Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899: In der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 1899. Text-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister [9. Aufl., (unveränd. Abdr. der 8. Aufl). Reprint 2019] 9783111649931, 9783111266473


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German Pages 553 [556] Year 1902

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Table of contents :
Vorwort zur 1. Auflage
Vorwort zur 6. Auflage
Inhaltsverzeichniß
Kurze vergleichende Uebersicht
Einleitung
Bekanntmachung des Tertes des Invalidenverficherungsgesetzes vom 13. Juli 1899
Invalidenverslcherungsgesetz. I. Umfang und Gegenstand der Versicherung
II. Organisation
III. Verfahren
IV. Schluß-. Straf- und Uebergaugs-bestimmungen
Anlagen
Sachregister
Verzeichniß der Guttentag'schen Sammlung Deutscher Reichsgesesse und Preußischer Gesetze
Schlagwort-Register
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Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899: In der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juli 1899. Text-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister [9. Aufl., (unveränd. Abdr. der 8. Aufl). Reprint 2019]
 9783111649931, 9783111266473

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Ausführliches Verzeichnis; der

Guttentag'schen Sammlung

Deutscher Reichs­ und Preußischer Gesetze Text-Ausgaben mit Anmerkungen — Taschenformat

welches alle wichtigeren Gesetze in absolut zuverlässigen Gesetzestexten und in mustergiltiger Weise erläutert enthält, befindet sich hinter dem Sachregister.

O«ttrr»tas'schr Kummluug vE30.

Deutscher Reichsgesetze.

M 30.

Text-Ausgaben mit Anmerkungen.

vom 13. Juli 1899 in der #nffung itro fiefcnnntmndittng oom 19. Mi 1899. Tert-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister von

Dr. E. v. Woedtke, Präsident des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversicherung.

Neunte Auflage. (Unveränderter Abdruck der achten Auflage.)

Berlin 1902. I. (Suttentag, Verlagsbuchhandlung,

Das Recht der Aebersetzung — auch für Theile — sowie alle anderen Rechte bleiben vorbehalten.

Vorwort zur 1. Auflage. Die Jnvaliditäts- und Altersversicherung tritt, nach betn bas dieselbe betreffende Gesetz am 22. Juni 1889 verkündet worden ist, aus dem Stadium der Berathung in das Stadium der Ausführung. Bei derselben sind nicht nur fast alle Behörden, sondern fast alle Deutschen betheiligt, denn nicht viel Erwachsene wird es in Deutsch­ land geben, welche nicht Arbeitgeber oder Arbeitnehmer wären.

Die Ausführung des Gesetzes setzt vor allen

Dingen ein Verständniß deffelben voraus. Dieses Verständniß in weiteren Kreisen zu fördern, ist der Zweck des vorliegenden Büchleins.

Verfasser,

welcher ähnliche Arbeiten bereits auf den Gebieten der Kranken- und der Unfallversicherung veröffentlicht hat, hält sich neben anderen Autoren hierzu um deswillen fürbefähigt, weil er in amtlicher Eigenschaft die Jnvali­ ditäts- und Altersversicherung eifrig zu studiren hat und als Kommissar an den Verhandlungen des Bundesraths und des Reichstags über das vorliegende Gesetz theilzunehmen berufen war.

Um nicht zu verwirren, be­

schränkt sich die vorliegende kleine Arbeit in ihren Er-

läuterungen auf die hauptsächlichsten Gesichtspunkte; in einer Einleitung ist neben einer gedrängten historischen Entwickelung der Hauptgrundsätze deS Gesetzes eine kurze systematische Uebersicht über den Inhalt desselben gegeben. Ergänzend soll demnächst neben diese »Text­ ausgabe mit Anmerkungen" ein größerer Kommentar treten, welchen der Direktor im Reichsamt des Innern, Herr Dr. Bosse*), und der Verfasser gemeinsam zu bearbeiten im Begriff sind**). Auf diese Weise möchte der Verfasser an seinem Theil dazu beitragen, das von Seiner Majestät dem in Gott ruhenden Kaiser Wilhelm I. dem Deutschen Reich hinterlassene groß­ artige Vermächtniß der Jnvaliditäts- und Alters­ versicherung, an deren Ausgestaltung Se. Majestät der jetzt regierende Kaiser Wilhelm II. ein so überaus lebhaftes Interesse bekundet, zur Durchführung zu bringen. Möchte das Büchlein diesen seinen Zweck, das Verständniß deS Gesetzes vermitteln und dadurch dessen korrekte Ausführung sichern zu helfen, nicht ganz ver­ fehlen! Berlin, im August 1889. Der Verfasser.

*) Später Preußischer Kultusminister. •*) Erschienen bei Duncker und Humblot in Leipzig; Nachtrag zur l. bis 3. Aust, ebendaselbst 1893.

Vorwort zur 6. Auflage. Die Novelle des Jahres 1899 hat die Invaliden­ versicherung, wenn auch nicht von Grund aus um­ gestaltet, so doch in zahlreichen wesentlichen Punkten verändert.

Es war deshalb eine völlige Umarbeitung

dieses Handbuchs

erforderlich.

Wenn dabei die An­

merkungen etwas eingehender als sonst wohl üblich gehalten worden sind, so war hierfür der Wunsch und die Absicht maßgebend,

die neue Gestaltung des Ge­

setzes insbesondere denjenigen klar und anschaulich zu machen, welche in die bisherige Gestaltung sich ein­ gelebt hatten und nunmehr die Unterschiede des neu geschaffenen Rechtszustandes gegenüber dem bisherigen nicht immer leicht herausfinden werden.

Aus gleichen

Gründen sind in den einzelnen Paragraphen die Aende­ rungen fetten

gegenüber dem jetzigen Rechtszustande Druck

hervorgehoben

worden.

Zur

durch

weiteren

Erleichterung für die Praxis ist diesem Handbuch eine vergleichende Gegenüberstellung der neuen Paragraphen mit den Paragraphenziffern des Gesetzes von 1889 beigegeben und außerdem bei jedem einzelnen Para-

VI

Vorwort.

graphen unmittelbar nach dessen Schluß darauf hin­ gewiesen worden, wo die in dem betr. Paragraphen enthaltenen Bestimmungen in dem Gesetz von 1889, in dem Entwurf der Novelle und in der vom Reichstag angenommenen und irm Reichsgesetzblatt ohne fort­ laufende Nummerfolge der Paragraphen veröffentlichten Novelle selbst sich finden. Der Verfasser hofft, hier­ durch die Schwierigkeiten zu mindern, welche bei der praktischen Handhabung des Gesetzes aus der gänzlich veränderten Paragraphirung sich vermuthlich ergeben werden. Berlin, im August 1899.

Ter Verfasser.

Inhaltsverzeichniß. Seite

Vorwort............................................... III Inhaltsverzeichnis.................................... VII Vergleichende Uebersicht der Para­ graphen des neuen und des bis­ herigen Gesetzes.......................... XII Einleitung............................. XVI Bekanntmachung des Textes des In­ validen versicherungs ge setze s, vom 19. Juli 1899...................................... 1

Jnvalidenversicherungsgesttz...........................

1

I. Umfang und Gegenstand der Ver­ sicherung. tztz 1 bis 55................................ 1 §§ 1 biS 7. Versicherungspflicht ... 1 §§ 8 bis 13. Besondere Kafseneinrichtungen 29 § 14. Freiwillige Versicherung .... 39 §§ 15 bis 26. Gegenstand der Versicherung 42 § 27. Aufbringung der Mittel .... 61 § 28. Voraussetzungen des Anspruchs. . 63 § 29. Wartezeit...................................... 63 §§ 30, 31. Beitragsleistung..................... 67 § 32. Höhe der Beiträge......................... 71 § 33. Gemeinlast. Sonderlast. ... 77

Seite

n.

§ 34. Lohnklaffen........................................ 81 §§ 35 bis 41. Berechnung der Renten . 86 §§ 42 bis 45. Erstattung von Beiträgen 96 § 46. Erlöschen der Anwartschaft . . . 102 § 47. Entziehung der Invalidenrente. . 105 § 48. Ruhen der Rente.............................107 §§ 49 bis 54. Verhältniß zu anderen An­ sprüchen ......................................................110 § 55. Unpfändbarkeit der Ansprüche . . 118 Organisation. §§ 56 bis 111. . . . 120 A. Mitwirkung der Landesverwaltungs­ behörden. tzß 57 bis 64....................... 121 B. Versicherungsanstalten.§§ 65 bis 102 130 1. Errichtung. §§ 65 bis 69 • . . 130 2. Statut. 8§ 70 bi» 72......................137 3. Vorstand. §§ 73 bis 75 . . . . 142 4. Ausschuß, ßtz 76 bis 78 . . . . 147 5. Rentenstellen. 8§ 79 bis 86 . . . 149 6. Allgemeine Bestimmungen. 8§ 87 bis 99................................................. 158 8 92. Ehrenämter....................... 162 8 93. Haftung der Mitglieder der Organe............................ 163 88 94,95. Ablehnung der Wahlen 164 8 96 Abstimmung.......................166 8 97. Unbehinderte Ausübung der Funktionen............................ 167

Inhaltsverzeichnis.

IX Seite

§ 98. Beamtenperfonal . . . § 99. RückverstcherungSverbände 7. Veränderungen. §§ 100 bis 102 . C. Schiedsgerichte. §§ 103 bis 107 . . D. Reichs-Versicherungsamt und LandesVerstcherungSämter. §§ 108 bis 111 . §§ 108 bis 110. Reichs-Verstcherungsamt.................................... § 111. Landes - Versicherungsämter m. Verfahren. §§ 112 bis 165..................... §§112 bis 122. Feststellung der Renten § 123. Auszahlung der Renten.... § 124. Rechnungsstelle............................... §§ 125, 126. Vertheilung der Renten . § 127. Erstattung der Vorschüsse der Postverwaltungen.................................... § 128. Erstattung von Beiträgen • . . § 129. Entscheidung durch Rentenstellen . § 130. Marken......................................... §§131 bis 139. Quittungskarten . . . §§ 140 bis 143. Entrichtung der Beiträge durch die Arbeitgeber.......................... §§ 144, 145. Entrichtung der Beiträge durch die Versicherten..................... §§ 146, 147. Unwirksame Beiträge . . §§ 148 bis 153. Einziehung der Beiträge § 154, Abrundung....................................

167 168 169 172 177 177 182 183 183 198 199

200 204 204 206 208

211 220 228 231 233 241

X

JnhaUSverzetchniß.

Seite

§§ 155 bis 160. Streitigkeiten . ... 241 §§ 161 bis 163. Kontrole.................247 §§ 164, 165. Vermögensverwaltung . . 250 IV. Schluß-, Straf- und Uebergangsbestimmungen. §§ 166 bis 194 ... 255 § 166. Krankenkassen................................. 255 § 167. Besondere Bestimmungen für See­ leute ........................................................... 256 § 168. Beitreibung.......................................257 § 169. Zuständige Landesbehörden ... 258 § 170. Zustellungen...................................... 259 § 171. Gebühren- und Stempelfreiheit . 260 § 172. Rechtshülfe.......................................260 § 173. Besondere Kaffeneinrichtungen. . 261 §§ 175 bis 188. Strafbestimmungen . . 264 §§ 189 bis 193. Übergangsbestimmungen 278 § 194. Gesetzeskraft...................................... 285 Anlagen. 1. Uebersicht der Versicherungsanstalten . . 287 2. Bekanntmachung, betr. die Erstreckung der Versicherungspflicht auf die Hausgewerbe­ treibenden der Tabackfabrikation. Vom 16. Dezember 1891 (R.G.Bl. S. 395). . 289 3. Bekanntmachung, betr. die Jnvaliditätsund Altersversicherung von Hausgewerbe­ treibenden der Textilindustrie. Vom l.März 1894 (R.G.Bl. S. 324)............................... 294

Inhaltsverzeichnis.

XI Seite

4. Bekanntmachung, betreffend die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Versicherungspflicht gemäß §. 4 Abs. 1 des Jnvalidenversicherungsgesetzes. Vom 27. De­ zember 1899 (R.G.Bl. S. 725) .... 5. Bekanntmachung, betreffend die Befreiung von der Versicherunaspflicht auf Grund des 6 Abs. 2 desJnvaKdenversicherungsgesetzes. om 24. Dezember 1899 (R-G-Bl. @.721) 6. Bekanntmachung, betr. Entwertung und Vernichtung von Marken bei der Invaliden­ versicherung. Vom 9. November 1899 (R.G.Bl. @. 665).............................. 7. Bekanntmachung, betr. die Einrichtung der Quittungskarten für die Invaliden­ versicherung vom 10. November 1899 . . Bekanntmachung, betreffend die nach dem Jnvalidenversicherungsgesetze für die Selbst­ versicherung zu verwendenden besonderen Quittungskarten (Formular R). Vom 4. Januar 1900 ................................... 8. Dreuß. Anweisung, betreffend das Verfahren bei der Ausstellung und dem Umtausch, so­ wie bei der Erneuerung (Ersetzung) und Berichtigung von Ouittungskarten. Vom 17. November 1899 .............................. 9. Bekanntmachung des Reichs-Versicherungs­ amts, betr. die für die Invalidenversicherung zu verwendenden Beitragsmarken. Vom 27. Oktober 1899 .................................. 10. Bekanntmachung, betr. die Einziehung der von den Rhedern für die Jnvaliditäts- und Altersversicherung der Seeleute zu ent­ richtenden Beiträge. Vom 22. November

&

301

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314

324

358

Seite

1890 (Centr.-Bl. S. 361) in der Fassung d. Bek. vom 20. Dezember 1894.... 365 11. Hilfstafeln zur Vereinfachung der bei Fest­ setzung der Renten vorkommenden rechne­ rischen Arbeiten.............................. 373 I. Ermittelung der Jahresrenten und der zur Zahlung kommenden abgerundeten Monatsraten (§ 38) — Tafeln Iu. II — 380 II. Zahl der nachzuweisenden Beitrags­ wochen für die Erlangung der Alters­ rente in der Uebergangßzeit (§ 190) — Tafeln II lu. IV -.................... 386 III. Ermittelung der Zahl der Krankheits­ wochen und der Wochen militärischer Dienstleistungen (§ 30) — Tafel V — 389 12. Verordnung, betreffend das Verfahren vor den Schiedsgerichten für Arbeiter. Versicherung. Vom 22. November 1900 (R.G.BI. S. 1017)............................... 393 13. Verordnung, betreffend den Geschäftsgang und das Verfahren desReichs-Verstcherungsamts. Vom 19. Oktober 1900 M.G.Bl. S. 983)............................................... 417 Sachregister..................................................... 441

Äurze vergleichende Uebersicht*) der

Paragraphro des „Jnvalidenvetsicheningsgesetzes" in bet Fassung btt Bekanntmachung vom 19. Juli 1899 mit den

Paragraphen des „Gesetzes, bett. die Jnvaliditiits- und Altersversicherung", vom 22. Juni 1889.

Jetzt § 1 2 3 4 5 6 7 8 9

1

10

11

12 13 14 15

W

1,

Früher

Jetzt

Früher 2

Ab 3 Ab 1, 2 Ab 3

1

§ | § § | | § 8, § 117 Abs.l | 9 §

16 17 18 19 20 21

22 23 24 25 26 27 28 29 30

§ 10 § 11 | 12 Abs. 1 § 12 Abs. 2 § 12 Abs. 3 § 12 Abs. 4 § 13 § § | § §

14 19 15 16 17

*) Wegen der Einzelheiten vgl. die genaueren Angaben am Schluß der einzelnen Paragraphen des Textes.

Jetzt § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § § ‘

31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Früher

Jetzt

Früher

§ 18 §§ 20 96 § 22

§ § § | § § § §

25 26 Abs. 1 26 Abs. 2 26 Abs. 3 27 28 29 30

§ 31 § § § l§ l

32 33 34 35 Abs. 1, 2, Satz 1

§ 48 § 49 § 57

{%■?•*

§ § § §

36 38 39 40

§ 50 § 52 58 59 60

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Jetzt

Früher

Jetzt

§ § § § § 65 § 66 § § § 67 § § 68 § § 70 § § 71 § § 72 § 74 Abs. 1b. 5 § § 74 Abs 6, 7 § § 131 § § § 132 § § 133 § 134 § § 75 § § 76 § § §§ 77, 78 § § 79 § § 80 § 81 § § § 82 84 § 85 § 86 § 91 § 88 § | 89 § 92 93 §

128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

Früher § 95 § l§ |§ § § § § § § § § § §

99 101 102 101 102 103 104 105 106 107 108 100 109

Abs. 1 Abs. 2 Abs. 2, 3 Abs. 1

§ HO § 111 § 117 Abs. 3

§ 112

1

113 114 115 116 122 123 124 125

XVI

Jetzt § § § § § § § § § § § § § § § § § §

160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177

Vergleichende Uebersicht.

Früher

Jetzt

Früher f§ 112 Abs. 1,

Einleitung. Die Invalidenversicherung gehört zu denjenigen gesetz­ lichen Maßnahmen der Neuzeit, welche zur Förderung deS Wohles der arbeitenden Klaffen, insbesondere zur Sicherstellung derselben gegen die Folgen einer Schmäle­ rung ihrer Arbeitskraft bestimmt, und welche um so wichtiger sind, als diese breiten Schichten der Bevölkerung auf ihre Arbeitskraft für den Erwerb deS Lebens­ unterhalts fast ausschließlich angewiesen sind. Die hierauf sich beziehenden Gesetze bilden als „Arbeiter­ versicherungsgesetze" einen wichtigen Theil derjenigen gesetzlichen Maßnahmen, die man unter dem Namen „sozialpolitische Gesetze" zusammenzufassen pflegt. Diese Gesetze sind zuerst in dem neu geeinten Deutsch­ land in Angriff genommen und aus der Initiative des hochseligen Kaisers Wilhelm I. auf Anrathen des Reichskanzlers Fürsten von BiSmarck hervor­ gegangen. Veranlaffung und Ziel jener Gesetze sind in der magna Charta dieser Sozialpolitik des Deutschen Reichs, der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November v. Woedtke, JnvalidenoersicherungSgesetz.

b

xvm

Einleitung.

1881, mit welcher damals der Reichstag eröffnet wurde, bezeichnet. Dort heißt eS: »Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschrei­ tungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Ar­ beiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichs­ tage diese Aufgabe von Neuem an’8 Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn eS Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mit­ zunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hülfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Bei­ standes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerich­ teten Bestrebungen sind Wir der Zustim­ mung aller verbündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstags ohne Unterschied der Partei­ stellungen.

In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Ar­ beiter gegen Betriebsunfälle mit Rück­ sicht auf die im Reichstage stattgehabten Verhandlungen über denselben einer Um­ arbeitung unterzogen, um die erneute Be­ rathung desselben vorzubereiten. Ergän­ zend wird ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Or­ ganisation des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter und In­ validität erwerbsunfähig werden, haben der Gesammtheit gegenüber einen begrün­ deten Anspruch auf ein höheres Maß staat­ licher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Theil werden können. Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben eines jeden Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht. Der engere Anschluß an die realen Kräfte dieses Volkslebens und das Zusammenfassen der letzteren in der Form korporativer Genossenschaften b*

unter staatlichem Schutz und staatlicher Fürsorge werden, wie Wir hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde. Immerhin aber wird auch auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung erheb­ licher Mittel zu erreichen sein/ Wie sehr dem Kaiser Wilhelm I. die baldige Lösung der gestellten Aufgabe am Herzen lag, ergiebt sich aus der dem Reichstage am 14. April 1883 zu­ gegangenen weiteren Allerhöchsten Botschaft, in welcher eö heißt: ........ »durch vorgängige Berathung des nächstjährigen Etats (würde) wenigstens für die Wintersession diejenige Freiheit von anderen unaufschiebbaren Geschäften ge­ wonnen werden, welche erforderlich ist, um wirksame Reformen auf sozialpolitischem Gebiete zur Reife zu bringen. Die dazu erforderliche Zeit ist eine lange für die Empfindungen, mitwelchenWir inUnserem Lebensalter auf die Größe der Aufgaben blicken, welche zu lösen sind, ehe Unsere in der Botschaft vom 17. November 1881 aus­ gesprochenen Intentionen eine praktische Bethätigung auch nur soweit erhalten, daß sie bei den Betheiligten volles Verständ-

Einleitung.

XXI

niß und in Folge dessen auch volles Ver­ trauen finden. Unsere Kaiserlichen Pflichten gebieten Uns aber, kein in Unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besserung der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen unter einander zu fördern, so lange Gott Uns Frist giebt, zu wirken. Darum wollen Wir dem Reichstage durch diese Unsere Botschaft von Neuem und in vertrauensvoller Anrufung seines bewährten treuen Sinnes für Kaiser und Reich die baldige Erledigung der hierin bezeichneten wichtigen Vorlagen dringend an's Herz legen." Nach dem Hinscheiden des ersten deutschen Kaisers fand diese Sozialpolitik in dem hochsinnigen Kaiser Friedrich III., welcher schon als Kronprinz die Verhandlungen des Preußischen Staatsraths über mehrere zur Fortführung der Unfallversicherung be­ stimmte Gesetzentwürfe geleitet hatte, weitere För­ derung; Kaiser Friedrich war es, welcher im April 1888 die Vorlegung des im Reichsamt des Innern aus­ gearbeiteten „Gesetzentwurfs über die Alters- und In­ validenversicherung der Arbeiter", aus welchem das vorliegende Gesetz hervorgegangen ist, an den BundeSrath angeordnet hat. Mit besonderem Nachdruck hat sodann des jetzigen Kaisers Wilhelm H. Majestät

Sich auf den Standpunkt Seines in Gott ruhenden Herrn Großvaters gestellt. Kaiser Wilhelm II. be­ kundete dies gleich bei dem Antritt Seiner Regierung bei Eröffnung deS Reichstags am 25. Juni 1888, welchen er mit folgenden Worten begrüßte: »Ich habe Sie, geehrte Herren, berufen, um vor Ihnen dem Deutschen Volke zu ver­ künden, daßJch entschlossen bin, als Kaiser und König dieselben Wege zu wandeln, auf denen Mein Hochseliger Herr Großvater das Vertrauen Seiner Bundesgenossen, die Liebe des deutschen Volks und die wohl­ wollende Anerkennung des Auslandes ge­ wonnenhat. Daß auch Mir dies gelinge, steht bei Gott; erstreben will Ich es in ernster Arbeit.... An der Gesetzgebung des Reichs habe Ich nach der Verfassung mehr in meiner Eigen­ schaft als König von Preußen, wie in der des Deutschen Kaisers mitzuwirken; aber in Beiden wird es mein Bestreben sein, daö Werk der Reichs-Gesetzgebung in dem gleichen Sinne fortzuführen, wie Mein Hoch seliger Herr Großvater es begonnen hat. Insbesondere eigne Ich Mir die von ihm am 17. November 1881 e rlassene Botschaft ihrem vollen Umfange nach an und werde im Sinne derselben fortfahren, dahin zu wirken, daß

die Reichs ■ Gesetzgebung für die arbeitende Bevölkerung auch ferner den Schutz erstrebe, den sie, im Anschluß an die Grundsätze der christlichenSittenlehre, den Schwachen und Bedrängten im Kampfe um das Dasein ge­ währen kann. Ich hoffe, daß es gelingen werde, auf diesem Wege der Ausgleichung ungesunder gesellschaftlicher Gegensätze näher zukommen, und hege die Zuversicht, daß Ich zur Pflege unserer inneren Wohl­ fahrt die einhellige Unterstützung aller treuen Anhänger des Reichs und der ver­ bündeten Regierungen finden werde, ohne Trennung nach gesonderter Parteistellung. Ebenso aber halte ich für geboten, unsere staatliche und gesellschaftliche Entwicke­ lung in den Bahnen der Gesetzlichkeit zu erhalten und allen Bestrebungen, welche denZweck und die Wirkung haben, die staat­ liche Ordnung zu untergraben, mit Festig­ keit entgegenzutreten/ .... Bei Eröffnung der „Deutschen Allgemeinen Aus­ stellung für Unfallverhütung" zu Berlin sprachen Seine Majestät im gleichen Sinne am 30. April 1889: ----- „Mit Freudenbegrüße Ich auch diesen Beweis der Bestrebungen, .... die wirthschaftliche Lage der arbeitenden Bevölketun g durch organische Maßnahmen zu heben

XXIV

Anleitung.

und betn Gedanken thatkräftiger Nächsten­ liebe auch in unseren öffentlich-rechtlichen Einrichtungen Ausdruck zu geben. Die Mit- und Nachwelt wird es Meinem in Gottruhenden Herrn Großvater nie ver­ gessen, daß es Sein Verdienst war, die Be­ deutung dieser Bestrebungen für das Ge­ meinwohl zum allgemeinen Bewußtsein gebracht zu haben. Mit voller Ueberzeugung von der Noth­ wendigkeit ihrer Lösung bin Ich an die sozialenAufgaben herangetreten, deren Erledigungnoch vorunsliegt. Ich rechne dabei aus die verständnißvolle und freudige Mit­ arbeit aller Kreise der Bevölkerung, ins­ besondere der Arbeiter, um deren Wohl­ fahrt es sich bei diesen Aufgaben handelt, und der Arbeitgeber, welche im eigenen Interesse bereit sind, die daraus für sie er­ wachsenden Opfer zu bringen!" In der Thronrede, mit welcher Seine Majestät der Kaiser dem Reichstag bei seinem Zusammentreten am 22. November 1888 den »Gesetzentwurf, betreffend die Jnvaliditäts- und Altersversicherung", ankündigte, haben Allerhöchstdieselben den ganzen Zweck und Charakter der sozialpolitischen Gesetzgebung des Deutschen Reichs zusammenfaffend in folgenden, von allen wahren Freunden

Einleitung.

XXV

des Vaterlandes nicht genug zu beherzigenden Sätzen nochmals hervorgehoben: »Als ein theures Vermächtniß Meines in Gott ruhenden Herrn Großvaters habe Ich die Aufgabe übernommen, die von Ihm be­ gonnene sozialpolitische Gesetzgebung fort­ zuführen. Ich gebe Mich der Hoffnung nicht hin, daß durch gesetzgeberische Maßnahmen die Noth der Zeit und das menschliche Elend sich aus der Welt schaffen lassen, aber Ich erachte es doch für eine Aufgabe der Staatsgewalt, auf die Linderung vor­ handener wirthschaftlicher Bedrängnisse nach Kräften hinzuwirken und durch orga­ nische Einrichtungen die Bethätigung der auf dem Boden des Christenthums er­ wachsenden Nächstenliebe als eine Pflicht der staatlichen Gesammtheit zur Aner­ kennung zu bringen. Die Schwierigkeiten, welche sich einer auf staatliches Gebot ge­ stützten durchgreifenden Versicherung aller Arbeiter gegen die Gefahren desAlters und der Invalidität entgegenstellen, sind groß, aber mit Gottes Hülfe nicht unüberwindlich. Als die Frucht umfänglicher Vorarbeiten wird Ihnen ein Gesetzentwurf zugehen, welcher einen gangbaren Weg zur Erreichung dieses Zieles in Vorschlag bringt/

XXVI

Einleitung.

Aus dem hier in Aussicht gestellten Gesetzentwurf ist das Reichsgesetz vom 22. Juni 1889, bett. die Jnvaliditäts- und Altersversicherung (R.G.Bl. S. 97), hervorgegangen. Nach längeren Vorarbeiten waren im Reichsamt des Innern zunächst »Grundzüge- aufgestellt und nachdem dieselben die Genehmigung des Hochseligen Kaisers Wilhelm I. gefunden hatten, mit einer die Hauptfragen kurz erörternden Denkschrift am 17. No­ vember 1887, dem Jahrestage der denkwürdigen Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 (vgl. S. XII), veröffentlicht worden. Der demnächst aufgestellte förmliche Gesetzentwurf wurde mit Ge­ nehmigung des Hochseligen Kaisers Friedrich III. im April 1888 dem Bundesrath vorgelegt; diejenige Fassung, welche der Entwurf in Folge der Berathungen der zuständigen Ausschüsse des Bundesraths angenommen hatte, wurde im Juli 1888 durch Veröffentlichung wiederum der öffentlichen Kritik unterbreitet, demnächst von den Ausschüssen des BundeSraths abermals einer Ueberarbeitung unterzogen, sodann vom Plenum des BundeSraths angenommen, mit ausführlicher Begrün­ dung sowie einer, die mathematischen und statistischen Grundlagen erörternden »Denkschrift- und zahlreichen Tabellen gegen Ende des JahreS 1888 dem Reichstage vorgelegt und unter Nr. 10 der Drucksachen desselben für 1888/89 veröffentlicht. Die vom Reichstag eingesetzte Kommission hat

unter der geschäftskundigen und schneidigen Leitung des inzwischen Heimgegangenen Abgeordneten Frhrn. von und zu Franckenstein den Entwurf nach 43 langen Sitzungen, während deren der Reichstag, um der Kom­ mission für ihre Arbeiten größere Muße zu gewähren, sich zeitweise vertagte, mit 22 gegen nur 5 Stimmen angenommen. Im Reichstage wurde in letzter Stunde von Seiten einiger Vertreter der Landwirthschaft in den östlichen Provinzen Preußens, im Gegensatz zu der von dem Deutschen Landwirthschaftsrath eingenommenen zustimmenden Haltung, eine lebhafte Gegenströmung hervorgerufen, dennoch aber das Gesetz in nament­ licher Abstimmung, wenn auch nur mit einer Majorität von 20 Stimmen, angenommen. Die Mehrheit setzte sich vornehmlich zusammen aus dem größeren Theil der beiden konservativen Parteien und der nationalliberalen Partei, sowie auS der Minderheit des Centrums. Die Sozialdemokraten stimmten gegen das Gesetz insbesondere um deswillen, weil dasselbe ihrer Meinung nach den Arbeitern nicht genug biete. Eine Ablehnung aus diesem Grunde wurde von dem Staatsminister Herrn Dr. v. Boetticher treffend mit dem Verhalten eines Hungrigen verglichen, welcher ein unbelegtes Butterbrod zurückweise, weil er daö von ihm verlangte belegte Butterbrod nicht erhalte. Es wäre wunderbar gewesen, wenn ein Gesetz,

welches, wie das vorliegende, ein völlig neues Gebiet erschloß und nirgends in der Welt ein Vorbild hatte, bei der Schwierigkeit der Materie und den weit­ tragenden oft einander entgegenstehenden Interessen der verschiedensten Bevölkerungskreise, die es in Mit­ leidenschaft zog, gleich beim ersten Anlauf so gelungen wäre, daß man es als fehlerfrei bezeichnen könnte. Dies war denn auch thatsächlich nicht der Fall. Auch rief die Entwickelung, welche in den ersten Jahren nach dem Erlaß des Gesetzes zu einer be­ sonders erheblichen Verschiebung der Bevölkerung von dem Osten nach dem Westen und von der Land­ wirthschaft in die Industrie führte, finanzielle Schwierig­ keiten bei einzelnen Trägem der Versicherung hervor, denen abgeholfen werden mußte, während andere Ver­ sicherungsträger im Ueberfluß schwammen und für den Durchschnitt des Reichs die Grundlagen der Versiche­ rung sich als zutreffend herausstellten. Eine im Jahre 1897 dem Reichstage vorgelegte Novelle kam nicht zur Verabschiedung. Im Jahre 1899 dagegen wurde vom Reichstage nach rund 50 Sitzungen, bei denen sich insbesondere der Abg. Schmidt-Elberfeld als Vorsitzender der Kommission erhebliche Verdienste erwarb, die Revision des Gesetzes durchgeführt und sodann daß neue Gesetz unter dem Titel „Jnvalidenversicherungsgesetz" am 13. Juli 1899 Allerhöchst vollzogen. Auf Grund der am Schluß dieses Gesetzes ihm ertheilten Ermächtigung

hat sodann der Reichskanzler das Gesetz durch Be­ kanntmachung vom 19. Juli 1899 (RG-Bl. S. 463) in neuer Redaktion unter fortlaufender Reihenfolge der Paragraphen veröffentlicht; diese Be­ kanntmachung enthält daher den fortab geltenden Text des Gesetzes. Wie sehr sich inzwischen die anfangs unfreundliche Stimmung der Bevölkerung gegenüber der Invalidenversicherung geändert hat, ergiebt sich am besten aus der Thatsache, daß, während das Gesetz von 1889 nur eine Mehrheit von 20 Stimmen im Reichstag erzielte, die Novelle fast einstimmig (gegen nur 5 Stimmen), von einem mit mehr als 200 Mit­ gliedern besetzten Hause angenommen worden ist und daß diesmal auch die Vertreter der Sozialdemokratie, und zwar zum ersten Mal für ein sozialpolitisches Gesetz, demselben zugestimmt haben. Die Novelle hat neben einer sehr großen Anzahl von Verbesserungen und Klarstellungen im Kleinen insbesondere folgende größere Veränderungen gebracht: Behufs finanziellen Ausgleichs der in den einzelnen Bezirken verschieden drückenden Last ist a) eine theilweise Gemeinsamkeit der sämmtlichen Versicherungsträger in der Aufbringung der Lasten durchgeführt, insofern ein Theil aller am 1. Januar 1900 laufenden und der später neu ent­ stehenden Renten (als Gemeinlast) von sämmt­ lichen Anstalten gemeinschaftlich getragen und hierzu von jeder Anstalt 4/io der vom 1. Januar

1900 ab ihr zufließenden Beiträge (Gemeinvermögen) verwendet werden sollen, während der Rest von 6/io (Sondervermögen) jeder einzelnen Anstalt zur Deckung der ihr allein obliegenden Aufwendungen (Sonderlast) verbleibt; b) das Verfahren bei Bewilligung und Entziehung von Renten ist im Sinne einer Dezentrali­ sation weiter ausgebaut; die unteren Ver­ waltungsbehörden und die im Fall des Be­ dürfnisses an deren Stelle tretenden örtlichen Renten stellen sollen die Rentenbewilligungen unter Zuziehung von Vertretern der Arbeitgeber und der Versicherten eingehend vorbereiten; c) an die Stelle des bei Berechnung der Beiträge bisher vorgesehenen Kapitaldeckungsversahrens nach Perioden ist das Prämiensystem ge­ treten und die Höhe der Beiträge wird für alle Anstalten einheitlich bemessen; d) durch Abstufung des Grundbetrages ist eine Er­ höhung der Renten erzielt worden. Festgehalten ist an folgenden Grundzügen des bis­ herigen Gesetzes: allgemeineVersicherungspflicht für alle Lohnarbeiter, sowie die Befugniß des Bundesraths, Hausgewerbetreibende und andere kleine Betriebs­ unternehmer der Versicherungspflicht zu unterwerfen; Grundsatz, daß beim Aufhören der Versicherung^

Pflichtigen Beschäftigung die Anwartschaft auf Rente im Prinzip einstweilen erhalten bleibt und durch freiwillige Fortzahlung der Beiträge dauernd erhalten bleiben kann; Gewährung von Renten zweierlei Art, nämlich einer mit der Dauer der Versicherungszeit steigenden Invalidenrente bei Erwerbsunfähig­ keit ohne Rücksicht auf das Lebensalter, und einer Altersrente nach Vollendung des 70. Lebensjahres ohne Rücksicht auf Erwerbsunfähigkeit; einstweilige Ausschließung der Wittwen- und Waisen­ versicherung; Erforderniß einer Wartezeit, die für die Invalidenrente im Allgemeinen auf 200, für die Altersrente unter weitgehender Berücksichtigung der Uebergangszeit auf 1200 Beitragswochen ermäßigt worden ist; Rückzahlung der Beiträge in gewissen Fällen, in denen Renten auf Grund dieses Gesetzes nicht gewährt werden; Grundsatz, daß die Dauer von Krankheiten und militärischen Dienstleistungen dem Ver­ sicherten angerechnet werden soll, ohne daß er während derselben Beiträge zu entrichten braucht; der hierdurch entstehende Ausfall an Beiträgen ist, soweit er durch Krankheit verursacht wird, durch entsprechende Erhöhung der regelmäßigen Beiträge der Gesunden bereits ge­ deckt und wird, soweit er durch militärische Dienst­ leistungen verursacht wird, durch antheilige Uebernahme der Rente Seitens des Reichs ausgeglichen;

XXXII

Einleitung.

Ausbringung der Mittel durch Beiträge der Arbeitgeber und der Versicherten in gleicher Höhe unter Beihülfe des Reichs (Reichszufchuß); die Beiträge sind nach dem Prämiensystem ein­ heitlich bemessen, decken demgemäß den Kapitalwerth der Renten (opp. Umlageverfahren) und bleiben auf der bisherigen Höhe (§ 32); Erhebung der Beiträge durch ein Markensystem; Durchführung der Versicherung durch selb st verwaltete Versicherungsanstalten unter Betheiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern; Uebertragung der Entscheidung über Rentenansprüche an den Vorstand, gegen dessen Entscheidung Anrufung eines Schiedsgerichts und bei Rechtsverletzung Revision durch das Reichs-Versicherungsamt zugelassen ist; Auszahlung der Renten durch die Post und Vertheilung der Renten, soweit sie nicht von allen Verstcherungsträgern gemeinsam aufgebracht werden, auf diejenigen Versicherungsanstalten, welchen für den Rentenempfänger während der Dauer seines Versicherungsverhältnisses Beiträge zugeflossen waren, durch eine besondere Rechnungsstelle des ReichsVersicherungsamts. Die in diesem Gesetz geregelte Invalidenversicherung schließt sich an die Krankenversicherung und an die Unfallversicherung gleichberechtigt an. Die Kranken-

Versicherung trifft Fürsorge für Fälle vorübergehender Krankheit; die Unfallversicherung sorgt Lei Er­ werbsunfähigkeit, welche aus Anlaß eines „Unfalls bei dem Betriebe" eingetreten ist, und gewährt, sofern ein solcher Unfall den Tod des Versicherten nach sich gezogen hat, auch den Hinterbliebenen desselben mäßige Jahres­ renten.

Die Invalidenversicherung dagegen ist

für solche Fälle bestimmt, in welchen der Versicherte aus anderen Gründen als einem durch Unfallversicherung gedeckten Betriebsunfall, insbesondere in Folge von Ge­ brechlichkeit, Abnutzung der Kräfte, Siechthum, Alter, Unfällen außerhalb des Betriebes re., also in Folge von Leiden, welche jedem Menschen drohen, er­ werbsunfähig

geworden ist; sie

gewährt auch dann

eine Rente (Altersrente), wenn der Versicherte ein hohes Lebensalter (das 71. Lebensjahr) erreicht bereits sicherung

erwerbsunfähig zu ist

nicht,

wie

hat,

ohne

sein.

Die Invalidenver­

wohl

zuweilen behauptet

wurde, die „Krönung des Gebäudes", zu welchem in der Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 der Grund gelegt wurde;

es fehlen

vielmehr

noch

weitere Maßnahmen, die in der bezeichneten Richtung zur Förderung des Wohles der arbeitenden Klassen er­ forderlich erscheinen, z. B. die Ausdehnung der Unfall­ versicherung

auf

mehrere derselben noch entbehrende

Berufszweige, und insbesondere die wegen ihrer Kost­ spieligkeit bis auf weiteres zurückgestellte Wittwenund Waisenversicherung.

Aber sie bedeutet einen ge-

v. Woedtke, Jnvalibenversicherungsgesetz.

c

wältigen Schritt vorwärts auf dem eingeschlagenen Wege; einen Schritt, der wegen der großen Zahl der in Betracht kommenden Personen — es handelt sich um fast 12 Millionen Versicherte — und um deswillen, weil die Maßregel naturgemäß nicht einzelne vorübergehende Momente in dem Leben der Versicherten, sondem fast das ganze Leben derselben erfassen muß, ganz besonders bedeutungsvoll und wegen der zahlreichen oft einander entgegenstehenden Interessen, die dabei zu berücksichtigen waren, mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden war. Das Gesetz hat sich inzwischen eingelebt und segensreich gewirkt; möchte die neue Gestalt, die es durch die Novelle bekommen hat, ihm weitere Freunde zuführen, und weiterer reicher Segen ihm entsprießen! Was nun im Einzelnen den Inhalt des Gesetzes an­ belangt, so enthält dasselbe in 4 Abschnitten 194 Para­ graphen. Es behandeln: Abschnitt I: Umfang und Gegenstandder Versicherung. „ II: Organisation. „ ZU: Verfahren. , IV: Schluß-, Straf- undUebergangsbestimwungen. Das Gesetz beruht auf dem Prinzip des Ver­ sicherungszwanges; derselbe tritt im Grundsatz ein bei allen Lohnarbeitern über 16 Jahre einschließlich der Dienstboten, sobald sie thatsächlich gegen

Einleitung.

XXXV

Baaren (§3) Lohn beschäftigt sind, bei Lehrern und Erziehern, niederen Betriebsbeamten und Hand­ lungsgehülfen bis 2000 Mark Jahresverdienst (§ 1). Es sind dies fast 12 Millionen Personen. Durch den Bundesrath kann die Versicherungspflicht erstreckt werden aus kleine Betriebsunternehmer, einschl. aller Hausindustriellen.*) Ausgenommen sind kraft Gesetzes insbesondere die Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, sowie die Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten, wenn sie eine An­ wartschaft auf Pension im Mindestbetrage der In­ validenrente haben oder nur zur eigenen Ausbildung beschäftigt werden, die Personen des Soldatenstandes, sowie diejenigen Personen, welche (im Sinne des Ge­ setzes) bereits invalid sind (§ 5); durch den Bundes­ rath können ausgenommen werden die mit Pensions­ anwartschaft angestellten Beamten anderer öffentlicher Verbände oder Körperschaften, sowie unter Umständen gewisse Kategorien von Ausländern (§ 4), auch hat der Bundesrath zu bestimmen, inwieweit vorübergehende Dienstleistungen nicht als verstcherungspflichtige Be­ schäftigung gelten sollen(§ 4).**) Auf ihren Antrag *) Dies ist für Hausindustrielle der Tabakfabrikation und der Textilindustrie inzwischen geschehen, Bekanntmachungen vom 16. De­ zember 1891 (R.G.Bl. S. 396) und vom 1. März 1894 (R.G.Bl. S. 324). S. Anhang. **) jetzt Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899 (R.G.Bl. S. 726).

XXXVI

Einleitung.

sind insbesondere diejenigen Personen zu befreien, welche vom Reich, einem Bundesstaat u. A. Pensionen oder Wartegelder beziehen, sowie Empfänger reichsgesetzlicher Unfallrenten, sofern die Pension, das Warte­ geld oder die Unfallrente wenigstens den Mindest­ betrag der Invalidenrente erreicht, ferner Personen über 70 Jahre und solche Personen, die im Jahre regel­ mäßig nur 12 Wochen oder 50 Tage Lohnarbeit über­ nehmen (§ 6). Den Betriebsbeamten u. s. w. zwischen 2000 und 3000 Mark Jahresverdienst, Betriebsunternehmern, welche nicht regelmäßig mehr als 2 Lohnarbeiter be­ schäftigen, und den noch nicht als versicherungspflichtig erklärten Meistern der Hausindustrie ist der frei­ willige Eintritt in die Versicherung (Selbst­ versicherung) unter der Voraussetzung gestaltet, daß sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und nicht bereits invalid sind (§§ 14, 146). Diejenigen Ver­ sicherten, welche aus einem (obligatorischen oder Selbst-) Versicherungsverhältniß zeitweise ausgeschieden sind, behalten einstweilen die durch die bisherigen Bei­ träge begründete Anwartschaft (§ 46), können diese sogar durch freiwillige Weiterversicherung steigern (§ 14); die Anwartschaft erlischt erst, wenn während 2 Jahren insgesammt weniger als 20 Wochen­ beiträge, bei Selbstversicherten weniger als 40 Wochen­ beiträge entrichtet sind. In diesem Falle kann das bis­ herige Verstcherungsverhältniß später durch fortgesetzte

Einleitung.

