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German Pages 956 Year 2014
Schaumburg/Peters
Internationales Steuerstrafrecht
Vorwort
VI
Internationales
Steuerstrafrecht von
Prof. Dr. Harald Schaumburg Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Honorarprofessor an der Universität zu Köln und
Dr. Sebastian Peters Staatsanwalt, Bonn
2015
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, Rz. ...
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Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 KÇln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-27001-8 2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, KÇln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschÅtzt. Jede Verwertung, die nicht ausdrÅcklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere fÅr Vervielfltigungen, Bearbeitungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und surefrei, alterungsbestndig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Griebsch & Rochol Druck, Hamm Druck und Verarbeitung: KÇsel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Die Bekmpfung der internationalen Steuerhinterziehung steht seit Jahren im Fokus der StrafverfolgungsbehÇrden. Es geht hierbei unter anderem um die pressewirksame Aufdeckung von Schwarzgeldkonten im Ausland und von als Umsatzsteuerkarusselle bekannt gewordenen grenzÅberschreitenden Mehrwertsteuer-Hinterziehungen, die Jahr fÅr Jahr in der Europischen Union zu Steuerausfllen in MilliardenhÇhe fÅhren. Besonders aktuell ist die Bekmpfung von sog. aggressiven Steuermodellen. Diese sind darauf gerichtet, das internationale Steuergeflle zu nutzen und hierbei die Gewinne dort entstehen zu lassen, wo sie den geringsten Steuerbelastungen ausgesetzt sind. Derartige Gestaltungen sind allerdings im Grundsatz nicht illegal, und zwar auch dann nicht, wenn steuerliche LÅcken zulasten des Steueraufkommens einzelner Staaten genutzt werden. Eine Steuerhinterziehung ist erst dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige einer ihm auferlegten Sachverhaltsaufklrung nicht nachkommt oder gegenÅber den FinanzbehÇrden falsche Angaben macht, wenn er also eine Pflichtverletzung begeht. Ob dies der Fall ist, beantwortet sich nach den Regeln des Internationalen Steuerrechts mit seinen Teilrechtsgebieten Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht, wobei auch die Einwirkungen des Unionsrechts eine Rolle spielen. Mit diesem Handbuch wird erstmals eine umfassende Darstellung des Internationalen Steuerstrafrechts vorgelegt. Neben den GrundzÅgen des Internationalen und Europischen Strafrechts sowie des Internationalen Steuerrechts bildet die Darstellung der zwischenstaatlichen Amts- und Rechtshilfe einen Schwerpunkt. Die hierfÅr maßgeblichen Rechtsvorschriften sind weit gestreut und nicht aufeinander abgestimmt. So kÇnnen nicht nur die StrafverfolgungsbehÇrden, sondern auch die FinanzbehÇrden AuskÅnfte beanspruchen, die fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke verwendet werden dÅrfen. DarÅber hinaus werden in einem gesonderten Kapitel fÅr die in der Praxis wichtigsten Fallgruppen die steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Problemstellungen anhand von Beispielen erÇrtert, sodass insoweit eine wichtige Hilfestellung im Umgang mit dem Internationalen Steuerstrafrecht geboten wird. Bonn, im Oktober 2014
Harald Schaumburg, Sebastian Peters
V
Vorwort
VI
Inhaltsverzeichnis Seite a a
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AbkÅrzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V XXVII
1. Teil EinfÅhrende Grundlagen Rz. Seite a a
Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1
1
2.1 2.1 2.2 2.5 2.10 2.10 2.12 2.17 2.21 2.22 2.27 2.27 2.29 2.30 2.34 2.49 2.50 2.54 2.54 2.56 2.57 2.57 2.59 2.60 2.63
6 6 7 8 13 13 14 16 17 18 22 22 22 23 26 36 36 38 38 39 40 40 42 43 47
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts (Schaumburg) A. Das NormengefÅge (berblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundrechte des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. VÇlkerrechtliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. VÇlkerrechtliche Vertrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. VÇlkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Rechtsgrundstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Supranationale Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . . B. Zur Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rang der allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts . . . . . . III. Rang vÇlkerrechtlicher Vertrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . V. Rang innerstaatlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. VÇlkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Europisches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europisches Kriminalstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unionsrechtliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Primrrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundrrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Europische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . F. Charta der Grundrechte in der Europischen Union . .
VII
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht (Peters) A. B. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. C. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. D.
EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Territorialititsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ubiquittsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flaggenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege . . . . . . Kompetenzverteilungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unionsschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalittsprinzip (aktives/passives) . . . . . . . . . . . . . . Nichtverfolgung nach § 153c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustndigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Grenzen der Normanwendung . . . . . . . . . . . . Reichweite der Einstellungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslndische Aburteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anrechnung auslndischer Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen und Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europische Urteile und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . III. Außereuropische Urteile und Strafverfahren . . . . . . .
3.1 3.4 3.4 3.12 3.18 3.19 3.21 3.22 3.23 3.24 3.25 3.28 3.28 3.31 3.33 3.34 3.35 3.36 3.37 3.39 3.40
49 51 51 54 56 56 57 58 58 59 59 60 60 61 62 63 63 63 64 65 66
3.41 3.41 3.43 3.46
66 66 67 68
4.1 4.5 4.5 4.6 4.7 4.9 4.10 4.10 4.11 4.13 4.17
73 74 74 74 75 75 76 76 76 77 79
4.21
80
Kapitel 4 Verbot der Doppelbestrafung (Peters) A. B. I. II. III. IV. C. I. II.
VIII
EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 54 SD und Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 54 SD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhltnis von Art. 54 SD zu Art. 50 GRCh . . . Art. 54 SD in der praktischen Anwendung . . . . . . . . . Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH . . . . . Rechtskrftige Aburteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. sterreichisches Straferkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belgische „Transactie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Niederlndische „Transactie“/Einstellung nach § 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
4. 5. 6. 7.
Beschrnkter Strafklageverbrauch bei Verbrechen . Selbstanzeige als Aburteilung i.S. des Art. 54 SD Art. 54 SD im Ordnungswidrigkeitenverfahren . Innerstaatliche Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriff derselben Tat/Idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schlussfolgerung fÅr die Steuerhinterziehung . . . . IV. Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steueramnestie als Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . .
4.24 4.25 4.29
81 82 83
4.31 4.32 4.33 4.33 4.40 4.44 4.44 4.45
84 85 85 85 87 89 89 90
5.1
94
5.3 5.3 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.11
95 95 95 96 96 97 97 98
5.12 5.17 5.22
99 101 102
5.24 5.27 5.29
103 104 105
5.31 5.31
106 106
5.36
108
2. Teil Internationales Steuerstrafverfahren Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren (Peters) A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalittsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . IV. Etablierung einer Europischen Staatsanwaltschaft . . V. Sekundres Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Europische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . VII. Charta der Europischen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . VIII. GrÅnbuch der Europischen Kommission und Entschließung des Europischen Parlaments . . . . . . . . . . . C. Auswirkungen auf das deutsche Legalittsprinzip . . . D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die Rechte des Beschuldigten im Strafrecht auf Unionsebene de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft . . . . H. Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. berblick Åber das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
Kapitel 6 Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens (Peters) A. B. C. I. II. III.
D. I. II. III. IV. V. VI.
VII. E. I. II. III. IV. V.
VI. F. I. II. III.
X
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . AuslÇser fÅr internationale Steuerstrafverfahren . . . . . Verfahrensgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessualer Tatbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorermittlungen und Vorfeldermittlungen . . . . . . . . . . 1. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zum Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatsanwaltliche Vorermittlungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Aussetzung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen . . . . . EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sammelauskunftsersuchen an inlndische Banken bei offenen Auslandstransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cash-Kreditkartenkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tafelpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Anforderungen an Sammelauskunftsersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur Anzeige des in auslndischen Zweigniederlassungen inlndischer Kreditinstitute verwahrten VermÇgens des Erblassers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterleitung von Kontrollmaterial Åber Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung . . . . . . . . . . . Verwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . berprÅfung der BeweisfÅhrungskette (chain of evidence) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung . . . . . . . . . . . Schutz von Bankkunden gem. § 30a AO/§ 194 AO . . . Reichweite des Steuergeheimnisses im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjhrungsunterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln . Europische Beweisanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschlagnahmeverbote nach § 97 StPO . . . . . . . . . . . . . EDV-Anlagen/E-Mail-Postfcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.1 6.4 6.8 6.8 6.12 6.17 6.18 6.21 6.22 6.24 6.25 6.25
111 112 114 114 115 116 116 117 117 118 119 119
6.28 6.29 6.30
121 122 122
6.31
122
6.32
123
6.33 6.36 6.36
123 124 124
6.38
127
6.41 6.42
129 129
6.48 6.48
131 131
6.50 6.52 6.54 6.57 6.67 6.69
132 133 134 135 138 139
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G. Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Durchsuchung beim Verdchtigen (§ 102 StPO) . . . . . II. Durchsuchung beim Unverdchtigen (§ 103 StPO) . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsuchung der Beraterkanzlei . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchsuchung beim Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchsuchung beim Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . 5. Durchsuchung von Unternehmen/Banken . . . . . . . III. Zustndigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Durchsuchungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Durchsuchungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ZweckmßigkeitsÅberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dringender Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dringender Tatverdacht und Steueranspruch . . . . . 2. Inhaltliche Anforderungen an den Haftbefehl . . . . 3. berprÅfung des Verdachtsgrads . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die HaftgrÅnde im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Flucht und Fluchtgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wohnsitz im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Straferwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Apokryphe HaftgrÅnde im Steuerstrafrecht . . . . . . 3. Verdunkelungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhltnismßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Außervollzugsetzung des Haftbefehls . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Außervollzugsetzung und Hinterziehungsvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Europischer Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. VermÇgensbeschlagnahme gem. § 290 StPO . . . . . . . . . J. GrenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anordnung des dinglichen Arrests . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arrestschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Arrestanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Arrestgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Abschluss des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.73 6.73 6.74 6.74 6.76 6.80 6.81 6.83 6.85 6.88 6.90
140 140 141 141 142 143 144 145 145 146 147
6.92 6.94 6.95 6.96 6.99 6.99 6.104 6.107 6.108 6.109 6.112 6.116 6.118 6.120 6.124 6.126 6.128 6.128
148 148 149 149 150 150 151 152 153 153 154 156 157 158 159 160 161 161
6.130
162
6.134 6.135 6.141 6.142 6.142 6.145 6.147 6.148 6.151 6.155
163 163 166 166 166 167 168 168 168 170
XI
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
L. Exkurs: Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundstze der bisherigen BFH-Rechtsprechung . . . . . III. Einschrnkende berlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.156 6.156 6.158 6.164
170 170 171 173
3. Teil Internationale Amts- und Rechtshilfe Kapitel 7 berblick Åber die zwischenstaatliche Amtsund Rechtshilfe (Schaumburg) . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1
175
8.1 8.9 8.9 8.16 8.16 8.23
182 187 187 190 190 194
8.24
195
8.24
195
8.29 8.33 8.49 8.51 8.57 8.58 8.64 8.64 8.65 8.68 8.76 8.77 8.79 8.83 8.91 8.97
198 200 208 209 213 215 217 217 218 219 222 222 223 226 229 232
Kapitel 8 Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen (Schaumburg) A. B. I. II.
III. IV. C. I.
II.
III. IV.
XII
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe . . . . . . . berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu einzelnen Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zinsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mehrwertsteuer-ZusammenarbeitsVerordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbrauchsteuer-ZusammenarbeitsVerordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Amts- und Rechtshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . § 117 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassender berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landesspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zinsbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . FÅrstentum Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zinsbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
Kapitel 9 Rechtshilfe in Steuerstrafsachen (Peters) A. Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justizielle Zusammenarbeit auf Unionsebene . . . . 3. Europisches bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhbk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. bereinkommen vom 29.5.2000 Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union (EU-Rhbk) und Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen (SD) . . . . . 5. Europisches AuslieferungsÅbereinkommen . . . . . 6. Weitere Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verhltnis der Amtshilfe in Steuersachen zur Rechtshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grundprinzipien der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Praktische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Internationale und europische Strafverfolgungsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interpol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Europisches Justizielles Netz fÅr Strafsachen (EJN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (§§ 61b, 93 IRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Eingehende Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulssigkeit der eingehenden Rechtshilfe . . . . . . . . . . . II. Gerichtliche Entscheidung Åber die Gewhrung von Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grenzen der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zustndigkeit des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grundstzliche Pflicht zur Bewilligung; Vorabentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. VorÅbergehende berstellung in das Ausland fÅr ein auslndisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Auslieferung in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Auslieferung bei Europischem Haftbefehl . . . . . . . . . . IX. Einziehung und Verfall/Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden (§§ 88 IRG ff.) . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 9.1 9.4 9.4 9.5
240 240 241 241 242
9.18
245
9.19 9.21 9.22
246 246 247
9.23 9.33 9.34 9.39 9.40
249 252 253 255 256
9.41 9.42 9.43 9.46 9.51
257 257 257 258 260
9.52
261
9.53 9.59 9.59
261 263 263
9.60 9.61 9.62
264 264 264
9.63
265
9.64 9.66 9.73
265 266 268
9.78
270
XIII
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
X. DatenÅbermittlung ohne Ersuchen (§§ 61a, 92 IRG) . XI. Herausgabe/Durchsuchung und Beschlagnahme . . . . . 1. Herausgabe von Gegenstnden (§ 66 IRG) . . . . . . . . 2. Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 94 IRG durch Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln nach § 97 IRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Vollstreckungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ausgehende Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zustndigkeit und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschftswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. GrenzÅberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/ Rechtshilfe im engeren Sinne/Beweisrechtshilfe . . . . . IV. bersicht mÇglicher Rechtshilfehandlungen/Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverstndigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweisantrge auf Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vernehmung mittels Videokonferenz . . . . . . . . . d) Videokonferenz mittels EEA . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. GrenzÅberschreitende Kontenabfragen . . . . . . . . . . . 4. Ersuchen um Durchsuchung/Beschlagnahme/Herausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. berwachung der Telekommunikation . . . . . . . . . . 6. Sonstige grenzÅberschreitende Maßnahmen . . . . . . 7. Anwesenheit deutscher Beamter im Ausland . . . . . D. Schwedische Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingehende Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ZurÅckhaltung von Informationen oder Erkenntnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verwendung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. SpontanauskÅnfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausgehende Ersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
9.81 9.84 9.84
273 275 275
9.85
275
9.87
276
9.89 9.92 9.92 9.97 9.100 9.100 9.104
277 278 278 280 281 281 282
9.106
283
9.107 9.108
284 284
9.111 9.111
285 285
9.113 9.118 9.120 9.124
286 288 289 290
9.127 9.132 9.143 9.145 9.147 9.147 9.158 9.159 9.163
291 292 296 296 297 297 301 301 302
9.164 9.168 9.170 9.171
302 303 304 304
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
V. VI. VII. E. I. II. III. IV. V. VI. F. I. II. G. H. I.
II.
III. IV.
V. VI. VII. VIII.
Lnderspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europische Ermittlungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhltnismßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung . bermittlung der Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GrenzÅberschreitende Kontenabfragen/Informationen Åber Bank- und sonstige Finanzgeschfte . . . . . . . GrenzÅberschreitende Einziehung und Sicherstellung von VermÇgenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafprozessualer Arrest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerlicher Arrest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landesspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten . . . . 4. Keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten . . . . 5. Zusammenhang mit der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . 6. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Spezialittsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.Rechtshilfe bei indirekten Steuern . . . . . . . . . . . . . . Liechtenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige bilaterale Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhaltliche Anforderung an ein Rechtshilfeersuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtshilfe und Steuergeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.175 9.179 9.184 9.185 9.188 9.199 9.205 9.207 9.208
305 306 308 308 310 313 315 316 317
9.211
317
9.213 9.213 9.216
318 318 320
9.226 9.242 9.243 9.243 9.246 9.253 9.254 9.255 9.256 9.257 9.259 9.260 9.262 9.263 9.263 9.265 9.269
322 328 328 329 329 332 332 333 333 333 334 335 335 335 336 337 338
9.270 9.272 9.274 9.274 9.277 9.278 9.281 9.282 9.283
338 339 339 340 340 340 341 342 342
XV
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
J. StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen/Unaufgeforderte bermittlung von Informationen (Schweiz/ Liechtenstein/sterreich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.284
342
4. Teil Steuerhinterziehung, Selbstanzeige, Korruption und Schmiergelder Kapitel 10 Steuerhinterziehung (Peters) A. B. C. I. II. III.
EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GeschÅtztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tathandlung der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . Historie des Tatbestands der Steuerhinterziehung . . . Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . Praktische Auswirkungen am Beispiel des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EuGH vom 27.9.2007, Colle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. BFH vom 6.12.2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. BGH vom 18.9.2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. BGH vom 20.11.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstoß gegen das Analogieverbot . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen fÅr Altflle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenzen fÅr zukÅnftige Flle . . . . . . . . . . . IV. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Angabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutlichkeit der Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriff der Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen . . . . . . . . . 5. Erklrungsempfnger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unrichtigkeit und Unvollstndigkeit der Angabe . 7. Tuschung und Unkenntnis bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Konkludente Ttigung von Angaben . . . . . . . . . . . . . 9. Konkludente Tuschung im Zollrecht . . . . . . . . . . .
XVI
10.1 10.2 10.7 10.7 10.8
349 349 351 351 352
10.15 10.17 10.22 10.23 10.24 10.31 10.34 10.40 10.41 10.42 10.43 10.47 10.47 10.48 10.49 10.50 10.51 10.52
356 356 357 358 358 360 361 363 363 363 363 365 365 365 366 366 366 367
10.54 10.55 10.56 10.59 10.61 10.63
368 368 369 370 371 372
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
V.
VI. VII.
VIII.
IX.
X.
10.Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten der gesetzlichen Vertreter und VerfÅgungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.Steuerhinterziehung und abweichende Rechtsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.Steuerhinterziehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . 13.Der unmittelbare Einfluss des Unionsrechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . 14.Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO . 16.Strafbarkeit von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unangemessene rechtliche Gestaltung . . . . . . . b) Voraussetzungen fÅr eine Strafbarkeit . . . . . . . . 17.Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.Steuervorteilserlangung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.Kompensationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektive Anforderungen bei SteuerverkÅrzung auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versuch/straflose Vorbereitungshandlung . . . . . . . . . . . Leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestand/Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Begriff der Leichtfertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 370 Abs. 6 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 370 Abs. 6 Satz 1 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmung und Feststellung des Hinterziehungsumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendbarkeit auf Altflle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall/Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.64 10.64
373 373
10.68
374
10.74 10.81
376 379
10.82
380
10.92 10.98
383 385
10.101 10.103 10.106 10.113 10.116 10.118 10.123 10.124
386 387 388 391 392 392 393 394
10.125 10.128 10.129 10.129 10.131 10.133 10.137 10.137 10.139 10.142 10.142
394 395 395 395 396 397 398 398 399 401 401
10.144
402
10.147
405
10.149 10.152 10.156
405 406 407
10.157
408
XVII
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
XI. Schmuggel (§ 373 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Qualifikationsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewerbsmßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewaltsame oder bandenmßige Begehung . . . 7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Strafzumessung/Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Tterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beihilfe durch aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Psychische Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen der Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einstellung gegen Auflagen, § 153a StPO . . . . . . . . 3. Sachverhaltsdarstellung, Steuerberechnung und Schtzung im Strafurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schtzung im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafzumessung bei Steuerhinterziehung . . . . . . . . a) berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . c) Strafzumessung bei Steuerhinterziehung Åber auslndische Familienstiftung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Tter-Opfer-Ausgleich bei der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Passentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlust Çffentlicher mter etc. . . . . . . . . . . . . . . . c) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfolgungsverjhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.162 10.162 10.165 10.166 10.172 10.177 10.179 10.180 10.181 10.187 10.189 10.191 10.192 10.193 10.193 10.196 10.197 10.198 10.199 10.199 10.200
409 410 411 411 413 415 415 415 416 418 419 420 420 420 420 423 423 424 424 425 425
10.201
426
10.201 10.204 10.206 10.207 10.214
426 427 428 428 431
10.220
432
10.221 10.223 10.224 10.226 10.227 10.229
432 434 434 434 435 435
11.1 11.3 11.3 11.7 11.8
439 440 440 442 442
Kapitel 11 Selbstanzeige (Peters) A. B. I. II. III.
XVIII
EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgabe der Selbstanzeige durch Vertreter . . . . . . . . . . . Transfer von Unterlagen aus dem Ausland . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
IV. Form der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abgrenzung zur Berichtigungspflicht von Erklrungen (§ 153 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige . . . . . I. Unverjhrte Steuerstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vollstndigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestufte Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollumfngliche Berichtigung unrichtiger Angaben einer Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstndigkeit der Nacherklrung und geringfÅgige Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstanzeige nach der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . 4. Selbstanzeige bei StiftungsvermÇgen . . . . . . . . . . . . III. Nachzahlung der Steuern innerhalb der Frist . . . . . . . . D. SperrgrÅnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bekanntgabe der AußenprÅfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) . . . . . III. Erscheinen der FinanzbehÇrde (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslandsspezifische Besonderheiten bei der Frage nach der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrollmitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mediale Tatentdeckung/Ankauf von SteuerCDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatentdeckung durch auslndische Amtstrger e) Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Subjektives Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund von Verwertungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Selbstanzeige bei Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Selbstanzeige Åber 50.000 Euro (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Altflle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Selbstanzeige und Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . .
11.14 11.15
443 444
11.16 11.19 11.21 11.22 11.23
444 445 446 446 446
11.26 11.26
447 447
11.29 11.33 11.35 11.36 11.40
448 449 450 451 451
11.41
452
11.44
453
11.45 11.46 11.46 11.50
454 454 455 456
11.53 11.54
458 458
11.55 11.57 11.58
458 460 461
11.60 11.61
462 462
11.63 11.64
463 464
11.66 11.69 11.70
464 465 465
XIX
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
F. G. H. I.
Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) . . Selbstanzeige bei leichtfertiger SteuerverkÅrzung . . . . Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fertigung der Selbstanzeige vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung und der gesetzlichen Neufassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Verwendung der Selbstanzeige fÅr sonstige Straftaten K. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.74 11.77 11.78
467 468 468
11.80 11.85 11.87
469 470 470
12.1 12.1
474 474
12.3 12.8 12.9 12.10 12.13 12.15
474 476 476 477 478 478
12.18 12.22
480 482
12.27 12.28 12.29 12.30 12.31 12.32 12.33 12.33 12.41
483 483 484 484 484 485 485 485 487
12.43 12.44 12.44 12.46 12.49 12.63
488 488 488 489 491 495
Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder (Peters) A. Korruption im Kontext des internationalen Steuerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hintergrund der Verschrfung des Korruptionsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bestechungstatbestnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorteilsbegriff des § 333 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . 4. Sozialadquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. VerknÅpfung von Vorteil und DienstausÅbung/ Unrechtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wirksame Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bestechlichkeit und Bestechung im geschftlichen Verkehr, § 299 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unrechtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unlautere Bevorzugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslandstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Benennungsverlangen nach § 160 AO . . . . . . . . . . . . . . . I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Empfnger i.S. des § 160 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Benennungspflicht bei Provisionszahlungen . . . . . . . . . IV. Umfang der Benennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XX
Inhaltsverzeichnis
5. Teil GrundzÅge des Internationalen Steuerrechts Rz. Seite a a
Kapitel 13 Materielles Recht (Schaumburg) A. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Außensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbeschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. KÇrperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbeschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unbeschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verkehrsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerbare Umstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerfreie Export-Umstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erwerbsvorgnge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) nderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung . . . d) Steuerbefreiungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verbrauchsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen . . . . VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinkÅnfteabgrenzung bei Betriebssttten . . . . . . . . 2. EinkÅnfteabgrenzung bei Kapitalgesellschaften . . . a) Verdeckte GewinnausschÅttung . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) . . . . . .
13.1 13.10 13.10 13.11 13.11 13.15
498 500 500 501 501 503
13.28 13.47 13.47 13.50
509 517 517 520
13.58 13.73 13.82 13.87 13.97 13.105 13.106 13.106 13.129 13.133 13.137 13.137
524 531 534 536 539 542 543 543 550 551 552 553
13.139 13.140 13.142 13.143 13.144 13.148 13.163 13.171 13.174 13.187 13.191 13.197 13.201
554 555 555 556 556 558 566 570 572 579 582 586 589
XXI
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
C. Doppelbesteuerungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegungskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abkommensberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sachliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verteilungs- und Vermeidungsnormen . . . . . . . . . . .
13.218 13.218
601 601
13.221
603
13.227 13.227 13.229 13.235 13.238 13.242 13.244
606 606 608 610 613 614 615
14.1 14.4 14.9 14.13 14.21
622 623 625 627 630
14.22
631
14.34
637
Kapitel 14 Mitwirkungspflichten (Schaumburg) A. B. C. D. E. F.
Allgemeine Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesteigerte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Teil Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht Kapitel 15 Ertragsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wegzug natÅrlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wohnsitzaufgabe im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wohnsitzaufgabe in einem auslndischen EU-/ EWR-Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgabe des gewÇhnlichen Aufenthaltes . . . . . . d) Aufgabe der Ansssigkeit im Inland . . . . . . . . . . II. Wegzug von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII
15.1 15.11 15.11 15.11 15.19 15.22 15.23
644 650 650 651 655 656 656
15.29 15.37 15.40 15.45 15.45 15.51
662 665 667 669 670 673
Inhaltsverzeichnis Rz. Seite a a
III.
IV.
V.
VI.
VII.
3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland b) Verlegung der Ansssigkeit in das Ausland . . . . GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BetriebsvermÇgenstransfer in eine auslndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) NutzungsÅberlassung an eine auslndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BetriebsvermÇgenstransfer in eine inlndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inlndische Umwandlungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) GrenzÅberschreitende Umwandlungen . . . . . . . c) Auslndische Umwandlungen mit Inlandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verdeckte GewinnausschÅttung . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Einlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) . . . . . . 4. Korrekturmaßstbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Berichtigungspflichten gem. § 153 AO . . . . . . . . . . . Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.52 15.53 15.59
674 674 678
15.65 15.65 15.74 15.76
680 680 685 685
15.79
686
15.83
689
15.85 15.88 15.88 15.93 15.94
692 693 694 696 696
15.95 15.102
697 701
15.110
706
15.118 15.118 15.120 15.124 15.130 15.134 15.139 15.146 15.156 15.156 15.163 15.166 15.168 15.168 15.171 15.172 15.176 15.176 15.177 15.180
709 709 710 712 715 719 722 725 730 730 732 733 734 736 738 739 742 742 744 745
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VIII. Auslndische Kapitalertrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dividenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Auslndische Basisgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis/Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . XII. Zuzug natÅrlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wohnsitz im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) GewÇhnlicher Aufenthalt im Inland . . . . . . . . . . c) Ansssigkeit im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ort der Geschftsleitung im Inland . . . . . . . . . . . b) Satzungssitz im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansssigkeit im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Inlndische EinkÅnfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.184 15.184 15.186 15.193 15.194 15.197 15.203 15.203 15.208 15.211 15.214 15.214 15.220 15.221 15.230 15.230 15.235 15.238 15.238 15.241 15.245 15.246 15.254 15.263 15.271 15.271 15.277 15.279 15.280 15.285 15.289 15.294 15.294 15.295 15.302
749 749 750 753 753 755 759 759 761 762 764 764 768 768 771 772 775 777 777 779 781 781 785 789 792 793 795 796 796 799 802 805 806 807 809
16.1 16.4 16.4 16.4 16.5 16.12
818 819 820 820 820 823
Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auslndisches VermÇgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXIV
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II. Inlndisches VermÇgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auslndische Familienstiftungen und Trusts . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.21 16.21 16.25 16.26 16.29 16.29 16.33 16.34
825 826 828 829 830 831 832 833
17.1 17.8 17.8 17.8 17.11 17.12 17.16 17.22 17.22 17.28 17.31 17.36 17.41 17.48 17.48 17.51 17.53
837 841 841 841 842 843 844 846 847 850 851 855 858 864 864 866 867
18.1 18.3 18.3 18.3 18.7 18.9 18.14 18.14 18.16 18.17
869 870 870 870 872 873 875 875 876 876
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unentgeltliche Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . II. Innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Innergemeinschaftliche Reihengeschfte . . . . . . . . . 5. BetrÅgerische Umsatzsteuerkarusselle . . . . . . . . . . . III. Einfuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. nderung des Gesellschafterbestandes . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anteilsvereinigung in einer Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht (Schaumburg) A. Allgemeine Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 B. Typische Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.4 I. Energiesteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.4 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.4 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.8 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.13 II. Tabaksteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.18 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.18 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.22 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.24 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXVI
878 879 879 879 882 883 886 886 888 889 893
AbkÅrzungsverzeichnis A, Abschn. a.F. ABl. EG ABl. EU ADG AdV AEAO AEUV AG AGB AK AktG AktStR AlkStG Alt. AMG AmtshilfeRLUmsG Anm. AO AOA AO-StB APA ARHG
ARHV
Art., Artt. ASA AStBV (St) AStG ATLAS Aufl. AuslV D-USA
Abschnitt alte Fassung Amtsblatt der Europischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europischen Union (ab Februar 2003) sterreich: Amtshilfe-DurchfÅhrungsgesetz Aussetzung der Vollziehung Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag Åber die Arbeitsweise der Europischen Union Aktiengesellschaft; Amtsgericht; “Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Allgemeine Geschftsbedingungen Alternativkommentar Aktiengesetz Aktuelles Steuerrecht (Zeitschrift) Alkoholsteuergesetz Alternative Arzneimittelgesetz Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur nderung steuerlicher Vorschriften Anmerkung Abgabenordnung Authorized OECD Approach Der AO-Steuer-Berater (Zeitschrift) advance pricing agreements sterreich: Bundesgesetz Åber die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen – Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz sterreich: Verordnung des Bundesministers fÅr Justiz Åber den Auslieferungsverkehr und den zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen – Auslieferungs- und Rechtshilfeverordnung Artikel Archiv fÅr Schweizerisches Abgaberecht (Zeitschrift) Anweisungen fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) Außensteuergesetz Automatisiertes Tarif- und Lokales Zoll-AbwicklungsSystem Auflage Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika
XXVII
AbkÅrzungsverzeichnis
AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (Zeitschrift)
B/W
Birkenfeld/Wger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch (Loseblatt) Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landgericht Betriebs-Berater (Zeitschrift) Betrugsbekmpfungsabkommen EU – Schweiz Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur nderung steuerlicher Vorschriften Betriebsverfassungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift) Entscheidungen des BFH fÅr die Praxis der Steuerberatung (Zeitschrift) Entscheidungssammlung des BFH Bundesamt fÅr Justiz BÅrgerliches Gesetzbuch Schweiz: Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Biersteuergesetz Bulletin for International Fiscal Documentation Bundeskriminalamt Bundeskriminalamtgesetz Bundesminister(ium) der Finanzen Bundesmeldegesetz Bundesnaturschutzgesetz BetriebsprÅfungsordnung Bundespolizeigesetz Bundesrat Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz Bundessteuerblatt Bundestag Betubungsmittelgesetz Buchstabe Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BAnz. BayObLG BB BBA BeitrRLUmG BetrVerfG BewG BFH BFH/NV BFH/PR BFHE BfJ BGB BGE BGHR BGHSt BierStG BiFD BKA BKAG BMF BMG BNatSchG BpO BPolG BR BRAK BranntwMonG BStBl. BT BtMG Buchst. BVerfG BVerfGE
XXVIII
AbkÅrzungsverzeichnis
BVerfGK BWG BZSt
Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sterreich: Bankwesengesetz Bundeszentralamt fÅr Steuern
CCN CLO CSI Cybercrbk
Common Communication Network Central Liaison Office Common System Interface bereinkommen Åber Computerkriminalitt
D/P/M
DÇtsch/Pung/MÇhlenbrock, Die KÇrperschaftsteuer (Loseblatt) Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz: Bundesgesetz Åber die direkte Bundessteuer Deutscher Finanzgerichtstag (Tagungsband) Der Konzern (Zeitschrift) Department of Justice (US-JustizbehÇrde) Deutsche Richterzeitung Drucksache Deutschland Ost spezial (Zeitschrift) VerÇffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsband) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung DurchfÅhrungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift)
DAV DB DBA DBG DFGT DK DOJ DRiZ Drucks. D-spezial DStJG DStR DStRE DStZ DV, DVO DVBl. DVP -E EBA ECBA EEA EFG EFTA EF-VO EG EGAHiG EG-AHiRL EGAO EGBGB EGGVG
Entwurf Europische Beweisanordnung European Criminal Bar Associaton Europische Ermittlungsanordnung Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Association – Europische Freihandelsassoziation Einreise-Freimengen-Verordnung Europische Gemeinschaft EG-Amtshilfegesetz EG-Amtshilferichtlinie EinfÅhrungsgesetz zur Abgabenordnung EinfÅhrungsgesetz zum BÅrgerlichen Gesetzbuch EinfÅhrungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz
XXIX
AbkÅrzungsverzeichnis
EGMR EGV Einf. EJG
EJN EMCS
EMRK EMRK-PR7 EnergieStG EnergieStV EPICC EPPO ErbBstg ErbR ErbSt ErbStB ErbStDV ErbStG ErbStR ESt EStB EStDV EStG EStV ET EU EU-AHG EUAHiG EUAHiRL EUAlbk EUA EUBeitrG EUBeitrRL
EUBestG
XXX
Europischer Gerichtshof fÅr Menschenrechte Vertrag zur GrÅndung der Europischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam EinfÅhrung Eurojust-Gesetz, Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28.2.2000 Åber die Errichtung von Eurojust zur Verstrkung der Bekmpfung der schweren Kriminalitt Europisches Justizielles Netz Excise Movement and Control System (EDV-gestÅtztes BefÇrderungs- und Kontrollsystem fÅr verbrauchsteuerpflichtige Waren) Europische Menschenrechtskonvention Protokoll Nr. 7 zur Europischen Menschenrechtskonvention Energiesteuergesetz Energiesteuer-DurchfÅhrungsverordnung Euregio-Police-Info-Cooperation-Center Vorschlag fÅr eine Verordnung des Rates Åber die Errichtung der Europischen Staatsanwaltschaft Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift) Zeitschrift fÅr die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaftsteuer Der Erbschaft-Steuer-Berater (Zeitschrift) Erbschaftsteuer-DurchfÅhrungsverordnung Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinien Einkommensteuer Der Ertrag-Steuer-Berater (Zeitschrift) Einkommensteuer-DurchfÅhrungsverordnung Einkommensteuergesetz EidgenÇssische Steuerverwaltung European Taxation (Zeitschrift) Europische Union EU-Amtshilfegesetz (sterreich) EU-Amtshilfegesetz EU-Amtshilferichtlinie Europisches AuslieferungsÅbereinkommen (v. 13.12.1957) EU-AuslieferungsÅbereinkommen (v. 27.9.1996) EU-Beitreibungsgesetz Richtlinie Åber die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen Gesetz zu dem Protokoll vom 27.9.1996 zum bereinkommen Åber den Schutz der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften
AbkÅrzungsverzeichnis
EuGeldwschebk EuGH EuGHE EuGRZ EuHB EU-JZG
EuR EuRhbk Europol EU-SchK EUStBV EUVereinfAuslbk EUZ EuZW E-VD EWIV EWIV-VO EWR EWS
F/G/J F/W/B/S FATCA FD-StrafrR FG FGO FinMin. FinStrG FL FR FRL FS FStR FuR FVerlV FVG
Europisches Geldwsche-bereinkommen Europischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europischen Gerichtshofs Europische Grundrechte-Zeitschrift Europischer Haftbefehl sterreich: Bundesgesetz Åber die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europischen Union Europarecht (Zeitschrift) Europisches RechtshilfeÅbereinkommen Europisches Polizeiamt EU-Schiedsverfahrenskonvention Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung EU-bereinkommen Åber das vereinfachte Auslieferungsverfahren Zeitschrift fÅr Europarecht Europische Zeitschrift fÅr Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Elektronisches Verwaltungsdokument (im Rahmen des EMCS) Europische wirtschaftliche Interessenvereinigung Verordnung Åber die Schaffung einer Europischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung Europischer Wirtschaftsraum Europisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht (7. Aufl. 2009) Flick/Wassermeyer/Baumhoff/SchÇnfeld, Außensteuerrecht, Kommentar (Loseblatt) Foreign Account Tax Compliance Act Fachdienst Strafrecht Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Finanzministerium sterreich: Finanzstrafgesetz FÅrstentum Liechtenstein Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Fusions-Richtlinie Festschrift IFF Forum fÅr Steuerrecht (Zeitschrift) Familie und Recht (Zeitschrift) Funktionsverlagerungsverordnung Gesetz Åber die Finanzverwaltung
XXXI
AbkÅrzungsverzeichnis
G/J/W G/K/G GA GAufzV GEG gem. GenG GesR GewSt GewStG GG GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GRCh GrEStG GrSt GrStG GS GuV GVG GWB GwG H/H/R
Graf/Jger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kommentar (2011) Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA-Kommentar (Loseblatt) Goltdammer’s Archiv fÅr Strafrecht (Zeitschrift) Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung Gemeinsame Ermittlungsgruppe gemß Genossenschaftsgesetz GesundheitsRecht (Zeitschrift) Gewerbesteuer Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Gesellschaft mit beschrnkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschrnkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Der GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Charta der Grundrechte der Europischen Union Grunderwerbsteuergesetz Grundsteuer Grundsteuergesetz Gedchtnisschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrnkungen Geldwschegesetz
Hrsg., hrsg.
Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Kommentar (Loseblatt) HÅbschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Kommentar (Loseblatt) herrschende Meinung Halbsatz Handbuch HÇchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar: Gerke/Julius/Temming/ ZÇller (Hrsg.), Strafprozessordnung (5. Aufl. 2012) Onlinezeitschrift fÅr HÇchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht Herausgeber, herausgegeben
i.d.F. IBFD IBR ICTR
in der Fassung International Bureau of Fiscal Documentation Immobilien & Baurecht (Zeitschrift) International Criminal Tribunal for Rwanda
H/H/Sp h.M. Halbs. Hdb. HFR HGB HK HRRS
XXXII
AbkÅrzungsverzeichnis
ICTY IFSt, ifst IGH INF InfAust IntBestG
Interpol IRG IRSG IRSV ISI ISR IStGH IStR IStR-LB IWB IZA
International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Institut Finanzen und Steuern Internationaler Gerichtshof Die Information fÅr Steuerberater und WirtschaftsprÅfer (Zeitschrift) Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustausches Gesetz zu dem bereinkommen vom 17.12.1997 Åber die Bekmpfung auslndischer Amtstrger im internationalen Geschftsverkehr Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Schweiz: Bundesgesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – Rechtshilfegesetz Schweiz: Verordnung Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen – Rechtshilfeverordnung Informationssystem der Informationszentrale fÅr steuerliche Auslandsbeziehungen Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationaler Strafgerichtshof Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) IStR-Lnderbericht (Zeitschrift) Internationale Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) Informationszentrale fÅr steuerliche Auslandsbeziehungen
JA JbFSt JR JStG Jura JuS JZ
Juristische Arbeitsbltter (Zeitschrift) Jahrbuch der Fachanwlte fÅr Steuerrecht Juristische Rundschau (Zeitschrift) Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)
K/S/M
Kirchhof/SÇhn/Mellinghoff, Einkommentsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Kaffeesteuergesetz Kapitel Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung Kommanditgesellschaft; Kammergericht Kleinknecht/MÅller/Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung (Loseblatt) Deutsch-Belgische Konsultationsvereinbarungsverordnung KÇlner Steuerdialog (Zeitschrift)
KaffeeStG Kap. KF-VO KG KMR KonsVerBELV KSDI
XXXIII
AbkÅrzungsverzeichnis
KSt KStDV KStG KStR
KÇrperschaftsteuer KÇrperschaftsteuer-DurchfÅhrungsverordnung KÇrperschaftsteuergesetz KÇrperschaftsteuer-Richtlinien
L/S
Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstnde- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht Liechtensteinische Juristenzeitung (Zeitschrift) Leipziger Kommentar, StGB (in Bnden) Lnderumfassende Namensauskunft
LFGB LG LJZ LK LUNA MA MeldFortG Mio. MiZi MK MRRG MWSTG MwStR MWStSystRL, MwSt-SystemRL MwSt-ZVO MZK
Musterabkommen Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens Million(en) Anordnung Åber Mitteilungen in Zivilsachen Musterkommentar; MÅnchener Kommentar Melderechtsrahmengesetz Schweiz: Bundesgesetz Åber die Mehrwertsteuer MehrwertSteuerrecht (Zeitschrift) Mehrwertsteuersystemrichtlinie
NdsRpfl NJW Nr. NRW NStZ NStZ-RR
Niederschsische Rechtspflege (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift fÅr Strafrecht Neue Zeitschrift fÅr Strafrecht, Rechtsprechungs-Report Neue Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) Neue Zeitschrift fÅr Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift fÅr Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
NWB NZG NZWiSt
Ç OECD OECD-MA
OECD-MK OFD
XXXIV
Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung Modernisierter Zollkodex
Çsterreichisch Organization for Economic Cooperation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und VermÇgen OECD-Musterkommentar Oberfinanzdirektion(en)
AbkÅrzungsverzeichnis
JZ OLAF OLG OWiG OZEAN
PGR PIF-bereinkommen PIStB PJZS PolKG PStR R/K/L RB, Rb RbDatA
RbEuHB
RefE REIT REITG RETT RFH RGSt RHG RhV D- . . . RiStBV RiVASt RIW RL
sterreichische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Europisches Amt fÅr Betrugsbekmpfung (Office de la Anti-Fraude) Oberlandesgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Online-Zugriff der Finanzverwaltung auf Ein-/Ausfuhrdaten Liechtenstein: Personen- und Gesellschaftsrecht bereinkommen Åber den Schutz der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften (Protection des intrts financiers) Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sterreich: Bundesgesetz Åber die internationale polizeiliche Kooperation – Polizeikooperationsgesetz Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift) Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Rahmenbeschluss Rahmenbeschluss 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union Rahmenbeschluss Åber den Europischen Haftbefehl und die bergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten Referentenentwurf Real Estate Investment Trust Gesetz Åber deutsche Immobilien-Aktiengesellschaften mit bÇrsennotierten Anteilen Real Estate Transfer Tax Reichsfinanzhof Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Liechtenstein: Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ... Åber die Rechtshilfe in Strafsachen Richtlinien fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren Richtlinien fÅr den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie
XXXV
AbkÅrzungsverzeichnis
RNotZ Rs. Rspr. RStBl. Rz.
