Sprache trägt somit schon zu diesem frühen Zeitpunkt zu einer «Verdichtung szenischer Vorgänge in der Oper» (Döhring 2006/2007, 33) bei. Gerade Monteverdi ist ein in diesem Sinne sehr «moderner» Komponist, so verwendet er eine «kühne Harmonik, die ganz in den Dienst des Textinhalts gestellt ist – selbst schärfste Dissonanzen werden aufgeboten. Doch diese Mittel verwendet der Komponist in gleicher Weise in Rezitativ und Arie; die Trennung zwischen beiden Satzarten wird dadurch erschwert» (Dechant 1993, 34). Aus diesem Grund ist zu vermuten, dass dies auch für die Sprache des Librettos gilt, und in der Tat haben im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Stichproben bezüglich der in Striggios Orfeo-Libretto (Q1) verwendeten syntaktisch-rhetorischen Mittel (cf. weiter unten, Kap. 4.2.4.) keine klar erkennbaren Differenzen der sprachlichen Gestaltung in Rezitativ und Arie ergeben. Ein praktisches Problem ergibt sich auch durch die unterschiedlichen Darstellungsweisen der diversen heute verfügbaren Librettotexte (cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1.), in denen eine Differenzierung zwischen Rezitativ und Arie zumeist nicht gekennzeichnet wird, und dies unabhängig davon, ob es sich um ein 86

Booklet zu einer CD, eine digitalisierte Textdatei oder eine zuverlässige Printedition handelt. Die explizite Benennung von Rezitativen und Arien geht oftmals einzig aus den zeitgenössischen Drucken hervor, die jedoch nicht immer greifbar sind (cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1.); zudem ist teilweise selbst in diesen keine Kennzeichnung enthalten.145 Es müssten hier also Partituren bzw. Klavierauszüge der einzelnen Opern zur Hand genommen und mit den Libretti abgeglichen werden, um eine eindeutige Unterscheidung nachvollziehen zu können. Ein weiterer zu beachtender und die beiden Formen differenzierender Faktor ist die Metrik, die in der vorliegenden Arbeit bewusst ausgespart wird (cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.2.), in Verbindung mit der genannten Fragestellung jedoch unbedingt zu beachten wäre, da hier die Parallelen mit der musikalischen Ausgestaltung oftmals klarer hervortreten als in rein sprachlichen Kontexten. Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt nun darin, ein Gesamtbild der Sprache des Opernlibrettos zu skizzieren und ihre Veränderung durch die Zeit zu beobachten; dabei werden übergreifende Tendenzen schwerer gewichtet als Binnendifferenzierungen innerhalb der einzelnen Libretti. Der diachrone, auf Veränderung ausgerichtete Aspekt ist hierbei stärker zu berücksichtigen als synchronische Querschnitte. Daher wird die sicherlich noch zu klärende Frage, inwiefern die internen, auch musikalisch bedingten Strukturen einer Oper ihre Sprache jeweils beeinflussen oder gar bedingen, ausgelagert in ein separates Projekt,146 in dem die Relevanz der genannten Fragestellungen an Hand ausgesuchter Libretti aus allen Jahrhunderten überprüft und en détail analysiert werden soll. Hierbei kann auch der ebenfalls in dieser Arbeit bewusst ausgegrenzte Faktor Musik einbezogen und mit der sprachlichen und metrischen Ausgestaltung verknüpft werden. In den nun folgenden Analysekapiteln soll hingegen der Fokus auf der Betrachtung und Charakterisierung der drei Jahrhunderte umspannenden Entwicklung der Librettosprache von ihren Anfängen bis zu den großen Opern Giuseppe Verdis liegen.

145

146

Cf. etwa den bekannten Druck von Striggios La favola d’Orfeo aus dem Jahre 1607 durch Francesco Osanna, Drucker des Herzogs von Mantua, der über die Angabe der Sänger hinaus keinerlei Textgliederung enthält (cf. die entsprechenden Quellenangaben im Literaturverzeichnis). Cf. «Recitar cantando» oder «cantar recitando»? Zur unterschiedlichen Behandlung von Sprache in Rezitativ und Arie des italienischen und französischen Opernlibrettos (Overbeck in Vorbereitung).

87

3.

Quantitative Analysen

Der Analyseteil dieser Arbeit wird eingeleitet durch insgesamt sechs quantitative Detailuntersuchungen, die als exemplarisch anzusehen sind für zahlreiche mögliche Ansätze. Untersucht werden hier mit Hilfe von uni- und bivariaten Methoden1 diejenigen Aspekte, die für einen Vergleich von Texten der Gattung Libretto besonders aussagekräftig sind, wie etwa die Wortarthäufigkeiten, die durchschnittliche Satzlänge und verschiedene Indizes wie der Diversitäts- oder der Aktionsindex. Unterteilt werden die Analysen in drei im Prinzip eng zusammenhängende Kategorien: einerseits die Lexikostatistik (Kap. 3.1.), in der mit Hilfe univariater Methoden zunächst vorrangig Messwerte ermittelt und kontrastiv betrachtet werden, andererseits die mit bivariaten Ansätzen behandelten Fragen nach dem Vokabularreichtum (Kap. 3.2.) und dem Stil der Korpustexte (Kap. 3.3.). Alle drei Kategorien ergänzen und überschneiden sich gegenseitig und finden sich in Ansätzen auch in den qualitativen Analysen wieder, da allen Teiluntersuchungen die Frage nach der Entstehung, Charakterisierung und Entwicklung des Librettoidioms zu Grunde liegt und implizit stets Themen der Stilanalyse angesprochen sind, die man qualitativ wie auch quantitativ vornehmen kann:2 «Einer Stilanalyse liegen ungeachtet dessen, ob sie quantitativ oder qualitativ betrieben wird, zwei Fragestellungen der Sprachgestaltung zugrunde. Die eine ist die, ob es Gemeinsamkeiten gibt, die Texte eines Autors, einer Epoche, Texte gleicher Zielsetzung oder gleicher Thematik verbinden und damit als zusammengehörig ausweisen. Die andere Frage ist die nach Unterschiedlichkeiten, die sich einmal zwischen Texten eines Autors, zwischen verschiedenen Texten einer Epoche oder zwischen verschiedenen Texten gleicher Zielsetzung oder Thematik feststellen lassen, zum anderen sich aber zwischen Texten verschiedener Autoren, verschiedener Epochen, verschiedenen Inhalts finden. So variabel sich die Sprachgestaltung angesichts des schöpferischen

1

2

Cf. hierzu und zur theoretischen Grundierung der im Folgenden dargestellten Zusammenhänge weiter oben, Kap. 2.2.2. Die Terminologie des folgenden Abschnitts orientiert sich vor allem an Pieper 1979 und Mehler 2005, cf. außerdem Altmann 1980 und 1988, Altmann/Altmann 2005 und 2008, Best 2006, Muller 1972, 1979a und 1985, Thoiron/ Labbé/Serant 1988, Tuldava 1998 sowie das Handbuch von Köhler/Altmann/Piotrowski 2005. Cf. hierzu auch den Abschnitt zur Quantitativen Stilistik bei Mehler 2005, 339s. Er zählt etwa auch die durchschnittliche Satzlänge, die hier unter Abschnitt 3.1.2. behandelt wird, zu den Stilcharakteristika eines Textes, wie im Prinzip auch der Wortschatzreichtum (cf. Kap. 3.2.) im weiteren Sinne ein solches Charakteristikum darstellen kann.

89

Charakters der Sprache auch ausnehmen mag, so sicher ist es auch, daß die Sprachgestaltung eines Individuums, einer Epoche, wie auch diejenige, die eine gemeinsame Zielsetzung verfolgt oder eine gleiche Thematik behandelt, Gemeinsamkeiten aufweist» (Pieper 1979, 23).

In diesem Sinne werden hier Texte untersucht, die von unterschiedlichen Autoren und aus unterschiedlichen Epochen stammen, die aber alle derselben Gattung entsprechen und innerhalb des Korpus in diachrone Gruppen eingeteilt werden können, also als verschiedene Texte gleicher Zielsetzung (und z. T. gleicher Thematik) gelten können. Pieper spricht im Folgenden davon, dass die Gemeinsamkeiten «im Falle einer gleichen Zielsetzung in einer Normierung durch die jeweils intendierte Wirkung und im Falle einer Epoche in bestimmten sozio-kulturell akzeptierten Normen begründet sein» (ib.) könnten. In der Tat zeigen die im Folgenden dargestellten Analysen, dass – so viel kann an dieser Stelle vorweg genommen werden – die 10 Libretti aus Korpus Q trotz aller Differenzen im Detail in der Gesamtschau ein recht homogenes sprachliches Bild aufweisen. Zu begründen ist dies vermutlich einerseits durch die von Pieper erwähnten soziokulturellen Normen, die jeweils prägend gewirkt haben, zum anderen aber auch durch die ihnen allen gemeinsam zu Grunde liegende, genretypische Intention der Darstellung von Handlung und Emotionen durch Gesang und Aktion auf der Bühne. Die durch die quantitativen Methoden gewonnenen Ergebnisse werden im Folgekapitel 4 durch qualitative, korpuslinguisch orientierte Analysen ergänzt und auf die sechs zusätzlichen Libretti aus Korpus E ausgeweitet. Auch dort wird wiederholt auf die in den quantitativen Untersuchungen ermittelten Werte zurückgegriffen, weshalb in Tabelle 3.(1) alle quantitativen Ergebnisse der Auswertung von Korpus Q zum Nachschlagen zusammengestellt wurden.3 Ausschnitte aus dieser Tabelle werden in den einzelnen Unterkapiteln separat behandelt und an den entsprechenden Stellen erläutert.

3.1.

Univariate Analysen zur Lexikostatistik

Quantitative Texteigenschaften können auf der Grundlage verschiedener Analyseverfahren ermittelt werden. Um diese Verfahren methodisch voneinander abzugrenzen, verwendet man in der Regel das Kriterium der Anzahl untersuchter Eigenschaften und differenziert zwischen univariaten, bi- bzw. divariaten und mul-

3

Mit den folgenden Abkürzungen: ADJ = Adjektive, ADV = Adverbien, CON = Konjunktionen, DET = Artikel, INT = Interjektionen, NOM = Substantive, NPR = Namen, PRE = Präpositionen, PRO = Pronomen, VER = Verben, gesamt = Gesamtzahl aller Wortartenbelege, TTR = Type-token-Relation, HL = Hapax legomena. Letztere wurden auf die Gesamtzahl der Okkurrenzen und zusätzlich auf die der Substantive bezogen ermittelt. Die erste Zahl gibt jeweils die absolute Gesamtzahl der Okkurrenzen (tokens) an, die zweite die der Wörter (types), die untere Zeile enthält die relativen Angaben in % (tokens/types).

90

tivariaten Analyseverfahren.4 Am häufigsten finden univariate Verfahren Anwendung, mit denen man einzelne Textcharakteristika isoliert betrachtet und innerhalb von Textgruppen oder Korpora kontrastierend interpretiert. Durch die Bildung von Indizes (Durchschnittswerte, Varianzen etc.) kann so das typische Verhalten einer Variablen in beliebig vielen Texten ausgewertet werden. Typische Beispiele für solche Indizes sind etwa die auch in dieser Arbeit dargestellten Analysen zur mittleren Häufigkeit von Wörtern und Wortarten oder der durchschnittlichen Satzlänge innerhalb eines Textes. Sobald jedoch verschiedene Werte zueinander in Relation gesetzt werden, etwa bei der Ermittlung des Verhältnisses zwischen der Anzahl von Verben und Adjektiven (Aktionsindex, cf. weiter unten, Kap. 3.3.2.), ist die Grenze zu den bi- oder multivariaten Analysen bereits überschritten. Den Auftakt des quantitativen Analyseteils bilden daher bewusst zwei univariate Verfahren, die auf der Grundlage einfacher Indizes Texteigenschaften der 10 Libretti aus Korpus Q ermitteln, welche daraufhin bezüglich der Fragestellung nach einer chronologischen, inhaltlichen oder anders gearteten Differenzierung ausgewertet werden. 3.1.1.

Univariate Analyse 1: Wort(art)häufigkeiten

Für die Analyse der Worthäufigkeiten, in einem zweiten Schritt detaillierter der Wortarthäufigkeiten, ist es von großer Bedeutung, dass alle untersuchten Texte innerhalb eines Korpus aus einer Sprache stammen, da sich sonst Probleme der unterschiedlichen Gewichtung von Wortarten ergeben könnten. So gibt es z. B. Sprachen, die keine Präpositionen aufweisen oder diese durch Substantive ersetzen, in diesem Fall wäre dann in einer quantitativen Analyse ein deutlich größerer Substantivreichtum feststellbar, der jedoch nicht als Zeichen für besonderen Wortschatzreichtum bewertet werden dürfte (cf. Altmann/Altmann 2005, 65s.).5 Da im vorliegenden Korpus alle Texte bis auf einen der italienischen Sprache entstammen und zudem das Französische wohl einen sehr eigenen Status einnimmt (cf. die folgenden Analysen) und vor allem aus syntaktischer Sicht fallweise von den verwandten Sprachen abweicht, aber dennoch als romanische Sprache keine solche Distanzposition einnimmt wie die präpositionslosen Sprachen, kann hier also von einer homogenen Textbasis gesprochen werden. Zudem kann das französische Libretto, wie sich zeigen wird, die Rolle eines Korrektivs übernehmen, das zu zahlreichen Folgeanalysen anregt und Desiderate offen legt.

4 5

Cf. weiter oben, Kap. 2.2., und Mehler 2005, 333, der sich auf Pieper 1979 (bes. 48ss.) bezieht. Cf. hierzu auch Pieper (1979, 29), die auf strukturelle Differenzen zwischen dem Deutschen und den skandinavischen Sprachen bezüglich der Artikelverwendung hinweist (in einigen skandinavischen Sprachen verschmelzen Artikel und Bezugsnomen, so dass eine Artikelauszählung hier schwierig wäre). Noch komplizierter gestalten sich in dieser Hinsicht die polysynthetischen Sprachen.

91

[Tabelle 3.(1): Zusammenschau der für Korpus Q ermittelten Werte (Wortarten, HL, TTR), jeweils tokens/types und absolut/relativ (in %)]

Librettist, Titel Jahr

ADJ

ADV

CON

DET

INT

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

516/212 13,0/21,4

349/66 8,8/6,7

255/15 6,4/1,5

311/6 7,8/0,6

79/7 2,0/0,7

Q2

Aureli, L’Orfeo 1672

870/346 10,1/22,2

574/61 6,7/3,9

480/12 5,6/0,8

705/5 8,2/0,3

107/11 1,2/0,7

Q3

Quinault, Roland

1685

591/153 7,9/16,2

592/55 8,0/5,8

257/9 3,5/1,0

439/5 5,9/0,5

60/4 0,8/0,4

Q4

Zeno, Teuzzone 1719

792/277 9,9/20,3

547/68 7,1/5,0

508/14 6,3/1,0

695/4 8,7/0,3

116/13 1,4/1,0

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

900/314 9,9/20,1

768/82 8,4/5,2

458/15 5,0/0,9

676/4 7,4/0,3

216/10 2,4/0,6

Q6

Varesco, Idomeneo, re di Creta

1781

463/241 10,5/22,7

309/54 7,0/5,1

234/11 5,3/1,0

338/5 7,6/0,5

159/7 3,6/0,7

Q7

Rossi, Semiramide

1823

480/188 9,4/20,6

333/43 6,5/4,7

256/12 5,0/1,3

393/4 7,7/0,4

97/8 1,9/0,9

Q8

Romani, Norma

1831

367/173 7,8/17,9

372/57 7,9/5,9

193/12 4,1/1,2

318/6 6,8/0,4

199/11 4,2/1,1

Q9

Piave, Ernani

1844

391/195 9,0/18,5

304/50 7,0/4,7

152/14 3,5/1,3

403/4 9,3/0,4

77/10 1,8/0,9

1887

643/322 10,7/21,3

401/61 6,7/4,0

293/18 4,9/1,2

369/5 6,1/0,3

114/17 1,9/1,1

Q10 Boito, Otello

92

NOM

NPR

PRE

PRO

VER

gesamt

TTR

847/359 21,4/36,2 HL 197/54,9

72/24 1,8/2,4

441/20 11,1/2,0

498/48 12,6/4,8

598/237 15,1/23,9

3966/991 HL 501/ 50,6

25,0

1737/552 20,2/35,3 HL 296/53,6

253/60 2,9/3,8

931/17 10,8/1,1

1210/47 14,1/3,0

1740/451 20,2/28,9

8607/1562 HL 754/ 48,3

18,1

1224/331 16,4/35,1 HL 149/45,0

133/13 1,8/1,4

716/19 9,6/2,0

1769/34 23,8/3,6

1664/320 22,3/34,0

7446/942 HL 404/ 42,9

12,7

1632/492 20,4/36,1 HL 231/47,0

123/11 1,5/0,8

821/25 10,2/1,8

1215/48 15,2/3,5

1561/411 19,5/30,2

8010/1362 HL 579/ 42,5

17,0

1560/544 17,2/34,8 HL 279/51,3

234/38 2,6/2,4

921/27 10,1/1,7

1403/57 15,4/3,6

1959/471 21,5/30,2

9095/1563 HL 716/ 45,8

17,2

957/355 21,7/33,5 HL 203/57,2

121/29 2,7/2,7

413/17 9,3/1,6

651/41 14,7/3,9

775/301 17,5/28,4

4420/1061 HL 474/ 44,7

24,0

991/280 19,4/30,7 HL 136/48,6

192/25 3,8/2,7

598/21 11,7/2,3

845/43 16,5/4,7

934/289 18,2/31,7

5119/912 HL 404/ 44,3

17,8

846/310 18,0/32,1 HL 160/51,6

88/11 1,9/1,1

434/17 9,2/1,8

773/46 16,5/4,8

1035/323 22,0/33,4

4694/966 HL 446/ 46,2

20,6

942/392 21,7/31,2 HL 229/58,4

99/17 2,3/1,6

446/20 10,3/2,0

615/48 14,2/4,5

903/305 20,8/28,9

4332/1055 HL 573/ 54,3

24,4

1342/593 22,3/39,3 HL 358/60,4

128/17 2,1/1,1

540/23 9,0/1,5

968/43 16,1/2,8

1209/411 20,1/27,2

6007/1510 HL 819/ 54,4

25,1

93

3.1.1.1. Textlänge Den Untersuchungen zum durchschnittlichen Wortvorkommen (cf. Kap. 3.1.1.2.) und der daran anschließenden Fokussierung auf die Wortarten (cf. Kap. 3.1.1.3.) vorangestellt seien hier zunächst schematische Darstellungen der allgemeinen Anzahl der tokens (= Textlänge N, cf. Diagramm 3.1.1.(1)) sowie der types (= Vokabular K, cf. Diagramm 3.1.1.(2)) in den 10 Libretti.6 [Diagramm 3.1.1.(1): Anzahl der tokens (N) in den 10 Libretti aus Korpus Q] 10000

9095 9000

8607 8010

8000

7446

7000

6007 6000

5119 5000

4000

4694

4420

4332

3966

3000

2000

1000

0 Q1

Q2

Q3

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

Q9

Q10

Die Länge der Libretti schwankt zwischen 3966 (Q1) und 9095 Okkurrenzen (Q5), was als recht große Spannbreite erscheint, jedoch aus quantitativ-linguistischer Sicht für die folgenden Analysen kein Hindernis darstellt, da einerseits alle Texte unter 10.000 tokens als «kurz» gelten (cf. Mehler 2005, 340, und weiter unten, Kap. 3.2.1.) und somit durchaus vergleichbar sind,7 andererseits wird bei den Analysen, bei denen die unterschiedliche Textmenge ein relevantes Kriterium darstellt, jeweils ein mathematisches Normierungsverfahren eingesetzt und die Länge somit statistisch ausgeglichen (cf. weiter unten, Kap. 3.3.1., schematisch dargestellt in Diagramm 3.3.1.(1)). Die Rangfolge der Libretti bezüglich der Textlänge gestaltet sich wie in Tabelle 3.1.1.(1) aufgeführt:

6

7

Diese Werte werden an späterer Stelle noch wiederholt relevant, vor allem bei der Ermittlung des Type-token-Verhältnisses (cf. Kap. 3.2.1.) und des Konzentrationsindexes (cf. Kap. 3.3.1.). Die Variablen N und K beziehen sich auf das weiter unten ermittelte durchschnittliche Wortvorkommen, angelehnt an Altmann/Altmann 2005, 68. Hierbei muss jedoch einschränkend bemerkt werden, dass «kurz» ein subjektives Maß und stets in Relation zum Untersuchungsgegenstand zu setzen ist. Für die Untersuchung von Satzlängen ist ein Text mit bis zu 10.000 tokens in der Tat kurz, für die Betrachtung von Silbenlängen wäre er dagegen u. U. sehr lang.

94

[Tabelle 3.1.1.(1): Rangfolge der Textlänge N (= Anzahl der tokens)] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Anzahl der tokens

1

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

9095

2

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

8607

3

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

8010

4

Q3

Quinault, Roland

1685

7446

5

Q10

Boito, Otello

1887

6007

6

Q7

Rossi, Semiramide

1823

5119

7

Q8

Romani, Norma

1831

4694

8

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

4420

9

Q9

Piave, Ernani

1844

4332

10

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

3966

Eine chronologische Erklärung der unterschiedlichen Textlänge ist hier nur bedingt möglich; so ist es aus musikgeschichtlicher Sicht nicht unerwartet, dass das früheste Libretto, Striggios La favola d’Orfeo von 1607, zugleich das kürzeste darstellt und dass die beiden Wiener Libretti von Zeno und Metastasio sehr lang sind (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.). Erstaunlich ist jedoch etwa die relative Länge von Aurelis Libretto L’Orfeo, das als typisches venezianisches Libretto theoretisch zu den kürzeren Texten zählen sollte (cf. ib.). Die Knappheit der jüngeren Libretti des 19. Jahrhunderts folgt dagegen einem musiktheoretischen Programm und überrascht wenig, wobei Boitos Otello mit 6007 tokens noch als in diesem Rahmen recht lang zu bezeichnen ist. Aus linguistischer Sicht werden diese Daten jedoch erst in den späteren Analysen, etwa der Ermittlung des Type-token-Verhältnisses (cf. Kap. 3.2.1.) relevant. 3.1.1.2. Durchschnittliches Wortvorkommen Die Anzahl der Wortformen (types) gibt Auskunft über die verschiedenen Wörter, die ein Autor in einem begrenzten Text verwendet, und diese kann – auch auf der Basis relativer Werte – signifikant von der der tokens abweichen. So kann ein Text sehr viele tokens aufweisen, die jedoch auf wenige types zurück zu führen sind, sein Wortschatz wäre somit als relativ eingeschränkt und variationslos zu charakterisieren.8 Aussagekräftig werden auch diese Werte jedoch erst durch die Bildung eines Quotienten (cf. hierzu weiter unten, Kap. 3.2.1.).

8

Wobei darauf hinzuweisen ist, dass diese Aussage noch keine Wertung beinhaltet; ein Autor, der – umgangssprachlich formuliert – mit wenigen Worten viel auszusagen vermag, ist nicht negativ einzuschätzen, cf. hierzu weiter unten, v. a. Kap. 3.2. zum Vokabularreichtum.

95

[Diagramm 3.1.1.(2): Anzahl der types (K) in den 10 Libretti aus Korpus Q] Anzahl Types 1800

1563

1562

1600

1510

1362

1400

1200

1061 991

1000

1055

942

912

966

800

600

400

200

0 Q1

Q2

Q3

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

Q9

Q10

[Tabelle 3.1.1.(2): Rangfolge des Vokabulars K (= Anzahl der types)] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Anzahl der types

1

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

1563

2

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

1562

3

Q10

Boito, Otello

1887

1510

4

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

1362

5

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

1061

6

Q9

Piave, Ernani

1844

1055

7

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

991

8

Q8

Romani, Norma

1831

966

9

Q3

Quinault, Roland

1685

942

10

Q7

Rossi, Semiramide

1823

912

Besonders deutlich zeigt sich die eben erwähnte mögliche Differenz zwischen token- und types-Anzahl bei den Libretti von Striggio (Q1), Quinault (Q3) und Rossi (Q7). Während Q1 das nach Okkurrenzen kürzeste Libretto darstellt, steht es bezüglich der types-Anzahl doch auf Rang 7. Die Libretti Q3 und Q7 dagegen rutschen von Rang 4 und 6 auf Rang 9 und 10, weisen also eine besonders niedrige types-Anzahl auf. 96

Darauf aufbauend lässt sich nun mit Hilfe der einfachen Formel N/K das durchschnittliche Wortvorkommen ermitteln, dabei ist K = Anzahl der Lemmata/ types (= Vokabular), und N = Gesamtzahl der Okkurrenzen/tokens (= Textlänge); N/K fungiert als Indikator der Formenwiederholung (angelehnt an Altmann/ Altmann 2005, 68).9 [Tabelle 3.1.1.(3): Rangfolge des durchschnittlichen Wortvorkommens] Rang Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Durchschnittl. Wortvorkommen

1

Q3

Quinault, Roland

1685

7,90

2

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

5,88

3

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

5,82

4

Q7

Rossi, Semiramide

1823

5,61

5

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

5,51

6

Q8

Romani, Norma

1831

4,86

7

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

4,17

8

Q9

Piave, Ernani

1844

4,11

9

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

4,00

10

Q10

Boito, Otello

1887

3,98

Die Frage nach dem durchschnittlichen Wortvorkommen impliziert die These, dass ein hoher Wert für einen eher invariablen Wortschatz steht; verwendet dagegen ein Autor viele Wörter nur ein oder zwei Mal (cf. hierzu auch den Abschnitt zu den Hapax legomena, Kap. 3.2.2.), so weist sein Wortschatz (zumindest in dem betreffenden Werk) eine breite Varianz auf. Blickt man auf Tabelle 3.1.1.(3), so deutet sich bereits eine Tendenz an, die die weiteren Analysen in unerwartet eindeutiger Weise bestätigen werden: Das französische Libretto sticht zunächst stark aus der Gesamtübersicht hervor; der recht hohe Wert von nahezu 8 (= jedes Wort tritt durchschnittlich acht Mal in dem untersuchten Libretto auf) legt einen im Verhältnis zu den anderen Libretti eher «armen» Wortschatz nahe, der auf Wiederholung und nicht auf Varianz basiert. Nun könnte diese Auswertung als pauschal und ungenügend fundiert abgetan werden, gäbe es nicht zahlreiche externe Hinweise auf einen im Allgemeinen eher «armen» Wortschatz gerade dieses Philippe Quinault. Schon früh findet sich in der Literatur die Annahme, dass

9

An Hand von Striggios Orfeo sei diese Formel exemplarisch dargestellt: K = 991, N = 3966, N/K = 4,0, d. h. dass in diesem Libretto jedes Wort durchschnittlich vier Mal wiederholt wird. Wie die folgende Tabelle und auch weitere Analysen belegen, ist dies ein sehr geringer Wert – denkt man an sich ständig wiederholende Wörter wie il, per oder e –, der ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren zunächst für einen «reichen» Wortschatz mit geringer Wiederholungsrate und hoher Varianz spricht.

97

der Wortschatz Quinaults relativ eingeschränkt ist. Étienne Gros als Autor des Standardwerks zu diesem Schriftsteller und seinem Œuvre betont etwa (cf. Gros 1926, 647), dass die Libretti Quinaults – anders als italienische Libretti seiner Zeit – ohne Musik wie Tragödien des Sprechtheaters gelesen wurden,10 wenn sie auch «beaucoup de platitudes» und viele «lieux-communs» (ib., 708) enthielten. Bereits Furetière und seine Zeitgenossen kritisierten eine «pauvreté de la langue» in Quinaults Libretti, die Gros in Verbindung setzt mit einer «pauvreté de sa psychologie» (ib.) und die sich vor allem bei der Wahl des emotional gefärbten Vokabulars auswirke: «Ouvrez n’importe quel de ses livrets : vous verrez que le pouvoir d’un tyran est toujours un pouvoir cruel, que la peine d’amour est partout une peine charmante ; que le séjour où l’on vit aimé est toujours un séjour aimable et que les rigueurs d’une maîtresse sont toujours des rigueurs inhumaines. Vous compteriez par centaines les vers où les adjectifs extrème et suprême reviennent en leit-motiv aux mêmes endroits. Les épithètes abondent dans le style de Quinault ; mais par leur abondance même, par leur insignifiance, par leur monotone et lamentable identité, elles sont une des preuves les plus flagrantes de cette indigence verbale que ses contemporains lui reprochaient, et dont il est impossible, de nos jours encore, de ne pas être frappé» (ib., 709).

Entschuldbar, so Gros, sei diese Armut des Vokabulars lediglich durch die Wahl der Textsorte Libretto, in der ein «reiches» Vokabular überflüssig sei, da die Singstimme stets einen Teil der Wörter verschlucke («La voix, si nette soit-elle, ‹mange› toujours une partie de ce qu’elle chante», ib.). Er weist auf Perrault hin, der bereits im 17. Jahrhundert die Auffassung vertrat, dass das gesungene Wort, wenn es über das Ohr verstanden werden soll, nicht ungewöhnlich und ausgefallen sein dürfe, sondern im Gegenteil möglichst einfach sein solle und häufig gebraucht werden könne11 und dass gerade Quinault eher dafür gelobt werden müsse, «d’avoir su faire avec un certain nombre d’expressions ordinaires et de pensées fort naturelles tant d’ouvrages si agréables et tous si différents les uns des autres» (ib.).12 Die These von Quinaults restringiertem Wortschatz hat sich bis in das 20. Jahrhundert erhalten,13 so hat etwa Buford Norman 1988 in einem kurzen Artikel die quantitativen Methoden der damals noch neuen Forschungen Bernets zum Wortschatz Racines (cf. Bernet 1983 und weiter oben, Kap. 2.2.2.) ansatzweise auf Quinaults 11 für Lully geschriebene Libretti übertragen (cf. Norman 1988, er

10 11 12

13

Cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 1.2. Cf. Perrault 21693 [1971], vol. 3, 241, zitiert bei Gros 1926, 709. Cf. auch das wörtliche Zitat weiter oben, Kap. 1.3., und Kap. 1.2. Hinzuzufügen ist an dieser Stelle – das erwähnt auch Gros (ib., 710) –, dass sich diese «Armut» des Vokabulars nicht auf Quinaults Libretti beschränkt, sondern bereits in seinen schon früher verfassten Sprechtheatertexten zu finden ist, was die Erklärung der Wortschatzarmut mit der Gattungsspezifizität hinfällig werden lassen würde. Cf. auch noch Gier 1998a, 62 («lakonische Kürze») und 264 n. 52.

98

bezeichnet Quinaults Wortschatz als «excruciatingly limited», ib., 288). In mehreren Annäherungen versucht er, diese These mit Zahlen zu untermauern, so errechnet er etwa, dass die 501 von Quinault meist benutzten Wörter 89,5 % der Gesamtbelege seiner 11 Libretti ausmachen; allerdings ergeben auch die 501 von Racine in seinen 11 Tragödien am häufigsten verwendeten tokens 85 % seiner gesamten Belege (cf. ib., 289). Die Anzahl der tokens der 11 Tragödien beträgt bei Racine 158.899, bei Quinaults 11 Lully-Libretti jedoch nur 68.515, weshalb Norman die durchschnittliche Gesamtlänge einer Racine-Tragödie mit 14.445 tokens (3263 types) angibt, die eines Quinault-Librettos mit 6.229 (2050 types).14 Dennoch treten bei Quinault die einzelnen Wörter seltener auf als bei Racine, nämlich durchschnittlich 33 Mal, während jener ein Wort durchschnittlich 49 Mal verwendet.15 Mit der Bezugnahme der Worthäufigkeit auf den Umfang des betreffenden Textes bewegt sich Norman – ohne dass er dies thematisieren würde – auf der Ebene der bivariaten Analysen, speziell des in Kapitel 3.2.1. analysierten Typetoken-Verhältnisses (type-token ratio, TTR). Diese TTR weist bei Quinault – trotz eingeschränkten Wortschatzes – einen höheren Wert auf als bei Racine. Norman selbst erkennt jedoch die Schieflage dieser Argumentation, da hier der weiter oben bereits angedeutete Fall eintritt, dass ein deutlich längerer Text nicht mit einem kurzen in Bezug auf die TTR verglichen werden kann: Mit steigender Textlänge nimmt der Anstieg der neuen Wörter zwangsläufig ab, wie zahlreiche quantitative Sprachgesetze erwiesen haben (cf. hierzu etwa Tuldava 1998, 151, oder Altmann/ Altmann 2005, 88). Abgesehen davon, dass es aus literarhistorischer wie linguistischer Perspektive problematisch ist, Racine-Tragödien mit Quinault-Libretti zu vergleichen,16 deutet sich hier das im folgenden Abschnitt noch zu thematisierende Problem der – trotz aller Quantitativität – teilweise subjektiven Auswertung derartiger Analyse-Ergebnisse an.17 Festzuhalten ist dennoch die nicht zu leugnende

14

15 16

17

Zum Vergleich: Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Roland-Libretto Quinaults weist insgesamt 7446 Okkurrenzen auf, liegt also deutlich über dem von Norman ermittelten Durchschnittswert, während die Anzahl der types mit 942 weit unter dem von Norman genannten Wert liegt. Statistische Angaben sind demnach im Einzelfall oftmals nicht repräsentativ. Dieser Wert bezieht sich auf alle 11 Libretti bzw. Tragödien, während der in der vorliegenden Arbeit ermittelte Wert von fast 8 lediglich für das Roland-Libretto gilt. Sinnvoller und zuverlässiger ist sicherlich der weitere Versuch Normans, lexikalische Differenzen zwischen den Werken der beiden Autoren auszumachen; so zählt er z. B. einige Vokabeln auf, die bei Quinault mehr als ein Mal und bei Racine gar nicht auftreten (cf. Norman 1988, 297), bzw. solche, die bei Quinault deutlich häufiger auftreten (cf. ib., 298). Auf diese allerdings wieder eher qualitativ auszuwertenden Ergebnisse wird weiter unten, Kap. 4.1.4., zurückzukommen sein. Zur Problematik der Zuweisung des Attributs «arm» in Bezug auf Sprachen cf. auch Best (2006, 16), der darauf hinweist, dass oftmals einfach andere strukturelle Wortbildungsverfahren die Begründung für die «Armut» einer Sprache sind.

99

Auffälligkeit, dass gerade Philippe Quinault mit einem recht restringierten Wortschatz zahlreiche literarisch anerkannte Werke geschaffen hat.18 Sieht man von dem französischen Libretto ab, so erkennt man, dass sich bei den italienischen Libretti aus Korpus Q hinsichtlich der Rangfolge des durchschnittlichen Wortvorkommens Gruppen bilden lassen, die aus musikhistorischer Sicht als homogen zu bezeichnen sind; so finden sich die beiden typischen Vertreter der opera seria des 18. Jahrhunderts (Zeno, Metastasio) ebenfalls unter den Libretti mit der höchsten Wiederholungsrate pro Wort (im Durchschnitt nahezu sechs Mal im Gesamtlibretto). Dagegen sind die beiden Verdi-Opern als ebenso typische Vertreter des 19. Jahrhunderts mit einer durchschnittlichen Wiederholungsrate von 4,11 (Piave) bzw. 3,98 (Boito) am Ende der Rangliste zu finden, was demnach auf einen im korpusinternen Vergleich eher variablen, abwechslungsreichen Wortschatz hinweist. Auf Rang 9 zwischen dem Piave- und dem Boito-Libretto findet sich Striggios Orfeo, der gleichzeitig mit nur 3966 tokens den mit Abstand kürzesten Text der hier untersuchten Libretti darstellt.19 Angesichts dieses geringen Umfangs ist ein «reicher» Wortschatz nicht überraschend, da nach den eben erwähnten Gesetzen bezüglich der TTR die Varianz eines Textes zwangsläufig mit zunehmender Länge desselben abnimmt. Hier wird also deutlich, dass die rein univariate Betrachtung für den korpuslinguistischen Vergleich unzureichend und die Miteinbeziehung einer weiteren Größe notwendig ist. Eine weitere Analysemöglichkeit im Bereich des Wortvorkommens, die hier wegen ihres Umfangs nur angedeutet werden kann und für die Charakterisierung der Librettosprache von nebengeordnetem Interesse ist, ist die Berechnung von Rangfrequenzen.20 Dieses Verfahren wird vor allem mit dem Namen des Linguisten George Kingsley Zipf (1902–1950) in Verbindung gebracht, der die wohl bekanntesten und validesten Aussagen über sprachliche Quantitäten und ihr Verhältnis zueinander getätigt hat und dessen nach ihm benanntes Zipfsches Gesetz

18

19 20

Ein Vergleich mit weiteren französischen Texten könnte hier den endgültigen Beleg dafür erbringen, dass gerade die geringe Varianz des Wortschatzes Quinaults individuellen Schreibstil ausmacht und nicht von sprachstrukturellen Differenzen abhängt. Das einzelne französische Libretto in Korpus Q wäre also – unbeabsichtigt – eine Ausnahme. Cf. hierzu vertiefend weiter unten, Kap. 3.2.1. Eine ähnliche idiolektale Wortschatzarmut weisen den Forschungen Bernets zu Folge (cf. Bernet 1983) auch die Tragödien Racines auf, womit wiederum belegt wird, dass mangelnde Varianz nicht mit mangelnder Qualität gleich gesetzt werden darf. Allerdings wird verschiedentlich davor gewarnt, dass man – wie es auch Bernet mitunter nicht vermeiden kann – den Wortschatzreichtum überinterpretiert als Originaliät (cf. Bernet 1983, 127). Cf. hierzu das Diagramm 3.1.1.(1) weiter oben in diesem Abschnitt. Cf. hierzu ausführlich Tuldava 1998, 55–81. Altmann/Altmann (2005, 71s.) weisen darauf hin, dass dieses Gebiet das älteste und am besten entwickelte der QL darstellt, da es bereits seit 1916 (Estoup, später Condon) und besonders durch Zipf (ab 1935) behandelt und – anders als andere Gebiete der QL – intensiv von Mathematikern und Physikern weiter entwickelt wurde, u. a. «wegen der leichten Zugänglichkeit der Daten» (ib., 71). Heute gibt es mehr als 50 verschiedene Modelle für Ranghäufigkeitsverteilungen.

100

(eigentlich müsste man von Zipfschen Gesetzen sprechen)21 noch heute nicht aus der Diskussion um Rangfrequenzen wegzudenken ist. Vereinfacht gesagt handelt es sich um den Vorgang, jeder Okkurrenz in einem begrenzten Text ihren Worthäufigkeits-Rang zuzuteilen, der im Anschluss auf der Grundlage verschiedener quantitativer Gesetze (Rang-Häufigkeits-Gesetze) unterschiedlich dargestellt und ausgewertet werden kann. So wird etwa bei der einfachen Rangfrequenzverteilung jedem Häufigkeitsrang r seine zugehörige Häufigkeit f(r) zur Seite gestellt. Anders als bei der Ermittlung des Frequenzspektrums, das für eine Häufigkeit f den Anteil Į(f) angibt und daher bei einem umfangreicheren Text eher den Bereich der seltenen Wörter fokussiert, beschreibt die Ranghäufigkeitsverteilung intensiver die besonders häufigen Wörter. Die Hauptaussage Zipfs bezüglich der Verteilung besteht nun darin, dass viele Wörter selten und wenige Wörter häufig vorkommen.22 Das Produkt aus Rang und Frequenz ist demnach annähernd konstant.23 Da es sich – sofern man die Okkurrenzen mit auflistet, und das erscheint in dieser Analyse als ratsam, damit die Ergebnisse nicht zu abstrakt ausfallen – um sehr raumintensive Aufstellungen handelt, werden diese in der vorliegenden Arbeit nicht wiedergegeben. Größere Abweichungen der Rangfrequenzen sind in der Gesamtschau nicht zu erwarten, weshalb auch graphische Darstellungen (wie etwa die später in Kap. 3.3.1. dargestellten) keine viel versprechenden Ergebnisse zeitigen und hier ausgespart bleiben. Anders wäre dies bei der Untersuchung von Libretti verschiedener sprachlicher Herkunft, da hier die typologischen Unterschiede zwischen den Einzelsprachen gut herausgestellt werden könnten. Je unterschiedlicher zwei Sprachen hierbei in struktureller Hinsicht wären, desto größer wären die zu erwartenden Differenzen; so hat etwa Tuldava ein Häufigkeitswörterbuch der flektierend-synthetischen estnischen Sprache mit einem solchen der flektierend-analytischen englischen Sprache kontrastiert und kommt auf signifikante Unterschiede bei der Auswertung der Frequenzen (cf. Tuldava 1998, 60s.). Da ein solches Resultat für den Vergleich von 15 italienischen Libretti mit einem französischen Text nicht zu erwarten ist, wird der geschilderte Ansatz hier im «Rohzustand» auf sich beruhen gelassen.

21

22

23

In der Literatur findet sich häufig nur die Bezeichnung «Zipfsches Gesetz», obwohl es sich eigentlich um ein Bündel verschiedener, inhaltlich verwandter Gesetze handelt und somit der Plural angemessener wäre. Tuldava (1998, 58) spricht hier vom «Effekt der Konzentration und der Dispersion». Das Verfahren ist natürlich nicht nur auf Wörter beziehbar, sondern ebenso gut auf Buchstaben, Phoneme, Morpheme, Syntagmen und weitere Einheiten. Die so genannte Zipf-Verteilung hat sich darüber hinaus auch in anderen Wissensbereichen nachweisen lassen (cf. auch Altmann/Altmann 2005, 71s.), so etwa bei der Rangverteilung in den Bereichen Informatik, Ökologie, Demographie etc. Dies gilt jedoch nicht an den Rändern, also für die besonders häufigen und die besonders seltenen Einheiten, weshalb die Thesen Zipfs von anderen, etwa Mandelbrot, weiterentwickelt wurden (cf. etwa die Versuche mit dem Zipf-Mandelbrot-Gesetz bei Best 2006, 78–85).

101

3.1.1.3. Relatives Wortartvorkommen Betrachtet man nun die Worthäufigkeit etwas detaillierter und differenziert nach den verschiedenen Wortarten, so stellt man fest, dass hier verschiedene Interpretationsansätze offen stehen: «Die klassische Wortart ist deswegen interessant, weil man aus einer Zusammenstellung der Wortarten des Textes auf bestimmte Eigenschaften von ihm schließen kann. Die häufige Verwendung von Adjektiven und bestimmten Adverbien signalisieren [sic] einen ornamentalen Stil, wie er der Lyrik eigen ist; die häufige Verwendung von ‹aktiven› Verben deutet eher Epik an; wenige Pronomina weisen auf Deskriptivität hin, viele Personalpronomina auf Dramatik, alle Pronomina zusammen weisen auf eine bestimmte Diskurs-Gestaltung hin. Die Häufigkeit von Konjunktionen, die die Nominal- oder die Verbalphrasen oder ganze Sätze komplexer machen, lässt sich auf verschiedene Arten interpretieren: als Ausdruck einer Nichtlinearität des Geschehens, als Ornamentalität, als Spezifizität formaler Texte (amtlicher Stil, Wissenschaftstexte), z. B. als Deskriptivität; Zahlwörter sind Zeichen der Deskriptivität; Hilfswörter als ganze nutzt man oft in der forensischen Forschung, bei Autorschaftsproblemen usw.» (Altmann/Altmann 2005, 80).24

Allerdings ist die Einordnung in Wortarten oftmals schwieriger als vermutet; die Wortartzuteilung der romanischen Sprachen entspricht zwar in der Regel der lateinischen Struktur, doch kann eine syntaktische Analyse ganz anderen Kriterien folgen und abweichende Ergebnisse erzielen. Auch im Deutschen kann etwa das Wort ein einen Artikel, ein Zahlwort oder aber ein von einem Adverb abgetrenntes Präfix darstellen (cf. ib.);25 es ist somit von einem quantifizierenden Programm – selbst wenn es wie der TreeTagger den Kontext mit einbezieht – kaum identifizierbar. Die folgende Tabelle 3.1.1.(4) stellt nun zunächst die relative types-Anzahl der verschiedenen Wortarten in den Libretti aus Korpus Q in Prozent dar.26 Sie macht zunächst einmal deutlich, dass die unterschiedlichen Libretti in ihren relativen Gewichtungen der Wortarten schon rein optisch nur sehr geringfügig voneinander abweichen. Weitere Klarheit liefert die sich anschließende Tabelle 3.1.1.(5), die die jeweilige Rangfolge der Wortarten für jedes Libretto separat wiedergibt. Unabhängig von der absoluten Frequenz sind die Anteile der Wortarten am Gesamtwortschatz in allen Libretti des Korpus Q sich erstaunlich ähnlich.27 In

24

25 26

27

Bemerkt werden muss an dieser Stelle, dass Altmann/Altmann bei ihrer Bewertung sehr abstrakt und undifferenziert bleiben, denn wo beginnt die «häufige Verwendung von ‹aktiven› Verben», wie viele Pronomina sind «wenige»? Diese Maßeinheiten sind auch im relativen Vergleich wenig hilfreich. Zusätzlich könnte es noch ein abgetrenntes Verb-Präfix (ein-holen, ein-kaufen) darstellen. ADJ = Adjektive, ADV = Adverbien, CON = Konjunktionen, DET = Artikel, INT = Interjektionen, NOM = Substantive, NPR = Namen, PRE = Präpositionen, PRO = Pronomen, VER = Verben. Zu demselben Ergebnis kommt auch eine auf den Daten der vorliegenden Arbeit basierende Studie, in der mit Hilfe der rechts gestutzten modifizierten Zipf-Dolinsky-

102

[Tabelle 3.1.1.(4): Relatives Wortartvorkommen (types in %)] Librettist, Titel

ADJ ADV CON DET INT NOM NPR PRE PRO VER

Q1

Striggio, La f. d’O. 21,4 6,7

1,5

0,6

0,7

36,2

2,4

2,0

4,8

23,9

Q2

Aureli, L’Orfeo

22,2 3,9

0,8

0,3

0,7

35,3

3,8

1,1

3,0

28,9

Q3

Quinault, Roland

16,2 5,8

1,0

0,5

0,4

35,1

1,4

2,0

3,6

34,0

Q4

Zeno, Teuzzone

20,3 5,0

1,0

0,3

1,0

36,1

0,8

1,8

3,5

30,2

Q5

Metastasio, L’O.

20,1 5,2

0,9

0,3

0,6

34,8

2,4

1,7

3,6

30,2

Q6

Varesco, Idomeneo 22,7 5,1

1,0

0,5

0,7

33,5

2,7

1,6

3,9

28,4

Q7

Rossi, Semiramide 20,6 4,7

1,3

0,4

0,9

30,7

2,7

2,3

4,7

31,7

Q8

Romani, Norma

17,9 5,9

1,2

0,4

1,1

32,1

1,1

1,8

4,8

33,4

Q9

Piave, Ernani

18,5 4,7

1,3

0,4

0,9

31,2

1,6

2,0

4,5

28,9

Q10 Boito, Otello

21,3 4,0

1,2

0,3

1,1

39,3

1,1

1,5

2,8

27,2

[Tabelle 3.1.1.(5): Rangfolge des Wortartvorkommens (types)] Rang Q1

Q2

Q3

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

Q9

Q10

1

NOM

NOM

NOM

NOM

NOM

NOM

VER

VER

NOM

NOM

2

VER

VER

VER

VER

VER

VER

NOM

NOM

VER

VER

3

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

ADJ

4

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

ADV

5

PRO

NPR

PRO

PRO

PRO

PRO

PRO

PRO

PRO

PRO

6

NPR

PRO

PRE

PRE

NPR

NPR

NPR

PRE

PRE

PRE

7

PRE

PRE

NPR

CON

PRE

PRE

PRE

CON

NPR

CON

8

CON

CON

CON

INT

CON

CON

CON

NPR

CON

NPR

9

INT

INT

DET

NPR

INT

INT

INT

INT

INT

INT

10

DET

DET

INT

DET

DET

DET

DET

DET

DET

DET

allen Texten bis auf die Libretti von Rossi und Romani stellen die Substantive den größten Teil der belegten Wortarten, gefolgt von den Verben. Alle Libretti weisen ohne Ausnahme die Adjektive auf dem 3. und die Adverbien auf dem 4. Rang auf, bis auf Aureli (Q2) stets gefolgt von den Pronomen auf Rang 5. Konjunktionen, Namen und Präpositionen teilen sich die Plätze 6, 7 und 8; auf den Rängen 9 und 10 finden sich (außer bei Libretto Q4 von Zeno) die Interjektionen und die

Verteilung eine gesetzmäßig gesteuerte Wortartenverteilung ermittelt werden konnte (cf. Overbeck/Best 2008).

103

Artikel. Auffällig ist der insgesamt recht geringe Anteil an Pronomen, die nur auf Rang 5 bzw. 6 anzutreffen sind, während sie in anderen literarischen Texten oftmals den ersten Rang einnehmen; so weist etwa der von Altmann/Altmann (2005) mit quantitativen Methoden exemplarisch untersuchte Erlkönig 56 Pronomen auf, 53 Substantive, 41 Verben, 23 Adverbien, 15 Artikel, 15 Adjektive, 13 Präpositionen und 9 Konjunktionen (cf. ib., 81) und weicht damit deutlich von den hier gewonnenen Ergebnissen ab. Zuvor hatte auch Karl-Heinz Best darauf hingewiesen, dass «in Texten verschiedener Textsorten bzw. Stile die einzelnen Wortarten mit deutlich unterschiedlicher Frequenz vorkommen» (Best 1998, 83). Seine Untersuchung der Interaktion von Wortarten in deutschen Kurzprosatexten und deutschen und französischen Briefen 28 ergab starke Zufallsschwankungen zwischen den verschiedenen Textgruppen, die in ihrer Gesamtheit darauf hindeuten, dass es sich bei den Wortart-Interaktionen hauptsächlich um stilistische Variationen und nicht um sprachtypische oder gar übersprachliche Erscheinungen handelt (cf. ib., 90s.). Einzig die Korrelation zwischen Substantiven und Pronomina war in beiden Textsorten und beiden Sprachen signifikant, was auf Grund der syntaktischen Gegebenheiten in den Sprachen jedoch auch als nachvollziehbar erscheint, da jeweils die Pronomina als Stellvertreter der nominalen Satzglieder fungieren (cf. ib., 91). So ist also der etwa gegenüber dem Erlkönig sehr niedrige Anteil an Pronomina in den Libretti erklärbar durch die andererseits hohe Anzahl an Substantiven, die mit der der Pronomina korreliert. Bezogen auf die Libretti deutet sich also die Bestätigung der These an, dass diese eine stilistisch zunächst einheitliche Gruppe bilden, die sich als eigene Textsorte definieren und gegenüber anderen Gruppen mindestens an Hand der Wortartenverteilung abgrenzen lässt. Auch die Kategorie der Interjektionen fällt durch ihren geringen Anteil an der Gesamtverteilung auf, die man rein intuitiv auf einem der vorderen Plätze vermuten sollte, wenn man dem Klischee der sehr emotionalen und durch zahlreiche Ausrufe und affektive Einwürfe gekennzeichneten Librettosprache (cf. weiter oben, Kap. 1.3.) folgt. Eine Auflösung dieses Rätsels erbringt die qualitativ ausgerichtete Analyse zu den Interjektionen (Kap. 4.1.2.), die belegt, dass die quantitative Ermittlung von «eigentlichen» Interjektionen nicht weit genug greift, um diesen Aspekt zu erläutern.29 Dennoch scheint der hohe Anteil vor allem an Substantiven und Verben ein charakteristisches Kennzeichen des Genres Libretto zu sein. Denkt man nämlich an die ungewöhnlich zahlreichen exklamativen Wendungen der Form Interjektion + Substantiv (oh Dio!) oder allgemeiner Epitheton + Substantiv (santo cielo! etc., cf. hierzu Kap. 4.1.2.) und an die häufigen Impe-

28

29

Als Basis dienten hier insgesamt 40 deutsche und 30 französische Texte, davon 10 Texte neuer deutscher Kurzprosa und je 15 Briefe von Sophie von La Roche, Annette von Droste-Hülshoff, Madame Roland und George Sand (cf. ib., 84s.). Wie sich bei der Untersuchung zeigt, muss die Definition der Interjektionen auf die sog. exklamativen Wendungen ausgeweitet werden, damit sich eine valide Aussage bezüglich der Behandlung dieser Wortklasse in Opernlibretti ergibt, cf. weiter unten, Kap. 4.1.2.

104

rative (vieni!, fuggiam!, cessate! etc., cf. Kap. 4.2.2.), so wird der Substantiv- und Verbreichtum bereits an dieser Stelle zumindest ansatzweise erklärbar. Die Verteilung ist in ihrer Gesamtheit demnach nicht als überraschend anzusehen, da bei Texten der dramatischen Dichtung – anders als etwa im Bereich der Lyrik – ein hoher Anteil an Substantiven, Verben und auch Adjektiven zu erwarten ist; hervorzuheben ist jedoch die Homogenität der Ergebnisse, die für die einheitliche Definition eines selbstständigen Librettoidioms spricht. Auffällig ist wiederum das französische Libretto von Philippe Quinault, das im Vergleich sehr viele Verben und sehr wenige Adjektive enthält (cf. Tabelle 3.1.1.(4); aus Tabelle 3.1.1.(5) kann man dagegen auf keine abweichenden Werte schließen, da hier ohne absolute oder relative Zahlen gearbeitet wird). Ist es aber daher als «sehr aktionsreich» und «wenig deskriptiv» zu bewerten? Auf der Ebene der Semantik liegt diese Deutung nahe, denn als einziges Libretto in beiden Korpora basiert Quinaults Roland auf einem mittelalterlichen Ritterepos, das – in Anlehnung an Ariosts Orlando furioso – nicht nur von Liebe und Intrigen handelt wie die übrigen Opernlibretti mit ihren antiken oder romantischen Stoffen, sondern zusätzlich von Wahnsinn und Abenteuer,30 was aus rein inhaltlicher Sicht ein logisches, wenn auch nicht quantitativ belegbares Argument für den «Aktionsreichtum» (der jedoch unabhängig vom Wortschatzreichtum betrachtet werden muss) liefert. 3.1.1.4. Quotient v/n Erklärt werden müssen zudem die beiden sehr verbreichen Libretti von Rossi und Romani. Hier erscheint es angebracht, relative Zahlen heranzuziehen, um weitere Klärung zu erreichen. Nach dem Vorbild des Aktionsquotienten (cf. weiter unten, Kap. 3.3.2.) wird an dieser Stelle zur besseren Vergleichbarkeit ein einfacher Quotient Q = v/n ermittelt. Dabei weisen die Werte > 1 darauf hin, dass ein Text besonders «aktionsreich» (zu diesem Begriff cf. ebenfalls dort) ist, also relativ viele Verben enthält, während bei Werten < 1 die Substantive überwiegen (cf. Tabelle 3.1.1.(6)).31 In dieser Detailanalyse sind in der Tat Tendenzen spürbar, die in anderen Analysen in ähnlicher Form zu Tage treten: So sind – möchte man eine chronologische Entwicklung feststellen – zwei Libretti als Ausreißer zu bezeichnen, zum einen das frühe Striggio-Libretto, das mit dem Quotienten 0,66 auf einen besonders wenig verbreichen Text hinweist, zum anderen das französische Libretto von Quinault, das mit dem hohen Wert von 0,97 aus der chronologischen Entwicklung heraustritt. Abgesehen von diesen (begründbaren: sehr kurzes bzw. nicht-italienisches

30 31

Buford Norman betitelt in seinem Quinault-Buch das Kapitel zu Roland mit den bezeichnenden Worten «Women, Madness, and Music» (Norman 2001, 305). Anders als beim Aktionsquotienten werden hier sämtliche und nicht nur alle finiten Verben gezählt, zudem kann die Terminologie «aktionsreich» vs. «deskriptiv» hier nicht im ursprünglichen Sinn angewandt werden, da Substantive – anders als Adjektive – nicht als «deskriptiv» charakterisiert werden können.

105

[Tabelle 3.1.1.(6): Vorkommen der Substantive und Verben (types in %) und Rangfolge des Quotienten v/n] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

NOM

VER

Quotient v/n

1

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo 1607

36,2

23,9

0,66

2

Q10 Boito, Otello

1887

39,3

27,2

0,69

3

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

35,3

28,9

0,82

4

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

36,1

30,2

0,84

5

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

33,5

28,4

0,85

6

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

34,8

30,2

0,87

7

Q9

Piave, Ernani

1844

31,2

28,9

0,93

8

Q3

Quinault, Roland

1685

35,1

34,0

0,97

9

Q7

Rossi, Semiramide

1823

30,7

31,7

1,03

10

Q8

Romani, Norma

1831

32,1

33,4

1,04

Libretto) Abweichungen ist die Tendenz erkennbar, dass die jüngeren Libretti speziell des 19. Jahrhunderts insgesamt einen hohen Anteil an Verben aufweisen, während die frühen Libretti eher substantivlastig sind. Allerdings weicht das Libretto von Boito, das zugleich das jüngste in der Reihe der 10 Libretti aus Korpus Q darstellt, markant ab, indem es mit dem sehr geringen Wert von 0,69 nahezu ebenso verbarm ist wie das älteste von Striggio. Dieses Ergebnis sollte im Laufe der folgenden Analysen im Auge behalten werden. Deutlich sichtbar wird jedoch bereits an dieser Stelle, dass ein ausschließlich quantitativer Ansatz stets in interpretativer Hinsicht begrenzt ist. Durch die intendierte Relativität und Objektivität der gewonnenen Ergebnisse fällt eine konkrete Annäherung an die Sprache der Einzeltexte mitunter schwer. So wäre es an dieser Stelle sehr aufschlussreich zu erfahren, welchen Verben und Substantiven nun in den Libretti besondere Bedeutung zukommt, indem sie auffällig häufig (bzw. nur einmal, cf. hierzu Kap. 3.2.2. zu den Hapax legomena) auftreten.32 Da hier jedoch (zunächst) eine klare Trennung der quantitativen von den qualitativen Analysen vorgenommen wird, sollen diese Formen erst an späterer Stelle (cf. Kap. 4.1.5.) semantisiert werden. 3.1.1.5. Fazit Insgesamt lässt sich am Ende der ersten, zunächst univariaten quantitativen Analyse festhalten, dass bereits einige vertiefenswerte Ansatzpunkte erkennbar sind,

32

Pieper (1979, 28) berichtet von zwei unterschiedlichen Deutungsansätzen bezüglich der Substantive, nach denen substantivreiche Texte einerseits langweilig und schwer verständlich wirken (nach Reiners 1961, «Beamtendeutsch»), andererseits aber auch als klar gegliedert und übersichtlich (nach Hartmann 1955, Daniels 1963) empfunden werden. Sinnvoll wäre es hier nach Pieper, zunächst die Art der verwendeten Substantive zu untersuchen, etwa nach ihrem Grad an Konkretheit bzw. Abstraktheit.

106

die jedoch noch zahlreicher – auch qualitativ ausgerichteter und Aspekte wie Stil und Semantik mit einbeziehender – Folgeanalysen bedürfen, damit für die Gesamtheit des Korpus Q gültige Aussagen getroffen werden können. Zudem ist an manchen Stellen der Bedarf nach weiteren Bezugsgrößen wie etwa der des relativen Umfangs der Libretti deutlich geworden, dem die in den Kapiteln 3.2. und 3.3. folgenden, bivariaten Untersuchungen Folge leisten sollen. 3.1.2.

Univariate Analyse 2: Durchschnittliche Satzlänge

Die Untersuchung von Satzlängen stellt eine der ältesten Disziplinen innerhalb der QL, besonders der quantitativen Stilanalyse dar.33 Dabei wird das Kriterium der Satzlänge vor allem zur Textdifferenzierung, aber auch zur Charakterisierung von Individualstilen verwendet (cf. Pieper 1979, 26), weshalb die hier vorliegende univariate Analyse in die Nähe der weiter unten (Kap. 3.3.) geschilderten Untersuchungen zum Stil der Libretti rückt. In dem Moment, in dem jedoch über die reine Satzlänge hinausgehende Relationen wie etwa der Quotient aus der Zahl der Wörter pro Satz und der Zahl der finiten Verben pro Satz ermittelt werden, ist der Bereich der bioder multivariaten Analysen erreicht, der hier bewusst noch ausgespart bleiben soll. 3.1.2.1. Definition von Satz Die Definition der Einheit «Satz» ist nach Best auf recht pragmatische Art als «die Folge von Wörtern bestimmt, die durch satzabschließende Interpunktion ‹.›, ‹!› und ‹?› markiert wird» (Best 2005b, 300),34 wobei einzelne Probleme wie etwa die Frage nach der Behandlung von wörtlicher Rede oder Interjektionen innerhalb von Sätzen zu lösen sind. In der vorliegenden Analyse wurde dem quantitativ-pragmatischen Ansatz gefolgt und ein Satz als Anzahl aller Wörter zwischen zwei Satz abschließenden Interpunktionszeichen definiert. Passagen mit wörtlicher Rede, die in den Libretti äußerst selten auftreten,35 sowie die häufig vorhandenen Interjektionen werden streng nach der Definition behandelt, also in jeweils einzelne Sätze unterteilt, unabhängig von der Groß- und Kleinschreibung, die in den Libretti nicht zuverlässig als Satzanfangskriterium bewertet werden

33

34

35

Zur Forschungsgeschichte der Untersuchung von Satzlängen von 1888 bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts cf. Pieper 1979, 26s.; zu den neueren Entwicklungen cf. etwa Best 2005b. Eine ähnliche Definition bietet auch bereits Pieper (1979, 46), die jedoch, da sie sich in ihrer Analyse ausschließlich auf das Deutsche bezieht, die Großschreibung als Entscheidungskriterium – etwa bei Doppelpunkten – mit einbezieht. Dieses Stilmittel tritt in der Regel lediglich bei der lauten Lektüre von Briefen o. ä. auf, cf. etwa Rossi, Semiramide, I 10: E il ciel... Da tanta angustia escasi omai. (spiega il papiro e legge) / «Cesseran le tue pene, – Ritroverai la pace / Al ritorno d’Arsace, – A nuovo imene».

107

kann.36 Durch die Gleichbehandlung aller 10 Libretti ist hier jedoch nicht mit Interferenzstörungen bei der Wörterzählung zu rechnen. Eine Definition der Größe «Satzlänge» ist komplizierter, da sich mehrere Möglichkeiten anbieten: In der Regel – so auch im vorliegenden Fall – wird die Satzlänge durch die Anzahl der Wörter im Satz berechnet, in Sprachen wie dem Chinesischen kann es jedoch sinnvoller sein, die Anzahl der Schriftzeichen oder eine andere Größe anzusetzen. Zudem ist es möglich, die Satzlängenermittlung durch die Zählung der clauses, also der Teilsätze, die jeweils ein finites Verb enthalten müssen, vorzunehmen. Es spricht darüber hinaus nichts dagegen, auch kleinere Einheiten wie die Silben-, Morph- oder Phonemanzahl für die Satzlänge zu zählen, doch werden diese Verfahren seltener eingesetzt (cf. Best 2005b, 300).37 3.1.2.2. Satzlängenrangfolge Die durchschnittliche Satzlänge der Libretti in Korpus Q ergibt sich durch die Zählung aller Wörter zwischen zwei Satzzeichen, wobei ausschließlich Punkt, Fragezeichen und Ausrufezeichen als solche gewertet wurden, Doppelpunkte oder Semikola dagegen nicht. Der Durchschnitt ist ein Mittelwert aus allen Satzlängen innerhalb eines Librettos und als solcher nur ein annähernder Wert, der nichts über die absoluten Längen aussagt. So weist, statistisch gesehen, ein Text mit einem 10-Wörter-Satz und einem 1-Wort-Satz ebenso eine durchschnittliche Satzlänge von 5 auf wie ein Text mit zwei 5-Wörter-Sätzen. Dennoch belegt ein Blick auf die Wortanzahl der jeweils längsten Sätze pro Libretto, dass die in Tabelle 3.1.2.(1) dargestellte durchschnittliche Satzlänge von dieser Rangfolge nicht erheblich abweicht: Q1 enthält den mit 65 Wörtern insgesamt längsten Satz und steht auch in der Rangfolge mit durchschnittlich 17 Wörtern pro Satz mit weitem Abstand an der Spitze der 10 Libretti.38 Die neun weiteren längsten Sätze (absolute Wortanzahl) sind in der Reihenfolge Q5 (61 Wörter), Q2 (59), Q3 (49), Q6 (45), Q4 (40), Q10 (37), Q7 (36), Q9 (35), Q8 (32).

36

37 38

Je nach den Konventionen der Herausgeber von Libretto-Editionen werden teils die Versanfänge mit Majuskeln versehen, teils die Satzanfänge. Bei durch die zahlreich auftretenden Interjektionen zergliederten Sätzen werden oftmals keine Majuskeln gesetzt, obwohl ein den Satz abschließendes Interpunktionszeichen auftritt, cf. etwa Rossi, Semiramide, I 3: Ah! già il sacro foco è spento. Nach der hier angewandten Definition handelt es sich demnach um zwei Sätze. Cf. zu den Interjektionen ausführlich Kap. 4.1.2. Cf. hierzu auch bereits Best 2001b. Der am Ende des 1. Aktes auftretende, korpusweit längste Satz lautet: «Eterni numi, / vost’opre eccelse occhio mortal non vede, / che splendente caligine le adombra; / pur, se lece spiegar pensiero interno / sol per cangiarl ove l’error si scopra, / direm ch’in questa guisa, / mentre i voti d’Orfeo seconda il cielo, / prova vuol far di sua virtù più certa: / ch’il soffrir le miserie è piccol pregio, / ma ’l cortese girar di sorte amica / suol dal delitto camin travïar l’alme».

108

[Tabelle 3.1.2.(1): Satzanzahl und Rangfolge der durchschnittlichen Satzlänge (= Wörter pro Satz)] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Satzanzahl

Satzlänge (Wörter/Satz)

1

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

219

17,1

2

Q3

Quinault, Roland

1685

683

11,0

3

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

789

10,2

4

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

833

9,1

5

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

493

8,6

6

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

1210

7,5

7

Q9

Piave, Ernani

1844

634

6,5

8

Q7

Rossi, Semiramide

1823

843

5,8

9

Q8

Romani, Norma

1831

833

5,4

10

Q10

Boito, Otello

1887

1094

5,2

Die in der letzten Spalte aufgeführten Werte gewinnen an Aussagekraft, wenn man sie mit denen anderer, ähnlich gearteter Analysen vergleicht. So hat Pieper (1979, 49–55) in ihrer statistisch-stilistischen Untersuchung von zwölf Textgruppen der deutschen Gegenwartssprache neben anderen Charakteristika auch die durchschnittliche Satzlänge berechnet und erhält die folgenden Werte: Drama/Roman-Dialog enthalten durchschnittlich 6 Wörter pro Satz, Hörspiel 7, Diskussion 12, Roman-Nichtdialog 13, Brief 14, Zeitung (Sportberichte) 15, Zeitung (Eigene Berichte) 16, Zeitung (Feuilleton) 17, Wissenschaftliche Texte 19, Gesetzestexte/ Zeitung (Agenturberichte) 23. Die Libretti nähern sich aus formaler Sicht am ehesten der Kategorie Drama an, die mit 6 Wörtern pro Satz den niedrigsten Wert in Piepers Analyse ergibt. Da sich Pieper mit der Gegenwartssprache beschäftigt und die 11 in ihrem Korpus enthaltenen Dramen ausnahmslos dem 20. Jahrhundert zuzurechnen sind, entsprechen die auf der Basis des Libretto-Korpus Q gewonnenen Werte durchaus diesem Ergebnis: Die jüngsten Libretti (Q7 bis Q10, alle 19. Jahrhundert) weisen allesamt durchschnittlich zwischen 5 und 7 Wörter pro Satz auf. Der für Q1 ermittelte, stark nach oben abweichende Wert von 17 Wörtern pro Satz entspricht dem von Pieper für die Textsorte Zeitung (Feuilleton) errechneten Durchschnitt, doch ist hier die Datengrundlage zu different, um Detailvergleiche anzustellen. Insgesamt scheint – anders als bei der klaren und im Ergebnis nachvollziehbaren Textgruppentrennung bei Pieper – im Librettokorpus der zeitliche Aspekt eine Ausschlag gebende Rolle zu spielen. Tabelle 3.1.2.(1) gibt eine in ihrer Deutlichkeit zunächst überraschende chronologische Ordnung der 10 Libretti wieder, so nimmt die Anzahl der Wörter pro Satz im Verlauf der Zeit nahezu kontinuierlich ab. Das älteste Libretto (Q1, 1607) weist dabei den höchsten, das jüngste (Q10, 1887) den niedrigsten Wert auf, wobei die Spanne von ca. 17 zu ca. 5 Wörtern un109

erwartet groß ist. Zur Klärung dieser großen Diskrepanz müssen die quantitativen Verfahren durch einen Blick in die Libretti interpretierend ergänzt werden, wobei besonders die kurzen Sätze wegen ihrer guten Vergleichbarkeit im Brennpunkt der Betrachtung stehen sollen. Wie gestalten sich die Ein- und Zweiwortsätze im Einzelnen, und wie häufig treten sie jeweils auf? Striggios Orfeo enthält lediglich 4 Einwortsätze: Ohimè., Che?, Basti. und Guai., daneben 3 Zweiwortsätze: Donde vieni?, Ove vai? und Hai pianto. Ein Blick in Boitos Otello dagegen offenbart 247 Einwort- und 198 Zweiwortsätze. Noch aussagekräftiger als die absolute Anzahl – Boitos Libretto ist um ein Drittel länger als das Striggios – ist hierbei die Art der kurzen Sätze bei Boito: Es handelt sich in nahezu allen Fällen der Einwortsätze um Interjektionen und Ausrufe,39 die unterschiedliche Formen annehmen: Sie bestehen oftmals aus einfachen Interjektionen im engeren Sinne (Ah!, Ahimè! etc.), teils aus exklamatorischen Substantiven (Cielo!, Orror! Vittoria! etc.) oder Eigennamen (Emilia..., Otello! etc.). Häufig sind zudem Imperative (Fuggiam!, Udite!, Giura! etc., cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.2.2.), einfache Nachfragesätze (Tu?, Onesto?, Che? etc.) oder verbale Einwort-Aussagesätze (Vidi., Piango., Obbedirò. etc.). Auch die Zweiwortsätze sind vor allem durch Emotionalität und Expressivität gekennzeichnet, was auf der Ebene der Interpunktion durch die zahlreichen Ausrufezeichen (106 ‹!› zu 35 ‹.› zu 33 ‹...› zu 24 ‹?›) 40 gekennzeichnet ist. Oftmals handelt es sich um expressive Artikel-Substantiv- (Il fazzoletto!, Una vela! etc.) und Substantiv-Adjektivkonstruktionen (Uomo crudel!, Atroce idea! etc.) oder auffordernde Präpositionalbildungen (Alla riva!, Allo sbarco! etc.), zahlreich sind auch hier die Imperative (Mi guarda!, Demonio, taci! etc.) und die exklamativen Wendungen (Miseria mia!, Gran dio! etc.) sowie kurze Fragesätze (Che parli?, E poi? etc.).41 Ein Blick in die anderen Libretti bestätigt diesen Eindruck: Bei den jüngeren Libretti werden die kürzesten Sätze vor allem durch Interjektionen, Imperative und andere dem expressiven Wortschatz zugehörige Formen konstituiert, die in den älteren Libretti eine sehr geringe Rolle spielen. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die weiter unten folgenden qualitativen Analysen, besonders Kap. 4.1.2. zu den Interjektionen und 4.2.2. zu den Imperativen, die ebenfalls ergeben, dass

39 40

41

Zur genauen Definition der unterschiedlichen Arten von Interjektionen und exklamativen Wendungen cf. weiter unten, Kap. 4.1.2. Für die Satzzählung wurden die drei Auslassungspunkte ‹...› wie ein Punkt gewertet, da sie stets in Satz abschließender Funktion auftreten. In der Auswertung werden sie dennoch getrennt betrachtet, weil sie auf semantischer Ebene für Zögern, Seufzen oder andere emotional geprägte Äußerungen stehen, während der einfache Punkt eine semantisch neutrale Rolle einnimmt. Zieht man metrische Aspekte als Erklärungsansatz mit hinzu, so spielt hier sicherlich auch eine Rolle, dass Boito bestimmte Kurzversformen neu in die italienische Librettodichtung einführte (ich danke Prof. Dr. Albert Gier (Bamberg) für diesen Hinweis). Allerdings kann dies nicht als einzige Begründung der geschilderten hohen Dichte an Interjektionen etc. dienen, die sich in den anderen hier untersuchten Libretti des 19. Jahrhunderts (die nicht aus der Feder Boitos stammen) bestätigen lässt.

110

die frühen Libretti – insbesondere Q1, Q2, Q3 und dort auch E1 (Rinuccinins La Dafne von 1598, die erste Oper in der Musikgeschichtsschreibung) – deutlich weniger expressive Wendungen enthalten als die jüngeren Texte, insbesondere die des 19. Jahrhunderts. Das Bindeglied stellen dabei – wie auch in dieser Analyse – die Libretti des 18. Jahrhunderts (Q4, Q5, Q6) mit durchschnittlich 8 Wörtern pro Satz dar. Hinzuweisen gilt es zudem auf die Tatsache, dass Q3, das französische Libretto von Quinault, mit durchschnittlich 11 Wörtern pro Satz auf Rang 2 direkt hinter dem Striggio-Libretto liegt, was, betrachtet man die Gesamtheit der quantitativen Analysen (cf. hierzu auch die Zusammenfassung von deren Ergebnissen in Kap. 3.4.), als Besonderheit erscheint, denn Q3 ist in nahezu allen Untersuchungen am unteren Ende der Skala anzutreffen und kann, wie auch die nachfolgenden Analysen bestätigen werden, als Libretto mit besonders eingeschränktem Wortschatz gelten (darauf hatten bereits die Analysen in Kap. 3.1.1. hingewiesen). Ein hoher Wert bei der Berechnung der durchschnittlichen Satzlänge ist hier also eher unerwartet, da lange Sätze an sich auf einen variationsreichen, literarisch durchgestalteten Wortschatz und Stil schließen lassen sollten. Die relative Abwesenheit von Interjektionen und exklamativen Wendungen (cf. weiter unten, Kap. 4.1.2.) bietet sich hier jedoch als Begründung für die im Vergleich mit den jüngeren Libretti längeren Sätze an; der Satzlängenindex scheint also, darauf deutet dieses Ergebnis hin, nicht direkt mit dem Wortschatzreichtum eines Textes zu korrelieren. 3.1.2.3. Fazit Als Fazit der Ermittlung der durchschnittlichen Satzlänge ergibt sich die erfreulich eindeutige Aussage, dass diejenigen Libretti eine eher geringe durchschnittliche Satzlänge aufweisen, die besonders viele Interjektionen und andere expressive Formeln enthalten und dass diese darüber hinaus von den jüngeren Texten vor allem des 19. Jahrhunderts konstituiert werden. Die Untersuchung der Satzlängen liefert also ein im Rahmen dieser Arbeit frühes Beispiel dafür, dass die Vernetzung von quantitativ-statistischen Daten und qualitativ-semantischen Interpretationen zu elementaren Aussagen über die hier untersuchte Entwicklung des Librettoidioms durch die Jahrhunderte hinführen kann. Diese bereits an dieser Stelle erkennbare Tendenz wird sich im Folgenden in positiver Weise bestätigen lassen.

3.2.

Bivariate Analysen zum Vokabularreichtum

Die Eigenschaft des Vokabularreichtums ist eine vielfältig definierbare Größe.42 Im einfachsten Fall handelt es sich hierbei um die Anzahl von unterschiedlichen

42

Als Überblick hierzu bietet sich Altmann 1999 an; cf. auch Altmann et al. 2002 und Menard 1983.

111

Wörtern in einem Text; komplexer wird das Verfahren, wenn bestimmte Indizes wie der Diversitäts- oder Type-token-Index, der Einmaligkeitsindex o. ä. mit eingebracht werden und man die aus univariaten Analysen gewonnenen Größen zueinander in Verhältnis setzt; man spricht daher von bi- oder divariater Behandlung von Textcharakteristika (cf. Pieper 1979, 48ss.). Noch anspruchsvoller wird die Bemessung des Vokabularreichtums auf der Grundlage von Funktionen, die die Dynamik des Vokabularwachstums bei wachsendem Textumfang berechnen (cf. Mehler 2005, 340, und oben, Kap. 3.1.) und auf der Grundlage multivariater Analysen ausgewertet werden, die jedoch für die hier behandelten Textgruppen unter den gegebenen Forschungsintentionen nicht von Relevanz sind.43 Klassische Untersuchungen der Sprachstatistik, die diese richesse du vocabulaire bis ins Detail analysieren, liegen mit den in Kap. 2.2.2. bereits zitierten Werken von Muller 1979b, Bernet 1983 und Brunet 1988 (zum Wortschatz von Corneille, Racine und Hugo) vor; Bernet definiert den Begriff wie folgt:44 «La richesse du vocabulaire se définit comme une notion purement quantitative. Le terme de richesse peut évoquer un point de vue qualitatif qu’il faut écarter ici bien qu’il soit digne de considération. C’est aussi une notion relative, le vocabulaire d’un texte ne pouvant être déclaré ‹riche› ou ‹pauvre› que par rapport à d’autres. Étudier la richesse du vocabulaire de plusieurs textes c’est comparer ces textes entre eux en fonction de leur longueur et de (la structure de) leur vocabulaire» (Bernet 1983, 85).

Auch Thoiron (1988) betont in seiner Untersuchung der richesse lexicale von Alice’s Adventures in Wonderland die Relativität dieses jeweils für einen Einzeltext definierten Begriffes, der sehr sorgfältig in Beziehung zu anderen Texten gesetzt werden müsse, um Sinn zu ergeben:45 «On insistera tout d’abord sur le caractère tout à fait relatif de cette richesse-là. Dire d’un texte quelconque qu’il a un vocabulaire riche ne signifie en définitive pas grand chose et peut même conduire à des confusions, hélas classiques, comme celle entre richesse et originalité. Mieux vaut donc comprendre le mot ‹richesse› comme un terme neutre, un peu comme font les physiciens pour qui ‹vitesse› ne se confond pas avec ‹rapidité›» (Thoiron 1988, 142).

Gerade ein so komplexer und schwer definierbarer Begriff bietet sich jedoch für einen quantitativen Zugang an, mit dem eine möglichst hohe Objektivität am ehesten erreicht werden kann. Dem Vokabularreichtum von Texten kann man sich – auch wenn der Begriff nach subjektiver Wertung klingen mag – an Hand ver-

43

44 45

Bei den multivariaten Verfahren geht es vorrangig darum, eine Kausalstruktur zwischen mehreren Variablen der statistischen Textorganisation herzustellen und somit das Diskriminanzpotenzial einzelner Texteigenschaften zu bestimmen, cf. Mehler 2005, 333. Diese Art von Verfahren würde in der vorliegenden, linguistisch ausgerichteten Arbeit zu weit führen. Cf. hierzu auch Holmes 1988, besonders 75. Cf. auch den Aufsatz zur richesse lexicale von Muller 1979a, 281–307, und Menard 1983. Index und Konkordanz zu «Alice» finden sich in Thoiron/Pavé 1989.

112

schiedener mit rein statistischen Mitteln gewonnener Werte, Rangverteilungen und Quotienten recht gut nähern, wobei jedoch, folgt man Thoiron, stets der Gefahr einer Verwechslung von «Reichtum» mit «Qualität» oder gar «Originalität» aus dem Weg gegangen werden muss. Bezogen auf die 10 Libretti sollen im Folgenden daher in drei unterschiedlichen Analysen an Stelle absoluter Aussagen über Einzeltexte vielmehr relative Tendenzen innerhalb des Analysekorpus ermittelt werden, die daraufhin hinsichtlich einer chronologischen oder anderer signifi kanter Entwicklungen befragt und ausgewertet werden. 3.2.1.

Bivariate Analyse 1: Der Diversitätsindex (Type-token-Verhältnis)

Während univariate Analysen einzelne Textcharakteristika isolieren und Durchschnittswerte oder Varianzen in Form von Indizes darstellen, werden bei den bivariaten Verfahren (auch divariate Verfahren, so etwa bei Pieper 1979, passim) verschiedene Texteigenschaften paarweise einander gegenübergestellt und in Ursache-Wirkungs-Beziehungen oder numerischen Zusammenhängen betrachtet (cf. Mehler 2005, 333). Es erfolgt eine Quotientenbildung «auf der Grundlage von Summenwerten oder getrennt für jedes Paar von Werten», an die sich eine «Charakterisierung durch Lageparameter» (ib.) anschließt. Pieper sieht die Quotienten als Möglichkeit zur «Annäherung an die Erfassung von Beziehungen zwischen Textcharakteristika» (Pieper 1979, 62), wobei bei den meisten Berechnungen die Summe der Auftretenshäufigkeit einer Variablen durch die Summe der Auftretenshäufigkeit einer anderen Variablen geteilt wird.46 Die Aussagekraft der Quotienten ist insofern begrenzt, als sie stets nur relative Größen vermitteln und keinerlei Schlüsse auf die ursprünglich in die Quotientenbildung eingegangenen absoluten Häufigkeiten zulassen. Ein Text mit vielen Okkurrenzen, der zudem viele finite Verben aufweist, kann z. B. denselben Quotienten erhalten wie ein kurzer Text mit wenigen finiten Verben, wenn das Verhältnis beider Größen zueinander jeweils gleich ist. Berücksichtigt man diesen Aspekt bei der Interpretation der Werte, sind die auf der Grundlage von bivariaten Verfahren ermittelten Quotienten dennoch aussagekräftig, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Texte eine relativ ähnliche Struktur und Länge aufweisen. Auch wenn die Länge der 10 Libretti in der Detailbetrachtung als signifikant unterschiedlich erscheinen mag (zur Erinnerung: die Randwerte stellen 3966 tokens bei Striggio und 9095 tokens bei Metastasio dar, cf. weiter oben, Kap. 3.1.), sind sie doch aus der Sicht der Quantitativen Stilanalyse oder Lexikostatistik als Texte mit jeweils weniger als 10.000 tokens als eher

46

Pieper betont auch die Nachteile dieser Vorgehensweise, bei der beispielsweise keine Aussage über das durchschnittliche Verhalten des Quotienten pro Satz möglich und die Frage nach der Signifikanz der Differenz zwischen den in Stichproben ermittelten Quotienten nicht zu beantworten ist, da keine Streubreiten berechnet werden können (cf. ib., 63). Die genannten Nachteile sind für das dieser Arbeit zu Grunde liegende Forschungsinteresse jedoch vernachlässigbar, da die eher linguistisch geprägten den reinen mathematisch-statistischen Verfahren vorgezogen wurden.

113

«kurze» Texte einzustufen und somit durchaus miteinander vergleichbar.47 Im Folgenden sollen daher vier verschiedene Ansätze zur Quotientenbildung vorgestellt werden, die auf der Grundlage des sprachlichen Materials der 10 Q-Libretti gut interpretierbare und aussagekräftige Ergebnisse vermitteln. Dabei lassen die beiden folgenden Analysen (Diversitäts- und Einmaligkeitsindex) eher Rückschlüsse auf den Vokabularreichtum von Texten zu, während die in Kap. 3.3. beschriebenen Untersuchungen der allgemeinen Stilanalyse zuzuordnen sind. 3.2.1.1. Problematisierung Das Type-token-Verhältnis (type-token relation, type-token ratio, TTR) wird definiert als Quotient aus der Größe des Vokabulars, also der Anzahl der verschiedenen Wörter bzw. Lemmata (types), und der Gesamtzahl der Okkurrenzen in einem Text (tokens). Mit anderen Worten ist es die Größe, die das Verhältnis des Vokabularumfangs zur Länge eines Textes angibt. So weist etwa das Orfeo-Libretto von Striggio 991 types und 3996 tokens auf; nach der weiter unten erläuterten Rechnung ergibt sich für diesen Text ein TTR-Wert von 25,0, der für sich allein genommen noch keinerlei Aussagekraft besitzt. Im Vergleich mit den anderen 9 Werten ist er jedoch von großer Bedeutung, wie die folgenden Analysen aufzeigen werden. Die TTR gilt – wie auch die Häufigkeit der Hapax legomena (cf. Kap. 3.2.2.) – als Indikator für lexikalischen Reichtum; beide Parameter fungieren somit als Variationsindex für das Vokabular eines Textes.48 Das Verfahren der Ermittlung der TTR ist nicht unproblematisch, da je nach der Anwendungsweise verschiedener Konstituenten sehr inhomogene Ergebnisse zu Stande kommen können.49 Die Hauptprobleme sind nach Wimmer: «(a) Type identification, (b) Interpretation, (c) Measurement, (d) Genesis and theoretical approach, (e) Statistical processing (sampling etc.)» (Wimmer 2005, 361). Für das hier analysierte Korpus Q sind die genannten Probleme allerdings relativ gering, da alle Einzeltexte nach demselben Prinzip behandelt wurden: (a) Als Wort bzw. type wurde in der Regel eine orthographische Einheit (eine ununterbrochene Graphemkette) defi niert (cf. weiter oben, Kap. 2.2., und Best 2005, 265). Da die dem Korpus zu Grunde liegenden Libretti alle bis auf eine Ausnahme in italienischer Sprache verfasst sind, stellen sich auch die auftretenden Probleme (cf. dazu weiter oben, Kap. 2.2.) in jedem Text ähnlich dar und wurden gleich behandelt.50 Das zu Vergleichszwecken

47 48

49 50

Cf. hierzu Mehler (2005, 340) und weiter oben, Kap. 3.1.1. Cf. hierzu v. a. Wimmer 2005. Er weist darauf hin, dass die TTR ursprünglich aus der Biologie stammt, wo sie über Häufigkeit und Verbreitung bestimmter Species Auskunft gibt, und von Statistikern, die in Biologie und Linguistik tätig waren (cf. ib., 361). Cf. auch Altmann/Altmann 2005, 88–104, und bereits Altmann 1988, 85–90. Cf. auch hierzu Altmann 1988, 85–90. Der Vergleich von TTR-Indizes, die aus Texten unterschiedlicher sprachlicher Herkunft gewonnen wurden, ist nicht sinnvoll, da die intersprachlichen Charakteristika zu dif-

114

mit hinzugezogene französische Libretto von Philippe Quinault zeigt allerdings anschaulich, wie sich mit dem Wechsel der Sprache auch die Parameter für die quantitative Analyse verändern. (b) Die TTR wurde als charakteristisch für den Vokabularreichtum eines Textes interpretiert und nicht – die zweite von Wimmer genannte Möglichkeit – als «model of information flow in text» (Wimmer 2005, 361). Dies ist möglich, da die von Wimmer (ib.) für den Umgang mit (a) genannte Bedingung (ii) erfüllt ist, dass nämlich im Bereich der type-Identifikation mit Lemmata und nicht mit bloßen Wortformen gearbeitet wurde (zu diesem Zweck wurde für jedes Libretto aus Korpus Q ein umfangreicher Thesaurus angelegt, cf. weiter oben, Kap. 2.1.). Zwar ergibt sich auch für die Libretti das Folgeproblem, dass mit wachsender Textlänge die Anzahl an neuen Wörtern zwangsläufig sinkt (und damit auch die TTR), doch sind die Längenunterschiede zwischen den Libretti aus statistisch-quantitativer Sicht – wie bereits erwähnt – vernachlässigbar, da alle Texte derselben Gattung angehören und formal wie sprachlich relativ homogen sind, sofern man sie anderen literarischen oder Gebrauchstexten gegenüber stellt. Auch wenn Wimmer selbst (ib., 362) diese Interpretation nicht für die bessere der beiden Möglichkeiten und die TTR als Maß für den Vokabularreichtum eines Autors (vocabulary richness of the author, cf. dazu bereits weiter oben, Kap. 2.2.1.) für eine Illusion hält, wurde diese Größe hier als Anhaltspunkt für Varianz und lexikalischen Reichtum bewertet, die sich – wie sich weiter unten zeigen wird – in fast allen Fällen durch andere Größen bestätigen lässt. Auch wurde in der vorliegenden Arbeit nicht versucht, die TTR als Beleg für oder gegen den Stil, den Einfallsreichtum, den Innovationsgrad oder andere subjektive Eigenschaften eines Autors/Librettisten anzuwenden, sondern – und das erkennt Wimmer als Möglichkeit an – als Indiz für die Art der lexikalischen Gestalt eines Textes. Die Berechnung der TTR (c) erfolgte nach der am häufigsten angewandten Methode (i) durch die Quotientbildung . Als Modell (d) diente die Indexbildung, die Wimmer (ib.) als Methode (i) beschreibt. Auf die unter (e) angesprochene Kurvenbildung und andere statistische Prozesse wurde im Rahmen dieser linguistischen Arbeit verzichtet, auch weil die Kurven, anders als die Indizes, eher als Messung des Informationsflusses im Text fungieren und nicht als Maß des Vokabularreichtums.51

51

ferent sind. So würde etwa die Übersetzung eines lateinischen Textes in das Englische statistisch einen viel geringeren TTR-Wert ergeben als der Originaltext, obwohl beide im Prinzip denselben Inhalt aufweisen. Dennoch führt die synthetische Struktur der lateinischen Sprache dazu, dass rein statistisch ein erheblich höherer Vokabularreichtum festgestellt würde, was zu einer unsinnigen Schlussfolgerung führen würde, cf. auch Altmann/Altmann 2005, 89. Cf. hierzu Altmann/Altmann 2005, 88. Die Problematik von Kurven wird anschaulich illustriert durch Diagramm 3.3.1.(2) weiter unten.