XXXVII

abermalige Beitragsleistung erneuert werden (§ 46 Abs. 4). Die bisherige Erschwerung der freiwilligen Versicherung durch das Erforderniß an Zusatzbeiträgen ist fortgefallen. Gegenstand der Versicherung ist ein Anspruch auf Rente in zweifacher Form, nämlich alsJnvalidenr ente und als Altersrente (§ 15), sowie der An­ spruch auf Rückerstattung geleisteter Beiträge (§§ 42 bis 44) für heirathende weibliche Versicherte, für Versicherte, die in Folge Unfalls invalid werden und für diesen nur eine Unfallrente erhalten, sowie für Hinterbliebene verstorbener Versicherter, sofern letztere in den Genuß einer Rente nicht getreten sind. Um­ wandlung der Renten in Kapital ist nur bei Ausländern statthaft; Geldrenten können unter Umständen in Naturalbezügen gewährt werden (§ 24). Alle derartigen Ansprüche bestehen aber, abgesehen von den Fällen des § 43, nur dann, wenn eine W a r t e z e i t von einer bestimmten Zahl vonBeitragswochen zurückgelegt ist, während welcher Beiträge ent­ richtet sein müssen; eingerechnet wird die Dauer von Krankheiten und militärischen Dienstleistungen, für welche keine Beiträge zu entrichten sind (§ 30). Die Wartezeit dauert (§ 16) für die Altersrente 1200 Beitragswochen, für die Invalidenrente, wenn ein Pflicht­ verhältniß mindestens während 100 Wochen bestanden hat, 200, im Uebrigen 500 Beitragswochen, für den Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen 200 Bei-

XXXVIII

Einleitung.

tragswochen. Während der UebergangSzeit sind jedoch für die Dauer der Wartezeit Erleichterungen vor­ gesehen; insbesondere brauchen für den Anspruch auf Altersrente Personen, die bei Einführung der Ver­ sicherungspflicht für ihren Berufszweig 40 Jahre oder darüber alt waren und während der diesem Zeitpunkt unmittelbar vorangehenden 3 Jahre thatsächlich in berufsmäßiger Lohnarbeit gestanden haben, so viel mal 40 Wochen weniger aufzuweisen, als ihr Lebensalter zu diesem Zeitpunkt die Zahl von 40 Jahren überstieg (§ 190). Leichte häusliche Arbeiten (Spinnen u. s. w.), wie sie landesüblich von alternden Leuten geleistet werden, Krankheiten u.s.w., werden eingerechnet (§ 191). Selbstversicherte haben auf diese Erleichterungen keinen Anspruch. Invalidenrente soll nach Ablauf der Wartezeit ohne Rücksicht auf das Lebensalter derjenige Versicherte er­ halten, welcher entweder für die Zukunft dauernd erwerbsunfähig ist (§ 15 Abs. 2), oder während eines halben Jahres thatsächlich erwerbsunfähig gewesen war (§ 16). Erwerbsunfähigkeit soll an­ genommen werden, wenn der Versicherte nur noch sehr wenig (Vs) verdienen kann; über das Maß des noch zu­ lässigen Erwerbes enthält § 5 Abs. 4 nähere Be­ stimmungen. Invalidität, welche vorsätzlich oder bei Begehung strafbarer Handlungen herbeigeführt ist, giebt keinen Anspruch auf Rente (§ 17). Invalidität durch Betriebsunfall giebt Anspruch nur auf den die Unfall-

Einleitung.

XXXIX

rente übersteigenden Betrag der Invalidenrente (§ 15), andernfalls nur auf Beitragserstattung (§ 43), jedoch soll in Fällen dieser Art auch die Unfallrente aus Antrag von der Versicherungsanstalt vorschußweise ge­ währt werden, vorbehaltlich des Regresses an die ver­ pflichtete Berufsgenossenschaft (§ 113). Altersrente soll nach Ablauf der Wartezeit der­ jenige Versicherte erhalten, welcher, ohne bereits erwerbs­ unfähig zu sein, das 71. Lebensjahr erreicht hat (§ 15). Die Altersrente ruht, wenn der Empfänger Invaliden­ rente erhält (§ 48). Jede Rente besteht auS zwei Theilen, nämlich aus einem Zuschuß des Reichs und einem von den Ver­ sicherungsanstalten aufzubringenden Betrage (§ 35). Der Reichszuschuß ist fest und beträgt bei jeder Rente jährlich 50 Mark (§ 35). Der von den Anstalten auf­ zubringende Theil dagegen ist verschieden hoch und wird nach Lohnklassen und den darin entrichteten Wochen­ beiträgen berechnet. Bei der Invalidenrente besteht dieser Theil der Rente wiederum aus zwei Theilen, nämlich einem Grundbetrage und aus Steigerungssätzen für die einzelnen Beitragswochen (§ 36). Der Grund­ betrag (früher allgemein 60 Mark jährlich) ist seit der Novelle nach Lohnklassen abgestuft und beträgt je nach den letzteren jährlich 60, 70, 80, 90, 100 Mark. Bei der Berechnung des Grundbetrages sind immer 500 Wochenbeiträge zu Grunde zu legen und aus

XL

Einleitung.

diesen, wenn sie in verschiedene Lohnklassen fallen, der Durchschnitt zu ziehen; sind mehr als 500 Wochen­ beiträge entrichtet, so werden die 500 höchsten Beiträge in Betracht gezogen; sind weniger als 500 Wochenbeiträge entrichtet, so wird deren Zahl durch fingirte Beiträge der niedrigsten Lohnklasse er­ gänzt. Dem so ermittelten Grundbetrage tritt nun für jeden einzelnen wirklich entrichteten Beitrag ein Steigerungssatz hinzu, der sich wiederum nach der Lohnklasse, für welche die Marke beigebracht ist, richtet und je nach den Lohnklassen 3, 6, 8, 10, 12 Pf. beträgt (§ 36); für die Dauer von Krankheiten und militärischen Dienstleistungen werden die Steigerungssätze der zweiten Lohnklasse angerechnet, ohne daß hierfür Beiträge zu entrichten wären (§§ 30, 40). Bei der Altersrente fallen die Steigerungssätze fort und der neben dem Reichszuschuß von den Ver­ sicherungsanstalten aufzubringende Theil stuft sich, ebenso wie der Grundbetrag der Invalidenrente, nur nach Lohn­ klassen ab. Er beläuft sich je nach den letzteren auf jährlich 60, 90, 120, 150, 180 Mark; kommen ver­ schiedene Lohnklassen in Betracht, so wird aus ihnen der Durchschnitt gezogen; sind mehr als 1200 Bei­ träge entrichtet, so werden nur die 1200 höchsten Beiträge in Rechnung gezogen, während die bei der Invalidenrente vorgesehene Ergänzung bis auf eine allgemein bestimmte Mindestzahl (dort 500) hier fort­ fällt (§ 37).

Einleitung.

XL!

DieHöhederWochen bei träge und die davon ab­ hängige Renten st eigerung richtet sich nach der L o h n klaffe, zu welcher der Versicherte gehört. Die Lohn­ klassen sind nach der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes gebildet; Klasse I umfaßt einen solchen bis zu 350 Mark, Klasse II bis zu 550 Mark, Klasse III bis zu 850 Mark, Klasse IV bis zu 1150 Mark, Klasse V von mehr als 1150 Mark. In diese Lohnklassen werden aber die Versicherten nicht nach der Höhe ihres thatsächlichen Jndividualverdienstes ein­ gereiht — eine solche an sich gerechte Maßregel würde die Durchführbarkeit des Gesetzes ernstlich gefährden —, sondern nach örtlichen Durchschnittslöhnen für große Kategorien von Arbeitern. Maßgebend sind im Allgemeinen diejenigen Durchschnittslöhne, welche für die betr. Versicherten in den durch das Krankenversicherungs­ gesetz geregelten sog. Zwangskassen die Grundlage für die Berechnung der Kassenbeiträge und des Kranken­ geldes bilden, im Uebrigen, also auch für Mitglieder von freien Hülfskaffen, für welche das Krankengeld in der Regel nicht nach dem Arbeitsverdienst bemessen wird, im Allgemeinen der 300fache Betrag des ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter (§ 8 des K.V.G.). Näheres vergl. § 34 Abs. 2. Indeß ist zugelassen, daß Versicherte, deren fixirter Baarlohn höher ist als die Durchschnittssätze der für sie in Betracht kommenden Lohnklasie, nach diesem höheren Betrage zu versichern sind (§ 34 Abs. 3), und daß der Versicherte auf seine

xm

Einleitung.

Kosten die Versicherung in einer höheren als der für ihn zuständigen Lohnklasse beanspruchen darf (§ 34 Abs. 4). Den Versicherungsanstalten ist das Recht ein­ geräumt, vorbeugende Krankenfürsorge eintreten zu lassen (§ 18) und durch ein Heilverfahren die Wieder­ herstellung des Invaliden zu versuchen (§ 47); auch kann auf Antrag statt der Rente Aufnahme in ein Jnvalidenhaus gewährt werden (§ 25). Eine einmal bewilligte Invalidenrente kann ent­ zogen werden, wenn der Empfänger nicht mehr als dauernd erwerbsunfähig anzusehen ist (§ 47). Der Rentenbezug ruht (§ 48), solange der Berechtigte für länger als einen Monat zur Strafe oder zur Besserung eingesperrt ist oder solange er nicht im Jnlande seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; letztere Vorschrift kann jedoch durch den Bundesrath für Reciprocität gewährende Staaten sowie für be­ stimmte Grenzdistrikte außer Anwendung gesetzt werden.*) Der Rentenbezug ruht ferner, wenn auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmungen über Unfall­ versicherung eine Unfallrente, oder wenn für Beamte oder Militärpersonen eine Pension oder ein Warte­ geld bewilligt ist, insoweit, als diese Bezüge zuzüglich der Invaliden- oder Altersrente den 7^2 fachen Grund*) Letzteres ist geschehen, vgl. Bekanntmachungen vom 16. Mai 1891 (Centr.Bl. S. 97) und 6. Mai 1892 (Centr.Bl. S. 317).

betrag der Invalidenrente übersteigen. Sonstige aus öffentlichen oder vertragsrechtlichen Quellen fließende Bezüge sind den Rentenempfängern unverkürzt weiter zu gewahren (§ 49); nur gesetzliche Entschädigungs­ ansprüche des Rentenempfängers gehen auf die B. A. über (§ 54). Jedoch können bestehende Pensionskassen von Fabriken rc. ihre Leistungen entsprechend herab­ setzen (§ 52); hat ferner für den Rentenempfänger trotz seiner Rentenansprüche die öffentliche Armen­ pflege eintreten müssen, so ist den Armenverbänden die Rente bis zur Höhe der geleisteten Unterstützungen wenigstens zum Theil zu überweisen (§ 49). Die Auszahlung der Renten erfolgt vorschußweise durch die Post (§ 123); die Vertheilung der Renten auf die daran betheiligten Träger der Versicherung und die Erstattung der vorgeschossenen Beträge erfolgt durch Vermittelung der zu diesem Zweck im ReichsVersicherungsamt errichteten Rechnungsstelle (früher Rechnungsbureau genannt), § 124. Die Invalidenrente kann entzogen werden, wenn deren Empfänger nicht mehr erwerbsunfähig ist (§ 47); in gewissen Fällen ist ein Ruhen der Rente und dem­ gemäß die Einstellung der Rentenzahlungen vor­ geschrieben (§ 48). In einigen Fällen, in denen es zur Gewährung einer Rente auf Grund dieses Gesetzes nicht kommt, ist die Hälfte der Beiträge zurückzuzahlen. Dies geschieht bei weiblichen Versicherten, sofern sie in die

XLIV

Einleitung.

Ehe treten (§ 42), Beim Tode Versicherter, sofern sie eine Wittwe oder in deren Ermangelung Kinder unter 15 Jahren hinterlassen (§ 44), sowie dann, wenn ein Versicherter durch Unfall invalid wird, hierfür eine Unfallrente erhält und dann des Anspruches auf In­ validenrente verlustig geht (§ 43). Im Uebrigen findet eine Beitragserstattung nicht statt. Die M i 11 e l zur Gewährung dieser Leistungen werden vom Reich (durch den Reichszuschuß; ferner durch die antheilige Uebernahme der Renten, soweit sie für die Zeit militärischer Dienstleistungen zu gewähren sind; endlich durch die Mitwirkung der Post und des Reichs-Verstcherungsamts), von den Arbeitgebern und von den Versicherten ausgebracht. Arbeitgeber und Versicherte haben laufende, für beide Theile gleich hohe Bei­ träge für jede Woche zu entrichten (§27), in welcher thatsächlich eine Beschäftigung stattgefunden hat. Die Beiträge sind im vollen Betrage vom Arbeitgeber bei der Lohnzahlung vorzuschießen (Ausnahmen für unständige Arbeiter vgl. §§ 144, 151 Ziffer 2); die auf den Versicherten entfallende Hälfte darf der Arbeit­ geber vom Lohn desselben kürzen (§§ 140, 141). Die Höhe der Beiträge ist unter Beseitigung des bisherigen Kapitaldeckungsverfahrens nach Perioden nach dem Prämiensystem berechnet (§ 32), deckt deshalb die Kapitalwerthe der Renten und der An­ wartschaften auf Rente und ist (vorbehaltlich gelegent­ licher Revisionen) einer späteren Steigerung nicht

XLV

Einleitung.

unterworfen. aus

den

Der besondere Reservefonds neben den

Beiträgen

ist fortgefallen.

angesammelten Prämienreserven

Die Beiträge werden für alle An­

stalten einheitlich durch den Bundesrats) festgesetzt; bis auf Weiteres bestimmt das Gesetz selbst ihre Höhe und zwar auf dieselben Sätze, die bereits bisher galten; eine Veränderung dieser Sätze bedarf der Zustimmung des

Reichstags.

ferner

Zu

entrichten

vom Arbeitgeber und

sind

dem

hiernach

auch

Versicherten zu­

sammen wöchentlich in Lohnklasse I .. „ und

zwar

Lebensalter, Höbe.

...

14 Pf.

II

. .

.

20 „

III

-

-

24 „

IV

. .

.

30 „

v

. .

.

36 „

für alle Versicherten ohne Rücksicht auf Gesundheitsverhältnisse re. in

gleicher

Die Durchführung der Versicherung erfolgt durch besondere, lediglich (§ 68 Abs. 4) für den bezeichneten Zweck

bestimmte

territoriale

Versicherungs­

anstalten, 31 an der Zahl, deren Bezirke im Allge­ meinen an die weiteren Kommunalverbände (Provinzen re.) oder an das Gebiet einzelner Bundesstaaten angelehnt sind

(§ 65 Abs. 1), z. Th. aber auch mehrere Kom­

munalverbände oder Bundesstaaten umfassen (gemein­ same Versicherungsanstalten, § 65 Abs. 2).

Ihre Er­

richtung erfolgt durch die Landes-Zentralbehörde (§ 65

XL VI

Einleitung.

Abs. 1) mit Genehmigung oder auf Anordnung deS BundeSraths (§ 66). Neben diesen Versicherungs­ anstalten treten als gleichberechtigte Träger der Invalidenversicherung 9 vom Bundesrath zugelassene besondere Kasseneinrichtungen (§§ 8 fg.) für die großen fiskalischen Eisenbahnverwaltungen und einzelne Knappschaften; auch ist der für die Unfall­ versicherung der Seeleute errichteten See-Berufs­ genossenschaft unter gewissen Voraussetzungen das Recht eingeräumt, mit Genehmigung des Bundes­ raths und bei gleichzeitiger Errichtung einer Wittwenund Waisenfürsorge die Invalidenversicherung für alle oder einzelne zu ihrer Genossenschaft gehörende Be­ triebe ihrerseits durchzuführen und für letztere zu diesem Zweck ebenfalls eine besondere Kafleneinrichtung zu er­ richten (§ 11). In den einzelnen Versicherungsanstalten sind im Allg. alle Personen versichert, deren Beschäftigungs­ ort im Bezirk der Versicherungsanstalt liegt (§ 65 Abs. 3). Die Versicherungsanstalt hat juristische Persönlichkeit (§68) und Selbstverwaltung nach Maßgabe eines von ihr selbst errichteten, von dem Reichs- (Landes-) Versicherungsamt genehmigten Statuts (§§ 70, 72). Mehrere Versicherungs­ anstalten können miteinander zu einem Rückversicherungs-Verbände zusammentreten (§ 99). Im Uebrigen stehen alle Träger der Versichemng unter einander in einem Kartellverhältniß, derart,

Einleitung.

XLVH

betfr ste die Grundbeträge aller am 1. Januar 1900 laufenden und von da ab entfieljenbcn Renten, sowie 8/i aller Altersrenten aus einem Gemeinvermögen, dem jede Anstalt 40 Prozent der ihr vom 1. Januar 1900 ab zufließenden Beiträge zuführt, gemeinsam tragen, während jeder Träger die Steigerungssätze der Invalidenrente und die sonstigen Aufwendungen auS den ihm verbleibenden 60 Prozent der Beiträge, die sein Sonder vermögen bilden, nach Verhältniß der von den betr. Versicherten ihm zugefloffenen Bei­ träge zu übernehmen hat (§§ 33, 125, 126). Die Organe der Versicherungsanstalt sind der Vor­ stand, an dessen Spitze mindestens ein Staats-oder Kommunalbeamter steht und dem im Uebrigen Vertreter der Interessenten angehören (§ 47), sowie ein Ausschuß der Interessenten (Generalversammlung). Die Novelle hat aber für eine erhebliche Dezentralisation der Geschäfte Sorge getragen und zu dem Zwecke in einem besonderen Abschnitt IIA die Mit­ wirkung der unteren Verwaltungsbehörde ge­ regelt. Dieser steht die Vorbereitung und Begutachtung der Anträge auf Renten oder Beitragserstattungen sowie der Entziehung von Invalidenrenten und der Einstellung von Rentenzahlungen, ferner die Benach­ richtigung des Vorstandes von Fällen, in denen eine Krankenpflege angezeigt erscheint, sowie die Auskunftsertheilung in allen auf die Invalidenversicherung sich beziehenden Angelegenheiten zu (§ 57). An ihrer

XLvm

Einleitung.

Stelle können durch die Versicherungsanstalt oder im Fall des geschäftlichen Bedürfnisses durch die LandesZentralbehörde besondere Renten stellen als Organe der

Versicherungsanstalten

unter

einem

von

dem

weiteren Kommunalverbande oder der Landesbehörde ernannten Vorsitzenden (§ 81) errichtet werden (§79); diesen Rentenstellen können dann auch die Beitragskontrole sowie andere Obliegenheiten übertragen werden (§ 80), insbesondere auch die selbständige Beschluß­ fassung

über Rentenanträge u. s. w. an Stelle des

Anstaltsvorstandes (§ 86). Den unteren Verwaltungsbehörden sowie den Rentenstellen müssen Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten beigegeben werden,

die in

den wichtigeren Fällen vor Abgabe des Gutachtens in mündlicher Verhandlung zugleich

mit dem Renten­

bewerber zuzuziehen sind (§§ 59, 84). der Arbeitgeber und der Versicherten die

Vorstände

kleiner

der

organisirten

eingeschriebener

Diese Vertreter werden

Krankenkassen

Hülfskassen

unter

durch und Mit­

wirkung der unteren Verwaltungsbehörden oder Ge­ meinde-Krankenversicherungen gewählt (§§ 62, 82) und wählen dann ihrerseits die Mitglieder des Aus­ schusses der Versicherungsanstalt (§ 76); letzterer wählt die nichtbeamteten Mitglieder des Vorstands sowie die Beisitzer der Schiedsgerichte (§71 Abs. 1 Ziffer 2, § 104 Abs. 3). Für die Versicherungsanstalt wird in Anlehnung

an eine bei der Unfallversicherung von Anfang an durchgeführte bewährte Einrichtung mindestells ein Schiedsgericht (§ 103) errichtet; dieses entscheidet in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und je zwei Beisitzern aus dem Stand der Arbeitgeber und der Versicherten auf Berufungen gegen die Entscheidungen des Vorstands über Bewilligung oder Entziehung von Renten oder über Rückzahlung von Beitragen. Durch die Novellen zu den Unfallversicherungsgesetzen voln 30. Juni 1900 sind diese örtlichen Schiedsgerichte unter der Bezeichnung „Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung" zugleich an die Stelle der früheren nach Berufszweigen organisirten Schieds­ gerichte für die Unfallversicherung gesetzt worden; diese Vorschrift tritt am 1. Januar 1901 in Kraft. Den Abschluß der Organisation bildet, wie bei der Unfallversicherung, das Reichs- (bezw. Landes-) Versicherungsamt (§§ 108, 111), das die Auf­ sicht über die Versicherungsanstalten führt; Rechts­ mittel gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte in Angelegenheiten der Invalidenversicherung sind jedoch nur bei Rechtsverletzung, bei Verstößen wider den klaren Inhalt der Akten oder bei wesent­ lichen Mangeln des Verfahrens zulässig (Revision, § 116) und gehm ausschließlich an das ReichsVersicherungSawt (§ 111). Der bisher vorgesehene Staatskommissar ist ebenso fortgefallen wie die be­ sonderen Vertrauensmänner der Versicherungsanstalten. v. Woedtke, JnoalidenverstcherungSgesetz.

d

Die Beiträge werden in der Art erhoben, daß ein nach der Beschäftigungßdauer und der betr. Lohn­ klaff e (§ 34) zu berechnender Betrag vonMarken (K130), welche die Versicherungsanstalt deS Beschäftigungsorts in verschiedenen vom Reichs-Versicherungsamt fest­ zustellenden Appoints auszugeben hat und welche bei den Postanstalten und besonderen Markenverkaufsstellen käuflich zu haben sind, in eine Quittungskarte des Versicherten (§ 131) eingeklebt wird. Dabei ist die Entwerthung durch Eintragung des Datums gestattet, aber im Allgemeinen bisher nicht vorgeschrieben; doch sollen nach der Novelle Marken für mehr als 3 Wochen jedenfalls entwerthet werden (§ 141). Die Quitturigskarte ist jedesmal für diejenige Versicherungsanstalt auszustellen, in welcher der Versicherte seine erste Beschäftigung gehabt hat (§ 133). Die Verwendung der Marken liegt nach der gesetzlichen Regel dem Arbeitgeber ob (§ 141), kann jedoch auch Krankenkassen oder besonderen Hebestellen über­ tragen werden (Einziehungsverfahren, § 148). Die Quittungskarten werden behördlich (§ 134)' oder durch die die Beiträge einziehenden Krankenkassen und Hebe­ stellen (§ 151) ausgestellt und, sobald sie voll sind, auf Antrag des Inhabers aber auch früher, umgetauscht; dabei wird die zum Umtausch gelangende Karte auf­ gerechnet und über die Schlußsumme dem Inhaber eine Bescheinigung ertheilt (§ 134). Die gefüllten Karten werden derjenigen Versicherungsanstalt zugeführt, deren

Namen sie tragen (für welche also die erste Karte des betr. Versicherten ausgestellt war), und hier aufbewahrt; doch darf die Versicherungsanstalt den Inhalt sämmt­ licher Quittungßkarten desselben Versicherten in Sammelkarten (Konten) übertragen und diese statt der zu vernichtenden Einzelkarten aufbewahren (§§ 133, 138). Quittungskarten, welche irgend welche mit den Zwecken dieses Gesetzes nicht vereinbare Ein­ tragungen oder Vermerke, insbesondere Urtheile über die Führung oder die Leistungen des Inhabers tragen, werden eingezogen und umgetauscht (§ 139); die Eintragung solcher Vermerke ist straffällig (§ 184); die Quittungskarte soll kein Arbeitsbuch sein. Anträge auf Rentenbewilligung sind an die untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle des Wohnoder Beschäftigungsorts zu richten (§ 112) und hier sorgfältig mit dem Antragsteller sowie unter Umständen unter Mitwirkung der für diesen Zweck gewählten Laienbeisitzer (vgl. oben) zu erörtern (§ 59). Die Ver­ handlungen sind sodann mit gutachtlicher Aeußerung dem Vorstande derjenigen Versicherungsanstalt einzusenden, welche für den Bezirk der betr. unteren Verwaltungs­ behörde oder Rentenstelle zuständig ist (§ 112). Dieser Vorstand befindet über den Antrag vorbehaltlich der Berufung an das Schiedsgericht und der Revision an das Reichs - Verstcherungsamt (vgl. oben). Bewilligte Renten werden von der Post vorschußweise gezahlt

(§ 123), durch die Rech nun g S stelle des ReichSVersicherungSamtS auf das Reich, das Gemein­ vermögen aller Anstalten und auf das Sondervermögen derjenigen Anstalten, zu denen für den Versicherten im Laufe seines VerstcherungSverhältniffeS Beiträge entrichtet sind, vertheilt (§ 125), und der Post nach Ablauf des Rechnungsjahres von den Versicherungsanstalten in dem durch die Rechnungsstelle mit* getheilten Betrage nach näherer Bestimmung der §§ 125, 126 in ganzer Summe erstattet. Zum Schluß dieser Darstellung möchte der Verfasser darauf Hinweisen, daß er zur thunlichsten Abhilfe der zumeist unberechtigten Klagen überdasMarkens y stem, welches dem Gesetz die Bezeichnung „Klebegesetz" ein­ getragen hat, von jeher gerathen hat, überall da von der Befugniß des § 148 Gebrauch zu machen, also das Klebegefchäst den einzelnen Arbeitgebern abzunehmen und auf Krankenkaffen u. s. w. zu übertragen, wo dies den Wünschen der Arbeitgeber entspricht. Für ständige Arbeitsverhältnisse hat sich dies Verfahren, welches zudem die Invalidenversicherung in ihrer Organisation an die Krankenversicherung annähert, durchaus bewährt. Die verhältnißmäßig geringen, durch das Einzugs­ verfahren bedingten Mehrkosten fallen gegenüber der größeren Zufriedenheit, die dann entstehen wird, und gegenüber der Erleichterung der Arbeitgeber von mancher Mühewaltung nicht inS Gewicht. Im Uebrigen gelten die nachstehenden Schlußworte, welche der Verfasser

Einleitung.

LIII

Bei der ersten Auflage der Einleitung Beigegeben hat, noch jetzt in vollem Umfange: „Möchte Bet der Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes größere Einheit herrschen, als Bet deren Berathung, möchte vor allen Dingen der Wille, trotz mancher Ultbequemlichkeiten und Kosten den von dem Gesetz gewiesenen, vor der Hand als besten erkannten Weg mit Emst und Entschlossenheit zu verfolgen, nicht vermißt werden! Möchte man sich immer gegen­ wärtig halten, daß neue organische Einrichtungen so­ lange, bis sich die Betheiligten in die neuen Ver­ hältnisse und Aufgaben eingelebt haben, Unbequemlich­ keiten mancher Art nothwendig mit sich bringen müssen. Möchte man nicht vergessen, daß Jeder, welcher der Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 seiner Zeit zugejubelt und damit die darin bekundete hoch­ sinnige Absicht des in Gott ruhenden Begründers des Deutschen Reichs, dem Arbeiter bei Alter und Invali­ dität ein größeres Maß staatlicher Fürsorge zuzuwenden, zu der eigenen gemacht hat, nun auch bereit sein muß, die mit einer solchen Maßregel unabweisbar verknüpften Kosten und Unbequemlichkeiten zu übemehmen! Möchte man nicht vergessen, daß bei einer Maßregel, bei welcher der Orts- und Berufswechsel der Arbeiter eine so große Rolle spielt wie bei der Invalidenversicherung, die besonderen Verhältnisse des einzelnen Bemfszweiges nicht ausschlaggebend fein können, sondern daß ein Weg gefunden werden mußte, der den verschiedenen

Verhältnissen auch der übrigen Berufszweige sich anpaßt! Dann wird auch diesem Gesetz der gute Erfolg, den die vorangegangenen Gesetze über Kranken­ versicherung und über Unfallversicherung auszuweisen haben, nicht fehlen, und dann erst wird dieS Vermächtniß deS Hochseligen Kaisers Wilhelm I. wahrhaft erfüllt werden. Unserer Aller Pflicht ist es, Jeder an seinem Theil dazu mitzuwirken. Wohlan, versäume Keiner diese Pflicht! Und Gott gebe das Gelinzen!"

Bekanntmachung des Tertes des Invalidenverficherungsgesetzes vom 13. Juli 1899. Vom 19. Juli 1899. (ReichS-Gesetzbl. von 1899, Nr. 34, S. 463 bis 531.) Auf Grund der im §. 163 Abs. 3 des Jnvalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 ertheilten Er­ mächtigung wird der Text des Jnvalidenversicherungsgesetzes unter fortlaufender Nummerfolge der Para­ graphen nachstehend bekannt gemacht. Berlin, den 19. Juli 1899. Der Stellvertreter des Reichskanzlers. Graf von Posadowsky.

InvaUdenverslcherungsgesetz. I. Umfang und Gegenstand der Versicherung. §. 1.

Nerstchrrrmgspfltcht. Nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes werden vom vollendeten sechzehnten Lebensjahre ab versichert: 1. Personen, welche als Arbeiter, Gehülfen, Gev.Woedtke, Jnvalidenversicherungsgesetz.

l

sollen, Lehrlinge oder Dienstboten gegen Lohn oder Gehalt beschäftigt werden; 2. Betriebsbeamte, Werkmeister und Techniker, Handlungsgehülfen und -Lehrlinge (ausschließlich der in Apotheken beschäftigten Gehülfen und Lehrlinge), sonstige Angestellte, deren dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, sowie Lehrer und Erzieher, sämmtlich sofern sie Lohn oder Gehalt beziehen, ihr regelmäßiger Jahres­ arbeitsverdienst aber zweitausend Mark nicht übersteigt, sowie 3. die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Per­ sonen der Schiffsbesatzung deutscher Seefahrzeuge (§. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 1887, Reichs-Gesetzbl. S. 329) und von Fahr­ zeugen der Binnenschiffahrt, Schiffsfiihrer jedoch nur dann, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeits­ verdienst an Lohn oder Gehalt zweitausend Mark nicht übersteigt. Die Führung der Reichsflagge auf Grund der gemäß Artikel II §. 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. März 1888 (ReichsGesetzbl. S. 71) ertheilten Ermächtigung macht das Schiff nicht zu einem deutschen Seefahrzeug im Sinne dieses Gesetzes. § 1 Ges. v. 1889; § 1 d. Entw.; § 1 Ges. v. 1899.

Zu 8 1 1. Der Eingang des Gesetzes vom 13. Juli 1809 (R.G.Bl. von 1899 Nr. 33 S. 393 bis 462) lautet:

z l.

Versicherungspflicht.

3

JnvattdenversicherungSgesetz. Vom 18. Juli 1899. „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen re. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des BundeSrathS und des Reichstags, was folgt: An die Stelle des Gesetzes, betreffend die Jnvaliditäts- und Altersversicherung, vom 22. Juni 1889 (R.G.Bl. S. 97) und deS Gesetzes, betteffend die Abänderung des g 167 des Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes, vom 8. Juni 1891 (R.G.BÜ S. 337) treten die nachstehenden Bestimmungen." Auf Grund der im § 194 Abs. 3 Satz l dieses Gesetzes ertheilten Ermächtigung: „Der Reichskanzler wird ermächtigt, den Text des JnvalidenversicherungSgesetzes unter fortlaufender Nummern­ folge der Paragraphen durch das Reichs-Gesetzblatt bekannt zu machen" hat der Reichskanzler durch die vorstehend am Kopf abgedruckte Be­ kanntmachung vom 19. Juli 1899 (R.G.Bl. S. 463) den jetzigen Wort­ laut des Jnvalidenversicherungsgesetzes, wie er hier abgedruckt wird, bekannt gemacht. 2. Der bisherige Titel: „Gesetz, betreffend die Jnvaliditäts- und Altersversicherung" ist durch die Novelle in den kürzeren Titel „Jnvalidenverficherungsgefetz" umgewandelt worden, nicht nur um einen kürzeren Ausdruck einzuführen, sondern auch um schon durch den Titel zum Ausdruck zu bringen, daß die Invalidenversicherung weitaus das wichtigere im Gesetz bildet und die Altersversicherung, die allerdings während der ersten Jahre der Geltung des Gesetzes (insbesondere wegen der Uebergangsbestimmungen, die für sämmtliche damals noch vertretenen Jahrgänge über 70 Lebensjahre auf einmal und ohne nennenswerthe Gegenleistung die Altersrente gewähren ließen) eine erhöhte Bedeutung befaß, durchaus zurücktritt. Im Gesammteffekt und Durchschnitt wird die Invalidenversicherung etwa 80 Prozent, die Altersversicherung etwa 8 Prozent der Be­ lastung aus diesem Gesetz beanspruchen. Trotz des gekürzten Titels

4

I. Umfang und Gegenstand der Berstcherung.

bleibt natürlich auch die Altersversicherung ein wichtiger Gegenstand des Gesetzes, der um so wichtiger ist, als für die Altersrente nach wie vor besondere Voraussetzungen, eine besondere Berechnung und besondere Uebergangsbestimmungen bestehen. 3. Aenderungen, die die Novelle gebracht hat: a) den Betriebsbeamten sind, entsprechend der Ueberschrift zu Titel Vit der Gewerbeordnung, die Werkmeister und Techniker ausdrücklich gleichgestellt worden, b) Lehrer und Erzieher, sowie sonstige Angestellte, deren dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, sind mit derselben Maßgabe wie die Betriebsbeamten für versicherungSpflichtig erklärt worden, c) die Versicherungspflicht der besoldeten Schiffsführer ist entsprechend der Dersicherungspfiicht der Betriebsbeamten auf Personen bis zu 2000 Mark Verdienst beschränkt worden. 4. Was die Lehrer und Erzieher anbelangt, so handelt es sich bei deren Unterstellung unter die Versicherungspflicht um eine Ausnahme von dem allgemeinen, im Uebrigen auch von der Novelle beibehaltenen Grundsatz, daß „der Versicherungspflicht im Allgemeinen solche Personen entzogen sind, welche nicht vorwiegend körperlich arbeiten, sondern sich einer ihrer Natur nach höheren, mehr geistigen (wissenschaftlichen, künstlerischen u. f. w.) Thätigkeit widmen" (Mot. z. Nov. S. 240). Die Ausnahme ist begründet durch das Bedürfniß und den dringend heroorgetretenen Wunsch weiter Kreise der be­ theiligten Lehrer. Sie umfaßt im Grundsatz sämmtliche, sowohl technische wie wissenschaftliche Lehrkräfte, mögen sie an Anstalten oder Schulen angestellt, oder für den Haushalt angenommen sein oder aus dem Geben einzelner Stunden ein Gewerbe machen, sofern sie Lohn oder Gehalt beziehen uub ihr Jahresverdienst 2000 Mark nicht übersteigt. Es bestehen jedoch folgende Ausnahmen: l. BersicherungSfrei sind kraft Gesetzes a) Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten, sobald ihnen auf Grund der Anstellung die Anwartschaft auf Pension zusteht, oder solange sie vor

8 l. Versicherung-pflicht.

5

ihrer Anstellung erst noch zur Ausbildung beschäftigt werden (s. 8 6 Abs. l), (wie bei Staats- und Kommunal­ beamten), b) Personen, welche Unterricht ertheilen während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für ihren künftigen Lebens­ berus (z. B. Studenten), (8 6 Abs. 8). 2. Als verstcherungsfrei können durch Beschluß des Bundes­ raths erklärt werden Lehrer und Erzieher an nicht öffent­ lichen Schulen oder Anstalten, sofern sie Anwartschaft auf Pension haben (8 7). 3. Aus ihren Antrag sind von der Verstcherungspflicht zu befreien Personen, welche als ehemalige Lehrer oder Er­ zieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten Pension beziehen (§ 6); durch Beschluß des BundeSrathS kann diese Ausnahme auch auf ehemalige Lehrer und Erzieher an nicht öffentlichen Schulen oder Anstalten erstreckt werden (8 7). Zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung (8 14 Abs. l) sind Lehrer und Erzieher unter 40 Jahren berechtigt, wenn ihr Gehalt zwischen 2000 und 8000 Mark beträgt. versicherung-pflichtige Lehrer und Erzieher sind mindestens in der 4. Lohnklaffe zu versichern (§ 34 Abs 2 am Schluß); die Beiträge zahlt zur Hälfte (als Arbeitgeber) der Schulvorstand oder Haus­ haltungsvorstand und, wo es sich um einzelne Unterrichtsstunden in verschiedenen Häusern oder in der eigenen Wohnung handelt, der­ jenige, von welchem der Lehrer in der betreffenden Arbeitswoche zuerst beschäftigt wird (§ 140 Abs. 2). Nach 8 144 steht auch Lehrern wie anderen, insbesondere unständig beschäftigten Personen die Selbst­ entrichtung der Beiträge unter Vorbehalt des Rückgriffs auf den beitragspflichtigen Arbeitgeber zu. Mitglieder geistlicher Genossenschaften, welche sich der Lehrthätigkeit widmen, unterliegen der Verstcherungspflicht nicht, weil sie für diese Thätigkeit kein Gehalt beziehen (Mot. z. Nov. S. 242). 6. „Sonstige Angestellte", die die Novelle neben den „Betriebs­ beamten" für verficherungSpflichtig erklärt, umfaßt alle Hülfspersonen, die im Haushalt oder einem Geschäftsbetriebe eine abhärgige Stellung einnehmen, aber doch nicht zur Klasse der niederen

I. Umfang und Gegenstand der Verficherung. lediglich ausführenden Hülfsarbeiter gezählt werden können. Der „Ge­ schäftsbetrieb" steht hier im Gegensatz zu dem „Betrieb" als einem Inbegriff fortdauernder, wirthschaftlicher, d. h. auf die Erzeugung von Gütern (Erwerb) gerichteter Thätigkeiten; insbesondere gehört hierher auch die regiminelle Thätigkeit der Behörden (z. B. Geschäftsbetrieb der Stadtkasse im Gegensatz zum Betrieb der städtischen Sparkasse). Zu den „sonstigen Angestellten" sind also, soweit der Haushalt in Frage kommt, insbesondere zu rechnen alle Hausbeamten, Hausdamen, Gesellschafterinnen, Stützen, Privatsekretäre und ähnliche Hülfskräfte des Haushalts in einer über den Stand der Dienstboten hinausragenden Stellung, die nach ihrer Stellung im Haushalt den Betriebsbeamten im gewerblichen Betriebe gleichstehen. Soweit es sich um Geschäftsbetriebe handelt, sind zu den versicherung-pflichtigen sonstigen Angestellten insbesondere zu rechnen „die Beamten mittlerer Stufe in öffentlichen oder privaten Verwaltungen und Geschäftsbetrieben jeder Art", so das eigentliche Büreaupersonal (Expedienten, Registratoren, Kalkulatoren), ferner Sekretäre der BerufSgenossenschaften, Krankenkassen, Versicherungs­ anstalten (vgl. jedoch 88 5, 98), der Rechtsanwälte, Notare, Land­ räthe, BermesiungSbeamten u. s. w., auch wenn sie bisher unter die Rubrik „Gehülfen" zu rechnen waren. Vgl. Anleitung d. R.V.A. v. 19. 12. 99. Ihre Grenze findet deren Versicherungspflicht in den Be­ stimmungen der 88 3 bis 7, wonach insbesondere Reichs-, Staats­ und Kommunalbeamte, sofern ihnen Pensionsanwartschast zusteht, von der Versicherungspfltcht befreit sind. Die ftühere Unterscheidung zwischen höherem und niederem Büreaudienst hat b(t8 ReichSVersicherungsamt nunmehr fallen gelasien. Auch die Hülfsarbeiter der inneren Mission sind hier­ nach versicherungspflichtig, indem sie keine höhere, mehr wissenschaft­ liche Thätigkeit ausüben (Mot. z. Rov. S. 239). Alle diese Personen sind verstcherungspflichtig, sofern sie Lohn oder Gehalt, aber nicht mehr als 2000 Mark jährlich beziehen, und sofern ihre dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet. Durch letztere Bestimmung sollen Zweifel ausgeschlossen werden, daß Fleisch beschauer, Gemeindeschreiber u. a., die nur nebensächlich in den Gemeinden beschäftigt werden, die Grundlage ihrer wirthschaftlichen

8 l.

Versicherungspflicht.

7

Existenz aber in einer anderen öffentlichen oder privaten Thätigkeit finden, der DersicherungSpflicht nicht unterliegen (Mot. z. Noo. 6. 240). 6. Durch die Einfügung des Begriffs „sonstige Angestellte" ist der Kreis der verstcherungspflichtigen „Gehülfen" nach oben zum Theil geändert worden, insofern jetzt zahlreiche Bedienstete mittlerer Stufe, die früher unter den Begriff des Gehülfen zu bringen waren, unter die Kategorie der sonstigen Angestellten fallen. Als „Gehülfen" versicherungspflichtig sind zunächst die Gewerbegehülfen (Kellner, Bademeister, Polier), außerdem aber auch die sonstigen niederen Hülfspersonen eines Arbeitgebers, deren Thätigkeit in wirthfchaftlicher und sozialer Hinsicht derjenigen des Arbeiters, Gesellen oder Dienst­ boten im Wesentlichen gleichwerthig ist (R.V.A.). Jedenfalls gehören hierhin auch die niederen, neben den „sonstigen Angestellten" thätigen Hülfspersonen bei Behörden oder anderen büreaumäßig gestalteten Geschäftsbetrieben (vgl. Anm. 5), wie Schreiber, Boten, Gefangenen­ aufseher, Heizer, Scheuerfrauen. Kindergärtnerinnen sind nach wie vor versicherungspflichtig, mögen sie je nach der Art ihrer Stellung als Hausdamen, Erzieherinnen oder Gehülfinnen angesehen werden. 7. „Die Fassung des § 1 giebt dem in dem allgemeinen Theile der Begründung näher ausgeführten Gedanken Ausdruck, daß der DersicherungSzwang auf die arbeitende Bevölkerung sämmtlicher Berufs zweige sich erstrecken soll. Demgemäß werden alle Personen, welche alS Arbeiter oder in einer ähnlichen Stellung gegen Lohn thatsächlich beschäftigt sind, während der Dauer dieser Beschäftigung versichert sein. Die Ausdehnung der Versicherungs Pflicht auf Betriebsbeamte, deren regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mark nicht übersteigt, kann nach dem Gange der bisherigen Gesetzgebung einem Bedenken nicht begegnen" (Mot. S. 72). Den „Arbeitern" sind im Anschluß an die bisherigen sozialpolitischen Gesetze gleichgestellt: Gesellen, Gehülfen (vgl. Anm. 6), Lehrlinge, außerdem aber auch die Dienstboten, welche nach dem Unfall­ versicherungsgesetz, soweit sie im Betriebe beschäftigt sind, als Arbeiter behandelt werden, nach dem Krankenverficherungsgesetz aber nicht; ferner die Schiffsmannschaft auf See- und Binnenschiffen. Den „Betriebsbeamten" sind gleichgestellt die Handlungs­ gehülfen und -Lehrlinge, ausschließlich der ausdrücklich aus-

8

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

genommenen Gehülfen und Lehrlinge in Apotheken, Werkmeister und Techniker. Lehrer und Erzieher (vgl. Anm. 2, 3), sonstige Angestellte (vgl. Anm. 5) sowie Schiffsführer (§ 1 Ziff. 3). Während in den Gesetzen über Kranken- und Unfallversicherung einzelne Betriebskategorien angegeben werden, in denen die Arbeiter rc., um versicherungspflichtig zu sein, beschäftigt sein müssen, wird hier von der Bezeichnung irgend welcher Betriebe ganz abgesehen. Es sollen eben alle Arbeiter, Gehülfen rc. gegen Invalidität und Alter versichert werden, ohne Rücksicht auf ihre oft wechselnde Beschäftigungsart, und ohne Rücksicht darauf, ob sie in einem bestimmten „Betriebe" (vgl. Anm. 4) oder anderweitig beschäftigt sind. 8. Zur Schiffsbesatzung gehören alle im Dienst de- Fahrzeugs beschäftigten Personen, einschl. deS Schiffsführers. Ein Seefahr­ zeug ist nach g 2 des See-Unfallvers.-Ges. v. 13. Juli 1887 (R.G.Bl. S. 329) „jedes ausschließlich oder vorzugsweise zur Seefahrt benutzte Fahrzeug"; als Seefahrt „gilt nicht nur der Verkehr auf See außer­ halb der durch § l der Vorschriften über die Registrirung und die Be­ zeichnung der Kauffahrteischiffe v. 13. Nov. 1873 (R.G.Bl. S. 367) fest­ gesetzten Grenzen, sondern auch die Fahrt auf Buchten, Haffen und Watten der See, nicht aber auf anderen mit der See in Verbindung stehenden Gewässern, auch wenn sie von Seeschiffen befahren werden" (8 2 a. a. O.). Gewäffer der letzteren Art gelten im Sinne der vor­ liegenden Gesetzgebung als Binnengewässer. Ein deutsches See­ fahrzeug ist im Allg. ein solches, welches unter deutscher Flagge fährt (§ 2 st. st. O). Aus die Größe des Fahrzeugs kommt eS für das Gebiet des vorliegenden Gesetzes nicht an. Besondere Vorschriften für Seeleute vgl. in § 167. 9. Als Lohn und Gehalt gelten auch Tantiemen und Natural­ bezüge. Bloße Gewährung freien Unterhalts dagegen macht nicht verstcherungspflichtig (§ 3). 10. Ausnahmen von der Versicherungspflicht enthält das Gesetz in 8 3 Abs. 2, 88 4, 5. Ausgenommen sind nämlich kraft Gesetzes a) alle mit Pensionsanwartschaft angestellten Beamten des Reichs, der Bundesstaaten und der Kommunalverbände (8 6 Abs. l), sowie unter gleicher Voraussetzung die Beamten der Träger

6 l.