Rheinische Notar-Zeitschrift Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Randzahl
S/H/S
Schmitt/HÇrtnagl/Stratz, UmwG, UmwStG, Kommentar (6. Aufl. 2013) Strunk/Kaminski/KÇhler, Außensteuergesetz – Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar (Loseblatt) Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar (5. Aufl. 2012) SÇlch/Ringleb, Umsatzsteuer, Kommentar (Loseblatt) Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europisches Strafrecht (2. Aufl. 2014) Steuermagazin (Zeitschrift) Societas Cooperativa Europea = Europische Genossenschaft Verordnung Åber das Statut der Europischen Genossenschaft Schaumwein und Zwischenerzeugnissteuergesetz Schenkungsteuer Schuldverschreibungsgesetz Schwarzarbeitsbekmpfungsgesetz bereinkommen zur DurchfÅhrung des bereinkommens von Schengen Societas Europea = Europische Aktiengesellschaft = Europa-AG United States Securities and Exchange Commission System for Exchange of Excise Data (Sammlung der fÅr die BefÇrderung unter Steueraussetzung relevanten Daten aller Wirtschaftsbeteiligten der EU und deren Austausch zwischen den Mitgliedstaaten) Verordnung Åber das Statut der Europischen Gesellschaft (SE) Schweizerische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Systematischer Kommentar (zur StPO in Bnden, zum StGB Loseblatt) so genannt Zeitschrift fÅr Sport und Recht Schweiz: Systematische Sammlung des Bundesrechts UN-SeerechtsÅbereinkommen Der Schweizer Treuhnder (Zeitschrift) Schweiz: Steueramtshilfegesetz Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch
S/K/K S/L/G/H S/R S/S/vHH SAM SCE SCE-VO SchaumweinStG SchSt SchVG SchwarzArbG SD SE SEC SEED
SE-VO SJZ SK sog. SpuRt SR SR ST STAhG StB Stbg StbJb
XXXVI
AbkÅrzungsverzeichnis
StBp StBW StC SteAHG SteuerHBekG SteuerHBekV SteuerStud StEW StGB StHG StPO STR StraBEG StraFo StrbEG StRR StuB StuW StV StW SWZ/RSDA
T/G/J T/K
Die steuerliche BetriebsprÅfung (Zeitschrift) Steuerberater Woche (Zeitschrift) Steuer Consultant (Zeitschrift) Liechtenstein: Steueramtshilfegesetz Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz Steuerhinterziehungsbekmpfungs-Verordnung Steuer & Studium (Zeitschrift) Steuern in der Elektrizittswirtschaft (Zeitschrift) Strafgesetzbuch Schweiz: Bundesgesetz Åber die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden Strafprozessordnung Steuer Revue (Zeitschrift) Gesetz Åber die strafbefreiende Erklrung Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Gesetz Åber die strafbefreiende Erklrung von EinkÅnften aus KapitalvermÇgen StrafRechtsReport (Zeitschrift) Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Die Steuer-Warte (Zeitschrift) Schweizerische Zeitschrift fÅr Wirtschafts- und Finanzmarktrecht
T/L TabStG TIEA TKG TK TKV
Troll/Gebel/JÅlicher, ErbStG, Kommentar (Loseblatt) Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar (Loseblatt) Tipke/Lang, Steuerrecht (21. Aufl. 2013) Tabaksteuergesetz Tax Information Exchange Agreement Telekommunikationsgesetz TelekommunikationsÅberwachung Telekommunikations-berwachungsverordnung
u.a. u.U. UA, UAbs. berstbk Ubg UmwG UmwStE UmwStG UR UStAE UStB UStBG
und andere; unter anderem unter Umstnden Unterabsatz Europisches berstellungsabkommen Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuererlass Umwandlungssteuergesetz Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Umsatzsteuer-Anwendungserlass Der Umsatz-Steuer-Berater (Zeitschrift) Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz
XXXVII
AbkÅrzungsverzeichnis
UStDV UStG usw. UVR UWG UZK
Umsatzsteuer-DurchfÅhrungsverordnung Umsatzsteuergesetz und so weiter Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Unionszollkodex
V/B/E
VÇgele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise (3. Aufl. 2011) V/K/S/W Viskorf/Knobel/Schuck/Wlzholz, Erbschaftsteuerund Schenkungsteuergesetz, Bewerzungsgesetz (4. Aufl. 2012) V/L Vogel/Lehner, DBA, Kommentar (5. Aufl. 2008) VAG Versicherungsaufsichtsgesetz VerbrauchStRichtlinie 2008/118/EG Åber das allgemeine VerSystRL brauchsteuersystem VerbrauchSt-ZVO Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung VerfGH Verfassungsgerichtshof VersSt Versicherungsteuer VG Verwaltungsgericht VGH Verfassungsgerichtshof VN-OK-bk bereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzÅberschreitende organisierte Kriminalitt VO Verordnung VSt VermÇgensteuer VStG sterreich: Verwaltungsstrafgesetz VWG Verwaltungsgrundstze VZ Veranlagungszeitraum W/A/D W/S/G WIB wistra WM WuB WD WK WRV z.B. ZaÇRV
XXXVIII
Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebssttten-Handbuch (2006) WÇhrle/Schelle/Gross, Außensteuergesetz, Kommentar (Loseblatt) Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift); Belgien: Einkommensteuergesetz Zeitschrift fÅr Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Kommentierte Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift) Wiener bereinkommen fÅr Diplomaten Wiener bereinkommen fÅr Konsuln Wiener bereinkommen Åber das Recht der Vertrge zum Beispiel Zeitschrift fÅr auslndisches Çffentliches Recht und VÇlkerrecht
AbkÅrzungsverzeichnis
ZAUBER
ZBestG ZBstA
ZBStG ZErb ZEuS ZEV ZFdG ZFE ZfZ ZInsO ZinsRL, ZiRL ZIP ZIS ZIV ZJS ZK ZollV ZollVG ZP ZRP ZSteu ZStW ZVG ZWH
Zentrale Datenbank zur Auswertung und Speicherung von Umsatzsteuerbetrugsfllen und Entwicklung von Risikoprofilen Schweiz: Zinsbesteuerungsgesetz Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz; Zinsbesteuerungsabkommen zwischen der EU und Liechtenstein Liechtenstein: Zinsbesteuerungsgesetz Zeitschrift fÅr die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift fÅr Europarechtliche Studien Zeitschrift fÅr Erbrecht und VermÇgensnachfolge Zollfahndungsdienstgesetz Zeitschrift fÅr Familien- und Erbrecht Zeitschrift fÅr ZÇlle und Verbrauchsteuern Zeitschrift fÅr das gesamte Insolvenzrecht Zins-Richtlinie Zeitschrift fÅr Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift fÅr Internationale Strafrechtsdogmatik Zinsinformationsverordnung Zeitschrift fÅr das Juristische Studium Zollkodex Zollverordnung Zollverwaltungsgesetz Zusatzprotokoll Zeitschrift fÅr Rechtspolitik Zeitschrift fÅr Steuern und Recht Zeitschrift fÅr die Gesamte Strafrechtswissenschaft Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift fÅr Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen
XXXIX
AbkÅrzungsverzeichnis
XL
1. Teil EinfÅhrende Grundlagen Kapitel 1 Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts
Literatur: Kommentare zu §§ 369–412 AO und zu §§ 1, 3 StGB; Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2014, § 1 Rz. 1 ff.; Esser, Europisches und Internationales Strafrecht, MÅnchen 2014, § 1, § 14 Rz. 1 ff.; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. MÅnchen 2009, 1 ff.; Gless, Internationales Strafrecht, Basel 2011, Rz. 1 ff.; Haase, Internationales und Europisches Steuerrecht, 4. Aufl. TÅbingen 2014, Rz. 12 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht, 4. Aufl. Heidelberg 2012, 1 f.; Safferling, Internationales Strafrecht, Berlin/Heidelberg 2011, § 2 Rz. 1 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht, 6. Aufl. Baden-Baden 2013; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 1.1 ff.; Schramm, Internationales Strafrecht, MÅnchen 2011, 1 f.; Sieber in Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg, Europisches Strafrecht, 2. Aufl. BadenBaden 2014, EinfÅhrung Rz. 2 ff.; Weber-Grellet, Europisches Steuerrecht, MÅnchen 2005, § 1; Werle, VÇlkerstrafrecht, 3. Aufl. TÅbingen 2012, 35 ff.
Das Steuerstrafrecht umfasst alle Normen, die straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen wegen Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze androhen.1 Angesprochen sind damit im Wesentlichen die in den §§ 369–376 AO sowie in sonstigen Steuergesetzen geregelten Straftatbestnde. Das Steuerstrafrecht enthlt allerdings Blankettstrafnormen, in deren Rahmen auf die blankettausfÅllenden Normen des materiellen und formellen Steuerrechts zurÅckzugreifen ist.2 Diese VerknÅpfung von Strafrecht einerseits und Steuerrecht andererseits bestimmt die Reichweite des Steuerstrafrechts. Das Internationale Steuerstrafrecht wird daher gleichermaßen durch das Internationale Strafrecht und das Internationale Steuerrecht geprgt.
1.1
Der Begriff des Internationalen Strafrechts ist nicht normativ verankert, ist kein rechtstechnischer Begriff. Er hat daher letztlich nur Bedeutung
1.2
1 Joecks in F/G/J7, Einleitung Rz. 1 2 BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); Joecks in F/G/J7, Einleitung Rz. 5, 109; vgl. allerdings zur Kritik Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff.; Wackes, Zur Problematik der Abgrenzung von Tatbestandsund Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, KÇln 1981, 111 ff.; Samson in DStJG 6 (1983), 99 (105 ff.); Walter in FS Tiedemann, 2008, 969 ff. (977 ff.); ferner Rz. 10.8 ff.
Schaumburg
|1
Kapitel 1
Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts
fÅr die Verstndigung. Im Hinblick darauf werden nachfolgend zum Internationalen Strafrecht alle Teilgebiete des Strafrechts gezhlt, die einen rechtlichen oder tatschlichen Auslandsbezug aufweisen.1 Im Vordergrund steht hierbei der grenzÅberschreitende Charakter des Strafanwendungsrechts, das alle Normen erfasst, die den Anwendungsbereich des innerstaatlichen Strafrechts festlegen.2 Zum Internationalen Strafrecht zhlt ferner das Rechtshilferecht, soweit es der grenzÅberschreitenden Rechtsdurchsetzung3 dient.4 Die vorgenannten Teilgebiete des Internationalen Strafrechts beruhen im Wesentlichen auf Normen, die von der Quelle her zum nationalen Recht zhlen. DarÅber hinaus wird das Internationale Strafrecht aber auch durch internationale Rechtsquellen geprgt. Dies betrifft insbesondere das VÇlkerstrafrecht, dem allerdings wegen des verfassungsrechtlich verankerten Gesetzlichkeitsprinzips (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) keine unmittelbar geltenden Sanktionsbestimmungen abzuleiten sind.5 Im Vordergrund stehen daher jene Normen, die VÇlkerstrafrecht in nationales Recht umsetzen.6 DarÅber hinaus ist auch das Europische Strafrecht von Bedeutung. Hierbei handelt es sich entweder um unmittelbar geltendes Primr- und Sekundrrecht oder um in nationales Recht umgesetztes Sekundrrecht.7
1.3 Der Begriff des Internationalen Steuerrechts ist kein Systembegriff, sondern lediglich ein Ordnungsbegriff, der letztlich ebenfalls nur fÅr die Verstndigung Bedeutung hat. Im Hinblick darauf werden zum Internationalen Steuerrecht alle Normen gezhlt, die steuerlich relevante, auslandsbezogene Sachverhalte erfassen.8 Es handelt sich hierbei um Normen, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Auf einer weiteren Stufe lassen sich diese Normen aufteilen in solche, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen (Doppelbesteuerungsrecht), und in alle Åbrigen Normen mit Auslandsbezug (Außensteuerrecht).9 Whrend es kein dem VÇlkerstrafrecht entsprechendes VÇlkersteuerrecht
1 hnlich Werle/Jaßberger in LK, vor § 3 StGB Rz. 12; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 2 Rz. 1; Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 131; Schramm, Internationales Strafrecht, Rz. 2; Gardocki, ZStW 98 (1986), 703 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 1 Rz. 2, wonach der Begriff „Transnationales Strafrecht“ fÅr zutreffender gehalten wird. 2 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 2 Rz. 4; Esser, Europisches und Internationales Strafrecht, § 14 Rz. 2; zum Teil abweichend Ambos in MK, vor §§ 3-7 StGB Rz. 1; vgl. Rz. 3.1 ff. 3 Z.B. Auslieferung oder Vollstreckungshilfe. 4 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 2 Rz. 5. 5 Hierzu Dannecker in LK, § 1 StGB Rz. 114 ff.; Hassemer/Kargl in MK, § 1 StGB Rz. 71; Roxin, StGB, AT I4, § 5 Rz. 20 f.; vgl. ferner Rz. 2.50 ff. 6 Vgl. etwa das VÇlkerstrafgesetzbuch v. 30.6.2002, BGBl. I 2002, 2254. 7 Vgl. hierzu Sieber in S/S/vHH2, EinfÅhrung Rz. 2 ff.; ferner der berblick bei Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 31 ff. 8 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1.4. 9 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1.4.
2
| Schaumburg
Kapitel 1
Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts
gibt, hat das Europische Steuerrecht eine besondere Bedeutung erlangt.1 Hierbei handelt es sich um Steuerrecht, das auf primres und sekundres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurÅckzufÅhren ist oder von diesem beeinflusst wird.2 Der Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts hat somit ebenso wie die Begriffe des Internationalen Strafrechts und des Internationalen Steuerrechts im Wesentlichen nur Bedeutung fÅr die Verstndigung. Wenn daher im Folgenden vom Internationalen Steuerstrafrecht die Rede ist, so sind damit jene dem Strafrecht zuzuordnenden Normen angesprochen, die einen auch steuerlich relevanten Auslandsbezug aufweisen.
1 Zu Einzelheiten Englisch in T/L21, § 4 Rz. 1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.44 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 1.1 ff. 2 Englisch in T/L21, § 4 Rz. 1 ff.; Weber-Grellet, Europisches Steuerrecht, Rz. 1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1.7; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 1.1 ff.
Schaumburg
|3
1.4
Kapitel 1
4
| Schaumburg
Begriff des Internationalen Steuerstrafrechts
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts Rz. A. Das NormengefÅge (berblick) I. Grundrechte des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzlichkeitsprinzip . . . . . . 2. Konkretisierungen . . . . . . . . . . II. 1. 2. 3. 4.
2.1 2.2 2.5
VÇlkerrechtliche Normen EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . VÇlkerrechtliche Vertrge . . . . VÇlkergewohnheitsrecht . . . . . Allgemeine Rechtsgrundstze.
2.10 2.12 2.17 2.21
III. Supranationale Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.22
B. Zur Normenhierarchie I. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.27
II. Rang der allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts . . . . . . . . . . . .
2.29
III. Rang vÇlkerrechtlicher Vertrge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.30
Rz.
a
IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) . . . . . . . . . . . . . .
2.34
V. Rang innerstaatlicher Normen
2.49
C. VÇlkerstrafrecht . . . . . . . . . . . .
2.50
D. Europisches Strafrecht I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . .
2.54
II. Europisches Kriminalstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.56
III. Unionsrechtliche Schranken 1. Primrrechtliche Vorgaben . . . 2. Sekundrrechtliche Vorgaben .
2.57 2.59
E. Europische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . .
2.60
F. Charta der Grundrechte in der Europischen Union . . . . . . . .
2.63
Literatur: Kommentare zu Artt. 25, 59, 103, 104 GG; Artt. 4, 6 EGV; Artt. 86, 267, 288, 325 AEUV, Artt. 47, 50, 52 GRCh, Artt. 5, 6, 46 EMRK, §§ 2, 4, 369, 370, 393 AO, §§ 1, 2 StGB und OECD-MA Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2014, 100 ff.; Bergmann, Zeitliche Geltung und Anwendbarkeit von Steuerstrafvorschriften, NJW 1986, 233 ff.; Bleckmann/Pieper, Rechtsquellen, in Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Loseblatt, MÅnchen, B I.; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, TÅbingen 1993, 407 ff.; Dannecker, Der zeitliche Geltungsbereich von Strafgesetzen und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, FS F.C. Schroeder, Heidelberg 2006, 761; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2014, 79 ff.; Enderle, Blankettstrafgesetze, – verfassungs- und staatsrechtliche Problem von Wirtschaftstatbestnden, Frankfurt 2000; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 5 Rz. 1 ff.; Esser, Europisches und Internationales Strafrecht, MÅnchen 2014, § 16 Rz. 19 ff.; Frotscher, Zur Zulssigkeit des Treaty override, in FS Schaumburg, KÇln 2009, 687 ff.; Gaede, Zeitgesetze im Wirtschaftsstrafrecht und rÅckwirkend geschlossene AhndungslÅcken, wistra 2011, 365 ff.; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht, 6. Aufl. MÅnchen 2013, 73 ff.; Gleß, Zum Begriff des mildesten Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StGB), GA 2000, 224; Gosch, ber das Treaty Overriding, IStR 2008, 413 ff.; GrÅnwald, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Gesetzlichkeitsprinzip, in FS Arth. Kaufmann, Heidelberg 1993, 433; Hackner, Das teileuropische Doppelverfolgungsverbot insbesondere in
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A. Das NormengefÅge (berblick) I. Grundrechte des Grundgesetzes 2.1 Die fÅr das Strafrecht und somit zugleich auch fÅr das (Internationale) Steuerstrafrecht maßgebliche Grundlagenentscheidung des Grundgesetzes ist das in Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Gesetzlichkeitsprinzip, wonach u.a. gewhrleistet sein muss, „dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts voraussehen kÇnnen, ob ein Verhalten strafbar
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A. Das NormengefÅge (berblick)
ist oder nicht“.1 Eine entsprechende europarechtliche Fundierung enthlt Art. 49 Abs. 1 Stze 1 und 2 GrCh. 1. Gesetzlichkeitsprinzip Die Bezugnahme auf das in Orientierung an Art. 103 Abs. 2 GG in § 1 StGB verankerte Gesetzlichkeitsprinzip erfolgt im Steuerstrafrecht Åber § 369 Abs. 2 AO, der eine Verweisung auf die „allgemeinen Gesetze Åber das Strafrecht“2 enthlt, womit insbesondere der Allgemeine Teil des StGB angesprochen ist. Hiernach darf eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege). Diese Beschrnkung auf Gesetze, die gleichermaßen den Straftatbestand und die Strafandrohung betrifft,3 bezieht sich auf geschriebene Gesetze mit der Folge, dass etwa strafbegrÅndendes oder strafschrfendes Gewohnheitsrecht ausscheidet.4 DemgegenÅber sind Strafmilderung und Strafaufhebung per Gewohnheitsrecht zulssig.5 Die vorstehenden Grundstze gelten auch fÅr Ordnungswidrigkeiten.6
2.2
Zu den geschriebenen Gesetzen zhlen alle (geschriebenen) Rechtsnormen,7 und zwar fÇrmliche Gesetze, Rechtsverordnungen, autonome Satzungen sowie vÇlkerrechtliche und supranationale Normen, die im Internationalen Steuerstrafrecht eine besondere Bedeutung haben (hierzu Rz. 2.22). Grundlage fÅr die Verhngung von Freiheitsstrafen muss allerdings stets ein fÇrmliches Gesetz sein (Art. 104 Abs. 1 GG),8 sodass Rechtsverordnungen nur dann maßgeblich sind, wenn die entsprechende
2.3
1 So die Formulierung im Beschluss des BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., NStZ 2010, 626 (Rz. 71 dort nicht abgedruckt). 2 Es handelt sich um eine dynamische Verweisung; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 14, Ransiek in Kohlmann, § 369 AO Rz. 81; Schmitz in MK-StGB, § 369 AO Rz. 22. 3 BVerfG v. 21.6.1977 – 2 BvR 308/77, BVerfGE 45, 363. 4 BVerfG v. 3.7.1962 – 2 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (185); BVerfG v. 26.2.1969 – 2 BvL 15, 23/68, BVerfGE 25, 269 (285 f.); BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (115); BVerfG v. 11.11.1986 – 1 BvR 718/83 u.a., BVerfGE 73, 206 (235); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; KÅhl in Lackner/KÅhl28, § 1 StGB Rz. 3; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 8 ff.; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 19. 5 BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (172); BGH v. 25.6.1953 – 3 StR 80/53, BGHSt 5, 12 (23); BGH v. 24.11.1955 – 5 StR 311/55, BGHSt 8, 360 (381); BGH v. 23.10.1957 – 2 StR 458/56, BGHSt 11, 241 (244 f.); Eser/Mecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 8 ff. 6 Zur Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG auch fÅr Ordnungswidrigkeiten SchmidtAßmann in Maunz/DÅrig, Art. 103 GG Rz. 195; Pieroth in Jarass/Pieroth13, Art. 103 GG Rz. 44 m.w.N. 7 Vgl. § 4 AO. 8 BVerfG v. 3.7.1962 – 2 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (186).
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gesetzliche Ermchtigung (Art. 80 GG) die mÇglichen Straftatbestnde sowie Art und HÇchstmaß der Strafen festlegt.1
2.4 Da die Straf- und Bußgeldtatbestnde der §§ 369 ff. AO Blankettvorschriften sind,2 muss auch das in Bezug genommene materielle und formelle (deutsche)3 Steuerrecht dem Gesetzlichkeitsprinzip entsprechen.4 Damit ergibt sich ein weitgehender Gleichlauf mit dem im Steuerrecht geltenden Prinzip der Gesetzmßigkeit der Besteuerung,5 das in den §§ 3 Abs. 1, 38 AO besonders verankert ist. Eine Einengung ergibt sich aber insoweit, als Straftatbestand und Strafandrohung nur aufgrund geschriebener Gesetze zulssig sind. Hieraus folgt, dass auch die in den §§ 369 ff. AO enthaltene Bezugnahme auf das materielle und formelle Steuerrecht nur geschriebene Gesetze erfasst.6. Soweit die §§ 369 ff. AO eine (direkte) Bezugnahme auf Unionsrecht enthalten – Beispiel: § 370 Abs. 6 Satz 2 AO -, gelten die vorgenannten Grundstze nur fÅr gegenÅber dem BÅrger unmittelbar wirksames Recht (z.B. EU-Verordnungen)), nicht aber fÅr noch umzusetzendes Recht (z.B. EU-Richtlinien).7 2. Konkretisierungen
2.5 Das in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB verankerte Gesetzlichkeitsprinzip erfhrt eine Konkretisierung bzw. Ergnzung insbesondere
1 BVerfG v. 27.3.1979 – 2 BvL 7/78, BVerfGE 51, 60 (70); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (340); BVerfG v. 25.10.1991 – 2 BvR 374/90, NJW 1992, 2624; Pieroth in Jarass/Pieroth13, Art. 103 Rz. 56 GG. 2 BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BVerfG v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35; BVerfG v. 23.6.1994 – 2 BvR 1084/94, NJW 1995, 1883; BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138 (141); BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 ff. (229); dagegen i.S. eines „normativen Tatbestandsmerkmals“ z.B. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 140; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff.; Walter in FS Tiedemann, 2008, 969 ff. (977 ff.); im Folgenden wird der Rechtsprechung gefolgt; vgl. Rz. 10.8 ff. 3 So der Grundsatz; vgl. BGH v. 26.7.1967 – 4 StR 38/67, BGHSt 21, 277 ff. (279); OLG Karlsruhe v. 21.2.1985 – 4 SS 1/85, NStZ 1985, 317; Ausnahme: § 370 Abs. 6 Satz 2 AO (harmonisierte Verbrauchsteuergesetze anderer EU-Mitgliedstaaten), BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, wistra 2014, 145 mit dem Hinweis, dass die in Bezug genommene – inhaltlich eindeutige – Rechtsvorschrift nicht (mehr) in Kraft sein muss. 4 BVerfG v. 7.5.1968 – 2 BvR 702/65, BVerfGE 23, 265 (270); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/07, NJW 2008, 3205 (3206). 5 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 118 ff.; Hey in T/L21, § 3 Rz. 230 ff. 6 Joecks in F/G/J7, Einleitung Rz. 108. 7 Zu Einzelheiten Cornelius, NZWiSt 2014, 173 ff.
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durch das Bestimmtheitsgebot, das Analogie- und das RÅckwirkungsverbot.1 Nach dem Bestimmtheitsgebot muss das Gesetz eine „konkretisierbare Aussage darÅber treffen, welche Verhaltensweisen mit Strafe bedroht sein sollen und wo die Grenze des Strafbaren verluft“.2 Mit anderen Worten: Die Gesetze mÅssen so konkret sein, dass Strafbarkeit und Anwendungsbereich der Tatbestnde zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.3 Im Hinblick darauf gilt fÅr die Auslegung von Strafnormen u.a. ein sog. Verschleifungs- oder Entgrenzungsverbot,4 wonach die Auslegung derjenigen Begriffe, mit denen der Gesetzgeber das unter Strafe gestellte Verhalten beschreibt, nicht zu einer Aufgabe der durch die Tatbestandsmerkmale bewirkten Eingrenzung der Strafbarkeit fÅhren darf.5 Dieses Verbot schließt es insbesondere aus, Straftatbestandsmerkmale in einer Weise auszulegen, dass sie vollstndig in einem anderen Tatbestandsmerkmal aufgehen, also zwangslufig mit diesem mitverwirklicht werden.6 Wegen der Bezugnahme der §§ 369 ff. AO als Blankettvorschriften auf das materielle und formelle Steuerrecht gilt das Bestimmtheitsgebot auch fÅr die konkret zur Anwendung kommenden blankettausfÅllenden Normen.7 Da auch fÅr das Steuerrecht das Be1 Das BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (171), bezeichnet Gesetzlichkeitsprinzip, Bestimmtheitsgebot, Analogie- und RÅckwirkungsrecht als aus dem Nulla-poena-Prinzip abgeleitete Gewhrleistungen. 2 BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, BVerfGE 78, 374 (381 f.); BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NStZ 2009, 83; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754; BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, wistra 2004, 393. 3 Vgl. BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (114); BVerfG v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209 (223); BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 (153); BVerfG v. 5.2.2004 – 2 BvR 2029/01, BVerfGE 109, 133 (171); BVerfG v. 18.9.2006 – 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BVerfG v. 8.11.2006 – 2 BvR 578/796/02, BVerfGE 117, 71 (111); BVerfG v. 26.6.2008 – 2 BvR 2067/07; NJW 2008, 3346; BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 (338); BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754; BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, NStZ 2010, 625; BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, wistra 2014, 145; vgl. auch EuGH v. 25.9.1984 – Rs. 117/83 – KÇnecke, EuGHE 1984, 3291; EuGH v. 18.11.1987 – Rs. 127/85 – Maizena, EuGHE 1987, 4603, wonach das Bestimmtheitsgebot aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt und zu den allgemeinen Grundstzen des Gemeinschaftsrechts (Unionsrechts) zhlt. 4 BVerfG v. 10.1.1985 – 1 BvR 718, 719, 722, 723/89, BVerfGE 92, 1 ff. (16 f.), BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, 105, 491/09, BVerfGE 126, 170 ff. (198); BVerfG v. 20.6.2012 – 2 BvR 1048/11, BVerfGE 131, 268 ff. (307), BGH v. 3.12.2013 – 1 StR 526/13, wistra 2014, 139 Rz. 8. 5 Von BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, wistra 2013, 199 zur Bezifferung aufgrund unrichtiger Feststellungsbescheide nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO erlangter nicht gerechtfertigter Steuervorteile i.S. von § 370 Abs. 1 AO verneint. 6 BGH v. 3.12.2013 – 1 StR 526/13, wistra 2014, 139 Rz. 8. 7 BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/07, NJW 2008, 3206; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010; BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 ff. (272); Eser/Hecker in
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2.6
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
stimmtheitsgebot1 verbindlich ist,2 ergeben sich insoweit im Grundsatz keine Anwendungsdivergenzen.
2.7 Das an den Gesetzgeber gerichtete Bestimmtheitsgebot wird durch das Verbot der strafbegrÅndenden und strafschrfenden Analogie ergnzt (Analogieverbot)3. Eine Analogie zugunsten des Tters ist zulssig.4 Die Grenze zwischen zulssiger Auslegung und verbotener Analogie wird durch den ußerst mÇglichen umgangssprachlichen Wortsinn der Norm gebildet,5 sodass jede Rechtsanwendung, die tatbestandserweiternd „Åber den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht“, ausgeschlossen ist.6 Im Hinblick darauf ist auch eine teleologische Reduktion von Strafnormen unzulssig, die eine Strafbarkeit einschrnken oder ausschließen.7 Diese Wortlautschranke gilt uneingeschrnkt auch fÅr die ver-
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SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 25; Joecks, wistra 2006, 401 ff.; Niehaus, wistra 2004, 206 ff.; zu Einzelheiten Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 75 ff. Abzustellen ist auf den „Verstndnishorizont“ des von der Steuernorm „Betroffenen“ und nicht etwa auf dessen Berater; Hey in T/L, § 3 Rz. 245; zu den entsprechenden Differenzierungen BVerfG v. 15.3.1978 – 2 BvR 927/76, BVerfGE 48, 48 (57 ff.); BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, 105, 491/09, BVerfGE 126, 170 (221). BVerfG v. 13.6.2007 – 1 BvR 1550/03 u.a., BStBl. II 2007, 896 (903); Hey in T/L21, § 3 Rz. 243 ff.; Papier in DStJG 12 (1989), 61 ff.; Papier in DFGT 1 (2004), 33 ff. (28 ff.); Ruppe in DFGT 4 (2007), 61 ff.; großzÅgig allerdings BVerfG v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, HFR 2011, 86. BVerfG v. 3.7.1962 – 3 BvR 15/62, BVerfGE 14, 174 (185); BVerfG v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83, BVerfGE 73, 206 (234); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (340); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89 u.a., BVerfGE 92 (112); BVerfG v. 9.12.2004 – 2 BvR 930/04, NJW 2005, 2142; BVerfG v. 19.3.2007 – 2 BvR 2273/06, NJW 2007, 1666; BVerfG v. 7.5.2008 – 2 BvR 2392/07. NJW 2008, 3206; BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627; BVerfG v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 (194); Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 19; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25.1; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 88 ff.; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 25; KÅhl in Lackner/ KÅhl28, § 1 StGB Rz. 5; Kuhlen in FS Otto, 99; vgl. auch aus der Sicht von Art. 49 GRCh, EuGH v. 8.7.2008 – Rs. T-99/04 – AC-Treuhand AG, EuGHE 2008, II-1501; Alber in Tettinger/Stern, Europische Grundrechte-Charta, 2006, Art. 49 GRCh Rz. 6. BGH v. 11.2.1955 – 2 StR 173/54, 175/54, BGHSt 7, 190; BGH v. 30.6.1956 – 1 StE 8/56, BGHSt 9, 310; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 19; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 31. BVerfG v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, BVerfGE 71, 108 (114.); BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329; BVerfG v. 20.10.1992 – 1 BvR 698/89, BVerfGE 87, 209 (224.); BVerfG v. 10.1.1995 – 1 BvR 718/89 u.a.; BVerfGE 92, 1 (12); BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135 (157); BVerfG v. 18.9.2006 – 2 BvR 2126/05, NJW 2007, 1193; BVerfG v. 1.9.2008 – 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627. So BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820. BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778; BGH v. 14.5.1996 – 1 StR 1/96, BGHSt 42, 158 (161 f.).
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A. Das NormengefÅge (berblick)
fassungskonforme und unionskonforme Auslegung.1 Das durch Art. 103 Abs. 2 GG und durch Art. 7 EMRK (vgl. hierzu Rz. 2.60) abgesicherte Analogieverbot gilt nicht nur fÅr die §§ 369 ff. AO selbst, sondern auch fÅr die blankettausfÅllenden Normen des materiellen und formellen Steuerrechts.2 Hierdurch ergeben sich erhebliche Anwendungsdivergenzen, weil ein Analogieverbot im Steuerrecht verfassungsrechtlich nicht abgesichert ist und tatschlich auch nicht praktiziert wird.3 Dementsprechend sind im Steuerrecht auch teleologische Reduktion und Extension zulssig, ohne dass es auf die fÅr das Strafrecht maßgebliche Wortlautschranke ankme.4 Aus Art. 103 Abs. 2 GG i.V.m. § 2 StGB ergibt sich das Verbot der RÅckwirkung von Strafbarkeit und Strafe zum Nachteil des Tters (RÅckwirkungsverbot)5. Kein Verstoß gegen das RÅckwirkungsverbot ist allerdings in den Fllen gegeben, in denen sich das Recht whrend der Tat gendert hat: § 2 Abs. 2 StGB stellt klar, dass das Recht anzuwenden ist, das bei Beendigung der Tat gilt, sodass es durchaus zu einer Verschlechterung der Rechtssituation fÅr den Tter kommen kann, falls Åberhaupt die Tat schon zu Beginn strafbar war.6 Eine Besonderheit enthlt § 2 Abs. 3 StGB, wonach fÅr den Fall, dass sich das Recht zwischen der Tat und der Entscheidung gendert hat, das jeweils mildeste Recht anzuwenden ist. Diese MeistbegÅnstigungsklausel7 gilt allerdings nicht fÅr sog. Zeitgesetze (§ 2 Abs. 4 StGB), zu denen nicht nur kalendermßig begrenzte, sondern auch solche Gesetze gehÇren, die erkennbar nur als vorÅbergehende Regelung fÅr sich ndernde wirtschaftliche oder sonstige zeitbedingte Verhltnisse gedacht sind8.
1 Schmitz in MK, § 1 StGB Rz. 80; Dannecker in LK, § 1 StGB Rz. 33; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 1 StGB Rz. 37; KÅhl in Lackner/KÅhl28, § 1 StGB Rz. 6; Kuhlen in FS Otto, 103. 2 Vgl. BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778 Rz. 58; BVerfG v. 6.5.1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 (342 ff.); BGH v. 17.12.1970 – KRB 1/70, BGHSt 24, 54 (61 f.). 3 Zu Einzelheiten Hey in T/L21, § 5 Rz. 74 ff. 4 Zu Einzelheiten DrÅen in T/K, § 4 AO Rz. 381 f. 5 Vgl. BVerfG v. 19.10.1977 – 2 BvR 689/76, BVerfGE 46, 188; BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/08, NJW 2008, 3769; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 2 StGB Rz. 1; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 29; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 96 f. 6 BGH v. 19.11.1993 – 2 StR 468/91, NStZ 1994, 123 (124); OLG Hamm v. 21.1.2009 – 3 SS 476/08, NVwZ-RR 2009, 701; OLG Karlsruhe v. 19.3.2001 – 2 Ws 193/00, NStZ 2001, 654; Eser/Hecker in SchÇnke/SchrÇder29, § 2 StGB, Rz. 13; KÅhl in Lackner/KÅhl28, § 2 StGB Rz. 2. 7 Hierzu BVerfG v. 18.9.2008 – 2 BvR 1817/08, NJW 2008, 3769; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1983, 407 ff.; Sommer, Das „mildeste Gesetz“ im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, 1979, 62. 8 BGH v. 2.11.1951 – 2 StR 212/51, NJW 1952, 72; BGH v. 9.3.1954 – 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30 (37); BGH v. 14.12.1994 – 5 StR 210/94, wistra 1995, 107; BGH v. 27.8.2010 – 1 StR 218/10, wistra 2011, 70; bei DurchfÅhrung des Unionsrechts
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2.8
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
2.9 Obwohl das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte RÅckwirkungsverbot sich nur auf das Strafrecht bezieht, gilt aufgrund des Rechtsstaatprinzips i.V.m. den betroffenen Grundrechten ein entsprechendes RÅckwirkungsverbot auch fÅr Steuergesetze.1 Im Hinblick darauf besteht ein weitgehender Gleichlauf, sodass fÅr die durch die §§ 369 ff. AO in Bezug genommenen blankettausfÅllenden Normen des Steuerrechts im Wesentlichen die gleichen Grundstze gelten. Das bedeutet, dass etwa rÅckwirkend in Kraft gesetzte steuerbegrÅndende oder steuerverschrfende Rechtsnormen nicht nachtrglich eine Strafbarkeit begrÅnden kÇnnen. FÅr die blankettausfÅllenden Normen des Steuerrechts hat die MeistbegÅnstigungsklausel des § 2 Abs. 3 StGB besondere Bedeutung.2 Hier gelten folgende Grundstze: Wird das Steuerrecht zugunsten des Tters rÅckwirkend, also auch fÅr frÅhere Veranlagungszeitrume gendert, gilt uneingeschrnkt das mildere Recht. Wird dagegen das Steuerrecht zugunsten des Tters nur ab einem bestimmten Veranlagungszeitraum gendert, sodass fÅr zurÅckliegende Veranlagungszeitrume das vorangegangene Recht gÅltig bleibt, gilt das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) nur ab dem Veranlagungszeitraum, zu dem es in Kraft getreten ist.3 Dementsprechend bleibt eine Steuerrechtsnorm, die seitens des BVerfG fÅr mit dem Grundgesetz unvereinbar erklrt worden ist, solange maßgeblich, wie sie (befristet) weiterhin anwendbar bleibt.4 Das bedeutet, dass insoweit auch eine verfassungswidrige Steuer hinterzogen werden kann.5 Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die betreffende Steuerrechtsnorm durch das BVerfG fÅr nichtig erklrt wird. Da ein hierauf begrÅndeter Steueranspruch nicht existent ist, kann eine Steuerhinterziehung nicht gegeben sein, sodass insoweit allenfalls ein
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verbleibt es allerdings im Anwendungsbereich von Art. 49 Abs. 1 Satz 3 GrCh bei der MeistbegÅnstigung; hierzu Gaede, wistra 2011, 365 ff. BVerfG v. 3.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748 u.a., BVerfGE 127, 61; BVerfG v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BStBl. II 2012, 932; BVerfG v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, FR 2014, 326; vgl. den berblick bei Hey in T/L21, § 3 Rz. 260 ff. Vgl. BGH v. 8.1.1965 – 2 StR 49/64, BGHSt 20, 177; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138; Satzger, Jura 2006, 746 ff. (751); RÅping, NStZ 1984, 451; vgl. auch BVerfG v. 22.8.1994 – 2 BvR 1884/93, NJW 1995, 315 f.; BGH v. 9.3.1954 – 3 StR 12/54, BGHSt 6, 30 ff.; BGH v. 14.12.1994 – 5 StR 210/94, BGHSt 40, 378 (381); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138 (143); Meyberg, PStR 2010, 278 ff. (280 f.). BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, wistra 1987, 139; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 27. BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 138; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 162/07, DStR 2008, 144; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 29b; Muhler in MÅllerGugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 44 Rz. 9. BGH v. 7.1.2001 – 5 StR 395/01, BStBl. II 2002, 259; BayObLG v. 11.3.2003, wistra 2003, 315; BFH v. 24.5.2000 – II R 25/99, BStBl. II 2000, 378; BFH v. 27.10.2000 – VIII B 77/00, BStBl. II 2001, 16; Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 29b; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 52 ff.; Lang, StuW 2003, 289 ff. (295); a.A. Seer in T/L21, § 23 Rz. 2; Tipke in FS Kohlmann, 2003, 555 ff. (574 ff.); Salditt in FS Tipke, 1995, 475 ff.
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A. Das NormengefÅge (berblick)
strafloses Wahndelikt vorliegt.1 Soweit blankettausfÅllende Normen des Steuerrechts gegen das mit Vorrang ausgestattete Unionsrecht (zur Normenhierarchie Rz. 2.27 ff.) verstoßen, sind sie zwar nicht unwirksam, sie dÅrfen aber dennoch im konkreten Fall nicht angewendet werden.2 Hieraus folgt, dass auch insoweit eine Steuerhinterziehung ausgeschlossen ist.3 Eine derartige Neutralisierungswirkung wird nicht nur in den Fllen ausgelÇst, in denen nationales Recht und unmittelbar anwendbares Unionsrecht miteinander unvereinbare Normbefehle enthalten, sondern auch dann, wenn etwa unionsrechtlich verbÅrgte Grundfreiheiten entgegenstehen.4 Einer Entscheidung des EuGH bedarf es hierfÅr nicht.5 Ist eine dementsprechende Entscheidung ergangen, wirkt sie grundstzlich zurÅck.6 Allerdings kann die Unanwendbarkeit des dem Unionsrecht widersprechenden nationalen Rechts dadurch begrenzt sein, dass die Entscheidung des EuGH selbst in ihrer zeitlichen RÅckwirkung eingeschrnkt wird.7
II. VÇlkerrechtliche Normen 1. EinfÅhrung Zu den VÇlkerrechtsnormen zhlen vÇlkerrechtliche Vertrge, das vÇlkerrechtliche Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundstze der KulturvÇlker.8
2.10
Die drei vorgenannten vÇlkerrechtlichen Rechtsquellen werden allgemein dem Statut des Internationalen Gerichtshofs9 entnommen. Das IGH-Statut10 enthlt als weitere Entscheidungsmaßstbe richterliche Entscheidungen des IGH und anerkannte Lehrmeinungen. Indessen handelt es
2.11
1 Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 29; Joecks, wistra 2006, 401 ff. 2 EuGH v. 17.12.1970 – Rs 11/70 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – Rs. 106/77 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; EuGH v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, EuGHE 1995, I-249; EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Langhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11 802; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; EuGH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; zu weiteren Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg/ Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.20. 3 Zu Fllen sog. echter Kollisionen Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 15 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 78 ff. 4 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 79. 5 MÅller-Gugenberger in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 5 Rz. 93; vgl. hier Rz. 2.44. 6 Zu Einzelheiten Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 24.9 ff.; Kokott/Henze in FS Spindler, 278 ff. (281 ff.). 7 Hierzu Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV5, Art. 267 AEUV Rz. 40; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 24.9 ff.; Henze/Kokott, NJW 2006, 177 ff. 8 Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 149; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.4. 9 BGBl. II 1973, 505; zum IGH Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 948 ff., Heintschel von Heinegg in Ipsen, VÇlkerrecht6, Einl. Kap 3 Rz. 1 ff. 10 Art. 38 Abs. 12 IGH-Statut.
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
sich hierbei nicht um Rechtsnormen, sondern lediglich um Rechtserkenntnisquellen, also um Hilfsmittel zur Feststellung bereits existierender VÇlkerrechtsnormen.1 2. VÇlkerrechtliche Vertrge
2.12 VÇlkerrechtliche Vertrge – Willenseinigungen zwischen VÇlkerrechtssubjekten, deren Gegenstand die BegrÅndung oder nderung vÇlkerrechtlicher Rechte und Pflichten ist2 – kÇnnen entweder zwischen zwei (bilaterale Vertrge) oder mehreren VÇlkerrechtssubjekten (multilaterale Vertrge) geschlossen werden.