115

3.2.1.2. TTR-Berechnung Als einfachste statistische Operation wurde hier für jedes der 10 halbautomatisch annotierten Opernlibretti der TTR-Quotient aus der Anzahl der types geteilt durch die Anzahl der tokens gebildet.52 Die so gewonnenen Zahlen sind für sich genommen wenig aussagekräftig, sie führen durch den Vergleich mit den anderen Werten jedoch zu sinnvollen Aussagen.53 [Tabelle 3.2.1.(1): Das Type-token-Verhältnis in Korpus Q] Nr. Q1 Q2 Q3 Q4 Q5 Q6 Q7 Q8 Q9 Q10

Librettist, Titel Striggio, La favola d’Orfeo Aureli, L’Orfeo Quinault, Roland Zeno, Teuzzone Metastasio, L’Olimpiade Varesco, Idomeneo Rossi, Semiramide Romani, Norma Piave, Ernani Boito, Otello

Jahr der Erstaufführung 1607 1672 1685 1719 1733 1781 1823 1831 1844 1887

TTR 25,0 18,1 12,7 17,0 17,2 24,0 17,8 20,6 24,4 25,1

[Diagramm 3.2.1.(1): Das Type-token-Verhältnis in Korpus Q] 30

25

24,4

24

25

25,1

20,6 18,1

20

17,8 17

15

17,2

12,7

10

5

0 Q1

52 53

Q2

Q3

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

Q9

Q10

Genauer types/tokens x 100, um eine repräsentative, für den Vergleich gut darstellbare Größe zu erhalten. Eine Übersicht über alle Zahlen bietet die Tabelle 3.(1) zu Beginn dieses Kapitels; der letzten Spalte ist der TTR-Wert entnehmbar.

116

In eine Rangfolge gebracht, ergeben die 10 Libretti bezüglich ihrer TTR-Werte folgende Aufstellung: [Tabelle 3.2.1.(2): Rangfolge der TTR-Werte] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr der Erstaufführung

TTR

1

Q10

Boito, Otello

1887

25,1

2

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

25,0

3

Q9

Piave, Ernani

1844

24,4

4

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

24,0

5

Q8

Romani, Norma

1831

20,6

6

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

18,1

7

Q7

Rossi, Semiramide

1823

17,8

8

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

17,2

9

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

17,0

10

Q3

Quinault, Roland

1685

12,7

Der erste Eindruck bestätigt die eben erwähnte Problematik, dass übereinzelsprachliche Vergleiche auf der Grundlage der TTR nicht vorgenommen werden sollten. So schwanken die Werte der italienischen Libretti zwischen 17,0 (Q4 Zeno, Teuzzone) und 25,1 (Q10 Boito, Otello), das französische Libretto (Q3 Quinault, Roland) weist jedoch einen Wert von nur 12,7 auf und fällt damit wiederum deutlich aus dem Rahmen. Der Gesamtumfang des Librettos bewegt sich mit 7446 tokens auf Rang 7 unter den 10 Libretti und ist damit nicht eindeutig als Ursache für den ungewöhnlich niedrigen Wert anzunehmen:54

54

Nach der weiter oben in diesem Abschnitt geschilderten Theorie sinkt der TTR-Quotient mit zunehmendem Textumfang, somit müssten also die kürzeren Libretti durchschnittlich einen höheren Wert aufweisen (cf. hierzu auch Tuldava 1998, 151). Dies trifft tendenziell auf die hier untersuchten Libretti zu, kann jedoch nicht den alleinigen Grund für den niedrigen Wert des französischen Librettos darstellen. Theoretisch wären die Werte demnach nur dann aussagekräftig, wenn die Texte exakt dieselbe Länge aufwiesen; in der QL gelten jedoch, wie bereits erwähnt, Texte mit weniger als 10.000 Okkurrenzen – also alle Libretti in Korpus Q – als «kurz» (cf. etwa Mehler 2005, 340) und können somit mit gewissen Einschränkungen hier als vergleichbar betrachtet werden.

117

[Tabelle 3.2.1.(3): Rangfolge der Libretti nach Länge (Anzahl der tokens)] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr der Erstaufführung Anzahl der tokens

1

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

3966

2

Q9

Piave, Ernani

1844

4332

3

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

4420

4

Q8

Romani, Norma

1831

4694

5

Q7

Rossi, Semiramide

1823

5119

6

Q10 Boito, Otello

1887

6007

7

Q3

Quinault, Roland

1685

7446

8

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

8010

9

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

8607

10

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

9095

Die Rangfolge lässt sich auch – das macht die Tabelle 3.2.1.(3) deutlich – keinesfalls aus chronologischen Gesichtspunkten erklären. So ist zwar das zeitlich erste Libretto von 1607 das kürzeste, doch korreliert der wachsende Umfang der Texte nicht zwangsläufig mit der fortschreitenden Zeit. Die beiden für die opera seria modellhaften Libretti von Zeno und Metastasio sind erwartungsgemäß sehr lang (cf. hierzu Kap. 1.2.), doch gesellt sich hier auch das viel frühere Libretto von Aureli hinzu. Die Opern des 19. Jahrhunderts bewegen sich im Mittelfeld, was aus musikhistorischer Sicht nicht unerwartet ist,55 doch ist das Piave-Libretto von 1844 mit 4332 tokens sehr kurz. Die starke Abweichung des Quinault-Librettos muss also noch andere Gründe haben. In Frage kommen zwei Aspekte: differente sprachliche Grundmuster des Französischen gegenüber dem Italienischen oder ein individueller Schreibstil, der speziell den Autor Quinault auszeichnet. Die erste These kann hier nicht in angemessenem Umfang untersucht werden, da dazu ein deutlich umfangreicheres Analysematerial sowie eine andere methodische Ausrichtung nötig wären. Zunächst müsste hier anhand weiterer französischer Libretti aus verschiedenen

55

So ist die Länge einer Oper teilweise auch «modeabhängig» und richtet sich nach den Erwartungen des jeweiligen zeitgenössischen Publikums. Im 19. Jahrhundert ist man – auch durch die abnehmende Relevanz des Textes – weniger bereit, einer fünfstündigen Aufführung beizuwohnen als ein Jahrhundert zuvor, cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2. Als Ausnahme von der Regel kann man jedoch die Wagner-Opern anführen, besonders die überdurchschnittlich langen Opern des Ring-Zyklus. Im übrigen ist ein umfangreiches Libretto nicht unbedingt gleichzusetzen mit einer langen Oper, da die Zeitdauer einer Aufführung auch stark von der musikalischen Gestaltung des Werkes abhängt (Anzahl der Wiederholungen, unterschiedliche Tempi etc.). Aus diesen Gründen dürfen die Begriffe «lang» und «kurz» hier nicht pauschal, sondern nur differenziert auf einen Einzeltext bezogen verwendet werden.

118

Epochen überprüft werden, ob die Wahl der Sprache generell das Type-tokenVerhältnis beeinflusst. Eine Diskussion der sich an dieser Stelle aufdrängenden Frage, warum sich gerade das Italienische so gut für die Umsetzung in Musik zu eignen scheint, findet derzeit statt,56 sie kann jedoch (noch) nicht als abgeschlossen gelten. Eine Voraussetzung für die Beantwortung dieser Frage wäre eine intensive Betrachtung vor allem der französischen Prosodie und Intonation. Die diesbezüglichen Forschungen der letzten Jahre legen nahe, dass der finale Phrasenakzent des Französischen durch einen optionalen und sich zunehmend generalisierenden Initialakzent ergänzt wird, der zu einer Steigerung der Vielfalt französischer Akzentuierungsmuster führt und mit Hilfe dessen diverse prosodische Muster besser erklärt werden können.57 Ob durch solche Faktoren jedoch ein Einfluss auf das Type-token-Verhältnis zu erwarten ist, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Zu der zweiten als Erklärung in Frage kommenden These des für Quinault typischen individuellen Schreibstils wurde weiter oben in Kap. 3.1.1. bereits Stellung genommen. Als Konsequenz aus den vorgenommenen Analysen wird hier auch deutlich, dass die TTR im Vergleich unterschiedlicher Texte mit unterschiedlicher Länge als isolierte Einheit eine unzuverlässige Größe ist.58 Dennoch kann man sie im Zusammenhang mit anderen statistischen Werten zumindest tendenziell als aussagekräftige Messlatte verwenden, wie die an dieser Stelle (noch) nicht abschließend bewertbare starke Differenz zu den italienischen Libretti in ihrer Gesamtheit zeigt. Nimmt man nun also den abweichenden Wert des französischen Librettos aus der Analyse heraus, so wird die Theorie des mit zunehmendem Umfang des Textes sinkenden TTR-Wertes anschaulich an Hand von Striggios Orfeo-Libretto bestätigt, das mit Abstand den kürzesten Text und den höchsten Wert aufweist. Mit Ausnahme von Boitos Otello, der das fünftlängste Libretto darstellt, jedoch

56

57 58

Cf. einleitend Schafroth 2002, der sich jedoch auf französische Übersetzungen italienischer Libretti stützt; hier wären französische Originalwerke vorzuziehen. Cf. auch Overbeck 2008; den aktuellen Diskussionsstand spiegelt vor allem Overbeck/Heinz i. Dr. wider, cf. hier besonders Schafroth i. Dr., dagegen Stammerjohann i. Dr. und – aus erweiterter Perspektive – Gabriel i. Dr. Einen auf die Gesangspraxis ausgerichteten Vergleich der beiden Sprachen Deutsch und Italienisch (kontrastiv auch des Lateinischen), der einen Schwerpunkt auf den Bereich der Phonetik legt, bietet Scherr 1991. Cf. auch die Einführung von Seedorf 2001. Zur Wort-, Satz- und Versphonologie cf. auch Vennemann 1982, zur kontrastiven Phonologie der romanischen Sprachen cf. zudem das Grundlagenwerk von Hess 1975. Cf. hierzu zusammenfassend Gabriel i. Dr., der sich u. a. auf Jun/Fougeron 1995, 2000 und 2002 sowie Welby 2002 und 2003 bezieht. Cf. hierzu auch Altmann/Altmann (2005, 88), die in ihrer exemplarischen ErlkönigAnalyse beim Punkt TTR ein wenig resignierend erkennen müssen: «Manche Modelle gehen von linguistisch unhaltbaren Voraussetzung[en] aus, tragen aber dennoch zur Klärung der Probleme bei. Man kann ruhig sagen, dass es genauso viele ungelöste Probleme wie Lösungen gibt».

119

die höchste TTR aufweist, entsprechen die 10 hier untersuchten Libretti relativ diesem Schema: [Tabelle 3.2.1.(4): Rangfolge der tokens-Anzahl und der TTR im direkten Vergleich] Nr.

Librettist, Titel

Rang der tokens-Anzahl (1 = kürzestes Libretto)

Rang der TTR (1 = höchster Wert)

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1

2

Q9

Piave, Ernani

2

3

Q6

Varesco, Idomeneo

3

4

Q8

Romani, Norma

4

5

Q7

Rossi, Semiramide

5

7

Q10

Boito, Otello

6

1

Q3

Quinault, Roland

7

10

Q4

Zeno, Teuzzone

8

9

Q2

Aureli, L’Orfeo

9

6

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

10

8

Der Text von Otello (1887) ist mit 6007 tokens als für das 19. Jahrhundert recht langes Libretto zu bezeichnen und weist dennoch mit 25,1 den innerhalb von Korpus Q höchsten TTR-Wert auf; Boitos Libretto scheint somit nach dem derzeitigen Stand der Analysen einen «reichen» Wortschatz zu enthalten.59 Hervorzuheben ist zudem, dass gerade das Libretto Varescos (Idomeneo, re di Creta, 1781), das oftmals in seiner Geschichte – wie weiter oben (cf. Kap. 2.1.) ausgeführt – als literarisch schlechtes oder zumindest sprachlich wenig gelungenes und zudem dramaturgisch schwaches Werk bezeichnet wurde, einen mit 24,0 recht hohen TTR-Wert (4. Rang in Korpus Q) aufweist, der ihm einen variationsreichen Wortschatz attestiert. Allerdings muss hier wiederum eine Einschränkung bezüglich der Länge getroffen werden: Mit 4420 tokens (Rang 3 in Q) ist es nicht besonders lang und der hohe Wert somit nicht überraschend. 3.2.1.3. Fazit Die quantitativen Ergebnisse zur TTR lassen sich auch im Hinblick auf die diese Analysen leitende Grundfrage auswerten, ob das Libretto-Idiom, so wie es heute charakterisiert wird, sich bereits zu Beginn der Operngeschichte oder erst im

59

Diese Aussage bestätigt die bereits in Kap. 3.1.1. gewonnenen Ergebnisse, nach denen das Boito-Libretto u. a. die niedrigste Wortwiederholungsrate in Korpus Q aufweist. Auch die qualitativen Analysen (cf. Kap. 4) belegen in mehreren Punkten die Ausnahmestellung, die Boitos Libretto aus sprachlicher Perspektive einnimmt, cf. hierzu auch Telve 2004.

120

19. Jahrhundert etablierte. Typisch für dieses Idiom müsste – nach dem, was weiter oben in Kap. 1.3. dargelegt wurde – ein insgesamt eher «armer» Wortschatz im Vergleich mit Texten des Sprechtheaters sein. Hier steht eine kontrastive Analyse noch aus. Ein Blick auf die chronologisch geordnete TTR-Rangfolge deutet nicht auf eine einheitliche Fortentwicklung hin: [Tabelle 3.2.1.(5): Chronologisch rangierte TTR in Bezug auf das Jahr der Erstaufführung] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr der Erstaufführung TTR

1

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

25,0

2

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

18,1

3

Q3

Quinault, Roland

1685

12,7

4

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

17,0

5

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

17,2

6

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

24,0

7

Q7

Rossi, Semiramide

1823

17,8

8

Q8

Romani, Norma

1831

20,6

9

Q9

Piave, Ernani

1844

24,4

10

Q10

Boito, Otello

1887

25,1

Selbst wenn man das französische Libretto wegen seines sprachlich begründeten Ausreißercharakters ausklammert, ist ohne Zuhilfenahme des jeweiligen Librettoumfangs eine klare Aussage bezüglich einer chronologischen Entwicklung der TTR nicht direkt nahe liegend. Tendenziell kann man eher einen jahrhundertabhängigen Ausfall statuieren; so weisen die frühen Libretti des 17. Jahrhunderts eine recht hohe TTR (Ausnahme: Quinault) auf, die des 18. einen eher niedrigen Wert (Ausnahme: Varesco) und die des 19. Jahrhunderts wieder einen höheren (Ausnahme: Rossi). Nimmt man den Aspekt der Textlänge und den musikhistorischen Kontext hinzu, werden jedoch viele der Werte, auch die der Ausnahmen, erklärbar: So sind die beiden Libretti aus dem 18. Jahrhundert von Zeno und Metastasio, die einen niedrigen TTR-Wert aufweisen, überdurchschnittlich lang (Rang 8 und 10 in Q) und entsprechen dem – bzw. entwickeln den – Modellcharakter für die opera seria mit ihren festen Formen und Konventionen (cf. weiter oben, Kap. 1.2.), und ein abwechslungsreicher Wortschatz steht für sie nicht unbedingt im Vordergrund. Die Haupthandlung der Opern dieser Zeit findet hinter der Bühne statt und wird nur berichtet (Rezitative) bzw. reflektiert (Arien), so dass beispielsweise ein weniger emotionaler Wortschatz zu erwarten ist (cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.1.2.), was wiederum ein Indiz für Wortschatzarmut darstellen kann. Das Varesco-Libretto ist nahezu nur halb so lang wie die beiden anderen Vertreter des 18. Jahrhunderts (4420 tokens vs. 8010 bei Zeno und 9095 bei Metasta121

sio), und der abweichende hohe TTR-Wert (24,0 vs. 17,0 und 17,2) somit zumindest ansatzweise erklärbar. Das chronologisch zweitälteste Libretto des Korpus, L’Orfeo von Aureli (1672), weist im Gegensatz zu seinem thematischen Vorgänger La favola d’Orfeo von Striggio (1607) einen eher niedrigen Wert auf (18,1 vs. 25,0), es ist jedoch auch mehr als doppelt so lang (8607 vs. 3966 Okk.) und entstammt einem gänzlich anderen musikgeschichtlichen Kontext (cf. weiter oben, Kap. 1.2. und 2.1.). Eine stringente Entwicklung oder klare Trennlinien zwischen den Jahrhunderten bzw. Epochen sind also aus dem vorliegenden Analysematerial nicht ablesbar. Als wahrscheinlicher erscheint die Annahme, dass vielmehr der kultur- und musikhistorische Epochenkontext der Libretti auf unspezifische Aspekte wie Länge und «Reichtum» entscheidenden Einfluss nimmt und dass eine chronologische Differenzierung nach Jahrhunderten demnach nicht eng genug greift, um diese sowie auch etwa soziokulturelle Hintergründe zu erfassen. Deutlich wird an dieser Stelle erkennbar, dass es weiterer Analysen bedarf, um die anhand des Type-token-Verhältnisses ermittelten tendenziellen Aussagen zu bestätigen bzw. zu überprüfen. Eine zu diesem Zweck sehr nützliche, weil inhaltlich verwandte Analyse ist hier die im Folgenden dargestellte Untersuchung der Hapax legomena. 3.2.2.

Bivariate Analyse 2: Der Einmaligkeitsindex (Hapax legomena)

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Bestimmung des lexikalischen Reichtums eines Textes ist neben der TTR die Anzahl der Hapax legomena,60 die einen Faktor für die sprachliche Originalität eines Textes darstellt. Je mehr Wörter ein Autor nur einmal verwendet, desto weniger wiederholt er und desto reichhaltiger ist folglich sein Wortschatz (in dem betreffenden Text): «Wenn in einem Text sehr viele Wörter mit der Häufigkeit 1 vorkommen, dann könnte dies den Wunsch des Autors widerspiegeln, bildhafte Ausdrücke zu finden, seltene oder originelle Wörter zu wählen, die Wiederholung von Wörtern zu vermeiden usw. In diesem Fall bezeugt ein großer Anteil von Wörtern mit der Häufigkeit 1 den Reichtum und die Heterogenität der Lexik des Textes. Jedoch sind weder dieser Einmaligkeitsindex noch der Diversitätsindex ein ästhetisches Kriterium. Nur eine qualitative Analyse kann nachweisen, was sich hinter der großen Anzahl einmal vorkommender Wörter im Text verbirgt: guter Stil oder Weitschweifigkeit. Manchmal kann der Reichtum an seltenen Wörtern das Textverständnis erschweren oder Zeichen eines schlechten Stils sein; ein geringer Anteil an hapax legomena kann funktional begründet sein, z. B. bei

60

Der Begriff wird hier definiert als Lemma (type), das in einem begrenzten Text nur ein einziges Mal auftritt. Eine andere denkbare Definition wird bei der Untersuchung mehrerer Texte ein und desselben Autors verwendet, cf. etwa Bernet 1983, 127, der ausschließlich die Vokabeln als Hapax bezeichnet, die in allen Tragödien Racines nur einmal auftreten; diese haben nach Bernet die allgemeine Frequenz 1, während die Vokabeln, die innerhalb eines Einzeltextes von Racine nur einmal auftreten, für ihn die Unterfrequenz 1 haben. Cf. auch seine quantitative Analyse der Hapax legomena in Racines Tragödien (ib., Kap. 9).

122

der Wiedergabe einer spontanen Rede. Bei der Anwendung des Einmaligkeitsindexes sollte man auch bedenken, daß der Anteil von hapax legomena direkt vom Textumfang abhängt» (Tuldava 1998, 151).

Wiederum ist also zum einen die Relativität der Ergebnisse zu beachten und von einer Überinterpretation abzusehen, zum anderen wird deutlich, dass quantitative Analysen durch qualitative ergänzt werden sollten und vice versa, um ein aussagekräftiges Resultat zu zeitigen. 3.2.2.1. HL-Quotient In der vorliegenden Analyse werden zwei verschiedene Werte für jedes Libretto berechnet: einerseits die Hapax auf den gesamten Text bezogen und andererseits nur auf Substantive. Diese Analyse wäre natürlich auch mit anderen Wortarten möglich, v. a. mit Verben und Adjektiven; nicht annähernd sinnvoll erscheint sie bei Konjunktionen, Präpositionen etc., obwohl sich auch dort theoretisch ein individueller Stil manifestieren kann. Ergebnisse wie diese werden jedoch eher in der Forensik oder in der literaturwissenschaftlichen Stilanalyse angestrebt, etwa wenn die Schreiberhand eines anonymen Textes ermittelt werden soll,61 und weniger bei linguistischen Analysen neuzeitlicher literarischer Texte. Im vorliegenden Fall wird der Quotient aus der absoluten Anzahl der Hapax legomena (HL) im Einzellibretto und der jeweiligen Anzahl der types gebildet: [Tabelle 3.2.2.(1): Einmaligkeitsindex für den Gesamttext, Angaben in %] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr der Erstaufführung

HL-Quotient

1

Q10

Boito, Otello

1887

54,4

2

Q9

Piave, Ernani

1844

54,3

3

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

50,6

4

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

48,3

5

Q8

Romani, Norma

1831

46,2

6

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

45,8

7

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

44,7

8

Q7

Rossi, Semiramide

1823

44,3

9

Q3

Quinault, Roland

1685

42,9

10

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

42,5

61

Dazu kann durchaus auch die Ermittlung von mittelalterlichen Schreiberhänden zählen, etwa bei literarischen Texten oder Urkunden, cf. hierzu Holtus/Overbeck/Völker 2003a, bes. 17–43, und Overbeck 2003a, bes. 54–65.

123

Ähnlich wie schon bei der TTR bilden wieder die beiden Verdi-Opern eine Einheit, die für einen sehr reichen Wortschatz steht. Obwohl zwischen den Erstaufführungsdaten der beiden Opern über 40 Jahre liegen und die Librettisten unterschiedlichen Generationen angehören (Piave lebte 1810–1876, Boito 1842–1918), ähneln sich diese doch in mehrfacher Hinsicht. Das Striggio-Libretto folgt wiederum auf dem 3. Rang und ist somit in allen bisherigen Analysen an der Spitze anzutreffen. Auch unabhängig von seiner Kürze ist ihm somit ein reicher Wortschatz zu attestieren. Besonders wenige Hapax legomena weisen die Libretti von Quinault und Zeno auf, beides – auf der Grundlage der bisherigen Ergebnisse so zu bezeichnende – Beispiele für einen eher restringierten Wortschatz des Autors. Beschränkt man die Hapax nun auf die Kategorie der Substantive, so ergibt sich ein ähnliches Bild: [Tabelle 3.2.2.(2): Einmaligkeitsindex für die Substantive, Angaben in %] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

HL-Quotient (Substantive)

1

Q10

Boito, Otello

1887

60,4

2

Q9

Piave, Ernani

1844

58,4

3

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

57,2

4

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

54,9

5

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

53,6

6

Q8

Romani, Norma

1831

51,6

7

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

51,3

8

Q7

Rossi, Semiramide

1823

48,6

9

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

47,0

10

Q3

Quinault, Roland

1685

45,0

Wie sich zeigt, weichen die Ergebnisse für den Einmaligkeitsindex bei den Substantiven nicht stark von denen des gesamten Wortschatzes ab; lediglich Varescos Idomeneo rückt von Rang 7 auf Rang 3 vor, und Zeno und Quinault tauschen die beiden letzten Plätze miteinander. Auffällig ist an dieser Stelle, dass Varesco offensichtlich einen Schwerpunkt auf seltene Substantive legt, was wiederum für einen relativ reichen Wortschatz spricht. Das Varesco-Libretto weicht auch bei den qualitativen Analysen teilweise von den anderen Texten ab, etwa bei der Untersuchung der Interjektionen (cf. Kap. 4.1.2.), und zwar nicht, wie es von einem «schlechten» Libretto erwartet werden könnte, nach unten, sondern in Richtung eines durch Variation ausgezeichneten, «reichen» Wortschatzes.62

62

Dies weist bereits darauf hin, dass die Qualitätsbeurteilung der Varesco-Dichtung nicht nach sprachlichen Kriterien erfolgen darf, cf. hierzu weiter unten, Kap. 3.4.

124

Da ein Vergleich der HL in den 10 Libretti untereinander sich als sehr schwierig darstellt und den Rahmen einer quantitativen Analyse bei weitem sprengen würde, wird in der vorliegenden Arbeit darauf weitestgehend verzichtet. Dennoch lässt sich zum einen festhalten, dass in allen Libretti ein zumindest annähernd gleich hoher relativer Anteil an Substantiv-HL zu fi nden ist (zwischen 45 % aller Substantivbelege bei Quinault und 60,4 % bei Boito),63 was – ohne diese Ergebnisse zu überinterpretieren – auf ein insgesamt recht unkonventionelles, abwechslungsreiches Vokabular hindeutet. Zum anderen wiederholen sich viele der Substantive bei genauerer Betrachtung mehr oder weniger in allen Libretti; auch wenn – je nach Thema und Schwerpunkt des entsprechenden Librettos – die Okkurrenzen variieren können, treten doch einige der oftmals recht expressiven Substantive (amicizia, delirio, delizia, inferno, parricida, pena, rivalità, ruina, sepolcro, supplizio, vendicatore etc.) in mehreren Librettotexten auf und können als typisch für das Librettoidiom bezeichnet werden.64 Auf diesen eher qualitativen Gesichtspunkt soll an späterer Stelle, besonders im Rahmen der Betrachtung von Wortfeldern (cf. Kap. 4.1.3.), vertiefend eingegangen werden.65 3.2.2.2. Fazit In der Gesamtschau werden nach diesen ersten vier quantitativen Analysen bereits deutliche Tendenzen spürbar, deren Berechtigung durch die folgenden beiden wie auch die späteren qualitativen Analysen belegt werden muss: 1. Die 10 Libretti weisen insgesamt gemeinsame Charakteristika auf, was z. B. die Verteilung der Wortarten betrifft. Insofern sind sie als typische Vertreter einer mehr oder weniger einheitlichen Gattung zu betrachten. 2. Dennoch gibt es deutlich erkennbare und separierbare Untergruppen innerhalb des Korpus, die immer wieder gemeinsame Tendenzen aufweisen, welche sie von anderen Untergruppen abgrenzen. 3. Diese Untergruppen sind nur bedingt diachron erklärbar, da es keine klare Entwicklung von den Anfängen der Operngeschichtsschreibung bis zu den jüngeren Verdi-Opern gibt. Es finden sich jedoch immer wieder dieselben Libretti in einer Gruppe zusammen: Das Libretto von Quinault nimmt stets eine Sonderrolle ein und sticht in allen vier Analysen durch einen besonders restringierten Wortschatz

63 64 65

Cf. hierzu die Überblickstabelle 3.(1) zu Beginn dieses Kapitels. So ist etwa der Begriff abisme/abisso/abissi in immerhin 6 von 10 Libretti als HL vertreten, ähnliche Parallelen finden sich aller Orten. An dieser Stelle wäre aus umgekehrter Perspektive auch ein Blick auf die Art der besonders häufigen Wörter von Interesse, um eventuelle Parallelen oder Differenzen zwischen den Einzellibretti herauszuarbeiten, doch ist auch diese Art von Analysezugang eher den qualitativen Methoden zuzurechnen, weshalb hier ebenfalls auf das weiter unten folgende Kapitel 3.5. verwiesen sei, in dem diese Ergebnisse ausführlich dargestellt werden. Cf. vor allem Kap. 4.1.4. und als Übersicht die dort dargestellten Tabellen 4.1.4.(1) mit den 10 häufigsten Substantiven pro Libretto, ebenso Tabelle 4.1.4.(2) zu den Verben und Tabelle 4.1.4.(3) zu den Adjektiven.

125

hervor. Ebenso sind die beiden Wiener Libretti (von Zeno und Metastasio, Q 4 und Q5) durch ihre Länge wie durch ihre relative quantitative Monotonie auffällig. Einen «reichen» Wortschatz weisen dagegen Striggios Orfeo (Q1) – dessen hohe sprachliche Varianz nur teilweise durch die Kürze des Textes begründet werden kann – und die beiden Verdi-Opern (Piave und Boito, Q9 und Q10) auf. Die übrigen Libretti (Q2 Aureli, Q6 Varesco, Q7 Rossi, Q8 Romani) belegen das Mittelfeld und fallen nur sporadisch auf, so etwa das Varesco-Libretto, das – bezogen auf die geschilderten negativen Bewertungen dieses Textbuches – zumindest aus sprachlicher Sicht keineswegs so schlecht zu sein scheint wie sein Ruf. Viel versprechend scheint nun die weitere quantitative Betrachtung von weniger auf den Wortschatzreichtum als auf die Lexikostilistik bezogenen Aspekten zu sein. Können diese im Folgenden aufgestellten Indizes die Tendenzen aus den ersten Analysen bestätigen? In den darauf folgenden qualitativen Analysen soll darauf aufbauend aus gänzlich anderer Blickrichtung überprüft werden, ob zum einen von einem einheitlichen Librettoidiom gesprochen bzw. ob dieses aus der chronologischen Entwicklung heraus erklärt werden kann, wie es sich in Kap. 3.1.2. bereits angedeutet hat.

3.3.

Bivariate Analysen zur linguistischen Stilistik

Den Stil eines literarischen, seltener auch nicht-literarischen Werkes bzw. seines Autors zu bestimmen oder zu bewerten, ist ein schon lange existentes Ziel (geistes)wissenschaftlicher Forschung, das zu erreichen aus den verschiedensten Beweggründen – von der Bestimmung der Autorschaft anonymer Werken bis hin zur Forensik – als erstrebenswert gilt.66 Dabei stellt sich eine objektive Betrachtung oftmals als schwierig dar, denn es ergibt sich die Frage, mit welchen Kriterien man den Begriff «Stil» definieren und eingrenzen kann, ohne inhaltlich-subjektive Aspekte mit einzubringen. Dennoch ist es, das wurde bereits weiter oben (cf. Kap. 2.2.2.) konstatiert, mit Hilfe naturwissenschaftlicher Verfahrensweisen möglich, auch in der Literatur Messlatten anzulegen, die verschiedene Texte auf objektiver Basis miteinander vergleichbar werden lassen, und hier beginnt die Verschmelzung von quantitativen und qualitativen Methoden: «Die statistische Stilanalyse sucht nach quantitativen, meßbaren (objektiven) Korrelaten qualitativer (subjektiver) Stilmerkmale, auf deren Grundlage die intersubjektive Überprüfbarkeit stilistischer Urteile gewährleistet werden kann» (Mehler 2005, 340). Ursula Pieper leitet ihr Buch zur Aussagekraft statistischer Methoden für die linguistische Stilanalyse (cf. Pieper 1979) mit einem diesbezüglichen Zitat des Physikers Wilhelm Fucks ein, der sich intensiv an der Entwicklung der QL in Deutschland beteiligte und vor allem Fragen nach Stilistik, Textauthentizität

66

Cf. hierzu ausführlich Tweedie 2005, zusammenfassend Mehler 2005, 339s.

126

und Morphologie zu beantworten versuchte (cf. zu ihm bereits weiter oben, Kap. 2.2.2.): «Man hat gefragt: Wenn Shakespeare keinen ‹Hamlet›, Goethe keinen ‹Faust› und Beethoven keine ‹Neunte Symphonie› geschrieben hätten, könnten andere es getan haben? und man hat geantwortet: ganz gewiß nicht. Und weiter: Wenn nicht Robert Mayer den Energiesatz, Planck die Quantentheorie, Einstein die Relativitätstheorie, Hahn und Strassmann die Kernspaltung gefunden hätten, hätten dann andere all dies gefunden? Hierzu sagen manche: Sicherlich» (Fucks 1968, 7, cf. auch Pieper 1979, 13).

Für Fucks sind also Musik, Dichtung und Kunst nicht ohne eine gewisse im Künstlerindividuum verankerte Komponente lehr- oder erlernbar, die man als Talent, Genie, Veranlagung o. ä. bezeichnen könnte, dagegen aber wohl eine «Methode, in der Natur Gesetzmäßigkeiten zu finden» (ib.). Diese bestehe stets aus einem Dreischritt, nämlich der Kombination der Prozesse Beobachtung, Experiment und mathematische Beschreibung. Wende man sie auf Literatur an, so ergebe sich eine Art «linguistic engineering» (ib., 10/13), eine exakte Wissenschaft von Literatur. Nach Fucks ist demnach der Stil eines Werkes die Summe seiner objektiv fassbaren Eigenschaften (unter Ausschluss semantischer Merkmale).67 Pieper (ib., 13) weist hier einschränkend darauf hin, dass sich sprachlich Gestaltetes zwar quantitativ berechnen lässt, dass die statistische Erfassung jedoch stets nur eine Grundlage für die Bildung objektiver Gesetzmäßigkeiten darstellen kann und nicht automatisch zu allgemein gültigen Gesetzen führen wird.68 Allerdings orientiert sich Piepers Ansatz an einem Projekt, das im Prinzip noch einer «vortheoretischen Phase» (Zitat Karl-Heinz Best) der QL angehört; die heutige Forschung weiß, dass es Gesetze für fast alle Bereiche menschlicher Sprache gibt und nimmt diese als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Eine der Fragen, mit der sich die linguistische Stilistik (auch stilistisch ausgerichtete Linguistik, statistische Stilistik) seit nunmehr fast 150 Jahren befasst,69 ist die nach der Erklärung der Tatsache, dass zwei thematisch unterschiedliche Texte eines Autors sich in fast allen Fällen stilistisch ähnlicher sind als zwei thematisch gleiche Texte von unterschiedlichen Autoren. Während im Brennpunkt des Interesses dieser Disziplin heute vor allem Fragen nach dem literarischen Individual-

67

68 69

Eine ausführlichere Definition des Begriffes liefert Pieper (1979, 30–34), die zusammen fassend Stil als «eine jeweils spezifische Strukturgruppierung aus der Menge möglicher Strukturtypen», bzw. in der quantitativen Analyse als «Häufigkeit der Verwendung bestimmter Strukturgruppierungen» (ib., 33) interpretiert. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, inwiefern es überhaupt sinnvoll ist, sprachlich Gestaltetes bis in das letzte Detail auszuleuchten. Auf die Geschichte dieser Disziplin wird hier nicht vertiefend eingegangen, cf. hierzu ib., 13–29. Cf. außerdem Tuldava 2005; er führt zudem die weiteren Bezeichnungen stylostatistics, stylometrics und quantitative stylistics (ib., 368) auf. Praktische Beispiele für quantitativ-stilistische Analysen literarischer Werke liegen mit den bereits mehrfach zitierten Untersuchungen zum Wortschatz Corneilles (Muller 1979b), Racines (Bernet 1983) und Hugos (Brunet 1988) vor.

127

stil zur Ermittlung umstrittener Autorschaften, zur Genre-Klassifizierung oder zur chronologischen Einordnung von Werken stehen, soll in den hier folgenden Analysen mit Hilfe von zwei weiteren Quotienten ein Schritt hin zur Erforschung der intersubjektiven sprachlich-stilistischen Eigenschaften der Opernlibretti unternommen werden, insofern sie als solche miteinander vergleichbar und auswertbar sind oder gar homogenen diachronischen Veränderungen unterliegen. Da Stil immer auch in gewissem Maße mit Inhalt und Qualität zusammenhängt, erfolgt hierbei eine weitere Annäherung an die in Kap. 4. dargestellten qualitativen Analysen, indem nicht nur Quotienten ermittelt, sondern auch die dazu gehörigen Inhalte in Form von Okkurrenzen aufgeführt und bewertet werden. 3.3.1.

Bivariate Analyse 3: Der Konzentrationsindex

Bei der Analyse des Konzentrationsindex wird der Anteil der n häufigsten Wörter am Textvokabular ermittelt (cf. Mehler 2005, 333). Beispiele für die Anwendung dieses Quotienten sind in der Literatur nicht häufig, obwohl er Aussagen über die Varianz und den individuellen Stil eines Wortschatzes zulässt und somit ein Bindeglied darstellt zwischen den Analysen zum Wortschatzreichtum und den eher den Stil fokussierenden Untersuchungen. Die Basis dieses Index ist die Festlegung der Größe n, die die Analyseergebnisse signifikant beeinflusst. So hat etwa Norman (1988) bei seinem bereits beschriebenen Vergleich der 11 RacineTragödien mit den 11 Libretti Quinaults die jeweils 501 am häufigsten auftretenden Okkurrenzen ermittelt und stellt fest, dass diese Formen bei Quinault 89,5 % des Gesamtwortschatzes aller Libretti ausmachen (cf. ib., 289), was das bereits früher erwähnte Urteil erhärten würde, dass Quinault mit einem sehr restringierten Wortschatz auskommt, dessen Wörter sich ständig wiederholen (cf. weiter oben, Kap. 3.1. und 3.2.). Allerdings ergibt sich für die auch aus sprachlicher Sicht allgemein sehr geschätzten Tragödien Racines ein ähnlich hoher Wert von 85 %, womit Norman das Vorurteil bezüglich Quinault als entkräftet ansieht.70 Er betont, dass jeder Autor – so «originell» er auch formulieren mag – eine eher kleine Anzahl von Wörtern häufig verwendet, die stets mehr als die Hälfte des Textes ausmacht. Interessant sei vielmehr die Frage danach, ob es Wörter gibt, die häufiger als andere verwendet werden und welche dies im Einzelnen seien.71 Für den Vergleich von Quinault und Racine ermittelt Norman darauf hin – jedoch ohne explizit quantitative Methodik – Wörter, die als für Quinault typisch erscheinen (sehr pauschal als «Words appearing more than once», ib., 297, umschrieben), im Wortschatz Racines aber nicht auftreten (mit mehr als 10 Okkurrenzen sind dies

70 71

Norman unterliegt hier mehrfach der Versuchung, Wortschatzreichtum mit Originalität gleichzusetzen. Diese sicherlich bedenkenswerten Ansätze führen m. E. zu weit von einer quantitativen Analyse fort und werden daher in der vorliegenden Arbeit im auf qualitativen Methoden basierenden Analyseteil, besonders im Rahmen der Wortfelduntersuchung (cf. Kap. 4.1.5.), behandelt.

128

lediglich assistance, zéphyr, plutôt, enchantement und faiblesse).72 In der Kategorie «Words appearing in Quinault’s libretti much more frequently than in Racine’s tragedies» (ib., 298) listet er 50 Wörter auf, ausschließlich Substantive, Adjektive und Verben, die mangels einer Interpretation jedoch wenig aussagekräftig bleiben (die Wörter mit den häufigsten Belegen sind hierbei amour, aimer, cœur, trop, dieu, doux, heureux und suivre).73 Den Unterschied zwischen Quinault und Racine fasst er schließlich damit zusammen, dass Ersterer «a lyric rather than a dramatic poet» und das Genre des Librettos «a simpler text, of a nature different from that of dramatic poetry» (ib., 292) sei. 3.3.1.1. types-Frequenzen Um die folgende Analyse auf eine objektivere Basis zu stellen, sollen für alle Libretti aus Korpus Q die jeweils 10 häufigsten Wörter (types) mit ihrer Gesamtokkurrenzenzahl (tokens) aufgelistet werden, zunächst bezogen auf alle Wörter, danach unter Ausschluss der Funktionswörter, Hilfsverben etc. (cf. Tabelle 3.3.1.(1)). Wie hier schnell ersichtlich wird, bestehen die Auflistungen der 10 häufigsten Wörter ausnahmslos aus Funktionswörtern, Hilfsverben etc., was nicht weiter überraschend ist, jedoch auch keine weiter führenden Interpretationen zulässt. Als am Rande erwähnenswert erscheint die Tatsache, dass bereits in einer einfachen Tabelle wie der vorliegenden deutliche sprachstrukturelle Differenzen zwischen dem Französischen und dem Italienischen zu Tage treten, etwa im Bereich der im Italienischen überwiegend synthetischen Verbflexion, die sich im analytisch dominierten Französischen durch eine viel höhere Anzahl an Personalpronomen äußert. Um ein inhaltlich relevanteres Bild zu erhalten, werden in einer weiteren Tabelle (cf. Tab. 3.3.1.(2)) quasi als Vorstufe zur Ermittlung des eigentlichen Häufigkeitsindexes die jeweils 10 häufigsten types unter den Substantiven, Namen, Adjektiven und Verben (ohne Hilfsverben) dargestellt.

72

73

Die Kategorien, die Norman als «particularly characteristic of these libretti» (ib., 291) bezeichnet, sind die Bereiche Musik, «heroic, military or divine strength» (ib.) und Magie bzw. Übernatürliches sowie Wörter aus dem Bereich der lyrischen oder pastoralen Dichtung. Mit dieser zunächst interessant erscheinenden Zuordnung begibt sich Norman jedoch auf eine rein semantisch-interpretative Ebene, die sich in der eben erwähnten quantitativ ausgerichteten Auflistung der Wörter, die bei Quinault mehr als einmal und bei Racine nicht auftreten, nicht widergespiegelt sieht. Bei Vergleichen dieser Art ist es m. E. unabdingbar, den thematischen Kontext der Werke mit zu berücksichtigen – unabhängig davon, ob es sich um Libretti oder Sprechdramen handelt. Anders als Norman unterscheidet etwa Bernet (1983), den Norman mehrfach zitiert, zwischen den «tragédies profanes» und den «tragédies sacrées» (ib., 177 und passim) Racines und ermittelt in der Tat recht unterschiedliche quantitative Werte für diese beiden Untergruppen.

129

[Tabelle 3.3.1.(1): Die jeweils 10 häufigsten types in den Libretti aus Korpus Q]74 Nr.

Librettist, Titel

Jahr

10 häufigste types mit Okkurrenzenanzahl

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

il (381),75 e (148),76 di (113), che (76),77 a (73), mio (54), in (49), da, essere (48), avere, non, più, questo (41)

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

il (462), a (187), e (185), essere (176), non (162), che (155),78 la (149), che (131),79 mio (123), in (115)

Q3

Quinault, Roland 1685

de (347), être (226), vous (190), le (174), mon (163), que (152),80 ne (146), je (138), il (133), ce (132)

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

il (625), e (289), essere (202), mio (167), che (156),81 al (119), tuo (116), del (111), a (110), non (108)

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

il (583), essere (293), non (206), e (198), che (169),82 di (145), io, mi (128), mio (127), a (121)

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

il (286), e (148), essere (115), di (93), salma (91), oh (82), a, mio (72), che (70),83 mi (59)

Q7

Rossi, Semiramide

1823

il (327), e (149), a, al (109), mio (94), essere (85), di (83), tu (63), che, del (61)

Q8

Romani, Norma

1831

il (244), e (133), essere (115), ah (101), io (86), di (83), al (78), mio (61), mi (58), del (55)

Q9

Piave, Ernani

1844

il (330), essere (121), di (99), e (71), mio (65), che (60), al (59), a, non (57), me (52)

Q10

Boito, Otello

1887

il (261), e (206), essere (181), le (134),84 che (106), del (82), mio (81), al (75), un (72), a (59)

75 76 77

74

75

76 77 78 79 80 81 82 83 84

78 79

80 81 82 83 84

Aufgeführt wird jeweils die Grundform eines Wortes (type), ergänzt vorläufig nur um die absoluten Zahlenwerte der dazu gehörigen Okkurrenzen. Zu lesen ist die Tabelle dann wie folgt: In Libretto Q1 treten insgesamt 381 Okkurrenzen (tokens) des Wortes (im Sinne von type) il auf. Darunter zusammengefasst sind 89 il, 67 l’, 39 i, 34 la, 29 le, 18 gli, 12 ’l und je 2 gl’ und lo, die hier jedoch nicht explizit genannt werden. Aufgeführt werden ausschließlich eindeutige Artikelokkurrenzen; die in den Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts auftretenden Alternativformen des direkten Objektpronomens (Typ E Norma il sa?, Q8 Romani, Norma II 5) bleiben hier unberücksichtigt, da ihre Auftretenshäufigkeit relativ gering ist. Zur Identifizierung solcher homographen Alternativformen ist ein sog. kwic-Index nützlich, cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.1.3.1., bes. Beispiel 4.1.3.(1). Als Konjunktion. Als Relativpronomen. Als Konjunktion. Als Relativpronomen. Als Relativpronomen. Als Relativpronomen. Als Relativpronomen. Als Relativpronomen. Als Personalpronomen.

130

[Tabelle 3.3.1.(2): Die jeweils 10 häufigsten types (ohne Funktionswörter) in den Libretti aus Korpus Q] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

10 häufigste types (ohne Funktionswörter)

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

cuore (32), cielo (26), Orfeo (23), ogni (20), fare, sole (19), lieto (16), bello (14), bene, giorno, potere (12)

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

cuore (96), amore (59), fare (39), seno (38), amare (34), bello (33), Aristeo (32), Euridice (30), Achille, alma (29)

Q3

Quinault, Roland

1685

amour (106), plus (68), aimer (62), faire (57), Medor (50), pouvoir (49),85 coeur (48), aller, vouloir (45), voir (43)

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

amore (65), cuore (55), Teuzzone, volere (35), andare, reo (32), fare (29), dire (28), cielo, regina (26)

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

volere (59), sapere (54), voce (53), dire (49), reo (43), Megacle (42), Licida (40), amico (38), Aristea, fare (32)

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

figlio (29), nume (28), amore, cuore (26), cielo, dio (23), Nettuno, padre (20), vedere (18), andare (17)

Q7

Rossi, Semiramide

1823

cuore (49), Arsace (39), sapere (30), Assur (29), cielo (28), Nino (23), amore, orrore, reo (22), dio (20)

Q8

Romani, Norma

1831

cuore (36), dio (33), cielo (28), figlio (23), lasciare (20), andare, deh (19), dolore (16), fare (15), Adalgisa, amore, morire (14)

Q9

Piave, Ernani

1844

cuore (41), reo (33), Ernani (26), Silva (24),86 volere (24), amore, vedetta (23), venire (22), Elvira, sapere (20), fare, potere (19)

Q10

Boito, Otello

1887

Cassio (39), cielo (35), Otello (31), Desdemona (24), cuore, mano, vedere (23), amore, Jago (21), credere (20)

85 86

Ohne an dieser Stelle den später folgenden qualitativen Analysen (besonders dem lexikalisch ausgerichteten Kap. 4.1.) vorweg greifen zu wollen, kann man hier bereits – und dies nun sprachenübergreifend – die große Ähnlichkeit der Libretti

85 86

Als Verb. Als Eigenname.

131

auf semantischer Ebene erkennen. In nahezu allen Texten spielen das Herz (in 8 Libretti unter den Top Ten) und die Liebe (in 7 Libretti) die Hauptrolle, gefolgt von Himmel (6 Libretti), König (4) und Gott (3). Im Bereich der Verben sind besonders die «aktionsreichen» types (cf. hierzu die Analysen zum Aktionsindex in Kap. 3.3.2.) fare/faire (7 Libretti), volere/vouloir und andare/aller (4), gefolgt von vedere/voir und sapere (3) häufig anzutreffen, was ebenfalls auf ein gattungstypisches Kennzeichen hindeutet. Alle Libretti weisen einen hohen relativen Anteil an Wörtern aus dem dramatischen, emotionalen Wortschatz auf, und zwar trotz der thematisch teilweise sehr unterschiedlichen Ausrichtung (griechische Tragödienstoffe, mittelalterliche Ritterepen, romantische Dramen).87 3.3.1.2. Konzentrationsindex I Der eigentliche Konzentrationsindex untersucht nun, welchen Anteil am Gesamtwortschatz diese häufigsten Belege aufweisen. Dabei kann man verschiedene Messwerte anlegen; anders als Buford Norman, der den Anteil der 501 häufigsten Wörter am Gesamtwortschatz aller 11 Libretti Quinaults (= insgesamt 68.515 tokens) bzw. aller 11 Tragödien Racines (= 158.899 tokens) berechnet hatte, sollen hier die Indizes jeweils auf den einzelnen Text bezogen ermittelt werden, um eine Vergleichbarkeit zwischen den von 10 unterschiedlichen Autoren stammenden Libretti herzustellen. Dabei wird zunächst der Wert für die 10 häufigsten types berechnet, danach für die jeweils 100 häufigsten Wörter. [Tabelle 3.3.1.(3): Konzentrationsindex I: Anteil der 10 häufigsten types am jew. Gesamtlibretto] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Anzahl 10 häufigste types/gesamt

Konzentrationsindex I ( %)

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

1031/3966

26,0

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

1837/8607

21,3

Q3

Quinault, Roland

1685

1801/7446

24,2

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

2008/8010

25,1

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

2108/9095

23,2

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

1097/4420

24,8

Q7

Rossi, Semiramide

1823

1149/5119

22,4

Q8

Romani, Norma

1831

1020/4649

21,9

Q9

Piave, Ernani

1844

974/4332

22,5

Q10

Boito, Otello

1887

1264/6007

21,0

87

Cf. hierzu Kap. 2.1. und 4.1.2., dort besonders Tabelle 4.1.2.(2).

132

Auch hier ist wieder eine unerwartet klare Einheit feststellbar. Trotz der teils stark voneinander abweichenden absoluten Zahlen liegt der relativ ermittelte Quotient in allen Fällen zwischen 21 und 26 %, d. h. im Klartext, dass ca. ein Viertel des Wortschatzes eines jeden Librettos aus Okkurrenzen der in Tabelle 3.3.1.(1) jeweils aufgeführten 10 häufigsten Wörter besteht, unabhängig von individuellen oder historischen Faktoren.88 Eine Differenzierung zwischen den Einzellibretti ist hier wenig sinnvoll, da zwar das älteste Libretto den höchsten und das jüngste den niedrigsten Index aufweist, jedoch keine irgendwie geartete gleichmäßige Entwicklung festzustellen ist.89 3.3.1.3. Konzentrationsindex II Erhöht man nun den Wert von n auf 100, so ergibt sich folgendes Bild: [Tabelle 3.3.1.(3): Konzentrationsindex II: Anteil der 100 häufigsten types am jew. Gesamtlibretto] Nr.

Librettist, Titel

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo 1607 2220/3966

56,0

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672 4944/8607

57,4

Q3

Quinault, Roland

1685 5099/7446

68,5

Q4

Zeno, Teuzzone

1719 4646/8010

58,0

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733 5297/9095

58,2

Q6

Varesco, Idomeneo

1781 2712/4420

61,4

Q7

Rossi, Semiramide

1823 3131/5119

61,2

Q8

Romani, Norma

1831 2793/4694

59,5

Q9

Piave, Ernani

1844 2543/4332

58,7

Q10

Boito, Otello

1887 3308/6007

55,1

88

89

Jahr Anzahl 100 häufigste types/gesamt

Konzentrationsindex II ( %)

Interessant wären hier Vergleichswerte aus anderen Textsorten. Helmut Meiers Deutsche Sprachstatistik (cf. Meier 1964) bietet erste Ansätze, so ist etwa sein Gebrauchs-Gipfel der deutschen Wortformen, der die 207 häufigsten Wortformen der Schriftsprache um 1900 wiedergibt (cf. ib., 52), sehr aussagekräftig, kann jedoch im hier geschilderten Zusammenhang keine weiteren Vergleichsgrößen liefern. Festzuhalten ist jedoch, dass Q1, das immer wieder auffällige Striggio-Libretto, beim Konzentrationsindex I auf Rang 1 steht (die 10 häufigsten Wörter machen 26 %, also über ein Viertel des Gesamttextes aus, was in Korpus Q sehr viel ist), beim Konzentrationsindex II jedoch auf Rang 9 (die 100 häufigsten Wörter machen 56 % des Gesamttextes aus, was im Vergleich sehr wenig ist). Striggio scheint demnach einige wenige Wörter überaus häufig zu verwenden, was sich bei anwachsender Textmenge jedoch mehr und mehr relativiert. Hier scheint die geringe Textumfang einen Störfaktor darzustellen, der die weiter unten beschriebene mathematische Normierung der Werte notwendig werden lässt. Eine ähnliche Tendenz ist bei Libretto Q4 (Zeno) feststellbar, das von Rang 2 bei K I auf Rang 7 bei K II abfällt.

133

Dieser Index lässt nun in der Tat deutlichere Hinweise auf den Stil bzw. den Wortschatzreichtum des Autors zu. Die Werte schwanken zwischen 55,1 % und 68,5 %, was einen erheblich weiteren Interpretationsrahmen ergibt als der Konzentrationsindex I. Blickt man auf den auffälligsten, weil höchsten Wert, so stellt man ohne große Überraschung fest, dass es sich wiederum um das Quinault-Libretto (Q3) handelt, das mit 68,5 den Extremwert einnimmt und damit zum wiederholten Male ein nach unten ausschlagendes Ergebnis aufweist, da ein hoher Index tendenziell als Hinweis auf einen weniger reichen Wortschatz zu bewerten ist.90 Wenn über 68 % aller Belege aus 100 types gespeist werden, so kann vorsichtig geschlossen werden, dass der entsprechende Autor mit einem relativ restringierten Wortschatz auskommt – und das Ergebnis ist in diesem Fall, schaut man auf die voran gegangenen Analyseergebnisse, keineswegs neu. So sticht Quinaults Libretto bisher sowohl durch ein hohes durchschnittliches Wortvorkommen hervor als auch durch ein niedriges Type-token-Verhältnis und wenig zahlreiche Hapax legomena, was in der Zusammenschau auf einen nicht sehr variationsreichen Stil hindeutet.91 Das Libretto mit dem niedrigsten Konzentrationsindex ist Boitos Otello, in dem nur 55,1 % des Wortschatzes, also über 10 % weniger als bei Quinault, von den 100 häufigsten types ausgemacht werden. Auch dieses Resultat überrascht auf der Folie der bisherigen Analysen wenig, denn das Libretto von Boito fiel bereits durch die im Korpus Q niedrigste Wortwiederholungsrate und den höchsten TTR-Wert auf und gilt nach dem jetzigen Stand der Dinge – bestärkt durch das vorliegende Ergebnis – als vermutlich variations- und wortschatzreichstes Libretto im Analysekorpus. Wie lassen sich die übrigen Libretti in das Gesamtbild einordnen? Eine Rangfolge der Indexwerte ergibt folgende Aufstellung:

90

91

Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass ein eingeschränkter Wortschatz nicht unbedingt negativ im Sinne von «wenig Varianz = wenig Originalität» zu bewerten ist, man kann ihn durchaus auch als «viel gesagt mit wenig Worten» interpretieren. Beim Konzentrationsindex I lag Q3 im übrigen auf Rang 4, was dafür spricht, dass Quinault – anders als Striggio – im unteren Frequenzbereich einen recht variablen Wortschatz verwendet, während derselbe im mittleren Bereich von Konzentrationsindex II deutlich invariabler wird. Allerdings weist Karl-Heinz Best darauf hin, dass die Wortlängen im Französischen in verschiedenen Textklassen wesentlich geringer sind als im Italienischen, was auf die Tatsache hindeutet, dass die Wortbildung, wie bereits erwähnt, im Italienischen synthetischer und im Französischen analytischer geprägt ist. Bei der analytischen Bildung müsste jedoch auch der Grad der Wortwiederholung größer sein, was die Sonderstellung Quinaults hinsichtlich des Konzentrationsindexes erklären würde. Derartige Vergleiche sollten demnach nur innerhalb einer Sprache stattfinden; Quinaults Texte sollten hier in einer Folgeanalyse mit anderen französischen Werken verglichen werden.

134

[Tabelle 3.3.1.(4): Rangfolge zu Konzentrationsindex II] Rang

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Konzentrationsindex II

1

Q3

Quinault, Roland

1685

68,5

2

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

61,4

3

Q7

Rossi, Semiramide

1823

61,2

4

Q8

Romani, Norma

1831

59,5

5

Q9

Piave, Ernani

1844

58,7

6

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

58,2

7

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

58,0

8

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

57,4

9

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

56,0

10

Q10

Boito, Otello

1887

55,1

Ein Teil der Ergebnisse erscheint vertraut: So finden sich etwa die beiden Wiener Libretti von Metastasio und Zeno wie bereits mehrfach beobachtet sehr nah zusammen im Mittelfeld der Ergebnisse. Beide sind sehr lang (8010 Okk. bei Q4, 9095 bei Q5) und bisher stets eher unauffällig in Bezug auf ihren Wortschatzreichtum. Auch hier zeigt sich, dass der Index – ca. 58 % der tokens werden von 100 types gebildet – mit Rang 6 und 7 den üblichen Wert im unteren Mittelfeld wiedergibt. Unerwartet niedrige Werte weisen die beiden ältesten Libretti von Striggio und Aureli auf, wobei der Index bei Striggio durch die Kürze des Textes (3966 Okk.) erklärbar ist (die durchschnittliche Wortwiederholungsrate sinkt in der Regel mit wachsendem Textumfang), bei Aureli (8607 Okk.) jedoch nicht. Varescos Idomeneo weist den zweithöchsten Index auf, was dem in den voran gegangenen Kapiteln erwähnten allgemeinen (Vor)Urteil von der geringen Qualität dieses Librettos entspräche, jedoch in den bisherigen Analysen eher widerlegt wurde, so weist der Idomeneo einen hohen Substantiv-Einmaligkeitsindex (Rang 3 in Korpus Q), eine relativ niedrige Wortwiederholungsrate (Rang 4) und einen relativ hohen TTR-Wert (Rang 4) auf. Eine diachrone Interpretation des Konzentrationsindex fällt indes schwer, da keine eindeutige kontinuierliche Entwicklung feststellbar ist und man wiederum mehr von individuell als von historisch geprägtem Stil sprechen sollte.

3.3.1.4. Normierter Konzentrationsindex Ein statistisches Problem stellt auch hier die unterschiedliche Länge der Libretti dar, die zwar, wie bereits erwähnt, aus quantitativ-linguistischer Perspektive ver135

nachlässigt werden kann, doch stellt diese Pauschalisierung den Statistiker nicht vollends zufrieden.92 Eine Lösung ist die mathematische Normierung der Werte, d. h. die Umwandlung der gesamten Werte in prozentuale Angaben, die die absolute Länge (= hier: Wortanzahl) des jeweiligen Textes somit nicht berücksichtigen. Mit Hilfe eines Diagramms werden dabei drei verschiedene Werte (Quantile) dargestellt, nämlich jeweils das Verhältnis der types-Anzahl an 25 %, 50 % und 75 % des Gesamttextes: [Diagramm 3.3.1.(1): Normierter Konzentrationsindex mit drei Durchschnittswerten bei 25, 50 und 75 %] 30,00%

25,00 %

20,00%

19,61% 15,00%

17,91%

16,23%

18,05%

18,21%

4,71%

4,15%

4,56%

19,02%

16,23% 15,35% 10,00%

5,00%

0,00%

14,10% 10,78%

5,87% 3,96%

3,91%

3,14%

2,96%

3,89%

3,39%

1,31%

0,83%

1,16%

0,81%

0,77%

1,13%

1,43%

1,35%

1,23%

0,93%

Q1

Q2

Q3

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

Q9

Q10

Das Diagramm 3.3.1.(1) ist wie folgt zu lesen: 1,31 % (dunkelgrauer Balken) der types von Q1 machen 25 % des gesamten Textes aus (types-bezogen), weitere 5,87 % (= insgesamt 7,18 %, hellgrau) machen bei diesem Libretto 50 % aus, weitere 19,61 % (= insgesamt 26,79 %, weiß) machen 75 % aus. Prozentual gesehen hat also das Striggio-Libretto (Q1) bei 75 % den höchsten Wert, was als Hinweis auf einen variablen Wortschatz zu lesen ist: Während bei Q1 (Striggio) drei Viertel des gesamten Textes durch 26,79 % der types zusammengesetzt werden, sind es bei Q3 (Quinaults Roland, der zum wiederholten Mal den negativem Spitzenwert bildet) nur 14,9 % der types, die das Libretto konstituieren; Quinault nutzt also wenige Wörter viel öfter als Striggio (cf. hierzu auch bereits die Berechnung des

92

Cf. hierzu das weiter oben erwähnte Problem, dass bei dem kurzen Libretto Q1 die beiden Indexwerte K I und K II stark voneinander abweichen, was sicherlich durch die Textlänge beeinflusst wird.

136

durchschnittlichen Wortvorkommens in Kap. 3.1.1., die ein ähnliches Resultat ergibt). Bei den italienischen Libretti sind es vor allem Q2 (Aureli) und Q5 (Metastasio), die durch niedrige Werte bei 75 % des Textes (19,32 % bzw. 18,26 %) auffallen, also – zumindest an dieser Stelle – einen recht «armen» Wortschatz im Sinne von geringer Varianz aufweisen. Hohe Werte haben in unerwartet klarer Weise die Libretti Q6 bis Q10 (Q6 Varesco: 23 %, Q7 Rossi: 22,39 %, Q8 Romani: 23,55 %, Q9 Piave: 24 %, Q10 Boito: 23,86 %), Q2 (Aureli) und Q4 (Zeno) weisen eher Mittelwerte auf. Hier wäre also vorsichtig eine chronologische Entwicklung dahin gehend festzustellen, dass die früheren Libretti (ausgenommen Striggio) insgesamt mit eher weniger types bei 75 % des jeweiligen Gesamttextes auskommen, während die Libretti ab 1781 recht viele verschiedene types aufweisen.93 Diese Ergebnisse relativieren sich jedoch teilweise, wenn man den Anteil am Textvokabular verkleinert. So sind die geschilderten Tendenzen bei der Betrachtung von nur 50 % des Textvolumens deutlich weniger erkennbar bzw. bei 25 % sogar stark verändert: Ein Viertel des Textes wird jetzt bei Q5 (Metastasio) mit der geringsten types-Menge dargestellt (0,77 %), bei Q7 (Rossi) mit der höchsten (1,43 %). Die Abweichungen sind hier jedoch, ähnlich wie weiter oben bei den 10 häufigsten types, statistisch gesehen wenig relevant, da es sich um Abweichungen von weniger als 0,6 % handelt. Im Bereich der niedrigen Werte ist das Konzentrationsindex-Diagramm in der hier dargestellten Form somit weniger aussagekräftig als auf der oberen Werteskala. Festzuhalten gilt, dass zum wiederholten Mal das älteste Libretto von Striggio eine Sonderrolle einnimmt, und dies auch in normierten Analysen, die die Länge bzw. hier die außergewöhnliche Kürze des Textes nicht berücksichtigen. Eine andere Art der Darstellung dieser normierten Berechnung des Konzentrationsindexes ist die prinzipiell gut geeignete, da übersichtliche Verwendung von Kurven, in denen dasselbe Verhältnis ohne die drei gegebenen Eckpunkte 25, 50 und 75 % lückenlos wiedergegeben werden kann:

93

Dies lässt sich, wie bereits erwähnt, nicht als eindeutig positiv oder negativ interpretieren, da sowohl die Aussage «verwendet wenig types, ist also eher monoton» bzw. «verwendet viele types, ist also variantenreich» als auch die Deutung «vermag viel mit wenigen types auszusagen» bzw. «sagt wenig mit vielen Worten» möglich wären. Dennoch ist der jeweilige Konzentrationsindex zumindest als eindeutiges individuelles Kennzeichen zu bewerten, wenn auch die Verknüpfungen mit den musikhistorischen Entwicklungen schwierig erscheinen.

137

[Diagramm 3.3.1.(2): Normierter Konzentrationsindex in Kurven ohne Quantile] Q1 Striggio 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% Q2 Aureli 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

138

Q3 Quinault 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

Q4 Zeno 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

139

Q5 Metastasio 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% Q6 Varesco 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

140

Q7 Rossi 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

Q8 Romani 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

141

Q9 Piave 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% Q10 Boito 100,00% 90,00% 80,00% 70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00%

142

Die Darstellung der 10 Kurven zeigt jedoch, dass eine Differenzierung der Ergebnisse sich in diesem Fall schwierig gestaltet. Alle Kurven weisen einen mehr oder weniger identischen Verlauf auf, und erst der intensive Blick auf die (vergrößerten) Diagramme offenbart leichte Unterschiede. Am auffälligsten ist die Differenz wiederum zwischen Q1 (Striggio) und Q3 (Quinault), da das erst genannte Libretto im unteren Bereich die flachste und das jüngere Libretto den steilsten aller Kurvenverläufe produziert. Insgesamt wird deutlich, wie stark der Einfluss der graphischen Darstellung auf die Präsentation und Auswertung der gewonnenen Analyseergebnisse ist. 3.3.1.5. Fazit Der Konzentrationsindex hat sich als probates Maß sowohl für den Wortschatzreichtum als auch für den Stil eines Textes erwiesen. Dabei ist hier – mehr als in den anderen bisher dargestellten statistischen Verfahren – der Ansatz des Referenzwertes Ausschlag gebend für die Deutlichkeit der Ergebnisse, da die Libretti mit ihrem aus quantitativer Sicht recht geringen Umfang im unteren Prozentbereich keine klar auswertbaren Resultate liefern. Im Bereich ab ca. 100 Wörter bzw. ab ca. 50 % der Gesamttextmenge sind sie dagegen gut interpretierbar, und hier führen die Ergebniswerte zu ähnlichen Auswertungen wie schon die vorher gehenden Analysen: Stets stellen die Libretti von Striggio (Q1) und Boito (Q10) die Extreme nach oben, also in Richtung eines variationsreichen Wortschatzes mit individueller Stilausprägung dar, während das Libretto von Quinault (Q3), teils auch das von Zeno (Q4) und von Metastasio (Q5), das Extrem nach unten und somit zu einem weniger variationsreichen, statischeren Wortschatz und Stil ausmachen. Die Kombination mehrerer unterschiedlicher bivariater statistischer Verfahren wirkt hier zunehmend als Beleg für die auf der Grundlage der beiden univariaten Analysen bereits weiter oben angedeuteten Tendenzen innerhalb des Librettokorpus Q. 3.3.2.

Bivariate Analyse 4: Der Aktionsindex

Unter dem Aktionsindex eines Textes versteht man im Allgemeinen das Verhältnis der Zahl von Verben und Adjektiven (= Aktionsquotient, auch Verb-Adjektiv-Quotient, cf. Pieper 1979, 68s.), zumeist berechnet mit der Formel Q = v/a.94 Dabei steht v für die Anzahl der «aktiven» oder «aktionsreichen» Verben im Text, a für

94

Erstmals definiert wurde der Aktionsquotient durch den Pädagogen und Psychologen Adolf Busemann (1887–1967), der damit in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zwischen so genannten «Aktionsphasen», in denen bei den Probanden die Verben besonders zahlreich auftraten, und «Qualitätsphasen», in denen sie mehr Adjektive verwendeten, unterschied (Die Sprache der Jugend als Ausdruck der Entwicklungsrhythmik, Jena, Fischer, 1925), cf. dazu etwa Altmann/Altmann 2005, 86. Zu Busemann cf. auch Best 2008.

143

die Anzahl der Adjektive.95 Ist die Anzahl der Verben in einem Text höher als die der Adjektive (also Q im Intervall (1,∞)), so gilt dieser als besonders «aktiv», überwiegen die Adjektive (ist Q also im Intervall (0,1)), so gilt er als eher «qualitativ» oder «deskriptiv». Da diese Vorgehensweise, wie Altmann anschaulich darlegt (cf. Altmann 1978, 92–95, und id. 1988, 19s.), jedoch nicht unproblematisch ist,96 wird hier seinem Verbesserungsvorschlag folgend der Quotient mit der Formel Q' = v/(a + v) berechnet, die Werte des Indexes werden somit auf das Intervall beschränkt. Ist der Quotient im Ergebnis größer als 0,5, so tritt die Hypothese der erhöhten Aktivität ein, ist sie kleiner als 0,5, so nimmt man die Hypothese der erhöhten Deskriptivität an, ist sie gleich 0,5, so spricht man von der Nullhypothese (cf. id. 1978, 94s., und id. 1988, 21). 3.3.2.1. Rangfolge der Aktionsquotienten Alle Libretti in Korpus Q weisen einen Quotienten auf, der größer oder gleich 0,5 ist, und sind somit als eher «aktive» Texte zu bezeichnen, die mehr Verben als Adjektive aufweisen (cf. Tabelle 3.3.2.(1)). Man muss jedoch erwähnen, dass dies für literarische Texte der Normalfall zu sein scheint, so führt etwa Altmann (1988, 33) Ergebnisse einer früheren Untersuchung von H. Fischer (1969) an, nach denen von 10 untersuchten deutschen Texten nur einer einen Quotienten aufweist, der unter 0,5 liegt, also eher «aktionsarm» ist (M. Waser, Auf der See, Aktionsquotient = 0,37). Alle anderen Quotienten liegen zwischen 0,54 (A. Stifter, Die Lawine) und 0,90 (J. G. Herder, Die drei Freunde). Allerdings beruhen die Ergebnisse des Herder-Textes auf sehr geringen absoluten Zahlen (37 Verben, 4 Adjektive), so dass – wie auch Altmann andeutet (cf. ib., 34) – der Quotient mit Risiko gebildet wurde, das wiederum auf den insgesamt geringen Umfang des Beispieltextes zurück zu führen ist. Kurz gesagt: Statistiken dieser Art sind immer nur sehr bedingt aussagekräftig und aus linguistischer Sicht mit Vorsicht zu genießen. Auch Pieper (1979, 68s.) warnt vor einer Überbewertung von Ergebnissen der Verb-Adjektiv-Quotientbildung, stellt jedoch gleichzeitig sehr

95

96

Problematisch erscheint die Definition der «aktionsreichen» Verben. Pieper (1979, 68) schlägt vor, nur finite Verbformen für die Quotientbildung zu berücksichtigen, während Altmann/Altmann (2005, 86s.) nur diejenigen Verben zählen, «die echte Aktivität ausdrücken» (ib., 87). Sie schlagen vor, bei Verben den Aktivitätsgrad zu messen und Verben wie reiten, tun etc. aufzunehmen, sein, haben, ruhen etc. jedoch auszuschließen. In der vorliegenden Analyse wurde Piepers Vorgehensweise gefolgt, da der Altmannsche Ansatz als sehr subjektiv erscheint. Bernet (1983, 173) entscheidet sich für eine weitere Möglichkeit und zählt alle Verben außer den Hilfsverben. So führt Altmann etwa an, dass ein Index in der linguistischen Statistik erst dann einen Wert hat, wenn man aus ihm eine eindeutige philologische Interpretation gewinnen kann (cf. Altmann 1978, 104s.). Im Falle des Aktionsquotienten stellen sich mehrere Probleme, wenn man ihn falsch anwendet oder missdeutet, also ihn z. B. als Ausdruck einer Eigenschaft statt als den eines Gleichgewichtszustandes interpretiert. Auch besteht die Gefahr einer statistischen Überinterpretation (cf. ib., 92s.).

144

[Tabelle 3.3.2.(1): Der Aktionsquotient (Rangfolge)] Rang Nr.

Librettist, Titel

Jahr Anzahl finite Anzahl AktionsVerben absolut Adjektive quotient (relativ) absolut (relativ)

1

Q8

Romani, Norma

1831 898 (19,1 %)

367 (7,8 %)

0,71

2

Q3

Quinault, Roland

1685 1301 (17,5 %)

591 (7,9 %)

0,69

1844 795 (18,4 %)

3

Q9

Piave, Ernani

391 (9,0 %)

0,67

4

Q5

Metastasio, L’Olimpiade 1733 1656 (18,2 %)

900 (9,9 %)

0,65

5

Q4

Zeno, Teuzzone

1719 1327 (16,6 %)

792 (9,9 %)

0,63

5

Q10 Boito, Otello

1887 1116 (18,6 %)

643 (10,7 %)

0,63

5

Q7

Rossi, Semiramide

1823 830 (16,2 %)

480 (9,4 %)

0,63

8

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672 1443 (16,8 %)

870 (10,1 %)

0,62

9

Q6

Varesco, Idomeneo

1781 676 (15,3 %)

463 (10,5 %)

0,59

10

Q1

Striggio, La fav. d’Orfeo 1607 512 (12,9 %)

516 (13,0 %)

0,50

überzeugende Resultate einer Auswertung des Quotienten für unterschiedliche Textsorten vor, die es erlauben, von textgruppentypischen Werten zu sprechen. So enthalten in ihrer Analyse die Textsorten Agenturberichte, Feuilleton, Sportberichte, Allgemeine Gesetzestexte, Eigene Berichte und Wissenschaftliche Texte deutlich weniger verbale Komponenten als die Textgruppen Briefe, Hörspiel, Drama, Roman-Dialog, Roman-Nichtdialog und Diskussion. Dabei nähern sich nur die Kategorien Briefe, Wissenschaftliche Texte, Agenturberichte Feuilleton und Sportberichte der durchschnittlichen Norm von 1,07 an (berechnet für deutsche Gegenwartsprosa und auf numerisch andere Art als in der vorliegenden Berechnung nach Altmann, daher abweichend von der hier angelegten Werteskala), alle anderen Gruppen weichen signifikant in die eine oder andere Richtung ab. Das Drama als den Libretti am nächsten liegende Textgruppe gilt dabei als – nach dem Hörspiel – besonders verbbetont, was den hier gewonnenen Ergebnissen entspricht. Die Ausnahme bzw. den Extremwert bildet im Korpus Q zum wiederholten Mal das Orfeo-Libretto von Striggio (Q1), das mit dem Wert 0,5 als einziges die Nullhypothese erfüllt und somit weder besonders aktionsreich noch besonders deskriptiv ist; hier überwiegen sogar geringfügig die Adjektive. Bereits in der Analyse des Verb-Substantiv-Quotienten (cf. Kap. 3.1.1.) war Q1 durch die höchste Verbarmut bzw. zweithöchste Substantivdichte innerhalb des Korpus aufgefallen. In diesem Fall scheint die Kürze des Textes nicht von unmittelbarer Bedeutung zu sein, da auch die relativen Werte der Anzahl an Verben und Adjektiven von allen anderen Ergebnissen abweichen: Als einziges Libretto enthält der Orfeo mehr Adjektive als finite Verbformen (zum Vergleich: In den drei rangersten Libretti sind jeweils mehr als doppelt so viele Verben wie Adjektive enthalten). Kann man daraus schlussfolgern, dass ein Text mit wachsender Länge relativ mehr 145

Verben enthält? Im vorliegenden Korpus ist diese Vermutung nicht zu belegen, da von den drei längsten Libretti (Metastasios Olimpiade, Zenos Teuzzone und Aurelis Orfeo mit jeweils mehr als 8000 tokens) nur Aurelis Libretto sich unter den drei verbreichsten Texten findet (daneben sind dies Boitos Otello und Varescos Idomeneo). Boitos Otello (Q10) hatte in den meisten bisherigen Analysen das Gegengewicht zu Q1 eingenommen, bei der Verb-Substantiv-Analyse wies er jedoch direkt hinter Q1 den zweitniedrigsten Quotienten auf (cf. Kap. 3.1.1.). Hier nimmt er nun mit 0,63 einen unauffälligen Mittelrang 5 ein, gehört also den eher aktionsreichen Texten an, ohne einen Extremwert wiederzugeben. Erstmals nimmt Romanis Norma-Libretto (Q8), das bis zu dieser Stelle in den meisten Analysen einen relativen Mittelplatz belegte, eine herausragende Rolle als «aktionsreichster» Text im Korpus an. Es fiel jedoch bereits bei der Ermittlung des Verb-Substantiv-Verhältnisses als sehr verbreich auf, da es – gemeinsam mit Rossis Semiramide – einen hohen Quotienten v/n aufweist und somit anders als die übrigen 8 Libretti mehr Verben als Substantive enthält.97 In der vorliegenden Analyse bestätigt sich dieses Ergebnis auch hinsichtlich der Adjektive. Ob man den Verbreichtum inhaltlich erklären kann, mögen die qualitativen Analysen ergeben,98 an dieser Stelle kann man ihn zumindest vorläufig als für einen Autor typisches Stilmerkmal verbuchen. Dasselbe ist auch für Quinaults Roland-Libretto (Q3) anzumerken, dessen Analyse wiederum – diesmal auf Rang 2 – mit ähnlichen Werten wie Q8 mehr oder weniger auffällige Ergebnisse erbringt und das ebenfalls als sehr verbreicher Text zu bezeichnen ist. Die Verwendung von vielen Verben ist nicht objektiv als Argument für oder gegen einen «reichen» Wortschatz oder variablen Stil anzuführen, da hier – wie bereits dargestellt – zahlreiche weitere Bewertungskomponenten mit einbezogen werden müssten, doch lässt sich auf Grund der bisherigen fünf Analysen vorsichtig vermuten, dass ein verbreicher, also «aktiver» Wortschatz tendenziell einem variationsarmen Vokabular entspricht, während Texte mit zahlreichen Adjektiven und Substantiven, also eher «deskriptive» Texte, auf einen variationsreichen Stil hindeuten. Aus syntaktischer Sicht ist diesem Gedankengang durchaus zuzustimmen (cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.2.), doch ist es am Ende der hier dargestellten Analysen auf der Basis quantitativer Methoden verfrüht, derartige subjektive Auswertungen vorzunehmen.

97 98

Unter den 10 häufigsten types (ausgenommen Funktionswörter, cf. Tabelle 3.3.1.(2)) sind denn auch in der Tat vier Verben (lasciare, andare, fare, morire). Cf. hierzu Kap. 4.1.4. und passim. Das in Norma dargestellte Drama um Römer, Gallier, Druidenkult und Muttertreue ist schon rein subjektiv als sehr emotional und aktionsreich zu bezeichnen, was eine Erklärung für den Verbreichtum darstellen könnte. Eine andere Deutung liefert die Analyse zu den Imperativen (cf. Kap. 4.2.2.), die ergibt, dass gerade das Libretto von Romani in diesem Bereich ungewöhnlich zahlreiche Belege liefert. Dies kann demnach ebenfalls der Grund für die hohe Verbdichte sein.

146

3.3.2.2. Fazit Es gilt festzuhalten, dass auch der Aktionsindex einen weiteren Anhaltspunkt dafür liefert, dass die Libretti in Korpus Q durchaus ein typisches Idiom aufweisen, welches sie deutlich von anderen Textsorten, etwa den von Pieper (1979) untersuchten Hörspielen, Zeitungstexten etc. der Gegenwartsliteratur, differenziert. Darüber hinaus ergeben die Analysen jedoch auch klare Unterschiede zwischen den Einzellibretti, die teilweise in chronologischer, hauptsächlich aber in idiolektaler Hinsicht zu interpretieren sind.

3.4.

Ergebnisse der quantitativen Analysen

Kann man nach den sechs mit Methoden der Quantitativen Linguistik gewonnenen Analysen bereits ein erstes Fazit einerseits bezüglich des Librettoidioms als eigene literatursprachliche Varietät und andererseits abzielend auf eine eventuelle chronologische Differenzierung oder Entwicklung innerhalb des Korpus ziehen? Diese Frage lässt sich hinsichtlich beider Teilfragen eindeutig positiv beantworten; auch kann man bereits jetzt festhalten, dass auf Grund der quantitativen Analysen zwar zumeist keine allgemeingültigen Regeln aufgestellt werden können und sie stets nur in Relation zu weiteren Werten interpretierbar sind, dass sie jedoch in der Kombination miteinander immer wieder ähnliche Schlüsse zulassen und somit trotz ihrer teils als recht nüchtern erscheinenden, auf reinen Zahlenwerten beruhenden Ergebnisse als ein probates Mittel zur Textcharakterisierung angesehen werden können. Die Kombination mit den durch qualitative Methoden gewonnenen Analysen im folgenden Kapitel dürfte diesen Eindruck noch verstärken. Was eint nun zunächst die zehn Libretti aus quantitativer Sicht? Auch wenn sprachliche Gemeinsamkeiten der Korpustexte gegenüber anderen Texten bzw. Textgattungen ohne ein entsprechendes umfangreiches Kontrastkorpus aus Texten etwa des Sprechtheaters nur schwerlich zu ermitteln sind, konnten doch im Laufe der Analysen mehrere Kennzeichen isoliert werden, die den Operntexten gemeinsam sind und somit schon jetzt als konstituierend für das Genre Libretto bezeichnet werden können: 1. Bei den Untersuchungen zu den Wortartenverteilungen (cf. Kap. 3.1.1.) weisen alle 10 Texte unabhängig von kleinen individuellen Abweichungen ein sehr homogenes Bild auf. Die häufigsten Wortarten sind in allen Fällen Substantive und Verben, was die Libretti von anderen Gattungen, etwa der Lyrik,99 differenziert. Diese Besonderheit scheint auch sprachübergreifend zu gelten, was die Werte des ansonsten zumeist stark abweichenden französischen Librettos (Q3) belegen.

99

Cf. etwa die in Kap. 3.1.1. erwähnte Auswertung des Erlkönig von Goethe durch Altmann/Altmann 2005, die die Pronomen als häufigste Wortart ausweisen.

147

2. Die Analyse der Hapax legomena (Kap. 3.2.2.) unterstreicht zum einen, dass in der Zusammenschau insgesamt in allen Libretti sehr viele Wörter nur einmal auftreten. Dies sind zudem – besonders im Bereich der Substantive – vorrangig solche Begriffe, die sehr expressive und emotionale Inhalte transportieren, was ebenfalls ein für die Gattung Libretto typisches Kennzeichen zu sein scheint.100 Hier verspricht die qualitative Analyse der Wortfelder und Schlüsselwörter (cf. Kap. 4.1.3.) weitere Erkenntnisse. 3. Darüber hinaus hat die Analyse der jeweils häufigsten Wörter durch den Konzentrationsindex (cf. Kap. 3.3.1.) ergeben, dass sich diese – sowohl im Bereich der Funktionswörter als auch vor allem im Bereich der Substantive, Adjektive und Verben – in den Libretti oftmals entsprechen. Auch hier sind die expressiven, Aktion vermittelnden Wörter in der Überzahl und entstammen größtenteils dem emotionalen Wortschatz. 4. Der Aktionsindex (cf. Kap. 3.3.2.) deutet ebenfalls darauf hin, dass die Libretti eher dem aktionsreichen als dem deskriptiven Stil entsprechen; bis auf das Libretto von Striggio (Q1), bei dem das Verb-Adjektiv-Verhältnis ausgeglichen ist, weisen alle Libretti mehr Verben als Adjektive auf. Auch wenn die Differenzen zwischen den Einzellibretti, wie die folgende Aufstellung suggeriert, gegenüber den Gemeinsamkeiten an dieser Stelle überwiegen, ist dennoch bereits hier zu erkennen, dass sich ein spezielles Librettoidiom herauszukristallisieren beginnt. Es ist zunächst vor allem in lexikalischer Hinsicht markiert und zeichnet sich durch einen sehr emotionalen, ausdrucksstarken Wortschatz aus, der von Substantiven und Verben aus charakteristischen Wortfeldern dominiert wird und von den Librettisten bewusst plakativ und einprägsam gestaltet wurde. Denkt man an den Kontext der Entstehung einer Oper zurück, wie in Kap. 1.1. und 1.2. dargestellt, ist dies zunächst nicht überraschend, da in der Oper – anders als im Sprechtheater – neben dem sprachakustischen Eindruck und der Optik der Bühnenhandlung auch eine musikalische Handlung transportiert wird und die Sprache durch den Verlust einer Bedeutungsebene somit besonders auffällig sein muss, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Eine pronomenreiche Sprache etwa wäre hier fehl am Platz; Substantive, in zweiter Linie auch Adjektive und Verben, sind als auf semantischer Ebene inhaltsreichste Wortarten am ehesten geeignet für eine solchermaßen intensive Sprache. Eine kurze aus den quantitativen Analysen resultierende Einzelcharakterisierung jedes der zehn Libretti soll an dieser Stelle die Differenzen innerhalb des Korpus beleuchten und einen Ausgangspunkt für die Suche nach eventuellen chronologisch bedingten Tendenzen bilden. Dabei wird, um der Objektivität Genüge zu leisten, in allen analysierten Kategorien lediglich der relative Rang des jeweils

100

Dieses Ergebnis könnte jedoch – weiterführende Analysen sind hier ein Desiderat – auch auf die Gattung Sprechtheater, vor allem die Tragödie, zutreffen, nicht jedoch unbedingt auf andere Textsorten.

148

ermittelten Charakteristikums geliefert, zunächst ohne interpretierende Eingriffe. Die absoluten Werte werden an dieser Stelle nicht wiederholt und sind den jeweiligen Kapiteln entnehmbar (cf. Tabelle 3.4.(1)). Die Einzelauswertung zeigt zunächst vor allem die Diversität der Libretti untereinander, eine klare chronologische oder anders geartete Entwicklung ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Der zweite Blick offenbart jedoch mehrere aufschlussreiche Ergebnisse: 1. Als wohl auffälligstes Libretto in Korpus Q ist Striggios Orfeo (Q1) von 1607 zu nennen. Fiel es von Beginn an durch sein Alter und seine markante Kürze auf, so ergab es in allen Analysen Extremwerte, die es von den anderen Libretti abgrenzen: Es ist aus lexikostatistischer Sicht bemerkenswert auf Grund des niedrigen durchschnittlichen Wortvorkommens und der extrem langen Sätze, was bereits auf einen großen Wortschatzreichtum hindeutet. Dieser Eindruck wird gestützt durch das hohe Type-token-Verhältnis und die große Anzahl an Hapax legomena. Auch Berechnungen, in denen die Länge der Texte durch mathematische Operationen vernachlässigt werden konnte, ergaben ähnliche Resultate, weshalb der besondere Wortschatzreichtum nicht allein durch die Kürze des Librettos erklärt werden kann. Zudem weist es auf lexikalischer Ebene besonders wenige als emotional einstufbare Wortformen wie etwa Interjektionen, exklamative Wendungen, Imperative etc. auf und bildet damit einen klaren Gegenpol zu den jüngeren Libretti, insbesondere denen des 19. Jahrhunderts. Den genannten Auffälligkeiten von Q1 gilt es in den qualitativen Analysen auch aus semantisch-stilistischer Sicht auf die Spur zu kommen. 2. Das zweite durch Extremwerte auffällige Libretto ist Q10, Boitos Otello von 1887, zugleich das jüngste Libretto im Korpus. Erstaunlich ist hier allerdings die Tatsache, dass Q10 zwar wie Q1 zumeist quantitative Werte am oberen oder unteren Ende der Skala aufweist, dies jedoch keineswegs einheitlich, sondern teilweise parallel und teilweise komplementär zu Q1. So ist das durchschnittliche Wortvorkommen ähnlich niedrig wie bei Striggio, TTR und Hapax-Anzahl sind bei beiden sehr hoch. Im Bereich der Satzlänge jedoch stehen sich die beiden Libretti klar als Pole gegenüber: Q1 weist die mit Abstand längsten, Q10 die kürzesten Sätze auf, und dies kann als erste Bestätigung der These gelten, dass sich das Librettoidiom im Laufe der Jahrhunderte markant verändert. Eine mögliche Begründung dafür ist die bereits erwähnte Armut an exklamativen, emotionalen Ausdrücken und kurzen Ausrufen in Q1, die für die späteren Libretti so charakteristisch zu sein scheint. Auch hier werden die qualitativen Analysen mit detaillierten Ergebnissen aufwarten können (cf. weiter unten, bes. Kap. 4.1.2.). 3. Die zweite Verdi-Oper im Korpus, Piaves Ernani von 1844 (Q9), verschwindet durch ihre oft eher im Mittelfeld befindlichen Ergebniswerte hinter Q10. Dennoch weist dieses Libretto oftmals ähnliche, wenngleich weniger extreme Werte wie Q10 auf. Die These, dass der gemeinsame Komponist in diesem Fall einen großen Einflussfaktor für die Librettisten darstellte, ist nicht von der Hand zu weisen, da gerade Verdi als dominanter Künstler gilt, der durch149

[Tabelle 3.4.(1): Kurzcharakteristik der Korpuslibretti aus Q bezüglich der quantitativen Analysen]101

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

3.1.1.1. Textlänge

3.1.1.2. Durchschn. Wortvorkommen

3.1.1.3. Relatives Wortartvorkommen

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

sehr kurz (Rang 10)

sehr niedrig (Rang 2)

1. Rang Substantive

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

sehr lang (Rang 2)

mittelhoch (Rang 5)

1. Rang Substantive

Q3

Quinault, Roland

1685

lang (Rang 4)

sehr hoch (Rang 1)

1. Rang Substantive

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

lang (Rang 3)

sehr hoch (Rang 2)

1. Rang Substantive

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

sehr lang (Rang 1)

hoch (Rang 3)

1. Rang Substantive

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

kurz (Rang 8)

niedrig (Rang 7)

1. Rang Substantive

Q7

Rossi, Semiramide

1823

mittellang (Rang 6)

hoch (Rang 4)

1. Rang Verben

Q8

Romani, Norma

1831

kurz (Rang 7)

mittelhoch (Rang 6)

1. Rang Verben

Q9

Piave, Ernani

1844

sehr kurz (Rang 9)

niedrig (Rang 8)

1. Rang Substantive

Q10

Boito, Otello

1887

mittellang (Rang 5)

sehr niedrig (Rang 10)

1. Rang Substantive

101

Die Skala reicht jeweils von Rang 1 und 2 (sehr hoch/sehr häufig/sehr lang) über Rang 3 und 4 (hoch/häufig/lang), 5 und 6 (mittelhoch/mittelhäufig/mittellang), 7 und 8 (niedrig/ selten/kurz) bis Rang 9 und 10 (sehr niedrig/sehr selten/sehr kurz). Für den Quotienten v/n gilt: Anteil der Verben / Anzahl der Substantive, hoch = viele Verben, niedrig = viele Substantive. Beim Konzentrationsindex wurde nur Konzentrationsindex II berücksichtigt: Anteil der 100 häufigsten types am Gesamtlibretto. Für den Aktionsindex gilt: Hoch = viele Verben = «aktiv»; niedrig = viele Adjektive = «deskriptiv».