LersicherungSpflicht.

9

der Invalidenversicherung (Versicherungsanstalten, zugelaffene besondere Kaffeneinrichtungen, 8 6 Abs. 2); b) alle dienstlich als Arbeiter verwendeten Personen de- Sol­ datenstandes (§ 6 Abs. 3); c) Personen, welchen auf Grund dieses Gesetzes eine Invaliden­ rente bewilligt ist (§ 6 Abs. 3); d) alle Personen, welche bereits als Invaliden anzusehen sind (8 6 Abs. 4>; e) affie Personen, deren Lohn ausschließlich in freiem Unterhalt besteht (8 3 Abs. 2). Ausnahmen können ferner begründet werden durch den Bundes­ rat h, und zwar für f) vorübergehende Dienstleistungen (§ 4 Abs. l); g) Dienstleistungen von Ausländern, welchen der Aufenthalt im Jnlande nur zeitweise gestattet ist (6 4 Abs. 2); h) mit Pensionsanwartschaft angestellte Beamte von „andern" öffentlichen Verbänden (d. h solchen öffentlichen Verbänden, die nicht Reich, Bundesstaat, Kommunalverband, Versicherungs­ anstalt, zugelaffene besondere Kasseneinrichtungen sind, 6 6), oder von Körperschaften (6 7). Endlich kennt das Gesetz Befreiungen einzelner nur kurze Zeit im Jahr beschäftigter Personen auf ihren Antrag (8 6). Außer der Versicherungspsiicht kennt das Gesetz sodann eine frei­ willige Versicherung (8 14) und zwar in doppelter Form, nämlich: a) als freiwilligen Eintritt in die Versicherung (Selbst­ versicherung) für Betriebsbeamte rc., Lehrer und Erzieher zwischen 2000 und 3000 Mark Jahresarbeitsverdienst, für Betriebsunternehmer, welche nicht regelmäßig mehr als zwei versicherungspflichtige Lohnarbeiter beschäftigen, und für Haus­ gewerbetreibende, b) als freiwillige Fortsetzung der Versicherung (Weiter­ versicherung) für Personen, welche aus einem die Bersicherungspflicht begründenden Verhältniß (wegen Aufgebens einer versicherungspflichtigen Beschäftigung) ausscheiden. Die freiwillige Versicherung ist in einzelnen Beziehungen, ins­ besondere hinsichtlich der Wartezeit (8 29), erschwert (vgl. auch 8132, wo-

10

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

nach für Selbstversicherung eine besondere Quittungskarte vorgeschrieben werden darf), während höhere Beiträge (Doppelmarken, Zusatzbeiträge) nach dem Inkrafttreten der Novelle nicht mehr erfordert werden. Ern nach § 46 bereits erloschenes Versicherungsoerhältniß kann in gleicher Weise erneuert werden (§ 14 Abs. 2, § 46 Abs. 4). 11. Das Gesetz ist, wie die Gesetze über Kranken- und über Unfall­ versicherung, in erster Reihe für die auf ihrer Hände Arbeit an­ gewiesenen Personen der arbeitenden Klassen und die niederen Betriebsbeamten bestimmt. Diese unterliegen, sobald und solange sie gegen Lohn beschäftigt sind, traft Gesetzes der Versicherungspflicht. Selbständige Betriebsunternehmer unterliegen der Versicherungs­ pflicht nicht; zu diesen gehören auch selbständige Dienstmänner, Fremdenführer u. s. w. Die Wäscherinnen, Schneiderinnen, Näherinnen, Plätterin nen werden nach den hierüber getroffenen Bestimmungen (vgl. v. Woedtke, Nachtrag z. Kommentar Anlage 1) dann als selbständige Betriebsunternehmerinnen behandelt und des­ halb nicht versichert, wenn sie in der eigenen Behausung thätig sind; sie gelten dagegen als versicherungspflichtige Arbeiterinnen, sofern sie in den Wohnungen ihrer Kunden arbeiten, „von Haus zu Haus gehen". Durch den Bundesrath kann die Versicherungspflicht auf kleine Be­ triebsunternehmer und Hausgewerbetreibende erstreckt werden. Eine Erstreckung auf selbständige Betriebsunternehmer ist bisher nicht erfolgt; wegen der Hausgewerbetreibenden vgl. Anm. 4 zu 8 2; wegen der Lehrer und Erzieher vgl Anm. 2, 3. 12. Ausländer, welche im Jnlande beschäftigt sind, unterliegen den Vorschriften dieses Gesetzes im Allg. ebenso wie den Vorschriften der Unfall- und der Krankenoersicherungsgesetze. Besondere Bestimmungen für Ausländer siehe in § 26, sowie für gewisse Ausländer in § 4 Abs. 2. 13. Ueber die Versicherungs-(Beitrags-)Pflicht entscheiden während der Dauer der Beschäftigung gemäß § 155 im Einzelfall endgültig die Verwaltungsbehörden, doch sollen nach der Novelle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung dem Reichs-Versicherungs­ amt zur Entscheidung überwiesen werden, wenn dies von der Versiche­ rungsanstalt beantragt wird (§ 156). Tritt die Frage nach der Versiche­ rungspflicht erst im Rentenfestsiellungsverfahren hervor, so wird sie in diesem von den für letzteres zuständigen Behörden entschieden.

Für die nachgesetzliche Zeit sind die Entscheidungen der Ver­ waltungsbehörde über Versicherung-pflicht maßgebend. Für die var­ ge setz liche Zeit aber, d. h. für die Frage, ob eine vor dem Inkraft­ treten de- Gesetzes absolvirte Beschäftigung al- eine die Versicherung bedingende anzusehen sei — hier handelt es sich insbesondere um Ansprüche in der Uebergangszeit, §§ 189, 190 — gilt dies nicht; da wird über die Frage der Versicherungspflicht endgültig von den Rentenfeststellungsbehörden, in letzter Instanz also vom Reichs-Ver­ sicherungsamt, entschieden. A.N. 1891 S. 149, 1893 S. 48. Dir bei Revision-entscheidungen de- R.B.A. aufgestellten Recht-sätze werden dann bei den Entscheidungen gemäß § 166 zu beachten sein.

§.

2.

Durch Beschluß des Bundesraths kann die Vor-' schrift des §. 1 für bestimmte Berufszweige allgemein oder mit Beschränkung auf gewisse Bezirke auch 1. auf Gewerbetreibende und sonstige Betriebsunter­ nehmer, welche nicht regelmäßig wenigstens einen Lohnarbeiter beschäftigen, sowie 2. ohne Rücksicht auf die Zahl der von ihnen be­ schäftigten Lohnarbeiter auf solche selbständige Gewerbetreibende, welche in eigenen Betriebs­ stätten im Auftrag und für Rechnung anderer Gewerbetreibenden mit der Herstellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugnisse beschäftigt werden (Hausgewerbetreibende), erstreckt werden, und zwar auf letztere auch dann, wenn sie die Roh- und Hülfsstoffe selbst beschaffen, und auch für die Zeit, während welcher sie vorübergehend für eigene Rechnung arbeiten. Durch Beschluß des Bundesraths kann bestimmt werden,

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I. Umfang und Segenftanb bet Versicherung.

1. daß und inwieweit Gewerbetreibende, in deren Auftrag und für deren Rechnung von Haus­ gewerbetreibenden (Abs. 1 Ziffer 2) gearbeitet wird, gehalten sein sollen, rücksichtlich der Haus­ gewerbetreibenden und ihrer Gehülfen, Gesellen und Lehrlinge die in diesem Gesetze den Arbeit­ gebern auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen, 2. -aß und inwieweit Gewerbetreibende, in deren Auftrage Zwischenpersonen (Ausgeber, Faktoren, Zwischenmeister re.) gewerbliche Erzengniffe her­ stellen oder bearbeiten lassen, gehalten sein sollen, rückstchtlich der von den Zwischenpersonrn hierbei beschäftigten Hausgewerbetreibenden (Abs. 1 Ziffer 2) und deren Gehülfen, Gesellen und Lehrlinge die in diesem Gesetze den Arbeitgebern anserlegten Ver­ pflichtungen zn erfüllen. § 2 Ges. v. 1889; §2 8. Entw.; §2 Ges. V. 1889.

Z« 8 2. 1. Aenderungen durch die Novelle: a) die Beschlüsse des Bundesraths über Erstreckung der Berstcherungspflicht brauchen nicht mehr, wie bisher, für den ganzen Umfang des Reichs, sondern können auch für bestimmte kleinere Bezirke ergehen; b) für Hausgewerbetreibende, die nicht direkt sondern nur in­ direkt von dem Großhändler, direkt aber von Zwischen­ personen (Zwischenmeistern u. s. w.) beschäftigt werden, sowie für die Hülsspersonen dieser Hausgewerbetreibenden kann der Großhändler beitragspflichtig gemacht werden. 2. Solange die in 8 2 bezeichneten (kleinen) Betriebsunternehmer einschl. der Hausgewerbetreibenden (vgl. Anm. 4) der Dersicherungs-

8 2. DersicherungSpflicht.

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pfltcht noch nicht unterworfen flnd, haben sie das Recht zur freiwilligen Selb st Versicherung, sofern fie das 40. Lebensjahr noch nicht zurück­ gelegt haben und noch nicht invalid sind (88 14, 146). Die Befugniß zur Selbstverficherung gilt aber nach der Novelle (8 14 Abs. l Ziffer 2) für selbständige Betriebsunternehmer nicht nur dann, wenn sie nicht regel­ mäßig wenigstens einen, sondern auch dann, wenn fie nicht regel­ mäßig wenigstens zwei versicherungspflichtige Lohnarbeiter beschäftigen. 3. Sobald Betriebsunternehmer auf Grund der DersicherungSpflicht oder freiwillig versichert find, haben fie auch den Anspruch auf den Reichszuschuß; die Verpflichtung, besondere Zusatzmarken zu entrichten, ist durch die Novelle beseitigt worden. Ä« die Versicherungsanstalt müssen die in 8 2 bezeichneten Personen in der Regel die vollen Versicherungsbeiträge, also nicht nur den Antheil deS Arbeitgebers, sondern auch den des Arbeitnehmers leisten, und zwar sowohl dann, wenn sie für versicherungspflichtig erklärt worden sind, wie auch dann, wenn sie freiwillig ver­ sichern. Im ersteren Falle kann jedoch, soweit es sich um Haus­ gewerbetreibende handelt, die auf den Arbeitgeber entfallende Hälfte des Beitrages, sowohl für den Hausgewerbetreibenden selbst wie für dessen Hülfspersonen, dem den Hausgewerbetreibenden beschäftigenden Fabrikanten und zwar auch dann auferlegt werden, wenn letzterer die Hausgewerbetreibenden nur indirekt (durch Zwischenpersonen) be­ schäftigt (cf. Abs. 2 sowie Anm. 4). In den bisher erloffenen Be­ stimmungen ist den die Hausgewerbetreibenden direkt beschäftigenden Arbeitgebern diese Verpflichtung thatsächlich auferlegt worden. Wegen Erhebung der Beiträge dieser Personen vgl. 8 143. 4. Die Definition der Hausgewerbetreibenden (Hausindustrie) ent­ spricht dem 8 2 Abs. 1 Ziffer 4 K.V.G. in der Fasiung der Novelle vom io. April 1802; der Schlußsatz soll zu Gunsten der betr. Hausindustriellen etwaige Zweifel ausschließen (Mot. S. 74). HauSinduftrielle bilden eine Zwischenstufe (Uebergang) zwischen unselbständigen Arbeitnehmern und den für eigene Rechnung arbeitenden Gewerbetreibenden. Von letzteren unterscheiden sie sich dadurch, daß Hausindustrielle nicht für sich für eigene Rechnung, sondern für andere Gewerbetreibende (Fabrikanten, Ladengeschäfte u. s. w.), in deren Auftrag und für deren

14

I.

Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Rechnung arbeiten. Sie arbeiten eben nicht, wie die eigentlichen selbst­ ständigen Betriebsunternehmer, für Kunden auf deren direkte Be­ stellung oder zum Verkauf für eigene Rechnung, sondern haben bestellte Waare (meist Masfenfabrikat) an andere Gewerbetreibende abzuführen, die ste ihrerseits weiterverarbeiten oder für eigene Rechnung verkaufen. Die Grenze ist oft flüssig und schwer zu finden. Noch schwieriger ist oft die Unterscheidung zwischen Hausgewerbetreibenden und solchen unselbständigen Arbeitern, die aus mehr zufälligen Gründen (Platz­ mangel oder bergt.) außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers beschäftigt werden (Heimarbeiter) und die natürlich der allg. Ver­ sicherungspflicht unterliegen müssen. Maßgebend ist die „Selbständig­ keit" des Hausgewerbetreibenden, und diese soll nach wiederholten grundlegenden Entscheidungen des R.V.A. nicht in der wirthschaftlichen, sondern in der persönlichen Unabhängigkeit von dem Arbeit­ geber gefunden werden. „Der Hausgewerbetreibende bestimmt Anfang, Ende, Umfang und Reihenfolge der Arbeit selbst; er ist nach Annahme des Auftrags den weiteren Anordnungen und der Leitung des be­ stellenden Unternehmers bei Ausführung der Arbeiten nicht unter­ worfen und kann sich durch Gehülfen vertreten lasten." 5. Die von Hausindustriellen gegen Lohn beschäftigten Gehülfen, Gesellen und Lehrlinge sind schon auf Grund des 8i versicherungs­ pflichtig; für sie müssen also von den Hausindustriellen als Arbeitgebern Beiträge entrichtet werden (§ 140). Der Bundesrath ist jedoch er­ mächtigt (Abs. 2), Anordnung zu treffen, daß der Gewerbetreibende (Fabrikant, Fabrrkkaufmann, Handelsmann u. s. w.), in besten Auftrag und für besten Rechnung der Hausgewerbetreibende arbeitet, als Arbeitgeber nicht nur des letzteren, sondern auch seiner Gesellen rc. angesehen werden und demgemäß gehalten sein soll, für alle diese Per­ sonen den auf den Arbeitgeber entfallenden halben Beitrag zu leisten. Der Grund ist, daß der Gehülfe des Hausgewerbetreibenden indirekt gleichzeitig Hülfsperson des Fabrikanten ist. Von dieser Besugniß hat der Bundesrath bisher regelmäßig Gebrauch gemacht. 6. Bisher hat der Bundesrath nur die Hausgewerbetreibenden der Tabakfabrikation (Bek. v. 16. Dezember 1891, R.G.Bl. S. 395, s. Anhang), und zwar mit Wirkung vom 4. Januar 1892 ab,

8 3. Versicherungspflicht.

15

sowie einen großen Theil der Hausgewerbetreibenden der Textil­ industrie, insbesondere die Hausweber (Bek. v. l. März 1894, R.G.Bl. S. 324, s. Anhang), und zwar mit Wirkung vom 1. Juli 1894 ab, der Bersicherungspflicht unterworfen. Die Ausdehnung auf andere Zweige der Hausindustrie wird voraussichtlich erfolgen, sobald auf Grund der bisherigen Vorschriften Erfahrungen gesammelt sind. Auf andere kleine Betriebsunternehmer ist die Versicherungspflicht noch nicht erstreckt worden.

§• 3. Als Lohn oder Gehalt gelten auch Tantiemen und 1. Naturalbezüge. Für dieselben wird der Durchschnittswerth in Ansatz gebracht; dieser Werth wird von der unteren Verwaltungsbehörde festgesetzt. Eine Beschäftigung, für welche als Entgelt nur 2. freier Unterhalt gewährt wird, gilt im Sinne dieses Gesetzes nicht als eine die Bersicherungspflicht be­ gründende Beschäftigung. § 3 Abs. 1, 2 Ges. v. 1889; §3 Abs. 1, 2 d. Entw.; § 3 Ges. v. 1899.

Zu 8 3 1. Aenderungen durch die Novelle: Der bisherige Absatz 3 ist als Absatz l in den § 4 übernommen worden 2. Tantiemen und Naturalbezüge sollen nicht nach Durchschnitts­ preisen (vgl. § 3 Abs. 1 U.V.G.), sondern nach dem Durchschnitts­ werth, den sie für den Versicherten darstellen, in Ansatz gebracht werden. Beides kann, braucht aber nicht zusammenzufallen. Es sollen nicht etwa der Pachtwerth gewisser, dem Arbeiter übungsgemäß als Bestandtheil des Lohnes gewährter Bezüge (Aecker, Viehweide, Gartennutzung rc.) in Anrechnung gebracht werden, fottbeni die wirk­ lichen Einnahmen, welche der Arbeiter aus der Nutzung derattiger

16

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Naturalien im Durchschnitt ziehen wird (Komm.-Ber. S. 8, loi). Diese Vorschrift hat ihre Bedeutung sowohl für die Bemessung der VersicherungSpflicht von Betriebsbeamten (§ l), als namentlich auch für die Festsetzung deS Durchschnittslohns land- und forstwirthfchaftlicher Arbeiter, nach welchem sich, soweit sie nicht OrtSKrankenkassen rc. angehören, ihre Lohnklaffe berechnet (§ 84 Abs 2 Ziffer 2). Für die einzelnen Versicherten dagegen, deren Lohn nach dem für die Krankenversicherung bereits festgesetzten ortsüblichen Tagelohn gewöhnlicher Tagearbeiter oder nach einem bereits fest­ gesetzten Durchschnittslohn der betr. Arbeiterkategorie in Betracht ge­ zogen wird, ist diese Bestimmumg ohne erhebliche Tragweite. 3. Tantiemen und Naturalbezüge stehen bei der Frage, ob statt des Durchschnittslohns der Jndividuallohn des einzelnen Versicherten für dessen Lohnklasse maßgebend sein soll, dem Baarlohn nicht gleich (8 34 Abs. 4). 4. Bloße Gewährung freien Unterhalts, wie sie häufig bei Lehr­ lingen oder bei schwächlichen (jungen oder alten) Personen auf dem Lande vorkommt, soll die Beschäftigung um deswillen nicht verstcherungSpfiichtig machen, weil dann der Arbeitgeber, der den ganzen Beitrag einzahlen muß, die auf den Arbeitnehmer entfallende Hälfte nicht würde wieder einziehen können, also genöthigt sein würde, den ganzen Beitrag allein zu tragen (Mot. S. 74). „Kostgeld", wie eS oft vom Meister dem Lehrlinge gewährt wird, gilt nicht als freier Unterhalt; solcher Lehrling ist versicherungspflichtig (A.N. 1891 S. 64). Die in dem Betriebe oder in der Wirthschaft der Eltern beschäftigten Hauskinder erhalten ihren freien Unterhalt in der Regel nicht als „Entgelt" für ihre Arbeitsthätigkeit, sondern auf Grund des FamilienverbandeS bezw. auf Grund der elterlichen Alimentationspflicht. Hauskinder fallen hiernach nur dann unter die VersicherungSpflicht, wenn sie, was nicht präsumirt werden kann und im einzelnen Fall nachzuweisen ist, für ihre den Eltern geleistete Hülfe von den letzteren wie Arbeiter bezahlt werden, einen „Entgelt für die Beschäftigung" erhalten. „Taschengeld" oder sonstige kleine Baarbeträge, die zur Befriedigung verschiedener kleiner Bedürfnisse neben den Naturalbezügen gewährt werden, können im Allgemeinen

nicht als Bezahlung für Arbeitsdienste angesehen werben. Durch Empfang von Taschengeld u. s. w., z. B. 24 Mark jährlich, wird daher die Versicherungspflicht nicht begründet (A.N. 1891 S. 156, 1892 S. 120). 6. In den Fällen des Abf. 2 ist Selbstversicherung gestattet (§ 14 Abs. 1 Ziffer 3), und zwar mit der Wirkung, daß der Arbeitgeber bte Hälfte des Versicherungsbeitrags erstatten muß (§ 145 Abs. 2).

§. 4. Durch Beschluß des Bundesraths wird bestimmt, 1. inwieweit vorübergehende Dienstleistungen als verstchernngspflichtige Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes nicht anzusehen sind. Der Bundesrath ist befugt, zu bestimmen, daß Aus« 2. liinder, welchen der Aufenthalt im Jnlande nur für eine bestimmte Dauer behördlich gestattet ist und die nach Ablauf dieser Zeit in das Ausland zurückkehren müssen, der Bersichrrnngspslicht nicht unterliegen. Sofern eine solche Bestimmung getroffen wird, habe» Arbeitgeber, welche solche Ausländer beschäftigen, nach näherer Be­ stimmung deS Reichs-Berstchernngsamts denjenigen Betrag an die Berstcherungsanstalt zu zahle», den sie für die Versicherung der Ausländer ans eigenen Mitteln würden entrichten müssen (§. 27 Abs. 3), wenn deren VrrsicherungSpflicht bestände. Abs. 1: §3 Abs. 3 Ges. v. 1889. Abs. 2 ist neu; § 3a Abs. 2, 3 d. Entw.; § 3a Ges. v. 1899.

Z«8 4. l. Die Dauer der Beschäftigung ist in der Regel auf die VerstcherungSpflicht ohne Einfluß; auch vorübergehend beschäftigte Perv. Woedtke, Jnvalidenversicherungsgesetz. 2

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I.

Umfang und Gegenstand der Versicherung.

fönen sind im Allgemeinen versicherungspflichtig und ihre Beiträge sollen von demjenigen Arbeitgeber entrichtet und antheilig getragen werden, welcher diese Personen in der Kalenderwoche zuerst be­ schäftigt hat (8 140 Abs. 2). Eme dem Krankenverstcherungsgesetz ana­ loge Bestimmung, nach welcher „Personen, deren Beschäftigung durch die Natur ihres Gegenstandes oder im voraus durch den Arbeits­ vertrag auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche beschränkt ist", nicht dem gesetzlichen Versicherungszwang unterliegen, sondern nur dann versicherungspflichtig sein sollen, wenn die Versicherungs­ pflicht durch statutarische Bestimmung auf sie erstreckt ist (§ l Abs. l, cf. § 2 Abs. 1 Ziffer l K.V.G.), kennt das Jnvalidenversicherungsgesetz nicht. Jedoch finden sich Anklänge an diese Vorschrift in § 161 Abs. l Ziffer 2, eine Bestimmung, durch welche die Erhebung von Beiträgen bei solchen vorübergehend beschäftigten unständigen Arbeitern erleichtert werden soll. Außerdem ist durch die Novelle (§ 144) eine weitere Erleichterung insofern getroffen worden, als allgemein die Selbst­ entrichtung der Beiträge durch die Versicherten mit der Wirkung zu­ gelassen ist, daß letztere alsdann den Beitragsantheil des Arbeitgebers von letzterem sich erstatten lassen dürfen. Von dieser Ermächtigung werden zweckmäßig insbesondere die unständigen Arbeiter Gebrauch machen. 2. Es läßt sich nicht verkennen, daß ungeachtet dieser Erleichterungen die Durchführung der Versicherung, insbesondere die Erhebung von Bei­ trägen, bei unständigen, vorübergehend beschäftigten Personen vielfach besonders erschwert ist. „Denn hier handelt es sich häufig um nur stundenweise Beschäftigung, bei welcher die Arbeitgeber diese vorüber­ gehenden Hülfskräfte nach Zahl und Personen oft nicht einmal kennen. Hierhin gehören z. B. vorübergehende Hülfsleistungen in der Ernte" (Mot. S. 76). Deshalb soll der Bundesrath, „da eine allgemeine gesetz­ liche Regelung solcher Verhältniffe schon wegen ihrer Mannigfaltigkeit und örtlichen Verschiedenheit sich als unausführbar erweist" (Mot. S. 76), für derartige vorübergehende Dienstleistungen Ausnahmen treffen dürfen. Von dieser Befugniß hat der Bundesrath Gebrauch gemacht; die betr. Bestimmungen sind an Stelle älterer Verordnungen jetzt durch die Bek. des Reichskanzlers v. 27. Dezbr. 1899

§ 4. Dersicherungspflicht.

19

(R.G.Bl. S. 726), veröffentlicht (s. Anhan g). In diesen Bestimmungen wird unterschieden zwischen solchen Personen, welche berufsmäßig Lohnarbeit überhaupt nicht verrichten (z. B. gelegentlich mit­ helfende Ehefrauen; Heine Landwirthe, welche in der Ernte gelegentlich Lohnarbeit leisten, ohne berufsmäßig auch sonst Tagelöhnerei zu betreiben) einerseits und eigentlichen Berufsarbeitern andererseits. Bei der ersteren Kategorie sind solche Arbeiten versicherungsfrei, die nur gelegentlich, oder zwar regelmäßig aber nur nebenher und gegen nur geringfügiges Entgelt (z. B. Va des ortsüblichen Tagelohns, A.N. 1891 S. 64) geleistet werden; bei eigentlichen Berufs­ arbeitern sind nur Nebenarbeiten befreit, die sie ohne Unter­ brechung ihrer Hauptthätigkeit bei anderen Arbeitgebern nebenher verrichten. 3. Hierbei kann es sich übrigens immer nur um berufsmäßige Arbeit im fremden Betriebe, die aus mehr zufälligen Gründen, z. B. wegen nur vorübergehenden Bedarfs, auf nur kurze Zeit beschränkt ist, handeln. Dagegen sind solche schnell vorübergehende Verrichtungen, welche sich als Ausfluß eines auf wechselnde Dienstleistungen bet wech­ selnden Arbeitgebern sich erstreckenden selbständigen Gewerbebetriebes darstellen, z. B. die Thätigkeit selbständiger Dienstleute, Führer, Kofferträger ic., überhaupt keine „Arbeit" im Sinne dieses Gesetzes; derartige Personen sind vielmehr selbständige Gewerbetreibende und deshalb vorbehaltlich der Vorschrift des § 2 der Dersicherungspflicht nicht unterworfen. Dgl. Sinnt, l zu § l. „Aufwärterinnen" sind jetzt als in der Regel versicherungspflichtig erklärt. 4. Personen, die auf Grund der nach § 4 Abf. l vom Bundesrath erlassenen Bestimmungen nicht versicherung-pflichtig sind, dürfen (ebenso wie in den Fällen des § 3 Abs. 2, vgl. Sinnt. 6 zu § 3) Selbstversicherung mit der Wirkung eingehen (§ 14 Abs l Ziffer 3), daß der Arbeitgeber die Hälfte des von ihm entrichteten Betrages erstatten muß (§ 145 Abs. 2). 5. Ausländer sind im Grundsatz ebenso versicherungspflichtig rote Inländer; wegen „vorübergehender" Beschäftigung im Jnlande dürfen jedoch, wie im Wege der Ausführung durch den BundeSrath

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7.

Umfang und Gegenstand der Versicherung.

festgesetzt worden ist, im FlSßereibetriebe (auf der Weichsel re.) Be» schäftigte Flifsaken befreit werden (Bet. v. 27. 11. 90). Der Absatz 2 ist insbesondere auf solche russisch-polnische Arbeiter anwendbar, die für längere Zeit, für bestimmte Monate, auf Arbeit nach Deutschland kommen, nach Ablauf dieser Zeit aber, insbesondere für den Winter, in die Heimath zurückkehren müssen. AIS „vorüber­ gehend" kann eine solche, Monate hindurch währende Beschäftigung nicht angesehen werden; es bedurfte also, wenn für deren Dauer die BersicherungSpflicht beseitigt werden sollte, einer besonderen gesetzlichen Bestimmung, welche nach den Vorschlägen der verbündeten Regierungen durch die Novelle in § 4 Abs. 2 eingeführt worden ist. Es steht zu er­ warten, daß der BundeSrath von der ihm hier beigelegten Befugniß Gebrauch machen wird. Der zweite Satz des Abs. 2 ist durch die ReichStagS-Kommission hinzugefügt worden. Man wollte der Verdächtigung von vorn herein die Spitze abbrechen, als würden durch die Vorschrift des ersten SatzeArbeitgeber, die doch nur unter dem Zwang der Verhältnisse, um dem Mangel an inländischen Arbeitern abzuhelfen, derartige Ausländer beschäftigen, bevorzugt, als würde eine Art von Prämie auf diese Beschäftigung gesetzt, während gleichzeitig inländische Arbeiter durch Erleichterung der Konkurrenz von Ausländern benachtheiligt würden. Strafvorschrist § 176 Abs. 2.

§. 5.

Beamte des Reichs, der Bundesstaaten nab der Kommunalverbände sowie Lehrer und Erzieher an öffent­ lichen Schulen oder Anstalten unterliegen der Verstcherungspflicht nicht, solange sie lediglich zur Ausbildung fiit ihren zukünftigen Berns beschiistigt werde» oder sofern ihnen eine Anwartschaft auf Pension im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätze» der ersten Lohuklasse gewährleistet ist.

Beamte der Versicherungsanstalten und zugelassenen 2. besonderen Kasieneinrichtunge« unterliegen der Verflcherungspflicht nicht, sofern ihnen eine Anwartschaft auf Pension in der im Abs. 1 bezeichneten Höhe gewährleistet ist. Der Berstchernngspflicht unterliegen ferner nicht Per« 3. sonen, welche Unterricht gegen Entgelt ertheilen, sofern dies während ihrer wiffenschastlichen Ausbildung siir ihren zukünstigen LebenSbernf geschieht, Personen des Soldatenstandes, welche dienstlich als Arbeiter be­ schäftigt werden, sowie Personen, welchen auf Grund der reichsgesehlichen Bestimmungen eine Invalidenrente

bewilligt ist. Der Bersicherungspflicht unterliegen endlich nicht 4. diejenigen Personen, deren Erwerdssiihigkeit in Folge von Alter, Krankheit oder andere» Gebrechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgeseht ist. Dirs ist dann anzunehmen, wenn sie nicht mehr im Stande sind, durch eine ihren Kräften und Fähigkeiten ent­ sprechende Thätigkeit, die ihnen unter billiger Berück­ sichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemuthet werden kann, rin Drittel desjenigen zu er­ werben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. §§ 4, 9 Abs. 3 Ges. v. 1889; §4 8. Entw.; § 4 Ges. v. 1899.

22

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Zu 8 6. 1. Der § 5 führt diejenigen Kategorien auf, welche kraft Gesetzes der Verstcherungspflicht nicht unterliegen, die 88 6, 7 diejenigen, welche auf Antrag durch den Bundesrath befreit werden können. 2. Aenderungen durch die Novelle: a) während bisher Reichs- und Staatsbeamte immer, Kom­ munalbeamte nur dann von der Versicherungspflicht befreit waren, wenn sie mit Pensionsberechtigung angestellt waren, ist fortan für Reichs-, Staats- und Kommunalbeamte gleichmäßrg die Versicherungspflicht dann ausgeschlossen, a. solange sie zur Ausbildung für ihren künftigen Beruf beschäftigt werden, ß. wenn sie nach ihrer Anstellung Anwartschaft auf Pension im Mindestbetrage der Invalidenrente haben; b) an Stelle der „Anstellung mit Pensionsberechtigung" ist die „Anwartschaft auf Pension" getreten; c) bei Anstellung mit Pensionsanwartschaft sind auch die Be­ amten der Träger der Invalidenversicherung von der Dersicherungspflicht befreit; d) Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten sind hinsichtlich der Versicherungspflrcht den Staatsbeamten gleichgestellt; Personen, welche während rhrer wissenschaft­ lichen Ausbildung für ihren künftigen Lebensberuf Unter­ richt ertheilen, sind versicherungsfrei; e) während bisher die Erwerbsunfähigkeit, wenn sie von der Versicherungspflicht befreien sollte (§ 5), anders bemessen war wie die Erwerbsunfähigkeit, welche Anspruch auf Invaliden­ rente gewähren sollte (§ 15), sind durch die Novelle einheitliche Bestimmungen getroffen worden. Maßgebend für beide Fälle sind fortab die Bestimmungen des § 6 Abs. 4, auf welchen der § 15 Abs. 3 lediglich verweist; f) früher war maßgebend für diejenige Erwerbsunfähigkeit, die von der Versicherungspflrcht befreien sollte, die Möglichkeit, ein Drittel des ortsüblichen Tagelohnes (§ 8 K.V.Ä.) zu ver-

§ 6. Versicherungspflicht.

23

dienen (§ 6), und für diejenige Erwerbsunfähigkeit, welche zu dem Bezüge der Invalidenrente berechtigen sollte, eine Kom­ bination auS den Lohnsätzen für die Beschäftigung btr letzten fünf Jahre einerseits und dem ortsüblichenTagelohn(Z 8 K.V G.) andererseits (§ 15), wobei im Resultat annähernd ebenfalls ein Drittel des bisherigen Verdienstes herauskam. Fortab ist in beiden Fällen maßgebend die Möglichkeit, ein Drittel desjenigen zu erwerben, was gesunde Personen mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend zu verdienen pflegen. 3. Vgl. Anm. 1 zu Z 1. Für pensionsberechtigte Beamte anderer öffentlicher Verbände und Körperschaften kann der Bundesrath die gleiche Befreiung aussprechen, wie sie bereits kraft Gesetzes für pensionsberechtigte Kommunalbeamte besteht (§ 7). Unter den „Kommunalverbänden" sind sowohl engere (Gemeinden), wie weitere (Kreise, Provinzen rc.) zu verstehen. 4.

Wegen der Lehrer und Erzieher vgl. Anm. 3 511 § l.

6. Unter den „Versicherungsanstalten" sind nach der Ent­ stehungsgeschichte dieser Vorschriften nur die Versicherungsanstalten dieses Gesetzes (§§ 65 fg.) verstanden. 6. Zu den „Personen des Soldatenstandes" gehören auch die Militärpersonen der Kais. Marine, vgl. § 4 b. Militär-Strafgesetzbuchs v. 26. Juni 1872 (R.G.Bl. S. 174) sowie die Anlage zu demselben (N.G.Bl. S. 204). Denjenigen Personen des Soldatenstandes, welche zur Erfüllung ihrer Wehrpflicht dienen oder welche in Mobilmachungs- oder KriegSzetten freiwillig eingetreten sind, wird, ohne daß sie während dieser Zeit versicherungspflichtig wären und deshalb Beiträge zu entrichten hätten, dennoch die Dauer ihrer Dienstleistung als Beitragszeit in Anrechnung gebracht (§ 30 Abs. 2), sofern sie nur vor ihrem Eintritt als Berufsarbeiter rc. schon versicherungspflichtig gewesen sind. Die Dauer solcher militärischen Dienstleistungen dient also Nicht bloß zur Erfüllilng der Wartezeit (§ 30 Abs. l), sondern es steigert sich während dieser Dienstzeit auch die Rente (§ 40 Abs. l) nach den für die

24

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

II. Lohnklasse festgesetzten Steigerungssätzen, und diese Steigerung er­ folgt ausschließlich zu Lasten des Reichs (§ 40 Abs. 2, § 126). 7. Für die in § 6 bezeichneten Personen besteht eine Befugmß zur Selbstversicherung nicht. 8. Die Vorschrift des Abs. 4 soll insbesondere verhüten, daß die Invalidenversicherung dazu gemißbraucht wird, um solchen Personen, die thatsächlich bereits zur Zeit ihres Eintritts in eine Beschäftigung (Versicherungsverhältniß) erwerbsunfähig sind, durch Leistung geringer Beiträge während der kurzer: Wartezeit (§ 29) eine Invalidenrente zu verschaffen. Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 6 Abs. 4 hindert nicht nur den Eintritt der Derstcherungspflicht, sondern hat auch deren Beendigung zur Folge (A.N. 1892 S. 65), und schließt auch die freiwillige Weiterversicherung auS (§ 146). 9. Die Vorschrift in Abs. 4 nähert die Invalidität dieses Ge­ setzes der Berufsinvalidität, deckt sich aber noch keineswegs mit der letzteren. Eine verständige Praxis wird hier das Richtige leicht finden. Es soll für jeden Arbeiter, der invalid wird, eine Art Doppelgänger (ein körperlich und geistig gesunder Arbeiter „derselben Art") gesucht werden, der in derselben Gegend arbeitet und ähnliche Ausbildung hat, ohne daß er genau dieselbe Stellung einzunehmen und denselben Verdienst zu haben braucht. „Es wird damit nicht von einem ab­ strakten Normalarbeiter, der sich praktisch kaum finden ließe, aus­ gegangen, sondern von einem Lohnarbeiter gleicher Art, also von einem Versicherten, der im Wesentlichen die glerchen Kenntnisse und Fähig­ keiten besitzt, welche der Rentenbewerber nach menschlicher Voraussicht haben würde, wenn er sich im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Gesundheit befände" (Mot z. Nov. S. 247). Ein Drittel von dem, was ein solcher Doppelgänger noch verdient, muß derjenige, der sich für invalid hält, durch irgendwelche Lohnarbeit „auf denr gesammten wirtschaftlichen Erwerbsgebiet" (Mot. z. Nov. S. 247), also nicht bloß durch Arbeit in seinem bisherigen Berus, noch ver­ dienen können. Allerdings muß es eine Arbeit sein, „die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht" (also insbesondere nicht zu schwer ist) und die ihm „unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufs zugemuthet werden kann", also nicht zu

niedrig oder gar entwürdigend für ihn sein würde. „Auf den Erwerb durch eine für sie völlig fremde körperlich und geistig ungeeignete Lohnarbeit oder auf eine Erwerbsgelegenheit, die sich möglicherweise an einer von der bisherigen Beschäftigungsart weit entfernten Stelle bieten könnte, werden die Versicherten nicht verwiesen werden dürfen" (Mot z. Nov. S. 248). Bei Personen, die „schon von vornherein oder doch seit langer Zeit in Folge eines Gebrechens oder einer chronischen Krankheit nur einen Theil der vollen Erwerbsfähigkeit beseflen haben, gelangt nicht dieser ihr früherer Zustand, sondern ebenfalls der eines gesunden Lohnarbeiters derselben Art zur Vergleichung mit dem jetzigen Zu­ stand" (a. a. £).).

§.

6.

Auf ihren Antrag sind von der Verstcherungspflicht 1. zu befreien Personen, welchen vom Reiche, von einem Bundesstaat, einem Kommunalverband, einer Versiche­

rungsanstalt oder zugelassenen besonderen Kasseneinrichtung, oder welchen auf Grund früherer Beschäftigung als Lehrer oder Erzieher an öffentlichen Schulen oder Anstalten Pensionen, Wartegelder oder ähnliche Bezüge im Mindest­ betrage der Invalidenrente nach den Sätzen der ersten Lohnklasse bewilligt sind, oder welchen auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmungen über Unfallversicherung der Bezug einer jährlichen Rente von mindestens dem­ selben Betrage zusteht. Dasselbe gilt von solchen

Personen, welche das siebenzigste Lebensjahr vollendet haben. Ueber den Antrag entscheidet die untere Ver­ waltungsbehörde des Beschäftigungsorts. Gegen den Bescheid derselben ist die Beschwerde an die zunächst vorgesetzte Behörde zulässig, welche endgültig entscheidet.

26

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Bei Zurücknahme des Antrags tritt die VersicherungsPflicht wieder in Kraft. 2. In der gleichen Weise sind auf ihren Antrag von der Verstcherungspflicht zu befreien Personen, welche Lohnarbeit im Laufe eines Kalenderjahrs nur in be­ stimmten Jahreszeiten für nicht mehr als zwölf Wochen oder überhaupt für nicht mehr als fünfzig Tage über­ nehmen, im Uebrigen aber ihren Lebensunterhalt als Betliebsunternehmer oder anderweit selbständig erwerben, oder ohne Lohn oder Gehalt thätig sind, solange für dieselben nicht bereits einhundert Wochen lang Beiträge entrichtet worden sind. Der Bundesrath ist befugt, hierüber nähere Bestimmungen zu erlassen. Abs. 1: § 4 Abs. 3 Ges. v. 1889. Abs. 2 ist neu; §§ 4a, 3a Abs. 1 b. Entw ; § 4a Ges. V. 1899.

Zu 8 6. l. Vgl. Anm. 1 und 5 ju § 4, sowie wegen der Lehrer und Er­ zieher Anm. 3 zu 8 1. 2 Aenderungen durch die Novelle: a) Befreiung auf Antrag wurde früher nur gewährt den pensionirten Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten und den Empfängern von Unfallrente; jetzt außerdem noch pensionirten Beamten eines Trägers der Invalidenversicherung sowie pensionirten Lehrern und Erziehern an öffentlichen Schulen oder Anstalten, ferner Personen, die 70 Jahre alt sind; b) Befreiung auf Antrag darf auch den im Abs 2 bezeichneten Personen gewährt werden; c) den Pensionen und Wartegeldern sind „ähnliche Bezüge" gleichgestellt.

§ 6

Versicherungspflicht.