2.13 Deutschland hat ein enges Netz von bilateralen VÇlkerrechtsvertrgen abgeschlossen, um so die grenzÅberschreitende UnterstÅtzung in Strafrechtsangelegenheiten sicherzustellen. Im Wesentlichen geht es hier um die grenzÅberschreitende Vollstreckungshilfe sowie um die Auslieferung bzw. Durchlieferungshilfe. Einzelne Abkommen schließen allerdings die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen generell aus oder sehen einen Ablehnungsvorbehalt fÅr Fiskaldelikte vor.3 Daneben bestehen bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)4 und Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustausches (InfAust),5 die durchweg auch fÅr Steuerstrafsachen gelten.
2.14 Von den multilateralen VÇlkerrechtsvertrgen mit strafrechtlichem Inhalt haben neben dem IStGH-Statut6 (s. Rz. 2.51) und der EMRK insbesondere die Abkommen eine Bedeutung, die unter dem Dach des Europarats geschlossen worden sind. Die EMRK7 statuiert verschiedene strafrechtlich relevante Gewhrleistungen, die allerdings in Deutschland bereits weitgehend sowohl durch Verfassungsrecht als auch durch materielles und formelles Strafrecht abgesichert sind.8 Zu den unter dem Dach des Europarats abgeschlossenen Abkommen mit materiell-strafrechtlicher Ausrichtung9 zhlt insbesondere auch das bereinkommen Åber Geldwsche10. Schließlich sind auch zahlreiche verfahrensrechtliche Abkom1 Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 78. 2 Zum Begriff Herdegen, VÇlkerrecht13, § 15 Rz. 1 ff. 3 Vgl. etwa Art. 2 EuRhbk; Fiskalvorbehalt aber aufgegeben durch ZP-EURhbk v. 16.10.2001, BGBl. II 2005, 661. 4 Vgl. die bersicht in Nr. 1 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 5 Vgl. die bersicht in Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 6 IStGH-Statut v. 17.7.1998, BGBl. II 2000, 1393. 7 Gesetz v. 7.8.1952, BGBl. II 685. 8 Zu Einzelheiten im berblick Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 10 ff. 9 Vgl. hierzu die bersicht bei Ambos, Internationales Strafrecht4, § 11 Rz. 2. 10 In Deutschland in Kraft getreten am 1.1.1999, BGBl. II 1998, 519; BGBl. II 1999, 200.
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A. Das NormengefÅge (berblick)
men im Zusammenhang mit Auslieferung und Vollstreckung von Bedeutung. Hierzu zhlen etwa das europische AuslieferungsÅbereinkommen (EUAlbk-Gesetz vom 13.12.1957 und Zusatzprotokoll vom 17.3.1978.1), das Europische Rechtshilfeabkommen vom 20.4.1959 mit Zusatzprotokoll vom 17.3.19782 sowie einige Rechtshilfeabkommen,3 die allerdings nunmehr weitgehend durch die Richtlinie Åber die Europische Ermittlungsanordnung (RL EEA) ersetzt werden (s. Rz. 9.185 ff.). Die Rechtshilfeabkommen, die im Wesentlichen eine Reihe von formellen Erleichterungen fÅr Rechtshilfeersuchen beinhalten, werden innerhalb der EU weitgehend Åberlagert vom Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen (SD)4. Eine Besonderheit stellt schließlich das Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen der EU mit den USA dar5. Dieser von der EU abgeschlossene vÇlkerrechtliche Vertrag ergnzt die zwischen den Mitgliedstaaten und den USA abgeschlossenen bilateralen Rechtshilfeabkommen6. Zu den bilateralen VÇlkerrechtsvertrgen mit steuerrechtlichem und steuerstrafrechtlichem7 Inhalt gehÇren insbesondere die DBA sowie Vertrge mit verschiedenen BÅndnispartnern und sonstige zwischenstaatliche Vereinbarungen.8 Hierzu gehÇren z.B. das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA Åber die von der Bundesrepublik Deutschland zu gewhrenden AbgabenvergÅnstigungen fÅr die von den USA im Interesse der gemeinsamen Verteidigung geleisteten Ausgaben vom 15.10.1954, ratifiziert durch das Offshore-Steuergesetz vom 18.8.1955,9 sowie das NATO-Truppenstatut vom 19.6.1951 und das Zusatzabkommen hierzu vom 3.8.1959.10 Von Bedeutung sind schließlich einige Informationsaustauschabkommen, die auch Steuerstrafsachen betreffen11.
2.15
Zu den multilateralen VÇlkerrechtsvertrgen mit steuerrechtlichem Inhalt zhlen das Wiener bereinkommen vom 18.4.1961 Åber die diploma-
2.16
1 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778, BGBl. II 1982, 995; BGBl. II 1994, 299; BGBl. II 1991, 874. 2 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1799, BGB. II 1991, 909. 3 EG-Vollstrbk, BGBl. II 1997, 1351; Eu-Rhbk, BGBl. II 2005, 650. 4 BGBl. II 1993, 1013; hierzu im berblick Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 20 ff. 5 ABl. EU Nr. L 181 v. 19.7.2003, 25. 6 Zu den Problemen dieses Abkommens Spinellis in FS Eser, 2005, 873. 7 Soweit es um grenzÅberschreitende AuskÅnfte geht (Art. 26 OECD-MA, MAInfAust). 8 Hierzu der berblick BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 9 BGBl. II 1955, 821, zuletzt gendert durch Gesetz v. 24.6.1976, BGBl. I 1975, 1509; DVO v. 23.3.1964, BGBl. I 1964, 224. 10 BGBl. II 1961, 1218. 11 Zum Stand der Abkommen Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171.
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
tischen Beziehungen (WD),1 welches am 11.12.1964 fÅr die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist,2 ferner das Wiener bereinkommen vom 24.4.1963 Åber konsularische Beziehungen (WK),3 das fÅr die Bundesrepublik Deutschland seit dem 7.10.1971 gilt,4 sowie die auf der Grundlage des Art. 293 EG a.F. ergangene sog. Schiedsverfahrenskonvention.5 3. VÇlkergewohnheitsrecht
2.17 VÇlkergewohnheitsrecht ist eine allgemeine stndige bung der Staaten, die von der berzeugung der beteiligten Staaten getragen ist, dass eine Rechtspflicht zu deren Befolgen besteht.6 Unter das VÇlkergewohnheitsrecht fallen insbesondere die allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts, die gem. Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind, den Åbrigen Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar fÅr die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen.
2.18 Art. 25 GG lsst offen, aus welcher vÇlkerrechtlichen Rechtsquelle die allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts gespeist werden. Der Wortlaut der Bestimmung, der insoweit keine Einschrnkung enthlt, deutet darauf hin, dass sowohl Gewohnheitsrecht, Vertragsrecht als auch allgemeine Rechtsgrundstze zu diesen Rechtsquellen gehÇren. Indessen ergibt sich aus dem Verhltnis von Art. 25 GG einerseits zu Art. 59 Abs. 2 GG andererseits, dass vÇlkerrechtliche Vertrge als Rechtsquellen fÅr die allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts ausscheiden. FÅr die Einbeziehung von VÇlkervertragsrecht enthlt nmlich Art. 59 Abs. 2 GG eine dem Art. 25 GG vorgehende Sonderregelung dahin gehend, dass vÇlkerrechtliche Vertrge grundstzlich durch die entsprechenden Vertragsgesetze zu innerstaatlichem Recht werden und damit lediglich Gesetzesrang haben.7 Im Hin-
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BGBl. II 1964, 957. BGBl. II 1965, 147. BGBl. II 1969, 1585. BGBl. II 1971, 1285; zu weiteren Einzelheiten zum WD und WK DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 11; Engelschalk in V/L5, Art. 28 OECD-MA Rz. 5 ff. 5 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10; nderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG Nr. C 202 v. 16.7.1999, 1; Ergnzung ABl. EU Nr. C 160 v. 30.6.2005, 11. 6 Vgl. Art. 38 Abs. 16 IGH-Statut; Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 122 ff.; Heintschel von Heinegg in Ipsen, VÇlkerrecht6, § 17 Rz. 2 ff.; Herdegen, VÇlkerrecht13, § 16 Rz. 1 ff.; Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 154 ff.; zu den wichtigsten Theorien, die zum Entstehen und zur rechtlichen Geltung von VÇlkergewohnheitsrecht vertreten werden Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht3, 346 ff.; Verdross, ZaÇRV 29 (1969), 635 ff. 7 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/DÅrig, Art. 25 GG Rz. 20; Jarass in Jarass/Pieroth13, Art. 59 GG Rz. 19; Streinz in Sachs7, Art. 59 GG Rz. 63; DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 5; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 168 f.
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A. Das NormengefÅge (berblick)
blick darauf hat etwa die EMRK im Unterschied zur Rechtslage in anderen Staaten1 nur einfachgesetzlichen Rang.2 Zum strafrechtlichen VÇlkergewohnheitsrecht werden im internationalen Kontext die Inhalte des Tokioter Militrgerichtshofs sowie der Adhoc-GerichtshÇfe ICTY bzw. ICTR3 gezhlt. DarÅber hinaus haben die Haager Landkriegsordnung von 1907, die Genfer Abkommen von 1949 sowie die VÇlkermordkonvention vÇlkergewohnheitsrechtliche Geltung.4 Soweit die vÇlkergewohnheitsrechtlichen Grundstze, zu denen etwa auch das Gesetzlichkeitsprinzip (hierzu s. Rz. 2.62) gehÇrt, nicht ohnehin bereits normativ (schriftlich) im nationalen Recht verankert sind, bleibt den entsprechenden Rechtsgrundstzen die verbindliche Wirkung versagt, wenn sie strafbegrÅndend oder strafschrfend wirken.5
2.19
Als steuerrechtliches VÇlkergewohnheitsrecht6 hat sich das Verbot fÅr jeden Staat herausgebildet, die Steuerpflicht aufgrund seiner Steuergesetze ohne jegliche rumliche oder persÇnliche Schranke auszudehnen.7 Hiernach dÅrfen also nur solche Sachverhalte der einseitigen steuerrechtlichen Regelung eines Staates unterworfen werden, die eine tatschliche AnknÅpfung (genuine link) zum regelnden Staat aufweisen.8
2.20
4. Allgemeine Rechtsgrundstze Unter den allgemeinen Rechtsgrundstzen der KulturvÇlker versteht man die Åbereinstimmenden Grundstze, die sich aus dem innerstaatlichen Recht der Staaten entnehmen und auf internationale Sachverhalte Åbertragen lassen.9 FÅr das Internationale Steuerstrafrecht sind jene allgemeinen Rechtsgrundstze von Bedeutung, die rechtslogische Regeln beinhal1 sterreich, Schweiz, Frankreich, Spanien; vgl. die Nachweise bei Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 2. 2 Vgl. zu den damit verbundenen Problemen Gerards, Die Europische Menschenrechtskonvention im Konstitutionalisierungsprozess einer gemeinsamen Grundrechtsartung, 2007, 132 ff.; vgl. Rz. 2.60. 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 15 Rz. 4; Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 171. 4 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 15 Rz. 5; Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 176. 5 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 17 Rz. 12. 6 Hierzu Croxatto, StuW 1964, 879 ff. 7 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.13. 8 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (369); BVerfG v. 14.5.1968 – 2 BvR 544/63, BVerfGE 23, 288 (309 f.); BFH v. 26.4.1963 – III 237/58 U, BStBl. III 1963, 413; BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht3, 781 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.13. 9 Vgl. Art. 38 Abs. 1 C IGH-Statut; Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht3, 383; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 89; Heintschel von Heinegg in Ipsen, VÇlkerrecht6, § 17 Rz. 1 ff.; die Abgrenzung zum VÇlkergewohnheitsrecht ist nicht eindeutig; hierzu Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 163.
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2.21
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
ten. Hierzu gehÇren die Stze „lex posterior derogat legi priori“, „lex specialis derogat legi generali“ sowie einige allgemeine Grundstze materieller Natur, wie das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie der Grundsatz von Treu und Glauben.1
III. Supranationale Normen (Unionsrecht) 2.22 Supranationale Normen sind Rechtsnormen, die von zwischenstaatlichen Organisationen erlassen werden und die zu ihrer Wirksamkeit keiner Transformation in innerstaatliches Recht bedÅrfen; Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gilt insoweit nicht2. Derartige supranationale Normen beinhaltet das europische Unionsrecht (Europarecht), das sich aus den sog. Integrationsvertrgen3 ableitet. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das primre Unionsrecht (EUV/AEUV), dessen Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind, soweit sie unbedingt sind und aufgrund ihrer inhaltlichen Bestimmtheit keiner weiteren Umsetzung bedÅrfen4. Das sekundre Unionsrecht wird auf der Grundlage von Primrrecht gesetzt5, z.B. durch Verordnungen und Richtlinien. Whrend die Verordnungen sich an jedermann richten und im gesamten Unionsbereich unmittelbar geltendes Recht darstellen (Art. 288 Abs. 2 AEUV), sind Adressaten der Richtlinien lediglich die Mitgliedstaaten. Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist jede Richtlinie fÅr den Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, Åberlsst jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Eine EU-Verordnung muss nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, sodass sie insoweit unmittelbare Rechtsnormqualitt hat.6 Sie ist unmittelbar verbindlich sowohl fÅr Personen des Privatrechtes als auch fÅr alle staatlichen Stellen.7 EU-Richtlinien sind demgegenÅber grundstzlich kein fÅr den UnionsbÅrger unmittelbar wirkendes Recht. Etwas anderes gilt nur, wenn eine EURichtlinie von einem Mitgliedstaat nicht, nicht fristgemß oder nicht ord1 Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 163; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 89. 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 31.15 ff. 3 UrsprÅnglich EG-Vertrag; Åberarbeitet durch den am 7.2.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrag Åber die Europische Union (EU-Vertrag); Zustimmungsgesetz v. 28.12.1992, BGBl. II 1992, 1251; durch den Vertrag von Amsterdam v. 2.10.1997; Zustimmungsgesetz BGBl. II 1998, 387; durch den Vertrag von Nizza v. 26.2.2001, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2001, 1667; und durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007, Zustimmungsgesetz BGBl. II 2008, 1038. 4 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – Rs. 26/62 – van Gend & Loos, EuGHE 1963, 1 ff. (24 ff.) 5 Hierzu Schroeder in Streinz2, Art. 288 AEUV Rz. 23; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 64. 6 Schroeder in Streinz2, Art. 288 AEUV Rz. 52; Hobe, Europarecht7, § 10 Rz. 24; Herdegen, Europarecht16, § 8 Rz. 35; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 75. 7 Schroeder in Streinz2, Art. 288 AEUV Rz. 57; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 78 ff.
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A. Das NormengefÅge (berblick)
nungsgemß in nationales Recht umgesetzt worden ist: Sie erzeugt – soweit sie hinreichend bestimmt und unbedingt ist – fÅr den BÅrger unmittelbar geltendes Recht mit der Folge, dass sich dieser gegenÅber dem Mitgliedstaat, der die Richtlinie nicht fristgemß oder ordnungsgemß umgesetzt hat, unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall auf die Richtlinienregelung zu seinen Gunsten berufen kann.1 EU-Verordnungen haben als unmittelbar geltendes Recht im Strafrecht nur eine eingeschrnkte Bedeutung, weil es einstweilen noch kein europisches Kriminalstrafrecht gibt2. Allerdings enthlt Art. 103 Abs. 2 Buchst. a AEUV eine unionsrechtliche Rechtsetzungskompetenz fÅr die Verhngung von Geldbußen auf der Grundlage von EU-Verordnungen3. Schließlich werden auch die Aufgaben von OLAF4 durch auf Art. 280 Abs. 4 EG a.F. beruhende EU-Verordnungen5 festgelegt (zu Einzelheiten Rz. 9.51). EU-Verordnungen haben demgegenÅber besondere Bedeutung im Zollrecht6. Im Bereich des Steuerrechts spielen sie eine nur geringe Rolle7. Auf der Grundlage der Artt. 82 ff. AEUV kann die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) durch EU-Richtlinien geregelt werden. Derartige EU-Richtlinien haben bislang aber noch keine Bedeutung erlangt, weil die noch nach altem Recht erlassenen Rahmen1 EuGH v. 5.2.1981 – Rs. 154/80 – Genossenschaft, EuGHE 1981, I-445; EuGH v. 2.2.1984, Rs 70/83 – Kloppenburg, EuGHE 1984, I-1075; EuGH v. 26.2.1986 – Rs. C-152/84 – Marshall, EuGHE 1986, I-723; EuGH v. 27.6.1989 – Rs. C-50/88 – KÅhne, EuGHE 1989, I-1925; EuGH v. 25.5.1993 – Rs. C-193/91 – Mohsche, EuGHE 1993, I-2615. 2 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 7 Rz. 2; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 4 Rz. 58; vgl. Rz. 2.56. 3 Vgl. etwa Art. 23 Abs. 1 Kartellverordnung (VO [EG] Nr. 1/2003, ABl. EG 2003 Nr. L 1, 1; hierzu Wahl in S/S/vHH2, Europisches Strafrecht, § 7 Rz. 1 ff. 4 Office de la Lutte Anti-Fraude (Europisches Amt fÅr Betrugsbekmpfung). 5 VO (EG) Nr. 1073/1999 des Europischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1; VO (EG) Nr. 1074/1999 (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 Nr. 136, 8. 6 Z.B. der gemeinsame Zolltarif, Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates v. 23.7.1987, ABl. EG 1987 Nr. L 256, 1; sowie Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 v. 19.10.1992; Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 253 v. 11.10.1993; zum Zollkodex im berblick Hohrmann in H/H/Sp, Einf. ZK Rz. 19 ff.; Witte, Zollkodex6; Vor Art. 1 Rz. 1 ff.; Lux/Sack in Dauses, Hdb. des EU-Wirtschaftsrechts, C II Rz. 54 ff.; zum Modernisierten Zollkodex (MKZ) Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008 zur Festlegung des Zollkodex, ABl. EU 2008 Nr. L 145, 1 und zum Vorschlag fÅr einen Unionszollkodex (UZK), VO Nr. 962/2013 des Europischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1; hierzu Lux, ZfZ 2014, 178 ff., 243 ff. 7 Vgl. MWSt-ZusammenarbeitsVO (VO [EU] Nr. 904/2010 v. 7.10.2010 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden und die Betrugsbekmpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU Nr. L 268 v. 12.10.2010, 1.
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2.23
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
beschlÅsse1 betreffend PJZS unverndert fortgelten2. Aufgrund verschiedener EU-Richtlinien sind schließlich zahlreiche Vorschriften des Steuerrechts harmonisiert worden. Dies gilt insbesondere fÅr das Umsatzsteuerrecht,3 Verbrauchsteuerrecht,4 Bilanzrecht5 und das Recht der Unternehmensbesteuerung.6
2.24 Neben den EU-Verordnungen und EU-Richtlinien zhlen auch noch BeschlÅsse, Empfehlungen und Stellungnahmen zum sekundren Unionsrecht.7 Whrend BeschlÅsse durchweg rechtsverbindliche Einzelfallregelungen sind,8 erzeugen Empfehlungen und Stellungnahmen keine verbindliche Wirkung.9 Im Steuerrecht haben Empfehlungen nur geringe Bedeutung erlangt. Entscheidungen steuerrechtlichen Inhalts sind ebenfalls bisher nur vereinzelt ergangen.10 Schließlich gehÇren auch vÇlkerrechtliche Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten zu den zum sekun1 Vgl. die Aufzhlung bei Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33. 2 Art. 9 f. des Protokolls (Nr. 36) Åber die bergangsbestimmungen, ABl. EU Nr. L 83 v. 30.3.2010, 322. 3 Z.B. Richtlinie v. 28.11.2006 Åber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MWStSystRL), ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1. 4 Richtlinie 2008/118/EG Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem (VerbrauchStSystRL), ABl. EU 2008 Nr. L 112/21. 5 4. Richtlinie des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3g des Vertrages Åber den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. EG 1978 Nr. L 222, 1; EU-Modernisierungsrichtlinie v. 18.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 178, 16; hierzu BÇcking/Wiederhold, Der Konzern 2003, 394 ff. 6 Z.B. Richtlinie 2009/133/EG Åber das gemeinsame Steuersystem fÅr Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie fÅr die Verlegung des Sitzes einer Europischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34, gendert durch RL 2013/13 EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30 (Fusionsrichtlinie); sowie Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 Åber das gemeinsame System der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8 (Mutter-TochterRichtlinie) sowie Richtlinie des Rates v. 3.6.2003 Åber eine gemeinsame Steuerregelung fÅr Zahlungen von Zinsen und LizenzgebÅhren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten 2003/49/EG, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49, gendert durch Richtlinie 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 129 (Zins-/Lizenzrichtlinie). 7 Hierzu die bersicht bei Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 288 AEUV Rz. 15; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 113 ff. 8 Art. 288 Abs. 4 AEUV; hierzu Mager, EuR 2001, 661 ff. 9 Hierzu Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 200 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 127. 10 Z.B. die Entscheidung des Rates 90/640/EWG v. 3.12.1990, ABl. EG Nr. L 349 v. 13.12.1990, 19, aufgrund deren Deutschland ermchtigt wurde, abweichend von der 6. EG-Richtlinie fÅr Umstze an die sowjetischen Truppen bis zu deren Abzug Steuerbefreiungen auszusprechen (UR 1991, 41).
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A. Das NormengefÅge (berblick)
dren Unionsrecht zhlenden unionsrechtlichen Rechtsquellen.1 Als multilaterale Abkommen werden sie erst durch Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten verbindlich. Im Steuerrecht haben sie bisher kaum Bedeutung erlangt.2 Neben primrem und sekundrem Unionsrecht als Hauptquellen des Unionsrechts ist das sog. Tertirrecht von Bedeutung, das aufgrund sekundrrechtlicher bertragung von Gesetzgebungsbefugnissen von Kommission und Rat erlassen wird (Art. 290 AEUV). Hierzu zhlt auch die eingerumte Ermchtigung an die Kommission, „nicht wesentliche“ Vorschriften des Sekundrrechts zu ergnzen oder zu ndern sowie DurchfÅhrungsbestimmungen zum Sekundrrecht zu erlassen (Art. 291 Abs. 2 AEUV).3 DarÅber hinaus haben als Neben- oder Komplementrquellen Åber die bereits erwhnten Rechtsquellen hinaus noch Bedeutung: Entschließungen, Erklrungen, Kommuniqus und Mitteilungen.4
2.25
Der dem vorgenannten sekundren Unionsrecht als primres Unionsrecht zugrunde liegende AEUV erzeugt partiell ebenfalls unmittelbar geltendes Recht, soweit dessen Bestimmungen self-executing sind.5 Zu den Bestimmungen, die dem UnionsbÅrger subjektive Rechte verleihen, gehÇren im Steuerrecht insbesondere die die Grundfreiheiten – Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV), ArbeitnehmerfreizÅgigkeit (Art. 45 ff. AEUV), Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV), Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) – regelnden Normen des AEUV. Zum primren Unionsrecht zhlen neben dem AEUV selbst z.B. auch der EURATOM-Vertrag, die entsprechenden Beitrittsvertrge, nderungen und Ergnzungen der Vertrge, das Unionsgewohnheitsrecht, die Charta der Grundrechte der EU (GRCh)6 sowie die geschriebenen und ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundstze der Union.7
2.26
1 Hierzu gehÇrt auch das SD; vgl. BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; Thym in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 77 AEUV Rz. 15. 2 Vgl. allerdings die sog. Schiedsverfahrenskonvention (90/436/EWG, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10; nderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG Nr. C 202 v. 16.7.1999, 1; Ergnzung ABl. EU Nr. C 160 v. 30.6.2005, 11); s. hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.74 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 16.1 ff. 3 Hierzu im berblick Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 31; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 19; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 3.15 ff. 4 Hierzu Ruffert in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 288 AEUV Rz. 95 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 145 ff. 5 Grundlegend EuGH v. 5.2.1963 – Rs. 26/62 – van Gend & Loos, EuGHE 1963, 1 ff. (24 ff.); Herdegen, Europarecht16, § 8 Rz. 13. 6 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 6 EUV Rz. 12. 7 Solche sind: Grundsatz der Verhltnismßigkeit, Grundsatz der Gesetzmßigkeit der Verwaltung, Grundsatz des Verwaltungsschutzes, Grundsatz der
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
B. Zur Normenhierarchie I. berblick 2.27 Das NormengefÅge des Internationalen Steuerstrafrechts stellt sich als eine gegliederte Rechtsordnung dar, innerhalb deren eine Normenhierarchie besteht, die den einzelnen Rechtsnormen eine bestimmte Rangstufung zuweist.1 Die Rangstufung der Rechtsnormen ist notwendig, weil nur so eine gesicherte Rechtsanwendung mÇglich ist. Eine Normenhierarchie ist nur zwischen vÇlkerrechtlichen und innerstaatlichen sowie innerhalb innerstaatlicher Normen feststellbar. Eine Normenhierarchie innerhalb vÇlkerrechtlicher Normen gibt es aus der Sicht des VÇlkerrechts im Grundsatz nicht, sodass VÇlkergewohnheitsrecht, vÇlkerrechtliche Vertrge und allgemeine Rechtsgrundstze prinzipiell gleichrangig nebeneinanderstehen.2
2.28 Auf der Ebene der vorgenannten vÇlkerrechtlichen Normen werden Konflikte allerdings durch die allgemeinen Konflikt vermeidenden Rechtsanwendungsregeln gelÇst. So geht stets der besondere Rechtssatz dem allgemeinen (lex specialis derogat legi generali) und der sptere Rechtssatz dem frÅheren vor (lex posterior derogat legi priori). FÅr die vÇlkerrechtliche Praxis hat das die bedeutsame Folge, dass ein vÇlkerrechtlicher Vertrag regelmßig vÇlkerrechtliches Gewohnheitsrecht als spezielleres Recht verdrngt.3 Das gilt insbesondere dann, wenn ein vÇlkerrechtlicher Vertrag ausdrÅcklich oder inzidenter bestehendes vÇlkerrechtliches Gewohnheitsrecht kodifiziert.4
II. Rang der allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts 2.29 Nach Art. 25 Satz 2 GG gehen „allgemeine Regeln des VÇlkerrechts“, zu denen VÇlkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundstze zhlen,5
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Rechtssicherheit, Grundsatz des Verbots von RÅckwirkungen belastender Rechtsakte, Grundsatz des rechtlichen GehÇrs; vgl. hierzu die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 31 ff. Vgl. zu Folgendem Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.21 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.1 ff. Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht3, 413 f.; Heintschel von Heinegg in Ipsen, VÇlkerrecht6, § 20 Rz. 1; da die allgemeinen Rechtsgrundstze zumeist wenig konkret sind, kommen sie insoweit nur subsidir und zur LÅckenausfÅllung vÇlkerrechtlicher Vertrge zur Anwendung; hierzu Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 165 f.; Herdegen, VÇlkerrecht13, § 17 Rz. 5. Zu Einzelheiten Heintschel von Heinegg in Ipsen, VÇlkerrecht6, § 20 Rz. 2 ff.; Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 153 f., 159. So etwa durch das IStGH-Statut; Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 153, 167. Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 195 ff.; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 159 f.
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B. Zur Normenhierarchie
den „Gesetzen“ vor. Diese Bestimmung verankert den Vorrang der allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts vor Bundesgesetzen oder Landesgesetzen. Im Falle der Kollision ist daher Bundes- und Landesrecht unanwendbar.1 Die allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts sind aber nicht mit berverfassungsrang ausgestattet. Dies ergibt sich aus Art. 79 Abs. 3 GG, in dem Art. 25 GG nicht unter jenen Artikeln aufgefÅhrt ist, die durch das Grundgesetz nicht gendert werden dÅrfen. Schließlich sieht Art. 100 Abs. 2 GG keine Kontrolle des Verfassungsrechts anhand allgemeiner Regeln des VÇlkerrechts vor. Allgemeine Regeln des VÇlkerrechts kÇnnen daher nach Art. 25 GG nur insoweit Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung sein, als sie nicht dem Verfassungsrecht widersprechen. Das Verfassungsrecht hat somit gegenÅber den allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts den Vorrang.2 Die allgemeinen vÇlkerrechtlichen Regeln sind daher im Rang zwischen den formellen Gesetzen und dem Grundgesetz angesiedelt.3
III. Rang vÇlkerrechtlicher Vertrge VÇlkerrechtliche Vertrge stehen, da Art. 25 GG nicht gilt, durch Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG im Rang von Bundesgesetzen.4 Das gilt fÅr vÇlkerrechtliche Vertrge auf dem Gebiet des Strafrechts und des Steuerrechts gleichermaßen, und zwar auch dann, wenn sie allgemein geltende Rechtsgrundstze enthalten. So hat z.B. die EMRK durch einfachgesetzliche Transformation5 lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes6, obwohl Art. 6 Abs. 3 EUV die in der EMRK verankerten Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundstze des Unionsrechts qualifiziert.7 Insoweit handelt es sich nmlich lediglich um eine unionsrechtliche Rechtserkenntisquelle und nicht etwa um eine Rechtsquelle mit der Fol-
1 Streinz in Sachs7, Art. 25 GG Rz. 93. 2 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 7.4.1965 – 2 BvR 227/64, BVerfGE 18, 441 (448); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318); BFH v. 18.12.1963 – I 230/61 S, BStBl. III 1964, 253; BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Herdegen in Maunz/DÅrig, Art. 25 GG Rz. 7, 42 f. 3 Herdegen in Maunz/DÅrig, Art. 25 GG Rz. 42; Streinz in Sachs7, Art. 25 GG Rz. 88; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 159 f.; Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 201. 4 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129; BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781; Herdegen in Maunz/DÅrig, Art. 25 GG Rz. 20; Streinz in Sachs7, Art. 59 GG, Rz. 63; DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 5. 5 Gesetz v. 7.8.1952, BGBl. II 1952, 685, 953; BGBl. II 1954, 14. 6 BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, BVerfGE 82, 106 (120); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307, BVerfG v. 25.9.2009 – 2 BvR 1113/06, HFR 2010, 69; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 2; Safferling, Internationales Strafrecht, § 13 Rz. 22. 7 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 16.
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2.30
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
ge, dass sie in der Normenhierarchie nicht in das mit Vorrang ausgestattete Unionsrecht aufsteigt.1 Das Grundgesetz geht in seiner prinzipiellen, insbesondere sich aus Art. 25 GG ergebenden VÇlkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit, die Einhaltung bestehender vÇlkerrechtlicher Vertrge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern.2 Es Åberlsst vielmehr die ErfÅllung der bestehenden vÇlkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des Gesetzgebers. Solange also nicht vÇlkerrechtliche Vertrge durch Zustimmungsgesetz Bestandteile der innerstaatlichen Rechtsordnung geworden sind (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG), stellen sie keine Rechtsnormen dar. Insbesondere fÅhrt auch der vÇlkerrechtlich anerkannte Grundsatz „pacta sunt servanda“ nicht dazu, dass ein vÇlkerrechtlicher Vertrag, dem nicht durch ein fÇrmliches Gesetz gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt wurde, als in innerstaatliches Recht ÅberfÅhrt gilt.3
2.31 Im Hinblick darauf ist etwa § 2 Abs. 1 AO, der den Vorrang vÇlkerrechtlicher Vereinbarungen, insbesondere von DBA, vor Steuergesetzen normiert, weitgehend leerlufig. § 2 Abs. 1 AO kann als einfaches Bundesgesetz die Rangregel des Art. 59 Abs. 2 GG nicht suspendieren. Die Regelung des § 2 Abs. 1 AO htte – um konstitutive Wirkung entfalten zu kÇnnen – mit qualifizierter Mehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG) in das Grundgesetz zu Art. 25 GG eingefÅhrt werden mÅssen.4 § 2 Abs. 1 AO hat daher allenfalls deklaratorische Bedeutung.5 Indessen beruht diese nicht darauf, dass vÇlkerrechtliche Vertrge eingehalten werden mÅssen. Zwar ist der Satz „pacta sunt servanda“ eine grundlegende Bestimmung des VÇlkergewohnheitsrechts und zugleich eine allgemeine Regel des VÇlkerrechts,6 hierdurch werden die Normen der vÇlkerrechtlichen Vertrge selbst aber noch nicht in allgemeine Regeln des VÇlkerrechts mit Vorrang vor dem anderen innerstaatlichen Recht umgewandelt.7 Die deklaratorische Be1 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 6 EUV Rz. 7; Geiger in Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV5, Art. 6 EUV Rz. 26; Jarass, GRCh2, Einl. Rz. 30, 40; Art. 52 GRCh Rz. 64; zur Rechtsquelle wird die EMRK erst durch den gem. Art. 6 Abs. 2 EUV vorgesehenen Beitritt der EU; vgl. hierzu Kerkmann-Wittzack, DV 2005, 152 ff. (153). 2 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362 f.); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.). 3 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Birk in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 161; Seer, IStR 1997, 481 (483). 4 DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 1; Seer, IStR 1997, 481 (484); zur Rechtslage im Ausland Vogel in V/L5, Einl. Rz. 52, 204 ff. 5 Kritisch unter dem Gesichtspunkt der Normenwahrheit DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 1. 6 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (178); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; vgl. auch Art. 26 WRV. 7 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (177 f.); BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; Birk in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 161.
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B. Zur Normenhierarchie
deutung des § 2 AO lsst sich lediglich unter dem Gesichtspunkt einer vÇlkerrechtsfreundlichen Auslegungsregel feststellen. Aus Art. 25 GG ergibt sich nmlich die grundstzliche VÇlkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes1 mit der Folge, dass eine sptere allgemeine steuergesetzliche Norm der frÅheren spezielleren vÇlkerrechtlichen Vertragsnorm nicht vorgeht (lex generalis posterior non derogat legi speciali priori). Sptere speziellere Regelungen gehen jedoch der vÇlkerrechtlichen Vertragsnorm vor, soweit ein gesetzgeberischer Wille zur Abkommensverdrngung feststellbar ist.2 Gegen vÇlkerrechtliche Vertrge verstoßende Rechtsnormen sind daher nicht ohne Weiteres verfassungswidrig oder gar nichtig.3 Solche Eingriffe des nationalen Gesetzgebers in geltende vÇlkerrechtliche Vertrge,4 etwa DBA, stellen vÇlkerrechtswidrige Vertragsverletzungen dar,5 die gem. Art. 60 WRV zu einer KÅndigung durch den anderen Vertragspartner fÅhren kÇnnen.6 Eine Verletzung des AEUV ist indessen nicht gegeben.7 Ein derartiges treaty overriding ist in der internationalen Vertragspraxis von DBA nicht selten anzutreffen. Es wird zunehmend auch durch den deutschen Gesetzgeber insofern betrieben, als in einzelne Normen von DBA offen oder verdeckt eingegriffen wird. Derartige offene oder ver-
1 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (17); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (317). 2 BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129; BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781; BFH v. 21.5.1997 – I R 79/96, BStBl. II 1998, 113; Pahlke/Koenig2, § 2 AO Rz. 20; DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 1; Weber-Fas, Staatsvertrge im Internationalen Steuerrecht, 76; Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europischem Gemeinschaftsrecht, 63 ff.; Seer, IStR 1997, 481 (482 ff.); Wassermeyer in DStJG 19 (1996), 151 (152 ff.); die Benennung des jeweils außer Kraft gesetzten DBA i.S. eines Zitiergebotes verlangt Leisner, RIW 1993, 1013 (1019). 3 DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 5a; Birk in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 3b; a.A. BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056 (Vorlagebeschluss); BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, DStR 2014, 306 (Vorlagebeschluss); BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13, DB 2014, 2439 (Vorlagebeschluss); Vogel in V/L5, Einl. Rz. 204 f.; i.S. einer Abwgung zwischen demokratisch legitimiertem nderungsinteresse und rechtsstaatlich fundierter Selbstbindung an den Vertrag Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (848); differenzierend auch Gosch, IStR 2008, 413 (419); Lehner, IStR 2014, 189 (190 f.). 4 Gesetzestechnisch handelt es sich um die Aufhebung oder inhaltliche nderung des Zustimmungsgesetzes; vgl. BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129; BFH v. 17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781; Anm. F.W., IStR 1995, 483, aus der Sicht des VÇlkerrechts handelt es sich um einen Vertragsbruch. 5 Musil, RIW 2006, 287 (288). 6 Vogel in V/L5, Einl. Rz. 199; Vogel in FS HÇhn, 1995, 461 ff. 7 EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, EuGHE 2007, I-10454.
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2.32
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
deckte VertragsverstÇße1 bedÅrfen im Hinblick auf die vom BVerfG immer wieder postulierte VÇlkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes stets einer besonderen Rechtfertigung.2 Ein treaty overriding ist danach etwa gerechtfertigt, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundstze der Verfassung abzuwenden ist.3 Anderenfalls liegt ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG vor.4
2.33 Sollte kein eindeutiges Spezialittenverhltnis festgestellt werden kÇnnen, ist entsprechend dem Verfassungsgebot der vÇlkerrechtsfreundlichen Auslegung derjenigen AuslegungsmÇglichkeit der Vorzug zu geben, die die innerstaatliche Wirksamkeit der vÇlkervertraglichen Regelung aufrechterhlt.5
IV. Rang supranationaler Normen (Unionsrecht) 2.34 Der Rang supranationaler Normen6 innerhalb der Normenhierarchie des Internationalen Steuerrechts hngt im Wesentlichen davon ab, welche Wirkung den supranationalen Normen zukommt.7 Handelt es sich um Normen, die sich von ihrem Inhalt her an die einzelnen Staaten wenden und diese Staaten lediglich verpflichten, etwa durch staatliche Akte ihre innerstaatliche Gesetzgebung in bestimmter Weise zu ergnzen oder zu ndern,8 so schaffen diese Normen durchweg nicht unmittelbar auch gegenÅber dem BÅrger anwendbares Recht,9 sind also non self executing.10 1 Zu Fllen des treaty overriding Frotscher in FS Schaumburg, 2009, 687 ff.; Gosch, IStR 2008, 413 ff. 2 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (318 f.). 3 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (319 f.); BVerfG v. 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112, 1 (26 f.); zu weiteren Einzelheiten Gosch, IStR 2008, 413 (418 f.). 4 BVerfG v. 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112, 1 (24 f.); vgl. auch BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056 (Vorlagebeschluss); BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, DStR 2014, 306 (Vorlagebeschluss); BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13, DB 2014, 2439 (Vorlagebeschluss); Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.26; Gosch, IStR 2008, 413 (419); einen Verfassungsverstoß dagegen verneinend Lehner, IStR 2014, 189 ff.; Ismer/Baur, IStR 2014, 421 ff. 5 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (362); BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (316 f.); DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 5. 6 Zum Unionsrecht als supranationales Recht Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 38. 7 Zu den einzelnen Normengruppen des EU-Rechts Nettesheim in Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 19 ff.; Hobe, Europarecht7, § 10 Rz. 1 ff.; Herdegen, Europarecht16, § 8 Rz. 1 ff.; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 218 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 3.1 ff. 8 Art. 288 Abs. 3 AEUV fÅr EU-Richtlinien. 9 Die EuGH-Judikatur verwendet den Begriff „unmittelbare Wirkung“; zu weiteren terminologischen Differenzierungen Grabitz in DStJG 11 (1988), 33 (38 f.). 10 Hierzu Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 185 ff., 203 speziell zu EU-Richtlinien.
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B. Zur Normenhierarchie
Bei diesen Normen stellt sich die Frage nach dem Rangverhltnis grundstzlich nicht.1 Innerstaatliche Normen, die aufgrund einer derartigen verpflichtenden supranationalen Norm erlassen werden, haben im innerstaatlichen Recht hinsichtlich Dauer und Grad ihrer Wirksamkeit keine bevorzugte Stellung gegenÅber gleichartigen innerstaatlichen Normen.2 Die Bestimmungen des EUV und des AEUV beanspruchen allerdings unmittelbare Geltung, soweit sie den UnionsbÅrgern subjektive Rechte verleihen3. In Art. 288 Abs. 2 AEUV ist zudem die unmittelbare Wirkung von EU-Verordnungen normiert. Eine vergleichbare Regelung fÅr EU-Richtlinien findet sich nicht. Hieraus folgt indessen nicht, dass EU-Richtlinien keine den EU-Verordnungen vergleichbare verbindliche Wirkung erzielen kÇnnen. So ist eine EU-Richtlinie fÅr jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Sie Åberlsst den nationalen Gesetzgebungsorganen lediglich die Wahl der Form und der Mittel.4 Die Mitgliedstaaten sind daher nicht berechtigt, von EURichtlinien einseitig abzuweichen und auf den von den EU-Richtlinien geregelten Gebieten mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften anderen Inhalts zu erlassen.5 Bei entsprechenden VerstÇßen kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) einleiten.
2.35
Solange die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist,6 entfaltet die EURichtlinie grundstzlich keine unmittelbare Wirkung fÅr den UnionsbÅrger. Das Gleiche gilt, sobald die Richtlinie in vollem Umfang ordnungsgemß umgesetzt wurde. In diesem Fall gehen die unmittelbaren Wirkungen von den seitens des jeweiligen Mitgliedstaates erlassenen Umsetzungsmaßnahmen aus.7 Insoweit erlangen EU-Richtlinien keinen formellen Rang im nationalen Recht. Sie sind damit grundstzlich auch nicht Glied der Normenhierarchie.
2.36
1 Bei Verstoß gegen die Umsetzungspflicht erzeugen EU-Richtlinien indessen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung mit der Folge, dass sie sodann Teil der Normenhierarchie werden; zu Einzelheiten Schroeder in Streinz2, Art. 288 AEUV Rz. 101 ff.; ferner nachfolgend Rz. 2.36 f. 2 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, Rz. 1721; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 3.28; GÇtz, NJW 1992, 1849 (1852). 3 So z.B. die Grundfreiheiten; vgl. Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 22 Rz. 1 ff. 4 Art. 288 Abs. 3 AEUV. 5 Sog. negative Sperrwirkung oder Stand-still-Effekt; Nettesheim in Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 98; Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 219; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.58. 6 Whrend der Umsetzung dÅrfen keine Vorschriften erlassen werden, die geeignet sind, die Erreichung des in der betreffenden Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich infrage zu stellen; EuGH v. 18.12.1997 – Rs. C-129/96 – Wallonie, EuGHE 1997, I-7411; EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-144/04 – Mangold, EuGHE 2005, I–9981; vgl. hierzu Frenz, EWS 2011, 33 ff. 7 EuGH v. 19.1.1982 – Rs 8/81 – Becker, EuGHE 1982, 53 (70).
