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German Pages 286 [288] Year 2013
INTUITION UND INSTITUTION
KURSBUCH HORST BREDEKAMP
INTUITION KURSBUCH HORST BREDEKAMP Herausgegeben von Carolin Behrmann, Stefan Trinks und Matthias Bruhn
Abbildung auf dem Umschlag
• Pfeilbündel: Meteorbahnbestimmung,
O. Lohse 1894
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie – detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2012 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlag und Gestaltung: Andreas Eberlein, aroma, Berlin Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-006094-1
7 Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
Netze, Kräfte, Tiere: Bilder für die Sozialität des Wissens
19 Hermann Parzinger
Sammlungen und die Dynamik des Denkens
41 Peter Mack
Foundations for Humanities Research in 2020
51 Iain Boyd Whyte
Horst Bredekamp and the Getty Foundation
59 Claus Leggewie
Von der sozialwissenschaftlichen KlimaKultur zur interdisziplinären Transformationsforschung
69 Heinz-Elmar Tenorth Mythos Humboldt
83 Christoph Markschies
Akademie der Wissenschaften oder: Wissenschaft auf dem Marktplatz
95 Jan-Hendrik Olbertz
Schöne Wahrheit – wahre Schönheit
103 Hubert Burda
Die digitale Wunderkammer
113 Peter N. Miller
Forschungsinstitute Then and Now
123 Christof Thoenes
Inhalt •
Über Italienisch reden, Italienisch schreiben, Schreiben überhaupt
141 Andreas Beyer
Vom Platz der Siege ins Künstlerhaus
149 Gereon Sievernich
Alfred H. Barr, Jr.: Held der Moderne im Zeitalter der Extreme
179 Gerhard Wolf
Vom Bildersturm zu Bildkritik und Bildakt
195 David Freedberg Questionnaire
205 Irving Lavin
Truth and Beauty at the Institute for Advanced Study
227 Monika Grütters
Wieviel Kreativität brauchen Gesellschaft und Wissenschaft?
237 Andrei Pleşu
Der Schatten von Jung und das Lächeln von Voltaire
253 Alessandro Nova Questionnaire
265 Wilhelm Krull
Sehen – Erkennen – Vermitteln
283 Autoren 284 Literaturverzeichnis 286 Bildnachweis
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Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
Netze, Kräfte, Tiere: Bilder für die Sozialität des Wissens Die Welt der Wissenschaft ist reich an Sprachbildern und Allegorien, und mit solchen wird sie immer wieder beschrieben: Als Elfenbeinturm etwa, der von der Welt abgeschieden ist; als nährende alma mater, die den denkenden Menschen Schutz und Heimstatt bietet; als corpus mysticum, der gemeinsamen Körperschaft der Lehrenden und Studierenden, oder als campus, also jenem Feld, auf dem diese Kommilitonen (vom Lateinischen „commilito“ für Mitstreiter) gemeinsam ihre intellektuellen Übungen verrichten oder Kämpfe ausfechten. Seit dem Zeitalter von Industrie und Reform sind Orte dieses Wissens, die Hochschulen und Akademien, immer neu definiert worden, und mit ihnen änderten sich auch die Bilder. Heute inspirieren und bedienen sich die Reformer bei der Wirtschafts- und Techniksprache, wenn sie den wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsanstalten und ihren Akteuren zu mehr und weitreichender Vernetzung raten, von ihnen Gesellschaftsnähe und Dynamik verlangen, um so die Institution Wissenschaft zu erneuern und gegebenenfalls umzulenken. Viele dieser Sprachbilder, die heute auch das Vokabular von Managementseminaren bestimmen, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als Ausdrücke von respektablem Alter; sie wurden schon früh verwendet, um die Entstehung, Verbreitung und Sicherung von Wissen und vor allem dessen sozialen Charakter zu erhellen: so etwa das Bild des Netzes und der Verknüpfung, der Stammbäume und Verzweigungen, der Bündel und Verkettungen, in der zeitgenössischen Wissenschaftsterminologie gern auch mit dem englischen Wort cluster (Haufen) umschrieben. Es gibt Metaphern für den Verlauf der Geschichte und die Ordnungen des Wissens, für die Konstruktion der Welt und die Prozesse der Natur. Einige dieser Bilder – der Stammbaum, der Leviathan, die Monade – wurden dem Gelehrten Horst Bredekamp, seit dem Jahr 1993 Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, bereits früh in seiner wissenschaftlichen Laufbahn zur Herausforderung. Denn sie stehen nicht nur für ein bestimmtes Wissen, sondern auch für jene
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Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
Institutionen, in denen dieses bestimmt oder beansprucht wird. Ihnen steht die intellektuelle Intuition des einzelnen Wissenschaftlers gegenüber, der die Beständigkeit und Sicherheit jeglicher gesellschaftlicher Einrichtungen, von der Universität über die Vereine und Verbände bis hin zu den Verlagen, Schriften und Sammlungen in Frage stellt. Wissen erweist sich so auch immer als etwas Formbares, für das die Beteiligten Verantwortung tragen. Bilder sind dabei für den Kunsthistoriker Bredekamp das zentrale Medium der Gestaltung und dementsprechend auch das entscheidende analytische Mittel. Mit ihnen verbindet sich ein wissenschaftshistorischer Weitblick, der Deutungshorizonte unterschiedlichster Art über die Grenzen von Fach und Disziplin hinaus respektiert. Der vorliegende Band berührt im Ansatz das, was gerade die Intuition des Wissenschaftlers in der Auseinandersetzung mit seinen Institutionen bewirken kann – denn eine Kritik der Institution Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln ist stets wie ein Hochziehen am eigenen Schopf (wenn nicht gar ein Ritt auf der Kanonenkugel). Sie bedarf der umfassenden Kenntnisse ebenso wie des Gespürs, des persönlichen Engagements ebenso wie der Zusammenarbeit, welche Menschen – und nicht nur Begriffe und Formeln – verbindet. Diese Kritik beruht auf einer Idee von Intensität, in welcher Wissenschaft als ein konkreter Ort, als Laborsituation, als Beziehungsgeflecht, als Annäherung von spannungsvollen Oppositionen verstanden wird. Streit und Differenz sind dabei Kräfte, die es zu nutzen gilt wie mit einem Segel, das hart am Wind steuert. Dieser Idee intensivierter Wissenschaft, die von der Intuition der Mitwirkenden lebt und deren Institution befragt, widmen sich auch die hier versammelten Beiträge, die von persönlichen Widmungen und anekdotisch angereicherten Berichten über die Reflexion der eigenen Einrichtung bis hin zu Forschungsprogrammen und Grundsatzfragen reichen; auch wenn sie immer wieder einer bestimmten Forscherpersönlichkeit gelten oder an diese gerichtet sind, können sie zugleich eine Positionsbestimmung geben und die Idee und Praxis der Wissenschaften des Jahres 2012 spiegeln.
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Netze, Kräfte, Tiere: Bilder für die Sozialität des Wissens
Vernetzt: Schleppnetze des Wissens Soweit bekannt, ist Bredekamp nie das Wort „netzwerken“ über die Lippen gekommen, das mit dem Siegeszug der digitalen communities zu einer neuen Mode geworden ist.1 Noch im Aussprechen wäre es ihm vermutlich im Mund zergangen „wie modrige Pilze“, seinem Lieblingsbild der Sprache, Hugo von Hofmannsthals Lord Chandos-Brief an Francis Bacon entliehen.2 Selbst wenn Rhizome eine erstaunliche Verbreitungskraft besitzen (ein einziges Pilzmyzel kann eine Fläche von bis zu 1200 Fußballfeldern durchnetzen) und in der Sprache der sozialen Netzwerke zu einem beliebten Synonym für die Langlebigkeit komplexer Geflechte geworden sind, begegnet Bredekamp dem weltweiten reticulum des Internet möglicherweise auch deshalb mit kritischer Faszination, weil diesem trotz aller Verschmelzungsphantasien der Leviathan fehlt, also das Bild jener Gegenkraft, ohne deren Bändigung keine Bewegung in die Masse kommt.3 Sein eigener Begriff des Netzes ist dagegen eher ein Leibniz’scher, wie sich aus seinen Publikationen der letzten Jahre allmählich herauslesen lässt.4 Ein von Leibniz ersonnener Garten wird nicht nur von simplen geometrischen Fußwegen durchzogen, seine Verbindungen sind zugleich schiffbare Kanäle mit Gondeln für den Geist; monadologisch spannen sich immer weitere und neue Bögen, Ellipsen und Diagonalen. Leibniz’ Garten ist ein Garten der Aufklärung, nicht nur im Tageslicht, sondern auch des Nachts, wenn er zum Spiegelbild höherer Ordnungen wird und, mit festlichen Lichteffekten und pyrotechnischen Mitteln, sogar leuchtende Bilder zu erzeugen vermag, die sich in die Retina der staunenden Betrachter einbrennen.5 Im Altfranzösischen bedeutet „nette“ wie im Deutschen die Netzhaut: ein bestimmtes Bild verfängt sich in der Retina und wird aus der Welt des Sichtbaren herausgefischt, um dann hier als ein erinnerndes Bild regelrecht eingeflochten zu werden. Auch in dem lateinischen Wort „reticulum“ für Netz tritt dieser Ursprung des Wortes noch deutlich zu Tage.6 Das Netz für diesen Vorgang will kunstvoll geknotet sein und lässt sich auch nicht ohne weiteres wieder entflechten. Schon in der Antike wurde es zum Sinnbild für die Verknotungen, Verflechtungen und wechselseitigen Beziehungen des Wissens (so wie andernorts auch die Verästelungen des Baumes), mit Fäden und Knoten, die für die verschiedenen Kräfte, Kommunikationen und Kontakte stehen, die später auch zum Gegenstand der modernen Netzwerktheorie geworden sind.
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Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
Martin Warnke hat Horst Bredekamp zum 60. Geburtstag – nicht ohne Hintersinn – eine Gesamtausgabe der Etymologiae des spätantiken iberischen Gelehrten Isidor von Sevilla geschenkt. Ihre zwanzig Bände sind nicht nach Ableitungsketten, sondern nach dem Prinzip eines Assoziationsnetzes aufgebaut, indem ein Begriff zum nächsten führt und sich unterdessen Knotenpunkte bilden, von denen Isidor, häufig inspiriert von früheren Autoren, zu anderen Themen übergeht, um schließlich wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Durch diese Knotenpunkte entstehen neue Entitäten, die durch Isidors Autorität als bedeutendster Enzyklopädist des Mittelalters in den Tausenden von Abschriften des Werkes oft zu neuen Bilder wurden, und wie sein dreigeteilter Erdkreis bis zu Kolumbus und Kopernikus verbindlich bleiben. Ein Beispiel für ein Isidorianisches Etymologie-Netz: „Cassis ist eine Art Jagdnetz, weil es fängt. Daher kommt es, daß wir incassum (vergeblich) sagen, d.h. sine causa (ohne Grund), also sine cassibus (ohne Netze), ohne welche die Jagd vergeblich ist.“ 7 Unabhängig von der Richtigkeit der etymologischen Ableitungen wird wohl jeder Leser dieses Satzes zeitlebens die Vokabeln „cassis“ und „incassum“ über den plastisch beschriebenen Weg erinnern können. Solche Gedankenreisen Isidors durch den Wissensozean der Antike landen immer wieder an bislang unentdeckten Inseln. Navigatorisch gesprochen: Isidor sucht Indien und findet auf dem Weg Amerika. Für den marine-erfahrenen Kunsthistoriker Bredekamp ist dies in der Tat Ausdruck für die Ungewissheit, Offenheit und notwendige Beweglichkeit jeder historischen Forschung. Jedes Buch, das sich den Objekten und Ideen der Geschichte widmet, ist wie ein Schiff, das mit seinem Schleppnetz über unbekanntem Gewässer manövriert und dabei unentwegt neue Dinge einfängt. Auch eine Buchminiatur des zehnten Jahrhunderts (Abb. in Bildtableau Ketten, Netze, Verknüpfungen) zur Veranschaulichung biblischer Verwandtschaftsverhältnisse nach dem Vorbild Isidors vermag die Erkenntniskraft vernetzter Strukturen zu zeigen: Sie ist überschrieben mit den Worten „STEMMATA DICUNTUR RAMUSCULI“, das heißt: Ein Stammbaum, den man Zweiglein nennt, abgeschlossen von zwei herzförmigen Vignetten rechts oben. Obwohl diese Baum-Diagramme bis zu Charles
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Darwin die bevorzugte Visualisierung bleiben, hat der mittelalterliche Miniaturist eine Innovation in die Zeichnung eingeführt, auf deren Fehlen Bredekamp als vielleicht größtem Manko von Charles Darwins Tree of life hingewiesen hat: die Seitenverzweigungen.8 Die seit der Antike gebräuchlichen Vignettenblätter der Überschrift aufnehmend, die der Maler von dem starken orangeroten Horizontal-Ast stilisiert nach unten abzweigen lässt, steigen ebenso kräftige blaue Äste in Form von geometrisch-eckigen Treppenstufen nach oben, nicht ohne auf allen fünf Ebenen horizontal miteinander verbunden zu sein und als oberer Abschluss in einem blütenartigen Blattornament organisch zusammenzuwachsen. Harte und weiche Stränge, kalte und heiße, vernetzen sich zu neuen Ideen.
Kräfte „Kraft“ selbst ist nur ein Wort, das ohne zahlenmäßigen Gegenwert oder bildliche Konkretion leer zu bleiben droht. Tiersymbole und Allegorien, Linien und Pfeile, Formeln und Begriffe sollen zum Ausdruck bringen oder vorstellbar machen, was die Planeten bewegt, Stürme auslöst, Gebäude in sich ruhen oder einstürzen, Meere anhebt und sinken lässt. Es erfordert Kraft, eine Kugel zu werfen oder sie eine Steigung hinauf zu rollen, und eine Kraft sorgt ebenso dafür, dass sie in einem bestimmten Bogen wieder auf die Erde zurückfällt oder mit wachsender Geschwindigkeit die schiefe Ebene herabrollt. Doch worin genau diese Kraft besteht, woher sie rührt und was ihr Ursprung im Universum ist, verrät das Wort an sich nicht. Andererseits: Kräfte lassen sich nicht nur beschreiben und berechnen, sehen und fühlen, etwa als Schwere, als Druck, als Sog, als Strahlung oder Welle. Sie lassen sich auch freisetzen und nutzen. Die Interessen einer Gesellschaft können zur Kraft ihrer Entwicklung und Geschichte werden, so wie Dampf und Hitze Keilriemen und Maschinen antreiben, Wasser das Land fruchtbar machen und überfluten kann. Kräfte äußern sich gleichermaßen als Wachstum und Zerstörung, als Statik und Dynamik, Gliederung und Bewegung. Aus demselben Grunde werden Kräfte nicht überwunden – sie werden eingefangen, ausbalanciert, gelenkt. Um wirken zu können, wird den Kräften der Natur ein Widerstand entgegengesetzt: das Segel der Fortuna wird aufgebläht von Winden, die es zerreißen können.
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Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
Diese Dialektik der Kräfteverhältnisse ist auch jedem Bild eingeschrieben, seiner Herstellung, seiner Wahrnehmung, seiner Wirkung. Es zeigt nicht nur Kräfte an, spiegelt und veranschaulicht sie, sondern ist selbst auch ein Mittel ihrer Bändigung, Nutzung und Deutung: eine sich stetig erneuernde Bildkraft, welche die Gedanken befeuert. Die Einordnung der Kräfte in ein sinnvolles Ganzes geht ihrer systematischen Erforschung voraus. Die Technisierung des Bildes dient selbst der Kontrolle von Naturkraft, wird gleichsam zu einer Form ihrer Bewältigung. Dies ist auch ein Leitmotiv der Erforschung jener Leitbilder, welche die Wissenschaften seit Jahrhunderten ikonographisch vorprägen.
Zōon politikon: Das Tier, der Mensch, die Wissenschaft Aristoteles’ teleologische Annahme, dass der Mensch ein zōon politikon, also ein soziales Tier, ein Gemeinschaftswesen sei (Politik, III, 6), wurde von Thomas Hobbes vehement bestritten. Nicht von Natur aus sei der Mensch ein politisches Wesen, sondern erst durch Erziehung werde es ihm möglich, den Status eines verantwortlich Handelnden und zur Gesellschaft fähigen Menschen zu erreichen.9 Bredekamp hat dieses Beharren auf einer notwendigen artifiziellen Formung des Menschen in seiner Analyse des Frontispizes von Hobbes’ Leviathan. or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil auf die Kunsttheorie der Zeit zurückgeführt, die sich polyoptischen Spielen, Kompositkörpern oder anamorphotischen Zerrbildern widmet.10 In der Vision von Hiob 41 (die Bredekamp immer wieder beschäftigt hat) erscheint Gottes Allmächtigkeit in Gestalt von zwei übermenschlich angsterregenden Monstra: Behemoth und Leviathan, die ihre Wirkmacht für die politische Theorie nicht zuletzt über Bilder entfaltet haben. Souveränität wird als künstlich geschaffenes Wesen begreiflich, als gestaltete Form, die eine dauerhafte gesellschaftliche Kraft entfaltet. Als Verkörperungen von Anarchie und staatlicher Ordnung standen Denkfiguren wie der Behemoth und der Leviathan daher den politischen Denkern von Thomas Hobbes bis Carl Schmitt stets konkret vor Augen.11 Negativ gewendet, wurde das furchterregend Animalische zu einer Warnung und Metapher, einer diesseitigen Vor- und Voraussicht politischer Klugheit. Wie Bredekamp zeigt, hat William Blake die Vision des Hiob in einer Aquarellfolge ausgestaltet und die Verkörperungen
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Netze, Kräfte, Tiere: Bilder für die Sozialität des Wissens
des Landtieres als schwer gepanzerten Vierbeiner, das Bild des Seeungeheuers als drachenartiges Schlangenwesen imaginiert, die auf einer erdkreisförmigen Scheibe vereint sind (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon). Das naturhafte Animalische wird in der politischen Allegorie und dem, „Arsenal des Fürstenlobes“ seit jeher mit menschlichen Handlungen verknüpft, aber auch kunstvoll inszeniert.12 Tiere wie das Pferd, die Taube, der Hund oder der Bär werden dabei immer wieder zu Sinnbildern politischer Handlungen und Tugenden, für Freiheitsdrang, Ungestüm und Zügelung; der Arbeitseifer staatenbildender Biene macht diese zu Vorbildern der Natur für die politische Verfassung und Verwaltung des Menschen und seiner Gesellschaften. Gerade in der Artifizialität der Ausgestaltung solcher Bilder liegt die Kraft der politischen Metapher. So etwa in den Darstellungen animalischer Ordnungen wie der Imprese Ferdinandos I. de Medici auf dem Reiterdenkmal der Piazza della Santissima Annunziata in Florenz (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon), in welcher ein exakt kreis- und strahlenförmig fliegender Bienenschwarm von einer zentral agierenden Souveränität geleitet wird. Politische Prinzipien werden auf diese Weise offenbar und augenscheinlich gemacht: Der über der Imprese das Pferd lenkende reitende Fürst erweist sich als fürsorglicher Hirte, der im Falle des Aufruhrs zu einem die Wildheit bezwingenden Beherrscher wird. Neben der Allegorie zeigt sich die Nähe des politischen Menschen zum Tier meist in Form eines den Herrscher begleitenden Wesens, mit dem er identifiziert wird. So in einer Fotografie von Benito Mussolini, der mit seinem Löwinnenbaby Italia im Auto fährt (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon). Hier steckt, wie Aby Warburg dies formulierte: „das gebändigte Monstrum (in [gezähmter] Miniaturausgabe) als Erweiterung und Erhöhung der Persönlichkeit; ein impera torischer Triumph“ 13 Neben solchen Versuchen der Erhöhung des Herrschers durch Figuren tierischer Stärke findet sich in der Bildgeschichte außerdem häufig der den Menschen nachahmende Affe, der zu einer zentralen politischen Begleitfigur der politischen Ikonologie wurde, den Künstler und Souverän gleichermaßen repräsentierend. So versteckt sich in der Skulptur des sterbenden Gefangenen, den Michelangelo für das Grabmal Papst Julius’ II. schuf, ein kauernder und zugleich ihn stützender Affe. Seinen
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Carolin Behrmann, Matthias Bruhn, Stefan Trinks
eigenen Tod erahnend, verbirgt sich darin eine trauernde Geste, die den Künstler als Affen mit dem sterbenden päpstlichen Kunstmäzen verbindet. Im Kanzlerporträt Jörg Immendorffs (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon), das den ehemaligen Bundeskanzler Schröder als von Affen gerahmt repräsentiert, ist diese enge Beziehung als Kritik, aber auch als Fürstenlob enthalten.14 Die Affen umgeben spottend die goldene Porträtbüste des Kanzlers, doch steht vor dieser auch eine in zwei Teile gebrochene, schattenhafte Silhouette des Künstler-Affen, die eine ähnliche Trauer über den Machtverlust des Förderers ausdrückt wie der Renaissancekünstler in der Figur des Affen am Grab. Im Bild des Greifen oder des Adlers in der Apotheose des Herrschers (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon), durch das unbändige Ross, das seinem Reiter gehorcht, als Schoßtier des Infanten oder Despoten gewinnt die Idee des von Natur aus politisch handelnden Wesens ebenfalls Substanz. Der von Greifen in die Lüfte getragene Alexander der Große,15 der sein Luftschiff von ihnen lenken lässt, um den Himmel zu erkunden, überwindet die Grenze des Menschlichen mithilfe der Bestie, um unangreifbar zu werden (Abb. im Bildtableau Zoon Politikon). Die Verschränkung von Mensch und Tier, die in Bildern ausgestaltet und weitergedacht wird, legt Vergleichbarkeiten und Ähnlichkeiten nahe und dient so der politischen Legitimation des Dargestellten. Die auf dem Frontispiz von Thomas Hobbes’ Werk im Körper des Leviathan versammelte Masse, die wie im Herdentrieb zu ihm gleichförmig aufblickt, ihn zum Hirten ihrer Gemeinschaft erhebt, verweist auf das Animalische und zugleich Menschliche des zōon. Im Bild und der politischen Allegorie verschwimmt dabei die philosophisch fundamentale Trennlinie zwischen Mensch und Tier. Neben all den hehren und vielgestaltigen Tierarten, mit denen sich politische Macht seit Jahrtausenden identifiziert, ist für den Forscher ein unsicht- und unscheinbares, unterirdisch grabendes Wesen zum Stellvertreter für das eigene Selbstverständnis geworden: Es ist der von Georg Wilhelm Friedrich Hegel entlehnte erdwühlende Maulwurf, der nicht dem Zeitgeist und noch weniger einem System, sondern seinem eigenen Körpergefühl folgend, untergründig vorauswühlt, „um plötzlich an vielen Orten durch den Boden zu stoßen, noch bevor er das Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit erblickt“.16 Der Geist ist ein Wühler, und der Maulwurf ist für den Geschichtsphilosophen Hegel das dazu passende Tier. Dieser Geist, der sich beständig und im Alleingang durch
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Netze, Kräfte, Tiere: Bilder für die Sozialität des Wissens
das Erdreich der Geschichte gräbt und dabei unvorhersehbar an die Oberfläche stößt, schafft stetig neue Verbindungen und Kanäle – genau so, wie auch der Sinn historischer Bilder an ungeahnten oder scheinbar entlegenen Stellen immer wieder neu hervortreten kann. Einer Forscherpersönlichkeit, die derartigen Sinn- und Beziehungsgeflechten von Bildern und Ideen mit Offenheit und Intensität nachgeht und sich nicht scheut, darüber die eigenen Grundlagen jederzeit in Frage zu stellen, ist der hier vorliegende Band gewidmet.