150

3.1.1.4. Quotient v/n

3.1.2. Durchschn. Satzlänge

3.2.1. Diversitätsindex (TTR)

3.2.2. Einmaligkeitsindex

3.3.1. Konzentrationsindex

3.3.2. Aktionsindex

sehr niedrig (Rang 1)

sehr lang (Rang 1)

sehr hoch (Rang 2)

hoch (Rang 3)

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151

aus in den Entstehensprozess der Libretti zu seinen Opern eingriff (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1. und passim). Den Parallelen dieser beiden Libretti sollte daher im Folgenden weiter nachgegangen werden. Dabei kann das in den qualitativen Analysen mit hinzu gezogene Korpus E hilfreich sein, das eine weitere Verdi-Oper beinhaltet (E6, Piaves Rigoletto von 1851). 4. Eine weitere kleine Untergruppe innerhalb des Korpus bilden die beiden Wiener Libretti von Zeno (Q4, 1719) und Metastasio (Q5, 1733). Beide zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Länge aus und finden sich in den meisten der Analysen im Mittelfeld. Tendenziell fallen sie durch eine relative quantitative Monotonie und die Tendenz zur Stereotypie auf, was aus musikhistorischer Sicht nicht abwegig erscheint und in den weiteren Analysen überprüft werden muss. 5. Einen Sonderfall stellt Aurelis Orfeo (Q2, 1672) dar. Obgleich zu demselben Stoff und nur 65 Jahre nach Striggios Orfeo verfasst, entstammt dieses Libretto doch einem musikhistorisch gänzlich anderen Kontext und weist in der Tat oftmals von Q1 abweichende Ergebnisse auf, beginnend bei seinem ungleich größeren Umfang (mit 8607 zu 3966 tokens ist es mehr als doppelt so lang wie sein thematischer Vorgänger). Hier fällt es schwer, auf das Entstehungsjahrhundert bezogene Parallelen zu ziehen; eine Lösung können im Laufe der qualitativen Analysen vielleicht die beiden Libretti des Erweiterungskorpus, E1 (Rinuccinis La Dafne von 1598) und E2 (Minatos Xerse von 1654), darstellen, die jeweils (Q1 und E1 vs. Q2 und E2) unter ähnlichen soziokulturellen Bedingungen entstanden. Zu vermuten ist hier, zieht man die musikgeschichtliche Komponente mit hinzu, dass sich die beiden venezianischen Libretti (E2 und Q2) deutlich von ihren florentinischen Vorgängern (E1 und Q1) unterscheiden, da sie einem gänzlich anderen Kontext entstammen (cf. weiter oben, Kap. 1.2.). 6. Ein ebenfalls innerhalb des Korpus eher isoliertes Libretto ist Q3, der französische Roland von Quinault (1685). Wird Q1 immer wieder durch Werte auffällig, die für einen «reichen», variablen Wortschatz sprechen, so bildet Q3 in dieser Hinsicht den klaren Gegenpol, indem es wiederholt extreme Ergebnisse hinsichtlich eines eher «armen», stereotypen Wortschatzes erbringt: Es weist das höchste durchschnittliche Wortvorkommen auf, den niedrigsten TTR-Wert, eine sehr geringe Hapax-Rate und einen sehr hohen Konzentrations- sowie Aktionsindex. Alle Resultate sprechen dafür, dass Quinault einen restringierten Wortschatz verwendet, was jedoch – darauf sei nochmals hingewiesen – nicht als Qualitätsurteil gewertet werden darf. Ein Libretto, das mit wenigen Worten auskommt, ist unter Umständen bei der Aufführung besser verständlich, eingängiger und somit nicht als literarisch minderwertig oder unoriginell abzuwerten. Eine inhaltliche Unterfütterung der statistischen Ergebnisse scheint hier besonders interessant, um den Gründen des «armen» Wortschatzes auf die Spur zu kommen, der durchaus auch sprachstrukturell begründet sein könnte. Historisch interessant erscheint zudem die Tatsache, dass Q3 sich in einer der Analysen mit Q1 zusammen an der Spitze der Werteskala findet, nämlich bei der durchschnittlichen Satzlänge, die bei Quinault sehr hoch ausfällt. In diesem Punkt scheint also die Chronologie die sonstige Stereotypie zu überlagern, indem Q3 wie die anderen 152

Libretti des 17. Jahrhunderts extrem wenige Ein- und Zweiwortsätze und eine insgesamt komplexe Satzstruktur aufweist. Hier stellt sich die Frage, ob eine Restringiertheit in der Lexik sich auch auf syntaktischer Ebene in den Libretti wieder finden lässt. Das hier geschilderte Ergebnis spricht gegen diese These. 7. Ebenfalls schlecht bewertet ist in der Librettoforschung traditionell Varescos Idomeneo-Libretto (Q6, 1781). In den quantitativen Analysen zeigt es sich oftmals unauffällig im Mittelfeld der Ergebniswerte, weist jedoch, und das spricht gegen die These zumindest der sprachlichen Anspruchslosigkeit, ein recht hohes Type-token-Verhältnis auf. Die meisten Resultate deuten darauf hin, dass die negative Beurteilung des Librettos eher aus dramaturgischen Schwächen resultiert. 8. Die beiden übrigen Libretti, Rossis Semiramide (Q7, 1823) und Romanis Norma (Q8, 1831), fallen insgesamt wenig auf, gliedern sich jedoch im bisher einzigen zeitlich bedingten Charakteristikum, der Satzlänge, als typische Vertreter des 19. Jahrhunderts unter den übrigen Libretti ein. Beide sind sehr verbreich, was vor allem bei dem hohen Aktionsindex von Q8 deutlich wird, und entsprechen daher dem Bild, das bisher von den jüngeren Libretti entstanden ist. In der Gesamtschau haben die sechs quantitativen Analysen demnach bereits zahlreiche Detailergebnisse erbracht, die auf der Grundlage der nun folgenden qualitativen Untersuchungen hinterfragt werden sollen. Eine eindeutige diachrone Entwicklung von den Anfängen der Operngeschichtsschreibung bis zu den jüngeren Verdi-Opern hat bisher vor allem die Analyse der durchschnittlichen Satzlänge ergeben, welche – wie auch die folgenden Abschnitte zeigen werden – nur durch weiterführende qualitative Studien erklärbar wird. Die vorrangigen Ziele der mit den nicht-statistischen Methoden durchzuführenden Untersuchungen in Kapitel 4 sollen also, unter Einbezug von weiteren 6 italienischen Libretti aus Korpus E, einerseits die Weiterverfolgung der chronologischen Entwicklungslinien der Libretti von 1598 (E1) bis 1887 (Q10) sein, andererseits jedoch auch die weitere Ausdifferenzierung dessen, was als «das Librettoidiom» angesehen wird und was vermutlich – die Bestätigung dieser These deuten die bisherigen Analysen an – lediglich auf dem Eindruck beruht, den die jüngeren Libretti speziell des 19. Jahrhunderts vermitteln.

153

4.

Qualitative Analysen

Die mit dem hier ex negativo («nicht-quantitativ») definierten Begriff «qualitative Analysen»1 belegten folgenden Abschnitte beinhalten weitere Untersuchungen zu Sprache und Stil der 10 Libretti aus Korpus Q, die zudem um die 6 Libretti des Ergänzungskorpus E aufgestockt werden.2 Letztere sind nicht thesauriert und annotiert, weshalb hier nur noch punktuell statistische Angaben erfolgen können und der Fokus in den Analysen nun vielmehr auf den jeweils exemplarischen Charakter der sprachlichen Phänomene verschoben wird. Analysen dieser Art existieren bereits – anders als im quantitativen Bereich – in begrenzter Form auch bezüglich der Sprache von Musiktexten, hier besonders der Librettosprache, doch konzentrieren sie sich zumeist sowohl bezüglich der Autoren als auch der Inhalte auf den italophonen Sprachbereich und beschränken sich zudem in der Mehrzahl nur punktuell auf einen Librettisten (cf. etwa Bonomi 2005 zu Goldoni und Da Ponte, Di Benedetto 1994 und 2001 zu Metastasio, Norman 1988 und 2001 zu Quinault, Telve 2004 zu Boito), einen Komponisten (cf. etwa Rossi 2005a und 2005b zu Rossini, Goldin Folena 1995 und Telve 1998 zu Verdi) oder eine Epoche (cf. etwa Fabbri 2003 zum Seicento, Folena 1983 und Gallarati 1984 zum Settecento oder Baldacci 1997 zum Ottocento).3 Eine übergreifende Studie wie die vorliegende, die zudem einen französischen Text als Korrektiv integriert, ist bislang nicht verfügbar. Dass die Sprache der Poesie – zu der die Libretti gezählt werden können – von der der Prosa und vor allem von der Alltagssprache in erheblichem Maße abweicht, ist seit den Anfängen der Grammatikschreibung unumstritten (einen guten Überblick hierzu bietet etwa Serianni 2001, 11–41). Sie zeichnet sich vor allem durch eine (noch einzugrenzende) spezifische Physiognomie und eine erstaunliche Stabilität und Konservativität aus (cf. ib., 11) und war daher immer wieder Gegenstand der verschiedensten Betrachtungen. Im 18. und 19. Jahrhun-

1 2 3

Zur ausführlichen Begriffsklärung und Definition cf. weiter oben, Kap. 2.2.2. Eine Übersicht über die Korpuszusammenstellung findet sich in Kap. 2.1. Zu erwähnen sind hier auch die mehr biographischen Studien, die oftmals ebenfalls einen längeren oder kürzeren Abschnitt zur Sprache der jeweiligen Libretti enthalten, cf. etwa Sala Di Felice 1983 und Candiani 1998 (zu Metastasio) oder Roccatagliati 1996 (zu Romani), sowie die zahlreichen kleineren Beiträge zur Librettosprache in den Sammelbänden von Nicolodi/Trovato 1994, Muraro 1995, Nicolodi 2000 oder Tonani 2005.

155

dert (etwa bei Girolamo Gigli, Giovanni Battista Pistolesi oder Marco Mastrofini, cf. ib. 17s.) wurden sprachliche Formen, vor allem Verben, in ein viergeteiltes Raster nach ihrer Eigenschaft als corretto (auch regolare oder comune), antico (auch antiquato), poetico und corrotto (auch incerto, erroneo) eingeordnet, wobei zumindest die Grenze zwischen antico und poetico fließend sein dürfte. Dieses Raster lässt sich von der Lexik auch ebenso auf die Bereiche der Morphosyntax, Syntax und in selteneren Fällen der Phonetik übertragen. Doch was macht die lingua poetica nun im Einzelnen aus? Sind es nur Reim und Versmaß, die diese Sprachvarietät dominant beeinflussen und prägen? Serianni widerspricht dieser Ansicht mit seinem Hinweis darauf, dass im Prinzip alle Poetismen ihren Ursprung in der Allgemeinsprache haben («nella lingua reale», ib., 22) und durchaus keine reinen Erfindungen der Poeten sind. In den folgenden Kapiteln sollen daher diverse sprachliche Erscheinungen in den 16 Libretti der Korpora Q und E darauf hin untersucht werden, inwiefern sie in der Alltagssprache wurzeln und dennoch typisch für die Sprache der Poesie sind. In einem zweiten Schritt soll geklärt werden, an welcher Stelle darüber hinaus eventuelle Grenzlinien zwischen der allgemeinen Sprache der Poesie und der speziellen des Opernlibrettos zu ziehen sind. Ein letzter zu bewertender Aspekt wird wiederum die Frage nach der Existenz einer diachronischen Entwicklung dieser Sprachvarietät im Laufe der drei hier behandelten Jahrhunderte sein. Dabei gilt es zu klären, ob die frühen Libretti des 17. Jahrhunderts «poetischer», «realistischer» oder «weniger expressiv» als die des für das Opernlibretto offenbar so prägenden 19. Jahrhunderts sind. Basis für die Beantwortung dieser Fragestellungen ist die Analyse diverser Phänomene aus den Bereichen der Lexik und Semantik (cf. Kap. 4.1.) sowie der Syntax und des Stils (cf. Kap. 4.2.). Dabei werden nur solche Merkmale untersucht, die einen Aufschluss über die genannten Fragestellungen versprechen und eine diachrone Differenzierung zulassen. Für die gesamte italienische Sprache der Poesie relevante Charakteristika wie etwa die auch in den Libretti allgegenwärtige Trunkierung von Wörtern (troncamento) 4 oder allgemeine metrische Gegebenheiten werden daher im Folgenden nicht berücksichtigt.

4.1.

Lexikalisch-semantische Analysen

4.1.1.

Archaismen, Kultismen und Poetismen

Eines der zahlreichen, weit verbreiteten Urteile über die Sprache des Opernlibrettos sui generis ist die Zuweisung eines altmodischen, künstlich-stilisierten und

4

Zu differenzieren sind hier Phänomene wie die Aphärese (mit den Untertypen lo ’mperio ‘l’imperio’, verno ‘inverno’, ’sto/’sta ‘questo/questa’, cf. Serianni 2001, 94–97), die Synkope (spirto ‘spirito’, cf. ib., 97–103) und vor allem die Apokope, die in den unterschiedlichsten Varianten auftritt (arder, guardar, fan, fedel, person, fratel, auch in klitischen Gruppen wie mel disse etc., cf. ib., 103–120).

156

in weiten Teilen archaischen Wortschatzes.5 Konventionalität und Formelhaftigkeit als genretypische Merkmale finden sich demnach vor allem im Bereich der Lexik, hier besonders der Substantive, aber auch in Morphologie und Syntax: «Im Bereich des Vokabulars benutzt der Librettist [...] ‹detti› oder ‹accenti› statt ‹parole›, ‹tempio› statt ‹chiesa›, ‹brando› statt ‹spada›, ‹talamo› statt ‹letto›, ‹foglio› statt ‹lettera›, ‹lumi›, ‹luci› oder ‹rai› statt ‹occhi›. Im Rahmen des Satzbaus bedeutet diese Transposition, daß man die Umstellung Dammi d’aqcua un sorso (Traviata I 4) dem alltäglichen Dammi un sorso d’acqua vorzieht. Was die Morphologie anbelangt, so bevorzugt der Librettist Archaismen wie ‹sarìa› oder ‹fia› anstelle der geläufigen Formen ‹sarebbe›, ‹potrebbe› oder ‹sarà›» (Ringger 1984, 504).

Auch Rossi zählt Beispiele für archaisierende, hochsprachliche Begriffe auf, so werde das weinende Auge oftmals als ciglio bezeichnet, während die Augen der Geliebten metaphorisch als rai umschrieben werden; der nicht wieder liebende Geliebte ist ein barbaro, der (vor allem gekrönte) Kopf in der opera seria stets il capo, während das unmarkierte Substantiv testa eher der weniger realitätsfernen opera buffa zugehörig sei (cf. Rossi 2005a, 25). Coletti beschreibt dieses kunstvoll-künstliche Idiom, das ihm zu Folge besonders die Libretti des 19. Jahrhunderts aufweisen,6 noch drastischer als Sprache der Poesie in unendlicher Potenz: «Presentano un italiano che ha tutte le caratteristiche di quello letterario e poetico coevo, ma in una versione che le espone all’ennesima potenza» (Coletti 2005, 21). Auch Serianni bezeichnet die Librettosprache insbesondere des Ottocento als «concentrato della lingua poetica classica, [...] in cui alcuni caratteri stilistici della lirica e della tragedia vengono assolutizzati fino ai margini del grottesco» (Serianni 2002, 6) und als «una sorta di quintessenza della tradizionale lingua poetica» (ib., 114). Als Charakteristika dieser konzentrierten Sprache gelten solche Wörter und Wendungen, die in der Alltagssprache nicht (mehr) oder nur sehr selten verwendet werden; darunter fallen Archaismen, Kultismen, Poetismen oder die schwer übersetzbaren aulicismi.7 Die definitorische Abgrenzung dieser Begriffe fällt mitunter sehr schwer, da sie sich oftmals überdecken oder je nach Kontext unterschiedlich interpretiert werden können. Rossi definiert arcaismo als «forma ripescata dopo una lunga soluzione di continuità nell’uso», cultismo und aulicismo, die er als

5

6 7

Cf. hierzu auch bereits weiter oben, Kap. 1.3. Silvia Spalletta geht sogar so weit, die italienische Opernsprache als exotisch zu bezeichnen (cf. Spalletta 2006), was sie an Hand der Artikulationsprobleme nicht-muttersprachlicher Opernsänger mit verschiedenen vom uso comune abweichenden Formen zu belegen versucht. Diese werden jedoch recht unspezifisch als «forme particolari», «forme inusuali», «verbi con significativi particolari» oder «verbi rari» (ib., 446s.) bezeichnet und nicht weiter interpretiert. Auf diesen Aspekt wird an späterer Stelle im vorliegenden Abschnitt zurückzukommen sein. Ein analoges Wort wie etwa Aulizismus ist im Deutschen nicht nachgewiesen. Die in der italophonen Literatur zitierten aulicismi wären am ehesten den Kultismen zuzuordnen; sie werden im Folgenden daher nicht separat behandelt.

157

quasi synonym bewertet, recht unscharf jeweils als «forma opposta a quella comune» und poetismo als «forma preferita della poesia rispetto alla prosa» (Rossi 2002a, 196 n. 9), auch wenn man den Begriff poetismo in dieser Definition eher als Oberbegriff verstehen müsste.8 Gemeinsam ist den Archaismen wie auch den Kultismen und Poetismen, dass sie – auf allen sprachlichen Ebenen – viel zu diesem konzentrierten, hochpoetisierten Duktus der Librettosprache beitragen.9 Aus diesem Grund seien im Folgenden diverse exemplarische Stichproben aller drei Phänomene aus den Bereichen Morphosyntax und Lexik präsentiert.10 Dabei gilt ein besonderes Augenmerk der Frage, ob diese sprachlichen Formen hauptsächlich oder gar ausschließlich in den Libretti des 19. Jahrhunderts auftreten oder ob sie sich bereits in Texten der beiden vorangehenden Jahrhunderte auffinden lassen. 4.1.1.1. Typ saria/fia Ein morphologisches Kennzeichen der poetischen Sprache ist – folgt man Ringger (cf. das diesen Abschnitt einleitende Zitat) – die Verwendung der Konditionalformen vom Typus saria/fia, der anstelle von sarebbe, potrebbe oder sarà auftritt. Serianni nennt den Typ saria als ein exemplarisches Kennzeichen, das die italienische Literatursprache mit der sizilianischen Poesie gemein hat, wiewohl dieser Typus ursprünglich aus der östlichen und mittleren Toscana stamme (cf. Serianni 2001, 195s.). Er findet Belege für diesen Typus in der Poesie vom Duecento bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Im Librettokorpus treten dagegen nur 9 saria-Belege auf, während die Formen sarebbe (Q5: 6 Belege; Q10: 1; E2: 1; E4: 1), potrebbe (Q2: 1; Q5: 2; E4: 5; E5: 1) und sarà (insg. 104 Belege) deutlich zahlreicher sind: Saria difficil meno torre alle stelle i rai,

8

9

10

Rossi bezeichnet darüber hinaus die für die Librettosprache typischen poetismi auch noch als librettismi (ib., 194), was die definitorische Unschärfe weiter verstärkt. «Librettismus» wäre allerdings als Oberbegriff für die Gesamtheit der librettotypischen lexikalischen Phänomene bedenkenswert, da eine klar umrissene Abgrenzung der Einzelbegriffe unmöglich erscheint. Dabei sind stets auch individuelle Stile der einzelnen Librettisten zu berücksichtigen, so wird etwa Arrigo Boito ein sehr spezifischer Wortschatz «fra tradizione e innovazione» nachgewiesen (so im Titel zu Telve 2004). Er verwendet neben zahlreichen Archaismen beispielsweise auch oftmals Latinismen, dantismi und termini technici, die sich so in anderen Libretti nicht finden lassen (cf. ib., bes. 104–108). Hier scheint eine persönliche Vorliebe die Begründung für die häufige Verwendung von ungewöhnlichen, künstlich-künstlerischen Formen zu sein. Diese Tendenz wird durch die im Folgenden dargestellten Analysen bestätigt. Die in den Libretti ebenfalls zahlreich vertretenen Archaismen auf syntaktischer Ebene, etwa die häufigen Inversionen nach dem Muster Io la Musica son (Q1, Prologo) oder pietade ho di te (Q9, I 8), bleiben hier ausgespart, da sie ausführlich in Kap. 4.2.3. dargestellt werden.

158

a’ fulmini il baleno, la chiara luce al sol (Q5 Metastasio, L’Olimpiade, Schlussworte) [...] meglio per te saria il non avermi veduto or qui; paventa il rivedermi! (Q6 Varesco, Idomeneo I 10) Se il tuo duol, se il mio desio se n’ volassero del pari, a ubbidirti qual son io, saria il duol pronto a fuggir (ib. II 1) Son certa, e un dubbio in me colpa saria (ib. II 2). Bel piacer saria d’ un core quel potere a suo talento quando amor gli dà tormento ritornare in libertà (E4 Metastasio, Semiramide riconosciuta I 7) Ah se quello foss’ io chi più di me saria felice? (ib. II 2) [...] un vile acciaro basta a compirla e tuo rossor saria s’ ei per tua man cadesse (ib. III 4) Un periglioso scampo questo saria (ib. III 7) Né sventura per me certo saria (E6 Piave, Rigoletto I 1).

Diese verteilen sich bis auf eine Okkurrenz (E6) auf drei Libretti des 18. Jahrhunderts, darunter zwei (Q5 und E4) von Pietro Metastasio, das andere von Varesco (Q6). Von einer kontinuierlichen Verteilung über die Jahrhunderte hinweg kann hier also keine Rede sein, am ehesten von einem Charakteristikum des 18. Jahrhunderts, obwohl etwa in einem der Libretti Metastasios (Q5) neben dem zitierten saria-Beleg ingesamt noch 6 sarebbe und 10 sarà auftreten. Die Form fia dagegen findet sich in immerhin 12 der 16 bzw. 15 Libretti11 in teilweise sogar recht hoher Konzentration (Q1: 8; Q4: 8; Q5: 2; Q6: 2; Q7: 5;

11

Für die meisten Analysen wird das französische Libretto von Philippe Quinault (Q3) nicht berücksichtigt, die Gesamtanzahl der untersuchten Libretti reduziert sich somit auf 15. Allerdings wird es teilweise mit einbezogen oder kontrastiv herangezogen, so etwa im folgenden Abschnitt zu den Interjektionen (cf. Kap. 4.1.2.), die kein einzelsprachliches Phänomen darstellen.

159

Q8: 7; Q9: 8; E2: 7; E3: 6; E4: 2; E5: 6; E6: 4) und ist somit durchaus als stabiles Allgemeinmerkmal der Librettosprache zu bezeichnen. Die Konditionalformen erweisen sich somit zum einen als eher heterogen und zum anderen als nicht eindeutig chronologisch klassifizierbar; eine pauschale Aussage sollte hier vermieden werden. 4.1.1.2. Allotrope Ein morphosyntaktisch relevantes und aussagekräftiges Phänomen stellen dagegen die in den Libretti oft parallel und/oder synonym verwendeten Substantive einer Wortfamilie nach dem Muster amistade – amistà – amicizia dar (Allotrope), die typisch für die Varianz der Sprache der Poesie sind,12 in der die Ökonomie der Alltagssprache nicht eingehalten wird und totale Synonymie durchaus auftritt. Der heute normsprachliche Begriff amicizia ist erstmals 1294 belegt (cf. LEI, vol. 2, 784ss.) und lässt sich auf lat. amƮcitia zurückführen, während amistade und apokopiert amistà auf dem aus dem vulgärlateinischen amƮcitƖte(m) stammenden provenzalischen Begriff amistat beruhen (cf. ib., 791, und DELI, 94).13 Fabio Rossi, der diese Dreier- bzw. Zweierkonstellationen (der Typ amicizia bildet hier eine Ausnahme) in den Opern Rossinis untersucht, findet Substantive des Typs amistà sowohl in den opere serie als auch in den buffe, amicizia dagegen nur in den buffe und das archaisierende amistade nur in den serie (cf. Rossi 2005a, 194s.). Kontrastierend betrachtet er daraufhin die Libretti Metastasios und die der Verdi-Opern,14 um zu ermitteln, ob die Libretti zu Rossinis Opern nicht nur in musikhistorischer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht eine Art Brücke oder Bindeglied zwischen diesen beiden modellhaften Libretto- bzw. Operntypen darstellen.15 Bei Metastasio stellt er insgesamt 39 Okkurrenzen für den Typ amistà fest, 29 für amicizia und einen Beleg für amistade, bei Verdi 11 für amistà, 8 für amistade und 2 für amicizia. Dabei bestätigt sich die bei Rossini festgestellte Tendenz, dass amicizia als «forma più comune» (ib., 195) ausschließlich in den buffe auftritt, amistade als «allotropo più culto» (ib.) ausschließlich in den serie und amistà als «poetismo» (ib.) in beiden Gattungen. Weitere Nachforschungen

12 13 14

15

Cf. hierzu Serianni 2001, 34–36. Der «moderne» Begriff amicizia ist somit aus etymologischer Sicht älter als die archaisierende amistade- (bzw. apokopierte amistà-)Form. Kritisch anzumerken ist hier die m. E. problematische Vermischung von Librettisten (Metastasio) und Komponisten (Rossini, Verdi), die Rossi ohne klare Differenzierung vornimmt. Serianni, der in einem Aufsatz ebenfalls die Modellhaftigkeit Metastasios und Verdis vergleicht (cf. Serianni 2005), weist dagegen auf diese Schwierigkeit hin und begründet sein Vorgehen damit, dass Verdi einen so starken Einfluss auf seine Librettisten nahm, dass er im Prinzip als Koautor bezeichnet werden könne (cf. ib., 91 n. 1). Für Rossini gilt dies jedoch – wenn überhaupt – in sehr viel eingeschränkterem Maße, so dass man Rossis Gleichsetzung von Belegen «in Metastasio» mit solchen «in Rossini» und «in Verdi» (cf. Rossi 2005a, 195s. und passim) kritisieren muss. Cf. hierzu auch den zusammenfassenden Aufsatz von Rossi 2005b, hier speziell 88s.

160

Rossis mit anderen Wortfamilien (pietade/pietà, virtude/virtù, fedeltade/fedeltà etc.) ergeben ähnliche Ergebnisse; stets ist die apokopierte, weniger diaphasisch markierte Form des Typs amistà – die in diesen Fällen jeweils die heute übliche Normalform darstellt – undifferenziert in beiden Gattungen anzutreffen, während der Kultismus (amistade) fast ausschließlich in der opera seria auftritt.16 Eine Dreiteilung schließt sich bei diesen Begriffen durch eine fehlende Analogie zum zusätzlichen Typ amicizia (der bei diesem Beispiel der heutigen Umgangssprache entspricht) aus. Wie stellt sich nun die Verteilung in den hier analysierten 15 italienischen Libretti dar, die allesamt dem Genre der opera seria bzw. dem romantischen melodramma zuzurechnen sind? Zunächst scheint es so, als würden beide bzw. alle drei Formen in den Libretti der Korpora Q und E ohne erkennbare Differenzierung in Semantik oder Stil verwendet. Die Einzelanalyse enthüllt jedoch kontrastierende Tendenzen im Detail:17 E1 Rinuccini (1598): affidabilità (1), attività (1), beltà (3), difficoltà (1), disponibilità (1), impietà (1), libertà (2), maestà (1), pietà (2), qualità (2), validità (1), varietà (1), volontà (1). Ausschließlich -tà-Belege (insg. 18/13). Q1 Striggio (1607): beltà (1), città (1), deità (2), pietà (4) – pietade (2). Insgesamt sehr wenige Formen, wobei -tà gegenüber -ade dominiert (8 tokens/4 types vs. 2 tokens/1 type). E2 Minato (1654): autorità (1), beltà (11), bontade (1), carità (2), città (9), crudeltà (8), curiosità (2), deità (1), empietà (3), età (6), fedeltà (1) – fedeltade (1), felicità (1), ferità (1), infedeltà (1), libertà (5) – libertade (1), nobiltade (1), novità (1), pietà (11) – pietade (3), qualità (1), reità (1), temerità (1), umanità (1), umiltà (1), varietà (2), viltà (2). Große Varianz der -tà-Formen (73/23) gegenüber den selteneren -ade-Formen (7/5). Q2 Aureli (1672): beltà (14), crudeltà (2), empietà (1), età (5) – etade (1), fedeltà (1), libertà (5), maestà (1), pietà (5) – pietade (4), vanità (5). Hier überwiegen deutlich die apokopierten Poetismen auf -tà (39 tokens/9 types), doch sind auch Kultismen des Typus -ade vorhanden (5/2).

16 17

Cf. dagegen Scavuzzo, der zahlreiche -ade und -ude-Formen in Sprechtheatertexten des Settecento findet, und zwar vorrangig in Komödien (cf. Scavuzzo 2002, 184s.). Die Libretti der beiden Korpora werden in chronologischer Reihung dargestellt, Q3 als französisches Libretto bleibt bei dieser einzelsprachspezifischen Analyse unberücksichtigt.

161

Q4 Zeno (1719): amistà (3), autorità (2), avidità (1), beltà (3), bontà (1), città (1), crudeltà (3), deità (1), empietà (1), felicità (4), pietà (13) – pietade (5), rivalità (1), viltà (3). Sehr selten -ade-Formen (5/1) vs. zahlreiche -tà-Formen (37/13). E3 Haym (1724): amistade (1), beltà (4), crudeltà (1), empietà (1), età (1), fedeltà (1), libertà (2) – libertade (1), pietà (3) – pietade (3). Hier finden sich vergleichsweise viele Formvarianten für beide Typen, wobei die apokopierten Formen überwiegen (13/7 vs. 5/3 -ade-Formen). E4 Metastasio (1729): amistà (2), beltà (5), crudeltà (2) – crudeltade (1), età (1), fedeltà (5), felicità (2), infedeltà (1), libertà (6) – libertade (1), necessità (1), pietà (16) – pietade (4), umilità (1). Deutliches Überwiegen der -tà- (42/11) gegenüber den -ade-Formen (6/3), keine -izia-Formen, weniger Varianz als bei Q5. Q5 Metastasio (1733): amistà (6) – amicizia (4), beltà (1), bontà (1), crudeltà (1), età (4), fedeltà (2), felicità (1), libertà (7), maestà (2), pietà (19) – pietade (3), povertà (1), semplicità (1), solennità (1), umanità (2). Große Varianz der -tà-Formen (49/14), die gegenüber den seltenen -ade-Formen (3/1) deutlich überwiegen, Besonderheit: 4 amicizia-Formen. Q6 Varesco (1781): amistà (1) – amicizia (1), beltà (1), città (1), crudeltà (1), libertà (1) – libertade (1), pietà (12), quantità (1). Ingesamt wenige Formen: 1 -izia, 1 -ade, 18/7 -tà). Q7 Rossi (1823): divinità (3), fatalità (1), fedeltà (2), oscurità (1), pietà (6), santità (1), volontà (2), voluttà (3). Ausschließlich -tà-Formen (insg. 19/8). Q8 Romani (1831): amistade (1), austerità (1), città (1), età (1), pietà (12) – pietade (3), voluttade (1). Insgesamt sehr wenige Formen, 5/3 -ade- vs. 15/4 -tà-Formen. E5 Cammarano (1835): amistà (1), infedeltà (1), maestà (1), pietà (3) – pietade (2). Die gesuchten Formen sind insgesamt sehr selten; ein Wortpaar existiert nur bei pietà – pietade, sonst überwiegen die apokopierten Formen (6/4 vs. 2/1 -ade). Q9 Piave (1844): beltà (4), età (1) – etade (2), felicità (1), ospitalità (2), pietà (10) – pietade (6), volontà (2), voluttà (1). Insgesamt vor allem wenige types (21/7 -tà vs. 8/2 -ade).

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E6 Piave (1851): affidabilità (1), attività (1), beltà (3) – beltade (1), città (1) – cittade (2), difficoltà (1), disponibilità (1), estremità (1), gravità (1), libertà (1), metà (1), pietà (5) – pietade (1), qualità (2), validità (1), varietà (1), volontà (1). Diverse apokopierte Formen (22/15) vs. seltenere -ade-Formen (4/3). Q10 Boito (1887): beltà (4), carità (1), età (1), maestà (1), onestà (1), pietà (10) – pietade (1), verità (1), viltà (1). Die gesuchten Formen sind hier – angesichts der Länge des Librettos – insgesamt recht selten, es überwiegen jedoch deutlich die apokopierten Formen (20/8 vs. 1 -ade). In der Zusammenschau bestätigt sich größtenteils die von Rossi beschriebene Tendenz: Die apokopierten Formen, von ihm in beiden Genres beobachtet, dominieren in den hier untersuchten 15 seria-Opern deutlich, doch treten in 13 davon auch die stärker markierten, von Rossi hauptsächlich in der seria belegten -ade-Formen auf (lediglich Q7 und E1 weisen ausschließlich -tà-Formen auf). Darüber hinaus finden sich jedoch auch in 2 Libretti die von Rossi als für die buffa typisch beschriebenen amicizia-Belege (4 in Q5, 1 in Q6). Während die -tà-Formen teilweise sehr ergiebig sind und in zahlreichen morphologischen Varianten auftreten (vor allem in Q5, E2, E6), beschränken sich die als Kultismen bzw. als Archaismen zu bezeichnenden -ade-Formen zahlenmäßig hauptsächlich auf die Form pietade (insgesamt 37 Okkurrenzen in 13 Libretti), die in nur 3 Libretti nicht vorhanden ist (Q6, Q7, E1), und treten ansonsten eher sporadisch auf: 4 libertade, 3 etade, 2 amistade, 2 cittade, je 1 beltade, bontade, crudeltade, fedeltade, nobiltade, voluttade. Eine chronologische Entwicklung ist innerhalb der beiden Korpora nicht feststellbar; die Verwendung oder Nicht-Verwendung von Kultismen der genannten morphologischen Gestalt variiert vielmehr von Libretto zu Libretto. Die Gattung ist in diesem Fall demnach von größerer Bedeutung als das Alter der Libretti. Eine sich aufdrängende Frage lautet an dieser Stelle jedoch, ob die Librettisten die archaisierenden -ade-Formen tatsächlich bewusst als Kultismen einsetzen oder ob es nicht vielmehr so ist, dass sie je nach gewünschtem Metrum und Reim die Chance ergreifen, die die silbenprosodisch sehr variable italienische Sprache bietet,18 und jeweils die besser passende Form verwenden. Zur Beantwortung dieser Frage sei hier exemplarisch ein Libretto im Detail betrachtet, in dem alternierende Formen synonym auftreten (alle Beispiele aus E5 Salvatore Cammarano, Lucia di Lammermoor, 1835): 1. [...] La pietade in suo favore Miti sensi invan ti detta... Se mi parli di vendetta Solo intender ti potrò (I 3)

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Cf. hierzu ausführlich Overbeck 2008.

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2. La pietade è tarda omai!... Il mio fin di già s’appressa (II/1 2) 3. [...] Se la pietà degli uomini A te non fia concessa; V’è un Dio, v’è un Dio, che tergere Il pianto tuo saprà (II/1 3) 4. [...] I tuoi giorni... il tuo stato rispetta. Vivi... e forse il tuo duolo fia spento: Tutto è lieve all’eterna pietà. Quante volte ad un solo tormento Mille gioie succeder non fa! (II/1 6) 5. raimondo, alisa e coro In sì tremendo stato, Di lei, signor, pietà (II/2 5).

Eine Tendenz, die sich auch in anderen Libretti feststellen lässt, ist das häufigere Vorkommen der apokopierten Form am Versende, das sich damit begründen lässt, dass hier eine sprachlich vorgegebene Betonung genutzt werden kann, um ein oxytones Versende (verso tronco) darzustellen. Das paroxytone Versende stellt in der italienischen Poesie den Normalfall dar (verso piano)19 und kann neben den -ade-Formen durch zahlreiche andere Mittel erzeugt werden, während die endbetonten Wörter deutlich seltener sind. Eine Hörprobe der entsprechenden Stellen ergibt zudem ein interessantes Ergebnis, das darauf schließen lässt, dass es nicht nur metrische Gründe sind, die über die Verwendung der Kultismen entscheiden: So wird bei der musikalischen Umsetzung von Beispiel 1 die Endsilbe -de mit in die nächste Silbe in hineingezogen (Synalöphe); beide Silben werden auf einer Note gesungen: La pietade in suo favore. Ähnliches gilt für Beispiel 2: La pietade è tarda omai. In Beispiel 3 ist silbenprosodisch ein zweisilbiges Wort gefordert, das Aussingen von pietade im Versinneren wäre an dieser Stelle schwierig. In den hier untersuchten fünf Beispielen ist demnach drei Mal die Verwendung der apokopierten Form aus prosodischer Sicht vorgegeben, an zwei Stellen ist jedoch der Einsatz des Kultismus pietade nicht zwingend und könnte vermieden werden; es lässt sich also auf ein bewusstes Auswählen der archaisierenden Form durch den Librettisten schließen.20

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Cf. hierzu Elwert 21984, 16 und passim, und Schulze-Witzenrath 22003, 79. Ähnliche Ergebnisse erbrachten auch Stichproben in den anderen Korpuslibretti; in fast allen Fällen findet sich nach der -ade-Form ein vokalisch anlautendes Folgewort, weshalb sie durch das entsprechende Wort auf -tà zu ersetzen gewesen wäre, ohne dass Rhythmus, Metrum oder Reim dabei erheblich beeinflusst worden wären.

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In der Tat scheint im hier im Zentrum stehenden Korpus also nicht oder zumindest nicht ausschließlich die metrische Gestalt entscheidend zu sein für den verstärkten Einsatz von nicht-standardsprachlichen Formen, sondern eher die Tatsache, dass darin ausschließlich Opern der ernsten Sparte berücksichtigt sind, die sich, wie erwähnt, auch in anderen Untersuchungen im Gegensatz zu buffa-Libretti als besonders kultismenhaltig erwiesen hat. Diese Feststellung entspricht der allgemein beobachteten Tendenz, dass die Sprache der buffa insgesamt der Realität und dem Alltagsidiom viel näher kommt als die der teilweise gar als antirealistisch zu nennenden seria.21 So lassen sich Strategien der gesprochenen Sprache fast ausschließlich in den Stücken des komischen Repertoires finden,22 Archaismen dagegen sind dort eher selten oder aber mit dem Stilmittel der Ironie belegt.23 Rossi wie auch Coletti stellen neben der Gattungsabhängigkeit zudem eine deutlich wahrnehmbare chronologisch zunehmende «arcaicità» (Rossi 2005a, 199) von Metastasio über Rossini bis hin zu den melodrammi der Romantik und zu Verdi fest. Coletti spricht sogar von einem «momento di radicale cambiamento linguistico» (Coletti 2005, 21), der sich beim Übergang von der opera seria nach metastasianischem Gepräge zum melodramma der Romantik ereignet habe. Ab dem frühen 19. Jahrhundert sei hier also eher ein Schnitt als eine langsame Entwicklung feststellbar, der sich vor allem in der Phonomorphologie, der Lexik und der Syntax bemerkbar mache. Die sprachliche Veränderung in den Libretti spiele sich zeitlich parallel zur Wandlung der Sprache des Theaters («[l]a rivoluzione alfieriana nella lingua del teatro», ib.) und der der Poesie («la contorsione arcaizzante del neoclassicismo in quella della poesia», ib.) ab, nicht jedoch zu den musikalischen Reformen von Calzabigi und Gluck (cf. ib., 22). Ob diese These eines radikalen Wechsels durch das hier zu Grunde liegende Korpus gestützt werden kann, soll sich im Folgenden erweisen. Rossi macht die zunehmende Archaizität beispielsweise an der Alternanz der drei Formtypen germano/germana vs. fratello/sorella vs. suora fest (cf. Rossi 2005a, 198s.). So treten die archaisierenden germano-Typen24 sehr zahlreich bei Metastasio und Rossini auf, nicht aber bei Verdi; der im 18. Jahrhundert längst alltagssprachliche fratello-Typ findet sich bei Rossini und in stärkerem Maße bei

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Cf. hierzu auch in einem ausführlichen Exkurs Serianni 2001, 230–236. Rossi zählt hier unter der Rubrik La presenza del parlato (Rossi 2005a, Kap. 4.3.3.) etwa idiomatische Wendungen, Sprichwörter, Diskurssignale, Deiktika, Elemente des Small Talk, Beleidigungen oder Lautmalereien auf, die allesamt fast ausschließlich in der opera buffa feststellbar sind; zu den etwas anders gelagerten Interjektionen, die er ebenfalls unter diese Rubrik fasst, cf. jedoch den folgenden Abschnitt hier, Kap. 4.1.2. Cf. hierzu auch Serianni 2001, 226–230, und 2002, 149–157, und Rossi 2005a, 305–337. Zum antirealismo speziell bei Verdi cf. Baldacci 1997, 91–117. Diese sind noch heute in vielen romanischen Sprachen (cf. etwa span. hermano) und italienischen Dialekten, nicht jedoch in der italienischen Hochsprache vertreten. Sie bildeten sich durch eine Derivation des substantivierten lat. (fr Ɩter) germ Ɩnus ‘vom selben Vater und von derselben Mutter abstammend’, das wiederum von vlat. germ Ɩnu(m) (urspr. *germ(in)Ɩnu(m) ‘vom selben Kern/Samen’) herzuleiten ist, cf. DELI, 649.

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Verdi, kaum aber bei Metastasio. Bis hier könnte man eine typische Entwicklung von der literarischen zur alltagsidiomatischen Wendung feststellen, doch «stört» der sehr stilisierte Archaismus suora, der wiederum bei Rossini und vor allem Verdi, nicht aber bei Metastasio auftritt.25 Daraus schließt Rossi, dass sich die Oper in Verdis Zeit zwar sprachlich wie formal von dem lange Jahrzehnte vorherrschenden metastasianischen Vorbild löst, jedoch nicht in Richtung einer sprechsprachlichen Norm, sondern hin zu einem neu konstruierten, sprachlich rückwärts gerichteten, fast schon preziösen, auf jeden Fall antirealistischen Stil. Die jüngeren Libretti des 19. Jahrhunderts wären also «archaischer» als ihre bis zu zweieinhalb Jahrhunderte älteren Vorgänger. Ist diese Entwicklung auch in den Korpustexten, die eine Zeitspanne von 1598 (E1) bis 1887 (Q10) umfassen, spürbar, und kann man sie an der Alternanz der genannten Formtypen festmachen? Diese Frage ist nicht eindeutig zu bejahen, denn der vorgeblich ältere fratello/sorella-Typ tritt sowohl in frühen (E2 Minato, 1654: 7 fratello, 5 sorella; E3 Haym, 1724: 1 fratello; E4 Metastasio, 1729: 2 fratello) als auch in Libretti des 19. Jahrhunderts (Q9 Piave, 1844: 2 fratello; Q10 Boito, 1887: 1 fratello; E5 Cammarano, 1835: 6 fratello, und E6 Piave, 1851: 3 fratello, 2 sorella)26 auf. Die laut Rossi für das Metastasio-Modell typische ältere germano-Form ist deutlich seltener (17 Okkurrenzen im Gesamtkorpus vs. 27 fratello-Formen) und findet sich in Libretti des 17. und 18., nicht jedoch des 19. Jahrhunderts: Q2 Aureli, 1672: 2 germano; Q6 Varesco, 1781: 3 germano; E3 Haym, 1724: 5 germano; E4 Metastasio, 1729: 2 germano, 5 germana. Dieser Befund stimmt also mit Rossis Theorie überein, während die fratello/sorella-Formen eine andere Tendenz aufweisen. Die stilisierte, laut Rossi für Rossini und Verdi charakteristische Form suora wiederum ist nur in einem Libretto enthalten (E5 Cammarano, 1835: 2 Belege). Rossis Thesen können vom hier untersuchten Korpus demnach nur partiell gestützt werden. Ein weiterer Fall von Allotropie liegt vor bei den Begriffen preghiera – prece – priego – prego, die meist im Sinne von ‘Gebet’, aber auch synonym zu voto ‘Gelübde’ verwendet werden. Dabei ist preghiera spätestens seit dem 14. Jahrhundert als Normalform anzusehen,27 die dem entsprechend in allen von Rossi untersuchten Opern (in der Abfolge Metastasio – Rossini – Verdi) auftritt. Daneben stellt er jedoch auch die Archaismen prece und priego (auch in monophthongierter Form als prego) fest (cf. Rossi 2005a, 201–203). Er streicht in allen Fällen eine klare Weiterentwicklung des Stils heraus: Während prece bei Metastasio nicht, bei Rossini sechs Mal und bei Verdi 23 Mal auftritt und somit im Laufe der Zeit

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Speziell zu suora cf. auch Serianni (2001, 139s.), der Belege für diesen Archaismus bei Monti, Foscolo, Manzoni, Praga, Camerana, Carducci, D’Annunzio, Pascoli und auch bei den Librettisten der Verdi-Opern findet. Eingeschlossen sind hier sowohl Pluralformen ( fratelli, sorelle) als auch apokopierte Belege ( fratel), die nicht gesondert aufgezählt werden. Cf. DELI, 1247, und DEI, vol. 4, 3059, von vlat. *precƖ ria(m). Die Form prece lässt sich auf lat. prex, precis, pluralisch verwendet precƜs, zurückführen und ist bereits im 13. Jh. belegt (cf. DELI, 1244, und DEI, vol. 4, 3051).

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an Bedeutung bzw. Beliebtheit bei den Librettisten gewinnt, findet er bei priego die Gegenbewegung von 18 Belegen bei Metastasio, 8 bei Rossini und nur 4 bei Verdi. Die monophthongierte Form (prego) entwickelt sich dann jedoch wieder gegenläufig (0 bei Metastasio, 2 bei Rossini, 4 bei Verdi). Seine schlussfolgernde Erklärung unterstreicht wiederum die Brückenfunktion, die die Rossini-Opern zwischen den beiden großen Modelltypen einnehmen. Zu prüfen ist nun, ob sich diese chronologische Tendenz auch im hier untersuchten Librettokorpus nachvollziehen lässt, das ja Beispiele für Metastasio-Libretti (Q5, E4) wie auch für Rossini- (Q7) und Verdi-Opern (Q9, Q10, E6) enthält.28 Die unmarkierte Form preghiera findet sich durchaus nicht in allen Libretti, sondern lediglich in Q1 (1 Beleg), Q4 (1 Beleg), Q8 (5 Belege) und E2 (1 Beleg) – und somit quer durch die Jahrhunderte –, was jedoch auch mit der Thematik der Texte zusammen hängen mag. Ansonsten lassen sich die Aussagen Rossis jedoch tendenziell bestätigen: prece tritt ausschließlich in späten Libretti des 19. Jahrhunderts auf (1 Beleg in Q9, 2 in Q10, 2 in E5), von denen zwei von Verdi vertont wurden (Q9, Q10), eines von Donizetti (E5); in der Rossini-Oper (Q7) ist es jedoch nicht vorhanden. Auch hier ist also, wie im zuvor geschilderten fratello-Fall, eine leichte Zunahme archaisierender Formen in den Libretti des 19. Jahrhunderts belegbar. Die Form priego dagegen ist bevorzugt in frühen Libretti des 17. und 18. Jahrhunderts enthalten (Q1: 4 Belege, E1: 2, E3: 1, E4: 1), tritt aber auch ein Mal in einem Text des 19. Jahrhunderts auf (E6). Das monophthongierte prego steht – als Substantiv – in insgesamt vier Libretti, davon drei aus dem 17. (Q1: 3, Q2: 1, E1: 1) und eines aus dem 19. Jahrhundert (Q8: 1). Die letztgenannte Form wird also – anders als bei Rossi – im vorliegenden Korpus parallel zu priego eher in den frühen Libretti verwendet. Eine Brückenfunktion der Libretti aus dem 18. Jahrhundert, insbesondere der der Rossini-Opern, ist an dieser Stelle nur schwer erkennbar, dagegen ist die These der zunehmenden arcaicità durchaus plausibel. Zu differenzieren ist hier darüber hinaus zwischen «echten» Archaismen, die im Laufe der Zeit an Bedeutung verlieren und nach der Alltagssprache auch aus der Sprache der Poesie wegfallen (priego), und solchen, die im 19. Jahrhundert in der Literatur wieder an Beliebtheit gewinnen und bewusst als Archaismen eingesetzt werden (prece), etwa um gerade die künstliche Rückwärtsgewandtheit der Librettosprache zu betonen und dieses Idiom besonders realitätsfern auszugestalten. 4.1.1.3. Topoi Auf lexikalischer Ebene werden, wie zu Beginn des vorliegenden Abschnitts zitiert, verschiedene spezifische Substantive wiederholt genannt, die als besonders typisch für das Opernidiom gelten und weit von der Alltagssprache entfernt sind.

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Auf die Problematik, Libretti mit Opern und Librettisten mit Komponisten in der Analyse gleichzusetzen, wurde bereits weiter oben hingewiesen.

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Zudem stellen sie oftmals Schlüsselwörter dar für bestimmte, als typisch für diese Art der Poesie zu nennende klischeehafte Ausdrücke oder Topoi, so etwa cimento ‘Prüfung’: Rossi notiert, dass sich dieser Beleg häufig bei Metastasio, seltener bei Verdi findet und zudem in den ernsten Opern eher die kriegerische Bedeutung ‘Mutprobe’, ‘Prüfung durch Kampf’ aufweist, während er in den buffa-Opern für ‘Liebesbeweis’ steht (cf. ib., 197). Innerhalb der 15 italienischen opere serie des vorliegenden Korpus tritt cimento (auch in der Pluralform cimenti) in 6 Libretti auf, dabei besonders in den Wiener Libretti des 18. Jahrhunderts: drei Mal in Q4 (Zeno), fünf Mal in Q5 (Metastasio), drei Mal in E4 (Metastasio), darüber hinaus aber auch in Q7 (Rossi, 5 Belege), Q10 (Boito, 2 Belege) und E2 (Minato, 1 Beleg). Aus semantischer Sicht ist eher eine Vermischung der beiden Bedeutungsebenen ‘Krieg’ und ‘Liebe’ feststellbar, da es thematisch fast ausschließlich um sehr irdische Prüfungen mit Waffengewalt zur Erlangung einer geliebten Frau geht. Der kriegerische Aspekt wird teilweise ausdrücklich benannt (nel bellico cimento, E2, II 20; nel fier cimento, Q7, II 4; dal terribile cimento, Q7, II 7), teilweise durch emotionale Ausrufe betont (Ah dov’è, dov’è il cimento!, Q7, I 8). Eine chronologische Zu- oder Abnahme der Beleganzahl im Laufe der drei Jahrhunderte ist nicht eindeutig feststellbar. Ein von Rossi als typischer Topos des 18. Jahrhunderts bezeichneter Begriff ist auch Ircano; die ursprüngliche Bezeichnung für einen Bewohner der unwirtlichen Region Ircania im antiken Persien entwickelte sich zu einer Allegorie für wilde Raubtiere und undurchdringliche Wälder und wurde als solche oft metaphorisch für die Unfähigkeit zur Liebe oder zum Mitleid verwendet (cf. ib., 201). Nach Rossi tritt der Begriff vier Mal bei Metastasio,29 drei Mal bei Rossini und gar nicht bei Verdi auf und kann somit als in den Opern des späteren 19. Jahrhunderts aus der Mode gekommen angesehen werden. Im hier untersuchten Korpus tritt Ircano bzw. die Region Ircania – abgesehen von der Figur Ircano in Metastasios Semiramide riconosciuta (E4) – ausschließlich in Libretti des 17. Jahrhunderts auf, nämlich in Aurelis Orfeo (Q2, 1672) und in Minatos Xerse (E2, 1654), beides typische venezianische Libretti:30 Già l’ho predetto, In feminile petto Non regna crudeltà di Tigre Ircana, Ed ogni donna, al fine, Viva e non morta vuol la carne umana (Q1 Aureli, L’Orfeo III 17). [...] Figlio di Dario tu? fratello a Xerse? O che non chiudi in seno anima umana

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Rossi erwähnt hier nicht, dass Ircano daneben als skythischer Prinz eine der Hauptfiguren in Metastasios Semiramide riconosciuta (E5) darstellt und somit nicht nur metaphorisch eine wichtige Rolle bei diesem Librettisten spielt. Cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2. und 2.1.

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o che libico serpe, o tigre ircana, o ti produsse, o t’allattò spietato, barbaro, menzognero, l’amerò? non fia vero (E2 Minato, Xerse II 4) Nell’Ircania colà belva più fiera di Romilda inumana qual mai si ritrovò? Adelanta te ’l disse? E non scherzò? (ib. II 7) Ne’ mostri della Libia, nelle fere d’Ircania, vostre immagini vere, ben vi potrò vedere (ib. III 4).

Die Annahme, es handele sich hier um einen typischen Topos des 18. Jahrhunderts, kann also an Hand des in der vorliegenden Arbeit analysierten Korpus nicht bestätigt werden; die Entstehung der metaphorischen Verwendung muss hiernach vielmehr in das 17. Jahrhundert vorverlegt werden und kann als Modell gelten, dem Metastasio gefolgt ist, das er jedoch nicht geprägt hat. In den hier enthaltenen Verdi-Opern (Q9, Q10, E6) tritt der Begriff nicht auf. Die im Folgenden dokumentierte Zusammenstellung weiterer lexikalischer, archaisch anmutender Topoi bestätigt die These, dass die Librettosprache sich als absichtlich stilisiert und hochgradig poetisiert darstellt:31 1. occhi Die Augen, die in der Poesie aller Jahrhunderte eine prägnante Rolle spielen (Augen der/des Liebenden, des Freundes, des Feindes, einer Gottheit etc.), werden auch in Opernlibretti sehr häufig thematisiert und dabei oftmals mit Begriffen aus dem Bereich des Lichts verbunden. Eine besonders reiche Licht-SchattenMetaphorik findet sich innerhalb des vorliegenden Korpus vor allem in den beiden Orpheus-Libretti von Striggio und Aureli, deren Thematik diese Antithese im Rahmen der Oberwelt-Unterwelt-Polarität nahe legt (Q1: 7 Belege, Q2: 15). Auch in den übrigen Libretti finden sich jedoch zahlreiche Belege für den unmarkierten

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Die Zusammenstellung umfasst Beispiele für weitere lexikalische Archaismen, Kultismen und Poetismen, die in den hier untersuchten Libretti aus dem einen oder anderen Grund als benennenswert erachtet wurden. Weitere Kultismen in der Sprache der Poesie zählt etwa Serianni (2001, 136–141) auf; er untergliedert in «reliquie popolari del nominativo latino» (aspe, beatitudo, imago, margo, polve, scorpio, sermo, turbo etc., cf. ib., 136s.) und «continuatori dell’accusativo» (mogliera, rege/regi, sartore, speme, vermine, cf. ib., 140s.).

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Begriff occhi (fast ausnahmslos pluralisch verwendet):32 Q4 (5), Q5 (4), Q6 (3), Q8 (3), Q9 (2), Q10 (4), E1 (8), E2 (7), E3 (2), E4 (10), E5 (1), E6 (4). Als erkennbare Poetismen sind dagegen die Begriffe ciglio, luci, lumi, pupille oder rai zu bezeichnen, die entweder metaphorisch den Aspekt des Leuchtens und Strahlens der Augen betonen (lumi, luci, rai) oder als Synekdoche mit eher rhetorischem als semantischem Gehalt eingesetzt werden (ciglio, pupille):33 1a. ciglio Der Begriff ciglio ‘Wimper’ wird zahlenmäßig nicht häufig, aber dennoch breit gestreut in 10 der 15 italienischen Libretti verwendet: Q2 (3), Q4 (1), Q5 (6), Q6 (2), Q7 (2), E1 (2), E3 (2), E4 (3), E5 (1), E6 (1). Dabei fungiert er teilweise eher als Synonym für ‘Blick’ (E5, I 3: Perché d’intorno il ciglio / Volgi atterrita?), teilweise als Synekdoche für die gesamte Augenpartie (Q5, I 4: Avea / bionde le chiome, oscuro il ciglio, i labbri / vermigli sì ma tumidetti), teilweise kann er aber auch in seiner Erstbedeutung ‘Wimper(n)’ gelesen werden (Parmi veder le lagrime / scorrenti da quel ciglio, E6, II 1). Als typisch für die Sprache der Poesie kann in jedem Fall der Ersatz des Plurals durch den Singular bezeichnet werden, der sich dort auch bei anderen eigentlich paarweise auftretenden Körperteilen findet (ala, mano, occhio, orecchia, piede, pupilla).34 1b. luci Besonders in den bereits zitierten Orpheus-Libretti Q1 und Q2 wird bewusst mit den beiden Bedeutungsebenen von luci als ‘Lichter’ und ‘Augen’ gespielt (Q1: 7 Belege, Q2: 13), wobei oftmals luci und occhi in direktem Kontakt miteinander auftreten bzw. keine klare Semantisierung möglich ist (Q1, III: ond’oggi ancor spero / di riveder quelle beate luci / che sol’a gli occhi miei portano il giorno; oder ib.: O de le luci mie luci serene, / s’un vostro sguardo può tornarmi in vita). Ein ähnliches Phänomen findet sich auch in späteren Libretti, so etwa bei Metastasio (Q5, II 9: chiamarti / mia speme, mio diletto, / luce degli occhi miei, insg. 3 Belege), doch verdeutlicht hier der Singular die Trennung zwischen beiden semantischen Bereichen. Weitere Belege für luci im Sinne von ‘Augen’ finden sich lediglich bei Minato (E2: 2) und Haym (E3: 1). 1c. lumi Für lumi gilt – bezogen auf Q1 – dasselbe wie für luci: Der Begriff tritt teils als Synonym für ‘Augen’ auf (2 Belege), teilweise jedoch auch in seiner eigentlichen Bedeutung ‘Licht(er)’ (3 Belege), manchmal zusätzlich mit anderen Substanti-

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Zum Ersatz des Plurals durch den Singular cf. weiter unten den Abschnitt zu ciglio, außerdem Serianni 2001, 150s.). Cf. ib., 149s., auch zum gegenteiligen Vorgang des plurale poetico. Zur Singular-Plural-Verteilung dieser Begriffe cf. weiter unten in diesem Abschnitt. Cf. hierzu Serianni 2001, 150s. Zum gegenläufigen Phänomen des plurale poetico cf. ib., 149s. (le nevi, le chiome, le soglie, le voci etc.).

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ven desselben semantischen Feldes verknüpft (lampi, sole): Ed ecco immantinente / scolorirsi il bel viso e ne’suoi lumi / sparir que’lampi, ond’ella al sol fea scorno (Q1, II). Darüber hinaus tritt lumi jedoch auch in der metaphorischen Bedeutung ‘(helles) Licht’ im Sinne von ‘besonders geschätzte Person’ auf: Oggi turbo crudele / i due lumi maggiori / di queste nostre selve, / Euridice e Orfeo, / l’una punta da l’angue, / l’altro dal duol trafitto, / ahi lassi, ha spenti (Q1, II). Hier hat Alessandro Striggio ein hochkomplexes metaphorisches Gefüge erschaffen, in dem er Begriffe der semantischen Dichotomie ‘Licht vs. Schatten’ kunstvoll miteinander verknüpfte. Das zweite Orpheus-Libretto, Q2 von Aureli, ist in dieser Hinsicht weit weniger rhetorisch-stilistisch ausgestaltet; hier finden sich ausschließlich lumi-Belege mit der einfachen Bedeutung ‘Licht(er)’. Im ältesten aller Libretti, Rinuccinis Dafne (E1), sind dagegen ähnlich kunstvolle metaphorische Felder vorhanden wie in Q1; hier wird beispielsweise mit dem Gegensatzpaar Feuer vs. Eis jongliert (E1, I: Fa’ ch’al foco de miei lumi / si consumi / ogni gelo, ogni durezza). In Apostolo Zenos Teuzzone (Q4) wird auf andere Weise die Mehrdeutigkeit von lumi eingesetzt, indem der Librettist damit idiomatische Wendungen bildet, die sich um das Wortfeld ‘Augen’ ranken und in der Alltagsspracher ausschließlich mit dem unmarkierten occhi auftreten, so etwa abbassare i lumi (III 6), leggere nelle lumi (I 3) oder versare dai lumi la crudeltà (III 13; insgesamt 4 Belege). Die weiteren lumi-Belege verteilen sich über die jüngeren Libretti, sind jedoch deutlich weniger rhetorisiert als bei Rinuccini, Striggio und Zeno: Q6 Varesco (4 Belege, davon zwei Mal in der Kombination bei lumi), E2 Minato (2 Belege, hier erwähnenswert die Licht-Sonnen-Metaphorik in Ahi chi toglie a’ miei lumi / del sol i raggi d’oro?, III 4), E3 Haym (2), E4 Metastasio (1) und E5 Cammarano (1). Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass sich die frühen Libretti auf semantischer wie rhetorischer Ebene als deutlich stilbetonter als die jüngeren Texte etwa der Opern Verdis erweisen. 1d. pupille Auch pupille als Synekdoche für die Augen tritt zahlenmäßig nicht häufig, aber recht regelmäßig auf: Q1 (1), Q2 (3), Q4 (1), Q5 (1), Q6 (3), E2 (4), E3 (1), E4 (3). In diesem Fall ist ebenfalls eine eindeutige diachronische Tendenz zu erkennen, denn pupille findet sich ausschließlich in Libretti des 17. und 18. Jahrhunderts; keiner der 5 Korpustexte des 19. Jahrhunderts enthält eine solche Okkurrenz. Inhaltlich sind auch hier wieder Verknüpfungen mit der Licht-Schatten-Metaphorik zu erkennen: Ohimè chi mi nasconde / de le amate pupille il dolce lume? (Q1, II); Qual improvviso lampo, / Di fulgide bellezze, / Tra questi fior le mie pupille abbaglia! (Q2, I 17); manchmal auch mit der Feuer-Metaphorik: V’adoro, pupille / saette d’amore / le vostre faville / son grate nel sen, E3, II 2). 1e. rai Anders als von Kurt Ringger vermutet (cf. Ringger 1984, 504, sowie das eingangs dieses Abschnitts wiedergegebene Zitat), wird das Wort rai, auch als raggi(o), – zumindest in den 16 Korpuslibretti – ausschließlich in seiner eigentlichen Bedeu171

tung ‘Strahlen’ verwendet, zumeist bezogen auf die Sonne (z. B. dispiega il sol più chiaro i rai lucenti, Q1) und in keinem Fall als Synonym für Augen. Der semantische Bereich des zum Topos erstarrten Wortfeldes ‘Augen’ erweist sich somit als in jeder Hinsicht aufschlussreich für die Analyse nicht nur der lexikalischen, sondern vor allem der rhetorischen Konstruiertheit von Opernlibretti im Allgemeinen und insbesondere der frühen Libretti.35 Letztere erscheinen als durchweg kunstvoller und stilistisch durchgestalteter als die späteren Texte. Es gilt also zu untersuchen, inwiefern die Libretti vor allem des 19. Jahrhunderts, die nach allen bisherigen Erkenntnissen als sprachlich besonders künstlich und weit von der Gebrauchsnorm entfernt gelten können, zwar eine exemplarische Stellung für die Gattung Opernlibretto einnehmen, dies jedoch eher auf lexikalischer und weniger auf semantisch-stilistischer Ebene. Vorsichtig sei hier die These gewagt, dass die ersten Libretti durch die musikgeschichtlich belegte stärkere Konzentration auf die Sprache (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.) zumeist rhetorisch sorgfältiger konstruiert sind als die insgesamt plakativeren, weil mehr auf die Musik konzentrierten Libretti zu den Opern eines Bellini, Donizetti oder Verdi. Müssen Letztere durch Schlüsselwörter und emotionale Elemente wie etwa Interjektionen (cf. hierzu den folgenden Abschnitt, Kap. 4.1.2.) wirken, da ihre Sprache sonst von den beiden anderen Faktoren Musik und szenische Darstellung überdeckt würde, können es sich die frühen Librettisten leisten, dichterisch ausgefeiltere und daher weniger oberflächliche Texte zu verfassen. Ob die Libretti des 18. Jahrhunderts hierbei eine Art Brückenfunktion einnehmen, wie etwa Rossi sie ihnen zuweist, muss an späterer Stelle noch hinterfragt werden. Weitere lexikalische Archaismen sind etwa 2. talamo Während der alltagssprachliche Begriff letto in allen 16 Libretti lediglich sieben Mal auftritt, ist der als Archaismus zu bezeichnende Begriff talamo über das gesamte Korpus verteilt: Q4 (1), Q5 (1), Q6 (1), Q7 (2), Q9 (3), E3 (1), E4 (3), E5 (3). Dabei verbindet er sich häufig mit den Adjektiven reale (z. B. E4: talamo real) und nuziale (z. B. Q5: talamo nuzial) oder mit den Substantiven trono (z. B. Q4, III 1: Sono già mio possesso / il talamo ed il trono) und tomba (z. B. E5, I 2: Enrico: A te s’appresta il talamo... / Lucia: La tomba a me s’appresta!). 3. tempio Wie im eingangs aufgeführten Zitat von Kurt Ringger (cf. Ringger 1984, 504) vermutet, tritt auch in den beiden hier analysierten Korpora kein Beleg für chiesa auf, dafür finden sich jedoch um so mehr Okkurrenzen des archaisierenden Begriffs tempio: Q1 (1), Q5 (8), Q6 (2), Q7 (8), Q8 (11), Q10 (3), E3 (1), E5 (2), E6 (5). Besonders in der thematisch eng mit dem Themenkomplex Glaube und Moral verknüpften Norma von Felice Romani (Q8, 1831) tritt dieser Begriff häufig in

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Zu weiteren Wortfeldern cf. weiter unten, Kap. 4.1.4.

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emotionalen Zusammenhängen auf,36 wobei tempio stets als Symbol für Sicherheit, Heimat, Glaube und Heiligtum eingesetzt wird und ausschließlich positiv konnotiert ist: Al tempio, al Dio! (I 5); Al tempio, ai sacri altari / Che sposar giurai (I 6) oder Ah! Tu non sai, pur dianzi / Qual giuramento io fea! / Fuggir dal tempio, / Tradir l’altare a cui son io legata, / Abbandonar la patria! (I 8). Ansonsten ist eher eine chronologische Kontinuität als eine Entwicklung feststellbar, so dass tempio als allgemein opernsprachlicher und nicht als für ein Jahrhundert typischer Archaismus anzusehen ist. 4. ucello Während die heute standardsprachliche Form ucello ‘Vogel’ in keinem der Libretti aufzufinden ist, verwenden die Librettisten eher die Poetismen augello (Q2: 2, Q10, E2, E4: je 1) bzw. apokopiert augel (E1: 1) oder die Diminutive augellin (Q1, E3: je 1) und augelleto (Q4: 1),37 die alle auf den Provenzalismus auzel zurückzuführen sind.38 Serianni benennt diesen Poetismus als «una parola-simbolo del linguaggio poetico tradizionale» (Serianni 2001, 68), der im 19. Jahrhundert bewusst als archaisierendes Kunstwort eingesetzt, im 20. Jahrhundert jedoch zumeist nur noch in ironischer Weise verwendet wird.39 Erstaunlicherweise treten die augello-Belege innerhalb des hier untersuchten Korpus jedoch fast ausschließlich in Libretti des 17. und 18. Jahrhunderts auf und bis auf eine Okkurrenz (Scendean augelli a vol dai rami cupi / verso quel dolce canto, Q10, IV 1) gerade nicht in denen des 19. Jahrhunderts. Dies mag mit der Thematik der jeweiligen Opern zusammenhängen, doch ist – ausgehend von diesem Korpus – keine besondere Affinität zu dem Begriff in den Libretti des 19. Jahrhunderts nachweisbar. 4.1.1.4. Idiomatismen Neben den lexematischen Topoi finden sich in den Libretti auch typische zusammengesetzte Wortkombinationen, die dem linguaggio aulico zuzuordnen sind, wie etwa die als iuncturae bezeichneten festen Substantiv-Adjektiv-Kombinationen (Typ amor possente, crudele fato / cruda sorte etc., cf. hierzu weiter unten,

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Allerdings gilt es festzuhalten, dass der Begriff chiesa sich hier aus rein thematischer Sicht verbietet, da die Handlung der Oper im vorchristlichen Gallien angesiedelt ist. Auch Scavuzzo zitiert Belege für augel, augelletto, augellini und augello, die er in Sprechtheatertexten des Settecento ausmachen konnte (cf. Scavuzzo 2002, 192). Prov. auzel, von spätlat. aucƞllu(m), das seinerseits einen Diminutiv aus indoeurop. Ăvis entstanden war. Das anlautende au- erhielt sich ausschließlich im Süden Italiens, während es im Norden intervokalisch sonorisiert wurde. Im Provenzalischen koexistieren beide Formen nebeneinander, so auch in der italienischen Poesie, cf. DELI, 147 und 1757, sowie LEI, vol. 2, 2232–2235 (hier der zusätzliche Hinweis, dass auzel aus der Troubadourlyrik in die italienische Literatursprache gelangte). Bei ihm wird es zudem unter der Rubrik Phonetik (cf. ib., 43–127) aufgeführt, da auch das anlautende au- als Poetismus zu bezeichnen ist.

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Kap. 4.1.3.) 40 oder ganze idiomatische Wendungen, die, folgt man Serianni (cf. Serianni 2005, 93), oftmals von Metastasio geprägt41 und bei Verdi als Zitat wieder aufgenommen wurden. Eine dementsprechende Analyse im hier betrachteten Korpus ergibt jedoch, dass es zumeist nicht Metastasio war, der das Modell prägte, sondern dass er vielmehr bereits vorhandene feste Syntagmen aufnahm, die dann vermutlich durch die große Beliebtheit seiner Libretti verbreitet wurden. Beispiele für derartige Wendungen: 1. Sogno (o) son desto? Ein Beispiel dafür ist etwa die idiomatische Wendung Sogno o son desto?,42 die im hier untersuchten Korpus in den Metastasio-Libretti (Q5, E4), jedoch ansatzweise bereits in früheren Texten auftritt: Q1 Striggio (1607): sogno o vaneggio? (IV) E2 Minato (1654): Sogno? Veglio? Che fo? (II 17) E4 Metastasio (1729): Sogno o son desto? (I 3 und III 8) Q5 Metastasio (1733): Sogno o son desto! (II 12). Dabei wird sie jedoch bei Striggio (Q1) noch nicht als Antithese formuliert, sondern durch zwei partielle Synonyme (sognare und vaneggiare) ausgedrückt; bei Minato (E2) tritt allerdings bereits die Antithese auf (sognare und vegliare). Die feste Fügung Sogno o son desto? ist jedoch auch im vorliegenden Korpus ausschließlich in Metastasio-Libretti vorhanden, die Vorläufer sind aber demnach schon im Jahrhundert zuvor zu belegen. In den hier analysierten drei Verdi-Opern (Q9, E6, Q10) ist diese Wendung nicht zu belegen. 2. Lo speri invano Auch der Satz Lo speri invano lässt sich im Librettokorpus bereits vor Metastasio, nicht jedoch bei Verdi finden: Q2 Aureli (1672):43 Parti, in vano più speri / Che questo cor ne’ lacci tuoi trabocchi (III 6) Q4 Zeno (1719): invano tu speri / dar pace al tuo cor (III 1) E3 Haym (1724): Speri invano mercede (III 7) E4 Metastasio (1729): Invan lo speri (III 3).

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Cf. zu den iuncturae auch Rossi 2005a, 25s. Teilweise erhielten die Wendungen auf Grund der großen Beliebtheit und Bekanntheit der metastasianischen Libretti sogar mit phraseologischem Wert versehen Eingang in die Allgemeinsprache, so etwa Sogno o son desto? (cf. Serianni 2005, 93). Cf. hierzu bereits Ringger 1991, 523 (zu Versatzstücken metastasianischer Herkunft in Mozarts Così fan tutte). Cf. auch Rossi 2005a, 54, und Telve 1998, 330, der ebenfalls eine metastasianische Herkunft der Wendung feststellt. Dort auch weitere Beispiele für derartige Wendungen. In diesem Libretto finden sich außerdem zahlreiche ähnliche syntaktische Fügungen wie etwa [...] in vano or qui tu chiami (I 9).

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3. Il reo son io Das von Serianni als für Metastasio und Verdi häufig zitierte Il reo/la rea son io (cf. ib., 93s.) tritt in den Korpuslibretti ausschließlich bei Metastasio auf: E4 Metastasio (1729): Non più, così comando, il re son io (II 3) Q5 Metastasio (1733): Il reo son io, / io son lo scelerato (II 15). 4. Mai più ti rivedrò Die Wendung Mai più ti rivedrò ist im Korpus lediglich bei Zeno und Romani vertreten:44 Q4 Zeno (1719): Parte il mio sposo? Oh dio! / Io più no ’l rivedrò? (II 4) Q8 Romani (1831): E mai più ti rivedrò (III 10). 5. Che dissi Auch Che dissi, typische dramatische Wendung auch im Sprechtheater,45 lässt sich in Korpuslibretti aus allen drei Jahrhunderten nachweisen (darunter mit E6 ein Libretto für eine Verdi-Oper), nicht jedoch bei Metastasio: E2 Minato (1654): ahimè che dissi! (II 17) Q4 Zeno (1719): Ah, che assai dissi! (I 13) E3 Haym (1724): ohimè, che dissi? (II 8) E6 Piave (1851): Che dissi! (I 9). 4.1.1.5. Fazit Insgesamt trägt das hier untersuchte Korpus also nicht zur Stärkung der von Serianni geäußerten Thesen bei, dass zahlreiche allgemein als typisch für die Opernsprache geltende feststehende Wendungen durch Metastasio geprägt und bei Verdi quasi als Zitat wieder aufgenommen wurden. In den meisten der hier dargebotenen Stichproben liegen vielmehr bereits viel ältere Belege aus dem 17. oder frühen 18. Jahrhundert vor, die Metastasio vielleicht übernommen, gefestigt und zu Ruhm gebracht, jedoch sicherlich nicht erfunden hat. Hier hätten in den genannten Studien von Serianni und Rossi die Libretti vor Metastasio berücksichtigt werden müssen. Die drei im Korpus enthaltenen Verdi-Opern (Q9, E6, Q10) liefern kaum Hinweise darauf, dass der Komponist bzw. sein jeweiliger Librettist sich – zumindest in diesem lexikalischen Bereich – viele feste Wendungen von Metastasio angeeignet hätte. Die Mutmaßungen über die direkte Übernahme von sprachlichen Modellen auf dem Weg Metastasio – (Rossini) – Verdi müssen also pauschal bleiben und können hier nicht belegt werden.

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Dem Opernkenner fällt hier sogleich Aidas Nil-Arie ein (O patria mia, mai più ti rivedrò!, Ghislanzoni, Aida III); ich danke Albert Gier (Bamberg) für diesen Hinweis. Diese Formel wird oftmals «da se», also abseits vom Dialog auf der Bühne gesprochen, was entweder durch eine explizite Regieanweisung oder durch die Einklammerung der Wendung typographisch dargestellt wird. Zum a parte-Sprechen als Subjekt abschwächendes Stilmittel cf. weiter unten, Kap. 4.2.1.

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Auch das Fazit der exemplarischen Analyse einiger ausgewählter morphosyntaktischer und lexikalischer Phänomene an Hand der gemischten Korpora Q und E muss vorerst ähnlich unscharf bleiben, was jedoch nicht als negativ bewertet werden sollte. Die von verwandten bereits vorliegenden Untersuchungen ausgehenden Stichproben lieferten keine Pauschalurteile, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass die Sprache der Opernlibretti über ihre allgemeinen Gattungsmerkmale hinaus differenziert betrachtet werden muss. Allerdings deuten sich einige jahrhundertabhängige Tendenzen an, die teilweise durch die noch folgenden Analysen bestärkt (oder widerlegt) werden müssen. Inwieweit die Libretti des 18. Jahrhunderts die in mehreren Untersuchungen (cf. Rossi 2005a und 2005b, Serianni 2001, 2002 und 2005) genannte Brückenfunktion einnehmen, iste ebenfalls noch nicht abschließend geklärt. Die hier betrachteten Phänomene lassen keine klare Aussage bezüglich einer solchen Kontinuität vom Metastasio-Modell über die Libretti der Rossini-Opern bis hin zu Verdi zu, zumal die Libretti vor Metastasio in den genannten Untersuchungen nicht berücksichtigt wurden. Auch ist Metastasio noch als ein Verfechter des Primats der Sprache vor der Musik anzusehen (cf. Kap. 1.2.) und seine musikhistorische Rolle im Bereich der sprachlichen Ausgestaltung somit eine andere als die eines Rossi oder Romani, die den Beginn der Vorrangstellung der Musik markieren. Auch der von Coletti angenommene scharfe Schnitt zwischen der Sprache der Libretti des 19. Jahrhunderts und der aller früheren Libretti (cf. Coletti 2005 und weiter oben in diesem Abschnitt) konnte allein durch die bisher analysierten lexikalisch-semantischen Aspekte nicht belegt werden (cf. jedoch weiter unten, Kap. 4.2.). Auch hier ist hinsichtlich der folgenden Abschnitte noch ein deutlicher Klärungsbedarf vorhanden. 4.1.2.

Interjektionen und exklamative Wendungen

Die grammatische Kategorie der Interjektionen ist deutlich schwieriger zu definieren und häufiger diskutiert worden als die meisten anderen Wortarten. So beginnen ihre Konturen bereits bei der diamedialen Betrachtung zu verschwimmen, denn Interjektionen sind – entgegen der gängigen Meinung – nicht eindeutig und ausschließlich der gesprochenen Sprache zuzuordnen. Richard Baum spricht von den «Konzepten interjection, mot-phrase, phrase averbale und ellipse», mit denen «Elemente der Syntax situativen Sprachgebrauchs» (Baum 1998, 57, Hervorhebungen vom Autor) erhellt werden können, und ordnet die Interjektionen eher der gesprochenen Sprache zu. Allerdings plädiert Baum – in Anlehnung an ein Konzept von Klaus Hunnius – für eine Aufgabe der klaren Trennung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache (cf. ib., 49s. und passim). Er erläutert die Definition der schwer eingrenzbaren Wortart Interjektion basierend auf dem Bon usage nach Grevisse bzw. in dessen Nachfolge Goosse. Die von ihnen zur Umgehung der geschilderten Eingrenzungsprobleme neu geschaffene Bezeichnung «Satzwort» (mot-phrase, auch locution-phrase)46 umfasst

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Auch Poggi (1995, 403 und passim) verwendet in der Grande grammatica italiana di

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ab der 12. Auflage des Bon usage (1986) in etwa das, was in den Auflagen zuvor noch als Interjektion bezeichnet wurde. Die phrase averbale und die ellipse sind davon jedoch kaum zu trennen. Zuvor hatte bereits – aus germanistischer Sicht – Helmut Henne die Interjektionen als eine von drei Untergruppen der Wortart «Wörter des Gesprächs» vorgeschlagen (cf. Burger 1980, 53s.). Diese Auffassung führt zurück bis in die griechische Antike und zu Dionysius Thrax (cf. ib., 54s., und Baum 1998, 50), der wohl als erster die Interjektionen den partes orationis zuordnete. Die Fragen, ob es sich überhaupt um eine eigene Wortart handelt und wie diese zu definieren wäre, sind jedoch bis heute nicht abschließend gelöst.47 Dies liegt vor allem darin begründet, dass Interjektionen in syntaktischer Hinsicht nicht klar eingrenzbar sind. So können sie einerseits satzwertige (mot-phrase) und indeklinable Elemente darstellen, andererseits aber auch syntaktisch angeschlossen sein; teilweise können sie in beiden Kategorien auftreten.48 Auch aus semantischer Sicht ist ihre Funktion keineswegs geklärt, denn sie sind dem emotionalen Bereich sprachlicher Äußerungen zuzuordnen, unter ihrem Oberbegriff werden jedoch – je nach Definition – mitunter auch Anrufe, Zurufe oder Schall nachahmende Wörter versammelt (cf. Burger 1980, 55s.). Ihr Umfang ist ebenfalls sehr variabel; in den Grammatiken der deutschen Sprache reichen sie von einfachen, oft einsilbigen Ausrufen wie ha, he, hui oder holla bis hin zu Phraseologismen wie potz Element oder der Henker hole! (cf. ib., 56) oder syntaktisch vollständigen Aussagesätzen. Zur Vermittlung in der Diskussion trug schließlich die seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorgeschlagene Trennung in primäre und sekundäre Interjektionen bei, die sowohl diachron («von Anfang an als Interjektion fungierend / sekundär zur

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consultazione diesen Begriff (parola-frase); sie ordnet die Interjektionen dem linguaggio olofrastico (im Gegensatz zum sonst üblicheren linguaggio articolato) zu und rückt sie damit in die Nähe der nichtverbalen oder Zeichensprachen. Eine ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte – allerdings nur bis ca. 1980 – bietet das Standardwerk von Ehlich (1986), der dort vorgestellte Forschungsstand muss allerdings in manchen Bereichen als überholt bezeichnet werden. Burger (1980, 55) nennt als Beispiel das Wort leider, das sowohl in der einen als auch in der anderen Kategorie auftreten kann (cf. etwa die drei Sätze von Andreas Gryphius: «Ach leider! diesen ruhm den ließ ich mich bethören», «Ach leider! wil man mir den süßen Tod verwehren» und «Mir leider viel zu schwer!»). Trabant (1983, 71) schlägt in seiner semiotisch angelegten Betrachtung der Interjektionen (Gehören die Interjektionen zur Sprache?) als Verbesserung für die Bezeichnung «satzwertig» den Begriff «textwertig» vor, da Interjektionen als Satz die Funktion innehätten, als Texte aufzutreten. Er grenzt sie als Textschemata damit von den Textteilschemata ab, die wiederum aus nicht satzwertigen Wörtern bestehen. Hundsnurscher (2006, 219) befindet den Begriff der «Satzwörter» als Widerspruch in sich und empfiehlt eine Betrachtung aus der Sicht der Sprechakttheorie, die viele sonst entstehende syntaktische Fragen klärt. In diese Richtung deutet auch bereits der pragmatische Ansatz von Poggi (1996, 403 und passim), die betont, dass Interjektionen einen Satz, gleichzeitig aber auch einen Sprechakt ersetzen bzw. darstellen können. Cf. auch bereits ausführlich Poggi 1981. Diese pragmatische Sichtweise vertritt auch Testa 1991, 115–136.

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Interjektion geworden») als auch synchron («einfaches Wort, nur als Interjektion verwendet / einfaches Wort, auch in anderen Funktionen verwendet, oder phraseologische Wortkette», ib., 57) aufgefasst werden kann. Dennoch bleiben Fragen nach dem semiotischen Status dieser Wortart bestehen, etwa danach, inwieweit Interjektionen konventionell, idiolektal oder gar nur ad-hoc-Bildungen sind, in welcher Dimension sie universal und kulturell übergreifend oder nur einzelsprachlich zu bewerten sind, oder nach dem Verhältnis nur in gesprochener Sprache verwendeter Interjektionen zu denen in geschriebener Sprache (cf. ib., 58). Die einschlägigen sprachwissenschaftlichen Nachschlagewerke geben den kontroversen Charakter der Interjektionen-Diskussion wieder: «Interjektion [lat. interiectio ‹Dazwischenwerfen›, ‹Einschub›. – Auch: Empfindungswort]. Gruppe von Wörtern, die zum Ausdruck von Empfindungen, Flüchen und Verwünschungen sowie zur Kontaktaufnahme dienen (Au! Verflixt! Hallo!). Ihr Status als Wortart ist ebenso umstritten wie ihre syntaktische Funktion, da I. sich morphologisch, syntaktisch und semantisch auffällig verhalten: Sie sind formal unveränderlich, stehen syntaktisch außerhalb des Satzzusammenhanges und haben (im strengen Sinne) keine lexikalische Bedeutung. Häufig haben I. lautmalenden Charakter, wie z. B. Brr! Hoppla! Peng! Papperlapapp!» (Bußmann 42008, 302).

Ähnlich wird auch im Metzler Lexikon Sprache auf diese Definitionsprobleme hingewiesen: «[...] Wortart, die dadurch gekennzeichnet ist, daß ihre Repräsentanten (a) morpholog. betrachtet unflektierbar sind und daher bisweilen den Partikeln zugerechnet werden, (b) in syntakt. Hinsicht außerhalb des Satzrahmens stehen und deshalb auch als satzwertig (und so bisweilen nicht als Wortart) angesehen werden, (c) in semant.-pragmat. bzw. kommunikativer Hinsicht als diskursspezif. Mittel zur Kontaktaufnahme, der Lenkung von Gesprächspartnern bzw. dazu dienen, Empfindungen, Aufmunterungen, Flüche, Verwünschungen usw. zum Ausdruck zu bringen, z. B. hallo!, he!, au!, aha!, ach!, oh!, hoppla!, o je!, verflixt!» (Glück 22000, 310).

Im 18. Jahrhundert hatten zahlreiche Autoren und Sprachtheoretiker die Interjektionen im Zusammenhang mit der Frage nach dem Ursprung der Sprache(n) abgehandelt.49 So nennt Burger (1980, 59ss.) etwa Johann Christoph Adelung, der zwischen zwei Hauptgruppen von Interjektionen unterschieden hatte: den Affektwörtern und den Schall nachahmenden Wörtern. Während im 18. Jahrhundert ausschließlich die zweite Gruppe als für die Sprachentwicklung bedeutsam betrachtet

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Reminiszenzen an diese Diskussion finden sich auch noch im sprachwissenschaftlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts, wenn etwa Gossen (1956, 270) seinem Beitrag über exclamations und interjections invocatoires folgende allgemein-philosophische Anmerkung voranstellt: «[...] l’homme a toujours été tenté d’invoquer les puissances surnaturelles aussitôt qu’il désirait donner un relief particulier à ses paroles. Comme le païen invoquait ses dieux et ses héros, le chrétien monothéiste invoque Dieu et les saints». Dabei bezieht sich Gossen allerdings – anders als die Sprachtheoretiker des 18. Jahrhunderts – auf die Gruppe der Affektwörter und Anrufungen und nicht auf die Schall nachahmenden Wörter.