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2.37 Solange indessen eine EU-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht oder nicht ordnungsgemß umgesetzt worden ist, kann sich jeder BÅrger auf diese EU-Richtlinie zu seinen Gunsten1 berufen, sofern die Bestimmungen in der EU-Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen und sie zu ihrer Anwendung keines AusfÅhrungsaktes mehr bedÅrfen.2 In diesem Fall erlangt die EU-Richtlinie eine gegenÅber dem nationalen Recht mit Vorrang3 ausgestattete unmittelbare Wirkung, sodass einzelnen BÅrgern nicht entgegengehalten werden kann, die EURichtlinie sei noch nicht oder abweichend umgesetzt worden. Eine unmittelbare Richtlinienwirkung kommt unter den vorgenannten Voraussetzungen allerdings dann nicht in Betracht, wenn subjektiv-Çffentliche Rechte von UnionsbÅrgern keine Rolle spielen.4 Die unmittelbare Wirkung der Richtlinien beruht damit letztlich auf Rechtsschutzgesichtspunkten zugunsten des einzelnen BÅrgers (Mindestgarantie) und Sanktionsaspekten zulasten der Mitgliedstaaten,5 die in EntschdigungsansprÅchen geschdigter BÅrger gegen den betreffenden Mitgliedstaat (Staatshaftung) einmÅnden kÇnnen.6
2.38 Normativ ergibt sich das Recht des UnionsbÅrgers, sich auf die unmittelbare Wirkung der EU-Richtlinie zu berufen, aus Art. 288 Abs. 3 AEUV i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EUV. Hieraus folgt, dass z.B. die Finanzverwaltung verpflichtet ist, die Vorschriften der Richtlinie ggf. entgegen den damit nicht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften zugunsten 1 Eine unmittelbare Wirkung zulasten des UnionsbÅrgers ist ausgeschlossen, EuGH v. 12.5.1987 – Rs 372/374/85 – Traen, EuGHE 1987, I-2141; EuGH v. 8.10.1987 – Rs. 80/86 – Kolpinhuis, EuGHE 1987, 3982; EuGH v. 3.5.2005 – Rs. C-387/02 u.a. – Berlusconi, EuGHE 2005, I-3565; zu weiteren Einzelheiten insbesondere bei EU-Richtlinien mit Doppelwirkung, Classen, EuZW 1993, 83 ff. 2 EuGH v. 5.2.1981 – Rs. 154/80 – Genossenschaft, EuGHE 1981, I-445; EuGH v. 25.5.1993 – Rs. C-193/91 – Mohsche, EuGHE 1993, I-2615; zu den Voraussetzungen im Einzelnen Jarass, NJW 1990, 2420 (2422 f.); Classen, EuZW 1993, 83 ff.; ferner DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 49. 3 EuGH v. 22.2.1984 – Rs. C-70/83 – Kloppenburg, EuGHE 1984, 1075; EuGH v. 26.2.1986 – Rs. 152/84 – Marshall, EuGHE 1986, 723; EuGH v. 14.7.1988 – Rs. 207/87 – Weissgerber, EuGHE 1988, 4433; aus der Rspr. des BFH: BFH v. 11.10.2012 – V R 9/10, DStR 2012, 2331; BFH v. 24.10.2013 – V R 17/13, MwStR 2014, 166. 4 EuGH v. 11.8.1995 – Rs. C-431/92 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland, EuGHE 1995, I-2189/2220; zur objektiven unmittelbaren Richtlinienwirkung Epiney, DVBl. 1996, 409 ff.; Pechstein, EWS 1996, 261 ff. 5 AusfÅhrlich hierzu Jarass, NJW 1990, 2420 (2422). 6 EuGH v. 19.11.1991 – Rs. C-6/90 und C-9/90 – Francovich, EuGHE 1991, I-5403 bei Richtlinienverstoß; EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01 – KÇbler, EuGHE 2003, I-10239; EuGH v. 5.3.1996 – Rs. C-46/93 und C-48/93 – Brasserie du Pcheur, EuGHE 1996, I-1029 bei Grundfreiheitsverstoß; vgl. auch EuGH v. 12.12.2006 – Rs. C-446/04 – Test Claimants in the FII Group Litigation, EuGHE 2006, I-11753; EuGH v. 23.4.2008 – Rs. C-201/05 – Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation, HFR 2008, 985; BGH v. 24.10.1996 – III ZR 127/91, EuZW 1996, 761; hierzu im berblick Hobe, Europarecht7, § 12 Rz. 213 ff. und Schaumburg, ISR 2014, 243 ff.
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B. Zur Normenhierarchie
des BÅrgers anzuwenden.1 Da EU-Richtlinien nur die nationalen Gesetzgebungsorgane verpflichten (Art. 288 Abs. 3 AEUV), darf die Finanzverwaltung demgegenÅber die EU-Richtlinien nicht zulasten des BÅrgers anwenden.2 Ebenso wenig kann die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens hierdurch begrÅndet werden oder zum Nachteil des Einzelnen verschrfend wirken.3 Die innerstaatlichen Gerichte haben bei der Auslegung der nationalen DurchfÅhrungsregelungen auf den Inhalt der EU-Richtlinien abzustellen,4 und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung nicht vorliegen.5 Diese Verpflichtung findet ihre Schranken allerdings in den allgemeinen Rechtsgrundstzen, die Teil des Unionsrechts sind, und zwar insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im RÅckwirkungsverbot.6
2.39
Im Verhltnis zu den nationalen Gerichten hat der EuGH die abschließende Entscheidungsbefugnis Åber die Auslegung des AEUV und Åber die GÅltigkeit und die Auslegung der EU-Richtlinien (Art. 267 AEUV). Dagegen entscheidet der EuGH weder Åber nationales Recht noch Åber die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht.7 Indessen ÅberprÅft grundstzlich (s. Rz. 2.47) aber auch nicht das BVerfG die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit den Grundrechten des Grundgesetzes.8 Deshalb werden innerstaatliche Rechtsvorschriften, die EU-Richtlinien umsetzen, nicht an den Grundrechten gemessen, wenn das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lsst.9
2.40
1 EuGH v. 22.6.1989 – Rs. C-103/88 – Fratelli Constanzo, EuGHE 1989, I-1839; hierzu auch Englisch in T/L21, § 4 Rz. 34 f. 2 EuGH v. 12.5.1987 – Rs. 372/374/85 – Traen, EuGHE 1987, I-2141; EuGH v. 8.10.1987 – Rs. 80/86 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982); Jarass, NJW 1990, 2420 (2421); hierdurch darf es aber nicht zu Åberschießenden BegÅnstigungsregelungen kommen; so BFH v. 7.7.2011 – V R 36/10, BFH/NV 2011, 2192. 3 EuGH v. 3.5.2005 – Rs. C-387/02, C-391/02, C-403/02, C-403/02 – Berlusconi, EuGHE 2005, I-3565; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 16 ff.; vgl. auch Satzger, JZ 2005, 998 ff.; Dannecker in FS Schroeder 2006, 768. 4 BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 ff.); EuGH v. 8.10.1987 – Rs 80/86 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982). 5 EuGH v. 10.4.1984 – Rs 14/83 – Colson, EuGHE 1984, 1891; EuGH v. 8.10.1987 – Rs. 80/86 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3986); EuGH v. 20.9.1988 – Rs 31/87 – Beentjes, EuGHE 1988, 4635 (4662); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (237 ff.); BFH v. 28.9.1988 – X R 6/82, BStBl. II 1989, 122; BFH v. 20.1.1988 – X R 48/81, BStBl. II 1988, 557; BFH v. 11.3.1988 – V R 30/84, BStBl. II 1988, 643. 6 EuGH v. 8.10.1987 – Rs 80/86 – Kolpinghuis, EuGHE 1987, 3969 (3982). 7 EuGH v. 3.10.1985 – Rs. 249/84 – Profant, EuGHE 1985, 3250. 8 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339; BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; hierzu Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 16 ff. 9 BVerfG v. 4.10.2011 – 1 BvL 3/08, BFH/NV 2011, 2220.
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
2.41 Ist die Frage der GÅltigkeit oder Auslegung von EU-Richtlinien entscheidungserheblich, kÇnnen die nationalen Instanzgerichte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Das Vorlageverfahren wird durch einen Vorlagebeschluss des Gerichts eingeleitet.1 Letztinstanzliche Gerichte sind gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, es sei denn, die richtige Anwendung des Unionsrechts ist derart offenkundig, dass keinerlei Raum fÅr einen vernÅnftigen Zweifel verbleibt.2
2.42 RahmenbeschlÅsse, die insbesondere im Bereich Polizeilicher und Justizieller Zusammenarbeit (PJZ) in der Vergangenheit auf der Grundlage von Art. 34 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b EUV erlassen wurden und noch weiterhin Bedeutung haben3, sind zwar wie EU-Richtlinien fÅr die Mitgliedstaaten verpflichtend4, sie erzeugen aber anders als EU-Richtlinien keine unmittelbaren Rechte fÅr die UnionsbÅrger5. Dennoch sind nicht umgesetzte RahmenbeschlÅsse im Wege einer fÅr die Mitgliedstaaten verpflichtenden rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Strafrechts zu berÅcksichtigen6.
2.43 Soweit supranationale Normen unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht beanspruchen, also die Bestimmungen des AEUV, soweit sie den UnionsbÅrgern, wie etwa die Grundfreiheiten, subjektive Rechte verleihen, EU-Verordnungen und nicht fristgemß oder ordnungsgemß umgesetzte EU-Richtlinien, ergibt sich die entsprechende Rangregel aus Art. 23 Abs. 1 GG.7 Diese Bestimmung besagt nicht nur, dass eine bertragung von Hoheitsrechten zulssig ist, sondern auch, dass Normen der Organe der zwischenstaatlichen Einrichtungen vom ursprÅnglich ausschließlichen Hoheitstrger anzuerkennen sind und kraft dieser Anerkennung entgegenstehendes nationales Recht Åberlagern und verdrngen.8 Das gilt auch gegenÅber vÇlkerrechtlichen Vertrgen und allgemeinen Re1 Zum Vorlageverfahren Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rz. 13 ff.; im berblick Pechstein, EU-Prozessrecht4, Rz. 740; Seer in T/K, EuR Rz. 30 ff. Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 5.1 ff. 2 EuGH v. 6.10.1982 – Rs. 283/81 – C.I.L.F.I.T, EuGHE 1982, 3415; hierzu Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rz. 51 ff. (“Acte Clair“); vgl. auch BFH v. 10.1.2007 – I R 87/03, BStBl. II 2008, 22; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. 3 Vgl. den berblick Åber wichtige RahmenbeschlÅsse bei Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33. 4 EuGH v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – Pupino, EuGHE 2005, 5285. 5 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 7 Rz. 6. 6 EuGH v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – Pupino, EuGHE 2005, 5285; vgl. zu Einzelheiten Hecker, Europisches Strafrecht4, § 10 Rz. 77 ff. 7 Art. 23 Abs. 1 GG ist lex specialis zu Art. 24 Abs. 1 GG; zur Funktion des Art. 23 (Art. 24) GG Grabitz in DStJG 11 (1988), 33 (39 f.). 8 BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (174); BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85,
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B. Zur Normenhierarchie
geln des VÇlkerrechts, die nach Maßgabe des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. gem. Art. 25 GG Bestandteil der nationalen Rechtsordnung sind. Da sich das Unionsrecht ohnehin an den allgemeinen Regeln des VÇlkerrechts orientiert und zudem auch im Lichte des VÇlkerrechts auszulegen ist,1 kommt diesem Rangverhltnis keine besondere Bedeutung zu.2 Aus unionsrechtlicher Sicht besteht ein unbedingter Vorrang des Unionsrechts gegenÅber dem innerstaatlichen Recht,3 und zwar kraft EU-Rechts selbst (Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 AEUV)4 und nicht etwa kraft eines nationalen Anwendungsbefehls.5 Neben den supranationalen Normen des sekundren Unionsrechts werden hierbei auch die den UnionsbÅrgern subjektive Rechte verleihenden Bestimmungen des AEUV6 in den Anwendungsvorrang gegenÅber nationalem Recht7 einbezogen.8 Das gilt auch dann, wenn das nationale Recht spter erlassen wurde.9 Aus dem Anwendungsvorrang folgt, dass entgegenstehende Normen des nationalen Strafund Steuerrechts zwar nicht unwirksam sind, sie dÅrfen aber im konkreten Fall nicht angewendet werden.10 Diese Neutralisierung bewirkt fÅr
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BVerfGE 75, 223 (242 f.); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.). EuGH v. 14.7.1998 – Rs. C-284/95 – Safety Hi-Tech, EuGHE 1998, I-4301. Vgl. die Hinweise bei Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 9 Rz. 152 ff. Auch gegenÅber DBA; hierzu Birk in H/H/Sp, § 2 AO Rz. 277 ff.; Vedder, in Lehner/ThÇmmes u.a., Europarecht und Internationales Steuerrecht, 1 (7 f.); zu Einzelheiten Cordewener/Schnitger, StuW 2006, 50 ff.; SchÇnfeld, StuW 2006, 79 ff. Hierzu EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1253); EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – Rs. 106/77 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731; Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 47 ff.; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 1 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.18. Grundlegend EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1253); vgl. ferner Geiger in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV5, Art. 4 EUV Rz. 20 ff. Insbesondere die Grundfreiheiten. Hierzu zhlen nicht nur generell-abstrakte Rechtsvorschriften (Normen), sondern auch individuell-konkrete Regelungen (Verwaltungsakte); EuGH v. 29.4.1999 – Rs. C-224/97 – Cida/Land Vorarlberg, EuGHE 1999, I-2517. EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251; BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (171); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.); BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701. EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64 – Costa/ENEL, EuGHE 1964, 1251 (1271); EuGH v. 9.3.1978 – Rs. 106/77 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629 (644). EuGH v. 17.12.1970 – Rs 11/70 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 9.3.1978 – Rs. 106/77 – Simmenthal, EuGHE 1978, 629; BFH v. 29.1.2008 – I R 85/06, BStBl. II 2008, 671; BFH v. 18.11.2008 – VIII R
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2.44
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
das (internationale) Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht, dass bei einer Kollision des in Bezug genommenen Steuerrechts mit Primrrecht die Tatbestandsmßigkeit von vornherein nicht gegeben ist.1 Entsprechendes gilt im brigen fÅr ein vollstndiges Strafgesetz.2
2.45 Innerhalb des Unionsrechts gebÅhrt dem Primrrecht vor dem Sekundrrecht3 und dort den Verordnungen und Entscheidungen vor den Richtlinien der Vorrang.4
2.46 Supranationales Recht (Unionsrecht) geht im Grundsatz auch dem nationalen Verfassungsrecht vor.5 Hieraus folgt etwa, dass entgegen Art. 19 Abs. 3 GG der Grundrechtsschutz auch auf juristische Personen aus EUStaaten zu erstrecken ist, weil anderenfalls ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot wegen StaatsangehÇrigkeit gegeben wre (Art. 18 AEUV).6 Der Anwendungsvorrang unmittelbar wirkender supranationaler Normen gegenÅber dem nationalen Verfassungsrecht Deutschlands gilt allerdings nur unter Vorbehalt,7 und zwar nur insoweit, als die supranationalen Normen Åberhaupt in den innerstaatlichen Bereich eindringen (Grundrechtsschranke).8 Art. 23 Abs. 1 GG9 fÅhrt nmlich nicht ipso iure zu einem schrankenlosen Einbruch supranationaler
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2/06, BFH/NV 2009, 731; zu weiteren Einzelheiten Nettesheim in Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 32 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 8 f.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 11 Rz. 41 f.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 77; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.19. Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 11. Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 11; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 77; a.A. i.S. eines Rechtfertigungsgrundes Weigend, ZStW 105 (1993), 774 ff. (781). EuGH v. 9.11.2010 – Rs. C-92/09 u.a. – Schecke ./. Land Hessen, EuZW 2010, 939; hierzu im berblick Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 226; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 37 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.6 ff. Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 227; Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rz. 5; Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 44 ff. EuGH v. 17.12.1970 – Rs. 11/70 – Internationale Handelsgesellschaft, EuGHE 1970, 1125; EuGH v. 11.1.2000 – Rs. C-285/98 – Kreil, EuGHE 2000-I, 69. BVerfG v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, GRUR 2012, 53. BVerfG v. 9.6.1971 – 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145 (174); BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (242 f.); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; vgl. hierzu auch Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 4.21 ff.; zur Rechtslage in anderen EU-Staaten im berblick Nettesheim in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 10 Rz. 28 ff. Hierzu Hirsch, NJW 1996, 2457 (2458 f.). FrÅher Art. 24 Abs. 1 GG.
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B. Zur Normenhierarchie
Normen in die Verfassung. Die Schranken der ffnung der nationalen Rechtsordnung sind in Art. 23 Abs. 1 GG selbst enthalten, und zwar dahin gehend, dass die ffnung der nationalen Rechtsordnung dort ihre Grenze findet, wo unabdingbare Bestandteile des VerfassungsgefÅges angetastet werden.1 Die immanenten Schrankenwirkungen des Art. 23 Abs. 1 GG erlauben also keine supranationalen Normen, die die Identitt der geltenden Verfassung (Verfassungsidentitt) durch Einbruch in die sie konstituierenden Strukturen aufheben.2 Die Grenzen hierfÅr sind indessen sehr weit gezogen, sodass es im Ergebnis darauf ankommt, ob die Verfassung der supranationalen Gemeinschaft (EU) den Grundvorstellungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland noch entspricht.3 Dies ist vom BVerfG im Grundsatz bejaht worden.4 Solange daher die EU einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenÅber der Hoheitsgewalt der Union generell gewhrleistet, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, wird das betreffende Unionsrecht grundstzlich5 nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes ÅberprÅft.6 Damit hat das BVerfG seiner eigenen Entscheidungskompetenz selbst Grenzen gesetzt. Die Kompetenzweite der Rechtsprechung des BVerfG wird hierbei durch das Verhltnis von nationalem Verfassungsrecht und Unionsrecht determiniert. In diesem Zusammenhang kommt es auf den parallelen Grundrechtsschutz der Europischen Union an. Solange die Europische Union einen entsprechenden Schutz der Grundrechte gegenÅber der Hoheitsgewalt der Union gewhrleistet, Åbt das BVerfG seine Gerichtsbarkeit Åber die Anwendbarkeit von sekundrem Unionsrecht, das als Rechtsgrundlage fÅr ein Verhalten deutscher Gerichte und BehÇrden im Hoheitsbereich Deutschlands in Anspruch genommen wird, grundstzlich nicht
1 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (40); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174). 2 BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271; BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (372, 375 f.); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (235); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE u.a., BVerfGE 123, 267. 3 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (41); vgl. ferner Geiger, Grundgesetz und VÇlkerrecht6, 240 f. 4 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339; BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. 5 Ausnahme in Fllen „ersichtlicher GrenzÅberschreitungen“, BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. 6 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (387); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (174 f.); BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); vgl. nachfolgend Rz. 2.47.
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2.47
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
aus.1 Ein derartiger paralleler Grundrechtsschutz ist derzeit in weiten Bereichen gewhrleistet, sodass den verfassungsrechtlichen Vorbehalten gegenÅber dem Anwendungsvorrang des unmittelbar wirkenden supranationalen Rechts keine praktische Bedeutung zukommt.2 Das BVerfG hat sich indessen das PrÅfungsrecht dahin gehend vorbehalten, ob Einrichtungen der Organe der EU das primre Unionsrecht in einer Weise handhaben oder fortbilden, die den Rahmen des durch Art. 23 Abs. 1 GG legitimierten Integrationsprogramms sprengt und damit vom deutschen Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt ist.3 Das bedeutet insbesondere, dass die bertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die EU ebenso wie Blankettermchtigungen an dieselbe vom BVerfG nicht akzeptiert werden.4 Das BVerfG behlt sich hierbei vor, in solchen Fllen die Unverbindlichkeit der daraus hervorgehenden Rechtsakte fÅr den deutschen Hoheitsbereich festzustellen und deutschen Organen unter Berufung auf die Souvernitt Deutschlands eine Befolgung von Rechtsakten zu verbieten, die aufgrund insbesondere extensiver Auslegung von europarechtlichen Befugnisnormen erlassen wurden.5 Angesprochen ist hier auch die vielfach kritisierte dynamische Interpretation der europischen Vertrge6 sowie die sog. Implied powers-Doktrin des EuGH, wonach der Union neben den geschriebenen auch all jene Kompetenzen zugestanden werden, die sie zur ErfÅl-
1 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – Solange II, BVerfGE 73, 339 (387); das BVerfG nahm in seiner Entscheidung BVerfG v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71 – Solange I, BVerfGE 37, 271 (285), eine weitergehende PrÅfungskompetenz in Anspruch, nmlich „solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthlt, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adquat ist“; vgl. dagegen die Korrekturen durch „Solange II“ (BVerfGE 73, 339) und „Bananenmarkt“ (BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147) zu „Solange I“ und „Maastricht“ (BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155); einschrnkend zuletzt auch BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 – Lissabon, BVerfGE 123, 267 und BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a. – ESM, RIW 2012, 692 ff. (699), wonach geprÅft wird, ob der unantastbare Kerngehalt der „Verfassungsidentitt des Grundgesetzes“ gewahrt ist. 2 Dazu Nettesheim, Jura 2001, 686 ff. 3 BVerfG v. 23.6.1981 – 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, 1 (30 f.); BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (235, 242); BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff.; BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267. 4 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (187 f.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 ff. (699). 5 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff.; hierzu Hde, BB 1993, 2457 (2462); Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976). 6 Hierzu Bleckmann, NJW 1982, 1177 ff.; Bleckmann/Pieper in Dauses, Hdb. des EU-Wirtschaftsrechts, B I, Rz. 5 ff.
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B. Zur Normenhierarchie
lung ihrer Aufgaben benÇtigt.1 Damit werden im Ergebnis der Rechtsprechung des EuGH insoweit Grenzen gesetzt, als sie bislang auf eine weite Auslegung der Befugnisnormen gerichtet war, um im AEUV angelegte Ziele zu erreichen.2 Damit steht insbesondere die Rechtsfortbildung des EuGH,3 wie sie in der Vergangenheit insbesondere durch die Doktrin der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien4 (zu Einzelheiten Rz. 2.37) und der EinfÅhrung einer mitgliedstaatlichen Haftung bei Verletzung primren Unionsrechts5 ihren Ausdruck gefunden hat, auf dem PrÅfstand der „Superrevisionsinstanz“6 des BVerfG.7 Neben der vorbezeichneten durch Art. 23 Abs. 1 GG errichteten Grundrechtsschranke ergibt sich eine weitere gegen die vorrangige Anwendbarkeit des Unionsrechts gerichtete Schranke aus Art. 38 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip: Durch eine Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen auf die EU darf der Kerngehalt der demokratischen Legitimation der deutschen Staatsgewalt und der Einflussnahme auf ihre AusÅbung nicht entleert werden.8 Diese Kompetenzschranke lsst daher ein rechtsverbindliches unmittelbares Ttigwerden der EU im innerstaatlichen Rechtsraum nur zu, wenn dieser im Zustimmungsgesetz hinreichend bestimmbar normiert worden ist,9 sodass sptere wesentliche nderungen des im AEUV angelegten Integrationsprogrammes und seiner Handlungsermchtigungen ohne ausdrÅckliche Vertragsnderung durch das Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt sind. Damit ist die bertragung der Kompetenz-Kom-
1 BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; zu Einzelheiten Winkler in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 352 AEUV Rz. 79 ff. 2 Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (976). 3 Hierzu Neßler, RIW 1993, 206 ff. 4 BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 (249 ff.). 5 EuGH v. 19.11.1991 – Rs. C-6/990 und C-9/90 – Francovich, EuGHE 1991, I-5403; EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01 – KÇbler, EuGHE 2003, I-10239; hierzu der berblick bei Classen in Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht6, § 14 Rz. 11 ff.; ferner Moran, IStR 1993, 573 ff.; Jarass, NJW 1994, 881 ff. 6 So Bleckmann/Pieper, RIW 1993, 969 (977) mit Hinweisen auf die RechtsverfolgungsmÇglichkeiten im Rahmen von Verfassungsbeschwerden und abstrakten Normenkontrollverfahren. 7 Vgl. hierzu nur BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09, BVerfGE 123, 267; zuletzt BVerfG v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., NJW 2014, 1505 (1511 ff.). 8 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (182 ff.); BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 (161 ff.); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699 ff.). 9 Vgl. hierzu die in Schrifttum diskutierte KompetenzÅberschreitung des EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – kerberg Fransson, NJW 2013, 1415 zum Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 50 GRCh; vgl. Rabe, NJW 2013, 1407 f.; Weiß, EuZW 2013, 287 ff.; Wilke, IWB 2013, 325 ff.; Einzelheiten zum Doppelbestrafungsverbot Rz. 4.1 ff.
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2.48
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
petenz auf die EU sowie die Erteilung von Blankettermchtigungen an dieselbe verfassungsrechtlich untersagt.1
V. Rang innerstaatlicher Normen 2.49 Die Normenhierarchie des innerstaatlichen Rechts ergibt sich aus dem Grundgesetz. Art. 79 GG bestimmt den Vorrang des Verfassungsrechts vor Bundesgesetzen. Ein Vorrang von Bundesgesetzen einschließlich der vom Bund erlassenen Rechtsverordnungen vor Landesrecht besteht insoweit, als Bundesrecht und Landesrecht einander widersprechen (Art. 31 GG). Den beiden nachgeordnet sind schließlich autonome Satzungen, insbesondere Gemeinderecht (Art. 28 Abs. 2 GG). Schließlich gehen formelle Gesetze den Rechtsverordnungen vor (Art. 80 GG).2
C. VÇlkerstrafrecht 2.50 Das VÇlkerstrafrecht umfasst alle vÇlkerrechtlichen Normen, die unmittelbar eine Strafbarkeit begrÅnden, ausschließen oder in anderer Weise regeln.3 Der Begriff „VÇlkerstrafrecht“ definiert sich somit von der Rechtsquelle her und ist, soweit auch Steuerstrafrecht rechtlich oder tatschlich mit Auslandsbezug betroffen ist, Bestandteil des Internationalen Steuerstrafrechts. Da indessen das VÇlkerstrafrecht unmittelbar selbst nur Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, VÇlkermord und Agressionsverbrechen normativ erfasst,4 hat das VÇlkerstrafrecht fÅr das Steuerstrafrecht bislang keine Bedeutung erlangt. Durch das in den §§ 369 ff. AO in Bezug genommene Steuerrecht spielen allerdings auch Steuerrechtsnormen eine Rolle, die von ihrer Quelle her dem VÇlkerrecht zuzuordnen sind. Angesprochen sind hier insbesondere die zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen, Informationsaustausch- und Rechtshilfeabkommen, die als blankettausfÅllende Normen zu berÅcksichtigen sind.
2.51 Das VÇlkerstrafrecht ist im Wesentlichen im IStGH-Statut5 verankert und ist insoweit tatschlich internationales (supranationales) Kriminal1 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (188); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267 (349); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699 ff.); BVerfG v. 18.3.2014 – 2 BvR 1390/12 u.a., NJW 2014, 1505 (1509 ff.). 2 Hierzu insgesamt DrÅen in T/K, § 4 AO Rz. 40 ff. 3 So Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 86; hnlich Ambos, Internationales Strafrecht4, § 5 Rz. 1; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 12 Rz. 1; Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 Rz. 3; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 82. 4 So die Kernverbrechen, die in den Artt. 5–8 IStGH-Statut aufgefÅhrt werden; hierzu im berblick: Ambos, Internationales Strafrecht4, § 7 Rz. 117 ff. 5 IStGH-Statut v. 17.7.1998, BGBl. II 2000, 1394.
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C. VÇlkerstrafrecht
strafrecht.1 Der auf der Grundlage des IStGH-Statuts errichtete IStGH wird allerdings nicht ohne Weiteres ttig, sondern nur aufgrund einer Staatsbeschwerde, einer Anklage durch den Chefanklger oder aufgrund eines Beschlusses des UN-Sicherheitsrats2. Voraussetzung ist allerdings, dass die betreffenden nationalen Strafgerichte ihre Gerichtsbarkeit nicht selbst ausÅben.3 Die Regelungen des IStGH-Statuts umfassen materielles VÇlkerstrafrecht4 und VÇlkerstrafprozessrecht.5 Soweit es um materielles VÇlkerstrafrecht geht, kodifiziert das IStGH-Statut weitgehend vÇlkerrechtliches Gewohnheitsrecht, wodurch dem verfassungsrechtlich verankerten Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG) allerdings noch nicht entsprochen wird (hierzu s. Rz. 2.2). Zwar ist das IStGH-Statut durch das IStGH-StatutsG6 in deutsches Rechts transformiert worden (Art. 59 Abs. 2 GG), die im IStGH-Statut enthaltenen Straftatbestnde als solche sind aber wegen mangelnder Self-executing-Wirkung nicht unmittelbar Bestandteil des innerstaatlichen materiellen Strafrechts.7 Diese wirken lediglich im Zustndigkeitsbereich des IStGH. Die entsprechende Kodifikation enthlt allerdings das VStGB8, wodurch im Ergebnis deutsches VÇlkerstrafrecht begrÅndet wird.9 Hierdurch sind die deutschen StrafverfolgungsbehÇrden in der Lage, in die Zustndigkeit des IStGH fallende Verbrechen selbst zu verfolgen.
2.52
Soweit es um das im IStGH-Statut verankerte VÇlkerprozessrecht geht, handelt es sich im Ergebnis um eine eigene Strafprozessordnung10, die weitgehend dem kontinentaleuropischen Typus entspricht. So ist etwa die AnklagebehÇrde der Objektivitt verpflichtet (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a IStGH-Statut), wobei die Rechte des Angeklagten den allgemeinen menschenrechtlichen Standards entsprechen.11 Hierzu gehÇren etwa die Unschuldsvermutung (Art. 66 Abs. 1 IStGH-Statut), das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 67 Abs. 1 IStGH-Statut), das Recht auf effektive Verteidigung (Art. 67 Abs. 1 Buchst. b IStGH-Statut) und das Recht auf Schweigen, ohne dass hieraus negative Folgen gezogen werden dÅrfen (Art. 67
2.53
1 Anders im Bereich des Europischen Strafrechts. 2 Im berblick Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 267 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 14 Rz. 12 ff. 3 Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut; zu diesem Grundsatz der Komplementaritt Werle, VÇlkerstrafrecht3, Rz. 262 ff. 4 Zu Einzelheiten Ambos, Internationales Strafrecht4, § 7 Rz. 1 ff. 5 Hierzu Ambos, Internationales Strafrecht4, § 8 Rz. 1 ff. 6 IStGH-StatutsG v. 17.7.1998, BGBl. I 2000, 1393. 7 Hierzu Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 17 Rz. 13. 8 VÇlkerstrafgesetzbuch v. 30.6.2002, BGBl. I 2002, 2254. 9 Hecker, Europisches Strafrecht3, § 2 Rz. 90; zu Einzelheiten: Werle, JZ 2002, 725 ff.; Werle, JZ 2003, 87 ff.; zum VStGB im berblick Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 17 Rz. 6 ff. 10 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 8 Rz. 1. 11 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 8 Rz. 51.
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Abs. 1 Buchst. g IStGH-Statut).1 Das IStGH-AusfÅhrungsG2 regelt schließlich die Zusammenarbeit mit dem IStGH.
D. Europisches Strafrecht I. Allgemeines 2.54 Zum Europischen Strafrecht3 zhlen alle Normen, die auf primres und sekundres Unionsrecht sowie auf sonstige europarechtliche Rechtsquellen zurÅckzufÅhren sind oder von diesen beeinflusst werden.4 Erfasst werden hier insbesondere nationale Strafvorschriften, die auf europarechtliche Normen verweisen.5 Angesprochen sind damit im Wesentlichen diejenigen deutschen Strafrechtsnormen, die ein Ver- oder Gebot des Europarechts bewehren. Derart in Bezug genommene Ge- oder Verbotsnormen mÅssen unmittelbare Wirkung entfalten mit der Folge, dass vor allem EU-Verordnungen in Betracht kommen6 (s. Rz. 2.23). Erfasst werden aber auch EU-Richtlinien, soweit sie in nationales Recht umgesetzt worden sind.7 Zu diesen Blankettstrafnormen mit Europabezug gehÇrt im Bereich des Steuerstrafrechts insbesondere § 370 Abs. 6 Satz 2 AO, wonach auch die Hinterziehung von Umsatzsteuern und harmonisierten Verbrauchsteuern strafbar ist, soweit diese Steuern von einem anderen EUMitgliedstaat verwaltet werden.8 Soweit sich ein Europabezug im vorgenannten Sinne ergibt, gelten die fÅr die Anwendung des Unionsrechts allgemein gÅltigen Anwendungsregeln. Das bedeutet, dass in den Fllen, in denen etwa blankettausfÅllende Normen gegen EU-Richtlinien verstoßen, diese Normen wegen des unionsrechtlichen Vorrangs der Richtlinien (s. Rz. 2.37) nicht angewendet werden dÅrfen (s. Rz. 2.44). Insoweit liegt schon kein tatbestandsmßiges Verhalten vor.9 Diese Neutralisierungs-
1 Vgl. auch den berblick bei Ambos, Internationales Strafrecht4, § 8 Rz. 51. 2 IStGH-AusfÅhrungsgesetz v. 21.6.2002, BGBl. I 2002, 2144. 3 Es handelt sich lediglich um einen Verstndigungsbegriff; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 9 Rz. 4. 4 Sieber in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, Einf. Rz. 5; Hecker, Europisches Strafrecht3, § 1 Rz. 5; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 3 als europisches Strafrecht im weiteren Sinne bezeichnet; zum Europischen Strafrecht im engeren Sinne werden dagegen nur die Strafnormen der Europischen Union selbst gewhlt; vgl. Sieber in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, Einf. Rz. 3. 5 Hierzu Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 55 ff. 6 Art. 288 Abs. 2 AEUV. 7 Cornelius, NZWiSt 2014, 173 ff. 8 Zu Einzelheiten Tully/Merz, wistra 2011, 121 ff. 9 Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 77; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 11.
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D. Europisches Strafrecht
wirkung1 gilt auch dann, wenn die von deutschen Strafnormen in Bezug genommenen auslndischen blankettausfÅllenden Normen nicht richtig umgesetzt worden sind. Konkret: Widerspricht das in einem anderen EUStaat umgesetzte Verbrauchsteuerrecht der Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie kann insoweit der Tatbestand der Hinterziehung von in einem anderen EU-Mitgliedstaat verwalteten harmonisierten Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) nicht erfÅllt werden. Im brigen gelten die allgemeinen fÅr die Auslegung von Unionsrecht maßgeblichen Grundstze. Das bedeutet, dass etwa auf EU-Richtlinien beruhende blankettausfÅllende Normen fÅr Zwecke der Anwendung deutschen Strafrechts richtlinienkonform auszulegen sind.2 Schließlich sind die Einwirkungen der Grundfreiheiten auf die blankettausfÅllenden Normen insbesondere des Steuerrechts zu berÅcksichtigen mit der Folge einer verpflichtenden primrrechtskonformen Auslegung.3 Zum Europischen Strafrecht gehÇren schließlich auch die in der Europischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in der Charta der Grundrechte in der Europischen Union (GRCh) verankerten strafrechtlich relevanten Regelungen.4
2.55
II. Europisches Kriminalstrafrecht Es gibt zwar bereits ein europisches Sanktionensystem, wonach auf der Grundlage von EU-Verordnungen unmittelbar Geldbußen und sonstige finanzielle Sanktionen und Rechtsverluste verhngt werden kÇnnen5, um ein europisches Kriminalstrafrecht handelt es sich hierbei aber nicht.6 Die Schaffung eines europischen Kriminalstrafrechts ist aber in einigen Sachbereichen ohne Weiteres mÇglich. So enthalten etwa Artt. 325 Abs. 4 und 33 AEUV Ermchtigungsgrundlagen, um unmittelbar anwendbare
1 Zu Einzelheiten Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39 ff. 2 Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 9 Rz. 50 ff.; vgl. hierzu Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 61 f. 3 Vgl. nur EuGH v. 5.10.1994 – Rs. C-165/91 – van Munster, EuGHE 1994 I – 4661; EuGH v. 26.9.2000 – Rs. C-262/97 – Engelbrecht, EuGHE 2000, I-7321; zur unionsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht allgemein Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 9 Rz. 55. 4 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 1 Rz. 5. 5 Vgl. etwa Art. 103 Abs. 2 Buchst. a AEUV, der im Wesentlichen VerstÇße gegen das Kartellverbot auffÅhrt, fÅr die gem. Art. 101 AEUV und Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 auch juristische Personen sanktionsrechtlich zur Verantwortung herangezogen werden kÇnnen; vgl. etwa EuG v. 15.12.2010 – T - 141/08 (E.ON ./. Kommission), EuZW 2011, 230. 6 Hierzu Vogel in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 5 Rz. 1; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 60 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 8 Rz. 9; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 38 ff.; vgl. auch BGH v. 21.4.1995 – 1 StR 700/94, BGHSt 41, 127 (131).
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Straftatbestnde fÅr Zwecke der Betrugsbekmpfung1 und des Schutzes des Zollwesens2 zu erlassen. Schließlich ermÇglicht auch Art. 79 Abs. 2 Buchst. c, d AEUV die Bekmpfung illegaler Einwanderung und des Menschenhandels auch mit Mitteln des Strafrechts.3 FÅr das Steuerstrafrecht gibt es derartige Ermchtigungsgrundlagen nicht.
III. Unionsrechtliche Schranken 1. Primrrechtliche Vorgaben
2.57 Aufgrund der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalittspflicht aller Mitgliedstaaten ergibt sich das Gebot, kein nationales Strafrecht zu erlassen bzw. aufrechtzuerhalten, das unionsrechtswidrig ist.4 Damit ergibt sich eine strikte Orientierung insbesondere an den unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten. Diese erlangen vor allem im Bereich des Steuerstrafrechts eine weitgehende Bedeutung, weil die blankettausfÅllenden Normen des Steuerrechts in besonderer Weise den Schrankenwirkungen der Grundfreiheiten ausgesetzt sind.5 Sofern also die in Bezug genommenen steuerrechtlichen Normen unvereinbar sind mit den Grundfreiheiten, dÅrfen die betreffenden Steuerrechtsnormen nicht angewendet werden mit der Folge, dass insoweit von vornherein etwa der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.6
2.58 Die primrrechtlichen Vorgaben, die letztlich auf eine Mindestharmonisierung abzielen, betreffen neben der Tatbestands- auch die Rechtsfolgenseite7. Das bedeutet, dass sich die sich allein aus nationalem Recht ergebende SanktionshÇhe vor allem am Grundsatz der Verhltnismßigkeit8 und am Diskriminierungsverbot9 zu orientieren hat.10 Nach den gleichen Grundstzen beurteilt sich schließlich auch die Sanktionsart. Hiernach darf die Sanktion nicht in erster Linie darauf abzielen, eine Grundfreiheit 1 Waldhoff in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 325 AEUV Rz. 18; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 14 Rz. 44; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 9 Rz. 8 f.; Zimmermann, Jura 2009, 845 f. (846). 2 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 8 Rz. 25; Safferling, Internationales Strafrecht, § 10 Rz. 43; MÇller, ZfZ 2011, 39 ff. (41). 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 8 Rz. 26; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 9 Rz. 9; Walter, ZStW (117) 2005, 918 f. 4 EuGH v. 14.7.1977 – Rs. 8/77 – Sagulo, EuGHE 1977, 1495. 5 Im berblick Reimer in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 7.1 ff.; Englisch in T/L21, § 4 Rz. 24 ff. 6 Vgl. Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 9 Rz. 39; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 77; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 9 Rz. 11. 7 Satzger in S/S/vHH, Europisches Strafrecht, § 9 Rz. 42. 8 Art. 5 Abs. 4 EUV: allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts; vgl. Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 5 EUV Rz. 45. 9 Art. 18 AEUV. 10 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 17 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 46.
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D. Europisches Strafrecht
unverhltnismßig zu beschneiden.1 Die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalittspflichten der Mitgliedstaaten gegenÅber der EU als Ganzes umfassen auch die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Strafrecht in den Dienst der Union zu stellen, um deren RechtsgÅter zu schÅtzen (sog. Assimilierung).2 Hieraus ergeben sich gewisse Mindestvorgaben aufgrund derer auch in strafrechtlicher Hinsicht die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewhrleisten ist.3 Das bedeutet, dass die angedrohten Sanktionen wirksam, verhltnismßig und abschreckend sein mÅssen (sog. Mindesttrias).4 Angesprochen sind damit insbesondere die finanziellen Interessen der Union, die die ZÇlle als Einfuhr bzw. Ausfuhrabgaben erfassen. HierfÅr enthlt Art. 325 Abs. 4 AEUV eine Sonderregelung, auf deren Grundlage etwa durch Verordnung fÅr Zwecke der Betrugsbekmpfung supranationale Straftatbestnde und ergnzend hierzu gem. Art. 82 Abs. 2 und Art. 83 Abs. 1, 2 AEUV entsprechende strafverfahrensrechtliche Vorschriften erlassen werden dÅrfen.5 Schließlich ist Art. 86 AEUV die Grundlage, eine Europische Staatsanwaltschaft zu schaffen.6 Unabhngig davon wird der strafrechtliche Schutz der Finanzinteressen der EU durch das sog. PIF-bereinkommen7 gewhrleistet8.
1 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 23 unter Hinweis auf EuGH v. 19.1.1999 – Rs. C-348/96 – Donatella Calfa, EuGH 1999, I-11. 2 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 1 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 26. 3 Grundlegend EuGH v. 21.9.1989 – Rs. 68/88 – Kommission ./. Griechische Republik, EuGHE 1989, 2965; vgl. hierzu Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 24. 4 Zu Einzelheiten Hecker, in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 10 Rz. 4, 9 ff., 13. 5 Waldhoff in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 325 AEUV Rz. 18; MÅller-Gugenberger in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, §5 Rz. 111 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 14 Rz. 44. 6 Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 86 AEUV Rz. 8 ff. ; MÅller-Gugenberger in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 5 Rz. 118. 7 bereinkommen Åber den Schutzs der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften v. 26.7.1995, ABl. EG 1995 Nr. C 316, 49; Zusatzprotokoll v. 27.9.1996, ABl. EG 1996 Nr. C 313, 2; 2. Protokoll v. 29.11.1996, ABl. EG 1996 Nr. C 151, 2 = Protection des intrts financiers; zu Einzelheiten Killmann/ SchrÇder in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 12 Rz. 4 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 14 Rz. 4 ff. 8 Vgl. hierzu auch der bisher unverbindliche Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU; Braum, JZ 2000, 493 ff.; Otto, Jura 2000, 98 ff.; ferner den Vorschlag fÅr eine Richtlinie Åber den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, KOM (2001) v. 23.5.2001, ABl. EU 2011 Nr. C 240 E, 125, und GrÅnbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer europischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715.