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1 Vgl. Gießmann 2006. 2 Hofmannsthal 1979, S. 465. 3 Horst Bredekamp, Das Netz als Gewinn und Gefahr (Rede, gehalten auf dem Deutschen Kunsthistorikertag in Jena 1999), Besprechung von Mueller von der Haegen 1999, S. 366–370. 4 Insbesondere AK Theater der Natur und Kunst 2000, Bredekamp 2008b sowie Bredekamp 2006c. 5 Bredekamp 2012a. 6 Kluge 1999, S. 568. 7 Etym. XIX, 5, 4. 8 Bredekamp 2006b. 9 „man is made fit for society not by nature, but by education“, Thomas Hobbes, De Cive, 1.2n. 10 Bredekamp 1999. 11 Bredekamp 2009a. 12 Siehe Bredekamp 2012b. 13 Siehe Klenner 2007, 83–98. 14 Bredekamp 2009b, 193–212. 15 Warburg 1998, 241–249 und 386–388. 16 Bredekamp 2006.
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Sammlungen und die Dynamik des Denkens Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Archäologen, Kunsthistoriker, Ethnologen und Vertreter anderer kulturwissenschaftlicher Disziplinen Gedanken über die Rolle von Sammlungen als Grundlage ihrer Forschung machen. Jeder von ihnen weiß um das nahezu unerschöpfliche Potential, über das Wissensarchive jeglicher Art für die Generierung immer neuer Ideen, Fragestellungen und Provokationen verfügen. Sammlungen ermöglichen dynamisches Denken im großen materiellen Maßstab, so ähnlich hätte es vielleicht Gottfried Wilhelm Leibniz gesagt. Doch unter all jenen Fachleuten, die – wie selbstverständlich – mit Sammlungen arbeiten, gibt es nur wenige, die – wie Horst Bredekamp – unentwegt neu darüber nachdenken, wie die intellektuelle Kraft von Wissensarchiven zu vergrößern wäre, und dies aus einer profunden Kenntnis der Wirkungsgeschichte musealer Sammlungen auf die verschiedenen Fachdisziplinen seit der Aufklärung. Es ist deshalb naheliegend, dem Jubilar hierzu einige Zeilen zu widmen.
Sammlungen als Wissensarchive Geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung ist ohne die umfassenden Sammlungen in Museen, Bibliotheken und Archiven nicht denkbar. Wenn wir hierbei neuerdings von „Wissensarchiven“ sprechen, so ist dies ein strategischer Begriff, der den Prozess der strategischen Verwissenschaftlichung von Sammlungen beschreibt. Es geht um eine sachliche und räumliche Entgrenzung bei gleichzeitiger Schaffung neuer strategischer Möglichkeiten. Wissensarchive tragen enormes Potential zur Entwicklung von Institutionen übergreifender geistes- und sozialwissenschaftlicher Großforschung in sich. Wissensarchive sind unerlässlich bei der Produktion neuen Wissens. Wissenschaftliche Probleme werden dabei (wieder) stärker von der Materialseite her gedacht, der Gegenstand rückt deutlicher in das Blickfeld, was vielfach neue Perspektiven ergibt. Dabei sind es sehr charakteristische Funktionen, die Wissensarchiven innewohnen und ihre besondere Wirkkraft ausmachen. Die Fundamentierungsfunktion
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beruht auf der Zugriffsmöglichkeit auf das Material. Die Impulsfunktion gründet sich auf die Entwicklung neuer Projektideen, die aus Sammlungen heraus entwickelt werden. Die Befassung mit den Quellen lässt Theorien auf den Prüfstand bringen, insofern haben Wissensarchive auch eine Korrektivfunktion. Die intensive Beschäftigung mit Material kann aber auch wachrütteln, weshalb Wissensarchiven auch eine Provokateursfunktion eigen ist. Von all dem können Forschung und Lehre gleichermaßen profitieren, aber nur dann, wenn die Kooperation von Wissensarchiven und Universitäten intensiviert und strategisch ausgebaut wird. Die Zukunftsgestaltung der Wissensarchive betrifft die grundlegende Neuausrichtung von Forschungsinfrastrukturen. Dabei geht es nicht nur um eine neue Qualität in der Erschließung und Bereitstellung von Sammlungsmaterial, das sich bestmöglich in Forschung und Lehre einbinden lassen sollte, sondern die Forschung muss mit ihren Ergebnissen auch auf die Sammlungen rückwirken. Wissenschaftliche Dienstleistungen können nur dann in idealer Weise wirken, wenn sie forschungsbasiert sind. Dabei gilt es, neue Formate für die Forschungsinfrastrukturen zu entwickeln, und virtuelle Forschungsumgebungen bieten hierfür bereits vielversprechende Ansatzpunkte, die weiterer Ausweitung bedürfen. Der aktive Beitrag der Wissensarchive bei der Wissensproduktion sowie im Forschungsprozess beruht nicht nur auf der Erkenntnis, dass sich die Methoden und Fragestellungen der Forschung mit einem veränderten Nutzungs-, Publikation- und Kommunikationsangebot für die Wissenschaft wandeln werden. Es setzt auch entsprechende Kompetenz voraus, es benötigt Experten mit Querschnittwissen, die vielfach nur mehr in Museen, Bibliotheken und Archiven vorzufinden sind. Für die Zukunft der Sammlungen sind deshalb die Weiterentwicklung von Spezialdisziplinen und die Vermittlung von Spezialkenntnissen unerlässlich. Mit der zunehmenden Beschneidung der so genannten kleinen Fächer an den Universitäten übernehmen die Wissensarchive hier eine immer wichtigere Rolle, eine Rolle die ihnen aber allein aufgrund wachsender Defizite in den Universitäten zuwächst, ohne dass sie wiederum entsprechend darauf vorbereitet sind. Vielfach verfügen nur mehr die musealen Sammlungen über entsprechende Fachleute, die für die Tradierung hoch spezialisierten Fachwissens Sorge tragen,
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und Horst Bredekamp gehörte zu den wenigen, die auf diese Fehlentwicklung immer wieder deutlich aufmerksam machten. Es muss deshalb vordringlich darum gehen, dass die Sammlungen nicht Fehlentwicklungen der deutschen Universitätslandschaft kompensieren, sondern die Disziplinenvielfalt gemeinsam mit den Hochschulen strategisch angemessen weiterentwickeln und dabei institutionalisierte Verbindungen eingehen. Gerade im Zusammenhang mit dem Bologna-Prozess kommt in allen materialbezogenen Kulturwissenschaften den Sammlungen eine immer wichtigere Rolle zu, weil die Veränderungen des Studienablaufs in vielen Fächern zu einer fortschreitenden Entfremdung des wissenschaftlichen Nachwuchses vom Material führen, doch wirkliche Spitzenforschung kann nicht ohne Beherrschung der Quellen entstehen. Museen, Bibliotheken und Archive sind damit nicht nur unverzichtbare Serviceeinrichtungen, sondern auch wichtige Akteure in der deutschen Wissenschaftslandschaft, und ihre Bedeutung wächst. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) umfasst sämtliche Sparten von Wissensarchiven: Museen, Bibliotheken und Archive, hinzu kommen diverse Forschungsinstitute. Dies ist auch im internationalen Vergleich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Sammlungen und Bestände des Preußischen Kulturbesitzes sind dabei enzyklopädisch und universal zugleich, und sie dokumentieren die kulturelle Entwicklung der Menschheit weltweit von den Anfängen bis zur Gegenwart. Auf ihrer Grundlage bildeten sich im 19. Jahrhundert diverse Spezialdisziplinen heraus, weil die Sammlungen seit den frühesten Anfängen Horte der Forschung waren. Die Wichtigkeit von Forschung in Museen und anderen Wissensarchiven ist vor einigen Jahren geradezu wiederentdeckt worden, und entsprechende Förderlinien von privaten Stiftungen und staatlichen Forschungsfördereinrichtungen legen beredtes Zeugnis davon ab. Auch die Exzellenzinitiative des Bundes geht genau in diese Richtung, weil sie das Ziel verfolgt, örtliche vorhandene Kompetenzen aus universitärer und außeruniversitärer Forschung zu bündeln und strategisch so weiterzuentwickeln, dass daraus neue institutionalisierte Verbundformen und nachhaltige Mehrwerte für die Wissenschaftsstandorte erwachsen. Auch für Wissensarchive ist dies eine ungeahnte neue Chance. In den Wissensarchiven der SPK findet heute unabhängige sammlungs- bzw. anwendungsbezogene Grundlagenforschung statt. Dabei lassen sich Einrichtungen mit Schwerpunkt Forschung von solchen
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mit Schwerpunkt Forschungsinfrastruktur unterscheiden. Zu ersteren zählen die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB), das Ibero-Amerikanische Institut (IAI) sowie das Staatliche Institut für Musikforschung (SIM). Ihre klassischen Aufgaben sind dabei unter dem Primat der Forschung definiert. Kennzeichnend ist, dass die Forschung auf die Sammlungen und Bestände ausgerichtet ist, und dass die Vermittlung von Forschungsergebnissen durch Ausstellungen und andere Veranstaltungsformate eine ebenso wichtige zusätzliche Rolle spielt. Das Forschungsprogramm wird dabei durch die Sammlungsstrukturen und die Forschungstraditionen der jeweiligen Fachgebiete bestimmt. Zu den SPK-Einrichtungen mit Schwerpunkt Forschungsinfrastruktur gehören die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) sowie das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), wenngleich auch sie über innovative Forschungsanteile verfügen, doch betreiben sie nicht ausschließlich oder überwiegend Eigenforschung. Ihre Kernaufgabe als Forschungsservice-Einrichtungen ist die Versorgung der Wissenschaft mit Informationen und weiteren damit zusammenhängenden Dienstleistungen, die mit der Unterstützung der Wissenschaftler bei der Gewinnung, Weiterverarbeitung und kollaborativen Nutzung von Informationen in allen Phasen des Forschungsprozesses zusammenhängen. Dabei sind zu den klassischen Aufgaben, wie Sammlung, Speicherung und inhaltliche Erschließung, neue Herausforderungen hinzugetreten: Modernste Systeme und Konzepte fördern z. B. die semantische Verknüpfung unterschiedlicher Informationstypen und -objekte, die automatische Generierung von Metadaten sowie die Visualisierung und die standardisierte Verbreitung von Informationen. Die Planungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Weiterentwicklung der Forschungsinfrastruktur sind dabei von zentraler Bedeutung. Gegenüber der Museumsinsel entsteht in den Museumshöfen das Archäologische Zentrum. Dort werden die im Zuge der Sanierung der Museen auf der Insel ausgelagerten Wissenschafts- und Forschungsbereiche, also Fachbibliotheken, Studiensammlungen, Archive, Restaurierungslabors und Arbeitsräume der Wissenschaftler, zusammengefasst und zu einem Forschungszentrum der Altertumswissenschaften mit internationaler Ausstrahlung ausgebaut. Zugleich schafft dieses Archäologische Zentrum den wissenschaftlichen Brückenschlag von der Museumsinsel hinüber zur Humboldt-Universität und zum Haus
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Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin. Der Gedanke der Museumsinsel als einer „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ wird damit neu gedacht, denn die Museen wurden von Anfang an im engen Kontext mit der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Berliner Universität gesehen. Das, was sich im 19. Jahrhundert hier in der Mitte Berlins an Institutionen übergreifender wissenschaftlicher Vernetzung entwickelt hatte, ist mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, spätestens aber mit Beginn der NS-Zeit zerbrochen, und erst jetzt findet Berlin allmählich wieder zu solchen Strukturen und natürlichen Allianzen zurück, auf denen die herausragende Bedeutung der Stadt als Wissenschaftsstandort seit jeher basierte. Das Haus Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin ist derzeit eine der größten Kultur- und Wissenschaftsbaustellen in Deutschland. Die Sanierung des Gebäudes und die Wiedererrichtung des Lesesaals sind noch nicht abgeschlossen, doch bereits im Herbst 2010 hat ein großes Digitalisierungszentrum seine Arbeit aufgenommen, das die Staatsbibliothek zu einem der großen Digitalisierungszentren in Deutschland aufsteigen lässt. Der einzigartige Lesesaal, der in seinen gigantischen Dimensionen wieder an den Vorkriegszustand anschließt, wird 2012/13 eröffnet werden. Nach Abschluss der gesamten Sanierungsmaßnahme 2015 wird das Haus Unter den Linden der Staatsbibliothek bald wieder ein Anziehungspunkt von enormer Wirkkraft für die internationale Forschung in Berlin sein. Das Humboldt-Forum im teilweise wieder zu errichtenden Berliner Schloss enthält ebenfalls große Chancen und Potentiale für Wissenschaft und Forschung. Dort werden die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst) mit ihren Partnern, der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und der Humboldt-Universität, zusammengeführt. Es wird ein Ort des neuartigen Zusammenwirkens von Museum, Universität und Bibliothek entstehen. Das ganze erste Obergeschoss des Humboldt-Forums wird als „Werkstätten des Wissens“ Bibliotheken und Forschungsarchive umfassen. Mit Hilfe von Stipendienprogrammen sollen dort renommierte Forscher und Nachwuchswissenschaftler gemeinsam an für das Humboldt-Forum wichtigen Themen arbeiten und die Ergebnisse ihrer Arbeit in Form von Ausstellungen, Tagungen, Podiumsdiskussionen u. ä. der Öffentlichkeit zugänglich
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machen. Das Humboldt-Forum wird damit lebendiger Ort nicht nur für Kunst und Kultur, sondern auch für Wissenschaft und Forschung. Es wird die Museumsinsel mit seiner großen Idee einer Präsentation der Kulturentwicklung Europas und des Nahen Ostens vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert geografisch und inhaltlich zu einem wahren Ort der Weltkulturen weiterentwickeln. Das Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes umfasst mit der Forschungsbibliothek der Moderne der Staatsbibliothek zu Berlin, den diversen Museumssammlungen (Gemäldegalerie, Kunstbibliothek, Kupferstichkabinett, Kunstgewerbemuseum usw.) sowie dem IberoAmerikanischen Institut die größte Konzentration von Kultur- und Wissensarchiven zur europäisch geprägten Neuzeit und Moderne. Die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin bildet dabei die zentrale Forschungsstätte für Kunstwissenschaften, ähnlich wie das Archäologische Zentrum in den Museumshöfen für die Altertumswissenschaften und wie das Humboldt-Forum als Ort für die außereuropäische Kunst und Kultur.