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und die erste daher vernachlässigt wurde, ist in der gegenwärtigen Linguistik die erste Gruppe wieder in das Zentrum der Betrachtung gerückt. Burger definiert die Interjektionen darauf hin wie folgt: «Interjektionen realisieren die expressive Funktion (Freude, Schmerz), sie stellen den kommunikativen Kontakt her (holla), haben also phatische Funktion, sie sind appellativ, indem sie Bitten, Drohungen, Warnungen einleiten, sie betreffen den phatisch-mikrosozialen Aspekt der Beziehung zwischen den Partnern, sofern sie höhnen, verspotten, bewundern etc. All dies jedoch in sehr globaler und rudimentärer Form, in der Weise von Signalen, die den kommunikativen Rapport sozusagen vorstrukturieren» (ib., 62).

Er separiert die Schall nachahmenden Wörter von dieser Gruppe, indem er sie aus semiotischer Sicht als motiviert bezeichnet und ihnen somit nur im eingeschränkten Maße die Eigenschaften sprachlicher Zeichen zuordnet. Aufmerksamkeit für die hier vorzunehmende Analyse gebührt besonders Burgers Reflexionen zum Auftreten von Interjektionen in geschriebenen Texten. Während etwa in der Textsorte Comic die lautmalerischen Ausdrücke eine sehr prominente Rolle spielen (zack!, uff!, boing!, peng!, zosch!), sind diese für die meisten anderen literarischen Genres wenig relevant.50 Dennoch kommt den Interjektionen gerade in geschriebenen Dialogen besondere Bedeutung zu, womit Burger Helmut Hennes einleitend zitierte «Wörter des Gesprächs» neu definiert: In geschriebenen Texten können Interjektionen – in Ermangelung mimischer und gestischer Mittel – als Äquivalente für ein para- bzw. nonverbales Kommunikationsverhalten eingesetzt werden, so ist etwa das Lachen des direkten verbalen Gesprächs in einem Schauspiel nur per Bühnenanweisung («xy lacht») oder eben als Interjektion (hahaha) darstellbar: «Interjektionen ermöglichen also in der geschriebenen Sprache zunächst, solche vokale Äußerungen zu repräsentieren, die in mündlicher Kommunikation in einem Bereich zwischen Sprache und Parasprache angesiedelt sind. Darüberhinaus können sie auch nonverbales Körperverhalten ersetzen: man wird z. B. annehmen, daß das phatische holla in einem Drama durch den Schauspieler auch gestisch umgesetzt wird» (ib., 64s.).

Belege für diese Thesen hat bezüglich des Italienischen Enrico Testa bei seiner Suche nach Spuren der Mündlichkeit in den Novellen des Quattro- und Cinquecento gefunden, in denen Interjektionen speziell im Dialog Träger der expressiven oder emotiven Funktion von Sprache sind (cf. Testa 1991, 115–136). So grenzt Testa etwa die an sich wenig aussagekräftigen interiezioni univoche als Mittel holophrastischer Sprachverwendung von den mehr lexikalischen interiezioni plurivoche ab und weist nach, dass Interjektionen wie ah, uh und deh in den Novellen häufig in recht spezifischen Kontexten auftreten und als typisch für bestimmte Zeitströmungen oder Autoren angesehen werden können. Die interiezioni plurivoche haben dagegen oftmals einen eher predigtartigen Charakter («interiezioni di

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Davon auszunehmen sind am ehesten Werke des komischen Repertoires, etwa Komödien, Lustspiele oder opere buffe, cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt.

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tipo ‹giaculativo›», ib., 131), so etwa A la croce di Dio! oder Al corpo di Cristo!, bewirken im Text jedoch ebenfalls eine Annäherung an die gesprochene Sprache. In noch stärkerem Maße als in narrativen Texten müssten Interjektionen in theatralischen Textsorten enthalten sein, die sowohl auf der Bühne als auch als literarisches Werk in Buchform rezipiert werden; diesen wurde jedoch bislang erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Für die hier untersuchten Opernlibretti spielen Interjektionen eine große Rolle, allerdings beschränkt auf die Gruppe der affekthaften Ausdrücke. Lautmalerische Ausrufe sind in der Oper – zumindest in der opera seria und ihren Verwandten – nicht an der Tagesordnung, sie finden sich eher in der buffa, der Komischen Oper etc.51 Gerade im (Musik- wie Sprech-)Theater sind jedoch zahlreiche expressive Wendungen zu erwarten, die die Schauspieler/Sänger durch die szenische Darstellung unterstützen, die allerdings – durch Regieanweisungen wie durch direkte Wendungen – im zu Grunde liegenden Textbuch angedeutet werden müssen. Auf diese Vermutung wird an späterer Stelle zurück zu kommen sein. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte Charles-Théodore Gossen bereits aus spezifisch romanistischer Sicht einige grundlegende Bemerkungen zu verschiedenen Interjektionen und Exklamationen im Italienischen veröffentlicht (cf. Gossen 1956). Er differenziert diese Wortart entsprechend der frankophonen Forschung in der Folge von Tesnière, Bally und anderen in die beiden großen Gruppen der interjections propres ou primaires («des sons ou des cris n’ayant pas de contenu intellectuel», ib., 272; etwa ah, eh oder oh) und der interjections impropres ou secondaires (nach Tesnière auch als intellectives bezeichnet). Letztere gliedert Gossen wiederum auf in (spontan und affektiv geäußerte) interjections invocatoires und exclamations (als Abkürzung für locutions invocatoires exclamatives), die als Produkt einer Reflexion, also nicht spontan verwendet werden.52 Zu der ersten Untergruppe der «reinen» Interjektionen zitiert er (aus einigen ausgesuchten literarischen Werken vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert) etwa die Formen Dio!, Dio santo!, buon Dio!, signore Dio!, per Dio!, in nome di Dio!, cielo! oder misericordia!, zur zweiten Gruppe der Exklamationen etwa Com’è vero Dio!, Per (la) grazia di Dio!, Dio mi (me ne) guardi!, Dio mi perdoni! oder Con la grazia del cielo!.53 Die abschließenden Bemerkungen zum semantischen und stilistischen Gehalt der verschiedenen Untergruppen stellen leider nur einen

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Cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt. Auch dieser interessante Aspekt wäre an anderer Stelle ein guter Ausgangspunkt für einen Vergleich zwischen Texten der ernsten und der komischen Gattungen in der (Musik-)Dramatik. Nicht eben zur Transparenz dieser Differenzierung trägt die inkohärente Terminologie Gossens bei, der die erste Untergruppe abwechselnd als exclamations invocatoires (Überschrift, 273 und passim) und interjections pures (273 und passim) bezeichnet, die zweite teils als interjections invocatoires (Überschrift), teils als locutions invocatoires exclamatives (273) und teils als exclamations (273 und passim). Diese unklare Terminologie bietet sich demnach nicht als Grundlage für die vorliegende Analyse an. Aus semantischer Sicht unterscheidet Gossen zwischen den Wortfeldern Gott, Himmel, Sohn Gottes, Dreieinigkeit, Heilige Jungfrau, Paradies, Engel, Heilige, Seele, Fegefeuer

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Denkanstoß dar und werden nicht vertieft. Demnach haben vor allem die Interjektionen des Typs «Substantiv + Epitheton» wie etwa santo dio!, santo cielo! etc. im Laufe der Zeit ihren semantischen Gehalt verloren und eine eher stilistische Bedeutung angenommen; sie werden in relativ spezifischen Kontexten verwendet (Erstaunen, Ungeduld etc.), während Gossen die reinen Substantive wie dio!, cielo! etc. als «caméléons» (ib., 308) bezeichnet, die je nach Kontext ihre Farbe ändern können.54 Ein Blick in die Grammatiken speziell der italienischen Sprache belegt, dass auch dort die Terminologien wie die Definitionen im Bereich der Interjektionen nicht einheitlich sind. So fasst etwa Christoph Schwarze die Interjektionen gemeinsam mit anderen Kategorien unter dem syntaktisch-pragmatisch dominierten Begriff der «Routineformeln» zusammen (cf. Schwarze 21995, 401–408):55 «Routineformeln können syntaktisch die verschiedenartigsten Strukturen haben, von der (syntaktisch strukturlosen) Interjektion, dem bloßen Nomen, Adjektiv oder Adverb über den unvollständigen Satz bis zum vollständigen Satz» (ib., 351).

Als italienische Beispiele für Interjektionen nennt er ahi!, dai!, to’! und mah!, trennt davon die «bloßen Nomen» (ib.) pazienza!, forza!, aiuto!, accidenti! und caspita!, die Adjektive largo!, bravi!, fermo!, buono!, zitta!, ben venuti! und die Adverben fuori!, via! und meno male!. Für den «unvollständigen Satz» (ib.) zitiert er figurati! und prego? und für den vollständigen scusa! und ma chi te lo fa fare?. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie problematisch diese aus rein syntaktischen Gesichtspunkten vorgenommene Differenzierung ist, denn warum sollte scusa! ein vollständiger Satz sein, wenn pazienza! ein bloßes Nomen darstellt (und vice versa)? Warum ist prego? ein unvollständiger Satz, scusa! aber ein vollständiger? Wie kann man eine syntaktisch strukturlose nominale Interjektion wie caspita! von einem unvollständigen Satz wie figurati! unterscheiden? Für die hier untersuchten Opernlibretti, in denen Beispiele aus allen von Schwarze aufgestellten Kategorien zu fi nden wären, ist diese Aufteilung nicht sinnvoll anwendbar. Die von Schwarze aufgelisteten «wichtigsten Routineformeln» (ib., 402) gliedert er selbst denn auch nach pragmatischen und nicht nach syntaktischen Gesichtspunkten, was eine deutlich nachvollziehbarere und bei dieser Wortart sicherlich sinnvollere Unterteilung ergibt. Er unterscheidet nach expressiven (der Sprecher

54 55

und Teufel. Die zahlreichen weiteren in Frage kommenden semantischen Felder bleiben unberücksichtigt (z. B. Natur, Schicksal, Herz, Körper etc.). Diesem anschaulichen Ansatz wird weiter unten in diesem Abschnitt noch nachgegangen. Er bezieht sich hier vermutlich – ohne dass dies näher expliziert würde – auf das Konzept von Florian Coulmas, der zuerst und grundlegend die verbalen Stereotype aus pragmalinguistischer Sicht systematisiert hatte (cf. Coulmas 1981). Danach sind Routineformeln eine von mindestens vier verschiedenen Untergruppen der verbalen Stereotype (neben Redewendungen, Sprichwörtern und Gemeinplätzen, wobei der Übergang teilweise fließend ist); Interjektionen sind wiederum als eine spezielle Untergruppe der Routineformeln anzusehen.

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gibt eine Information über sich selbst preis), appellativen (der Sprecher fordert den Hörer zu etwas auf) und phatischen Routineformeln (der Sprecher verwendet Grußformeln). Jedoch ist auch hier die Differenzierung nicht für alle Beispiele eindeutig, was – wie weiter unten noch verdeutlicht werden wird – gerade in der Dichtung, speziell der Musikdichtung, zum Ausdruck kommt: So kann etwa die phatische Routineformel addio!, die in der gesprochenen Alltagssprache eine gebräuchliche Grußformel für den Abschied darstellt, in bestimmten, besonders theatralischen Kontexten zu einer stark expressiven Formel werden, etwa wenn es sich um die letzten Worte der sterbenden Protagonistin handelt oder wenn das Stilmittel der Ironie ins Spiel kommt.56 Auch prosodische Faktoren wie Betonung und Intonation können auf der Bühne zu zusätzlichen Bedeutungskomponenten führen. Dennoch erscheint diese mehr an der pragmatischen Sprachfunktion orientierte Untergliederung besser handhabbar für sprachliche Analysen. Die sehr begrenzte Definition der «reinen» Interjektionen durch Schwarze ist jedoch (sofern man das an Hand der vier genannten Beispielausdrücke festmachen kann) für die vorliegende Analyse nicht hilfreich. Einen anderen Zugang bietet hingegen die italienische Grammatik von Serianni/Della Valle/Patota (1992): Sie erschließen die Interjektionen, denen ein gesamtes Kapitel (ib., Kap. 10, 497–502) gewidmet ist, gänzlich aus der pragmatischen Sicht gesprochener Sprache und betonen den affektiven Kontext, der die Interjektionen im Einzelfall erst interpretierbar mache; so sei etwa die Interjektion ah in den Beispielsätzen Ah! a quest’ora ti presenti?, Ah... come ho dormito bene! und Ah ah! (scherzhaft oder ironisch) erst durch die entsprechende Betonung, evtl. begleitet durch gestische und mimische Handlungen, vollständig verstehbar. Dies werde in der Schrift aufgrund der fehlenden Möglichkeit der Gestik, Mimik und Intonation durch Ausrufe- (oh!, mah!, santo cielo!) oder Fragezeichen (eh?, davvero?) ausgedrückt. Aus funktionaler Sicht beschreiben sie die Interjektion als insofern außergewöhnlichen Teil des Diskurses, als sie außerhalb eines Satzzusammenhangs stehen bzw. einen solchen selbst bilden kann: «In realtà essa, a differenze delle altre parti del discorso, non ha legami con gli altri elementi della frase, né funzione di collegamento o di modificazione di parti del discorso: è una parola che realizza da sola, in forma rapida ma espressiva, il significato di un’intera frase. [...] Essendo libera da legami sintattici con il resto della frase, l’interiezione è autosufficiente, non ha bisogno cioè di appoggiarsi ad altri elementi: tuttavia, in alcuni casi, può reggere un complemento: ‹Accidenti al traffico!›, ‹Buonanotte ai suonatori!›, ‹Addio alle vacanze!›» (Serianni/Della Valle/Patota 1992, 497s.).

Im Folgenden unterscheiden die Autoren zwischen drei verschiedenen Haupttypen von Interjektionen: 1. eigentliche Interjektionen (interiezioni proprie), «che hanno solo valore di interiezioni» (ib., 498), die lediglich aus einem oder mehreren Vokalen beste-

56

Denkbar wäre hier auch der Einsatz eines indirekten Sprechaktes, etwa wenn eine Aufforderung an den Gesprächspartner zum Verlassen der Handlung/Bühne impliziert ist.

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hen, welche oftmals zur Vermeidung der graphischen Verwechselbarkeit mit einem h ergänzt werden (eh, oh, beh, ahi, uhm etc.; aufgeführt werden die 20 häufigsten Formen),57 2. uneigentliche Interjektionen (interiezioni improprie), «[che] sono parti del discorso (sostantivi, aggettivi, avverbi, verbi) utilizzate con funzione di interiezione» (ib., 499), die jedoch ebenfalls keine festen syntaktischen Verbindungen aufweisen. Sie werden zusätzlich unterteilt in Interjektionen des Befehls (basta!, zitto!, fuori! etc.), der Aufforderung (coraggio!, andiamo!, pietà!, forza! etc.), der Wertschätzung oder des Tadels (bene!, bravo!, giusto!, vergogna!, male!, peccato! etc.), des Kontakts (senti, scusi, vedi, guarda, pronto? etc.) und des Grüßens (ciao!, salve!, addio!, buongiorno! etc.),58 3. interjektivische oder exklamative Wendungen (locuzioni interiettive o esclamative), «[che] sono formate da gruppi di parole, o da intere proposizioni usate in funzione esclamativa» (ib., 500), wie etwa Dio mio!, per amor di Dio!, santo cielo!, povero me!, al diavolo! oder basta così! etc. Davon separiert werden als «simili alle interiezioni» (ib.) die onomatopoetischen Wendungen (voci onomatopoetiche), die einen Ton, ein Geräusch oder einen Laut nachahmen (brr, crac, drin, tic tac, taratatà, chicchirichì etc.).59 Die Definition und Aufgliederung nach Serianni/Della Valle/Patota erscheint an dieser Stelle als gut geeignet für die Analyse der Opernlibretti, da hier einerseits schwierige syntaktische Abgrenzungen wie bei Schwarze vermieden werden und zum anderen auch die Differenzierung zwischen expressiven, appellativen und phatischen Interjektionen dadurch erleichtert wird, als sie hier allesamt der Untergruppe der uneigentlichen Interjektionen zugeordnet und erst anschließend ihrer pragmatischen Funktion entsprechend weiter untergliedert werden. Die onomatopoetischen Wendungen können – zumindest für die opera seria (cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt) – vernachlässigt werden, während für die drei Hauptkategorien von Interjektionen zahlreiche Beispiele in allen Libretti zu finden sind. Als besonders aussagekräftig verspricht hier die dritte Kategorie der exklamativen Wendungen zu sein, die – so eine noch zu beweisende These – gerade für die musikdramatischen Gattungen in mehrfacher Hinsicht besondere Relevanz aufweist.

57 58

59

Speziell zu ahi und deh cf. auch Serianni 2001, 155s. Poggi (1996, 404) unterscheidet in ähnlicher Weise «interiezioni espositive (come toh!) da quelle esercitive (richiestive di azione, come ehi!, o di domanda, come beh?) e comportative (ciao)». Sie ergänzt aus semantischer Sicht noch die Differenzierung in Interjektionen, die sich auf das Sprecherindividuum beziehen, also eine Befindlichkeit oder einen Gefühlsausdruck transportieren, und solche, die durch deiktische Ausdrücke umschrieben werden können und sich auf einen Gegenstand, einen Sachverhalt oder eine Person außerhalb des Sprecherindividuums beziehen. Damit werden die Interjektionen syntaktisch den Deiktika angenähert. Zu dieser Gruppe cf. Hundsnurscher (2006, 213ss.), der sie mit Blick auf Beispiele aus Wilhelm Buschs Max und Moritz lieber mit dem Begriff «Geräuschzitat» benannt sähe.

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4.1.2.1. Eigentliche Interjektionen Der einzige Konsens zwischen den verschiedenen Auffassungen besteht also offensichtlich in der Feststellung, dass Interjektionen, unabhängig von ihrer medialen Gestalt, vor allem dem affektiven Bereich innerhalb des phonischen Codes angehören. In der Oper als – wohl noch mehr als das Sprechtheater – geradezu idealtypischem Genre der Affektdarstellung sind demnach die Affektwörter in besonderem Maße zu erwarten. Umso erstaunlicher erscheint die Tatsache, dass alle Libretti aus Korpus Q eine recht geringe absolute wie relative Anzahl an Interjektionen im Gesamtwortschatz des jeweiligen Librettos aufweisen: 60 Striggio 2,0 %, Aureli 1,2 %, Quinault 0,8 %, Zeno 1,4 %, Metastasio 2,4 %, Varesco 3,6 %, Rossi 1,9 %, Romani 4,2 %, Piave 1,8 % und Boito 1,9 %.61 Auch die Varianz der Formen ist äußerst gering, so führen ah, ahi, a(h)imè, deh und o(h) mit Abstand die Rangliste der häufigsten Interjektionen an (cf. Tabelle 4.1.2.(1)). Lediglich Boitos Otello hat mit 17 verschiedenen types eine annähernd große Formenvarianz aufzuweisen; die anderen Libretti enthalten jeweils nur vier (Quinault) bis 13 (Zeno) unterschiedliche Interjektionen: 62 Q1 Striggio (7 types/79 tokens): ah, ahi, deh, euhoè, lassa, o, ohimè Q2 Aureli (11 types/107 tokens): addio, ah, ahi, ahimè, basta, deh, eh, o, oh, prego, pronto Q3 Quinault (4 types/60 tokens): ah, ô, hélas, eh Q4 Zeno (13/116): addio, ah, ahi, ahimè, deh, ecco, eh, insomma, o, oh, ohimè, olà, prego Q5 Metastasio (10/216): addio, ah, aimè, basta, deh, eh, o, oh, olà, prego Q6 Varesco (8/159): addio, ah, ahi, ahimè, deh, guai, ô, oh Q7 Rossi (8/97): addio, ah, basta, deh, eccolo, eccomi, o, oh Q8 Romani (11/199): addio, ah, ahi, ahimè, deh, guai, o, oh, ohimè, olà, prego63 Q9 Piave (10/77): addio, ah, ahi, basta, deh, evviva, o, oh, ohimè, olà Q10 Boito (17/114): abbasso, addio, ah, ahi, ahimè, aita/aiuto, ave, evviva, guai, o, oh, olà, perdon, prego, soccorso, suvvia, viva.

60

61 62 63

Die Definition von Interjektion basiert in diesem ersten Annäherungsversuch zunächst auf der voreingestellten Wortartendifferenzierung des in den quantitativen Analysen der vorliegenden Arbeit verwendeten Annotierungswerkzeugs TreeTagger (cf. weiter oben, Kap. 2.1.), dem wiederum eine klassische Definition zu Grunde liegt, die in etwa den Kategorien 1 und (teilweise) 2 nach Serianni/Della Valle/Patota entspricht. Ein differenzierterer, mehr qualitativ ausgerichteter Vorschlag für eine verbesserte Neudefi nition folgt an späterer Stelle in diesem Abschnitt. Aufgeführt ist jeweils die relative Anzahl der Interjektionen am Gesamtwortschatz, cf. auch die Tabelle in Kap. 3.1. Zusätzlich zu den 6 häufigsten Interjektionen werden hier alle types aufgelistet, um die Varianz der Formen überprüfen zu können. Bei Romani ist auf die hohe absolute Anzahl vor allem bei der Interjektion ah (101 Okkurrenzen) hinzuweisen, cf. hierzu auch noch weiter unten in diesem Abschnitt.

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[Tabelle 4.1.2.(1): Die jeweils 6 häufigsten Interjektionen in den Libretti aus Korpus Q64] Q1

Q2

Q3

1

ahi (34)

o (55)

ah (24) o (64)

2

o (13)

oh (15) ô (16)

ah (16) o (59)

3

euhoè (10)

deh (13)

ahi, oh oh (50) deh (5) (13)

4

ohimè (7)

ah (10) eh (5)65

5

lassa, deh (6)

ahimè (4)

ohimè, deh (7) ahimè deh (9) (4)

ahi, eh (3)

aimè (5)

6

hélas (15)

Q4

Q5

Q6

Q7

Q8

ah (75) oh (82) ah (39) ah (101)

addio (8)

ah (38) oh (36) o (38)

addio (11)

o (10)

Q9

Q10

o (37)

ah (46)

ah (19) o (14)

oh (30) oh (6)

addio (12)

deh (5) deh (19)

ohimè (5)

ecco (4)

deh (3) aiuto, prego, oh (4)

ahi (5) addio (2)

addio, prego (3)

evviva (10)

addio, olà (2)

65

Zum Vergleich: Auch Rossi (2005a, 284–291) listet in seiner Untersuchung der Rossini-Opern unter dem Mischtitel Interiezioni, ideofoni, onomatopee für die opere serie dieses Komponisten nur insgesamt 11 unterschiedliche Interjektionen66 auf (ah, ahi, a(h)imè, deh, eh, oddio/oh Dio, oh, o(h)imè, olà, orsù, veh). In den opere buffe und semiserie dagegen findet er 10 verschiedene, von denen der serie größtenteils abweichende Interjektionen (affé, ehi, embè/mbè, gnaffe, ih, ohi, o(h)ibò, uh, uhm, ve’/veh/va’), 8 verschiedene ideofoni (bao, bu, don don, eccì, pliffete plaffete, ps, tic tac, zi), zahlreiche altre forme (etwa auf Wiederholung basierende lautmalerische Effekte wie in Col cì cì, ciù ciù di botto oder La la là, li li li etc.) und eine große – nicht näher bezifferte – Anzahl an parole onomatopoetiche e fonosimboliche (etwa Formen der Verben fracassare, ribombare etc.).67 Zu vermuten ist hier also eine Abhängigkeit vom Genre, die an Hand größeren Datenmaterials noch belegt werden müsste. Die nach quantitativen Gesichtspunkten vorgenommene vorläufige Auswertung der 10 Libretti aus Korpus Q ergibt zunächst wenig aussagekräftige Ergebnisse, da die absoluten wie relativen Zahlenangaben lediglich dahingehend auswertbar

64

65 66 67

In Klammern die absolute Anzahl der Interjektionen im jeweiligen Libretto. Die 6 Libretti aus Korpus E werden hier nicht berücksichtigt, da sie keine Wortartannotierung enthalten, cf. Kap. 2.2.2. Das französische Libretti Q3 allerdings wird als Kontrasttext betrachtet. Keine weiteren Interjektionen in diesem Libretto. Angegeben ist hier lediglich die Anzahl der types, die absolute Anzahl ist aus der nur exemplarischen Auflistung Rossis nicht ersichtlich. Da die Bezeichnungen interiezioni, ideofoni, parole onomatopoetiche, parole fonosimboliche und altre forme nicht näher definiert werden, fällt eine Differenzierung mitunter schwer.

185

sind, dass die Operntexte nicht den zu erwartenden großen Anteil an affektiven Interjektionen aufweisen. Dabei ist jedoch nochmals darauf hinzuweisen, dass die in Kap. 2.1. ausführlich beschriebene halbautomatische Annotierung bei der Wortartunterscheidung lediglich einfache, primäre Interjektionen der Kategorien 1 und (in Teilen) 2 nach Serianni/Della Valle/Patota 1992 ermittelt. Zusammengesetzte Wendungen der Kategorie 3 wie etwa (cf. für die Beispiele Q9 Piave, Ernani) o Dio!, Gran Dio! oder gar Maledizion di Dio! werden bei der rein quantitativen Analyse in Einzelwortarten aufgegliedert: o = Interjektion, Dio = Substantiv, gran = grande = Adjektiv, Maledizion = maledizione = Substantiv, di = Präposition.68 Differenziert man nun jedoch in qualitativer Hinsicht nach der Vorgabe von Serianni/Della Valle/Patota unter Erweiterung der exklamativen Wendungen und nimmt noch die 6 Libretti aus Korpus E hinzu, so ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Als eigentliche Interjektionen gelten nun lediglich noch die folgenden Formen: 69 E1 Rinuccini: ah; ahi; deh; o; ohimè Q1 Striggio: ah; ahi; deh; euhoè; o; ohimè E2 Minato: ah;70 ahi; ahimè; deh; eh; oh; olà Q2 Aureli: ah; ahi; ahimè; deh; eh; o; oh Q3 Quinault: ah; ô; eh Q4 Zeno: ah; ahi; ahimè; deh; eh; o/oh; olà; ohimè E3 Haym: ah; ahi; deh; o/oh; ohimè; oh là/olà E4 Metastasio: ah; ahimè; deh; eh; o/oh; ohimè; olà Q5 Metastasio: ah; aimè; deh; eh; o/oh; olà Q6 Varesco: ah; ahi; ahimè; deh; guai; ô/oh Q7 Rossi: ah; deh; o/oh Q8 Romani: ah; ahi; ahimè; deh; guai; o/oh; ohimè; olà

68

69

70

Eine weitergehende manuelle Annotierung ist natürlich möglich, der dafür zu betreibende Aufwand erscheint in einer Arbeit wie der vorliegenden jedoch als zu hoch. Zudem müssten bereits zum Zeitpunkt der Annotierung zahlreiche Ergebnisse vorliegen, die in der Regel erst nach längerer Arbeit mit dem Korpus gewonnen werden können. Eine Folgeanalyse, die sich speziell mit den Interjektionen befasst, könnte hier quantitativ zuverlässige, die Frequenz mit einbeziehende Resultate erzielen. Im Falle der eigentlichen Interjektionen wird nicht – wie bei der zweiten Gruppe der uneigentlichen Interjektionen – nach inhaltlichen Kriterien in expressive, appellative und phatische Formeln differenziert, da diese erste Gruppe prinzipiell den expressiven Wendungen ohne weitere Unterteilung zuzuordnen ist. Allerdings sind auch hier die Deutungsmöglichkeiten stark vom Kontext auf der Bühne abhängig, so kann etwa olà – je nach Zusammenhang, Gestik und Mimik – als expressiv (Ausruf der Überraschung), appellativ (Anrufen einer anderen Person) oder auch phatisch (Wunsch nach Kontaktaufnahme) eingesetzt werden. Ebenso werden viele der eigentlichen Interjektionen in Kombination mit exklamativen Wendungen der Gruppe 3 verwendet (etwa in o ciel! oder ohimè che sento?, cf. weiter unten), so dass eine thematische Fixierung als nicht sinnvoll erscheint. Nicht zuletzt ist auch die Trennung in eigentliche und uneigentliche Interjektionen mitunter schwierig. Auch als Reduplikation: ah, ah!; ahimè, ahimè!

186

E5 Q9 E6 Q10

Cammarano: ah; ahi; ahimè; deh; oh Piave: ah; ahi; deh; guai; o/oh; ohimè; olà Piave: ah;71 ahi; deh; eh; ehi; o/oh; ohimè; olà Boito: ah;72 ahi; ahimè; guai; o/oh; olà.

4.1.2.2. Uneigentliche Interjektionen Bei dieser zweiten Gruppe wird eine weitere Feingliederung in expressive (EI), appellative (AI) und phatische (PI) Interjektionen (nach der Defi nition von Schwarze 21995, 403–408, cf. weiter oben in diesem Abschnitt) vorgenommen, um einen möglichst differenzierten Interpretationsrahmen zu gewährleisten. Dabei ist in manchen Fällen eine klare Trennung zwischen den drei Gruppen nicht möglich; so können Ausrufe wie soccorso! oder aita/aiuto! sowohl expressive (Feststellung einer für das Individuum schwer kontrollierbaren Situation) wie auch appellative Bedeutung (konkreter Aufruf an andere Personen) tragen:73 E1 Rinuccini: AI ecco; taci taci!; I addio Q1 Striggio: EI guai; lassa; AI ecco E2 Minato: AI aiuto; basta; PI addio; viva! Q2 Aureli: EI lassa; AI aita; basta; prego; pronto; soccorso; PI addio Q3 Quinault: EI hélas; AI lasche! Q4 Zeno: AI ecco; insomma; prego; PI addio E3 Haym: AI fermo; ma che!; PI addio; viva! E4 Metastasio: AI aita; ecco Q5 Metastasio: AI basta; come?; e ben; prego; PI addio Q6 Varesco: EI mercé; AI aiuto; ferma; PI addio Q7 Rossi: AI basta; ebben; eccolo; eccomi; superbo!; PI addio; viva! Q8 Romani: EI lassa!; mai!; giammai!; sangue!; vendetta!; AI ebben; prego; PI addio E5 Cammarano: AI ebben?; ecco; ma!; PI addio Q9 Piave: EI mercé; sangue!; vendetta!; AI allegri!; basta; ferma; PI addio E6 Piave: AI aita!; cheti!; ebben; mai!; soccorso!; vittoria!; zitti!;74 PI addio; buon giorno. Q10 Boito: EI pace!; vittoria!; AI abbasso; aita/aiuto; all’armo!; ebben; fermi!; grazia!; guarda!; perdon; prego; soccorso; suvvia; PI addio; amen; ave; ave Maria; evviva!; viva!.75

71 72 73 74 75

Auch als Reduplikation: ah, ah!; ah, ah, ah! Auch als (das Lachen nachahmende) Reduplikation: Ah! Ah ah! Ah ah! Ah ah! In diesen Fällen werden die Interjektionen dennoch nur einmal aufgeführt, um den Belegapparat nicht unnötig aufzublähen. Auch als Reduplikation: cheti, cheti!, zitti! zitti! Überdurchschnittlich viele uneigentliche Interjektionen in diesem Libretto.

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Auch die uneigentlichen Interjektionen sind in ihrer Gesamtheit nicht sehr zahlreich in den analysierten Libretti enthalten, zudem ist ihre Varianz ähnlich der der eigentlichen Interjektionen eingeschränkt. Die Differenzierung in die drei semantischen Untergruppen von Kategorie 2 erbringt zweierlei Ergebnisse: Zum einen sind in den untersuchten Libretti recht wenige phatische Wendungen enthalten,76 was jedoch wenig verwundert, da reine Grußsituationen auf der Bühne (bis auf Abschiedsszenen) eher die Ausnahme darstellen und in der gesprochenen Alltagssprache einen weit höheren Rang einnehmen als in der doch weit von der Gebrauchsnorm entfernten Bühnensprache. Überraschen mag dagegen die Tatsache, dass insgesamt nur wenige expressive Interjektionen auftreten. Wenn man überhaupt von einer Tendenz innerhalb des Korpus der 16 Libretti sprechen kann, so sind am ehesten in den Libretti des 19. Jahrhunderts annähernd zahlreiche expressive Formen vorhanden (Q8, Q9 und Q10, nicht aber in Q7, E5 und E6). Es überwiegen insgesamt die appellativen Wendungen, die in den Dialogen zwischen zwei und mehr Individuen auf der Bühne recht häufig eingesetzt werden, um Interaktion anzuzeigen und die einzelnen Sprechakte miteinander zu vernetzen. Die geringe Anzahl der expressiven Formeln ist an dieser Stelle sicherlich damit erklärbar, dass die Expressivität sich selten in einzelnen Wörtern äußert, sondern – und das mag ein Kennzeichen von (musikalischen wie nicht-musikalischen) Bühnenwerken sein – vielmehr in längeren Wendungen wie den im Folgenden aufgeführten. 4.1.2.3. Exklamative Wendungen Auch hier erscheint – wie bei Kategorie 1, den eigentlichen Interjektionen – eine Unterteilung in expressive, appellative und phatische Wendungen nicht als sinnvoll, da insbesondere die exklamativen Wendungen fast ausschließlich dem expressiven, emotionalen Register angehören. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Wendungen wie che dici! oder mio tesoro!, die auch phatische Inhalte transportieren können, doch handelt es sich in den meisten Fällen lediglich um rhetorische Wendungen, die nicht wirklich einen verbalen Kontakt mit der/den weiteren Person(en) erreichen sollen. Hinzuweisen ist zudem auf den Umstand, dass die meisten exklamativen Wendungen nicht ohne eigentliche (seltener uneigentliche) Interjektionen auskommen; sehr häufig wird der eigentlichen Wendung ein ah, oh, ohimè etc. voran- (Typ oh ciel, che sento?) oder (selten) nachgestellt (Typ che veggio ahimè?).77

76 77

Eine Ausnahme bildet wiederum Q10, Boitos Otello, dessen Interjektions-Repertoire in allen drei Gruppen verhältnismäßig umfangreich und variabel ist. Cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt. Für diese dritte Kategorie sind keine kompletten Auflistungen zu erwarten, da hier, wie weiter oben erläutert, keine automatischen Annotierungen durchgeführt wurden und somit keine mit quantitativen Methoden gewonnenen Ergebnisse darstellbar sind. Es wurde jedoch Wert auf eine möglichst vollständige Durchsicht der gesamten 16 Libretti gelegt.

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E1

Q1

E2

Q2

Q3

Q4

E3

E4

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Rinuccini: ah tristo, tristo!; almo dio!; Giove immortal!; o dèa!; o destin rio!; o fiamma!; o figlio!; o gelo!; o miserabil caso!; o ninfa!; o palma!; o pietate!; o rosa!; o sempitemi dèi!78 Striggio: Ahi, caso acerbo!; Ahi, fat’empio e crudele!; Ahi, stelle ingiuriose!; Ahi, ciel avaro!;79 ahi doglia, ahi pianto!; ahi, sventurato amante!; mia vita!; o boschi ombrosi; o dolcissimi lumi; ohimè che odo?; o monti! Minato: ah perfida!; ahimè che dissi?; aspra sorte!; che veggio ahimè?; empie stelle!; me infelice!; o care voci!; o che luce!; o che piacere!; o che splendore!; o cieli amici!; o cor!; o dèi, che sento?; o diletti improvvisi!; o fortune beate!; o gioie insperate!; oh ciel (che fate?); oh dèi!; oh dio! (che deggio dir?); o ‘l Dio bendato!; o maledetti accenti!; o me lieto, o me beato!; o mia bella pietosa!; o noi felici!; o se Fortuna!; regie stelle!; umanità infelice! Aureli: ah, ingannatori!; alma mia che farai?; che brio!; che sembianze!; che vago aspetto!; cieli, che sento?; mia dea!; mio crudel!; nobili Heroi!; o care selve! o libertà gradita!; o Dei!; oh ciel!; oh Dio, che miro?; perfida sorte!80 Quinault: ah! Que mon coeur est agitté!; ciel!; funeste amour, fierté cruelle!; malheureux!; ô ciel!; ô douce vie!; ô fidelité trop cruelle!; ô trop heureux Roland!; Quelle cruauté!; Quel mespris!; Quelle rigueur!; Quel trouble! Zeno: ahi, che promisi!; che ardir!; che ascolto?; che farò?; che sento! ohimè!; che volto!; chi sa, stelle, chi sa?; dolce mio ben!; feroce cor!; fiero cor! dura legge!; gran duce!; impotente ragion!; inagnanimi pensieri!; mio caro, ah!; o cieli!; o d’eccelsa virtù ben raro esempio!; o dio/dèi!; o me infelice!; o mio cor!, o sposo, o dolce!; o Numi!; o silenzio, o sospiro vergognoso e loquace!; o speranze deluse! o fé schernita!; qual pietà, qual affetto!; son tradita!; Stelle! Numi! Che ascolto?; strano amor! Haym: ahi fato rio!; ah, scellerato!; ah, traditor!; Che sento? Oh dio!; empio crudel!; mia vita!; mio tesoro!; numi! che fia di me?; Numi, che sento?; O crudeltade! O pena!; oh, che beltà!; oh che sembianze, Amore!; oh ciel!; oh dio/dèi!; oh figlio!; ohimè, che dissi?; oh madre!; oh numi!; oh sorte!; Quanta bellezza!; stelle!; stelle crudeli!; viscere mie! Metastasio: ah perfido!; che ascolto?; che dirò?; che fa?; che gioia!; che incontro!; Che vidi! Che ascoltai!; Numi, che volto!; o/oh dei/dio!; Oh

Die exklamativen Wendungen werden hier häufig vom Chor artikuliert und stellen – wie in der antiken Tragödie – eine Bewertung oder einen Kommentar dar. Diese gesamte Phrase wird mehrfach wiederholt (gesungen vom Chor). Zudem häufig Anrufungen ohne Ausrufezeichen: o bella, o cara/caro, o figlio etc., die jedoch eher als appellative Wendungen angesehen werden sollten, bei denen eine konkrete Person angeredet wird (meist ohne Ausrufezeichen) und die hier nicht als Interjektionen oder exklamative Wendungen angesehen werden.

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Q5

Q6

Q7

Q8

81

82 83 84

85

86

dio! Che dubitarne?; Oh dio mi scopre!; o gelosia!; o smania!; oh sorte!; o stelle!; Qual richiesta! io gelo!; Spettacolo funesto agli occhi miei!81 Metastasio: Ah questo è troppo!; A me barbaro! Oh numi!; che dici!; che fiero caso è il mio!; che gioia!; che giorno eterno!; che martir!; che pena!; che posso dir?; Giusti dei!; mia speranza!; misero!; misero me! che veggo?; O care selve, o cara felice libertà!; oh dei!; oh dio!; oh insano ardir!; oh nume!; oh pena! oh morte!; Oh sacrilego! O insano!; Oh scelerato ardir!; oh stelle!; oh te felice!; oh tormento maggior d’ ogni tormento; pietà!; sposo infedele!; strana voglia! Varesco: Ah crudo fato!; ahimè! son disperato!; Aiuto oh giusti numi!; Barbari, ingiusti numi! are nefande!; barbaro fato!; che fe’?; Cieli! che veggo?; Dell’amor mio, cielo!; destin crudel!; Ilia infelice!; misera me!; Nereidi amabili, ninfe adorabili; oh ciel!; Oh Creta fortunata! Oh me felice!; oh dèi/dio!; Oh gioia, oh amor, oh numi!; oh Ilia! oh genitor! oh prence! oh sorte! oh vita sventurata! oh dolce morte!;82 Oh sdegno! Oh smanie! oh duol!; Oh voto insano, atroce!, giuramento crudel!; Pietà! numi, pietà!; pietosi numi!; qual dolore!; Qual voce, qual pietà il mio sen trafigge!; Signor che ascolto?; Spettacolo orrendo!;83 Spietatissimi dèi!; Stupenda vittoria!84 Rossi: Ah no! Ciel!; che orror!; Dei, che intendo!; Giorno d’orrore!; Giusto ciel!... che sento!; Misera!; Misero cor, così?; o dei!; o Dio possente!; O geloso mio furor!; oh ciel(o)!; Oh colpo orrendo!; oh destino!; Oh furor!; Oh nero eccesso!; Oh, padre mio!; Oh qual(e) orror(e)!; O me felice!; Qual densa notte!; Quai trasporti! quali accenti!; Quale sguardo!; Qual rumor!; Ti lasci? ora! deh! Romani: Ahi! Sventurata!; Ah! No! Giammai!; Ah! Suon di morte!; Amor! Deh! Taci!; Che ascolto? Ah! Deh parla! Taci? T’arrestri! Ohimè!;85 barbari!; Così, così scordarmi!; Cruda legge!; Deh! Proteggimi, o Dio! Perduta io son! Gran Dio, abbi pietà, Perduta io son!;86 misera te!;

Auch syntaktisch komplette Wendungen, etwa Quanto è crudel!. Insgesamt sind die exklamativen Wendungen in diesem Libretto nicht besonders zahlreich oder abwechslungsreich. Sechsgliedrige Wendung; häufig auch drei- oder viergliedrige Ausdrücke. Diese und ähnliche Wendungen wiederum als Kommentare des Chores. Als Besonderheiten speziell dieses Librettos kann man – neben der besonders hohen Varianz und Anzahl der exklamativen Wendungen – die Superlative (spietatissimi) und die zahlreichen vielgliedrigen Wendungen nennen. Häufig sind hier auch «Stammelszenen», in denen außer Interjektionen und Exklamationen nicht viel sprachliches Material verarbeitet wurde, cf. etwa die Szene der Ilia in III,1: Ei stesso vien... oh dèi!... mi spiego, o taccio?... Resto... parto... o m’ascondo?... Ah risolver non posso, ah mi confondo!. Zusätzliche Beispiele hierfür weiter unten in diesem Abschnitt. Auch hier zahlreiche mehrgliedrige Wendungen bzw. Aneinanderreihungen von mehreren exklamativen Wendungen, die auch mit eigentlichen oder uneigentlichen Interjektionen kombiniert auftreten. Typisch für dieses Libretto sind die Anhäufungen von exklamativen Wendungen, die eine Person unverbunden hintereinander äußert. Zudem fällt die ungewöhnlich große

190

E5

Q9

E6

Q10

87 88

89

90 91

Misero amico!; o giorno!; Oh, cari accenti!; Oh, che di’ tu?; Oh! Che mai chiedi?; oh, mio dolor!; Oh! Mio rossor!; Oh, qual mistero orrible!; Oh! Rimembranza!; pietà!; qual ira! Cammarano: ahi crudo fato!; ahi misero!; Ahi! terribile sciagura!; Ahi tremendo!... ahi crudo fato!;87 Infelice, t’invola... t’affretta!; io fremo!; Io gelo e ardo! Io manco!; Me infelice!... Ahi!; oh detto!; me misera!; oh ciel!; Oh giusto cielo! Par dalla tomba uscita!; Oh! qual funesto avvenimento!; Oh, sventurato amore!; Oh terror!; Quale orror!; Qual terribile momento!88 Piave: che intendo!; che mai sento!; gran dio!; oh cielo!; oh mie speranze!; misero!; padre, ah, padre!; per l’universo!; quale orrore!; qual rumore!; santa e giusta!; Sire!... fia ver?89 Piave: Ah!... la maledizione!; angelo mio!; che sento?; dimonio!; dio tremendo!; gran dio, che accadrà?; oh cielo, pietà!; oh dio!; oh gioia!; oh il bel zerbino!; oh l’anima nera!; oh me felice!; oh qual tentazione!; oh quanto amore!; qual gioia feroce!; qual notte d’orrore!; quante beltà!; quanto dolor!90 Boito: Ah! dannazione!; ahi stolto! stolto!; Ah! la gioia m’innonda!; Ah! morte e dannazione!; Ah! sangue! sangue! sangue!; amore e duol!; atroce idea!; Che avvien?; Ciel! Tenzon furibonda!; dio vendicator!; fuoco di gioia!; inferno e morte!; infida sorte!; ma, oh pianto, o amor’ fugaci!, oh duol!; mio superbo guerrier!; oh mio trionfo!; oh! mostruoso colpo!; pietà di me, dio mio!; qual meraviglio!; ruina e morte!; sospetto insano!; supplizi immondi!; tutto è spento!; uomo crudel!; vista crudel!.91

Anzahl von mit der Interjektion ah eingeleiteten Formeln auf, die die weiter oben bereits erwähnte hohe Frequenz dieser Interjektion (101 Okkurrenzen) erklärt. Als Kommentar vom Chor. In diesem Libretto treten häufig syntaktisch komplette Sätze auf, die weniger als exklamative Wendungen als als Ausrufe im Sinne von Voraussagen oder Verwünschungen bezeichnet werden können, etwa Ahi! qual nembo di terrore / Questa casa circondò! oder Fiamma ardente in sen mi scorre! oder Ora fatale è questa! oder Orrida è questa notte! / Come il destino mio!. Diese werden, da sie nicht als Interjektionen im engeren oder weiteren Sinne gelten können, an dieser Stelle nicht genannt. Insgesamt sind hier deutlich weniger Interjektionen enthalten als in den meisten anderen Libretti. Insgesamt weist dieses Libretto unerwartet wenige typische exklamative Wendungen auf; lediglich Substantiv-Reihungen wie etwa Scettri!... dovizie!... onori!.. bellezza!... gioventù!... che siete voi? (III 2) treten sporadisch auf. Auch hier häufig Kombinationen und mehrgliedrige Wendungen: mia figlia!... dio!... mia figlia!, o uomini!... o natura! Auch hier Substantivreihungen wie z. B. Lampi! tuoni! gorghi! turbi tempestosi e fulmini! (I 1). Häufig sind außerdem Substantiv-Reduplikationen wie pietà! pietà! pietà! oder mistero! mistero! mistero!. Zudem außergewöhnlich zahlreiche und expressive exklamative Wendungen.

191

4.1.2.4. Fazit Diese Aufstellung gibt Anlass zu mehreren Schlussfolgerungen: 1. Die quantitativ ermittelbaren Interjektionen im engeren Sinne (Kategorie 1) führen noch nicht zu dem eingangs vermuteten Ergebnis, dass die Textsorte Opernlibretto generell einen hohen Anteil an affektiven Wörtern aufweist. 2. Für die zweite Kategorie der uneigentlichen Interjektionen ist absolut gesehen ebenfalls nicht von der Präsenz übermäßig zahlreicher Formen zu sprechen, doch ist hier bereits die Tendenz zu erkennen, dass speziell die Libretti des 19. Jahrhunderts eine höhere Formenvarianz aufweisen. So sind insbesondere die Libretti von Romani, Piave und Boito (Q8, Q10, E6, nicht aber Q9) gekennzeichnet durch eine recht breite Auswahl an uneigentlichen Interjektionen, allen voran wiederum das Boito-Libretto. Dabei muss festgehalten werden, dass unter den drei «auffälligen» Opern zwei des Komponisten Verdi – der ja nachweislich (cf. weiter oben) starken Einfluss auf die Entstehung der Libretti hatte – enthalten sind (Q10 und E6; Q9 aber – auch von Verdi – weicht signifikant ab). 3. Erst die dritte Kategorie der exklamativen Wendungen vermag jedoch zu wirklich relevanten Aussagen über den affektiven Gehalt des Librettoidioms im Rahmen der untersuchten Werke führen. Hier findet sich die zuvor vermutete hohe Anzahl an emotionalen Formeln, wobei zu beachten ist, und das differenziert die qualitative von der quantitativen Auswertung, dass in der Kategorie 3 oftmals die in Kategorie 1 aufgeführten eigentlichen Interjektionen in Kombination mit weiteren Wortarten auftreten, dass sie also erst im Kontext ihren emotionalen Gehalt entwickeln. Äußerst selten nur tritt eine dieser Formen isoliert auf, und dann handelt es sich zumeist um wehklagende Ausrufe (ahimè!; ohimè!; deh!). Die einfachen, oft ein- oder zweisilbigen Formen ah, ahi, oh etc. finden sich fast ausschließlich in Kombination mit weiteren Formen, deren Haupttypen im Folgenden aufgelistet seien:92 Typ 1: I + S (ah perfida!; Ah, dannazione!; ahi misero!; o dio!; oh figlio!; o ninfa!) Typ 2: I + A + S / I + S + A (+ A) (ahi crudo fato!; ahi caso acerbo!; o dolcissimi lumi!; o sospiro vergognoso e loquace!) Typ 3: I + P (+ A) + S (o me infelice!; o mia bella pietosa!; o geloso mio furor!) Typ 4: I + syntaktisch kompletter Aussagesatz (Ah! La gioia m’innonda!; ah! que mon cœur est agitté!; ahimè! son disperato!) Typ 5: I + unvollständiger Aussagesatz (o d’eccelsa virtù ben raro esempio!) Typ 6: I (+ S) + Fragesatz (oh ciel, che fate?; o dèi, che sento?; oh dio, che miro?; ohimè che odo?; Oh, che di’ tu?)

92

A = Adjektiv, I = Interjektion, P = Pronomen, S = Substantiv, V = Verb.

192

Typ 7: Kombinierte Ausrufe mit I + Imperativformen93 (Deh! Proteggimi, o Dio! Perduta io son! Gran Dio, abbi pietà, Perduta io son!); auch als «Beschwörungsformeln» (Oh dio mi scopre!). Die weiteren Haupttypen – ohne Beteiligung eigentlicher Interjektionen – setzen sich wie folgt zusammen: Typ 8: S (+ P) + S (dio vendicator!; giorno d’orrore!; ruina e morte!; Stelle! Numi!) Typ 9: P + S / S + P (angelo mio!; mia sorte!; mia vita!; mio dolor!) Typ 10: S + A / A + S (atroce idea!; infida sorte!; feroce cor!; stelle crudeli!; umanità infelice!; auch frz. funeste amour, fierté cruelle!) 94 Typ 11: A + A (santa e giusta!) Typ 12: Eigenname + A (Giove immortal!; Ilia infelice!) Typ 13: che/qual + S (+A) (che gioia!; che vago aspetto!; quale orrore!; qual gioia feroce!; qual meraviglio!; qual terribile momento!; auch frz. quelle rigueur!; quel trouble!) Typ 14: syntaktisch vollständiger Aussagesatz (che fiero caso è il mio!; io fremo!; io gelo e ardo!; tutto è spento!; perduta io son!) Typ 15: syntaktisch unvollständiger Ausruf (Spettacolo funesto agli occhi miei!) Typ 16: syntaktisch vollständiger Fragesatz (alma mia che farai!; che ascolto?; che avvien?; che dirò?; cieli, che sento?). Die quantitative Auswertung der durchschnittlichen Satzlänge (cf. weiter oben, Kap. 3.1.2.) hatte bereits die klare Tendenz erkennen lassen, dass in den frühen Libretti deutlich weniger exklamative Wendungen auftreten als in den jüngeren speziell des 19. Jahrhunderts. Unabhängig von der Frequenz sind zudem die Wendungen in den Libretti des 17. Jahrhunderts nicht annähernd so expressiv und variationsreich wie in denen des 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts. Während in den frühen Libretti (E1, Q1, Q2, Q3) hauptsächlich Wendungen der Typen 1 und 2 auftreten, die zudem nicht sehr flexibel und nicht sehr zahlreich sind, ist die Variationsbreite in den Libretti des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts ungleich größer. Auch ist der Einsatz der Formeln in den frühen Libretti oft auf bewertende Kommentare des Chores nach dem Vorbild der antiken Tragödie festgelegt, während mit musikhistorisch abnehmender Bedeutung des Chores – auch begründet durch die inhaltliche Verlagerung auf mittelalterliche oder romantische Stoffe – der Gebrauch von Interjektionen und exklamativen Wendungen zunehmend dem handelnden Individuum in den Mund gelegt wird. Eine Abgrenzung der Libretti des 18. von denen des 19. Jahrhunderts ist dagegen weniger eindeutig: So erscheinen die exklamativen Wendungen in Q4 (Zeno,

93

94

Zu den Imperativen cf. weiter unten, Kap. 4.2.2.; an dieser Stelle wurden nur solche Imperative aufgenommen, die eng mit Interjektionen verbunden sind oder innerhalb von exklamativen Wendungen auftreten. Der französische Beleg weist zudem einen Chiasmus auf, cf. hierzu Kap. 4.2.4. Hier finden sich auch Beispiele für die weiter oben, Kap. 4.1.1., beschriebenen iuncturae.

193

1719), Q5 (Metastasio, 1733) und E4 (Metastasio, 1729) zwar als deutlich weniger expressiv als die in den späteren Libretti. Sie wirken teilweise recht hölzern und folgen einem mehr oder weniger fixen Muster (überwiegend durch o/oh eingeleitet); zudem sind sie eher kurz und wirken semantisch verblasst (qual pietà, qual affetto!; Ah questo è troppo!; oh stelle!). Das Libretto von Varescos Idomeneo (1781) dagegen weist ungewöhnlich zahl- und abwechslungsreiche Formeln auf, die teilweise in Form mehrgliedriger Gruppen von bis zu sechs oft asyndetisch kombinierten Wendungen auftreten (oh Ilia! oh genitor! oh prence! oh sorte! oh vita sventurata! oh dolce morte!). Die chronologisch darauf folgenden Libretti von Rossi (Q7, 1823), Romani (Q8, 1831) und Cammarano (E5, 1835) weisen dann wieder – in Qualität wie Quantität – eher durchschnittliche Wendungen auf. Die zeitlich früheste der drei Verdi-Opern, Ernani von Piave (Q9, 1844), fällt durch eine sehr geringe Anzahl an exklamativen Wendungen auf, die 7 Jahre jüngere (Piave, Rigoletto, E6, 1851) enthält durchschnittlich viele, dafür jedoch sehr ausdrucksstarke und teilweise rhetorisch ausgefeilte Formeln (dimonio!; dio tremendo!; qual gioia feroce!; qual notte d’orrore!), und die jüngste der drei (Q10 Boito, Otello, 1887) sticht durch die in allen drei Gruppen insgesamt höchste Anzahl an rhetorisch abwechslungsreichen und sehr emotional aufgeladenen Wendungen hervor (Ah! dannazione!; fuoco di gioia!; supplizi immondi!).95 Für eine zuverlässige Bewertung der chronologischen Entwicklung des Librettoidioms ist dieses Datenmaterial zu wenig umfangreich, jedoch können die festgestellten Tendenzen als durchaus aufschlussreich gelten, vor allem unter Hinzuziehung weiterer Ergebnisse der folgenden Kapitel. In den Opern des 19. Jahrhunderts – dies betrifft in den beiden analysierten Korpora wiederum speziell die Verdi-Opern – und im Idomeneo von Varesco sind zudem Szenen enthalten, die fast ausschließlich aus Ausrufen, Interjektionen und exklamativen Wendungen bestehen, etwa die folgende aus Rigoletto (Piave/Verdi): tutti (meno Rigoletto) Zitti, zitti moviamo a vendetta, ne sia colto or che meno l’aspetta. Derisore sì audace costante a sua volta schernito sarà!... Cheti, cheti, rubiamgli l’amante, e la corte doman riderà. (alcuni salgono al terrazzo, rompono la porta del primo piano, scendono, aprono ad altri ch’entrano dalla strada, e riescono, trascinando Gilda, la quale avrà la bocca chiusa da un fazzoletto. Nel traversare la scena, ella perde una sciarpa)

95

Zum nachweislich sehr variationsreichen Wortschatz und Stil der Libretti speziell Boitos cf. auch bereits weiter oben, Kap. 4.1.1., und Telve 2004, der ihm eine Sprache «fra tradizione e innovazione» (so im Titel) attestiert.

194

gilda (da lontano) Soccorso, padre mio... coro (come sopra) Vittoria!... gilda (più lontano) Aita! rigoletto Non han finito ancor!... qual derisione!... (si tocca gli occhi) Sono bendato!... (si strappa impetuosamente la benda e la maschera, ed al chiarore d’una lanterna scordata riconosce la sciarpa, vede la porta aperta, entra, ne trae Giovanna spaventata: la fissa con istupore, si strappa i capelli senza poter gridare; finalmente, dopo molti sforzi esclama:) Ah!... la maledizione!! (sviene) (E6 Piave, Rigoletto I 15).

Gerade die Liebes- und – in vielleicht noch stärkerem Maße – Sterbeszenen bieten in dieser Hinsicht die absoluten affektiven Höhepunkte, wie die folgende Schlussszene aus derselben Oper belegt: Scena ultima Rigoletto e Gilda. rigoletto Mia figlia!... dio!... mia figlia!... Ah, no!... è impossibil!... per Verona è in via!... Fu vision!... è dessa!... (inginocchiandosi) Oh mia Gilda!... fanciulla... a me rispondi!... l’assassino mi svela... Olà?... Nessuno! (picchia disperatamente alla porta) Nessun!... mia figlia?... gilda Chi mi chiama? rigoletto Ella parla!... si move!... è viva!... oh dio! Ah, mio ben solo in terra... mi guarda... mi conosci... gilda Ah... padre mio... rigoletto Qual mistero!... che fu!... sei tu ferita?...

195

gilda L’acciar... (indicando il core) qui... qui mi piagò... rigoletto Chi t’ha colpita?... gilda V’ho l’ingannato... colpevole fui... l’amai troppo... ora muoio per lui!... rigoletto (Dio tremendo! ella stessa fu colta dallo stral di mia giusta vendetta!...) Angiol caro... mi guarda, m’ascolta... parla... parlami, figlia diletta! ~ gilda Ah, ch’io taccia!... a me... a lui perdonate!... benedite... alla figlia... o mio padre... Lassù... in cielo!... vicina alla madre... in etereno per voi... pregherò. rigoletto Non morir... mio tesoro, pietade... mia colomba... lasciarmi non déi... se t’involi qui sol rimarrei... non morire, o qui teco morrò!... gilda Non più... A lui... perdonate... mio padre... Ad... dio! (muore) rigoletto Gilda! mia Gilda! è morta!... Ah! la maledizione!! (strappandosi i capelli cade sul cadavere della figlia) (ib. II 10).

Auch eines der Opernlibretti des 18. Jahrhunderts, Idomeneo von Varesco (1781), weist – wie bereits erwähnt – diese «Stammelszenen» auf:96 idomeneo (Spietatissimi dèi!)

96

Man vergleiche diese Szene mit der in Kap. 1.3. zitierten Parodie des zeitgenössischen Poeten Filippo Pananti, der 1808 in seinem Stück Il poeta di teatro die Librettosprache satirisch überspitzt imitierte (cf. Serianni 2002, 114) – die Parallelen sind unübersehbar.

196

idamante Meco compiangi del padre mio il destin? idomeneo (dolente) Ah figlio!... Ah padre!... Ah Numi! dove son io?... oh qual trasporto!... Soffri, genitor adorato, che al tuo seno... idamante (vuole abbracciarlo) e che un amplesso... (il padre si ritira turbato) ahimè! perché ti sdegni? disperato mi fuggi?... ah dove, ah dove? idomeneo Non mi seguir, te’l vieto: meglio per te saria il non avermi veduto or qui; paventa il rivedermi! (parte in fretta) (Q6 Varesco, Idomeneo I 10).

Was kann – neben dem Entstehungszeitraum – für die Verwendung bzw. Nichtverwendung von exklamativen Wendungen entscheidend sein? Nahe liegend ist hier die semantische Komponente: Enthält ein Libretto, das einen antiken Tragödienstoff wiedergibt, mehr affektive Elemente als ein auf einem mittelalterlichen Ritterepos basierender Text? Gibt es einen messbaren Grad an thematisch begründeter Emotionalität? Zur Beantwortung dieser Frage sei im Folgenden ein kurzer Blick auf die Inhalte der 16 Libretti geworfen,97 die mit der Anzahl und Qualität der exklamativen Wendungen verknüpft werden (cf. Tabelle 4.1.2.(2)). Die Vernetzung von thematischen und affektiven Momenten führt demnach nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Wenige und eher semantisch erstarrte Wendungen finden sich in Libretti mit antiken Tragödienstoffen (griechisch E1, Q1, Q2, E4, römisch-ägyptisch E3), aber auch in solchen, die auf mittelalterliche Ritterepen (Q3) zurückgehen. Gerade das zuletzt genannte Libretto, Roland von Quinault (1685), das sich auf Ariostos Orlando furioso bezieht, würde sich aus inhaltlicher Sicht (Liebe, Wahnsinn, Abenteuer) für eine Vielzahl an Exklamationen anbieten und enthält doch eher unterdurchschnittlich viele und sehr hölzern wirkende Ausrufe (ô ciel!; ô douce vie!; quelle cruauté!; quel trouble!). Eher durchschnittlich zahlreiche und variationsreiche Wendungen enthalten sowohl Werke mit antiken Stoffen (E2, Q5, Q7) als auch solche mit mehr oder weniger exotischen (Q4) oder romantischen (E5, Q9, E6) Inhalten. Die größte Varianz in qualitativer wie quantitativer Hinsicht weisen die Libretti Q6 (antike Tragödie), Q8 (römischgallischer Stoff) und Q10 (romantischer Dramenstoff) auf. Interessant erscheint

97

Cf. hierzu auch die ausführliche Korpusbeschreibung weiter oben, Kap. 2.1.

197

[Tabelle 4.1.2.(2): Vernetzung inhaltlicher Aspekte mit Quantität/Qualität exklamativer Wendungen] Nr.

Librettist, Titel

Jahr Quelle/Thema

Exklamat. Wendungen

E1

Rinuccini, La Dafne

1598 griech. Tragödie, Antike, Ovid, Metamorphosen / Liebe

nicht zahlreich, nicht variationsreich, starres Schema, oft vom Chor artikuliert

Q1

Striggio, La favola 1607 griech. Tragödie, Antike, d’Orfeo Orpheus-Stoff / Liebe und Treue

E2

Minato, Xerse

1654 griech. Tragödie, Antike, Persien / rel. zahlreich, rel. Liebe, Intrigen variationsreich, oft starres Schema

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672 griech. Tragödie, Antike, Orpheus-Stoff / Liebe, Treue

nicht zahlreich, nicht variationsreich, starres Schema

Q3

Quinault, Roland

1685 mittelalterliches Ritterepos / Liebe, Abenteuer, Wahnsinn

sehr selten, kaum Variation, starres Schema

Q4

Zeno, Teuzzone

1719 historische China-Folklore / Liebe, Intrigen

rel. zahlreich, rel. variationsreich, starres Schema

E3

Haym, Giulio Cesare

1724 röm.-ägypt. Antike (48 v. Chr.) / Liebe, Trauer, Rache

nicht zahlreich, nicht variationsreich, starres Schema

E4

Metastasio, 1729 antike Mythologie, Babylonien / Semiramide ricon. Liebe und Schuld

nicht zahlreich, nicht variationsreich, starres Schema

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

rel. zahlreich, rel. variationsreich, starres Schema

Q6

Varesco, Idomeneo 1781 antike Mythologie, Trojan. Krieg / zahlreich, sehr variationsreich, Menschenopfer, Vater – Sohn nicht starr

Q7

Rossi, Semiramide 1823 antike Mythologie, Babylonien / Liebe, Schuld

rel. zahlreich, rel. variationsreich, nicht starr

Q8

Romani, Norma

zahlreich, variationsreich, emotional, nicht starr

E5

Cammarano, Lucia 1835 romant. Drama (Schottld., Ende di Lammermoor 16. Jh.) / Liebe, Intrigen, Politik

rel. zahlreich, rel. variationsreich, rel. emotional, nicht starr

Q9

Piave, Ernani

1844 romant. Drama (1519) / Liebe, Intrigen, Treue, Räuber, Adlige

nicht zahlreich, rel. variationsreich, rel. emotional, nicht starr

E6

Piave, Rigoletto

1851 romant. Melodram (16. Jh.) / Liebe, Treue, Fluch, Intrigen

nicht zahlreich, rel. variationsreich (Rhetorik), rel. emotional, nicht starr

1887 romant. Drama (Ende 15. Jh.) / Liebe, Intrigen, Ränke

sehr zahlreich, sehr variationsreich, sehr emotional, nicht starr

Q10 Boito, Otello

198

1733 griech. Tragödie, Antike, Pastorale / Liebe, Staatsraison

1831 Römer und Gallier / Druidenkult, Liebe, Politik

nicht zahlreich, nicht variationsreich, starres Schema, oft vom Chor artikuliert

der Aspekt, dass gerade Q6, das frühe Varesco-Libretto (Idomeneo, 1781) mit den sehr expressiven Wendungen, lange als besonders «schlechtes» Libretto galt.98 Ob diese Bewertung, die in neuerer Zeit relativiert wurde (cf. Kesting 2005, 15 und passim), jedoch – zumindest teilweise – auf den ungewöhnlich zahlreichen exklamativen Wendungen beruht oder doch eher auf Mozarts Art und Weise, mit der zu seiner Zeit bereits überkommenen Form der opera seria umzugehen, mag dahin gestellt bleiben. Nahe liegender ist in jedem Fall die These einer diachronischen Entwicklung in der Art der literarischen Verarbeitung von exklamativen Wendungen. Unabhängig von der Quantität der Formeln ist aus semantischer Sicht eine eindeutige Tendenz dahin gehend zu erkennen, dass sie zu Beginn der Operngeschichtsschreibung deutlich weniger affektiv, emotional und expressiv ausfallen. Wendungen wie Ahi, caso acerbo!; o care selve!; o ciel!; o Dio! oder o miserabil caso! (Beispiele aus E1, Q1 und Q2) wirken wenig ausdrucksvoll und eher semantisch erstarrt, während die Mehrzahl der späteren Libretti, vor allem Q6, Q8 und Q10, sehr viel ausdrucksstärkere und individuellere Formen aufweisen (Barbari, ingiusti numi!; Spettacolo orrendo!; Oh, qual mistero orribile!; Ciel! Tenzon furibonda! etc.), die vor allem durch ihre Häufung (Stichwort Stammelszenen) die ihnen eigene besondere Wirkung entfalten. Die Libretti des 18. Jahrhunderts wiederum nehmen bezüglich der exklamativen Wendungen tatsächlich die von Rossi und anderen vermutete Brückenstellung ein, indem sie einerseits zahlreichere Beispiele solcher Wendungen aufweisen als die Texte des 17. Jahrhunderts (cf. dazu Tabelle 4.1.2.(2)). Andererseits wirken die Wendungen jedoch überwiegend noch ebenso formelhaft wie in den Vorgängertexten und unterscheiden sich damit deutlich von den in den Libretti des 19. Jahrhunderts enthaltenen Belegen. Für «das» Opernidiom jedoch sind die Interjektionen bzw. nach erweiterter Definition die exklamativen Wendungen ein unerlässliches und typisches Kennzeichen, besonders konzentriert auf die Opern des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts. Die Untersuchung dieses Wortschatz-Ausschnittes belegt also die eingangs aufgestellte These, dass es gerade die jüngeren Libretti des 19. Jahrhunderts sind, die den Eindruck prägen, den der durchschnittliche Opernliebhaber von der Gattung Libretto aus sprachlicher Sicht insgesamt hat. Sinnvoll wäre im Nachgang zu den hier präsentierten Studien ein Vergleich mit nicht-musikalischen, jeweils zeitgenössischen Texten, der den Beleg erbringen müsste, dass es gerade das Opernidiom ist, das durch die geschilderten affektivemotional aufgeladenen Wendungen geprägt wird und nicht die gesamte Theaterliteratur der entsprechenden Jahrhunderte. Ansätze zu einem solchen Vergleich

98

Cf. bereits weiter oben, Kap. 2.1. Schon früh waren diese Oper und insbesondere das Libretto umstritten. So urteilte etwa Eduard Hanslick: «Zuerst das Textbuch! Von ihm geht alles Unheil aus. Das Libretto zum Idomeneo ist abgeschmackt, langweilig, und dies alles in dem unsäglich veralteten Gewand der mythologischen Götter- und HeroenOper» (zit nach Kesting 2005, 14), und noch Wolfgang Hildesheimer bezeichnet Varesco als «ziemlich dürftige[n] Librettist[en]» (Hildesheimer 1980, 166).

199

bietet Fabio Rossi, der goldonismi und ossianismi in Rossini-Opern ausmacht (cf. Rossi 2005a, 80 und passim), die den hier analysierten Formen sehr nahe kommen (giusto cielo, empio traditor etc.). Demzufolge hätten Rossinis Librettisten also manche der exklamativen Wendungen aus der Theaterliteratur entlehnt und nicht – wie eher zu erwarten wäre – umgekehrt. Dennoch ist es wahrscheinlicher, dass im Sprechtheater, in dem die weitere Komponente Musik nicht inkludiert ist, insgesamt deutlich seltener Gebrauch von solcherlei expressiven Mitteln gemacht wird, da das gesprochene Wort hier allein durch die bessere Verständlichkeit auf der Bühne schwerer wiegt und eine übertriebene Plakativität somit nicht als notwendig erscheint. 4.1.3.

Wortfelder und Schlüsselwörter

In dieser Analyse kann wiederum auf die quantitative Aufbereitung der Librettodaten aus Korpus Q zurückgegriffen werden; Korpus E fungiert daher im ersten Teil der folgenden Wortfeld-Analyse als sporadischer Beleglieferant und wird erst im zweiten, eher semantisch ausgerichteten Teil in seiner Gesamtheit berücksichtigt. Bei der halbautomatischen Textannotierung in Korpus Q wurden unter anderem die Wortarten markiert, so dass die Einzelbelege wortartabhängig bezüglich ihrer Zugehörigkeit zu Wortfeldern miteinander vernetzt oder isoliert betrachtet werden können. Allerdings sind den Methoden der QL im Bereich der Semantik Grenzen gesetzt, da hier zusätzlich zu den statistischen auch inhaltliche Auswertungen erfolgen müssen, die etwa den Kontext der jeweiligen Begriffe mit einbeziehen (cf. hierzu auch Pieper 1979, 24). 4.1.3.1. Frequenzen von Substantiven, Adjektiven, Verben In einem ersten Annäherungsschritt seien im Folgenden die jeweils 10 in den Libretti am häufigsten auftretenden Belege der Wortarten Substantive, Adjektive und Verben aufgelistet, um den bei den Librettisten besonders beliebten semantischen Feldern auf die Spur zu kommen (cf. Tabelle 4.1.3.(1)).99 100

99

Es wurde jeweils eine normalisierte Form (Lemma) eingesetzt, die verschiedene Varianten mit einbezieht (etwa bei cuore die Graphien cor, core, cuor, cuore, außerdem eventuelle Pluralformen etc.). Berücksichtigt wurde auch das französische Libretto Q3, da in dieser Analyse semantische und nicht unbedingt sprachstrukturelle Aspekte im Vordergrund stehen.

100

200

201

sole (19)

giorno (12)

amore, padre (11)

3

4

5

100

10

Lett. ‘giorno’.

occhio, beltà amant, bon(15) heur (17)

ombra, vita (9)

9

reine (18)

soin (19)

ciel, lieu (21)

gloire (24)

jour (25)

cœur (48)

amour (106)

Q3

amante (18)

cielo, fede (21)

dio (23)

alma (29)

seno (38)

amore (59)

cuore (96)

Q2

8

7

luce, stella (10)

cielo (26)

2

6

cuore (32)

1

Q1

padre (23)

vita (27)

amore (28)

amico (38)

re (43)

voce (53)

Q5

ira (19)

alma (20)

cielo (28)

cuore (49)

Q7

dio (33)

cuore (36)

Q8

mare (17)

padre (20)

cielo, dio (23)

ombra (18)

dio, dì,100 nume, regina (20)

padre, tempio (11)

altare (12)

amore (14)

pietà (15)

dolore (16)

figlio (23)

amore, cuore amore, orrore, cielo (28) (26) re (22)

nume (28)

figlio (29)

Q6

dio, nome, morte, re (14) parte, tempio (19)

legge, cuore, nume tribunale (21) (20)

morte (24)

cielo, regina (26)

re (32)

cuore (55)

amore (65)

Q4

[Tabelle 4.1.3.(1): Die jeweils 10 häufigsten Substantive in den Libretti aus Korpus Q (absolut)]

castello (11)

cielo, morte (12)

onore (13)

sole (14)

signore (16)

amore, vendetta (23)

re (33)

cuore (41)

Q9

dio, mare, notte, pietà, prova, salce, signore, vela (11)

bacio, morte (13)

fazzoletto (14)

anima, sposa (17)

amore (21)

mano, cuore (23)

cielo (35)

Q10

Im Bereich der Substantive ist die größte Anzahl an Belegen – ein nicht unerwartetes Ergebnis – dem Wortfeld liebe zuzuordnen. Die beiden insgesamt weitaus häufigsten Wörter sind amore/amour (dazu amant, bacio) und cuore/cœur. Als weitere eigenständige Wortfelder sind religion/glaube (alma/anima, altare, cielo/ciel, dio, fede, nume, pietà, tempio), natur (cielo/ciel, mare, notte, salce, sole, stella), schmerz/tod (morte, ombra), (menschliche) beziehungen (amant, amico, figlio, sposa, padre), körperteile (cuore/cœur, mano, occhio, seno), gefühle (bonheur, dolore, ira, onore, orrore, vendetta), licht/schatten (dì/giorno/ jour, luce, notte, ombra, sole, stella) und herrschaft (re, reo, regina, reine) bzw. recht (legge, prova, tribunale) anzusehen. Die wenigen hier nicht erfassten Begriffe sind zumeist Konkreta, die in der Thematik der jeweiligen Oper eine größere Rolle spielen (etwa castello in Q9, fazzoletto und vela in Q10) oder Abstrakta, die oft Eigenschaften oder allgemeine Zustände ausdrücken (beltà, vita). Die Schnittmenge der häufigsten Wortfelder innerhalb der 16 Korpuslibretti ist recht groß; eine klare chronologische Entwicklung ist an dieser Stelle nicht nachvollziehbar. Manche Wortfelder überschneiden sich, so kann ombra ebenso wie notte je nach Kontext zu schmerz/tod, licht/schatten oder natur gehören, alma zu religion/glaube oder zu liebe. Zudem ergeben sich semantische Polysemien: Ein Substantiv wie seno kann in seiner Erstbedeutung ‘Brust’ als Körperteil verstanden werden, es kann jedoch auch spezieller ‘weibliche Brust, Busen’ bedeuten oder als Synonym für Herz und damit in der Bedeutung ‘Liebe’ oder ‘Leben’ verwendet werden. Hier sind also Detailanalysen im Kontext des Einzellibrettos notwendig. Auch im Bereich der Verben und Adjektive stellen Häufigkeitslisten einen guten Ansatz zur Wortfeldanalyse dar; sie ergänzen dabei den im Rahmen der quantitativen Analysen berechneten Aktionsindex, mittels dessen das Verhältnis zwischen Adjektiven und Verben erforscht wird (cf. Kap. 3.3.2.) und der Aussagen über den «Aktionsreichtum» eines Textes zulässt. Im Folgenden liegt der Fokus nunmehr auf dem semantischen Gehalt und der Wortfeldzugehörigkeit der entsprechenden Begriffe (cf. Tabelle 4.1.3.(2)).101102 Die relativ wie absolut häufigsten Verben sind in der Zusammenschau (stets nach essere und avere) andare/aller, fare/faire, potere/pouvoir, venire; auch vedere/voirund parlare-Belege treten häufig auf. Interessanter sind die allgemein als für das Opernidiom besonders typisch bezeichneten Verben amare/aimer und morire/mourir, die jedoch entgegen aller Erwartung nicht besonders zahlreich sind. Lediglich bei Quinault (Q3) steht aimer auf Rang 1, bei Aureli (Q2) findet sich amare auf Rang 2, bei Zeno (Q4) auf Rang 8 und bei Boito (Q10) auf Rang 7. Das Verb morire steht bei Zeno (Q4) auf Rang 10, bei Varesco (Q6) auf Rang 9, bei Piave (Q9) auf Rang 6. Die Mehrzahl der Verben lässt sich jedoch dem Bereich der Aktionsverben (andare, ardire, cadere, dire, fare, giurare, parlare, venire, volere etc.) und den Wortfeldern sensuelle wahrnehmungen (guardare, mirare, vedere/voir, udire) sowie gefühle (amare/aimer, godere, sentire, tremare) zuordnen, was wiederum dem allgemein üblichen Bild der Opernsprache vollkommen entspricht. Dennoch sind die Verben weniger eindeutig speziellen Wortfeldern zuzuordnen als die Substantive, eine Feststellung, die auch für die Adjektive gilt (cf. Tabelle 4.1.3.(3)). 202 101 102

203

godere, dare (26)

vedere (27)

Q2 fare (39) amare (34)

101

vouloir, aller (45)

pouvoir (49)

Q3 aimer (62) faire (57)

potere, mirare (22)

morire, dare (18)

amare, regnare (19)

cadere (20)

potere, sapere (25)

dire (28)

fare (29)

Q4 volere (35) andare (32)

sentire (22)

parlare (23)

andare (26)

venire (27)

potere, vedere (29)

fare (32)

dire (49)

Q5 volere (59) sapere (54)

dovere, placare, morire (8)

fuggire (10)

adorare, volgere (11)

dire, fare (14)

fare (15)

udire, volere (16)

andare (19)

lasciare (20)

Q8 venire (27) potere (24)

vedere (16)

morire (18)

potere, fare (19)

sapere (20)

Q9 volere (24) venire (22)

amare, volere (14)

piangere (15)

parlare, bere (17)

fare (18)

Q10 vedere (23) credere (20)

ardire, rende- morire (14) andare (11) re, vedere (12) parlare, vedere seguire, giura- venire (13) (12) re, serbare (10) guardare (11)

sperare, adorare (13)

volere, venire (15)

Q6 Q7 vedere (18) sapere (30) andare, potere tremare (19) (17) potere (17)

Aufgeführt werden wiederum jeweils nur die Lemmata, in diesem Fall also der Infinitiv. Die Hilfsverben avere und essere wurden hier bewusst vernachlässigt, da sie in allen Libretti stets auf Rang 1 (essere) und 2 (avere) zu finden sind. Für den Aktionsindex (cf. Kap. 3.3.2.) wurden sie allerdings mitberechnet.

rendre, devoir (22)

suivre (24)

andare, canta- andare, sapere voir (43) re, fuggire, (25) vedere (8) vivre (27)

chiamare, trarre, venire (9)

Q1 fare (19) potere (12)

10 mirare, lodare, tradire (21) ridere (7)

9

8

7

6

5

4

3

1 2

[Tabelle 4.1.3.(2): Die 10 häufigsten finiten Verben (ohne Hilfsverben) in den Libretti aus Korpus Q101]

204

charmant (20)

Q3 quel (47) heureux (39) beau (22) doux (21)

102

10

fiero, meco, primo (9)

giusto (11)

empio (13)

grande (14)

Q4 quale (27) che (23) solo (22) bello, tutto (16)

stesso (11)

ogni (13)

felice (15)

caro (16)

solo (17)

vero (21)

Q5 che (42) quale (34) tutto (27) grande (23)

felice, stesso, vivo (6)

bello (7)

dolce, grande, nemico, tutto (8)

Q6 solo (16) altro (11) caro (10) ogni (9)

Q8 quale (25) sacro (15) caro (9) bello, eterno, tutto (7)

felice, solo (9)

altro, ardente, barbaro, contento, crudo, dolce, orrendo, rio (4)

dolce, terribile romano (6) (10) solo (5)

bello (12)

Q7 quale (26) che (24) sacro (14) grande, tutto (13)

bello (7)

altro, vago (8)

Q10 ivi (21) tutto (14) vero (10) lieto (9)

grande, inulto, brillo, castro, meco, vano (6) onesto (6)

augusto (7)

solo, vecchio (8)

Q9 tutto (25) ogni (21) quale (14) bello (9)

Auch hier wurde jeweils eine normalisierte Form (Lemma) eingesetzt, die verschiedene Varianten mit einbezieht (etwa bei bello die Graphien bei, bel, bella, bello etc.). Mit einbezogen wurden zudem adjektivisch verwendete Pronomen wie ogni, quale etc.

bien (11)

malheureux almo, altro, altro, fiero, crudele, gran- sereno, spieta- (12) de, mortale (8) to, tanto (11)

9

vain (15)

amoroso, vago cruel, grand (13) (17)

caro (14)

Q2 bello (33) ogni (24) quale (21) vivo (17)

dolce (12)

empio, solo (9)

degno, dolce (10)

Q1 ogni (20) lieto (16) bello (14) quale (11)

8

7

6

5

1 2 3 4

[Tabelle 4.1.3.(3): Die jeweils 10 häufigsten Adjektive in den Libretti aus Korpus Q (absolut)102]

Die häufigsten Adjektive lassen sich – wie auch die Verben – nicht klar den bei den Substantiven recht leicht erschließbaren Wortfeldern zuordnen, da sie – vor allem im Bereich der adjektivisch gebrauchten Pronomen – oftmals eher interrogative oder relative Funktionen einnehmen (etwa bei quale) oder innerhalb von exklamativen Wendungen (quale orrore!, cf. Kap. 4.1.2.) auftreten. Allerdings kann man die vorsichtige These äußern, dass sie nach Abstufungen unterschiedlicher Emotionalität einzuordnen sind: Während die frühen Libretti als «emotionalste» Formen dolce/doux und crudele/cruel, evtl. noch malheureux, aufweisen, ist in den jüngeren Libretti, vor allem denen des 19. Jahrhunderts, eine Anhäufung von ausdrucksstarken Begriffen aufzufinden (ardente, crudo, terribile, orrendo, rio etc.), wobei sich besonders Q8 (Romanis Norma von 1831) durch eine Konzentration expressiver Adjektive auszeichnet (ardente, barbaro, crudo, dolce, eterno, orrendo, rio, sacro). Diese pauschale Aussage muss zwar wegen der eingeschränkten Datenbasis (je 10 Adjektive bzw. Verben pro Libretto) als nicht eindeutig belegbare These bestehen bleiben, doch hat sich diese Tendenz bereits in anderen Analysen angedeutet (cf. etwa den Bereich der Archaismen, Kap. 4.1.1., und besonders den der exklamativen Wendungen, Kap. 4.1.2.), sie kann somit als realistisch bewertet werden. Insgesamt sind die Verben und Adjektive deutlich weniger aussagekräftig in Bezug auf Wortfelder als die Substantive; dominant sind in allen drei Wortarten lediglich die das Wortfeld gefühle betreffenden Lexeme. Der aus der Auszählung der jeweils häufigsten Belege resultierende, relativ geringe Erkenntnisgewinn liegt jedoch vermutlich darin begründet, dass die Okkurrenzen stets aus dem Zusammenhang gerissen aufgeführt werden. Einzelne Belege scheinen hier nicht gewichtig genug zu sein, um aus ihnen eine Tendenz bzw. eine allgemein gültige These ableiten zu können. Daher ergibt sich der Bedarf nach den Kontext involvierenden Betrachtungsmethoden. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Darstellung der Belege in so genannten kwic-Indizes (Key Word In Context), die jeweils eine vorher festgelegte Anzahl an die betreffende Okkurrenz umrahmenden Kontextwörtern mit berücksichtigen. Mittlerweile existieren diverse Werkzeuge, die diese Funktion unterstützen und automatisch Indizes für zuvor definierte Schlüsselwörter anlegen, etwa das bereits in Kap. 2.1. erwähnte Tool der IntraText Digital Library.103 Am einfachsten auswertbar sind hierbei Indizes mit Substantiven, doch kann mit jeder beliebigen Okkurrenz ein solcher Index hergestellt werden. Beispielhaft seien im Folgenden einige Indizes an Hand ausgesuchter Belege aus Libretto Q1 dargestellt.104

103 104

Auch mit diversen Textverarbeitungsprogrammen ist ein kwic-Index problemlos herstellbar, etwa mit tustep, dem TUebinger System von TExtverarbeitungsProgrammen. Beachtet werden muss an dieser Stelle, dass in den Indizes stets nur vollkommen identische Formen berücksichtigt werden, hier also ausschließlich die trunkierten ciel-Belege, keine cielo-, cieli-Formen etc. In der Analyse müssen daher oftmals mehrere Indizes zusammengefasst oder die Einstellungen zur Indexerstellung verändert werden, während hier zur Illustration die identischen Formen zu ciel (19 Belege, insgesamt treten in Q1 jedoch 26 tokens von cielo auf) genügen mögen.

205

[Beispiel 4.1.3.(1): kwic-Index zu ciel ‘cielo’ in Libretto Q1] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

§|armonia sonora de le rote del §| l’aria bruna, / danzan in §| che detti amore. / Rosa del §| cori avessi / quant’occh’il §| l’aria bruna, / danzan in §| Ma s’il nostro gioir dal §| dal ciel deriva, / come dal §| ch’infocati raggi / Febo dal §| stelle ingiuriose! Ahi, §| Mentre Orfeo con sue note il §| stelle ingiuriose! Ahi, §| stelle ingiuriose! Ahi, §| stelle ingiuriose! Ahi, §| stelle ingiuriose! Ahi, §| passati pregi. / Di nubi il §| stelle ingiuriose! Ahi, §|accende il giorno in terra al §| che sua sposa conduce al §| mosse co’ suoi gran ¿gli al

ciel più l’alme invoglio. / Quinci ciel le stelle. / Poi di bei ¿ori, ciel, vita del giorno, e degna ciel sereno e quante chiome ciel le stelle. / Vieni, Imeneo, ciel deriva, / come dal ciel ciò ciel ciò che qua giù s’incontra, ciel saetta. / Su quell’erbose ciel avaro! / Qual suon dolente ciel consola, / con parole mie ciel avaro! / A l’amara novella ciel avaro! / Non si ¿di uom mortale ciel avaro! / Non si ¿di uom mortale ciel avaro! / Ma qual funebre pompa ciel si cinga / e con oscura pioggia ciel avaro! / Scorto da te mio ciel salito, / furò ¿amma vivace: ciel superno. / Qual onor di te ciel la terra. / Euhoè, padre Lieo,

Hier deutet sich bereits die weiter unten in diesem Abschnitt noch ausgeführte Tendenz an, dass Striggio in seiner Favola d’Orfeo sehr intensiv und subtil vom Stilmittel der Metapher Gebrauch gemacht hat. Der Himmel erscheint als Tanzplatz der Sterne, als Wohnort der Götter, als Gegenentwurf der Unterwelt, als Heimat der Sonne, die wiederum als Himmelsrose benannt wird. Im Gegensatz zu diesen ausschließlich positiven Konnotationen wird der Himmel jedoch auch – ähnlich wie die Sterne – als Stellvertreter der «ungerechten» Natur angerufen,105 die nicht verhindern konnte, dass Eurydike ihr Leben verliert (ciel avaro, stelle ingiuriose). Die thematisch bedingte semantische Dichotomie zwischen Leben und Tod, Ober- und Unterwelt, Licht und Schatten, Wärme und Kälte wird somit auf sprachlicher Ebene widergespiegelt. Dies belegt auch der Index zum Hauptvertreter des Wortfeldes licht/schatten bzw. wärme/kälte, der Sonne:106 [Beispiel 4.1.3.(2): kwic-Index zu sol ‫ދ‬sole‫ ތ‬in Libretto Q1] 1 2 3 4 5

105 106

§| face ardente / sia quasi un §| che l’universo affrena, / §| face ardente / sia quasi un §| ha il mondo, / dispiega il §| spiegar pensiero interno /

sol sol, sol sol sol

nascente / ch’apporti a questi che’l tutto circondi e nascente / ch’apporti a questi più chiaro i rai lucenti. per cangiarl ove l’error

Diese negativen Konnotationen treten jedoch erst ab dem dritten Akt, also nach dem Tod Eurydikes auf, cf. weiter unten in diesem Abschnitt. Auch hier ist die trunkierte Form sol (20 Okkurrenzen) gegenüber der Normalform sole (7 Okkurrenzen) vorherrschend und wird daher an dieser Stelle zur exemplarischen Illustration herangezogen.

206

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

§| e piaggie amate, / da quel §| sol fatte beate / per cui §| più caro il ben presente. / §| sparir que’lampi, ond’ella al §| sia di sì nobil tomba il §|tenebrosi e mesti / ove raggio di §|riveder quelle beate luci / che §| conforto a le mie pene? / §| ché sopra un’aurea cetra / §|spiegò Dedalo industre, / né di §| luci beate e liete, / che §| fregio dell’alma ond’ella §| splendore, / nebbia l’adombra §| Degno d’eterna gloria / ¿a §| deh, perché mi rispondi /

sol fatte beate / per cui sol sol mie notti han giorno. / Mira, Sol per te, bella Euridice, sol fea scorno. / Allor noi tutte sol dolente. / Ahi, caso acerbo! sol giamai non giunse. / Tu mia sol ’a gli occhi miei portano Sol tu, nobile dio puoi darmi sol di corde soavi armo le dita sol caldo raggio, / né distemprò sol col guardo altrui bear potete? sol s’apprezza: / Questa di tempo sol d’affetto umano, / a cui talor sol colui ch’avrà di sé vittoria. sol con gl’ultimi accenti?