27

3. Man beachte: Personen, welche auf Grund dieses Gesetzes Invalidenrente beziehen, sind für den Fall fernerer Beschäftigung kraft Gesetzes versicherungssrei (§ 6 Abs. 3); Personen, die 70 Jahre alt sind und deshalb unter Umständen Anspruch auf Altersrente haben, können auf ihren Antrag befreit werden (§ 6 Abs. l), sind aber, so­ lange sie Befreiung nicht erhalten haben, versicherungspflichtig. 4. Die im Abs. 2 bezeichneten Personen wollte der Entw. kraft Gesetzes freilassen; nachdem die Kommission deS Reichstags eine entsprechende Vorschrift ganz abgelehnt hatte, hat das Plenum in 2. Lesung die Befreiung auf Antrag zugelassen. „Es handelt sich hier regelmäßig um eine unter bestimmten örtlichen Ver­ hältnissen (zu bestimmten Jahreszeiten) sich wiederholende be­ sondere Arbeitsgelegenheit oder Arbeitshäufung, während welcher die bezeichneten, in der übrigen Zeit des Jahres selbständigen Per­ sonen nach Ortsgewohnheit die sich darbietende Gelegenheit zu einem Verdienst als Lohnarbeiter „mitzunehmen- pflegen. Dies trifft z. B. zu beim Holzschlag in großen Forstbetrieben im Winter, bei der Ernte im Sommer und Herbst, während der Badesaison m einzelnen Badeorten u. a.; in den einzelnen Gegenden des Reichs liegen die Verhältnifle durchaus verschieden" (Mot. z. Nov. S. 244). Für solche Personen fehlt ein Bedürfniß zur Versicherung; sie sind auch bei der ganzen Dauer des Arbeitsverhältnisses angesichts der Vorschriften über die Wartezeit und das Erlöschen der Anwartschaft (88 29, 46) häufig nicht einmal in der Lage, Vortheil auS der Versicherung zu ziehen und widerstreben deshalb der Versicherung nicht ganz mit Un­ recht. Immerhin sind Vorkehrungen nothwendig, die einen Mißbrauch dieser Bestimmung verhüten. Die Ausführungsbestimmungen des Bundesraths sind unter dem 24. Dezember 1899 (R.G.Bl. S. 721) von dem Reichskanzler veröffentlicht (s. A n h a n g). Zu beachten ist, daß im Voraus feststehen muß, ob die in Rede stehenden Personen nach Ortsgewohnheit nur vorübergehende Lohn­ arbeit dieser Art zu übernehmen pflegen. Dies muß in irgend einer näher zu bestimmenden Weise amtlich bestätigt werden, ehe die Be­ freiung auf Antrag ausgesprochen werden kann.

28

I.

Umfang

unk

Gegenstand der Versicherung.

§• 7.

Durch Beschluß des Bundesraths kann auf Antrag bestimmt werden, daß und inwieweit die Bestimmungen des §. 5 Abs. 1 bis 3 und des §. 6 Abs. 1 auf Beamte, welche von anderen öffentlichen Verbänden oder von Körperschaften angestellt sind, sowie ans Lehrer und Erzieher an nicht öffentlichen Schulen oder Anstalten, sofem diesen Personen eine Anwartschaft ans Pension im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der erste» Lohnklaffe gewährleistet ist, und ans Personen An­ wendung finden sollen, welchen auf Grund früherer An­ stellung bei solchen Verbänden oder Körperschaften, Schulen oder Anstalten Pensionen, Wartegelder oder ähnliche Bezüge in dem genannte» Mindestbettage der Invalidenrente bewilligt sind. § 7 Ges. v. 1889; § 4b b. Entw.; § 4b Ges. v. 1899.

Zu 8 7. 1. Vgl. Anm. l und 2b zu 8 5; wegen der Lehrer und Erzieher vgl. Anm. 3 zu 8 12. Aenderungen durch die Novelle: a) Die Befugniß des Vundesraths, auf Antrag Beamte anderer öffentlicher Verbände u. s. w. von der Versicherung-pflicht zu befreien, stand früher etwas versteckt in dem bisherigen 8 7, jetzigen 8 10; sie ist hierher übernommen worden. b) Die gleiche Befreiung ist Lehrern und Erziehern an nicht öffentlichen Schulen oder Anstalten, sowie ehemaligen Beamten solcher Verbände u. f. w. zugesichert. 3. Durch Einschiebung des Wörtchens „von* vor Körperschaften ist klargestellt worden, daß die in Rede stehenden Körperschaften nicht „öffentlich" zu sein brauchen.

8 S.

29

Besondere Kafseneinrichtungen.

§. 8.

SrsonLrrr Aassrnrinrichtungen. Verflchernngs-flichtige Personen, welche in Betrieben des Reichs, eines Bundesstaats, oder eines Kommunalverbandes beschäftigt werden, genügen der gesetzlichen Versicherungspflicht durch Betheiligung an einer für den betreffenden Betrieb bestehenden oder zu errichtenden besonderen Kasseneinrichtung, durch welche ihnen eine den reichsgesetzlich vorgesehenen Leistungen gleichwerthige Fürsorge gesichert ist, sofern bei der betreffenden Kafseneinrichtung folgende Voraussetzungen zutreffen: 1. Die Beiträge der Versicherten dürfen, soweit sie für die Invalidenversicherung in Höhe des reichsgesetzlichen Anspruchs entrichtet werden, die Hälfte des für den letzteren nach erbebenden Beitrags

§. 32

nicht übersteigen.

zu

Diese

Bestimmung findet keine Anwendung, sofern in der betreffenden Kasseneinrichtung die Beiträge nach einem von der Berechnungsweise der §§. 32, 33 abweichenden Verfahren aufgebracht und in Folge dessen höhere Beiträge erforderlich werden, um die der Kaffeneinrichtung aus In­ validen- und Altersrenten in Höhe des reichs­ gesetzlichen Anspruchs obliegenden Leistungen zu decken.

Sofern

erheben sind,

hiernach höhere Beiträge zu

dürfen

die Beiträge der Ver­

sicherten diejenigen der Arbeitgeber nicht über­ steigen.

1.

2. Bei der Verwaltung der Kassen müssen die Ver­ sicherten mindestens nach Maßgabe des Verhält­ nisses ihrer Beiträge zu den Beiträgen der Arbeit­ geber durch in geheimer Wahl gewählte Vertreter betheiligt sein. 3. Bei Berechnung der Wartezeit und der Rente ist den bei solchen Kasseneinrichtungen betheiligten Personen, soweit es sich um das Maß des reichsgesetzlichen Anspruchs handelt, unbeschadet der Bestimmung des §. 46 die bei Versicherungs­ anstalten (§. 65) zurückgelegte Beitragszeit in Anrechnung zu bringen. 4. Ueber den Anspruch der einzelnen Betheiligten auf Gewährung von Invaliden- und Altersrente muß ein schiedsgerichtliches Verfahren unter Mit­ wirkung von Vertretern der Versicherten zu­ gelassen sein. 5. Wenn für die Gewährung der reichsgesetzlichen Leistungen besondere Beiträge von den Ver­ sicherten erhoben werden oder eine Erhöhung der Beiträge derselben eingetreten ist oder eintritt, so dürfen die reichsgesetzlichen Renten auf die sonstigen Kassenleistungen nur insoweit angerechnet werden, daß der zur Auszahlung gelangende Theil der letzteren für die einzelnen Mitgliederklassen im Durchschnitte mindestens den Reichszuschuß erreicht. Der Bundesrath bestimmt auf Antrag der zu­ ständigen Reichs-, Staats- oder Kommunalbehörde,

§ 8.

Besondere Kafseneinrichtirngen.

31

welche Kasseneinrichtungen (Pensions-, Alters-, Jnvalidenkassen) den vorstehenden Anforderungen ent­ sprechen. Den vom Bundesrath anerkannten Kassen­ einrichtungen dieser Art wird zu den von ihnen zu leistenden Invaliden- und Altersrenten der Reichs­ zuschuß (§. 35) gewährt, sofern ein Anspruch auf solche Renten auch nach den reichsgesetzlichen Bestimmungen bestehen würde. § 5 Ges. v. 1889; § 5 d. Entw.; § 5 Ges. v. 1899.

Zu 8 8. 1. Aenderungen durch die Novelle: Einfügung der vom Reichstag in der zweiten Lesung beschlossenen neuen Ziffern 2 und 6. Durch Ziffer 2, welche über daS Maaß der Mitwirkung Versicherter bei der Verwaltung Vorschriften giebt und die geheime Wahl der Ver­ treter vorsieht, ist der bisher durchgeführte Grundsatz, daß das Reichsgesetz in die innere Organisation und Verwaltung dieser auf Landesrecht beruhenden besonderen Kasseneinrichtungen nicht eingreifen solle, durchbrochen worden. Die Ziffer 5, welche die Anrechnung der Reichsrente auf die nach Landesrecht anderweit gewährte Bergrente beschränkt, trägt gewisien Verhältnissen in einer auf Grund des § 10 zugelassenen Kasseneinrichtung (dem Allgemeinen Knappschastsverein in Bochum) Rechnung 2. Die näheren Bestimmungen für die zugelassenen be­ sonderen Kasseneinrichtungen sind jetzt in den Schlußbestimmungen (Abschnitt IV) einheitlich zusammengestellt und in die 88 173, 174 aufgenommen worden. Vgl. aber auch § 14 Abs. 3. 3. Bei den in § 8 bezeichneten „besonderen Kaffeneinrichtungen" für einzelne Betriebe des Reichs, der Bundesstaaten und der Kom­ munalverbände (vgl. Anm. 3 zu 8 6) ist insbesondere an die großen Pensionskasien der Eisenbahnverwaltungen gedacht. Andere Kaffen-

32

I.

Umfang und Gegenstand der Versicherung.

einrichtungen (z. B. Knappschaftskasten) dürfen nach § 10 ähnlich be­ handelt werden. Derartige „besondereKasteneinrichtungen" dürfen (vgl.Sinnt.7)auf ihren Antrag, sofern sie nämlich vom Bundesrath zugelasien werden (vgl. 88 9, 39), als Parallelorganisation neben den allgemeinen terri­ torialen „Versicherungsanstalten" (§ 65) und im Kartellverhältniß mit den letzteren (88 173, 174) die Invalidenversicherung ihrer Mit­ glieder selbständig durchführen. Ihre Mitglieder genügen dann durch die Betheiligung an diesen zugelasienen besonderen Kassen­ einrichtungen ihrer gesetzlichen Versicherungspflicht. Hieraus rechtfertigt sich die Stellung der 88 8 bis 10 int System des Gesetzes; vom Gesichts­ punkt der Organisation aus betrachtet hätten sie auch im Abschnitt II ihre Stelle finden können. 4. Die Kasseneinrichtungen müssen ihren Mitgliedern rücksichtlich des Versicherungsverhältnisies Freizügigkeit gewähren und demgemäß auch für ihre ehemaligen Mitglieder, sofern diese eine anderweite Beschäftigung aufnehmen und dadurch in die allgemeinen territorialen Versicherungs­ anstalten eintreten, im Falle des Eintritts der Invalidität die von den Versicherungsanstalten für sie festgestellten Renten antheilig über­ nehmen, während bisher mit dem Ausscheiden auL der Kafle in der Regel alle Ansprüche an die letztere erloschen. Auch müssen die Kasten über Ansprüche auf Renten ein schiedsgerichtliches Verfahren zulasten (Abs. 1 Ziffer 3), welches demnächst gemäß SS uv, 173 die Revision durch das Reichs-Versicherungsamt nach sich ziehen kann. Die Kasteneinrichtungen haben Anspruch auf den Reichszuschuß zu den von ihnen bewilligten Renten, „sofern ein Anspruch auf solche Renten auch nach den Vorschriften dieses Gesetzes bestehen würde" (Abs. 2), und den Anspruch auf antheilige Uebernahme solcher Renten auf das Gemeinvermögen sämmtlicher Träger der Versicherung sowie auf das Sondervermögen derjenigen Versicherungsanstalten und anderer Kasteneinrichtungen, in denen der Versicherte zeitweise anderweit be­ schäftigt bezw. versichert gewesen ist (88 126, 174). 6. Die Zulassung dieser Kasten kann jederzeit erfolgen, ebenso können sie aus der Gesammtorganisation auch wieder ausscheiden jedoch nur mit Genehmigung des Bundesraths (88 ioo, 174).

8 8. Besondere Kasseneinrichtungen.

33

6. Als gleichwerthig kann die Fürsorge auch dann angesehen werden, wenn sie nicht in quali et quanto genau mit den Leistungen dieses Gesetzes sich deckt; es kommt nur auf die „allgemeine Gleichwerthigkeit" an (Komm.-Ber. S. 108). 7. Die Fürsorge muß „gesichert" sein, d. h. nicht nur zu­ gesichert, sondern derart gewährleistet, daß ein Ausfall nach menschlichem Ermeffen unmöglich erscheint. Besondere Kasteneinrichtungen können deshalb nur dann zugelasten werden, wenn sie sowohl nach der Art ihres Trägers, wie nach Art und Umfang ihrer Verpflichtungen absolute Garantie für die dauernde Leistungsfähigkeit der Einrichtung bieten. Zu diesem Zwecke und um die Versicherten nicht zu sehr zu belasten, war ursprünglich gefordert worden, daß ausnahmslos auch die Beiträge nach Maßgabe des § 20 bemessen werden müßten, d. h. nach dem dort vorgesehenen Kapitaldeckungsversahren; insbesondere sollte das Umlageverfahren, welches zu einer schnellen und sehr erheblichen, die Leistungsfähigkeit der Kaste schließlich beeinträchtigenden und die Mitglieder schädigenden Steigerung der Bei­ träge führt, ausgeschlosten sein. Dies ist gegen den Widerspruch der Regierungsvertreter von der Reichstagskommisston geändert worden; in Folge des 2. und 3. Satzes in Abs. l Ziffer l be5 § 8 ist ein anderes Verfahren bei Bemeffung der Beiträge nicht mehr prinzipiell aus­ geschloffen. Inwieweit aber der Bundesrath ein Umlageverfahren mit der Sicherheit der Kasseneinrichtung für vereinbar wird halten können, steht dahin; letztere steht natürlich unbedingt in erster Linie. Im Uebrigen interessirt diese Frage vornehmlich die­ jenigen Kassen (Knappschaftskasten rc.), die nach § io m Betracht kommen können, weit weniger die in § 8 bezeichneten Staatskassen. 8. Zugelassen als besondere Kasteneinrichtungen sind bisher folgende 9 Kaffen: a) auf Grund des § 8 die Pensionskaste der Reichs-Eisenbahnverwaltung und die Pensionskasten der Staats-Eisenbahn­ verwaltungen von Preußen, Bayern, Sachsen, Baden; b) auf Grund des § io die allg. Knappschaftsraste für das Kgr. Sachsen, die Norddeutsche Knappschafts - Pensionskaste zu v. Woedtke, Invalidenversicherungtzgesetz. 3

34

I.

Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Halle a. S., der allg. Knappschaftöverem in Bochum, der Knappschaftsverein in Saarbrücken. Der Beitragserhebung durch das Markensystem hat sich keine der zugelassenen Kasseneinrichtungen angeschlossen. 9. Kassen der in 88 8, 10 bezeichneten Art, welche sich nicht unter diese Bestimmungen stellen wollen ober vom Bundesrath nicht -ugelasien werden, also nicht in die Gesammtorgantsation als selbständiges Glied eintreten, fallen unter 8 62 und bleiben als Zuschußkassen bestehen, dürfen aber ihre Leistungen biS um den Betrag der gesetzlichen Invaliden- und Altersrenten nach näherer Vorschrift des § 62 herabsetzen.

§. 9. 1. Vom 1. Januar 1891 ab wird die Betheiligung bei solchen vorn Bundesrathe zugelassenen Kassen­ einrichtungen der Versicherung in einer Versicherungs­ anstalt gleich geachtet. 2. Wenn bei einer solchen Kasseneinrichtung die Bei­ träge nicht in der nach §§. 130 ff. vorgeschriebenen Form erhoben werden, hat der Vorstand der Kaffeneinrichtung den aus der letzteren ausscheidenden Per­ sonen die Dauer ihrer Betheiligung und für diesen Zeitraum die Höhe des bezogenen Lohnes, die Zu­ gehörigkeit zu einer Krankenkasse sowie die Dauer etwaiger Krankheiten (§. 30) zu bescheinigen. Der Bundesrath ist befugt, über Form und Inhalt der Bescheinigung Vorschriften zu erlassen. § 6 Ges. v. 1889; tz 6 d. Entw.; § 6 Ges. v. 1899.

§8 9/ 10.

35

Besondere Kasieneinrichtungen.

Zu 8 «. 1. Aenderungen durch die Novelle: Streichung des bisherigen Satze- im Abs. 1, welcher seiner Zeit lautete: Die nach Maßgabe dieses Gesetzes zu gewährenden Renten werden auf die dabei in Betracht kommenden Ver­ sicherungsanstalten und Kasieneinrichtungen nach näherer Bestimmung der 88 27, 89, 94 vertheilt. Diese Streichung hat, wie die Mot. z. Nov. (S. 251) betonen, nur redaktionelle Bedeutung. „Dieser Satz ist im Hinblick auf die Bestimmungen in 8 6 Abs. l Ziffer 2 (jetzt § 8 Abs. l Ziffer 3), in 88 27 und 89 (jetzt 68 39, 125) in Verbindung mit 88 lila, 141 d (bisher 8 94, jetzt 8 173, 174) entbehrlich" Sachlich bleibt es bei dem Grundsatz, daß die Reichsrenten auch bei den Kasseneinrichtungen in derselben Weise auf die verschiedenen Träger der Invaliden­ versicherung vertheilt werden, wie die Renten der Versicherungs­ anstalten. Vgl. Anm. 4 zu 8 8. 2. Absatz 2 behandelt die Form der Beitragseinziehung (Marken­ system oder Quittung-verfahren), während die Berechnung der Bei­ träge durch 8 8 Abs. l Ziffer l getroffen wird. Vorschriften der am Schluß de- 8 9 bezeichneten Art hat der Bundesrath bis jetzt nicht erlaffen. Ueber Ausstellung und Umtausch der den Mitgliedern besonderer Kasieneinrichtungen früher ausgestellten QuittungSkarten vgl. Preuß. Anw. vom 27. November 1893.

tz. 10.

Durch Beschluß deS Bundesraths kann auf Antrag bestimmt werden, daß die Bestimmungen der §§. 8, 9 auf Mitglieder anderer Kasseneinrichtungen, welche die Fürsorge für den Fall der Invalidität und des Alters zum Gegenstände haben, Anwendung finden sollen. § 7 Ges. v. 1889; §7 fc. Entw.; §7 Ges. v. 1899. 3*

Z« 8 io. Aenderungen durch die Novelle: Die in diesem 8 10 früher auch noch steckende Bestimmung, daß pensionsberechttgte Beamte anderer öffentlichen Verbünde und Körperschaften durch den Bundesrath auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit werden können, ist jetzt in den 8 7 aufgenommen worden.

§. li.

1.

Durch Beschluß des Bundesraths kann der ans Grund des Gesetzes vom 13. Juli 1887 (Reichs-Gesetzbl. S. 329) errichteten See - Berussgenossenschast gestattet werden, unter ihrer Haftung eine besondere Einrichtung zu dem Zwecke zu begründen, die Invalidenversicherung nach Maßgabe dieses Gesetzes für diejenige» Personen zu übernehmen, welche in den zur Genoffenschast gehörende« Betrieben oder einzelnen Arten dieser Betriebe beschäftigt werden, sowie für diejenigen Unternehmer, welche gleich­ zeitig der Unfallversicherung und der Invalidenversiche­ rung unterliegen. Eine solche Einrichtung darf jedoch nur gestattet werden, wenn für die Hinterbliebenen der darin versicherten Personen von der Genoffenschast zugleich eine Wittwen- und Waisenversorgung begründet wird. Werden solche Einrichtungen getroffen, so sind in denselben die­ jenigen Personen, für welche sie bestimmt sind, kraft Gesetzes versichert. 2. Werden die Versicherten zu Beitrügen herangezogen, so sind dieselben in gleicher Weise wie die Arbeitgeber bei der Verwaltung zu betheiligen.

Der Theil der Beittäge, welcher auf die Ardeitgebrr entfällt, darf im Durchschnitte nicht niedriger sein als die Hälfte der Beiträge, welche auf Grund dieses Gesetzes (§. 32) zu zahlen sind. Tie Beiträge der Versicherten dürfen nicht höher sein als dir der Arbeitgeber. Werden die Beiträge der Versicherten abgestuft, so sind auch die Renten für die Hinterbliebenen im gleichen Verhältniß abzustufen. Die Wartezeit darf weder für die Jnvalidenversichernng noch für die Wittwen- und Waisenversorgung höher brnitffrn werden, als im §. 21 vorgesehen ist. Den Versicherten muß, wenn sie zeitweilig aus ausländischen Schiffen Beschäftigung nehmen, ihre Familien aber in Deutschland verbleibe», oder wenn sie ans anderen Gründen ans der versicherungstzflichtigen Beschäftigung ausscheiden, die Weitrrversicherung gemäß den Be­ stimmungen dieses Gesetzes nicht nnr hinsichtlich der Invalidenversicherung, sondern auch in Bezug auf die Wittwen- nnd Waisenversorgung gestattet sein.

3.

4. 5. 6.

§ 7a Ges. v. 1899.

Zu 8 ll. Die §8 ll bis 13 beruhen auf Beschlüssen der Reichstagtzkommissiou bei Berathung der Novelle und haben den Zweck, den Wünschen der SeeBerufsgenossenschaft entgegenzukommen. Dieselbe hatte in der Meinung, die Jnvaliditäts- und Altersversicherung habe für den Stand der See­ leute geringe Bedeutung, mehrfach sich bereit erklärt, für den Stand der Seeleute eine Wittwen- und Waisenversorgung einzurichten, sofern ihr gestattet würde, die Invalidenversicherung der Seeleute unter Los-

.

38

L Umfang und Gegenstand der Verstcherung.

lösung von den territorialen Versicherungsanstalten zu einer besonderen Einrichtung der See-BerufSgenossenschaft zu machen. Dabei hatte die Genossenschaft, also die Vereinigung der Arbeitgeber, sich seiner Zeit bereit erklärt, Mehrkosten selbst zu tragen. Durch § 11 wird nun der See-Berufsgenossenschaft gestattet, unter der Voraussetzung, daß zu­ gleich eine Wittwen- und Waisenversorgung errichtet werde, die In­ validenversicherung für die Seeleute berufsmäßig zu organisiren und sie dann in Form einer zugelassenen besonderen Kasseneinrichtung in ähnlicher Weise durchzuführen, wie die Bau-BerufSgenossenschaften die Unfallversicherung bei Regiebauten durch ihre Versicherungsanstalten durchführen Der weitere Wunsch der See-Berufsgenossenschaft, ihr für diesen Zweck die bisher für die Jnvaliditäts- und Alters­ versicherung entrichteten gesammten Beiträge zu überlassen und damit der neuen Einrichtung tnt gewissen Sinn rückwirkende Kraft zu ver­ leihen, konnte dagegen nicht berücksichtigt werden. Die gesammten näheren Ausführungen sind dem BundeSrath über­ lassen; derselbe hat freie Hand, nach Ermessen die Genehmigung zu den bez. Beschlüssen der See-Berufsgenossenschaft zu ertheilen oder zu versagen oder an die Erfüllung von Bedingungen zu knüpfen (§ 13).

§.12.

Aus die im §. 11 bezeichnete» Einrichtungen finden die Bestimmungen der §§. 8, 9 entsprechende An­ wendung; sie unterliegen der Beaufstchtigung durch das Reichs-Verstchernngsamt nach Maßgabe der §§. 108 bis 110 dieses Gesetzes. Die für die Unsallversicherung errichtete» Schieds­ gerichte find auch für die von der See-Berufsgenoffenschast übernommene Invalidenversicherung sowie für die von ihr eingerichtete Wittwen- und Waisenversorgung zuständig. § 7b Ges. v. 1899.

§• 13.

Beschlüsse der Genossenschaft, durch welche die im 1. §. 11 bezeichneten Einrichtungen getroffen werden, die hierfür erlassenen Statuten und deren Abiindernngrn be­ dürfen der Genehmigung des Bundesraths. Der Bundes­ rath beschließt, nachdem zuvor die im §. 91 des Gesetzes vom 13. Juli 1887 bezeichneten, für die Versicherten be­ rufenen Beisitzer der Schiedsgerichte gehört worden sind. Der Bundesraih bestimmt den Zeitpunkt, mit welchem die Einrichtung in Wirksamkeit tritt. § 7c Ges. v. 1899.

§. 14. Freiwillige Versicherung.

Folgende Personen sind befugt, freiwillig in die Ber- 1. sicherung einzutreten, solange sie das vierzigste Lebens­ jahr nicht vollendet haben (Srlbstverstchrrung): 1. Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker, Handlungsgehülfen und sonstige Angestellte, deren dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, ferner Lehrer und Erzieher sowie Schiffssührer, sämmtlich sofern ihr regelmäßiger JahresarbeitsVerdienst an Lohn oder Gehalt mehr als zwei­ tausend Mark, aber nicht über dreitausend Mark beträgt; 2. Gewerbetreibende und sonstige Betriebsnnternchmer, welche nicht regelmäßig mehr als zwei

versicherungspflichtige Lohnarbeiter beschäftigen, sowie Hausgewerbetreibende, sämmtlich soweit nicht durch Beschluß des Bundesraths (§. 2 Abs. 1) die Berstcherungspslicht auf sie erstreckt worden ist; 3. Personen, welche auf Grund des §. 3 Abs. 2 und §. 4 Abs. 1 der Versicherungspflicht nicht unter­ liegen. Diese Personen sind ferner berechtigt, beim Ausscheiden ans denk die Berechtigung zur Selbstversicherung be­ gründenden Verhältnisse die Selbstversicherung fortzusetzen und nach den Bestimmungen des §. 46 zu erneuern. Personen, welche aus einein die Berstcherungspflicht begründenden Verhältniß ausscheiden, sind befugt, die Versicherung freiwillig fortzusetzen oder zu erneuern (Weiterversicherung). Die in Betrieben, sür welche eine besondere Kassen­ einrichtung (§§. 8, 10, 11) errichtet ist, beschäftigten Personen der int Abs. 1 Ziffer 1 bis 3 bezeichneten Art sind berechtigt, sich bei der Kaffeneinrichtung steiwillig zu versichern (Abs. 1). Die in solchen Betrieben be­ schäftigten versicherungspsiichtigen Personen sind ferner beim Ausscheiden aus dem die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältnisse befugt, sich bei der be­ sonderen Kaffeneinrichtung weiter zu versichern (Abs. 2), solange sie nicht durch ein neues Arbeits- oder Dienst­ verhältniß bei einer anderen besonderen Kaffeneinrichtung oder bei einer Versicherungsanstalt versicherungspflichtig

5 14.

Freiwillige Versicherung.

41

werde». Solange die Voraussetzungen für die freiwillige Versicherung bei einer besonderen Kasienemrichtung ge­ geben sind, findet die fteiwillige Versicherung bei einer Versicherungsanstalt nicht statt. §§ 8,117 Ges. ».1889; § 8 b. Entw.; § 8 Ges. v. 1899.

Zu 8 14. 1. Aenderungen durch die Novelle: a) Zusammenfassung der Vorschriften über den freiwilligen Ein­ tritt in die Versicherung (früher § 8) und über die freiwillige Fortsetzung eines Versicherungsverhältnisses nach Aufhören der Versicherungspflrcht (früher § 117); b) Ausdehnung des Rechts zum freiwilligen Eintritt in bie Versicherung (Selbstversicherung) auf Betriebsbeamte re. zwischen 2000 und 3000 Mark Jahresverdienst, auf Betriebs­ unternehmer mit 2 regelmäßigen Lohnarbeitern, sowie auf gewisse, von der Versicherungspflicht aus besonderen Gründen befreite Personen; c) Fortfall der Beschränkung freiwilliger Versicherung auf die II. Lohnklasse; d) Fortfall der besonderen Zusatzmarke (Doppelmarke); e) Zulassung freiwilliger Versicherung auch bei Kassenein­ richtungen. 2. Allgemeine Bezeichnung (vgl. Ueberschrift) ist „freiwillige Versicherung"; freiwilliger Eintritt in das Verftcherungsverhältniß heißt „Selbstversicherung" (Abs. l); freiwillige Fortsetzung der Selbstversicherung nach dem Fortfall des die Berechtigung zur Selbst­ versicherung begründenden Verhältnisies heißt „Fortsetzung der Selbst­ versicherung" (Abs. 1 a. E.); freiwillige Fortsetzung der Versicherung nach Beendigung eines Pflichtverhältnisses heißt „Weiterversicherung" (Abs. 2). „Erneuerung" der Versicherung ist deren spätere Wieder­ aufnahme, wenn die bisherige, durch die Versicherung begründete An­ wartschaft durch Zeitablauf erloschen war (§ 46 Abs. 4).

42

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Für die freiwillige Versicherung bestehen verschärfte Vorschriften über Wartezeit (8 29), welche einen Mißbrauch der Versicherung durch Personen, die ein schlechtes Risiko bieten und nur, um einen Renten­ anspruch zu erwerben, für kurze Zeit freiwillige Beiträge entrichten, ausschließen sollen. Bei der Selbstversicherung und deren Fortsetzung müssen aus gleich­ artigen Gründen zur Erhaltung der Anwartschaft doppelt so viel Marken entrichtet werden wie bei einem Pflichtverhältniß und der Weiterverficherung (§ 46 Abs 3); für Selbstversicherung und deren Fortsetzung kann eine besondere Quittungskarte vorgeschrieben werden (§ 132). 3. Wegen Beschränkung des Nachklebens bei freiwilliger Ver­ sicherung vgl. 8 146. 4. Die Zusatzmarke ist beseitigt, weil sie, wie die Motive z. Nov. S. 33 des Näheren ausführen, bei dem System des festen Reichs­ zuschusses zu jeder Rente für die große Mehrzahl der freiwillig Bei­ tragenden die innere Berechtigung verloren hat.

§. 15. Gegenstand der Versicherung.

Gegenstand der Versicherung ist der Anspruch auf Gewährung einer Rente für den Fall der Erwerbs­

unfähigkeit oder des Alters. Invalidenrente erhält ohne Rücksicht auf das Lebens­ alter derjenige Versicherte, welcher im Sinne des §♦ 5 Abs. 4 dauernd erwerbsunfähig ist. Eine durch einen Unfall herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit begründet un­ beschadet der Vorschriften des §.113 den Anspruch auf Invalidenrente nur insoweit, als die zu gewährende

Invalidenrente die gewährte Unfallrente übersteigt.

8 16.

Gegenstand der Versicherung.

43

Altersrente erhält ohne Mckstcht auf das Vorhanden- 3. sein von Erwerbsunfähigkeit derjenige Versicherte, welcher daS siebenzigste Lebensjahr vollendet hat. § 9 Ges. d. 1889; § 9 d. Entw.; § 9 Ges. v. 1899.

Zu 8 iS 1. Abänderungen durch die Novelle: a) die zum Bezüge der Invalidenrente berechtigende Invalidität ist derjenigen Erwerbsunfähigkeit, welche von der VersicherungsPflicht befreit (§ K), gleichgestellt; b) die Beziehungen der Unfallrente zur Invalidenrente sind anderweit geregelt. 2. Außer den in 8 15 bezeichneten Ansprüchen auf Rente besteht auch der Anspruch auf Rückzahlung von Beiträgen (88 *2 bis 44) a) für versicherte weibliche Personen, die in die Ehe treten, b) für Personen, welche durch Unfall dauernd erwerbsunfähig werden und trotzdem einen Anspruch auf Invalidenrente nicht haben (Anm. 6), sowie c) für die Hinterbliebenen Wittwen und Waisen solcher Ver­ sicherter, welche sterben, bevor sie in den Genuß einer Rente gelangt find. Wegen Zurückzahlung von Beiträgen, welche zu Unrecht beigebracht sind, vgl. 88 1 58, 160. 3. Altersrente wird nach vollendetem 70. Lebensjahre, die er­ heblich wichtigere Invalidenrente aber in jedem Lebens­ alter (also unter Umständen auch ganz jungen Leuten) dann gewährt, wenn Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Die Invalidenrente ist ein theilweiser Ersatz der verlorenen Erwerbsfähigkeit, die Altersrente ein Zuschuß zum Erwerb noch erwerbsfähiger alter Personen. „In dieser Altersversicherung liegt eine auf Rücksichten der Humanität beruhende Erweiterung der sozialpolitischen Fürsorge. Erfahrungsmäßig wird durch die Erreichung eines hohen Lebensalters in den meisten Fällen eine größere oder geringere Beschränkung der ErwerbSfähigkeit bedingt. Wo

44

I. Umfang und Gegenstand der Verstcherung.

diese Voraussetzung zutrifft, da bildet die Altersrente einen Zuschuß zu dem noch vorhandenen Arbeitsverdienst. Dieser Zuschuß wird es dem alt gewordenen Arbeiter erleichtern, eine Ueberanstrengung der ihm verbliebenen Arbeitskraft zu vermeiden und sich den Rest seiner Erwerbsfähigkeit länger zu erhallen, den Eintritt völliger Erwerbs­ unfähigkeit also hinauszuschieben" (Mot. S. 40). Die Altersrente beginnt nach wie vor mit dem 70. Lebensjahr. Dem wiederholt laut gewordenen Wunsch, diese Rente schon vom 65. Lebensjahr ab zu gewähren, stehen, abgesehen davon, daß hierdurch die Bedeutung der Altersrente in unzweckmäßiger Weise gesteigert worden wäre, finanzielle Bedenken entgegen. Nach den Ausführungen der Motwe zur Novelle (S. 180) würde sich die Zahl der jährlichen Altersrenten, wenn man die Altersgrenze auf 66 Jahre herabsetzen wollte, annähernd verdoppeln, nämlich von 200 788 (nach betn an­ nähernd konstanten Stande vom l. Januar 1898) auf 400 117 an­ wachsen, während die Belastung für die Versicherungsanstalten um mehr als 20 Millionen, für das Reich um mehr als 9*/2 Millionen steigen würde. Während in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Ge­ setzes die Altersrente, insbesondere wegen der äußerst günstigen UebergangSbestimmungen, eine erhöhte Bedeutung hatte, ist inzwischen die Bedeutung der Invalidenrente mehr und mehr gewachsen; gegenwärtig übersteigt die Zahl der Invalidenrenten bereits die der Altersrenten. Dies wird immer mehr zunehmen. Im Gesammteffekt repräsentiren die Belastung mit Altersrenten auf den Stand vom 31. Dezember 1899 mit 3 Prozent Zinsen und Zinseszinsen berechnet, etwa 8 Prozent, die Belastung durch Invalidenrenten etwa 80 Prozent, die sonstigen Aufwendungen der Anstalten etwa 12 Prozent der auf etwa 13 Milliarden sich belaufenden Gesammtbelastung durch die Invalidenversicherung 4. Wegen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit vgl. 2lum. 9 zu § 5. 5. Der „dauernden" Erwerbsunfähigkeit (Abs. 2) ist diejenige Er­ werbsunfähigkeit. welche thatsächlich bereits längere Zeit (nach der Novelle 26 Wochen) hindurch gewährt hat, für die fernere Dauer der­ selben gleichgestellt (§ 16). Ob eine Erwerbsunfähigkeit „dauernd" sein tvird, ist Gegenstand thatsächlicher Feststellung (vgl. 88 H2 ff.) und ver-

8 16.

Gegenstand der Versicherung.

45

ständigen Ermessens, bei dem auch das aequum et bonum eine Rolle spielt; der Nachweis, daß in dem Zustande deS Betreffenden niemals wieder eine Besserung eintreten könne, braucht nicht gerade geführt zu werden; doch darf eine Invalidenrente (vorbehaltlich des § 16) nicht gewährt werden, wenn es nach menschlichem Ermessen außer Frage steht, daß der Betreffende in absehbarer Zeit wieder hergestellt wird (Aormn.-Ber. S. 21). Aerztliche Urtheile werden hierbei von erheblicher Bedeutung sein, brauchen jedoch an sich noch nicht für ausschlaggebend erachtet zu werden. Die „Erwerbsunfähigkeit" braucht nicht eine völlige zu fein; sie liegt schon dann vor, wenn Jemand nur noch sehr wenig verdienen kann. Die Obergrenze des noch möglichen Verdienstes ergtebt sich aus den Vorschriften des § 6 Abs. 4. Im Uebrigen wird Halbinvalidität nicht berücksichtigt. 6. Jede dauernde Erwerbsunfähigkeit eines Versicherten ver­ pflichtet die Versicherungsanstalten zur Gewährung von Invaliden­ renten aus eigenen Mitteln. Eine Ausnahme macht jedoch die Erwerbs­ unfähigkeit, welche durch einen nach den Rerchsgesetzen über Unfall­ versicherung zu entschädigenden Unfall herbeigeführt ist, für welche also nach den Reichsgesetzen über Unfallversicherung eine Unfallrente gewährt wird. In Fällen der letzteren Art wird nach den Vorschriften der Novelle unterschieden: a) die Invalidenrente ist höher wie die Unfallrente: dann wird auS der Invalidenversicherung nur die Differenz gewährt (8 16 Abs. 2), b) die Invalidenrente ist nicht höher (also gleich hoch oder niedriger), wie die Unfallrente: dann haben die Renten­ empfänger zwar keinen Anspruch auf Invalidenrente, aber einen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen (§ 43). Außerdem ist rn allen Fällen, in denen bei einer durch einen Unfall herbeigeführten Erwerbsunfähigkeit zugleich die Voraussetzungen der Invalidenrente vorliegen (dauernde Erwerbsunfähigkeit, Erfüllung der Wartezeit) auf Antrag des Verletzten das Rentenfeftstellungsverfahren auf Grund des JnvalidenversicherungsgesetzeS einzuleiten, und eS kann also ein solcher Verletzter von der Versicherungsanstalt nicht etwa ab- und an die Berufsgenossenschaften verwiesen werden.

46

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Dafür hat dann die Versicherungsanstalt das Recht, ihrerseits die Feststellung der Unfallrente durch die Berussgenoffenschast herbei­ zuführen und wegen der ihr materiell nicht zur Last fallenden Renten­ zahlungen an die Berussgenoffenschast sich zu regressiren (§ llS). Die Unfallversicherung tritt aber nur ein bei solchen Unfällen, die sich „bei dem Betriebe" ereignen; andere mit dem Betriebe nicht zusammenhängende Unfälle, insbesondere alle diejenigen, welche durch die Unfallgefahr deS gewöhnlichen Lebens herbeigeführt worden sind und denen deshalb Jeder ausgesetzt ist, fallen direkt unter die Invalidenversicherung. Ferner deckt die Invalidenver­ sicherung bei solchen Personen, welche unter die Unfallversicherungs­ gesetze noch nicht fallen, einstweilen auch die Betriebsunfälle, der­ gestalt, daß die Versicherungsanstalten auch bei Betriebsunfällen solcher Personen Invalidenrenten auS eigenen Mitteln zu gewähren haben, sobald die Voraussetzungen der Invalidenrente vorliegen. Hierzu gehören insbesondere die meisten Handwerksbetriebe, welche z. Z. im Allgemeinen noch nicht unfallvetstcherungSpflichtig sind, ferner das Handelsgewerbe, die Fischerei rc. Durch diese vorläufige Für­ sorge wird jedoch die Ausdehnung der Unfallversicherung auf der­ artige BerufSzweige nicht entbehrlich, weil die Renten bei der Unfall­ versicherung im Allgemeinen höher sind (bis zu */, des Verdienstes), weil ferner Unfallrenten auch bei theUweiser und bet nicht dauernder Erwerbsunfähigkeit gewährt werden, und weil endlich im Falle des Todes des Verletzten auch den Hinterbliebenen Wittwen und Waisen, sowie unter Umständen den Hinterbliebenen Verwandten aufsteigender Linie eine Unfallrente gewährt wird. 7. Personen, welche eine Unfallrente beziehen, aber noch gegen Lohn beschäftigt sind (z. B. weibliche Personen oder Ascendenten, deren Ehemann bezw. Ernährer in Folge eines Betriebsunfalls ver­ storben ist, ebenso aber auch Arbeiter, welche auS Anlaß eines Unfalls eine Rente für nur theilweife Erwerbsunfähigkeit beziehen), unter­ liegen an sich der Invalidenversicherung nach wie vor und sind daher während chrer Beschäftigung beitragspflichtig, sofern sie nicht etwa im Sinne deS 8 6 Abf. 4 bereits invalid find. Sie können jedoch, ebenso wie peusionirte, eine anderweite Thätigkeit aufnehmende

§ 16.

Gegenstand der Versicherung.

47

Beamte, auf ihren Antrag von der Verficherungspflicht und demgemäß von der BeitragSleistung befreit werden, wenn die Unfallrente wenigstens den Mindestbetrag der Invalidenrente erreicht (8 6 Abf. 1). Bleiben die Empfänger von Unfallrenten in der Invaliden­ versicherung, so haben sie zwar trotz des Bezuges der Unfallrente einen Anspruch auf Invaliden- oder Altersrente, sobald deren Voraussetzungen gegeben sind; ihre Invaliden- und Altersrenten ruhen jedoch, solange und soweit der Gesammtbetrag beider Kategorien von Renten einen bestimmten Betrag übersteigt (8 48 Ziffer l).

§. 16. Invalidenrente erhält auch derjenige nicht dauernd erwerbsunfähige Versicherte, welcher während sechsundzwanzig Wochen ununterbrochen erwerbsunfähig gewesen ist, für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit. § 10 Ges. v. 1889; § 10 d. Entw.; § 10 Ges. v. 1899. Zu 8 16. 1. Aenderungen durch die Novelle: Während bisher Invaliden­ rente für nicht dauernde Erwerbsunfähigkeit nur nach Ablauf eines vollen JahreS vorgesehen war, unrd sie fortab schon nach halb­ jähriger Dauer gewährt. 2. Der 8 16 füllt theilweise eine Lücke auS, welche zwischen der reichsgesetzlichen Krankenversicherung (bte im Allg. nur ftir 13 Wochen Unterstützung zu gewähren braucht, während sie bis zur Dauer eines Jahres gewährt werden darf) und der Invalidenversicherung (sobald die Erwerbsunfähigkeit noch nicht als dauernd anzusehen ist) thatsächlich besteht. In der Reichstagskommission bestand mit den Vertretern der Regierungen Uebereinstimmung darüber, daß diese Lücke voll ausgefüllt und auf geeignete Weise dahin Fürsorge getroffen werden müffe, daß nach dem Aufhören der Krankensürsorge sich die Fürsorge aus Grund

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1. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

der Invalidenversicherung lückenlos anschließe. Man überzeugte sich aber davon, daß es schon auS formellen Gründen und um die auf dauernde Lasten zugeschnittenen Einrichtungen der Versicherungsanstalten nicht mit kostspieligen zahlreichen Fällen vorübergehender Belastung zu Überbürden, zweckmäßiger sei, bei einer Revision der Krankenversicherung eine Ausdehnung der gesetzlichen Dauer ihrer Unterstützungspflicht von 13 auf 26 Wochen herbeizuführen. Dadurch werde allerdings eine Ueberlaftung zahlreicher kleiner Träger der Krankenversicherung herbeigeführt werden, zu bereit Entlastung alsdann zweckmäßig die Versicherungs­ anstalten mit einem Beitrag heranzuziehen sein würden (Komm -Ber. z. Nov. S. 39). 3. Wegen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit vgl. Anm. 9 zu § 6.

§. 17. Dem Versicherten steht ein Anspruch auf Invaliden­ rente nicht zu, wenn er die Erwerbsunfähigkeit vor­

sätzlich herbeigeführt hat. Die Gewährung der Rente kann ganz oder theilweise versagt werden, wenn der Ver­ sicherte die Erwerbsunfähigkeit bei Begehung eines durch strafgerichtliches Urtheil festgestellten Verbrechens oder vorsühlichen Vergehens sich zugezogen hat. In Fällen der letztere» Art kaun die Rente, sofern der Versicherte eine im Jnlande wohnende Familie besitzt, deren Unter­ halt er bisher ans seinem Arbeitsverdienste bestritten hat, ganz oder theilweise der Familie überwiesen werden. § 11 Ges. v. 1889; § 11 d. Entw.; § 11 Ges. v. 1899.