Wissensarchive und Forschung heute Die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) sind mit 16 Museen und drei Forschungsinstituten die größte Einrichtung der SPK und bilden mit ca. 4,7 Millionen Objekten die umfassendste museale Forschungsinstitution in Deutschland. Grundlage der Betrachtungen zum Forschungsbegriff und zum Forschungsanteil der Staatlichen Museen ist das Alleinstellungsmerkmal der sogenannten sammlungsbezogenen Forschung. Die fachliche Ausrichtung der Sammlung und die Zuordnung zu Fachkulturen in den einzelnen Museen sind das wesentliche Betrachtungskriterium. Die einzelnen Fach- und Forschungsgebiete umfassen Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte, Kulturwissenschaften, europäische und außereuropäische Ethnologie, aber auch Querschnittsdisziplinen wie Archäometrie, Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften. Die Forschungsvorhaben sind nicht nur durch die Sammlungsstrukturen definiert, sondern schwerpunktmäßig auch durch Forschungsfragen der jeweiligen Fachgebiete geprägt. Eine wichtige Rolle spielen dabei archäologische Ausgrabungen, deren konkrete Fragestellungen jeweils von den Sammlungen der SMB ausgehen, dazu neue
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Fragen entwickeln und diese dann durch gezielte Ausgrabungen vor Ort zu lösen versuchen. Die Fassade des frühislamischen Wüstenschlosses von Mschatta, Jordanien, gehört zu den herausragenden Architekturexponaten des Museums für Islamische Kunst und wird nach der Sanierung des Pergamonmuseums einen einzigartigen Rundgang durch die Architekturgeschichte der Antike von den ägyptischen und mesopotamischen Hochkulturen über die griechisch-römische Welt bis hin zum Frühislam im Nordflügel abschließen. Gegenwärtig werden Grabungen in Mschatta durchgeführt, die zu einem besseren Verständnis dieses Platzes und seiner Bauentwicklung führen sollen. Als weiteres Beispiel gelten die Ausgrabungen am Tell Halaf, die aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung in die Langfristförderung der DFG aufgenommen wurden. Über mehrere Jahre werden dort Nachuntersuchungen am Westpalast der aramäischen Metropole durchgeführt, von denen die wiederhergestellten berühmten Statuen und Reliefplatten aus den Grabungen Max von Oppenheims stammen. Ergänzend treten Untersuchungen an anderen Stellen des Ortes hinzu, die die frühere Geschichte ab dem 6. Jahrtausend v. Chr. klären sollen. Weitere wissenschaftliche Aktivitäten konzentrieren sich auf die Aufarbeitung von Funden aus Ausgrabungen und Expeditionen. So bereitet z. B. das Ägyptische Museum derzeit in einem internationalen Großprojekt die Aufarbeitung der Grabungen von L. Borchardt in Tell el-Amarna vor, dem Fundort der berühmten Büste von Nofretete. Doch auch die Digitalisierung und Auswertung von altägyptischen Papyri und Ostraka wird in Zusammenarbeit mit renommierten Papyrologen aus aller Welt vorangebracht. Weitere Erschließungs- und Forschungsprojekte befassen sich mit ethnologischen Sammlungsbeständen, etwa mit kulturspezifischen Fragestellungen zu indigenen Gruppen an der nordwestamerikanischen Pazifikküste. Als Beispiel für kunstgeschichtliche Studien sei auf das Projekt des Kupferstichkabinetts zum Erbe Schinkels und zum frühen Historismus in Deutschland verwiesen. Besonders wichtig sind unter strategischen Gesichtspunkten objektbezogene Forschungsverbünde, wie z. B. das Berliner Skulpturennetzwerk, das sich der Kontextualisierung und Übersetzung antiker Plastik widmet und mit 3D-Visualisierungen arbeitet. Dieses im Rahmen des BMBF-Programms Übersetzungsfunktionen in den Geisteswissen schaften großzügig finanzierte Projekt wird von der Antikensammlung
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gemeinsam mit der HU Berlin, der FU Berlin, der BTU Cottbus, der Universität Köln und dem Deutschen Archäologischen Institut durchgeführt. Darüber hinaus werden aber auch spezifisch museumsgeschichtliche Forschungen durchgeführt, wie etwa ein Vorhaben zur Verwissenschaftlichung musealer Inszenierungen und der Entwicklung der musealen Gestaltung im 19. Jahrhundert am Beispiel der Museumsinsel. Die Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) ist die größte wissenschaftliche Universalbibliothek Deutschlands. Ihr Bestand umfasst 11 Millionen Bände und 2,2 Millionen weitere Druckwerke, 10 Millionen Mikroformen sowie 12 Millionen Bildvorlagen. Seit jeher war die SBB eng mit Forschung und Lehre verbunden. Der SBB obliegt die wissenschaftliche Betreuung sämtlicher Forschungsdisziplinen, wenngleich ihr Schwerpunkt inzwischen auf den Geistes- und Sozialwissenschaften liegt. Die Fachwissenschaftler der SBB sichten den weltweiten Buchmarkt und treffen forschungsrelevante Erwerbungsentscheidungen, um der Wissenschaft die verfügbaren Ressourcen punktgenau zur Verfügung stellen zu können. Die SBB erwirbt überwiegend Literatur für den wissenschaftlichen Spitzenbedarf und genießt weltweit hohes Ansehen, einerseits wegen der hohen Qualität ihrer Sammlungen (Handschriften, Autographen, Karten, historische Zeitungen u. v. m.) und andererseits aufgrund der Vielfalt und herausragenden Qualität der Dienstleistungen. An der Staatsbibliothek zu Berlin existiert zwar keine eigene Forschungsabteilung, aber es wird anspruchsvolle Forschungstätigkeit durchgeführt, bedingt durch bibliothekarische Aufgaben mit nationaler Verantwortung, durch die Betreuung von Sammlungen von Weltniveau sowie aufgrund der Mitwirkung bei nationalen und internationalen Forschungsverbünden. Die wissenschafts- und forschungsnahen Aufgaben konzentrieren sich auf die inhaltliche Erschließung der Sammlungen, auf die Vermittlung wissenschaftlicher Informationskompetenz sowie auf das besondere Fachwissen, über das die SBB bei der digitalen Erschließung ihrer Quellen verfügt. Zu den originären Forschungstätigkeiten zählen die Bereiche kodikologische und paläographische Untersuchungen (z. B. Wasserzeichenforschung, Typenkunde in der Inkunabelhistoriographie), Entstehungsprozess und Rezeption (z. B. Vergleiche von Originalfassungen von Handschriften mit Abschriften), Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften (innovative wissenschaftliche
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Methoden bei der Bestandserhaltung von schriftlichem Kulturgut) sowie Provenienzforschung (Bücher als NS-Raubgut). National und international bedeutsame und für die Forschung zentrale Digitalisierungs- und Erschließungsvorhaben sind z. B. die deutschen Drucke des 18. Jahrhunderts oder die Erschließung der DDRZeitungen, einer unschätzbaren historischen Quelle, die zusammen mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam durchgeführt wird. Das Projekt Bach-Digital erschließt und digitalisiert sämtliche vorhandenen Originalquellen und Abschriften von Johann Sebastian Bach und bereitet sie für die Forschung auf. Dabei entsteht eine Plattform, die der Forschung die Lösung ganz neuer Fragestellungen ermöglicht, wie z. B. die Herstellung von Querbeziehungen zwischen Beständen unterschiedlicher Provenienz, was die Wanderung von Notenschreibern rekonstruieren lässt und musikgeschichtlich von beträchtlicher Bedeutung ist. Von besonderer Wichtigkeit für eine moderne Informationsdienstleistung sind die mit Mitteln der DFG finanzierten virtuellen Fachbibliotheken. Zu den neuen und besonders innovativen Vorhaben gehört das Projekt Virtuelle Forschungsumgebung Ostasienwissenschaften. Es handelt sich dabei um eine Plattform für netzbasierte kollaborative Arbeitsprozesse. Die Fördergruppen arbeiten über virtuelle Arbeitsumgebungen zusammen, was zu einem veränderten Umgang mit wissenschaftlichen Daten und Informationen und zu einer grundlegend verbesserten Art der Kommunikation führt, wobei work stations den Zugangsberechtigten dieser Forschergruppen die Nutzung aller digitalen Daten ermöglichen, zudem können sie dort wiederum auch eigene Inhalte einstellen. Es ist das primäre Ziel von Wissensarchiven, durch den Aufbau digitaler Infrastrukturen der exzellenten Forschung nicht nur eine Plattform zu bieten, sondern diese Forschungen auch aktiv zu unterstützen und mit Impulsen zu versehen, was diesen Forschungen eine völlig neue Qualität verleihen kann. Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) stellt eines der größten historischen Archive dieser Art in Deutschland dar. Die vorhandenen Bestände, Nachlässe und Sammlungen (ca. 38 lfd. Kilometer Archivalien) werden auf Dauer aufbewahrt, erschlossen und vor allem für die Benutzung durch die historisch interessierte Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Das GStA PK ist eine Einrichtung der
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außeruniversitären Forschung, die gleichwohl von der universitären Forschung seit nunmehr etwa zwei Jahrzehnten außerordentlich stark frequentiert wird. Die berechtigten Ansprüche dieser Benutzungskreise durch eine intensive Erschließung der Archivalien zu fördern und gleichzeitig auf den Erhalt dieser Archivalien bedacht zu sein, gehört zu den Kernkompetenzen des GStA PK wie jedes anderen Archivs. Eigene Forschungsaufgaben des GStA PK bei der Auswertung der Archivalien gehen einerseits von den Beständen aus und definieren sich andererseits durch Kooperationen mit anderen Einrichtungen. Der Forschungsbereich des GStA PK konzentriert sich auf die brandenburgisch-preußische Geschichte in ihrer nationalen und europäischen Verflechtung. Die derzeitigen Forschungsschwerpunkte liegen u. a. auf der Militärpolitik des 17./18. Jahrhunderts, dem Königreich Westfalen als Modellstaat 1807– 1813 und der politischer Korrespondenz Friedrichs des Großen. Zu den internationalen Projekten gehört ein Vorhaben zu den diplomatischen Beziehungen zwischen Preußen bzw. dem Deutschen Reich und China, das sich der Erforschung interkultureller Handlungsmuster in Politik, Wirtschaft und Kultur widmet und zusammen mit der FU Berlin, der Universität Peking und dem ersten Historischen Archiv in Peking betrieben wird. Das Ibero-Amerikanische Institut (IAI) bildet eine interdisziplinär orientierte Einrichtung der Forschung und Forschungsinfrastruktur. Sein wissenschaftliches Profil wird von zwei Kernmerkmalen des Instituts geprägt: Zum einen ist das IAI ein Regionalforschungsinstitut mit den Schwerpunktregionen Lateinamerika, Karibik, Spanien und Portugal, zum anderen verbindet es die Aufgaben eines Forschungszentrums, eines Kulturzentrums und eines Wissensarchivs (Bibliothek und Nachlassarchiv). Um die einzelnen Forschungsaktivitäten am IAI zu bündeln, wurden diverse Forschungsschwerpunkte festgelegt, wie z. B. zum Kulturtransfer und wissenschaftlichen Austausch zwischen Europa und Lateinamerika, wodurch ein Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis von Strukturen, Institutionen, Akteuren und Prozessen der Rezeptions-, Austausch- und Verarbeitungsprozesse von Wissen und Kultur zwischen Europa und Lateinamerika geleistet werden soll. Als weiteres Beispiel sei das internationale Forschungsnetzwerk Interde pendente Ungleichheitsforschung in Lateinamerika – desiguALdades.net genannt, in dem Phänomene sozialer Ungleichheit erforscht werden.
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Das Staatliche Institut für Musikforschung (SIM) bildet die größte außeruniversitäre musikwissenschaftliche Forschungsstätte in Deutschland. Während in früheren Zeiten eher die Vielfalt der Forschungsbereiche im Vordergrund stand, erfolgte in den zurückliegenden Jahren eine Neuorientierung der Arbeit des SIM mit dem Ziel einer stärkeren Verzahnung der musikhistorischen und musiktheoretischen Forschung mit dem Bereich des institutseigenen Musikinstrumenten-Museums (MIM). Als besonders geeignetes Forschungsfeld gilt dabei die musikalische Aufführungspraxis, die musikhistorischen, musiktheoretischen, instrumentenkundlichen und akustischen Sachverstand verknüpft. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Musiktheorie sowie die Musik der Wiener Schule. Mit der Edition des Briefwechsels zwischen Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg wird dabei eine der bedeutendsten Quellensammlungen zur Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts erschlossen. Aktuelle Untersuchungen zur musikalischen Interpretationspraxis arbeiten mit rechnergestützten Analysemethoden von Klang, ein ganz neuer, innovativer Forschungsansatz. Daneben leistet das SIM mit ihrer Online-Datenbank Bibliographie des Musikschrifttums online (BMS online) aber auch einen herausragenden musikwissenschaftlichen Forschungsservice.
Sammlungen und ihre nationale und internationale Vernetzung Die Wissensarchive die SPK sind nicht nur Einrichtungen der Forschung und Forschungsinfrastruktur, sondern wirken auch als Ort der Vernetzung. Gerade bei den Sammlungen muss es darum gegen, die durch die Sparten gesetzten Grenzen zu überwinden. Erst dann können dauerhaft wesentliche Mehrwerte entstehen, die es den Wissensarchiven ermöglichen, bei der Ausgestaltung der Wissenschaftslandschaft mitzuwirken und sich an der Identifizierung von vielversprechenden Zukunftsinitiativen zu beteiligen. Die Wissensarchive der SPK haben ihre Einbindung in übergreifende Forschungsverbünde in den letzten Jahren systematisch und strategisch ausgebaut. Dabei verfolgen sie das Ziel, sich mit starken Partnern zu verbinden, die ihre Potentiale in möglichst idealer Weise ergänzen und für die Weiterentwicklung ihrer Forschungsfelder wie auch für die Definition neuer Forschungsbereiche von zentraler Bedeutung sind. Auf diese Weise können Sammlungen und andere
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Wissensarchive für universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen zu einem höchst attraktiven Kooperationspartner werden. Als Beispiel sei hier nur die Forschungsallianz Kulturerbe genannt, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Leibniz-Gemeinschaft begründet haben. Ihr Ziel ist es, eine engere Zusammenarbeit zu erreichen, die Potentiale der unterschiedlichen Einrichtungen besser zu vernetzen, eine Prioritätensetzung zu erreichen und die innovativen Möglichkeiten dieses Forschungszweiges deutlicher sichtbar zu machen. Mehrere Einrichtungen der SPK sind ferner am altertumswissenschaftlichen Exzellenzcluster TOPOI. For mation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civiliza tions beteiligt, das von den Sprecheruniversitäten FU Berlin und HU Berlin gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz betrieben wird. Solche Kooperationsformen helfen, die Forschungsanteile von Wissensarchiven weiter zu entwickeln. Aus TOPOI ist inzwischen das Berliner Antike-Kolleg (BAK) entstanden, das von denselben Institutionen getragen wird und im Kern zunächst aus der Berlin Graduate School für Ancient Studies mit vier Promotionsstudiengängen bestehen wird, von denen der Studiengang Material Culture and Object Studies gemeinsam mit der SPK durchgeführt wird. Dabei geht es um die Vermittlung spezieller Kompetenzen im Umgang mit altertumswissenschaftlich ausgerichteten Sammlungen, in dieser speziellen Form auch im internationalen Vergleich ein Novum bei den universitären Curriculae. Von besonderem Interesse sind Förderlinien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), die speziell auf sammlungsbezogene Forschung ausgerichtet sind. Sie schaffen die Möglichkeit, an den Vorhaben von Sammlungen auch Universitäten mitwirken zu lassen. Im Rahmen der Förderlinie Übersetzungsfunktionen in den Geisteswissenschaften sei hier nur das Projekt Das Erbe Schinkels und der frühe Historismus des Kupferstichkabinetts der SMB genannt, das zusammen mit der Fraunhofer-Gesellschaft und der Akademie der Künste Stuttgart sowie der Universität Wien durchgeführt wird. Darüber hinaus müssen Sammlungen und Wissensarchive auch ihre internationalen wissenschaftlichen Kooperationen so ausbauen, dass daraus ein globales Netzwerk entsteht, das alle für die jeweiligen
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Sparten wichtigen Akteure einbindet. Dabei können unterschiedliche Strategien zum Tragen kommen. Zum einen kann die Vernetzung durch Gastwissenschaftler und Stipendiaten intensiviert werden. Ein weiteres Format sind gemeinsam durchgeführte bilaterale und multinationale Verbundprojekte. Ferner ist die Digitalisierung ein wichtiger Weg der internationalen Vernetzung, weil sie zur weltweiten Sichtbarkeit und damit Internationalisierung von Sammlungen beiträgt. Darüber hinaus bewirkt sie eine virtuelle Zusammenführung von Wissensarchiven mehrerer Länder. Als Beispiele lassen sich hier die vom IAI betreute virtuelle Fachbibliothek Cibera für Lateinmerika, Spanien und Portugal oder die von der SBB in Kooperation mit der Nationalbibliothek Peking verantworte gemeinsame Plattform CrossChina hervorheben. Im Rahmen eines EU Twinning-Projektes unterstützt die SPK das Georgische Nationalmuseum in Tbilisi beim Aufbau eines Forschungs- und Konservierungszentrums im Rahmen der Entwicklung einer Museumsstraße im Zentrum der georgischen Hauptstadt. Zu den Aktivitäten der SPK in Lateinamerika gehört insbesondere das DFG-geförderte Graduiertenkolleg Entre Mundos, in dem das IAI und das Ethnologische Museum der SMB gemeinsam mit der FU Berlin, der Universität Potsdam und der Universität Mexiko-City zusammenarbeiten und der sozialen und kulturwissenschaftlichen Globalisierungsforschung neue Perspektiven eröffnen wollen. In Europa ist Russland ein wichtiger wissenschaftlicher Partner für Deutschland, nicht zuletzt aufgrund der kriegsbedingt verlagerten Kunst- und Kulturschätze, die im Rahmen gemeinsamer Ausstellungen wissenschaftlich neu bearbeitet, veröffentlicht und einem breiteren Publikum vorgestellt werden. Mit dem Thema Beutekunst beschäftigt sich ferner ein Projekt zur Auswertung der sowjetischen Transport- und Verteilungslisten, die den Abtransport der Kunst- und Kulturgüter aus Deutschland durch die sowjetischen Trophäenkommissionen dokumentieren. Umgekehrt begann ein Vorhaben, in dem es um die russischen Kulturgutverluste während des Zweiten Weltkrieges geht, die erstmals unter sammlungs- und museumsgeschichtlichen Aspekten betrachtet werden sollen, um den Verlusten eine Geschichte zu geben. Bei dem Unternehmen Census der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hand schriften in lateinischer Schrift der Staatsbibliothek zu Berlin und der Russischen Staatsbibliothek in Moskau geht es um die gemeinsame Erfassung und Erforschung lateinischen Handschriften, was zukunfts-
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weisend für die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Bibliotheken sein dürfte.
Wissensarchive und Gesellschaft Mit den Geisteswissenschaften produziert die Gesellschaft Wissen über sich selbst, was für ihren Zusammenhalt unerlässlich ist. Doch ohne Wissensarchive wie Museen, Bibliotheken und Archive kann dieses Wissen nicht generiert werden. Wissensarchive nehmen deshalb in der Gesellschaft eine eminent wichtige Rolle ein. Dabei müssen sie sich heute jedoch der Aufgabe stellen, der Gesellschaft größtmöglichen Nutzen zu bringen. Raubgrabungen nehmen inzwischen immer größere Ausmaße an und werden in einigen Jahren wohl einen Großteil des kulturellen Erbes der Menschheit vernichtet haben. Weiteres wird durch unkontrollierte Baumaßnahmen und ein enormes Bevölkerungswachstum bei gleichbleibenden Siedlungsflächen unwiederbringlich zerstört. In Ägypten sind das gesamte Fruchtland und der nächstgelegene Wüstenstreifen im Grunde schon vollständig bebaut; es waren aber auch genau jene Zonen, in denen sich die archäologischen Denkmäler konzentrieren. Kriegs- und Bürgerkriegshandlungen kommen noch hinzu und greifen heute in viel stärkerem Maße als jemals zuvor in archäologische Fundplätze ein und zerstören sie unwiederbringlich. Der mitten im antiken Babylon angelegte Hubschrauberlandeplatz der US-Amerikaner ist dabei nur einer der kleineren Kollateralschäden des Irak-Krieges. Macht man sich diese Bedrohungsszenarien für unser kulturelles Erbe bewusst, so wird sehr schnell deutlich, dass gemeinsame Strategien und ein international koordiniertes Handeln erforderlich sind, und die Wissensarchive sind hier besonders gefragt, Initiativen zu entwickeln. Umgekehrt sollten Kulturgüter, die vor über einem Jahrhundert legal in Museen außerhalb ihrer Ursprungsländer gelangt sind, stärker als bisher in internationale Kooperationen und Forschungsprojekte eingebunden werden, um internationale Teilhabe zu ermöglichen. Das Ägyptische Museum der SMB bereitet für Ende 2012 anlässlich des 100. Jahrestages der Auffindung von Nofretete eine internationale Tagung vor, die am Beginn einer umfassenden Bearbeitung der in Berlin befindlichen Funde aus Tell el-Amarna stehen wird. Als weiteres Beispiel für eine gelungene internationale Kooperation sei ein Vorhaben zur
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Berliner Turfan-Sammlung genannt. Expeditionen des Berliner Völkerkundemuseums brachten Anfang des 20. Jahrhunderts Reste von Malereien und andere Kunstobjekte aus buddhistischen Höhlen an der Seidenstraße nach Deutschland, die sich heute im Museum für Asiatische Kunst der SMB befinden. Zu dieser Sammlung läuft derzeit ein großes zukunftsweisendes Projekt, an dem verschiedene europäische Länder sowie Institutionen in Peking und Urumqi (Xinjiang) beteiligt sind. Die in den diversen Sammlungen weltweit vorhandenen Bestände und Expeditionsunterlagen werden dabei digitalisiert und über eine Internetplattform zusammengeführt und der internationalen Forschung zugänglich gemacht. Bei derartigen Vorhaben geht es um Teilhabe und gemeinsame Verantwortung, unabhängig vom Aufbewahrungsort der Kulturgüter. Objekte bieten die einmalige Chance – und das spricht für die enorme Bedeutung von Sammlungen –, Geschichte auf eine ganz besondere Art und Weise verständlich zu machen, denn Gegenstände sprechen über globale Entwicklungen zu ihrer jeweiligen Entstehungszeit, sie sind Zeitzeugen. Ganz alltägliche Dinge können dabei bisweilen wichtiger sein als Kunstwerke. Dem Besucher können sich über die Objekte neue Zugänge zu einem tieferen Verständnis globaler Verflechtungen der Kulturen der Welt eröffnen. Insofern muss ein modernes Universalmuseum heute ein Wissensarchiv für alle sein, auch für Besucher aus den Herkunftsländern und für Menschen mit Migrationshintergrund. Die großen Universalmuseen sind auf dem Wege, sich zu supranationalen Einrichtungen zu entwickeln, die von der ganzen Welt zu nutzen sind. Sie können damit einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt und zum gegenseitigen Verständnis der Völker in einer längst globalisierten Welt leisten. In seiner Mitte wird Berlin mit Museumsinsel und Humboldt-Forum über einen herausragenden Ort für Kunst und Kultur des Menschen verfügen. Alle Kulturen werden dort mit herausragenden Sammlungen vereint sein, und es braucht Orte, an denen die Welt sich selbst betrachten kann.
Von der Forschung zur Vermittlung: Sammlungskonzepte Als im Oktober 2009 nach seiner Wiederherstellung durch David Chipperfield das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel eröff-
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net worden ist, erinnerte man sich eines der folgenreichsten Paradigmenwechsels in der Konzeption musealer Sammlungsdarstellung, den es sich kurz zu rekapitulieren lohnt. Das Neue Museum war bei seiner Eröffnung 1859 in jeder Hinsicht modern und seiner Zeit voraus. In diesem ersten dreigeschossigen Museumsgebäude wurden die Exponate nämlich nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählt und nicht mehr nach rein ästhetischen. Im 1830 eröffneten Alten Museum Karl Friedrich Schinkels hatte Wilhelm von Humboldt noch ein gänzlich anderes Konzept realisiert, das die Kunstwerke vom Altertum bis in die Neuzeit von jeglicher chronologischen oder kulturellen Kontextualisierung befreit zeigen sollte: Allein der Genuss der Kunstwerke stand im Mittelpunkt. Das Alte Museum war jedoch nicht für lange ein reines Kunstmuseum, es wurde von der Wissenschaft gleichsam unterwandert, und diese Wissenschaft war die Archäologie. Eine internationale Gelehrtenvereinigung hatte auf Initiative von Eduard Gerhard 1829 das Instituto di corrispondenza archeologica – das spätere Deutsche Archäologische Institut – in Rom gegründet. Ziel des Instituts war es, die Altertümer systematisch zu sammeln, zu publizieren und eine umfassende, alle Denkmälergattungen umfassende Altertumskunde zu betreiben. Im Jahre 1833 hatte man Eduard Gerhard schließlich von Rom an die Berliner Museen berufen und dort zum ersten Archäologen ernannt. Gerhard dachte das Museum anders als Wilhelm von Humboldt, und zwar als Bildungs- und Forschungsanstalt. Unter seiner Leitung hat sich die Einkaufspolitik verändert, es ging nicht mehr nur um Meisterwerke, sondern vor allem um eine systematische Ergänzung der Sammlungen, die einen möglichst vollständigen Überblick über die künstlerischen Gattungen und die kulturellen und künstlerischen Strömungen des Altertums vermitteln sollten. Gerhard wollte den Besucher bilden und sah diesen Bildungsauftrag gleichzeitig als Ergebnis umfassender Forschung im Museum. Berühmt ist bis heute sein sogenannter „archäologischer Apparat“: 2.500 Blätter mit Zeichnungen von zum großen Teil unpublizierten Altertümern, Objekte, die die Grundlage seiner wissenschaftlichen Forschung waren. Gerhard war aber auch der erste, der schon im frühen 19. Jahrhundert tragfähige Verbindungen zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen schuf. Die Altertumskunde war dank Gerhard einer der ersten Wissenschaftsbereiche, der Institutionen übergreifen-
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de Großforschung zu realisieren wusste. Zu diesem Verbund gehörten neben den Museen auch die Berliner Universität und die Preußische Akademie der Wissenschaften, das Deutsche Archäologische Institut und die Archäologische Gesellschaft zu Berlin. Aus diesem Denken heraus müssen wir die Entwicklung der Museumsinsel als eine „Freistätte für Kunst und der Wissenschaft“, eine gleichsam in die Ebene der Spreeinsel ausgebreitete Akropolis der Kunst und der Wissenschaft verstehen. Eine Skizze aus der Hand Friedrich Wilhelms IV. zeigt, wie er sich die Museumsinsel hinter dem Alten Museum vorstellte: überhöht von einem Hochtempel mit einer Aula und Festsälen für wissenschaftliche Veranstaltungen. Für ihn bildeten Museen, Akademie und Universität gleichsam eine natürliche Einheit. Sämtliche Sammlungen hatten ihren Ursprung in der kurfürstlichen Kunstkammer des Berliner Schlosses. Die Kunstwerke der Antikensammlung und der Gemäldegalerie waren ab 1830 im Alten Museum auf der Museumsinsel zu besichtigen, während die naturkundlichen und medizinhistorischen Bestände der Kunstkammer schon zuvor den Weg in die 1810 gegründete Berliner Universität nahmen und sich heute im Berliner Naturkundemuseum bzw. im Medizinhistorischen Museum der Charité befinden. Die übrigen Sammlungen, die urgeschichtliche Archäologie, die Ethnologie und das Kupferstichkabinett, blieben zunächst noch im Schloss zurück, um anschließend den Grundstock des Neuen Museums zu bilden. Dieses Museum machte in damals noch nicht dagewesener Weise universales Denken auf der Grundlage seiner umfassenden Sammlungen erlebbar, wie auch Horst Bredekamp immer wieder hervorhob. Im Erdgeschoss des Neuen Museums waren die Völkerkunde, die vaterländischen Altertümer und die ägyptische Sammlung ausgestellt, in der ersten Etage die Abgusssammlung als Rundgang durch die Kunstgeschichte der Skulptur von der griechischen Antike bis ins 18. Jahrhundert und im obersten Geschoss schließlich Kunstkammer und Kupferstichkabinett. Das Neue Museum war aber auch ein Parcours durch die Künste und ein Labor der Wissenschaften zugleich. Mit kraftvollen Kulissen und starken Inszenierungen wurden die Exponate in ihren Kontext gestellt. Mit der suggestiven Kraft der Raumwirkung sollten sich die Besucher gleichsam in andere Welten versetzt fühlen. Das Neue Museum war ein veritables kleines Universalmuseum.