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
2. Sekundrrechtliche Vorgaben
2.59 Die sekundrrechtlichen Vorgaben fÅr das nationale Strafrecht ergeben sich vor allem durch EU-Richtlinien, die darauf gerichtet sind, das Strafrecht in bestimmten Sachbereichen zu harmonisieren.1 Die Harmonisierungswirkung durch Richtlinien betrifft sowohl die Tatbestands- als auch die Rechtsfolgenseite. Angesprochen sind damit insbesondere die im Steuerstrafrecht in Bezug genommenen Normen des Steuerrechts, soweit diese EU-Richtlinien umsetzen. Sind die EU-Richtlinien nicht ordnungsgemß oder nicht fristgerecht in innerstaatliches Steuerrecht umgesetzt worden, kÇnnen sie unmittelbar zugunsten des UnionsbÅrgers angewendet werden, wenn die EU-Richtlinien hinreichend genau und von keinen weiteren Bedingungen abhngig sind (s. Rz. 2.37). Dies kann ohne Weiteres dazu fÅhren, dass aufgrund der unmittelbaren Richtlinien-Anwendung der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfÅllt ist. Im brigen dienen die Richtlinien2 der Bekmpfung grenzÅberschreitender Kriminalitt. Erfasst werden hier vor allem die Bereiche besonders schwerer Straftaten.3 Die Ermchtigungsgrundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV, wonach die richtlinienbasierte grenzÅberschreitende Kriminalittsbekmpfung mÇglich ist, hat wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV geregelten Grundsatzes der begrenzten Einzelermchtigung allerdings nur eine begrenzte Reichweite. Sie enthlt insbesondere keine Kompetenz-Kompetenz (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 EUV)4 mit der Folge, dass die Union die grenzÅberschreitende Kriminalittsbekmpfung nicht ohne Weiteres z.B. auf grenzÅberschreitende Steuerstraftaten erstrecken darf.5 Dies gilt auch fÅr die auf der Grundlage des Art. 83 Abs. 2 AEUV beruhenden strafrechtlichen Rechtsangleichungsmaßnahmen, die in Betracht kommen, wenn sie unerlsslich sind, um die Unionspolitik in einen harmonisierten Bereich durchfÅhren zu kÇnnen.6
1 Ermchtigungsgrundlagen: Artt. 82 Abs. 2, 83 Abs. 1, 2, 325 Abs. 4 AEUV. 2 FrÅher RahmenbeschlÅsse, die allerdings fortgelten; vgl. Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33. 3 Vgl. hierzu die in der Vergangenheit erlassenen RahmenbeschlÅsse bei Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 11 Rz. 11 ff. 4 Suhr in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 83 AEUV Rz. 19 ff. 5 Dementsprechend dÅrfen deutsche Ratsvertreter einem etwaigen Erweiterungsbeschluss gem. Art. 83 Abs. 1 Abs. 3 AEUV nur nach Inkrafttreten eines entsprechenden formellen Gesetzes zustimmen (§ 7 Abs. 1 IntVG); vgl. hierzu auch BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010 u.a., BVerfGE 123, 267 (412, 436); BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12 u.a., RIW 2012, 692 (699); vgl. weiterfÅhrend Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 32 ff.; zur Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Rz. 9.1 ff. 6 Zu Einzelheiten Hecker in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 10 Rz. 15 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 8 Rz. 36 ff.
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E. Europische Menschenrechtskonvention
E. Europische Menschenrechtskonvention Die Europische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein multilateraler vÇlkerrechtlicher Vertrag, der darauf gerichtet ist, die allgemeine Erklrung der Menschenrechte in Europa verbindlich umzusetzen.1 Die EMRK, zu deren Vertragsstaaten die Mitgliedstaaten des Europarates gehÇren, kommt als vÇlkerrechtlicher Vertrag im Rang eines fÇrmlichen Bundesgesetzes2 in der Normenhierarchie (s. Rz. 2.27 ff.) zwar kein unmittelbarer Anwendungsvorrang zu,3 wegen der in der EMRK verankerten Grundfreiheiten und der ihr damit zukommenden Bedeutung, ist im Rahmen der Auslegung nationaler Strafrechtsnormen aber stets demjenigen Auslegungsergebnis der Vorzug zu geben, das konventionskonform ist.4 Diese konventionskonforme Auslegung hat nicht nur Bedeutung fÅr die Auslegung einfachen nationalen Rechts, sondern auch fÅr die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Garantien des GG5 sowie schließlich gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh auch fÅr die Auslegung der in der EU-Grundrechtscharta (GRCh) verankerten Grundrechte.6 Eine entsprechende Verbindlichkeit ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 3 EUV, wonach die Grundrechte der EMRK als allgemeine Rechtsgrundstze des Unionsrechts zu berÅcksichtigen sind.7 Hieraus folgt zugleich, dass der Rechtsprechung des Europischen Gerichtshofs fÅr Menschenrechte (EGMR), der Åber die Einhaltung der
1 Meyer-Ladewig3, Einl. EMRK Rz. 32; Grabenwarter/Pabel, Europische Menschenrechtskonvention5, § 2 Rz. 1; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 7; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 6. 2 Vgl. BVerfG v. 29.5.1990 – 2 BvR 254/88, BVerfGE 82, 106 (120). 3 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04; BVerfGE 111, 307 (316); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 86 ff.; BFH v. 23.2.2006 – III B 44/05, BFH/NV 2006, 1297; Meyer-Ladewig3, Einl. EMRK Rz. 33, Giegerich in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 2 Rz. 16 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 2; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 12; BÇse, NStZ 2002, 670. 4 Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 BVerfGE 111, 307 (317); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 86 ff.; vgl. Meyer-Ladewig3, Einl. EMRK Rz. 33; Giegerich in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 2 Rz. 20 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 13. 5 Sofern hierdurch keine Einschrnkung oder Minderung des Grundrechtschutzes nach dem GG fÅhrt; BVerfG v. 14.11.1990 – 2 BvR 1462/87, BVerfGE 83, 119 (128); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 88 ff. 6 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 52 GRCh Rz. 21 ff.; Jarass, Art. 52 GRCh Rz. 60 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 15 f.; vgl. auch Rz. 2.63. 7 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rz. 5; Kraus in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 3 Rz. 66; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 15.
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2.60
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
EMRK zu wachen hat,1 bei der Auslegung der EU-Grundrechte besondere Bedeutung zukommt.2
2.61 Die EMRK entfaltet lediglich einen subsidiren Grundrechtschutz (Artt. 13, 35 EMRK). Das bedeutet, dass die in ihr verankerten Grundrechte lediglich einen Mindeststandard gewhren, sodass weitergehende durch das jeweilige nationale Recht gewhrte Rechte hierdurch nicht eingeschrnkt werden (Art. 53 EMRK).3 Der EGMR, dessen Entscheidungen gem. Art. 59 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG alle staatlichen Organe und Gerichte bindet,4 wird daher auch stets erst nach ErschÇpfung des innerstaatlichen Rechtswegs ttig (Art. 35 Abs. 1 EMRK).5
2.62 In der EMRK sind in dem fÅr das Steuerstrafrecht bedeutsamen Zusammenhang folgende Grundrechte verankert6: – Voraussetzungen eines Freiheitsentzugs, wonach dieser Åberhaupt nur dann zulssig ist, wenn bestimmte HaftgrÅnde vorliegen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. a-f EMRK). DarÅber hinaus gilt zugunsten des Inhaftierten ein Informationsrecht (Art. 5 Abs. 2 EMRK) sowie ein Anspruch darauf, umgehend einem Richter vorgefÅhrt zu werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 EMRK).7 – Recht auf ein faires Verfahren: Hierzu gehÇrt der Grundsatz der Waffengleichheit, der beispielsweise dann nicht gewahrt ist, wenn ein Haftbefehl unzureichende Angaben enthlt und zu dem die Akteneinsicht verweigert wird (Art. 5 Abs. 4 EMRK).8 Das Recht auf ein faires Verfahren9 1 Zur Funktion des EGMR Kadelbach in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 30 Rz. 7 ff.; im berblick: Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 7ff. 2 EuGH v. 15.10.2002 – Rs. C-247/99 – Elf Atochem ./. Kommission, EuGHE 2002, I-8375; EuGH v. 22.10.2002 – Rs. C-94/00 – Roquette Fr res, EuGHE 2002, I-9011; Jarass, Art. 52 GRCh Rz. 65. 3 Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (329); BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931 Rz. 90; Thienel in Karpenstein/ Mayer, Art. 53 EMRK Rz. 6 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 9, 20. 4 BVerfG v. 25.9.2009 – 2 BvR 1113/06, HFR 2010, 69; Meyer-Ladewig3, Art. 46 EMRK Rz. 17. 5 In Steuersachen ist eine Vorlage an den EGMR nicht vorgesehen; vgl. BFH v. 15.11.2006 – XI B 17/06, BFH/NV 2007, 474; BFH v. 31.7.2003 – XI E 6/03, BFH/NV 2003, 1603; BFH v. 31.3.1996 – XI R 82/94, BStBl. II 1996, 518; FG Hamburg v. 28.10.2010 – 3 K 81/10, EFG 2011, 1082. 6 Vgl. auch die bersicht bei Kreicker in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 51; speziell zum Steuerrecht Reiß in GS Trzaskalik, 2005, 473 ff. 7 Hierzu im berblick: DÇrr in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 13; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 48 ff. 8 Vgl. hierzu EGMR v. 9.7.2009 – Mooren, EuGRZ 2009, 566 Rz. 124; EGMR v. 11.3.2008 – Falk, NStZ 2009, 164; EGMR v. 13.2.2001 – Lietzow, NJW 2002, 2013, Rz. 44; weitere Hinweise bei Meyer-Ladewig3, Art. 5 EMRK Rz. 89. 9 Dieses Konventionsrecht gilt nicht im Besteuerungsverfahren; vgl. EGMR v. 12.7.2001 – 44759/98 – Ferazzini/Italien, Slg. 2001 – VII, 10; zu weiteren Hinweisen Hahn, IStR 2011, 437 ff.
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E. Europische Menschenrechtskonvention
ist ferner dann tangiert, wenn das Strafverfahren unangemessen lang andauert (Art. 6 Abs. 1 EMRK).1 Dementsprechend wird bei festgestellter Åberlanger Verfahrensdauer in der Praxis der deutschen Strafgerichte eine Reduzierung der Strafe vorgesehen2 oder in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht, dass ein Teil der verhngten Strafe bereits als vollstreckt gilt.3 Ein faires Verfahren umfasst auch die Selbstbelastungsfreiheit, wonach aus dem Recht zum Schweigen keine negativen Folgen gezogen werden dÅrfen.4 Diesem Nemo-tenetur-Grundsatz wird im Steuerstrafrecht durch § 393 Abs. 1 Satz 2 AO entsprochen.5 Das gilt allerdings nicht fÅr § 393 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach von Beschuldigten in ErfÅllung steuerrechtlicher Pflichten offenbarte Tatsachen und Beweismittel fÅr eine Straftat, die nicht Steuerstraftat ist, verwendet werden dÅrfen, wenn an der Verfolgung ein zwingendes Çffentliches Interesse besteht.6 Schließlich beinhaltet das Recht auf ein faires Verfahren auch den Anspruch auf rechtliches GehÇr und die Gewhrleistung einer effektiven Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK).7 – Unschuldsvermutung, wonach jedem das Recht zusteht, nicht als einer Straftat schuldig bezeichnet oder behandelt zu werden, bevor seine Schuld gerichtlich festgestellt worden ist,8 und die im Wesentlichen fÅr
1 Der EGMR hat im Urteil EGMR v. 10.2.2005 – Uhl, StV 2005, 475 ein neunjhriges Strafverfahren und mit Urteil EGMR v. 13.1.2011 – Hoffer und Annen, NJW 2011, 3353 ein sechseinhalbjhriges Verfahren vor dem BVerfG beanstandet; vgl. den berblick bei Grabenwarter/Pabel in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 14 Rz. 113 ff.; Meyer-Ladewig3, Art. 6 EMRK Rz. 207; durch das Gesetz Åber den Rechtsschutz bei Åberlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BGBl. I 2011, 2302, ist nunmehr ein effektiver Rechtsschutz gewhrleistet, zu Einzelheiten Althammer/Schuble, NJW 2012, 1 ff. 2 Zu diesem frÅher geltenden Strafabschlagsmodell Fischer61, § 46 StGB Rz. 129 man.; vgl. auch BGH v. 17.1.2008 – GSSZ 1/07, BGHSt 52, 124; BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09, BStBl. II 2010, 835; BGH v. 21.12.2010 – 2 StR 344/10, StV 2011, 406; BGH v. 15.3.2011 – 1 StR 429/09, StV 2011, 407. 3 Zu dieser VollstreckungslÇsung BGH v. 17.1.2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 (kein Nebeneinander von Strafabschlagsmodell und VollstreckungslÇsung); im Ergebnis gebilligt durch EGMR v. 22.1.2009 – Kaemena und ThÇnebÇhn, StV 2009, 561. 4 EGMR v. 29.6.2007 – O‘Halloran und Francis, NJW 2008, 3549 Rz. 53 ff.; EGMR v. 10.1.2008 – LÅckhof und Spanner, JZ 2008, 375 Rz. 47 ff.; EGMR v. 5.4.2012 – Yves Chambaz, IStR-Lnderbericht Heft 11/2013, 1; Grabenwarter/Pabel in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 2 Rz. 14 Rz. 164 ff.; Meyer-Ladewig3, Art. 6 EMRK Rz. 139 ff., 212. 5 Joecks in F/G/J7, § 393 AO Rz. 7 ff. 6 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen im Einzelnen Joecks in F/G/J7, § 393 AO Rz. 69 ff.; Meyer-Mews, DStR 2013, 161 ff.; vgl. auch Rz. 15.31 ff. 7 Zu Einzelheiten: Grabenwarter/Pabel in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 14 Rz. 143 ff.; Meyer-Ladewig3, Art. 6 EMRK Rz. 222 ff.; Esser in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 58 Rz. 1 ff. 8 Vgl. EGMR v. 30.3.2010 – 44418/07 – Poncelet/Belgien, NJW 2011, 1789; Grabenwarter/Pabel in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 2 Rz. 14 Rz. 167.
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Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
die Beweislastverteilung im Strafverfahren1 Bedeutung erlangt (Art. 6 Abs. 2 EMRK). Hierdurch wird der In-dubio-pro-reo-Grundsatz auch durch die EMRK abgesichert2. Dass eine zulasten des Beschuldigten gehende Beweislastverteilung konventionswidrig ist, hat im Steuerstrafrecht in den Fllen eine besondere Bedeutung, in denen das in Bezug genommene Steuerrecht derartige Beweislastregeln, Vermutungen und Fiktionen enthlt: Sie sind im Grundsatz im Strafrecht ohne Bedeutung.3 – Gesetzlichkeitsprinzip, wonach in bereinstimmung mit Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB der Nulla-poena-sine-lege-Grundsatz verankert wird (Art. 7 EMRK).4 Erfasst wird damit neben dem Bestimmtheitsgebot und dem Analogieverbot5 auch das RÅckwirkungsverbot.6 FÅr das Steuerstrafrecht hat insbesondere das RÅckwirkungsverbot besondere Bedeutung: RÅckwirkend in Kraft gesetzte steuerbegrÅndende oder steuerverschrfende Rechtsnormen kÇnnen nicht nachtrglich eine Strafbarkeit begrÅnden (zu Einzelheiten Rz. 2.8). – Doppelbestrafungsverbot, aufgrund dessen innerhalb desselben Staates eine Tat nicht mehrfach strafrechtlich verfolgt werden darf (Art. 4 Abs. 1 EMRK-PR7).7 Dieses konventionsrechtliche Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) gilt allerdings immer nur fÅr einen Staat und hindert nicht die StrafverfolgungsbehÇrden anderer Staaten, wegen ein und derselben Tat eine erneute Bestrafung auszusprechen.8 Ein kodifiziertes oder ein vÇlkergewohnheitsrechliches transnationales ne bis in idem gibt es demgegenÅber nicht.9 Ein Doppelbestrafungsverbot inner-
1 Nicht erst nach Anklageerhebung; EGMR v. 21.2.1984 – OztÅrk, EuGRZ 1985, 62. 2 EGMR v. 28.4.2005 – A.L., NJW 2006, 1113 Rz. 31 ; vgl. auch Meyer-Ladewig3, Art. 6 EMRK Rz. 211 ff. 3 Joecks in F/G/J7, Einleitung Rz. 108, § 370 AO Rz. 55 m.w. Differenzierungen; Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580). 4 Hierzu Kadelbach in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 15; im berblick Kreicker in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 51 Rz. 81 ff. 5 EGMR v. 22.3.2001 – Strelek, NJW 2001, 3035 Rz. 50; vgl. auch Kadelbach in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 15 Rz. 25 m.w.N. 6 EGMR v. 22.3.2001 – Strelek, NJW 2001, 3035 Rz. 50; EGMR v. 17.12.2009 – M, NJW 2010, 2495 Rz. 133 ff.; Kadelbach in DÇrr/Grote/Marauhn, EMRK/GG2, Kap. 15 Rz. 26 ff.; im berblick: Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 77 ff. 7 Von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. 8 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (23); Kreicker in S/S/vHH, Europisches Strafrecht, § 51 Rz. 67; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 92; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 116. 9 Vgl. BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (15, 18 ff.); BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (338).
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F. Charta der Grundrechte in der Europischen Union
halb der EU ergibt sich allerdings aus Art. 54 SD1 und Art. 50 GRCh (vgl. hierzu Rz. 4.5 ff.).
F. Charta der Grundrechte in der Europischen Union Die Grundrechtscharta (GRCh) verfolgt das Ziel, bereits aus allgemeinen Rechtsgrundstzen folgende Rechte allgemein verbindlich zu machen. Diese Verbindlichkeit ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 EUV.2 Damit sind die in der GRCh verankerten Grundrechte dem primren Unionsrecht zuzuordnen, sodass sie in der Normenhierarchie (hierzu s. Rz. 2.45) oben angesiedelt sind.3 Auf der Ebene des Primrrechts ergibt sich allerdings keine Rangfolge zwischen der GRCh einerseits und dem Åbrigen Primrrecht andererseits.4 Dagegen hat die GRCh Vorrang gegenÅber dem sekundren Unionsrecht mit der Folge, dass dieses im Zweifel grundrechtskonform auszulegen ist.5 Im Hinblick auf den Primrrechtscharakter der GRCh und ihre uneingeschrnkte Verbindlichkeit sind nationale Rechtsvorschriften, die gegen die in der GRCh verankerten Grundrechte verstoßen, nicht anwendbar.6 Diese fÅr die EU-Mitgliedstaaten maßgebliche Verbindlichkeit gilt bei DurchfÅhrung des Rechts der Union, also fÅr die Anwendung des primren und sekundren Unionsrechts sowie fÅr die Anwendung des nationalen Rechts nach Umsetzung von Richtlinien (Art. 51 Abs. 1 GRCh).7 In dem fÅr das Steuerstrafrecht maßgeblichen Zusammenhang ergibt sich, dass die GRCh nicht nur auf das Strafrecht selbst, sondern auch auf die blankettausfÅllenden Normen des Steuerrechts anzuwenden ist. Von Bedeutung sind hier insbesondere die in Art. 47 ff. GRCh verankerten justiziellen Rechte. Die hiervon ausgehenden Schutzwirkungen entsprechen weitgehend denen der EMRK. So verlangt etwa Art. 47 Abs. 2 GRCh ein faires Verfahren,8 das neben dem Recht auf GehÇr und auf Waffengleichheit das Recht beinhaltet, dass innerhalb angemessener
1 Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen, BGBl. II 1993, 1010; weitgehend inhaltsgleich auch Art. 1 des EG-ne-bis-in-idem-bereinkommens, BGBl. II 1998, 2226; BGBl. II 2002, 600; zu Einzelheiten Hackner, NStZ 2011, 425; im berblick: Eser in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 36 Rz. 70 ff. 2 Aufgrund des sog. Lissabon-Vertrages mit Wirkung zum 1.12.2009; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 6 EUV Rz. 12. 3 EuGH v. 19.1.2010 – Rs. 555/07 – KÅcÅkdeveci, EuGHE 2010 I-395; Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 6 EUV Rz. 12; Jarass, Einl. GRCh2 Rz. 9; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (611). 4 Jarass, Einl. GRCh2 Rz. 10 f. 5 Zu Einzelheiten Jarass, Einl. GRCh2 Rz. 53 f. 6 Streinz in Streinz2, Art. 6 EUV Rz. 2; Jarass, Einl. GRCh2 Rz. 69. 7 Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 51 GRCh Rz. 8; Jarass, Art. 51 GRCh2 Rz. 16 ff.; zu dieser begrenzten Reichweite Huber, NJW 2011, 2385 ff. (2387 ff.). 8 Zu Einzelheiten Jarass, NJW 2011, 1393 ff. (1396 f.).
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2.63
Kapitel 2 Rechtsquellen des Internationalen Steuerstrafrechts
Frist entschieden wird.1 Von Bedeutung sind ferner, und zwar ebenfalls in Parallele zur EMRK, die in Art. 48 GRCh verankerte Unschuldsvermutung sowie die garantierten Verteidigungsrechte bei der Strafverfolgung.2 Schließlich fÅhren die in Art. 49 Abs. 1 GRCh formulierten Grundstze der Gesetzmßigkeit und der Verhltnismßigkeit bei Strafverfahren3 auf das in Art. 7 Abs. 1 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Gesetzlichkeitsprinzip zurÅck, das insoweit eine mehrfache Absicherung erfhrt. Soweit die GRCh ein Doppelbestrafungsverbot4 enthlt (Art. 50 GRCh), geht dessen Reichweite Åber dasjenige Verbot hinaus, das in Art. 103 Abs. 3 GG5 und Art. 4 Abs. 1 EMRK-PR76 geregelt ist. Art. 50 GRCh erfasst nmlich nicht nur die doppelte Bestrafung innerhalb eines Staates, sondern – ebenso wie Art. 54 SD –7 auch die Doppelbestrafung durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten in der EU oder durch einen Mitgliedstaat und die Union.8 Eine Doppelbestrafung ist daher nicht gehindert, wenn zuvor eine strafrechtliche Verurteilung in einem Drittstaat erfolgt ist.9
1 Zu Einzelheiten Blanke in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 47 GRCh Rz. 14 f.; Jarass, Art. 47 GRCh2 Rz. 31 ff.; Jarass, NJW 2011, 1393 ff. (1397 f.). 2 Jarass, Art. 48 GRCh2 Rz. 1 ff., 13 ff.; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (613 f.). 3 Zu Einzelheiten Gaede, wistra 2011, 365 ff.; Jarass, NStZ 2012, 611 ff. (615 f.). 4 Eine Doppelbestrafung ist bei einem Nebeneinander von steuerlicher und strafrechtlicher Sanktion nicht gegeben; EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C – 617/10 – kerberg Fransson, NJW 2013, 1415; hierzu Widmann, UR 2014, 5 ff. 5 Vgl. BVerfG v. 17.1.1961 – 2 BvL 17/60, BVerfGE 12, 62 (66); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (15 f.); BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2011, 1202. 6 Von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. 7 Das Doppelbestrafungsverbot nach Art. 50 GRCh gilt nur nach Maßgabe der einschrnkenden Vollstreckungselemente des Art. 54 SD, also nur dann, wenn neben der rechtskrftigen Aburteilung wegen derselben Tat die angesprochene Strafe auch vollstreckt wurde oder die Vollstreckung unmÇglich war; vgl. EuGH v. 27.5.2014 – Rs. C-129/14 PPU – Spasic, NJW 2014, 3007; EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-398/12 – M, NJW 2014, 3010; BVerfG v. 15.12.2011 – 2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202; BGH v. 1.12.2010 – 2 StR 420/10, NJW 2011, 1014; a.A. z.B. Schomburg/Suominen-Picht, NJW 2012, 1190; kritisch auch Gaede, NJW 2014, 2990. 8 Charta-Erluterungen, ABl. EU 2007 Nr. C 303, 31; Blanke in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4, Art. 50 GRCh Rz. 1; Jarass, Einl. Art. 50 GRCh2 Rz. 9. 9 Streinz in Streinz2, Art. 50 GRCH Rz. 6; Jarass, Art. 50 GRCh2 Rz. 9; allerdings BerÅcksichtigung bei der Strafzumessung; vgl. EuGH v. 13.2.1969 – Rs C 14/68 – Wilhelm u.a., EuGHE 1969, 1.
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| Schaumburg
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
A. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 3.1
B. Prinzipien
Rz.
a
IV. Zeitliche Grenzen der Normanwendung . . . . . . . . . . . . . . . .
3.34
V. Reichweite der Einstellungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.35
I. Territorialititsprinzip . . . . . . .
3.4
II. Ubiquittsprinzip . . . . . . . . . . .
3.12
VI. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.36
III. Flaggenprinzip . . . . . . . . . . . . .
3.18
VII. Auslndische Aburteilungen .
3.37
IV. Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . .
3.19
V. Schutzprinzip . . . . . . . . . . . . . .
3.21
VIII. Anrechnung auslndischer Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.39
VI. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege . . . . . . . . . . .
3.22
IX. Rechtsfolgen und Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.40
VII. Kompetenzverteilungsprinzip.
3.23
VIII. Unionsschutzprinzip . . . . . . . .
3.24
IX. Personalittsprinzip (aktives/ passives) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.25
C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
3.28
II. Zustndigkeit . . . . . . . . . . . . . .
3.31
III. Ermittlungsstand . . . . . . . . . . .
3.33
a
D. § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
3.41
II. Europische Urteile und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.43
III. Außereuropische Urteile und Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . .
3.46
A. EinfÅhrung Das Strafanwendungsrecht regelt sowohl die Frage nach der Strafberechtigung des Staates als auch die Frage nach dem anwendbaren Strafrecht. Fehlt die Strafberechtigung, liegt ein Prozesshindernis vor.1 Da es sich bei dem Strafanwendungsrecht um nationales Recht handelt, ist jeder Staat grundstzlich frei, sein Strafrecht auf smtliche Sachverhalte anzuwenden. Begrenzt wird diese Autonomie allein durch das vÇlkerrechtliche Nichteinmischungsgebot, da ohne sinnvollen Bezug zwischen normierendem Staat und normierten Sachverhalt die Folge eine Verletzung der fremden Souvernitt wre. Voraussetzung ist daher stets ein sog. „genuine link“, also ein „sinnvoller AnknÅpfungspunkt“, der die Erstreckung der deutschen Strafgewalt sinnvoll erscheinen lsst.2 1 BGH v. 22.1.1986 – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 3 = NJW 1986, 2895. 2 BGH v. 30.4.1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64 (66); Ambos, Internationales Strafrecht3, 15 ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, 13 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 9; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 6 ff.; Ambos in MK, Vor §§ 3-7 StGB Rz. 21 ff.
Peters
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3.1
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
3.2 In einer Zwei-Stufen PrÅfung ist zunchst zu prÅfen, ob der strafrechtsrelevante Lebenssachverhalt eine besondere Nhebeziehung zu dem die Strafgewalt beanspruchenden Staat aufweist. Sodann ist zu prÅfen, ob der AusÅbung extraterritorialer Strafgewalt ein vÇlkerrechtliches Verbot entgegensteht, wobei insoweit nur das WillkÅr- und das Rechtsmissbrauchsverbot in Betracht kommen.1 Die unzulssige Einmischung in fremdstaatliche Souvernitt ist zu vermeiden. Das internationale und europische Strafrecht wird daher wesentlich von den im Folgenden aufgefÅhrten Prinzipien bestimmt, die sich aber in jedem Fall an dem Nichteinmischungsgebot, welches Art. 25 GG folgend als allgemeine Regel des VÇlkerrechts den innerstaatlichen Gesetzen vorgeht, messen lassen mÅssen. Die Folge dieser Systematik ist, dass fÅr die Verfolgung ein und desselben Sachverhalts mehrere Staaten berufen sein kÇnnen. D.h. die im Folgenden aufgefÅhrten Prinzipien Åberschneiden sich teilweise. Beispiel: Der spanische Geschftsmann A betreibt von Italien aus ein Umsatzsteuerkarussell oder Streckengeschfte, indem er aus Deutschland (vermeintlich) Autos importiert. Smtliche Buch- und Belegnachweise genÅgen nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen und sind mitunter auch geflscht.
In diesem Falle sind Italien und Deutschland bereits Åber das Territorialittsprinzip wegen des im jeweiligen Land belegenen Tatorts zur Strafverfolgung berufen. Spanien gelangt Åber das aktive Personalittsprinzip zu einer Strafverfolgung. Art. 103 Abs. 3 GG regelt lediglich den innerstaatlichen Grundsatz des „ne bis in idem“ (Verbot der Doppelbestrafung), hindert aber nicht die mehrfache Strafverfolgung. Auch Art. 54 SD regelt auf europischer Ebene nur ein zwischenstaatliches Doppelbestrafungsverbot, besagt aber nichts Åber die Berechtigung zur Strafverfolgung. Dass ein Ermittlungsverfahren gefÅhrt wird, besagt nmlich noch nicht, dass es auch zu einer Verurteilung kommt.
3.3 FÅr den Bereich des internationalen Steuerstrafrechts ist die Frage nach dem Strafanwendungsrecht zumeist von untergeordneter Bedeutung, da die Steuerhinterziehung stets das abstrakte Rechtsgut des vollstndigen und rechtzeitigen Steueraufkommens im Inland verletzt, mithin bereits hierÅber die deutsche Strafgewalt begrÅndet ist (vgl. § 370 Abs. 7 AO2). Gleichwohl sollen die maßgeblichen Prinzipien unter besonderer BerÅcksichtigung der Steuerhinterziehung und damit einhergehender Delikte der Vollstndigkeit halber und zum besseren Verstndnis des Internationalen Steuerstrafrechts dargestellt werden.
1 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 10; so auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 4 Rz. 2 ff. 2 § 370 Abs. 7 AO lautet: „Die Abstze 1 bis 6 gelten unabhngig von dem Recht des Tatortes auch fÅr Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.“
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B. Prinzipien
B. Prinzipien I. Territorialititsprinzip Durch das 2. Strafrechtsreformgesetz1 (StrRG) wurde im Jahr 1975 das von 1940–1974 geltende Personalittsprinzip durch das Territorialititsprinzip abgelÇst.2 Das deutsche Strafrecht ist demnach nicht mehr auf jede Tat eines Deutschen anwendbar, sondern auf jede in Deutschland begangene Tat, unabhngig davon von wem sie begangen wird und welcher Nationalitt der Tter oder das Opfer angehÇren.3 Gem. § 3 StGB gilt deutsches Strafrecht fÅr alle Taten, die im Inland begangen werden.4 FÅr nicht im Inland begangene Taten regeln die §§ 4–7 StGB die Voraussetzung der Anwendung deutschen Strafrechts.
3.4
Inland ist, entsprechend dem staatsrechtlichen Inlandsbegriff, das gesamte Staatsgebiet, in dem deutsches Strafrecht auf Grund hoheitlicher Strafgewalt seine Ordnungsfunktion geltend macht.5 Dazu gehÇren neben dem Landgebiet auch deutsche Exklaven, Zollgebiete, KÅstengewsser, nationale Eigengewsser (Seehfen, Meeresbuchten) sowie der Luftraum.6 Der Ort der Tat bestimmt sich Åber § 9 StGB:
3.5
(1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Tter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens htte handeln mÅssen oder an dem der zum Tatbestand gehÇrende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Tters eintreten sollte. (2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens htte handeln mÅssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt fÅr die Teilnahme das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.
1 Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts (2. StrRG), verkÅndet am 4.7.1969, BGBl. I 1969, 717, in Kraft getreten am 1.7.1975. 2 Zu der angedachten EinfÅhrung eines Europischen Territorialittsprinzips vgl. den Entwurf des „Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU“ http://ec.europa.eu/anti_frud/green_paper/corpus/de.doc (Stand 01/2011); zum Territoralittsprinzip im Steuerstrafrecht vgl. auch Harder in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 22 Rz. 87. 3 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 24 ff.; Safferling, Internationales Strafrecht, 13 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 12; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 49 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1. 4 Zur dogmatischen Einordnung vgl. Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 4 ff. 5 BGH v. 26.11.1980 – 3 StR 393/80, BGH v. 7.3.1984 – 3 StR 550/83, BGHSt 30, 1; BGH v. 7.3.1984 – 3 StR 550/83, BGHSt 32, 297; Fischer61, vor §§ 3–7 StGB Rz. 12; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1. 6 Vgl. auch Fischer61, vor §§ 3–7 StGB Rz. 12.
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Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
3.6 Was die Steuerhinterziehung betrifft, so tritt die SteuerverkÅrzung als tatbestandsmßiger Erfolg im Inland ein, mithin ist der Tatbestand des § 370 AO dann erfÅllt, wenn es zu einer VerkÅrzung einer inlndischen Steuer kommt.
3.7 Durch flankierende vÇlkerrechtliche Vereinbarungen ist ergnzend geregelt, in welchem Raum ein Staat seine Strafgewalt ausÅben darf. So findet etwa nach dem deutsch-schweizerischen Abkommen auf Straftaten, die bei einer vorgeschobenen deutschen Grenzabfertigungsstelle in der Schweiz aus Anlass der Grenzkontrollen begangen werden, bereits deutsches Strafrecht Anwendung.1 Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der schweizerischen Eidgenossenschaft Åber die Einrichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln whrend der Fahrt.2 Beispiel: Der Deutsche A hat in seinem Auto eine Vielzahl an geflschten Buch- und Belegnachweisen sowie Depotaufstellungen fÅr schweizer Konten. Zudem ist A betrunken und fÅhrt aus GrÅnden der eigenen Sicherheit eine Schusswaffe im Handschuhfach bei sich. Deutsche Beamte halten A auf schweizerischem Hoheitsgebiet an, kontrollieren diesen und verbringen den A, nachdem dieser gegen die Anordnung der Blutentnahme gewaltsam Widerstand leistet, auf deutsches Hoheitsgebiet. A wird in Deutschland angeklagt.
3.8 Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Abkommens gelten in der im Gebietsstaat gelegenen Zone, in der die Bediensteten des Nachbarstaates zur Grenzabfertigung berechtigt sind, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Nachbarstaates, die sich auf die Grenzabfertigung beziehen, in gleicher Weise wie in der Gemeinde des Nachbarstaates, der die Grenzabfertigungsstelle zugeordnet ist. Sie werden von den Bediensteten des Nachbarstaates im gleichen Umfang und mit allen Folgen wie im eigenen Staatsgebiet durchgefÅhrt. Die Strafgewalt obliegt nach Art. 4 Abs. 2 des Abkommens den Gerichten und BehÇrden des jeweiligen Nachbarstaates.3 Ein Bezug zum GrenzÅbertritt von Personen ist zu bejahen, wenn im konkreten Fall ein innerer sachlicher Zusammenhang mit dem GrenzÅbergang besteht, wie im Beispielsfall mit der angedachten Einreise per Kfz. Nicht ausreichend wre, wenn der A im obigen Beispiel auf der Schweizer
1 OLG Karlsruhe v. 11.4.2005 – 3 Ws 99/05, NStZ-RR 2006, 87; BGH v. 21.1.1983 – 2 StR 698/82, BGHSt 31, 216. 2 Abkommen v. 1.6.1961, BGBl. II 1962, 879, gendert durch das Abkommen v. 12.4.1989, BGBl. II 1991, 292, die aufgrund der Zustimmungsgesetze v. 1.8.1962, BGBl. II 1962, 877, und v. 21.12.1990, BGBl. 1991, 292, innerstaatliches Recht geworden sind und als speziellere Regelung den Anwendungsbereich deutsche Strafgesetze Åber die allgemeinen Vorschriften der §§ 3 ff. StGB hinaus erweitern. Abrufbar unter http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/topics/intla/intrea/dbstv/data_t/t_6.html. 3 OLG Karlsruhe v. 11.4.2005 – 3 Ws 99/05, NStZ-RR 2006, 87.
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B. Prinzipien
Seite lediglich auf einen deutschen Kontaktmann wartet und diesem die Unterlagen Åbergeben will. Gleiches gilt fÅr deutsche Zollabfertigungsstellen in Bezug auf Belgien1, die Niederlande2, sterreich3, Tschechien4 und Polen5. Ebenso gehÇren Geschfts- und Wohnrume auslndischer Diplomaten ungeachtet der Exterritorialitt zum Inland.6
3.9
Besondere Bedeutung erlangt das Territorialittsprinzip im Zusammenhang mit den Steuerordnungswidrigkeiten (§§ 377 ff. AO), fÅr die gem. § 377 Abs. 2 AO die Vorschriften des Ersten Teils des Gesetzes Åber Ordnungswidrigkeiten gelten, soweit die Bußgeldvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. Mithin auch die §§ 5, 7 OWiG, wonach das OWiG grundstzlich nur auf Inlandstaten Anwendung findet. Die praxisrelevante Norm des § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) gilt nicht fÅr im Ausland begangene Handlungen.
3.10
Beispiel: Der fÅr eine deutsche Firma in Mazedonien ttige A schließt mit dem Regierungsmitglied B einen Beratungsvertrag ab, um ein fÅr die deutsche Firma ungÅnstiges Gesetz zu verhindern. Die deutsche Firma verbucht das Entgelt als Betriebsausgaben. Im Nachhinein kann im deutschen Ermittlungsverfahren nicht sicher nachgewiesen werden, dass ein Verstoß gegen das IntBestG vorliegt; die Voraussetzungen fÅr den Nachweis eine Verstoßes gegen § 130 OWiG wren jedoch erfÅllt, da es die deutsche Firma unterlassen hat, die Ttigkeiten des A genauer zu kontrollieren (z.B. § 91 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG). Eine Geldbuße gegen das Unternehmen scheitert am Territorialittsprinzip. In Betracht kommt allenfalls ein Vorgehen nach § 29a OWiG (Verfall).
FÅr die leichtfertige SteuerverkÅrzung ordnet hingegen § 378 Abs. 1 Satz 2 AO die entsprechende Geltung von § 370 Abs. 4-7 AO an, sodass auch im Ausland begangene Taten erfasst werden. Die (leichtfertige) durch das Unternehmen begangene Steuerhinterziehung/-verkÅrzung bleibt also verfolgbar. Eine Ausnahme vom Territorialittsprinzip findet sich in § 370 Abs. 6 Satz 2 AO im Falle der Hinterziehung auslndischer Eingangsabgaben. Das deutsche Strafrecht gilt hinsichtlich dieser Tat unabhngig vom Tatort.7
1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 21.1.1983 – 2 StR 698/92, BGHSt 31, 215. BGH v. 6.3.1992 – 3 StR 398/91, NStZ 1992, 338. BayObLG v. 26.5.1981 – Rreg 4 St257/80, ZfZ 1981, 339. BayObLG v. 8.2.2001 – 4 St RR 9/2001, NStZ-RR 2001, 217. BGH v. 9.2.2000 – 5 StR 650/99, NStZ 2000, 321. LG KÇln v. 14.7.1982 – 3 Ss 378/82, NJW 1982, 2740. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.1.
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3.11
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
II. Ubiquittsprinzip 3.12 § 9 StGB normiert das sog. Ubiquittsprinzip: „Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Tter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens htte handeln mÅssen oder an dem der zum Tatbestand gehÇrende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Tters eintreten sollte“ (§ 9 Abs. 1 StGB).1 TatortbegrÅndend wirkt auch der Eintritt der schweren Folge eines erfolgsqualifizierten Delikts oder der objektiven Bedingung der Strafbarkeit (z.B. § 283 Abs. 1 StGB) im Inland.
3.13 Handelt ein Mittter im Inland, wird dies den anderen Beteiligten zugerechnet, mithin werden auch deren Tatbeitrge als im Inland begangen betrachtet.2 Dies gilt auch dann, wenn sich das Handeln eines Mittters auf Tatbeitrge beschrnkt, die fÅr sich gesehen nur Vorbereitungshandlungen sind.3 Zur BegrÅndung stellt der BGH auf das Prinzip der wechselseitigen Zurechnung und die Gemeinschaftlichkeit der Tatbegehung (§ 25 Abs. 2 StGB) ab, da der gemeinschaftliche Angriff auf das geschÅtzte Rechtsgut4 von jedem Ort ausgeht, an dem einer der Mittter seinen Tatbeitrag leistet und damit i.S. des § 9 Abs. 1 StGB handelt. Da sich jeder Mittter den Tatbeitrag des anderen zurechnen lassen muss, kann fÅr die Tatortbestimmung nichts anderes gelten.
3.14 FÅr das Steuerstrafrecht normiert § 369 Abs. 2 AO, dass fÅr Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze Åber das Strafrecht gelten, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. § 370 Abs. 7 AO5 besagt, wie eingangs erwhnt, ausdrÅcklich, dass § 370 Abs. 1-6 AO unabhngig auch fÅr Taten gelten, die außerhalb des Geltungsbereichs der AO begangen werden.6 Soweit VerkÅrzungserfolge im Inland eintreten, er1 Vgl. auch MÇhrenschlger in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 3 Rz. 34. 2 BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88 (90) zur Inbrandsetzung eines Kfz auf belgischem Hoheitsgebiet zum Zwecke des Versicherungsbetrugs in Deutschland; vgl. bereits RGSt 11, 20 (23); 13, 337 (339); 57, 144 f.; BGH v. 6.4.1976 – 4 StR 108/76; Lackner19, § 9 StGB Rz. 2; Lemke in AK, § 9 StGB Rz. 8; TrÇndle in LK10, § 9 StGB Rz. 3; Pfeiffer in KK2, § 7 StGB Rz. 4; DÅnnebier in LÇwe/Rosenberg22, § 7 StPO Anm. I 2 g; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 794. 3 BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88 (90) unter Verweis auf RGSt 57, 144 f.; Dreher/TrÇndle45, § 9 StGB Rz. 2; Eser in SchÇnke/SchrÇder24, § 9 StGB Rz. 4; Jescheck, Strafrecht AT4, 160. 4 BGH v. 4.12.1992 – 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88. Zur Bedeutung und zum geschÅtzten Rechtsgut bei der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 10.2. 5 EingefÅhrt durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz (UStBG) v. 25.8.1992, BGBl. I 1992, 1548, neugefasst durch EG-FinSchG v. 22.9.1998, BGBl. II 1998, 2322. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Kohlmann in FS Hirsch, 577 (584). Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79 ff.; Zum Anwendungsbereich vgl. KeßebÇhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (6). 6 Hierzu Kohlmann in FS Hirsch, 577 (584), der in § 370 Abs. 7 AO eine eigenstndige Sonderregelung fÅr das internationale Steuerstrafrecht sieht und die §§ 3-7, 9 StGB insoweit fÅr unanwendbar hlt. Denn die Strafbestimmungen des 8. Teils der AO (§§ 369-376) gehen seiner Ansicht nach den allgemeinen Strafvorschriften als leges speciales vor.