3« 8 17. Aenderungen durch die Novelle: a) Die Invalidenrente mußte früher dann wenn der Betr. die Erwerbsunfähigkeit bei Begehung

eine- ftrafgerichtiichen Verbrechens sich zugezogen hatte, immer und ganz versagt werden; jetzt darf sie, und zwar auch theilweise, belasten oder versagt werden. d) Dasselbe gilt für Zuziehung der Erwerbsunfähigkeit bei Be­ gehung eines strasgerichtlich abgeurtheilten vorsätzlichen Vergehens, wo früher die Versagung der Invalidenrente niemals Platz griff. c) Der versagte Theil der Rente darf fortab ganz ober theilweise der Familie überwiesen werden, sofern die Erwerbsunfähigkeit nicht vorsätzlich herbeigeführt war.

§. 18. Ist ein Versicherter dergestalt erkrankt, daß als Folge 1. der Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente be­ gründet, so ist die Versicherungsanstalt befugt, zur Ab­ wendung dieses Nachtheils ein Heilverfahren in dem ihr geeignet erscheinenden Umfang eintreten zu lasten. Die Versicherungsanstalt kann das Heilverfahren durch 2. Unterbringung des Erkrankten in einem Krankenhaus oder in einer Anstalt für Genesende gewähren. Ist der Erkrankte verheirathet oder hat er eine eigene Haus­ haltung oder ist er Mitglied der Haushaltung seiner Familie, so bedars es hierzu seiner Zustimmung. Läßt die Versicherungsanstalt ein Heilverfahren ein- 3. treten, so gehen bei Versicherten, welche der reichs- oder landesgesetzlichen Krankenfürsorge unterliegen, vom Be­ ginne dieses Heilverfahrens an bis zu dessen Beendigung die Verpflichtungen der Krankenkasse gegen den Ver­ sicherten auf die Versicherungsanstalt über. Dieser hat v. Woedtke, JnvalidenversicherungSgesetz.

4

die Krankenkasse Ersatz zu leiste« in Höhe desjenigen Krankengeldes, welches der Versicherte von der Kranken­ kasse für sich beanspruchen konnte. Während des Heilverfahrens ist für solche Angehörigen des Versicherten, deren Unterhalt dieser bisher aus seinem Arbeitsverdienste bestritten hat, eine Unterstützung auch dann zu zahlen, wenn der Versicherte der reichs- oder londesgesetzlichen Krankenversorgung nicht unterliegt. Tiefe Angehörigenunterstützung beträgt, sofern der Ver­ sicherte der reichs- oder landesgesetzlichen Krankenfürsorge bis zum Eingreifen der Versicherungsanstalt unterlag, die Hälfte des für ihn während der gesetzlichen Dauer der Krankenunterstützung maßgebend gewesenen Kranken­ geldes, im Uebrigen ein Viertel des für den Ort seiner letzten Beschäftigung oder seines letzten Aufenthalts maß­ gebenden ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagrarbciter. Wenn der Versicherte Invalidenrente erhält, kann dieselbe ans die Angehörigenunterstiitznng angerechnet werden. § 12 Abs. 1 Ges. v. 1889; § 12 b. Entw.; § 12 Ges. v. 1899.

Zu 8 18. 1. Durch die §§ 18 bis 23 ist die bisher nur oberflächlich geregelte vorbeugende Krankenpflege der Versicherungsanstalten weiter ausgebaut worden. Durch § 47 sind entsprechende Bestimmungen für solche Fälle gegeben, in denen die Annahme begründet ist, daß Empfänger von Invalidenrenten durch nachträgliche Kranken­ behandlung werden gebessert werden.

8 18. Gegenstand der Versicherung.

51

2. Besonders hervortretende Aenderungen durch die Novelle: a) den Versicherungsanstalten ist die Krankenfürsorge auch bei solchen Personen überlasten, welche der reichsgesetzlichen Krankenfürsorge unterliegen; b) der Umfang der Krankenfürsorge ist in das Belieben der B.A. gestellt und dadurch die früher vorhandene Beschränkung auf die Kosten für Arzt, Arznei und kleine Heilmittel (§ 6 Abs. l Ziffer l des Krankenverstcherungsgesetzes) beseitigt worden; c) bei Unterbringung in einem Krankenhause tft die Gewährung einer Angehörigen-Unterstützung allgemein vorgesehen. d) die eingeschr. Hülfskasten sind den Krankenkasten auch in dieser Beziehung im Allgemeinen gleichgestellt worden (§ 20); e) die nachtheiligen Wirkungen einer Renitenz sind abgemildert (§ 22).

3. Die Angehörigen - Unterstützung (Abs. 4) entspricht dem § 8 K.B.G. und beläuft sich auf die Hälfte des an sich etwa zuständigen Krankengeldes. 4. Die aus § 18 entspringende Belastung gehört zum Sonder­ vermögen der betreffenden Versicherungsanstalt (§ 33 Abs. 2). DaS ReichS-Berstcherungsamt hat bereits mehrfach auf die günstigen Erfolge hingewiesen, welche mit derartigen Maßnahmen erzielt sind, und einen ausgiebigen Gebrauch der den Trägern der Versicherung hier eingeräumten Befugniß empfohlen. Natürlich werden sich aber die einzelnen Träger nach dem Umfang ihrer verfügbaren Mittel richten müssen. 5. Als Krankenkasse gilt auch die Gemeinde-Krankenversicherung (9 166), sowie in gewissem Umfang die eingeschriebene Hülfskaste (§ 20).

6. Der 8 18 gilt auch für zugelassene besondere Kasteneinrichtungen, 8 173. 7.

Wegen der Zuständigkeit bei Streitigkeiten vgl. 8 23. Vgl. auch Anm. zu 8 46.

52

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

§. 19. Die Versicherungsanstalt, welche ein Heilverfahren eintreten läßt, ist befugt, die Fürsorge für den Er­ krankten der Krankenkasse, welcher er angehört oder zuletzt angehört hat, in demjenigen Umfange zn über­ tragen, welchen die Versicherungsanstalt für geboten erachtet. Werden dadurch der Kasse Leistungen auferlegt,

welche über den Umfang der von ihr gesetzlich oder statutarisch zu leistenden Fürsorge hinausgehen, so hat die Versicherungsanstalt die entstehenden Mehrkosten zu ersetzen. Bestand eine Fürsorgepflicht der Krankenkasse nicht mehr, so ist ihr von der Versicherungsanstalt bei Gewährung der im §♦ 6 Abs. 1 Ziffer 1 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Leistungen das halbe, bei Unterbringung des Versicherten in ein Krankenhaus oder in eine Anstalt für Genesende das einundeinhalb­ fache Krankengeld zu ersetzen, sofern nicht höhere Auf­ wendungen nachgewiesen werden. § 12 Abs. 2 Ges. v. 1889; § 12a d. Entw.; § 12 a Ges. b. 1899. Zu 8 19. 1. Vgl. Sinnt zu § 18. Der § 19 findet auf zugelassene Kassen» ernrichtungen entsprechende Anwendung, § 178. 2. Der § 6 Abs. l Ziffer l des Krankenversicherungsgesetze» vom 15. Juni 1883 (R.G.Bl S. 73) lautet: „Als Krankenunterstützung ist zu gewähren: l. vom Beginn der Krankheit ab freie ärztliche Behandlung, Arznei, sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche Heilmittel."

IS IS, 20, 21. Gegenstand der Versicherung.

53

§. 20.

Als Krankenkassen im Sinne der Bestimmungen in de« §§. 18,19 gelten auch diejenigen Hülfskassen, welche die im §. 75 a des Kranlenverstchernngsgefetzes vor­ gesehene amtliche Bescheinigung besitze«. § 12b d. Entw.; § 12 b Gef. v. 1899. Z« 8 80. l. Vgl. Sinnt zu § 18. Die Bescheinigung muß nicht nur er­ theilt, sondern sie darf auch nicht entzogen sein-, die Kasse muß die söeschetnigung „besitzen". Gemeint ist die Bescheinigung, daß die Leistungen der Kasse denen der Gemeinde-Krankenversicherung gleich sind. Die Gleichstellung in 8 20 bezieht sich demgemäß nur auf solche eingeschriebenen und landesrechtlichen Hülfskassen, welche sich in die Organisation der reichsgesetzlichen Zwangs-Krankenversicherung haben sinfligen lassen, und bei denen die Mitgliedschaft von der Zugehörig­ keit zu einer organisirten Krankenkasse oder der Gemeinde-Kranken­ versicherung befreit. 8. Der 8 20 gilt auch für zugelassene besondere Kassen­ einrichtungen, 8 173.

§.21.

Ist die Krankheit, wegen deren das Heilverfahren 1. eingeleitet wurde, auf einen nach den Reichsgesetzen über Unfallversicherung zu entschädigenden Unfall zurückzuführen, und ist durch das Heilverfahren der Eintritt der Erwerbs­ unfähigkeit (§§. 15, 16) verhindert und zugleich eine Entlastung des entschädigungspflichtigen Trägers der Un­ fallversicherung herbeigeführt worden, indem die Unfallrntschädignng ganz oder zum Theil nicht zn bewillige»

war ober in Wegsall gekommen ist, so hat die Versichernngsanstalt gegen diesen Träger Anspruch ans Ersatz der Kasten des Heilverfahrens in dem im §. 19 Satz 3 vorgesehenen Umfange. Ein Ersah für Kasten des HeilVerfahrens, welche vor leih Beginne bet vierzehnten Woche nach bem Unfall entstanden sind, kann nicht be­ ansprucht werben. 2. Für die Ansprüche des Versicherten an den Träger der Unfallversicherung ist die Uebernahme des Heil­ verfahrens durch die Versicherungsanstalt der Uebernahme durch den Träger der Unsallverstchernng gleich zu achten. § 12 bb Ges. v. 1899.

Zu 8 »i. 1. Diese von der Reichstagskommission bei der Novelle ein­ gefügte Bestimmung beruht auf folgender Erwägung (Komm.-Ber. z. Nov. S. 49): „Durch die Einleitung des Heilverfahrens können auch einer Berufsgenossenschaft wesentliche Kosten erspart werden, ohne daß dieselbe irgendwelchen Ersatz dafür zu den Kosten des Heil­ verfahrens leiste. Gegen mißbräuchliche Anwendung soll diese Be­ stimmung Schutz bieten." 2. Wegen der Zuständigkeit bei Streitigkeiten vgl. § 22. 3. Der § 21 findet auf zugelassene Kasseneinrichtungen ent­ sprechende Anwendung, § 173.

§.

22.

Wird der Versicherte in Folge der Krankheit er­ werbsunfähig, so kann ihm, falls er sich den gemäß 88 18, 19 von der Versicherungsanstalt getroffenen Maß­ nahmen ohne gesetzlichen ober sonst triftigen Grund

entzogen hat, die Invalidenrente auf Zeit ganz oder theilweise versagt werden, sofern er auf diese Folgen hin­ gewiesen worden ist und nachgewiesen wird, daß die Er­ werbsunfähigkeit durch sein Verhalten veranlaßt ist. § 12 Abs. 3 Ges. v. 1889; § 12 c b. Entw.; § 12 c Ges. v. 1899. Z« 8 s» Vgl. Anm. zu 8 18. Der § 22 findet auf zugelassene Kasseneinrichtungen entsprechende Anwendung, § m.

§. 23. Streitigkeiten, welche aus den Bestimmungen in den 1. §§. 18 bis 20, 22 zwischen den Versicherungsanstalten und den Versicherte» entstehe», werden, soweit sie nicht bei der Rentenseststellung zum Austrage gelangen, von der Aussichtsbehörde der Versicherungsanstalten ent­ schieden. Streitigkeiten, welche aus den Bestimmungen in den 2. §§ 18 bis 20, 22 zwischen den Versicherungsanstalten und den Krankenkassen entstehen, werden, sofern es sich um die Geltendmachung der den Versicherungsanstalten eingeritumten Befugnisse handelt, von der Aufsichts­ behörde der betheiligten Krankenkasse, sofern es sich aber um Ersatzansprüche handelt, im Verwaltungs­ streitverfahren, oder, wo ein solches nicht besteht, eben­ falls durch die Aussichtsbehörde der betheiligten Krankenkaffe entschieden. Die Entscheidung dieser Aussichtsbehörde

56

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

ist im ttfitrt« Falle endgültig; im letzteren Falle kann sie innerhalb eines Monats nach der Zustellung im Wege des Rekurses »ach Maßgabe der §§. 20, 21 der Gewerbe­ ordnung angefochten werden. 3. Streitigkeiten über Ersatzansprüche in den Füllen des §. 21 Abs. 1 werden durch das Reichs-Verflcherungsamt entschieden. § 12 Abs. 4 Ges. v. 1889; § 12 d b. Entw.; § 12d Ges. v. 1899. 3w 8 »3. 1. Die in Abs. 1 bezeichnete „Aufsichtsbehörde der Versicherungs­ anstalten" (der Singular Versicherungsanstalt wäre im Abs. l richtiger gewesen, wie der im Gesetzestext stehende Plural) ist das ReichSbezw. Landes-Dersicherungsamt. Die in Abs. 2 bezeichnete Aufsichts­ behörde der Krankenkasse ist im Allgemeinen die zuständige Gemeindebehörde (§ 44 K V G). An die Stelle deS Reichs-Ver­ sicherungsamts tritt in den Fällen des Abs. 3 unter Umständen das Landes-Versicherungsamt (§ 109 Abs. 2). 2. Der § 23 findet auf zugelassene Kasseneinrichtungen ent­ sprechende Anwendung, 8 173.

§. 24. 1.

Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde für ihren Bezirk oder eines weiteren Kommunalverbandcs für seinen Bezirk oder Theile desselben kann, sofern daselbst nach Herkommen der Lohn der in land- oder forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Arbeiter ganz oder zum Theil in Form von Naturalleistungen

gewährt wird, bestimmt werden, daß denjenigen in diesem Bezirke wohnenden Rentenempfängern, welche innerhalb desselben als Arbeiter in land- und forst­ wirtschaftlichen Betrieben ihren Lohn oder Gehalt ganz oder zum Theil in Form von Naturalleistungen bezogen haben, auch die Rente bis zu zwei Dritteln ihres Betrages in dieser Form gewährt wird. Der Werth der Naturalleistungen wird nach Durchschnitts­ preisen in Ansatz gebracht. Dieselben werden von der höheren Verwaltungsbehörde festgesetzt. Die statutarische Bestimmung bedarf der Genehmigung der höheren Ver­ waltungsbehörde. Solchen Personen, welchen wegen gewohnheits- 2. mäßiger Trunksucht nach Anordnung der zuständigen Behörde geistige Gettänke in öffentlichen Schank­ stätten nicht verabfolgt werden dürfen, ist die Rente in derjenigen Gemeinde, für deren Bezirk eine solche An­ ordnung getroffen worden ist, auch ohne daß die Vor­ aussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, ihrem vollen Betrage nach in Naturalleistungen zu gewähren. Der Anspruch auf die Rente geht zu demjenigen 3. Betrag, in welchem Naturalleistungen gewährt werden, auf den Kommunalverband, für dessen Bezirk eine solche Bestimmung getroffen ist, über, wogegen diesem die Leistung der Naturalien obliegt. Dem Bezugsberechtigten, auf welchen vorstehende 4. Bestimmungen Anwendung finden sollen, ist dies von dem Kommunalverbande mitzutheilen.

58

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

5.

Der Bezugsberechtigte ist befugt, binnen zwei Wochen nach der Zustellung dieser Mittheilung die Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde anzurufen. Auf demselben Wege werden alle übrigen Streitigkeiten entschieden, welche aus der Anwendung dieser Be­ stimmungen zwischen dem Bezugsberechtigten und dem Kommunalverbande entstehen. 6. Sobald der Uebergang des Anspruchs auf Rente endgültig feststeht, hat auf Antrag des Kommunal­ verbandes der Vorstand der Versicherungsanstalt die Postverwaltung hiervon rechtzeitig in Kenntniß zu setzen. § 13 Ges. v. 1889; § 13 d. Entw.; § 13 Ges. v. 1899.

Zu 8 24 1. Der § 24 hat den Zweck, die für alle Betheiligten vortheilhafte Möglichkeit, Naturalleistungen an die Stelle reiner Geld­ leistungen treten zu lasten, in solchen Gegenden, in denen diese Form der Löhnung herkömmlich ist, oufredjt zu erhalten. Diese Bestim­ mungen bedeuten also eine Wohlthat für den Versicherten. Hier­ durch wird u. a. ermöglicht, daß ein Rentenempfänger, welcher mieth­ weise auf dem platten Lande keine Wohnung um deswillen erhalten kann, weil zu vermiethende Wohnungen nicht vorhanden sind, m der Lage bleibt, trotzdem an diesem Orte zu verbleiben. 2. Die Absätze l und 2 behandeln verschiedene Fälle. Der Absatz l gestattet unter Umständen den Erlaß statutarischer Bestimmungen,nach welchen allen in dem betr. Bezirk wohnenden Rentenempfängern, die daselbst als landwirthschaftliche Arbeiter mit Naturalien gelohnt worden sind, ein Theil der Rente in Naturalien zu gewähren ist. Der Absatz 2 dagegen schreibt obligatorisch vor, daß notorischen Trunken­ bolden, welche auf Grund polizeilicher Festsetzungen, also nach

g 26.

59

Gegenstand der Versicherung.

Landesrecht, auf die sog. schwarze Liste gesetzt sind, an demjenigen Orte,

für dessen Bezirk

ganze würden

Rente

in

die betr.

währte Geld

eine

Naturalien

solche

Anordnung getroffen ist, die

zu gewähren ist;

Gewohnheitstrinker

das

vertrinken und dadurch würde

ihnen

denn als

andernfalls Rente

ge­

der wohlthätige Zweck

der gegen sie erlassenen polizeilichen Maßregeln, ihrer Trunksucht 3« steuern, illusorisch werden

§. 25. Aus Grund statutarischer Bestimmung der Versicherungsanftalt kann der Vorstand einem Rentenempfänger aus seinen Antrag an Stelle der Rente Aufnahme in rin Jnvalidenhans oder in ähnliche von Dritten unterhaltene Anstalten aus Kosten der Versicherungsanstalt gewähren. Der Aufgenommene ist auf ein Vierteljahr und, wenn er die Erklärung nicht einen Monat vor Ablauf dieses Zeit­ raums zurücknimmt, jedesmal auf ein weiteres Viertel­ jahr an den Verzicht auf dir Rente gebunden. § 13a b. Entw.; § 13a Ges. v. 1899. Z« 8 »S. l. „Der auf Anregung des Vorstandes einer Versicherungsanstalt be­ ruhende Vorschlag in § 13a (jetzt8 25) will der hülflosen Lage,in welcher sich manche alte und kränkliche, insbesondere alleinstehende Rentenempfänger trotz der ihnen zugebilligten Renten befinden, insofern Rechnung tragen, als der Vorstand aus Grund statutarischer Vorschrift der V.A. er­ mächtigt wird, dem Rentenempfänger auf Antrag anstatt der Rente Aufnahme in ein Jnvalidenhans zu gewähren" (Mot. z. Nov. S. 258). „Dabei wird angenommen, daß die Anstalten solche Häuser auch selbst errichten können" (a. a. O.).

60

I. Umfang und Gegenstand der Berficherung.

9. „In dem Fall des 8 26 handelt efi sich ähnlich wie int Fall, des 8 24 nur um eine andere Fürsorgeleistung der Anstalt selbst während im 8 *o (jetzt § 65) durch Uebertragung deS Rentenanspruchs auf Dritte die Aufnahme in ein SiechenhauS u. f. w. ermöglicht werden soll" (a. a. O.). 3. Einrichtungen auf Grund deS 6 25 gehen auf Kosten des SondervermögenS der betreffenden Anstalt, vgl 8 *6.

§.

26.

Ist der Berechtigte ein Ausländer, so kann er, falls er seinen Wohnsitz im Deutschen Reiche aufgiedt, mit dem dreifachen Betrage der Jahresrente abgefunden werden. Durch Beschluß des Bundesraths kaun diese Be­ stimmung für bestimmte Grenzgebiete oder für die An­ gehörigen solcher auswärtiger Staaten, durch deren Gesetzgebnng deutschen Arbeitern eine entsprechende Fürsorge für de« Fall der Erwerbsunfähigkeit oder des Alters gewährleistet ist, außer Kraft gesetzt werden. § 14 Ges. v. 1889; § 14 d. Entw.; § 14 Ges. v. 1899. 3« 8 86. 1. Aenderungen durch die Novelle: Hinzufügung des Satzes 2, entsprechend dem Satz 2 tn § 48 Abs. l Ziffer 4. 2. Eine Kapitalabfindung an Ausländer kennt auch das UnfallversicherungSgesetz (§ 67 a. a. O); im vorliegenden Gesetz aber ist die Abfindung beschränkt auf solche Ausländer, welche im Jnlande ge­ wohnt haben, aber diesen Wohnsitz demnächst aufgeben. Für solche Personen, welche nicht im Jnlande wohnen (Inländer oder Aus­ länder), schreibt § 48 ein Ruhen der Rente vor, soweit nicht vom Bundesrath für bestimmte Grenzbezirke Ausnahmebestimmungen ge­ troffen werden.

9 27. Aufbringung der Mittel.

61

§. 27.

Aufbringung bet Mittel. Die Mittel zur Gewährung der in diesem Gesetze 1. vorgesehenen Leistungen werden vom Reiche, von den Arbeitgebern und von den Versicherten aufgebracht. Die Aufbringung der Mittel erfolgt seitens des 2. Reichs durch Zuschüsse zu den in jedem Jahre that­ sächlich zu zahlenden Renten (§. 35), seitens der Arbeit­ geber und der Versicherten durch laufende Beiträge. Die Beiträge entfallen auf den Arbeitgeber und den 3. Versicherten zu gleichen Theilen (§§. 142, 144, 154) und sind für jede Beittagswoche (§. 30) zu entrichten. § 19 Ges. v. 1889; § 14 a b. Entw.; § 14 a Ges. V. 1899. Zu 8 »7. 1. Durch die Novelle ist der Grundsatz, daß die Mittel von den Arbeitgebern und den Versicherten zu gleichen Theilen durch laufende Beiträge aufgebracht werden sollen, während daS Reich einen festen Zuschuß zu den jährlichen Rentenzahlungen leistet, lediglich aufrecht erhalten worden. Die Umstellung der bez Vorschriften beruht auf redaktionellen Rücksichten. 2. Der Reichszufchuß (8 26) rechtfertigt sich insbesondere durch das „allgemeine Interesse des Reiches an einer möglichst nor­ malen Gestaltung der sozialen Verhältnisse" (Mot. S. 67). Er recht­ fertigt sich ferner durch die Rücksicht auf die Nothwendigkeit, dm Interessenten gegenüber die «osten dieser Zwangsinstitution thunlichst zu ermäßigen, und im Hinblick darauf, daß die letztere „nothwendig auf das gefammte bisherige System der Armenpflege zurückwirkt" und das Gesetz in dieser Wirkung, obwohl dies keineswegs der eigmtliche Zweck desselben ist, eine erhebliche Entlastung der öffentlichen

62

I. Umfang und Gegenstand der Verstcherung

Armenpflege zur Folge haben wird (a. a. O. S. 42). Durch den Reichszuschuß zu den Invaliden- und Altersrenten wird den be­ rechtigten Wünschen, wenigstens einen Theil der Armenlast von den blsherigen schwachen Trägern abzunehmen und sie auf die breitesten Schultern, d. h. auf das Reich, zu legen, entgegengekommen (a. a. O. S. 67). Auch muß der Reichszuschuß eine enge Verknüpfung der materiellen Jnteresien der Versicherten mit den Interessen und der Existenz des Reiches zur nothwendigen Folge haben. UebrigenS deckt bei dem Prämiensystem, wie es schon nach dem Entwurf von 1688 zur Auf­ bringung der Mittel für die Renten in der dort vorgesehenen Höhe eingeführt werden sollte (während der Reichstag damals an dessen Stelle das Kapitaldeckungsverfahren nach Perioden treten ließ), der Reichszuschuß fast genau die Mehrbelastung, welche den Dersicherungsanstalten daraus erwächst, daß die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits älteren Personen ohne höhere Beiträge in die Versicherung übernommen werden (Denkschr. z. d. Mot., a. a. O. S. 178). Nachdem letzt durch die Novelle das Prämiensystem an die Stelle des im Gesetz von 1889 durchgeführten Kapitaldeckungsverfahrens nach Perioden gesetzt worden ist, tritt diese Wirkung des Neichszuschusses wieder mehr hervor. 3. An den Verivaltungskosten der Versicherungsanstalten nimmt das Reich Nicht Theil; dagegen trägt es die Kosten eigener, im Jnteresie der Invalidenversicherung fungirender Verwaltungseinrichtungen, ins­ besondere des Reichs-Versicherungsamts (§ 108) und der Reichs-Post­ verwaltung (vgl. 8 130). 4. Das Reich wird nach Abs. 2 seine Zuschüsie im Wege des sog. Umlageverfahrens, d. h. nach Maßgabe der in jedem Jahre thatsächlich zur Auszahlung gelangenden Beträge, leisten und die hierzu erforder­ lichen Mittel wie seine sonstigen Bedürfnisse, also durch den ReichShaushaltsetat, aufbringen. 6. Weitere Aufwendungen erwachsen dem Reich in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber der in Reichsbetrieben beschäftigten versicherten Personen, für die es die auf die Arbeitgeber entfallende Hälfte der Beiträge zu leisten hat, sowie aus der Uebernahme derjenigen Rentenbeträge, welche auf die Dauer mUitärischer Dienstleistungen entfallen (88 40, 126). 6. Ueber den Begriff deS Arbeitgebers vgl. Anm. 1 zu 8 131.

8 28. Voraussetzung des Anspruchs. — § 29. Wartezeit

§.

63

28.

Voraussetzungen des Anspruchs.

Zur Erlangung eines Anspruchs auf Jnvalidenoder Altersrente ist, außer dem Nachweise der Erwerbs­ unfähigkeit beziehungsweise des gesetzlich vorgesehenen Alters, erforderlich: 1. die Zurücklegung der vorgeschriebenen Wartezeit; 2. die Leistung von Beiträgen. § 15 Ges. v. 1889; §15 b. Entw.; § 15 Ges. v. 1899. Zu

8

28.

1. Erwerbsunfähigkeit bei Invalidenrente siehe § 5 Abs. 4, § ifr Abs. 2, gesetzlich vorgeschriebenes Alter bei Altersrente siehe § 15 Abs. 3. Den Nachweis hat Derjenige zu führen, welcher den Anspruch auf Rente erhebt, unbeschadet der Verpflichtung der Versicherungsanstalt, nötigenfalls wettere Ermittelungen anzustellen (§ H2). 2. Wartezett siehe § 29; Beiträge siehe §§ 20, 27, 30, 31.

§. 29. Wartezeit.

Die Wartezeit beträgt: 1. 1. bei der Invalidenrente, wenn mindestens ein­ hundert Beitrüge auf Grund der VersicherungsPflicht geleistet worden sind, zweihundert Beitrags­ wochen, anderenfalls fünfhundert Beitragswoche»; 2. bei der Altersrente eintansendzweihundert Bei­ tragswochen.

64

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

2.

Dir sät btt freiwillige Versicherung (§♦ 14) geleisteten Beiträge kommen auf die Wartezeit für die Invaliden­ rente nur dann zur Anrechnung, wenn mindestens ein­ hundert Beiträge auf Grund eines die Versicherungs­ pflicht oder die Berechtigung zur Srlbstversicherung begrändenben Brrhültniffes geleistet worden sind. 3. Die Vorschrift des Abs. 2 findet keine Anwendung auf Beiträge, welche beit den Versicherten innerhalb der ersten vier Jahre, nachdem die Bersicherungspflicht für ihren Berusszweig in Kraft getreten ist, freiwillig ge­ leistet worden sind. § 16, § 117 Abs. 3, § 156 Abs. 4 G-s. v. 1889; § 16, § 111b Abs. 2, 3 d. Entw.; § 16 Ges. v. 1899. 3« 8 »» 1. Aenderungen durch die Novelle: a) Beseitigung de» besonderen Beitragsjahre» (von 47 Wochen) und Ersetzung desselben durch eine Summe von Beitrags­ wochen ; b) Herabsetzung der regelmäßigen Dauer der Wartezeit, und zwar bei der Invalidenrente von (5 X 47 —) 235 auf 200 Wochen, bei der Altersrente von (30 X 47 =f) 1410 auf 1200 Wochen; c) Heraufsetzung der Wartezeit bei freiwilliger Versicherung; d) Zusammenstellung der Bestimmungen Über die Wartezeit bei freiwilliger Versicherung. 2. Da» besondere Beitragsjahr des bisherigen Gesetze» war nur historisch zu erklären und hatte sachlich weder eine besondere Bedeutung noch eine besondere Berechtigung. Die Novelle hat diesen Begriff beseitigt und an dessen Stelle dasjenige gesetzt, was lediglich schon bisher dessen Inhalt war, nämlich eine Summe von Beitragswochen.

6 29. Wartezeit.

65

8. Die Unterscheidung der Zwang-versicherung und der freiwilligen Versicherung bei der Dauer der Wartezeit will verhindern, daß Jemand nur auf wenige Wochen in ein die Versicherung-pflicht oder bad Recht zur Selbstoersicherung begründendes Verhältniß nur zu dem Zweck eintritt, um dann freiwillig weiter versichern und nach relativ kurzer Dauer der BettragSzeit auch ohne Ausübung einer VersicherungsPflichtigen Beschäftigung Rentenansprüche erwerben zu können. Diese ^schwerung bei besonders ungünstigen Risiken war um so noth­ wendiger, als die freiwillige Versicherung auf der anderen Seite nach Beseitigung der Zusatzmarke und durch Fortfall der Beschränkung auf di» IL Lohnklasse erheblich begünstigt worden ist. 4» Die regelmäßige Wartezeit bet der Invalidenrente beträgt für alle unter die BerstcherungSpflicht fallenden Personen fortab 200 BeitragSwochen. Verstcherungspflichtige Personen, denen auf Grund ihrer BersicherungSpflicht 200 Marken geklebt worden sind, haben die Wartezeit ohne Weiteres erfüllt.

Alle anderen Bestimmungen des § 29 über die Wartezeit bei der Invalidenrente gelten nur für solche Personen, welche weniger als 100 Pflichtbeiträge haben, also nicht 200 Wochen hindurch eine verfichermlgSpflichtige Beschäftigung gehabt haben. Bei diesen Personen ist zu Unterscheiden:

*) flick mindestens 100 Pflichtbeiträge geleistet, so genügen wett«» 100 Marken; die Wartezeit beträgt auch hier die regednäßige Dauer von 200 Wochen; Abs. 2 und 8 deS $ 29 haben für diese Fälle keine Bedeutung; d) sind weniger als lOO Pflichtbeiträge entrichtet, so müssen zur Erfüllung der Wartezeit noch 400 Marken freiwillig bei­ gebracht werden; die Wartezeit beträgt in diesen Fällen 600 Wochen. Außerdem gilt für diese Fälle noch folgende schon in dem. Gesetz von 1889 (§ 117 Abs. 3) vorgesehene Beschränkung (K i« Abs. 2): wenn dabei die freiwillig geleisteten Beiträge überhaupt zur Anrechnung kommen sollen, so muß wenigstens ein Theil (100) der gesammten Beiträge entweder auf Grund v. Woedtke, JnvalidenversicherungSgesetz. ß

66

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

der DerstcherungSpflicht oder der Selbstverstcherung (§ 4 Abs. 1) entrichtet sein, und diese Beschränkung findet — ebensalls dem Gesetz von 1889 (§ 156 Abs. 4) entsprechend — nur während der UebergangSzeit, d. h. so lange keine Anwendung, als für den betr. Berufszweig die Versicherungspflicht noch nicht 4 Jahre hindurch bestanden hat Beispiele: A war 200 Wochen hindurch Fabrikarbeiter: er hat die Wartezett erfüllt. B war 100 Wochen hindurch Fabrikarbeiter und ließ sich dann selbständig (als Handwerker oder dergl.) nieder: er braucht, um die Wartezeit zu erfüllen, nur noch 100 weitere Marken freiwillig zu kleben. C war 50 Wochen hindurch Fabrikarbeiter und wurde dann (nichtversicherungspflichtiger) Hausgewerbetreibender: er kann die Wartezeit zwar noch erfüllen, weil ein Hausgewerbe­ treibender nach 8 14 Abs. l zum freiwilligen Eintritt in die Versicherung (Selbstversicherung) berechtigt ist, braucht aber zur Erfüllung der Wartezeit noch (600 — 50 —) 460 Marken. D war in einer Fabrik 50 Wochen Betriebsbeamter mit weniger als 2000 Gehalt, und macht sich dann lals Hand­ werker, Kaufmann oder dergl.) unter Beschäftigung von mehr als 2 Lohnarbeitern selbständig: er kann die Wartezeit durch freiwillige Beiträge nicht mehr erfüllen, da für derartige Betriebs beamte die Dersicherungspflicht bereits länger als 4 Jahre besteht, Handwerker u. s w. mit mehr als 2 Lohn­ arbeitern aber zur Selbstversicherung nicht berechtigt sind, § 14 Abs. 1 Z. 2 (vgl. Abs. 2, 3). E war 50 Wochen Hausgewerbetreibender in der Kon­ fektionsindustrie, und wird dann wie D selbständig: er kann die Wartezeit durch 450 freiwillige Beiträge noch erfüllen, da für Hausgewerbetreibende der Konfektionsindustrie bte Der­ sicherungspflicht noch nicht begründet ist (vgl. Abs 3). 6. Weitere Beschränkungen wegen Erlöschens der Anwartschaft vgl. § 46; wegen Beschränkung im Nachkleben vgl. § 146.

8

30. Beitragsleistung.

67

§. 30. Sritragslristung. Für jede Woche, in welcher der Versicherte in einem die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältnisse gestanden hat, ist ein Versicherungs­ beitrag zu entrichten (Beitragswoche). Die Beitrags­ woche beginnt mit dem Montag einer jeden Kalender­ woche. Als Beitragswochen werden, ohne daß Beitrage entrichtet zu werden brauchen, diejenigen vollen Wochen in Anrechnung gebracht, während deren Versicherte 1. behufs Erfüllung der Wehrpflicht in Friedens-, Mobilmachungs- oder Kriegszeiten zum Heere oder zur Marine eingezogen gewesen sind, 2. in Mobilmachungs- oder Kriegszeiten freiwillig militärische Dienstleistungen verrichtet haben, 3. wegen bescheinigter, mit zeitweiser Erwerbs­ unfähigkeit verbundener Krankheit an der Fort­ setzung ihrer Berufsthätigkeit verhindert gewesen sind. Diese Anrechnung erfolgt jedoch nur bei solchen Personen, welche vor den in Rede stehenden Zeiten be­ rufsmäßig eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung nicht lediglich vorübergehend aufgenommen haben. Die Dauer einer Krankheit ist nicht als Beitragszeit in Anrechnung zu bringen, wenn der Betheiligte sich

1.

2.

3.

4.

die Krankheit vorsätzlich oder bei Begehung eines durch strafgerichtliches Urtheil festgestellten Verbrechens, durch schuldhafte Betheiligung bei Schlägereien oder Rauf­ händeln oder durch Trunkfälligkeit zugezogen hat. 5. Bei Krankheiten, welche ununterbrochen länger als ein Jahr währen, kommt die über diesen Zeitraum hinausreichende Dauer der Krankheit als Beitragszeit nicht in Anrechnung. 6. Die an eine Krankheit sich anschließende Genesungs­ zeit wird der Krankheit gleich geachtet. Dasselbe gilt von einem regelmäßig verlaufenden Wochenbette für die Dauer der dadurch veranlaßten Erwerbsunfähigkeit, aber höchstens für sechs Wochen von der Entbindung an ge­ rechnet. § 19 Abs. 2 (Schluß), § 17 Ges. v. 1889; § 17 d. Entw.; § 17 Ges. v. 1899.

Zu 8 30. 1. Aenderungen durch die Novelle: a) die Bestimmung, daß als Beitragswoche die Arbeitswoche (vom Montag ab) anzusehen sei, ist in das Gesetz aufgenommen worden; b) nur volle Wochen, während deren militärische Dienst­ leistungen oder Krankheiten vorgekommen sind, sind an­ zurechnen; c) bie Ausschließung der Anrechnung solcher Krankheitswochen, welche durch geschlechtliche Ausschweifungen herbeigeführt find, ist beseitigt worden; d) Genesungszeit und Wochenbett sind der Krankheit ausdrück­ lich gleichgestellt.

8 30. Beitrag-leistung.

69

2. Die Novelle übernimmt ausdrücklich die bisherige Verab­ redung unter den verbündeten Regierungen, als Kalenderwoche die mit dem Montag beginnende Arbeitswoche anzusehen — und zwar soll dies auch bet solchen Wochen gelten, bei denen der Montag noch ein Festtag ist —, sowie die Praxis des Reichs-Versicherungsamts, die GenesungSzeit der Krankheitszeit gleich zu stellen und in Krankheits­ fällen sowie bei militärischen Dienstleistungen nur die vollen Wochen in Anrechnung zu bringen, nicht aber auch solche Wochen, in deren Mitte die Krankheit begonnen oder aufgehört hat. 3. Wegen der Militärpersonen vgl. Anm. 6 zu 8 b. Kapitulanten haben nach Erfüllung ihrer Wehrpflicht auf die hier vorgesehene Ver­ günstigung keinen Anspruch (Mot. S. 88), «eil sie einen unverschul­ deten NachtheU, der durch die Vergünstigung ausgeglichen werden soll, nicht erleiden. 4. Die in 8 30 erwähnten militärischen Dienstleistungen und be­ scheinigten Krankheiten werden insofern gleich behandelt, als deren Dauer auf die Beitragszeit in Anrechnung kommt, also zur Erfüllung der Wartezeit (6 80) sowie zur Steigerung der dereinstigen Rente und zwar in Lohnklasse II (88 36, 40) dient, während gleichwohl Beiträge für diese Zeit nicht zu entrichten sind. Bei der Deckung der hieraus entstehenden Ausfälle an Beiträgen aber wird verschieden ver­ fahren; für Ausfälle der ersteren Art kommt das Reich auf, indem es einen entsprechenden Theil der Rente übernimmt (88 40 Abs. 2, 126), für Ausfälle der letzteren Art die Gesammtheit der Versicherten, indem die regelmäßigen Beiträge der Gesunden um einen entsprechenden Be­ trag erhöht sind und die Rentensteigerungen in Folge von Krankheits­ wochen zum Gemeinvermögen gerechnet werden (8 33 Abs. 2). 6. Während der Krankheitsdauer sind Beiträge nicht zu ent­ richten, auch wenn während der Krankheit der Lohn weitergezahlt wird (A.N. 1894 S. 92). 6. Die Beseitigung der Ausnahmestellung solcher Krankheiten, welche durch „geschlechtliche Ausschweifungen" hervorgerufen sind, für den Geltungsbereich dieses Gesetzes (d. h. die Dauer solcher Krankheiten gUt wie bei andern Krankheiten als Beitrag-dauer, steigert also den Rentenanspruch, auch ohne daß Beiträge für die Krankheitsdauer ent-

richtet werden) ist vom Plenum des Reichstags bei der zweiten Lesung beschlofien worden. 7. Die Berücksichtigung des Wochenbetts entspricht den Be­ stimmungen deS g 137 der Gewerbeordnung. Gestaltet sich das Wochenbett zu einer Krankheit, so finden die Bestimmungen im Abs. 2 Ziffer 3 ohne Weiteres Anwendung.

§. 31. 1. Zum Nachweis einer Krankheit (§. 30) genügt die Bescheinigung des Vorstandes derjenigen Krankenkasse (§. 166) beziehungsweise derjenigen eingeschriebenen oder auf Grund landesrechtlicher Vorschriften er­ richteten Hülfskaffe, welcher der Versicherte angehört hat, für diejenige Zeit aber, welche über die Dauer der von den betreffenden Kaffen zu gewährenden Kranken­ unterstützung hinausreicht, sowie für diejenigen Personen, welche einer derartigen Kaffe nicht angehört haben, die Bescheinigung der Gemeindebehörde. Die Kaffenvorstände sind verpflichtet, diese Bescheinigungen den Versicherten sofort nach Beendigung der Krankenunterstützung oder der Fürsorge während der Genesungszeit von Amttzoegen aus­ zustellen und können hierzu von der Aufsichtsbehörde durch Geldstrafe bis zu einhundert Mark angehalten werden. 2. Für die in Reichs- und Staatsbetrieben beschäftigten Personen können die vorstehend bezeichneten Be­ scheinigungen durch die vorgesetzte Dienstbehörde aus­ gestellt werden. Für diese Fälle ist die Krankenkasse

durch die Aufsichtsbehörde von der Ausstellungspflicht zu entbinden. Der Nachweis geleisteter Militärdienste erfolgt 3. durch Vorlegung der Militärpapiere. § 18 Ges. v. 1889; § 18 d. Entw.; § 18 Ges. v. 1899.

Zu 8 31. 1. Aenderungen durch die Novelle: Klarstellung, daß die Kassen oie Krankheitsbescheinigungen alsbald von AmtSwegen auszustellen haben und in Fällen deS Abs. 2 von der Ausstellungspflicht zu entbinden sind. 2. Vgl. über die Ausstellung von Krankheitsbescheinigungen die Preuß. Ausf.-Anw. o. 20./2. 90. Krankheitsbescheinigungen der in Abs. l und 2 bezeichneten Art „genügen", müssen also als ausreichend an­ genommen werden; zulässig dagegen sind auch anderweite Nach­ weise, nur ist deren Richtigkeit und Zuverlässigkeit besonders zu prüfen.

§. 32. Höhe -er LrttrLge. Die für die Beitragswoche zu entrichtenden Bei- 1. träge werden nach Lohnklassen (§. 34) tm voraus auf bestimmte Zeiträume, und zwar zunächst für die Zeit bis zum 31. Dezember 1910, demnächst für je zehn weitere Jahre durch den Bundesrath einheitlich festgesetzt. Die Beiträge sind so zu bemessen, daß durch die- 2. selben gedeckt werden die Kapitalwerthe der den Ver­ sicherungsanstalten zur Last fallenden Beträge der

Renten, die Beitragserstattungen und die sonstige» Auf­ wendungen der Versicherungsanstalten.

In de» verschiedenen Lohnklassen sind die Beiträge und lediglich nach der durchschnittlichen Höhe der in denselben von den Versicherungsanstalten zu gewährenden Renten abzustufen. Bor Ablauf der im Abs. 1 bestimmte» Zeiträume hat das Reichs-Versicherungsamt dir Znlänglichkeit der Beiträge zu Prüfen. Dabei sind Fehlbeträge oder Ueberschüsse, welche sich aus der Erhebung der bis­ für die einzelnen Versicherten gleich zu bemessen

herigen Beiträge herausgestellt haben, in der Weise zu berücksichtigen, daß durch die neuen Beiträge unter Beachtung der Wirkungen des §. 125 eine Ausgleichung eintritt.

Bis zur Festsetzung eines anderen Beitrags sind in jeder Versicherungsanstalt an wöchentlichen Beiträgen zu erheben:

in Lohnklasse

»

m

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I II III IV V

. . . . .

. . . . . . . . . .

14 Pfennig, 20 . 24 . 30 36 „ .

Eine anderweite Festsetzung der Beiträge bedarf der Zustimmung des Reichstags. Abs. 1: §20 Abs. 1 Ges.b. 1889; §20Abs. 1 d. Entw.; § 20 Abs. 1 Ges. v. 1899.