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Doch die Geschichte musealer Sammlungsinszenierungen im Neuen Museum endete damit nicht, sie hält bis heute an, was durchaus für eine gewisse Dynamik in der Auseinandersetzung mit den Sammlungen spricht. In den 1930er Jahren hielt erste Museumsdidaktik mit Kartendarstellungen und Zeittafeln Einzug, die die suggestiven Bilder aus der Zeit Friedrich August Stülers abzulösen begann. Und auch bei der Neugestaltung des Gebäudes zu Beginn des 21. Jahrhunderts ging man wiederum neue Wege. Vielfach ließ sich dabei jedoch noch auf die Inszenierungsreste des 19. Jahrhunderts Bezug nehmen, indem sie mit der heutigen Bespielung verflochten wurden. Im Vaterländischen Saal etwa greifen exemplarisch bestückte Vitrinen das von Christian Thomsen im frühen 19. Jahrhundert entwickelte Dreiperiodensystem aus Stein-, Bronze- und Eisenzeitalter auf, wie sie ganz ähnlich in noch erhaltenen Wandmalereien an der Südseite dieses Saales dargestellt wurden. Auf der dritten Ebene zielt die moderne Präsentation der Exponate dagegen darauf ab, neueste Forschungsergebnisse aus naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen wie Genetik oder Zoologie in die Erzählungen um die Exponate einzubinden und Kulturgeschichte ganzheitlich begreiflich zu machen. Kunstkammer und Neues Museum nahmen im 19. Jahrhundert noch das vorweg, was die Museumsinsel und das Humboldt-Forum im wieder zu errichtenden Berliner Schloss einmal sein werden: ein universales Weltmuseum, das jedoch mehr sein wird als nur ein Museum. Bereits Stüler und Friedrich Wilhelm IV. hatten an eine bauliche Verbindung zwischen Museumsinsel und Schloss gedacht. Nun wird diese Verbindung Realität, wenn mit der Kubatur des Schlosses die städtebauliche Lücke im Zentrum Berlins wieder geschlossen wird. Hier im Zentrum der deutschen Hauptstadt wird durch die Zusammenführung der außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst) mit Teilbeständen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und den wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen der Humboldt-Universität eine ganz neue Verbindung von Kunst-, Kultur-, Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen entstehen. Der Grundgedanke des Humboldt-Forums geht zurück auf die Kunstkammer als Keimzelle der späteren Museen. Im Grunde kehren mit dem HumboldtForum jene Einrichtungen wieder in das Schloss zurück, die dort ihren
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Ausgang nahmen. Die Entstehung der Sammlungen beruhte in erster Linie auf Gelehrsamkeit und enzyklopädischem Sammeln und weniger auf kolonialer Expansion, wenngleich auch sie eine wichtige Rolle spielte. Doch mehr noch gehen sie auf wissenschaftliche Expeditionen zurück: Alexander von Humboldt legte den Grundstock der Berliner Mesoamerika-Sammlung, Georg Forster begleitete James Cook in die Südsee und Hermann Schlagintweit bereiste Tibet und die Mongolei; sie alle brachten Zeugnisse der Weltkulturen nach Berlin. Doch zentrale Kernideen des Humboldt-Forums reichen noch weiter in die Zeit von Gottfried Wilhelm Leibniz zurück. Als er im Jahre 1700 die Gründung der Preußischen Akademie der Wissenschaften voranbrachte, sah er diese mit dem Konzept eines Museums verbunden; aus dieser Verbindung sollte ein wahrhaft lebendiges „Theater der Natur und Kunst“ hervorgehen, wie gerade Horst Bredekamp immer wieder hervorgehoben hat, der schon 2001 schrieb: „Die Idee eines wissenschaftsgeschichtlichen Museums wäre verschenkt, wenn es in seinen Räumen nicht auch Vorlesungen, Film- und Theateraufführungen, Seminare sowie Denk-Spielräume für Schulen und Basare neuer Erfindungen bieten könnte“ (FAZ, 18. April 2001, S. 51). Eben dieser Aufgabe werden sich nicht nur die Veranstaltungsbereiche der so genannten Agora im Erdgeschoss des künftigen Humboldt-Forums zu widmen haben, sondern auch die übrigen Etagen mit ihren Sammlungspräsentationen und Bibliotheken. Das ganze Haus muss zu einem lebendigen und vielfältigen Ort des Denkens, Forschens und Lernens werden, an dem auch das Zusammenwirken von Wissenschaft und Kunst ganz neue Formen finden wird. Auf diese Weise können Sammlungen und andere Wissensarchive als Forschungs- und Bildungsinstitutionen eine neue Dynamik entfalten. Soviel ist jedenfalls sicher: Das Humboldt-Forum wird den Sammlungen Gestaltungskräfte einer neuen gedanklichen Dynamik verleihen, die in die Forschung ebenso wie in die Gesellschaft hineinwirken werden. Horst Bredekamp hat schon vor zehn Jahren wichtige konzeptionelle Leitlinien prägnant vorgedacht, die nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Es ist mir Ehre und Freude zugleich, diese Fäden mit einem verehrten Kollegen, der längst zu einem Freund geworden ist, bis zur Einlösung der Utopien weiterzuspinnen.
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Foundations for Humanities Research in 2020 We will not have reliable information about the most innovative and important humanities research of the 1990s for another decade or so. Someone who has the time and energy probably can now draw up a balance sheet for the 1980s, which will have a reasonable chance of being accurate. From the point of view of formulating policy it might be research worth doing, but it is also quite likely that the pace of technological and environmental change has been such that well-founded conclusions about excellent research done 20 years ago will have little relevance for the future. In the field of early modern art history it presently seems a safe bet that the work which (to give a purely personal outsider’s list) Svetlana Alpers, Michael Baxandall, Hans Belting, Horst Bredekamp, David Freedberg, John Michael Montias and Martin Warnke published in the 1980s will still seem like major contributions for many years to come. We can be reasonably confident that exceptional work is being done today but we do not really have a reliable of idea of where or under what conditions. Because of these uncertainties and the limits of my knowledge what I say in answer to the questions posed by this volume will be speculative, utopian and personal. For me the ideal work in the humanities is argumentative and detailed. It raises large questions and also develops new perceptions, at the local level, about individual events, works of art or social practices. The best work in the humanities is verifiable in its detailed use of evidence, but also exciting and intellectually fruitful in its larger implications. It seems to me that the best work I know of written in the last few decades has still been the product of individual scholars following their hunches and elaborating from their basis of knowledge and experience. But it must also be that the knowledge, skills and perspectives of any individual are limited, and so there must be the potential that forms of collaboration can improve individual projects. Sometimes in my own work I have wished that someone else was sufficiently inward with my intentions to be able to question my ideas and challenge me, not just to correct errors, but to formulate my ideas more strongly and with wider implications. More developed conversation between researchers will
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test the hypotheses, propose different approaches, add new evidence and suggest new applications for the ideas. But conversations like these between researchers require time and space. This may take the form of seminars (whether intramural or involving guest speakers), but it is also above all the function of the research Institute to provide fellowships and spaces for discussion, where the arguments and ideas of individual researchers can be debated, contributed to, and enriched. Within the humanities at present we lack a control concept parallel to the scientific principle that an experiment should be repeatable. Too often we are in a position of reading arguments developed from interpretations of evidence, which seem highly idiosyncratic, with the result that a superstructure of argument is vitiated by the questionable basis of its foundations. We would be on securer ground in developing shared bodies of reliable knowledge if interpretations were expected to pass some sort of test of being persuasive to others before arguments could be based on them. It seems to me that the interchange of ideas within the research seminar or the research institute should be capable of becoming that testing ground for the premisses of arguments which will make our individual work contribute to a larger collectively advanced body of knowledge. There is bound to be a tension between the originality of the individual’s perception and the shared understanding of the wider academic community. We need to find places to exhibit those tensions and to make them productive, through the give and take of ideas and evidence, the intellectual conversation (sometimes assertive, sometimes tentative) of the seminar and the research institute. There are two dangers to be avoided here. The quality of intellectual work can be damaged by being too cautious and conventional or by being too self-validating and isolated from external corroboration. Some work is too narrowly preoccupied with detail; it will be useful and may even be essential within the subfield but may be of rather little interest to anyone outside it. Other work is so ambitiously broad that it cannot be tested and that it seems to make sense only within the world-system elaborated by the author. The more that individual perceptions can be tested by collegial criticism and broadened through encouragement and collaboration the stronger the resulting work is likely to be. It also often seems to be the case that an individual’s best work is formulated in the course of their doctorate or their early post-doctoral
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years. This suggests that the basic model of funding a group of postdoctoral students for three to five years to work on related individual projects in a situation of free exchange of ideas with two or three very different senior scholars to advise and challenge them is a good one. The model of junior and senior scholars reporting on their work at regular intervals and responding to questions about it seemed to me the great strength of the Bildakt und Verkörperung-group on the occasion on which I was invited to their weekly meeting. An institute might be arranged around three or four such groupings, with some deliberate overlapping between them. There is an important issue here of continuity and change which is also related to the shaping of academic careers. Every institute needs some permanent staff but there also needs to be change. The situation in which the senior staff are all permanent and the junior ones always change increases the danger of intellectual conformity and conservatism in relation to new approaches. Perhaps it might be advantageous to provide that a substantial proportion of the senior scholars in a research institute should themselves be seconded to the organisation on three- to five-year contracts, rather than being in effect compelled to establish a career pattern outside the teaching and collegial responsibilities of a regular university department. The danger that a research institute may be become self-validating and self-perpetuating will be lessened if senior staff have experience outside the institute and if the junior research fellows expect that later they will pursue their careers within a regular university environment of teaching and research. The quality of career guidance which senior staff can offer to junior researchers will also be improved by this wider experience. What kind of an environment should the research Institute seek to provide for the senior and junior research staff who will work in it? Ideally a research institute should possess an outstanding library and a strong programme of seminars and lectures. An institute needs spaces where seminars, lectures and formal discussions can be held. It needs spaces where individuals can read and think, but these can be the semisocial spaces of library desks and shared offices. These fundamental resources will ensure that the institute is visited and used on a regular basis by a wide range of different researchers, either based in a museum or university department in the same city or travelling to use the library
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for a short period or to participate in a particular conference. These provisions make it possible for scholars who have been fellows or directors of research in the institute for a period of some years to return to the institute, to continue to draw benefits from it and to make contributions to the other research being done there. An institute needs to have social spaces and ideally a provision for lunch and coffee pauses, where visitors can be entertained and where ideas can be exchanged between specialists in different fields who have mutual friends or happen to sit down at the same table. The institute should have the financial resources and the connections to provide research fellows with the kinds of training, for example in languages, in palaeography, in the construction and use of databases or in the interpretation of visual materials, which their developing research will bring them to need. The institute will need to develop the right kind of interdisciplinarity, both enabling research fellows to learn the techniques of disciplines which are at first outside their knowledge, but also finding ways of encouraging people with a different disciplinary background to take an interest in the subjects associated with the institute. For example research institutes with a literary or philosophical basis might encourage economists and sociologists with appropriate interests to develop their own research and to contribute to the field(s) cultivated in the institute. In recent years scholars of history, literature and art history have found it relatively easier to be influenced by the preoccupations and methods of anthropology, with its rich descriptive tradition, and harder to take on the insights of more quantitatively based social sciences. Most of us still need to develop appropriately sensitive ways of using the techniques of statistical analysis in the humanities. Most future work in the humanities will be transformed by the possibilities opened up by databases. Within the next ten to fifteen years every book, document or object we could reasonably need for our research will be available to us on our personal computers at home or on our telephones. The abolition of the need for travel and time delays, which the electronic world will bring us, will paradoxically increase the risk of the gifted individual scholar becoming isolated and self-validating. The ideal institute library will be a place where scholars meet, where they orient themselves in a field through the advice of their colleagues and through the careful selection
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of books in a wide range of related fields, chosen by scholar-librarians and made available for browsing and consultation on open shelves. The institute will organize seminars, conferences and lectures to bring in new people and new ideas and to encourage habitual readers to return and to widen their knowledge. The institute will provide social spaces and will devise ways of making introductions and encouraging connections between scholars. We can take advantage of the new technologies by incorporating what they can give us (for example in the possibility of making available electronically through the catalogue, either through stored copies or stable links, books which we could not physically possess) and by adding enrichments and interactions which a lone scholar can access sometimes electronically and sometimes through personal visits. At the same time we need to be aware of the dangers which humanities scholars all run through placing ourselves at the commercial mercy of electronic monopolies. Outsiders are sometimes surprised by the extent to which mathematicians are sociable within their own field and in related areas, including areas outside mathematics strictly conceived. It is axiomatic that mathematics departments need social spaces (ideally with whiteboards on all the walls) and funds to enable travel, hospitality and exchange. Mathematicians will frequently spend months visiting a different university in order to pick up new techniques or share insights. Up to the present humanities scholars travel in order to see objects and to visit libraries. In the future, as all the books and manuscripts they need, will be available to them wherever they happen to be, they will travel more to experience different approaches, to exchange ideas and to orient themselves in new fields or learn new techniques through direct contact. Information will be available to us everywhere, but we will need time and spaces for the more extended conversations which will improve knowledge. Conferences at which everyone ritually speaks will give way to longer visits to specific places or individuals in which more intense intellectual collaboration can occur. An ideal institute would have the buildings or the funds to support distant scholars in making visits of between a week and a month. What sort of relationship should there be between a university and a research institute? The research institute needs a larger organisation to provide the administrative and contractual services which it will be
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too small to perform for itself. More importantly the institute needs access to the staff and students of the wider university, for the provision of different types of training, and as a source of audiences, students and future fellows, and new ideas. An interdisciplinary research institute will usually not have within its necessarily small staff all the expertise which might be needed for supervising the range of PhD dissertations which the ideas and resources of the institute should stimulate. It ought to be very simple for humanities scholars in the university to share the training of their PhD students with the institute and to participate in the supervision of the institute’s own students. This model implies that an interdisciplinary research institute in the humanities should be linked to a university with strong departments in the various fields of the humanities. If the research institute is not funded in such a way as to be functionally independent there will need to be mechanisms for transferring fee-income between university departments and the research institute in return for services. It is quite likely that, unless the research institute is integrated within the general financial system of the university, the mechanism for making such transfers will be disproportionately costly. The British university system in the last thirty years has been dominated by the principle of competition, both between academic departments within the university for posts and resources, and between universities. In some respects such competition has made universities more flexible and more open to new developments, but it has also imposed huge costs as universities devote disproportionate amounts of their staff time to running internal competitions for funds and attempting to maximize their success in external competitions. The general effect of this process has been the weakening of the academic part of the university and the enlargement of the administration. Concerns of competitive advantage and budgeting, with their large associated staffs, now play a damagingly disproportionate role in most British universities. This emphasis on competition has also made British universities astonishingly abject and complaisant in their relations to their principal funder, the British government of the day. Because they are so internally driven to competing with each other they have proved to be incapable of taking collective stances.
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Against such an emphasis on competition the research institute needs to stand for collaboration and collegiality, in relation to individual scholars and departments, whether they belong to the institute’s own university or to others, and especially in relation to international scholars and institutions. This implies a separation between the functioning of the institute and the way it is funded. The institute should set its goals and once the funders have approved them the university should not seek to influence the operation of the institute by introducing funding incentives or penalties. The research institute may very well need to receive part of its funding through a grant to a university but it should certainly also try to secure independent funding privately, from foundations and from external agencies, including international organisations and governments. External funding can be particularly important in maintaining the library and in providing short-term visitors, research fellowships and studentships, but it should ideally also provide money which the institute can direct to research projects and ideas as they emerge. Project funding for research can greatly assist the research institute but it should also have funds to develop its own agendas regardless of what research councils or foundations contingently favour. The future of humanities research lies in the integration of the insights and knowledge of the individual researcher with the collegial criticism and additional expertise of the groups of scholars who meet at research institutes. The role of the research institute is to promote collaboration and interdisciplinarity, to give a thoughtful welcome to new ideas, to be the collective critical friend of the individual scholar. To achieve that goal the research institute needs a degree of integration with a large university faculty, but also a degree of freedom which can be strengthened by the acquisition of (and by the university’s respect for) external funds. The more this funding can involve both private individuals and international and foreign corporate bodies the more that independence is strengthened. Since the role of the research institute is at least European and more likely global there are good reasons why part of the core support, both in moral and in financial terms, should be supranational. A final question: should the research institute teach? Yes, of course. Teaching and research are weakened by being separated. The research
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institute should teach its own students, those of the wider university to which it belongs, and any others who think they can benefit from it. It should teach at all levels, including both the orientation of undergraduates and the provision of advanced research training to established scholars drawn into new fields.
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Horst Bredekamp and the Getty Foundation The Getty Foundation changed its name in 2002. Before that it had the descriptive title of Getty Grant Program and did exactly what the name suggested: it gave out grants. Giving away money equitably and accountably, however, is surprisingly difficult, and several committees were set up in the 1980s to advise the Grant Program on how best to distribute its largesse. There were separate, specialist committees for the various grant categories: publications, postdoctoral grants, senior scholars, and conservation. These committees were made up of the great and the good, although the great were not always good, and the good not necessarily great. By universal acclaim, however, Horst Bredekamp, was both great and good. I first met Horst in the context of the publications committee, dedicated to the laborious but interesting task of supporting monographs in art and architectural history. The meetings were held either at the old Getty Center on Wilshire Boulevard, four short blocks from the Pacific Ocean, or in grand hotels in either Washington or New York. In preparation for the meetings a veritable avalanche of manuscripts was dispatched by the Grant Program, each to be read in detail by two members of the committee. The quality of the discussion around the committee table and of the decisions reached depended, of course, on the amount of effort previously expended on reading the manuscripts. Further essential features for these meetings were a broad spread of knowledge across both art and architectural history, and the courage to make decisions on topics that lay well beyond one’s comfort zone. Horst rose to the challenge in every respect. The Grant Program occupied rooms on the eleventh floor of a sleek white office block designed by Skidmore, Owens & Merrill, which offered panoramic views over Santa Monica below and the Pacific Ocean beyond. As a highlight of this otherwise bland office space, the meeting room could boast a glass-brick wall and a large white meeting table, both designed by Richard Meier. The first book allocated to both Horst and myself, and thus my first experience of working with Horst, was a massive tome on architectural history, written by a senior scholar who had
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clearly been unwilling to leave out a single footnote or reference that he had gleaned from the then new world of electronic databases. Horst launched forth in the tragic/heroic mode that one later realized was his default setting. “The book is far too long … we are all terribly busy people … it really is an imposition to make us read so much … time is so valuable and in such short supply.” The point, however, was that he had read the monster tome from cover to cover, made a series of pertinent points and concluded that the book sat exactly on the fund/non-fund cusp. Quite independently, I had reached exactly the same conclusion, and a chummy, almost conspiratorial alliance was established. Not that an alliance was needed for this particular committee, which was composed of the most delightful colleagues, including Jim Cuno, now President of the Getty Trust. With this first meeting the pattern was set for annual gatherings in Santa Monica and beyond. After serving a stint on the publications committee, both Horst and I were recycled by Deborah Marrow, the Director of the Grant Program, to serve on the committee that awarded postdoctoral grants. This was even more work. Rather than a dozen or so books, the FedEx van now brought box after box of applications, each with a sample chapter of the PhD, a published article, and a reference from the doctoral supervisor that tended to hover between hyperbole and hysteria. One eminent West Coast professor invariably began his references with the assurance that doctoral student X was the best he had ever taught. Successive candidates effortlessly assumed this eminence year after year, to the disbelief of the committee. The meetings were not all fun, however, and had to be broken off from time to time to enable Horst to make vital and unmissable phone calls back to Germany. Was this a nomination for the Bundesverdienstkreuz or an invite for tea with the President? Not at all. The soccer scores in the Bundesliga were the big issue. Dragged back from the Volksparkstadion in Hamburg, Horst’s judgments on the postdocs were a model of consistency, brevity, and wisdom. These were delivered with great passion and with a gravitas generously amplified by jet-lag. One of the particular challenges facing the postdoctoral committee was the need to strike a correct and consistent balance between the extremes of vapid modishness and dull conventionality. As might be expected, many of the young and ambitious scholars of the 1990s felt a
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strong need to display their knowledge of recent high theory, and a succession of great names flitted in sequence across the applications, each peaking for a year or so before being consigned to the intellectual rust belt and succeeded by the next fashionable voice. In this way, Walter Benjamin had a strong run at the beginning of the decade, doubtless stimulated by the recent availability of English-language translations, only to be superseded by Deleuze and Guattari in mid-decade, who in turn made way a couple of years later for postcolonial and subaltern studies, for Edward Said and Homi Bhabha. While theoretical acuity was valued, gratuitous nods to the theory guru of the moment were frowned upon. At the other end of the spectrum, those applicants whose intellectual ambition extended no further than a catalogue raisonée were also given short shrift. In guiding the committee between the Scylla of theory and the Charybdis of taxonomy, Horst played a singularly important role. Sadly, the Getty postdoctoral grants, which helped so many promising scholars bridge the gap between study and a career in academia are no longer offered. This is to be regretted, as the recipients have invariably moved on to great things in the world of art history. At one meeting a candidate from one of the grander Ivy League universities proposed a research project on Poussin. As his bibliography made clear, however, this work was to be based primarily on Englishlanguage sources, boosted by a few from French. There was no reference whatsoever to the German-language scholarship on Poussin, to the canonical works in German of Walter Friedlaender, or to the more recent writings of scholars like Kurt Badt and Oskar Bätschmann. Ashen faced, Horst declared in tremulous tones that Adolf Hitler had indeed prevailed. This rather sobering moment set the pair of us thinking: if anglophone art history could no longer read German, the key German texts might be translated into English, where they would be accessible not only to native English speakers, but to that vast constituency that has English as a second or third language. Sitting under the wisteria on the Getty plaza, a plot to launch a translation journal was hatched. From the pragmatic and relatively modest ambition to translate German texts into English, emerged a new e-journal, Art in Translation, which brings not only significant German scholarship to the English-language readership, but texts from across the world and from all historical periods. In spite of this breadth of reach, Art in Translation still keeps faith with its German
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roots, and at the time of writing has published texts by such luminaries as Leo Frobenius, Max Imdahl, Siegfried Kracauer, Helmuth Plessner, Josef Strzygowski, Rainer Maria Rilke, Alois Riegl, Aby Warburg, Edgar Wind, and many more. One of the very early volumes of the journal even carries a wonderfully polemical essay by Horst Bredekamp, questioning the Benjamin theory of aura. Horst’s rather splenetic response to the doomed Poussin scholar was undoubtedly a catalyst for Art in Transla tion, which, very happily, is generously subsidized by the Getty Grant Program in its new incarnation as the Getty Foundation. How better to round off this panegyric about Horst’s work in Los Angeles than with a story about cars. While both Horst and I were and are entirely smitten by Los Angeles, we harboured strong, European reservations about the American Way Of Life. In a modest but amusing rejection of the world of jumbo SUV’s and shiny limos, we set out to find each year the worst rental cars in town. While Horst’s source for the automotive dead and dying was an outfit called “Rent-a-Wreck”, I favoured “Ugly Duckling”. An annual contest then emerged to see who could rent the worst car. Horst won hands down one year with a little Subaru, whose all-over red hues were not those of paint but rust: a rusty tin can on wheels. I trumped this the following year, as I recall, with a BMW whose driver’s door was permanently jammed shut following a crash, so that entry could only be gained from the passenger side. Simple pleasures! It may well be that the Horst Bredekamp that we knew and valued on the edge of the Pacific was different to the busy professor in Berlin, who seemed to be constantly harassed by the demands and expectations of others and by those he made on himself. In Los Angeles, he was in a protective cocoon, dislocated in both space and time from the pressures of his normal working life. He had time to talk, to meet up with his old friend Frank Gehry to have his teeth fixed, and to hang out in the best Californian style. In contrast, his life in Berlin seems, when viewed from the outside, to have taken on an almost hermetic quality, which was difficult to penetrate by phone, email, or in person. How many unanswered emails still rest in the ether? Could it be that the Getty got the very best of Horst?