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B. Prinzipien
gibt sich die Strafbarkeit eines im Ausland Handelnden bereits unmittelbar aus § 9 Abs. 1 StGB. Der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift des § 370 Abs. 7 AO ist indes gering, da alle denkbaren Fallkonstellationen mit Auslandsbezug Åber die gem. § 369 Abs. 2 AO anwendbaren allgemeinen Grundstze des Internationalen Strafrechts erfasst werden.1 Als Gegenbeispiel werden mitunter Veranlagungssteuern angefÅhrt, bei denen der Taterfolg erst mit Bekanntgabe des Festsetzungsbescheids eintrete und es daher mÇglich sei, dass der VerkÅrzungserfolg auch im Ausland angesiedelt sei; etwa bei Abgabe einer unrichtigen Steuererklrung aus dem Ausland heraus und spterer Zustellung an den auslndischen Aufenthaltsort.2 Weder der Ort der Tathandlung noch der des Erfolgseintritts lgen dann im Inland, sodass gem. § 9 Abs. 1 StGB das deutsche Strafrecht nicht zur Anwendung kme, gbe es § 370 Abs. 7 AO nicht.3 Gleiches gelte fÅr die Unterlassung, da Ort der Begehung im Falle des Unterlassens dort ist wo der Tter htte handeln mÅssen; eine Steuererklrung aber nicht im Inland abzugeben sei.4
3.15
Dagegen spricht aber, dass fÅr die Annahme eines inlndischen Tatorts ausreichend ist, dass entweder die Tathandlung oder der Taterfolg im Inland stattfindet bzw. htte stattfinden sollen. Mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids werden allein der Erfolgszeitpunkt und womÇglich der Verjhrungsbeginn, nicht aber der Erfolgsort der Steuerhinterziehung verlagert. Durch die in § 9 Abs. 1 StGB enthaltene Wendung „zum Tatbestand gehÇrender Erfolg“ ist der Kreis der erfolgsrelevanten Vorgnge weiter zu fassen; der Taterfolg ist, dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO „und dadurch Steuern verkÅrzt“ folgend, bereits mit der unrichtigen Festsetzung der Steuer verwirklicht.
3.16
In der Unterlassungsvariante ist gem. § 9 Abs. 1 StGB fÅr den Ttigkeitsort auf die gebotene PflichterfÅllung (Abgabe der Steuererklrung und Eingang beim zustndigen Finanzamt, vgl. §§ 149 AO, §§ 25, 46 EStG, § 56 EStDV) abzustellen. Der Erfolgsort des Versuchs und der Vollendung liegt in beiden Fllen bei dem inlndischen zustndigen Veranlagungsfinanzamt, da die Vollendung eintritt, wenn das zustndige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten fÅr das betreffende Kalenderjahr abgeschlossen hat.5 Die Auslegung des Merkmals „zum Tatbestand gehÇrender Erfolg“ muss sich an der ratio legis des § 9 StGB ausrichten.6 Nach dem Grundgedanken der Vorschrift soll deutsches Strafrecht – auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland – Anwendung finden, sofern es im Inland zu der
3.17
1 2 3 4 5
So auch Kohlmann in FS Hirsch, 577 (593). KeßebÇhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). KeßebÇhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). KeßebÇhmer/Schmitz, wistra 1995, 1, (5). So auch Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 33; a.A. KeßebÇhmer/Schmitz, wistra 1995, 1 (5). 6 Vgl. BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212.
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Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
Schdigung von RechtsgÅtern oder zu Gefhrdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist. Daraus folgt, dass das Merkmal „zum Tatbestand gehÇrender Erfolg“ i.S. des § 9 StGB nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden kann.1
III. Flaggenprinzip 3.18 Das in § 4 StGB beinhaltete Flaggenprinzip besagt, dass der Staat, dessen Flagge ein Schiff oder dessen StaatszugehÇrigkeitszeichen ein Luftfahrzeug zu fÅhren berechtigt ist (d.h. vorrangig kommt es auf den Ort der Registrierung an), die Strafgewalt fÅr an Bord begangene Taten in Anspruch nehmen darf.2
IV. Weltrechtsprinzip 3.19 Nach dem Weltrechtsprinzip oder Universalittsprinzip ist jeder Staat berechtigt, seine Strafgewalt auf Taten zu erstrecken, unabhngig davon, wer die Tat begangen hat, wo sie begangen wurde und ungeachtet der Nationalitt des Tatopfers.3 Voraussetzung ist jedoch, dass sich die Tat gegen weltweit anerkannte Kulturwerte und RechtsgÅter richtet, an deren Schutz ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht.4 Dies ist unproblematisch in den Fllen des Verstoßes gegen das VStGB5, wie sie im Statut von Rom niedergelegt wurden.6 Im Falle eines VÇlkermords ist jeder Staat berechtigt, den Sachverhalt nach seinem Strafrecht abzuurteilen, unabhngig davon, wo, von wem und an wem die Tat begangen wurde7. 1 BGH v. 12.12.2000 – 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212 unter Verweis auf BGH v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235 (242); Gribbohm in LK11, § 9 StGB Rz. 24. 2 Ambos in MK, § 4 StGB Rz. 15; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.2; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 4 Rz. 12; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 42, Safferling, Internationales Strafrecht, 21; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 25 ff. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 560 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 73; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 90 ff.; MÇhrenschlger in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 3 Rz. 46f. 4 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 73; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 90 ff. 5 Nher hierzu Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 17 Rz. 38; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 48. 6 BGBl. II 2000, 1394. 7 Belgien etwa verabschiedete 1993 ein Gesetz, wonach Kriegsverbrechen in Belgien ungeachtet des Orts der Tat bestraft werden konnte, mit der Folge, dass Klagen gegen den seinerzeitigen israelischen Ministerprsidenten bezÅglich 1982 verÅbter Massaker an Palstinensern in libanesischen FlÅchtlingslagern anhngig gemacht wurden.
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B. Prinzipien
Eine Entlastung erfhrt die deutsche Strafrechtspflege durch § 153f StPO, wonach der Verzicht auf Ermittlungen nahegelegt wird, wenn die Tat keinerlei Inlandsbezug aufweist und der Tatortstaat, der Heimatstaat des Tters die Verfolgung Åbernimmt oder ein internationaler Gerichtshof sich fÅr zustndig erklrt.1 Nach § 6 StGB gilt das deutsche Strafrecht, unabhngig vom Recht des Tatorts, ferner fÅr im Ausland begangene Taten wie Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen, Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (Piraterie), Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie FÇrderung des Menschenhandels, unbefugter Vertrieb von Betubungsmitteln, Subventionsbetrug und Taten, die aufgrund eines fÅr die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden.2 Zum Schutz staatlicher Einnahmen existiert daher die Regelung des § 370 Abs. 7 AO. ber § 6 Nr. 8 StGB, § 370 Abs. 7 AO trgt das deutsche Strafanwendungsrecht der aus Art. 325 AEUV zu entnehmenden unionsrechtlichen Verpflichtung Rechnung, das jeweilige nationale Strafrecht zum Schutze der EU-Finanzinteressen zu funktionalisieren.
3.20
V. Schutzprinzip Das Schutzprinzip ermÇglicht die Anwendung deutschen Strafrechts auf solche Handlungen, die inlndische RechtsgÅter gefhrden oder verletzen.3 Jedem Staat soll die MÇglichkeit gegeben werden, seine oder die von der Strafrechtsordnung getragenen RechtsgÅter umfassend zu schÅtzen. Im Weiteren wird nochmals unterschieden zwischen dem Staatsschutzprinzip und dem Individualschutzprinzip. Das Staatsschutzprinzip besagt, dass sich ein Staat Angriffen auf seine politische und militrische Integritt mit strafrechtlichen Mittel erwehren darf.4 Das Individualschutzprinzip, auch passives Personalittsprinzip genannt,5 bewirkt den strafrechtlichen Schutz inlndischer Tatopfer oder sonstiger inlndischer IndividualschutzgÅter im Ausland, wie etwa § 5 Nr. 7 StGB die Bekmpfung der Wirtschaftsspionage (§§ 203, 204 StGB und §§ 17-19 UWG), wonach das deutsche Strafrecht unabhngig vom Recht des Tatorts fÅr im Ausland be1 Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, 14. 2 Etwa Art. 100, 105 SR v. 10.12.1982 zur Verankerung des Weltrechtsprinzips fÅr die Piraterie; Art. 14, 19 Abkommen Åber die Hohe See v. 29.4.1958, BGBl. 1972, 1091. 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 73; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 48, Safferling, Internationales Strafrecht, 28 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 67. 4 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 46; Ambos in MK, vor §§ 3-7 StGB Rz. 40. 5 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 78 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 45, Ambos, Internationales Strafrecht3, § 3 Rz. 70.
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3.21
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
gangene Taten gilt. Voraussetzung ist jedoch, dass das Unternehmen a) ein Inlandsbetrieb, b) seinen Sitz im Inland hat (§ 106 HGB; § 5 AktG; §§ 4a, 7 Abs. 1 GmbHG oder c) seinen Sitz im Ausland hat, aber – etwa als Tochtergesellschaft – von einem Unternehmen mit Sitz im Inland abhngig ist und dem Konzernverbund angehÇrt (§§ 18 Abs. 1, 329 ff. AktG). Gleichordnungskonzerne werden hingegen nicht erfasst.1
VI. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 3.22 Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB gilt das deutsche Strafrecht fÅr andere Taten, die im Ausland begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Tter zur Zeit der Tat Auslnder war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausfÅhrbar ist.2 Das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege beruht auf dem Gedanken der Solidaritt der Staaten hinsichtlich der Verbrechensbekmpfung.3 Voraussetzung ist jedoch, dass die Tat nach dem Recht des Begehungsortes strafbar ist, was mitunter zu der Problematik der Feststellung der auslndischen Strafbarkeit durch den inlndische Richter fÅhrt. Die Nichtauslieferung selbst muss feststehen und ggf. von Amts wegen auch noch bis zur Entscheidung der Revisionsinstanz ermittelt werden, da andernfalls ein Prozesshindernis vorliegt.4 Vor Anwendung des deutschen Strafrechts hat das Gericht eine verbindliche Feststellung der nach §§ 12, 74 IRG zustndigen Stelle einzuholen, dass eine Auslieferung nicht erfolgt.5 Zudem sind im Rahmen der Urteilsfindung Wertentscheidungen der jeweils anderen Rechtsordnung zu berÅcksichtigen, auch wenn diese den eigenen entgegenstehen.6
VII. Kompetenzverteilungsprinzip 3.23 hnlich den Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen im Steuerrecht, existiert zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und aus Zweckmßigkeits- und GerechtigkeitsgrÅnden das Kompetenzvertei-
1 Fischer61, § 5 StGB Rz. 7. 2 Vgl. auch Fischer61, § 7 StGB Rz. 9a f.; MÇhrenschlger in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 3 Rz. 45f. 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 5 Rz. 78 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 53 ff., Safferling, Internationales Strafrecht, 32 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 114. 4 BGH v. 17.5.1991 – 2 StR 183/90, NJW 1991, 3104. 5 BGH v. 22.2.1963 – 4 StR 9/63, BGHSt 18, 283 (287); Fischer61, § 7 StGB Rz. 11. 6 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 4 Rz. 16, § 5 Rz. 93 ff.
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B. Prinzipien
lungsprinzip.1 Eine berschneidung der Geltungsbereich der Strafrechtsordnungen soll durch entsprechende Vereinbarungen zwischen den Staaten vermieden und Doppelbestrafungen ausgeschlossen werden. Die Kompetenz liegt nach diesen Vereinbarungen zumeist bei dem Wohnsitzstaat des Tters. Auf europischer Ebene ist am 15.12.2009 der Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren2 in Kraft getreten, der die direkte Konsultation der betroffenen BehÇrden vorschreibt. Insbesondere den nachteiligen Folgen parallel gefÅhrter Verfahren soll entgegengewirkt werden, um unnÇtigen Aufwand an Zeit und Ressourcen der betroffenen zustndigen BehÇrden zu vermeiden. Erklrtes Ziel ist es, unnÇtige parallele Strafverfahren zu vermeiden, die zu einem Verstoß gegen den Ne-bis-in-idem-Grundsatz fÅhren kÇnnten.3 Die praktische Abstimmung der beteiligten BehÇrden geschieht in der Praxis via Eurojust (hierzu unter Rz. 9.7, 9.46).
VIII. Unionsschutzprinzip Die Europische Gemeinschaft verfÅgt bislang Åber keine eigene StrafverfolgungsbehÇrde und so besagt das Unionsschutzprinzip, dass die Mitgliedstaaten Taten, die sich gegen die Interessen der EU richten, verfolgen und bestrafen dÅrfen, wenn diese im Ausland verÅbt werden, z.B. Subventionsbetrug.
3.24
IX. Personalittsprinzip (aktives/passives) Das Verhalten eines Menschen beurteilt sich nach dem aktiven Personalittsprinzip4 stets nach dem Strafrecht seines Herkunftslandes.5 Nach § 5 Nr. 8 Buchst. b StGB kÇnnen etwa sog. „Sextouristen“, wegen im Ausland begangenen sexuellen Missbrauchs an Minderjhrigen unabhngig vom Recht des Tatorts oder einer Verfolgung durch die dortigen BehÇrden wegen §§ 176-176b, 182 StGB bestraft werden. Gleiches gilt etwa Åber § 5 Abs. 1 Nr. 12 StGB fÅr die im Ausland begangenen Taten eines deutschen Amtstrgers (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 StGB) oder fÅr den Çffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB). 1 Fischer61, Vor §§ 3–7 StGB Rz. 3; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 4 Rz. 15; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 57 ff. 2 Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 43. 3 Nr. 12 des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI des Rates v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. EU 2009 Nr. L 328, 43. 4 Enthalten in §§ 5 Nr. 3a, 5b, 8, 9, 11a, 12, 14a, 15 StGB; MÇhrenschlger in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 3 Rz. 40 f. 5 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 4 Rz. 7; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 43, Safferling, Internationales Strafrecht, 21, 24; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rz. 37, 70 ff.
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3.25
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht Beispiel: Der deutsche Finanzbeamte A nimmt whrend seines Urlaubs in Kenia einen geldwerten Vorteil des kenianischen Geschftsmanns B an, der sich in naher Zukunft mit seiner Firma im Veranlagungsbezirk des A niederlassen will. A teilt dies weder seinem Dienstherren mit noch gibt er den geldwerten Vorteil in seiner Steuererklrung an. Sowohl wegen der im Ausland unter Umstnden nicht strafbaren Vorteilsannahme (§ 331 StGB) als auch wegen der Steuerhinterziehung kann A in Deutschland belangt werden.
3.26 Seine Rechtfertigung findet dieses Prinzip in dem Gedanken, dass der Staat von seinen StaatsbÅrgern an jedem Ort der Welt die Einhaltung der Strafgesetze verlangen kann. Zum Tragen kommt dieses Prinzip immer dann, wenn die Tat in Staaten begangen wird, deren Rechtsordnung ein Auslieferungsverbot fÅr eigene StaatsangehÇrige vorsieht, wie das deutsche Grundgesetz in Art. 16 GG. Die Flucht ins Heimatland nach Begehung der Straftat verhindert eine Strafverfolgung mithin nicht.
3.27 Das passive Personalittsprinzip bestimmt hingegen die Anwendung deutschen Strafrechts auf im Ausland begangene Taten gegen Deutsche als Opfer. Etwa Verschleppung eines Deutschen im Ausland (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 StGB) oder Vorenthalten eines Kindes im Ausland (§ 5 Abs. 1 Nr. 6a StGB).
C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO I. EinfÅhrung 3.28 Das Legalittsprinzip fußt unter anderem im Rechtsstaatsprinzip, das eine effektive Strafrechtspflege zur Sicherung des Rechtsfriedens und des RechtsgÅterschutzes fordert, sowie im Gleichheitsgrundsatz.1 Es versteht sich von selbst, dass die deutschen StrafverfolgungsbehÇrden nicht jeder Auslandstat nachgehen kÇnnen, deretwegen eine Verfolgung mÇglich wre. ber § 153c StPO ist den deutschen StrafverfolgungsbehÇrden in Abweichung vom grundstzlich geltenden Legalittsprinzip daher die MÇglichkeit eingerumt, bei Auslands- und Distanzdelikten ausnahmsweise von der Verfolgung abzusehen.2 Die bisherige Anwendung in der Praxis ist recht selten. Oftmals werden entsprechende Verfahren mittels StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen an die zustndige auslndische StrafverfolgungsbehÇrde abgegeben.
3.29 Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung solcher Straftaten absehen, die außerhalb des rumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes be1 BVerfG, Urt. v. 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 610/63 und 2/64, BVerfGE 20, 162 (222); Rieß in FS DÅnnebier, 1982, 149 (152, 157 f.); Roxin/SchÅnemann, Strafverfahrensrecht28, § 14 Rz. 2. 2 Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 79.
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C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO
gangen sind oder die ein Teilnehmer an einer außerhalb des rumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangenen Handlung in diesem Bereich begangen hat (Nr. 1) oder die ein Auslnder im Inland auf einem auslndischen Schiff oder Luftfahrzeug begangen hat (Nr. 2). Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat ferner absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der auslndischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskrftig freigesprochen worden ist. Die bisherige praktische Bedeutung der Norm ist, gemessen an der Zahl der Ermittlungsverfahren in Deutschland, verhltnismßig gering.1 Die (potenziellen) Anwendungsflle sind hingegen breit gefchert und es sollte in Anbetracht der Zunahme von Straftaten mit grenzÅberschreitendem Bezug zur Effektuierung der beschrnkten, heimischen Ermittlungsressourcen vermehrt Gebrauch gemacht werden, wenn die Tat bereits am Tatort verfolgt wird. Vornehmlich bei Begleitdelikten zur Steuerhinterziehung, etwa Bestechung im geschftlichen Verkehr oder Vorteilszuwendungen an auslndischer Amtstrger, kann hinsichtlich der diesbezÅglichen Tatbestnde ein frÅhzeitiges Vorgehen nach § 153c StPO und eine entsprechende ErÇrterung mit den ErmittlungsbehÇrden angezeigt sein.
3.30
Beispiel: Das deutsche Unternehmen T wendet zur Erlangung regulatorischer Vorteile Mitgliedern des maßgeblichen staatlichen Entscheidungsgremiums des außereuropischen Landes M geldwerte Vorteile in Form von Beratervertrgen zu, die in Wirklichkeit Schmiergeldzahlungen darstellen. Die Gelder werden bei der deutschen Firma zu Unrecht als Betriebsausgaben erfasst. In diesem Fall kÇnnte es sich anbieten, die Strafverfolgung in Deutschland auf die Steuerhinterziehung zu beschrnken und hinsichtlich der BestechungsvorwÅrfe nach § 153c StPO zu verfahren, wenn nicht der auslndische Staat um bernahme der Strafverfolgung ersucht wird.
II. Zustndigkeit Bis zur ErÇffnung des Hauptverfahrens (§ 153c Abs. 4, 156 StPO) liegt das Recht zur Einstellung des Verfahrens allein bei der Staatsanwaltschaft. Der Zustimmung des Gerichts bedarf es ebenso wenig wie der des Beschuldigten oder eines Verletzten. Nach der ErÇffnung des Hauptverfahrens kann die Staatsanwaltschaft in den Fllen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3 StPO die Klage zurÅcknehmen und das Verfahren einstel-
1 Vgl. Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 1 mit Fn. 11: 2005 wurden 725 Verfahren durch die Staatsanwaltschaften beim LG und die Amtsanwaltschaft eingestellt; zur derzeitig geringen Praxisrelevanz auch Heghmanns/ Scheffler, Hdb. zum Strafverfahren, 2008, Rz. V.116.
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3.31
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
len (§ 153c Abs. 4 StPO).1 Die Verortung der Entscheidungsbefugnis bei der Staatsanwaltschaft als Teil der Exekutive, und nicht beim Gericht, liegt im politischen Charakter der Entscheidung begrÅndet.2 Auch bei einer Einstellung nach ErÇffnung des Hauptverfahrens hat das Gericht nicht zu prÅfen, ob die besonderen Voraussetzungen des § 153c Abs. 4 StPO sowie die allgemeinen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3 StPO tatschlich vorlagen.3
3.32 Zustndig ist die nach § 143 GVG ermittelnde Staatsanwaltschaft. Nr. 94 Abs. 3, 4, Nr. 95 Abs. 2 RiStBV sehen jedoch vor, dass in den Fllen des § 153c Abs. 3 StPO unverzÅglich eine Entscheidung des Generalstaatsanwalts zu suchen ist.4 Da die Entscheidung allein der Staatsanwaltschaft obliegt, haben Polizei, Steuer- und Zollfahndung beim ersten Zugriff unverzÅglich die MÇglichkeit zu erÇffnen, darÅber zu entscheiden. Anders als in § 156 StPO normiert, kann eine bereits erhobene Anklage in derartigen Fllen gem. § 153c Abs. 4 StPO unter den dort nher normierten Voraussetzungen jederzeit einseitig zurÅckgenommen werden. Ein Strafklageverbrauch tritt hierdurch nicht ein.
III. Ermittlungsstand 3.33 Zur Anwendung des § 153c StPO muss ein Ermittlungsverfahren ebenso wenig eingeleitet sein, wie Åberhaupt Ermittlungen gegen einen bestimmten Beschuldigten im Gange sein mÅssen.5 Der der Sachverhalt muss auch nicht vollstndig durchermittelt sein.6 Das bloße Vorliegen eines Anfangsverdachts i.S. des § 152 Abs. 2 StPO ist ausreichend; anderenfalls liefe der Normzweck der Ressourcenschonung leer.7 Ermittelt sein muss freilich, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 153c StPO in seiner jeweils anzuwendenden Ausprgung vorliegen.8 Auch muss wegen der Sonderzustndigkeit des Generalbundesanwalts in § 153c Abs. 5 StPO das (Nicht-)Vorliegen einer Katalogtat beurteilbar sein.
1 Das AnknÅpfen an die Erhebung der Klage ist eine sprachliche Unschrfe, die die MÇglichkeit der RÅcknahme vor der ErÇffnung des Hauptverfahrens nicht einschrnkt, vgl. Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 28. 2 Bloy, GA 1980, 161 (179). 3 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 30 sowie § 153 StPO Rz. 54 hinsichtlich einer Nichteinstellung trotz Vorliegens der Einstellungsvoraussetzungen; Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 33. 4 Der Verweis auf § 153c Abs. 2 StPO ist ein Redaktionsversehen, vgl. Esser/Fischer, JZ 2010, 217 (219 mit Fn. 32). 5 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153c StPO Rz. 2; Schoreit in KK7, § 153c StPO Rz. 3; Weßlau in SK4, § 153c StPO Rz. 7. 6 Pfeiffer5, § 153c StPO Rz. 1; Schoreit in KK7, § 153c StPO Rz. 3; Gercke in HK5, § 153c StPO Rz. 2. 7 Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 10. 8 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 7.
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C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO
Ist dies der Fall, bedarf es keiner weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen.
IV. Zeitliche Grenzen der Normanwendung Eine Einstellung ist in jedem Fall bis zur ErÇffnung des Hauptverfahrens mÇglich. Nach diesem Zeitpunkt gilt nur hinsichtlich des § 153c Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 3 StPO das Immutabilittsprinzip des § 156 StPO, nach dem eine RÅcknahme der Çffentlichen Klage nach der ErÇffnung des Hauptverfahrens nicht mehr mÇglich ist (§ 153c Abs. 4 StPO). In den Fllen des § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und Abs. 3 StPO ist hingegen weiterhin eine Einstellung, selbst in der Rechtsmittelinstanz, unter den in § 153c Abs. 4 StPO genannten Voraussetzungen mÇglich. Dies gilt selbst bei Teilrechtskraft.1
3.34
V. Reichweite der Einstellungsbefugnis Die Einstellung nach § 153c StPO umfasst die gesamte prozessuale Tat. Es ist nicht mÇglich, wie in § 154a StPO die Strafverfolgung auf einzelne Straftatbestnde zu beschrnken.2 § 153c StPO hindert freilich die Anwendung des § 154a StPO nicht. Sind an einer Straftat mehrere beteiligt, ist nach § 153c StPO nicht zwingend fÅr alle Beteiligten eine einheitliche Einstellung nach § 153c StPO vorzunehmen.3 Die Norm enthlt – mit Ausnahme der Straftaten nach dem VÇlkerstrafgesetzbuch in § 153c Abs. 1 Satz 2 StPO – keine Begrenzung auf bestimmte Delikte oder Deliktsarten. Insbesondere ist sie nicht auf Vergehen beschrnkt, sondern umfasst auch Verbrechen.
3.35
VI. Ermessen Im Rahmen des § 153c StPO kommen nicht allein materiell-rechtliche Erwgungen zum Tragen. Vielmehr stehen die VerfahrensÇkonomie und politische Interessen im Mittelpunkt. Insbesondere zu § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StPO wird betont, dass diese „ganz ausnahmsweise“ ein „echtes Ermessen“ einrumt (Opportunittsprinzip im weiteren Sinne, das nicht nur in strikter „Rechtsanwendung“ besteht).4 Die AusÅbung des Ermes1 PlÇd in KMR, § 153c StPO Rz. 13. 2 Pfeiffer5, § 153c StPO Rz. 1; Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 9; Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 6. 3 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 6. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 152 StPO Rz. 8, 7; Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 152 StPO Rz. 50; PlÇd in KMR, § 152 StPO Rz. 29; Schoreit in KK7, § 152 StPO Rz. 23 f.; fÅr den gesamten § 153c StPO Gercke in HK5, § 153c StPO Rz. 1; PlÇd in KMR, § 153c StPO Rz. 1, 4; Schoreit in KK7, § 153c StPO Rz. 1; Krey/PfÇhler, NStZ 1985, 145 (148).
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3.36
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
sens der Staatsanwaltschaft wird von einer Abwgung bestimmt. Zu beantworten ist die Frage, „ob aus der Sicht des deutschen Strafrechts ein Çffentliches Interesse an der Verfolgung gerade dieser Tat mit AuslandsberÅhrung besteht.“1 Dabei sind das Çffentliche Strafverfolgungsinteresse, welches sich zuvorderst aus den Strafzwecken der Spezial- und der Generalprvention bemisst, und andere Çffentliche Interessen, die durch eine Strafverfolgung berÅhrt werden, gegenÅberzustellen und gegeneinander abzuwgen2 Eine Einstellung liegt nahe, wenn der Ermittlungsaufwand außer Verhltnis gegenÅber dem VerfolgungsbedÅrfnis oder den in Aussicht stehenden Ergebnissen steht. In die Ermessenserwgung einzubeziehen sind abstrakt die Schwere der Straftat, das Çffentliche Interesse an der Strafverfolgung, das Ausmaß der Konfliktsituation eines Tters in einer auslndischen Rechtsordnung3, ein (mangelndes) prventives Interesse, Erwgungen der Außenpolitik, Schwierigkeiten der Aufklrung4 und unverhltnismßige Schwierigkeiten der Strafverfolgung.5 Beispiel Im obigen Beispiel (Rz. 3.7) kÇnnte beispielsweise ausschlaggebend sein, dass das außereuropische Land im Bereich der Korruption, wenn Åberhaupt, nur ansatzweise tatschlich Rechtshilfe leistet und weitere Ermittlungen nur unter erschwerten Bedingungen mÇglich sind.
VII. Auslndische Aburteilungen 3.37 Die EinstellungsmÇglichkeit nach der ersten Alternative des § 153c Abs. 2 StPO hngt von der Frage ab, ob die im Inland zu erwartende Strafe nach der Anrechnung der auslndischen nicht ins Gewicht fiele. Dies ist dann der Fall, wenn kein wesentlicher Strafrest verbleibt,6 was im Wege eines Vergleichs zu ermitteln ist. Stellt man die Straferwartung in Deutschland und die vollstreckte Auslandsstrafe gegenÅber, so muss der Unterschied zwischen beiden relativ gering sein.7 Ferner ist zu vermeiden, dass das generelle Strafverfolgungsinteresse eine erhebliche Beeintrchtigung erfhrt.8 Die Gewichtigkeit der Rechtsfolgendifferenz lsst sich abstrakt schwerlich umreißen. Maßgeblich ist der jeweilige Einzelfall unter BerÅcksichtigung aller Umstnde.9 Mitunter ist das Ermessen der Staats-
1 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 8. 2 Esser/Fischer, JZ 2010, 217 (220); Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 30. 3 Heimeshoff, DRiZ 1977, 19 (20). 4 Heghmanns/Scheffler, Hdb. zum Strafverfahren, 2008, Rz. V.113. 5 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 153c StPO Rz. 8. 6 Pfeiffer5, § 153c StPO Rz. 2. 7 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153c StPO Rz. 12. 8 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153c StPO Rz. 12. 9 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153d StPO Rz. 7.
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C. Nichtverfolgung nach § 153c StPO
anwaltschaft auf null reduziert.1 Von Einfluss kann an dieser Stelle der Resozialisierungsanspruch des Beschuldigten, der einem erneuten Ermittlungsverfahren und ggf. einem zweiten Hauptverfahren ausgesetzt wird, sein.2 Die zweite Alternative des § 153c Abs. 2 StPO stellt bei einem auslndischen rechtskrftigen Freispruch keine zustzlichen Anforderungen an die MÇglichkeit einer Einstellung und ist insbesondere im Zusammenhang mit Art. 54 SD zu sehen.3 Liegen die Voraussetzungen des Art. 54 SD vor, ist eine Einstellung zwingend. Ermessenserwgungen gegen eine Einstellung kÇnnen sein, ob das auslndische Recht dem deutschen Rechtsverstndnis grundstzlich entgegenluft und der Freispruch hierauf beruht.4 FÅr eine Einstellung spricht hingegen, wenn der bestehende Unterschied zwischen den Rechtsordnungen hinnehmbar erscheint.5 Stets ist jedoch eine umfassende Abwgung aller Umstnde des jeweiligen Falles vonnÇten.
3.38
VIII. Anrechnung auslndischer Strafen ber § 51 Abs. 3 StGB kann eine im Ausland bereits vollstreckte Strafe im Falle der neuerlichen Verurteilung wegen derselben Tat im Inland angerechnet werden.6 Der Anrechnungsmaßstab bestimmt sich nach § 51 Abs. 4 StGB.7 Beispiele: a) A wird nach der Verurteilung in Italien wegen Steuerhinterziehung zur weiteren Aburteilung nach Deutschland Åberstellt. b) X begeht in Deutschland zehn RaubÅberflle auf Tankstellen und flÅchtet mit seiner Beute nach Spanien, wo er erneut eine Tankstelle Åberfllt. Wegen dieser (gesamstrafenfhigen) Tat wird er in Spanien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach VerbÅßung der Strafe wird A zur weiteren Strafverfolgung nach Deutschland Åberstellt.
In der Praxis findet idealerweise eine Abstimmung der BehÇrden untereinander statt, etwa via Eurojust oder im deutschsprachigen Raum auch auf dem „kleinen Dienstweg“. So kÇnnen zwischen den Strafverfolgungs-
1 Weßlau in SK4, § 153c StPO Rz. 8, 21; Gercke in HK5, § 153c StPO Rz. 3; Landau in FS SÇllner, 2000, 627, 644; ablehnend, auch weil ohnehin keine berprÅfung auf Ermessensfehler erfolgt, Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 30, 38. 2 Weßlau in SK4, § 153c StPO Rz. 21; Gercke in HK5, § 153c StPO Rz. 8. 3 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153c StPO Rz. 12, Einl. 177a. 4 Bloy, GA 1980, 161 (178). 5 Bloy, GA 1980, 161 (178). 6 Safferling, Internationales Strafrecht, 514; zum Verhltnis zu Art. 54 SD vgl. Fischer61, § 51 StGB Rz. 16. 7 Zum Ganzen auch Fischer61, § 51 StGB Rz. 16 ff.
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3.39
Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
behÇrden Vereinbarungen hinsichtlich der zu verfolgenden Komplexe getroffen werden und eine Doppelbearbeitung vermieden werden.
IX. Rechtsfolgen und Wiederaufnahme 3.40 Der Entscheidung von der Verfolgung abzusehen, kommt keine Rechtskraftwirkung zu.1 Die Einstellung nach § 153c StPO hindert eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht. Insbesondere tritt kein Strafklageverbrauch ein.2 Denn der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat ist kein zentrales Kriterium fÅr die Einstellung.3 Wird die Einstellung verweigert, kann hierauf die Revision nicht gestÅtzt werden; eine gerichtliche NachprÅfung findet auch bei einer Verweigerung der Anwendung des § 153c StPO nicht statt.
D. § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen I. EinfÅhrung 3.41 Nach § 154 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat absehen, wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung fÅhren kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskrftig verhngt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht betrchtlich ins Gewicht fllt (Abs. 1 Nr. 1). Ferner kommt eine Einstellung in Betracht, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskrftig verhngt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Tter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint (Abs. 1 Nr. 2). Nach Erhebung der Çffentlichen Klage obliegt diese MÇglichkeit auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem erkennenden Gericht. Fllt die rechtskrftig erkannte Strafe nachtrglich weg, kommt eine Wiederaufnahme in Betracht. Ist das Verfahren mit RÅcksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorlufig eingestellt
1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 153c StPO Rz. 1 unter Verweis auf LG Gießen v. 23.2.1984 – 2 Qs 783/83, StV 1984, 327. 2 LG Gießen v. 23.2.1984 – 2 Qs 783/83, StV 1984, 327; anders noch die Vorinstanz, vgl. AG Gießen v. 24.10.1983 – 51 Ls 9 Js 19306/82, StV 1984, 238, die allgemein Ablehnung erfhrt. 3 Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 153c StPO Rz. 40.
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D. § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen
worden, so kann es, sofern nicht inzwischen Verjhrung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden. § 154 StPO findet auch dann Anwendung, wenn der Tter bereits im Ausland verurteilt wurde oder dort gegen ihn ein Verfahren noch anhngig ist. Beispiel: A wird wegen der Hinterziehung von Einkommensteuer im Jahr 2005 in HÇhe von 1.000 Euro vor einem deutschen Gericht im Jahr 2010 angeklagt. Es wird im Zuge der Ermittlungen bekannt, dass A bereits im Jahr 2006 wegen versuchten Totschlags in sterreich zu einer Freiheitsstrafe von 5 1/2 Jahren verurteilt wurde, die er teilweise verbÅßt hat. A wird wie vor in Deutschland angeklagt; aus den Akten ergibt sich jedoch, dass gegen A in Russland ein Verfahren wegen Raubes anhngig ist bzw. er dort bereits rechtskrftig verurteilt wurde.
In beiden Fllen kommt nach hier vertretener Ansicht eine Verfahrensweise nach § 154 StPO in Betracht.
3.42
II. Europische Urteile und Strafverfahren Auf europischer Ebene ist mit dem EU-Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates vom 24.7.2008 zur BerÅcksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren1 zwischenzeitlich eine LÇsung gefunden, sodass eine Anwendung auf Verurteilungen innerhalb Europas unzweifelhaft ist.2 Der Rahmenbeschluss legt die Minimalverpflichtungen fest, wie die in einem Mitgliedstaat ergangenen frÅheren Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren in einem anderen Mitgliedstaat gegen dieselbe Person wegen einer anderen Tat berÅcksichtigt werden mÅssen.
3.43
Als Grundsatz soll gelten, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilung mit gleichwertigen tatschlichen bzw. verfahrens- oder materiellrechtlichen Wirkungen versehen werden sollte, wie sie die das innerstaatliche Recht den im Inland
3.44
1 Rahmenbeschluss 2008/675/JI des Rates v. 24.7.2008 zur BerÅcksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, ABl. EU Nr. L 220 v. 15.8.2008, 32–34; der in das innerstaatliche deutsche Recht umgesetzt worden ist durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 Åber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen und des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI des Rates v. 24.7.2008 zur BerÅcksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (Umsetzungsgesetz RahmenbeschlÅsse Einziehung und Vorverurteilungen – EinzVorvRUG), BGBl. I 2009, 3214. 2 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 154 StPO Rz. 1.
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ergangenen Verurteilungen zuerkennt (Art. 5).1 Der Rahmenbeschluss enthlt keine Verpflichtung zur BerÅcksichtigung solcher frÅheren Verurteilungen, wenn beispielsweise die im Rahmen anwendbarer Rechtsinstrumente erhaltenen Informationen nicht ausreichen, wenn eine innerstaatliche Verurteilung fÅr die Tat, die der frÅheren Verurteilung zugrunde lag, nicht mÇglich gewesen wre oder wenn die frÅher verhngte Sanktion dem innerstaatlichen Rechtssystem unbekannt ist.
3.45 Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilung gleichwertige Wirkungen entfaltet wie eine im Inland ergangene Entscheidung, sowohl in der Phase vor dem eigentlichen Strafverfahren als auch whrend des Strafverfahrens und der Strafvollstreckung. Liegen bei einem Strafverfahren in einem Mitgliedstaat Informationen Åber eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene frÅhere Verurteilung vor, so sollte so weit wie mÇglich vermieden werden, dass die betreffende Person schlechter behandelt wird, als wenn die frÅhere Verurteilung im Inland erfolgt wre. Erste Entscheidungen zur BerÅcksichtigung einer nach innerstaatlichen Maßstben gesamtstrafenfhigen auslndischen Vorverurteilung liegen bereits vor.2
III. Außereuropische Urteile und Strafverfahren 3.46 Die untergerichtliche Rechtsprechung bejaht, soweit ersichtlich, von jeher eine Anwendbarkeit von § 154 StPO hinsichtlich im Ausland ergangener Verurteilungen.3 Der Zweck des § 154 StPO, die Verfahrensbeschleunigung, wird auch gefÇrdert, wenn Strafverfahren mit RÅcksicht auf auslndische Strafverfahren wegen anderer Taten eingestellt werden.4 Auch aus der amtlichen BegrÅndung und dem Wortlaut5 des § 154 StPO ergibt sich nicht das Gegenteil; ebenso wie die §§ 153c, 154b StPO keine abschließende Sonderregelung fÅr eine Einstellung eines Strafverfahrens mit 1 Eine Harmonisierung der in den verschiedenen Rechtsordnungen fÅr frÅhere Verurteilungen vorgesehenen Rechtswirkungen durch diesen Rahmenbeschluss ist jedoch nicht beabsichtigt und in anderen Mitgliedstaaten ergangene frÅhere Verurteilungen mÅssen nur in dem Maße berÅcksichtigt werden wie im Inland nach innerstaatlichem Recht ergangene Verurteilungen (Art. 5). 2 BGH v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677. 3 LG Bonn v. 6.4.1973 – 9 KLs 9/70, NJW 1973, 1566; LG Essen v. 13.11.1991 – 21 (51/91), StV 1992, 223; LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505. 4 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505 unter Verweis auf Dauster, NStZ 1986, 145; Beseler, NJW 1970, 370; LG Bonn v. 6.4.1973 9 – KLs 9/70, NJW 1973, 1566; Im konkreten Fall wurde der in Deutschland im Jahr 1990 wegen Hehlerei und Beihilfe zum versuchten Betrug Angeklagte zwischenzeitlich durch ein franzÇsisches Gericht zu einer vierjhrigen Freiheitsstrafe nebst Zollstrafe von 26.440 frz. Francs verurteilt. 5 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505 unter Verweis auf Ratz, NJW 1970, 1668; Dauster, NStZ 1986; LG Bonn v. 6.4.1973 – 9 KLs 9/70, NJW 1973, 1566.
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D. § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen
Auslandsbezug darstellen. Denn § 154b StPO betrifft ausschließlich die Strafverfolgung von Auslndern und regelt nicht die Frage der Verfolgung von im In- oder Ausland straffllig gewordenen Deutschen. § 153c StPO regelt allein die Einstellung des Verfahrens, bei dem eine Aburteilung oder Verfolgung derselben Tat im Ausland vorliegt.1 Schließlich sind die unterschiedlichen Schutzrichtungen von § 154 und §§ 154b, 153c StPO anzufÅhren. § 154 StPO dient der Verfahrensbeschleunigung, §§154b, 153c StPO der RÅcksichtnahme auf die vorrangige Strafgewalt eines fremden Staates. Auch aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts Gegenteiliges, zumal alle drei Vorschriften zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingefÅhrt wurden und bereits von daher von nicht von einem einheitlichen Regelungswillen auszugehen ist. Die EinfÅhrung von § 154 StPO erfolgte bereits 1924.2 § 154b StPO wurde 1929 eingefÅgt3 und § 153c StPO sogar erst 1940.4 Gegen einen einheitlichen Willen spricht auch, dass die §§ 154, 154b StPO sich an Gericht und Staatsanwaltschaft wenden, § 153c StPO hingegen allein die Staatsanwaltschaft betrifft. Als Gegenargument fÅr den Fall eines noch schwebenden auslndischen Strafverfahrens wird zum einen der Regelungszusammenhang5 zu den §§ 153c, 154b StPO angefÅhrt und vorgetragen, dass es dem deutschen Staatsanwalt oder dem erkennenden Gericht nicht zuzumuten sei, eine Bewertung hinsichtlich eines auslndischen Strafverfahrens zu treffen, insbesondere was dessen Dauer und Ergebnis betrifft.6
3.47
Der Wortlaut des § 154 StPO steht einer Anwendung aus auslndische Strafverfahren oder Verurteilungen indes nicht entgegen. Neutral formuliert ist von einer „anderen Tat“ die Rede. Die deutsche Strafgerichtsbarkeit ist auch nicht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift hineinzulesen, da hierfÅr jeglicher Anhaltspunkt fehlt.7
3.48
1 So auch Gallandi, NStZ 1987, 353. 2 § 24 der Verordnung Åber Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege v. 4.1.1924, RGBl. I, 18. 3 Auslieferungsgesetz v. 23.12.1929, RGBl. I, 755. 4 Art. II Abs. 2 der Verordnung Åber den Geltungsbereich des Strafrechts. 5 So Meyer-Goßner55, § 154 StPO Rz. 1. 6 Meyer-Goßner55, § 154 StPO Rz. 1 unter Verweis auf Schoreit in KK7, § 154 StPO Rz. 7; Beulke in LÇwe/Rosenberg26, § 154 StPO Rz. 10; Gallandi, NStZ 1987, 353 (354). Zur LÇsung schlgt er die EinfÅhrung eines § 154 Abs. 6 StPO vor, wonach die Einstellung im Hinblick auf Auslandssachverhalte dann mÇglich sein soll, wenn es sich bei der Tat um eine Auslandstat handelt, die von einem auslndischen Gericht rechtskrftig abgeurteilt worden ist, wenn und soweit eine berprÅfung der fÅr die rechtskrftige Aburteilung relevanten Verfahrenstatsachen im Rechtshilfewege nach entsprechender Anwendung der Vorschriften fÅr den Rechtshilfeverkehr in Strafsachen mÇglich ist 7 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505; Dauster, NStZ 1986, 145 (147); Ratz, NJW 1970, 1668. Auch die fÅr die praktische Strafrechtsanwendung bedeutsamen Regelungen der RiStBV sehen, obwohl das Problem bekannt ist, eine Beschrnkung auf inlndische Taten nicht vor.