In diesem Fall gilt es zusätzlich, eventuelle Polysemien mit sol ‘solo’ zu erkennen und zu eliminieren, was hier bei den Beispielen 5, 8, 12, 13, 14, 16, 17, 18, 19 und 20 der Fall ist; es bleiben also nur 10 sole-Belege übrig. Auch die Sonne unterliegt der Dichotomie zwischen positiven Wärme-/Licht-Assoziationen (sol nascente, caldo raggio etc.), die sich vorwiegend in den beiden ersten, heiteren Akten des Librettos finden, und negativen Konnotationen nach dem Tod Eurydikes: Di nubi il ciel si cinga / e con oscura pioggia / pianga sopra il sepolcro: / e poi ch’egli avrà pianto, / languida luce spieghi, / e lampada funesta / sia di sì nobil tomba il sol dolente (Q1, II). Ein weiteres Beispiel dafür, wie kunstvoll Striggio mit antithetischen Begriffen arbeitet, liefert das typische Librettowort cuore/core: [Beispiel 4.1.3.(3): kwic-Index zu core ‘cuore’ in Libretto Q1] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

§| tranquillo ogni turbato §| gentil conforto a sconsolato §| poggi? / Sia testimon del §| mia, / che non ho meco il §| parole mie passargli il §| Or d’uopo e d’un gran §| se stabilito hai pur nel §| impudico desire acceso il §| alquanto / dilettandomi il §| non impetra / ne l’indurato §| tanta pietà dentr’al mio §| piaga / rinfrescan nel mio §| potete? / Ma che temi, mio §| il loco / dove passo mi ’l §| te già sopra l’altar del §| Leneo, / or ch’abbiam colmo il §| Leneo, / or ch’abbiam colmo il §| Leneo, / or ch’abbiam colmo il §| forte destra e con invitto §| Leneo, / or ch’abbiam colmo il §| Leneo, / or ch’abbiam colmo il

core, / et or di nobil ira, et core, / vostre cetre sonore core / qualche lieta canzon che core, / ma teco stassi in compagnia core? / Questa è Silvia gentile, core e d’un bel canto. / Io ¿n core / di porre il piè ne la città core? / Pon freno al foll’ardir, core, / sconsolato cantore, core, almen il sonno / fuggir al core / ch’io torno un’altra volta core; / così l’alma tua non sia core? / Ciò che vieta Pluton comanda core / per l’amara novella il mio core / lo spirto acceso in sacri¿zio core / del tuo divin furore. core / del tuo divin furore. core / del tuo divin furore. core / spargesti e abbattesti le core / del tuo divin furore core / del tuo divin furore.

207

Das Herz kann betrübt, aufgewühlt oder verzweifelt sein (turbato core, sconsolato core etc.), es kann verhärtet sein (indurato core), es kann von unkeuscher Begierde erfüllt sein (d’impudico desire acceso il core), es kann einem Tiger (un cor di tigre, Q1, II) oder dem Gebieter der Finsternis (il cor del re de l’ombre, ib.) gehören107 oder von göttlichem Furor erfüllt sein (ch’abbiam colmo il core / del tuo divin furore); es kann jedoch auch groß sein (un gran core), außerhalb des eigenen Körpers bei der Geliebten weilen (che non ho meco il core, / ma teco stassi in compagnia d’amore) oder gar als Liebesaltar dienen (l’altar del core). Hier wird die große Tragweite der Metaphorik Striggios deutlich, die sich so in den späteren Libretti nicht wieder finden lässt. Dies mag ein kontrastierender Blick auf den kwic-Index zu den core-Belegen in Boitos Otello (Q10), dem jüngsten Libretto in den beiden Korpora Q und E aus dem Jahre 1887, belegen: [Beispiel 4.1.3.(4): kwic-Index zu core ‘cuore’ in Libretto Q10] 1 2 3 4 5 6 7 8 9

§| Che ascondi nel tuo §| Vien ch’io t’allieti il §| e irriso / io sono, e il §| ad Otello il sacro ardenti, §| questa mano io v’ho donato il §| volto e l’anima ti svelo; il §| Dio frena l’ansia che in §|tenero compianto / stempra del §| le zolle in ¿or / gemea quel

core? / Che ascondo in cor, signore? core, / ch’io ti lenisca il duol core m’infrango / e ruinar nel fango core, braccio ed anima / s’anco core ... / Ma riparlar vi debbo core infranto / mi scruta... core mi sta! / Nel segno hai core il gel.) / core affranto / e dalle ciglia

Zwar wird auch hier das Herz zumeist metaphorisch eingesetzt, dies jedoch fast ausschließlich als bildhafte Darstellung der Gefühle Liebe (etwa in Beispiel 5) und Schmerz (etwa in den Beispielen 3, 6, 7, 9) oder durch die Personifizierung des Organs (Questa è una ragna / dove il tuo cuor / casca, si lagna / s’impiglia e muor, III 5). Zudem lässt sich die Beobachtung machen, dass bei Boito – wie auch bei anderen Librettisten des 19. Jahrhunderts – viele Idiomatismen auftreten, die teilweise bereits in diesem Jahrhundert erstarrt und in den allgemeinen Wortschatz übergegangen sind: Es finden sich bei ihm Phraseologismen wie etwa donare il cuore, credere con fermo cuore, avere il cuore di gelo, symbolhafte Bilder wie il cuore infranto / il cuore affranto oder rhetorische Verflechtungen der Bereiche Liebe/Herz und Wärme/Feuer (Dove guardi splendono / raggi, avvampan cuori, / dove passi scendono / nuvole di fiori, Boito, Otello, II 3).108 Ähnliche Idiomatismen und Personifikationen sind auch in den anderen Libretti des 19. Jahrhunderts aus den Korpora Q und E wiederzufinden, so etwa in Q7 (Rossi, Semiramide, 1823): l’ardente core, leggere in core, ripigliare il core; Q8

107 108

Beide Belege wegen der abweichenden Form nicht im zuvor dargestellten kwic-Index enthalten. Zu idiomatischen Wendungen speziell in Theatertexten des 18. Jahrhunderts cf. Scavuzzo 2002, 202–207 und passim.

208

(Romani, Norma, 1831): fare core,109 avere dolore al core, avere il core oppresso; Q9 (Piave, Ernani, 1844): il core disperata, l’ira/l’odio arde nel core, l’ingrato core, l’impaziente core; E5 (Cammarano, Lucia di Lammermoor, 1835): la vita riposi in un core, il core infedele, leggere in questo core, il core resiste alla ragione, il core tradito und E6 (Piave, Rigoletto, 1851): distruggere il cuore, avere il cuore oppresso, sentire del cuore il palpitar, ridere di core. Wiederholt stößt man in den Libretti des 19. Jahrhunderts auf ähnliche Bilder und Symbole, die auf sprachlicher Ebene immer wieder denselben Wortfeldern entstammen und damit die Texte als deutlich konventioneller erscheinen lassen als die frühen Libretti des 17. Jahrhunderts. Stefano Telve stellt in der Librettistik der Verdi-Opern ebenfalls eine solche Mischung aus Traditionalität und Konventionalität fest (cf. Telve 1998, 335 und passim), die jedoch nicht erst zu Verdis Zeiten «erfunden» wurde, sondern auf einem «ambiente linguistico di riferimento» (ib., 335) beruht, das sich schon früher und auch in der traditionellen Sprache der Poesie finden lasse.110 Es fragt sich nun, wie sich die entsprechenden Belege in den Libretti des 18. Jahrhunderts verhalten: Bilden sie die von Rossi und anderen häufig zitierten Brückenschläge zwischen den beiden anderen Jahrhunderten (cf. weiter oben, Kap. 4.1.1.), oder gibt es gar den von Coletti vermuteten «momento di radicale cambiamento linguistico» (Coletti 2005, 21) hin zum 19. Jahrhundert, dem hier schon seit längerem nachgespürt wird? Ein Blick speziell auf die beiden im Korpus enthaltenen Libretti Pietro Metastasios (E4, Q5), des als Modell bildend bekannten großen Librettisten des 18. Jahrhunderts, ergibt das unerwartet deutliche Resultat, dass alle im 19. Jahrhundert verwendeten Bilder und Idiomatismen hier bereits vorangelegt sind: E4 (Semiramide riconosciuta, 1729) enthält z. B. bereits die Wendungen dare il cor, spiegare il cor, offrire il cor, il cor fallace, il core oppresso, il perfido core, le parole sono figlie del cor, usurpare il cor, passare con ferro il cor, ardire il cor, avere cor, bramare il tutto cor, il barbaro cor etc.; Q5 (L’Olimpiade, 1733) stellt sich nicht weniger abwechslungsreich dar: ardire il core, opprimere il core (una gelida man m’opprima il core), il cor fallace, dire dal profondo del cor, stracciare in mille parti il cor, il cor sospira, dare nel cor un palpito improvviso, svellere dal sen il cor etc. In diesem Fall können die Libretti des 18. Jahrhunderts, zumal die Metastasios, in der Tat als Vorläufer oder Vorbild für die jüngeren Texte gelten. Sie enthalten eine große Anzahl an teil-

109

110

Zu fare core cf. Telve (1998, 331), der diese Kombination als typisch für das melodramma des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts hält; er findet in GDLI und LIZ insgesamt nur 6 Okkurrenzen für fare + core in der Poesie des 15. bis 17. Jahrhunderts, dagegen 33 Mal in der des 18. und 19. Jahrhunderts. Allerdings nimmt Telve keine genauen Zeitangaben vor. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf Rossi (2005a, 26–28), der ebenfalls die Konventionalität der melodramatischen Sprache bescheinigt, diese aber zusätzlich überzeugend auf das Konzept der Intertextualität bzw. Hypertextualität nach Genette (1982) und Cioni (1993) bezieht, das Telve lediglich aus semantischer Perspektive mit der «ricorsività di temi e di situazioni» (Telve 1998, 341) andeutet, cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt.

209

weise sehr expressiven, manchmal gar drastischen Bildern, die sich durch ihre semantisch wie auch syntaktisch relativ festen Bindungen erheblich von den viel subtileren Metaphern eines Striggio unterscheiden, jedoch durchaus bereits das Zusammenspiel aus Emotionalität und Starre erkennen lassen, das die Libretti des 19. Jahrhunderts aufweisen und das allgemein als für das Librettoidiom typisch gilt (cf. hierzu auch weiter oben, Kap. 1.3.). Als letztes Beispiel für die semantische Auswertbarkeit der kwic-Indizes soll eine Okkurrenz aus dem ebenfalls als für das Librettoidiom charakteristisch geltenden Bereich der Interjektionen (cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1.2.) herangezogen werden, nun wieder an Hand von Q1:111 [Beispiel 4.1.3.(5): kwic-Index zu ahi in Libretto Q1] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

111

§| aria in sì beato giorno. / Ahi, §| giorno. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fato empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §|possenti carmi./Ma nulla valse, ahi §| di pietade e di spavento. / Ahi, §| spavento. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fat’empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §|troppo dolor non può dolersi. / Ahi, §| dio cielo, e sole, a dio. / Ahi, §| a dio. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fat’empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §| conforme / Chi ne consola, ahi §| altro dal duol tra¿tto, / ahi §| / ahi lassi, ha spenti. / Ahi, §| spenti. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fat’empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §| almeno al corpo esangue. / Ahi, §| esangue. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fat’empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §|nobil tomba il sol dolente. / Ahi, §| dolente. / Ahi, caso acerbo! Ahi, §| Ahi, fat’empio e crudele! / Ahi, §| Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, §| ti parti e m’abbandoni, ahi §| sguardo può tornarmi in vita, / Ahi, §| valor non degno affetto. / Ahi, §| e se’di grazia indegno. / Ahi, §| e mai sempre dorròmmi, ahi §| sempre dorròmmi, ahi doglia, ahi

caso acerbo! Ahi, fato fato empio e crudele! / stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / Qual suon dolente lassa, / ch’ella i languidi caso acerbo! Ahi, fat’empio fat’empio e crudele! / Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / A l’amara novella ben avrebbe un cor di tigre caso acerbo! Ahi, fat’empio fat’empio e crudele! / Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / Non si ¿di lassi? / O pur chi ne concede / lassi, ha spenti. / Ahi, caso caso acerbo! Ahi, fat’empio fat’empio e crudele! / Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / Non si ¿di caso acerbo! Ahi, fat’empio fat’empio e crudele! / Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / Ma qual funebre caso acerbo! Ahi, fat’empio fat’empio e crudele! / Ahi, stelle ingiuriose! Ahi, ciel avaro! / Scorto da te lasso, / sul periglioso passo? chi nega il conforto a sventurato amante! / Sperar vista troppo dolce e troppo doglia, ahi pianto. / Hai pianto. / Hai pianto. / Cortese

Die hier wiedergegebenen kwic-Indizes sind als exemplarisch für die zahlreichen weiteren Indizes anzusehen, mit denen in dieser Analyse gearbeitet wurde, die hier jedoch aus Platzgründen nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden können.

210

4.1.3.2. Die iuncturae Das bereits aus Kap. 4.1.2. bekannte Muster «Interjektion + Substantiv + Adjektiv» findet sich hier besonders häufig (Ahi, ciel avaro!, Ahi, caso acerbo!, Ahi, fat’empio e crudele!, Ahi, stelle ingiurose! etc.) und leitet auf einer neuen Betrachtungsebene zu einer weiteren als typisches Kennzeichen für die Sprache der Opernlibretti bezeichneten sprachlichen Konstruktion über, den so genannten iuncturae, festen Substantiv-Adjektiv-Kombinationen, die bereits zum sprachlichen Repertoire der Opern der ersten Stunde zählten. Sie fungieren, wie auch die bereits erwähnten anderen lexikalisch erstarrten Wendungen, als «segnali linguistici che suggeriscono all’ascoltatore lo statuto drammatico dell’opera e delle singole situazioni sceniche a cui sta assistendo, fornendo spie circa il tono del momento, grave o non grave, la posizione gerarchica dei personaggi, il loro stato d’animo, ecc.» (Telve 1998, 335).112 Zwar treten sie auch in der allgemeinen lingua poetica auf (cf. ib. 329s.), doch nicht in einer derartigen Konzentration wie in den Libretti. Zudem bilden sie nur teilweise eine Schnittmenge mit der allgemeinen Sprache der Dichtung, zeugen z. T. aber auch von einer allein librettotypischen Originalität: «Attraverso le iuncturae vengono a definirsi altre ‹linee di forza› stilistiche della lingua librettistica, agenti sia nei confronti della tradizione poetica, sia al suo interno: emergono così alcuni accostamenti forse originali [...] e riecheggiamenti fraseologici di opera in opera che non saranno di norma citazioni interne e prelievi puntuali, ma saranno piuttosto favoriti dalla ricorsività di temi e situazioni» (ib., 341).

Sie befinden sich damit in einem Bereich zwischen «sapore tradizionale» und «abbinamenti insoliti o inusitati nella produzione lirica italiana» (ib., 342 n. 72). Telve gibt darauf hin eine nach Jahrhunderten gegliederte Übersicht über verschiedene Kombinationen, die in ihrer Mehrzahl auch im hier zu Grunde liegenden Textkorpus auftreten, so etwa amor possente (Q9, E6), aspra guerra (Q2, Q9), crudele fato / cruda sorte (Q1, Q6, E5) etc.113 Auch bei den iuncturae kann man sich nun aber fragen, ob diese im Laufe der Jahrhunderte an Emotionalität zunehmen und gleichzeitig erstarren, um zu dem für das 19. Jahrhundert bekannten Muster zu führen. An Hand von je zwei als «typisch» für das Librettoidiom angenommenen Substantiven (abisso, ombra) und Adjektiven (crudele, dolce) sollen die

112 113

Cf. zu den iuncturae auch bereits weiter oben, Kap. 3.1.1., weiterhin Rossi 2005a, 25s., und Serianni 2002, 119s. Bei ihm wird jedoch keine chronologische Entwicklung erkennbar, was daran liegen mag, dass er relativ willkürlich Ausschnitte aus einer umfangreicheren Studie präsentiert (was er auch selbst angibt, cf. ib., 342 n. 72). Auch findet sich zumeist keine zeitliche Koinzidenz mit den hier untersuchten Korpora, so nennt Telve etwa cruda sorte als typisch für Due- und Trecento, in den Korpora Q und E tritt es dagegen recht gleichmäßig in Libretti des 17., 18. und 19. Jahrhunderts auf.

211

Libretti aus den beiden hier im Zentrum stehenden Korpora auf diesen Aspekt hin überprüft werden.114 1. iuncturae mit alma/anima [Tabelle 4.1.3.(4): Belege von alma/anima]

115

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Belege

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

alma altera, alma gelata

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

alma sdegnosa, bell’alma, grand’alma, rigida alma, anima amante

E2

Minato, Xerse

1654

alma disperata, anima costante, anima disperata, anima dura, anima umana

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

alma cruda, alma dolente, alma infelice, alma ingelosita, alme nobili, anima pentita, anima vil

Q3

Quinault, Roland

1685

–115

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

alma bella, alma fedele, alma orgogliosa, alma ostinata, alme reali, anima forte

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

alma forte, alma guerriera, alma regal, alma vendicata, anima insana, anima neghittosa, anima vil

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

alma fedele, alma fida, alma piagata, anima generosa, anima ingrata, anima rea

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

alma bella / bell’alma, alma sincera, anima ingrata, anima lacerata, anime grandi, anime reali, bell’anime

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

keine Belege

Q7

Rossi, Semiramide

1823

alma agghiaccia, anima audace, anima fida, anima forte, anima smarrita, bell’anima

Q8

Romani, Norma

1831

alma ingenua

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

alme atroce, bell’alma innamorata

Q9

Piave, Ernani

1844

keine Belege

E6

Piave, Rigoletto

1851

alma gentil, anima nera, anima sol

Q10

Boito, Otello

1887

anima acquieto, anima cortese, anima desta, anima rapita, anima ria

114 115

Im Folgenden werden die Korpora zusammengelegt und chronologisch geordnet, um eventuelle Tendenzen besser aufspüren zu können. Auch im französischen Libretto sind Belege für âme vorhanden (insg. 4 Okkurrenzen), jedoch nicht in Form von iuncturae.

212

Den aus *alima < anima(m) synkopierten Begriff alma bezeichnet Serianni als «parole-simbolo della lingua poetica tradizionale, frequentissima fino al secondo Ottocento» (Serianni 2001, 91). Die Form ist insofern besonders interessant, als sie mit anima einen Gegenpart besitzt, der laut Serianni in der Sprache der Prosa prägend ist, während alma in der Poesie vorherrsche (cf. ib., 19).116 Auf der Datenbasis der hier untersuchten Korpora lassen sich beide Thesen jedoch nicht bestätigen. Im Gegenteil lässt sich eher eine gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts seltenere Verwendung von alma konstatieren, die zudem mit leicht zunehmenden Belegen von anima korrespondiert. Eine mögliche Erklärung ist hier die zum 19. Jahrhundert hin zunehmende Archaizität (arcaicità) der Librettosprache, die weiter oben, Kap. 4.1.1., bereits festgestellt wurde. Die klare textsortenspezifische Differenzierung der synonymen Begriffe ist auf der Grundlage des Librettokorpus nicht möglich. Zudem gewinnt man den Eindruck einer semantischen Abschwächung beider Begriffe vom 17. zum 19. Jahrhundert. Während die in den iuncturae enthaltenen Adjektive in den frühen Libretti (vor allem E1, Q1, E2, Q2) als recht vielseitig und ausdrucksstark erscheinen (alma gelata, alma sdegnosa, alma disperata, alma ingelosita), wirken die – sehr viel seltener auftretenden – jüngeren Belege (Q6 und Q9 enthalten gar keine) weniger variationsreich und lebendig. Erkennbar wird außerdem eine semantische Veränderung der Konnotation von alma/anima: In den Libretti des 17. Jahrhunderts ist die Seele mehrheitlich negativ konnotiert (rigida, disperata, dura, pentita, infelice etc.), ab dem 18. Jahrhundert erscheint sie dagegen zunehmend in Verbindung mit positiv belegten Adjektiven (bella, fedele, forte, sincera, ingenua etc.). Die iuncturae stellen hier ein probates Mittel zum Aufspüren solcher Tendenzen auf semantischer Ebene dar. Die geschilderten Erkenntnisse widersprechen nicht den zuvor in diesem Kapitel gewonnenen Ergebnissen: Auch hier bestätigt sich wieder eine chronologische Tendenz der Libretti hin zu semantischer Erstarrung und zur Wiederholung von wenig vielseitigen Formen und konventionelleren Inhalten. Ein zweiter Begriff, nun aus dem Wortfeld licht/schatten, soll diese Vermutungen überprüfen. 2. iuncturae mit ombra Der Auswertung voran gestellt werden kann wiederum die Beobachtung, dass die iuncturae in den älteren Libretti zum einen produktiver genutzt werden und zum anderen zahlenmäßig abnehmen bzw. ab dem Ende des 18. Jahrhunderts (Q6, 1781) kaum noch genutzt werden. Bis auf sehr wenige Ausnahmen (bell’ombra, heroiques ombres, ombre amiche) ist der Begriff des Schattens negativ konnotiert, auch hier teilweise verbunden mit sehr drastisch wirkenden Adjektiven (orrida, insepolta, dolente, terribile, minacciosa etc.), dies jedoch über die Jahrhunderte hinweg. Wenn die Belege auch kein ausreichend breites Beweismaterial liefern, so widersprechen sie doch dem eben geschilderten Eindruck der abnehmenden

116

Man kann das Begriffspaar alma/anima demnach auch zu den Allotropen zählen, cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1.1.

213

semantischen wie grammatischen Differenziertheit nicht. Dasselbe Ergebnis liefert die Betrachtung der iuncturae ausgehend von den Adjektiven. [Tabelle 4.1.3.(5): Belege von ombra]

117 118

Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Belege

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

nud’ombra, ombra orrida, ombre profonde, ombre segrete

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

fredd’ombra, ombra errante, ombre eterne, (ombre di morte)117

E2

Minato, Xerse

1654

nud’ombra, ombra insepolta, (ombre della notte), ombre gelate

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

bell’ombra

Q3

Quinault, Roland

1685

heroiques ombres,118 ombre plaintive

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

ombra dolente, ombre avite, (ombra d’orrore), ombre immortali

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

(ombra del genitore)

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

(ombra di speranza), (ombre del timor), ombre usate

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

(ombra de’ secoli), ombre amiche, pallid’ombre

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

keine Belege

Q7

Rossi, Semiramide

1823

ombra sdegnosa, ombra terribile, (ombre di morte), terribil ombra

Q8

Romani, Norma

1831

keine Belege

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

ombra irata e minacciosa, ombra inulta

Q9

Piave, Ernani

1844

ombra irata

E6

Piave, Rigoletto

1851

keine Belege

1887

keine Belege

Q10 Boito, Otello

117

118

Zur Erweiterung der Datenbasis werden hier auch den iuncturae ähnliche Wendungen wie etwa ombre di morte, ombre della notte etc. mit aufgenommen (durch runde Klammern gekennzeichnet). Wie bereits praktiziert, werden auch hier die Okkurrenzen stets so dargestellt wie im entsprechenden Libretto, d. h. vor allem für den französischen Text, dass Akzente fehlen oder archaisierende Schreibungen mit einfließen können.

214

3. iuncturae mit crudele [Tabelle 4.1.3.(6): Belege von crudele] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Belege

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

mostro crudel

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

destin crudele, fat(o) empio e crudele, turbo crudele

E2

Minato, Xerse

1654

Romilda crudel, tigre crudele

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

angue crudel, ardier crudele, crudelissima sorte

Q3

Quinault, Roland

1685

cruel devoir, cruelle violence, cruelles affriquains, cruel secours, cruel tourment, fidélité trop cruelle, fierté cruelle, guerre cruelle

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

brama crudele, crudel regina, destin crudele, rete crudel

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

empio crudel, stelle crudeli

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

crudel destino

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

ricordi crudeli

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

crudel misero, destin crudel, fato crudel, giuramento crudel

Q7

Rossi, Semiramide

1823

keine Belege

Q8

Romani, Norma

1831

crudel Romano

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

crudel fratello, lungo crudel supplizio

Q9

Piave, Ernani

1844

keine Belege

E6

Piave, Rigoletto

1851

ansia crudel, morbo crudele

Q10

Boito, Otello

1887

croce crudel, dio crudel, uomo crudel, vista crudel

Wiederum nimmt die Anzahl der Belege von E1 zu Q10 hin deutlich ab, was die These der Originalität der frühen Libretti erneut untermauert. Die häufigste Verbindung ist die mit destino/fato, die in 4 der 16 Libretti auftritt (Q1, Q4, E4, Q6) und allgemein als librettotypisch gelten kann.119 In allen Jahrhunderten verbindet sich crudele sowohl mit Abstrakta (ansia, destino, devoir, fato, violence)

119

Die Verbindung von destino und crudele kann zu den exklamativen Wendungen gezählt werden (überwiegend in der Form destin crudel), cf. weiter oben, Kap. 4.1.2. Auch für die deutsche Opernsprache gilt das grausame Schicksal als typische feststehende Wendung, die mittlerweile als lexikalisierter Idiomatismus anzusehen ist.

215

als auch mit konkreten Bedrohungen (angue, morbo, mostro, uomo) oder Personen (affriquains, fratello, regina, Romilda, Romano). Lexikalisch besonders produktiv ist in diesem Fall das französische Libretto Q3, das die meisten Belege aufweist. 4. iuncturae mit dolce [Tabelle 4.1.3.(7): Belege von dolce] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Belege

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

dolce diletto, dolce soggiorno, dolce speme, dolci campi, dolci tesori

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

dolce conforto, dolce inganno, dolce lume, dolcissimi lumi, dolce oblio, dolci accenti, dolcissima compagna, dolcissima Speranza, vista troppo dolce e troppo amara

E2

Minato, Xerse

1654

dolcissima bocca, dolci contenti

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

aure dolci, dolce ardor, dolce canto, dolce inganno, dolce lira, dolce posar, dolce rio, dolce rugiada, dolce usura, dolci abbracciamenti

Q3

Quinault, Roland

1685

douce harmonie, douce vie, doux azile, doux espoir, doux plaisirs, loisir doux

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

dolce amore, dolce canto, dolce mia sposa, dolce mio ben

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

dolce incanto, dolce mio conforto, dolci accenti

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

dolce sua compagna

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

dolce amico, dolce amor, dolce compagno, dolce oggetto, dolce sposa

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

dolce aspetto, dolce calma, dolce morte, dolce nodo, dolce nome, dolce sogno, dolce speme

Q7

Rossi, Semiramide

1823

dolce figlio, dolce istante, dolce mia speranza, dolce pensiero, dolci affetti, dolci palpiti, dolci suoi moti

Q8

Romani, Norma

1831

dolce incanto, dolci accenti, dolci tuoi sospiri

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

dolce invito, dolce suono, dolce vista

Q9

Piave, Ernani

1844

dolce Elvira

E6

Piave, Rigoletto

1851

keine Belege

Q10

Boito, Otello

1887

dolce canto, dolce Desdemona, dolce e lieta parola

216

Das Adjektiv dolce wurde als exemplarischer Vertreter eines positiv konnotierten Inhaltes gewählt, es wird jedoch auch vereinzelt innerhalb eines Oxymorons verwendet (vista troppo dolce e troppo amara, dolce inganno, dolce morte, dolci palpiti, dolci sospiri).120 Auch hier finden sich auf der Ebene der Substantive sowohl Abstrakta (amore, aspetto, espoir, harmonie, speranza etc.) als auch Konkreta (amico, bocca, campi, lira etc.) und Personen (Desdemona, Elvira). Auch der Superlativ dolcissima ist mehrfach vertreten (dolcissima compagna, dolzissima Speranza, dolcissimi lumi, dolcissima bocca), jedoch nicht, wie man erwarten könnte, in den Libretti des späten 19. Jahrhunderts, sondern in den frühesten Libretti der Operngeschichte (E1, Q1). Alle vier Stichproben bezüglich der iuncturae ergeben demnach, dass dieses rhetorische Stilmittel zum einen im 17. und frühen 18. Jahrhundert intensiver genutzt wurde und dass es zum anderen in dieser Zeit produktiver und vielgestaltiger erscheint als in der jüngeren Librettosprache. Eine Konzentration auf einige wenige feststehende Wendungen ist indes nicht oder nur in Ansätzen zu beobachten, so dass zumindest im Bereich der iuncturae wohl von einer im Laufe der Zeit sich reduzierenden poetischen Ausgestaltung, nicht aber von einer klar erkennbaren semantischen Erstarrung die Rede sein kann. 4.1.3.3. Wortfeld schmerz/tod Von den kleineren grammatischen Einheiten ausgehend sollen im Folgenden ganze Wortfelder oder semantische Familien («famiglie semantiche», cf. Telve 1998, 353–355)121 analysiert werden. Nach der Wortfeldtheorie, die Jost Trier bereits 1931 an Hand des Wortfeldes der Verstandeseigenschaften im Deutschen erarbeitete, besteht ein Wortfeld aus «Wörtern mit ähnlicher bzw. gegensätzlicher Bedeutung» (Blank 2001, 15) und hat nur dann Bestand, wenn die entsprechenden Wörter aus einer einzigen Sprachvarietät und einer einzigen sprachlichen Epoche stammen, wenn also Synchronie vorherrscht (cf. ib.). Beide Postulate treffen auf das hier analysierte Librettokorpus zu, sofern man die Wortfelder stets nur innerhalb eines Librettos ermittelt und erst in einem zweiten Schritt – unter Berücksichtigung des diachronischen Aspektes – vergleicht. So kann man beispielsweise Begriffe aus dem Wortfeld liebe in den Libretti aller drei Jahrhunderte finden, diese sollten jedoch nicht innerhalb einer gemeinsamen Wortfeldanalyse untersucht, sondern lediglich auf der Grundlage ihrer separat ermittelten Ergebnisse miteinander vernetzt werden. Stefano Telve nennt in seiner Analyse des Wortschatzes der Verdi-Opern als besonders typisch für das romantische melodramma die Wortfelder guerra (brando,

120 121

Zur Verwendung des Stilmittels Oxymoron cf. weiter unten, Kap. 4.2.4. Fabio Rossi fasst diese Phänomene unter dem eher literaturwissenschaftlich geprägten Begriff «temi e tecniche ricorrenti» zusammen (cf. Rossi 2005a, 43–100).

217

ferro, spada, acciaro),122 nozze (talamo, nozze, imene, imeneo, matrimonio, sponsali), occhi (ciglio, lumi, rai),123 viso (viso, volto, sembiante, faccia) und bocca (keine Belege genannt, cf. Telve 1998, 353s.). Zwei Fragen drängen sich nun auf: Einerseits geht es darum zu erkennen, ob sich die Wortfelder per se im Laufe der Jahrhunderte verändern, andererseits sind die zu den jeweiligen Wortfeldern gehörigen Begriffe und ihr Verhalten in der Zeit zu beleuchten. Die erste Frage ist durch die Auflistung der jeweils häufigsten Substantive bereits teilweise dahingehend beantwortet, dass die meist verwendeten Wortfelder den 16 Libretti mehr oder minder gemeinsam sind. Das Wortfeld liebe bildet in nahezu allen Fällen den produktivsten semantischen Bereich. Um der zweiten Frage näher zu kommen, sei als erste Stichprobe hier das ebenfalls sehr intensiv genutzte Wortfeld schmerz/tod für jedes einzelne Libretto aufgeschlüsselt:124 Q1: abisso (2), cadavere (1), caverna (1), destino (2), doglia (2), dolore (6), duolo (6), inferno (6), lacrima (1), lacrimare (4),125 martire (3), miseria (1), misero (1), morte (3), morto (2), ombra (9), orrore (3), piaga (3), pianto (6), precipizio (2), salma (1), sangue (1), sepolcro (1), sospiro (2), spavento (1), sventura (1), sventurato (1), tomba (1), tormento (2). In Q1 findet sich die schon oft erwähnte große Spannbreite an ausdrucksstarken Begriffen, die zudem noch oftmals durch Adjektive verstärkt werden (cf. etwa iuncturae wie orribili caverne, destin crudele, empio destino etc.). Q2: abisso (4), affanno (3), cenere (1), cruccio (1), crudele (9), crudeltà (23), dolore (3), duolo (10), guaio (1), inferno (6), lacrima (1), mostro (6), ombra (7), paura (1), pariglio (2), pianto (4), sangue (3), sepolto (1), sofferenza (3), sospiro (4), svenimento (1), timore (4), tormento (10). Ebenfalls variationsreich, aber nicht in dem Maße wie Q1. Q3: abîme (1), blessure (1), chagrin (7), cruauté (5), cruel (2), danger (2), désespoir (7), douleur (3), effroi (1), enfer (2), faiblesse (6), fureur (1), gouffre (1), haine (2), horreur (2), malheur (2), martyre (2), mal (8), misérable (2), mort (6), mortel (1), ombre (3), peine (10), péril (3), sang (2), soupir (2), terreur (1), tombeau (2), tourment (13), violence (2). Der Quinault oftmals zugeschriebene restringierte Wortschatz (cf. weiter oben, Kap. 3, passim) wird zumindest durch das hier untersuchte Wortfeld nicht belegt, denn es ist deutlich eine große Variabilität der Begriffe erkennbar.126

122 123 124

125 126

Hier wäre das Hyperonym waffen vermutlich angebrachter. Cf. zu diesem semantischen Feld bereits weiter oben, Kap. 4.1.1. Aufgeführt wird jeweils nur das Lemma in der Grundform (Substantiv im Singular). Da in der folgenden Analyse wiederum auf die halbautomatisch annotierten Librettodateien aus Korpus Q zurückgegriffen wird, können die 6 Libretti aus dem Ergänzungskorpus hier nicht berücksichtigt werden. Substantiv als deverbale Konversion. Cf. hierzu auch Norman (1988), der in seinem Vergleich des Wortschatzes von Quinault

218

Q4: abisso (2), lacrimare (1), martire (1), nembo (1), salma (1), tormento (1). In diesem Libretto finden sich extrem wenige Belege zum Thema schmerz/tod, was vermutlich dem Thema geschuldet ist (folkloristische Handlung in einem fiktiven China zu historischer Zeit, cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1.). Q5: abisso (2), barbaro (1), crudele (1), crudeltà (1), delirio (1), doglia (1), dolore (8), duolo (2), follia (2), inferno (2), lacrima (3), lacrimare (1), male (2), maligno (1), malvagio (1), martirio (4), miseria (1), misero (2), morte (18), odio (3), ombra (4), orrore (3), parricida (1), pianto (6), sangue (5), sospiro (2), terrore (5), timore (2), tirannia (1), tormento (4). Ansammlung recht konventioneller Begriffe mit geringem expressivem Gehalt. Lediglich das neutrale Wort morte tritt häufiger auf. Q6: abisso (4), barbaro (2), carnefice (1), crudele (6), debolezza (1), dolore (6), duolo (12), ecatombe (1), guaio (3), inferno (1), male (4), martire (1), miseria (3), morte (14), mostro (4), odio (5), ombra (1), orrore (4), pena (3), periglio (1), pianto (5), salma (1), sciagura (1), sospiro (1), strage (4), timore (1), tormento (2), veleno (1). In diesem Libretto finden sich, im Gegensatz zu Metastasios Olimpiade (Q5), zahlreiche außergewöhnliche Substantive, die teilweise drastisch und expressionistisch wirken (ecatombe, carnefice, strage). Gerade Varesco gilt jedoch als «schlechter» Librettist,127 wobei zu definieren wäre, was ein «gutes» Libretto ausmacht. Q7: abisso (2), angoscia (1), barbaro (2), dolore (3), duolo (2), gemito (1), male (1), minaccia (3), odio (1), ombra (18), orrore (22), palpito (6), parricidio (1), periglio (2), sangue (8), sciagura (2), sospiro (3), spavento (1), supplizio (1), tenebra (3), terrore (6), tomba (14); tormento (3), tremito (1), veleno (2). Bei Q7 fällt vor allem die Häufung ausgewählter Belege auf (ombra, orrore, tomba). Als mögliche Begründung für diese Konzentration kommen der thematische Kontext (antike Tragödie um Semiramis) und die Vorlage (Voltaires La Tragédie de Sémiramis von 1748) in Frage. So rankt sich die Handlung vor allem um die Themen Schuld, Sühne und Mord (cf. weiter oben, Kap. 2.1., und PEnz vol. 5, 431–435) und legt somit eine häufige Verwendung der genannten Belege nahe. Q8: abisso (1), crudele (4), delirio (1), dolore (16), duolo (8), gemito (1), lacrima (1), lamento (2), male (5), misero (4), morte (8), odio (1), ombra (1), orrore (1), pianto (5), sangue (10), scempio (1), sospiro (2), sterminio (1), strage (6), supplizio (2), terrore (2), tormento (2).

127

mit dem Racines die These aufstellt, dass Wörter, die ausschließlich bei ersterem auftreten, vorrangig aus den Bereichen «music, heroic, military or divine strength, magic or supernatural» (ib., 291) stammen; er zählt Substantive, Adjektive und Verben auf, die das belegen sollen. Cf. weiterhin zu diesem Thema Overbeck 2006/2007. Cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1. und 3.2.

219

Auch hier dominieren, ähnlich wie in Q6, die stark emotionalisierten Substantive, die sich auf Blutbäder und Gemetzel beziehen (scempio, sterminio, strage, supplizio, terrore). Q9: angoscia (2), delirio (1), dolore (3), duolo (1), ferita (1), infamia (4), lacrima (1), maledizione (1), misero (9), ombra (3), orrore (1), pianto (2), sepolcro (2), tomba (3). In diesem Libretto spielt das Wortfeld schmerz/tod eine eher untergeordnete Rolle. Q10: agonia (2), angoscia (4), delirio (3), dolore (3), duolo (6), gemito (1), inferno (3), lacrima (4), male (3), morte (13), odio (2), ombra (2), orrore (8), peccato (2), periglio (2), sangue (6), sepolto (1), sospiro (2), sterminatore (2), sterminio (1), strazia (1), supplizio (1), tenebra (1), terrore (1), tomba (2), veleno (4). Das jüngste Korpuslibretto enthält eine große Bandbreite an Begriffen aus diesem Wortfeld, darunter auch solche aus einem eher religiösen Nexus (peccato, sepolto), überwiegend jedoch wiederum aus einem sehr expressiven Register (gemito, orrore, sterminio, sterminatore, strazia, supplizio, terrore). Insgesamt ergibt sich eine Schnittmenge recht ähnlicher Begriffe, die in nahezu jedem Libretto vorhanden sind, etwa abisso, dolore/duolo, lacrima/lagrima, ombra, orrore, pianto etc., daneben unterscheiden sich die Libretti jedoch teilweise auch stark voneinander. Besonders zahlreich sind die Belege aus dem betreffenden Wortfeld in Q3, Q7, Q8 und Q10, sehr selten treten sie auf in Q4 und Q9, was aus quantitativer Sicht keine klare Entwicklung sichtbar werden lässt. Eine erkennbare Tendenz manifestiert sich allerdings in der Konzentration von sehr expressiven Begriffen vor allem in Q6, Q7, Q8 und Q10, und dies ließe sich durchaus als chronologische Tendenz deuten. In der Tat scheint sich hier abzuzeichnen, dass die – auch in Q1 und Q2 nicht unemotionalen – Elemente des Wortfeldes schmerz/tod einer gewissen semantischen Aufladung unterliegen, indem die Begriffe aus der eher individuellen, stillen, inneren Gefühlsebene (affanno, doglia, dolore, miseria, paura etc.) ab dem Ende des 18. und im 19. Jahrhundert durch Beschreibungen von nahezu extrovertiert zu bezeichnenden Handlungen ersetzt werden (scempio, sterminio, strage, strazia, supplizio, terrore). Dies würde einen weiteren Hinweis darauf geben, dass sich der Wortschatz in den Libretti des 19. Jahrhunderts insgesamt viel plakativer und expressiver darstellt als in den ersten Texten und – zumindest in diesem Bereich – auch in den modellhaften Werken eines Metastasio, was jedoch nicht mit dichterischer Qualität gleichzusetzen ist. «Das» Librettoidiom, das unter anderem eben durch diese expressiven, vom Alltagswortschatz weit entfernten lexikalischen Strukturen charakterisiert wird,128 wäre demnach gleichzusetzen mit lediglich einem kleinen Ausschnitt aus der Geschichte des Librettos, nämlich mit der Sprache der Libretti des 19. Jahrhunderts. Die Betrachtung eines anderen in der Librettistik beliebten Wortfeldes soll hier weitere Aufklärung liefern.

128

Cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.3. und passim.

220

4.1.3.4. Wortfelder licht/schatten und wärme/kälte Ein für das Librettoidiom typischer semantischer Bereich ist das Wortfeld licht/ schatten, das oftmals direkt verbunden ist mit dem Wortfeld wärme/kälte. Besonders in den beiden Orpheus-Libretti (Q1 und Q2) sind die Anspielungen auf die Bereiche Licht und Schatten sowie Wärme und Kälte besonders zahlreich, da sie thematisch eng verknüpft sind mit den antithetischen Motiven von Leben und Tod bzw. Oberwelt und Unterwelt.129 Dabei spielt die Temperatur in Q1 eine untergeordnete Rolle; bedeutsamer ist die Dichotomie zwischen Licht und Schatten: Vieni, Imeneo, deh vieni e la tua face ardente sia quasi un sol nascente ch’apporti a questi amanti i dì sereni e lunge omai disgombre de gli affanni e del duol le nebbie e l’ombre (Q1 Striggio, Orfeo I).

In diesem Beispiel ist die Sonne/das Licht ausnahmslos positiv konnotiert, während der Schatten den Schrecken der Unterwelt vorwegnimmt, der an späterer Stelle im Libretto (ab dem 3. Akt) thematisiert wird. Mira, ch’a se n’alletta l’ombra Orfeo di que’ faggi or ch’infocati raggi Febo dal ciel saetta (ib. II).

Hier hat sich das Verhältnis geändert: Der Schatten bietet kurzzeitige Erholung vor den sengenden Strahlen der Sonne. No, che se i versi alcuna cosa ponno, n’andrò sicuro a’ più profondi abissi e, intenerito il cor del re de l’ombre, meco trarròtti a riveder le stelle (ib. III) Torna a l’ombre di morte infelice Euridice, né più sperar di riveder il sole ch’omai fia sordo a’ prieghi tuoi l’inferno (ib. IV).

Nach dem Tod Eurydikes wird der Schatten endgültig dem Bereich der Unterwelt zugeordnet, während das Licht, nun neben der Sonne auch durch die Sterne symbolisiert, die erstrebenswerte Welt der Lebenden verkörpert. Die verschiedenen

129

Cf. hierzu auch bereits weiter oben in diesem Abschnitt.

221

Ebenen sind hier also eng verknüpft mit semantischen Feldern, die zusätzlich untereinander vernetzt wurden. Der Gegensatz von Licht und Schatten wird zudem eng verknüpft mit der Allegorie der Musik, mit deren Hilfe Orpheus Kälte in Wärme (mit der häufig auftretenden Antithese gelo – fiamma dargestellt) zu verwandeln vermag: Io la Musica son, ch’ha i dolci accenti so far tranquillo ogni turbato core, et or di nobil ira, et or d’amore posso infiammar le più gelate menti (ib. Prologo).

Auch bei Aureli (Q2) werden die Wortfelder wärme/kälte und licht/schatten so kunstvoll miteinander verbunden, dass sie nicht ohne weiteres in einzelne semantische Felder trennbar sind: Scusa, Autonoe, la fiamma Che nel mio sen per Euridice ascondo; Un raggio sol di que’ bei lumi ardenti, Qual portò a l’Asia una beltà rapita, Recar potrebbe un nuovo incendio al mondo (Q2 Aureli, L’Orfeo I 10).

Bei Aureli sind sie aber meistens zusätzlich mit der Liebe verbunden: aristeo Quel Nume, ch’è bambino, In petto mi destò foco gigante; Ardo, ma basta dir ch’io vivo amante. euridice Né puoi temprar questa tua fiamma? (ib. I 12) Sono un mostro d’ardori: Una furia son io: fiamme e ceraste De l’Inferno d’Amor raccolte ho in seno, Ogn’alito ch’io spiro È letale veleno. E crederei Co’ fiati miei, S’io più qui stassi, Infettar Paure e avvelenar i sassi (ib. I 13) Non te’l diss io ch’è d’Imeneo la face Fiamma Infernal, che strugge al cor la pace? (ib. II 2)

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autonoe Autonoe io son, la figlia Del Re Tebano. Al Trace ingelosito Svelar mi voglio e i casi miei narrando Placar desio l’ingiusto suo furore. achille Per qual nobile fiamma arde il mio core! (ib. II 15) Sol di notte il freddo gelo Spegnerà l’ardor ch’ho in sen. Si dolce è la fiamma, Ch’il petto mi infiamma, Che struggermi io godo per chi mi ferì (ib.).

Auch hier stellen Antithesen häufig verwendete rhetorische Stilmittel dar ( freddo gelo – ardore etc.), allerdings wirken diese bereits anders, weniger kunstvoll verschränkt als bei Striggio. In Q3 ist das Wortfeld ebenfalls ausschließlich mit der Liebe verbunden, meist symbolisiert durch das Herz. Hier entfällt jedoch der Bereich licht/schatten, die Wortfelder werden reduziert auf die Temperatur, meist die Hitze des Feuers, die wiederum antithetisch durch die Verben allumer und éteindre beschrieben wird: Je viens, pour vous l’offrir, du rivage où l’aurore ouvre la barriere du jour. Vous embrasez Roland d’un feu qui le devore, mais qui peut voir la beauté qu’il adore voit sans estonnement l’excez de son amour (Q3 Quinault, Roland I 6) Non, on ne peut trop plaindre un coeur qui se laisse enflammer : ah ! Quel tourment d’aimer ! Que le feu d amour est à craindre ! Qu’il est aisé de l’allumer ! Qu’il est malaisé de l esteindre ! Non, on ne peut trop plaindre un coeur qui se laisse enflammer ; ah ! Quel tourment d’aimer ! (ib. II 1) le petit chœur Tendres amours, enchantez-nous toûjours. Fermons nos coeurs à des flammes nouvelles. le grand chœur Gardons nous bien d’esteindre un feu si beau (ib. II 5).

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Q4 weist insgesamt nur wenige Belege dieses Wortfeldes auf: Il foco cercò sfera maggior; nel re mio sposo alzò la fiamma e dilatò la vampa (Q4 Zeno, Teuzzone I 2) Perché l’ora più fausta al tuo riposo splenda, o mio genitore, arda e consumi queste la viva fiamma figlie di puro sol candide perle (ib. I 7).

Bei Metastasio (Q5) dagegen findet sich wiederum eine Fülle an Belegen, die sich auf das Feuer beziehen, nicht jedoch solche, die eine Verknüpfung mit Kälte, Licht oder Schatten herstellen. Sie stellen sich daher als recht oberflächlich und rhetorisch nicht ausgearbeitet dar und lassen die bereits festgestellte Tendenz erkennen, zu lexikalisierten idiomatischen Wendungen zu erstarren, hier z. B. essere la fiamma di qc.: De’ miei mali ecco il principio. Del cretense soglio Licida il regio erede fu la mia fiamma ed io la sua. Celammo prudenti un tempo il nostro amor; ma poi l’ amor s’ accrebbe; e, come in tutti avviene, la prudenza scemò (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 4) Megacle amato, e tu nulla rispondi? E taci ancor? Che mai vuol dir quel tanto cambiarti di color? Quel non mirarmi che timido e confuso? E quelle a forza lagrime trattenute? Ah più non sono forse la fiamma tua? Forse... (ib. I 10) Ah chi mai vide anima lacerata da tanti affetti e sì contrari? Io stesso non so come si possa minacciando tremare, arder gelando, piangere in mezzo all’ ire, bramar la morte, e non saper morire (ib. II 15).

Das Oxymoron arder gelando wird hier eher stilistisch als semantisch verwendet und gilt als typisch für die Rhetorik Metastasios.130 130

Cf. hierzu weiter unten, Kap. 4.2.4.

224

Come dell’ oro il fuoco scuopre le masse impure, scuoprono le sventure de’ falsi amici il cuor (ib. III 3) Fiamma ignota nell’ alma mi scende; sento il nume; m’ inspira, m’ accende, di me stessa mi rende maggior. Ferri, bende, bipenni, ritorte, pallid’ ombre compagne di morte già vi guardo ma senza terror (ib. III 4).

Ein weiteres Beispiel für iuncturae bei Metastasio ist das häufig auftretende sacro fuoco; als Idiomatismus findet sich beispielsweise fare gelare qc (Ma tu mi fai gelar, Gela a que’ detti / il giovane feroce). In seinem Idomeneo-Libretto (Q6) verwendet Varesco ähnliche Bilder wie Metastasio; wiederum ist die Flamme bezogen auf das Gefühl der Liebe: idamante Odo? o sol quel che brama finge l’udito, o pure il grand’ardore m’agita i sensi, e il cor lusinga oppresso un dolce sogno? ilia Ah perché pria non arsi, che scoprir la mia fiamma? mille io sento rimorsi all’alma! il sacro mio dovere, la mia gloria, la patria, il sangue de’ miei ancor fumante, oh quanto al core rimproverano il mio ribelle amore!... (Q6 Varesco, Idomeneo III 2).

Auch der Idiomatismus gelarsi il cor tritt bei ihm auf: idomeneo Figlio: contro di me Nettuno irato gelommi il cor, ogni tua tenerezza l’affanno mio raddoppia, il tuo dolore tutto sul cor mi piomba, e rimirarti senza ribrezzo, orror non posso (ib. III 3) Chi mai del mio provò piacer più dolce? Parto, e l’unico oggetto, ch’amo ed adoro, oh dèi! meco se n’ vien? Ah troppo, troppo angusto è il mio cor a tanta gioia!

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Lunge dalla rivale farò ben io con vezzi, e con lusinghe, che quel foco, che pria spegnere non potei, a quei lumi s’estingua, e avvampi ai miei (ib. II 4).

In Q7, Rossis Semiramide, fällt die bereits weiter oben festgestellte Expressivität mancher Passagen auf, die durch die Kombination von zahlreichen Interjektionen, exklamativen Wendungen und anderen Ausrufen sehr auffällig wirken, auch wenn semantisch eher eine spirituelle Ebene des Beziehungsgeflechts von Feuer, Hitze, Kälte, Licht und Schatten angesprochen wird: Che fia?... che orror! Ah! già il sacro foco è spento. Tuona irato il ciel, s’oscura: Trema il tempio. Infausto evento! Qual minaccia a noi sciagura! L’alma agghiaccia di spavento... Ah! di noi che mai sarà (Q7 Rossi, Semiramide I 3) Qual mesto gemito – Da quella tomba Qual grido funebre – Cupo rimbomba, Mi piomba al cor! Il sangue gelasi – Di vena in vena, Atroce palpito – M’opprime l’anima, Respiro appena – Nel mio terror (ib. I 13).

Auch für das verwandte Wortfeld schatten/tod finden sich ähnliche sprachliche Strategien zum Ausdruck extremer Gefühle: Ah! sconvolta nell’ordine eterno E’ natura in si orribile giorno. Nume irato dischiude l’averno; Sorgon l’ombre dal nero soggiorno. Minacciosa erra morte d’intorno, L’alme ingombra d’angosce d’orror! Atro evento! prodigio tremendo! Tutto annunzia dei Numi il furor (ib. I 13) assur Quella ricordati Notte di morte; L’ombra terribile Del tuo consorte, Che minaccioso In fra le tenebre, Il tuo riposo funesta ognor. [...]

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semiramide Notte terribile! Notte di morte! Tre lustri corsero, E del consorte L’ombra sdegnosa, In fra le tenebre, L’indegna sposa Minaccia ognor! I miei spaventi, I miei tormenti, Le angoscie, i palpiti, A tuo suppizio Gli Dei rivolgano, Perfido cor (ib. II 3).

Schließlich finden sich auch wieder feste idiomatische Wendungen wie in Ah tu gelar mi fai! oder Io gelo!, die sichtlich an die metastasianische Tradition anknüpfen. Ähnliches begegnet in Romanis Norma: Un gel mi prende / E in fronte mi si solleva il crin (Q8, II 1), daneben zahlreiche Syntagmen wie etwa l’amor che m’infiammò, das schon bekannte D’orrore io gelo! oder Nelle fiamme perirà, sì, perirà!, und iuncturae wie la fiamma ardente. Schatten und obskure Lichtverhältnisse stehen im Gegensatz zu Tag und Helligkeit: Quando fra noi terribile Viene a locarsi un’ombra L’ampio mantel druidico Come un vapor l’ingombra; Cade sull’ara il folgore, D’un vel si copre il giorno, Muto si spande intorno Un sepolcrale orror (Q8 Romani, Norma I 2),

und die Flamme ist wiederum mit den Themen Herz und Liebe verknüpft: Ma nel mio core è spenta La prima fiamma, E un Dio la spense, Un Dio nemico al mio riposo Ai piè mi veggo l’abisso aperto, E in lui m’avvento io stesso (ib. I 2).

Wie bereits beim Wortfeld schmerz/tod festgestellt, spielt auch das hier behandelte Wortfeld in Piaves Ernani (Q9) keine große Rolle, es treten lediglich die schon bekannten Muster auf:

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Mi dovevan gli anni almeno far di gelo ancora il cor (Q9 Piave, Ernani I 9) Più feroce a Silva in petto de’ gelosi avvampa il foco, ma dell’ira or prende loco il rispetto pel suo re (ib. I 10).

Q10 schließlich wartet wieder mit eindrucksvoll expressiven Wendungen auf, die viele der im Laufe der Zeit konventionalisierten Strukturen und Strategien aufnehmen, doch mit semantisch neu belegten Inhalten. Die Passage Tutto è fumo! tutto è fuoco! l’orrida caligine si fa incendio, poi si spegne più funesta, spasima’ l’universo, accorre a valchi l’aquilon fantasima, i titanici oricalchi squillano nel ciel (Q10 Boito, Otello I 1)

beschreibt die Angst der Zyprioten vor einem Unwetter, in der die Elemente des Wortfeldes licht/schatten bzw. wärme/kälte mit ihrem konkreten Sinngehalt verwendet werden. Nach der sicheren Landung Otellos und dem Vorbeiziehen des Unwetters wird die Bedrohung durch Feuer, Rauch und Sturm zu einem Ausdruck der Freude; das Feuer ist jetzt ein Freudenfeuer, das die Dunkelheit der Nacht vertreibt: Fuoco di gioia, l’ilare vampa fuga la notte col suo splendor. Guizza, sfavilla, crepita, avvampa fulgido incendio che invade il cor. Dal raggio attratti vaghi sembianti movono intorno mutando stuol, e son fanciulle dai lieti canti, e son farfalle dall’igneo vol. Arde la palma col sicomoro, canta la sposa col suo fedel; sull’aurea fiamma, sul lieto coro soffia l’ardente spiro del ciel. Fuoco di gioia, rapido brilla! Rapido passa, fuoco d’amor! Splende, s’oscura, palpita, oscilla, l’ultimo guizzo, lampeggia e muor (ib. I 1).

Gegen Ende der Passage wird jedoch wiederum die Bedeutungsebene der Liebe herangezogen, wodurch die Konvention wieder hergestellt ist. Dies wird auch deutlich in den weiteren festen Wendungen wie etwa avere il cuore di gelo (Jago, ho il cuore di gelo, Q10, II 5), die ebenfalls gehäuft auftreten. Auch die berühmten Schlussworte Otellos verdeutlichen nochmals die enge Verknüpfung der metaphorischen Ebenen Liebe/Helligkeit/Wärme/Glück vs. Tod/Dunkelheit/Kälte/ Schmerz, um die sich letztlich jede Oper rankt: 228

Pria d’ucciderti... sposa... ti baciai. Or morendo... nell’ombra... in cui mi giacio... Un bacio... un bacio ancora... un altro bacio... (ib. III 4, Ende).

4.1.3.5. Schlüsselwörter Auf der Grundlage dieser Ergebnisse ist es nicht mehr möglich, wie es beispielsweise Stefano Telve versucht, die oft zitierte «necessaria convenzionalità» (Telve 1998, 429) als Merkmal des gesamten Librettoidioms anzunehmen. Er beschreibt einen «guten» Librettisten als einen Dichter, der vor allem die Kunst der Reduktion beherrscht: «L’insieme delle scelte lessicali, attratte ora verso il polo basso ora verso il polo alto, la sistematicità degli abbinamenti, semantici o fraseologici che siano, lasciano pensare che chi scriveva libretti avesse dovuto maturare una specifica competenza linguistica (e non solo) e far propria una tecnica di riduzione che fosse in grado di trasferire dei contenuti da un codice a un altro di natura diverso: di mediare, cioè, attraverso la superficie del fenotipo linguistico, se così si può dire, il genotipo drammatico e musicale» (ib.).

Auch wenn Telve dieses Fazit am Ende einer Analyse der Libretti zu Verdis Opern zieht, präzisiert er doch selbst in einer Fußnote, dass er diese Aussage als gültig «per il librettista in quanto tale» ansieht, «almeno a partire dall’età barocca» (ib. n. 183), und nennt als Beleg die Sprache Metastasios, die diese konventionelle «schematicità e semplicità», die die Libretti des 19. Jahrhunderts ausmacht, bereits ausweise. Dieser These lässt sich auf der Grundlage der hier analysierten Libretti zwar durchaus zustimmen, doch greift sie, wie der Blick auf die frühen Libretti belegt, nicht weit genug. Wie in vielen anderen Veröffentlichungen zur Sprache von Opernlibretti werden auch bei Telve die Libretti vor allem des frühen 17. Jahrhunderts ausgeklammert, obwohl es gerade diese sind, die noch nicht die zitierte Schematizität aufweisen. Wie die Analysen der Wortfelder und auch die bereits zuvor untersuchten Aspekte andeuten, findet eine Erstarrung der metaphorischen wie auch der lexikalischen Ebene frühestens im Laufe des 18. Jahrhunderts statt, vermutlich erst bei Zeno und besonders bei Metastasio. Die ersten Libretti weisen eine kunstvolle Rhetorik auf, die erst im Laufe der Zeit abflacht und sich hin zu einer dann im 19. Jahrhundert voll ausgeprägten Expressivität einerseits und Konventionalität andererseits entwickelt. Wie auch bereits die vorangegangenen Untersuchungen gezeigt haben, ist «das» Librettoidiom mit seiner oftmals emotionalen, drastischen, meist erstarrten, insgesamt aber sehr normfernen Lexik in seiner Gesamtheit erst in den Libretti des 19. Jahrhunderts, vielleicht sogar erst des späten 19. Jahrhunderts fassbar, und dies lässt sich von der rhetorisch-stilistischen auf die semantische und vermutlich sogar auf die syntaktische Ebene ausweiten.131 Diese Tendenz gipfelt in einer für die späten Libretti spezifischen Schlüsselwort-Technik, die bereits im 17. Jahrhundert durch Charles Perrault in seiner

131

Zu diesem letzten Aspekt cf. weiter unten, Kap. 4.2.

229

Paralelle des Anciens et des Modernes (cf. Perrault 21693 [1971], vol. 3, 241) beschrieben wurde und noch heute als typisch für «das» Librettoidiom gilt (cf. etwa Ringger 1984, 503s., oder Norman 1988, 291).132 Begriffe wie etwa amore, gioia, morte oder dolore sind nach dieser Theorie Stellvertreter für ganze Handlungsabschnitte, die bei der gesungenen Darbietung nicht Wort für Wort vom Zuhörer aufgenommen werden können und auch nicht müssen, da die Kodewörter stets das Leitthema vorgeben, dessen musikalische Umsetzung wichtiger ist als das textgenaue sprachliche Verständnis.133 Diese Strategie ist vielfach erkannt, doch stets auf die Oper als gesamte Gattung bezogen worden, so stellt etwa bereits Stendhal, ein großer Opernliebhaber und -kenner, fest: «[...] on assiste avec un sensible plaisir à un opéra chanté, quoique les paroles soient dans une langue étrangère ; il suffit qu’une personne de la loge vous donne le mot des principaux airs» (Stendhal in Vie de Rossini, zit. nach Ringger 1984, 503).

Hier ist als weiterer Aspekt die Aufführung fremdsprachiger Opern angesprochen.134 Schlüsselwörter sind somit auch für nicht der Sprache der Oper mächtige Zuhörer notwendig und nützlich, wobei – wie jeder Opernbesucher selbst immer wieder erfahren muss – auch gesungene Texte in der eigenen Muttersprache bei der Inszenierung meist nur schwer verständlich sind, was wiederum auch mit praktischen Gegebenheiten wie Nebengeräuschen aus dem Publikum oder schlecht artikulierenden Sängern erklärbar ist. 4.1.3.6. Fazit Dass die Theorie der Schlüsselwörter zwar zutreffend ist, allerdings auf die Libretti des 19. Jahrhunderts beschränkt werden muss, hat das vorliegende Analysekapitel deutlich gezeigt: So treten bestimmte Wortfelder (etwa wärme/kälte und licht/schatten) in nahezu allen Libretti auf und werden durch die Jahrhunderte hinweg von einigen wenigen aufzählbaren Stichwörtern repräsentiert (etwa gelare, ardire, fiamma, ombra etc.), doch sind diese vor allem in den frühen Libretti, aber auch noch teils bei Metastasio, zumeist in kunstvolle rhetorische Strukturen eingebaut und somit nicht als Schlüsselwörter im eigentlichen Sinne zu bezeichnen. In den Libretti des 19. Jahrhunderts dagegen fungieren sie tatsächlich als Signale, die jeweils eine bestimmte Atmosphäre oder Stimmung hervorrufen sol-

132 133 134

Cf. hierzu bereits ausführlich weiter oben, Kap. 1.3. In diesen Kontext lässt sich auch Ferruccio Busonis Theorie vom musikalischen Schlagwort einordnen, cf. hierzu ausführlich weiter oben, Kap. 1.3. Dieses komplexe Thema wird in amüsanter Form behandelt in Honolka 1978. Nach einem Jahrhundert der «Verdeutschungen» sämtlicher für deutsche Schauspielhäuser erreichbarer Texte, das sprachliche Missgriffe in Folge produziert hat, ist in den letzten Jahren glücklicherweise eine Tendenz der Rückkehr zu Aufführungen in der Originalsprache (meist mit Übertitelung) auszumachen. Zu Stendhals Zeiten war dies, zumindest auf die italienische Oper bezogen, ebenfalls noch üblich, wie das Zitat zeigt; cf. hierzu auch weiter oben, Kap. 1.2.

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len und isoliert verständlich sind, selbst für ein fremdsprachiges Publikum. Eine subtile Rhetorik wird hier nicht verlangt, da die Musik die dominierende Position gegenüber dem Text eingenommen hat (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.) und die beim Publikum erwünschten Emotionen transportiert, ohne dass ein genaues Textverständnis vorausgesetzt werden müsste. In diesem Kontext werden die viel benutzten Wörter, die vor allem durch Substantive, aber auch durch Adjektive oder Verben repräsentiert werden, in der Tat zu reinen Kodewörtern, die für eine Stimmung oder einen Handlungsabschnitt stehen sollen.135 Die von Ringger und anderen zitierte Schlüsselwort-Technik muss also auf die Libretti ab dem 19. Jahrhundert beschränkt werden und ist in den früheren Libretti noch nicht enthalten.

4.2. Syntaktisch-stilistische Analysen Die folgenden Analysen zu Syntax und Stil der italienischen Opernlibretti unterscheiden sich in der methodischen Anlage von allen vorhergehenden Studien dieser Arbeit. Eine Quantifizierung lexikalischer Einheiten ist mit relativ geringem Aufwand umsetzbar, da auf der Ebene von Morphemen, Wörtern und kleineren Syntagmen wie etwa Phraseologismen die (halb)automatische Annotierung sowie die Arbeit mit einfachen Suchmaschinen gut realisiert werden können. Syntaktische und erst recht stilistische Phänomene sind dagegen schwerer fassbar, insbesondere dann, wenn es sich nicht um feste Fügungen (wie beim Beispiel der Phraseologismen) handelt. So kann man in einem beliebigen Korpus, auch wenn es nicht annotiert ist, mit nahezu jedem Textverarbeitungsprogramm gezielt nach Wörtern eines bestimmten Wortfeldes oder nach fest vorgegebenen Interjektionen suchen. Die Arbeit mit kwic-Indizes (= Key Word In Context, cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1.3.) erlaubt es, auch das Umfeld eines solchen Morphems oder Wortes nach typischen Mustern abzusuchen, so dass in gewissem Rahmen auch semantische Analysen möglich sind, wie Kap. 4.1. gezeigt hat. Syntax- und erst recht Stilphänomene sind jedoch selten so fixiert, dass sie mit einer automatischen Suchmaschine erfasst werden können. Hier sind aufwändige manuelle Annotierungen nötig, die bei einem Korpus wie dem vorliegenden, das rund 54.000 Okkurrenzen umfasst (cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.2.), nicht ohne Weiteres erbracht werden können.136 Aus diesem Grund werden

135

136

Zu untersuchen wäre zudem, ob die Schlüsselwörter vorrangig in Arien auftreten oder ob sie sich auch in Rezitativen in demselben Maße finden, cf. hierzu ansatzweise weiter oben, Kap. 2.2.3. Dies ist vermutlich auch der Grund dafür, dass in vielen Einführungen, Rhetorikwerken und weiteren Untersuchungen zur Sprache der Poesie meist nur von mikro-, selten aber von makrosyntaktischen Phänomenen die Rede ist, cf. etwa Serianni 2001, der in seinem Kapitel Morfologia e microsintassi (ib., 129–219) fast ausschließlich auf morphologische Phänomene eingeht. Auch bei Rossi 2005a laufen syntaktische Analysen unter der recht allgemeinen Überschrift Fenomeni linguistici: sintassi, lessico e altro (ib., 193–303), die jedoch hauptsächlich Studien zu lexikalischen Phänomenen zusammenfasst.

231

in den folgenden Analysen nicht in jedem Fall vollständige statistische Listen der diversen sprachlichen Strukturen dargestellt; wie in den meisten der bereits vorhandenen Untersuchungen italienischer Opernsprache (cf. etwa Rossi 2005a und 2005b, Telve 1998 und 2004, Serianni 2002 etc.) werden auch hier exemplarische Belegnennungen vorgenommen, was die Analysen um die Klarheit der Statistik reduziert, dafür aber eine Annäherung an subjektivere Bewertungen eines ohnehin schwer eingrenzbaren Begriffes wie «Stil» ermöglichen kann. Im Folgenden werden ausgewählte syntaktische und stilistische Phänomene der Librettosprache berücksichtigt, die die spezifische Gestalt dieser Varietät in toto näher definieren und zudem eine weitere Binnendifferenzierung nach Epochen oder Jahrhunderten versprechen. Nicht eingeschlossen sind metrische Charakteristika, da Analysen von Reim und Metrik der Opernsprache zum einen bereits durch die umfassenden und nach wie vor gültigen Studien Friedrich Lippmanns existieren (cf. Lippmann 1973, 1974, 1976 und 1986)137 und zum anderen den linguistisch ausgerichteten Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit in eine hier nicht angestrebte Richtung verlegen würden. 4.2.1. Subjektabschwächung Ein Charakteristikum der lingua poetica ist die bereits öfters festgestellte Abschwächung des Subjekts, die durch verschiedene sprachliche Mittel erzeugt werden kann. Luca Serianni hatte dieses Phänomen der «presenza di formule impersonali in luogo di un congiuntivo esortativo di 4a persona (si vada! ‘andiamo!’) o di un imperativo (si vada! ‘va!’ o ‘andate!’)» (Serianni 2001, 215) zunächst als typisch für die Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet (cf. Serianni 1989, 121, cf. auch id. 1990), dann diese Perspektive jedoch selbst erweitert, indem er verdeutlichte, dass die Subjektabschwächung zwar im Mittelalter noch nicht feststellbar ist, sich jedoch bereits im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelt und in der Tragödie des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erlebt.138 Er beschreibt die Funktion dieses sprachlichen Phänomens wie folgt: «La funzionalità stilistica di questo procedimento è [...] quella di attenuare il tasso di dialogicità – e dunque l’irriducibile rapporto, per quanto mediato, col parlato reale –, intervenendo sul testo in senso antirealistico secondo i tradizionali dettami del registro sublime» (ib.).

137

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Zu den metrischen Verhältnissen sämtlicher 21 Verdi-Opern cf. auch den ausführlichen und detaillierten Repertorio metrico verdiano von Rita Garlato (Garlato 1998), zur Metrik in Mozarts Opern cf. Manfred Hermann Schmid 1994. Zum allgemeinen Verhältnis zwischen Vers und Vertonung cf. Gerhard 2001 und Bianconi 2005, zur Metrik in der italienischen Oper cf. Fabbri 1988. Zur italienischen Metrik allgemein cf. die Standardwerke von Elwert 1984, Beltrami 1991 und Menichetti 1993. Serianni verweist hier auf die diesbezüglichen Untersuchungen von Antonio Sorella (1993, cf. ib.).

232

Dieser bereits früher erwähnte Eindruck des nicht nur Un-, sondern sogar bewusst Antirealistischen, für den die Subjektabschwächung einen Faktor darstellt, trifft besonders auf die opera seria zu, während in der buffa eher eine gewollte Nähe zur Alltagssprache feststellbar ist, die sich in den verschiedensten sprachlichen Strategien äußert.139 4.2.1.1. si-Konstruktionen Als exemplarisch für dieses Charakteristikum der Librettosprache zählt Serianni zahlreiche Beispiele für unpersönliche si vada-Konstruktionen auf (auch si in Verbindung mit anderen Verben wie etwa parlare, perdonare etc.), die jedoch größtenteils aus Werken des Sprechtheaters (Goldoni, Alfieri, Cesarotti etc., aber auch Metastasio, cf. ib., 216) stammen. Die Frage, ob diese spezielle Wendung auch in den Libretti des hier untersuchten Korpus auftritt und ob sich ihre Häufigkeit im Laufe der Zeit erhöht, soll an Hand einer kleinen Auszählung überprüft werden (cf. Tabelle 4.2.1.(1)).140 Dieses doch sehr eindeutige Ergebnis weist darauf hin, dass die Konstruktion ausschließlich für die Libretti des 18. Jahrhunderts typisch zu sein scheint, hier vor allem für Metastasio. Die sonst oftmals Modell bildende Wirkung dieses Librettisten ist allerdings – zumindest bezogen auf die Korpuslibretti – in diesem Fall nicht sehr ausgeprägt, da nur in Varescos Idomeneo weitere si vada-Belege feststellbar sind. Erweitert man die Suche nach unpersönlichen si-Konstruktionen auf andere Verben, so zeigt sich jedoch, dass sie sich in allen Libretti finden, ein Hinweis auf eine Art zeitliche Mode ist hier nicht mehr auszumachen. Beispiele: Q1 Striggio, La favola d’Orfeo II: Non si fidi uom mortale; ib. III: Nulla impresa per uom si tenta in vano, / né contra lui più sa natura armarse;141 E3 Haym, Giulio Cesare I 9: E chi è mal far disposto, / non brama che si veda / l’inganno del suo cor; ib. I 11: Oh là: per regal legge orma si guidi / prigionier nella reggia / così audace garzon;

139

140 141

Cf. hierzu vor allem Rossi 2005a, der in seiner Analyse sämtliche Libretti zu den Opern Rossinis untersucht (22 opere serie, 18 opere buffe und ein opéra-comique) und hier die größten Differenzen zwischen den beiden Hauptgattungen attestiert. In den buffe findet er, ganz anders als in den serie, eine starke Tendenz zum gesprochenen Standarditalienischen, cf. etwa seine Kapitel zur «presenza del parlato» (ib., 244–303). Zum antirealismo speziell bei Verdi cf. Baldacci 1997, 91–117, bei Verdi und Puccini cf. Serianni 2002, 149–157 (er zählt u. a. Exotismen wie etwa «franco-xenismi» und «nipponismi» (ib., 157) auf). Berücksichtigt werden hier beide Korpora, Q und E, aufgelistet in chronologischer Reihenfolge. Besonders bei den frühen Libretti nehmen die unpersönlichen si-Konstruktionen oftmals die Form allgemein gültiger Aussagen zum Leben und Wesen des Menschen an; sie werden passender Weise zumeist vom in antiker Manier das Geschehen kommentierenden Chor ausgesprochen. Cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt.

233

[Tabelle 4.2.1.(1): Belege von si vada-Konstruktionen in den Korpora Q (ohne Q3) und E] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

Belege

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

keine Belege

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

keine Belege

E2

Minato, Xerse

1654

keine Belege

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

keine Belege

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

keine Belege

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

keine Belege

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

al re si vada; Dunque si vada

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

Si ritorni al tempio; / si vada incontro all’ ira / dell’ oltraggiato re

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

Odo da lunge armonioso suono, / che mi chiama all’imbarco, orsù si vada; Or questo a combatter si vada, / e vincerlo si tenti

Q7

Rossi, Semiramide

1823

keine Belege

Q8

Romani, Norma

1831

keine Belege

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

keine Belege

Q9

Piave, Ernani

1844

keine Belege

E6

Piave, Rigoletto

1851

keine Belege

Q10

Boito, Otello

1887

keine Belege

Q7 Rossi, Semiramide I 2: Belo si celebri, Belo s’onori; ib. I 10: Arsace a me s’affretti; Solenne nuzial rito s’affretti; ib. II 3: Si compia, s’affretti / L’acerbo mio fato; E6 Piave, Rigoletto I 1: sol chi vuole si serbi fedele etc. Die genannten Formtypen sind nicht die einzigen Möglichkeiten für die Abschwächung des Subjekts. Fabio Rossi nennt insgesamt drei Strategien (cf. Rossi 2005a, 217–225): 1. die Verwendung von unpersönlichen und Passivformen, 2. die Verwendung des Futurs und des passato remoto und 3. die Verwendung von Apostrophen. Die erwähnten si-Formen sind dabei der ersten Kategorie zuzuordnen; Rossi sieht sie als Teil «della diatesi passiva in genere (in cui il soggetto è paziente e non agente, e dunque, per l’appunto, indebolito)» (ib., 218). Zur ersten Kategorie 234

gehören zudem Konstruktionen, die die dritte Person der eigentlich gemeinten zweiten vorziehen, etwa in Lo sappia il Re an Stelle von ditelo al re oder Sammelbezeichnungen bzw. Toponyme, die als Stellvertreter für einzelne Menschen eingesetzt werden (totum pro parte), etwa in Non alberga pietade in cor romano an Stelle von tu non hai pietà, come tutti i romani (cf. ib.). Ebenfalls dazu zählen kann man den possessivisch gebrauchten Dativ, der teilweise mit der Ellipse des Verbs einhergeht (etwa A me quel foglio, cf. ib., 221).142 Beispiele aus den hier zu Grunde liegenden Korpora: E3 Haym, Giulio Cesare I 6: Roma, oppressa da lui, libera vada; ib. II 5: Addio, Roma, addio Sesto! Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 14: A me tal cenno? Q7 Rossi, Semiramide I 2: In tal dì l’Assiria omai / Vegga al trono un successor E5 Cammarano, Lucia di Lammermoor I 5: Pe’ Franchi lidi amici / Sciolgo le vele: ivi trattar m’è dato / Le sorti della Scozia E6 Piave, Rigoletto I 15: A me una larva! Q10 Boito, Otello II 3: A te le porpore / le perle e gli ostri; ib. II 4: A me quel vel!; ib. III 7: A me Cassio!, etc. 4.2.1.2. Futur und passato remoto Auch die zweite Kategorie ist Bestandteil der Tendenz zum Antirealismus, indem Futur- und passato remoto-Formen die in der Umgangssprache gängigen Präsensformen ersetzen. Das Futur wird hierbei bewusst verwendet, um das Subjekt auch sprachlich von der aktuellen Bühnenhandlung zu entfernen (etwa in Il Ciel a noi darà forza e ardimento oder Un solo accento / Tutto cangiar potrà d’aspetto, cf. Rossi 2005a, 218). In diesem Tempus wirken die Formen oftmals pathetischer als im Präsens, da sie zugleich einen prophetischen Charakter annehmen. Sie fi nden sich auch in Korpus Q in großer Zahl.143

142

143

Interessant erscheint der Hinweis Rossis, dass diese unpersönlichen, passivischen Konstruktionen speziell für die italienische Librettosprache typisch sind; als Beleg zitiert er einige Passagen aus Libretti, die auch in französischer Sprache vorliegen, etwa aus der Oper Guglielmo Tell/Guillaume Tell, in der ein Satz wie Suo figlio a me sia dato im Französischen als aktivische Konstruktion Je le prends sous ma garde erscheint (cf. ib., 221 n. 43). Hier zeigt sich wiederum die schon mehrfach erwähnte sprachstrukturelle Differenz, die in linguistischen Analysen von Texten aus mehr als einer Sprache stets berücksichtigt werden sollte. Bei dieser und der folgenden quantitativen Auszählung wird ausschließlich Korpus Q berücksichtigt, da hier präparierte Daten vorliegen und somit zuverlässige statistische Werte geliefert werden können.

235

[Tabelle 4.2.1.(2): Futur-Formen in Korpus Q] Nr.

Jahr

Futur-tokens (absolut)

Gesamtzahl Verb-tokens relativer Anteil an (alle Tempora) Gesamtzahl Verben (in %)

Q1

1607

21

598

3,5

Q2

1672

118

1740

6,8

Q3

1685

48

1663

2,9

Q4

1719

115

1561

7,4

Q5

1733

75

1716

4,4

Q6

1781

57

775

7,4

Q7

1823

81

934

8,7

Q8

1831

66

1035

6,4

Q9

1844

121

903

13,4

Q10

1887

27

1209

2,2

Die Zeitform des Futurs wird demnach in höchst unterschiedlicher Quantität verwendet. Besonders wenige Belege finden sich in Q1 (Striggio), Q3 (Quinault) und Q10 (Boito); alle drei sind Libretti, die aus verschiedenen Gründen (Q1 = ältestes und kürzestes Libretto, Q3 = einziges französisches Libretto, Q10 = jüngstes Libretto) bereits auffällig geworden sind. Könnte man bei Quinaults Roland (Q3) wiederum sprachstrukturelle Gründe vermuten, so erklärt sich jedoch nicht die große Differenz innerhalb der 9 italienischen Libretti. Hier fällt besonders Q9 (Piave) ins Auge: Während die übrigen Libretti (Q2, Q4, Q5, Q6, Q7, Q8) allesamt einen relativen Anteil von ca. 4 bis 9 % Futurformen an der Gesamtverbzahl aufweisen, enthält Q9 über 13 %. Wie lässt sich diese Abweichung erklären? In Frage kommen inhaltliche (Handlung), individuelle (Vorliebe Piaves für diese Zeitform) oder metrisch-euphonische (bessere metrische Einpassung der jeweiligen Futurform gegenüber anderen Tempora) Gründe. Während die letzte Vermutung als sehr unwahrscheinlich eingestuft werden kann, sind die beiden erstgenannten Thesen beide vorstellbar. Ein Blick auf die Thematik des Librettos zeigt, dass es auf einem romantischen Drama von Victor Hugo beruht, Hernani ou L’Honneur castillan (1830), das 1519 in Aachen und Saragossa spielt. Kern der Handlung ist die Werbung dreier Männer um die schöne Elvira: des als Anführer einer Räuberbande auftretenden verstoßenen Adligen Ernani alias Don Juan, Herzog von Aragon, des greisen Granden von Spanien, Don Ruy Gómez de Silva, und des spanischen Königs Don Carlo. Die Hauptthemen sind neben der allgegenwärtigen Liebe vor allem Rache, Loyalität und Treue. Oberflächlich betrachtet legt die Handlung also keine Verbindungen mit dem Tempus Futur nahe. Betrachtet man nun differenziert die Verteilung der Formen, so ergeben sich 121 tokens, die auf 73 verschiedene Formen und 47 types entfallen. Während der überwiegende Teil der Futurformen nur ein bis drei Mal im Gesamtlibretto auftritt, fallen die Verben essere mit 21 Belegen (davon 11 sarà, 4 sarai, je 2 sarò und saran, je 236

1 saranno und sarem), sapere mit 15 Belegen (davon 9 saprò, je 2 saprà und saprai, je 1 saprem und sapremo) und morire mit 11 Belegen (davon 7 morrà, 3 morirà und 1 morirò) ins Auge. Besonders bei dem zuletzt genannten Verb lässt sich eine thematische Erklärung für die Futurverwendung finden: Die Hauptfigur der Oper, Ernani, ist von Beginn an dem Tode geweiht, was auch nicht mit der Handlung vertrauten Zuschauern/Zuhörern wiederholt verdeutlicht wird. Seine beiden Gegenspieler versichern an verschiedenen Stellen: «Ernani morirà». Auch Ernani selbst ist sich der Tatsache bewusst, dass er sterben wird, sobald das von ihm an Silva geschenkte Horn ertönt, und wenn nicht durch das Schwert des Feindes, dann durch Kummer und Sorge um die geliebte Elvira: «d’affanno morirò». Teilweise wird die Zuspitzung der Handlung auf den Tod Ernanis als Höhepunkt durch ständige Wiederholungen auch im Dialog dargestellt: silva Vien, te disfido, o giovane; uno di noi morrà. ernani Tu m’hai salvato, uccidimi, Ma ascolta, per pietà! silva Morrai... ernani Morrò, ma pria L’ultima prece mia (Q9 Piave, Ernani II 13).

Auch die übrigen Futurformen treten in thematischen Zusammenhängen der Vorausschau auf das Schicksal Ernanis auf, so etwa wenn die Banditen, als deren Anführer Ernani zu Beginn der Handlung auftritt, gemeinsam mit ihm Pläne für die Rückgewinnung der Geliebten und von Ansehen und Ehre schmieden: banditi Dunque verremo; al castel ti seguiremo: (attorniandolo) Quando notte il cielo copra tu ne avrai compagni all’opra; dagli sgherri d’un rivale ti fia scudo ogni pugnale. Vieni, Ernani; la tua bella de’ banditi fia la stella. Saran premio al tuo valore le dolcezze dell’amor. (ib. I 2).

237

Hier stellt also tatsächlich die besondere thematische Struktur des Librettos der Grund für die häufige Verwendung des Futurs dar. Es wird sprachlich funktionalisiert zum Tempus der Schwüre, der geplanten Rache und der hoffnungsvollen Ausblicke. Ähnliche Motive finden sich sicherlich auch in den anderen Libretti, doch nicht in einer solchen Dichte wie speziell in diesem Piave-Libretto.144 Um eine Form der Subjektabschwächung handelt es sich deshalb, weil das handelnde Subjekt von der aktuellen Bühnenhandlung distanziert wird. Die Verlegung der Haupthandlung in die Zukunft bewirkt zudem einen gewissen Spannungsaufbau, da der drohende Tod noch nicht gegenwärtig ist, aber dennoch bereits wie ein Damokles-Schwert über der Hauptfigur schwebt. Aus sprachlicher Sicht ist die Verwendung des Futurs systemkonform, solange tatsächlich zukünftige Geschehnisse behandelt werden; dennoch wirkt das auch in den romanischen Sprachen in der Alltagssprache zunehmend durch das Präsens ersetzte Futur sehr literarisch und somit auf der Sprech- bzw. Gesangsbühne stilisiert und alltagsfern. Eine andere Strategie zur bewussten Anhebung des sprachlichen Registers auf eine kunstvoll-künstliche Ebene ist zudem der Einsatz des passato remoto, das an die Stelle des passato prossimo tritt (cf. etwa hier in Q7: Al tuo comando / Regina, io m’affrettai: / Quanto sì dolce istante io sospirai!).145 Serianni spricht sogar von einer «certa sovraestensione del passato remoto» (Serianni 2001, 218) in der lingua poetica. Dieses Phänomen findet sich also auch in der Sprache der Oper, und zwar sowohl in den opere serie als auch in den opere buffe. Dabei unterscheidet sich jedoch die opera seria von der Schwestergattung darin, dass hier zudem zahlreiche archaische und poetische Wendungen und Formen auftreten,146 etwa cangiaro, tentaro, festi, fur, fer etc. (cf. Rossi 2005a, 222). Auch ohne die Archaismen wirkt der Gebrauch des passato remoto in der gesungenen Sprache künstlich und konstruiert, was ein durchaus beabsichtigter Effekt der Librettisten gewesen zu sein scheint. So verwendet etwa Striggio dieses Tempus immer dann, wenn er in seinem stark auf die Dichotomie Leben-Licht-Wärme-Oberwelt vs. Tod-Dunkelheit-Kälte-Unterwelt (cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1., passim) ausgerichteten Orpheus-Libretto die Freude schöner, aber vergangener Zeiten wie-

144

145

146

Auch im zweiten Piave-Libretto der Analysekorpora, Rigoletto (E6), spielt die Zeitform des Futurs eine weitaus geringere Rolle, weshalb die zweite mögliche Erklärung für den großen Anteil an Futurformen in Q9, die individuelle Vorliebe dieses Librettisten für diese Zeitform, vernachlässigt werden kann. Von einer diatopischen Erklärung dieses Phänomens kann hier abgesehen werden: Bekanntlich ist das passato prossimo sowohl in der gesprochenen als auch teilweise in der Schriftsprache besonders bei Sprechern/Autoren aus dem Norden Italiens verbreitet, während in den südlichen Landesteilen das passato remoto dominiert (cf. hierzu etwa Dardano/Trifone 1985, 243). Da jedoch alle Librettisten des hier behandelten Korpus aus dem Norden oder der Mitte Italiens stammen und auch ihre Wirkungsstätten nicht im Süden angesiedelt sind, ist eine dialektale Erklärung hier zu vernachlässigen. Cf. zur diatopischen Neutralität der ernsten Oper auch weiter oben, Kap. 2.1. Cf. hierzu Rossi 2005a, 222, und Serianni 2001, 189–195.

238

der herauf beschwören möchte. Dabei erzeugt gerade das passato remoto die erwünschte Distanz des Subjekts zu diesen unwiederbringlich verlorenen Zeiten: orfeo [...] Fu ben felice il giorno, mio ben, che pria ti vidi, e più felice l’ora che per te sospirai, poich’al mio sospirar tu sospirasti. Felicissimo il punto che la candida mano pegno di pura fede a me porgesti. Se tanti cori avessi quant’occh’il ciel sereno e quante chiome sogliono i colli aver l’aprile e ’l maggio, colmi si sarien tutti e traboccanti di quel piacere ch’oggi mi fa contento (Q1 Striggio, La favola d’Orfeo I).

Ähnlich gestaltet sich auch der Gebrauch des passato remoto bei Gaetano Rossi, der – wie die unten stehende Tabelle 4.2.1.(2) zeigt – besonders oft dieses Tempus verwendet. In seinem Semiramide-Libretto wird es zwar nicht wie bei Striggio als Erinnerung an schöne, vergangene Zeiten eingesetzt, doch ist auch hier die bewusste Distanzierung des Subjekts beabsichtigt, was durch weitere sprachliche Strategien, etwa das Sprechen Assurs über die im selben Raum anwesende Semiramide in der dritten Person, noch verstärkt wird: semiramide (severa) Assur, i cenni miei Fur sacri, irrevocabili... assur (marcato) E sinora, Regina, io li adorai. Di me più fido non avesti... il sai. Ed altra alle mie cure, alla mia fede Sperai da Semiramide mercede, E me ne lusingavi in que’ momenti. semiramide (con fremito) Oh tu! Che mai ricordi! e non paventi? Tu la vedesti pur... l’udiste l’ombra Irritata di Nino a noi d’intorno Forse adesso invisibile... e tu ardisci! (a mezza voce e con fiero rimprovero) Tu, che al tuo re nel seno Morte versasti?

239

assur (amaramente) E chi apprestò il veleno? Di morte il nappo a me chi porse? (Q7 Rossi, Semiramide II 3).

Exemplarisch sei hier die quantitative Verteilung der passato remoto-Formen in Korpus Q dargestellt: [Tabelle 4.2.1.(3): Passato remoto-Formen in Korpus Q (ohne Q3)] Nr.