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Zoon Politikon •
Tapisserie mit Szenen aus dem Leben Alexanders des Großen (Detailansicht: Greifenfahrt), Tournai, um 1460
William Blake: Behemoth und Leviathan, aquarellierte Tusche- und Bleistiftzeichnung, 1805–1806
Jörg Immendorff: Gerhard Schröder, 2007
Giambologna: „Maiestate tantum“, Bronzetafel am Reiterdenkmal Ferdinands I. Medici, Florenz 1608
Benito Mussolini mit einem Löwenjungen, im Hintergrund der Chauffeur Ercole Boratto, Fotografie von 1924
Rockwell Kent: Moby Dick, the chase, third day, Illustration zu H. Melville, Moby-Dick, New York 1930
Albert Flamen: Fortiter et suaviter, Kupferstich zu A. Gambart, La Vie symbolique, Paris 1664
Apotheose des Antoninus Pius und der Faustina, Säulenbasis, Marmor, ca. 161
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Claus Leggewie
Von der sozialwissenschaftlichen KlimaKultur zur interdisziplinären Transformationsforschung Heute scheint es fast selbstverständlich, wenn in der Bearbeitung der planetary boundaries – der Grenzen des Erdsystems, die durch Klimawandel, Artensterben und andere Umweltschädigungen erreicht oder schon überschritten sind – nach dem Beitrag jener Wissenschaften gefragt wird, die sich nicht ausdrücklich mit Naturphänomenen befassen. Umwelt und Ökologie waren Jahrzehnte lang eine Domäne der hochspezialisierten naturwissenschaftlichen Fächer und Wissenschaftskonglomerate wie der Klimaforschung respektive der Erdsystem-Analyse, zu denen andere Fächer keinen Zugang und folglich wenig beizutragen hatten. Nun ist gerade im Hinblick auf die Bewältigung menschengemachter Risiken und Katastrophen der „Natur“ der Ruf nach dem Input der Sozial-, Kulturund Geisteswissenschaften lauter geworden.
Meet the Humanities? Beide Seiten hatten eine Bringschuld: Naturforscher erkennen, dass es nicht mit der Akkumulation von Wissen und Bereitstellung von Expertise getan ist, wenn es um die Wahrnehmungen und um die Folgenbearbeitung etwa gefährlichen Klimawandels geht. Sozialforscher und Geisteswissenschaftler wiederum müssen einsehen, dass ihre Konzentration auf die symbolische Ebene und Texte resp. Zeichen „über“ die Natur und vor allem ihre Einstufung als Konstrukt einer Verweigerung der Wirklichkeit nahekommt. Und beiden ist angesichts der Bedrohung des Planeten die soziale Verantwortung der Wissenschaft aufgetragen, einen Beitrag zur Vermeidung und Minderung der Überbelastung zu leisten. Ein Ort, an dem sie zusammenwirken können, ist die wissenschaftliche Beratung der Politik und der Ausrichtung der Forschungsförderung, in der sich ebenfalls ein bemerkenswerter Wandel eingestellt hat. Beispielsweise in der Energieforschung bleiben Techniker und Ökonomen nicht länger unter sich, natur- wie kulturwissenschaftliche Aspekte werden in diese (nach wie vor technologisch beherrschten und technokratisch ausgerichteten) Domänen stärker einbezogen.
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Wer als Kulturforscherin und Geisteswissenschaftler an Universitäten und multidisziplinären Einrichtungen tätig ist, kann ein Lied singen von der bisweilen anzutreffenden Arroganz bei Vertretern sogenannter harter Wissenschaften, die von der fehlenden Wertschätzung bis zur restriktiven Mittelverteilung reicht. Weiche Fächer waren in den hehren Hallen der Naturwissenschaften oft gar nicht gefragt oder als Bedenkenträger verschrien, weil sie es wagten, Einwände gegen Gentechnik und Auftragsforschung zu äußern. Davon soll hier nicht die Rede sein, sondern von der Indolenz der anderen Seite: „Der Klimawandel wird ohne Zweifel zu einer Häufung sozialer Katastrophen führen. Für die temporären oder dauer haften Formationen von Gesellschaften, die das hervorbringen könnte, hat man sich bislang wenig interessiert. Die Klimafor scher kann man dafür nicht verantwortlich machen, es sind, bis auf wenige Ausnahmen, die Sozial und Kulturwissenschaften, die dem Geschehen normalitätsfixiert und katastrophenblind zuschauen. Schwere Verwerfungen, die vom Klimakrieg in Darfur bis zum Verlust der Überlebensräume der Inuit reichen, demonstrieren die Körper und Raumlosigkeit sozial und kulturwissenschaftlicher Theorien; es ist Zeit, dass sie aus der Welt der Diskurse und Systeme zurückfinden zu den Handlun gen und Strategien, mit denen soziale Wesen ihr Dasein zu be wältigen suchen. […] Der Klimawandel ist hinsichtlich seiner Genese und der möglichen Projektionen ein Gegenstand der Naturwissenschaften, aber hinsichtlich der Folgen ein Gegen stand der Sozial und Kulturwissenschaften. Denn seine Folgen sind sozial und kulturell, nichts anderes. Es sind also nicht allein erneuerbare Energien und nachhaltige Umweltpolitiken gefragt, sondern vor allem kluge Einsichten über Charaktere und soziale Netze, die unangenehme Überraschungen einkal kulieren und Rückschläge verdauen können.“ 1 Das war keine Pauschalkritik an unseren Fächern, schließlich gab es ja Kolleginnen und Kollegen in der Soziologie, Geschichtswissenschaft, Politologie, ja auch in der Archäologie und Bildwissenschaft, die sich der Themen Natur, Umwelt und Klima seit langem angenommen hatten. Doch sind diese Bemühungen oft randständig und fruchtlos geblieben,
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sie erreichen nur selten die Eckpfeiler dieser Forschungsgebiete, also Fragen der Sozialität und Symbolsysteme, der repräsentativen Demokratie und der Wiedereinbettung der Ökonomie und so weiter. Die Formel, auf die wir unsere Intuition eines fälligen Paradigmenwandels gebracht haben, hieß: Klimawandel bedeutet Kulturwandel. Was bedeutet: eine Erwärmung der Erde, der Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme von Extremwetterereignissen signalisieren nicht nur eine Veränderung des Klimas, sie werden auch tief in kulturelle Gewohnheiten, Vorstellungswelten und Institutionen einschneiden. So wie das Klima die Gesellschaft beeinflusst, verändern soziale Praxen das Klima. Dies kann eine sehr langfristige Entwicklung sein, aber sozialer Wandel kann bei Migrationsfolgen und Gewaltausbrüchen auch sehr abrupt erfolgen. Wenn man die Rede vom „Anthropozän“,2 der menschengemachten Naturentwicklung, ernst nimmt, dann wirft der durch fossilen Energieverbrauch vorangetriebene Industrialisierungsprozess auch rückblickend ein neues Licht auf die Vergesellschaftungsformen und Kulturbildungen der letzten zwei Jahrhunderte. Zwar lernen Menschen nicht direkt aus der Geschichte, die sich bekanntlich nicht wiederholt, aber sie können, geschichtlich informiert, ein Zäsur-Bewusstsein und eine Transformations-Sensitivität entwickeln. In KlimaKulturen. Soziale Wirklichkeiten im Klimawandel (Frankfurt/Main 2010) haben Harald Welzer, Hans- Georg Soeffner und Dana Giesecke die Folgen für Geistes- und Sozialwissenschaften namhaften VertreterInnen der Fächer zu Kommentaren vorgelegt: „Schon diese wenigen Hinweise genügen, um deutlich zu machen, dass der anthropogene Klimawandel ein Phänomen darstellt, das der Expertise der geistes und kulturwissen schaftlichen Disziplinen dringend bedarf: beginnend mit der Frage, innerhalb welcher historischer und kultureller Referenz rahmen ein solches Phänomen überhaupt gedeutet wird. Die Expertise betrifft den historischen Erfahrungshaushalt in Bezug auf antizipierte, gefühlte oder erlebte Katastrophen genauso wie die dazugehörigen Deutungsrahmen. Sie bezieht sich ebenso auf die kulturellen Praktiken und Sinnkontexte, die zur Verursachung anthropogenen Klimawandels geführt haben, wie auch auf das weite Feld seiner gesellschaftlichen, politischen, psychologischen und juristischen Bearbeitung.
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Nicht zuletzt fordert sie das menschliche Deutungs und Sinngebungspotenzial heraus: die philosophische Bearbeitung von Aspekten der Gerechtigkeit und Verantwortung sowie die philologische beziehungsweise literarische Sprachkritik und die wissenssoziologische Analyse kollektiver Deutungsfiguren.“ Eine solche Einsicht wirft Fragen auf: „Fragen nach einer historisch fundierten Technikkritik, nach der Wirtschafts und Umweltgeschichte, nach der Genese von materiellen, institutionellen und mentalen Infrastrukturen, nach Interessen, Absichten und Strategien, nach sozialen Dynamiken und nichtintendierten Handlungsfolgen, nach Pfadabhängigkeiten, kulturellen Bindungen, Gruppendenken etc. Werden in einem natur und technikwissenschaftlichen Diskurs über den Klimawandel zwangsläufig nicht gestellt“ 3 Ganz ähnlich reagierte jüngst Mike Hulme in Meet the Humanities, und zwar in einer Zeitschrift,4 die sich ausdrücklich einer transdisziplinären Klimaforschung verschrieben hat. Davon gibt es mittlerweile mehrere, und man darf behaupten, dass die sozialen Perzeptionen und Folgen von Klimawandel nicht nur bei den Geographen angesiedelt sind, sondern der Themenkreis auch in der Anthropologie, in der Bildwissenschaft, in der Geschichtswissenschaft, in den Literaturwissenschaften, in den Medienund Kommunikationswissenschaften, in der Psychologie und Philosophie, in den Religionswissenschaften, in den Sozialwissenschaften und in der Wissenschaftstheorie und -geschichte erheblich breiter verankert ist.
Was wir tun Mit der Einrichtung des zusätzlichen Forschungsgebiets KlimaKultur am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) wollten wir einen Beitrag leisten, in diese Kerngebiete sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlicher Forschung vorzudringen. Dabei haben uns private und öffentliche Forschungsförderer von der Stiftung Mercator (die hier eine wichtige Initialzündung gegeben hat) bis zum Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Hier seien nur einige gemeinsame Charakteristika herausgestrichen. Zum einen ist die Befassung mit den Deutungen
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und Folgen von Klimawandel im oben angedeuteten Sinne Grundlagenforschung, in dem sie nämlich die Fundamente unserer modernen Zivilisation auf der Grundlage einer „high-carbon economy“ tangiert. Technik- und Sozialformen sind gewiss nicht deterministisch aufeinander bezogen, sehr wohl aber können wir annehmen, dass der Übergang in eine „low carbon-economy“ eine ähnliche Zäsur darstellen könnte wie die Industrielle Revolution. Ein anderes verbindendes Element der Forschungsprojekte am KWI ist ihre Praxisnähe und Anwendungsorientierung: Dazu trägt nicht nur das Thema bei, sondern auch unsere Lage in einem geographischen Kerngebiet der industriellen Moderne, das seit langem schon einem zum Teil brutalen Strukturwandel unterworfen ist und insofern als Laboratorium und Experimentierfeld wirkt. Von daher ist es nur konsequent, wenn die Resultate unserer Forschung in wissenschaftliche Politikberatung einfließen und wenn das KWI in der aktuellen Zeitdiagnose präsent ist.5 Hinzufügen muss man hier eine große Zahl von Dialogen mit interessierten Zielgruppen aus Unternehmen und Banken, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Konsumentenverbänden, die in der Summe auf eine intensive Gesellschaftsberatung in diskursiven und deliberativen Formaten hinauslaufen. Ein weiteres Merkmal ist die gezielte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Für DoktorandInnen und PostDocs ist es bekanntlich nicht ohne Risiko, sich in einem noch ganz unstrukturierten Feld wissenschaftlicher Analyse zu betätigen, da inter- und transdisziplinäre Arbeit von Fachgemeinschaften und Förderungseinrichtungen zwar stets postuliert, bei Evaluationen und Bewerbungen aber nicht wirklich honoriert wird. Gleichwohl gehen sie dieses Wagnis ein, da sie inhaltlich wie methodologisch Neuland betreten und den Stand der Wissenschaft ebenso wie unseres Weltwissens entschieden vorantreiben. Am KWI arbeiten zwei kleine Graduiertenkollegs KlimaWelten. Eine globale (Medien)Ethnografie, das zusammen mit der Berlin Graduate School in History and Sociology (BGHS) durchgeführt wird, und Herausforderung der Demokratie durch den Klimawandel, finanziert durch die Hans Böckler Stiftung (HBS), NachwuchswissenschaftlerInnen arbeiten in den Forschungsprojekten Shifting Baselines und Katastrophenerinnerung, einschlägig war auch die im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr2010 veranstaltete geisteswissenschaftliche Summer School Prometheus 2010: Woher kommen die Energien der Zukunft? 6.
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Auf dem Weg zur einer transdisziplinären Transformationsforschung Zu erwähnen sind schließlich neuere Arbeiten zu den „Change Agents“, zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung und zu Erfordernissen globaler Kooperation, die im Rahmen der (von uns bereits 2008 geforderten) „Energiewende“ eine besondere Bedeutung erlangen. Als „Change Agents“ bezeichnet man Personen und Organisationen, die direkt oder indirekt als Pioniere des Wandels auftreten; man kann solche sowohl in den engeren Feldern der Nachhaltigkeitspolitik selbst wie in umliegenden Feldern bürgerschaftlichen Engagements identifizieren. Eine wichtige Erkenntnis der neueren, auf nicht-fossile, erneuerbare Energien setzenden Politik ist, dass eine breite sozio-ökonomische Transformation nicht ohne Einbezug des „Consumer Citizens“, also politisch bewusster Verbraucher, und eine entsprechende Infrastrukturpolitik nicht ohne geeignete Formen der Bürgerbeteiligung vonstatten gehen können. Schließlich erlaubt eine Transformation dieses Ausmaßes keine nationalen Alleingänge, sie erfordert vielmehr ein ungewöhnlich hohes Maß an globaler, grenzüberschreitender Kooperation in Wissenschaft, Technologie, Ökonomie, Kultur und Politik. Diesen Problemstellungen widmen sich Mitarbeiter des KWI als Mitglied und Referenten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltverän derungen (WBGU), in diversen vom BMBF geförderten Projekten, darunter in dem ab 2012 für zunächst sechs Jahre an der Universität DuisburgEssen eingerichteten Käte-Hamburger-Kolleg Globale Kooperation im 21. Jahrhundert (GC21). Die kultur- und sozialwissenschaftliche Analyse des Klimawandels erweitert sich damit bereits konsequent in eine breitere Transformationsforschung, die eine per se transdisziplinäre Fragestellung des natürlichen, kulturellen und sozialen Wandels aufgreift und ins Zentrum verschiedener Fächer und Methodologien stellt. Dieser Typ von Forschung hat systemische, reflexive und prognostische Dimensionen, er berücksichtigt auch von vornherein die partizipative Dimension der Gewinnung und Anwendung relevanten Transformationswissens. Ein paralleler Strang ist die Transformative Forschung, die Transformation aktiv vorantreibt, indem sie Innovationen etwa im Bereich neuer Finanzierungsmodelle, Konsumstile, Produktdesigns und wiederum systemischer Lösungen hervorbringt und unterstützt.
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Solche Cluster, die einerseits globale und systemische Aspekte berücksichtigen, andererseits nah am lokalen Wissen und partizipativen Politikmustern bleiben, können sich unserer Auffassung nach am besten in regionalen Experimentierräume und „LivingLabs“ entwickeln. Dies können metropolitane Räume wie das Ruhrgebiet mit mehr als fünf Millionen Einwohnern, einer exzellenten universitären und außeruniversitären Forschungsinfrastruktur und einem nach wie vor brauchbaren Industriekern sein. Sozial- und Kulturwissenschaften können hier von vornherein eine Rolle einnehmen, die sich nicht auf Akzeptanzbeschaffung und Verantwortungsethik beschränkt, sondern einen Prozess soziale und kulturell aktiv begleitet. Die europäische Forschungsförderung kann diese Laboratorien hilfreich vernetzen, bi- und multilaterale Forschungskooperationen mit Schwellen- und Entwicklungsländern stellen notwendige Anschlüsse an die globale Reichweite von Klimawandel, Energiewende und Gesellschaftstransformation her. Was am Ende in der Klimaforschung zählt, ist ihre „IPCC-Relevanz“, also das Einfließen in die Sachstandsberichte des UN-Weltklimarates IPCC. In diesem von Natur- und Wirtschaftswissenschaften beherrschten, auf Quantifizierung angelegten Gremium wird weiterhin der mögliche Beitrag von Narrativen unterschätzt, der aus den Geistes- und Kulturwissenschaften kommen kann, sofern sie sich der Problematik des Kulturwandels durch Veränderungen des Erdsystems hinreichend und kreativ stellen. Das KWI wird sich weiterhin bemühen, diesem ebenso anspruchsvollen wie reizvollen Unternehmen eine Plattform zu bieten.
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1 Vgl. Ludger Heidbrink, Claus Leggewie und Harald Welzer, Von der Natur- zur sozialen Katastrophe. Wo bleibt der Beitrag der Kulturwissenschaften zur Klima-Debatte? Ein Aufruf, in: Die ZEIT Nr. 45, 1, November 2007, abgedruckt in Bieber, Drechsel und Lang 2010, S. 439ff. Dort auch die Kommentare von Hans-Joachim Schellnhuber, Klaus Töpfer und Dirk Messner. 2 Diesen Begriff prägte der italienische Geologe Antonio Stoppani bereits im Jahr 1873, vgl. Stoppani 1873, sowie Crutzen und Stoermer 2000. 3 Welzer, Soeffner und Giesecke 2010. 4 Vgl. Hulme 2011. 5 Dazu zählen Bücher wie Leggewie und Welzer 2010 sowie Leggewie 2011 und 2012. 6 Publikation von Leggewie, Renner-Henke und Risthaus vorgesehen für 2013.