8 32. Höhe der Beiträge.

73

Abs. 2: tz20Abs.2Ges.v. 1889; §2OAbs.2Ges.v.l899. Abs. 3: §24 Ges. v. 1889; § 20 Abs. 2 d. Entw.; § 20 Abs. 3 Ges. v. 1899. Abs. 4: §97 Ges. v. 1889; § 20 Abs. 4 b. Entw.; §20 Abs. 4 Ges. v. 1899. Abs. 5; § 96 Ges. V. 1889; § 20 Abs. 3 d. Entw.; § 20 Abs. 5 Ges. v. 1899. Abs. 6: §20 Abs. 6 Ges. v. 1899. Der § 19 Ges. v. 1889 ist fortgefallen.

Zu 8 3». l. Aenderungen durch die Novelle: ft) die Beiträge sind für alle Versicherungsanstalten ein­ heitlich aus bestimmte Zeiträume festzusetzen; die Festsetzung liegt dem BundeSrath ob, doch bedarf eine Veränderung der geltenden Sätze der Zustimmung des Reichstag»; b) die Beiträge belaufen sich auch bi» auf Weiteres aus die bisher für die ersten Jahre festgesetzten Beträge; c) das Kapiialdeckungsverfahren nach Perioden, wie es aus Grund des Reichstagsbeschlusses von 1889 für das bisherige Gesetz bestand, ist in das Prämiensystem verwandelt worden; d) die Zulassung von Gefahrenklaffen innerhalb der einzelnen Lohnklassen ist beseitigt; innerhalb der einzelnen Lohnklaffen ist bei Bemeffung der Beiträge nur die Durchschnittshöhe der Renten dieser Lohnklaffe, nicht aber etwa auch da- besondere Lebensalter der dieser Lohnklaffe angehörenden Versicherten in Betracht zu ziehen; e) der besondere Reservefonds der Versicherungsanstalten ist fortgefallen; 0 eine fünfte Lohnklasse ist eingerichtet.

74

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

2. Das Gesetz von 1889 hatte auf Beschluß deS Reichstags das Kapitaldeckungsverfahren nach Perioden eingeführt. Danach war durch im Voraus berechnete Beiträge zwar auch der Kapital­ werth der Renten aufzubringen, aber nur derjenigen Renten, die innerhalb einer bestimmten Reihe von Jahren (Beittagsperiode) zu erwarten waren, während nach deren Ablauf die Beiträge für die Renten der nächsten Periode von Neuem zu berechnen gewesen wären. Da die Renten mit der Dauer der Versicherung wachsen, auch Bei­ tragserstattungen hinzutteten, so war hierbei — sofern nicht etwa der Beitrag der ersten Periode zu hoch bemessen war — eine dauernde wenn auch nicht sehr erhebliche Steigerung der Beiträge in den späteren Jahren zu erwarten; diese Steigerung war im Durchschnitt aller Lohnklasien bis zum Eintritt des Beharrungszustandes, also nach etwa 70 Jahren, auf 2/3 der jetzigen Beiträge geschätzt worden. Bei der Durchführung des Gesetzes hatte sich mm gezeigt, daß die Beiträge für die erste Periode, sofern dadurch nur die Lasten dieser einzigen Periode bestritten werden müßten, im Reichsdurchschnitt zu hoch berechnet waren: bei den mangelhaften thatsächlichen Unter­ lagen, die damals verfügbar waren, und ber dem Bestreben und dem Drängen, zur Erzielung thunlichfter Sicherheit immer die ungünstigsten Momente in die Rechnung einzustellen (hatte man 1889 im Reichstag doch bis zuletzt behauptet, die damaligen Rechnungen seien noch immer nicht sicher genug und man würde mit den berechneten Beiträgen die Lasten der ersten Periode nicht annähernd decken können!) war die Jnvaliditätswahrscheinlichkeit überschätzt und die Sterblichkeit der Invaliden unterschätzt worden. So ergab sich denn als Resultat, daß tm Durchschnitt des Reichs die damals berechneten Bei­ trägedauerndausreichen, um die Lasten der Versicherung dauernd zu decken. Dann aber stellen diese Beiträge, ohne daß deren Erhöhung für einzelne Perioden erforderlich wäre, die dauernd gleiche Prämiedar. Unter Beibehaltung des Kapitaldeckungsverfahrens nach Perioden die bisherrgen Beiträge zeitweise herunterzusetzen, um sie in späteren Perioden wieder hinauszusetzen, ergab sich als offenbar unzweck­ mäßig und man konnte daher auch im Gesetz unter Beibehaltung der bis­ herigen Beiträge leicht zu betn bei den privaten Versicherungsanstalten

z 32. Höhe der Beitrüge.

75

von jeher üblichen Prämiensystem übergehen, wobei jedoch hier, ab­ weichend von der Berechnungsweise der Privatanstallen, die Gesammt­ heit der Verficherten und nicht die Versicherten einer jeden Altersstufe für sich die Kapitaldeckung des Rentenbedarfs aller Zeilen durch ihre gleich­ bleibenden Beiträge aufbringen — Prämiendurchschnittsverfahren —. (Bei dem Umlageoerfahren, wie es in der Unfallversicherung die Regel bildet, wäre nicht der Kapitalwerth der entstehenden Renten, sondern jährlich nur der Jahresbetrag ihrer einzelnen Raten aufzubringen; da die Zahl der jährlich zugehenden Renten erheblich größer ist als die Zahl der jährlich ausscheidenden Renten, überdies spätere Renten wegen der Steigerung nach der Beitragsdauer sehr viel höher sein werden, so würde bei diesem Verfahren eine schnelle und sehr erhebliche Steigerung (bis etwa zum 10,8fachen Betrag) und eine Ueberlastung der Zukunft zu Gunsten der Gegenwart sich ergeben haben, welche insbesondere für die Beiträge der Versicherten noth­ wendig vermieden werden mußte.) Die im § 32 Abs. 1 bezeichneten Zeitabschnitte haben daher jetzt eine andere Bedeutung wie früher: jetzt handelt es sich nur um gelegentliche, zu bestimmten Zeiten vorzunehmende Revisionen und Berichtigungen auf der bisherigen Rechnungsgrundlage; früher dagegen handelte es sich bei den einzelnen Perioden um Neuberechnungen auf z. Th. neuer Grundlage, soweit nämlich die neue Zahl und die neue Höhe der in der neuen Periode zu erwartenden Renten in Betracht kam. 3. Früher mußte jede Versicherungsanstalt, sobald die erste Periode vorbei war, und durfte auch innerhalb der ersten Periode ihre Beiträge selbständig festsetzen (§§ 97, 98 Ges. v. 1889). Man war dabei von der Annahme ausgegangen, daß die Durchschnittszahlen für das Reich, auf denen die für die erste Periode berechneten Beiträge beruhten und mangels Erfahrungen über die Verhältnisse in den einzelnen Theilen des Reichs nur beruhen konnten, int Wesentlichen auch für die einzelnen örtlichen Theile des Reichs zutreffen würden; erhebliche Verschiedenheiten glaubte man also im Allg. nicht erwarten zu brauchen und nahm an, daß nur etwa das Verhältniß der Beiträge der einzelnen Lohnklassen zu einander sich in den einzelnen Anstalten etwas verschieben würde.

76

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Diese Annahme Hai sich alS unrichtig erwiesen; die einschlagenden Verhältnisse liegen in den einzelnen Theilen de» Reich» völlig ver­ schieden. Insbesondere hat sich seit 1890 der Zug von Osten nach Westen und der Zug in die großen Städte und Industriezentren so verstärkt, daß in den landwirthschaftlichen Provinzen, insbesondere in Ostpreußen, die kräftigen und jungen Leute überwiegend abnehmen, die Zahl der alten und schwachen Versicherten aber wächst, während in Berlin und den Hansestädten sowie am Rhein da» Umgekehrte zutrifft. Demgemäß hatten die Anstalten für die letzten Bezirke eine erheblich geringere Belastung durch Renten wie die Anstalten für die ersteren Bezirke; Ostpreußen hätte in der nächsten Periode seine Bei­ träge auf das 2V, fache erhöhen müffen, während Berlin in der nächsten Periode gar keine Beittäge hätte zu erheben brauchen, um die entstandenen und neu entstehenden Lasten zu decken. Die» hätte zu einer weiteren Verschiebung der Bevölkerung zu Ungunsten der ärmeren Theile des Reichs führen müffen und widerspräche auch dem Charakter der Invalidenversicherung als eine für alle Deutschen ein­ heitlichen Reichseinrichtung. Die Novelle bestimmt daher, daß fortab die Beiträge für alle Versicherungsanstalten einheitlich imb zwar durch den Bundesrath festzustellen find, und daß die Lasten sämmtlicher Anstalten, soweit sie nicht von der Zahl und Höhe der Einzel­ beiträge abhängen, gemeinsam getragen werden. Erstere Bestimmung findet sich im § 32, letztere in den Vorschriften de» § 33 über die Bildung eines Gemeinvermögens und einer aus demselben zu deckenden Gemeinlast. 4. Der besondere Reservefonds, den die Versicherungsanstalten nach 8 21 des bisherigen Gesetzes ansammeln mußten, ist entbehrlich, weil die bei dem Prämiensystem angesammelten Prämienreserven auch für Ausfälle in Nothzeiten genügend Deckung bieten. Die al» Re­ servefonds angesammelten Bettäge sind also dem übrigen Vermögen der Versicherungsanstalten lediglich zuzuschlagen. 5. Die fortab bis auf Weitere» dauernd zu erhebenden Beiträge decken sich in ihrer Höhe mit den bisherigen, für die ersten 10 Jahre berechneten Beiträgen.

8 88. Gemetnlafi. Tonderlaft.

77

6. Die hier berechneten Beiträge gelten für Arbeitgeber (vgl. Anm. zu § 131) und Arbeitnehmer zusammen; auf jeden derselben entfällt die Hälfte, da der Arbeitgeber die Hälfte deS vor­ geschossenen Beitrage- vom Arbeitnehmer wieder einziehen darf, 8 1*2. Jeder Arbeitgeber zahlt also für den Kopf feiner Arbeiter, sowie jeder Arbeiter für sich selbst wöchentlich einen Betrag von 7, 10, 12, 16, 18 Pf., je nachdem der Versicherte zur I., II., DI., IV. oder V. Lohnklasse gehört oder in derselben versichert wird. Der Beitrag für den Arbeitgeber einerseits und den Arbeiter andererseits beträgt hiernach in der ersten Lohnklaffe nur je einen Pfennig, in der vierten Lohnklaffe wenig mehr als je zwei Pfennig täglich. 7. Die im Abs. 6 bezeichneten Beiträge sind auch für die zugelaffenen besonderen Kasseneinrichtungen maßgebend, soweit eS sich um die Feststellung der dem Gemeinvermögen zufließenden Beitrags­ einnahmen und um die Bertheilung der Altersrente handelt, § 174.

§•

33.

Grmeinlast. Sonderlast. Jede Versicherungsanstalt verwaltet ihre Einnahme» 1. und ihr Vermögen (Gemeinvermögen und Sondervermöge») selbständig. Ans denselben sind die von allen Versichernngsträgern gemeinsam auszubringende Last (Gemeiulast) und die den einzelnen Verstcherungstriigern verbleibende besondere Last (Sonderlast) zu decke«. Die Gemeinlast wird gebildet durch drei Viertel 2. sämmllicher Altersrenten, die Grundbeträge aller Invalidenrente», die Rentensteigerungen in Folge von Krankheilswochen (§. 40 Abs. 1) und die Renten­ abrundungen (§. 38). Alle übrigen Verpflichtungen bilden die Sonderlast der Versicherungsanstalt.

Zur Deckung der Gemeinlast werden in jeder Ver­ sicherungsanstalt vom 1. Januar 1900 ab vier Zehntel der Beiträge buchmäßig ausgeschieden sGemeinvermögen). Dem Gemeinvermögen sind für seinen buchmäßigen Be­ stand von der Versicherungsanstalt Zinsen gutzuschreiben. Ten Zinsfuß bestimmt der Bundesrath für die im §. 32 Abs. 1 bestimmte» Zeiträume einheitlich für alle Ver­ sicherungsanstalten. Ergiebt sich bei Ablauf der im §. 32 Abs. 1 be­ zeichneten Zeiträume, daß das Gemeinvermögen zur Deckung der Gemeinlast nicht ausreicht oder nicht er­ forderlich ist, so hat der Bundesrath für den nächst­ folgenden Zeitraum über die Höhe des für das Gemeinvermögen buchmäßig auszuscheidenden Theiles der Beiträge zwecks Ausgleichung der entstandenen Fehlbeträge oder Ueberschüsse zu beschließen. Eine Erhöhung des für das Gemeinvermöge» buch­ mäßig auszuscheidenden Theiles der Beiträge bedarf der Zustimmung des Reichstags. Das am 31. Dezember 1899 angesammelte gelammte Vermögen der Versicherungsanstalten und weiter das bei Ablauf der im §. 32 Abs. 1 bezeichneten Zeiträume an­ gesammelte Vermögen der Versicherungsanstalten, soweit es nicht buchmäßig für die Gemeinlast ausgeschieden ist, darf zur Deckung der Gemrinlast nicht herangezogen werden. §§ 20a, 21a d. Entw.; § 20a Ges. v. 1899.

8 33. (Semeinlaß.

Sonderlast.

79

Zu 8 33. 1. Vgl. Anm. 3 zu 8 32. 2. Mot. z. Nov- S. 228: „Die ©efammtlaft aller Versicherungs­ träger wird in eine Gemeinlast und in eine Sonderlast der einzelnen Träger getheilt. Der Gemeinlast werden im Allg. diejenigen Leistungen zugewiesen, die von der Dauer der Beitrags­ leistung unabhängig sind und in voller Höhe gewährt werden müssen, sobald die besonderen Voraussetzungen beS Anspruchs erfüllt find; als Sonderlast jeder Anstalt werden die übrigen, von dem Umfang der Beitragsleistung abhängigen oder arbiträren Leistungen der einzelnen Träger behandelt." „Im Einzelnen bilden die Gemeinlast: 1. die Aufwendungen für den Gr und betrag (cf. § 36 Abs. 2) der laufenden und der künftig entstehenden Invalidenrenten; 2. die gesammten laufenden und künftig entstehenden Alters­ renten" .... (Durch den Reichstag find unter Abweichung von dem im Uebrigen aufrecht erhaltenen Grundsatz nur 3/4 der Altersrenten in die Gemeinlast und V4 derselben in die Sonderlast jedes Trägers gewiesen worden) „Hierneben sollen zur Herbeiführung geschäftlicher Erleichterungen auch die nach (§ 38 b) in Betracht kommenden geringfügigen Ab­ rundungsbeträge der Invalidenrenten sowie die für Krankheitswochen in Ansatz kommenden Steigerungsbeträge der Invalidenrenten, die schon nach den geltenden Bestimmungen von allen Anstalten gemeinsam getragen werden, aus dem Gemeinvermögen gedeckt werden." „Die Sonder last jedes einzelnen Trägers der Versicherung da­ gegen bilden die von der Beitragsleistung abhängigen Steigerungen der Invalidenrenten sowie die gesummten übrigen Aufwendungen (Bei­ tragserstattungen, Kosten des Heilverfahrens, Verwaltungskosten u. s w.)" sowie nach den Beschlüssen des Reichstags */4 der Altersrenten. 3. Nach dem Wortlaut und den Verhandlungen ist es unzweifelhaft, daß alle vom Inkrafttreten des Gesetzes am i. Januar leoo ab zu zahlenden Rentenbeträge, mögen die Renten bisherber

80

I. Umfang und Gegenstand der Verficherung.

willigt sein und noch laufen, oder mögen die Renten später bewilligt werden, von der in Abs. 2 bezeichneten Theilung betroffen werden. 4. Nach der Regierungsvorlage sollten, um die in der Vorlage vorgesehenen höheren Gruydbeträge der Invalidenrenten und die Altersrenten -u decken, von dem bisher angesammelten Vermögen und den künftigen Beiträgen 60 Prozent zur Gemeinlast, 40 Prozent zur Sonderlast fließen. In Folge der Beschlüfle der Reichstags« kommission, wonach die in der Vorlage vorgesehenen Grundbeträge der Invalidenrenten wesentlich (im Durchschn. 28%) herabgesetzt, die dem Sondervermögen verbleibenden Stelgerungsbeträge dagegen wesentlich erhöht worden waren, auch von den Altersrenten ein Theil zur Sonderlast gewiesen worden war, war die Gesammtleistung der Gemeinlast wesentlich vermindert worden; es konnte deshalb ohne Ausgeben des für die Theilung maßgebenden Grundsatzes ein andereTheilung-verhältniß und dessen Beschränkung auf die künftigen Bei­ träge nachgelaflen und auf die Heranziehung auch des bereits angesammelten Vermögen- (welches bei rund 13 Milliarden Gesammteffekt der Versicherung am l. Januar 1900 kaum % Milliarden aus­ macht, also einen nur geringen Theil der Gesammtbelastung deckt, vgl. die dem Komm-Ber. z. Nov. als Anlage beigefügten Unter­ suchungen deS Regierungsrath Dr. Beckmann, Komm.-Ber. z. Nov. S. 196) überhaupt verzichtet werden. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen wurde auf diesen neuen Grundlagen regierungsseitig ein Theilungsverhältniß von 45:66, also eine Ueberweisung von 46 Prozent der künftigen Beiträge zur Gemeinlast, beansprucht. Die ReichStagskommisston hat aber da- Verhältniß auf nur 40 : 60 festgesetzt, weil voraussichtlich höhere Zinsen, als in der Berechnung vorsichtigerweise angenommen seien, und nicht unerhebliche Ersparungen erzielt werden würden. (Vgl. Komm.-Ber. z. Nov. S. 76, 78, 79, sowie die dem­ selben als Anlage beigefügten Untersuchungen de- Regierungsrath Dr. Beckmann, a. a O. S. 196, 203.) Es bleibt abzuwarten, ob die weiterhin zu machenden Erfahrungen ein Auskommen mit 40 Prozent bei der Gemetnlast ermöglichen werden. 6. Der § 33a gilt auch für die zugelassenen besonderen Kassen­ einrichtungen, 8 173.

§ 34.

81

Lohntagen.

§. 34.

Lohnklaffen. Nach der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes werden 1. für die Versicherten folgende Lohnklassen gebildet: Klaffe

I bis zu 350 Mark einschließlich,



II von mehr als 350 bis zu 550 Mark,



III von mehr als 550 bis zu 850 Mark,



IV von mehr als 850 bis zu 1150 Mark,

» V von mehr als 1150Mark. Für die Zugehörigkeit der Versicherten zu den Lohnklasien ist mit den aus den nachfolgenden Bestimmungen sich ergebenden Abweichungen nicht die Höhe des that­ sächlichen Jahresarbeitsverdienstes, sondern ein Durch­ schnittsbetrag maßgebend. Im Einzelnen gilt als Jahresarbeitsverdienst:

2.

1. für Mitglieder einer Orts-, Betriebs- (Fabrik-), Bau- oder Innungs-Krankenkasse der dreihundert­ fache Betrag des für ihre Krankenkassenbeiträge maßgebenden durchschnittlichen Tagelohns be­ ziehungsweis e wirklichen Arbeitsverdienstes (§§.20, 26 a Abs. 2 Ziffer 6 des Krankenversicherungs­ gesetzes); 2. für die in der Land- und Forstwirthschaft be­ schäftigten Personen, soweit sie nicht einer unter Ziffer 1 bezeichneten Krankenkaffe angehören, ein Betrag, der für sie von der höheren Verwaltungs­ behörde unter Berücksichtigung des §. 3 als durchv. Woedtke, Jnvalidenverficherungsgesetz.

6

schnittlicher Jahresarbeitsverdienst festzusetzen ist; bei Betriebsbeamten wird jedoch der für jeden von ihnen nach §. 3 des Gesetzes vom 5 Mai 1886 (Reichs-Gesetzbl. S. 132) maßgebende JahresarbeitSverdienst zu Grunde gelegt; 3. für die auf Grund des See-Unfallveraicherungsgesetzes versicherten Seeleute, mit Aus­ nahme der in Schlepper- und Leichter­ betrieben beschäftigten Personen, der

Durchschnittsbetrag des Jabresarbeitsverdienstes, welcher gemäß §. 10 a. a. O. vom Reichskanzler festgefetzt worden ist; 4. für Mitglieder einer Knappschaftskasse der dreihundertfache Betrag des von dem Kassenvorstande festzusetzenden durchschnittlichen täglichen Arbeits­ verdienstes derjenigen Klasse von Arbeitern, welcher der Versicherte angehört, jedoch nicht weniger als der dreihundertfache Betrag des ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher Tage­ arbeiter des Beschäftigungsorts (§. 8 des Krankenverstcherungsgesetzeß); 5. im Uebrigen der dreihundertfache Betrag des orts­ üblichen Tagelohns gewöhnlicher Tagearbeiter des Beschäftigungsorts(tz. 8 des Krankenversicherungs­ gesetzes), soweit nicht für einzelne Berufszweige von der höheren Verwaltungsbehörde ein anderer Jahresarbeitsverdienst festgesetzt wird.

Lehrer und Erzieher gehören, soweit nicht ein Jahres­ arbeitsverdienst von mehr als 1150 Mark nachgewiesen wird, zur vierten Klaffe. Sofern im voraus für Wochen, Monate, Vierteljahre 3. oder Jahre eine feste baare Vergütung vereinbart und diese höher ist, als der nach Abs. 2 für den Versicherten maßgebende Durchschnittsbetrag, so ist diese Vergütung z« Grunde zu legen. Der Versicherte kann die Versicherung in einer höheren 4. als derjenige» Lohnklaffe, welche »ach den vorstehende» Bestimmungen für ihn maßgebend sein würde, beanspruchen. In diesen Fällen ist jedoch der auf den Arbeitgeber entfallende Theil -es Beitrags, sofern nicht die Verstchernng in der höheren Lohnklaffe von dem Arbeitgeber »nd dem Versicherten vereinbart ist, nicht nach der höhere», sondern »ach der für den Versicherten maß­ gebenden Lohnklaffe zu bemessen. Die Landes-Zentralbehörde kann anordnen, daß die 5. nach Abs. 2 für die einzelnen Orte maßgebenden Lohn­ klaffen «nd Beiträge (§. 32) sowie die Klaffen von Versicherten, welche an dem betreffenden Orte in die einzelnen Lohnklassen entfallen, von der Versicherungs­ anstalt in jedem Orte ihres Bezirkes bekannt zu machen sind. § 22 Ges. v. 1889; § 22 d. Entw.; § 22 Ges. v. 1899. Der § 21 Ges. v. 1889 und der. § 21a d. Entw. sind fortgefallen.

84

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Zu 8 34» 1. Aenderungen durch bi& Novelle: a) Zufügung einer neuen (V.) Lohnklasse (Abs. l Satz 1); b) Betonung, daß als Regel nicht der Jndividualverdienst, sondern ein für Klassen festgesetzter Durchschnittsverdienst maßgebend ist (Abs. l Satz 2); ausnahmsweise soll jedoch dann der Jndividualverdrenst entscheiden, wenn dessen six ir te r Baarbetrag höher ist, als der Durchschnittslohn der für den Versicherten maßgebenden Lohnklasse (Abs. 3); c) Zulassung von Abstufungen unter solchen Versicherten, für welche nach der gesetzlichen Regel der ortsübliche Tagelohn maßgebend ist (Abs. 2 Satz l Ziffer 6); d) Zuweisung der Lehrer und Erzieher in die Lohnklasse IV (Abs. 2 Satz 21; e) stärkere Betonung und anderweite Ausgestaltung der clausula Wichmann (Abs. 4); f) Vorschriften über die Bekanntmachung der Lohnklaflen (Abs. 6). 2. Da» Gesetz hat Lohnklassen eingeführt, in denen der Beitrag und die dereinstige Rente verschieden hoch sind. (Die anfänglich beabsichtigt gewesene Einheitsrente mit Einheitsbeitrag hat man schon 1889 fallen lassen müssen.) Für die Einreihung des Versicherten in die Lohnklassen ist im Allgemeinen nicht deren Jndividuallohn entscheidend, sondern als Regel der örtliche DurchschntttSjahreSlohn derjenigen Kategorie von Arbeitern, zu welcher der betr. Versicherte gehört (Abs. 2). Oertliche Bekanntmachungen gemäß Abs. 5 werden die Beurtheilung, in welche Klassen die einzelnen Ver­ sicherten entfallen, erleichtern. In einzelnen Fällen wird aber aus­ nahmsweise der Jndividuallohn maßgebend sein, nämlich a) für landwirthschaftliche Betriebsbeamte und (mit der Be­ schränkung auf 4 Mk. täglich) für Mitglieder solcher ZwangSkassen, in denen er nach Vorschrift des Statuts die Grundlage für die Berechnung der Krankenkassenbeiträge und des Kranken­ geldes bildet, vgl. $ 26 a Abs. 2 Ziffer 6 K.V.G.; b) nach der Novelle ferner für alle Versicherten dann, soweit sie

g 34. Lohnklaffen.

85

(mindestens für Wochen) fixirte Baarbezüge erhalten und diese BaarbezÜge (ohne Rücksicht auf nebenher etwa noch gewährte Naturalbezüge, Tantiemen rc. und deren Geld­ werth) höher sind alS der Durchschnittsbetrag der Lohn­ klaffe, in die der betr. Versicherte an sich fällt (Abs. 3). Freiwillig kann der Versicherte aber in einer höheren Lohnllaffe sich versichern. Während hierzu früher daS Einverständniß zwischen Arbeitgebern und Versicherten nöthig war und dann auch die Beiträge der höheren Klaffe je zur Hälfte getragen werden mußten (clausula Wichmann), bedarf eS dieses Einverständnisses fortab nicht mehr; jeder Versicherte kann die Einklebung höherer Marken be­ anspruchen, trägt dann aber den Mehrbetrag allein, wenn nicht der Arbeitgeber freiwillig zur antheiligen Uebernahme auch dieses Mehrbetrages sich bereit findet (Abs. 4). Wegen zeitlicher Beschränkung der Höherversicherung vgl. § 146. 3. Auf tägliche Löhne berechnet, umfaßt Lohnklaffe I einen Tage­ lohn biS ju 1,16 M.; Lohnklaffe II: 1,17 bis 1,83 M.; Lohnklasse III: 1,84 bis 2,83 M ; Lohnklaffe IV: 2,83 bis 3,83 M ; Lohnklaffe V: mehr als 3,83 M. 4. Die maßgebenden Durchschnittslühne schließen sich im Allgemeinen an die für die Krankenversicherung geltenden Sätze an, müssen aber für land- und forstwirthschaftliche Arbeiter unter Berücksichtigung des Nutzungswerthes ihrer Naturalbezüge (8 3) besonders festgesetzt werden. Diese Festsetzung wird thatsächlich wohl überall mit der für die landund forstwirthschaftliche Unfallversicherung geltenden Festsetzung (8 6 Ges. v. 6. Mai 1886, R.G.Bl. S. 132) zusammenfallen, ebenso kann sie mit dem ortsüblichen Tagelohn gewöhnlicher Tagearbeiter des betr. Beschästigungsorts (88K.V G.) sich decken, doch ist beides nicht erforderlich. 6. Für alle versicherungspflichtigen Personen, welche weder Mit­ glieder einer Orts-, Betriebs- (Fabrik-), Bau- oder JnnungS-Krankenkaffe (Ziffer l), noch land- und forstwirthschaftliche Arbeiter oder Be­ triebsbeamte (Ziffer 2), noch Seeleute in anderen als Schlepper- und Leichterbetrieben (Ziffer 3), noch Mitglieder einer Knappschastskaffe (Ziffer 4), sind, gilt obligatorisch (Ziffer 6) der 300fache Betrag des ortsüblichen Tagelohns gewöhnlicher männlicher bezw. weib-

86

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

licher Tagearbeiter des Beschäftigungsorts, sofern nicht freiwillig höher versichert wird (vgl. Anm. 2) und sofern nicht von der höheren Ver­ waltungsbehörde für einzelne Berufszweige andere Sätze festgestellt werden (Schluß der Ziffer 6 in Abs. l). 6. Die Fassung des Abs 2 Ziffer 3 ist durch § 161 de- See-Unfallver­ sicherungsgesetzes in der Fasiung der Bek v. 5. Juli 1900 (Reichs-Gesetzbl. S. 573) in der im Text angegebenen Weise anderweit redigirt worden.

§. 35. vrrrchrmng Luc Ktntat. Die Renten werden nach den Lohaklassen (§. 34) und nach Jahresbetragen berechnet. Sie bestehen aus einem, in der Höhe verschiedenen Betrage, welcher, vor­ behaltlich der Vorschrift des §. 40 Abs. 2, von den Versicherungsanstalten aufzubringen ist, und aus einem festen Zuschuffe des Reichs, der für jede Rente jährlich fünfzig Mark beträgt. § 25, § 26 Abs. 3 Ges. v. 1889; § 25 d. Entw.; § 25 Ges. v. 1899. Z« 8 36. Die Aenderungen der Novelle sind nur redaktioneller Art und bringen insbesondere zum Ausdruck, daß die Renten nicht bloß von der einzelnen sie festsetzenden Versicherungsanstalt, sonderst von „den Versicherungsanstalten", also von der Gesammtheit der Versicherungs­ träger aufzubringen sind. Die §§ 23 und 24 des Ges. von 1889 sind festgehalten.

1.

§. 36. Die Berechnung des von den Versicherungsanstalten aufzubringenden Theiles der Invalidenrenten erfolgt in der Weise, daß einem Grnndbetrage die der Zahl

der Beitragswochen entsprechenden Steigerungssätze hinzu­ gerechnet werden. Der Grunddetrag betaust sich: 2. f#t die Lohuklaffe

.

auf







II

.

.





70









III

.

.

.

80

.

I

60 Mark.







IV

.

.

.

90

.







V

.

.

.100

.

.

Der Berechnung des Grundbetrags der Invaliden­ rente werden stets fünfhundert Beitragswochen zu Grunde gelegt. Sind weniger als sünfhundert Beitragswochen nachgewiesen, so werden für die fehlenden Wochen Beittäge der Lohnklaffe I in Ansah gebracht; sind mehr als sünfhundert Beitragswochen nachgewiesen, so sind stets die fünfhundert Beiträge der höchsten Lohnklaffen zu Grunde zu legen. Kommen für diese fünfhundert Wochen verschiedene Lohnklaffen in Betracht, so wird als Grund­ betrag der Durchschnitt der diesen Beitragswochen ent­ sprechenden Grundbeträge in Ansatz gebracht. Der Steigerungssatz betragt für jede Beitragswoche: 4. in der Lohnklasse I . . 3 Pfennig, II III IV V

6

8 10 12

Für die Beitragswoche kann nur ein Steigerungssah 5. in Anrechnung gebracht werden. Sind mehr Beitrags­ marken verwendet, als hiernach Beitragswochen in An-

88

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

rechnung gebracht werden dürfen, und können die zu Unrecht beigebrachten Marken nicht mehr ermittelt werden, so sind die Beiträge durch Ausscheidung der für die niedrigeren Lohnklassen entrichteten Marken bis auf die zulässige Höchstzahl zu mindern. § 26 Abs. 1, § 117 Abs. 2 Ges. v. 1889; § 26 Abs. 1 bis 5 d. Entw.; § 26 Ges. v. 1899.

Zu 8 36. 1. Aenderungen durch die Novelle: a) Abstufung des bisher für alle Lohnklassen einheitlichen GrundbetrageS von 60 Mark nach den verschiedenen Lohnklassen; b) Erhöhung des Steigerungsfatzes in Lohnklasse I, Ermäßigung desselben in Lohnklaffen III und IV; c) Ausführung des Grundsatzes, daß für jede Beitragswoche nur ein Steigerungssatz in Anrechnung gebracht werden darf (Abs. 6). 2. Die Bestimmung über die Höhe des Reichszuschusses (früher § 26 Abs. 3) steht jetzt in § 35; die Bestimmung über die Höhe der Altersrente (früher § 26 Abs. 2) steht jetzt in § 37. 3. Die Abstufung des festen Grundbetrags ermöglicht eine er­ hebliche Erhöhung der Renten. Die Heruntersetzung der Steigerungs­ beträge ergab sich bei Lohnklasse III (von 9 auf 8 Pf) aus der Noth­ wendigkeit, die jetzigen Beiträge der Lohnklaffe nicht zu erhöhen, bei Lohnklasse IV (von 13 auf io Pf.) zugleich daraus, daß aus der bisherigen Lohnklasse IV eine weitere neue Lohnklaffe V herausgeschält worden ist. Bei Lohnklasse I konnte der Steigerungssatz von 2 auf 3 Pf. erhöht werden, weil der bisher hier vorgesehene Gefahrenzuschlag als zu hoch ermäßigt werden konnte; andernfalls hätten die Beiträge der Lohnklasse I von 14 auf 12 Pf. herabgesetzt werden müssen Vgl. Kornm.-Ber. z. Nov. S. 63, 64. 4. Nach der Vorlage sollte der Grundbetrag der Invalidenrente erheblich stärker, nämlich nach dem Verhältniß von 60:90:120:160:180,

§ 36. Berechnung der Renten.

89

die Steigerung dagegen erheblich niedriger, nämlich auf 3, 3, 4, 6, 6 be­ messen werden; die Altersrente sollte dem Grundbetrage der Invaliden­ rente entsprechen. Die Altersrente ist dann auch dementsprechend fest­ gesetzt worden, vgl. § 37. Bei der Invalidenrente hat dagegen die Reichstagskommission eine Ermäßigung der Grundbeträge und eine Erhöhung der Steigerungsbeträge beschlossen, und diese Veränderung ermöglichte sodann eine andere Festsetzung des Theilungsverhältnisses zwischen Gemein- und Sonderlast, vgl. Sinnt. 4 zu 8 33. 6. Der Abs. 3 soll verhüten, daß ein Verstcherungspflichtiger, der anfänglich in einer hohen Lohnklasse geklebt hat, demnächst aber in niedrigeren Klassen zu kleben hatte, „herunterklebt" und demgemäß demnächst einen niedrigeren Grundbetrag bei der Rente erhält, wie er nach seinen früheren Beiträgen hätte erhalten können. 6. Es ist dabei verblieben, daß die Invalidenrente aus 3 Theilen besteht: dem festen Reichkzuschuß von jährlich 50 Mark (8 36), dem nach den Lohnklassen verschiedenen Grundbetrage (8 36 Abs. 2, 3) und dem auf jeden einzelnen Beitrag entfallenden, ebenfalls nach den Lohnklassen verschiedenen Steigerungsbetrag (8 36 Abs. 4, 6). Die Gesammthöhe jeder einzelnen Invalidenrente richtet sich also nach der Zahl und Höhe der entrichteten Beiträge, ist daher bei jedem Versicherten verschieden. 7. Bei Festsetzung der Höhe der Invalidenrente ist zu­ nächst die Berechnung*) des durchschnittlichen Grundbetrages anzustellen, welche nur dann fortfällt, wenn für die 500 in Ansatz zu bringenden Wochenbeiträge nur eine Lohnklasse in Frage kommt. Bei weniger als öoo Wochenbeiträgen dagegen muß selbst im letzteren Falle für bte Lohnklassen II bis V eine Durchschnittsberechnung angestellt werden, weil die an 600 Wochen fehlenden Wochenbeiträge stets *) Für die Praxis wird die im Anhang — Anlage XIV — dar­ gestellte sehr einfache Berechnungsweise empfohlen; die daselbst mit­ getheilten Tafeln I enthalten die erforderlichen Hülfszahlen. Die Tafeln II geben ohne weitere Rechnung die zur Zahlung kommenden Monatsraten (8 38) und die diesen entsprechenden Jahresrenten an.

90

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

nach Lohnklasse I zu ergänzen sind. Hiernach beträgt die Höhe der Invalidenrente beim Ablauf der bisherigen Wattezeit von 236 Wochen in Lohnklasse I: jetzt früher 60*) + 60**) 4- 236 . 0,03*) + 0,56**) — 117,60 (116,20) in Lohnklasse II: 70.2364-60.266**) 60*) H------------- ------------------- 4-236.0,06f)4-0,20tt)=129,00y#6 (124,20) in Lohnklasse III: 80.236 4- 60.266**) 60*) H--------------MÖ"1--------- ' +236 • 0,08t)4-0,40tt)=188,60c^6 (131,40) in Lohnklaffe IV: 90.235 4- 60.266**) 50*) -j---------------------------— 4 236.0,10t)4-0,00ft) =147,60^ (141,00) in Lohnklasse V: 60*) 4- -° ■’ a3-^06Q° ‘ 261' 4-236.0,121)4-0,20tt)=157,20«^6 dagegen nach Ablauf von 2600 BeitragSwochen (60 Jahre mit je 60 BeitragSwochen) — einen eigentlichen Höchftbetrag kennt bad Gesetz in Lohnklasse I: 60*) 4- 60**) 4- 2500.0,03t) 4- 0,4014) —165,40 Mark (früher 157,20), in Lohnklasse II: 60 *) 4- 70 **) 4- 2500. o,06f) 4- 0,00-ft) — 270,00 Mark (früher 251,40), in Lohnklasse III: 60 *) 4- 80 **) 4- 2600.0,08t) 4* 0,00tt) — 330,00 Mark (früher 321,60), in Lohnklaffe IV: 50 *) 4- 90 **) 4- 2600.0,10t) 4- 0,00tt) — 390,00 Mark (früher 416,80), in Lohnklaffe V: 60 *) 4-100 **) 4- 2500.0,12t) 4- 0,00tt) — 460,00 Mark. Sind Beiträge in mehreren Lohnklassen entrichtet, so ist für den Grundbetrag stets eine Durchschnitts­ berechnung anzustellen, wobei auch hier bei weniger als 600 Bei­ tragSwochen die nachgewiesene Zahl von Wochen durch Beiträge der Lohnklaffe I auf 600 zu ergänzen ist. Beispiel. Nachgewiesen sind in Lohnklaffe I 60 Beitragswochen, in II 50 Wochen, in III100 Wochen, in IV 60 Wochen, in V ioo Wochen, *) Reichszuschuß. **) Grundbetrag, t) Steigerung nach Beitrags­ wochen. tt) Abrundung (8 33).

8 86. Berechnung der Renten.

91

zusammen 360 Wochen; dann sind weiterhin 600 —360 = 150 Wochen aus Lohnklafse I hinzuzurechnen und der durchschnittliche Srundbetrag berechnet sich demgemäß auf 50 . SO + 60.70 4- 100.80+50.90+ 100.100+ 150.60 600 die JahreSrente stellt sich somit auf

'

60*) +76**) + (60.0,03 + 60.0,06 + ISO. 0,08 + 60.0,10 + 100.0,12) f) — 166,60 46 oder abgerundet gemäß 8 38 auf 166,00 46;tt) b) bei mehr als 600 Beitragswochen sind stets die 600 Beiträge der höchsten Lohnklassen zu Grunde zu legen. Beispiel. Nachgewiesen sind in Lohnklafse I loo Beitragswochen, in II 200 Wochen, in III 60 Wochen, in IV 150 Wochen, in V 60 Wochen, zusammen 660 Wochen. In Ansatz kommen 600 Wochen der höchsten Lohnklassen, so daß für Lohnklafle I nur ioo — 60 = 40 Wochen anzurechnen find. (Diese Reduktion gilt aber natürlich nur für die Berechnung des Grundbetrages; bei den Beitragssteigerungen kommt dagegen die volle Zahl der nachgewiesenen Wochen zur Geltung.) Der durchschnittliche Grundbetrag berechnet sich dann auf 40.60 + 200.70 + 60.80 + 160.90 + 60.100 - 79,80 46 600 und die Jahresrente wird gleich 50 *) + 79,80 **) + (100.0,03 + 200.0,06 + 60.0,08 + 160.0,10 + 60.0,12) f) --- 171 46. 8. Die Altersrente besteht dagegen nur aus zwei Theilen; nämlich aus dem Reichszuschuß von 60 Mark und aus einem festen, nach Lohnklasien verschiedenen, von den V.A. zu gewährenden Betrage. (Die frühere, auf Beschluß deS Reichstags von 1889 beruhende Be­ rechnung nach 1410 Beitragswochen ist aufgegeben worden) *) Reichszuschuß. **) Grundbetrag. t) Steigerung nach BettragSwochen. ff) Stehe die vereinfachte Berechnung und die Abrundungstafeln in Anlage XIV.

92

I. Umfang und Gegenstand der Versicherung.

Sind nur Beiträge in einer Lohnklaffe entrichtet, so berechnet sich die Altersrente inLohnkl lauf50*)-i- 60**)—no^L Z /i 10,40(früher 106,40), „ „ II „ 60*)+ 90**)=140J6 2 ® ! 1140,4(M6( 134,60), 167,80), „ III „ 60*) + 120**) = 170^f6 170,40^ ( 191,00), „ IV „ 60 *) + 160 **) = 200 zusammen 2710. „ IV 5 X 200 = 1000

V 6 x 125 = 750 J Diese Zahl mit 30 multiplizirt und durch die Zahl der sämmtlichen Beitragswochen 620 dividirt, ergiebt den Durchschnittsbetrag der Altersrente ohne Reichs­ zuschuß. Man erhält 2710X30^^^^^.; dazu Reichszuschuß ergiebt 181,isJ6 Nach Tafel II ist der abgerundete Jahresbetrag 181,20 M und der zu zahlende Monatsbetrag 15,io M Die Vielfachen der Beitragswochen mit den Zahlen 2 bis 6 können aus den Tafeln I entnommen werden. Auch hier reichen die Zahlen in den Tafeln I aus, wenn die vom Reichs-Verstcherungsamt empfohlene, in dem Beispiel S. 92 gleichfalls eingeschlagene Methode angewendet werden soll.

Die Berechnung der Altersrenten nach §. 192 kann in der Weise erfolgen, daß man dem Grundbetrag von 60 M für jede Woche in Lohnklasse II 7,6 in III 15 J>, in IV 22,6 J) und in V 30 ^ zufügt. Sobald 1200 Wochenbeiträge in Frage kommen, hat man dem Grundbetrage von 60 M für jede an­ zurechnende Beitragswoche in Lohnklasse II 2,6 in III 5 in IV 7,6 und in V 10 zuzufügen. Auch für diese Multiplikationen sieht die Tafel I die erforderlichen Zahlen vor. II. Tafeln tut Ermittelung der nach­ zuweisenden Deitragswochen für die Erlangung derÄltersrente in der Aebergangszeit (§♦ 190).