Jahr

passato remoto- Gesamtzahl Verb-tokens relativer Anteil an tokens (absolut) (alle Tempora) Gesamtzahl Verben (in %)

Q1

1607

55

598

9,2

Q2

1672

114

1740

6,6

Q4

1719

95

1561

6,1

Q5

1733

176

1716

10,3

Q6

1781

47

775

6,1

Q7

1823

98

934

10,5

Q8

1831

69

1035

6,7

Q9

1844

56

903

6,2

Q10

1887

36

1209

3,0

Auch hier fallen wieder einzelne Libretti aus dem Durchschnitt, der bei ca. 6,5 % Anteil an der Gesamtverbzahl liegt und für die Libretti Q2, Q4, Q6, Q8 und Q9 zutrifft. Insgesamt wird das passato remoto also eher selten verwendet, jedoch vermutlich deutlich häufiger als in der Standardsprache. Besonders hoch ist der Anteil bei Striggio (Q1), Metastasio (Q5) und Rossi (Q7), besonders niedrig bei Boito (Q10). Von einer chronologischen Entwicklung kann also, ähnlich wie bei den Futurformen, nicht die Rede sein. Fabio Rossi findet bei seiner Untersuchung der Libretti zu Rossini-Opern ebenfalls zahlreiche Belege für die Verwendung dieses Tempus (cf. Rossi 2005a, 221s.), was belegt, dass – da diese von insgesamt 20 verschiedenen Librettisten stammen – der Ersatz des passato prossimo oder gar des Präsens durch das passato remoto kein individuelles oder dialektales Stilmerkmal eines einzelnen Librettisten, sondern vielmehr eine zeitabhängige Mode oder ein allgemeines Kennzeichen der Librettosprache ist. Der sehr geringe Anteil an passato remoto-Formen bei Boito ist nur schwer erklärbar, fügt sich jedoch in das bereits in den Kapiteln 3 und 4.1. gewonnene Bild des oftmals durch Eckwerte hervortretenden, sprachlich aus der Reihe fallenden Librettos ein.

240

4.2.1.3. Apostrophe und Selbstdialog Eine dritte Strategie der Subjektabschwächung ist die Verwendung von Apostrophen. Letztere definiert Bußmann wie folgt: «scheinbare ‹Abwendung› vom Zuhörer bzw. Leser und Anrede eines ‹Zweitpublikums› (z. B. anwesende, abwesende oder fingierte Personen, Götter, Personifikationen)» (Bußmann 42008, 50). Bußmann rechnet dieses sprachliche Mittel weniger der Syntax als den rhetorischen Figuren der Pragmatik zu, Rossi bezeichnet sie jedoch als den morphosyntaktischen Stilmitteln zugehörig (cf. Rossi 2005a, 223–225). In jedem Fall haben sie eine ähnliche sprachliche Wirkung wie die beiden zuvor genannten Kategorien, indem sie in höchstem Maße die antirealistische Tendenz der Librettosprache unterstreichen. Der «dialogo con se stesso» (Coletti 2003, 112) ist nach Coletti ein typisches Merkmal der Buffa-Oper, in der die Figuren sich oftmals an das Publikum wenden, um abseits von der eigentlichen Bühnenhandlung einen Kommentar zu geben oder eine (rhetorische) Frage zu stellen. Diese Strategie wurzelt nach Folena in der familiären Sprachvarietät und tritt auch etwa im Dialog mit Kindern häufig auf (cf. Folena 1983, 297). Er gibt als Definition den «uso elocutivo deittico della terza persona e del nome personale invece della prima e dell’io» an und funktionalisiert diesen Gebrauch als Strategie des «autocompiacimento» und «rispecchiamento», weshalb er ihn abschließend als «l’elocutivo dello specchio» (ib.) bezeichnet. Schon Folena und nach ihm Rossi erwähnen jedoch auch einen zweiten Pol dieses Stilmittels, der sich dann zu einem «segno di autoritario distacco» (Rossi 2005a, 223) entwickelt, wenn er in der opera seria auftritt. Folena definiert diese zweite Variante als «uso solenne, aulico della terza persona pro prima quale tópos di obiettività, come quello cesareo o pontificale» (Folena 1983, 297). Rossi zählt zudem unter dem Abschnitt Apostrofe noch die Anrufungen auf, etwa an eine Gottheit, ein Gefühl oder eine höher stehende Person, die er dann jedoch unter der Bezeichnung invocazione von den sonstigen Apostrophen abgrenzt und für die er die Struktur Substantiv/Pronomen + che (Typ Clemente ciel, che ai miseri, cf. Rossi 2005a, 225) ermittelt. Man kann sich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass hier unter dem Begriff der Apostrophe einige sehr unterschiedliche sprachliche Strategien zusammengefasst werden, die im Prinzip viel differenzierter zu betrachten wären. So hat etwa der Dialog mit sich selbst eine gänzlich andere sprachliche Struktur und semantische Funktion als die Anrede des Publikums; davon unterschieden werden können wiederum die Anrufung von höheren Mächten oder das so genannte a parte-Sprechen, bei dem eine Bemerkung am Rande der Handlung geäußert wird, die weder direkt an das Publikum noch monologisch an den Sprecher selbst gerichtet ist. Hier wird also eine weitere Binnendifferenzierung nötig, die wie folgt aussehen könnte: 1. Ansprache des (anwesenden) Publikums 2. Anrufung von (abwesenden) Gottheiten, höheren Mächten, Respektpersonen, Abstrakta 241

3. a-parte-Sprechen (1., 2. oder 3. Person) 4a. Selbstdialog (1. Person) 4b. Selbstdialog (2. oder 3. Person). Das Ansprechen des anwesenden Publikums kann in der vorliegenden Analyse vernachlässigt werden, da es in der opera seria nicht auftritt. Es ist vielmehr den komischen Gattungen, besonders dem Bereich Kindertheater (etwa dem KasperleTheater), vorbehalten. Die Anrufung von Gottheiten oder anderen übergeordneten Mächten hingegen ist ein in der Oper insgesamt sehr häufig genutztes Stilmittel, das sich mit den Bereichen Interjektionen und exklamative Wendungen überschneidet (cf. dazu weiter oben, Kap. 4.1.2.). Die Anrufungen richten sich jedoch sprachlich zumeist auf das Subjekt in der 1. Person (auch als Personalpronomen) und sind somit nicht als Mittel der Subjektabschwächung im engeren Sinne anzusehen. Beispiele: E1 Q2 E3 Q5 Q7 Q8 E5 Q10

Rinuccini: o mi perdona, Amore; Aureli: alma mia che farai?; Haym: Oh dio, che veggio?; Respiro, oh ciel!; Metastasio: Ah tu, che puoi, / del mio Megacle amato, / se pietosa pur sei come sei bella, / cerca, recami, oh dio, qualche novella;147 Rossi: Oh, padre mio!; Dei, che intendo!; Romani: Deh! Proteggimi, o Dio! Perduta io son! Gran Dio, abbi pietà, Perduta io son!; Cammarano: O bell’alma innamorata, / Ti rivolgi a me placata; Boito: pietà di me, dio mio! etc.

Das so genannte a parte-Sprechen, bei dem sich der Schauspieler oder Sänger teilweise auch gestisch von seinem auf der Bühne präsenten Dialogpartner abwendet und scheinbar zu sich selbst spricht, ist eng verwandt mit dem Selbstdialog, doch kann man eine Trennlinie an Hand grammatisch-morphosyntaktischer Merkmale ziehen. Während der Selbstdialog stets eine Art Selbstreflexion über die eigene Person beinhaltet, also mit Folenas Worten tatsächlich als «elocutivo dello specchio» (cf. weiter oben in diesem Abschnitt) bezeichnet werden kann und zumeist in der 3. oder seltener der 2. Person stattfindet, ist das a parte-Sprechen im engeren Sinne eher ein Kommentar über den oder die Dialogpartner, der sich indirekt an das Publikum richtet und in allen drei Personen stehen kann. Bereits Mozart hatte diese Art des Sprechens bzw. Singens auf der Bühne als unnatürlich

147

Bei diesem Beispiel lässt sich recht deutlich die bereits weiter oben (cf. Kap. 4.1.4.) festgestellte lexikalische Erstarrung von ehemals freien Wendungen zu fixierten Idiomatismen beobachten, die v. a. bei Metastasio, dessen Libretti für viele Jahrzehnte das Modell der opera seria bildeten, stattfand. Oh dio ist hier nicht mehr als konkrete Anrufung Gottes, sondern vielmehr als lexikalisierte Formel anzusehen.

242

empfunden und kritisierte seinen Librettisten Varesco dafür, es ausgerechnet in eine Arie des Idomeneo-Librettos eingebaut zu haben: «Ich habe nun ein Bitte an H: Abbate; – die Aria der Ilia im zweyten Ackt und zweyten Scene möchte ich für das was ich sie Brauche ein wenig verändert haben – se il Padre perdei in te lo ritrovo; diese stropfe könte nicht besser seyn – Nun aber kömmts was mir immer NB: in einer Aria, unnatürlich schien – nemlich das à parte reden. im Dialogue sind diese Sächen ganz Natürlich – Man sagt geschwind ein paar Worte auf die Seite – aber in einer aria – wo man die wörter wiederhollen muß – macht es üble Wirkung» (Mozart an seinen Vater, 8. November 1780, ed. Kunze 1987, 164s.).148

Auch im Dialog wirkt dieses Stilmittel mitunter sehr konstruiert, wird jedoch zumeist mit der Intention eingesetzt, den Zuschauer/Zuhörer über die Stimmungslage oder die Einstellung der Figur zu ihrem Dialogpartner zu informieren. Sehr beliebt ist diese Technik bei Szenen, in denen eine versteckte, für den Zuschauer aber sichtbare Figur das Gespräch anderer Figuren belauscht und kommentiert, wie etwa im Falle der 5. Szene des dritten Aktes im Otello von Boito/Verdi (Q10), als Otello im Verborgenen das vermeintlich die Untreue Desdemonas bezeugende Gespräch zwischen Jago und Cassio belauscht. Die a parte gesprochenen Passagen werden im Libretto durch Einklammerung auch graphisch gekennzeichnet. Otello kommentiert aus seinem Versteck heraus den Dialog der beiden, später spricht auch Jago einige a parte-Bemerkungen:149 (Otello nascosto, Jago e Cassio) jago (a Cassio) Vieni, l’aula è deserta. T’inoltra, o capitano. [...] cassio Io qui credea di ritrovar Desdemona. otello (nascosto) (Ei la nomò!) [...] otello (dal verone) (L’empio trionfa, il suo scherno m’uccide. Dio frena l’ansia che in core mi sta!) [...]

148

149

In der Tat ist in der letzten Fassung des Varesco-Librettos kein a parte-Sprechen mehr in der Arie der Ilia vorhanden, was wiederum einen Beleg für den oftmals recht starken Einfluss der Komponisten auf das Libretto darstellt, cf. hierzu weiter oben, Kap. 1. Zur besseren Abgrenzung werden die Regieanweisungen, die auch in Klammern dargestellt sind, hier recte wiedergegeben.

243

cassio (molto sottovoce) Jago, t’è nota la mia dimora... (le parole si perdono) otello (avvicinandosi un poco e cautamente per udir le parole) (Or gli racconta il modo, il luogo e l’ora...) cassio (sempre sottovoce) ...da mano ignota... (le parole si perdono ancora) otello (Le parole non odo... Lasso! e udir le vorrei! Dove son giunto!) cassio ...un vel trapunto... jago (come sopra) È strano! è strano! otello (D’avvicinarmi Jago mi fa cenno) (passa con cautela e si nasconde dietro le colonne) [...] jago (guardando rapidamente dalla parte d’Otello) (Otello spia) (a Cassio ad alta voce) L’hai teco? cassio (estrae dal giustacuore il fazzoletto di Desdemona) Guarda. jago (prendendo il fazzoletto) Qual meraviglia! (a parte) (Otello origlia. Ei s’avvicina con mosse accorte) (a Cassio scherzando) Bel cavaliere,

244

(mettendo le mani dietro la schiena perché Otello possa osservare il fazzoletto) nel vostro ostell perdono gli angeli l’aureola e il vel. otello (avvicinandosi assai al fazzoletto, dietro le spalle di Jago e nascosta dalla prima colonna) (È quello! è quello! Ruina e morte!) (Q10 Boito, Otello III 5).

Der komplizierte Aufbau von Jagos Intrige wird dem Zuschauer/Zuhörer auf sprachlicher Ebene geschickt durch die a parte-Kommentare verdeutlicht, wobei diese hier in der 3. Person dargebracht werden. Auch in diesem Fall kann jedoch nicht von einer Subjektabschwächung im engeren Sinne gesprochen werden, da die a parte sprechende Figur sich selbst syntaktisch durchaus in Form von Pronomen oder Verben in der 1. Person mit in die Handlung einbezieht (Dio frena l’ansia che in core mi sta!; D’avvicinarmi Jago mi fa cenno). Boito nutzt die a parte-Technik auch in Szenen, in denen mehrere Figuren gleichzeitig auf der Bühne stehen, die in unterschiedlichen Konstellationen miteinander an den anderen Anwesenden vorbei kommunizieren: otello (che avrà sempre fissato la porta) (Eccolo! è lui!) (appare Cassio) otello (a Jago) Nell’animo lo scruta. (ad alta voce a tutti) Messeri! Il doge... (a parte a Desdemona) Ben tu fingi il pianto. (ad alta voce a tutti) ...mi richiama a Venezia... roderigo (fra sè) (Infida sorte!) otello ...e in Cipro elegge mio successor colui che stava accanto al mio vessillo, Cassio. jago (fra sè, fieramente e sorpreso) (Inferno e morte!) (ib., III 8).

245

An diesen Stellen verbindet Boito persönliche Kommentare aus dem Bereich der exklamativen Wendungen (Infida sorte!; Inferno e morte!) mit abgewandt von den übrigen Figuren zu einer Person gesprochenen Sätzen (Ben tu fingi il pianto) und verschränkt die Dialoghandlung dadurch sehr subtil auf mehreren Ebenen. Für den Leser des Librettos dienen hier die Regieanweisungen als Anleitung durch den verwobenen Text, der Zuschauer in der Oper kann dafür vieles durch die Gestik und Mimik der Sänger erschließen. Das a parte-Sprechen kann somit als beliebtes Mittel der opera seria gelten, das sich vorrangig in den Libretti des 19. Jahrhunderts und thematisch besonders in solchen mit Intrigenhandlungen findet. Die frühen Libretti des 17. Jahrhunderts weisen solcherlei Szenen nicht auf, hier finden sich eher Anrufungen und exklamative Wendungen des Typs 2. Eine Subjektabschwächung im eigentlichen Sinne findet jedoch bei dieser dramatischen Prozedur ebenfalls nicht statt. In den Libretti des 18. Jahrhunderts, besonders bei Metastasio, tritt vor allem Typ 4a auf, der Selbstdialog in der 1. Person Singular, in dem die handelnden Figuren sich quasi selbst befragen, wie sie handeln sollen oder beklagen, wie das Schicksal mit ihnen umgeht: licida Se fosse a tempo Megacle giunto a tai contese esperto, pugnato avria per me. Ma s’ ei non viene, che far degg’ io? (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 1) semiramide Sarà dunque Scitalce sposo a Tamiri e tollerar lo deggio? Lo sia. Qual cura io prendo d’ un traditor? Potessi almen spiegarmi, dirgli ingrato, infedel; ma in gran periglio pongo me stessa; ah che farò? Vorrei e parlare e tacer. Dubbiosa intanto e non parlo e non taccio, di sdegno avvampo e di timore agghiaccio (E4 Metastasio, Semiramide riconosciuta, I 13).

Diese Technik findet sich auch in Arien, in denen die Figuren alleine auf der Bühne stehen: megacle Che intesi eterni dei! Quale improvviso fulmine mi colpì! L’ anima mia dunque fia d’altri! E ho da condurla io stesso in braccio al mio rival! Ma quel rivale è il caro amico. Ah quali nomi unisce per mio strazio la sorte! Eh che non sono

246

rigide a questo segno le leggi d’ amistà. Perdoni il prence, ancor io sono amante. Il domandarmi ch’ io gli ceda Aristea non è diverso dal chiedermi la vita. E questa vita di Licida non è? Non fu suo dono? Non respiro per lui? Megacle ingrato e dubitar potresti? Ah se ti vede con questa in volto infame macchia e rea ha ragion d’ abborrirti anche Aristea. No, tal non mi vedrà. Voi soli ascolto obblighi d’ amistà, pegni di fede, gratitudine, onore. Altro non temo che il volto del mio ben. Questo s’ eviti formidabile incontro. In faccia a lei, misero che farei! Palpito e sudo solo in pensarlo e parmi istupidir, gelarmi, confondermi, tremar... No, non potrei.. (ib. I 9).

Verschiedene Typen können sich zudem überschneiden oder vermischen, etwa die Selbstreflexion mit Anrufungen und Interjektionen, wie der folgende Ausschnitt zeigt, der zudem zahlreiche Futur- und Imperativformen enthält: cleopatra (sola) Che sento? Oh dio! Morrà Cleopatra ancora. Anima vil, che parli mai? Deh taci! Avrò, per vendicarmi, in bellicosa parte, di Bellona in sembianza un cor di Marte. Intanto, oh Numi, voi che il ciel reggete, difendete il mio bene! Ch’egli è del seno mio conforto e speme. Se pietà di me non senti, giusto ciel, io morirò. Tu da pace a’ miei tormenti, o quest’alma spirerò. (E3 Haym, Giulio Cesare II 8).

In all diesen Beispielen kann man jedoch von einem Dialog im eigentlichen Sinne nicht sprechen, auch findet hier keinerlei Subjektabschwächung statt, so dass dieser Typ ebenfalls aus der vorliegenden Analyse ausscheiden muss. Interessant erscheinen nun die Belege für Typ 4b, den «echten» Selbstdialog, bei dem die Figur über sich selbst in der 2. oder 3. Person urteilt. Im ersten Fall spricht sie sich dabei direkt an, etwa über Imperative oder Selbstzurufe (Typ Isabella coraggio! oder Ciro infelice! ove t’aggiri, e dove / cerca in vano il tuo cor gli amati oggetti!, sofern die erwähnte Person selbst diese Äußerungen vorbringt, cf. Rossi 2005a, 223s.), im zweiten spricht sie über sich wie von einer fremden

247

Person (Typ Tutto comprende / La tua Pamira, o padre, cf. ib., 224, es spricht Pamira).150 In beiden Fällen liegt eine eindeutige Subjektabschwächung vor, da sich das sprechende Subjekt grammatikalisch von sich selber löst und somit eine sprachlich wie gedanklich abstraktere Ebene betritt. Auch diese Strategie wirkt äußerst konstruiert und ist ein weiteres Charakteristikum des Antirealismus in der Librettosprache. In den Libretti der Korpora Q und E finden sich für den Selbstdialog in der 3. Person zwei unterschiedliche Mikrotypen. Zum einen ist dies ein direktes «Über-sich-selbst-Sprechen» in der dritten Person gegenüber einem anwesenden Dialogpartner,151 das in verschiedenen thematischen Zusammenhängen auftreten kann, so etwa in einer Liebeserklärung (Beispiele 1 und 2), einer um Mitleid heischenden Anrede (Beispiele 3 und 4), einem verzweifelten Ausruf (Beispiel 5), einer Drohung (Beispiel 6) oder einer Beschwörung (Beispiel 7). Im hier analysierten Korpus tritt diese Variante besonders häufig bei Metastasio auf; sie findet sich auch in den Libretti des 19., nicht jedoch in denen des 17. Jahrhunderts: 1. semiramide [...] Io ti dirò che in seno vive del finto Nino Semiramide tua, che per salvarti ti resi prigionier, ch’ io fui l’ istessa sempre per te, che ancor l’ istessa io sono. (E4 Metastasio, Semiramide riconosciuta II 12) 2. megacle Megacle è teco (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 2) 3. megacle Megacle ingrato e dubitar potresti? (ib. I 9) 4. aristea [...] Udisti alfine / la povera Aristea (ib. 1 10) 5. elettra Oh smania! oh furie! oh disperata Elettra!... (Q6 Varesco, Idomeneo III 10)152

150

151 152

Im letzten Zitat kann von Selbstdialog allerdings keine Rede sein, denn Pamira spricht, wie die Anrufung o padre verdeutlicht, direkt ihren Vater an, auch wenn sie über sich selbst in der 3. Person redet. Rossi ordnet hier also mehrere unterschiedliche Strategien in eine Kategorie ein. Hier wäre das eben zitierte Pamira-Beispiel von Rossi einzuordnen. Durch die Verbindung mit zwei weiteren Anrufungen (Unheil, Furien) wird hier der

248

6. assur (con fierezza, marcato) Pensa almen, Regina, in pria Chi mi spinse al tradimento, Che d’Assur potria un accento Involarti soglio e onor. (Q7 Rossi, Semiramide II 3)153 7. ernani Mercè, diletti amici; o tanto amor, mercè... Udite or tutti del mio cor gli affanni; e se voi negherete il vostro aiuto, forse per sempre Ernani fia perduto... [...] ernani (fra sé) (O tu che l’alma adora, vien, la mia vita infiora; per noi d’ogni altro bene il loco amor terrà. Purché sul tuo bel viso vegga brillare il riso, gli stenti suoi, le pene Ernani scorderà.) (Q9 Piave, Ernani I 2).

Der zweite Mikrotyp tritt ebenfalls in der 3. Person auf, doch spricht die handelnde Person hier nicht nur über, sondern auch zu sich selbst, obwohl weitere Figuren auf der Bühne präsent sind. Im folgenden Beispiel 8 sind sowohl die erste als auch die zweite Variante vertreten, außerdem ein Selbstdialog in der 1. Person. Zudem wird hier das Stilmittel der Periphrase (al vegliardo in der Folge von l’antico Silva) eingesetzt, um den Altersunterschied Silvas zu seinen beiden jüngeren Rivalen zu verdeutlichen: 8. silva Che mai vegg’io! Nel penetral più sacro di mia magione, presso a lei che sposa esser dovrà d’un Silva, due seduttori io scorgo? Entrate, olà, miei fidi cavalieri. (Entrano cavalieri e famigli, Giovanna ed Ancelle.) Sia ognun testimon del disonore, dell’onta che si reca al suo signore. (fra sé)

153

Eindruck einer Klimax geschaffen, in der die eigene Person (Elettra) den Höhepunkt darstellt. Hier wechselt die Perspektive innerhalb des Monologs, indem Assur erst in der ersten, dann in der dritten Person über sich selbst spricht.

249

(Infelice!... e tuo credevi sì bel giglio immacolato!... Del tuo crine fra le nevi piomba invece il disonor. Ah! perché l’etade in seno giovin core m’ha serbato! Mi dovevan gli anni almeno far di gelo ancora il cor.) (a Carlo ed Ernani) L’offeso onor, signori, inulto non andrà. Scudieri, l’azza a me, la spada mia... L’antico Silva vuol vendetta, e tosto... Infin che un brando vindice resta al vegliardo ancora; saprà l’infamia tergere o vinto al suol cadrà! Me fa tremante il subito sdegno che mi divora... cercando il sen del perfido la man non tremerà (ib. I 9).

Auch in Rezitativ-Monologen tritt dieser Typus häufig auf, zumeist um den Seelenzustand der entsprechenden Figur zu beschreiben. Dabei ist die Subjektabschwächung besonders gut nachzuvollziehen, da das reflektierende Ich aus grammatischer Sicht bewusst sich selbst zurücknimmt und quasi «von oben», aus der Distanz, über sich urteilt:154 ilia Quando avran fine omai l’aspre sventure mie? Ilia infelice! [...] oh Ilia! oh genitor! oh prence! oh sorte! oh vita sventurata! oh dolce morte! (Q6 Varesco, Idomeneo I 1).

Bei der zweiten Variante des Selbstdialogs spricht sich die handelnde Person selbst in der 2. Person an, ohne dass ein direktes Gegenüber vorhanden sein muss. Diese Beispiele sind eher selten und im vorliegenden Korpus nicht belegbar, Rossi nennt jedoch einige Stellen aus Rossini-Opern, etwa aus Matilde di Shabran (Li-

154

Speziell diese Variante erinnert an das kindliche Sprechen in der ersten Sprachlernphase, in der Kinder sich selbst noch nicht mit dem Personalpronomen «ich» bezeichnen, sondern ihren eigenen Namen einsetzen. In einer ernsten Oper muss dieses Stilmittel allerdings konstruiert wirken. Andererseits ist auch vorstellbar, dass Librettisten es bewusst einsetzen, um dem Zuschauer/Zuhörer – gerade zu Beginn einer Szene bzw. der gesamten Oper, wie im folgend dargestellten Fall – auf die wirksamste Weise mitzuteilen, welche Person gerade die Bühne betreten hat.

250

brettist: Jacopo Ferretti, Uraufführung: 1821, don isidoro: Don Isidoro, allegro, / Preparati a scialar) und aus L’Italiana in Algeri (Librettist: Angelo Anelli, Uraufführung: 1813, taddeo: Ah Taddeo! quant’era meglio / Che tu andassi in fondo al mar; cf. Rossi 2005a, 223s.). Beide Opern sind allerdings der Gattung des (melo)dramma giocoso zuzurechnen, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass dieser dritte Typus sich weniger in der opera seria findet.155 Die anfängliche vier- bzw. fünfteilige Untergliederung der Subjekt abschwächenden Mittel kann demnach an dieser Stelle auf die beiden Strategien des Selbstdialogs in der 2. und in der 3. Person reduziert werden. In den beiden hier analysierten Korpora ist besonders das «Über-sich-selbst-Sprechen» in der dritten Person häufig anzutreffen, das sich an einen präsenten Dialogpartner richten kann, jedoch auch ohne direkten Empfänger als eher rhetorisches Sprechen möglich ist. Bei der letzteren Variante können weitere Personen auf der Bühne sein, an denen die Figur «vorbei spricht», oder – etwa in einer Arie – das Subjekt steht alleine auf der Bühne. Diese Art des Selbstdialogs tritt, zumindest bezogen auf die Korpora Q und E, ausschließlich in den Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts auf. Ein Grund für diese epochenspezifische Differenz kann darin liegen, dass in den zumeist auf antiken Tragödienstoffen beruhenden Libretti des 17. Jahrhunderts der Chor die Rolle des Kommentargebers übernimmt und eine evaluierende Selbstreflexion der Figuren somit redundant wird. In Striggios Orfeo etwa wird die Situation zumeist von in Gruppen auftretenden Figuren wie den Hirten, Nymphen oder Geistern bewertet. Auch Einzelfiguren wie etwa die Allegorien der Musik und der Hoffnung treten als Vermittler zwischen Publikum und Handlung auf, wodurch die Hauptfiguren sprachlich weniger reflektieren als agieren. Dasselbe Phänomen findet sich in der ersten Oper der Musikgeschichte, Rinuccinis Dafne (E1; Chor der Nymphen und Hirten), sowie in einem der beiden venezianischen Libretti, Minatos Xerse (E2; Chor der Musen). In Aurelis L’Orfeo (Q2) findet sich kein Chor, was zum einen daran liegen mag, dass Aurelis Version des Orpheus-Mythos thematisch weniger antiken als vielmehr zeitgenössischen Vorlieben folgt (Intrigen und Eifersucht an Stelle edler Gefühle) und dass zum anderen bei ihm oftmals der weise Zentaur Chiron die Rolle des Kommentierenden übernimmt und zahlreiche Maximen von sich gibt (cf. etwa ib. I 9: Chi ama non gode / Un’ora di pace. / L’augello che rode / Prometeo nel core / Non è quanto Amore / Spietato e vorace).

155

Diese Erklärung ist auch insofern vorstellbar, als das Ansprechen des eigenen Ich in der 2. Person stets eher komisch als dramatisch wirken muss und daher in einer ernsten Oper nicht nur konstruiert und antirealistisch wirken, sondern auch zum Lachen anregen würde, was in dieser Gattung nicht intendiert ist.

251

4.2.1.4. Fazit Die Subjektabschwächung durch den Selbstdialog stellt also zwar ein für das Librettoidiom typisches Kennzeichen dar, dies jedoch erst ab dem 18. Jahrhundert, vielleicht sogar erst in der Nachfolge Metastasios. Die in der bisherigen Forschung recht undifferenziert nebeneinander aufgeführten Subjekt abschwächenden Strategien im Bereich der Apostrophe (Selbstdialog, a parte-Sprechen, Anrufungen) müssen auf den Selbstdialog in der 2. oder 3. Person reduziert werden. Die beiden anderen Strategien zur Abschwächung des Subjekts, die Verwendung von unpersönlichen und Passivformen sowie des Futurs und des passato remoto, haben sich als gebräuchlich in allen hier untersuchten Libretti gezeigt und tragen somit nicht zur chronologischen Binnendifferenzierung bei. Dennoch ist die Subjektabschwächung insgesamt als sehr aktiv genutztes Mittel der Librettisten anzusehen, um den Texten den (gewollten) Anstrich des Antirealistischen, stark von der Alltagssprache Abweichenden zu verleihen.156 Dabei kann man präzisieren, dass hier eine Entfernung nicht nur von der gesprochenen italienischen Standardsprache stattfindet, sondern dass die Libretti zum größten Teil sogar noch die Konstruiertheit geschriebener Literatursprache übertreffen, allein schon deshalb, weil sie auf der Bühne gesungen werden und dadurch auf sprachlicher Ebene besonders unnatürlich wirken müssen. Gerade das aber scheint trotz aller Künstlichkeit seit nunmehr vier Jahrhunderten ihren Reiz auszumachen. 4.2.2. Imperative Bereits weiter oben wurden die zahlreichen, recht auffälligen Imperativformen in den Opernlibretti erwähnt,157 die oftmals eine Symbiose mit weiteren spezifischen sprachlichen Phänomenen und Strukturen eingehen, so etwa mit Interjektionen (z. B. Q1: Vieni, Imeneo, deh vieni! oder Q8: Amor! Deh! Taci!), Wiederholungen (z. B. Q4: vanne, spietato, vanne!, Q5: Vieni, vieni al mio seno! oder Q8: Vieni, vieni!)158 oder Parallelismen (z. B. Q6: Corriamo, fuggiamo! oder E3: vanne, pensa, e poi torna).159 Ein diese Stilmittel kombinierendes und häufig mit Imperativen zusammenhängendes Phänomen ist zudem die Umstellung von Morphemen, Wörtern oder Syntagmen, die in drei Varianten erfolgen kann: als Tmesis, als Hyperbaton oder als Inversion.160 Dabei tritt besonders oft die Inversion auf,

156

157 158 159 160

Literaturwissenschaftlich gesprochen ist hier der Aspekt der Fallhöhe zu beachten: Je konstruierter und stilisierter eine Figur auch sprachlich dargestellt wird, desto drastischer wirkt ihr späterer Untergang. Dieser Ansatz ist zumindest in der ernsten Sparte der Oper durchaus vertretbar. Cf. weiter oben, Kap. 4.1.2., dort vor allem bei Typ 7 der exklamativen Wendungen. Cf. hierzu auch Rossi 2005a, 166–172. Zu den Parallelismen cf. weiter unten, Kap. 4.2.4. An dieser Stelle folge ich den Definitionen nach Bußmann (42008, s.v.), nach denen bei der Tmesis ein Wort durch Einfügung eines anderen geteilt wird, beim Hyperbaton eine syntaktische Einheit und bei der Inversion ein ganzer Satz. Leicht abweichende Defini-

252

indem der oder das durch den Imperativ Angesprochene explizit genannt und in den Satzzusammenhang eingeschoben wird, was vor allem bei Abstrakta häufig zu beobachten ist (z. B. E3: Vola, mio cor, al dolce incanto). So sind die Imperative in den Libretti oftmals nicht als direkte Sprechakte anzusehen, die eine konkrete Handlung eines präsenten Dialogpartners zum Ziel haben, sondern sie stellen vielmehr Anrufungen um Schutz oder Gnade an Herrscher, Götter oder Naturelemente dar (z. B. Q8: Deh! Proteggimi, o Dio! Gran Dio, abbi pietà!, Q10: Divina grazia difendimi!, E3: T’arresta, o genitrice! a me, oh tiranno! oder E6: Ciel dammi coraggio!). 4.2.2.1. Quantifizierung der Imperativformen Die genannten, die Bereiche von Syntax und Pragmatik berührenden Spezialfälle sind in Libretti aller drei Jahrhunderte nachweisbar und können somit als mikrosyntaktische Kennzeichen der gesamten Librettistik, wenn nicht sogar der gesamten Dramatik oder lingua poetica angesehen werden. Quantifiziert man jedoch die diversen Imperativformen in den Korpuslibretti des 17. bis 19. Jahrhunderts, so lässt sich eine leichte chronologische Tendenz feststellen: [Tabelle 4.2.2.(1): Imperativformen in Korpus Q] Nr.

tokens (absolut)

relativer Anteil an Gesamtzahl Verben (tokens in %)

relativer Anteil am Gesamtwortschatz (tokens in %)

Q1

30

5,0

0,8

Q2

102

5,9

1,2

Q3

21

1,3

0,3

Q4

92

5,9

1,1

Q5

129

6,6

1,4

Q6

31

4,0

0,7

Q7

61

6,5

1,2

Q8

108

10,4

2,3

Q9

82

9,1

1,9

Q10

93

7,7

1,5

In eine Rangfolge gebracht und nach dem Anteil an der Gesamtzahl der Verben sowie am Gesamtwortschatz differenziert, lässt sich diese Tendenz noch besser erkennen:

tionen finden sich etwa bei Rossi (2005a, 208 n. 33; er setzt Hyperbaton und Inversion gleich) und Schulze-Witzenrath (22003, 77; sie trennt Tmesis nicht von Hyperbaton). Cf. hierzu ausführlich den folgenden Abschnitt, Kap. 4.2.3.

253

[Tabelle 4.2.2.(2): Rangfolge Imperativformen in Korpus Q (relativer Anteil an Gesamtzahl Verben)] Rang

Nr.

relativer Anteil an Gesamtzahl Verben (tokens in %)

tokens (absolut)

1

Q8

10,4

108

2

Q9

9,1

82

3

Q10

7,7

93

4

Q5

6,6

129

5

Q7

6,5

61

6

Q2

5,9

102

6

Q4

5,9

92

8

Q1

5,0

30

9

Q6

4,0

31

10

Q3

1,3

21

[Tabelle 4.2.2.(3): Rangfolge Imperativformen in Korpus Q (relativer Anteil am Gesamtwortschatz)] Rang

Nr.

relativer Anteil am Gesamtwortschatz (tokens in %)

tokens (absolut)

1

Q8

2,3

108

2

Q9

1,9

82

3

Q10

1,5

93

4

Q5

1,4

129

5

Q7

1,2

61

6

Q2

1,2

102

6

Q4

1,1

92

8

Q1

0,8

30

9

Q6

0,7

31

10

Q3

0,3

21

Erstaunlich ist zunächst die Tatsache, dass die Rangfolge der Imperativformen für die Verbanzahl und den Gesamtwortschatz exakt dieselbe ist, das Verhältnis der Verben zum Gesamtwortschatz scheint somit im Korpus Q relativ gleich bleibend zu sein. Statistisch kann man zwar nicht von einer klaren chronologischen Entwicklung sprechen, wohl aber von einer Tendenz, die dahin geht, dass die Imperativformen im Laufe der Zeit zunehmen. Dies lassen vor allem die relativen Angaben erkennen, wobei der höchste Wert nicht beim jüngsten Libretto (Q10) 254

liegt, sondern bei Q8 (Romanis Norma von 1831). Wie bereits mehrfach in den quantitativen Analysen belegt, fällt das französische Libretto wiederum aus den Wertangaben heraus, indem es deutlich weniger Imperative enthält als die italienischen Texte, was belegt, dass man derartige Studien stets nur innerhalb einer Sprache durchführen sollte.161 Die drei Libretti des 19. Jahrhunderts stehen, wenn auch in chronologisch umgekehrter Reihenfolge, an der Spitze der beiden Rangfolgen, was die steigende Relevanz der Imperative unterstreicht. In Romanis Norma (Q8) werden immerhin über 10 % aller Verbformen durch Imperative ausgemacht. Ein Blick in dieses Libretto offenbart zudem, dass der Imperativ hier – in stärkerer Konzentration als in den anderen Libretti der Korpora Q und E – bewusst als sprachliches Stilmittel zur Spannungsförderung eingesetzt wird. So besteht etwa die Kavatine von Flavio und Pollione vor dem Erscheinen Normas in der zweiten Szene des ersten Aktes aus einer ganzen Reihung von Imperativen, die dem Zuhörer auffallen müssen, selbst wenn er das Libretto während des Anhörens oder der Aufführung der Oper nicht in Händen hält: flavio Odi? I suoi riti a compiere Norma, Norma dal tempio move. druidi (lontani) Sorta è la Luna, o Druidi. Ite, profani, altrove, Ite altrove, ite altrove! flavio Vieni! pollione Mi lascia. flavio Ah, m’ascolta! pollione Barbari! flavio Fuggiam! pollione Io vi proverrò!

161

Cf. hierzu auch die Überlegungen in Kap. 3.1.1., nach denen die bei den mit den Methoden der Quantitativen Linguistik durchgeführten Analysen stark abweichenden Ergebnisse des französischen Librettos vermutlich auch mit sprachstrukturell bedingten, vom Italienischen abweichenden Wortbildungstechniken begründet werden können.

255

flavio Vieni! Fuggiam! Scoprire alcun ti può. pollione Traman congiure i barbari, Ma io li preverrò! flavio Ah! Vieni, fuggiam! Sorprendere alcun ti può. druidi (lontani) Ite, profani, altrove. [...] (Q8 Romani, Norma, I 2).

Die Musik verstärkt in dieser Szene den Eindruck der auf sprachlicher Ebene durch die Imperative erzeugten Spannung, indem die beiden Protagonisten, Flavio und Pollione, ihren Dialog vor der leicht düster wirkenden Hintergrundfolie des Druidenchores (Ite, profani, altrove / Ite altrove, ite altrove!)162 darbringen. Ähnlich wirken der schnelle Sprecherwechsel und die rhythmischen Orchestereinsätze auf den Hörer, der diese operntypische enge Verflechtung aus Sprache und Musik (und der regieabhängigen zusätzlichen Theatralik) als komplexe Stimmung empfängt. Auch aus prosodischer Sicht wird der Imperativ hier als stilistisches Mittel eingesetzt: Die kurzen, auf der Ebene der Graphie durch Ausrufezeichen markierten, asyndetischen Sätze werden scharf akzentuiert und durch Interjektionen zusätzlich unterstrichen. An Hand dieser Einzelszene lässt sich gut nachvollziehen, wie subtil das für die Oper so charakteristische Amalgam aus Text, Musik und Bühnenhandlung ausfallen kann, deren Einzelelemente nur schwer isolierbar sind. Der Imperativ stellt sich hier als kleines Rädchen in einer komplexen Maschinerie dar, das der Librettist liefert, in Ergänzung zu der vom Komponisten beigesteuerten musikalischen Ausgestaltung sowie der vom Regisseur bestimmten Dramatik. 4.2.2.2. Der imperativo tragico Aus linguistischer Sicht besonders untersuchenswert ist ein Sonderfall des Imperativs, der nicht ohne Absicht auch als imperativo tragico bezeichnet wird. Stefano Telve erwähnt ihn am Rande einer mehr semantisch geprägten Analyse (cf. Telve

162

Zu der ungewöhnlichen Imperativform ite (anstelle von andate, zum alten latinisierenden Infinitiv ire) cf. auch Spalletta 2006, 446. Sie führt die Form unter der Kategorie verbi rari auf und zählt sie als einen von vielen Belegen für ihre These auf, dass das Italienische der Oper nicht nur artifiziell, sondern sogar exotisch sei. Cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 4.1.1. und 4.1.2.

256

1998, 355–357). Er versucht an Hand von semantischen Paaren163 wie mirare und guardare – die beide vorrangig in Form von Imperativen auftreten – zu ermitteln, welche Beweggründe die jeweiligen Librettisten dazu bringen, das eine oder andere Wort zu verwenden. So präferiert etwa Cammarano nach einer Auszählung von Telve eindeutig die Form mira!, während Boito zu guarda! tendiert (cf. ib., 356).164 Ein Blick in die Libretti aus Korpus Q ergibt ein ähnlich inhomogenes Bild, das nicht aus chronologischer Sicht zu deuten ist:165 Q1: 3 mira, 0 guarda, Q2: 5 mira, 0 guarda, Q4: 1 mira, 2 guarda, Q5: 0 mira, 3 guarda, Q6: 0 mira, 0 guarda, Q7: 0 mira, 1 guarda, Q8: 4 mira, 0 guarda, Q9: 0 mira, 0 guarda, Q10: 0 mira, 4 guarda. Als Begründung kommen Sachverhalte auf mehreren Ebenen in Frage: Zum einen besteht ein geringer semantischer Unterschied zwischen den beiden Begriffen, indem guardare je nach Kontext auch im Sinne von ‘proteggere’ gebraucht werden kann (beispielsweise kann das Auge einer Gottheit auf einer Person ruhen und gleichzeitig beschützend wirken), während mirare ausschließlich die Bedeutung des Schauens inne hat (cf. ib., 355). Daneben ist auch eine stilistische Nuance auszumachen: Mirare gehört eher dem gehobenen Wortschatz der lingua poetica an, guardare eher dem Alltagswortschatz. Als dritte Möglichkeit kommen Gründe der Euphonie in Frage, so schließen sich reduplizierende Formen wie mi mira aus rein klanglicher Sicht eher aus, der Librettist wählt in einem solchen Fall vermutlich eher guardami oder mi guarda. An dieser Stelle trifft Telve auf den imperativo tragico als Sonderfall des Imperativs,166 dem in der Forschung bereits vereinzelt Beachtung geschenkt wurde: In seiner Introduzione alla lingua poetica italiana behandelt etwa Serianni diese spezifisch literarische Form des Imperativs unter der Rubrik Morfologia e microsintassi (cf. Serianni 2001, 160s.). Der Begriff stammt ursprünglich von

163

164 165

166

Cf. zu diesem Phänomen, das für die Sprache der Dichtung charakteristisch ist, da diese nicht die Ökonomie der Normsprache einhalten muss, auch bereits weiter oben, Kap. 4.1.1. Telve kommt in einer späteren Arbeit speziell zu den Libretti Boitos auf dieses Phänomen zurück, cf. Telve 2004, 103. Mit einbezogen werden auch Pluralformen (Typ guardate!) und Imperative mit proklitischem oder enklitischem unbetonten Pronomen (Typ guardami! oder mi guarda!), cf. zu letzteren weiter unten in diesem Abschnitt. Telve selbst benennt das Phänomen jedoch nicht. Auch wenn er den weiter unten in diesem Abschnitt behandelten Aufsatz von Patota (1984) anführt, begründet er die unterschiedliche Stellung des unbetonten Pronomens mit der Euphonie (cf. ib., 356 n. 79). Interessant ist sein Hinweis auf die Tatsache, dass bestimmte Verben eher mit enklitischem (etwa dire in dimmi, ditegli etc.) und andere eher mit proklitischem Pronomen (etwa affrettare in t’affretta, l’affretta etc.) auftreten, was sich in Korpus Q zumindest teilweise nachvollziehen lässt (cf. hierzu Tabelle 4.2.2.(4) mit den dazugehörigen Belegnennungen in den Fußnoten weiter unten in diesem Abschnitt). Auch Rossi benennt – am Rande des Kapitels Altri fenomeni morfosintattici – dieses Phänomen, behandelt es jedoch nicht ausführlich (cf. Rossi 2005a, 226, bes. n. 53).

257

Fredi Chiappelli, der ihm 1953 einen kurzen Aufsatz in der Zeitschrift Lingua Nostra widmete (cf. Chiappelli 1953). Er hatte vor allem in der Literatur des späten 18. Jahrhunderts vermehrt eine von der Norm abweichende inverse Imperativform mit unbetontem Pronomen vorgefunden, bei der letzteres nicht, wie in der modernen Umgangssprache, enklitisch mit der Verbform verschmilzt (Typ dimmi, ditegli), sondern proklitisch davon abgetrennt wird (Typ mi di, gli dite). Ausführlich wieder aufgenommen wurde diese Studie in Giuseppe Patotas Ricerche sull’imperativo con pronome atono (cf. Patota 1984). Darin beschreibt Patota die besondere Form des «tragischen» Imperativs mit unbetontem Pronomen: Im modernen Italienischen findet eine Proklise des unbetonten Personalpronomens im Indikativ sowie im Konjunktiv statt, Enklise tritt ein bei infiniten Formen, beim Gerundium und beim Partizip Perfekt; außerdem beim Imperativ in der zweiten Person Singular und Plural stets bei affirmativen und meist bei negativen Sätzen, hier kann jedoch auch Proklise auftreten (cf. ib., 173).167 In der Poesie tritt der proklitische Typus jedoch auch bei affirmativen Sätzen unter Missachtung des ToblerMussafia-Gesetzes auf,168 und dies, wie Patota ergänzend zu Chiappelli feststellt, bereits seit dem Due- und Trecento, doch stets nur im Inneren eines Satzes; am Satzanfang findet sich ausnahmslos der enklitische Typus. Dieses Verhältnis ändert sich laut Patota jedoch mit Metastasio, in dessen sämtlichen Libretti erstmals die inversen Strukturen auch am Anfang eines Satzes auftreten (cf. ib., 225–229). Metastasio habe als einer der ersten diesen proklitischen Typus als Element der dramatischen Sprache angesehen und bewusst als Kunstform verwendet.169 Patota bezeichnet daher, in Eingrenzung der Theorie Chiappellis, nur die Imperative als «tragisch», die sich am totalen Satzanfang befinden; bereits ein Or t’arresta ist für ihn kein echter tragischer Imperativ mehr, sondern lediglich ein einfacher proklitischer Imperativ (cf. ib., 228s. n. 98). Dabei ist der Zusatz «tragisch» in der Tat sinnvoll, denn diese spezielle Form findet sich hauptsächlich in der ernsten Dramatik des 18. Jahrhunderts, etwa bei Alfieri, und vor allem des 19. Jahrhunderts, etwa bei Manzoni und eben – in großer Anzahl – bei den Librettisten Verdis: «Tutto fa pensare che l’imperativo ‹tragico› diventi una soluzione stilistica di moda, adottata, così nella poesia come nel teatro, dai grandi protagonisti della stagione lirica

167

168

169

Christoph Schwarze benennt ausschließlich die Imperative der nicht verneinten zweiten Person Singular und Plural als morphologisch «echte» Imperative, alle anderen Imperativformen sind nach ihm morphologisch suppletiv (cf. Schwarze 21995, 342). Eine kurze Zusammenfassung dieser Regel findet sich u. a. bei Patota 1984, 174 n. 3. Mussafia hatte einige Beobachtungen Adolf Toblers bezüglich der Enklise unbetonter Pronomen im Altfranzösischen auf das Italienische übertragen und diese für die frühen Sprachstufen als bestätigt gesehen. Dieses Vorgehen findet sich in der Voransetzung des possessiv verwendeten Adjektivs vor das Substantiv wieder: In den vokativen Formen mio padre! oder mia figlia!, die sich in der Poesie derselben Zeit aus padre mio!, figlia mia! etc. entwickeln, spiegelt sich eben diese inverse Struktur, cf. ib. und Serianni 1982. Cf. außerdem Rossi 2005a, 227.

258

di prima Ottocento non meno che dai lirici del cosiddetto romanticismo minore. Si pensi all’uso e all’abuso che dell’imperativo ‹tragico› fa il melodramma ottocentesco, fino a renderlo una formula vieta e stereotipa. I librettisti di Verdi – tutti, nessuno escluso – adottano la struttura invertita all’inizio di frase con altissima frequenza» (ib., 240s.).

Hier ist wiederum die bereits mehrfach erwähnte Stereotypie der Librettosprache seit Metastasio angesprochen,170 die sich demnach bis auf die Ebene kleiner morphosyntaktischer Einheiten erstreckt. Dabei versuchen die Librettisten des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts bewusst, die Sprache als eine Kunstform zu konstruieren, die sich weitab von allen bestehenden sprachlichen Normen und vom Alltagsgebrauch bewegt, aber dennoch von allen Bevölkerungsschichten verstanden wird.171 Die «Mode» der inversen proklitischen Imperativformen beginnt jedoch, folgt man Patota, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abzuebben. Im Folgenden soll an Hand des für quantitative Analysen aufbereiteten Korpus Q, dessen Annotierung auch die Imperativformen als Untergruppe der Verbformen umfasst, überprüft werden, ob die von Patota formulierte chronologische Entwicklung auch hier nachweisbar ist. Für den Test wurden die Belege zu insgesamt 4 Typen des Imperativs mit unbetontem Pronomen ermittelt: Typ Typ Typ Typ

1: enklitisch Satzanfang (Dimmi) 2: enklitisch Satzinneres (dimmi) 3: proklitisch Satzanfang (Mi di) = imperativo tragico i. e. S. (nach Patota) 4: proklitisch Satzinneres (mi di).

Die Tabelle 4.2.2.(4) lässt sich durchaus als Beleg für die These Patotas anführen: Die frühen Libretti weisen nahezu keine proklitischen Pronomen beim Imperativ auf, der dort ohnehin eine deutlich geringere Rolle spielt als bei den späteren Libretti (Libretti Q1 bis Q4 finden sich alle in der unteren Hälfte der Rangfolgen, cf. weiter oben, Tabellen 4.2.2.(2) und (3)). Bei Zeno (Q4) treten erstmals zählbare Belege (6) für den proklitischen Gebrauch im Satzinneren auf. Wie von Patota beschrieben, ist Metastasio auch im vorliegenden Korpus der erste, in dessen Libretti proklitische Imperativ-Pronomen-Kombinationen auch am Satzanfang zu finden sind. Zum bestätigenden Vergleich: In Metastasios Libretto Semiramide riconosciuta, das im Ergänzungskorpus enthalten ist (E4), lassen sich 12 Belege für proklitischen Gebrauch im Satzinneren und ebenfalls, wie in Q5, 3 Belege am Satzanfang (Mi perdoni!, M’uccidi, T’accheta) ermitteln. In Q6, dem in mancher Hinsicht sprachlich auffälligen Idomeneo-Libretto Varescos (cf. hierzu weiter oben und weiter unten in diesem Kapitel), sind nur zwei proklitische Konstruktionen enthalten, beide im Satzinneren. Wie die Tabellen zu Beginn des vorliegenden Abschnitts zeigen, ist der Imperativ jedoch insgesamt kein häufig angewandtes

170 171

Zur Stereotypie in Opernlibretti cf. auch Beghelli 2002. Zu den soziohistorischen Voraussetzungen für die Verbreitung der Oper im Italien des Ottocento cf. Amodeo 2007, 107–131.

259

[Tabelle 4.2.2.(4): Imperative mit unbetontem Pronomen in Korpus Q] Nr.

Gesamtzahl davon Imperative mit unbetontem Pronomen172

davon davon davon davon Typ 4 Typ 3 Typ 2 Typ 1 absolut/rel. absolut/rel. absolut/rel. absolut/rel.

Q1

30

8

3/37,5 %

4/50 %



1/12,5 %

Q2

102

38

21/55,3 %

17/44,7 %





Q3

21173











Q4

92

34

12/35,3 %

16/47,1 %



6/17,6 % 10/21,3 %175

Q5

129

47

10/21,3 %

24/51,1 %

3174/6,4 %

Q6

31

14

1/7,1 %

11/78,6 %



2/14,3 % 2/8,7 % 9/25,7 %

Q7

61

23

12/52,2 %

5/21,7 %

4176/17,4 %

Q8

108

35

6/17,1 %

12/34,3 %

8177/22,9 %

8/30,8 % 3/11,5 %

Q9

82

26

5/19,2 %

11/42,3 %

2178/7,7, %

Q10

93

26

8/30,8 %

6/23,1 %

9179/34,6 %

sprachliches Mittel in diesem Libretto (Rang 9), und nur insgesamt 14 ImperativBelege weisen überhaupt ein unbetontes Pronomen auf. Ab Q7 sind in allen Libretti Belege für alle vier Imperativ-Typen zu finden, dabei ist die Belegzahl für Typ 3, den proklitischen Pronomengebrauch am Satzanfang (also den «echten» imperativo tragico), besonders in Q8 (Romani) und Q10 (Boito) recht hoch. Q8 war bereits durch die insgesamt sehr starke Frequenz von Imperativen aufgefallen (Rang 1 in Korpus Q; 108 Imperativ-tokens, davon 35 mit unbetontem Pronomen; cf. auch die zitierte Szene I 2 zwischen Flavio und Pollione weiter oben). 172

172

173

174 175 176 177 178 179

173

174

175

176

177

178

179

In dieser Berechnung werden ausschließlich «echte» Imperative im Sinne Schwarzes (cf. weiter oben in diesem Abschnitt) aufgenommen, also Imperative der zweiten Personen in affirmativen Sätzen. Das französische Libretto wird hier bei den weiteren Werten ausgeklammert, da die im Altfranzösischen durchaus vorhandenen enklitischen Formen im 17. Jahrhundert nicht mehr auftreten. Die Formen im Einzelnen: T’accheta (2), T’affretta, o prence. Cf. speziell zu Metastasios Olimpiade Patota 1984, 227. Er zergliedert die Typen zudem in Unterkategorien. Die Prozentzahlen sind auf die erste Stelle hinter dem Komma gekürzt, weshalb die Gesamtsumme nicht in jedem Fall 100 ergibt. Erstmals ein Beleg mit nicht-apostrophiertem Pronomen: Ti calma, per pietà! (II 7), daneben T’affretta und T’arresta (2). Belege: M’abbraccia, Mi lascia (4), Mi proteggi, o giusto ciel!, T’allontana, Ti rammenta. Belege: Mi lascia, Mi lasciate. Belege: Mi guarda!, Mi lascia!, Mi segui, T’affretta (2), Ti frena!, Ti nascondi!, Ti scuoti (2).

260

4.2.2.3. Fazit Die vorliegende Detailanalyse belegt demnach einerseits die zunehmende Frequenz bestimmter bewusst eingesetzter mikrosyntaktischer Stilmittel, für die der Imperativ an dieser Stelle als exemplarisch anzusehen ist. Es sind dies vor allem solche Stilmittel, die der Librettosprache einen besonders plakativen, emotionalen Anstrich verleihen. Die bereits bei Striggio (Q1) feststellbaren, ebenfalls recht zahlreichen rhetorischen Mittel (etwa die Metapher, cf. hierzu auch weiter unten, Kap. 4.2.4.) sind von gänzlich anderer Qualität und zeugen von der Bemühung der Librettisten der ersten Stunde, die Poetizität und Innerlichkeit der zeitgenössischen Poesie auch auf die neu entstandene Gattung des Opernlibrettos zu übertragen. Die Relevanz der Sprache gegenüber der (noch) sekundären Musik ist dort überall zu spüren (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.) und führt dazu, dass sich zwischen Sprechtheater und Musiktheater noch keine größere Kluft auftut. Im 19. Jahrhundert sind die Vorzeichen umgekehrt, wozu, wie sich wiederholt gezeigt hat, bereits Metastasio und sein Umfeld im 18. Jahrhundert als Auslöser anzusehen sind: In diesen Libretti finden sich nun vielmehr solche sprachlichen Mittel, die zunehmend von der Alltags- wie auch von der «normalen» Literatursprache wegführen hin zu einer expressiven, aber auch stereotypen und artifiziellen Sprachvarietät, die ihren Sonderstatus gegenüber der allgemeinen lingua poetica immer wieder betont. Der Imperativ ist somit als ein weiteres Beispiel in einer Reihe von sprachlichen Mitteln anzusehen, die diese Plakativität und Expressivität hervorrufen und in ihrer Potenzierung verstärken. 4.2.3. Inversionen In seiner Betrachtung der Librettosprache des 18. und des 19. Jahrhunderts geht Vittorio Coletti von einem bereits öfter zitierten «momento di radicale cambiamento linguistico» (Coletti 2001, 21) zwischen diesen beiden Jahrhunderten aus. Der klare sprachliche Bruch spielt sich ihm zu Folge vorrangig auf den drei Ebenen der Syntax, der Lexik und der Morphologie ab, so sieht er einen Übergang von «sintassi mediamente lineare», «lessico non esibito» und «morfologia letteraria consolidata e tradizionale» des metastasianischen Modells zu «sintassi inversa e non di rado stravolta», «lessico raro» und «arcaismi fonomorfologici vistosi» (ib., 22) des romantischen Modells.180 Auf der Ebene der Syntax beobachtet er in den Libretti des 19. Jahrhunderts diverse oftmals als hyperliterarisch zu bezeichnende Konstruktionen, die stark von der Satzstellung des Standarditalienischen abweichen. Diese inversen Strukturen, die als gattungstypisch für die gesamte Sprache der Oper gelten, wären demnach ein Merkmal einzig des 19. Jahrhunderts und in dieser Form in den Libretti der beiden vorangegangenen Jahrhunderte noch nicht vorhanden. Dieser Vermutung will das vorliegende Kapitel nachgehen, denn hier besteht ein weiterer Ansatzpunkt zum Beleg der dieser Arbeit zu Grunde gelegten

180

Zu der Dichotomie dieser beiden Modelle cf. bereits weiter oben, Kap. 1.2.

261

These, dass die Charakterisierung der Librettosprache in toto lediglich auf den großen romantischen Opern des 19. Jahrhunderts beruht. 4.2.3.1. Tmesis, Hyperbaton, Inversion, Epiphrase Zunächst gilt es, die inverse Syntax genauer zu definieren. Ein Blick in die vorhandene Literatur zeigt, dass sich die Autoren bereits bei der Bennennung des Phänomens keineswegs einig sind. Der Begriff der Inversion erscheint zumeist als Oberbegriff,181 wird jedoch oftmals unreflektiert vermischt mit den Bezeichnungen Tmesis, Hyperbaton und weiteren Begriffen (cf. hierzu auch bereits weiter oben, Kap. 4.2.2.). Rossi etwa differenziert zwischen Hyperbaton (gleichgesetzt mit Inversion) und Tmesis, trennt in seinen Beispielen jedoch nicht zwischen den einzelnen Phänomenen (cf. Rossi 2005a, 208–210, bes. n. 33). Er führt zudem als weiteren Begriff die Epiphrase ein (cf. ib., 210s.), die er ebenfalls zu den inversen Satzmitteln zählt, auch wenn sie eher eine Erweiterung als eine Umstellung darstellt (cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt). Bonomi spricht in ihrer Untersuchung der Libretti, die Da Ponte für Mozart geschrieben hat, allgemein von «inversioni» (Bonomi 2000, 613–616, passim), wobei sie die Tmesis besonders heraushebt, jedoch nicht definiert.182 Telve wählt die Kapitelüberschrift «Ordine delle parole» (Telve 2004, 17 und 21), verwendet jedoch ebenfalls meistens «inversioni» und weist in einer Fußnote darauf hin, dass er mit diesem Begriff sowohl die Tmesis als auch «l’inversione vera e propria» (ib. 21 n. 21) umfasst, da beide Begriffe nicht immer klar trennbar seien. Schulze-Witzenrath führt unter dem Oberbegriff «Umstellung» die drei Phänomene Inversion, Hyperbaton und Chiasmus auf, jedoch nicht Tmesis und Epiphrase (cf. Schulze-Witzenrath 22003, 77). Ein Blick in das Lexikon der Sprachwissenschaft (cf. Bußmann 42008, s. v.), liefert differenzierende Definitionen: Danach wird bei der Tmesis ein Wort durch Einfügung eines anderen geteilt (Typ Und ob ich schon wanderte, Luther), beim Hyperbaton wird eine syntaktische Einheit umgestellt (Typ Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern, Trakl) und bei der Inversion ein ganzer Satz (Typ Den

181

182

Auch im vorliegenden Abschnitt wird der Begriff als Kapitelüberschrift verwendet, wobei mit «Inversionen» (der Plural wird bewusst verwendet, um die Diversität des Phänomens anzudeuten) zunächst nur syntaktische Umstellungen im Allgemeinen gemeint sind, eine Feindifferenzierung erfolgt im Laufe der weiteren Analyse. Interessant erscheint der Ansatz Bonomis, die inversen Strukturen der Passagen einzelner Figuren voneinander zu differenzieren. So ermittelt sie für die Sprache Donna Elviras in Da Pontes Don Giovanni eine geringere Inversionsdichte als für Donna Anna in demselben Libretto (cf. ib., 614s.), in Szene 13 des ersten Aktes sieht sie sogar eine Entwicklung innerhalb des Monologs von Donna Anna, der sich von einer komplexen und inversen Syntax zu einer direkteren und eher linearen Struktur wandelt. Diese eher literaturwissenschaftlich geprägten Feinanalysen erscheinen bemerkenswert, können in der vorliegenden linguistischen Studie jedoch nicht vertieft werden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Inversionen ein sehr komplexes und noch längst nicht hinreichend erforschtes Untersuchungsgebiet darstellen.

262

Vorfall hat niemand bemerkt).183 Die Epiphrase, die weder bei Bußmann noch im Metzler Lexikon Sprache erscheint, wird definiert als Anfügung eines Satzteils oder einer Wortgruppe an eine syntaktisch bereits abgeschlossene Periode (Typ Mein Retter seid ihr und mein Engel, Schiller).184 Es treten zudem Kombinationen mit anderen Stilmitteln wie etwa dem Chiasmus und der Klimax auf. Beide sind jedoch nicht unbedingt den syntaktischen, sondern vielmehr den Wortfiguren zuzuordnen und können als solche hier vernachlässigt werden. Da alle vier genannten Typen relativ klar voneinander abgrenzbar zu sein scheinen, soll in einem ersten Ansatz versucht werden, sie separat zu behandeln und somit eine Typisierung vornehmlich nach rhetorisch-syntaktischen Kriterien vorzunehmen. Es gilt zu ermitteln, welche Typen in welchen Jahrhunderten auftreten und wie sie jeweils ausgestaltet sind. Typ 1: Tmesis (Aufspaltung eines Wortes) Die Tmesis tritt vorrangig bei Verbalkonstruktionen auf und wird oftmals – zumal in der Umgangssprache – nicht als ungewöhnlich empfunden, so etwa bei Wo gehst du hin? ‘Wohin gehst du?’ oder Da habe ich keine Lust zu ‘Dazu habe ich keine Lust’. In der Sprache der Poesie wirkt sie dagegen stark stilisiert, cf. das obige Beispiel Und ob ich schon wanderte im finstern Tal. Rossi macht zwei interessante Beobachtungen in den von ihm analysierten Rossini-Opern, wenn er darauf hinweist, dass Tmesis und Hyperbaton – er fasst beide zusammen – zum einen in den opere serie viel häufiger auftreten als in den buffe («praticamente quasi ogni verso è soggetto ad iperbato o a tmesi», Rossi 2005a, 208), was einen erneuten Hinweis auf die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der beiden Genres liefert. Zum anderen stellt er eine besondere Dominanz dieser Figuren bei zwei Librettisten, Giovanni Schmidt und Andrea Leone Tottola, fest, was wiederum darauf hindeutet, dass es im Bereich der syntaktischen Stilmittel auch innerhalb einer Epoche durchaus persönliche Vorlieben unter den diversen Librettisten geben kann. Besonders häufig finden sich Tmesis und Hyperbaton außerdem in durch di eingeleiteten Komplementsätzen und anderen Konstruktionen (Typ di fede or segno / Dammi la destra, cf. ib.). Die von ihm zitierten Beispiele sind jedoch fast ausnahmslos Belege für das Hyperbaton, was erneut unterstreicht, dass die Tmesis eine zumindest im Italienischen eher seltene Figur darstellt und eine Differenzierung in der Tat schwierig ist. Auch finden sich selbst in der rhetorischen Literatur voneinander abweichende Definitionen der Tmesis, die teils als «Trennung eines Wortes» (Bußmann, cf. das Zitat weiter oben) bzw. «Trennung eines zusammengesetzten Wortes» (Metzler Lexikon Sprache, s. v.), teils als «Trennung der beiden Bestandteile eines Kompositums» (Lausberg 42008, 358)185

183 184 185

Alle Beispiele aus Bußmann 42008 unter den entsprechenden Einträgen. Cf. Lausberg 42008, §§ 462 und 1246. Auch er weist bereits darauf hin, dass die Grenze zum Hyperbaton nicht klar festzulegen ist: «Die Benennung ist bald ‹Tmesis›, bald ‹Hyperbaton›» (ib.).

263

oder «Zerlegung von Verbkonstruktionen» (Wikipedia) erklärt wird. Außerdem hat sie eine weitere Bedeutungskomponente als metrische Figur (Trennung eines Wortes am Versende). Eine weitere Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, dass ein Mikrophänomen wie die Tmesis in einem elektronischen Korpus kaum automatisiert abgefragt werden kann, da sie keine festlegbare Struktur aufweist. So kann denn auch weder aus der zitierten Literatur noch aus den hier analysierten Korpora ein Beispiel für eine Tmesis im engeren Sinne aufgeführt werden.186 Für eine chronologisch differenzierte Untersuchung ist dieses Stilmittel nicht aussagekräftig. Typ 2: Hyperbaton (Umstellung eines Syntagmas) Beim Hyperbaton wird eine syntaktisch eigentlich geschlossene Einheit durch einen Einschub oft pleonastisch gebrauchter Wörter oder durch bloße Umstellung aufgebrochen, wobei man sich fragen muss, wie eine «syntaktisch geschlossene Einheit» im Einzelnen zu definieren ist. Ein gutes Beispiel stellt der Beginn von Cäsars De bello gallico dar: Gallia est omnis divisa in partes tres, bei dem sowohl ein pleonastischer Einschub (omnis) als auch eine Umstellung (partes tres) erfolgen. Dieses Stilmittel findet sich besonders häufig in der Sprache der Oper, da hier die verschiedenen Möglichkeiten für einen Einschub in großer Häufung auftreten. So kann etwa eine Interjektion (Typ Ecco, la sventurata vittima, ahimè! s’appressa..., Q6 Varesco, Idomeneo I 9) oder eine Anrufung (Typ È vano, oh donna, il piangere!, Q9 Piave, Ernani IV 7) in einen syntaktisch kompletten Satz eingeschoben werden und den Eindruck der stilisierten Satzumstellung verstärken. Auch ohne die genannten Einschübe sind Umstellungen möglich, wie etwa in Meco è Arsace: Degli dei / Ei mi salva col favor (Q7 Rossi, Semiramide II 3). Schwierig erscheint auch hier allerdings die Differenzierung von Umstellungen in einem Syntagma und solchen in einem komplettem Satz, die nach der Defi nition von Bußmann bereits als Inversion im engeren Sinne zu bezeichnen wären. Die bei Rossi und anderen zitierten Belege sind denn auch oftmals nicht klar zuzuordnen, da die Sprache des Librettos oftmals nicht linear ist und man nicht in allen Fällen zwischen Syntagmen und Sätzen differenzieren kann. So ist etwa der inverse Beleg Quella ricordati / notte di morte (Q7 Rossi, Semiramide II 3) sowohl als Syntagma als auch unter Umständen als abgeschlossener Satz anzusehen, auch wenn er in einem aus mehreren Syntagmen (8 Versen) zusammen gesetzten «Satz» (im Sinne von ‘zwischen zwei Interpunktionszeichen befindliche Textmenge’) steht.187 Die Zuordnung der Einzelbelege zu den vier Phänomenen erscheint hier also wiederum als stark definitionsabhängig.

186

187

Wenn man die Tmesis nach Lausberg als Zerlegung von Komposita definiert (cf. Lausberg 42008, 358), so könnte man allenfalls den von Rossi genannten Beleg pensa che pena / Corri di morte (Tancredi I 11, cf. Rossi 2005a, 208) als Beispiel für eine Tmesis im engeren Sinne bezeichnen. Der Gesamtsatz lautet: Quella ricordati / Notte di morte; / L’ombra terribile / Del tuo consorte, / Che minaccioso / In fra le tenebre, / Il tuo riposo / funesta ognor.

264

Als Gesamteindruck aus den beiden hier analysierten Korpora kann man jedoch die deutliche Tendenz erkennen, dass das syntaktische Stilmittel des Hyperbatons zwar nicht unbedingt häufiger in den Libretti des 19. Jahrhunderts auftritt als in denen der beiden voran gegangenen Jahrhunderte, dass es jedoch eine andere Qualität aufweist, indem die genannten Einschübe oftmals durch Interjektionen, exklamative Wendungen oder Anrufungen erfolgen, während in den frühen und den Libretti des 18. Jahrhunderts eher eine «einfache» Inversion wie etwa in Io la Musica son (Q1 Striggio, L’Orfeo Prol.) erfolgt.188 Typ 3: Inversion (Umstellung eines kompletten Satzes) Im weiteren Sinne ist die Inversion jegliche Umstellung eines Satzes, etwa die Umbildung eines Aussagesatzes (Erich ruft an) in eine Frage (Ruft Erich an?). Als rhetorische Figur gilt lediglich die Inversion im engeren Sinne, bei der etwa ein Prädikatsnomen dem Satz vorangestellt wird, um es besonders zu betonen (Groß sind die Werke des Herrn). Diese Verwendung grenzt aus linguistischer Sicht an das diskurspragmatische Gebiet der Topikalisierung;189 in der Dichtung wird die Inversion jedoch oftmals aus rein metrischen oder euphonischen Gründen eingesetzt. Fasst man den Inversionsbegriff recht weit, so findet sich in allen Libretti in nahezu jedem Satz bzw. Vers mindestens eine solche Umstellung.190 Belege aus Libretti des 17. Jahrhunderts: Qual nova meraviglia veduto han gl’occhi miei? (E1 Rinuccini, La Dafne I) Fu ben felice il giorno, mio ben, che pria ti vidi, e più felice l’ora che per te sospirai, poich’al mio sospirar tu sospirasti (Q1 Striggio, La favola d’Orfeo I) Ei dorme, e la mia cetra, se pietà non impetra ne l’indurato core, almen il sonno fuggir al mio cantar gli occhi non ponno (ib. III)

188 189

190

Die weiteren Belege werden unter dem im Folgenden definierten Typ 3 «Inversion» aufgelistet, da eine Differenzierung der beiden Typen, wie bereits erwähnt, schwer fällt. Mit pragmatischen Aspekten der Librettosprache setzt sich auch Luca Serianni wiederholt auseinander, vor allem bezogen auf Libretti zu Verdi- und Puccini-Opern, cf. Serianni 2001, bes. 100–104, und id. 2002, bes. 129–149 (beide zu Diskursmarkern im Dialog). Cf. etwa das bereits angeführte Zitat Fabio Rossis, nachdem «praticamente quasi ogni verso è soggetto ad iperbato o a tmesi» (Rossi 2005a, 208), wobei man hier die Begriffswahl zu der allgemeineren Bezeichnung inversione erweitern sollte.

265

Fu questo il fin de la mia fè tradita; Del mio schernito amore Il perfido Aristeo fu il traditore (Q2 Aureli, L’Orfeo I 15).

Belege aus Libretti des 18. Jahrhunderts: Nostro, amici, è il trionfo (Q4 Zeno, Teuzzone I 1) Tu quel Licida sei! Fuggi, t’ invola, nasconditi da me. Per tua cagione perfido mi ritrovo a questo passo (Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 11) Meco compiangi del padre mio il destin? (Q6 Varesco, Idomeneo I 10) mille io sento / rimorsi all’alma! (ib. III 2).

Belege aus Libretti des 19. Jahrhunderts: Quale nel seno A me, guerrier, nudrito Fra l’orror delle pugne, ora si desta, Del Nume formidabile all’aspetto, Insolito terror, sacro rispetto! (Q7 Rossi, Semiramide I 5) D’un semidio che adoro, Ombra, da noi che vuoi? (ib. I 13) Di morte il nappo a me chi porse? (ib. II 3) Oh! di qual sei tu vittima crudo e funesto inganno! Pria che costui conoscere t’era il morir men danno. (Q8 Romani, Norma I 9) Io di te memoria viva Sempre o cara, serberò (E5 Cammarano, Lucia di Lammermoor I 5) È vano, oh donna, il piangere! (Q9 Piave, Ernani IV 7) Un dì, si ben rammentomi, o bella, t’incontrai... (ib. III 3).

266

Alle Libretti weisen Inversionen in großer Zahl auf, ohne dass aus quantitativer Sicht eine chronologische Entwicklung feststellbar wäre. Dennoch bestätigt sich die beim Hyperbaton bereits geäußerte These, dass in qualitativer Hinsicht durchaus eine Binnendifferenzierung möglich ist, da tendenziell in den Libretti des 19. Jahrhunderts eine deutlich häufigere Kombination der Inversionen mit Einschüben von Interjektionen, exklamativen Wendungen und Anrufungen von Göttern, höheren Mächten oder Geliebten stattfindet. Wie auch bereits die Analyse der Interjektionen gezeigt hat (cf. weiter oben, Kap. 4.1.2.), ist die Sprache der romantischen Libretti deutlich emotionaler gefärbt, was sich vor allem in den zahlreichen Ausrufen aller Art niederschlägt. Die Libretti des frühen 17. Jahrhunderts weisen diese plakative Expressivität nicht auf, sie wirken eher durch eine subtile Rhetorik, die sich – auch durch die Inversionen – ebenfalls als artifiziell und alltagsfern darstellt, jedoch auf einer mehr «literarischen», weniger «dramatischen» Ebene. Die zeitlich dazwischen liegenden Libretti des 18. Jahrhunderts nehmen bezüglich der Inversionen in der Tat eine Mittelstellung ein. Diese sind dort ebenfalls sehr häufig vertreten, teilweise auch durch Einschübe markiert (cf. den oben zitierten ersten Satz aus Zenos Teuzzone-Libretto: Nostro, amici, è il trionfo), doch erscheinen sie längst noch nicht derart expressiv wie die der ein Jahrhundert jüngeren Libretti. Die eingangs des vorliegenden Abschnitts zitierte These Vittorio Colettis von dem radikalen sprachlichen Schnitt zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert kann hier allerdings nicht bestätigt werden, es handelt sich – soweit die exemplarische Analyse diese Schlussfolgerung bereits zulässt – um einen eher fließenden Wandel, der von den ersten Opern der Musikgeschichte an beobachtet werden muss. Wie viele andere Forscher beschränkt sich auch Coletti auf die Betrachtung lediglich der Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts und konstruiert einen hier so nicht belegbaren Einschnitt zwischen Metastasio und den Librettisten Verdis (cf. Coletti 2001). Die Syntax der Libretti des 18. Jahrhunderts ist, wie die oben zitierten Belegstellen zeigen, keine «sintassi mediamente lineare» (ib., 22), sondern ebenfalls durch eine große Anzahl von diversen Inversionstypen gekennzeichnet, was auch die folgenden Abschnitte zeigen werden. Typ 4: Epiphrase (nachgestellte Wortgruppe) Das Kennzeichen der Epiphrase ist die Nachstellung, d. h. ein bereits abgeschlossener Satz (z. B. Mein Retter seid ihr und mein Engel) oder ein Syntagma (z. B. viele große Taten und mutige) wird nachträglich erweitert, weshalb es sich nicht um eine Umstellung im engeren Sinne handelt. Dennoch kann dieses in der Poesie beliebte Mittel durchaus zu den syntaktisch relevanten Charakteristika der Librettosprache gezählt werden, da es ebenfalls zu deren antirealistischem Charakter beiträgt. Besonders häufig werden dabei weitere qualifizierende Adjektive an ein bereits abgeschlossenes Adjektivsyntagma angehängt (Typ Sì bel volto e gentil, cf. Rossi 2005a, 210). Auch die Wiederholung von generischen Quantifikatoren tritt nicht selten auf (Typ molte cose e molte, cf. ib., 210s.).191 Das Stilmittel

191

Cf. hierzu auch Goldin 1985, 8 (zu Metastasio und Da Ponte) und Telve 2004, 23 (zu Boito).

267

der Epiphrase untersucht auch Stefano Telve (cf. Telve 2004, 21–24). Er rollt die Entwicklungsgeschichte dieser erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Literatur thematisierten sprachlichen Figur auf (cf. ib., 22 n. 22), bevorzugt jedoch selbst die Bezeichnung «dittologia intercisa» und skizziert ihr Schema als «XY e X» (ib., 22). Zudem unterscheidet er verschiedene Untertypen je nach der Position der einzelnen Elemente: Verb zwischen Objekten (Typ L’anima m’hai venduto e la cotenna, Boito, La Gioconda I 7), Verb zwischen Adverbien (Typ Dunque senza velami / t’esprimi e senza ambagi, Boito, Otello II 3), Kopula zwischen Adjektiven (Typ ligio sarò e fedel, Boito, Iràm II 4) und Adjektiv zwischen Präpositionalsyntagmen (Typ e di calma profonda / son pieno e di sacro mister, Boito, Mefistofele I).192 In den frühesten Libretti (E1 und Q1) wie auch in den venezianischen Libretti (E2 und Q2) der beiden Analysekorpora sind keinerlei «echte» Epiphrasen festzustellen, weder adjektivische noch solche mit Quantifikatoren. Teilweise finden sich lediglich nachgestellte Substantive, Adjektive oder Partizipien, die jedoch trotz der optischen Abtrennung durch das Komma als jeweils zweite Elemente einer Aufzählung und somit nicht als Epiphrasen im engeren Sinne bezeichnet werden können:193 contra amor cruda, e superba (E1 Rinuccini, La Dafne I) Oggi fatt’è felice Orfeo nel sen di lei, per cui già tanto per queste selve ha sospirato, e pianto (ib. I) Bei smeraldi crescenti, frondi tenere, e belle (E2 Minato, Xerse I 1) Sta col vostro valore confederata la fortuna, e ‘l fato (ib. I 12).

In den Libretti des 18. Jahrhunderts finden sich ebenfalls nachgestellte Elemente, die jedoch eher in Form von substantivierten Adjektiven auftreten: pensa che son Cornelia, e son Romana (E3 Haym, Giulio Cesare II 4).

192

193

Diese Binnendifferenzierung erscheint zutreffend, aber nicht zwangsläufig notwendig, da mehr oder weniger immer ein Verb als Y fungiert; lediglich Element X variiert von Fall zu Fall. Die einzige bedingte Ausnahme stellt der Satz Pietate, oggi, e Amore / trionfan ne l’inferno (Q1 Striggio, La favola d’Orfeo IV) dar, in dem das Adverb oggi die Aufzählung aufbricht.

268

Besonders häufig sind nun jedoch die Belege mit Quantifikatoren, die vor allem in den Libretti Metastasios und bei Varesco auftreten: Da mille faci e mille vinta è la notte (E4 Metastasio, Semiramide riconosciuta II 2) Non ti sovviene che cento volte e cento... (Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 4) Veggano ancor ben cento volte e cento i numerosi tuoi sudditi regni tornar sempre più chiaro questo giorno per te (ib. Lic.) Oh mille volte e mille (Q6 Varesco, Idomeneo III 9).194

Die Epiphrase tritt in ihrer eigentlichen Form erst in den Libretti des 19. Jahrhunderts auf, wo jedoch wiederum keine Belege mit Quantifikatoren vorhanden sind: Fra’ voti atteso e palpiti, Ecco, o regina, il dì (Q7 Rossi, Semiramide I 3) e avvolse Nel lutto il regno, e nel dolor (ib. I 12) Pensando ch’io di gemiti Mi pasco, e di dolor (E5 Cammarano, Lucia di Lammermoor I 5) E magnanimo sembra e gran signore (E6 Piave, Rigoletto I 12) Nelle nubi si cela e nel mar (Q10 Boito, Otello I 1) Son già di baci / sazio e di lai (ib., III 5).

194

Die Wendung mille e mille findet sich auch in nicht-epiphrastischen Zusammenhängen, etwa in Mille e mille in quell’ampio, e sozzo ventre, / pria sepolti che morti / perire io stesso vidi (Q6 Varesco, Idomeneo III 6).

269

Als Fazit für die Epiphrase lässt sich eine unerwartet eindeutige Bindung an die musikhistorischen Epochen festhalten: Während in den Libretti des 17. Jahrhunderts keine eigentlichen Epiphrasen auftreten, finden sich in denen des 18. Jahrhunderts nahezu stereotyp zu nennende Epiphrasen mit Quantifikatoren, die wiederum im 19. Jahrhundert – zumindest in den beiden zu Grunde gelegten Korpora – nicht mehr auftreten. Dort werden allerdings nun vereinzelt Epiphrasen im engeren Sinne eingesetzt, jedoch in zahlenmäßig so geringer Quantität, dass eine eindeutige Auswertung auch hier nicht möglich ist. Die Differenzierung der Inversionen nach rhetorisch-syntaktischen Gesichtspunkten hat sich insgesamt als nicht Gewinn bringend erwiesen. Obwohl erste Ergebnisse darauf hindeuten, dass die Qualität der in den Libretti eingesetzten Rhetorik sich vom 17. zum 19. Jahrhundert nicht unbedeutend verändert, sind die einzelnen Inversionstypen nur unvollständig definierbar. Die Grenzen zwischen den Phänomenen, vor allem zwischen Tmesis, Hyperbaton und Inversion im Allgemeinen, sind nicht klar zu ziehen, die einzelnen Stilmittel zu selten in den Libretti vertreten, um eindeutige Tendenzen auszumachen. Aus diesem Grund soll im Folgenden versucht werden, verschiedene Inversionstypen nach grammatischen Kriterien zu ermitteln, wie dies bereits Stefano Telve für die Libretti von Arrigo Boito versucht hat. Er widmet in seiner Untersuchung einen von fünf Analyseabschnitten der Wortstellung, innerhalb dessen er wiederum fünf unterschiedliche mikro- und makrosyntaktische Phänomene näher untersucht (cf. Telve 2004, bes. 17–21): 1. die Konstruktion più non + Verb / non + Verb + più (z. B. più non vivo vs. non vivo più), 2. die Inversion mit complemento di specificazione195 (z. B. Di Sion sulle rovine vs. sulle rovine di Sion), 3. Inversionen mit dem Verb potere + Infinitiv (z. B. Non ti seguir posso vs. Non ti posso seguir), 4. Inversionen mit Voran- oder Nachstellung des che (z. B. Che m’ami dì vs. Dimmi che m’ami), 5. die Satzsegmentierung, insbesondere die Dislokation (Herausstellung) (z. B. Quella vergine io l’amo oder Sei tu chi me lo doni?). Telve vermeidet differenziertere Definitionen der verschiedenen Phänomene, die auch er zusammenfassend als inversioni bezeichnet. Er umgeht dabei die auch in der vorliegenden Arbeit als schwierig beurteilte Trennung nach rhetorischen Stilmitteln, indem er nach rein syntaktisch-grammatischen Aspekten gliedert. Dabei nähert er sich – besonders mit dem 5. Phänomen der Dislokation – dem Bereich der Topikalisierung an, der man zumindest Hyperbaton und Epiphrase zurechnen könnte. Diese Herangehensweise erscheint praktikabler als die Gliederung nach syntaktisch-rhetorischen Stilmitteln, zumal eine elektronische Recherche in Korpora bei enger vorgegebenen Konstruktionen leichter fällt;196 sie soll im Folgenden auf die beiden hier zu Grunde liegenden Korpora angewandt werden.

195

196

Hier ist eine Übersetzung schwierig, da die eigentliche deutsche Entsprechung ‘Genitivobjekt’, wie sich zeigen wird, nicht in allen Fällen zutreffend ist. Passender erscheint hier die Bezeichnung «Präpositionalphrase mit di», cf. hierzu weiter unten, Abschnitt 4.2.3.3. Allerdings wird sich v. a. die letzte Kategorie der Satzsegmentierung als problematisch herausstellen, cf. dazu weiter unten, Abschnitt 4.2.3.6.

270

4.2.3.2. più non + Verb Die in der Standardsprache verwendete Konstruktion non + Verb + più (Typ non vivo più) wird in der Poesie oftmals umgestaltet zu der inversen Struktur più non + Verb (Typ più non vivo). Der Testlauf Telves, der das Verhältnis der beiden Strukturen innerhalb verschiedener Textgruppen analysiert, ergibt ein uneinheitliches Ergebnis: Während er in Boitos Otello das Verhältnis von drei inversen zu fünf standardsprachlichen, linearen Konstruktionen ermittelt, weisen fünf untersuchte Libretti von Metastasio (darunter auch das in Korpus Q enthaltene Olimpiade-Libretto Q5) ein Verhältnis von 43 : 19 auf: Letzterer bevorzugt also – zumindest bezüglich dieser speziellen Konstruktion – deutlich die inversen Strukturen. In 18 Tragödien Alfieris findet Telve das Verhältnis von 134 : 36, in drei Da Ponte-Libretti dagegen das von 22 : 25. In je 150 Briefen von Leopardi und Monti zählt er wiederum keine einzige inverse più non-Struktur (cf. Telve 2004, 17 n. 11). Eine Auswertung der Ergebnisse (die Telve selbst auch unterlässt) fällt schwer, da die jeweils ausgewerteten Textmengen in ihrer Quantität erheblich voneinander abweichen und zudem die Textsorten stark differieren. Dennoch scheint der Vergleich der dramatischen Texte mit den der Prosa zuzurechnenden Briefen darauf hinzuweisen, dass die Inversionen ein Stilmittel der Poesie und damit vermutlich auch rhythmisch bedingt sind. Im Folgenden sei die komplette Auszählung aller più non-Konstruktionen in den Korpora Q und E vorgestellt:197 E1 Rinuccini (1598): 6 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Dunque più non attosca nostre belle campagne altrove è gita? (I) più tuo figlio non son, non son Amore (ib.) or qui più non ha perdono, più non soffre Amore irato l’impietà del core ingrato (ib.) Se cotal luce splende in bellezza mortale del ciel più non mi cale (ib.) le crespe chiome, e bionde più non riveggo (ib.).

197

Zitiert werden jeweils nur die inversen Belegstellen; die Libretti sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt. Zu überlegen wäre, ob die inverse Struktur evtl. auch den semantischen Inhalt der Aussagen leicht verändert. Es bleibt zumindest der vielleicht subjektive Eindruck einer gesteigerten Dramatik, wenn das più vorangestellt ist.

271

Q1 Striggio (1607): 2 inverse vs. 3 lineare Konstruktionen Tu sé da me partita per mai più non tornare (II) Io fin qui t’ho condotto, or più non lice teco venir, ché amara legge il vieta (III).

E2 Minato (1654): 6 inverse vs. 21 lineare Konstruktionen Olà signori, olà l’opra più non si fa (Prolog) Dunque più non si tardi (ib.) e più non si conviene che qui ritardi Eumene (II 19) parto, che più non posso sostener di mirarvi (III 1) Ma Xerse più non l’ama (III 5) a quel nodo, che spezzò prigioner più non verrà (III 11).

Q2 Aureli (1672): 3 inverse vs. 8 lineare Konstruktionen E pur so che tu amasti e or più non ami (II 9) Io più non amo? anzi, già mai nel core Com’or sentii d’Amor le fiamme ardenti (ib.) Io non so che sperar più, È tradita la mia fè. E gradita più non è La mia fida servitù (II 11).198

Q4 Zeno (1719): 7 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Ahimè, che più non lice all’amor mio a quel d’una regina alzar i vanni (I 3) Più non s’indugi; andiamo, o prence, e svelto cada di mano al fier Teuzzon lo scettro (I 8)

198

In diesem Beleg finden sich sowohl die inverse als auch die lineare Variante, wobei auch che sperar invers konstruiert ist, was rhythmischen Gegebenheiten geschuldet sein mag.

272

Io più no ’l rivedrò? (II 3) A reo convinto e condannato più non lice produr vane discolpe (II 11) Antri cupi, infausti orrori, rispondete a’ miei martiri, se il mio ben più non rivedo (III 6) Tua più non mi chiamar; questa si ceda sospirata fortuna ad altra amante, o si ceda più tosto alla tua vita (ib.) Crudel, più non s’oppone la mia pietà (ib.).

E3 Haym (1724): 2 inverse vs. 8 lineare Konstruktionen Per amor io chiedo amore più da te non vo’ bramar (I 11) Voi che mie fide ancelle un tempo foste or lagrimate invan, più mie non siete (III 7).

E4 Metastasio (1729): 10 inverse vs. 1 lineare Konstruktionen Chiare fonti, apriche rive più non cerca (I 15) Più non si tardi (II 2) Alcun d’amore più non mi parli (ib.) Il nocchier placato il vento più non teme o si scolora (ib.) più non poss’io coll’idol mio dissimular l’affetto (II 12) Più le lagrime tue forza non hanno (ib.) so che finora io fui ma più nol sono (III 8) Più non sei prigionier (III 9) che tu pugni per me più non intendo (ib.) È inutile la pugna, io la richiesi, io più non la desio (III 14).