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Mythos Humboldt Eine Notiz zu Funktion und Geltung der großen Erzählung über die Tradition der deutschen Universität Der Aufstieg eines Mythos In der Außenbeobachtung der Berliner wie der deutschen Universität insgesamt hat sich in den letzten Jahren ein eigentümliches Muster der Beschreibung durchgesetzt, die Rede vom „Mythos“ und die Metapher der Erfindung der Humboldt’schen Universität. Diese Rede ist eigentümlich, weil die nahezu unwidersprochen genutzte Formel vom „Mythos Humboldt“ 1 schon ungeklärt lässt, was mit Mythos gemeint ist, ob damit z. B. eine grandiose Täuschung aufgedeckt oder ein legitimer Ruhm beschworen wird. Eigentümlich ist auch die Erfindungsthese; zwar besagt sie eindeutig, dass sich erst als Berliner Erfindung ein angeblich Humboldt’sches Modell der Universität2 dauerhaft durchgesetzt habe, aber sie datiert die Erfindung ins 20. Jahrhundert und klärt nicht, was Humboldt seit und mit der Gründung der Berliner Universität im frühen 19. Jahrhundert zu tun hatte. Für diese Zeit wird nur die These vertreten, dass außerhalb Berlins von einem Humboldt’schen Modell bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wenig gesprochen wurde und dass selbst die Etikettierung Humboldts als Gründer der Berliner Universität nicht zu finden sei. In den historischen Texten regierte vielmehr, so ließe sich den Rektoratsreden als Quelle entnehmen, ein deutsches und nicht etwa ein Berliner Modell die Debatten – wie Dieter Langewiesche in vielen Analysen gezeigt hat3 (nicht ohne leicht mokante Hinweise auf die eitle Berliner Selbstbespiegelung bis zur Gegenwart, wenn die Humboldt-Universität sich im Jubiläumsjahr als „das moderne Original“ bezeichnet und damit zum Muster der modernen Universität überhaupt stilisiert). Gelegentlich wird innerhalb der Berliner Universität, etwa in der Leitbild-Debatte4 oder anlässlich des Jubiläums 2010, der Bezug auf den Gründer ebenfalls thematisiert. Dabei wird auch die Beobachtung „Humboldt wurde zu einem Mythos“ 5 wiederholt, aber doch eher wie eine Auszeichnung und als Anlass zur Bekräftigung einer von Berlin
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ausgehenden „beispielhaften Bewusstseins- und Strukturgeschichte der humboldtschen Universität“, die deshalb, weil das Programm Wilhelm von Humboldts seine Aktualität ausweisen könne,6 auch Ausgangspunkt einer mutigen Konstruktion für die Zukunft werden kann. Der Mythos kehrt hier im Übrigen für die interne Selbstverständigung in dreifacher Gestalt wieder, als Mythos von 1810, d. h. als Reformanspruch und als heroische preußische Gründungsgeschichte, als Mythos von 1946/1949, „im Zeichen einer beginnenden Sowjetisierung mit humanistischem Etikett“, und als Mythos von 1989/1990, wenn „anknüpfend an die großen wissenschaftlichen Traditionen“ die Humboldt-Universität als Eliteuniversität erneuert wird. Schließlich wird hier sogar ein vierter, der eigentliche Humboldt-Mythos identifiziert, der „besagt, dass die Berliner Universität das Vorbild abgegeben habe für die US-amerikanischen Hochschul-Gründungen bzw. die Umwidmung existierender.“ Leicht, wie man an der vierten Version sieht, könnte man die Geltung des Mythos damit ausweiten und die Vorbildrolle international zuschreiben (und dann ebenfalls problematisieren) 7, aber ebenso einfach ist die Frage, ob der Mythos Humboldt denn auch in jeder Phase seiner Geschichte seinen Ort in der Universität zu Berlin, also Unter den Linden gehabt hat. Die Gründer der Freien Universität beanspruchen z. B. zum 150. Jubiläum der Berliner Universität, dass sie zum Hort der wahren Tradition geworden seien, und dafür gibt es trotz der unverkennbaren Kampfrhetorik des Kalten Krieges durchaus gute Gründe.8 Was macht man mit solchen Beschreibungsformen? Rechnet man die Rede vom Mythos zu einer theoretisch nicht klar definierten Redeweise, weil heute viel als Mythos bezeichnet wird,9 gelegentlich inflationär, wie die „Erfindungs“-Metapher bei den Historikern, die von der Nation bis zur Kultur oder Tradition jede soziale Tatsache als Erfindung beschreiben können? Sollte man auch die Entmystifizierung des Klassikers gelassen sehen, weil Klassiker ja selbst historisch sind10 und die Kritik des Mythos, die Entmythologisierung nicht nur in der Theologie immer neu stattfindet und nicht nur Humboldt trifft – ohne seinen Status zu schmälern? 11 Kann man, das ist natürlich die erste Frage, vielleicht die Befunde einfach widerlegen? Nur zum Teil, denn was für die These möglich ist, wonach Humboldt nie als Gründer bezeichnet wurde (dafür finden sich durchaus Belege im 19. Jahrhundert) 12, kann man hingegen im Falle der
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Rektoratsreden schwerlich leisten. Denn weder den historischen noch den historiographischen Befunden, die von Dieter Langewiesche vorgelegt wurden, kann man einfach widersprechen oder sie gar schlagend widerlegen; auch die Hinweise auf die Mechanismen und Etappen der Erfindung einer Tradition der Universität kann man kaum leugnen. Wie könnte man auch gegen eine ganze Datenbank, bestückt mit allen Rektoratsreden der modernen deutschsprachigen Universitätsgeschichte seit dem frühen Jahrhundert, argumentieren wollen? Selbst Pädagogen sind nicht so verwegen, dies zu wagen. Aber in Anerkennung dieser Daten und Interpretationen sind die Fragen noch nicht vom Tisch, welche die Kreation der Humboldt’schen Idee und ihre zum Mythos verklärte Geltung aufwerfen. Allein das Jubiläum in Berlin und die damit verbundenen lokalen Aktivitäten sind dafür nicht stark genug und deshalb sind Fragen in mehrfacher Hinsicht offen: Die erste Frage wäre, was die Rede vom „Mythos“ eigentlich bedeutet? Dann, ob die Erfindungsthese jenseits des deskriptiven historiographischen Status auch kritisches Potenzial besitzt? Sowie, welche Beweiskraft Rektoratsreden als Quellen haben und was sie zum Verständnis der Universitätsgeschichte und ihrer Analyse beitragen? Schließlich, wie sich die eigenartige Datierung erklären lässt, dass sich selbst die Berliner Universität erst 1910 mit Humboldt erfindet? Erst dann kann man auch fragen, ob jede Berufung auf Humboldt entwertet ist und ob wir ihn zu den Akten legen müssen, wenn wir über die Universität diskutieren.
Selbstbespiegelungen Zunächst also: Was bedeutet die Rede vom Mythos, was lernt man aus Rektoratsreden deutscher Universitäten des 19. und 20. Jahrhunderts über das Humboldt’sche Modell? Aus Langewiesches Analysen kann man lernen, dass das Humboldt’sche Modell in den Kontext der nationalen Mythen gehört, zumal der preußischen, in denen beschrieben wird, wie die Universitäten – nicht nur in Berlin – die Identität der Nation, nicht zuletzt im Widerstand gegen den Feind im Westen und gegen das französische Universitätsmodell mit erzeugen und bekräftigen.13 Die Rektoratsreden belegen ferner, dass neben dem von Anfang an beanspruchten deutschen Modell der Universität – wie bei Schleiermacher, den „Universitäten im deutschen Sinn“, – im Kontext der Berliner Jubel-
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feiern, zumal der von 1910, das Humboldt’sche Modell hervorgebracht wird. Diese Zuschreibung gilt dann nicht mehr nur der Berliner Einrichtung, sondern dem System der Universitäten insgesamt. Eine solche Gleichsetzung mit der Universität im Ganzen hat sich allerdings, drittens, erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vom Kontext der Nation und von Berlins scheinbarer Vorbildrolle abgelöst und sich als „Modell Humboldt“ zur Formel für „Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen“ insgesamt verändert. Wenn dies der Hintergrund des Mythos ist – was bedeutet dann Mythos? Überholte Erzählung oder etwa Lug und Betrug? Das letztere, Lug und Betrug, hatte schon Mitchell Ash abgewehrt, der die Rede vom Mythos Humboldt offenbar als erster für einen Buchtitel gewählt hat. Ash schlägt vor, den Mythosbegriff ethnologisch zu verstehen, als Selbstdefinition einer Kultur. Auch an anderer Stelle, wenn der Mythos Humboldt im Kontext der Bildungsfunktion der Universität beschworen wird,14 fehlt jede Konnotation in Richtung Lug und Trug. Humboldt wird vielmehr als ein Modell der in der Moderne einzig legitimen Auffassung von Wissenschaft und Lehre verstanden (aber dann wesentlich durch Fichte erläutert). Gleichwie, man kommt offenbar nicht weiter, ohne eine präzisere Funktionsbestimmung des Gattungscharakters der Rede von Humboldt und seinem Mythos im Kontext der Universität, der deutschen wie der Berliner, zu versuchen. Wählt man dafür die Distanz der Analyse, z. B. die des systemtheoretischen Beobachters, dann entspricht die Semantik der Universität, die sich im Umfeld der Humboldt-Zuschreibungen findet, der Gattung nach dem, was Niklas Luhmann die „Selbstbeschreibung“ eines Systems nennt. Auch Rektoratsreden sind in einem klassischen systemtheoretischen Sinne nichts als historische Exempla solcher „Selbstbeschreibungen“ 15 einer Institution, eine Form der Reflexion, die notwendig ist, um im Prozess und angesichts konkurrierender Anforderungen im Alltag zu wissen, was man eigentlich tut und warum man es tut. Diese Reflexion thematisiert die Einheit des Systems im Prozess und reflektiert die Referenz der Operationen auf die dem System zugeschriebene Funktion. Mehr als ein Leitbild, das als historisch gewählte Norm zur Thematisierung in die Selbstbeschreibung eingeht, umfassen Selbstbeschreibungen auch empirisches Wissen, sie sind anschlussfähig an Beobachtung und Forschung, bleiben aber Reflexion im
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System, werden nicht zu Theorie aus der Distanz. Zentral bleibt nämlich die Referenz auf Einheit, Funktion und operative Geschlossenheit und Offenheit des Systems. Im Kontext des Neo-Institutionalismus könnte man solche Formen der Selbstbeschreibung dann vielleicht als rationalized myth bezeichnen, weil ihnen durchaus Rationalität zukommt, „als sie handlungsermöglichende und –strukturierende Zweck-Mittel-Verbindungen anbieten, doch sind sie gleichwohl Mythen in dem Sinne, dass sie ihre Geltung aus transnational verallgemeinerter Billigung beziehen, nicht aus lokal akkumulierter Erfahrung und individuell-fallgerechter Problemanalyse“.16 Sie repräsentieren mit anderen Worten die Differenz von Theorie hier, systembezogener interner Reflexion dort. Problematisch am Fall der Universität ist allerdings, dass man es mit einem eigenartigen Typus von Organisation zu tun hat. Sie ist eigenartig, weil sie nicht eindeutig und klar einem „spezifischen Funktionssystem zugeordnet“ ist, sondern in Mehrfachreferenz lebt: „Daß Universitäten zugleich zur Forschung und zur Erziehung beitragen sollen, ist eher eine Anomalie“ – kann man deshalb auch bei Luhmann lesen.17 Die Selbstreflexion des Wissenschaftssystems als Wissenschaftstheorie kommt deshalb auch hier nicht zur Geltung, entsprechend verlässt Luhmann bei der Reflexion der „Wissenschaft der Gesellschaft“ rasch diese Komplikation, um sich wieder der Wissenschaft als einem System der Forschung zuzuwenden (und überlässt die soziologische Analyse der Universität seinen Jüngern18). Humboldts Texte und die Tradition der Reflexion über die „Idee der Universität“ weichen aber nicht auf das Wissenschaftssystem insgesamt aus, sondern widmen sich der Reflexion dieser „Anomalie“, als die man die Universität betrachten kann. In Bezug auf deren Probleme lassen sich die Formeln der Humboldt-Tradition und die Texte Humboldts selbst aber in großer Deutlichkeit als Selbstbeschreibungen erkennen, allerdings als Selbstbeschreibungen der Universität, nicht des Wissenschaftssystems insgesamt. Die Situation der Universität, ihre „Doppelaufgabe“,19 macht die Knappheit der überlieferten Formeln der Verständigung nachvollziehbar, zumal den dominierenden dualen Typus der benutzten Programme – der Einheit von Forschung und Lehre, von Bildung und Wissenschaft, von Lehrenden und Lernenden, von Einsamkeit und Freiheit. „Bildung“ allein reicht
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dafür nicht aus, als Kontingenzformel ist sie leistungsfähig nur für das Erziehungssystem. „Bildung durch Wissenschaft“ erreicht die spezifischen Probleme der Universität, aber deckt sie nicht vollständig ab. Außerdem kommen weitere Merkmale hinzu: Die Einheit von Forschung und Lehre (usw.), die klare Referenz auch auf die Funktion (etwa dass es nicht um die Tradierung von Wissen geht, sondern um neues Wissen, also den Forschungsimperativ; nicht um das einzelne Fach, sondern um die universitas litterarum usw.). Dabei entstehen dann, geboren aus der „Anomalie“ der Organisation, die Merkmale, die im Mythos Humboldt’sche Universität gebündelt vorliegen. Es ist also eine Selbstbeschreibung, welche die deutsche Universität braucht, wenn sie ihre eigene Funktion reflektiert – und sie ist spezifisch, weil sie von der Gleichzeitigkeit der Forschungs- und der Lehrerwartung ausgeht und, notabene, die Erziehungserwartung nicht eigens anerkennt, sondern auf Sozialisation durch die Form von Wissenschaft setzt. Man kann diese Formeln natürlich auch zur Selbstbespiegelung nutzen. Man wird sie dabei, je lokal, natürlich vom Ursprung und von Berlin ablösen, wenn man sich selbst und seine Institution feiert: denn wer feiert sich gern, wenn der Erfinder an einem anderen Ort platziert ist? Eigene Gründer müssen her, die den gemeinsamen Ideen ihre je lokale Färbung geben. Es überrascht deshalb auch nicht, dass die Berufung auf Humboldt bis in das 20. Jahrhundert an anderen deutschen Orten in den Rektoratsreden nicht vorkommt; wir berufen uns in Berlin ja auch nicht auf Condorcet oder Thiersch oder den Grafen Thun, also auf Paris, München oder Wien, wenn wir uns feiern oder das System der Universität als System beschwören, und wir nennen z. B. auch den Kardinal Newman nicht, wenn wir Bildungsaspirationen in der Idee der Universität formulieren (obwohl er sich aufgrund zahlreicher Humboldtäquivalenter rhetorischer Formeln anböte). Allein die strukturierenden Elemente, in denen sich andere Universitäten feiern und Rektoren ihre Aufgabe preisen, entsprechen den Elementen des Humboldt’schen Modells, und sie können deshalb generalisiert, einem Ursprung zugeschrieben und letztlich auch personalisiert werden.
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Die Autonomisierung der Universität Interessant und wirklich erklärungsbedürftig ist daher eher, dass sich der Mythos selbst in Berlin erst im 20. Jahrhundert reflexiv entfaltet, nämlich im Jubelfest von 1910, dann aber zeitgleich auch schon in Texten zur Begründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bei Harnack zu finden ist, und dass diese Mythos-Texte danach eine erstaunlich stabile Karriere machen, bis in die Gegenwart und in die Debatte über Bologna. Hier wäre zu fragen: Warum so spät? Es ist kaum damit zu erklären, dass der berühmteste der Humboldt’schen Texte, nämlich der Aufsatz Ueber die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin 20 erst im späten 19. Jahrhundert überhaupt entdeckt wurde. Es gab schon vorher Texte, die man hätte lesen können, aber es gab tatsächlich erst nach 1900 eine Lesart dieser Texte, die dem Mythos den Ursprung und die Nahrung auf Dauer gab. Zumindest drei Ursachenkomplexe lassen sich dafür ins Feld führen, in denen sich die Leistungsfähigkeit des klassischen Narrativs für die Selbstverständigung der Universität auch über Berlin hinaus beweist: Es sind zunächst tatsächlich die Jubiläumsfeiern von 1910, die solche Interpretationen und normativ-stilisierenden Selbstbeschreibungen der Humboldt’schen Universität erzeugen. Sie finden sich in den philosophischen Abhandlungen z. B. eines Eduard Spranger, welche pünktlich als Schriften der Berliner Universität, und zwar im Kontext von Habilitationsverfahren der Jahre 1909/1910 vorgelegt werden.21 Sie finden sich auch in der Darstellung der Universitätsgeschichte von Max Lenz. Beide, Spranger wie Lenz, verklären im Wesentlichen den Ursprung, erzeugen die Kontinuität einer Tradition und verleihen ihr in philosophischer Systematisierung die überzeitliche Geltung einer Idee – für lange Zeit unbestritten und folgenreich für die Historiographie. Außerdem – und dies markiert den zweiten Kontext und die aktuelle Bedeutung – kann man nicht nur den historischen Ursprung in der Universität und im preußischen Nationalismus sowie die philosophische Ambition um 1910 erkennen, sondern auch die Leistungsfähigkeit des Modells und der Humboldt’schen Texte im wissenschaftspolitischen Kontext.22 Es ist Adolph von Harnack, der sein Plädoyer für die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nicht nur auf eine (im Detail etwas fragwürdige) Humboldt-Interpretation stützt, sondern auch auf das Bündnis von „Wehrkraft und Wissenschaft“ setzt. Dies hat ihm –
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insbesondere wegen der „Wehrkraft“ – kritische Kommentare eingetragen, doch ist dabei zu bedenken, was der Autor damit meint. Es ist die Emanzipation der Wissenschaft zu einer gleichgewichtig gestaltenden gesellschaftlichen Kraft, die Harnack ins Feld führt, als Indiz für die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems und für die Deutung dieses Prozesses in Autonomiebegriffen, die dann von Humboldt entlehnt werden. Harnack beginnt, an der für die Situation notwendigen Selbstbeschreibung zu arbeiten, allerdings nicht ohne Folgeprobleme für das Konzept der Universität selbst. Indem er nämlich die Selbstbeschreibung der Universität benutzt, um die Identität des Wissenschaftssystems zu definieren, erzeugt er für den Diskurs über die Universität alle Komplikationen, die Luhmann angesichts der „Anomalie“ von Funktionssymbiosen zwischen Forschung und Lehre erwartet. Um 1910 zeigt sich dies allenfalls daran, dass Harnack die Einheit von Forschung und Lehre zugunsten naturwissenschaftlicher Forschung aufzugeben bereit ist; im Diskurs der Universität ist das – noch – nicht brisant. Historisch bedeutsamer wird das andere Motiv, die Autonomie, nicht nur gegenüber dem Militär, sondern gleichrangig mit dem Militär zu behaupten, also auch, Wissenschaft und Universität aus dem Kontext des Staates ansatzweise zu lösen und ein sich selbst begründendes Modell zu entwerfen, und zwar mit Humboldt, dem liberalen Staatstheoretiker. Denn einen besseren Gewährsmann konnte es dafür nicht geben. Harnack bereitet damit, dritter Kontext für die Generalisierung der Humboldt-Idee, eine Form der Selbstthematisierung vor, die wesentlich mit Beginn der Weimarer Republik einsetzt, als der demokratische Staat in den Universitäten als Bedrohung der klassischen Freiheiten wahrgenommen wird. Dabei entwickelt sich eine Gattung von Texten23, nicht zufällig wiederum sehr stark in Berlin, aber nicht allein hier, in der Aussagen über die „Idee“ und das „Wesen“ der Universität in selbstapologetischer Absicht gegen die neue politische Situation gewendet werden. Autonomie wird das zentrale Thema (wie erneut nach 1945), wenn über das Wesen der Universität geschrieben wird. Diese Eigenlogik der Universität und ihres Modells von Wissenschaft wird aus den Humboldt’schen Texten und der inzwischen rekonstruiert-stilisiert vorliegenden Tradition begründet, z. B. bei Carl-Heinrich Becker oder bei René König in Berlin, nicht immer konsensual, denn König z. B. sieht
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die Rolle des Staates durchaus stärker als andere. Gleichwie, von diesen Texten aus, die ihre Quellen als klassisch kodifizieren und ihre Interpretationen als Wesensaussagen formulieren, gewinnt der Universitätsdiskurs in Deutschland seine Stetigkeit, Kontinuität und inneruniversitäre und intellektuelle Geltung – bis heute. Helmut Schelsky schließlich, kein Berliner, sondern in Leipzig ausgebildet und in Dortmund, Münster und Bielefeld lehrend, resümiert schließlich 1963 in Einsamkeit und Frei heit sowohl traditionsstiftend wie zukunftsbezogen-modernisierend nur, was schon vorlag und in den Grundschriften von Fichte, Schleiermacher, Steffen und Humboldt, in Texten aus Berlin also, die wie eine Bibel der Universitätsreform ediert worden waren (von einem nicht ganz ehrenhaften, weil NS-belasteten Herausgeber, notabene) gängige Rede geworden war, und zwar im deutschsprachigen Bereich insgesamt (Langewiesche bestätigt das ja auch für die Schweiz) und mit Anhängern auch im Ausland.
Das Modell und die Praxis So entsteht der Mythos, so gewinnt er seine Kraft, universitäts- und gesellschaftspolitisch, so wird er tradiert. Das ist, ohne Zweifel, eine Erfindung, rhetorische Konstruktion und nachgehende Interpretation, andererseits aber doch nicht mehr als eine Zuspitzung dessen, was schon Praxis war, Selbstverständnis der Universitäten in der disziplinären Arbeit, in der Forschung, in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit, und was sich in den aktuellen Auseinandersetzungen auch politisch als hilfreich bewährt hatte. Der Rückgang auf die Humboldt’sche Tradition erklärt sich auch angesichts der Sach- und Problemlage relativ leicht: Denn schon mangels funktionaler Äquivalente, d. h. mangels rhetorisch wie politisch, historisch wie innerwissenschaftlich vergleichbar leistungsfähiger Schriften, die zudem in der deutschen Tradition bewährt, philosophisch anschlussfähig und nicht zuletzt brillant formuliert sind, nahm man zu den eigenen Texten Zuflucht. Es hat diesen Rekurs sicherlich bestärkt, dass sich auch ausländische Gäste mit ihrer Hilfe verständigen konnten, ohne dass sie sich in der Gestaltung ihrer eigenen universitären Welten sklavisch dem Modell unterwerfen mussten oder unterworfen haben.