1. Für alle Personen, für welche die Versicherungs­ pflicht mit dem 1. Januar 1891 in Kraft getreten ist, ist die Zahl der nachzuweisenden Beitragswochen zur Begründung des Anspruchs auf Altersrente ohne Weiteres aus Tafel III zu ersehen. Die Anwendung der Tafel geht aus der Bemerkung am Fuße derselben hervor. Ist die Versicherungspflicht für einen Berufszweig am 1.Januar eines anderen Jahres z. B. des Jahres y in Kraft getreten, so ist in dem Ausdruck (x—1821) X 40 das Geburtsjahr 1821 zu ersetzen durch (y—70). 2. Ist die Versicherungspflicht für einen Berufs­ zweig nicht am 1. Januar eines Jahres in Kraft ge­ treten, sondern beispielsweise am 2, Juli 1894, so ist

unter Benutzung der Tafel IV folgende Berechnung an­ zustellen. Der Versicherte sei geboren am 16.März 1830; er vollendet das 70. Lebensjahr am 16. März (1830+70) = 16. März 1900. Sein Lebensalter betrug am 2. Juli 1894 1894 - 1830 = 64 volle Jahre und so viele Wochen und Tage als zwischen dem 16. März und einschließlich 1. Juli liegen. Nach Tafel IV liegen zwischen 16. März bis 16. Juni ein­ schließlich 13 Wochen 2 Tage; hierzu treten die Tage 17. Juni bis 1. Juli einschließlich — 15 Tage oder 2 Wochen und 1 Tag, so daß die Zeit zusammen 15 Wochen 3 Tage umfaßt. Das Alter am 2. Juli 1894 übersteigt somit das Alter von 40 Jahren um 24 Jahre 15 Wochen 3 Tage, so daß sich die Wartezeit vermindert um 24 X 40 + 15 — 975 Wochen. Nachzuweisen sind demgemäß an Beitragswochen 1200 — 975 = 225. III. Tafeln zur Ermittelung der Zahl der Krankheitswochen und der Wochen mili­ tärischer Dienstleistungen (§♦ 30). Nach §. 30 werden als Beitragswochen diejenigen vollen Wochen in Anrechnung gebracht, in welchen der Versicherte erwerbsunfähig erkrankt oder militärische Dienste geleistet hat. Zur Ermittelung der Zahl der

vollen Wochen für eine bestimmte Zeitdauer dienen die Tafeln V. Ms volle Woche gilt die Zeit von einem Montag bis ausschließlich nächsten Montag. Die Tafeln V enthalten alle Montage; eine kleine Hülfstabelle giebt an, welche der Tabellen für das in Frage kommende Kalenderjahr anzuwenden ist. Bei An­ wendung der letzteren muß man den in der Form vom . . tzn.............bis einschließlich . . ten...................ge­ gebenen Zeitraum auf die Form vom . . g»............. bis ausschließlich . . ten.............bringen (also in Ge­ danken einen Tag weiter rechnen); man findet dann in allen Fällen als Zahl der vollen Wochen die Zahl der von dem so abgeänderten Zeitraum umfaßten Montage aber um einen vermindert. Beispiel. Die Krankheit ist bescheinigt für die Zeit vom 27. November 1893 bis einschließlich 18. März 1894. Man nimmt dann die Zeit vom 27. November 1893 bis ausschließlich 19. März 1894. Nach den Tafeln V Tabellen 2 und 1 liegen in dieser Zeit 5 + 12= 17 Montage; die Zahl der vollen Wochen beträgt 17-1 = 16.

Anlage II.

Tafel I. Anzahl der Bei­ tragswachen

Vielfache der nebenLezeichneten Wochenzahlen mit der Zahl 2

2,5 2 4 6

2.5 5.0 7.5

4 5 6

4

3

5

6

7

7,5

8

3 6 9

4 8 12

5 10 15

6 12 18

7 7.5 14 15.0 21 22.5

8 16 24

8 10.0 10 12.5 12 15.0

12 15 18

16 20 24

20 25 30

24 30 36

28 30.0 35 37.5 42 45.0

32 40 48

7 8 9

14 17.5 16 20.0 18 22.5

21 24 27

28 32 36

35 40 45

42 48 54

49 52.5 56 60.0 63 67.5

56 64 72

10 20 30

20 25.0 40 50 60 75

30 40 50 60 70 75.0 80 60 80 100 120 140 150 160 90 120 150 180 210 225 240

1 2 3

40 50 60

80 100 120 160 200 240 280 300 320 100 125 150 200 250 300 350 375 400 120 150 180 240 300 360 420 450 480

70 80 90

140 175 210 280 350 420 490 525 560 160 200 240 320 400 480 560 600 640 180 225 270 360 450 540 630 675 720

100 200 300

200 250 300 400 500 600 700 750 800 400 500 600 800 1000 1200 1400 1500 1600 600 750 900 1200 1500 1800 2100 2250 2400

400 500 600

800 1000 1200 1600 2000 2400 2800 3000 3200 1000 1250 1500 2000 2500 3000 3500 3750 4000 1200 1500 1800 2400 3000 3600 4200 4500 4800

381

Hülstt-seln.

Noch: Tafel I. Anzahl der Bei­

Vielfache der nebenbezeichneten Wochenzahlen mit der Zahl

trags-

wachen

9

10

12

14

15

16

18

20

30

12 24 36

14 28 42

15 30 45

16 32 48

18 36 54

20 40 60

36 45 54

40 50 60

48 60 72

56 70 84

60 75 90

64 80 96

72 90 108

80 100 120

63 72 81

70 84 98 80 96 112 90 108 126

105 120 135

112 128 144

126 144 162

140 160 180

10 20 30

90 100 120 140 180 200 240 280 270 300 360 420

150 300 450

160 320 480

180 360 540

200 400 600

40 50 60

360 400 480 560 450 500 600 700 540 600 720 840

600 750 900

640 800 960

720 900 1080

800 1000 1200

70 80 90

630 700 840 980 1050 1120 720 800 960 1120 1200 1280 810 900 1080 1260 1350 1440

1260 1440 1620

1400 1600 1800

100

300

900 1000 1200 1400 1500 1600 1800 2000 2400 2800 3000 3200 2700 3000 3600 4200 4500 4800

1800 3600 5400

2000 4000 6000

400 500 600

3600 4000 4800 5600 6000 6400 7200 8000 4500 5000 6000 7000 7500 8000 9000 10000 5400 6000 7200 8400 9000 9600 10800 12000

1

2 3

4 5

6 7 8 9

200

9 18 27

10

20

382

Anlage XI.

Tafel II.

Ermittelung der abgerundeten Jahresreute» Renten von 108

M.

3 « zahlende t=r> ts C

M

iet

r !

9

10

11

12

13

0 5 10 15 20

108.0 108.6 109.2 109.8 110.4

120.o 120.6 121.2 121.8 122.4

132.o 132.6 133.2 133.8 134.4

144.o 144.6 145.2 145.8 146.4

156.o 156.6 157.2 157.8 158.4

168.o 168.6 169.2 169.8 170.4

180.o 180.6 181.2 181.8 182.4

192.6 193.2 193.8 194.4 |

25 30 35 40 45

111.0 123.o 135.o 147.o 159.o 171.o 111.6 112.2 112.8 113.4

123.6 124.2 124.8 125.4

135.6 136.2 136.8 137.4

147.6 148.2 148.6 149.4

159.6 160.2 160.8 161.4

171.6 172.2 172.8 173.4

183.o 183.6 184.2 184.8 185.4

195.o 195.6 196.2 196.8 197.4

50 55 60 65 70

114.o 114.6 115.2 115.8 116.4

126.o 126.6 127.2 127.8 128.4

138.o 138.6 139.2 139.8 140.4

150.0 150.6 151.2 151.8 152.4

162.o 162.6 163.2 163.8 164.4

174.o 174.6 175.2 175.8 176.4

186.o 186.6 187.2 187.8 188.4

198.o 198.61 199.2 199.8 200.4

75 80 85 90 95

117.o 117.6 118.2 118.8 119.4

129.o 129.6 130.2 130.8 131.4

141.o 141.6 142.2 142.8 143.4

153.o 153.6 154.2 154.8 155.4

165.o 165.6 166.2 166.8 167.4

177.o 177.6 178.2 178.8 179.4

189.o 189.6 190.2 190.8 191.4

20 l.o 201.6 202.2 202.8 203.4

14

15

16

N-

Abgerundete Jahresrenten 192.o 1

*) Der abgerundete Betrag einer festgesetzten Jahresrente wird gefunden, M aus der vorstehenden Tafel entnimmt. Die zugehörige Monatsrate nerzu tritt als Pfennigbetrag die auf derselben Zeile in Spalte 1 ent-

Msstaseln.

383

enb btt zu zahlenden Monatsraten: bis 290,40

Tafel II.

M.

Monatsraten (§ 38) M a: t 17

18

19

20

k 21

22

23

24

1

s-

in Mark und Pfennig*)

I 204.0 216.o 228.o 240.o 252.o 264.o 276.o 288.o 204.6 205.2 205.8 206.4

252.6 253.2 253.8 254.4

264.6 265.2 265.8 266.4

276.6 277.2 277.8 278.4

0 288.6 5 289.2 10 289.8 15 290.4 20

j 255.o 243.6 255.6 244.2 256.2 244.8 256.8 245.4 | 257.4

267.o 267.6 268.2 268.8 269.4

279.o 279.6 280.2 280.8 281.4

291.o 25 291.6 30 292.2 35 292.8 40 293.4 45

' 258.o 246.o 246.6 . 258.6 247.2 . 259.2 247.8 259.8 248.4 260.4

27O.o 270.6 271.2 271.8 272.4

282.o 282.6 283.2 283.8 284.4

294.o 294.6 295.2 295.8 296.4

50 55 60 65 70

273.o 273.6 274.2 274.8 275.4

285.o 285.6 286.2 286.8 287.4

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216.6 217.2 217.8 218.4

228.6 229.2 229.8 230.4

240.6 241.2 241.8 242.4

219.o 219.6 220.2 220.8 221.4

231.o 231.6 232.2 232.8 233.4

243.o

207.6 208.2 208.8 1 209.4 210.0 210.6 211.2 211.8 212.4

222.0 222.6 223.2 223.8 224.4

234.o 234.6 235.2 235.8 236.4

213.o 213.6 214.2 214.8 1 215.4

225.o 225.6 226.2 226.8 227.4

237.o 237.6 238.2 238.8 239.4

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249.o 249.6 1 250.2; 250.8 1

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298.2 298.8 299.4

indem man die gleiche, oder wenn diese nicht vorhanden, die nächst höhere ist mit dem Markbelraqe im Kopfe der betreffenden Spalte enthalten. Haltens Zahl

384 Noch Tafel II.

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336.o 336.6 337.2 337.8 338.4

348.o 348.6 349.2 349.8 350.4

360.o 360.6 361.2 361.8 362.4

372.o 372.6 373.2 373.8 374.4

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327.o 327.6 328.2 328.8 329.4

339.0 339.6 340.2 340.8 341.4

351.o 351.6 352.2 352.8 353.4

363.o 363.6 364.2 364.8 365.4

375.0 375.6 376.2 376.8 377.4

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50 55 60 65 70

306.o 306.6 307.2 307.8 308.4

318.o 318.6 319.2 319.8 320.4

330.o 330.6 331.2 331.8 332.4

342.o 342.6 343.2 343.8 344.4

354.0 354.6 355.2 355.8 356.4

366.o 366.6 367.2 367.8 368.4

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345.0 345.6 346.2 346.8 347.4

357.0 357.6 358.2 358.6 359.4

369.o 369.6 370.2 370.8 371.4

381.o 381.6 382.2 382.6 383.4

393.0 393.6 394.2 394.8 395.4

') Siehe Note auf Seite 882.

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Noch Tafel II.

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432.o 432.6 433.2 433.8 434.4

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456.o 456.6 457.2 457.8 458.4

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386

Anlage XI.





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Verfahren vor den Schiedsgerichten.

393

Anlage XII.

Verordnung, betreffend das Verfahren vor den Schiedsgerichten für Arbeiterverfichernng. Vom 22. November 1900. (Reichs-Gesetzbl von 1900, Nr. 55, S. 1017 bis 1031.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Könrg von Preußen rc. verordnen auf Grund des §. 106 Abs. 6 deS JnvalidenversicherungsgesetzeS (Reichs - Gesetzbl. 1899 S. 463) und im Hinblick auf §. 3 deS Gesetzes, betteffend die Abänderung der Unfallverpcherungßgesetze, vom 30 Juni 1900 (Reichs-Gesetzbl. S. 335) im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung deS Bundesraths, was folgt: I. Allgemeine Bestimmungen. §• 1.

Beeidigung der Mitglieder des Schieds­ gerichts. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts und dessen Stellvertreter werden von einem Beauftragten der Landes-Zentralbehörde des Bundesstaats, in welchem der Sitz des Schiedsgerichts belegen ist, die Beisitzer en von dem Vo^rtzenden des Schiedsgerichts auf rfüllunß der OblieMiheiten ihres Amtes beeidigt. Die Beerdigung der Beisitzer erfolgt bei ihrer ersten Dienstleistung tn öffentlicher Sitzung; sie gilt für die Dauer der Wahlperiode. Im Falle der Wiederwahl genügt die Verweisung auf die frühere Beeidigung. Im Uebrigen finden auf die Beeidigung die Voren des §. 51 des GertchtsverfaffungSgesetzeS entmde Anwendung.

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§•

2.

Befugnisse des Vorsitzenden. Die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäfts­ ganges bei dem Schiedsgerichte liegt dem Vorsitzenden und im Falle der Behinderung seinem Stellvertreter ob. Der Vorsitzende öffnet die eingehenden Sendungen, vertheilt die Geschäfte, bestimmt die Sitzungen, zeichnet die Verfügungen, vollzieht die Reinschriften und trifft in Beziehung auf die Führung der Geschäftskontrolen die erforderlichen Anordnungen. Er verpflichtet eidlich die Beamten deS Schiedsgerichts, soweit sie nicht be­ reits als Beamte der Versicherungsanstalt einen Dienst­ eid geleistet haben, und übt über sie die unmittelbare Dienstaufsicht aus. Disziplinarstrafen gegen dieselben verhängt, sofern sie bei dem Schiedsgericht im Haupt­ amt angestellt sind, der Vorstand der Versicherungs­ anstalt, im Uebrigen die ihnen im Hauptamte vor­ gesetzte Dienstbehörde (§. 104 Abs. 5 in Verbindung mit §. 83 Abs. 1, 3 Satz 2 des Jnvalidenversicherungsgesetzes). Der Vorsitzende setzt die den Beisitzern statuten­ mäßig zu gewahrenden Bezüge fest und ist befugt, Bei­ sitzer, welche die Wahl ohne zulässigen Grund ablehnen, ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzungen nicht rechtzeitig sich einfinden oder ihren Obliegenhetten in anderer Weise sich entziehen, mit Geldstrafen zu be­ legen (§. 104 Abs. 5 in Verbindung mit §. 83 Abs. 3 Satz'1, §. 90 Abs. 2, §. 94 a. a. O.). Die Beisitzer haben dem Vorsitzenden Anzeige zu machen, wenn durch Aenderung in ihren persönlichen Verhältnissen die Voraussetzungen ihrer Wählbarkeit nachträglich wegfallen. Werden dem Vorsitzenden Thatsachen bekannt, welche die Wählbarkeit eines Beisitzers ausschließen,

oder sich als grobe Verletzungen seiner Amtspflicht darstellen, so bat er diesen Beisitzer zu den Sitzungen einstweilen nicht einzuberufen und ihn, nachdem ihm Gelegenheit zur Aeußerung gegeben worden ist, seines Amtes zu entheben (§. 104 Abs. 5 in Verbindung mit §. 91 a. a. £).). Gegen die diese Enthebung cmß* sprechende Verfügung, welche die derselben zu Grunde liegenden Thatsachen angeben muß, kann von dem Bei­ sitzer innerhalb eines Monats nach der Zustellung bei dem Schiedsgerichtsvorsttzenden oder bei dem Schieds­ gerichte Beschwerde eingelegt werden. Der Vorsitzende hat die Beschwerde unter Beifügung der Verhand­ lungen und einer Aeußerung unverzüglich der höheren Verwaltungsbehörde einzureichen; diese entscheidet end­ gültig. Dre Bestimmung des §. 114 Abs. 3 a. a. O. findet entsprechende Anwendung. Die Fähigkeit eines Beisitzers, als solcher an einer Sitzung Theil zu nehmen, erlischt, sobald der Enthebungsbescheid rechtskräftig geworden ist. §• 3. Zuziehung der Beisitzer. Die Reihenfolge, in welcher die Beisitzer bei Streitsachen auö der Invalidenversicherung in der Regel zu den Verhandlungen zuzuziehen sind, wird durch das Statut der Versicherungsanstalt bestimmt (§. 106 Abs. 5 in Verbindung mit §. 83 Abs. 2 des Jnvalidenversicherungsgesetzes). In Streitsachen aus der Unfallversicherung (§. 7 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze) bestimmt der Vorsitzende unter Beachtung des Statuts der Versicherungsanstalt, und zwar regelmäßig für jedes Halbjahr im voraus, getrennt für die einzelnen Berufszweige die Reihenfolge,

in der die Beisitzer zuzuziehen sind, soweit eS sich um Unfälle 1. in der Land- und Forstwirthschaft, 2. im Bergbaubetriebe, 3. in den sonstigen der Versicherung unterliegenden Betrieben handelt. Abweichungen von der festgesetzten Reihen­ folge sind unter Angabe der Gründe aktenkundig zu machen. Für die Entscheidung bei Unfällen im Berg­ baubetriebe kann von der Vorausbestimmung der Reihen­ folge der Beisitzer, unbeschadet der Bestimmung im §. 7 Abs. 1 a. a. O., bei denjenigen Schiedsgerichten abgesehen werden, bei welchen ein Bedürfniß für die Vorausbestimmung nicht besteht. Der Antrag eines Entschädigungsberechtigten, zur Verhandlung und Entscheidung in einem einzelnen Falle abweichend von der festgesetzten Reihenfolge Beisitzer aus den Betrieben derjenigen Berufsgenossenschaft ober Ausführungsbehörde zuzuziehen, welcher der Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, angehört (§. 7 Abs. 2 a. a. £).), ist in der Regel bei Einreichung der Berufungsschrift zu stellen. Der gleiche Antrag einer Berufsgenossenschaft oder Ausführungsbehörde ist in der Regel bei Einreichung der Gegenschrift zu stellen. Der Schiedßgerichtsvorsitzende hat jedoch auch später eingehende Anträge solcher Art bis zur Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung zuzulassen. Wird der Antrag abgelehnt, so ist dem Antragsteller ein mit Gründen zu versehender Bescheid in Ausfertigung zuzustellen. In dem Bescheid ist darauf hinzuweisen, daß der Antragsteller vor Beginn der Verhandlung eine Entscheidung des Schiedsgerichts über den Antrag beanspruchen kann. Wird der Antrag erst nach Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung gestellt, so entscheidet,

Verfahren vor den Schiedsgerichten.

397

sofern dem Antrage nicht schon von dem Vorsitzenden stattgegeben worden ist, das Schiedsgericht selbst. §. 4. Ablehnung der Mitglieder des Schieds­ gerichts. Die Bestimmungen in den §§. 41 ff. der Civilprozeßordnung über die Ausschließung und Ablehnung der Richter finden auf die Mitglieder der Schieds­ gerichte entsprechende Anwendung. Jedoch beschließt über ein Ablehnungsgesuch in Betreff des Vorsitzenden daS Schiedsgericht, in Betreff der Beisitzer der Vor­ sitzende. Bei dem Beschluß über ein Ablehnungsgesuch in Betreff des Vorsitzenden hat dieser nicht mitzuwirken. An seiner Stelle führt dabei der dem Lebensalter nach älteste Beisitzer den Vorsitz. Ergiebt sich bei der Ab­ stimmung über das Gesuch Stimmengleichheit, so gilt dasselbe für abgelehnt. Der Beschluß kann, wenn das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, nicht für sich allein, sondern nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden.

II. Vorschriften über ba$ Verfahren. §. 5. Erhebung der Berufung Die Berufung auf schiedsgerichtliche Entscheidung muß innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Bescheids bei betn zuständigen Schiedsgericht ein­ gegangen sein (§. 114 Abs. 2 des JnvalidenversicherungsgesetzeS, §. 76 Abf. 2 des Gewerbe-Unfallversicherungs­ gesetzes, §. 82 Abs. 2 des Unfallversicherungsgesetzes

398

Anlage XII.

für Land- und Forstwirthschaft, § 37 Abs. 1 des Bau-Unfallversicherungsgesetzes, §. 80 Abs. 4 des SeeUnfallversicherungsaesetzes in Verbindung mit §. 36 dieser Verordnung). Die Frist gilt auch dann als gewahrt, wenn innerhalb derselben die Berufung bei einer anderen inländischen Behörde oder in Streitsachen aus der Unfallversicherung bei einem Genossenschafts­ organ, in Angelegenheiten der See-Unfallversicherung auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist. Diese Stellen haben die Berufungs­ schrift ungesäumt an das zuständige Schiedsgericht ab­ zugeben. Zuständig ist in Streitsachen aus der Invaliden­ versicherung dasjenige Schiedsgericht, zu dessen Bezirke die untere Verwaltungsbehörde oder Rentenstelle gehört, die gemäß §. 112 Abs. 1 des Jnvalidenversicherungsaesetzes mit dem Rentenanspruche befaßt gewesen ist. In Streitsachen aus der Unfallversicherung ist, abgesehen von den gegen die See-Berufsgenossenschaft gerichteten Ansprüchen, dasjenige Schiedsgericht zuständig, in dessen Bezirke der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, belegen ist (§. 76 Abs. 2 des Gewerbe-Unfallversicherungsaesetzes, §. 82 Abs. 2 des Unfallversicherungs­ gesetzes für Land- und Forstwirthschaft, § 37 Abs. 1 des Bau-Unfallversicherungsgesetzes). Für die Ent­ scheidung auf die gegen die See-Berufsgenosfenschaft gerichteten Berufungen ist das Schiedsgericht zuständig, m dessen Bezirke der Heimathshafen desjenigen Fahr­ zeugs belegen ist oder derjenige Betrieb seinen Sitz hat, auf oder in welchem der Unfall sich ereignet hat. Ist der Heimathshafen nicht im Bezirk eines Schieds­ gerichts velegen, so ist das für den Sitz der Berufs­ genoffenschaft zuständige SchiedWricht zur Entscheidung zuständig (§. 80 Abs. 2 des See-Unfallversicherungs­ gesetzes).

In der Berufung sollen der Gegenstand deS An­ spruchs bezeichnet und die für die Entscheidung maß­ gebenden Thatsachen unter Angabe der Beweismittel angeführt werden; auch ist die Versicherungsanstalt, Berufsgenossenschast oder Ausführungsbehörde, welche den angefochtenen Bescheid ertheilt hat, zu benennen. Die Berufung kann schriftlich oder zu Protokoll des Schiedsgerichts, einer anderen inländischen Behörde, in Streitsachen aus der Unfallversicherung auch zu Protokoll eines Genossenschaftsorgans beziehungsweise emes deutschen Seemannsamts im Ausland erhoben werden. Bei schriftlicher Erhebung ist dem Schriftsatz eine Abschrift beizufügen.

§.

6.

Streit über die Zuständigkeit. Entsteht unter mehreren Schiedsgerichten Streit über ihre Zuständigkeit, so entscheidet das ReichsVersicherungsamt. In Streitsachen aus der Unfall­ versicherung tritt an dessen Stelle das Landes-Ver­ sicherungsamt, sofern die Entscheidung auf einen Rekurs diesem zusteht. §• 7. Verfahren bei Eingang der Berufung. Der Zeitpunkt des Einganges der Berufung ist sofort sowohl auf der Berufungsschrift wie aus der beigefügten Abschrift zu vermerken. Ist der Berufung eine Abschrift nicht beigefügt (§. 5 Abs. 4), so ist seitens des Schiedsgerichts eine solche zu fertigen und auf diese der Vermerk des Einganges zu übertragen; die Kosten dieser Abschrift können von dem Berufenden eingezogen werden. Richtet sich die Berufung gegen einen auf Grund der Unfallversicherungsgesetze ergangenen Bescheid oder

gegen einen Bescheid des Vorstandes der Versicherungs­ anstalt oder gegen einen den Anspruch auf Rente nur zum Theil anerkennenden Bescheid einer Rentenstelle, so hat der Vorsitzende deS Schiedsgerichts dem Vorstände der Berufsgenoffenschast oder berufsgenossenschaftlichen Sektion, der Ausführungsbehörde oder dem Vorstande der Versicherungsanstalt die Abschrift der Berufung mit dem Ersuchen mitzutheilen, die Vorverhandlungen einzusenden. Legt der Rentenbewerber Berufung gegen den Be­ scheid einer Rentenstelle ein, durch welchen eine be­ antragte Rente versagt, die Entziehung einer Invaliden­ rente oder die Einstellung von Rentenzahlungen ausgesprochen worden ist, so bat der Vorsitzende des Schiedsgerichts die Vorverhandlungen der Rentenstelle einzufordern. Legt der Vorstand der Versicherungsanstalt in den Fällen deS §. 129 Abs. 4 des Jnvalidenversicherungsgesetzes gegen den Bescheid einer Rentenstelle Berufung ein, so yat er seiner Berufungsschrift die ihm über­ sandten Verhandlungen der Rentenstelle, versehen mit dem Vermerke des Einganges bei der Versicherungs­ anstalt, beizufügen. Die einzusendenden Vorverhandlungen müssen sämmtliche, bei der Berufsgenossenschaft und deren Organen, bei der Ausführungsbehörde, der Versicherungs­ anstalt und der Rentenstelle vorhandenen Schriftstücke, die sich auf den geltend gemachten Anspruch beziehen, enthalten, einschließlich derjenigen, welche sich in Vor­ akten befinden. §•

8.

Abweisung durch Bescheid. Ist die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt, oder ist das Schiedsgericht gesetzlich zur Entscheidung über

401

Verfahren vor den Schiedsgerichten.

die der Berufung zu Grunde liegenden Beschwerde­ punkte nicht zuständig, so kann der Vorsitzende die Be­ rufung durch einen mit Gründen zu versehenden Be­ scheid zurückweisen. Die Anfertigung einer Abschrift der Berufung seitens des Schiedsgerichts (§. 7 Abs. 1) kann in diesen Fällen einstweilen unterbleiben. Der Berufende ist befugt, innerhalb zwei Wochen vom Tage der Zustellung des Bescheids ab bei dem Schiedsgerichte die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu beantragen. Die vorstehende Befugniß ist dem Berufenden in dem Bescheide zu eröffnen. Die Ablehnung von Anträgen auf mündliche Ver­ handlung kann nur durch Entscheidung des Schieds­ gerichts erfolgen. §• 9. Beantwortung der Berufung. Dem Vorstände der Berufsgenossenschaft oder berufsgenoffenschastlichen Sektion, der Ausführungsbehörde oder dem Vorstande der Versicherungsanstalt ist im Falle des §. 7 Abs. 2 bei Übersendung der Ab­ schrift der Berufung anheimzustellen, eine Gegenschrift einzureichen. In den Fällen des §. 7 Abs. 3, 4 hat der Vorsitzende, sofern die Voraussetzungen des §. 8 Abs. 1 nicht vorliegen, die Abschrift der Berufung dem Gegner mit der Anheimgäbe mitzutheilen, eine Gegenschrift einzureichen. Die Frist zur Einreichung der Gegenschrift ist in der Regel auf nicht länger als zwei Wochen zu bemeffen. Zugleich ist darauf hinzuweisen, daß, wenn die Gegenschrift innerhalb der Frist nicht eingeht, die Entscherdung nach Lage der Akten erfolgen werde. Die Frist kann auf Antrag aus wichtigen Gründen verlängert werden. v. Woedtke, Jnvalidenversicherungsgesetz.

28

402

Anlage XII.

Der Gegenschrift und etwaigen weiteren Schrift­ sätzen sind zur Zustellung an den Gegner Abschriften beizufügen. Die Bestimmungen des §. 7 Abs. 1 Satz 2 finden Anwendung. In einfachen Fällen sowie dann, wenn das that­ sächliche Verhältniß aus vorliegenden Akten und Ur­ kunden sich sofort feststellen läßt, kann ohne vorgängigen Schriftwechsel Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden. Den Betheiligten ist in den Fällen des §. 7 Abs. 3, 4 gleichzeitig mit der Benachrichti­ gung vom Termine die Abschrift der Berufung mit­ zutheilen. §.

10.

Unterzeichnung der Schriftsätze und Ver­ tretung der Parteien. Berufungen und Gegenschriften müssen entweder von den Betheiligten selbst oder von ihren gesetzlichen Vertretern oder von ihren Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Die Vollmacht muß schriftlich ertheilt werden. Ehegatten, Verwandte der aufsteigenden Linie und großjährige Verwandte der absteigenden Linie können auch ohne schriftliche Vollmacht zur Vertretung zuge­ lassen werden. Das Schiedsgericht kann Bevollmächtigte und Bei­ stände, welche das mündliche Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, zurückweisen. Diese Vor­ schrift findet keine Anwendung auf Rechtsanwälte und auf Personen, denen das mündliche Verhandeln vor Gericht durch eine seitens der Justizverwaltung ge­ troffene Anordnung gestattet ist. Die Prozeßfähigkeit einer Partei sowie die Legiti­ mation eines Vertreters sind von Amtswegen zu prüfen. Nichtprozeßfähigen Parteien, welche ohne gesetzlichen

Vertreter sind, kann bis zum Eintritte des gesetzlichen Vertreters von dem Vorsitzenden ein besonderer Ver­ treter bestellt werden. Derselbe ist befugt, alle Partei­ rechte zum Zwecke der Durchführung deS Feststellungs­ verfahrens wahrzunehmen. EineBefugniß zur Empfang­ nahme von Zahlungen steht demselben nicht zu. Das Gleiche gilt, wenn der Aufenthaltsort des gesetzlichen Vertreters unbekannt oder vom Sitze des Schieds­ gerichts weit entfernt ist. Die nichtprozeß fähige Partei tft auf ihr Verlangen selbst zu hören. Die Kosten deS besonderen Vertteters gelten als außergerichtliche Kosten. §.

11.

Mündliche Verhandlung. Die Entscheidung erfolgt auf Grund mündlicher Verhandlung vor dem Schiedsgerichte. Der Termin hierzu wird von dem Vorsitzenden anberaumt. Die Betheiligten werden von dem Termin, in der Regel mittelst eingeschriebenen Briefes, mit dem Be­ merken in Kenntniß gesetzt, daß im Falle ihres Aus­ bleibens nach Lage der Akten werde entschieden werden. Ein Auswels hierüber muß zu den Akten gebracht werden. Hält das Schiedsgericht das persönliche Erscheinen eines Betheiligten für angemessen, so hat eS demselben zu eröffnen, daß aus seinem Nichterscheinen ungünstige Schlüsse für seinen Anspruch gezogen werden können. §. 12.

Ort der Verhandlung. Die mündliche Verhandlung findet in der Regel am Sitze des Schiedsgerichts statt. Der Vorsitzende ist jedoch befugt, das Schiedsgericht zu einer Sitzung an einen anderen Ort seines Bezirkes zu berufen, wenn 26*

dies zur Ersparung an Kosten oder Reisen, zur Auf­ klärung deS Sachverhalts oder zur Erleichterung der Beweisaufnahme zweckmäßig erscheint. §. 13. Öffentlichkeit deS Verfahrens. Die mündliche Verhandlung erfolgt in öffentlicher Sitzung. Die Oeffentlichkeit rann durch einen öffent­ lich zu verkündenden Beschluß ausgeschlossen werden, wenn das Schiedsgericht dies aus Gründen des öffentlichen Wohles oder der Sittlichkeit für angemessen erachtet. Die Vorschriften der §§. 176 bis 182, 184 des GerichtSverfaffungsgesetzeS über die Aufrechterhaltung der Ordnung finden entsprechende Anwendung Ueber die Beschwerde gegen Ordnungsstrafen entscherdet endgültig die höhere Verwaltungsbehörde, in deren Bezirke sich der Sitz des Schiedsgerichts befindet. Die Beschwerde ist binnen zwei Wochen nach der Zustellung der Straf­ verfügung bei der zur Entscheidung zuständigen Stelle einzulegen. Die vom Schiedsgerichte festgesetzten Strafen werden in derselben Weise beigetrieoen wie Gemeinde­ abgaben und fließen bei Streitsachen aus der Invaliden­ versicherung in die Kaffe der Versicherungsanstalt, bei Streitsachen aus der Unfallversicherung tn« die Kaffe der Berufsgenoffenschaft oder der Ausführungsbehörde. §. 14. Die mündliche Verhandlung beginnt mit der Dar­ stellung des Sachverhalts durch den Vorsitzenden oder durch einen von diesem ernannten Berichterstatter. Demnächst sind die erschienenen Betheiligten zu hören. Der Vorsitzende hat jedem Beisitzer auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen.

Verfahren vor den Schiedsgerichten.

405

§. 15. Erledigung der Berufung durch Vergleich. Eine Berufung kann durch Vergleich erledigt werden, wenn dieser sich auf den streitigen Anspruch selbst und auf die etwaigen außergerichtlichen Kosten erstreckt. §. 16. Sitzungsprotokoll. Die mündliche Verhandlung erfolgt unter Zuziehung eines vereidigten Protokollführers. Bon demselben ist ein Protokoll aufzunehmen, welches die Namen des Vorsitzenden und der mitwirkenden Beisitzer, deren Eigenschaft als Vorsitzender, Arbeitgeber oder Arbeit­ nehmer sowie die Bezeichnung des Berufs der Beisitzer enthält und den Gang der Verhandlung im Allgemeinen angiebt. Außerdem sind durch Aufnahme in das Protokoll festzustellen: 1. Erklärungen der Parteien, welche die Zurück­ nahme einer Berufung bezwecken, ferner An­ erkenntnisse, Verzichtleistungen, Vergleiche; 2. solche Anträge und Erklärungen der Parteien, welche von den Schriftsätzen abweichen; 3. die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen, soweit dieselben früher nicht abgehört waren oder von ihrer früheren Aussage abweichen; 4. die Ergebnisse eines Augenscheins; 5. Beschlusse des Schiedsgerichts und die Urtheils­ formel. DaS Protokoll ist, soweit in demselben Vergleiche, Anerkenntnisse oder Verzichtleistungen festgestellt worden sind, den Betheiligten vorzulesen. In dem Protokoll ist zu bemerken, daß die Vorlesung stattgefunden hat

406

Anlage XII.

und daß die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwendungen erhoben worden sind. Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer zu unterzeichnen. §. 17. Beweisaufnahme. Das Gericht bat den zur Klarstellung des Sach­ verhalts erforderlichen Beweis in vollem Umfange zu erheben, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Beweis von den Parteien angetreten worden ist oder nicht. Der Vorsitzende ist befugt, zur mündlichen Ver­ handlung auch ohne vorausgehenden Beschluß deS Schiedsgerichts Zeugen und Sachverständige vorzu­ laden sowie das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anzuordnen (§. 11 Abs. 3 dieser Verordnung, §. 9 Abs. 5 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze). Die Beweiserhebung erfolgt in der Regel in der mündlichen Verhandlung. Das Schiedsgericht ist jedoch befugt, den Beweis durch ein Mitglied oder gemäß §. 172 des Jnvalidenversicherungßgesetzes, §. 144 des Gewerbe-Unfallverstcherungsgesetzes, §. 154 des. Unfall­ versicherungsgesetzes für Land - und Forstwirtschaft, §. 45 Abs. 2 des Bau - Unfallversicherungsgesetzes, §. 141 des See - Unfallversicherungsges etzes durch eine öffentliche Behörde erheben zu lassen. Geeignetenfalls steht die Befugniß der Beweiserhebung auch dem Vor­ sitzenden schon vor Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu. Die Beweis Verhandlungen sind unter Zuziehung eines vereidigten oder durch Handschlag zu verpflich-

Verfahren vor

den

Schiedsgerichten.

407

tenden Protokollführers aufzunehmen; die Betheiligten sind zu benachrichtigen. §. 18.

Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu lassen und die Aus­ sagen eidlich zu erhärten, finden die Bestimmungen der Civilprozeßordnung entsprechende Anwendung. Ins­ besondere ist das Schiedsgericht befugt, gegen Zeugen und Sachverständige, welche sich nicht oder nicht recht­ zeitig zu den Sitzungen einfinden, oder ihre Aussage oder die Eidesleistung ohne Angabe eines Grundes oder, nachdem der vorgeschützte Grund rechtskräftig für unerheblich erklärt ist, verweigern, eine Geldstrafe bis zu dreihundert Mark festzusetzen. Kommt die Verhängung oder Vollstreckung von Zwangsmaßregeln in Frage, so ist um diese das Amtsgericht zu ersuchen, in dessen Bezirke die Zeugen oder Sachverständigen ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben. Auf Militärpersonen, welche dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehören, finden die Vorschriften des §. 380 Abs. 4, §. 390 Abs. 4, §. 409 Abs. 3 der Civilprozeßordnung Anwendung Gegen die Beschlüsse Schiedsgerichts findet binnen einer Frist von zwei Wochen nach deren Zustellung die Beschwerde an das Reichs-Versicherungsamt statt, in Streitsachen aus der Unfallversicherung tritt an dessen Stelle das Landes-Versicherungsamt, sofern die Entscheidung auf einen Rekurs diesem zusteht; die Beschwerde ist schriftlich beim Schiedsgericht einzulegen. Erfolgt nachträglich eine genügende Entschuldigung für das Verhalten des Zeugen oder Sachverständigen, so sind die getroffenen Anordnungen wieder auf­ zuheben. Die Bestimmung des §. 13 Abs. 3 findet An-

Wendung. Die Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (Reichs-Gesetzbl. 1898 S. 689). §. 19. Ents cheidung. Das Schiedsgericht entscheidet innerhalb der er­ hobenen Ansprüche nach freiem Ermessen. Bilden sich in Beziehung auf Summen, über welche- zu entscheiden ist, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehr­ heit für sich bat, so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere abgegebenen solange hinzugerechnet, bis sich eine Mehr­ heit ergiebt. Die Berathung und Beschlußfassung erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung; hierbei dürfen nur Mitglieder mitwirken, vor welchen die mündliche Verhandlung stattgefunden hat. §.

20.

Gerichtliche Kosten. Die Festsetzung der gerichtlichen Kosten des Ver­ fahrens, die nach §. 107 Abs. 1 des JnvalidenversicherungßgesetzeS vorbehaltlich der Bestimmung des §.10 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, die Versicherungsanstalt zu tragen hat, erfolgt durch den Vorsitzenden des Schieds­ gerichts. Wird seine Festsetzung angefochten, so ist die Entscheidung des Schiedsgerichts herbeizuführen. Gegen diese Entscheidung findet Beschwerde an das Reichs - Versicherungsamt statt. Die Beschwerde ist binnen einem Monate nach der Zustellung des Fest­ setzungsbescheids schriftlich beim Schiedsgericht ein-

zureichen, das, wenn es die Beschwerde für begründet erachtet, ihr stattgeben kann. Anderenfalls ist die Beschwerde mit einer gutachtlichen Aeußerung unter Beifügung der Verhandlungen dem Reichs-Versiche­ rungsamt einzureichen. Der Vorsitzende des Schiedsgerichts, in Streitsachen aus der Unfallversicherung aber das Schiedsgericht, kann den Betheiligten solche Kosten des Verfahrens zur Last legen, welche durch Muthwillen oder durch ein auf Verschleppung oder Irreführung berechnetes Verhalten veranlaßt worden sind (§. 104 Abs. 5 in Verbindung mit §. 64 Abs. 5 des Jnvalrdenversicherungsgesehes; §. 10 Abs. 4 des Gesetzes, betreffend die Ab­ änderung der Unfallversicherungsgesetze). §.

21.

Außergerichtliche Kosten. Das Schiedsgericht hat, ohne daß es eines Antrags bedarf, zugleich mit der Entscheidung über die Haupt­ sache zu prüfen, ob und in welchem Betrage die unterliegende Partei dem Gegner die ihm in dem Verfahren vor dem Schiedsgericht erwachsenen Kosten zu erstatten hat. Die Festsetzung des Betrags erfolgt nach freiem Ermessen. Dasselbe gilt, solange nicht durch die im §. 20 des Gesetzes, betreffend die Avänderung der Unfallversicherungsgesetze, vorhergesehene Verordnung etwas Anderes bestimmt wird, unter Berück­ sichtigung der zweckentsprechend aufgewendeten Zeit und Mühewaltung auch für Rechtsanwälte sowie sonstige Vertreter und Beistände der Parteien. Die von einer Partei zu erstattenden außergericht­ lichen Kosten werden auf Antrag durch Vermittelung des Schiedsgerichts in derselben Weise beigetrieben wie Geweindeabgaben.

§.

22.

Abstimmung. Bei der Abstimmung stimmt der etwa bestellte Berichterstatter (§. 14) zuerst. Im Uebriaen richtet sich bei der Abstimmung der Beisitzer die Reihenfolge nach dem Lebensalter dergestalt, daß der Jüngste zuerst stimmt. Der Vorsitzende stimmt in allen Fällen zuletzt. §. 23. Verkündung. Der Vorsitzende verkündet den Beschluß oder die Entscheidung in öffentlicher Sitzung. Die Verkündung kann auf eine sofort anzuberaumende spätere Sitzung vertagt werden, welche in der Regel binnen einer Woche stattfinden soll. Wird die Verkündung der Gründe für angemessen gehalten, so erfolgt sie durch mündliche Mittheilung dcS wesentlichen Inhalts. §. 24. Form und Ausfertigung der Entscheidung. Die Entscheidungen enthalten eine gedrängte Dar­ stellung des Sach- und Streitstandes auf Grund der gesummten Verhandlungen unter Hervorhebung der in der Sache gestellten Anträge (Thatbestand), ferner die Entscheidungsgründe und die von der Darstellung des Thatbestandes und der Entscheidungsgründe äußerlich zu sondernde Urtheilsformel. Die Entscheidungen sind in der Urschrift von dem Vorsitzenden zu unterschreiben; im Falle seiner Behinderung unterschreibt der dem Lebensalter nach älteste mitwirkende Beisitzer.

§. 25. Bei den Ausfertigungen der Entscheidungen sind im Eingänge die Mitglieder deS Schiedsgerichts, welche an der Entscheidung Theil genommen haben, nach Maß­ gabe des §. 16 namentlich aufzuführen, und der Sitzungs­ tag, an welchem die Entscheidung erfolgt ist, zu be­ zeichnen. Die Ausfertigungen enthalten »neben dem Siegel des Schiedsgerichts (§. 26) die Schlußformel: „Urkundlich unter Siegel und Unterschrift/ „DaS Schiedsgericht für Arbeiterversicherung . / Die Vollziehung erfolgt durch den Vorsitzenden oder im Falle seiner Behinderung m Vertretung durch dessen Stellvertreter. Die Entscheidungen sollen spätestens innerhalb drei Wochen nach ihrer Verkündung den Parteien zugestellt werden. §. 26. Das Schiedsgericht führt ein Siegel, welches durch die für den Sitz des Schiedsgerichts zuständige LandesZentralbehörde bestimmt wird.

HL Besondere Vorschriften über das Verfahren bei Anträgen auf anderweite Feststellung der Unfallentschädigungen. §. 27. Der im §. 88 Abs. 3 des Gewerbe - Unfall­ versicherungsgesetzes, §. 94 Abs. 3 des Unfallversicherungsgefetzes für Land- und Forstwirthschaft, §. 92 Abs. 3 des See-Unfallversicherungsgesetzes vorgesehene Antrag auf anderweite Feststellung eurer Entschädigung ist seitens der Berufsgenossenschaft oder der Ausführungs­ behörde beim Schredsgerichte schriftlich zu stellen.

Der Verletzte kann den Antrag schriftlich oder zu Protokoll des Schiedsgerichts ober einer anderen inländischen Behörde oder eines Genossenschaftsorgans beziehungsweise eines deutschen Seemannsamts im Auslande stellen. Diese Stellen haben den Antrag ungesäumt an das zuständige Schiedsgericht abzugeben. Zuständig ist dasjenige Schiedsgericht, das gemäß §. 5 dieser Verordnung zuständig sein würde, falls es sich um die Einlegung der Berufung handelte. Dem Antrage der Berufsgenoffenschaft oder Ausführungsbehörde sind die Vorverhandlungen bei­ zufügen. Die Unterlagen, auf Grund deren die Herab­ setzung oder Aufhebung erfolgen soll, sind besonders hervorzuheben. Der Verletzte hat in seinem Antrage die Unterlagen, auf Grund deren die Erhöhung oder Wiedergewährung der Rente begehrt wird, glaubhaft zu macken. Bei schriftlicher Stellung sind dem Antrag und seinen Unterlagen Abschriften beizufügen. §. 28. Entsteht unter mehreren Schiedsgerichten Streit über ihre Zuständigkeit, so entscheidet das Reichs- oder Landes-Verstcherungsamt (§. 6). §. 29. Der Zeitpunkt des Einganges ist sofort auf dem Antrag und auf dessen Abschrift zu bemerken. Ist dem Antrag eine Abschrift nicht beigefügt, so ist eine solche zu fertigen und auf diese der Vermerk des Einganges zu übertragen. Die Bestimmungen des §. 7 Abs. 1 Satz 2 finden Anwendung. §. 30.