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Kapitel 3 Internationales Strafanwendungsrecht
3.49 Dem Argument der fehlenden EinschtzungsmÇglichkeit durch den zur Entscheidung berufenen Staatsanwalt ist zuzugeben, dass die Einschtzung der Verfahrensdauer, des Verfahrensablaufs und die qualitative Einordnung der verhngten Sanktion sich in der Tat nicht sogleich immer aufdrngt oder bekannt ist. Gleichwohl wÅrde man jedoch unzweifelhaft Åber die Anwendung des § 154 StPO auch im Falle eines schwebenden Verfahrens nachdenken, wenn feststÅnde, dass ein in Deutschland wegen Steuerhinterziehung in geringem Umfang zu Verfolgender, sich wegen des (dringenden) Verdachts der ruberischen Erpressung in russischer Untersuchungshaft befindet. Zudem unterscheiden sich die typischen fÅr eine Einstellung nach § 154 StPO in Betracht kommenden Bezugsstraftaten in smtlichen Lndern nicht sonderlich. Bei Zweifelsfragen verbleibt Åberdies immer noch der Weg der Rechtshilfe oder Åber das Bundesamt fÅr Justiz AuskÅnfte einzuholen.
3.50 Es sind vor allen Dingen ZweckmßigkeitsÅberlegungen, die fÅr eine Anwendung auf auslndische Verurteilungen sprechen. Eine Verfahrensbeschleunigung kann auch bei der Einbeziehung auslndischer Taten erfolgen.1 Mitunter wurde dem entgegnet, dass Praktikabilittserwgungen eine Erstreckung auf auslndische Urteile hindern. Moniert wurde vor allem, dass die notwendigen Informationen Åber den Ausgang des auslndischen Verfahrens nicht innerhalb der in § 154 Abs. 4 StPO normierten Dreimonatsfrist nach Rechtskraft der auslndischen Verurteilung vorlgen.2 Der Hauptanwender des § 154 StPO, die Staatsanwaltschaft, ist nicht an die Dreimonatsfrist gebunden.3 Zudem ist das Zeitargument angesichts der zur VerfÅgung stehenden technischen MÇglichkeiten und steten Verbesserung im Bereich der Rechtshilfe (vgl. hierzu Rz. 9.22) nicht mehr stichhaltig. Insbesondere wenn vorab im Wege der Rechtshilfe bereits Erkenntnisse Åber das auslndische Verfahren vorliegen, ist oftmals fÅr weitere Nachfragen der direkte Weg, etwa via E-Mail oder Telefon, erÇffnet, um sich Åber das weitere Verfahren zu informieren. Auch Åber vor Ort ttige Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamts sind die erforderlichen Informationen oftmals zu erlangen. Auf europischer Ebene wird derzeit die Datenbank ECRIS eingerichtet (vgl. hierzu Rz. 9.9, 9.22). Ebenso spricht die Existenz des Rahmenbeschlusses an sich fÅr eine Ausdehnung auf smtliche Strafverfahren. Wenn eine Ausdehnung auf europischer Ebene bereits mÇglich ist, dann ist nicht ersichtlich, was einer außereuropischen Praxis entgegensteht, sofern entsprechend gesicherte Erkenntnisse Åber das außereuropisch Bezugsverfahren in Deutschland vorliegen. 1 Dauster, NStZ 1986, 145 (147). 2 Kohlhaas, NJW 1970, 796, der jedoch nicht die heutigen technischen MÇglichkeiten und Institutionen wie Eurojust, Europol, und das Bundesamt fÅr Justiz vor Augen gehabt haben dÅrfte. In diesem Sinne auch Dauster, NStZ 1986, 145 (148). 3 LG Aachen v. 13.5.1993 – 67 KLs 32 Js 818/87-86/90, NStZ 1993, 505; BGH v. 26.6.1981 – 3 StR 83/81, BGHSt 30, 165; BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1 (7); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 154 StPO Rz. 21a.
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D. § 154 StPO im Hinblick auf auslndische Strafverfahren und Verurteilungen
Dem kann ein Verzicht auf den deutschen Strafanspruch nicht entgegengehalten werden. Eine solche Betrachtungsweise entsprche einem Souvernittsdenken, das weder von der deutschen Strafprozessordnung, noch vom materiellen Strafrecht in dieser Form geschÅtzt wird. Es ist zulssig, gngige Praxis und nach der Rechtsprechung des BGH1 und dem EU-Rahmenbeschluss sogar mitunter Verpflichtung des erkennenden Gerichts, auslndische Strafurteile in die Urteilsfindung mit einzubeziehen.2 Gleichsam sind auslndische Urteile als tterbezogenes Strafschrfungsmerkmal anerkannt.3
1 BGH v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09, NJW 2010, 2677. 2 Dauster, NStZ 1986, 145 (147). 3 Fischer61, § 46 StGB Rz. 38a.
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3.51
Kapitel 4 Verbot der Doppelbestrafung
A. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 4.1
B. Art. 54 SD und Art. 50 GRCh I. Art. 54 SD . . . . . . . . . . . . . . .
4.5
II. Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.6
III. Art. 50 GRCh . . . . . . . . . . . . . .
4.7
IV. Das Verhltnis von Art. 54 SD zu Art. 50 GRCh . . . . . . .
4.9
C. Art. 54 SD in der praktischen Anwendung I. Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH . . . . . . . . . . . . II. Rechtskrftige Aburteilung . . 1. sterreichisches Straferkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belgische „Transactie“ . . . . . .
4.10 4.11 4.13 4.17
Rz.
a
3. Niederlndische „Transactie“/Einstellung nach § 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschrnkter Strafklageverbrauch bei Verbrechen . . . . . . . 5. Selbstanzeige als Aburteilung i.S. des Art. 54 SD . . . . . . . . . 6. Art. 54 SD im Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . 7. Innerstaatliche Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . III. Begriff derselben Tat/Idem 1. Rechtsprechung des EuGH . . . 2. Schlussfolgerung fÅr die Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . IV. Vollstreckung 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Steueramnestie als Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.21 4.24 4.25 4.29
4.31 4.32 4.33 4.40 4.44 4.45
Literatur: Bender, Der Transitschmuggel im europischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Biehler, Konkurrierende nationale und internationale strafrechtliche Zustndigkeit und das Prinzip ne bis in idem, ZStW 116 (2004), 256; BÇse, Der Grundsatz „ne bis in idem“ in der Europischen Union, GA 2003, 744; BÇse, Ausnahmen von grenzÅberschreitenden „Ne bis in idem? – Zur Fortgeltung der Vorbehalte nach Art. 55 SD, in FS KÅhne 2013, 519; BÅlte, J., Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Burchard/Brodowski, Art 50 Charta der Grundrecht der Europischen Union und das europische ne bis in idem nach dem Vertrag von Lissabon, StraFo 5/2010; Geiger, Strafrechtsharmonisierung aus Luxemburg?, EuZW 2002, 705; Hackner, Das teileuropische Doppelbestrafungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europischen Union, NStZ 2011, 425; Harms/Heine, Ne bis in idem – Es fÅhrt kein Weg am EuGH vorbei, in MÅller u.a. (Hrsg.), FS fÅr GÅnter Hirsch zum 65. Geburtstag, MÅnchen, 2008, 85; Heger, Das europische Doppelbestrafungsverbot, FS KÅhne 2013, 565; KniebÅhler, Transnationales „ne bis in idem“ 2005; Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europischen Union, NStZ 2003, 281; Risse, Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 204, 93; RÅbenstahl/Krmer, Das Doppelbestrafungsverbot nach dem Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen, European Law Reporter 2003, 180; Schomburg/Suomen-Picht, Verbot der mehrfachen Strafverfolgung, Kompetenzkonflikte und Verfahrenstransfer, NJW 2012, 1190; Stein, Ein Meilenstein
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a
A. EinfÅhrung fÅr das europische „ne bis in idem“!, NJW 2003, 1162. Vgl. auch die Literaturnachweise vor Rz. 11.1.
A. EinfÅhrung Es ist innerhalb aller rechtsstaatlichen Ordnungen ein anerkannter Grundsatz, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden darf.1 In der Bundesrepublik ist dieser Grundsatz in Art. 103 Abs. 3 GG verankert:
4.1
(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.
Als Folge der materiellen Rechtskraft entsteht ein absolutes Verfahrenshindernis im Hinblick auf ein womÇgliches Folgeverfahren wegen derselben Tat. Art. 103 Abs. 3 GG gilt jedoch, wie in anderen Lndern auch2, nur fÅr innerstaatliche Urteile.3
4.2
Auf internationaler Ebene, d.h. mit grenzÅberschreitender Wirkung fÅr Strafurteile, existiert ein solcher Grundsatz jedoch nicht.4 Das vÇlkerrechtliche Doppelbestrafungsverbot hindert nur die mehrfache Aburteilung derselben Tat im Inland. Es existiert keine allgemeine Regel des VÇlkerrechts, die es gebietet, die Strafverfolgung gegen eine Person wegen eines Lebenssachverhalts zu unterlassen, dessentwegen sie bereits in einem dritten Staat verfolgt und rechtskrftig abgeurteilt ist.5 Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 22.11.1984 und Art. 14 Abs. 7 des Inter-
4.3
1 Exemplarisch sei auf das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK verwiesen; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 561 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 36 ff. 2 Mit Ausnahme der Niederlande, vgl. auch Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 423. 3 Ambos in MK2, Vor §§ 3-7 StGB Rz. 65; Schomburg in S/L/G/H5, Art. 54 SD Rz. 1; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 112; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 2; KniebÅhler, Transnationales „ne bis in idem“, 20; Brandenstein in Flore/Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 3 ff. 4 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 92; Safferling, Internationales Strafrecht, 514 spricht von rechtsordnungsinterner Bedeutung; kritisch bereits Schomburg, StV 1999, 244 (249); Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); vgl. auch unter Rz. 2.62, 2.63. 5 BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvM 2/86, BVerfGE 75, 1 (18) = NJW 1987, 2155; BVerfG v. 4.12.2007 – 2 BvR 38/06, BVerfGK 13, 7 (13); BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (340); Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 112 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 11 Rz. 92; Safferling, Internationales Strafrecht, 515. Zur Vermeidung der mÇglichen Kompetenzkonflikte konkurrierender Strafverfolgung vgl. RB 2009/948/JI v. 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten im Strafverfahren, ABl. EU Nr. L 328 v. 15.12.2009, 42, wobei das Verfahren jedoch weder justitiabel noch obligatorisch ist, Hecker, Europisches Strafrecht4, § 12 Rz. 4.
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Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
nationalen Paktes Åber bÅrgerliche und politische Rechte vom 19.12.19691 fordern gleichsam nur ein innerstaatliches „ne bis in idem“. Auch das unionsrechtliche als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannte Ne-bis-in-idem-Prinzip statuiert grundstzlich nur ein rechtsordnungsinternes Doppelbestrafungsverbot auf Unionsebene. Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB wre allenfalls eine bereits ausgeurteilte auslndische Strafe anzurechnen oder nach § 153c StPO zu verfahren. Ein in Weissrussland abgeurteilter Tter ist de lege lata nicht davor geschÅtzt, wegen derselben Tat neuerlich in Deutschland verfolgt zu werden.2
4.4 Gegenlufige BemÅhungen des Europarates liefen bisher weitestgehend ins Leere. Das Europische bereinkommen Åber die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28.5.1970, welches in Art. 54 den Ne-bis-inidem-Grundsatz beinhaltet, haben bisher nur 21 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert. Auch das entsprechende EG-ne-bis-in-idembereinkommen (EG-ne-bis-in-idem-bk.)3 ist bislang nicht von allen Staaten ratifiziert. Allein Belgien, Dnemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, die Niederlande, sterreich und Portugal wenden dieses bereinkommen vorzeitig an.
B. Art. 54 SD und Art. 50 GRCh I. Art. 54 SD 4.5 Im Jahre 1995 wurde das Schengener DurchfÅhrungsabkommen4 verabschiedet und die Regelung des Art. 54 SD trat in Kraft5: Wer durch eine Vertragspartei rechtskrftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.
II. Geltung 4.6 Irland und Großbritanien wenden die Bestimmung gem. Art. 1 der RatsbeschlÅsse v. 29.5.20006 und 28.2.20027 an. Norwegen, Island und die 1 BGBl. II 1973, 1533; BGBl. II 1976, 1068; BGBl. II 1979, 1218; BGBl. II 1991, 1111. 2 Zum Ganzen vgl. auch Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 18. 3 Abgedruckt in S/L/G/H5, III E mit Vertragstabelle und bersicht Åber den Stand der Ratifizierung. 4 BGBl. II 1993, 1010. 5 Zur Historie vgl. Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 12, 13. 6 ABl. EG 2000 Nr. L 131, 43. 7 ABl. EG 2002 Nr. L 64, 20.
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B. Art. 54 SD und Art. 50 GRCh
Schweiz wenden das SD als assoziierte Staaten an. Die Anwendbarkeit von Art. 54 SD im Hinblick auf die Schweiz ergibt sich nach Inkrafttreten des im Rahmen der „Bilateralen II“ geschlossenen Assoziierungsabkommens zwischen der Schweiz, der EG und der EU vom 26.10.2004, in Kraft getreten am 12.12.2008. Zum 1.5.2004 traten zehn weitere Staaten der EU bei, die den Schengen-Besitzstand vollstndig zu Åbernehmen hatten. Der Geltungsbereich des SD erstreckt sich demnach auf 30 Staaten.
III. Art. 50 GRCh Der Grundsatze des „ne bis in idem“ ist auch allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts und derweil in Art. 50 der am 7.12.2000 in Nizza verkÅndeten Charta der Grundrechte der Europischen Union (GRCh) niedergelegt.1 Der dahinterstehende Sinn ist, dem europischen FreizÅgigkeitsgrundrecht zu grÇßtmÇglicher Wirkung zu verhelfen, da niemand in seiner FreizÅgigkeit gehindert sein darf, wenn er befÅrchten mÅsste innerhalb der EU wegen einer bereits abgeurteilten Tat erneut verfolgt zu werden.2 Die mit dem Vertrag von Lissabon rechtsverbindlich3 in Kraft getretene Grundrechtscharta der EU (Art. 6 Abs. 1 EUV) beschreibt den Ne-bisin-idem-Grundsatz in Art. 50 GRCh wie folgt:
4.7
Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskrftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
4.8
Im Gegensatz zu Art. 54 SD fehlt das Vollstreckungselement.
IV. Das Verhltnis von Art. 54 SD zu Art. 50 GRCh Das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 54 SD sollte durch Art. 50 GRCh weder verdrngt noch modifiziert werden; Art. 54 SD besitzt nach wie vor GÅltigkeit und ist als zulssige Einschrnkung des Art. 50 Abs. 1 GRCh zu werten.4 Voraussetzung des Eingreifens des Doppelbe1 EuGH v. 15.3.1967 – Rs. 18/65 und 35/65 – „Gutmann“, EuGHE 1966, 178; EuGH v. 13.12.1984 – Rs. 78/83 – „Usinor“, EuGHE 1984, 4177; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 63. 2 Schomburg, NJW 2000, 1833. 3 Jedoch ohne Bindungswirkung fÅr Polen, Tschechien und das Vereinigte KÇnigreich. 4 Zum Verhltnis von Art. 54 SD zu Art. 50 GRCh vgl. BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK2, Vor §§ 3–7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 112, 116; Burchard/Brodkowski, StraFo 2010, 179; fÅr eine Verdrngung von Art. 54 SD durch Art. 50 GRCh Reichling, StV 2010, 237; ZÇller in FS Krey, 2010, 518; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 563; Heger in FS KÅhne, 565, 568 f.; BÇse in FS KÅhne, 519 (524, 525).
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4.9
Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
strafungsverbots ist daher, dass die Sanktion aus dem ersten Urteil bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilstaates nicht mehr vollstreckt werden kann.1 Die Gegenansicht, die bereits eine mehrfache Strafverfolgung fÅr unzulssig hlt, ist de lege lata abzulehnen.2 Angesichts des Fehlens eines hinreichenden Systems zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten und mangels eindeutiger Zuweisungsregeln fÅr transnationale Strafverfahren3 muss eine Strafverfolgung mindestens solange mÇglich sein, bis gesicherte Erkenntnisse vorliegen. Alsdann kommt ggf. eine (vorlufige) Einstellung des Verfahrens in Betracht.
C. Art. 54 SD in der praktischen Anwendung I. Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH 4.10 Seit Abschluss des Vertrags von Lissabon entscheidet der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV i.V.m Art. 267 UA 1 Buchst. b AEUV Åber die Auslegung von Art. 54 SD.4 Das im Jahr 2008 eingefÅhrte Eilverfahren im Rahmen der Vorabentscheidungskompetenz hilft Åber die mit der Anrufung des EuGH einhergehenden VerfahrensverzÇgerungen hinweg. Der fÅr die praktische Rechtsanwendung bedeutsame Art. 54 SD beinhaltet drei Voraussetzungen, die kumulativ erfÅllt sein mÅssen: – eine rechtskrftige Aburteilung – wegen derselben Tat, – Vollstreckungselement.
II. Rechtskrftige Aburteilung 4.11 Keine grÇßeren Probleme wirft die Frage nach der Aburteilung auf, wenn der Beschuldigte rechtskrftig im Wege der Hauptverhandlung freigespro1 BGH v. 25.10.2010 – 1 StR 57/10, NStZ-RR 2011, 7 ff.; LG Aachen v. 8.12.2009 – 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; Ambos in MK2 Vor §§ 3–7 StGB Rz. 68; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 68; Safferling, Internationales Strafrecht, 516; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 112, 131; Burchard/ Brodkowski, StraFo 2010, 179; a.A. unter Berufung auf den Wortlaut Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); BÇse, GA 2011, 504. 2 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1191); BÇse, GA 2011, 504. 3 Dies bemngeln auch Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192 ff.), die als Konsequenz zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen de lege ferenda ein einheitliches Rechtssystem zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten fordern. 4 Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192), die zu Recht eine Zulassungsbeschwerde fÅr den Beschuldigten und die Staatsanwaltschaft fordern.
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C. Art. 54 SD in der praktischen Anwendung
chen1 oder zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurde.2 Es macht auch keinen Unterschied, ob das Gericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewhrung3 aussetzte oder die Entscheidung im Strafbefehlsweg4 erging. Gleichsam genÅgt die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) den Anforderungen des Art. 54 SD. Es kommt allein auf die Verfahrensbeendigung an. Umstritten war jedoch lange, ob auch Einstellungen, etwa nach § 153a StPO oder „Vergleiche“, wie die niederlndische und belgische Transactie unter den Begriff der Aburteilung zu fassen sind. Ungeklrt ist bislang, was bei Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige, bei der Verurteilung zu einer Bußgeldzahlung oder der Verhngung von Bußgeldbescheiden zu gelten hat.
4.12
1. sterreichisches Straferkenntnis Keinen Strafklageverbauch soll ein Çsterreichisches Straferkenntnis entfalten.5 Es handelt sich dabei nach Ansicht des BayObLG unter Berufung auf die bei der Çsterreichischen Justiz eingeholte Stellungnahme nicht um ein Gerichtsurteil oder eine von einem ordentlichen Gericht erlassene StrafverfÅgung oder eine verfahrensabschließende Entscheidung anderer Art. Die Ahndung einer Çsterreichischen VerwaltungsÅbertretung erfolgt von der zustndigen Bezirkshauptmannschaft. Berufungen gegen Verwaltungsstraferkenntnisse werden vor einem unabhngigen Verwaltungssenat verhandelt, welcher kein Gericht darstellt, sondern eine weisungsfreie VerwaltungsbehÇrde ist, weswegen die VerwaltungsverfÅgung nicht einem rechtskrftigen Gerichtsurteil i.S. von Art. 54 SD gleichgestellt werden kann.6
4.13
Zunchst ist zu bemerken, dass es fÅr die Frage ob einem Çsterreichischen Straferkenntnis die Wirkung des Art. 54 SD zukommt, auf die Sichtweise des EuGH vor dem Hintergrund der europischen Grundfreiheiten ankommt und nicht die Sichtweise der Çsterreichischen Justiz maßgeblich sein kann. Betrachtet man den Aufbau und den Inhalt des Çsterrei-
4.14
1 Auch solche aus Mangel an Beweisen, EuGH v. 28.9.2006 – Rs. C-150/05 – „van Straaten“, EuGHE 2006, I-9327. 2 BGH v. 28.2.2001 – 2 StR 458/00, NStZ 2001, 557; BGH v. 28.1.2006 – 1 StR 534/06, NStZ-RR 2007, 179; Schomburg in S/L/G/H5, Art. 54 SD Rz. 30; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 43; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 121; Nehm in FS Steiniger, 2003, 372; Radtke/Busch, NStZ 2003, 287; BÇse, GA 2003, 745; Dannecker in FS Kohlmann, 2003, 607; zum Ganzen auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 95. 3 Schomburg in S/L/G/H5, Art. 54 SD Rz. 30; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 43; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 121 f.; Nehm in FS Steiniger, 2003, 372. 4 Hierzu Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 58. 5 BayObLG v. 26.5.2000 – 1 StR 67/00, StV 2001, 263. 6 BayObLG v. 26.5.2000 – 1 StR 67/00, StV 2001, 263.
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Verbot der Doppelbestrafung
chischen Verwaltungsstrafgesetzes (VStG)1 genauer, ist vor dem Hintergrund der jÅngeren EuGH-Rechtsprechung fraglich, warum die Wirkung des Art. 54 SD einem Straferkenntnis versagt bleiben sollte. Nach Darlegung der allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit wie Zurechnungsfhigkeit (§ 3 VStG), Schuld (§ 5 VStG), Anstiftung und Beihilfe (§ 7 VStG), Verhngung einer Freiheitsstrafe (§ 11 VStG)2 oder Strafbemessung (§ 19 VStG), folgt ein verfahrensrechtlicher Teil (§§ 23–52b VStG), dem sich ein Strafvollstreckungsteil anschließt. FÅr einen Strafklageverbrauch spricht in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelung des § 10 Abs. 2 VStG: (2) Soweit fÅr VerwaltungsÅbertretungen, insbesondere auch fÅr die bertretung ortspolizeilicher Vorschriften, keine besondere Strafe festgesetzt ist, werden sie mit Geldstrafe bis zu 218 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen bestraft.
4.15 Freiheitsstrafen sollen auch nach Ansicht des EGMR regelmßig einen strafrechtlichen Charakter begrÅnden.3
4.16 Ebenso sieht das Çsterreichische Finanzstrafgesetz in § 53 FinStrG eine Ahndung sowohl durch das Gericht als auch in genau bestimmten Fllen durch die FinanzstrafbehÇrden vor. Weiter spricht fÅr einen zumindest beschrnkten Strafklageverbrauch, dass auch deutschen Verurteilungen zu Bußgeldzahlungen und rechtskrftigen Bußgeldbescheiden eine derartige Wirkung insoweit zukommen soll, als nicht entsprechend den Voraussetzungen von § 85 OWiG die Verurteilung nach einem Strafgesetz herbeizufÅhren ist.4 Zur BegrÅndung wird auf den repressiv-punitiven Charakter des Bußgelds abgestellt.5 Daher sollte auch dem Çsterreichischen Straferkenntnis die gleiche Wirkung beigemessen werden, d.h. dass die Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen sein kann, sondern nur noch bei Vorliegen einer Straftat.6
1 Abrufbar unter http://www.jusline.at/Verwaltungsstrafgesetz_(28VStG)29.html oder Çsterreichisches BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt gendert ÇBGBl. I Nr. 111/2010. 2 Eine Freiheitsstrafe darf nur verhngt werden, wenn dies notwendig ist, um den Tter von weiteren VerwaltungsÅbertretungen gleicher Art abzuhalten. 3 EGMR v. 8.6.1976 – 5100/71 – Engel u.a. v. Niederlande – Rz. 85 = EuGRZ 1976, 221 (231); EGMR v. 21.2.1984 – 8544/79 – ztÅrk v. Deutschland – Rz. 50, 53 f. = EuGRZ 1985, 62 (67 f.) 4 Vgl. auch Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 62, 63. 5 Ablehnend auch Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 30, der eine restriktive Interpretation des Aburteilungsbegriffs vor dem Hintergrund des Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) ebenfalls ablehnt. 6 Im Ergebnis lag das BayObLG daher richtig, da das Çsterreichische Straferkenntnis anlsslich einer Trunkenheitsfahrt erging, die nach hiesigem Recht angesichts einer Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille den Tatbestand des § 316 Abs. 2 StGB erfÅllt.
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C. Art. 54 SD in der praktischen Anwendung
2. Belgische „Transactie“ Die Staatsanwaltschaft warf den im vom BGH zu entscheidenden Fall im Jahr 1998 in Hamburg, Antwerpen, BrÅssel und andernorts gemeinschaftlich u.a. belgische Eingangsabgaben in HÇhe von knapp 3 Mio. Euro verkÅrzt zu haben1. Das diesbezÅglich von den belgischen BehÇrden gefÅhrte Verfahren endete im Jahr 1991 mit einer „administratieve Transactie“ nach belgischem Recht. Deren Voraussetzung und Wirkung beschreibt das belgische Justizministerium auf die Anfrage des BGH wie folgt2:
4.17
„Der verwaltungsrechtliche Vergleich (administrative transactie) gemß dem Allgemeinen Gesetz Åber Zoll und Verbrauchsteuern (Art. 263 und 264) erfolgt auf Vorschlag des Finanzministeriums, Amt fÅr Zoll und Verbrauchssteuern. Der verwaltungsrechtliche Vergleich ist das Ergebnis eines Angebots zur gÅtlichen Beilegung seitens der VerwaltungsbehÇrde an die Person, die beschuldigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Stimmt die Person dem zu, wird die Strafklage hinfllig. [...] Die Folge aus diesem Vergleich zwischen der BehÇrde und dem Beschuldigten besteht darin, dass die Strafklage bei ErfÅllung der in dem Vergleich niedergelegten Auflagen entfllt. [...] Dies wird gewÇhnlich durch den Zusatz ,non bis in idem‘ gekennzeichnet.“
Der Inhaber der begÅnstigten Firma verpflichtete sich zur Zahlung der angefallenen ZÇlle, einer Zollstrafe und der Sumniszuschlge. Die belgische Rechtsordnung nahm dafÅr die Niederschlagung des Steuerstrafverfahrens vor. Nach vollstndiger ErfÅllung der Zahlungspflicht war eine neuerliche Strafverfolgung wegen derselben Sache ausgeschlossen.
4.18
Das Landgericht Hamburg lehnte zunchst die ErÇffnung des Hauptverfahrens ab.3 Das OLG Hamburg hob den NichterÇffnungsbeschluss auf und erÇffnete das Verfahren vor der großen Strafkammer, da die Transactie kein Urteil sondern lediglich eine Verwaltungsentscheidung sei.4 Das LG Hamburg stellte das Verfahren nunmehr wegen eines Verfahrenshindernisses ein.5 Der BGH hob das Urteil des LG Hamburg auf die Revision der Staatsanwaltschaft auf und verwies die Sache zurÅck.6 Zwar ließ der BGH die Beantwortung der Rechtsfrage mangels Entscheidungserheblichkeit7 ausdrÅcklich offen und verweist auch auf die Antwort der belgischen Regierung, was die Frage des Strafklageverbrauchs der Transactie in Belgien selbst betrifft. Nmlich, dass auch nach belgischem Recht auslndischen
4.19
1 Vgl. BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193; vgl. hierzu Schomburg, StV 1999, 246; Hecker, JA 2010, 15. 2 BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193. 3 LG Hamburg v. 14.9.1995 – 615 KLs 3/93, wistra 1995, 358. 4 OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 1 Ws 316/95, wistra 1996, 193. 5 LG Hamburg v. 24.6.1996 – 615 KLs 3/93 151 Js 170/91, wistra 1996, 359. 6 BGH v. 2.2.1999 – 5 StR 596/96, wistra 1999, 193. 7 Die Transactie verpflichtete unmittelbar nur das Unternehmen und nicht die Angeklagten persÇnlich.
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Verbot der Doppelbestrafung
Transacties keine strafklageverbrauchende Wirkung im Verhltnis zur belgischen Strafbefugnis zuerkannt wird und daher i.S. des Gedankens der Gegenseitigkeit auch keine weitergehende Anerkennung erwartet werden kÇnne.
4.20 Denn ursprÅnglich begrÅndeten in Belgien auslndische Strafurteile das Verbot der Doppelverfolgung und -bestrafung nur fÅr Taten, die außerhalb Belgiens begangen worden sind.1 Der BGH nahm aber gleichwohl verklausuliert Bezug auf die fortschreitende Integration der Mitgliedstaaten der Europischen Union und die sich daraus ergebende Notwendigkeit weitgehender Kooperation auch im rechtlichen Bereich und betonte, dass die Transactie in ihrer Wirkung einer gerichtlichen Maßnahme gleichkommt.2 3. Niederlndische „Transactie“/Einstellung nach § 153a StPO
4.21 Mit Urteil vom 11.2.20033 hat der EuGH entschieden, dass das in Art. 54 SD aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch fÅr Verfahren gilt, in denen die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaates ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfÅllt und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet hat.4 Denn zum einen ist nmlich nach Abschluss eines solchen Verfahrens der Beschuldigte als rechtskrftig abgeurteilt i.S. des Art. 54 SD anzusehen und die in diesem Verfahren verhngte Sanktion als vollstreckt i.S. der Vorschrift anzusehen, sobald der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen erfÅllt hat. Zum anderen, so der EuGH, sind die Wirkungen eines solchen Verfahrens mangels eines ausdrÅcklichen gegenteiligen Hinweises in Art. 54 SD als fÅr die Anwendung des darin vorgesehenen Verbots der Doppelbestrafung ausreichend anzusehen, auch wenn in diesem Verfahren kein Gericht ttig wird und die darin getroffene Entscheidung nicht in Form eines Urteils ergeht.
4.22 Auch fÅr die niederlndische Transactie und eine Einstellung nach § 153a StPO ist die Geltung des Art. 54 SD mittlerweile anerkannt. In der verbundenen Rechtssache GÇzÅtok/BrÅgge hatte5 hatte der Beschuldigte GÇ1 Dannecker in FS Kohlmann, 593 (599); Art. 13 Abs. 1 der EinfÅhrungsvorschriften des belgischen Code de Construction Criminell/Wetboek for Strafvordering. 2 Vgl. auch Schomburg, StV 1999, 246 (247). 3 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01 – GÇzÅtok und C-385/01 – BrÅgge. 4 Hierzu Anagnostopoulos in FS Hassemer, 2010, 1123; Eser in FS Meyer, 2006, 514; kritisch Nehm in FS Steininger, 2003, 381; Schomburg in FS Eser, 2005, 835; Vogel in FS Schroder, 2006, 889; fÅr zu weitgehend hlt Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 123 f., die Annahme eines generellen Strafklageverbrauchs bei einer Einstellung nach § 153a StPO, bejaht jedoch einen beschrnkten Strafklageverbrauch im Ergebnis, was Vergehenstatbestnde betrifft; Brandenstein in Flore/Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 17. 5 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01/ C-385/01.
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zÅtok die ihm von der niederlndischen Staatsanwaltschaft angebotenen Vergleiche (niederlndische Transactie) angenommen und erfÅllt. Gegen Zahlung einer Geldauflage wurde die gegen ihn eingeleitete Strafverfolgung beendet. Kurz nach Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung in den Niederlanden erhob die Staatsanwaltschaft Aachen wegen derselben Tat Anklage gegen ihn. Ein Strafverfahren gegen den Deutschen BrÅgge1 wegen vorstzlicher KÇrperverletzung zum Nachteil einer belgischen StaatsangehÇrigen in Belgien stellte die Staatsanwaltschaft Bonn gegen Zahlung einer Geldauflage von 1.000 DM gem. § 153a Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO ein. Wegen derselben Tat wurde BrÅgge vor der Rechtsbank van Eerste Aanleg Veurne/Belgien angeklagt. Der EuGH folgt in seinem Urteil vollumfnglich den Schlussantrgen des Generalanwalts vom 19.9.2002 und kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass im Rahmen derartiger Verfahren die Strafverfolgung durch eine Entscheidung einer BehÇrde beendet wird, die zur Mitwirkung bei der Strafrechtspflege in der betreffenden nationalen Rechtsordnung berufen ist. Der EuGH weist darauf hin, dass das dem Beschuldigten vorgeworfene unerlaubte Verhalten geahndet wird durch ein solches Verfahren, dessen Wirkungen (wie sie das anwendbare nationale Recht vorsieht) von der Verpflichtung des Beschuldigten abhngen, bestimmte, von der Staatsanwaltschaft festgelegte Auflagen zu erfÅllen.
4.23
„Angesichts dessen ist festzustellen, dass der Betroffene als hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Tat rechtskrftig abgeurteilt i.S. des Art. 54 des DurchfÅhrungsÅbereinkommens anzusehen ist, sofern die Strafklage aufgrund eines Verfahrens der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art endgÅltig verbraucht ist.“
4. Beschrnkter Strafklageverbrauch bei Verbrechen Einschrnkend gilt jedoch, dass im Hinblick auf Verbrechen bei einer Einstellung nach § 153a StPO oder einer gleichgelagerten auslndischen Vorschrift insoweit auch nur ein beschrnkter Strafklageverbrauch in Betracht kommt.2 Ein innerstaatlicher beschrnkter Strafklageverbrauch kann auch in transnationaler Hinsicht nur ein beschrnktes Doppelverfol-
1 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01/ C-385/01. 2 Zum Ganzen Schomburg in S/L/G/H5, Art. 54 SD Rz. 327; auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 72, 75, fordert einen nach nationalem Recht endgÅltigen Verbrauch der Strafklage und will die Anforderungen an die abschließende Wirkung der abschließenden Entscheidung nicht zu gering veranschlagen; fÅr einen beschrnkten Strafklageverbrauch auch Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 28, 36; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 123 f., 126 f., der die fehlende Przisierung des Merkmals der gerichtlichen Aburteilung durch den EuGH moniert und einen unbeschrnkten Strafklageverbrauch fÅr zu weitgehend erachtet; Safferling, Internationales Strafrecht, § 12 Rz. 77 ff.; MansdÇrfer, Das Prinzip des ne bis in Idem im europischen Strafrecht, 2004; Eicker, Transnationale Strafverfolgung, 2004, 119; BÇse, GA 2003, 747; KÅhne, GA 2005, 195 (212).
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Kapitel 4
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gungsverbot zur Folge haben.1 Der EuGH Åbersieht insoweit die Regelung des § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO, und eine andere Sichtweise htte eine Privilegierung schwerer Straftaten zur Folge.2 5. Selbstanzeige als Aburteilung i.S. des Art. 54 SD
4.25 Ob auch eine Selbstanzeige nach § 371 AO den Voraussetzungen des Art. 54 SD genÅgt, ist fraglich.3 Die Selbstanzeige ist nach einhelliger Meinung ein persÇnlicher Strafaufhebungsgrund, wodurch der bereits entstandene Strafanspruch rÅckwirkend beseitigt wird. Der Wortlaut des § 371 AO spricht von „wird straffrei“. Nach den Grundstzen des EuGH in Sachen GÇzÅtok/BrÅgge4 genÅgt jedwede endgÅltige verfahrensbeendende Entscheidung. Dies wre mit Aufdeckung des Sachverhalts und Entrichtung der Steuer durch den Steuerpflichtigen der Fall. Andererseits hat eine Selbstanzeige, auch wenn sie alle der in § 371 AO normierten Voraussetzungen erfÅllt, die Einleitung eines Strafverfahrens zur Folge (§§ 386 Abs. 2, 399 AO), welches fÇrmlich eingestellt wird, wenn der Steuerpflichtige die entsprechende Nachzahlung leistet und kein Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO gilt indes kein beschrnkter transnationaler Strafklageverbrauch.5
4.26 Dass die Auflage allein in der ErfÅllung der Steuerpflicht liegt, steht dem nicht entgegen.6 Bei § 153a StPO kommt ebenso eine Einstellung allein gegen die dem Beschuldigten ohnehin obliegende Schadenswiedergutmachung (§ 153a Abs. 1 Nr. 1 StPO) oder ErfÅllung der gesetzlich ohnehin bestehenden Unterhaltsverpflichtung (§ 153a Abs. 1 Nr. 4 StPO) in Betracht. Auch der EuGH differenziert insoweit nicht, sofern die Einstellung nur endgÅltig ist.
4.27 Hingegen fÅhrt die Feststellung der Voraussetzung der Selbstanzeige in der Hauptverhandlung zum Freispruch und nicht zur Einstellung des Verfahrens.7
4.28 Auch ein weiterer Gedanke spricht fÅr eine Erstreckung des Art. 54 SD auf die Selbstanzeige: Die Selbstanzeige geht Åber die Voraussetzungen
1 Kritisch und eindrucksvoll zur Reichweite eines vorschnellen Strafklageverbrauchs auch Schomburg/Suomen-Picht, NJW 2012, 1190 (1192). 2 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 127 f.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 36; einschrnkende Tendenzen auch bei Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 75; Appl in GS Vogler, 2004, 109 (121); Brandenstein in Flore/Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 34. 3 Bender, wistra 2009, 176 (179). 4 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01, C-385/01. 5 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 127 m.w.N.; KniebÅhler, Ne bis in idem, 244. 6 Bender, wistra 2009, 176 (179). 7 Vgl. OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 245.
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des § 153a StPO insoweit hinaus, als diese Einstellung endgÅltig ist und nicht aufschiebend bedingt. Zahlt der Tter bei einer Einstellung nach § 153a StPO nicht die vollstndige Geldauflage oder stellt sich die Tat spter als Verbrechen dar, kann das Verfahren wieder aufgenommen werden. Daraus ließe sich folgern, dass eine erfolgreiche, wirksame Selbstanzeige, unabhngig, ob sie zu einer Verfahrenseinstellung im Vorverfahren oder zu einem Freispruch in der Hauptverhandlung fÅhrt, Straflosigkeit fÅr alle im Gebiet der Vertragsstaaten begangenen Straftaten, die mit der aufgrund der Selbstanzeige in Deutschland außer Verfolgung gestellten Zollstraftat als eine Tat i.S. der EuGH-Rechtsprechung gelten.1 Die Nachzahlungspflicht besteht fÅr den Tter nur im Umfang des § 371 Abs. 3 AO, soweit Steuern „zu seinen Gunsten“ hinterzogen sind. Die HÇhe ist konkret zu berechnen mit der Folge, dass etwa derjenige nichts zahlen muss, der allein seinen Tatbeitrag aufdeckt, wenn er nur einen Vorteil fÅr die Tat aber nicht aus der Tat hat, wie etwa der Transportlohn ein Spediteurs fÅr die BefÇrderung unverzollter Zigaretten.2 Auch mit EinfÅhrung des § 398a AO und dem nicht aufgenommenen Strafklageverbrauch bei gleichzeitiger Anlehnung der Vorschrift an § 153a StPO dÅrfte der Streit nicht zuungunsten eines (beschrnkten) Strafklageverbrauchs entschieden sein.3 Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sich hierÅber keine Gedanken gemacht hat (vgl. zur Neuregelung und zu den erhÇhten Zuschlgen nach § 398 AO-E Rz. 11.87 und Rz. 4.31). 6. Art. 54 SD im Ordnungswidrigkeitenverfahren Besondere Bedeutung erlangt vor dem Hintergrund der Renaissance der § 30 OWiG (Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen) und § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) die Frage der Geltung von Art. 54 SD hinsichtlich der Verurteilung oder Verhngung von Bußgeldbescheiden. Solchen kommt in dem aus § 85 OWiG ersichtlichen Umfang die Wirkung des Art. 54 SD zu. Ist der Bußgeldbescheid rechtskrftig geworden oder hat das Gericht Åber die Tat als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat rechtskrftig entschieden, so kann dieselbe Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (§ 84 Abs. 1 OWiG). Das rechtskrftige Urteil Åber die Tat als Ordnungswidrigkeit steht auch der Verfolgung als Straftat entgegen. Dem rechtskrftigen Urteil stehen der Beschluss nach § 72 OWiG und der Beschluss des Beschwerdegerichts Åber die Tat als Ordnungswidrigkeit gleich (§ 84 Abs. 2 OWiG). Gleiches gilt fÅr einen Freispruch. Eine Wiederaufnahme und damit eine neuerliche Verurteilung ist nur unter den Voraussetzungen des § 85 OWiG mÇglich. FÅr die Wiederaufnahme 1 Bender, wistra 2009, 176 (179). 2 Bender, wistra 2009, 176 (179) unter Verweis auf Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 104; Kohlmann in Kohlmann, § 371 AO Rz. 93, 94. 3 BT-Drucks. 17/5067, 20, denn auch wenn § 398a AO selbst keinen beschrnkten Strafklageverbrauch normiert, wird jedoch von einer weiteren Verfolgung abgesehen.
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4.29
Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
eines durch rechtskrftige Bußgeldentscheidung abgeschlossenen Verfahrens gelten die §§ 359-373a StPO entsprechend. Die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Betroffenen, die auf neue Tatsachen oder Beweismittel gestÅtzt wird (§ 359 Nr. 5 StPO), ist nicht zulssig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße bis zu 250 Euro festgesetzt ist (§ 85 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder seit Rechtskraft der Bußgeldentscheidung drei Jahre verstrichen sind (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 OWiG)
4.30 Die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Betroffenen ist gem. § 85 Abs. 3 OWiG unter den Voraussetzungen des § 362 StPO allein zu dem Zweck zulssig, die Verurteilung nach einem Strafgesetz herbeizufÅhren. Zu diesem Zweck ist sie auch zulssig, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder i.V.m. den frÅher erhobenen Beweisen geeignet sind, die Verurteilung des Betroffenen wegen eines Verbrechens zu begrÅnden. Gleichsam ist wegen des repressiv-punitiven Charakters ein rechtskrftiger behÇrdlicher Bußgeldbescheid als Aburteilung i.S. von Art. 54 SD anzusehen.1 Wegen § 84 Abs. 1 OWiG besteht jedoch nur ein beschrnkter transnationaler Strafklageverbrauch. 7. Innerstaatliche Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen
4.31 Art. 50 GRCh steht einer Kombination von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen, etwa bei der Verhngung von Steuerzuschlgen, nicht entgegen.2 Die Mitgliedstaaten sind nicht daran gehindert, zur Ahndung derselben Tat der Nichtbeachtung von Erklrungspflichten, etwa im Bereich der Mehrwertsteuer, steuerliche und strafrechtliche Sanktionen zu kombinieren. Die Mitgliedstaaten kÇnnen, um die Erhebung der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer in ihrer Gesamtheit und damit den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewhrleisten, die anwendbaren Sanktionen frei whlen.3 Eine Kombination von verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen wird als unschdlich erachtet, solange die verwaltungsrechtliche Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter i.S. von Art. 50 GRCh hat. Die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von Steuerzuschlgen richtet sich nach folgenden Kriterien: die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, die Art der Zuwiderhandlung und die Art und der Schweregrad der angedrohten Sank-
1 Vgl. EGMR v. 21.2.1984 – ztÅrk ./. Deutschland, Ser. A Nr. 73 = EuGRZ 1985, 62; Hecker, StV 2001, 306 (310); KniebÅhler, Ne bis in idem, 251; Barrot, ZJS 2010, 701 ff. 2 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – „Fransson“, ZWH 2013, 232; vgl. hierzu BÅlte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS KÅhne, 565 (571 f.); RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; zur Anwendbarkeit nationaler und europischer Grundrechtsstandards vgl. auch Dannecker/BÅlte in Wabnitz/ Janovsky4, Kap. 2 Rz. 292 f.; zu den Auswirkungen der EU-Grundrechte auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. Rz. 10.86. 3 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10, ZWH 2013, 232 m.w.N.