273

Q5 Metastasio (1733): 8 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Ed Argene più riveder non spero (I 1) Ei disperato da me partì; più nol rividi (I 2) Più non si trovano fra mille amanti sol due bell’ anime che sian costanti (II 7) Ah più non sono forse la fiamma tua? (II 10) No, la speranza più non m’ alletta (II 12) Il colpo, i gridi replicaron le sponde; e più nol vidi (II 13) Più resister non posso (III 2) Mai più mirar non voglio (III 4).199

Q6 Varesco (1781): 7 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Del fato de’ troian più non dolerti (I 2) Più non vive il genitor? (I 5) Oh sdegno! Oh smanie! oh duol!... più non resisto (I 6) Or più non rammento l’angoscie, gli affanni, or gioia e contento (II 2) più non mi guida un temerario affetto (III 2) Signor, già più non oso padre chiamarti (III 3) Ah Sidon più non sei, sei la città del pianto, e questa reggia quella del duol (III 5).

199

In den beiden letztgenannten Beispielen ist zusätzlich eine auch in weiteren Belegen feststellbare Verbtopikalisierung vorhanden, die an anderer Stelle differenziert zu analysieren wäre.

274

Q7 Rossi (1823): 3 inverse vs. 3 lineare Konstruktionen Di me più fido non avesti... il sai (II 3) Più vendetta omai non c’è; Non v’è soglio più per te (II 9) 200 Io più nomar non oso (III 11).

Q8 Romani (1831): 2 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Amor! Deh! Taci, Ch’io più non t’oda! (I 6) No, più non t’odo (II 3)

E5 Cammarano (1835): 4 inverse vs. 0 lineare Konstruktionen Più formar non so parole!... (2/I 6) 201 È la prece d’immenso dolore Che più in terra speranza non ha... (ib.) Più sperar non giova omai!... (2/II 8) Ella in terra più non è (2/II 9).

Q9 Piave (1844): 0 inverse vs. 1 lineare Konstruktion E6 Piave (1851): 0 inverse vs. 3 lineare Konstruktionen Q10 Boito (1887): 1 (3)202 inverse vs. 5 lineare Konstruktionen temo che non più mi sarà concesso quest’attimo divino (I 3) Nessun più ti salva! (I 1) L’alma mia nessuna più smova (III 5).

200 201 202

Hier findet sich zudem eine interessante chiastische Konstruktion, die unterschiedliche Fokalisierungen erlaubt. Bei diesem Beleg lässt sich sogar eine Art doppelte Inversion attestieren, da die feststehende Wendung formar parole zusätzlich gesprengt wird. Telve zählt die beiden nessun-Belege dazu, obwohl sie im engeren Sinne eine abweichende Konstruktion aufweisen (cf. ib., 17), ebenso wie bei anderen Negationspartikeln wie etwa mai.

275

In der Zusammenschau ergeben sich folgende Anteile der inversen gegenüber den linearen Konstruktionen in den Korpuslibretti: [Tabelle 4.2.3.(1): Anteil der inversen più non-Konstruktionen in den Korpora Q (ohne Q3) und E (in %)] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

più non + Verb (Anteil an Anzahl Gesamtkonstruktionen in %)

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

100

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

40

E2

Minato, Xerse

1654

22,2

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

27,3

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

100

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

20

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

90,9

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

100

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

100

Q7

Rossi, Semiramide

1823

50

Q8

Romani, Norma

1831

100

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

100

Q9

Piave, Ernani

1844

0

E6

Piave, Rigoletto

1851

0

Q10

Boito, Otello

1887

37,5

Die durch die recht geringe Gesamtzahl der Belege stark schwankenden Prozentangaben sind nur mit Vorsicht auszuwerten, dennoch lässt sich die Tendenz erkennen, dass besonders in den Libretti des 18. (Q4, E4, Q5, Q6) und des frühen 19. Jahrhunderts (Q8, E5) die inversen più non-Konstruktionen vorherrschend sind. Eine weitere interessante Beobachtung ist die, dass es – wie eingangs des Kapitels als Vermutung Rossis genannt (cf. Rossi 2005a, 208) – in der Tat auch individuelle Vorlieben oder Abneigungen einzelner Librettisten bezüglich gewisser Formulierungen und Strukturen zu geben scheint, so finden sich in den beiden hier analysierten Libretti von Francesco Maria Piave (Q9, E6) überhaupt keine inversen più non-Konstruktionen, während diese in den beiden Metastasio-Libretti (E4, Q5) stark vorherrschend sind. Es lässt sich also vermuten, dass hinter der Verwendung oder Nicht-Verwendung bestimmter syntaktischer Strukturen nicht nur eine Mode oder eine Dichterschule stecken kann, sondern durchaus auch ein persönlicher, individueller Stil.

276

4.2.3.3. Präpositionalphrasen mit di203 Telve stellt bei Boito weitere inverse Konstruktionen fest, die verstärkt in solchen Nominalstrukturen auftreten, die aus einem durch a, di, da, in etc. eingeleiteten Präpositionalsyntagma gefolgt von einem Genitivobjekt (complemento di specificazione) bestehen, etwa in d’ognuno sulla mano, das das allgemeinsprachliche sulla mano d’ognuno ersetzt (cf. Telve 2004, 18s.).204 Insbesondere im Otello (Q10) findet er ähnliche Strukturen auch ohne Präpositionalsyntagma: ed io rimango / di sua moresca signoria l’alfiere (I 1), Del calice / gli orli s’imporporino (ib.), della gloria d’Otello è questo il fin (II 5), Dell’ingiuria è il sospetto (ib.), obwohl dieses Libretto im Vergleich mit anderen eher wenige Inversionen in diesem Bereich aufweist.205 Im Folgenden seien ausgewählte Belegbeispiele aus den Korpora Q und E vorgestellt:206 E1 Rinuccini (1598): Vedrete lagrimar quel dio ch’in cielo reca in bel carro d’or la luce, e ’l giorno, e dell’amata ninfa il lume adorno adorar dentro al trasformato stelo (I) e son del cielo Apollo un nume anch’io (ib.) ma del cor l’aspra durezza non piegar l’afflitte amanti (ib.).

203

204

205

206

Zur Problematik der Benennung dieses Phänomens cf. weiter oben in diesem Abschnitt. Das di hat oftmals mehr als nur Genitivfunktion (z. B. wird es mitunter instrumental verwendet). Als problematisch erscheint hier allerdings die Frage, ob Genitivobjekte zu Verbalphrasen mit solchen zu Nominalphrasen gleichzusetzen sind, cf. etwa E3, Bsp. 3, oder Q5, Bsp. 2. Telve ermittelt für den Otello einen Wert von 84 % nicht-inversen Konstruktionen (113 zu 23 inversen Formen), während andere Verdi-Opern viel niedrigere Werte aufweisen (also zahlreichere inverse Strukturen haben), wie etwa Nabucco (40 %), La Traviata (63 %) oder Simon Boccanegra (67 %), cf. ib., 18. Während bei den Phänomenen 1 und 3, den inversen più non- und den potere + Infinitiv-Konstruktionen, eine Auswertung aller in den beiden Korpora auftretenden Belege möglich ist, da die elektronische Suche durch die Konzentration auf ein vorgegebenes Wort (bzw. eine beschränkte Auswahl an konjugierten Wortformen eines Verbs) erleichtert wird, können in diesem Fall und bei den Phänomenen 4 und 5 lediglich Beispiele geliefert werden. Die Möglichkeiten der Konstruktion sind hier so vielfältig, dass eine komplette Auszählung zum einen technisch kaum möglich und zum anderen zu raumgreifend wäre. An dieser Stelle erfolgt daher eine auf Konstruktionen mit di/del/dell’ etc. begrenzte Auswahl. Telve gibt leider keine Auskunft darüber, auf welche Weise er seine in der voran gegangenen Fußnote erwähnten Ergebnisse gewonnen hat. Um eine exhaustive Studie kann es sich nur dann handeln, wenn er sämtliche Genitivobjekte in jedem Boito-Libretto oder in jeder Verdi-Oper überprüft hätte, was für eine kleine Aufsatz-Studie einen sehr hohen Arbeitsaufwand darstellen würde.

277

Q1 Striggio (1607): e lunge omai disgombre de gli affanni e del duol le nebbie e l’ombre (I) Dove, ah dove te’n vai, unico del mio cor dolce conforto? (III)

E2 Minato (1654): A me non giungion nuove delle felsinee dame le virtuose brame (Prol.) Tutti dormìan ancor dell’alba i rai (I 3) sin ch’io beva dell’aure i vitali alimenti (I 5) ma della pugna il loco dove, signor, sarà? (I 14).

Q2 Aureli (1672): Del duolo suo cura n’avran gli Dei (I 3) Sia del Tracio cantor l’ignoto albergo (I 7) Del tuo cor l’alta audacia Fa a ciascuno palese Quanto dei tu produr sublimi imprese (II 13).

Q4 Zeno (1719): Del tuo duol degno è il padre (I 6) Dell’opre mie non deggio render ragione a tribunal sì iniquo (II 11).

E3 Haym (1724): Figlio non è, chi vendicar non cura del genitor la morte (I 8) Ch’egli è del seno mio conforte e speme (II 8) Del folle ardir ti pentirai ben presto (III 9).

278

E4 Metastasio (1729): No, del mio core il genio ormai farò palese (I 3) del tuo riposo anch’io son debitor (ib.) Dell’amor mio ti fai rivale, Ircano, ed il perché non sai? (II 4) Del tuo delitto tardi ingrato da me pietà vorrai (II 10).

Q5 Metastasio (1733): del volgo spettator gli applausi ascolto (I 8) né conservo almen del pianto l’infelice libertà (II 3) in Creta chiara è del sangue mio la gloria antica (III 8).

Q6 Varesco (1781): Meco compiangi del padre mio il destin? (I 10) Soavi zeffiri soli spirate, del freddo borea l’ira calmate (II 5) Deh cessi il scompiglio, del ciel la clemenza sua man porgerà (II 6).

Q7 Rossi (1823): Del padre mio l’estremo cenno a te mi guida (I 6) Dell’ombre di morte Quest’anima forte saprà trionfar (III 9).

Q8 Romani (1831): Dell’aura tua profetica, Terribil Dio, l’informa! (I 1) E dell’orrenda selva Libero è il varco (I 2)

279

Del raggio tuo sereno E vita nel tuo seno E patria e cielo avrò (I 4) Del mio duol vittoria ottien (I 6) Del suo cor son io secura (II 3) Delle vergini alunne egli fu colto! (III 8).

E5 Cammarano (1835): Del mio destin si ottenebrò la stella (I 2) Della misera in favore Nel mio petto un grido sorse! (II 1,6) Del mio sangue bagnata la soglia Dolce vista per l’empia sarà! (ib.).

Q9 Piave (1844): ma dell’ira or prende loco il rispetto pel suo re (I 10) del ribello nulla traccia si scoprì (II 10) Dalle tombe parlerà del destin la volontà (III 4).

E6 Piave (1851): Del duca un protetto nessun toccherà (I 5) Che dell’usato più noioso voi siete (II 3) Vieni e senti del mio core il frequente palpitar (III 3).

Q10 Boito (1887): Pingea dell’armi il fremito (I 3) Ed io vedea fra le tue tempie oscure splender del genio l’eterea beltà (ib.) Più orrendo d’ogni orrenda ingiuria dell’ingiuria è il sospetto (II 5) Della gloria d’Otello è questo il fin (ib.).

280

Wie die Auflistung der ausgewählten Belege zeigt, ist diese Art von Inversion – mit den genannten Einschränkungen – ausgesprochen häufig in der Sprache des Opernlibrettos anzutreffen, und dies durch die Jahrhunderte hinweg. Dabei sind die hier nur exemplarisch dargebotenen Beispiele in den Libretti Metastasios (E4 und Q5) und in Romanis Norma (Q8) – ohne dass eine Nennung konkreter relativer Zahlen möglich wäre – besonders häufig anzutreffen; hier finden sich in nahezu jeder Szene Inversionen in Sätzen mit Genitivobjekten. Zu einer Differenzierung der Korpuslibretti und der Ermittlung einer chronologischen Entwicklung kann das hier untersuchte Phänomen nicht beitragen; es ist jedoch als ein charakteristisches Phänomen der Librettosprache im Allgemeinen und nicht nur der einer Epoche oder – wie im Falle Boitos – eines Librettisten anzusehen. 4.2.3.4. Infinitiv + potere Das Verb potere wird in der Standardsprache zumeist vor den Infinitiv gesetzt (Typ Non ti posso seguir), erscheint in der Sprache der Poesie jedoch häufig in inverser Stellung hinter dem Infinitiv (Typ Non ti seguir posso).207 In den Opern Verdis findet Telve erneut unterschiedliche Tendenzen, so überwiegen in Macbeth, La Traviata und Simon Boccanegra die nachgestellten, inversen potere-Belege, in Nabucco, Un Ballo in maschera und Otello jedoch die linearen Strukturen mit vorangestellter potere-Form (cf. Telve 2004, 19s.).208 E1 Rinuccini (1598): 2 inverse vs. 1 lineare Konstruktionen contra amor cruda, e superba venir possa il mio crin d’auro (I) far nobil preda puoi co’ tuoi begl’occhi (ib.).

Q1 Striggio (1607): 2 inverse vs. 2 lineare Konstruktionen s’hai nel tartareo regno piegar potuto ogn’indurata mente? (IV) luci beate e liete, che sul col sguardo altrui bear potete? (ib.).

E2 Minato (1654): 6 inverse vs. 11 lineare Konstruktionen Voi con un soffio sol bramato, e caro tosto involar potrete (Prol.)

207 208

Dasselbe Phänomen existiert im Übrigen auch für andere Verben wie etwa volere, cf. Q6, Bsp. 8. Wie bereits bei Phänomen 1 erwähnt, ist hier eine Auszählung aller Belege wieder möglich, da die Anzahl der Flexionsmorpheme des Verbs potere überschaubar und ihre Zählung somit unter geringerem Aufwand programmierbar ist.

281

A voi, che avete merto d’incatenar lo stesso Xerse non so disdir, che poi scoglier possiate i prigionieri suoi (III 3) Se dai ceppi uscir potrà questo cor (III 4) No, no seguite, ch’aspettar non poss’io (III 8) piangere giammai potrà (III 18) Risplendere Potranno a fé (ib.) Il cor, ch’è già fatto dell’idolo mio un vivo ritratto svenar ben poss’io (III 19).

Q2 Aureli (1672): 7 inverse vs. 12 lineare Konstruktionen Recar non può giorni di riso al core (I 1) Recar potrebbe un nuovo incendio a1 mondo (I 10) Né penetrar potresti L’Idol che adora? (I 13) Che far può quest’alma, se Amor vuol così? (II 15) Né legar può la beltà (II 17) Come rieder potrò, lasso, tra ’vivi, Senza mai rimirar l’amaro pegno, Se impetuoso amor non ha ritegno? (III 15) Forse amarti un dì potrò (III 17).

Q4 Zeno (1719): 9 inverse vs. 10 lineare Konstruktionen Ne’ miei lumi, o reina, legger ben puoi la comun sorte e ’l danno (I 3) cader senza tua colpa io non potrei (I 8) Udiste, o cieli, udiste; e che far posso, donna sola e straniera in tal periglio? (I 9) Chi siede in trono questa aver puote autorità sui rei (II 14)

282

Senza colpa del labbro vorrei, Teuzzon, vorrei che intender tu potessi il linguaggio del cor ne gl’occhi miei (II 16) Sivenio, con la vita ceder solo poss’io le mie speranze (III 2) E mi credi sì vil, che alla tua tomba sopravviver potessi? (ib.) Zidiana t’ama, dal tuo disprezzo nasce il tuo rischio e il suo furor; se amarla non puoi, t’infingi almeno... (III 6) Priva di te, mia vita, come viver potrei? (III 13).

E3 Haym (1724): 4 inverse vs. 8 lineare Konstruktionen mai più sperar potrò (I 11) egli solo ed inerme far non potrà difesa (II 6) Or che Cesare è estinto che più sperar possiamo? (II 11) Come obliar poss’io L’estinto mio consorte? (III 8).

E4 Metastasio (1729): 13 inverse vs. 22 lineare Konstruktionen E come mai obbliar lo potrei (I 1) Forse il desio ingannar mi potrebbe (I 9) Che far possiamo ? (I 13) che mai scoprir non possa la sua voce (II 1) Salvarlo sol potrebbe il tuo sdegno (ib.) E chi sottrarmi potrebbe al tuo furore (ib.)

283

Molto sperar tu puoi (II 5) Troppo mi chiedi, ubbidir non poss’io (II 7) Io tollerar non posso un languido amator che mi tormenti (II 9) Dirlo tu puoi? Tu puoi pensarlo? (II 12) 209 Il tradimento infame chi preveder potea? (III 4) Tu la pugna richiesta contendermi non puoi, legge è del regno (III 6) Finger tu puoi (III 9).

Q5 Metastasio (1733): 12 inverse vs. 29 lineare Konstruktionen Ah fuggir da me stessa potessi ancor (I 4) della pubblica fé, dell’onor mio, differir non si può (I 5) spiegar mi puoi la cagion della trama (I 8) E trovar non poss’io né pietà né soccorso? (II 4) l’ombra de’ secoli coprir non può (II 6) S’altro donarti Clistene può (ib.) E come vuoi ch’io figurar mi possa Megacle mio sì scelerato? (II 9) e dubitar potresti? (ib.) Ah principessa, se niegarla poss’io, dillo tu stessa (ib.)

209

Bei diesem Beleg werden die lineare und die inverse Variante in einem Chiasmus miteinander verschränkt.

284

Più resister non posso (III 2) Ma un reo per l’altro morir non può (III 4) E negar lo puoi? (III 8).

Q6 Varesco (1781): 11 inverse vs. 3 lineare Konstruktionen Non vive: quel che Marte far non poté finor, fece Nettuno (I 4) Sgombra, oh guerrier, qual tu ti sia, il timore; eccoti pronto a tuo soccorso quello, che in questo clima offrir te’l può (I 10) che pria spegnere non potei (II 4) una innocente darti io non posso (II 6) ingiusto sei, pretenderla non puoi (ib.) Ah risolver non posso, ah mi confondo! (III 1) ti vedo, oh caro, e trarti sola io posso (ib.) t’amo, t’adoro, e se morir tu vuoi, pria, che m’uccida il duol morir non puoi (III 2) Ah placarlo potessi senza di te! (III 3) Soffrir più non si può (ib.) Da te solo dipende il ripiego, da morte trar tu puoi, il resto del tuo popolo (III 6).

Q7 Rossi (1823): 6 inverse vs. 7 lineare Konstruktionen Regnar forse un dì potrai, Ma giammai sarai mio re (I 7) Parla una volta, di’, sperar poss’io Il tuo cor, la tua destra? (I 8) Sento che Idreno solo amar potrei (ib.) E tutto sperar puoi, E tutto avrai da me (I 10)

285

E così tradir tu puoi La mia speme, i dritti miei? (I 13) Sperar potrà (II 3).

Q8 Romani (1831): 11 inverse vs. 11 lineare Konstruktionen Scoprire alcun ti può (I 1) [2 x] Sorprendere alcun ti può (ib.) Punirlo io posso (I 4) Sospirar non vista alfin poss’io (I 5) Ma lasciarti non poss’io, No, nol posso (I 6) Abbandonarmi così potresti! (ib.) Se obbliar potesse Questi suoi figli? (I 7) Immaginar non possi, o mia Clotilde! (ib.) Ho risoluto, nè trar meco io posso Questi infelici (II 3) Consumar potrei l’eccesso (II 10).

E5 Cammarano (1835): 9 inverse vs. 7 lineare Konstruktionen Esser potrebbe! (I 1) Sola una mano raffermar mi puote Nel vacillante mio poter... (I 2) Solo intender ti potrò (I 3) L’ira tua fuggir non può (ib.) Contenerti un cuor non può! (ib.) Viver lieta ancor potrai... (II 1,2) Se tradirmi tu potrai, La mia sorte è già compita... (ib.) Perdonar ti possa Iddio L’inumano tuo rigor (ib.)

286

Ah! che spegnere non posso Un rimorso nel mio cor! (II 1,6).

Q9 Piave (1844): 8 inverse vs. 5 lineare Konstruktionen sospettare io non potei la presenza del mio re! (I 10) L’odio inulto, che m’arde nel core, tutto spegnere alfine potrò (ib.) e se lieto esser possa di prole (II 1) Ah, morir, potessi adesso (II 4) [2 x] S’io fede attenga, tu saper ben puoi (II 8) Lo vedremo, veglio audace, se resistermi potrai (II 9) Volgerla a dio tu puoi (II 12).

E6 Piave (1851): 9 inverse vs. 7 lineare Konstruktionen Dirlo ad altra ei potria (I 1) Quell’ira che sfidi, colpir ti potrà (I 5) Che coglier mi puote? (ib.) se il concedete, farlo or potrei (I 9) Ah cogliere potessi il traditore che sì mi sturba! (I 12) E non capisci che vedere per ora non può alcuno? (II 4) lasciare potremo quest’aura funesta (II 6) E tutto un sol giorno cangiare poté! (ib.) così tutto il prezzo goder si potrà (III 6).

Q10 Boito (1887): 1 inverse vs. 8 lineare Konstruktionen: Buon Roderigo, amico tuo sincero mi ti professo, né in più forte ambascia soccorrerti potrei (I 1).

287

In der Übersicht und in Kombination mit den zuvor analysierten più non-Konstruktionen ergibt sich folgendes Bild: [Tabelle 4.2.3.(2): Anteil der inversen Typen 1 und 3 an Gesamtkonstruktionen in Korpora Q und E (in %)] Nr.

Librettist, Titel

Jahr

più non + Verb

Infinitiv + potere

E1

Rinuccini, La Dafne

1598

100

66,7

Q1

Striggio, La favola d’Orfeo

1607

40

50

E2

Minato, Xerse

1654

22,2

35,3

Q2

Aureli, L’Orfeo

1672

27,3

36,8

Q4

Zeno, Teuzzone

1719

100

47,4

E3

Haym, Giulio Cesare

1724

20

33,3

E4

Metastasio, Semiramide riconosciuta

1729

90,9

37,1

Q5

Metastasio, L’Olimpiade

1733

100

29,3

Q6

Varesco, Idomeneo

1781

100

78,6

Q7

Rossi, Semiramide

1823

50

46,2

Q8

Romani, Norma

1831

100

50

E5

Cammarano, Lucia di Lammermoor

1835

100

56,25

Q9

Piave, Ernani

1844

0

61,5

E6

Piave, Rigoletto

1851

0

56,25

Q10

Boito, Otello

1887

37,5

11,1

Eine Korrelation zwischen beiden Phänomenen ist nur schwer feststellbar, da die Belegmengen dafür zu gering sind. Auch scheinen die potere-Konstruktionen ein weniger einheitliches Bild bezüglich einer eventuellen zeitabhängigen Entwicklung abzugeben. Allenfalls kann man festhalten, dass in jedem Libretto inverse wie lineare Belege für beide Typen vorhanden sind, was darauf hindeutet, dass auch metrische und euphonische Gründe eine Rolle spielen könnten. Zudem ist die Auftretenshäufigkeit der inversen Struktur bei Boito (Q10) mit nur einem Beleg sehr niedrig. Aus dieser auf insgesamt nur 9 Belegen basierenden Aussage lässt sich jedoch noch keine Schlussfolgerung hinsichtlich einer persönlichen Vorliebe dieses Librettisten ableiten. 4.2.3.5. Voran- oder Nachstellung von che Telve definiert diesen Typus als «una proposizione principale seguita da completiva introdotta da che» (ib., 20) und nennt als Beispiel für eine lineare Konstruktion einen Beleg aus Boitos Otello-Libretto (giuro / che quella donna sarà tua, I 1), in dem keinerlei inverse Formen zu finden sind (insgesamt 23 lineare Belege). In 288

anderen Opern Verdis sind diese allerdings recht häufig vertreten, etwa in Nabucco (Che lo scettro a me s’aspetta / tutti i popoli vedranno, II 2, vs. 2 lineare Belege), La Traviata (Ch’io vi lasci assentite, II 5; che facesse non sapete, II 14, vs. 18 lineare Belege) oder Un ballo in maschera (Ch’io pavento diran, III 6; Che nel ballo alcuno / alla mia vita attenterà, sta detto, III 6, vs. 17 lineare Belege) etc. (cf. ib.).210 E1 Rinuccini (1598): Che tu vada cercando o giglio, o rosa per infiorarti i crini, non ti vo’ creder, no, madre vezzosa (I).

Q1 Striggio (1607): kein inverser Beleg. E2 Minato (1654): Ch’io censuri vostri amori, donne belle non fia vero (Prol.) Che Xerse omai sia sposo mormoran liete voci in questo dì (II 1) Ch’io vada a ringraziarlo ei si conviene (III 13).

Q2 Aureli (1672): Che potrìan consolar, forse, il tuo petto, Rivelarti prometto (I 18).

Q4 Zeno (1719): kein inverser Beleg. E3 Haym (1724): Che per averla in moglie, contro Cesare ordì l’alta congiura (III 4).

E4 Metastasio (1729): Che quel cor, quel ciglio altero senta amor, goda in mirarmi non lo credo, non lo spero (I 5).

210

Auch bei diesem Phänomen wird keine vollständige Auflistung aller Konstruktionen vorgenommen, sondern es erfolgen lediglich exemplarische Belegnennungen, cf. hierzu weiter oben, Beispiel 2.

289

Q5 Metastasio (1733): Che l’aspettare uccida nel caso in cui mi vedo, tu non credi o non sai (I 8).

Q6 Varesco (1781): kein inverser Beleg. Q7 Rossi (1823): kein inverser Beleg. Q8 Romani (1831): kein inverser Beleg. E5 Cammarano (1835): Ah! che spegnere non posso Un rimorso nel mio cor! (II 6).

Q9 Piave (1844): kein inverser Beleg. E6 Piave (1851): che di Ceprano noi la contessa rapir volessimo, stolto credé (II 2).

Q10 Boito (1887): kein inverser Beleg. Insgesamt handelt es sich um ein zumindest in den beiden hier ausgewerteten Korpora eher seltenes Phänomen, das daher in der Gesamtsicht auch wenig aussagekräftig ist. Bei sieben der 15 Libretti (Q1, Q4, Q6, Q7, Q8, Q9, Q10) findet sich kein inverser Beleg; sie sind aus chronologischer Sicht über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt, konzentrieren sich jedoch besonders im 19. Jahrhundert, was zumindest eine tendenzielle Deutung ermöglicht. 4.2.3.6. Satzsegmentierung Opernlibretti stellen ebenfalls ein weites Feld für die Erforschung diverser Satzsegmentierungsvorgänge dar. So findet sich etwa häufig das Phänomen der Herausstellung eines Satzteils, der daraufhin mit einem Pronomen, einer Präpositionsphrase oder einem Adverb wieder aufgenommen wird, allgemein bekannt als Dislokation.211 Hierbei lassen sich die (häufiger auftretende) Linksdislokation

211

Cf. etwa Metzler Lexikon Sprache (= Glück 22000), 646s. Cf. auch Blasco Ferrer 1999, 154s., und Schwarze 21995, 378–386. Zu den in diesem Bereich häufigen terminologischen Uneinheitlichkeiten cf. Sokol 2001, 134–136. Zu syntaktischen Aspekten der Satzsegmentierung speziell im Italienischen aus formaler Sicht cf. etwa Rizzi 1997 und Cecchetto 1999.

290

(it. dislocazione a sinistra) und der seltenere umgekehrte Vorgang der Rechtsdislokation (it. dislocazione a destra) differenzieren. Zudem sind Sätze auch durch Präsentativkonstruktionen segmentierbar; einen Sonderfall stellt hier der Spaltsatz dar (it. frase scissa), bei dem das Verb essere die Rolle des eigentlichen Hauptprädikates im Satz übernimmt. Beide Phänomene finden sich laut Telve besonders häufig in Verdi-Opern (cf. Telve 2004, 20s.), so etwa die Linksdislokationen Quella vergine io l’amo (Ero e Leandro II 1) oder Le lagrime tue / io le raccolgo (Andrea Chénier III) und der Spaltsatz È il cielo, o cara, che schiudi a me! (La Gioconda II 5). Auch eine Steigerung zum inversen Pseudospaltsatz ist möglich (son io che spenta l’ho!, ib.).212 In den Korpuslibretti finden sich einige Beispiele für diese Arten von syntaktischer Umstellung, zunächst für die am häufigsten auftretende Variante der Linksdislokation: Q2 Aureli (1672): Quei duo giovani fieri dimmi chi sono (I 7).

E4 Metastasio (1729): Quell’ira ch’io destai inutile non è (III 5).

Q10 Boito (1887): Quel fazzoletto ieri (certo ne son) lo vidi in man di Cassio (II 5).

Häufig tritt auch die Herausstellung des Subjekts auf, das durch einen Relativsatz spezifiziert wird, ohne dass jedoch von einem Spaltsatz im engeren Sinne gesprochen werden kann: E1 Rinuccini (1598): Io che madre ti sono (I).

Q1 Striggio (1607): Ma io ch’in questa lingua ho portato il coltello

212

Hinzugefügt werden muss, dass die Darstellung bei Telve recht verwirrend erscheint, da er verschiedene syntaktische Betrachtungsebenen mischt, ohne abgrenzende Definitionen zu liefern, was den Vorwurf der terminologischen Uneinheitlichkeit, etwa bei Sokol (cf. die vorhergehende Fußnote), untermauert. Zudem wechselt Telve wiederholt (und nicht immer explizit) perspektivisch zwischen den Libretti Boitos und den Opern Verdis, was eine Deutung seiner Ergebnisse zusätzlich erschwert.

291

ch’ha svenata d’Orfeo l’anima amante, odiosa a i Pastori et a le Ninfe, odiosa a me stessa, ove m’ascondo? (II).

Q7 Rossi (1823): Tu, che al tuo re nel seno Morte versasti? (II 3) […] ed io, Che servirlo giurai, Lo tradirei così? (II 4).

Q9 Piave (1844): Oh tu che l’alma adora vien, la mia vita infiora (I 2).

Eher den Spaltsätzen zuzuordnen sind folgende Belege, die jedoch auch Mischoder Übergangsformen zu Pseudospaltsätzen darstellen können: Q1 Striggio (1607): Orfeo son io che d’Euridice i passi segue per queste tenebrose arene (II).

E2 Minato (1654): Se n’viene Ariodate; è tempo ormai di scoprir, che son io che Romilda desio (III 16).

E3 Haym (1724): Voi che mie fide ancelle un tempo foste or lagrimate invan, più mie non siete (III 7).

Q2 Aureli (1672): E chi sei tu che con sì audaci accenti E con l’aspetto, or vieni Ad accrescermi in petto aspri tormenti (II 10)

Q4 Zeno (1719): Tu quella sei ch’inspira il ciel? (III 9).

E4 Metastasio (1729): son io fra tante pene che basta a consolarmi (II 5).

292

E6 Piave (1851): L’uomo son io che ride (I 8).

Q10 Boito (1887): Era lui / che ti parlava sotto quel fronde? (II 4).

Vor allem die letztgenannten Beispiele treten in Libretti aller Jahrhunderte auf und sind in ihrer künstlichen Konstruiertheit als charakteristisch für die oftmals mit stark hervorhebenden Stilmitteln durchsetzte Sprache der Oper anzusehen. Dabei spielen jedoch nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, die Libretti des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle, sondern sie wirken vielmehr wie die Fortsetzer einer sich bereits seit den Anfängen der Operngeschichtsschreibung entwickelnden Tendenz. 4.2.3.7. Fazit Auch dieses letzte analysierte Inversionsphänomen bestätigt also nicht die eingangs zitierte These Colettis von einem radikalen sprachlichen Wechsel. Die Syntax bei Metastasio ist durchaus nicht so linear wie sie ihm oft zugeschrieben wird, auch stellen sich bereits die Libretti vor diesem großen Librettisten als stark invers dar. Zudem hat die vorliegende Analyse ergeben, dass die verschiedenen Inversionstypen differenziert zu betrachten sind. Während die Betrachtung der Inversionsphänomene Tmesis, Hyperbaton, Inversion und Epiphrase auf der Ebene der Rhetorik erbracht hat, dass die Typen nur schwer voneinander trennbar sind, bietet der zweite, mehr grammatisch geprägte Ansatz eine klarere Unterscheidungsmöglichkeit. Mit beiden Methoden ergibt sich jedoch das Resultat, dass die Verwendung von Inversionen ein allgemeines Charakteristikum der Librettosprache und nicht erst ein Phänomen des 19. Jahrhunderts ist. Eine Differenzierung ist allerdings auf der Ebene der Qualität in Ansätzen möglich, so scheinen die Inversionen in den Libretti des 17. Jahrhunderts schlichter und weniger expressiv auszufallen, während die des 19. Jahrhunderts zunehmend durch die bereits weiter oben erwähnten eingeschobenen Interjektionen und exklamativen Wendungen charakterisiert werden. Das 18. Jahrhundert stellt hierbei eine Phase des Übergangs und keineswegs eine Bruchkante dar. Besonders die più non-Konstruktionen, in Ansätzen auch die Genitivobjekt-Strukturen, lassen eine leichte Tendenz dahin gehend erkennen, dass diese besonders im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert beliebt waren, doch kann auch hier von einem radikalen Wechsel nicht die Rede sein. Insgesamt lässt die Analyse der Inversionen – wie auch bereits die der Subjektabschwächung (cf. Kap. 4.2.1.) – erkennen, dass die Syntax der Librettosprache in der Gesamtschau deutlich weniger von chronologischen Entwicklungen betroffen ist als die Ebenen des Stils und vor allem der Lexik. Aus syntaktischer Sicht sind schon die ersten Libretti stark konstruierte Gebilde, die sicherlich von 293

den Librettisten bewusst antirealistisch gestaltet wurden. Sie sind somit typische metrisch-artifizielle Texte, die weit von der Alltagssprache entfernt eine neue Art von literarischem Konstrukt darstellen, sich im Laufe der Jahrhunderte in dieser Hinsicht jedoch nicht stark verändern. Die in der Literatur verbreitete Annahme einer linearen Syntax bei Metastasio und seinen Zeitgenossen muss ebenfalls, wie sich gezeigt hat, neu hinterfragt werden. 4.2.4. Rhetorisch-syntaktische Verfahren Das weite Feld der rhetorischen Stilmittel wird überschaubarer, wenn man die einzelnen Verfahren nach den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen gliedert, die jeweils betroffen sind. So gibt es etwa wortgebundene, lexikalische, semantisch auswertbare Verfahren oder eher metrisch-rhythmisch bedingte Stilmittel, daneben aber auch solche, die mehr die Satzebene betreffen.213 Die letztgenannten, syntaktisch zu bezeichnenden Verfahren sollen an dieser Stelle fokussiert werden, um die in den beiden voran gegangenen Abschnitten bereits behandelten Syntaxphänomene zu ergänzen und einige für die Librettosprache typische Stilmittel herauszustellen. Die erwähnten Verfahren auf der Wortebene sind – soweit für das Librettoidiom relevant – bereits im lexikalisch-semantisch ausgerichteten Kapitel 4.1. angesprochen worden. Die Leitfrage muss auch an dieser Stelle wieder lauten, ob sich die Verwendung der rhetorischen Verfahren auf der Ebene der Syntax im Laufe der Operngeschichtsschreibung verändert. Bereits mehrfach wurde in der vorliegenden Arbeit herausgestellt, dass die frühen Libretti eine subtilere Rhetorik aufweisen als die recht plakativen und auch sprachlich emotional gefärbten Libretti zu den berühmten Verdi-, Bellini-, Donizetti- oder Puccini-Opern. Diesem Verdacht soll an Hand der differenzierten Analyse ausgewählter rhetorisch-syntaktischer Mittel in den Libretti der beiden Korpora Q und E nachgegangen werden. Im Folgenden wird die übersichtliche Binnengliederung nach Schulze-Witzenrath übernommen, die nach Verfahren der Hinzufügung, der Tilgung und der Umstellung differenziert (cf. Schulze-Witzenrath 22003, 74–95).214

213

214

So unterscheidet etwa Schulze-Witzenrath zwischen Verfahren auf der Satzebene (Parenthese, Parallelismus, Ellipse, Chiasmus etc.), Verfahren auf der Wortebene (Alliteration, Elision, Synkope, Palindrom etc.) – darin eingeschlossen sind auch solche, die Reim und Metrum betreffen – und Verfahren im semantischen Bereich, innerhalb dessen sie wiederum Verfahren im Bereich der Wortsemantik (Vergleich, Hyperbel, Euphemismus, Metapher, Metonymie etc.) von Verfahren auf der Aussageebene (Antithese, Klimax, Periphrase, Litotes etc.) differenziert (cf. Schulze-Witzenrath 22003, 74–95). Alle Einzelbereiche werden zudem nach Mitteln der Hinzufügung, der Tilgung, der Ersetzung und der Umstellung untergliedert. Darüber hinaus existieren auch Stilmittel, die noch übergreifendere Bedeutung aufweisen, etwa zur Text- oder Diskursebene, diese können in der vorliegenden Anayse jedoch vernachlässigt werden. Die Verfahren der Ersetzung, unter denen Schulze-Witzenrath auf der Satzebene aus-

294

4.2.4.1. Verfahren der Hinzufügung Zu den Verfahren der Hinzufügung zählt Schulze-Witzenrath die Parenthese («Einschub in Klammern oder Gedankenstrichen», ib., 75), den Parallelismus («Wiederholung syntaktischer Strukturen», ib.), die Anapher («Wiederholung eines Wortes (bzw. Syntagmas) zu Beginn mehrerer aufeinander folgender Syntagmen (bzw. Sätze oder Absätze)», ib.), die Anadiplose («Wiederholung des letzten Gliedes eines Syntagmas (auch Verses) zu Beginn des folgenden Syntagmas (Verses)», ib., 76) und die Geminatio («Verdoppelung eines Syntagmas (Wortes) an beliebiger Stelle», ib.). Von diesen Stilmitteln erscheinen vor allem Parallelismus, Anapher und Geminatio als besonders relevant für die Sprache der Poesie und insbesondere des Opernlibrettos, wobei sich alle drei teilweise überschneiden, auch sind sie häufig nur schwer von der Anadiplose differenzierbar. 1. Parallelismus und Anapher Der Parallelismus tritt – wie auch mit umgekehrten Vorzeichen der Chiasmus (cf. weiter unten in diesem Abschnitt) – besonders häufig dort auf, wo auf semantischer Ebene ein Gegensatz zwischen verschiedenen Figuren betont werden soll (nach dem Muster Du tust dies und ich tue das). In stark auf Dichotomien angelegten Thematiken sind diese Stilmittel denn auch besonders beliebt, etwa in den Orpheus-Bearbeitungen, in denen die gesamte Textstruktur – das haben u. a. die Wortfelduntersuchungen gezeigt (cf. weiter oben, Kap. 4.1.3.) – durch die Gegensätze zwischen Tag und Nacht, Licht und Schatten, Ober- und Unterwelt, Leben und Tod geprägt ist: Tu se’ morta, mia vita, ed io respiro? tu se’ da me partita per mai più non tornare, ed io rimango? (Q1 Striggio, La favola d’Orfeo II) Dopo ‘l duol vie più contento, Dopo il mal vie più felice (ib.) 215 Peggior fera sei di quella Arsamene: il dicon l’opre, tu m’offendi nascosto, ella ti scopre. (E2 Minato, Xerse I 6).

Auch in den Libretti des 18. Jahrhunderts lassen sich diese Strukturen in sowohl quantitativ als auch qualitativ ähnlicher Weise beobachten:

215

schließlich das Anakoluth zitiert (cf. ib., 77), bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt, da sie für die Librettosprache keine entscheidende Rolle spielen. Dieser Beleg stellt darüber hinaus ein Beispiel für die Verknüpfung von Parallelismus und Anapher dar.

295

Tu resta, io vado; tu a combatter coi voti, ed io con l’armi (Q4 Zeno, Teuzzone II 2) 216 Or che farem tra le cesaree squadre, tu senza il caro sposo, io senza il padre? (E3 Haym, Giulio Cesare I 4) 217 Ella mi sprezza ognor, ed io mi moro (ib. II 4) E ben. Tu ’l vuoi, io lo farò (Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 8) Ingrato! E tanto m’ odi dunque e mi fuggi, che per esserti unita, s’ io m’ affretto a morir, tu torni in vita? (ib. III 1).

Zusätzlich sind in den Libretti des 18. Jahrhunderts, vor allem bei Metastasio, zahlreiche Anaphern vertreten, die ebenso wie die Parallelismen vor allem eine Regelmäßigkeit in der Satzstruktur hervorrufen, im 17. Jahrhundert jedoch noch deutlich seltener aufgetreten waren:218 Argene, e come tu in Elide? Tu sola? Tu in sì ruvide spoglie? (Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 4) Incauto! E quale sarebbe il tuo disegno? Il genitore sa che tu l’ ingannasti; sa che Megacle sei. Perdi te stesso presentandoti al re; non salvi altrui. (ib. III 2) tutto spiegar non oso, tutto non so tacer (E4 Metastasio, Semiramide I 4) Nettuno s’onori, quel nome risuoni,

216 217 218

Hier findet sich zudem die – häufig anzutreffende – Kombination mit einer Ellipse, cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt. Ebenfalls gleichzeitig Ellipse. Hinzufügend sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den Anaphern im 17. und 18. Jahrhundert fast ausschließlich um zweigliedrige Strukturen handelt. Erst im 19. Jahrhundert nehmen die drei- und mehrgliedrigen Formen an Zahl zu.

296

quel nume s’adori, sovrano del mar (Q6 Varesco, Idomeneo Intermezzo).219

In den Libretti des 19. Jahrhunderts ist dieses Stilmittel verstärkt zu finden, während die aus rhetorischer Sicht komplizierter zu konstruierenden und eine Regelmäßigkeit in der Syntax erzeugenden Parallelismen dort nahezu nicht mehr feststellbar sind. Die Anaphern erhalten hier außerdem einen zunehmend plakativen Charakter, sie wirken oftmals sehr emotional und intensivieren die Dialoge der handelnden Figuren, ähnlich wie die bereits weiter oben (cf. Kap. 4.1.2.) analysierten Interjektionen und exklamativen Wendungen. Beispiele: Lascia ch’io ti versi in seno Il mio pianto, il mio dolor (Q7 Rossi, Semiramide II 4) Vieni, Azema. – Vieni, Idreno. Là nel tempio... – A pié dell’ara... La Regina là si rende. Là con lei v’attende amor. (ib. II 6) Quell’acciaro già sento nel petto. Quell’abisso mi colma d’orror (ib. III 9) Tempra, o Diva, Tempra tu de’ cori ardenti, Tempra ancora lo zelo audace. (Q8 Romani, Norma I 4) Di che deliri, di che tu menti, Che stolti accenti uscir da te! (ib. III 11) Tu che vedi il pianto mio... Tu che leggi in questo core (E5 Cammarano, Lucia di Lammermoor II,1 2) Oh qual gioia in me tu desti! Oh qual nube hai disgombrata!... (ib. II,1 3) Vola, o tempo, e presto reca di mia fuga il lieto istante! Vola, o tempo, al core amante è supplizio l’indugiar (Q9 Piave, Ernani I 4).

219

Der zuletzt aufgeführte Beleg stellt gleichzeitig einen Parallelismus dar.

297

Einzig Boitos Otello weist neben den Anaphern auch Parallelismen in größerer Zahl auf, dies jedoch fast ausschließlich in der ersten Szene des Librettos, die die Zyprioten darstellt, welche mit Freudenfeuern und Trinkgelagen den Sieg Otellos über die Türken feiern. Diese Szene tritt auf Grund ihres Leitthemas auch aus sprachlicher Sicht stark aus den übrigen Szenen hervor (cf. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt). Zudem ist der Parallelismus in fast allen Fällen mit einer Anapher kombiniert: Treman l’onde! treman l’aure! treman basi e culmini (Q10 Boito, Otello I 1) Dio, fulgor della bufera! Dio, sorriso della duna! (ib.) Arde la palma col sicomoro, canta la sposa col suo fedel; sull’aurea fiamma, sul lieto coro soffia l’ardente spiro del ciel. (ib.) Tu, che reggi gli astri e il fato! Tu, che imperi al mondo e al ciel! (ib.).

Die Analyse der beiden Hauptvertreter der hinzufügenden Stilmittel, Parallelismus und Anapher, bestätigt demnach in sehr deutlicher Weise die eingangs des Kapitels aufgestellte These, dass die Libretti des 19. Jahrhunderts eine weniger ausgefeilte, dafür sehr ausdrucksstarke Rhetorik aufweisen, die vor allem auf akustische Effekte der direkten Bühnenhandlung ausgerichtet ist, während die Rhetorik der frühen Libretti oftmals erst durch die Analyse der schriftlichen Textvorlage zu Tage tritt. Zwar wirken die Parallelismen etwa in Striggios Orfeo auch direkt auf den Zuhörer/Zuschauer ein, doch geschieht dies vermutlich eher unbewusst, indem dieser allenfalls eine regelmäßige, eingängige Struktur wahrnimmt, während der Zuhörer etwa einer Verdi-Oper nicht umhin kommt, die durch die stetige Wiederholung diverser Textbausteine meist sehr deutlich erkennbaren Stilmittel aufzunehmen. Die Dominanz der Musik gegenüber der Sprache in diesen Opern (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.), die nicht umsonst zahlreiche «Ohrwurm-Arien» hervorgebracht haben, verstärkt zudem den genannten Effekt: In dem Moment, in dem sich der Schwerpunkt auf die Musik verschiebt, wird eine rhetorische Finesse des Textes überflüssig.220 Die Libretti des 18. Jahrhunderts nehmen in diesem Fall wieder eine Brückenfunktion ein; sie weisen sowohl Parallelismen als auch Anaphern auf, beides jedoch in eher mäßiger Quantität. Speziell die Metastasio-Libretti fallen hier durch

220

Auf diesen Punkt wird im Fazit des vorliegenden Abschnitts zurückzukommen sein.

298

eine sehr regelmäßige rhetorische Struktur auf, die zwar von dichterisch hoher Qualität zeugt, jedoch nicht so durchkonstruiert wirkt wie die der frühen Libretti vor allem des beginnenden 17. Jahrhunderts.221 Dazu trägt jedoch zu einem nicht unbedeutenden Teil auch der erheblich geringere Umfang dieser ersten Texte bei.222 2. Geminatio Die Wiederholung, im Bereich der Rhetorik mit dem Begriff der Geminatio (it. geminazione) belegt, ist ein in der Oper ausgesprochen beliebtes Stilmittel, dies noch stärker auf der musikalischen als auf der sprachlichen Ebene. Je nach Zeitgeschmack und Intention des Komponisten wird die Wiederholung mehr oder weniger häufig eingesetzt, etwa um Wiedererkennungseffekte zu erzielen (cf. beispielsweise die Leitmotivtechnik, die Richard Wagner perfektioniert hat) und so das Verständnis der Handlung zu vereinfachen. Die musikalische Wiederholung geht oft einher mit der sprachlichen Wiederholung bzw. wirkt sogar als konditionierende Kraft, die jedoch im Libretto teilweise nicht explizit bzw. nur durch Abkürzungen («ecc.», «da capo» o. ä.) dargestellt ist und erst durch die Aufführung realisiert wird. Die musikalischen Strukturen bestimmen in diesem Bereich besonders deutlich die sprachliche Ausgestaltung, dies jedoch oft erst im Moment der Verbindung mit der szenischen Umsetzung. Ein Libretto ist in diesem Sinne im Moment der Aufführung kein fester Text mehr, der Wort für Wort umgesetzt wird, sondern eine Art «Gestell», an dem sich die musikalische Realisierung orientiert,223 die durch die Ausführenden der jeweiligen Inszenierung (Regisseur, Dirigent, Bühnenbildner etc.) erst umgesetzt und gestaltet wird. Zudem muss im Bereich der Geminatio wieder stärker zwischen den beiden literarisch-musikalischen Genres differenziert werden: Laut einer gängigen These ist dieses Verfahren viel häufiger in der opera buffa anzutreffen als in der seria: «L’iterazione della stessa forma in funzione elativa è un tradizionale espediente del teatro comico» (Serianni 2002, 166 n. 93, cf. auch Rossi 2005a, 166). Rossi differenziert außerdem zwischen der emphatischen und der intensivierenden Wiederholung (cf. ib., 167). Erstere trete hierbei auf «con l’unica esigenza espressiva

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Bei den hier oftmals unter dem Begriff «frühe Libretti» zusammen gefassten Texten muss stets differenziert werden zwischen den sehr literarisch anmutenden, thematisch wie sprachlich durchkomponierten ersten Operntexten eines Rinuccini oder Striggio und den auch musikalisch viel leichteren venezianischen Libretti von Aureli oder Minato. Eine Binnengliederung wird hier jedoch zu Gunsten der auf große Entwicklungslinien ausgerichteten, drei Jahrhunderte umspannenden Analyse vernachlässigt, cf. jedoch das Fazit zum vorliegenden Abschnitt weiter unten. Zum Vergleich: Im hier analysierten Korpus Q stellt Metastasios Olimpiade mit 9095 Okkurrenzen und 1488 Versen den längsten, Striggios Orfeo mit 3966 Okkurrenzen und 678 Versen den kürzesten Text dar, cf. hierzu weiter oben, Kap. 2.1. und 3.1. Cf. hierzu die Überlegungen weiter oben, Kap. 1.1., und das oft zitierte Bild Hugo von Hofmannsthals, das Libretto sei ein Gestell, an dem man die Musik «hübsch aufhängen» könne, cf. etwa Honolka 1979, 14.

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di ribadire un’esclamazione, spesso un grido» (ib.), etwa bei dem Ausruf All’armi! All’armi!. Bei der intensivierenden Wiederholung wiederum handle es sich um «raddoppiamenti intensivi, spesso del tutto o quasi lessicalizzati» (ib.), etwa in presto presto, piano piano, sì sì etc. Rossi weist Letztere vor allem in der buffa und der semiseria nach, die ausgesprochen häufig Wendungen wie z. B. andiamo andiamo, basso basso, basta basta, lento lento, presto presto, viva viva etc. enthalten (cf. ib., 169). In der Tat sind intensivierende Wiederholungen in den beiden hier analysierten seria-Korpora Q und E eher selten. Am häufigsten tritt einfaches sì sì oder no no auf (in E6 zudem bene! bene!), dies jedoch erst ab dem 18. Jahrhundert (cf. etwa E4, Q9, E6, Q10). In Piaves Rigoletto (E6) finden sich einige wenige intensivierende Wiederholungen, die bereits auf die schon früher festgestellte Tendenz zum Antirealismus dieser Oper hinweisen:224 Zitti, zitti moviamo a vendetta, ne sia colto or che meno l’aspetta. Derisore sì audace costante a sua volta schernito sarà!... Cheti, cheti, rubiamgli l’amante, e la corte doman riderà (E6 Piave, Rigoletto I 15).

Einzig in Boitos Otello-Libretto (Q10) – das damit zum wiederholten Male als die Regel bestätigende Ausnahme fungiert – sind die intensivierenden Wiederholungen recht häufig vertreten, was jedoch durch die Handlungsstruktur im ersten Akt erklärt werden kann (Ankunft Otellos auf einem Schiff während eines Sturms, anschließende Freudenfeuer und Trinkgelage zur Feier des Sieges über die Türken): Aita! Aita!, Evviva! Evviva!, Vittoria! Vittoria!, Soccorso!! Soccorso!! etc. Ähnliche Szenen sind in Libretti des 18. oder 17. Jahrhunderts jedoch schon aus rein thematischer Sicht undenkbar,225 weshalb Stilmittel und Thematik der Oper stets im Zusammenhang zu betrachten sind. Die zweite Untergruppe der Geminatio, die der emphatischen Wiederholungen, ist dagegen in Libretti aller Jahrhunderte nachzuweisen; ob sie sich strukturell und semantisch innerhalb der ernsten Gattung im Laufe der Jahrhunderte verändert, soll die folgende Detailanalyse ausgewählter Belege aus Q und E zeigen.

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So ist ein von zahlreichen Chorstimmen zwangsläufig recht laut gesungenes Zitti, zitti! – wenn man es nüchtern betrachtet – ein Paradoxon, das sehr weit von realen Kommunikationssituationen angesiedelt ist, cf. hierzu bereits weiter oben, Kap. 1.1. Zum antirealismo cf. weiter oben, passim, bes. Kap. 4.2.1. und 4.2.3. Dies ist u. a. auch durch die entsprechenden literarischen Vorlagen zu begründen. Während im 19. Jahrhundert zunehmend romantische Dramen als Textgrundlage verwendet werden (etwa bei Norma, Ernani, Otello, Lucia di Lammermoor, Rigoletto, cf. weiter oben, Kap. 2.1.), sind solche Szenen in Libretti nach antiken Dramenvorlagen nicht ohne Weiteres vorstellbar.

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In den Libretti des 17. Jahrhunderts sind die Wiederholungen insgesamt sehr selten vertreten (dabei in der ältesten Textvorlage E1 noch am häufigsten), zudem werden sie eher anaphorisch verwendet und wirken wenig spontan und emotional, sie erinnern vielmehr an die deklamatorischen Wiederholungen des Sprechtheaters: S’hai di saper desio d’un cieco arcier le prove chiedilo al re dell’onde chiedilo in cielo a Giove e tra l’ombre profonde del regno orrido oscuro chiedi, chiedi a Pluton s’ei fu sicuro? (E1 Rinuccini, La Dafne I). Taci taci bel figlio! (ib.) Ah tristo, tristo! (ib.).

Auch in den Libretti des Folgejahrhunderts spielen Wiederholungen eine untergeordnete Rolle und fallen im gesungenen Kontext nur wenig auf. Gerade bei Metastasio, dem man allgemein eine lineare und überschaubare Syntax nachsagt (cf. weiter oben, passim), sind ausgesprochen wenige Wiederholungen festzustellen. Einzig in Varescos Idomeneo-Libretto, das allgemein als wenig gelungen gilt (cf. hierzu weiter oben, passim, bes. Kap. 3.2.), finden sich einige wenige Beispiele für das Stilmittel der Geminatio: Ah dimmi amico, dimmi, dov’è, dove quel dolce aspetto vita mi renderà? (Q6 Varesco, Idomeneo I 10) ahimè! perché ti sdegni? disperato mi fuggi?... ah dove, ah dove? (ib.).

Dort sind auch ansatzweise bereits solche Szenen enthalten, die weiter oben als «Stammelszenen» bezeichnet wurden (cf. Kap. 4.1.2.) und auf der Grundlage von wiederholten Ausrufen besonders emotional wirken sollen, weshalb vermutlich ihr Anteil im Laufe des 19. Jahrhunderts sprunghaft ansteigt: idomeneo Addio! idamante Addio!

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elettra Addio! elettra / idamante / idomeneo Addio! idamante / idomeneo (Destin crudel!) idamante (Oh Ilia!) idomeneo (Oh figlio!) (Q6 Varesco, Idomeneo II 6).

Doch wirklich bedeutsam sind die Wiederholungen erst in den Libretti des 19. Jahrhunderts. Hier werden sie zunehmend als bewusst eingesetztes Stilmittel wirksam, mit dem Ziel, dem Publikum verschiedene Gefühlslagen der handelnden Figuren deutlich vor Augen zu führen: Ah dov’è, dov’è il cimento? (Q7 Rossi, Semiramide I 8) Dei dolci tuoi sospiri, Del tuo bel crin le anella Dammi, dammi poter baciar (Q8 Romani, Norma I 8) Ah! Ripeti, o ciel, Ripeti si lusinghieri accenti! (ib.) 226 Me rassicura, o sgrida, Salvami da me stessa, Salvami, salvami dal mio cor! (ib.) Ah! No, giammai, ah, no. Ah, pria spirar! (ib., I 9) Tremi tu? E per chi? E per chi tu tremi? (ib.).227

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Hier ist die Struktur zudem durch die Anrufung des Himmels aufgebrochen. Im zuletzt zitierten Beleg findet sich zudem eine bemerkenswerte Kombination aus Geminatio, Chiasmus und Anadiplose.

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Auch im Bereich der emphatischen Wiederholungen fällt vor allem Boitos Otello (Q10) durch die Vielzahl an Varianten auf; hier bekommt die Geminatio den Status eines typischen Merkmals; sie drückt neben den Aufforderungen vom Typ All’armi!! All’armi!! (ib., I 1) oder Cantiamo! Cantiamo! (ib. IV 1) z. B. auch konkrete Körper- und Seelenzustände der Figuren aus, etwa den Zustand der Trunkenheit oder den der Erleichterung: jago bevi, bevi con me! cassio e bevo e bevo e bevo... (Q10 Boito, Otello I 1) Bevi, bevi con me, bevi con me! (ib.). È salvo! è salvo! (ib.) Vivi felice! vivi felice! (ib. II 3).

Selbst sprachliche Störungen wie etwa das Stottern – hier ebenfalls durch Trunkenheit ausgelöst – werden durch Wiederholungen dargestellt:228 ...s’impor... s’impor... s’imporporino (ib. I 1).

Darüber hinaus enthält das Otello-Libretto auch dreigliedrige Wiederholungen, die weniger dem emotionalen als dem Bereich der Konkreta entstammen und auf bestimmte, die Handlung antreibende Details hinweisen: il fazzoletto! il fazzoletto! il fazzoletto! Ah! Ah! Ah! (ib. III 9) O salce! Salce! Salce! (ib. IV 1, Desdemonas Canzone del salice, Passage tritt insgesamt drei Mal auf).

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Auch hier wird wieder deutlich, dass eine gewisse thematische «Modernität» die Voraussetzung für die Verwendung solcher rhetorischer Stilmittel ist. Ein Libretto, das sich textlich eng an eine antike Vorlage hält, wird seltener betrunkene oder stotternde Akteure aufweisen. Zudem wirkt die Musik hier unterstützend, indem sie parallele Wiederholungen beisteuert.

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Eine weitere Variante stellen die – zudem zur gleichen Zeit von mehreren Stimmen gesungenen und damit noch weiter intensivierten – dreigliedrigen Wiederholungen innerhalb von Chorszenen dar: dame Pietà! Pietà! Pietà! cavaliere Mistero! Mistero! Mistero! (ib. III 8).

Wiederum ist es also Boitos Libretto, das innerhalb der beiden hier analysierten Korpora eine Sonderstellung einnimmt und vor allem durch die zahlreichen emotionsreichen und gleichzeitig antirealistischen Details auffällt. Besonders ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts treten insgesamt verstärkt solche emphatischen Wiederholungen auf.229 Bedeutsam erscheint hierbei die Tatsache, dass nun zudem ihre syntaktische Struktur verändert ist: Waren es zuvor eher Adverbien, Verben oder Interjektionen, die wiederholt wurden, so sind es jetzt häufig emotionale Substantive oder Adjektive, die asyndetisch aneinander gereiht werden: Guerra, guerra! [...] Sangue, sangue! Vendetta! [...] Strage, strage! (Q8 Romani, Norma II 7) Sangue, sangue, vendetta, vendetta (Q9 Piave, Ernani II 14, 2 x) Gran nuova! gran nuova! (E6 Piave, Rigoletto I 4) Sì, vendetta, tremenda vendetta di quest’anima è solo desio (ib. II 8) Atroce! atroce! (Q10 Boito, Otello II 5) ahi stolto! stolto! (ib. III 8).

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Bemerkenswert erscheint auch die Tatsache, dass Gaetano Rossis Semiramide von 1823 (Q7) nahezu keine Wiederholung aufweist, während Felice Romani in der nur 8 Jahre später uraufgeführten Norma (Q8) sehr häufigen Gebrauch von diesem Stilmittel macht. Es scheint sich hier jedoch eher um ein idiolektales als um ein diachron beeinflusstes Phänomen zu handeln, denn auch Salvatore Cammaranos Lucia di Lammermoor (E5, Uraufführung 1835) weist kaum Wiederholungen auf, die beiden Piave-Libretti dagegen solche in sehr hoher Anzahl (Q9, uraufgeführt 1844, und E6, uraufgeführt 1851).

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Häufig ist in den Libretti des 19. Jahrhunderts auch die Wiederholung von Eigennamen, Titeln oder Verwandtschaftsgraden anzutreffen: Abbandonarmi così potresti! Abbandonarmi così! Adalgisa! Adalgisa! (Q8 Romani, Norma I 6) Padre, ah, padre! (Q9 Piave, Ernani III 4) Elvira! Elvira! (ib. IV 7) Duca, duca? (E6 Piave, Rigoletto II 2) Mia figlia!... dio!... mia figlia!... (ib. Schlussszene) Gilda! Mia Gilda! è morta! (ib.).

Eine weitere Variante der Geminatio ist das Lachen, das in dem Moment, in dem es musikalisch umgesetzt werden soll, auch sprachlich dargestellt werden muss, anders als etwa in einem Sprechtheaterstück, das sich auf Regieanweisungen (Typ X lacht) beschränken kann. In den Korpuslibretti (die ja allesamt Libretti der ernsten Sparte sind und das Lachen somit nicht als bedeutendes szenisches Mittel beinhalten) wird es zumeist als wiederholtes ah ah gekennzeichnet; es findet sich ausschließlich in Piaves Rigoletto (E6) und Boitos Otello (Q10), also den beiden jüngsten Libretti innerhalb der beiden Analysekorpora: In E6 stehen vier Mal zweigliedriges Ah, ah! und ein Mal ein dreigliedriges Ah! ah! ah!, in Q10 tritt es häufiger auf: vier Mal zweigliedrig, ein Mal dreigliedrig, ein Mal vier-, ein Mal fünf- und sogar ein Mal 13gliedrig (im Chor der Zyprioten, wiederum in der Eingangsszene der Oper): cassio (interrompendo) In fondo all’anima ciascun mi guardi! (beve) non temo il ver, non temo il ver. jago ...bevi con me... cassio (barcollando) ...non temo il ver...

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jago ...bevi, bevi con me. cassio ...e bevo e bevo e bevo... ciprioti (la metà del Coro; ridendo) 230 Ah! Ah Ah! Ah ah! Ah ah!... ...Ah ah! Ah ah! Ah ah! (Q10 Boito, Otello I 1).

Auch hier ist also Boitos Libretto besonders auffällig, dessen letzte Szene denn auch nochmals einen bunten Reigen an kombinierten Wiederholungen aufweist: Desdemona! Desdemona!... Ah... morta!... morta!... morta!... (Q10 Boito, Otello IV 4) Un bacio... un bacio ancora... un altro bacio... (ib., Abschlussworte Otellos).

3. Oxymoron Als letztes hinzufügendes Stilmittel sei an dieser Stelle das Oxymoron behandelt, das Schulze-Witzenrath allerdings den Verfahren im Bereich der Wortsemantik zuordnet und als «widersprüchliche Verbindung zweier Wörter, meist eines Adjektivs mit einem Substantiv, dessen wesentliches (nukleares) Sem das Adjektiv negiert» (ib., 88) definiert.231 Da es in der Sprache des Opernlibrettos eine nicht unbedeutende Rolle spielt und zudem in den analysierten Korpora nicht nur die Wortebene (etwa dolce morte, gioia feroce), sondern teilweise auch die Vers- oder Satzebene (Si dolce è la fiamma / Ch’il petto mi infiamma, cf. das Zitat aus Q2 Aureli, L’Orfeo weiter unten) betroffen ist und sich oftmals mit anderen Verfahren und semantischen Phänomenen mischt (Hyperbel, Metapher, Wortfeld etc.), sei es hier auch als syntaktisches Stilmittel betrachtet. Das Oxymoron weist zudem eine variierende Form auf und kann daher auch Auswirkungen auf die Struktur von Syntagmen oder kompletten Sätzen haben. Am häufigsten findet sich die «klassische» Form des Oxymorons, die aus der Kombination Adjektiv + Substantiv (Typ dolce morte) oder Substantiv + Adjektiv (Typ gioia feroce), manchmal auch Adjektiv + Adjektiv (Typ dolceamaro, nicht in den beiden Korpora nachweisbar) besteht, teilweise ist es jedoch auch unterbrochen durch weitere Satzbestandteile

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Man beachte hier die erläuternde Regieanweisung, ohne die das auf sprachlicher Ebene nur annähernd nachzuahmende ah ah nicht ohne weiteres als Lachen identifizierbar wäre. Die szenische Umsetzung weicht, wie Hörproben leicht bezeugen, ohnehin zumeist – in Abhängigkeit von der jeweiligen Inszenierung – von den vorgegebenen Lauten ab. Der Begriff des Oxymorons stellt seine Bedeutung namentlich selbst dar: gr. oxys ‘scharf’ + mƿros ‘dumm’ = ‘scharf(sinnig)-dumm’, cf. Metzler Lexikon Sprache (= Glück 22000), 502.

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(Typ vista troppo dolce e troppo amara) und wirkt dann prägend auf das Gesamtsyntagma. Für die Sprache der Oper eignet es sich deshalb so besonders, da es die Zerrissenheit der handelnden Figur, die oftmals zwischen Liebe und Tod, zwischen Furcht und Heldentum oder zwischen Hoffen und Bangen schwankt, auch semantisch und syntaktisch nachbildet. Beispiele für den Typ Adjektiv + Substantiv:232 dolce inganno, dolce oblio (Q1 Striggio, Orfeo), dolce inganno, dolce ardor (Q2 Aureli, Orfeo), oh dolce morte! (Q6 Varesco, Idomeneo), dolci palpiti (Q7 Rossi, Semiramide), dolci sospiri (Q8 Romani, Norma) etc. Beispiele für den Typ Substantiv + Adjektiv: amor cruda (E1 Rinuccini, La Dafne), douceur funeste, fidélité trop cruelle (Q3 Quinault, Roland), alma agghiaccia (Q7 Rossi, Semiramide), qual gioia feroce! (E6 Piave, Rigoletto) etc. Auch treten viele Verbindungen von Adjektiven mit Konkreta auf, die ohne Kontext wenig sinnvoll erscheinen und ebenfalls wie Oxymora wirken: dolce rugiada (Q2 Aureli, Orfeo), rete crudel (Q4 Zeno, Teuzzone), dolce nodo (Q6 Varesco, Idomeneo) etc. Neben den klassischen Adjektiv-Substantiv-Verbindungen treten Oxymora auch in weiteren Kombinationen auf, wie etwa als Verb-Partizip-Bildung in dem bekannten Metastasio-Begriff des arder gelando (cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1.3.): Ah chi mai vide anima lacerata da tanti affetti e sì contrari? Io stesso non so come si possa minacciando tremare, arder gelando, piangere in mezzo all’ ire, bramar la morte, e non saper morire (Q5 Metastasio, L’Olimpiade II 15).233

Viel häufiger als diese traditionellen Oxymora sind jedoch die Fälle der eben bereits erwähnten einfachen semantischen Antonyme, die oft innerhalb eines Syntagmas auftreten: In un gelato sen fiamma d’amore (E1 Rinuccini, La Dafne I)

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In diesem Bereich ist die Auswahl an Adjektiven begrenzt, es finden sich einige typische Adjektive immer wieder, die besonders geeignet für eine semantische Dichotomie scheinen, in den zitierten Beispielen etwa dolce. Cf. hierzu auch den Abschnitt zu den Wortfeldern weiter oben, Kap. 4.1.4. Dieser Belegt zeigt, dass die handelnden Figuren oftmals ihre innere Zerrissenheit auch selbst explizieren, die dann mit rhetorischen Mitteln noch unterstrichen wird.

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Ahi, vista troppo dolce e troppo amara (Q1 Striggio, Orfeo IV) Sol di notte il freddo gelo Spegnerà l’ardor ch’ho in sen. Si dolce è la fiamma, Ch’il petto mi infiamma, Che struggermi io godo per chi mi ferì (Q2 Aureli, Orfeo II 15) Oh dio di gioia io moro. Ed il mio petto a pena può alternare i respiri. (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 10).

Das Stilmittel des Oxymorons ist, wie die kurze Analyse zeigt, ein für die gesamte Librettosprache typisches Verfahren, doch scheint hier ein leichtes Übergewicht auf den Texten des 17. und 18. Jahrhunderts zu liegen, die zumindest zahlreichere Beispiele aufweisen. Diese Beobachtung fügt sich ein in die bereits mehrfach geäußerte These, dass sich die Rhetorik in den frühen Libretti als insgesamt diffiziler darstellt als in denen des 19. Jahrhunderts, denn das Oxymoron ist zwar ein semantisch oft recht drastisch wirkendes Stilmittel, das aus diesem Grund gut mit den emotionalen Verfahren vereinbar wäre, doch ist es viel subtiler als diese und fällt – zumal während einer gesanglichen Darbietung – weniger auf als etwa exklamative Wendungen oder Imperative, die dem Zuhörer unmittelbar bewusst werden und direkte Wirkung erzielen. Das Oxymoron ist vielmehr eher der «gelehrten» Seite der Stilmittel zuzuordnen und somit in den Libretti des 17. und 18. Jahrhunderts, die man wie Theaterstücke lesen kann (und die auch so behandelt wurden), viel häufiger anzutreffen als in den sprachlich oberflächlicheren Nachfolgetexten. Auch spielen hier semantisch erstarrte Wortfelder eine Rolle, die sich vor allem in Libretti von Metastasio und seinem Umfeld finden (cf. hierzu weiter oben, Kap. 4.1.3.), die jedoch nach dem 18. Jahrhundert zunehmend an Relevanz verlieren. Im 19. Jahrhundert treten dann vorrangig konventionalisierte Metaphern an die Stelle der weniger eindeutigen, widersprüchlichen und damit weniger leicht zugänglichen Oxymora. 4.2.4.2. Verfahren der Tilgung Als Verfahren der Tilgung bezeichnet Schulze-Witzenrath das Asyndeton («Auslassung der Konjunktion in einer Reihung mehrerer Syntagmata oder Sätze», Schulze-Witzenrath 22003, 76, z. B. in Schillers Alles rennet, rettet, flüchtet; das Gegenteil ist das Polysyndeton, z. B. in Und es wallet und siedet und brauset und zischt desselben Autors), die Ellipse («Auslassung eines normalerweise notwendigen Satzteils», ib.), und das Zeugma («syntaktische Klammerbildung, bei der ein einzelnes gewissermaßen ‹ausgeklammertes› Satzglied mehreren anderen Satzgliedern zugeordnet ist; dabei kann es a) syntaktische oder b) semantische 308

Unverträglichkeiten geben, wie z. B. in a) der Himmel ist blau und die Bäume grün, b) ein Wort nimmt sich, ein Leben nicht zurück (Schiller)», ib.). 1. Asyndeton und Polysyndeton Die beiden für die Alltagssprache im Allgemeinen typischen und wenig auffälligen Verfahren Asyndeton und Polysyndeton sind für die Sprache der frühen Opernlibretti nur von geringem Interesse, da sie für eine gewisse syntaktische Monotonie sorgen, die in diesen ersten Opern selten existent ist. So spielen auch im 18. Jahrhundert Aufzählungen insgesamt eine untergeordnete Rolle und sind kaum nachweisbar, allenfalls Metastasio verwendet gelegentlich kürzere asyndetische Aufzählungen, bei denen es sich jedoch um für das Asyndeton typische Substantivreihungen handelt: Ho innanzi agli occhi Megacle, la palestra, i giudici, i rivali; io mi figuro questi più forti e quei men giusti. Io pruovo doppiamente nell’ alma ciò che or soffre il mio ben, gli urti, le scosse, gl’ insulti, le minacce... (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 10).

Gänzlich anders gestaltet sich die Lage in den Libretti des 19. Jahrhunderts, in denen das Asyndeton ein häufig genutztes Stilmittel darstellt. Auch hier sind zunächst die einfachen Aufzählungen von Substantiven anzutreffen: gilda Patria, parenti, amici voi dunque non avete? rigoletto Patria!... parenti!... dici?... Culto, famiglia, patria, (con effusione) il mio universo è in te! (E6 Piave, Rigoletto I 9) Credo che il giusto è un istrion beffardo, e nel viso e nel cuor, che tutto è in lui bugiardo: lagrima, bacio, sguardo, sacrificio ed onor. (Q10 Boito, Otello II 2) Qui fra gigli e rose, come a un casto altare, padri, bimbi, spose vengono a cantar. (ib. II 3).

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Darüber hinaus finden sich hier jedoch auch Reihungen anderer Wortarten, etwa die von Adjektiven: Questo padrone mio, giovin, giocondo, sì possente, bello, sonnecchiando mi dice: fa’ ch’io rida, buffone... (E6 Piave, Rigoletto I 8).

Eine weitere Steigerung stellt wiederum Boitos Otello-Libretto dar, in dessen in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fallender erster Szene (cf. hierzu bereits weiter oben in diesem Abschnitt) sich zahlreiche Beispiele für das verbale Asyndeton finden lassen, das im gesprochenen bzw. gesungenen Kontext zu einer viel lebhafteren, nahezu onomatopoetischen Darstellung führt als bei den Substantiv- oder Adjektivreihen:234 Fuoco di gioia, l’ilare vampa fuga la notte col suo splendor. Guizza, sfavilla, crepita, avvampa fulgido incendio che invade il cor. (Q10 Boito, Otello I 1) Splende, s’oscura, palpita, oscilla, l’ultimo guizzo, lampeggia e muor. (ib.).

Das Asyndeton wird also erst nach Metastasios Zeiten zu einem beliebten Stilmittel, das vor allem zur Affektsteigerung eingesetzt wird und daher in den frühen Libretti noch keine bedeutende Rolle spielt. 2. Ellipse Ein anderes Stilmittel der Tilgung ist die Ellipse, die vor allem in den Librettotexten des 17. und 18. Jahrhunderts auftritt. In der überwiegenden Anzahl der Fälle handelt es sich dabei um die Auslassung des Prädikats in einem der beiden grammatikalisch ansonsten gleichgeschalteten Syntagmen: Ecco Orfeo, di cui pur dianzi Furo cibo i sospir, bevanda il pianto (Q1 Striggio, L’Orfeo I) Fu ben felice il giorno, mio ben, che pria ti vidi, e più felice l’ora che per te sospirai, poich’al mio sospirar tu sospirasti. (ib.)

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Auch die Musik tut hier natürlich ein Übriges, um den Charakter der Szene zu unterstreichen bzw. erst zu erzeugen.

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Cinto l’un d’acceso telo Porta il foco, e l’altra il gelo (Q2 Aureli, L’Orfeo I 14). Tu resta, io vado; tu a combatter coi voti, ed io con l’armi (Q4 Zeno, Teuzzone II 2) A voi dobbiamo pietosi numi! e a quei bei lumi la libertà (Q6 Varesco, Idomeneo I 3).

In den Libretti des 19. Jahrhunderts dagegen spielt die Ellipse keine große Rolle, was vielleicht daran liegen mag, dass hier zumeist alles sehr explizit in kurzen, überwiegend parataktisch angeordneten Syntagmen ausgedrückt wird, wodurch für rhetorische Finessen kein Raum bleibt. 3. Zeugma Die Grenze von der Ellipse zum Zeugma ist fließend, welches als fehlerhafte elliptische Sonderform gilt und als «Verknüpfung ungleichartiger Satzglieder durch ein gemeinsames Prädikat» (Bußmann 42008, 808) definiert wird. Am häufigsten treten hierbei Inkongruenzen in der Syntax auf (Typ Er trank Bier, wir Wein), doch sind auch solche in der Semantik möglich (Typ Es ist leichter, den Mund zu halten als eine Rede, cf. ib.), die dann weniger als Fehler denn als hintersinnige rhetorische Figur wahrgenommen werden. Für dieses Kapitel relevant sind vor allem die syntaktischen Unverträglichkeiten, die in beiden Analysekorpora vertreten sind, dabei besonders solche Fälle, in denen das Prädikat nicht die richtige Kongruenz für beide Syntagmen aufweist: io sono amante; voi regina di Persia (E2 Minato, Xerse I 7) Licida il regio erede fu la mia fiamma ed io la sua. (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 4). Pari siamo!... io la lingua, egli ha il pugnale; l’uomo son io che ride, ei quel che spegne!... (E6 Piave, Rigoletto I 8).

Die untersuchten Verfahren der Tilgung spielen in den Korpuslibretti demnach eine sehr unterschiedliche Rolle, die von chronologischen Entwicklungen und Moden bestimmt wird. Dabei bestätigt sich wiederum die bereits festgestellte Tendenz, dass sich die Libretti etwa bis zu den Zeiten Metastasios in rhetorischer Hinsicht insofern ähneln, als sie eher komplizierte, «literarische» Verfahren (wie 311

etwa die Ellipse) aufweisen, während die Librettisten des 19. Jahrhunderts mehr zu den der Sprechsprache näheren, einfachen Stilmitteln (Asyndeton, Zeugma) greifen, die durch ihren meist die Expressivität der Sprache betonenden Charakter auch bei der Aufführung unmittelbar für den Zuhörer verständlich sind. Damit nehmen die Tilgungsverfahren eine wichtige Rolle für die chronologische Differenzierung der rhetorisch-syntaktischen Stilmittel ein, auf die an späterer Stelle zurückzukommen sein wird. 4.2.4.3. Verfahren der Umstellung Die wichtigsten Verfahren der Umstellung von Satzteilen, Hyperbaton und Inversion, wurden bereits im vorangegangenen Kapitel (cf. Kap. 4.2.3.) behandelt, so dass an dieser Stelle lediglich der Chiasmus als «Überkreuzstellung der einander entsprechenden Elemente in zwei parallelen Syntagmata» (Schulze-Witzenrath 22003, 77) ergänzt werden soll, da er ein durchaus gebräuchliches Stilmittel in den Opernlibretti darstellt. Oftmals handelt es sich dabei, wie in den beiden ersten zitierten Beispielen, um Redensarten, die eine allgemeine Weisheit wiedergeben und meist mit chi eingeleitet werden: Amante non è Chi chieder non sa. Pregata beltà Non nega mercè. Chi chieder non sa Amante non è (Q2 Aureli, L’Orfeo I 11) Chi geloso non è, non vive amante (ib. I 14).

Der erste Beleg zeigt dabei deutlich, wie kunstvoll auch aus metrischer Sicht die frühen Texte konstruiert sind. Noch häufiger treten solche Chiasmen auf, bei denen die – meist hierarchisch begründete – Differenz zwischen zwei Figuren verdeutlicht werden soll: Invano aspira al trono, egli è il germano, e la regina io sono (E3 Haym, Giulio Cesare I 5) Il reo son io, / io son lo scelerato (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 15) Egli è delitto, punizion son io (E6 Piave, Rigoletto III 4).

Diese Belege unterstreichen die enge Verwandtschaft zwischen Parallelismus und Chiasmus sowie die Ähnlichkeit mit dem Zeugma, auch wenn hier keine gramma312

tikalischen Inkongruenzen auftreten. Besonders bei Zeno und Metastasio, den Libretto-Meistern des 18. Jahrhunderts, finden sich kunstvolle Überkreuzstellungen: Vieni, che qui doglioso, sposa e amante t’attendo, amante e sposo (Q4 Zeno, Teuzzone I 6) Vorrei spiegar l’ affanno, nasconderlo vorrei (E4 Metastasio, Semiramide I 4) Quest’è un buffone, ed un potente è questo! (ib. III 9).

Gerade bei Metastasio fallen teilweise besonders komplexe Strukturen auf, bei denen passagenweise unterschiedliche rhetorische Verfahren miteinander kombiniert werden, wie etwa im folgenden Beispiel Ellipse, Chiasmus und Asyndeton: Aristea Ma ti ricordi ancora le sue sembianze? Argene Io l’ ho presente. Avea bionde le chiome, oscuro il ciglio, i labbri vermigli sì ma tumidetti, e forse oltre il dover, gli sguardi lenti e pietosi, un arrossir frequente, un soave parlar... (Q5 Metastasio, L’Olimpiade I 4).235

Solche rhetorisch komplizierten Verknüpfungen treten in den Libretti des 19. Jahrhunderts nicht auf, hier herrschen allenfalls einfache Parallelsyntagmen vor, die zudem wieder plakativ wirken und zumeist in Exklamationen eingebaut sind: Fuoco di gioia, rapido brilla! Rapido passa, fuoco d’amor! (Q10 Boito, Otello I 1).

4.2.4.4. Fazit Insgesamt zeigt die Analyse der rhetorisch-syntaktischen Verfahren recht anschaulich, dass zwischen den frühen Libretti, die in diesem Fall chronologisch etwa von den Anfängen bis zu den Texten Metastasios definiert werden können, und denen des 19. Jahrhunderts differenziert werden muss. Hier findet sich eher als

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Cf. zu diesem Beleg auch bereits weiter oben, Kap. 4.1.4. (zum Wortfeld augen).

313

bei den im vorangegangenen Kapitel untersuchten Inversionen der von Vittorio Coletti vermutete «momento di radicale cambiamento linguistico» (Coletti 2001, 21), wobei aus syntaktischer Sicht weniger ein Übergang von einer klaren, linearen zu einer verdrehten Struktur («sintassi [...] non di rado stravolta», ib., 22) als von einer rhetorisch subtilen, literarisch ausgearbeiteten zu einer plakativen, teilweise simplen und vor allem eingängigen Syntax zu belegen ist. Begründbar ist dies mit der Umgewichtung von parola und musica (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.): In dem Moment, in dem der Schwerpunkt einer Oper auf die Musik verlagert wird bzw. das Publikum sich auf einige wenige Bravourarien konzentriert, sind rhetorische Feinheiten nicht mehr notwendig oder würden sogar störend wirken, da der Zuhörer/Zuschauer einer Oper sich nicht mehr auf den Text, sondern auf das Bühnengeschehen und die Musik konzentrieren soll. Die vor allem auf emotionale Wirkung ausgelegten großen italienischen Opern eines Verdi, Puccini, Donizetti oder Bellini weisen daher folgerichtig nur solche rhetorischen Mittel auf, die unmittelbar verständlich und eingängig sind, also etwa Aufzählungen, Wiederholungen und Anaphern. Die Libretti dagegen, in denen der Text dominierend wirkt und die auch als von der Musik unabhängige Werke gelesen werden können, sind absichtlich auf der sprachlichen Seite deutlich ausgearbeiteter und weisen eine kompliziertere Struktur auf, wie die nur dort häufig verwendeten Verfahren Oxymoron, Parallelismus, Chiasmus und Ellipse belegen. Auch sie können und sollen natürlich bei einer Aufführung verstanden werden, doch müssen sie auch der Prüfung eines Nur-Lesers standhalten und ohne die musikalische Komponente ansprechen. Hiervon sind nun vor allem die frühesten Libretti (in den hier untersuchten Korpora durch Texte von Rinuccini und Striggio repräsentiert, cf. Q1 und E1) und die Texte der von Zeno und Metastasio beeinflussten Librettisten (hier Varesco und Haym neben Zeno und Metastasio selbst, cf. Q4, Q5, Q6, E3 und E4) betroffen. Eine Binnengliederung muss eventuell innerhalb des 17. Jahrhunderts getroffen werden, da sich in den venezianischen Libretti zeitweise der Schwerpunkt weg vom Text auf die Musik verlagert hatte (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.). In der Tat hat sich gezeigt, dass «die frühen Libretti» nicht alle über einen Kamm zu scheren sind und sich die Texte eines Aureli (Q2) und eines Minato (E2) teilweise durch ihre leichtere, weniger durchkomponierte Konstruktionsweise von ihren Vorgängern unterscheiden. Insgesamt jedoch ist der Schnittpunkt – zumindest aus rhetorischsyntaktischer Sicht – nach Metastasio anzusetzen, in dessen Libretti sich noch zahlreiche Stilmittel finden lassen, die im 19. Jahrhundert nicht mehr zu den Intentionen der Librettisten passen. Auch im zuletzt genannten Jahrhundert lassen sich zudem noch Differenzierungen ausmachen, denn gerade im hier analysierten rhetorischen Bereich fallen die Texte etwa ab der zweiten Jahrhunderthälfte stärker durch ihre Plakativität auf als die Libretti von Rossi (Q7, 1823), Romani (Q8, 1831) oder Cammarano (E5, 1835): Die beiden Piave-Libretti (Q9, 1844, und E6, 1851) enthalten besonders zahlreich solche Stilmittel, die der Betonung der Expressivität dienen und keine komplizierten syntaktischen Strukturen hervorrufen (Geminatio, Anapher, Asyndeton). Eine Steigerung stellt das wiederholt auffällig 314

gewordene Otello-Libretto von Arrigo Boito dar, das – vor allem in der mehrfach zitierten ersten Szene des ersten Aktes – eine Fülle an Stilmitteln aufweist, die jedoch allesamt den zuletzt genannten, rhetorisch einfach konstruierten Verfahren entsprechen. Die schon thematisch emotional aufgeladene Atmosphäre dieses Opernbeginns wird nicht nur durch die Musik, sondern auch durch die Sprache deutlich unterstützt, indem ausschließlich solche rhetorischen Mittel zum Tragen kommen, die die Expressivität der Szene direkt auf der Bühne unterstützen. Hier wäre zur Erweiterung der Perspektive zu untersuchen, ob diese besondere Struktur zum einen ein individuelles Charakteristikum des Librettisten Boito darstellt und ob sie andererseits durch die darauf folgenden, außerhalb des in der vorliegenden Arbeit analysierten Untersuchungszeitraums liegenden Texte weiter verstärkt wird. Die rhetorischen Mittel – insbesondere solche, die die Syntax betreffen – eignen sich demnach besonders zur Nachverfolgung des Paradigmenwechsels in der Sprache der italienischen Opernlibretti durch die Jahrhunderte.

4.3.

Ergebnisse der qualitativen Analysen

Das vorrangige Ziel der qualitativen Analysen war es, die durch die voran gegangenen quantitativen Studien (cf. Kap. 3.) aufgeworfenen Fragen zu beantworten und die sich andeutenden Tendenzen zu festigen oder zu widerlegen. Dabei galt es, wie dort zunächst sprachliche Gemeinsamkeiten der analysierten Libretti zu finden, die diese aus linguistischer Sicht zum einen als typische Vertreter der lingua poetica auszeichnen und zum anderen als eigenständiges Genre von den anderen Untergattungen abgrenzen. Die zweite Leitthese lautete, dass außerdem auch innerhalb des Librettoidioms Differenzierungen auszumachen sind, welche überwiegend chronologisch bedingt sind. Beide Fragestellungen können nach den qualitativen Analysen im voran gegangenen Kapitel als überwiegend geklärt gelten, vor allem wenn die Ergebnisse der beiden unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen, der quantitativen und der qualitativen, kombiniert werden (cf. hierzu das Gesamtfazit in Kap. 5). Allen 14 Libretti gemeinsam ist, wie mehrfach festgestellt werden konnte, die teils extreme Ferne zur italienischen Alltagssprache, auch unabhängig von diachronen oder anderen diasystematischen Varietäten. Diese Normferne kann, wie bereits mehrfach zitiert (cf. Kap. 4.1. und 4.2., passim), in gesteigerter Form als Antirealismus bezeichnet werden. Diverse Techniken, die allesamt Teil der allgemeinen Sprache der Poesie sind, werden in den Libretti kombiniert und potenziert und dadurch oftmals so stark überzogen, dass die Oper bei der Aufführung – auch unabhängig von anderen Störfaktoren wie Nebengeräuschen aus dem Publikum und von der Bühne, Ablenkung durch Inszenierung und musikalische Ausgestaltung etc. – aus sprachlicher Sicht kaum noch verständlich ist. Insofern können alle Texte dieses Genres zunächst als charakteristische Vertreter der Poesie gelten, die sich in einem zweiten Schritt nicht nur dadurch von den anderen Untergruppen – vor allem dem eng verwandten Sprechtheater – abgrenzen lassen, dass sie mit 315

Musik verbunden werden, sondern auch durch ihre teils extreme Konzentration literarisch-rhetorischer Konstruiertheit. Auch auf diesen Aspekt wird im Gesamtfazit zurückzukommen sein.236 Was die qualitativen Analysen jedoch besonders zum Vorschein gebracht haben, ist die interne Diversität zwischen den Libretti, die sich – auch wenn diese Unterteilung künstlich wirken mag – recht gut an den hier untersuchten drei Jahrhunderten festmachen lässt. Dabei haben sich manche Aspekte als mehr (Interjektionen und exklamative Wendungen, cf. Kap. 4.1.2., Wortfelder, cf. Kap. 4.1.3., Imperative, cf. Kap. 4.2.2., Rhetorisch-syntaktische Verfahren, cf. Kap. 4.2.4.), manche als weniger aussagekräftig (Archaismen, Kultismen, Poetismen, aulicismi, cf. Kap. 4.1.1., Subjektabschwächung, cf. Kap. 4.2.1., Inversionen, cf. Kap. 4.2.3.) im Hinblick auf die chronologische Differenzierbarkeit erwiesen. Es ergibt sich eine überraschend eindeutige Zweiteilung hinsichtlich der linguistischen Herangehensweise: Während die mehr syntaktisch ausgerichteten Analysen (cf. Kap. 4.2., v. a. Subjektabschwächung, Imperative, Inversionen) eher allgemeine Charakteristika der Librettosprache herausstreichen, decken die Ergebnisse der lexikalisch-semantischen Untersuchungen (cf. Kap. 4.1.: Interjektionen und exklamative Wendungen, Wortfelder) in der Mehrzahl chronologische Entwicklungen auf. Eine Zwischenposition nehmen dabei die rhetorisch-syntaktischen Verfahren ein (cf. Kap. 4.2.4.), die unter den syntaktischen Analysen erscheinen, je nach Definition jedoch auch den semantischen Analysen zugeteilt werden könnten und deutlich den Paradigmenwechsel innerhalb der Librettosprache unterstreichen. Die Archaismen, Kultismen und Poetismen, deren Binnendifferenzierung teilweise recht schwer fällt, sind in ihrer Gesamtheit als wichtige Mittel zur Erzeugung von Antirealismus zu bezeichnen. Sie grenzen die Sprache der Poesie von der des Alltags ab und sind zunächst typisch für die meisten Genres der Dichtung. In der Librettosprache treten sie äußerst häufig auf, vor allem in der opera seria, während die opera buffa insgesamt realitätsnäher zu sein scheint, und dies in thematischer wie in sprachlicher Hinsicht (cf. weiter oben, Kap. 4.1.1.). Allerdings lässt sich im Analysekorpus eine leichte Zunahme der arcaicità im Laufe des 18. Jahrhunderts feststellen, die auch andernorts in der Forschung bereits attestiert wurde (cf. Rossi 2005a, 199). Im Gegensatz dazu lassen sich die von Rossi vermutete Brückenfunktion des 18. Jahrhunderts einerseits (cf. ib.) und der von Coletti genannte radikale sprachliche Bruch zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert andererseits (cf. Coletti 2005, 21) an Hand des hier untersuchten Korpus bezüglich der Lexik zunächst nicht nachweisen.