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Solche Attraktivität gilt auch aktuell: Die Berliner setzen sich 1810 vom französischen Modell ab – angesichts des vollständigen Schiffbruchs, das diesem Modell in Frankreich gegenwärtig attestiert wird, hat es seither nicht gerade an Attraktivität gewonnen. Sollten wir stattdessen das amerikanische Modell nehmen,24 wie es auch in der sogenannten Exzellenzinitiative nahe gelegt worden ist? Die Krisen dieses Modells spiegeln sich wiederum in der amerikanischen Debatte über die Merkantilisierung und Ökonomisierung der Universität, und die Diagnose besagt, dass die Krise entstand, weil die amerikanische Universität in ihrer Gesamtheit keine Gestalt entwickelt hat, welche der Gleichzeitigkeit von Forschungsimperativ und Bildung durch Wissenschaft hätte genügen können; vielmehr produziert sie eine interne Hierarchisierung, bei der sich nicht alle Einrichtungen, sondern nur sehr wenige selbst als Forschungs-Universitäten im klassischen Sinne beschreiben können. Schließlich wird auch Tübingen als Modell vorgeschlagen, doch soweit es sich überblicken lässt, galt dies letztmalig für das späte 16. Jahrhundert.25 So schlecht sind die Karten für das „Modell Humboldt“ also nicht. Wir haben offenbar keine Alternative, jedenfalls nicht mit ähnlicher Prägnanz und Brillanz, wenn wir eine Formel der Verständigung suchen und benötigen, die sich nicht nur schön zitieren, sondern auch politisch nutzen lässt und die den Vorzug hat, als Norm und als Kritikinstanz zugleich zu fungieren und die Einheit des Systems handlungsrelevant zu beschreiben. Insgesamt also ein ganz brauchbarer Mythos, den man in Berlin natürlich gern vom Ursprungsort ablösen und allen zur Verfügung stellen wird, dem Föderalismus zur Stärkung. Allerdings, eine solche Mythen- und Programm-Diskussion ist nicht identisch mit der Geschichte der Universität zu Berlin, die seit 200 Jahren Unter den Linden arbeitet, forscht und lehrt und heute nach den Brüdern Humboldt benannt ist. Zu dieser Geschichte gehören zwar auch die Selbstbeschreibungen, die diese Universität sich seit 1808/1810 gegeben, tradiert und je historisch modernisiert hat. Aber die Wirklichkeit der Universität, die sich zum Modell Humboldt verdichtet, zeigt sich erst in der Praxis der Disziplinen, also im Alltag von Lehre und Forschung. Hier wird erst verständlich, woher die Attraktivität und Faszination der Universität jenseits der Selbstbeschreibungen stammt, die in Fest und Feier immer nur beschworen werden. Es ist die Praxis der Disziplinen selbst, in Forschung und Lehre, aus der die Kraft der Universität ent-
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springt, in Einsamkeit und Freiheit, auch gegenüber dem politischen Zugriff, der die Universität immer wieder zu ersticken drohte. Die Wahrheit dieser Geschichte – auch in Berlin – ist also konkret, nicht triumphalistisch, sondern nüchtern und ernüchternd, auch weil der Ort in ganz singulärer Weise Repräsentant der Möglichkeiten und Verirrungen des deutschen Universitätsmodells zugleich ist. Ohne die Vorgaben der Gründer sieht man weder die eine noch die andere Seite. Das Modell Humboldt gilt insofern zuerst als regulatives Prinzip für die wissenschaftliche Praxis selbst, als Anspruch, auch gegen den politischen Zugriff die Eigenlogik von Bildung und Wissenschaft, von Forschung und Lehre, zur Geltung zu bringen. Unter solchen Bedingungen kann der Mythos Humboldt tatsächlich leben, und dies nicht nur in Berlin.
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1 Schon früh dazu Ash 1997, Vorwort, S. VII-XX, besonders S. VIII zur Erläuterung des „Mythos Humboldt“. Teil 1 von Ash 1997 trägt insgesamt den Titel Mythos Humboldt: Universities in Nineteenth and TwentiethCentury Germany (dasselbe dt., bezeichnenderweise anders getitelt, in Ash 1999). 2 Paletschek 2001 und 2002. 3 Dieter Langewiesche hat das auf der Grundlage von Rektoratsreden vielfach dargestellt und überzeugend gezeigt, siehe jüngst Langewiesche 2010 und 2011 (mit Verweisen auf seine älteren Veröffentlichungen). 4 Exemplarisch dafür die Beiträge in Henningsen 2007. 5 Henningsen 2007, Vorwort, S. 7–11, hier zit. S. 8, S. 9 für die folgenden Zitate. 6 Gerhardt 2007. 7 Dazu insgesamt Schwinges 2001. 8 Für die Differenzen in der Humboldt-Rezeption in den Berliner Universitäten nach 1945 vgl. Tenorth 2010a. 9 Mythen entstehen offenbar auch sehr rasch, vgl. Schriewer 2007. 10 Diese Historizität zeigt sehr schön Settis 2004. 11 Beethoven z. B. wurde so schon 1970 behandelt, etwa durch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einer Geschichte mit dem Titel Beethoven – Abschied vom Mythos, aber er steht natürlich noch immer auf dem Sockel (vgl. für die Historizität dieses Mythos Bauer 1992). 12 Entgegen dieser Behauptung von Sylvia Paletschek wird Humboldt im 19. Jahrhundert bei den informierten Akteuren, z. B. bei protestantischen Schulmännern, durchaus als „Gründer“ der Berliner Universität zitiert, vgl. die Hinweise in Tenorth 2010b, bes. S. 24. 13 In diesem national definierten Sinne auch Markschies 2011. 14 Herrmann 1999. 15 Aus den einschlägigen Überlegungen von Niklas Luhmann vgl. u. a. Luhmann 1984, besonders S. 593ff. 16 Schriewer 2007, S. 183 f. (Hervorhebung dort). 17 Luhmann 1990, S. 678. 18 Vor allem Rudolf Stichweh hat sich darum bemüht, von den Humboldtschen Einheitsformeln aus, zumal von der Formel der „Einheit von Forschung und Lehre“ aus, zur Soziologie der Universität beizutragen, vgl. Stichweh 1994 sowie meine Diskussion von Stichwehs Position in Tenorth 2010c. 19 Die schon bei Max Lenz klar bezeichnet ist. 20 Humboldt 1993. 21 Vor allem Spranger 1909 und 1910. 22 Für die Einzelheiten dieser Interpretation und die Nachweise im Detail vgl. Tenorth 2010d. 23 Der Terminus „Wesen“ oder „Idee“ wird zwar schon in der Gründungsphase gebraucht, z. B. bei Schleiermacher 1808. Seit dem frühen 20. Jahrhundert aber verselbstständigt sich in Deutschland eine eigene Gattung von Reflexionsliteratur, die vom „Wesen“ oder der „Idee der Universität“ spricht und sich in der Regel auf die Gründungstexte der Berliner Universität bezieht, vgl. Becker 1925, Jaspers 1923, Spranger 1910 und 1930, König 1935 und Schelsky 1971; Helmut Plessner spricht im Blick auf die „Bildungsbedeutung der Wissenschaft“ vom „Wesen der deutschen Universitätsidee“, Plessner 1924, S. 21. 24 Wobei natürlich zu berücksichtigen ist, dass damit in der deutschen Diskussion zumeist die Ivy-League-Universitäten gemeint sind, keineswegs ein gesamt-amerikanisches Modell, das es als einheitliches auch wohl gar nicht gibt, vgl. Gumbrecht 2010. 25 Rudersdorf 2001.
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Akademie der Wissenschaften oder: Wissenschaft auf dem Marktplatz Ein dünner Briefumschlag, den ich vor dreizehn Jahren in meinem Postfach im Jerusalemer Institute for Advanced Studies (horribile dictu: im Plural, Studies, und doch eine sehr feine Einrichtung) vorfand, bestätigte eine unbestimmte Vorahnung. Jemand hatte sich im Sommer verplappert, im Berliner Institute for Advanced Study (wie Princeton im Singular und nicht nur deswegen auch eine sehr feine Einrichtung) bei Tisch: „Sie haben ja sehr viele Freunde in der Akademie der Wissenschaften.“ Und hinzugefügt: „Für die Junge Akademie sind Sie ja fast ein wenig zu alt.“ Unbestimmte Vorahnung, aber keine Sicherheit: Mit gerade einmal siebenunddreißig Jahren war ich ganz gewiss viel zu jung für eine ordentliche Mitgliedschaft in einer ordentlichen Akademie der Wissenschaften. Wohl angesehene Männer, knapp vor der Emeritierung, Zuwahlen als Folge von entsprechenden Netzwerken: „Wir wählen nur die Tübinger Kollegen zu Mitgliedern in die Heidelberger Akademie, mit denen wir im Auto gern nach Heidelberg fahren“, hatte ein prominenter, gewitzter großer Geist unter meinen akademischen Lehrern einmal gesagt und lachend auf seinen großen gelben Mercedes gedeutet. Nun enthielt der dünne Briefumschlag aber tatsächlich zu meiner nicht geringen Verwunderung einen Brief jenes in die Wissenschaftsadministration emigrierten byzantinistischen Rechtshistorikers, der damals der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorstand – einen Brief, der mir in knappen Worten die Zuwahl in eben diese Akademie mitteilte, nach der Annahme dieser Ehre fragte und mir zur Auswahl stellte, ein Brevier eben jenes Präsidenten nach Berlin oder Jerusalem zu schicken. Zu meinem Glück bestellte ich mir das nämliche Brevier nach Jerusalem, wo es nach einer ganzen Weile anlangte, bequemes Taschenformat, bunter Umschlag mit zwei aufmerksamen Augen, 179 Seiten mit Literaturverzeichnis. Ohne auf das Büchlein hier im Einzelnen einzugehen (sein Autor provoziert gern): Das Brevier bestätigte mich in der Ansicht, dass meine Zuwahl in vergleichsweise jugendlichem Alter kein Ausrutscher einer Gelehrtengesellschaft älterer prominenter Herrschaften war, sondern die konkrete Umsetzung derjenigen Leitlinien, die das
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Berliner Projekt – so im vollständigen Titel des Enchiridions: Akademie der Wissenschaften. Das Berliner Projekt. Ein Brevier (Berlin 1999) – einer „Arbeitsakademie“ prägten: Keine ehrwürdigen Greise aus der näheren Umgebung, die sich im Glanze langsam vergehender Bedeutung sonnten und gelegentlich zu Sitzungen um einen Tisch versammelten, sondern eine muntere Truppe kritischer Geister von nah und fern, die miteinander zu zentralen Themen nachdenken und Ergebnisse dieses Nachdenkens der interessierten Öffentlichkeit präsentieren wollten. Stolz ließ ich mir auf der Festsitzung im folgenden Juni das Mitgliedsdiplom überreichen, steckte mir das auf der Spitze stehende Quadrat, das Signet der Akademie, ins Knopfloch – und genoss den unprätentiösen, an der Sache orientierten Diskussionsstil. „Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen“, begann mein erster Vortrag in der Geisteswissenschaftlichen Klasse der Akademie; sogleich unterbrach mich der Präsident und sagte: „Präsident gibt’s hier keinen.“ Wenn ich im Folgenden für Horst Bredekamp die Berlin-Brandenburgische Akademie als mein Ideal eines Marktplatzes – etwas vornehmer und griechisch ausgedrückt: als mein Ideal einer Agora – für die Wissenschaft beschreibe, dann kann ich das tun, weil er nicht nur für fünf Jahre im Amt der Leitung der Humboldt-Universität mein Partner bei der Planung und Ausgestaltung des Humboldt-Forums war, mein Partner und (ehrlicherweise gesagt) großer Anreger bei der Gestaltung dieses Großprojektes in der Mitte Berlins, das selbst eine Agora sein will für die außereuropäischen Kulturen, Gesellschaften wie Künste und die Wissenschaften, die sich mit diesen großen Zusammenhängen ebenso wie mit deren Wechselwirkungen mit Kulturen, Gesellschaften und Künsten Europas beschäftigen. Nein, Horst Bredekamp repräsentiert das Ideal der Akademie, Marktplatz für Wissenschaft zu sein, als Person. Er ist Akademie in Person und so beschreibe ich – Akademie als besonderer Fall vernetzter Wissenschaft vorgestellt – letztlich ihn selbst. Er macht es mir also leicht, über vernetzte Wissenschaft im einundzwanzigsten Jahrhundert zu schreiben. Im Grunde ist er selbst das Geburtstagsgeschenk, das ich für ihn (be-)schreibe. Akademie der Wissenschaften in Berlin – oder sagen wir doch besser, wie eine Handvoll erlesener Einrichtungen, die wohl in Berlin stehen, von der Hauptstadt geprägt sind und doch in ihrem alltäglichen Klein-Klein nicht aufgehen: zu Berlin, wie das vergleichsweise junge Wis-
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senschaftskolleg und die vergleichsweise alte, immer junge Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz – ist ein putzmunterer Marktplatz für die Wissenschaft vor allem dann, wenn über bestimmte Themen heftigst debattiert wird, zweimal im Jahr, im Juni meist und im Dezember. Bislang zehn Bände Wortprotokolle solcher Debatten: Welche Sprache(n) spricht die Wissenschaft?, Akademien im Umbruch, Wer hat die Deutungshoheit über die Evolution?, Geistiges Eigentum, Risiko, Kausalität, Mathema tisierung der Natur, zweimal Zur Freiheit des Willens und einmal über Modelle des Denkens. Es sprechen Geistes- und Naturwissenschaftler auf der Basis höchst eindrücklicher Kenntnisse ihrer Disziplinen, aber neugierig auf die Beiträge der anderen Disziplinen, bereit, die löcherigen Fachgrenzen entschlossen einzureißen, ohne die methodischen Standards ihrer eigenen Gebiete dabei aufzugeben. Es wird gestritten, ja, die meisten Beiträge sind streitlustig vorgetragen, mit Vergnügen an der rhetorischen Pointe und am intellektuellen Witz – und ohne Streitlust geht es ja gar nicht, da wird die Wissenschaft todlangweilig und das Neue, was oft jenseits der klassischen Disziplinen gefunden werden kann, lässt sich dann gar nicht mehr finden. Gelegentlich spricht einer aus der Wirtschaft, beispielsweise streitet sich ein ebenso selbstbewusster wie erfolgreicher Verleger mit einem Protagonisten der Open-AccessBewegung, im Hauptberuf kluger Mathematiker an einer Technischen Universität. Es reicht die richtige Auswahl von Debattenrednern (und noch viel zu wenigen Rednerinnen), die Gemeinschaft der knapp zwei Stunden Disputation, die meist rüde durch den erwähnten Byzantinisten im Präsidentenamt und seinen Nachfolger, einen zutiefst an Geisteswissenschaften interessierten Mediziner, abgebrochen werden müssen, weil sonst kein Ende absehbar wäre beim Austausch der wissenschaftlichen Perspektiven. An Rednern (und inzwischen auch zunehmend an Rednerinnen) ist kein Mangel unter den Mitgliedern der vormals preußischen Akademie; die Debattenbeiträge, die man leicht zugänglich auf der Homepage der Akademie (http://www.bbaw.de/publikationen/ debatten) und in kleinen, aber feinen Broschüren dazu findet, belegen dies. Die Akademie ist Marktplatz, weil hier getauscht wird, ausgetauscht wird die begründete Position des einen gegen die Position des anderen. Marktplatz aber auch, weil die Gesellschaft, weil Wirtschaft und Politik hinein geholt werden und die Ergebnisse der Forschungsarbeit präsent sind in der Gesellschaft. Als geistiger Tauschplatz (so der schöne Begriff
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von Wolf Lepenies) ein ganz besonderer Marktplatz, Agora für Debatten, die zu führen die Universität keine Zeit lässt im alltäglichen Einerlei aus Fakultätssitzung, Studienordnungsdiskussionen und Antragsschreiberei. Debatten führt die Akademie zuvörderst unter ihren Mitgliedern und präsentiert die Ergebnisse der Öffentlichkeit. Noch viel mehr ein öffentlicher Marktplatz ist sie, wenn sie sich als Ganze präsentiert am Gendarmenmarkt in Berlin – auf den Festsitzungen des Leibniztages, die der erwähnte, einstige byzantinistische Rechtshistoriker von allem hohlen Pathos befreit hat, Pantomime statt Streichquartett, ein klitzekleinwenig Politikerbeschimpfung statt Beweihräucherung noch des letzten Kreissparkassendirektors in der Anrede der Ehrengäste. Da werden Politiker in die Debatten mit den Akademiemitgliedern verwickelt, ein jordanischer Prinz, der Politikwissenschaft in Oxford studiert hat und beispielsweise über den Frieden zwischen den nahöstlichen Religionen schreibt. Der Nachfolger des Rechtshistorikers hat die Jahresthemen eingeführt; da dachten in den vergangenen zwei Jahren Mitglieder beider Akademien in Berlin, also auch die Architekten, Bildhauer, Schriftsteller und Komponisten der Akademie der Künste, nach über die Zusammenhänge von Kunst und Wissenschaft: Unter dem Stichwort „ArteFakte“ wurden die verschwimmenden Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft nicht nur bedacht, sondern auch Ergebnisse ausgestellt und sogar in der Form von Bildatlanten publiziert. Einmal im Jahr lädt die Akademie nicht nur die Entscheider in der hauptstädtischen Gesellschaft zum feierlichen Essen oder die Journalistinnen wie Journalisten zum Hintergrundgespräch, sondern die ganze Stadt ins Haus zum Salon Sophie Charlotte. Es kommen Tausende, um Akademiemitglieder bei Vorträgen, Lesungen und sonstigen Darbietungen zu beäugen – selbst im Paternoster wird gelesen, präsentiert, delectare et prodesse, wie es die Väter formuliert hätten. Gastgebende in den Salons, die in den verschiedenen Räumen und Sälen des Akademiegebäudes stattfinden, sind Menschen aus Politik, Kunst und Wissenschaft. Prominente, gewiss. Aber deswegen wurden sie nicht ausgesucht. Sie sind prominent, weil sie sich auf ihr Geschäft, ihr Handwerk, ihre Profession verstehen. Verteufelt gut, wenn dem Theologen dieser Kalauer gestattet ist. Und doch hat das Berliner Projekt, im erwähnten Brevier beschrieben, die alte Akademie nicht gänzlich neu erfunden. Da gibt es aus guten Gründen nach wie vor (wie einst an der preußischen Akademie und noch
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heute an den vielen Schwesterakademien der Union der Akademien) die editorische Arbeit an den Grundlagen der europäischen Kultur, an Inschriften der römischen Welt und Texten der antiken christlichen Theologen, an der Kommentierung des Philosophen Aristoteles in Byzanz oder an deutschen Texten des Mittelalters, an Kant, Nietzsche und Marx und so weiter und so fort. Arbeit, die wie die Arbeit der Akademiemitglieder zunächst aus der intensivsten Konzentration auf die Klausur am eigenen Schreibtisch besteht – jener höchst individuellen „Andacht zum Unbedeutenden“, zum scheinbar Unbedeutenden, die in aller Einsamkeit erfolgen muss, wie der schöne, von Sulpice Boisserée in einem Brief an Goethe aufgebrachte, von Jakob Grimm zum Schlagwort verdichtete und gern in der Tradition Warburgs verwendete Ausdruck besagen will. Damit in den Klassen der Akademie stundenlang über den Vortrag des Kollegen, der Kollegin diskutiert werden kann, in der Debatte über kurze Referate bis zum Moment, da der Präsident dieselbe schließt, disputiert werden kann, muss mindestens in den Geistes- und Sozialwissenschaften das einsame Häuschen hinter dem Deich oder sonstwo in der Isolation Raum für ungestörtes Denken bilden. Denn nur das ungestörte Denken kann kühn, gelegentlich wild sein und wird dann in den Institutionen noch genügend gezähmt. Der Theologe weiß, was die eigentliche interessante Kreativität in der Wissenschaft ist – der Moment, in dem der Mensch als Abbild Gottes selbst zum Schöpfer wird. Durcheinander wirft, was nicht durcheinander geworfen gehört: Mensch und Natur, Kunst und Wissenschaft, Natur- und Geisteswissenschaft, so wie einst der Schöpfer Lehmklumpen und Odem des Lebens ( jedenfalls nach dem wunderschönen, mythologischen Bericht am Anfang der Bibel). Aber eben auch trennt, was nicht zusammen gehört: Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Demokratie und Diktatur, Sein und Schein. Beides, Durcheinanderwerfen und Trennen, bildet erst zusammen die wahre, die erschütternde, die heilsame Kreativität. Die Akademie versucht, den institutionellen Rahmen solcher Kreativität zu bieten und erschüttert institutionelle wie wissenschaftliche Gewissheiten: Sie wählt siebenunddreißigjährige junge Spunde und geht damit das Risiko ein, dass aus vielversprechendem jungem Talent doch nicht das wird, was alle erhoffen. Sie zerrt die in Klassen separierten Großbereiche der Wissenschaft aus ihren behüteten Treffpunkten in gemeinsame Debatten und andere neue Formate inter- wie transdisziplinärer Gemeinschaft. Den Begriff
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„Transdisziplinarität“ hat übrigens ein Akademiemitglied in Deutschland heimisch gemacht, ein Philosoph und Wissenschaftstheoretiker aus Konstanz am Bodensee. „Jenseits“ der Disziplinen sieht er die Kreativität am wirkmächtigsten am Werk – und wenn die methodischen Standards der Disziplinen in Geltung bleiben, ganz platt und positivistisch gesagt der Griechisch-Fehler bei der Behandlung einer dunklen Passage des dunklen Heraklit ein Griechisch-Fehler bleibt, dann ist gegen die starke Perforierung der Disziplinengrenzen gar nichts zu sagen. Schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts nannte ein großer Historiker der paganen und christlichen Antike, der zeitweilig auch als Präsident der Bayerischen Akademie vorstand und zugleich korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie war, die Zäune, die die Disziplinen trennen, „löchrig“. Und so hat dieser eigenwillige klassische Philologe auch nicht nur über Thukydides gehandelt und weniger bekannte pagane Kleinmeister, sondern die Akten der christlichen Konzilien der Spätantike mustergültig ediert: Eduard Schwartz ist sein Name und die Metapher von den löchrigen Zäunen, die er geprägt haben dürfte, hat seither eine erstaunliche Karriere gemacht. Wenn man auf das ernste, wache, muntere und oft auch heitere Gesicht Horst Bredekamps schaut, dann fällt es nicht schwer, diese Mischung aus absoluter Freiheit zum Denken jenseits aller Grenzen und Schranken verbunden mit einem ebenso leidenschaftlichen Einsatz für methodische Sorgfalt und Qualität auch für ein Grundprinzip der Wissenschaft auf dem Marktplatz zu halten, wie sie in der Berliner Akademie gepflegt wird. Bredekamp achtet wie kaum ein anderer darauf, dass Wissenschaft sich auf dem Marktplatz – um es einmal scharf zu formulieren – nicht prostituiert. Nicht (hier geprägt durch die Anfänge in den revolutionären Jahren des letzten Jahrhunderts) den Mächtigen nach dem Munde redet, den Mächtigen in Politik, Wirtschaft, aber auch Wissenschaft, nicht den Politikern zu Gefallen redet, sondern sie mit Leidenschaft auf das hinweist, was zu tun ist. Manifest Gesundheits system und Leitlinien Politikberatung sparen nicht mit Kritik an der wenig transparenten Praxis, immer neue, leicht arbiträr konstruierte Beiräte zum Zwecke der Beratung von Politik zu konstruieren oder ein in Teilen marodes Gesundheitssystem zu konservieren, obwohl es in der europäischen Nachbarschaft längst bessere Modelle gibt. Natürlich freut es, wenn ein solches leidenschaftliches Plädoyer für Freiheit der
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Wissenschaft von der Politik goutiert wird, auch deswegen, weil sich zeigt, dass die klassischen Duale und eingefleischten Verdächtigungen durchaus nicht immer die Wirklichkeit adäquat beschreiben: Es gibt ein ehrliches Interesse von Politik an unabhängiger Beratung durch Wissenschaft in diesem Lande. Freilich – und auch das gehört zur Freiheit der Wissenschaft – darf natürlich nicht alle Wissenschaft auf den Zweck der Beratung reduziert werden. „Verzweckung“ nennen das die Kritiker und sehen natürlich mit Recht in solcher „Verzweckung“ ein großes Problem der neueren Entwicklungen in der Wissenschaft und insbesondere der grassierenden Ökonomisierung. Ein langjähriger Sekretar der philosophisch-historischen Klasse der preußischen Akademie, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, hat freilich darauf hingewiesen, dass einige Wissenschaftsbereiche unbeschadet ihrer Freiheit doch hingeordnet sind auf einen bestimmten berufsbildenden Zweck – die juristische, die medizinische und nicht zuletzt die theologische Fakultät. Im lebendigen Wechselspiel von legitimer Freiheit und legitimer Zwecksetzung gelingt Wissenschaft. Die Akademie protestiert ebenso mit ihren teils hundertjährigen Projekten gegen alle vorschnelle Verzweckung (beispielsweise in der Politikberatung) wie sie auch die Ergebnisse ihrer Arbeit für bestimmte Zwecke zur Verfügung stellt – und sei es die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Ergebnisse solcher zweckfreier, (im Sinne von Boisserée und Grimm und Warburg) unbedeutender Forschung von hoher Bedeutung. Erst wenn die methodischen und institutionellen Grenzen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erkannt sind und bewahrt werden, kann man sich in der Forschung ihnen gegenüber radikal öffnen und diese Bereiche so weit als möglich in die Akademie einbinden, einladen. Ist also nun alles Paradies auf dem Marktplatz der Wissenschaft, der sich Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften nennt? Einen solchen naiven Satz wird hoffentlich niemand von einem evangelischen Theologen erwarten, der gern einen Satz des vom Wiener Bürgerkrieg ernüchterten Sir Karl Popper zitiert, wonach alle Versuche, ein Paradies auf Erden zu schaffen, schnurstracks in die Hölle geführt haben, und so zur Skepsis gegenüber allzu vorschnellen Ausrufungen von Paradiesen hienieden rät. Nein, natürlich hat auch das Berliner Projekt noch ein paar wesentliche Punkte, die der Realisierung harren oder jedenfalls noch sehr intensiv verfolgt werden müssen in den nächsten Jahren.