Nach Eingang des Antrags hat der Vorsitzende die Vorverhandlungen, auch diejenigen des Reichs- oder

Verfahren

vor

den Schiedsgerichten.

413

Landes-VerficherungsamtS, falls bei demselben früher ein Verfahren anhängig gewesen ist, einzufordern. §. 31. Ist das Schiedsgericht gesetzlich zur Entscheidung über den Antrag nicht zuständig, so kann der Vorsitzende den Antrag durch einen mit Gründen zu versehenden Bescheid zurückweisen. Die Anfertigung einer Abschrift des Antrags seitens des Schiedsgerichts (§. 29) kann in diesem Falle einstweilen unterbleiben. Die Bestimmungen des §. 8 Abs. 2, 3, 4 finden entsprechende Anwendung. §. 32. Sofern die Voraussetzungen des §. 31 nicht vor­ liegen, hat der Vorsitzende die Abschrift des Antrags und seiner Unterlagen dem Gegner mit der Anheim­ gäbe mitzutheilen, eine Gegenschrift einzureihen. Im weiteren Verfahren finden die Bestimmungen des §. 9 Abs. 2, 3 sowie der §§. 10 bis 26 entsprechende Anwendung. §. 33. Geschäftsbetrieb. Die Schiedsgerichte unterliegen der Beaufsichtigung durch die für ihre Sitze zuständigen LandeS'Zentralbehörden oder die von denselben zu bestimmenden anderen Behörden. Ueber Beschwerden der Parteien, die die Prozeß­ führung betreffen, entscheidet in Streitsachen aus der Invalidenversicherung das Reichs-Versicherungsamt, in Streitsachen aus der Unfallversicherung das ReichsVersicherungsamt oder das Landes-Dersiherungsamt, letzteres, sofern ihm die Entscheidung auf emen Rekurs zusteht.

Auf die Beseitigung von Verzögerungen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten in der Prozeßführung hat das Reichs­ oder Landes-Versicherungsamt, auch ohne daß Beschwerden der Partei vorliegen, hinzuwirken. Bleiben die aus diesem Anlaß ergangenen Weisungen ohne Erfolg, so sind die Aufsichtsbehörden um Abhülfe zu ersuchen. §. 34. Geschäftssprache. In Betreff der Geschäftssprache vor dem Schieds­ gerichte finden die Bestimmungen in den §§. 186 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung. Eingaben, welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden nicht berücksichtigt. §. 35. Geschäftsbericht. Arn Schluffe eines jeden Jahres hat der Vorsitzende des Schiedsgerichts dem Reichs-Versicherungsamte zu dem von diesem zu bestimmenden Zeitpunkt und nach dem von demselben vorzuschreibenden Muster einen Geschäftsbericht einzureichen. §. 36. Besondere Bestimmungen über Fristen. Bei Streitsachen aus der Invalidenversicherung gelten für Seeleute, welche sich außerhalb Europas aufhalten, hinsichtlich der in dieser Verordnung be­ stimmten Fristen die Vorschriften deS §. 167 Abs. 3 deS JnvaudenverstcherungSgesetzes. Bei Streitsachen aus der See-Unfallversicherung gelten für Personen, welche sich außerhalb Europas aufhalten, die gemäß §. 80 Abs. 4 des See-Unfallversicherungsgesetzes fest­ gesetzten Fristen.

Verfahren vor Len Schiedsgerichten.

415

§. 37. Schlußbestimmungen. Diese Verordnung tritt mit dem Tage in Kraft, von welchem ab die im §. 3 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsaesetze, vom 30. Juni 1900 bezeichneten Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung in Thätigkeit treten (§. 25 a. a. O.). Mit demselben Tage treten die Bestimmungen der Verordnung über das Verfahren vor den auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes errichteten Schieds­ gerichten vom 2. November 1885 (Reichs-Gesetzbl. (§. 279), die Bestimmung im Artikel III der Ver­ ordnung, betreffend die Formen des Verfahrens und den Geschäftsgang des Reichs-Versicherungsamts sowie das Verfahren vor den auf Grund der Gesetze vom 5. Mai 1886 und vom 13. Juli 1887 errichteten Schieds­ gerichten, vom 13. November 1887 (Reichs Gesetzbl. S. 523) sowie die Bestimmungen der. Verordnung, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des Invalidenversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten, vom 6. Dezember 1899 (Reichs-Gesetzbl. S. 677) außer Wirksamkeit. Auf die zur Zeit des Inkrafttretens dieser Ver­ ordnung bei den Schiedsgerichten schwebenden Be­ rufungen finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unter­ schrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel. Gegeben Homburg v. d. Höhe, den 22. November 1900. (L. 8.) Wilhelm. Graf von PosadowSky.

416

Anlage XII.

Verordnung, betreffend die Schiedsgerichte für Arbeiterversicherunz. Vom 22. November 1900. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser König von Preußen rc. verordnen auf Grund des §. 25 Abs. 1 Ziffer 1 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallver­ sicherungsgesetze, vom 30. Juni 1900 (ReichsGesetzbl. S. 335) im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths, was folgt: Der Zeitpunkt, von welchem ab die Schiedsgerichte für Arbeiterversicherung (§. 3 a. a. O.) an die Stelle der bisherigen nach Berufsgenoffenschaften errichteten Schiedsgerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten aus der Unfallversicherung treten, wird auf den 1. Januar 1901 festgesetzt. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unter­ schrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel. Gegeben Homburg v. d. Höhe, den 22. November 1900. (L. S.)

Wilhelm. Graf von Posadowsky.

417

Verfahren des ReichS-BerstcherurigSamtS.

Anlage XIII, Verordnung, betreffend den Geschäftsgang und das Verfahren des Veichs-Verficherungsamts.

Vom 19. Oktober 1900. (ReichS-Gesetzbl. von 1900, Nr. 49, S. 983 bis 997.) Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Könrg von Preußen rc. verordnen auf Grund des §. 19 Abs. 4 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungs­ gesetze, vom 30. Juni 1900 (Reichs-Gesetzbl. S. 573) und des §. 110 Abs. 4 des Jnvalidenversicherungsgesetzes (Reichs-Gesetzbl. 1899 S. 463) im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesratbs, was folgt:

I. Einteilung und Bearbeitung der Dienstgeschäste. Dienststellung des Präsidenten. §• 1.

Dem Präsidenten des Reichs-Versicherungsamts steht die Leitung und Beaufsichtigung des gesummten Dienstes zu. Er vertheilt die Geschäfte unter die Mitglieder, die Beamten und die richterlichen Beisitzer des ReichsVersicherungsamts und bestellt, soweit erforderlich, die Beauftragten und Vertreter der Behörde. Präsidials achen. §

2.

Der Präsident ordnet die Einrichtung der Büreaus, der Akten und der Geschäftsregister; er hat die Ver­ fügung in allen die Verwaltung betreffenden An­ gelegenheiten, insbesondere in Personalsachen, sowie in v. Woedtke, JnvalidenversicherungSgesetz.

27

denjenigen Angelegenheiten, welche das Haushalts- und Kastenwesen, das Dienstgebäude und dessen Einrichtung, die amtlichen Veröffentlichungen, die Bibliothek und ähnliche Gegenstände betreffen (Präsidialsachen). Der Präsident bezeichnet diejenigen sonstigen Sachen, deren Bearbeitung oder Revision er sich vorbehält. Er ist befugt, in jeder Sitzung den Vorsitz zu über­ nehmen; er vollzieht die Ausfertigungen und Rein­ schriften in den ihm vorbehaltenen Sachen. Vertretung des Präsidenten. §. 3. Die ständige Vertretung des Präsidenten für dessen sämmtliche Dienstobliegenheiten wird vom Reichskanzler (Reichsamt des Innern) einem der Direktoren über­ tragen. In deffen Behinderung wird der Präsident durch den anderen Direktor vertreten. Ist auch dieser behindert, so erfolgt die Vertretung durch die übrigen ständigen Mitglieder des Reichs-Versicherungsamts in der Reihenfolge des Dienstalters, sofern nicht der Reichskanzler (Reichsamt des Innern) etwas Anderes bestimmt. Abtheilungen. §• 4. Im Reichs-Versicherungsamte bestehen zwei Ab­ theilungen. Die eine Abtheilung hat die Angelegenheiten der Unfallversicherung und die sonstigen Aufgaben der Träger dieser Versicherung, die andere Abtheilung die An­ gelegenheiten der Invalidenversicherung zu bearbeiten. Die auf Grund des §. 11 des Jnvalidenversicherungsgesetzes von der See-Berufsgenoffenschaft getroffenen Einrichtungen gehören zum Geschäftsbereiche der Ab­ theilung für Invalidenversicherung.

419

Verfahren des Reichs-VerficherungSamtS.

Direktoren. §.

5.

An der Spitze jeder Abtheilung steht ein Direktor. Der Präsident bestimmt, welcher Direktor die eine und welcher Direktor die andere Abtheilung zu leiten hat; die Bestimmung bedarf der Genehmigung des Reichs­ kanzlers Meichsamt des Innern). Der Direktor leitet die Geschäfte seiner Abtheilung unter der Oberleitung des Präsidenten. Er zeichnet diejenigen Sachen, welche bte Abtheilung als solche oder mehrere Unterabtheilungen gemeinsam betreffen, sowie diejenigen sonstigen Entwürfe, deren Revision er sich vorbehält, und vollzieht bei diesen die Aus­ fertigungen und Reinschriften. Der Direktor wird im Falle seiner Behinderung durch die der Abtheilung zugewiesenen ständigen Mit­ glieder nach der Reihenfolge des Dienstalters vertreten. Unterabtheilungen. §•

6.

In jeder Abtheilung können für einzelne Theile ihres Geschäftsbereichs Unterabtheilungen errichtet werden. Die Errichtung der Unterabtheilungen und die Ab­ grenzung ihres Geschäftskreises bestimmt der Reichs­ kanzler (Reichsamt des Innern). Die Leitung der Unterabtheilung steht, sofern der Präsident sie nicht dem Direktor der Abtheilung oder einem anderen ständigen Mitglied überträgt, unter des Präsidenten und des Direktors Oberleitung demjenigen ständigen Mitgliede zu, welches unter den der Unter­ abtheilung zugewiesenen ständigen Mitgliedern nach dem Dienstalter das älteste ist. Dieses Mitglied erledigt die Geschäfte durch Mitzeichnung der Entwürfe desjenigen Mitglieds, dem die Bearbeitung der ein27*

Seinen Angelegenheiten übertragen ist, und vollzieht, soweit dies nicht dem Direktor oder dem Präsidenten vorbehalten bleibt, in deren Vertretung die ab­ zusendenden Ausfertigungen und Reinschriften. Die Vertretung des Leiters der Unterabtheilung liegt im Falle der Behinderung den übrigen der Unterabtheilung zugewiesenen ständigen Mitgliedern nach der Reihenfolge des Dienstalters ob. Nichtständige Mitglieder. §. 7. Die Zahl der Stellvertreter, welche für die als Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten gewählten nichtständigen Mitglieder zu wählen sind (§. 13 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungßgesetze), bestimmt der Reichskanzler (Reichsamt des Innern). §•

8.

Die vom Bundesrathe gewählten nichtständigen Mitglieder werden vom Staatssekretär des Innern auf die Erfüllung der Obliegenheiten ihres Amtes mittelst Handschlags au Eidesstatt verpflichtet. Die Verpflichtung der als Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten gewählten nichtständigen Mitglieder sowie ihrer Stellvertreter erfolgt in gleicher Weise durch den Präsidenten des Reichs-Versicherungsamts. Im Falle der Wiederwahl genügt die Verweisung auf die frühere Verpflichtung. Richterliche Beisitzer. §• 9. Die zu den Entscheidungen des Reichs-Versicherunasamts zuzuziehenden richterlichen Beamten werden für

Verfahren des ReichS-VerstcherungSamlS.

421

die Dauer des zur Zeit ihrer Berufung von ihnen bekleideten Hauptamts durch den Reichskanzler (Reichs­ amt des Innern) berufen. Der Reichskanzler kann weitere richterliche Beamte bestimmen, welche aushülfsweise oder auf Zeit nach näherer Bestimmung des Präsidenten zu den Entscheidungen des ReichsVersicherungsamts zuzuziehen sind. Sitzungen. §.

10.

Die Geschäfte des Reichs-Veftrcherungsamts sind, soweit sie nicht durch den Präsidenten oder unter Mitzeichnung des Präsidenten, eines Direktors oder des Leiters einer Unterabtheilung von dem mit der Bearbeitung betrauten Mitgliede bearbeitet werden, in Sitzungen zu erledigen. In den Angelegenheiten der Verwaltung werden Gesammtsitzungen, Abtheilungssitzungen und Sitzungen der Unterabtheilungen abgehalten (§§. 11 bis 16): für die Rechtsprechung und die derselben nach gesetzlicher Bestimmung gleichgestellten Angelegenheiten bestehen Senate (§§. 20 ff.). Gesammtsitzungen. §• 11.

Bei Angelegenheiten, die bctbe Abtheilungen gemeinsam betreffen, kann auf Anordnung des Präsidenten und unter seinem Vorsitz eine gemeinsame Berathung und Beschlußfaffung in Gesammtsitzungen stattfinden. §.

12.

Zur Theilnahme an den Gesammtsitzungen sind alle ständigen Mitglieder des Reichs-VersicherungS-

amts sowie die zur Bearbeitung von Geschäften der Mitglieder herangezogenen Hülfsarbeiter einzuladen. Außerdem sind einzuladen: a) die vom Bundesrathe gewählten nichtständigen Mitglieder; b) die nichtständigen Mitglieder aus dem Stande der Arbeitgeber und der Versicherten, soweit sie am Sitzungstag in Berlin anwesend sind; c) vier richterliche Beisitzer. Als solche werden in der Regel und soweit nicht der Präsident im einzelnen Falle anders bestimmt, die nach der Dauer ihrer Beschäftigung im Reichs-Verstcherungsamt ältesten vier richterlichen Beamten eingeladen. Für diejenigen nichtständigen Mitglieder aus dem Stande der Arbeitgeber und der Versicherten, welche am Sitzungstage voraussichtlich in Berlin nicht anwesend sein werden, oder deren Behinderung dem Präsidenten rechtzeitig mitgetheilt wird, ist je ein in Berlin anwesender oder in Berlin oder dessen naher Umgebung wohnender Stellvertreter einzuladen. Bei der Einladung ist die Tagesordnung mitzu­ theilen. Abtheilungssitzungen. §.

13.

Angelegenheiten, welche den Geschäftskreis nur einer Abtheilung berühren, werden, sofern der Präsident oder der Direktor der Abtheilung dies bestimmt oder in Uebereinstimmung mit dem die Angelegenheit be­ arbeitenden Mitgliede der Leiter einer Unterabtheilung dies beantragt, unter dem Vorsitze des Präsidenten oder des Direktors in der Abtheilungssitzung verhandelt.

Verfahren des Reichs-Derstcherungsamts.

423

Die im §. 18 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherunasgesetze, bezeichneten Angelegen­ heiten sind stets in Abtheuungssitzungen zu erledigen. §. 14. Zur Theilnahme an den Abtheilungssitzungen sind einzuladen: 1. bei der Abtheilung für Invalidenversicherung die derselben zugewiesenen ständigen Mitglieder und Hülfsarbeiter; 2. bei der Abtheilung für Unfallversicherung mindestens der dritte Theil und höchstens die Hälfte der derselben zugewiesenen ständrgen Mit­ glieder nach einer von dem Präsidenten aufzu­ stellenden Reihenfolge dieser Mitglieder sowie die in der Abtheilung beschäftigten Hülfsarbeiter. War die Angelegenheit in Unterabtheilungen be­ arbeitet worden, so sind die denselben zugewiesenen ständigen Mitglieder, soweit sie nicht schon auf Grund der vorstehenden Bestimmungen zur Theilnahme berufen sind, gleichfalls einzuladen. Zu jeder Abtheilungssitzung sind außerdem einzu­ laden: a) die vom Bundesrathe gewählten nichtständigen Mitglieder: b) je ein in Berlin anwesendes nichtständiges Mit­ glied aus dem Stande der Arbeitgeber und der Versicherten, soweit deren Zuziehung im Gesetze vorgeschrieben oder von dem Präsidenten oder dem Direktor angeordnet wird; der Präsident sowie der Direktor können bestimmen, daß noch je ein oder je zwei weitere in Berlin anwesende nichtständige Mitglieder aus dem Stande der

Arbeitgeber und der Versicherten zuzuziehen sind; c) zwei richterliche Beisitzer, soweit dies zur Er­ örterung von Rechtsfragen für erforderlich erachtet wird, nach näherer Bestimmung des Präsidenten. In der Abtheilung für Invalidenversicherung ist auch der Vorsteher der Rechnungsstelle nach Bedarf zuzuziehen. §. 15. In den Angelegenheiten der Unfallversicherung sind die Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten sowie deren Stellvertreter aus den im einzelnen Falle be­ theiligten Gruppen von Berufsgenossenschaften zu ent­ nehmen (§. 16 Abs. 3 des Gesetzes, betreffend die Ab­ änderung der Unfallversicherungsgesetze). Der §. 12 Abs. 2, 3 findet entsprechende Anwendung. Sitzungen der Unterabtheilungen. §. 16. Soweit der Leiter einer Unterabtheilung oder das mit der Bearbeitung der Angelegenheit betraute Mit­ glied eine Besprechung in der Unterabtheilung für erforderlich hält, ist die Sache in einer Sitzung der Unterabtheilung zu erledigen. Zu derselben sind die der Unterabtheilung zugewiesenen ständigen Mitglieder des Reichs-Versicherungsamts sowie die daselbst be­ schäftigten Hülfsarbeiter zuzuziehen. Gemeinsame Bestimmungen. §. 17. Die Sitzungen (§§. 11 bis 16) sind nicht öffentlich. Stimmberechtigt sind die eingeladenen und in der Sitzung anwesenden Mitglieder des Reichs - Ver-

Verfahren

des Reichs-DersicherungSamtS.

425

lotete bte zugezogenen richterlichen Beamten.

Die von dem Bundesrathe gewählten Mitglieder nehmen ihre Stelle nach dem Vorsitzenden, also Vör­ den übrigen Mitgliedern, in der Reihenfolge ein, die für sie im Bundesrathe besteht, soweit sie aber dem Bunoesrathe nicht angehören, nach den Bundesrathßmitgliedern und in der Reihenfolge des Dienstalters. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen und Berathungen, er stellt die Fragen und sammelt die Stimmen. Meinungsverschiedenheiten über den Gegen­ stand, die Fassung und die Reihenfolge der Fragen oder über das Ergebniß der Abstimmung werden gemäß §. 18 entschieden. §. 18.

Für den mündlichen Vortrag in den Sitzungen wird ein Berichterstatter ernannt. Aus besonderen Gründen können Mitberichterstatter bestellt werden. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt; bei Stimmengleichheit giebt der Vorsitzende den Ausschlag. Bilden sich in Beziehung auf Summen, über die zu entscheiden ist, mehr als zwei Meinungen, deren keine die Mehrheit für sich hat^so werden die für die größte Summe abgegebenen Stimmen den für die zunächst geringere abbegebenen Stimmen solange hin­ zugerechnet, bis sich eine Mehrheit ergiebt. Die Stimmen werden bei namentlicher Abstimmung in nachstehender Reihenfolge abgegeben: 1. von den Berichterstattern in der Reihenfolge ihrer Bestellung; 2. von den Vertretern der Versicherten; 3. von den Vertretern der Arbeitgeber; 4. von den richterlichen Beamten;

426

Anlage

Xin.

5. von den ständigen Mitgliedern; 6. von den vom Bundesrathe gewählten Mit­ gliedern; 7. von dem Vorsitzenden. Innerhalb der einzelnen Gruppen richtet sich die Reihenfolge der Abstimmung bei der zweiten und dritten Gruppe nach dem Lebensalter, innerhalb der vierten und fünften Gruppe nach dem Dienstalter im Reichs-Versicherungsamt und bei gleichem Dienstalter nach dem Lebensalter, und zwar in allen Fällen der­ gestalt, daß der Jüngste zuerst stimmt. Ber den vom BundeSratye gewählten Mitgliedern ist die im tz. 17 Abs. 3 bestimmte Reihenfolge umgekehrt zur Anwendung zu bringen. §. 19. Werden in den Sitzungen Fragen verhandelt, die im Wege der Rechtsprechung zur Entscheidung gelangen, so ist der in der Sitzung gefaßte Beschluß für die Abstimmung in dm Senaten nrcht bindend.

II. Geschäftsgang und Verfahren bei den Senaten. Besetzung. §.

20.

Die Entscheidung der in den §§. 16, 17 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, und im §. 110 des JnvalidenversicherungsgesetzeS be­ zeichneten Streitfälle erfolgt in der aus den nachstehenden Paragraphen sich ergebenden Besetzung durch Spruch­ kollegren, welche die Bezeichnung Senate führen. Diese treten an die Stelle der bisherigen Spruchkammern des Reichs-Versicherungsamts. Den Vorsitz in den Senaten führen der Präsident, die Direktoren oder die zu Vorsitzendm ernannten

ständigen Mitglieder. Im Falle des Bedürfnisses kann der Reichskanzler ein anderes ständiges Mitglied vor­ übergehend mit dem Vorsitze betrauen. §.

21.

Die Senate für die Unfallversicherung entscheiden gemäß §. 16 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, in der Besetzung mit sieben Personen einschließlich des Vorsitzenden. §.

22.

Die Senate für die Invalidenversicherung entf^etben gemäß §. 110 des Jnvalidenversicherungsgesetzes in der Besetzung mit fünf Personen einschließlich des Vor­ sitzenden. Sind jedoch im einzelnen Falle der Direktor der Abtheilung oder der Vorsitzende des Senats in Uebereinstimmung mit dem Benchterstatter der Meinung, daß es sich bei der Entscheidung um die noch nicht festgestellte Auslegung gesetzlicher Bestimmungen von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung handelt, so sind zu der Entscheidung noch ein vom Bundesrathe gewähltes nichtständiges sowie ein ständiges Mitglied zuzuziehen. An Stelle des vom Bundesrathe gewählten Mitglieds ist im Behinderungsfall ein weiteres ständiges Mitglied zuzuziehen. Der Senat ist befugt, unter vorläufiger Aussetzung der Entscheidung eine gleiche Verstärkung zu beschließen, wenn sich bei der mündlichen Verhandlung ergiebt, daß die Voraussetzung des Abs. 2 vorliegt. §. 23. Will ein Senat für Unfallversicherung oder für Invalidenversicherung bei einer ihm vorliegenden Spruchsache in einer grundsätzlichen Rechtsfrage von

einer früheren Entscheidung abweichen, so ist die Sache zur Entscheidung an den erweiterten Senat zu verweisen. In dem Verweisungsbeschluß ist die grundsätzliche Rechtsfrage, in der von einer früheren Entscheidung abgewichen werden soll, zu bezeichnen. Der erweiterte Senat entscheidet in der im §. 17 des Gesetzes, be­ treffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, angegebenen Besetzung mit elf Personen einschließlich des Vorsitzenden. §. 24. Zu den Sitzungen des erweiterten Senats sind zwei vom Bundesrathe gewählte Mitglieder abwechselnd nach der im §. 17 Abs. 3 bestimmten Reihenfolge zu berufen. An Stelle eines solchen Mitglieds ist ein ständiges Mitglied nur dann zuzuziehen, wenn die vom Bundesrathe gewählten Mitglieder sämmtlich behindert sind. Im Uebrigen bezeichnet der Präsident vor Beginn des Geschäftsjahrs für dessen Dauer die Mitglieder des erweiterten Senats. Für jedes dieser Mitglieder ist mindestens je ein erster und ein zweiter Stellvertreter zu bestimmen, welche im Falle der Behinderung in der Reihenfolge ihrer Bezeichnung einzutreten haben. Der verweisende Senat hat eines seiner Mitglieder zu bezeichnen, welches für die Entscheidung der Sache als Beisitzer in den erweiterten Senat eintritt, falls es diesem nicht ohnehin angehört. Von den Mitgliedern des erweiterten Senats scheidet alsdann der nach dem Dienstalter im Reichs-Versicherungsamte Jüngere von derjenigen Gruppe, welcher das von dem verweisenden Senat entsandte Mitglied angehört, für die Entscheidung dieser Sache aus; bei den von dem Bundesrathe gewählten Mitgliedern ist die im §. 17 Abs. 3 be­ stimmte Reihenfolge umgekehrt zur Anwendung zu bringen.

Verfahren des Reichs-VerficherungSamtS.

429

§. 25. Sind der Direktor der Abtheilung oder der zu­ ständige Vorstände eines Senats und der Bericht­ erstatter übereinstimmend der Ansicht, daß einer der Fälle vorliegt, welche nach §. 16 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, oder nach §. 110 Abs. 2 des Jnvalidenverstcherungsgesetzes durch einen Beschlußsenat von drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden zu erledigen sind, so ist diesem Senate die Sache durch Verfügung zur Beschluß­ fassung zu überweisen. Die Ausfertigung des Beschlusses wird von dem den Vorsitz führenden ständigen Mitgliede vollzogen. §. 26. Die §§. 20 bis *25 finden bei Verhandlungen und Entscheidungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 84 des Gewerbe. Unfallverstcherungsgesetzes, § 90 des Unfallverstcherungsgesetzes für Land- und Forstwirthschaft, §. 88 des See - Unfallversicherungs­ gesetzes und §. 119 des Jnvalidenversicherungsgesetzes Anwendung. §. 27. Der Präsident setzt unbeschadet des §. 24 für be­ stimmte Zeitabschnitte — in der Regel vierteljährlich — im voraus die Reihenfolge fest, in welcher die nicht­ ständigen Mitglieder des Reichs-Versicherungsamts zu den Spruchsitzungen einberufen werden. Die Einberufung soll in der Regel mindestens zwei Wochen vor der Sitzung erfolgen. Die Einberufung darf nur aus zwingenden Gründen, die auf Erfordern glaubhaft zu machen sind, abgelehnt werden.

430

Anlage XIIT.

§. 28. Die Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten sind zu den Sitzungen der Spruch- und Beschlußsenate in den Angelegenheiten der Unfallversicherung aus den betheiligten Gruppen von Berufsgenossenschaften zu entnehmen (§. 16 Abs. 3 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze). Sofern bei einer Entscheidung verschiedene Gruppen dieser Art in Betracht kommen (§. 73 Abs. 2, §§. 82, 83, 85 des Gewerbe - Unfallversicherungsgesetzes, §. 79 Abs. 2, §§. 88, 89, 91 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirthschaft, §. 78 Abs. 2, §§. 86, 87, 89 des See-Unfallversicherungsgesetzes), sollen Ver­ treter aus derjenigen Gruppe zugezogen werden, welche der Präsident bestimmt. Verfahren. §. 29. Der Antrag auf Entscheidung in den Fällen des §. 16 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze, des §. 84 des GewerbeUnfallversicherungsgesches, des §. 90 des Unfallversiche­ rungsgesetzes für Land- und Forstwirthschaft, des §. 88 des See-Unfallversicherungsgesetzes, des §. 110 Abs. 1, §. 119 deö Jnvalidenversicherungsgesetzes ist. an das Reichs-Versicherungsamt schriftlich zu richten. ' In dem Schriftsätze soll der Anspruch bezeichnet und begründet sein; bei Rekursen sollen insbesondere auch die etwa vorzubringenden neuen Thatsachen und Beweis­ mittel, bei Revisionen insbesondere auch die Gesichts­ punkte angeführt werden, aus welchen die Nichtanwendung oder die unrichtige Anwendung des bestehenden Rechtes oder ein Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten oder Mängel des Verfahrens sich ergeben sollen (§. 117

Verfahren

des

Reichs-VerficherungsamtS.

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Abs. 1 des Jnvalidenversicherungsgesetzes). Für jeden Gegner ist eine Abschrift beizufügen. Die Vorverhandlungen sind dem Reichs-Verstcherungsamte von dem Versicherungsträger, sofern der Antrag auf Entscheidung von diesem ausgeht, gleich­ zeitig mit dem Antrag, im klebrigen sobald sie ent­ behrlich sind, auch ohne besondere Aufforderung einzu­ reichen. Dies gilt auch für die Vorverhandlungen des Schiedsgerichts. Die Einreichung erstreckt sich auf die sämmtlichen bei dem Träger der Versicherung und deren Organen sowie bei der unteren Verwaltungs­ behörde oder dem Schiedsgerichte vorhandenen, auf den Anspruch sich beziehenden Schriftstücke, einschließlich derjenigen, welche sich in Vorakten befinden. §. 30. Das Reichs-Versicherungsamt hat die Abschrift des Antrags dem Gegner zur Einreichung einer Gegen­ schrift binnen einer bestimmten, von einer Woche bis zu einem Monate zu beweisenden Frist mitzutheilen. In den Fällen deS §. 25 kann hiervon abgesehen werden. In der Aufforderung ist zugleich auszusprechen, daß, wenn die Gegenschrift innerhalb der Frist nicht eingeht, die Entscherdung nach Lage der Akten erfolgen werde. Die Frist kann auf Antrag aus wichtigen Gründen verlängert werden. Der Gegenschrift und den etwaigen weiteren Schrift­ sätzen sind Abschriften beizufügen, die dem Gegner von dem Reichs-VeHicherungsamte zuzustellen sind. Ist ein Verstcherungstrager beigeladen, so sind die Schriftsätze auch diesem mitzutheilen und dessen Erklärungen den Parteien zu übermitteln. §. 31.

Die Schriftsätze müssen entweder von den Betheiligten selbst oder von ihren gesetzlichen Vertretern oder von

ihren Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Die Voll­ macht muß schriftlich ertheilt werden. Ehegatten, Ver­ wandte der aufsteigenden Linie und großjährige Ver­ wandte der absteigenden Linie können auch ohne schrift­ liche Vollmacht zur Vertretung zugelassen werden. Das Reichs-Versicherungsamt kann Bevollmächtigte und Beistände, welche das mündliche Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, zurückweisen. Diese Vorschrift findet kerne Anwendung auf Rechtsanwälte und auf Personen, denen das mündliche Verhandeln vor Gericht durch Anordnung der Justizverwaltung gestattet ist. §. 32. Die §§. 17, 18 finden Anwendung. In einfacheren Fällen des §. 116, §. 124 Abs. 3 des Gewerbe-Unfallversicherungsgesetzes, §. 124, §. 130 Abs. 3 deS Unfallverftcherungsgesetzes für Land- und Forstwirthschaft, §. 122 Abs. 1, §. 126 Abs. 3 des See - UnfallversicherunHsgesetzes kann von den Vor­ schriften des §. 30 sowie von der Beifügung einer Ab­ schrift (§. 29 Abs. 2) abgesehen werden. Besondere Vorschriften für Rekurse und Revisionen. §. 33. Die Entscheidung auf Rekurse und Revisionen er­ folgt, von den in ben §§. 25, 45, 46 bezeichneten Aus­ nahmen abgesehen, auf Grund mündlicher Verhandlung vor dem Reichs-Versicherungsamte. Die Betheiligten werden mittelst eingeschriebenen Briefes von dem Termine mit dem Bemerken in Kenntniß gesetzt, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten werde entschieden werden. Hält das Reichs-VersicherunAsamt das persönliche Erscheinen eines Betheiligten für an-

433

Verfahren des Reichs-BersicherungSamtS.

gemessen, so ist ihm zu eröffnen, daß aus seinem Nicht­ erscheinen ungünstige Schlüsse für seinen Anspruch gezogen werden können. DaS Schiedsgericht hat auf Erfordern des ReichsVerstcherungsamts bei Übersendung der Akten eine Abschrift des angefochtenen Urtheils beizufügen. Vor dem Termine hat der Berichterstatter einen schriftlichen Bericht nebst Gutachten, der Mitbericht­ erstatter ein schriftliches Gutachten vorzulegen. §. 34. Die Bestimmungen der §§. 41 ff. der Cioilprozeßordnung über die Ausschließung und Ablehnung der Richter finden auf die Mitglieder deö Senats entsprechende Anwendung. Ueber das Ablehnungsgesuch entscheidet der Senat durch Beschluß. §. 35. Die mündliche Verhandlung erfolgt in öffentlicher Sitzung. Die Oeffentlichkeit kann durch einen öffentlich zu verkündenden Beschluß ausgeschlossen werden, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Wohles oder der Sittlichkeit für angemessen erachtet wird. Die zur Verhandlung gelangenden Sachen werden der Regel nach in der durch Aushang vor dem Sitzungs­ zimmer bekannt zu machenden Reihenfolge erledigt. §. 36. Die mündliche Verhandlung beginnt mit der Dar­ stellung des Sachverhältniffes durch den Berichterstatter; demnächst sind die erschienenen Betheiligten zu hören. Der Vorsitzende hat jedem Mitgliede des Senats auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen. v. Woedtke, Jnvalidenverstcherungsgesetz.

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Anlage Xni.

§. 37. Die mündliche Verhandlung erfolgt unter Zuziehung eines vereidigten Protokollführers. Von demselben ist ein Protokoll aufzunehmen, das den Gang der Ver­ handlung im Allgemeinen angiebt. Anerkenntnisse, Verzichtleistungen, Vergleiche und solche Anträge imb Erklärungen der Betheiligten, welche von den Schrift­ sätzen abweichen, sowie die Formel der Entscheidung sind in das Protokoll aufzunehmen. Die Protokolle sind von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer, in Fällen der Urtherlsprechung außer­ dem von den Berichterstattern zu vollziehen. §. 38. Die Vorschriften der §§. 176 bis 182, 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Aufrechterhaltung der Ordnung finden entsprechende Anwendung. Die vom Reichs - Versicherungsamte festgesetzten Strafen werden in derselben Weise beigetrieben wie Gemeindeabgaben und fließen in die Reichskasse. §. 39. Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu lassen und die Aussagen eidlich zu erhärten, finden die Bestimmungen der (Zivil­ prozeßordnung entsprechende Anwendung. Insbesondere ist der Senat befugt, gegen Zeugen und Sachver­ ständige, welche sich nicht oder nicht rechtzeitig zu den Sitzungen einfinden oder ihre Aussage oder die Eides­ leistung ohne Angabe eines Grundes oder noch dann verweigern, nachdem der angeführte Grund für uner­ heblich erklärt ist, eine Geldstrafe bis zu dreihundert Mark festzusetzen. Kommt die Verhängung oder Vollstreckung von Zwangsmaßregeln in Frage, so ist

Verfahren des Reichs-DersicherungsamtS.

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um diese das Amtsgericht zu ersuchen, in dessen Bezirke die Zeugen oder Sachverständigen ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben. Auf Militärpersonen, die dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehören, finden die Vorschriften des | 380 Abs. 4, §. 390 Abs. 4, §. 409 Abs. 3 der Civilprozeßordnung Anwendung. Erfolgt nachträglich eine genügende Entschuldigung für das Verhalten des Zeugen oder Sachverständigen, so sind die getroffenen Anordnungen wieder aufzuheben. Die Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (Reichs-Gesetzbl. 1898 S. 689). §. 40. Die Berathurm über die Entscheidung erfolgt in nicht öffentlicher Sitzung. §. 41. Das Reichs-Versicherungsamt entscheidet innerhalb der erhobenen Ansprüche nach freiem Ermessen. Bei der Verhandlung ist, auch ohne daß es eines Antrags bedarf, zu prüfen, ob und in welchem Betrag eine unterliegende Partei dem Gegner die ihm in dem Verfahren erwachsenen Kosten zu erstatten hat. Wird die Erstattung solcher außergerichtlicher Kosten ange­ ordnet, so ist deren Höhe im Urtheile festzusetzen; diese Beträge werden auf Antrag durch Vermittelung des Reichs - Verstcherungsamts in derselben Weise bei­ getrieben wie Gemeindeabgaben. Bei den Entscheidungen, die auf Grund der mündlichen Verhandlung ergehen, dürfen nur Mit­ glieder mitwirken, vor denen diese Verhandlung statt­ gefunden hat.

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Anlage

xm.

§. 42. Der Vorsitzende verkündet das Ergebniß der Berathung in öffentlicher Sitzung. Die Verkündung kann auf eine spätere Sitzung vertagt werden; diese soll in der Regel binnen einer Woche stattfinden. Wird die Verkündung der Gründe für angemessen gehalten, so erfolgt sie durch mündliche Mittheilung ihres wesentlichen Inhalts. Dem Schiedsgerichte, gegen dessen Entscheidung Rekurs oder Revision eingelegt war, ist Abschrift des Urtheils zu ertheilen. §. 43. Die Urtheile werden nebst Gründen von den Berichterstattern entworfen und in der Urschrift von dem Vorsitzenden, den Berichterstattern und einem anderen Mi'tgliede, das an der Urtheilssprechung Theil enommen hat, unterzeichnet. Im Falle der Beinderung des Vorsitzenden erfolgt die Unterzeichnung durch das älteste müwirkende ständige Mitglied. §. 44. Im Eingänge des Urtheils sind die Mitglieder, welche an der Entscheidung Theil genommen haben, namentlich aufzuführen, auch ist der Sitzungstag zu bezeichnen, an dem die Entscheidung erfolgt ist. Die Ausfertigungen der Urtheile werden ntit der Ueberschrift versehen: „3m Namen des Reichs." Sie enthalten neben dem Siegel des Reichs-Ver­ sicherungsamts die Schlußformel: „Urkundlich unter Siegel und Unterschrift." „Das Reichs-Versicherungsamt." Die Vollziehung erfolgt durch den Vorsitzenden, im Falle seiner Behinderung durch das dem Dienstalter

S

Verfahren des Reichs-DersicherungSamtS.

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nach älteste ständige Mitglied des Reichs-Versicherungs­ amts, welches bei der Entscheidung mitgewirkt hat. §. 45. Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urtheile vorkommen, sind jederzeit auch von Amtswegen zu berichtigen. Ueber die Berichtigung kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung entschieden werden. Der Berichtigungs­ beschluß wird von dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Senats, die das Urtheil unterzeichnet haben, erlassen; er wird auf der Urschrift des Urtheils und den Aus­ fertigungen vermerkt. §. 46. Wenn ein von einer Partei geltend gemachter Haupt­ oder Nebenanspruch oder der Kostenpunkt bei der Ent­ scheidung ganz oder theilweise übergangen ist, so ist auf Antrag das Urtheil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen. Ueber diesen Antrag kann ohne vorgängige mündliche Verhandlung entschieden werden, soweit es sich um einen Nebenanspruch oder um den Kostenpunkt handelt. Der Ergänzungsbeschluß wird aus der Urschrift des Urtheils und den Ausfertigungen vermerkt.

III. Beschwerden über Verfügungen der Rechnungsstelle. §. 47. Beschwerden gegen die durch die Rechnungsstelle des Reichs-Versicherungsamts vorgenommenen Ver­ theilungen und Abrechnungen (§. 126 Abs. 2 des Jnvalidenversicherungsgesetzes) werden im Wege der Verfügung erledigt. Dies gilt auch für Einsprüche und Widersprüche gegen derartige Maßregeln, soweit sie auf Grund des Gesetzes vom 22. Juni 1889 noch zu

erledigen sind. Handelt es sich dabei um eine noch nicht entschiedene Frage von erheblicher grundsätzlicher Bedeutung oder soll von einer früheren Entscheidung abgewichen werden, so ist die Sache an die Abtheilung für Invalidenversicherung zur Beschlußfassung zu ver­ weisen.

IV. Schlußdestimmungen. §. 48. DaS Verfahren vor dem Reichs-Versicherungsamt ist kostenfrei; ein Ersatz der durch dieses Verfahren dem Reichs-Versicherungsamte verursachten baaren Auslagen durch die Parteien findet nicht statt. Doch ist das Reichs-Versicherungsamt befugt, den Betheiligten solche Kosten des Verfahrens zur Last zu legen, welche durch Muthwillen oder durch ein auf Verschleppung oder Irreführung berechnetes Verhalten derselben veranlaßt sind (§. 19 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Ab­ änderung der Unfallversicherungsgesetze). Diese Beträge werden in derselben Weise beige­ trieben wie Gemeindeabgaben und fließen, soweit es sich um die dem Reichs-Versicherungsamt erwachsenen Kosten handelt, in die Reichskasse. §. 49. In Betreff der Geschäftssprache vor dem ReichsVersicherungsamte finden die Bestimmungen der §§. 186 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung. Eingaben, welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden nicht berücksichtigt. §. 50. Vorladungen und sonstige nur dem Geschäftsbetriebe dienende formularmäßige Schreiben werden durch die

Verfahren des Reichs-VerstcherungsamtS.

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Unterschrift eines dazu bestimmten Beamten und unter Beifügung des Siegels des Reichs-Versicherungsamts beglaubigt. Das Reichs-Versicherungsamt führt zwei Siegel: 1. ein großes Siegel, welches dem Siegel des Reichsgerichts entspricht und nur bei förmlichen Ausfertigungen, insbesondere der Urtheile ge­ braucht wird, 2. ein kleineres Siegel, welches den bei den Ge­ sandtschaften des Deutschen Reichs eingeführten Siegeln entspricht, mit der Umschrift: „Reichs-Versicherungsamt". §. 51. Die Ausfertigungen und Reinschriften ergehen unter der Unterschrift: „Das Reichs-Versicherungsamt". Dabei ist, soweit es sich nicht um gemeinsame Angelegenheiten oder um Urtheile der Senate (§. 44) bandelt, die in Betracht kommende Abtheilung zu bezeichnen (Abtheilung für Unfallversicherung, Abtheilung für Invalidenversicherung). §. 52. Am Schluffe eines jeden Jahres hat das ReichsVersicherungsamt dem Reichskanzler (Reichsamt des Innern) einen Geschäftsbericht einzureichen. §. 53. Diese Verordnung tritt am 1. November 1900 in Kraft. Mit demselben Zeitpunkte verlieren die Verordnungen, betreffend die Formen des Verfahrens und den Geschäfts­ gang des Reichs-Verstcherungsamts, vom 5. August 1885 (Rerchs-Gesetzbl. S- 255) und 13. November 1887

(Reichs-Gesetzbl. S. 523) sowie die Verordnung, be­ treffend die formen des Verfahrens und den Geschäfts­ gang des Reichs-Versicherungsamts in den Angelegen­ heiten der Invalidenversicherung, vom 6. Dezember 1899 (Reichs-Gesetzbl. S. 687) ihre Geltung. Die erstmalige Bestimmung der Mitglieder des erweiterten Senats (§. 24 Abs. 2) gilt für die Zeit bis zum 31. Dezember 1901. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Jnsiegel. Gegeben Homburg v. d. Höhe, den 19. Oktober 1900. (L. S.) Wilhelm. Graf von PosadowSky.

Sachregister.

Abänderung bet Statuts S. 139, 140; bedarf der Genehmigung d. R.V.A. S. Hl; des Bestandes d. Versicherungsanstalten S. iss; A. durch die Aufsichtsbehörde S. 286. Abfindung der Ausländer