236

Als Vergleichsmodell oder Folie für die Charakterisierung des Librettoidioms müsste in einer umfangreicheren Studie sicherlich auch die Literatursprache der jeweiligen Epoche differenzierend zu Grunde gelegt werden; so haben die jeweils stattfindenden literaturtheoretischen und -ästhetischen Entwicklungen vermutlich ihren Niederschlag auch in der Sprache der Libretti gefunden. In einer übergreifenden Analyse wie der vorliegenden kann eine solche Binnendifferenzierung jedoch nicht geleistet werden.

316

Die Interjektionen, die – wie die Analyse in Kap. 4.1.2. zeigt – besser durch die exklamativen Wendungen ergänzt werden sollten, sprechen eine deutlichere Sprache bezüglich der Frage nach einer Metamorphose des Librettoidioms im Laufe der Jahrhunderte: Während die eigentlichen wie auch die uneigentlichen Interjektionen keine entscheidende Rolle spielen und in allen analysierten Libretti mehr oder weniger häufig auftreten, entwickeln sich die exklamativen Wendungen eindeutig weiter von einfachen, semantisch oftmals erstarrten Bildungen im 17. und 18. Jahrhundert hin zu expressiven, zahl- und abwechslungsreicheren Ausdrücken im 19. Jahrhundert. Dieser Effekt lässt sich auch bei den Imperativen beobachten, die an Anzahl und Emotionalität zunehmen. Ein Untertyp, der imperativo tragico, tritt sogar überhaupt erst ab dem 18. Jahrhundert auf. Was die Wortfelder angeht, so ist auch hier eine Entwicklung feststellbar, die diesmal jedoch zweigeteilt ist: Einerseits ist eine Erstarrung auf lexikalischer, vor allem metaphorischer Ebene etwa ab den Zeiten Metastasios zu beobachten, die den Ergebnissen der Analyse der exklamativen Wendungen (von der Erstarrung zur emotionalen Füllung) diametral entgegengesetzt zu sein scheint. Andererseits jedoch findet auch hier eine Entwicklung von einer poetischen Simplizität, die dennoch kunstvoll gestaltet ist, hin zu einer phantasievollen Expressivität statt. Beide Ergebnisse ergänzen sich also gegenseitig und tragen dazu bei, dass man die Sprache der Opernlibretti im 19. Jahrhundert als zwischen den beiden Polen der Schematizität und Simplizität einerseits und der Expressivität und Emotionalität andererseits hin und her gerissen bezeichnen kann. Die Texte des 18. Jahrhunderts, die vor allem durch Metastasio geprägt sind, bilden hier in der Tat eine Art Brücke zwischen den Extrempolen. Die Wortfelder an sich bleiben in allen Libretti mehr oder weniger dieselben, doch werden sie in den frühen Libretti vor allem des 17. Jahrhunderts rhetorisch subtiler ausgestaltet, während sie im 19. Jahrhundert zu eher konventionellen Kodewort-Lieferanten geworden sind, die dennoch die erwähnte expressive Seite aufweisen. Der festgestellte Widerspruch ist somit nur ein scheinbarer. Der eher syntaktisch dominierte Bereich der Subjektabschwächung gibt, wie oben erwähnt, deutlich weniger Auskunft über eine chronologische Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte. So sind die Verwendung unpersönlicher und Passivformen sowie des Futurs und des passato remoto in allen Libretti der Korpora Q und E nachweisbar. Lediglich die Analyse der literarischen Strategie des Selbstdialogs hat ergeben, dass dieser erst im 18. Jahrhundert entsteht und dann vor allem zu der genannten Potenzierung der lingua poetica zu einem vollends künstlich gebildeten Idiom weitab von aller sprachlichen Realität beiträgt. Auch die Inversionen sind ein typisches Kennzeichen der Librettosprache per se, die in nahezu jedem Vers auftreten und vom Leser/Hörer kaum noch als ungewöhnlich wahrgenommen werden, so sehr prägen sie die Außenwirkung dieser Dichtungsvarietät. Ein radikaler Wechsel von linearer zu «verdrehter» Syntax ist jedoch (entgegen der These Colettis, cf. Coletti 2005, 21) vom 18. zum 19. Jahrhundert nicht zu beobachten, höchstens auch hier eine Tendenz zu wachsender Expressivität. 317

Zu eindeutigeren Resultaten führt der Blick auf die jeweils angewandten rhetorischen Verfahren, die nur insofern analysiert wurden, als sie die Syntax betreffen. Hier ist der propagierte Paradigmenwechsel ungleich stärker zu spüren als in den voran gegangenen Studien: Sind die Texte des 17. Jahrhunderts noch wie Theaterstücke lesbar, da sie eine literarisch ausgefeilte Rhetorik aufweisen, welche beim Lesen noch stärker ins Auge fällt als bei der musikalischen und szenischen Darstellung, so sind die Libretti im 19. Jahrhundert nur noch mit einfachen, auch bei der Aufführung durchschaubaren Stilmitteln versehen, die plakativ und eingängig wirken (sollen). Die Erklärung hierfür ist in der abnehmenden Bedeutung des Textes gegenüber der Musik zu suchen (cf. hierzu weiter oben, passim). Hier ist also die Entwicklung im Verlauf der Jahrhunderte unübersehbar, wobei die Libretti des 18. Jahrhunderts in vielfacher Hinsicht eine Brückenfunktion einnehmen. Als Zwischenergebnis kann an dieser Stelle demnach zunächst festgehalten werden, dass sich die Syntax des Librettoidioms im Laufe der Jahrhunderte deutlich weniger verändert als die Bereiche Lexik und Semantik. Abschließend soll eine der Ergebnisauswertung der quantitativen Analysen (cf. weiter oben, Kap. 3.4.) entsprechende Kurzcharakteristik aller 14 Libretti in Bezug auf die sieben analysierten Aspekte erfolgen.237 Im Gegensatz zu Kap. 3.4. können an dieser Stelle alle 15 italienischen Libretti berücksichtigt werden, da den qualitativen Analysen auch die nicht halbautomatisch annotierten Texte aus Korpus E zu Grunde lagen. Eindeutige statistische Angaben wie dort sind hier allerdings nicht möglich. Q3 als französisches Libretto wurde bei den qualitativen Analysen überwiegend nicht einbezogen, da die Verfahren, vor allem jene auf syntaktischer Ebene, nicht ohne weiteres zwischensprachlich vergleichbar sind. Die Libretti erscheinen in der chronologischen Reihenfolge ihrer Uraufführungsdaten.

237

Bei den Interjektionen werden die drei Aspekte Häufigkeit, Variationsreichtum und Emotionalität (in stark gekürzter Form) bewertet. Es gibt die jeweils vierteiligen Abstufungen selten – relativ zahlreich – zahlreich – sehr zahlreich; starres Schema – relativ variationsreich – variationsreich – sehr variationsreich; wenig emotional – relativ emotional – emotional – sehr emotional. Bezüglich der Subjektabschwächung erfolgen Angaben zu den unpersönlichen und Passivformen, zu den Futur- und passato remoto-Formen und zum Selbstdialog. Für die Libretti aus Korpus E können keine Ergebnisse bezüglich der Futur- und passato remoto-Formen dargestellt werden, da hier eine quantitative Auswertung auf der Basis der annotierten Texte in Korpus Q erfolgte. Bei der Analyse der Imperative wurden überwiegend die Libretti aus Korpus Q ausgewertet, so dass die sechs E-Libretti hier ausgespart bleiben müssen.

318

319

Librettist, Titel

Rinuccini, La Dafne

Striggio, La favola d’Orfeo

Minato, Xerse

Aureli, L’Orfeo

Zeno, Teuzzone

Nr.

E1

Q1

E2

Q2

Q4

1719 vorhanden

1672 vorhanden

1654 vorhanden

1607 vorhanden

1598 vorhanden

Jahr 4.1.1. Archaismen

zahlreich, rhetorisch ausgearbeitet

rel. zahlreich, rhetorisch rel. ausgearbeitet, wenig expressiv

relativ zahlreich, nicht zahlreich, starres Schema, rel. konventiowenig emotional nell, wenig expressiv

selten, starres Schema, wenig emotional

4.2.1. Subjektabschwächung

wenige, kein imperativo tragico

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, rel. viel Futur, rel. viel passato remoto, kein Selbstdialog

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, rel. viel Futur, rel. viel passato remoto, kein Selbstdialog

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

rel. wenige, zahlreich kein impe- vorhanden rativo tragico

rel. wenige, zahlreich kein impe- vorhanden rativo tragico

unpersönliche/ Passivformen k. A. vorhanden, kein Selbstdialog

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, wenig Futur, viel passato remoto, kein Selbstdialog

zahlreich vorhanden

4.2.2. 4.2.3. Imperative Inversionen

rel. zahlreich, unpersönliche/ Passivformen k. A. rhetorisch ausge- vorhanden, kein Selbstdialog arbeitet

4.1.3. Wortfelder

relativ zahlreich, rel. zahlreich, starres Schema, rhetorisch rel. wenig emotional ausgearbeitet, wenig expressiv

selten, starres Schema, wenig emotional

selten, starres Schema, wenig emotional

4.1.2. Interjektionen

[Tabelle 4.3.(1): Kurzcharakteristik der Korpuslibretti aus Q (ohne Q3) und E bezüglich der qualitativen Analysen]

rel. zahlreich, rel. komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

rel. zahlreich, weniger komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

rel. zahlreich, weniger komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

sehr zahlreich, sehr komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

rel. zahlreich, komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

4.2.4. Rhetor.-syntakt. Verfahren

320

Haym, Giulio Cesare

Metastasio, Semiramide riconosciuta

Metastasio, 1733 vorhanden L’Olimpiade

Varesco, Idomeneo

Rossi, Semi- 1823 vorhanden ramide

E3

E4

Q5

Q6

Q7

1781 vorhanden

1729 vorhanden

1724 vorhanden

Librettist, Titel

Nr.

Jahr 4.1.1. Archaismen

nicht zahlreich, rel. konventionell, wenig expressiv

nicht zahlreich, rel. konventionell, wenig expressiv

4.1.3. Wortfelder

rel. zahlreich, rel. variationsreich, rel. emotional

zahlreich, variationsreich, rel. emotional zahlreich, wenig rhetorisch, expressiv

zahlreich, wenig rhetorisch, rel. expressiv

relativ zahlreich, nicht zahlreich, starres Schema, rel. konventiowenig emotional nell, wenig expressiv

selten, starres Schema, wenig emotional

selten, starres Schema, wenig emotional

4.1.2. Interjektionen

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, rel. viel Futur, viel passato remoto, Selbstdialog vorhanden

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, rel. viel Futur, rel. viel passato remoto, Selbstdialog vorhanden

unpersönliche/ Passivformen vorhanden, rel. wenig Futur, viel passato remoto, Selbstdialog vorhanden

rel. viele, mittlerer Anteil an imperativo tragico

wenige, kein imperativo tragico

rel. viele, geringer Anteil an imperativo tragico

unpersönliche/ Passivformen k. A. vorhanden, Selbstdialog vorhanden

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

4.2.2. 4.2.3. Imperative Inversionen

unpersönliche/ Passivformen k. A. vorhanden, kein Selbstdialog

4.2.1. Subjektabschwächung

[Tabelle 4.3.(1): Kurzcharakteristik der Korpuslibretti aus Q (ohne Q3) und E bezüglich der qualitativen Analysen] (Fortsetzung)

zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher, Asyndeton

rel. zahlreich, rel. komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Anapher

zahlreich, komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

zahlreich, komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

rel. zahlreich, rel. komplex, v. a. Ellipse, Parallelismus, Chiasmus

4.2.4. Rhetor.-syntakt. Verfahren

321

Piave, Rigoletto

E6

1844 vorhanden

selten, rel. variationsreich, rel. emotional

rel. zahlreich, rel. variationsreich, rel. emotional

sehr zahlreich, sehr variationsreich, sehr emotional

Piave, Ernani

Q9

1835 vorhanden

zahlreich, variationsreich, emotional

Q10 Boito, Otello 1887 vorhanden

Cammarano, Lucia di Lammermoor

E5

1831 vorhanden

4.1.2. Interjektionen

selten, rel. variationsreich, rel. emotional

Romani, Norma

Q8

Jahr 4.1.1. Archaismen

1851 vorhanden

Librettist, Titel

Nr.

4.2.1. Subjektabschwächung sehr viele, hoher Anteil an imperativo tragico

sehr zahlreich, unpersönliche/ Passivformen wenig rhetorisch, vorhanden, wenig Futur, wesehr expressiv nig passato remoto, Selbstdialog vorhanden

zahlreich vorhanden viele, hoher zahlreich Anteil an vorhanden imperativo tragico

rel. zahlreich, unpersönliche/ Passivformen k. A. wenig rhetorisch, vorhanden, Selbstdialog vorrel. expressiv handen

viele, gerin- zahlreich ger Anteil vorhanden an imperativo tragico

zahlreich vorhanden

zahlreich vorhanden

4.2.2. 4.2.3. Imperative Inversionen

unpersönliche/ Passivformen k. A. vorhanden, Selbstdialog vorhanden

rel. zahlreich, unpersönliche/ Passivformen wenig rhetorisch, vorhanden, sehr viel Futur, expressiv rel. viel passato remoto, Selbstdialog vorhanden

zahlreich, wenig rhetorisch, expressiv

rel. zahlreich, unpersönliche/ Passivformen wenig rhetorisch, vorhanden, rel. viel Futur, expressiv rel. viel passato remoto, Selbstdialog vorhanden

4.1.3. Wortfelder

[Tabelle 4.3.(1): Kurzcharakteristik der Korpuslibretti aus Q (ohne Q3) und E bezüglich der qualitativen Analysen] (Fortsetzung)

sehr zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher, Asyndeton, einfache Parallelismen

zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher, Asyndeton

zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher, Asyndeton

rel. zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher

zahlreich, v. a. Geminatio, Anapher, Asyndeton

4.2.4. Rhetor.-syntakt. Verfahren

Als besonders auffällig erscheinen in den qualitativen Analysen die beiden in Korpus Q chronologisch am weitesten auseinander liegenden Libretti Q1 (Striggio, La favola d’Orfeo, 1607) und Q10 (Boito, Otello, 1887), was genau den Ergebnissen der quantitativen Analysen entspricht (cf. Kap. 3.4.). Beide treten wiederholt unter den anderen Libretti der jeweiligen Jahrhunderte hervor, indem sich in ihnen die geschilderten Tendenzen besonders deutlich zeigen. So enthält etwa Q1 ausgesprochen viele rhetorisch-syntaktische Verfahren, die zudem als stilistisch komplex und hochliterarisch beschrieben werden können. Q10 weist ebenso eine sehr hohe Anzahl an Stilmitteln auf (besonders in der oft zitierten ersten Szene), doch sind diese von gänzlich anderer rhetorischer Natur, denn sie stellen sich als äußerst einfach, plakativ und wirkungsbezogen dar. Im Bereich der exklamativen Wendungen nehmen die beiden genannten Libretti ebenfalls Extrempositionen ein, die von seltenen, semantisch erstarrten und wenig emotionalen Ausrufen bei Striggio zu häufigen, expressiven und sehr emotionalen bei Boito reichen. Auch auf den anderen Analyseebenen ragen diese Libretti bemerkenswert hervor, wie zahlreiche Detailanalysen gezeigt haben (z. B. kein imperativo tragico bei Striggio vs. hoher Anteil an dieser spezifischen Form bei Boito; kein Selbstdialog bei Striggio vs. zahlreiche Selbstdialoge bei Boito etc.). Insgesamt haben sich auch die qualitativen Analysen als überwiegend geeignet erwiesen, die eingangs gestellten Fragen angemessen und umfänglich zu beantworten. Zwar müssen auf diesem methodischen Weg manche Resultate offener bleiben als bei den quantitativen Studien, da sie, anders als diese, nicht auf stabilen statistischen Werten, sondern auf teils nur exemplarischen Belegen beruhen, doch stellen die auf qualitativen Herangehensweisen beruhenden Ergebnisse manche Aspekte direkter und nachvollziehbarer dar und tragen so zu einem tieferen semantischen Verständnis bei. Die Übereinstimmung der Ergebnisse aus den quantitativen mit denen der qualitativen Analysen zeigt deutlich, wie gut sich diese beiden Herangehensweisen gegenseitig ergänzen, was in der abschließenden Methodenreflexion (Kap. 5.1.) thematisiert werden soll.

322

5. Zusammenfassung der Ergebnisse

5.1. Abschließende Methodenreflexion Bevor die in den voran gegangenen Kapiteln dargestellten Analysen inhaltlich resümiert und die eingangs der Arbeit gestellten Fragen abschließend beantwortet werden, soll eine kurze Durchleuchtung der methodischen Vorgehensweise stattfinden, die rückwirkend auf ihre Sinnhaftigkeit und Effizienz überprüft wird. Die vorliegende Arbeit setzt sich aus zwei großen Analyseteilen (Kap. 3 und 4) zusammen, die beide durch korpuslinguistische Ansätze miteinander verknüpft sind (cf. Kap. 2.2.1.), sich jedoch grundsätzlich durch die angewandten Methoden unterscheiden. Wie bereits mehrfach beschrieben wurde, basiert Kapitel 3 auf einem quantitativen Zugang, mittels dessen die zuvor annotierten und thesaurierten Daten der 10 Libretti aus Korpus Q auf statistisch-mathematischem Wege analysiert wurden. Kapitel 4 präsentiert dagegen Ergebnisse, die auf Grund nichtstatistischer, nicht-exhaustiver, eher exemplarischer Untersuchungen der beiden Korpora Q und E hinsichtlich verschiedener linguistischer Phänomene gewonnen wurden. Die Methodik dieser Analysen wird hier als qualitativ bezeichnet, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Begriff «qualitativ» erst in Verbindung mit nichtqualitativen, also quantitativen Methoden sinnvoll wird,1 und dass selbstredend auch hier Frequenzlisten und Statistiken eine – wenn auch deutlich geringere – Rolle spielen. Mit dem Attribut «qualitativ» werden in der vorliegenden Arbeit demnach diejenigen Analysen belegt, die weniger mess- und errechenbare als vielmehr mit Augenmaß und einem gewissen, unvermeidbaren Grad an Subjektivität gewonnene Ergebnisse ermitteln. Ein quantitativer Wert wie etwa der Aktionsquotient gibt zuverlässig und nachprüfbar die Anzahl aller Verben in jedem einzelnen der 10 Libretti aus Korpus Q geteilt durch alle Adjektive im jeweiligen Libretto wieder (Q = v/a bzw. mit der optimierten Formel Q' = v/(a + v), cf. Kap. 3.3.2.) und kann somit als objektiv bezeichnet werden. Auf der Grundlage von beobachteten Tendenzen innerhalb der Librettosprache können mathematische Formeln konstruiert werden, mit deren Hilfe dann wiederum – im Idealfall – die Formulierung von Sprachgesetzen möglich wird. So steht am Ende einer auf quantitativen Me-

1

Cf. hierzu auch Pieper 1979, Lüdeling 2007, und weiter oben, Kap. 2.2.2.

323

thoden basierenden Untersuchung fast immer ein mit Zahlen belegbares und ohne viel Aufwand mit weiteren Texten kontrastierbares Resultat. Im Gegensatz dazu werden in den qualitativen Analysen, da sie nicht oder nur teilweise (Korpus Q) auf annotierten Daten basieren, oftmals nicht alle Belege eines ausgesuchten sprachlichen Phänomens ausgewertet, sondern lediglich ein bestimmter, aussagekräftiger Anteil, weshalb allgemeine Aussagen oder gar die Feststellung gesetzmäßiger sprachlicher Erscheinungen nicht möglich sind. Nahezu alle bisher bekannten Untersuchungen der Sprache von Opernlibretti beruhen auf dieser qualitativen Methodik,2 wobei die Zuverlässigkeit der Ergebnisse stark von der Anzahl und Wertigkeit der aufgeführten Belege, die teilweise nicht mehr als Stichproben sind, abhängt. Hier zeigt sich die Schwäche der mit qualitativen Mitteln erarbeiteten Ergebnisse: Oftmals sind sie nicht oder nur mit großem Aufwand überprüfbar; Vergleiche mit anderen Untersuchungen fallen zudem wegen der unterschiedlichen in den Analysen angelegten Messlatten schwer, klare Aussagen werden häufig vermieden. Positiv wirkt sich aus, dass – anders als bei den quantitativen Ansätzen – der nicht mit Statistik und Mathematik vertraute Laie einen schnelleren Zugang finden mag und die Ebene der Semantik eine ungleich größere Rolle spielen kann. Inhaltliche und stilistische Auswertungen fallen somit leichter und vermitteln einen unmittelbareren Zugang zu den behandelten Texten, die nicht nur als Datenlieferanten für Berechnungen behandelt werden. In manchen Analysen genügen mitunter einige wenige Beispiele, um einen Sachverhalt zu illustrieren, hier etwa bei der Ermittlung von besonders prägenden Wortfeldern in den Libretti (cf. Kap. 4.1.3.), vollständige Auszählungen sind in diesem Zusammenhang nicht notwendig. Ausschlag gebend für die Gültigkeit eines Ergebnisses ist in jedem Fall die genaue Dokumentation der Vorgehensweise, die die Resultate nachvollziehbar werden lässt. Die in dieser Arbeit präsentierten, auf qualitativen Methoden basierenden Ergebnisse vermitteln außerdem durch ihre zahlreichen Belegzitate einen umfangreichen Eindruck der hier analysierten Libretti. Zudem wurden zur Verbreiterung der Datenbasis dort zusätzlich die 6 Libretti aus Korpus E mit einbezogen, da die Präparierung der Daten weit weniger aufwändig war als für das annotierte Korpus Q. An ihre Grenzen stoßen diese Analysen, wenn sprachliche Phänomene mit hoher Belegdichte in ihrer Gesamtheit erfasst werden sollen. Hier wurde als Behelf oftmals eine einfache Statistik herangezogen, die dann ansatzweise jedoch wieder quantitativ geprägt ist. Die Knappheit und Präzision der quantitativen Analysen erscheinen in solchen Fällen als erstrebenswert, sind jedoch – zumal bei semantisch-lexikalischen Untersuchungen – nicht oder nur schwer einsetzbar.

2

Cf. etwa Rossi 2005a, Serianni 2002, Telve 1998 und 2004 oder zahlreiche Beiträge der Sammelbände von Muraro 1995, Nicolodi/Trovato 1994, Nicolodi 2000 oder Tonani 2005. Ansätze zur quantitativen Analyse von Musiktexten finden sich lediglich in dem mehrfach erwähnten Beitrag von Buford Norman zur Sprache der Quinault-Libretti (cf. Norman 1988).

324

Die Kombination beider Methoden erscheint daher als äußerst günstig, zumal in einem klar umrissenen Textkorpus wie dem hier analysierten, das sich sowohl zur statistischen Aufgliederung als auch zur inhaltlichen Detailanalyse anbietet. Beide Methoden ergänzen sich, wie die im folgenden Abschnitt dargestellten Ergebnisse an Hand der Einzellibretti belegen, in sehr vorteilhafter Weise, da zum einen alle Texte in ihrer jeweils individuellen sprachlichen Ausprägung beleuchtet als auch die beiden Korpora partiell oder in ihrer Gesamtheit auf Tendenzen und Entwicklungen in der Zeit untersucht werden konnten – und dies in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht, was eine in dieser Form bisher nicht existente repräsentative Zusammenschau eines relevanten Ausschnittes der Gattung Opernlibretto möglich werden ließ. Der ausschließlich quantitative Zugang hätte den philologischen «Wert» der Libretti vermutlich weniger deutlich werden lassen, während ein rein qualitativer Zugang subjektiv und beliebig gewirkt hätte. Eine Synthese beider Methoden unter der einigenden Überdachung der korpuslinguistischen Gesetze, wie sie in dieser Arbeit erstmals vorgestellt wurde, ist demnach durchaus erstrebenswert und auch für künftige Analysen dieser Art – vor allem für solche auf breiterer Datenbasis und mit interdisziplinärem Anspruch – zu empfehlen.

5.2. Auswertung der Einzeltexte Im Folgenden sollen die insgesamt 16 Libretti aus den beiden hier analysierten Korpora abschließend kurz charakterisiert werden. Dabei werden die Ergebnisse, die in Tabellenform in den die quantitativen und qualitativen Analysen jeweils zusammenfassenden Kapiteln 3.4. und 4.3. dargestellt sind, auf jedes Libretto bezogen resümiert und miteinander kombiniert, mit dem Ziel, über die Gesamtbewertung im folgenden Kapitel 5.3. hinaus einen Eindruck von jedem Text für sich zu liefern. Alle 16 Librettotexte sind, wie bereits weiter oben (Kap. 2.1.) geschildert, als exemplarisch anzusehen für eine bestimmte musikhistorische Epoche, darüber hinaus weisen sie jedoch auch individuelle Züge auf, die durch den jeweiligen Librettisten geprägt wurden, und repräsentieren eigene Textwelten. Die Libretti aus Korpus Q sind durch die Kombination der quantitativen mit den qualitativen Analysen im Laufe der Arbeit detaillierter beschrieben worden als die nur qualitativ untersuchten Libretti aus Korpus E, die aber dennoch zu einem Gesamteindruck von der Gattung Libretto beitragen konnten. E1: Ottavio Rinuccini, La Dafne (1598) Die erste Oper der Musikgeschichte nimmt nicht nur wegen ihres Entstehungszeitpunktes eine Art Sonderstellung in den hier präsentierten Analysen ein, sondern ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass sie zum einen durch ihren geringen Textumfang von nur 445 Versen und einem einzigen Akt noch nicht die typische Gestalt einer Oper aufweist und zum anderen nahezu gänzlich ohne 325

Musik überliefert ist.3 Ein akustisches Kennenlernen der Oper gestaltet sich somit schwierig, und auch ihre linguistische Analyse muss wegen der rein qualitativen Auswertung bruchstückhaft bleiben. Dennoch weist das Libretto bereits einige der hauptsächlichen Gattungsmerkmale auf, indem es zahlreiche Librettismen (Archaismen, Kultismen) enthält, syntaktisch vielschichtig wirkt (Inversionen) und vor allem durch eine sehr komplexe Rhetorik (Ellipsen, Parallelismen, Chiasmen) ausgezeichnet wird. Q1: Alessandro Striggio, La favola d’Orfeo (1607) Striggios Orpheus-Bearbeitung ist im Laufe der Analysen immer wieder besonders auffällig geworden, da dort – vor allem beim quantitativen Zugang – häufig Randwerte ermittelt werden konnten, die das Libretto von anderen Texten abgrenzen. Dabei konnte belegt werden, dass viele der Resultate nicht allein durch dessen besondere Kürze (678 Verse, Prolog und 3 kurze Akte ohne Szenengliederung) erklärbar sind, die in der linguistischen Statistik stets eine wichtige Rolle spielt, hier aber mittels normierter Berechnungsformeln zumeist ausgeklammert werden konnte (cf. v. a. Kap. 3.3.). Insgesamt zeichnet sich dieses Libretto vor allem durch solche Werte aus, die für einen besonders großen Wortschatzreichtum sprechen: ein sehr niedriges durchschnittliches Wortvorkommen, verbunden mit einer sehr hohen durchschnittlichen Satzlänge, einem sehr hohen Type-token-Verhältnis und einem sehr niedrigen Konzentrationsindex. Auch auf semantischer und rhetorischer Ebene ist es ungewöhnlich komplex und stilistisch ausgearbeitet (Inversionen, Ellipsen, Parallelismen, Chiasmen) und verzichtet fast völlig auf plakative Stilmittel wie Imperative, Interjektionen und exklamative Wendungen. Es ähnelt darin Rinuccinis erstem Operntext, dessen Eindruck es jedoch noch steigert. Als Begründung für die innerhalb des Korpus heraus ragenden Ergebnisse kann man neben der musikhistorisch bedingten Dominanz des Wortes gegenüber der Musik durchaus die auf der Grundlage der geschilderten Analysen nicht mehr nur subjektive These anführen, dass Striggio ein außergewöhnlich begabter Autor seiner Zeit war. Viele der (Vor-)Urteile über die Librettosprache als solche (cf. dazu Kap. 1.3.) können mit diesem Text widerlegt werden, der damit einen deutlichen Beweis für die mehrfach geäußerte Vermutung darstellt, dass «das» Librettoidiom eher von den jüngeren Libretti, namentlich denen des 19. Jahrhunderts, geprägt wurde und in den ersten Texten dieser Gattung noch eine gänzlich andere Gestalt aufweist. E2: Nicolò Minato, Xerse (1654) Nicolò Minato war – neben Aurelio Aureli und Mateo Noris – einer der bekanntesten venezianischen Librettisten des 17. Jahrhunderts, dessen hier untersuchter Text voll und ganz dem Schema dieser musikhistorischen Zeitströmung entspricht. Wie alle Libretti dieses Jahrhunderts ist er wenig expressiv, dafür aber recht

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Zu allen hier wiederholten musikgeschichtlichen Details cf. Kap. 1 (bes. Kap. 1.2.), zu den konkreten Textzusammenhängen cf. die Korpusbeschreibung in Kap. 2.1.

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komplex konstruiert, wenn auch längst nicht so subtil rhetorisiert wie die beiden florentinischen Vorgänger E1 und Q1. Q2: Aurelio Aureli, L’Orfeo (1672) Auch Aurelis Orpheus-Bearbeitung entspricht dem eben geschilderten Schema, wobei das Libretto vor allem durch seine ungewöhnliche Länge (1706 Verse, 8607 Okkurrenzen, Rang 2 in Korpus Q) hervorsticht, ansonsten jedoch eher unauffällig wirkt. Die verschiedenen Quotienten sprechen für einen recht reichen Wortschatz mit geringer Wiederholungsdichte, fallen jedoch an keiner Stelle durch besondere Eckwerte auf. Auch die qualitativen Studien bestätigen dieses Urteil (starke Rhetorisierung, geringe Expressivität), das Libretto erscheint insgesamt jedoch – wie auch bereits E2 – als sprachlich «leichter» konstruiert als E1 und Q1. Q3: Philippe Quinault, Roland (1685) Das einzige französische Libretto in beiden Korpora wurde bewusst ausgewählt, um vor allem in den quantitativen Analysen einen Vergleichspol oder ein Korrektiv zu bilden. In der Tat fällt es aus nahezu sämtlichen Untersuchungswerten heraus und belegt wiederholt, dass quantitative Forschungen stets nur an Hand von Texten einer Sprache erfolgen sollten und erst in einem späteren Schritt übersprachlich bzw. sprachvergleichend stattfinden können. Q3 stellt in drei Analysen den absoluten Eckwert (höchstes durchschnittliches Wortvorkommen, niedrigster Type-token-Index, höchster Konzentrationsindex), in drei weiteren den jeweils zweithöchsten bzw. -niedrigsten, und präsentiert sich damit aus rein statistischer Sicht als besonders wortschatzarm. Dieser Eindruck kann auch jenseits der Statistik bestätigt werden, wie neben den hier präsentierten qualitativen Auswertungen zahlreiche weitere Forschungen zum geringen Wortschatzumfang Quinaults belegen (cf. v. a. Norman 1988 und 2001). Diese Zuweisung ist jedoch, darauf wurde wiederholt hingewiesen, nicht mit schlechter Qualität gleichzusetzen. Zum einen weist das Französische teilweise eine gänzlich andere sprachliche Struktur auf als das Italienische, etwa bei der Wortbildung, und kann daher nicht direkt und quantitativ mit dieser Sprache verglichen werden. Zum anderen kann auch ein begabter Autor mit einem restringierten Wortschatz große literarische Werke konstituieren, wie etwa Racine anschaulich belegt, indem – umgangssprachlich ausgedrückt – mit wenigen Worten viel gesagt wird. Das Libretto ist dennoch für die Gesamtanalyse von den italienischen Texten zu separieren und vielmehr als «Köder» für wünschenswerte weiterführende Analysen über die Sprachgrenzen des Italienischen hinaus anzusehen. Q4: Apostolo Zeno, Teuzzone (1719) Auch für das in dieser Arbeit untersuchte Libretto des Wiener Hoflibrettisten Zeno gilt die Feststellung eines recht eingeschränkten Wortschatzes. Von den Ergebnissen des Quinault-Librettos heben es nur die Werte zum Quotienten v/n (Substantivreichtum bei Zeno, Verbreichtum bei Quinault) und zum Konzentrationsindex (niedrig bei Zeno, sehr hoch bei Quinault) ab, ansonsten ist es eben327

falls als langer Text mit geringem Wortschatzreichtum zu charakterisieren. Aus semantisch-stilistischer Sicht fällt es im Korpuskontext allenfalls durch seine im Vergleich mit den direkten Vorgängern und Nachfolgern relativ zahlreichen exklamativen Wendungen auf, ansonsten wirkt es eher konventionell und ist weder in semantischer noch in syntaktischer oder stilistischer Hinsicht besonders hervorzuheben. Zeno gilt zwar nicht nur faktisch als Wiener Hoflibrettist, sondern auch sprachlich und formal als direkter Vorgänger Metastasios, doch kann man ihn aus stilistischer Sicht – zumindest auf der Grundlage der hier präsentierten Studien – noch nicht als Innovator bezeichnen. E3: Nicola Francesco Haym, Giulio Cesare in Egitto (1724) Von dem Cäsar-Libretto Hayms, das nur qualitativ ausgewertet wurde, konnten keine außergewöhnlichen Resultate hinsichtlich der sprachlichen Ausgestaltung ermittelt werden. Es weist die epochentypischen Merkmale auf (eher seltene, semantisch erstarrte exklamative Wendungen, wenig variable Wortfelder, relativ komplexe rhetorische Stilmittel) und gehört damit noch deutlich der Dominanzphase des Textes über die Musik an. E4: Pietro Metastasio, Semiramide riconosciuta (1729) Das früheste im Korpus erhaltene Metastasio-Libretto entspricht ebenfalls diesem Eindruck, doch finden sich hier bereits einige Neuerungen auf der Ebene der Syntax, so etwa die später häufiger werdende Subjektabschwächung mittels des Selbstdialogs und die wieder an die frühesten Operntexte zurück erinnernde komplexe Rhetorik, die zeitweilig erstarrt erschienen war. Wie die lexikalischsemantischen Analysen (Kap. 4.1.) gezeigt haben, prägte Metastasio zahlreiche idiomatische Wendungen, die sich zwar in den Folgetexten bis ins 19. Jahrhundert hinein wieder finden lassen, die jedoch – anders als in den meisten bisherigen Forschungen dargestellt – bereits in den Libretti des 17. und frühen 18. Jahrhunderts vorangelegt sind. Metastasio ist hier demnach wohl einer der prägnantesten Autoren in der Geschichte des Opernlibrettos, doch vervollkommnete er nur, was er vorfand und kann nicht als Erfinder einer völlig neuen Opernsprache gelten (cf. hierzu ausführlicher weiter unten, Kap. 5.3.). Q5: Pietro Metastasio, L’Olimpiade (1733) Das vier Jahre jüngere Libretto Metastasios, in dem erstmals korpusweit der Gebrauch des imperativo tragico festgestellt werden konnte, wurde zusätzlich quantitativ ausgewertet und tritt im Rahmen der 10 Q-Libretti lediglich durch seine außergewöhnliche Länge hervor (mit 1488 Versen und 9095 Okkurrenzen ist es der längste Text in Korpus Q). Aus statistischer Sicht ist der große Librettomeister also – und das ist ein unerwartetes Ergebnis – als vollkommen durchschnittlich einzustufen. Die den Wortschatzreichtum beschreibenden Quotienten und Indizes sind in keinem Fall auffällig und zeugen von einem weder restringierten noch besonders reichen Wortschatz. Die Bedeutung Metastasios wird also, zumindest was die quantitative Seite seiner Texte angeht, leicht überschätzt, auch wenn er für 328

die opera seria, deren Modell er schuf, die dominante Rolle einnimmt. Hier fördern die qualitativen Analysen deutlichere Ergebnisse zu Tage, indem sie die für Metastasio typischen lexikalischen Neuerungen freilegen (zahlreiche Wortfelder, lexikalisierte Idiomatismen, rhetorisch vielseitige, aber fixierte Formen etc.). Bei Metastasio tritt also der in Kap. 5.1. geschilderte Fall ein, dass auch qualitative Methoden mitunter klarere Resultate zeitigen können als quantitative. Q6: Giambattista Varesco, Idomeneo, re di Creta (1781) Das Idomeneo-Libretto wiederum, das in seiner Rezeptionsgeschichte wiederholt als mit das schlechteste unter Mozarts Musikwerken bewertet wurde, stellte sich als aus quantitativer Sicht im Gegenteil sehr abwechslungsreicher Text heraus. So sprechen einige der Werte (z. B. niedriges durchschnittliches Wortvorkommen, relativ hoher Diversitätsindex) für einen reichen Wortschatz, und auch die qualitativen Analysen zeichnen das Bild eines sprachlich recht variationsreichen und emotional-metaphorisch durchsetzten Librettos, das nicht mehr dem starren Metastasio-Muster folgt, jedoch noch nicht so expressiv und plakativ daher kommt wie die Texte des Folgejahrhunderts. Der Eindruck eines «schlechten» Librettos mag aus rein sprachlicher Sicht durch die für die Zeit sehr zahlreichen exklamativen Wendungen und schon recht drastischen Wortfelder erzeugt worden sein, die dem zeitgenössischen Publikum noch nicht geläufig waren. Die größten Schwächen dieses Librettos dürften sich jedoch auf der dramaturgischen Ebene finden lassen. Q6 ist damit vielleicht sogar als recht «modernes» Libretto zu bezeichnen, das seiner Zeit voraus war und bereits auf die sprachlichen Strukturen der Oper des 19. Jahrhunderts verweist. Hier stellen sich, anders als bei Q5, die mit quantitativen Methoden ermittelten Ergebnisse als besonders aussagekräftig dar. Q7: Gaetano Rossi, Semiramide (1823) Rossinis Opern wurden in der Vergangenheit oftmals als Brückenwerke zwischen Metastasio und Verdi bezeichnet (cf. besonders Rossi 2005a). Problematisch an diesem Ansatz ist jedoch, wie bereits mehrfach angedeutet, die Vermischung von Librettisten und Komponisten, die ein unscharfes Bild produziert und die individuellen Ausprägungen des Schreibstils eines jeden Librettisten verdeckt. Gaetano Rossi als einer der bekannteren Librettisten Rossinis müsste somit auf sprachlicher Ebene die Grundzüge metastasianischer Librettistik mit denen der Textdichter der «großen» Opern des späteren 19. Jahrhunderts vereinen. Diese Vermutung hat sich in den vorliegenden Analysen nur in einem Teilausschnitt bestätigt. So nimmt Rossis Libretto bezüglich der exklamativen Wendungen in der Tat eine solche Brückenfunktion ein, indem es einerseits viel zahlreichere Beispiele solcher Wendungen aufweist als die Vorgängertexte, andererseits wirken diese Belege jedoch überwiegend noch ebenso formelhaft wie in den Libretti des 17. und 18. Jahrhunderts und unterscheiden sich darin deutlich von denen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch in rhetorisch-syntaktischer Hinsicht nimmt das Rossi-Libretto eine Mittelstellung ein, da es wie die frühen Texte noch viele rhetorische Mittel aufweist, die jedoch bezüglich ihrer Komplexität 329

bereits verblassen und sich den einfacheren Strukturen des späten 19. Jahrhunderts (Anapher, Asyndeton etc.) annähern. Aus lexikalischer Sicht jedoch stellt Q7 kein Bindeglied dar; in den quantitativen Analysen ordnet es sich im Mittelfeld ein und entspricht teilweise sogar eher den frühen Texten als denen der Verdi-Opern. Auch in diesem Fall erweist sich die Kombination quantitativer und qualitativer Methoden als äußerst fruchtbar. Q8: Felice Romani, Norma (1831) Romanis Libretto zur Oper Norma fällt in quantitativer Hinsicht vor allem durch seinen Verbreichtum auf. Es weist von allen Libretti aus Korpus Q den höchsten Quotienten v/n und den höchsten Aktionsquotienten auf, die Verben spielen hier also eine deutlich wichtigere Rolle als Substantive und Adjektive (zum Vergleich: die frühen Libretti, allen voran Striggios Orfeo-Libretto Q1, sind eher substantiv- und adjektivlastig, wobei diese beiden Wortarten miteinander zu korrelieren scheinen und einen gemeinsamen Gegenpol zum Verbreichtum bilden).4 Erklärbar wurde das Phänomen der Verbbetontheit erst im Zusammenspiel mit den qualitativen Analysen, in denen ein sehr hoher Anteil an Imperativen und exklamativen Wendungen ermittelt werden konnte, die wiederum hauptsächlich aus Verben konstituiert werden. Hier wird erneut anschaulich verdeutlicht, in welch vorteilhafter Weise sich die beiden Methoden ergänzen können. Darüber hinaus ist das Libretto von Felice Romani als typischer Vertreter des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen: Es weist aus lexikalisch-semantischer Sicht sehr viele expressive Wendungen auf, während die rhetorische Dichte eher abnimmt und sich auf die einfacheren Stilmittel der Geminatio, der Anapher und des Asyndetons verlagert. E5: Salvatore Cammarano, Lucia di Lammermoor (1835) Cammaranos Libretto ist dem vier Jahre älteren Norma-Text sehr ähnlich, jedoch insgesamt unauffälliger, da es weniger expressive Wendungen und lexikalische Besonderheiten aufweist. Die fehlenden statistischen Werte machen eine Einzelcharakteristik hier schwierig. Ausschließlich mit qualitativen Methoden untersuchte Texte müssen in der Charakterisierung, wie sich hier deutlich zeigt, insgesamt blasser bleiben. Q9: Francesco Maria Piave, Ernani (1844) Innerhalb der beiden Korpora ist Piave mit zwei Libretti zu Verdi-Opern vertreten (Q9 und E6), zu einer weiteren Oper von Verdi schrieb Arrigo Boito den Text (Q10). Da sich alle drei Libretti aus quantitativer wie aus qualitativer Sicht sehr ähneln, fällt es hier zunächst schwer zu entscheiden, ob das individuelle Idiom eines Autors oder der gemeinsame Komponist Ausschlag gebend waren für die

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Diese Korrelation ist erklärbar etwa durch das Phänomen der zahlreichen librettotypischen iuncturae, bei denen Substantive und Adjektive feste Verbindungen eingehen, die in allen Sprachen der Oper häufig zu beobachten sind (Stichwort grausames Schicksal).

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Parallelen unter den drei Texten. Alle drei sind weniger umfangreich (Q9 stellt das zweitkürzeste Libretto in Korpus Q dar), weisen kurze Sätze mit einer hohen Wortwiederholungsrate auf und sind aus semantischer Sicht ausgesprochen expressiv, rhetorisch dagegen eher einfach konstruiert. Damit repräsentieren sie den Typus von Libretto, der als exemplarisch für die gesamte Gattung angenommen wird und das Bild der frühen Libretti, wie im folgenden Abschnitt noch erläutert wird, überdeckt. Im Detail betrachtet lässt sich jedoch Boitos Libretto deutlich von den beiden Piave-Texten differenzieren (cf. den Kommentar weiter unten zu Q10), weshalb die These der idiolektalen Varietät letztendlich als näherliegend erscheint.5 E6: Francesco Maria Piave, Rigoletto (1851) Für dieses Libretto gilt auf qualitativ-semantischer Ebene dasselbe wie für Q9, eine quantitative Auswertung fand hier jedoch nicht statt. Auch wenn die beiden Piave-Libretti thematisch unterschiedliche Schwerpunkte haben, ändert der Librettist seinen Schreibstil offenbar nicht erheblich. Q10: Arrigo Boito, Otello (1887) Die Otello-Bearbeitung Arrigo Boitos, dessen Libretti bereits an anderer Stelle bezüglich ihrer Sprache untersucht worden sind (cf. Telve 2004), unterscheidet sich trotz aller Gemeinsamkeiten in mehrfacher Hinsicht von den übrigen in den beiden Analysekorpora enthaltenen Texten des 19. Jahrhunderts. In fünf der acht mit quantitativen Methoden ermittelten Kategorien nimmt Q10 einen Eckwert ein: Es weist das niedrigste durchschnittliche Wortvorkommen, die geringste durchschnittliche Satzlänge, das höchste Type-token-Verhältnis, den höchsten Einmaligkeitsindex und den niedrigsten Konzentrationsindex auf und ist damit als äußerst widersprüchlich zu bewerten. Während nämlich das niedrige durchschnittliche Wortvorkommen, die hohe Anzahl an Hapax legomena und die hohe TTR auf einen sehr reichen Wortschatz hinweisen und den Werten von Striggios Libretto ähneln, spricht die geringe Satzlänge (die derjenigen von Q1 komplementär entgegen steht) jedoch für eine gänzlich andere literarische Ausrichtung als die der frühesten Libretti. Dies bestätigen auch die qualitativen Analysen, die bei Q10 einen extrem hohen Anteil an exklamativen Wendungen, eine sehr emotionalexpressive Lexik und eine außergewöhnlich hohe Dichte an einfachen rhetorischen Mitteln attestieren. Somit steht Boitos Libretto besonders für die Potenzierung der poetischen Sprache, auf die im folgenden Abschnitt zurückzukommen sein wird. Hier finden sich alle Stilmittel und sprachlichen Strategien, die allgemein als typisch für die Librettosprache per se angesehen werden, und dies in so hoher Konzentration, dass eine Gleichsetzung mit der Sprache etwa von Sprechtheater-

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Dagegen cf. jedoch Rossis Studie zu 39 Rossini-Opern (cf. Rossi 2005a), deren Libretti von insgesamt 19 Librettisten stammen, von ihm jedoch als relativ einheitlich dargestellt werden. Differenzierend wirkt hier vielmehr die Gattungszugehörigkeit (opera seria oder buffa). Allerdings nimmt Rossi keine quantitativen Analysen vor, die in diesem Zusammenhang sicherlich detailliertere Ergebnisse erbracht hätten.

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texten nicht mehr möglich ist. Gleichzeitig wirkt Boitos Otello im Vergleich mit den beiden anderen Libretti zu Verdi-Opern (Q9 und E6 von Piave) jedoch weniger wortschatzarm und deutlich komplexer als diese, was wiederum einen Beleg für die starke Abhängigkeit der Sprache vom jeweiligen Autor und nicht für den entscheidenden Einfluss des Komponisten auf ein Libretto darstellt, auch wenn dieser bei Verdi besonders stark war. Arrigo Boito erscheint hier als kreativer, innovativer Autor, der nicht davor zurückscheute, individuelle Strategien zur sprachlichen Gestaltung seiner Libretti zu erarbeiten.6 Insgesamt nimmt das Libretto Boitos eine Art Sonderstellung innerhalb der Korpora ein, die vergleichbar mit der des Striggio-Librettos ist und unter anderem auch damit zusammenhängen mag, dass der Otello-Text (1887) mit Abstand der jüngste im Rahmen des Gesamtkorpus ist.

5.3. Das Librettoidiom: von der Innovation zur Konvention Abschließend wird nun auf die drei in der Einleitung gestellten Fragen zurückzukommen sein, um quasi mit einem Bogenschlag die Ergebnisse der hier präsentierten Studien mit den in der Einleitung und in Kapitel 1.3. aufgestellten Thesen zu kontrastieren. Alle drei Fragen können auf der Grundlage der dargestellten Resultate zunächst als beantwortet gelten. Zur Erinnerung: Ein erstes Ziel der vorliegenden Arbeit war es, das Vorhandensein eines eigenen, innerhalb der Sprache der Poesie selbstständigen Librettoidioms zu überprüfen. Die Frage, ob eine solche Varietät existiert und ob sie sich an Hand klarer Grenzlinien von anderen Sprachausprägungen, allen voran der der Sprechtheatertexte abgrenzt, kann eindeutig bejaht werden. Wie die Analyseergebnisse bezüglich der zweiten Frage belegen (wie kann diese Sprachvarietät definiert und beschrieben werden?), existieren ausreichend viele Charakteristika, die in ihrem Zusammenspiel einzig für dieses spezielle literarische Genre typisch sind. Unabhängig von allen Differenzen – die bei der Beantwortung von Frage 3 spezifiziert werden – hat sich im Verlauf der Analysen ein klar umrissener Phänotyp herausgebildet, den mehr oder weniger alle für die Oper geschriebenen Texte aufweisen. Die Sprache der hier im Zentrum stehenden Libretti stellt sich zwar als inhomogen, aber doch – wie erwartet – in ihrer Gesamtheit tendenziell sehr stilisiert und alltagsfern dar. Auf einen kurzen Nenner gebracht, könnte man die folgenden vier Eigenschaften als prägend für dieses Idiom nennen: 1. Konventionalität 2. Formelhaftigkeit 3. Abstand zur Alltagssprache 4. Auftreten von Librettismen.

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Zur Kreativität Boitos als Librettist, der sich z. B. durch virtuose Versbehandlung, die Einführung teils neuer, komplexer Formen und eine große Variabilität seiner Bücher auszeichnet, cf. etwa Ross 1990.

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Alle vier Merkmale lassen sich unter dem Oberbegriff einer spezifischen Literarizität subsumieren. Besonders das vierte Charakteristikum, das eine Vielzahl an sprachlichen Phänomenen umfasst, verdeutlicht, dass es sich hier um eine genrespezifische Varietät handelt. So sind in den Libretti zahlreiche Morpheme, Wörter, Wendungen und Syntagmen – bis hin zu syntaktischen Spezifi ka vollständiger Sätze – enthalten, die nicht einfach als allgemeine Poetismen bezeichnet werden können, sondern die in ihrer hohen Anzahl und Dichte den Charakter dieser Sprache prägen und eine eigene Oberflächenstruktur bilden. Man könnte nun dennoch einwenden, dass die Mehrzahl dieser Charakteristika auch für andere Texte – besonders solche des eng verwandten Sprechtheaters oder der jeweils zeitgenössischen Literatursprache generell – zutrifft, doch kommt auch an dieser Stelle der eben erwähnte Aspekt der besonderen Dichte zum Tragen: Nur in der Oper findet sich eine solche Konzentration von Merkmalen der poetischen Sprache, und nur hier wirken sie so potenziert.7 Erklärbar ist diese Potenzierung eben durch die spezielle Situierung der Sprache in der Oper: Die enge Verbindung mit der Musik und zusätzlich mit der Dramaturgie führt dazu, dass alles, was auf der Bühne versprachlicht wird, überbetont und «dick aufgetragen» wirken muss, was bei einem Wegfall der musikalischen Seite redundant würde. Alle Vorwürfe, die der Oper als Gattung im Laufe der Jahrhunderte angetragen wurden (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1. und 1.2.), basieren auf dieser extremen Künstlichkeit und Alltagsferne, die durch Aspekte wie Inszenierung, Kostüme, Bühnenbild etc. weiter verstärkt, aber im Grunde hauptsächlich durch die Sprache ausgelöst werden. Kurz: Würde auf der Bühne gesungen, wie man spricht, wäre die Oper nicht, was sie ist. Hier schließt sich der Kreis zu dem bereits zitierten Ausruf Busonis: «Wie unnatürlich! Aber gewiß, recht sehr unnatürlich. Was anderes kann und soll die Oper sein, als etwas Unnatürliches? Was könnte in der Oper ‹natürlich› wirken?» (Busoni 1922, 24, cf. weiter oben, Kap. 1.3.), der genau ausdrückt, was diese im Grunde paradoxe Kunstform ausmacht. Diese un- oder sogar antirealistische Tendenz ist von der ersten Minute der Existenz dieser Gattung an zu spüren; die hier präsentierten Analysen zeigen deutlich, dass bereits in Rinuccinis Dafne von 1698 eine solche konventionalisierte Entfernung vom Alltagsidiom stattfindet. Es gibt also ein Librettoidiom, und es hat spezifische Kennzeichen, die es von anderen Varietäten innerhalb der Sprache der Dichtung abgrenzen. Die dritte und zugleich komplexeste Frage ist ebenso eindeutig, wenn auch differenzierter und komplexer zu beantworten. Sie richtete sich auf die Vermutung, dass die Charakterisierung dieses Idioms bislang vorrangig auf Opern des 19. Jahrhunderts beruht, die unbestritten Beispiele für alle vier genannten Kennzeichen in großer Fülle aufweisen, wie auch die voran gehenden Analysen immer wieder belegen konnten.

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Cf. auch weiter oben, Kap. 4.1.1., das Zitat von Vittorio Coletti: «[...] un italiano che ha tutte le caratteristiche di quello letterario e poetico coevo, ma in una versione che le espone all’ennesima potenza» (Coletti 2005, 21).

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Doch muss man nach der Feststellung der allgemeinen Gattungsmerkmale sehr sorgfältig in das Detail gehen und im Prinzip jedes Libretto sowohl inner- als auch außersprachlich separat und eingebettet in seinen musik- und literarhistorischen Kontext analysieren. Für die grobe Periodisierung boten sich hier die Jahrhunderte an, die in der Tat für einen Überblick ausreichend differenzierbare Spezifi ka aufweisen. Doch auch hier gibt es, wie die Detailuntersuchungen gezeigt haben, Differenzen innerhalb weniger Jahrzehnte, wie sie etwa zwischen den florentinischen und den venezianischen Libretti des 17. Jahrhunderts auszumachen sind, da sie aus verschiedenen musikhistorischen Kontexten stammen (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.2.). Ebenso hebt sich Rossis Semiramide-Libretto von 1823 deutlich von den späteren Libretti ab, vor allem von Piaves und Boitos Texten, unter denen wiederum, wie gezeigt, Boitos Otello-Bearbeitung eine Sonderrolle einnimmt. Abgesehen von den individuellen Ausprägungen jedes Einzeltextes aber kann man aus den Analyseergebnissen dennoch eine deutliche Bestätigung der These ablesen, dass im Prinzip nur die Libretti des 19. Jahrhunderts alle als charakteristisch für dieses Idiom angenommenen Merkmale aufweisen. Der größte Kontrast hat sich dabei immer wieder zwischen Rinuccinis und Striggios Libretti einerseits und denen von Piave und vor allem Boito andererseits ergeben. Sind die Erstgenannten noch lexikalisch nüchtern, syntaktisch durchstrukturiert und rhetorisch komplex – und damit nahe an der Sprache der zeitgenössischen Sprechtheatertexte angesiedelt –, so wirken die Letzteren lexikalisch plakativ, syntaktisch einfacher und rhetorisch aufgeladen mit direkt eingängigen Stilmitteln. Die Kluft zwischen den Texten des Sprechtheaters und denen des Musiktheaters öffnet sich demnach scherenähnlich immer weiter mit fortschreitender Zeit hin bis zum späten 19. Jahrhundert. Natürlich ist mit Verdi nur ein weiterer Höhepunkt der Operngeschichtsschreibung erreicht, die kontinuierlich bis heute fortschreitet und in einer Folgeanalyse weiter verfolgt werden müsste, doch basiert das verbreitete Urteil über die Sprache des Opernlibrettos nach wie vor auf den bekannten Opern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wird auch durch modernere Errungenschaften wie etwa die Literaturoper (cf. hierzu weiter oben, Kap. 1.1.) kaum beeinflusst. Das Schwanken zwischen kunstvoller und künstlicher Sprache kann also chronologisch kanalisiert werden. So ergaben auch semantische Detailanalysen etwa in den Bereichen der exklamativen Wendungen und der Wortfelder, dass besonders die frühen Libretti eine teilweise ausgesprochen subtile Metaphorik darbieten, die in denen des 19. Jahrhunderts durch eine weitaus plakativere und weniger rhetorisierte Kodierung der Sprache ersetzt wird. Die starke Hervorhebung des Wortes gegenüber der Musik in den ersten Opern (cf. Kap. 1.2.) lässt diese Herangehensweise der Librettisten als natürliche Konsequenz aus den musikhistorischen Entwicklungen der neu entstehenden Gattung Oper erscheinen. Im 19. Jahrhundert hat sich das Verhältnis umgekehrt; die Librettisten dieser Generation können angesichts der Dominanz von Musik und szenischer Darstellung ihre Texte nur bedingt kunstvoll ausgestalten, sondern müssen sie vielmehr auf Eingängigkeit und akustische Verstehbarkeit ausrichten. Dennoch (oder gerade deswegen) richtet sich ihr Wortschatz an der Vergangenheit aus; durch die Verwendung zahlreicher 334

Archaismen und Kultismen erreichen sie eine Art typischen historisierenden Stil, der die einfachere Sprache durch eine gewollte Künstlichkeit und Entfernung zur Alltagssprache zu kompensieren versucht und auf diese Weise – ähnlich wie im 17. Jahrhundert, doch mit anderen Mitteln – auf eine höhere Ebene transponiert. Diese Zunahme der Archaizität der Texte lässt sich noch nicht bei Metastasio feststellen, sie ist jedoch im vorliegenden Korpus deutlich erkennbar etwa ab Varescos Idomeneo und findet somit zeitlich parallel zur abnehmenden Dominanz des Wortes gegenüber der Musik statt. Zwei weitere Charakteristika prägen die Opernsprache des 19. Jahrhunderts, die sich im 18. Jahrhundert, besonders durch den Einfluss Metastasios entwickelt haben. Als besonders auffällig erscheint die spezifische Mischung aus Emotionalität und Starre, die die Libretti im Laufe des 18. Jahrhunderts aufzuweisen beginnen. So sind die frühen Operntexte überwiegend lexikalisch abwechslungsreich und unterscheiden sich darin kaum von den zeitgenössischen Theatertexten. Die Lexeme sind jedoch eher konventionell und enthalten nur wenig emotionale Aufladung. In Striggios La favola d’Orfeo wirkt bereits ein Ausruf wie ahi, caso acerbo! als äußerst emotional, auch weil er entsprechend durch Monteverdis Musik unterstützt und durch die gegenüber moderneren Opern eher handlungsarme Inszenierung überhaupt akustisch verstanden werden kann. Bereits bei Zeno und vor allem Metastasio entwickelt sich dann eine Art lexikalische Erstarrung, die sich in bestimmten Strategien wie etwa der Verwendung von iuncturae (z. B. Metastasios talamo real und talamo nuzial) und Idiomatismen äußert, die immer wieder auftreten und sich kaum noch verändern (z. B. die Idiomatismen rund um das Wortfeld augen in Zenos Teuzzone: abbassare i lumi, leggere nelle lumi oder versare dai lumi la crudeltà). Als gegenläufige Tendenz ist hier eine zunehmende Emotionalisierung der Begriffe spürbar, die spätestens bei Varesco deutlich zu Tage tritt. Hier nimmt auch die Anzahl an exklamativen Wendungen stark zu, es treten die ersten «Stammelszenen» auf, die nahezu ausschließlich aus Anrufungen, Seufzern und Interjektionen bestehen. Adjektive wie ardente, barbaro, crudo, eterno, orrendo etc. ersetzen zunehmend die eher nüchternen Begriffe der frühen Libretti. Diese Veränderung ist auch im Bereich der Substantive nachvollziehbar, wo sich die semantische Aufladung in der Ablösung der eher die innere Gefühlsebene betreffenden Wörter wie doglia, dolore, miseria etc. durch solche, die nahezu expressionistisch wirken (sterminio, strage, supplizio, terrore etc.), manifestiert. Boitos Otello illustriert anschaulich, worin diese Tendenz schließlich einmündet; hier treten allenthalben Ausrufe wie Ah! dannazione!, fuoco di gioia! oder supplizi immondi! auf, bei denen allein schon die Interpunktion auf Nachdruck und Emotionalität hinweist. Bei den bislang genannten Kennzeichen der Libretti des 18. und 19. Jahrhunderts ist der viel diskutierte «momento di radicale cambiamento linguistico» (Coletti 2005, 21), der sich beim Übergang von der opera seria nach metastasianischem Gepräge zum melodramma der Romantik ereignet habe, nicht feststellbar. Alle Analysen zeigen hier einen eher kontinuierlich stattfindenden Wandel auf, der an keiner Stelle abrupt oder gar radikal wirkt. Am ehesten noch lässt sich ein 335

solcher Moment an Hand der dritten Charakteristik festmachen, der so genannten Schüsselwort-Technik, die fast ausschließlich in den Libretti des 19. Jahrhunderts auftritt, dort aber massiv. Diese als Kodewörter zu bezeichnenden Begriffe sind, das haben die Analysen gezeigt (cf. bes. Kap. 4.1.3.), charakteristisch nur für die späten Libretti und fungieren dort als Signale für den Zuhörer, der entweder der Sprache der Oper nicht mächtig ist oder den Wortlaut auf Grund der zahlreichen Störfaktoren und der Dominanz der musikalischen Umsetzung akustisch nicht in seiner Gesamtheit aufnehmen kann. Daher übernehmen bewusst gesetzte Signalwörter, die zumeist durch Substantive, aber auch durch Adjektive oder Verben verkörpert werden, die Funktion, die in einer Szene dargestellte Handlung schlagwortartig und unmissverständlich mitzuteilen. Die Begründung hierfür liegt wiederum in der zwischenzeitlich umgepolten Bedeutung von Sprache und Musik in der Oper: In dem Moment, in dem die Musik die dominante Rolle in diesem prekären Zusammenspiel übernimmt – und dieser findet im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert statt (cf. hierzu Kap. 1.2.) – wird eine subtile Rhetorik überflüssig, denn die Musik transportiert die erwünschten Gefühle zum Zuhörer, ohne dass dieser die kompletten syntaktischen Fügungen des Textes verstehen muss. An dieser Stelle treten die Schlüsselwörter auf den Plan, die zum richtigen Zeitpunkt sozusagen das entsprechende Thema «melden» und zudem durch emotionale Elemente wie etwa Exklamationen unterstützt werden, damit das Publikum die erwünschten Reaktionen zeigt. Diese Strategie ist jedoch nicht wirklich neu, wie die Untersuchung der im Laufe der Zeit relativ konstant gebliebenen Wortfelder (Kap. 4.1.3.) belegt hat, sondern findet sich auch schon in den ersten Libretti, wenn auch in deutlich schwächerer Form. Von einem radikalen Wechsel kann auch hier demnach keine Rede sein. Die sprachliche Plakativität der Libretti des 19. Jahrhunderts ist also vorrangig der musikhistorisch begründbaren abnehmenden Wichtigkeit des einzelnen Wortes zu Gunsten des (auch musikalischen) Gesamteindrucks in der Oper geschuldet. Hier gehen Sprache und kulturell-musikgeschichtlicher Kontext eine enge Bindung ein, die in der pauschalen Beurteilung «der» Librettosprache bislang zumeist unberücksichtigt geblieben ist. Die Miteinbeziehung der frühen Opern ist für die Beurteilung und Bewertung dieses Idioms jedoch unerlässlich und verändert in der Tat das (geringe) Ansehen des literarischen Genres Libretto erheblich. Die Bewertung des Librettoidioms hängt nicht zuletzt auch mit den Erwartungen des Publikums zusammen. Wer heute die Aufführung einer Barockoper besucht, ist in der Regel darauf vorbereitet, dass sie/er keine großen Ensembleszenen mit umfangreichen Chören und Orchestern in Maximalbesetzung präsentiert bekommt. Die großen romantischen Opern jedoch, die aus diesem Grund auch deutlich häufiger auf den Spielplänen der Opernhäuser stehen, versprechen derartige Hörereignisse, und dies im Wechsel mit gefühlsbetonten Arien. Der Text ist bei einer solchen Oper letztlich sekundär, solange das Programmheft oder der Opernführer Auskunft über die elementaren Handlungszusammenhänge gibt. Auch die Übertitelung erscheint hier als freundlicher, jedoch nicht wirklich notwendiger Service, der teilweise sogar von der eigentlichen Handlung auf der 336

Bühne ablenken mag. Nach den sprachlichen Charakteristika einer italienischen Oper des 19. Jahrhunderts gefragt, wird der durchschnittliche Zuschauer genau die genannten Merkmale nennen, nämlich vor allem der große Abstand zur (gesprochenen wie geschriebenen) Alltagssprache und die kodeähnliche SchlagwortStruktur. Dass das Ansehen «des» Opernidioms nicht allzu hoch ist, liegt hier auf der Hand. Ein Besucher von Monteverdis La favola d’Orfeo wird sicherlich zu einem weitaus differenzierteren Urteil über diese Sprachvarietät kommen, allein weil er in der Lage war, einen Großteil des Textes von Striggio auch ohne Betitelung zu verstehen. Die deutlich geringere Aufführungsfrequenz der Opern aus dem 17. Jahrhundert führt in der Gesamtsicht jedoch dazu, dass in der allgemeinen Beurteilung der Librettosprache das hängen bleibt, was die bekannten italienischen Opern des 19. Jahrhunderts vermitteln. Dies ist einerseits bedauerlich für die insgesamt durchaus nicht anspruchslose literarische Textgattung, andererseits belegt es aber auch, dass die Oper gerade wegen ihrer künstlichen, unrealistischen, mit keiner Norm konformen Elemente als das wahrgenommen und geschätzt wird, was sie im Prinzip ist: eine «unmögliche Kunstform». Die vorliegenden Studien haben also mehrere Desiderate zu beseitigen gesucht: Einesteils hat die Kombination zweier in dieser Form noch nie im Zusammenspiel auf Musiktexte oder andere literarische Gattungen angewandter Methoden eine in die Tiefe dringende, detailreiche Gesamtschau der Sprache des Opernlibrettos ermöglicht. Auch in anderen Bereichen der Text- und Stilanalyse wäre ein Zusammenwirken der quantitativen und der qualitativen Methodiken sehr wünschenswert, da diese gegenseitig ihre Schwächen zu kompensieren vermögen. Andernteils ist es gelungen, dieses Idiom nicht nur zu definieren und von anderen Sprachvarietäten abzugrenzen, sondern auch eine interne Differenzierung und Genese auszumachen. Aus diachroner Sicht hat «die» Sprache der Oper sich erst im Laufe zweier Jahrhunderte zu dem entwickelt, was man sich heute pauschal darunter vorstellt; die Libretti der ersten Stunde enthalten dagegen erst wenige dieser vorgeblich typischen Merkmale des Librettoidioms. Die zukünftige Librettoforschung wird demnach stärker auch die frühen Vertreter dieser Gattung, namentlich die des 17. Jahrhunderts, berücksichtigen müssen, zumal wenn diachrone Resultate angestrebt werden. Auch aus interdisziplinärer Perspektive ist in diesem Bereich noch viel zu erforschen, so wäre etwa eine Symbiose aus sprach-, literatur- und musikwissenschaftlichen Erkenntnissen sicherlich äußerst fruchtbar. Die Oper stellt hier ein ideales Forschungsfeld dar.

337

6.

Literaturverzeichnis

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7.

Register

Das folgende Register versteht sich als Sachregister, das auf die wichtigsten Inhalte der vorliegenden Arbeit referiert. Zusätzlich wurden Eigennamen aufgenommen, insofern sie sich auf historische und für die Musik- und Wissenschaftsgeschichte relevante Personen beziehen. Accademia degli Alterati 61 Accademia degli Imperfetti 62, 63 Accademia degli Invaghiti 62 Accademia dell’Arcadia 24, 31, 64 Affektsteigerung 310 Aktionsindex 89, 91, 132, 143–147, 148, 150, 151, 152, 153, 202, 203 Aktionsquotient 83, 105, 143–147, 323, 330 Aktionsreichtum 105, 202 Akzent 78, 119 – Initial-~ 119 – Phrasen-~ 119 Algarotti, Francesco 31, 32, 66 Allotropie 160–167, 213 Anadiplose cf. Hinzufügung, Verfahren der Anapher cf. Hinzufügung, Verfahren der Antirealismus cf. Librettoidiom a parte-Sprechen 175, 241–252 Apostrophe 234, 241–252 Archaismus 6, 38, 43, 156–176, 205, 238, 316, 319–321, 326, 335 Arie 16, 21–27, 32, 33, 61, 84–87, 121 – Abgangs-~ 25, 64 – Auftritts-~ 65 – Bravour-~ 31, 314 – Da-capo-~ 25, 64, 85 – Etymologie 21 – vs. Rezitativ 84–87 Arteaga, Stefano 31 Asyndeton cf. Tilgung, Verfahren der aulicismo 38, 58, 157, 316 Aureli, Aurelio 23, 57, 63, 95, 103, 118, 122, 135, 146, 152, 168, 169, 171, 184, 187, 202, 222, 251, 299, 306, 314, 326, 327

Bellini, Vincenzo 34, 42, 44, 67, 172, 294, 314 Beschwörungsformel 193 bivariate Methoden 83, 89, 99, 111–147 Boito, Arrigo 14, 34, 35, 69, 95, 100, 106, 110, 119, 120, 124, 125, 134, 143, 146, 149, 158, 184, 188, 192, 194, 208, 240, 243, 245, 246, 257, 268, 270, 277, 298, 300, 303, 304, 306, 310, 315, 322, 330–335 Caldara, Antonio 66 Calzabigi, Raniero de’ 32s., 43, 165 Cammarano, Salvatore 14, 68, 194, 257, 304, 314, 330 cantar recitando 14, 21, 87 Cavalli, Francesco 22, 62 Chastellux, François-Jean de 31 che, Voran- oder Nachstellung von 270, 288–290 Chiasmus cf. Inversion clause 108 commedia dell’arte 24, 33, 58 complemento di specificazione 270, 277 Da-capo-Arie cf. Arie Dafne, La 15, 21, 22, 56, 57, 61s., 111, 152, 171, 251, 325s., 333 decision tree 50 Differenziertheit, semantische und grammatische 213s. Disambiguierung 50, 55 dislocazione a destra cf. Rechtsdislokation dislocazione a sinistra cf. Linksdislokation

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Dislokation 270, 290s. – Links-~ 290s. – Rechts-~ 291 Diversitätsindex, cf. auch Type-tokenRelation 113–122, 151, 329 Donizetti, Gaetano 34, 42, 68, 167, 172, 294, 314 dramma per musica 26, 34 E cf. Ergänzungskorpus Einmaligkeitsindex cf. auch Hapax legomena 83, 112, 114, 122–126, 135, 151, 331 Ellipse cf. Tilgung, Verfahren der Enklise beim Imperativ 258 Epiphrase 262–270, 293 Ergänzungskorpus (E) 47–49, 56, 155 Ernani 34, 51–56, 58, 68s., 149, 194, 227s., 236–238, 249s., 300, 330s. Erstarrung 42 – lexikalische 229, 242, 317, 335 – metaphorische 229, 317 – semantische 213, 217 étiquetage cf. part-of-speech tagging Euphonie 257 exklamative Wendung 149, 176–200, 242, 246, 265, 308, 316, 326, 328 – vs. Interjektion 188–191, 192–200, 242, 316s. Exotismus 233 Expressivität cf. Librettoidiom Formelhaftigkeit 37, 41, 157, 332s. frase scissa cf. Spaltsatz Frequenzanalyse 51, 200–210 Frequenzliste 48, 51, 323 Fucks, Wilhelm 76, 126s. Futur statt Präsens 235–240, 252, 317–321 Geminatio cf. Hinzufügung, Verfahren der Giulio Cesare in Egitto 65, 328 Gluck, Christoph Willibald 20, 32, 43, 65, 85, 165 grammatische Differenziertheit 213s. Händel, Georg Friedrich 5, 19, 44, 61, 62, 65 Hapax legomena (HL) 74, 83, 90, 97, 106, 114, 122–126, 134, 148, 149, 152, 331 Haym, Nicola Francesco 65, 314, 328 Hinzufügung, Verfahren der 295–308 – Anadiplose 295, 302

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– – – –

Anapher 295–299, 314, 320s., 330 Geminatio 295, 299–306, 314, 320s., 330 Oxymoron 217, 224, 306–308, 314 Parallelismus 86, 294, 295–299, 312, 314, 319–321 – Parenthese 294, 295 HL cf. Hapax legomena Homographie/Polysemie 50, 51, 53, 74 Hugo, Victor 5, 6, 34, 58, 68, 69, 80, 236 Hyperbaton cf. Inversion hyperliterarische Konstruktion 43, 261 Hypertext 48, 73 Hypertextualität 18, 19, 209 Idiomatismus 173–175, 208s., 215, 224, 225, 227, 242, 329, 335 Idomeneo, re di Creta 13, 60, 66s., 120, 124, 135, 146, 153, 194, 196s., 199, 225s., 233, 243, 259, 301s., 329, 335 Imperativ 110, 146, 149, 193, 247, 252–261, 317, 319–321, 326, 330 imperativo tragico 256–260, 317, 319–321, 328 Infinitiv + potere 270, 277, 281–288 Initialakzent 119 interiezione impropria cf. Interjektion, uneigentliche interiezione propria cf. Interjektion, eigentliche interjection impropre cf. Interjektion, uneigentliche interjection propre cf. Interjektion, eigentliche Interjektion 104s., 110, 111, 149, 176–200, 210, 226, 242, 247, 252, 264s., 267, 293, 297, 316s., 319–321 – appellative 179, 181s. – eigentliche 104, 180, 182s., 184–187, 192–200 – expressive 181s. – phatische 179, 181s. – uneigentliche 180, 183, 187s., 192–200 – vs. exklamative Wendung 188–191, 192–200, 242, 316s. Intertextualität 18, 209 Intonation 119, 182 Inversion 252s., 261–294, 312s., 317, 319–321 – Chiasmus 312s. – Epiphrase 267–270 – Hyperbaton 252s., 264s. – im engeren Sinne 265–267 – Tmesis 252s., 263s.

iuncturae 173s., 211–217, 225, 227, 330, 335 – mit alma/anima 212s. – mit crudele 215s. – mit dolce 216s. – mit ombra 213s. Kodewort cf. Schlüsselwort-Technnik Konkordanz, QL 48, 51, 72s. Konventionalität cf. Librettoidiom Konzentrationsindex 128–143, 148, 150s., 152, 326s., 331 Korpuslinguistik 70–74, 81s., 323–325 Kultismus 156–175, 316, 326, 335 kwic-Index 48, 72, 130, 205–210, 231 lexikalische Erstarrung 229, 242, 317, 335 Lexikostatistik 89, 90–111, 113, 126, 149 libretto cf. Libretto, Etymologie Libretto – Definition 2, 7–19 – Etymologie 8s. – florentinisches 56, 152, 327, 334 – Textsorte 7–19 – Plurimedialität 5 – venezianisches 22–24, 57, 63, 95, 152, 168, 268, 299, 334 Librettoidiom – Antirealismus 68s., 235, 248, 300, 315s. – Definition 36–46 – Expressivität 110, 188, 226, 229, 261, 267, 312, 314s., 317, 327 – Formelhaftigkeit 37, 41, 157, 332 – Kodifizierung 38–42, 334–337 – Konventionalität 37–39, 157, 209, 229, 332–337 – Künstlichkeit 39, 252, 333, 335 – Normferne 229, 315 – Paradigmenwechsel 36s., 315–318 – Stereotypie 152s., 181, 259 – Varietät 2, 36–46, 59, 147, 156, 232, 261, 332s., 337 Libretto-Koiné 38s. Licht-Schatten-Metaphorik 169–172 lingua poetica 156s., 211, 213, 232, 238, 253, 257, 261, 315, 317 Linksdislokation cf. Dislokation locution invocatoire exclamative cf. exklamative Wendung locution-phrase cf. Interjektion locuzione esclamativa cf. exklamative Wendung

Lucia di Lammermoor 68, 304, 330 Lully, Jean-Baptiste 27–30, 63s., 98s. Mandelbrot, Benoît 76, 101 Martello, Pier Jacopo 19, 31 melodramma 26, 34, 43, 66–69, 85, 161, 165, 209, 217, 335 Menzerathsches Gesetz 78 metaphorische Erstarrung 229, 317 Metastasio, Pietro 1–3, 9, 14, 15, 16, 19, 22–27, 32s., 35, 42, 44, 48s., 58, 60, 65s., 84s., 95, 113, 118, 121s., 126, 135, 137, 152, 159, 160, 165–168, 174–176, 194, 209, 220, 224s., 229s., 233, 242, 246, 248, 252, 258–261, 267, 271, 276, 281, 293s., 298s., 301, 307, 310s., 313–317, 328s., 335 Minato, Nicolò 23, 57, 62s., 152, 168, 251, 299, 314, 326s. Monteverdi, Claudio 5, 20, 22, 62, 86, 335, 337 mot-phrase cf. Interjektion Mozart, Wolfgang Amadeus 8s., 13, 20, 61, 66s., 199, 242s., 262, 329 Nachstellung von che 270, 288–290 Norma 67s., 146, 153, 172s., 227, 255s., 321, 330 Olimpiade, L’ 59, 66, 146, 209s., 328 opera buffa 17, 24, 32s., 44, 58, 60, 157, 163, 165, 168, 180, 233, 241, 299s., 316, 331 opéra-comique 30, 32, 58 opera semiseria 33, 300 opera seria 17, 24, 27, 32s., 42s., 58, 60, 64–68, 85, 100, 118, 121, 157, 161, 163, 165, 180, 183, 199, 233, 238, 241s., 246, 251, 299s., 316, 329, 331, 335 Orfeo, L’ 23, 63, 95, 122, 146, 152, 168, 221–223, 251, 319, 327 Orfeo ed Euridice 32 Orfeo, La favola d’ 22, 42, 57, 62, 86s., 95, 100, 110, 114, 119, 122, 126, 145, 149, 152, 206–208, 221–223, 238s., 251, 298, 319, 322, 326, 335, 337 Otello 35, 69s., 95, 110, 119s., 134, 146, 149, 184, 188, 194, 208, 228s., 243–246, 271, 277, 288, 298, 300, 303–308, 310, 315, 321, 331s., 334s. Parallelismus cf. Hinzufügung, Verfahren der

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Parenthese cf. Hinzufügung, Verfahren der parlar cantando 14, 21 parola-frase cf. Interjektion parola scenica 14, 38, 40, 69, 85s. parole-musica-Debatte cf. Text-MusikDebatte part-of-speech tagging 50s. passato remoto statt Präsens 234–240, 252, 317–321 Peri, Iacopo 15, 22, 61s. Phrasenakzent, finaler 119 Phraseologismus 177, 208 Piave, Francesco Maria 34, 51–56, 61, 68s., 100, 124, 149–152, 192, 194–196, 227s., 236, 238, 276, 300, 304, 314, 321, 330s., 334 Plurimedialität cf. Libretto Poetismus 156–176, 316, 333 – Allotrop 160–167 – Definition 157s. – Topos 167–173 – Typ saria/fia 158–160 Polylexie 78 Polysemie/Homographie 50, 51, 53, 74 Polysyndeton cf. Tilgung, Verfahren der Präpositionalphrase mit di 270, 277–281 Proklise beim Imperativ 257–261 Prosodie, gesungene Sprache 32, 119, 164, 182, 256 prosodische Muster 119 Pseudospaltsatz 291–293 Q cf. Quantitatives Korpus QL cf. Quantitative Linguistik QTL cf. Quantitative Textlinguistik Quantifikator, generischer 267–270 Quantitative Linguistik (QL) 6, 47–61, 70, 74–84, 89–153 Quantitative Textlinguistik (QTL) 83 Quantitatives Korpus (Q) 47–61, 72, 80, 90 Querelle des anciens et des modernes 28, 31 Querelle des bouffons 29, 31 Quinault, Philippe 27–30, 42, 63s., 81, 97–100, 105, 115, 117–119, 125s., 128s., 134, 136s., 146, 152s., 197, 218, 236, 327 Quotient v/n 105s., 151 Raguenet, François 31 Rangfrequenz 51, 100s.

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Rang-Häufigkeits-Gesetze 101 Rechtsdislokation cf. Dislokation recitar cantando 14, 21 recitativo accompagnato 85 recitativo secco 84s. Rezitativ 16, 21s., 25, 27s., 32, 60s., 64, 84–87, 121, 231, 250 – stile recitativo 21, 61, 84 – vs. Arie 84–87 richesse lexicale cf. Wortschatzreichtum Rigoletto 34, 58, 69, 152, 194–196, 238, 300, 321, 331 Rinuccini, Ottavio 15, 21s., 24, 61s., 111, 152, 171, 251, 299, 314, 319, 325s., 333s. Roland 47, 63s., 99, 105, 117, 136, 146, 152s., 197, 236, 327 Romani, Felice 34, 67s., 146, 153, 172s., 176, 192, 205, 227, 255, 281, 304, 321, 330 Rossi, Gaetano 14, 34, 67, 105, 146, 153, 176, 199, 226s., 239s., 304, 320, 329s., 334 Rossini, Gioachino 14, 37, 42, 59s., 67, 160, 165–167, 175s., 185, 200, 233, 240, 250, 263, 329s., 331 Rousseau, Jean-Jacques 32 Routineformel 181s. Sartorio, Antonio 63, 65 Satz, Definition 107s. Satzlänge, durchschnittliche 107–111, 149, 151–153 Satzlängenrangfolge 108s. Satzsegmentierung 270, 290–293 Schlagwort-Technik cf. SchlüsselwortTechnik Schlüsselwort 6, 35, 39, 148, 168, 172, 200, 205, 229–231, 336 – ~-Technik 231 – ~-Theorie 39s., 230 Schwellentext 8, 17, 23, 49, 52, 59 Selbstdialog 241–252, 317, 319–321, 322, 328 semantische Dichotomie 171, 206, 307 semantische Differenziertheit 213s. semantische Erstarrung 213, 217 semantische Familie 217 semantisches Feld 171, 181, 200, 218, 222 Semiramide 67, 107, 146, 150, 153, 168, 226s., 239s., 304, 320, 329, 334 Semiramide riconosciuta 1s., 65s., 209, 246, 248, 259, 320, 328

Shakespeare, William 5, 70, 127 si-Konstruktion 233–235 Spaltsatz 291–293 Sprachgesetz, QL 82, 99, 323 Sprachstatistik 6, 70s., 74–84, 112 Stammelszene 119, 196, 199, 301, 335 stile recitativo cf. Rezitativ Stilistik – Lexiko-~ 126 – linguistische 76, 126–143 – Quantitative 89, 126 Striggio, Alessandro (d. Ä.) 62 Striggio, Alessandro (d. J.) 22, 24, 42, 57, 62, 86s., 92, 95s., 105, 110, 114, 119, 122, 124, 126, 133, 135s., 145, 149s., 169, 171, 206–210, 238s., 251, 261, 299, 319, 322, 326, 334s., 337 Subjektabschwächung 6, 232–252, 293, 317, 319–321, 328 Substantiv-Adjektiv-Kombination cf. iuncturae Synalöphe 164 Teuzzone 64, 146, 171, 267, 319, 327s. Textlinguistik 70, 83 Text-Musik-Debatte 26s., 36 Thesaurus, QL 49s., 54–56, 115 Tilgung, Verfahren der 294, 308–312 – Asyndeton 308, 309s., 312, 313, 314, 320, 321, 330 – Ellipse 235, 294, 296, 308, 310s., 312, 313, 314, 319s., 326 – Polysyndeton 308, 309s. – Zeugma 308, 311s. Tmesis, cf. auch Inversion 252s., 262–264, 270, 293 Tobler-Mussafia-Gesetz 258 token, cf. auch Type-token-Relation 50, 54–56, 81, 90, 92s., 94–97, 99s., 113–115, 120, 129–135, 146, 152 Topikalisierung 265, 270, 274 Topos, lexikalischer 167–173 tragédie lyrique 28–32, 63s., 66 Transposition, syntaktische 38, 157 Tree Tagger 49–51, 53s., 73 troncamento 156 TTR cf. Type-token-Relation tustep 73, 205 type, cf. auch Type-token-Relation 50, 54–56, 81, 90, 92s., 94–97, 99s., 113–115, 129–135 Type-token-Index cf. Type-token-Relation Type-token ratio cf. Type-token-Relation

Type-token-Relation (TTR) 74, 83, 90–95, 99, 113–122, 134, 149, 153, 326s., 331 Type-token-Verhältnis cf. Type-tokenRelation Über-sich-selbst-Sprechen 248, 251 Umstellung, Verfahren der, cf. Inversion univariate Methoden 83, 89, 90–111, 143 Varesco, Giambattista 13, 60, 66s., 120, 124, 135, 153, 194, 196s., 199, 225s., 243, 259, 301s., 320, 329, 335 Variationsindex 114 Verb-Adjektiv-Quotient cf. Aktionsquotient Verdi, Giuseppe 5, 13s., 34s., 40–42, 51s., 61, 68s., 85, 100, 124s., 149, 153, 160, 165s., 168, 171, 174, 175s., 192, 194, 209, 217s., 229, 232, 258s., 265, 267, 277, 281, 291, 298, 314, 330–332, 334 verso piano 164 verso tronco 164 Vinci, Leonardo 1, 65s. Vivaldi, Antonio 44, 64, 66 Vokabularreichtum 42, 80s., 89, 95, 111–126 Voranstellung von che 270, 288–290 Wagner, Richard 8, 16, 17, 19, 37, 118, 299 Wiederholung, cf. auch Geminatio 299–306, 314 – dreigliedrige 303s. – emphatische 299s., 303 – intensivierende 299s. Wortartverteilung 125, 147 Wortartvorkommen, relatives 102–105, 150 Wortfeld 41, 125, 128, 148, 171s., 180s., 200–230, 231, 295, 306, 308, 316s., 319–321, 324, 328, 329, 334–336 – augen 171s., 308, 335 – gefühle 202 – herrschaft/recht 202 – körperteile 202 – licht/schatten 202, 206, 213s., 221–229, 230s. – liebe 202 – (menschliche) beziehungen 202 – natur 202 – religion/glaube 202 – schmerz/tod 202, 217–220, 227

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– sensuelle wahrnehmungen 202 – wärme/kälte 206, 221–229, 230s. Wortfeldanalyse 202, 217 Worthäufigkeit 91–107 Wort-Musik-Relation 43 Wortschatzarmut 98, 100, 121 Wortschatzreichtum 89, 91, 100, 105, 111, 126, 128, 134s., 143, 149, 326, 328 Wortvorkommen, durchschnittliches 94, 95–101, 134, 137, 149, 150, 152, 326, 327, 329, 331

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Xerse 23, 57, 62s., 152, 168s., 198, 251, 319, 326s. Zeno, Apostolo 16, 24, 60, 63, 64s., 66, 95, 100, 118, 121, 126, 135, 143, 146, 152, 171, 229, 267, 313, 314, 319, 327s., 335 Zeugma cf. Tilgung, Verfahren der Zipf, George Kingsley 76, 100s. Zipf-Dolinsky-Verteilung 102s. Zipfsches Gesetz 76, 100s.