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Frauen sind es noch viel zu wenige in dieser Arbeitsakademie, jedenfalls unter den Mitgliedern. Und das, obwohl es deutlich mehr sind als in anderen Akademien. Das Wort „Netzwerk“ kann Schönes bezeichnen, ein Netzwerk kluger Kolleginnen und Kollegen, die zunächst miteinander wenig zu tun haben und dann doch in der Akademie zu einer äußerst lebendigen Diskussionsrunde verschmelzen, jedenfalls zeitweilig. Es kann aber auch jenes schreckliche „Old-Boys-Networking“ bezeichnen, das für die gläserne Decke verantwortlich ist, an die Frauen stoßen, die Karriere in unserer Gesellschaft machen wollen. Auch die Internationalität und Buntheit des Fächerspektrums der Akademie könnte gesteigert werden, Transkulturalität und Globalität zeichnen eine Arbeitsakademie aus. Oder sollten es zumindest. Und die Idee, die Mitglieder der Berlin-Brandenburgischen Akademie wie einst die der preußischen Akademie zu besolden, damit sie freie Zeit kaufen können, freie Zeit von den Fakultätsratssitzungen, Studienordnungsrevisionen und Antragsklausuren, sollte nicht am notorisch klammen Berliner Haushalt scheitern. Denn es wäre ja fast paradiesisch, wenn die Mitglieder dieser altehrwürdigen Einrichtung noch mehr Zeit hätten, ihre kreativen Ideen so umzusetzen, wie dies bisher schon in den von der Arbeit der Mitglieder getragenen interdisziplinären Arbeitsgruppen geschah und geschieht (eine Besonderheit des Berliner Projektes): Sprache des Rechts, Gentechnologiebericht, Altern als gesellschaftliche Entwicklung, Eliten Integration, Frauen in der Akademie und der Wissenschaft, Regelwissen und Regellernen in biologischen Systemen, um nur einige wenige von den fast dreißig Vorhaben aus zwanzig Jahren Akademiegeschichte nach der Neukonstituierung zu nennen. In den Arbeitsgruppen Die Welt als Bild und Bildkulturen haben der Jubilar und der Autor gemeinsam gearbeitet, so wie sie da und dort in der Akademie gemeinsam diskutiert, vorgetragen und gelegentlich sogar zusammen verwaltet haben. Wissenschaft befindet sich in einem großen Umbruch hierzulande. Viele befürchten, dass dieser Umbruch die Freiheit der Wissenschaft forcierter Ökonomisierung opfert, das forschende Individuum in Großprojekten ohne Not vollkommen vergemeinschaftet und die spezifische Logik der Geisteswissenschaften einer neuen, naturwissenschaftlich dominierten Einheitswissenschaft opfert. Viele erleben, dass ihre Zeit für die Grundlagenforschung im Nirwana sinnloser Verwaltungstätigkeiten verschwindet und die Forderung, interdisziplinär zu arbeiten,
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Großverbände zu trivialen Fragen unter dem Dach von „Umbrella Terms“ zur Folge hat, in denen die schon terminologischen Grenzen zwischen Fachgebieten nicht im Ansatz überwunden werden können: „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, „das Eigene und das Fremde“ klingen eher nach Sonderforschungsbereich, sind jedenfalls keine Titel von Forschungskooperationen oder Vorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Die neu konstituierte Berlin-Brandenburgische Akademie ist ein Kind jenes eben beschriebenen großen Umbruchs, ein Erbe der großen alten preußischen Akademie der Wissenschaften und einer kurzlebigen, aber hoch interessanten Akademie der Wissenschaften im ummauerten Berlin-West. Sie zeigt, dass kein Umbruch allein zum Schlechten hin tendiert, weil jeder Umbruch gestaltet werden will, so oder so. Diese Zeilen entstanden just an dem Ort, an dem der gerade siebenunddreißigjährige Historiker der christlichen Antike vor dreizehn Jahren den Brief erhielt, der ihm die Zuwahl in die Akademie ankündigte, in Jerusalem. In den vergangenen Jahren hat ihr Autor versucht, ein paar der Dimensionen intensiver Wissenschaft auf dem Marktplatz, wie er sie in der Berliner Akademie kennengelernt hat, auch in den universitären Alltag mitzunehmen. Fünf Jahre hat er sogar versucht, eine ganze Universität ein wenig so zu modellieren – unbeschadet aller Unterschiede zwischen Universität und Akademie. Absolute Freiheit und methodische Strenge von Wissenschaft, leidenschaftlicher Protest gegen falsche Verzweckung und engagiertes Interesse am Dienst für die Gesellschaft, Lust an inter- wie transdisziplinärer Gemeinschaft und gleichzeitiges Beharren auf der Einsamkeit der forschenden Persönlichkeit („coincidentia oppositorum“ nennt das der Cusaner, den Bredekamp so liebt), kann man im Experiment des Berliner Projektes der Akademie der Wissenschaften ausprobieren und daraus auch für manche andere Institution, beispielsweise eine Universitas litterarum oder ein Institute for Advanced Study (und sogar eines für Advanced Studies) lernen. Aber davon zu handeln, wäre noch einmal ein ganz eigenes Thema. Man könnte, wollte man es explizieren, wieder bei Bredekamp beginnen.
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Schöne Wahrheit – wahre Schönheit Für Horst Bredekamp Zum ersten Mal persönlich begegnet bin ich Horst Bredekamp im Februar 2002 in Sankt Petersburg. Anlass war eine Konferenz zu den „Kunstkammern“ des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, den Vorläufern unserer heutigen Museen. Die Teilnehmer waren – meiner Erinnerung nach – die Petersburger Akademie der Wissenschaften, die Kunstkammer Peters I, die Staatliche Petersburger Universität sowie Kooperationspartner aus den Niederlanden und Deutschland, letztere vertreten durch die Humboldt-Universität zu Berlin und die Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale. In Halle gibt es seit 1698 – als heute ältestes bürgerliches Museum in Deutschland – die barocke Kunst- und Naturalienkammer des Waisenhauses von August Hermann Francke, die vollständig erhalten geblieben ist. Betritt man diese „Wunderkammer“, so ist man erstaunt, wie unverstellt und farbenprächtig, wie aufgeklärt und lebensfroh naturkundliche Exponate aller Art hier neben Artefakten präsentiert wurden. Die fromme wie aufgeklärte Lehrschau, in erster Linie pädagogischen Zwecken gewidmet, steht für die zeit- und ortstypische Geistes-Liaison von Pietismus und Aufklärung, die Christian Thomasius und August Hermann Francke für kurze Zeit zu Beginn des 18. Jahrhunderts miteinander eingegangen waren. Davon handelte auch mein Vortrag in St. Petersburg. Ich hatte, da gerade Schulferien waren, meiner damals 16-jährigen kunstbegeisterten Tochter Henriette angeboten, mich zu begleiten. Während einer Konferenzpause saß sie etwas verloren in einer Ecke, als Horst Bredekamp – als einziger in dem Trubel – auf sie zuging, sie fragte, wer sie sei, was sie mache und wofür sie sich interessiere. Binnen weniger Minuten entspann sich ein lebhafter Austausch zwischen beiden. Noch vor kurzem erzählte Henriette, inzwischen eine gefragte Glaskünstlerin und Cellistin, von dieser Begegnung. „Bredekamp ist klasse“, so damals wie heute ihr Urteil.
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Ich erinnere mich außerdem dunkel, dass aus irgendeinem Grund Eile angesagt war. Horst Bredekamp müsse alsbald abreisen, hieß es; jedenfalls wies der Veranstalter auf den schon damals mehr als angespannten Terminkalender des Wissenschaftlers hin. Später machte der Witz die Runde, Bredekamp gelte leider seit einem Zusammenstoß zweier Flugzeuge auf der Linie New York – Berlin – New York über dem Atlantik als vermisst. Auf die Frage, in welchem der Jets er sich befunden habe, soll die Antwortet gelautet haben: in beiden. Zum Glück erwies sich das als Falschmeldung. Kurze Zeit nach meiner Rückkehr nach Halle fand ich Post von Bredekamp im Briefkasten. Er schickte mir sein wunderschönes Buch Antikensehnsucht und Maschinenglauben,1 das ich mit großem Interesse las. Ich schrieb ihm, wie sehr ich es als Glück empfunden hätte, ihm in St. Petersburg begegnet zu sein. Meine Themen in den Franckeschen Stiftungen zu Halle, deren Direktor ich zur Jahrtausendwende geworden war, drehten sich damals um die Renaissance der „Faszination Wissen“. Die Stiftungen hatten daraus im Rahmen ihrer noch von Paul Raabe initierten Programmreihe „Halle an der Saale – Antworten aus der Provinz“ ein Jahresprogramm gemacht und es unter das bewusst modern gehaltene Motto Didaktik@ Discovery gestellt.2 Wir fanden es interessant, danach zu fragen, woraus die Konjunktur, das öffentliche Interesse und die Geltung resultierten, die „Wissende“, auch durch die Medien, in dieser Zeit erfuhren. Es schien, nicht mehr, wer schön ist oder viel Geld hat, erlange Aufmerksamkeit, sondern wer viel weiß und wer viel kann. Diese wiederentdeckte Hinwendung zum Wissen musste Gründe haben, denen wir in Halle nachzuspüren versuchten. Seitdem sind mehr als zehn Jahre vergangen. Heute begegne ich Horst Bredekamp als Kollegen regelmäßig in der Universität. Die alte Verbindung zwischen uns ist wieder aufgelebt, seit ich Präsident „seiner“ Universität bin. Wir haben einen Draht zueinander gefunden. Als z. B. in den Medien die Plattform Wikileaks eine Rolle zu spielen begann, erklärte er mir, er verstehe die ganze Aufregung, die darum gemacht werde, nicht. Denn es sei schon eine fast 500jährige Praxis, dass in den päpstlichen Nuntien und Legaten aller Welt diskrete Notizen angefertigt und als Nuntiaturberichte an das römische Staatssekretariat gesandt wurden. Er bot mir augenzwinkernd an, in lockerer Folge auch für mich
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solche Berichte zu fertigen. Seitdem finden sich im Rhythmus von ungefähr zwei Monaten HB-Nuntiaturberichte in der Post – mit seinen Initialen versehen und fortlaufend nummeriert. Natürlich sind es keine Berichte im engeren Sinn, sondern Reflexionen und Beobachtungen, die Horst Bredekamp als aufmerksamer Zeitchronist in seinem Alltag anstellt. Jedes Mal ist es eine Freude, die gedankenreichen, humorvollen Etüden zu lesen, die diese oder jene Entwicklung in der Universität, der Berliner Kunst- und Kulturszene, der Politik usw. aufgreifen und heiter, manchmal auch besorgt, kommentieren. Sein Blickwinkel ist dabei stets derjenige des neugierigen, methodisch versierten, originell denkenden Wissenschaftlers. Ihn einem singulären Fach zuzuordnen, wie seine Lehrstuhlbezeichnung vermuten lässt, fällt schwer. Bredekamp ist „Bildwissenschaftler“ im Wortsinn. Seine Forschungsschwerpunkte reihen sich um Bilderstürme, Skulpturen der Romanik, die Kunst der Renaissance und des Manierismus, Politische Ikonografie, Kunst und Technik – und in den letzten Jahren auch immer wieder die Neuen Medien. Wer seine Biografie kennt, den verwundert dieses Themenspektrum nicht; der 1947 in Kiel geborene Kapitänssohn wuchs im Dreiklang von Technik, Naturgewalt und Schönheit auf. Bis heute zieht es ihn regelmäßig in sein Haus auf dem Deich – und ich, der in der Hansestadt Rostock Aufgewachsene, spüre dann diese eigentümliche Seelenverwandtschaft mit ihm. Gewiss ist es keine bloße Einbildung, wenn ich in Bredekamps Augen bisweilen den Blick aufs Meer sehe. Dieser Mann ist multipräsent, man kennt ihn aus seinen Büchern, aus Interviews, von Vorträgen und Ausstellungen. Er gehört berühmten Akademien an (z. B. der Nationalakademie Leopoldina und der BBAW), wirkt in Förderstiftungen mit und ist Träger unzähliger Auszeichnungen. All das sind Wegemarken einer beeindruckenden, manchmal schillernden Wissenschaftlerbiografie. Wo es um eine kulturwissenschaftlich begründete Kunstgeschichte und -theorie geht, ist er gefragt wie kein Anderer. Von seinen zahlreichen Schriften – Herausgeberschaften, Fachaufsätze und Vorträge einmal weggelassen – möchte ich nur wenige nennen, zum Beispiel Sankt Peter in Rom und das Prinzip der pro duktiven Zerstörung 3, Florentiner Fußball: Die Renaissance der Spiele 4, Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts und Staatstheorie 5 und seine Theorie des Bildakts 6 von 2010.
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Im Jahr 2000 erfand Bredekamp das Projekt Das Technische Bild, das am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität mit bildkritischen Methoden eine Theorie bildhafter Erkenntnis in naturwissenschaftlich-technischen und medizinischen Visualisierungen entwickelt. Seit 2008 leitet er auch die neu eingerichtete DFG-Kolleg-Forschergruppe Bildakt und Verkörperung an unserer Universität. Legendär sind Bredekamps Ausstellungen, wie etwa Theater der Natur und Kunst. Wunderkammern des Wissens im Berliner Gropiusbau 2000/2001,7 die Schau Kreis Kugel Kosmos im Pergamonmuseum 2006,8 ein Jahr später ebenfalls dort Das ABC der Bilder 9 und schließlich Anders zur Welt kommen – Das HumboldtForum im Schloss im Alten Museum Berlin 2009/2010.10 Im 200. Jubiläumsjahr der Berliner Universität 2010 habe ich ihn mehrfach erlebt, wie er mit Enthusiasmus Gäste durch die große Ausstellung WeltWissen (Leiter des Kuratorenteams: Jochen Hennig) im Gropiusbau geführt hat, die der 300-jährigen Wissenschaftsgeschichte Berlins gewidmet und an deren Konzeption er maßgeblich beteiligt war. Bredekamp ist ein Erfolgsmensch. Aber trotzdem treibt ihn immer wieder Zweifel um, und manchmal hat es den Anschein, als würde er den Weltuntergang vorhersehen. Meist genügt dann schon ein aufmunterndes Wort, und es erweist sich, dass doch keine Verschwörung wider die Kultur des Abendlandes im Gange ist, sondern nur ein administratives Missverständnis, das sich schnell ausräumen lässt. Hinter seiner sorgenvollen Mine verbirgt sich in allererster Linie Leidenschaft – und eine ausgeprägte Lust am Schönen, das er beschützen will. Ich glaube ohnehin, dass es für Horst Bredekamp keine Wahrheit ohne Schönheit gibt – und im Zweifel würde er wahrscheinlich letzterer den Vorrang geben, vielleicht weil dort am Ende mehr Verlässlichkeit im Spiel ist. Horst Bredekamp gehört zu den wenigen Universalgelehrten unserer Zeit. Als Geisteswissenschaftler hat er es geschafft, vor allem mit seiner Bildforschung, namhafte Naturwissenschaftler und Ärzte für sich zu gewinnen – indem er ihnen zeigte, wie sehr die von ihnen täglich benutzten technischen Bilder, z. B. im Rahmen diagnostischer Verfahren, einer kulturellen Ikonografie bedürfen. Was auf Röntgenbildern, Diagrammen, MRTs oder unter dem Mikroskop zu sehen ist und was dem Auge verborgen bleibt, hängt auch von überlieferten Wahrnehmungsmustern, kulturellen Kontexten und Konventionen ab. Weiß man das,
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sieht man mehr. Dasselbe gilt z. B. für die Archäologie, die zu tieferen Einsichten gelangt, wenn sie nicht nur das ausgegrabene Objekt anschaut, vermisst, analysiert und datiert, sondern auch die Brille thematisiert, durch die wir dieses Objekt (und damit uns selbst) betrachten – und wie viel mehr man sieht, wenn man sich dessen bewusst wird. Sein im Rahmen der Exzellenzinitiative gemeinsam mit Wolfgang Schäffner ausgearbeiteter Clusterantrag BildWissenGestaltung, der schließlich im Auswahlverfahren von Erfolg gekrönt war, spricht Bände von dieser Bewusstwerdung und von diesem Zuwachs an Erkenntnis. Horst Bredekamp macht es einem darum nicht schwer, seine Freude an der wissenschaftlichen Arbeit in ihren Ansprüchen an Wahrheit und Schönheit ebenso zu teilen wie seine Sorge um deren Fortbestand.
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Bredekamp 2007. Franckeschen Stiftungen 2002. Bredekamp 2000. Bredekamp 1993. Bredekamp 2008. Bredekamp 2010. AK Theater der Natur und Kunst 2000. AK Kreis, Kugel, Kosmos 2006. AK Das ABC der Bilder 2007. AK Anders zur Welt kommen 2009.
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