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tion.1 Dies ist zunchst durch die nationalen Gerichte zu prÅfen. (Zu den Auswirkungen im Hinblick auf die Zuschlge bei der Selbstanzeige nach § 398a AO vgl. Rz. 11.97. 8. Zusammenfassung FÅr das Merkmal der Aburteilung bedarf es einer verfahrensbeendenden Entscheidung einer zur Mitwirkung an der Strafrechtpflege berufenen BehÇrde, der Ahndungswirkung zukommt und die zu einem Strafklageverbrauch nach nationalem Recht fÅhrt.2 Hierunter fallen auch Transacties, das Çsterreichische Straferkenntnis, Bußgeldbescheide, Einstellungen nach §§ 1533, 153a StPO, der gerichtliche NichterÇffnungsbeschluss gem. §§ 204, 211 StPO und die strafbefreiende Selbstanzeige in dem Umfang, wie sie zum Strafklageverbrauch nach dem jeweiligen nationalen Recht fÅhren (s. Rz. 11.87). Die Gemeinsamkeit der vorgenannten Ahndungen besteht weitestgehend darin, dass es fÅr die Einleitung eines neuen Verfahrens neuer Tatsachen oder neuer Beweise bedarf.4
4.32
III. Begriff derselben Tat/Idem 1. Rechtsprechung des EuGH Umstritten war lange, was unter dem Begriff derselben Tat bzw. der Tat in europischer Hinsicht zu verstehen ist.5 Derweil hat der EuGH jedoch entschieden, dass Art. 54 SD dahin gehend auszulegen ist, dass maßgebendes Kriterium fÅr die Anwendung dieses Artikels das der Identitt der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlÇsbar miteinander verbundener Tatsachen, ist. Dies gilt unabhngig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschÅtzten rechtlichen Interesse. AusdrÅcklich betont der EuGH, dass sich aus Art. 54 SD, der den Ausdruck „derselben Tat“ verwendet, ergibt, dass diese Vorschrift nur auf das Vorliegen der fraglichen Tat abstellt und nicht auf ihre rechtliche Qualifizierung. Bezug nehmend auf die Schlussantrge des Generalanwalts fÅhrt der EuGH aus, dass das Recht auf FreizÅgigkeit nur dann effektiv gewhrleistet wird, wenn der Urheber einer Handlung weiß, dass er sich, wenn er in einem Mitgliedstaat verurteilt 1 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10, ZWH 2013, 232. 2 Vgl. zum Ganzen auch die vertiefende Darstellung bei Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 30 ff. 3 Vgl. Strafgericht Eupen v. 27.1.1999 – 37.22.1.1157.94, wistra 1999, 479; ablehnend hierzu Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 60; Radtke/Busch, NStZ 2003, 281 (286). 4 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 116 f. 5 Vgl. hierzu auch die Vorlageentscheidung des BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 342/04); EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-436/04 – van Esbroek; BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025; vgl. auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 36 ff.; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 101.
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4.33
Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
worden ist und die Strafe verbÅßt hat oder ggf. endgÅltig freigesprochen worden ist, im Schengen-Gebiet frei bewegen kann, ohne befÅrchten zu mÅssen, dass er in einem anderen Mitgliedstaat deshalb verfolgt wird, weil diese Handlung in der Rechtsordnung des letztgenannten Mitgliedstaates einen unterschiedlichen Verstoß darstellt. Der EuGH fÅhrt weiter aus: „Wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften wÅrde ein Kriterium, das auf der rechtlichen Qualifizierung der Tat oder auf dem geschÅtzten rechtlichen Interesse beruht, ebenso viele Hindernisse fÅr die FreizÅgigkeit im Schengen-Gebiet errichten, wie es Strafrechtssysteme in den Vertragsstaaten gibt. Demnach ist das einzige maßgebende Kriterium fÅr die Anwendung von Art. 54 SD das der Identitt der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlÇsbar miteinander verbundener Umstnde.“
4.34 Einschrnkend fÅgt der EuGH jedoch hinzu, dass die endgÅltige Beurteilung Sache des zustndigen nationalen Gerichts ist, welches feststellen muss, ob die fragliche materielle Tat einen Komplex von Tatsachen darstellt, die in zeitlicher und rumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlÇsbar miteinander verbunden sind.
4.35 Im konkreten Fall ging es um den Transport unverzollter Zigaretten quer durch Europa Åber mehrere Grenzen hinweg. Der EuGH sah hierin eine einheitlich Tat, da die Kurierfahrt ohne grÇßere Zwischenstopps erfolgen sollte.1 Etwas anderes kann gelten, wenn wesentliche zeitlich Zsuren zu verzeichnen sind, wie eine lngere Zwischenlagerung, oder eine Vermengung mit weiteren GÅtern erfolgt.
4.36 Der EuGH besttigte die von ihm vertretene Sichtweise in seinem Urteil vom 28.9.2006.2 Er hatte erneut darÅber zu entscheiden, was unter derselben Tat i.S. von Art. 54 SD zu verstehen ist, insbesondere ob der Besitz von etwa 1 kg Heroin in den Niederlanden im oder um den Zeitraum vom 27.3. bis 30.3.1983 dieselbe Tat darstellt wie der Besitz von etwa 5 kg Heroin in Italien am oder um den 27.3.1983, wenn berÅcksichtigt wird, dass die Partie Heroin in den Niederlanden ein Teil der Partie Heroin in Italien war. Zu entscheiden war ferner Åber die Frage, ob die Ausfuhr einer Partie Heroin aus Italien in die Niederlande dieselbe Tat wie die Einfuhr derselben Partie Heroin aus Italien in die Niederlande war.
4.37 Der EuGH bejahte das Vorliegen derselben Tat und wiederholte, dass einziges maßgebliches Kriterium fÅr die Anwendung von Art. 54 SD das der Identitt der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlÇsbar miteinander verbundener Umstnde, ist. Auch hier folgte der EuGH den Schlussantrgen des Generalanwalts, der das objektive Element des Idem als zwei objektiv aufzugliedernde Aspekte beschreibt. Zum einen seien Raum und Zeit zu beachten, sodass, 1 Vgl. auch BGH v. 9.6.2008 – 5 StR 342/04, BGHSt 52, 275 ff.; Bender, wistra 2009, 176 (179). 2 EuGH v. 28.9.2006 – Rs. C-150/05 – van Straaten, StV 2007, 57.
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wenn bei beiden GrÇßen bereinstimmung herrsche, der konkrete Sachverhalt nicht kÅnstlich in voneinander getrennte Handlungen aufgeteilt werden kÇnne. Zum anderen dÅrfe, ohne den Bereich des Faktischen zu verlassen, die VerknÅpfung von Tter und Tat auf der physischen Ebene nicht vernachlssigt werden. Ein einheitlicher Zeitraum, ein einheitlicher Raum, aber auch ein einheitlicher Vorsatz seien hier Anhaltspunkte. Anhand dieser Trilogie sei zu prÅfen, ob die von dem Grundsatz ne bis in idem verlangte bereinstimmung besteht, natÅrlich in dem Sinne, dass die drei Aspekte nicht vollstndig zusammenfallen mÅssen. Der Ort kÇnne sich ndern, die Straftat kÇnne sich in die Lnge ziehen und in verschiedene Einzelhandlungen zerfallen, fÅr die Bestrafung aber eine einheitliche Tat bleiben. Schließlich sei nicht ausgeschlossen, dass sich gelegentlich der Vorsatz des Tters ndere und trotzdem die Tat unverndert bleibe. Zur Beurteilung der faktischen Identitt sei dabei auch die materielle Seite der in den beiden Verfahren verfolgten Taten zu untersuchen, unabhngig von ihrer rechtlichen Qualifizierung und den durch ihre Bestrafung geschÅtzten GÅtern und Interessen in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten oder in den Regelungen des Besitzstands von Schengen.
4.38
Der EuGH geht mithin wie der BGH1 von einem sog. faktischen prozessualen Tatbegriff aus, wonach eine prozessuale Tat vorliegt, wenn es sich bei natÅrlicher Betrachtungsweise um einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang handelt, innerhalb dessen der Beschuldigte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll.2 Entscheidend ist das sog. idem factum, nicht das idem crimen. Dabei muss zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Tters eine innere VerknÅpfung bestehen dergestalt, dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatÅrliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden werden mÅsste.3 Ein einheitlicher Vorsatz genÅgt fÅr sich genommen nicht,4 kann jedoch ein Anhaltspunkt sein.5
4.39
2. Schlussfolgerung fÅr die Steuerhinterziehung FÅr den Bereich der Steuerhinterziehung bestimmt sich das idem factum neben dem Besteuerungszeitraum und der betroffenen Steuerart insbesondere Åber den abgeurteilten Sachverhalt und welche SteueransprÅche daraus aus deutscher Sicht resultieren.
1 BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025. 2 BGH v. 5.11.1969 – 4 StR 519/68, BGHSt 23, 141 (145); BGH v. 17.4.1984 – 1 StR 116/84, NStZ 1984, 469. 3 Kritisch zum Ganzen Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 120 f.; BÇse, EWS 2007, 204; BÇse, GA 2003, 758, der auf den Gedanken des Tatbegriffs im EG-Wettbewerbsrecht zurÅckgreift; in diese Richtung auch Dannecker in FS Kohlmann, 2003, S. 593 (604). 4 EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-367/05 – Kraaijenbrink, NJW 2007, 3416 (3417). 5 BGH v. 9.6.2008 – 5 StR 342/04, NStZ 2009, 458.
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4.40
Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
Beispiel: A will ein Unternehmen nach gÅnstigem Erwerb mit geringstmÇglichen steuerlichen Auswirkungen zu einem Preis von 100 Mio. an die in Großbritanien ansssige B verußern und nimmt steuerliche Beratung in Anspruch1. A grÅndet auf Anraten seiner steuerlichen Berater die belgische Kapitalgesellschaft C nebst schweizerischer Tochtergesellschaft S, wobei letztere die Anteile an der Gesellschaft A zunchst erwerben, halten und schlussendlich an die B verkaufen soll. A verußert sein Unternehmen zunchst mit notariellem Kaufvertrag an die belgische Gesellschaft C zu einem Preis von 10 Mio. Kurze Zeit spter verußert die schweizerische Tochtergesellschaft die Gesellschaft A fÅr 100 Mio. an B. A erklrt in Deutschland lediglich den VerußerungserlÇs von 10 Mio., abzÅglich der von ihm gettigten Anschaffungskosten. In Belgien unterbleibt die Abgabe einer Steuererklrung. BÅcher werden nicht gefÅhrt und Unterlagen Åber die belgische Gesellschaft nicht vorgehalten.
4.41 Nach belgischem Recht kommt eine Bestrafung des A wegen Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe einer KÇrperschaftsteuererklrung innerhalb der in Art. 310 WIB (belgisches Einkommensteuergesetz) 1992 vorgesehenen Frist und die Nichtvorlage aller BÅcher und Unterlagen gem. Art. 315 WIB 1992 in Betracht. Aus Art. 351 WIB 1992 ergibt sich fÅr die belgischen FinanzbehÇrden die MÇglichkeit, die zu versteuernden EinkÅnfte im Wege der Schtzung zu bestimmen.2 Grundlage wre der vollstndige VerußerungserlÇs von 100 Mio.
1 Der Sachverhalt ist stark vereinfacht dargestellt, entspricht aber einer Fallkonstellation aus der Praxis. Aufseiten der steuerlichen Berater ging man davon aus, dass die Verußerung einer wesentlichen Beteiligung aus Belgien heraus steuergÅnstiger wre als ein Direktverkauf aus Deutschland heraus. Die belgischen BehÇrden gingen jedoch davon aus, dass der belgischen Gesellschaft ein sog. außerordentlicher ErlÇs zugekommen sei, der unter Anwendung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 WIB 1992 zu versteuern gewesen wre und eine nach Art. 192 WIB 1992 grundstzlich mÇgliche Steuerbefreiung wegen des Vorliegens eines Scheingeschfts (Art. 344 WIB 1992) nicht in Betracht komme. 2 Art. 444 WIB 1992 bestimmt ergnzend, dass bei Nichtabgabe der Erklrung oder im Falle einer unvollstndigen oder unrichtigen Erklrung, die auf den nicht angegebenen EinkÅnfteteil geschuldet werden, um einen Steuerzuschlag erhÇht werden kann. Dieser wird je nach Art und Schwere des Verstoßes gem. einer Tabelle festgelegt, deren Staffelung der belgische KÇnig bestimmt, wobei der Aufschlag zwischen 10 % und 200 % der Steuern liegt, die auf den nicht angegebenen EinkÅnfteteil geschuldet werden. Der Gesamtbetrag der auf den nicht angegebenen EinkÅnfteteil geschuldeten Steuern und der Steuerzuschlge darf jedoch nicht hÇher sein als der Betrag der nicht angegebenen EinkÅnfte. Art. 449 WIB 1992 sieht unbeschadet der sog. Verwaltungssanktion, der Schtzung nebst Zuschlag, eine Gefngnisstrafe von acht Tagen bis zu zwei Jahren bzw. alternativ oder kumulativ eine Geldbuße von 250 Euro bis zu 12.500 Euro gegen denjenigen vor, der in betrÅgerischer Absicht oder mit der Absicht zu schaden gegen die Bestimmungen des WIB 1992 oder seiner AusfÅhrungserlasse verstÇßt.
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C. Art. 54 SD in der praktischen Anwendung
A und seinen steuerlichen Beratern gelingt es, im Rahmen des deutschen Steuer- und Steuerstrafverfahrens im Rahmen einer tatschlichen Verstndigung die FinanzbehÇrde davon zu Åberzeugen, dass die Besteuerung weit unter dem Wert von 100 Mio. zu erfolgen hat. Hinsichtlich des strafrechtlichen Vorwurfs erfolgt unter Hinweis auf die steuerliche Beratung und allenfalls nachzuweisende Leichtfertigkeit i.S. von § 378 AO eine Einstellung nach § 153a StPO, die sich hinsichtlich des Sachverhalts auf den Inhalt der tatschlichen Verstndigung stÅtzt. A zahlt die fllige Steuer sowie die Geldauflage unverzÅglich und das Strafverfahren wird endgÅltig eingestellt.
4.42
In diesem Fall steht einer weiteren Strafverfolgung in Belgien wegen Steuerhinterziehung und unterlassener BuchfÅhrung die Wirkung des Art. 54 SD entgegen. Der gesamte Sachverhalt war Gegenstand der tatschlichen Verstndigung und Grundlage der staatsanwaltlichen EinstellungsverfÅgung. FÅr ein idem factum und damit die Wirkung des Art. 54 SD spricht insbesondere, dass das gesamte Geschft so von Anfang an geplant war und ein diesbezÅglicher durchgngiger, einheitlicher Wille bestand. Letztendlich fÅr eine einheitliche Tat muss aber sprechen, dass in einer Zusammenschau der besonderen Konstellation Rechnung zu tragen ist. Die Verußerung sollte unter Umgehung des deutschen Fiskus vonstatten gehen, und die gewhlte Konstruktion macht nur bei einheitlicher Betrachtung Sinn. Ansonsten htte es der Zwischenschaltung der belgischen und schweizerischen Gesellschaft nicht bedurft und es htte ein Direktverkauf von Deutschland aus erfolgen kÇnnen.
4.43
IV. Vollstreckung 1. EinfÅhrung Weitere Voraussetzung des Art. 54 SD ist, dass die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Rechts des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann (Vollstreckungsbedingung).1 Die Wendung „vollstreckt ist“ bedeutet, dass die Sanktion vollstndig, d.h. auch bei Verhngung zweier Hauptstrafen2, erledigt sein muss, etwa durch VerbÅßung, Zahlung, ErfÅllung oder gem. § 56g StGB fÇrmlichem Erlass der Bewhrungsstrafe. Die zweite Variante ist erfÅllt, wenn die Vollstreckung der verhngten Sanktion bereits eingeleitet wurde oder noch andauert. Hierunter fllt nach allgemeiner Ansicht auch die Strafaussetzung zur Bewhrung, da der Verurteilte zumeist die ihm aus dem Bewhrungsbeschluss (§ 268a Abs. 1 StPO) auferlegten Auflagen (§§ 56b-d, 59a Abs. 2,
1 Zum Ganzen EuGH v. 27.5.2014 – Rs. C-129/14, juris; Ambos, Internationales Strafrecht3, § 10 Rz. 118 ff.; Brandenstein in Flore/Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 35. 2 EuGH v. 27.5.2014 – Rs. C-129/14, juris, zu einem Fall, wo die Geldstrafe bereits gezahlt, die Freiheitsstrafe indes noch nicht vollstreckt war.
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4.44
Kapitel 4
Verbot der Doppelbestrafung
68a, 68b StGB) zu erfÅllen hat.1 Probleme bereitet mitunter allein die Frage, ob nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, etwa im Zusammenhang mit Amnestien, Gnadenentscheidungen oder Vollstreckungsverjhrung.2 2. Steueramnestie als Vollstreckung
4.45 FÅr den Bereich des internationalen Steuerstrafrechts relevant wird die Frage des Vollstreckungselements im Zusammenhang mit der Beurteilung von Amnestien oder Begnadigungen. Wegen ihres Åberwiegend politischen Charakters wird mitunter die Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung verneint.3 Nach hier vertretener Ansicht sind zur optimalen Gewhrleistung der Grundfreiheiten bei der Auslegung der transeuropischen Ne-bis-in-idem-Regelung auch Gnadenakte und Amnestien als verfahrenshindernd anzuerkennen.4
4.46 In jÅngerer Zeit fanden in der Bundesrepublik zwei Steueramnestien statt5: im Jahr 19906 und in den Jahren 2004/20057. Die nchste Amnestie ist allein eine Frage der Zeit8 und in vielen europischen Lndern allseits beliebtes Instrument, zustzliche Gelder einzubringen.9 Die Amnestie 2004/2005 bezog sich auf verkÅrzte Steuern in dem Zeitraum 1993 bis 2002. Die Nacherklrung erfolgte Åber die sog. „Strafbefreiende Erklrung“, ein zu der Amnestie begleitend erstelltes Formular. Die pauschale Abgabe betrug 25 % bzw. 35 % auf der Basis einer reduzierten Bemessungsgrundlage, sodass die effektive Steuer deutlich unter den normalen Stzen lag. Neben der strafrechtlichen und steuerlichen Abgeltung dieser Jahre waren gleichzeitig auch Besteuerungszeitrume vor 1993 bereinigt. 1 EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-288/05 – Kretzinger, NJW 2007, 3412 (3414); BGH v. 3.11.2000 – 2 StR 274/00, BGHSt 46, 187; BR-Drucks. 283/97, 10; Ambos, Internationales Strafrecht3, § 12 Rz. 52; KniebÅhler, Ne bis idem, 228; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 79; Brandenstein in Flore/ Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 38. 2 Vgl. hierzu ausfÅhrlich Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 47 ff. 3 Schlussantrag des Generalanwalt Colomer v. 8.4.2008 zu Rs. C-297/07 – „Bourquain“. 4 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 81; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 47; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 134; PlÇckiner/LeidmÅhler, wistra 2003, 88. 5 Zum Ganzen vgl. Joecks/Randt, Steueramnestie 2004/2005. 6 Sog. „Zinsamnestie“ in dem Gesetz Åber die strafbefreiende Erklrung von EinkÅnften aus KapitalvermÇgen“ (StrbEG), Art. 17 Steuerreformgesetz 1990 v. 25.7.1988, BStBl. I, 1988, 259. 7 Nach Beschlussfassung im Bundestag am 19.12.2003 passierte das Gesetz Åber die strafbefreiende Erklrung (StraBEG) noch am selben Tag den Bundesrat und trat zum 30.12.2003 in Kraft. 8 Vgl. auch DÅll, IFSt-Schrift Nr. 410, 27. 9 Vgl. die Amnestie in Spanien 1991, sterreich 1993; Italien 2001, 2009; Großbritannien hat seit 2007 drei Amnestien angeboten; USA 2009, Frankreich 2009, Niederlande 2009.
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Die Steueramnestie fand fÅr jedwede Art von steuerpflichtigen Einnahmen Anwendung. Die Strafbefreiende Erklrung orientierte sich an den Voraussetzungen einer Selbstanzeige nach § 371 AO. Die Straffreiheit kam allen Tatbeteiligten zugute und betraf die einfache, die leichtfertige und die verbrechensmßige Steuerhinterziehung (§§ 370, 370a, 371 AO) sowie die gewerbsmßige oder bandenmßige Schdigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG). Nicht erfasst waren darÅber hinausgehende Straftaten, die im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung begangen wurden. Entscheidend fÅr die Annahme eines Vollstreckungselements im Falle einer Amnestie spricht, dass der Gesetzgeber den Umfang der persÇnlichen Strafbefreiung genau festlegt, wie seinerzeit in § 4 StraBEG. Der Staat verzichtet zum Zweck der Steuermehreinnahme bewusst auf den ihm zustehenden Strafanspruch. Es kommen die gleichen Argumente zum Tragen, wie sie auch fÅr die strafbefreiende Selbstanzeige angefÅhrt wurden. Umgekehrt gilt die Wirkung des Art. 54 SD aber auch fÅr Amnestien in den Schengenstaaten. Der im Verurteilungsstaat getroffenen Entscheidung gilt es grÇßtmÇglichen Respekt entgegenzubringen und zu inlndischer Anerkennung zu verhelfen. Dabei sind auch womÇglich abweichende Rechtsgrundstze und Gerechtigkeitsvorstellungen anzuerkennen.1 Die Anerkennung auslndischer Amnestien ist eine logische Konsequenz des europischen Gedankens.
1 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 13 Rz. 51.
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4.47
Kapitel 4
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Verbot der Doppelbestrafung
2. Teil Internationales Steuerstrafverfahren Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren Rz. A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalittsprinzip
5.1
B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . .
5.3
II. Primres Unionsrecht . . . . . . .
5.5
III. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . .
5.6
Rz.
a
C. Auswirkungen auf das deutsche Legalittsprinzip . . . . . . .
5.17
D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.22
E. Die Rechte des Beschuldigten im Strafrecht auf Unionsebene de lege ferenda . . . . . . . . . . . . .
5.24
F. Steuerfahndung . . . . . . . . . . . .
5.27
G. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . .
5.29
IV. Etablierung einer Europischen Staatsanwaltschaft . . . .
5.7
V. Sekundres Unionsrecht . . . . .
5.8
H. Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO)
VI. Europische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . .
5.9
I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
5.31
VII. Charta der Europischen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . .
5.11
II. berblick Åber das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung . .
5.36
VIII. GrÅnbuch der Europischen Kommission und Entschließung des Europischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.12
Literatur: Beckemper, Nemo-tenetur im Steuerstrafrecht, ZIS 2012, 221; Berchner, Die Neufassung der AStBV (St) aufgrund des neuen Selbstanzeigenrechts, NZWiSt 2012, 171; Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006; Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002; Esser, Die Europische Staatsanwaltschaft: Eine Herausforderung fÅr die Strafverteidigung, StV 2014, 494; Gotzens, GrenzÅberschreitung im Steuerfahndungsverfahren, FS Streck 2011, 519; Jesse, Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, DB 2013, 1803; Kreutzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Die Europisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europischen Union, 1997; Matthes, Zwischen Durchsuchung und Rasterfahndung – VerdachtsbegrÅndung und ErmittlungsmÇglichkeiten der Steuerfahndung, wistra 2008, 10; Meyer, Charta der Grundrechte der Europischen Union, 3. Aufl. 2011; MÅller, Die Stufen des Tatverdachts bei der Hinterziehungstat und deren Konsequenzen, AO-StB 2011, 276; Pohl, Der europische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europischem Primrrecht, 2009; Satzger, Die Europisie-
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a
Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren rung des Strafrechts, 2001; Satzger, Die potentielle Errichtung einer Europischen Staatsanwaltschaft – Pldoyer fÅr ein Komplementarittsmodell, NStZ 2013, 206; Tsambikakis, Der Haftbefehl im Steuerstrafverfahren, PStR 2013, 159; Weßlau, Vorfeldermittlungen – Probleme der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekmpfung“ aus strafprozessrechtlicher Sicht, 1989; ZÇller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, 2002. Vgl. auch die Literaturnachweise vor Rz. 11.1.
A. Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Legalittsprinzip 5.1 Der Zielsetzung dieses Buches folgend, beschrnkt sich die Darstellung
5.2
des Steuerstrafverfahrens im Allgemeinen vornehmlich auf unmittelbar auslandsrelevante Aspekte. Ergnzend werden jedoch allgemeine Probleme des innerdeutschen Rechts erÇrternd einbezogen, als sich hieraus Konsequenzen ergeben. Schweizerische, luxemburgische oder liechtensteinische Schwarzgeldkonten und die Nichterklrung der daraus resultierenden Ertrge sind kein Phnomen der Neuzeit. Steuerhinterziehung findet von jeher auch grenzÅberschreitend statt. Der grÇßte Vorteil auslndischer Bankkonten, Depots, Trust oder Stiftungen bestand noch bis vor Kurzem darin, dass das Entdeckungsrisiko relativ gering war. Die Internationale Amts- und Rechtshilfe in Steuerstrafsachen hinkte lange Zeit der Amts- und Rechtshilfe in allgemeinen Strafsachen hinterher. Mit dem Zusammenwachsen Europas und der Verstrkung der Zusammenarbeit bei der Bekmpfung grenzÅberschreitender Kriminalitt durch Einrichtungen wie OLAF (vgl. Rz. 9.51)1, Eurojust (vgl. Rz. 9.46) und Europol (vgl. Rz. 9.43) und eine Verstrkung im Bereich des Informationsaustauschs in Steuer- und Strafsachen gelangen auch Sachverhalte mit internationalen BezÅgen in das Visier der ErmittlungsbehÇrden; nicht ohne Auswirkung auf das in Deutschland herrschende Legalitts- und Akkusationsprinzip. 1 Beschluss der Kommission v. 28.4.1999 zur Errichtung des Europischen Amtes fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF), ABl. EG 1999 Nr. L 136, 20; Verordnung (EG) Nr. 1073/99 des Europischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999 Åber die Untersuchungen des Europischen Amtes fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF), ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1; Verordnung (Euratom) Nr. 1074/99 des Rates v. 25.5.1999 Åber die Untersuchungen des Europischen Amtes fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF), ABl. EG Nr. L 136 v. 25.5.1999, 8; vgl. nunmehr KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013; Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europischen Parlaments und des Rates v. 11.9.2013 Åber die Untersuchungen des Europischen Amtes fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates, ABl. EU 2013 Nr. L 248, 1; smtliche BeschlÅsse und Verordnungen betreffend OLAF sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/about-us/legal-framework/index_en.htm. Zu neueren Reformvorhaben vgl. Lingenthal, ZEuS 2012, 195; zum Ganzen auch Ambos, Internationales Strafrecht3, § 13 Rz. 1 ff.; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 324 f.
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B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung
B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung I. Ausgangslage Der EU-Sondergipfel von Tampere im Oktober 1999 war der Startschuss einer Betonung des rechtspolitischen Ziels der Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (vgl. nunmehr Art. 4 Abs. 2 Buchst. j, Art. 67 ff. AEUV). Wie die damit in Abkehr von der klassischen Prrogative der Mitgliedstaaten fÅr das Feld der Strafrechtspflege notwendige Vereinheitlichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten oder ein quivalenter Angleichungsmechanismus (z.B. die gegenseitige Anerkennung nationaler gerichtlicher Entscheidungen im Strafverfahren) aussehen, sei im Folgenden mit der Fokussierung des Blicks auf das Legalittsprinzip dargestellt.
5.3
Von einer gemeinsamen Strafprozessordnung, die einheitlich fÅr alle Mitgliedstaaten der Europischen Union Geltung beansprucht, ist der derzeitige Harmonisierungsgrad noch weit entfernt. Dies liegt nicht zuletzt darin begrÅndet, dass das Strafrecht „strker als andere Materien Ausdruck nationaler Souvernitt [und] in weiten Teilen politisches Recht“ ist.1 Es gilt daher, die normativen und rechtspolitischen Aussagen herauszufiltern, die Einfluss auf das Legalittsprinzip deutscher Prgung haben. Bei der Diskussion einer europischen Strafverfolgung nimmt das Legalittsprinzip freilich keine zentrale Position ein, sondern ist vielfach nur mittelbar berÅhrt. Die „Europisierung des Strafrechts“ wird meist unter dem Aspekt des materiellen Rechts und der Methoden im Ermittlungsverfahren diskutiert.2
5.4
II. Primres Unionsrecht Da der Europischen Union den Prinzipien der enumerativen Einzelermchtigung und der Subsidiaritt folgend eine generelle, bereichsunabhngige Kompetenz fÅr das materielle Strafrecht und das Strafprozessrecht nicht zukommt, ist eine Vereinheitlichung insbesondere Åber die ehemals als „Dritte Sule der EU“ konzipierte (polizeiliche und) justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu suchen, die nunmehr in Art. 82-86 AEUV geregelt ist. Ziel ist eine Koordination der Strafverfolgungsttigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten.
1 Tiedemann, in Kreutzer/Scheuing/Sieber, Die Europisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europischen Union, 1997, 133 (134). 2 Vgl. etwa Satzger, Die Europisierung des Strafrechts, 2001; Tiedemann, in Kreutzer/Scheuing/Sieber, Die Europisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europischen Union, 1997, 133 ff.
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5.5
Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren
III. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung 5.6 Art. 82 AEUV enthlt das Ziel einer gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen, das gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU mit Leben gefÅllt werden muss.1 Insbesondere besteht ein Vorbehalt fÅr die BerÅcksichtigung der Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten. Hierunter dÅrfte sich auch das Legalittsprinzip subsumieren lassen; allerdings ist dieses ohnehin nur mittelbar berÅhrt, da sich die gegenseitige Anerkennung auf gerichtliche Entscheidungen bezieht und dem Legalittsprinzip allenfalls Grenzen zieht.
IV. Etablierung einer Europischen Staatsanwaltschaft 5.7 Die Europische Kommission hat am 17.7.2013 einen Vorschlag fÅr eine Verordnung des Rates Åber die Errichtung der Europischen Staatsanwaltschaft (EPPO2) vorgelegt.3 (Haupt-)Aufgabe der dezentral aufgebauten Europischen Staatsanwaltschaft soll die Untersuchung und Verfolgung von Straftaten sein, die die finanziellen Interessen der Europischen Union schdigen. Flankiert wird dies beispielsweise durch die Richtlinie des Europischen Parlaments und des Rates Åber die strafrechtliche Bekmpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europischen Union gerichtetem Betrug.4 Gem. Art. 86 Abs. 1 AEUV ist die Einsetzung einer Europischen Staatsanwaltschaft, ausgehend von Eurojust, mÇglich.5 ber die Anforderungen an die Verfahrensordnung einer solchen Staatsanwaltschaft, namentlich Åber die Bindung an das Legalittsprinzip, sagt der AEUV nichts. Die jetzige Regelung zur Europischen Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die jeweiligen Staatsanwlte gleichzeitig in die Jus1 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01 – „GÇzÅtok/BrÅgge“, NJW 2003, 1173; vgl. auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 24; Gleß in S/L/G/H5, III B 3a Rz. 1, 8 ff. 2 European Public Prosecutor´s Office. 3 KOM (2013) 534 endg. v. 17.7.2013, BT-Drucks. 18/1646, 18/1658; vgl. auch Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 395 f.; Esser, StV 2014, 494. 4 KOM (2012) 363 endg. v. 11.7.2012, wo insbesondere unter Berufung auf EuGH v. 15.11.2011 – Rs. C-539/09 – Europische Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland, ABl. EU Nr. C 25 v. 28.1.2012, 5 darauf verwiesen wird, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlgigen Unionsrechts einerseits und der ZurverfÅgungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel fÅr den EU-Haushalt andererseits besteht, da jedes Versumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer fÅhrt; vgl. auch EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – Fransson, UR 2014, 27 = NJW 2013, 1415. 5 KOM (2013) 532 endg. v. 17.7.2013; vgl. hierzu BT-Drucks. 18/1646, 18/1658; Brodowski, ZIS 2012, 558; Beukelmann, NJW-Spezial 2013, 568; Hamran/Szabova, New Journal of European Criminal Law 4 (2013), 40; Ligeti/Simonato, New Journal of European Criminal Law 4 (2013), 7; Satzger, NStZ 2013, 206; Schneiderhan, DRiZ 2013, 100.
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B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung
tizsysteme der Mitgliedsstaaten eingebunden bleiben1 und das Legalittsprinzip Geltung beanspruchen soll.2 Die Etablierung einer Europischen Staatsanwaltschaft ist lediglich eine Option, die der Rat nutzen kann, aber nicht muss. Gem. Art. 86 Abs. 2 AEUV nhme diese Europische Staatsanwaltschaft bei Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union vor den zustndigen nationalen Gerichten die Rolle der Staatsanwaltschaft ein und fÅhrte auch die vorhergehende strafrechtliche Untersuchung durch.3
V. Sekundres Unionsrecht Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wurde im Rahmen des Art. 82 Abs. 1 Buchst. a AEUV insbesondere durch die EinfÅhrung des Europischen Haftbefehls mit Leben gefÅllt. Die reichhaltige Debatte hierum bedarf in diesem Kontext keiner Vertiefung, da die in §§ 151, 152 StPO inkorporierten Prozessmaximen allenfalls am Rande betroffen sind. Weitere Ausgestaltungen einer gegenseitigen Anerkennung sind z.B. der Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen4 sowie der Rahmenbeschluss Åber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhngt wird, fÅr die Zwecke der Vollstreckung in der Europischen Union5. Eine Regelung i.S. des Art. 82 Abs. 1 Buchst. b AEUV stellt Art. 54 SD dar. Stellt ein Schengener Vertragsstaat ein Strafverfahren ohne Mitwirkung eines Gerichts gegen bestimmte Auflagen, insbesondere die Zahlung eines von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrags ein, so ist dies in Deutschland ein Verfahrenshindernis fÅr ein erneutes Verfahren6 (nher Rz. 4.1 ff.).
5.8
VI. Europische Menschenrechtskonvention Die Verfolgung von Straftaten durch den Staat dient auch dem Schutz des BÅrgers. Das staatliche Gewaltmonopol bringt nicht nur eine Macht des Staates, sondern zugleich eine Schutzfunktion des von Straftaten bedrohten oder verletzten BÅrgers mit sich. Dennoch enthlt die Europische Menschrechtskonvention (EMRK), die den Rang eines einfachen Bundesgesetzes einnimmt, keine unmittelbaren Aussagen zum Legalitts- und Offizialprinzip oder zum Akkusationsprinzip. Vielmehr nimmt sie einen Blickwinkel ein, aus dem der BÅrger vor unverhltnismßigen Strafverfol1 KOM (2013) 532 endg. v. 17.7.2013. 2 KOM (2013) 534 endg. v. 17.7.2013, 12, 14; vgl. auch BT-Drucks. 18/1658. 3 Vgl. Geiger/Khan/Kotzur, EUV AEUV5, Art. 86 AEUV Rz. 6: „Die europischen ersetzen hier die nationalen Kollegen.“ 4 RB 2005/214/JI des Rates v. 24.2.2005, ABl. EU 2005 Nr. L 76, 16. 5 RB 2008/909/JI des Rates v. 27.11.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 327, 27. 6 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01, C-385/01 – Rz. 33, StV 2003, 201 (202).
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5.9
Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren
gungsmaßnahmen zu schÅtzen ist.1 Der Strafverfolgung werden also primr Fesseln angelegt; nicht aber zwingt die EMRK zu Ermittlungen oder Çffentlichen Anklagen. Indizien fÅr eine Verfolgungspflicht finden sich aber zum einen in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK, nach dem jede Person ein Recht auf Sicherheit hat. Allerdings ist der Begriff der „Sicherheit“ hier synonym mit der ebenfalls erwhnten „Freiheit“ zu verstehen.2 Insofern ist also wiederum die Perspektive eines Schutzes vor dem und nicht durch den Staat und seine BehÇrden eingenommen.
5.10 Zum anderen betont Art. 8 Abs. 2 EMRK als Rechtfertigung eines Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens die nationale und Çffentliche Sicherheit sowie den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Zu berÅcksichtigen ist freilich nicht nur der unmittelbare Worttext der Konvention, sondern auch ihre Interpretation und AusfÅllung durch den Europischen Gerichtshof fÅr Menschenrechte (EGMR). Geschieht ein schwerwiegender Eingriff in ein Individualrechtsgut, das unter dem Schutz der EMRK steht, so ist demnach unter der Geltung der Konvention eine effektive und umfassende staatliche Aufklrung selbst dann geboten, wenn der Eingriff nicht von der staatlichen, sondern einer privaten Seite ausgegangen ist.3 So ist ein Vertragsstaat beispielsweise unter dem Aspekt eines effektiven Lebensschutzes gem. Art. 2 EMRK verpflichtet, wegen eines Einsatzes tÇdlicher Gewalt, auch durch Private, effektiv ermittelnd ttig zu werden, und zwar auch dann, wenn der Tod nicht eingetreten ist, es aber zu schweren kÇrperlichen Verletzungen gekommen ist.4 Es genÅgt allerdings eine offizielle, unabhngige, effektive Ermittlung; ein Strafverfahren im eigentlichen Sinne ist nicht gefordert. Ein allgemeines Recht des BÅrgers auf Einleitung eines Strafverfahrens verbÅrgt die Konvention nicht.5 Wie auch im deutschen Recht ist es den StrafverfolgungsbehÇrden erlaubt, ihre StrafverfolgungsbemÅhungen ressourcenÇkonomisch einzusetzen und je nach Tatvorwurf zu variieren.6
VII. Charta der Europischen Grundrechte 5.11 Das in Art. 46 GRCh proklamierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf umfasst, wie auch die vergleichbaren VerbÅrgungen in Art. 19 Abs. 4 GG bzw. dem allgemeinen Justizgewhrleistungsanspruch und Art. 13 EMRK, nicht einen Anspruch auf DurchfÅhrung eines Strafverfahrens. Selbiges folgt auch nicht aus Art. 6 GRCh, nach dem jeder Mensch das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat. Denn wie auch in Art. 5 EMRK 1 2 3 4
Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002, 102. Cierniak in Meyer-Goßner, StPO53, Anh 4 Art. 5 EMRK Rz. 1. Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002, 102. EGMR v. 8.7.1999 – 23657/94 – Cakici ./. TÅrkei, Reports 1999-IV; Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002, 105. 5 Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002, 814. 6 Esser, Auf dem Weg zu einem europischen Strafverfahrensrecht, 2002, 109.
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B. Einbettung des nationalen Legalittsprinzips in die europische Rechtsordnung
ist der Begriff der Sicherheit hier gleichbedeutend mit dem der Freiheit.1 Letzterer wiederum umschreibt die „Habeas-corpus-Rechte“. Als Verfahrenshindernis mittelbare Bedeutung fÅr das Legalittsprinzip entfaltet schließlich Art. 50 GRCh, der ein Verbot der Doppelbestrafung enthlt.
VIII. GrÅnbuch der Europischen Kommission und Entschließung des Europischen Parlaments Die Europische Kommission legte bereits im Jahr 2001 ein „GrÅnbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europischen Staatsanwaltschaft“ vor.2 Das GrÅnbuch baut auf dem „Corpus Iuris“ auf, einer EU-finanzierten wissenschaftlichen Studie mitsamt einem Gesetzentwurf zum Schutz finanzieller Interessen der EU. In prozessualer Hinsicht wird hierin eine europische Generalstaatsanwaltschaft angestrebt, die mit den nationalen Staatsanwaltschaften kooperiert. In Art. 18 Abs. 4 Satz 2, 3 des zweiten Entwurfs des Corpus Iuris heißt es:3
5.12
„Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafÅr, dass einer der oben genannten Straftaten der Art. 1 bis 8 begangen wurde, so ist die ES [d.h. die Europische Staatsanwaltschaft] durch ihre Bindung an das Legalittsprinzip verpflichtet, ein Strafverfahren einzuleiten. Sie kann jedoch auf Grund einer Entscheidung wegen besonderer GrÅnde, die sie der informierten Person oder der Person, die die Straftat behÇrdlich angezeigt oder Strafantrag gestellt hat, sofort mitzuteilen hat,
– Straftaten von geringer Bedeutung oder solche, die hauptschlich nationale Interessen betreffen, an die nationalen BehÇrden verweisen;
– das Verfahren einstellen, wenn der Beschuldigte gestndig ist, den Schaden wieder gutgemacht hat und – gegebenenfalls – die unrechtmßig erlangten Mittel zurÅckgezahlt hat; – einer verfahrensbeendenden Verstndigung durch eine dies beantragende nationale BehÇrde unter den genannten Voraussetzungen [ . . .] zustimmen.“
Art. 21, 22 des Corpus Iuris spiegeln das Akkusationsprinzip wider. Das GrÅnbuch nimmt den Gedanken des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 Corpus Iuris auf.4 Dies liegt darin begrÅndet, dass die Vereinheitlichung und Strkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft eine einheitliche Strafverfolgung im gesamten europischen Rechtsraum erforderlich macht. Ferner sieht das GrÅnbuch im Legalittsprinzip einen Ausgleich fÅr die Unabhngigkeit eines europischen Staatsanwalts. Das Legalittsprinzip soll jedoch nicht ausnahmslos gelten. In begrÅndeten Ausnahmefllen soll vielmehr das Opportunittsprinzip zum Tragen kommen. In den Mitgliedstaaten bestehe Åberwiegend eine Mischung aus diesen bei1 Bernsdorff, in Meyer, Charta der Grundrechte der Europischen Union3, Art. 6 GrCh Rz. 12. 2 KOM (2001) 715 endg.; nun KOM (2013) 532 endg. v. 17.7.2013. 3 Abgedruckt bei KÅhne, Strafprozessrecht8, 2010, § 77 Rz. 1481. 4 KOM (2001) 715 endg., 49 ff.
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5.13
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den Verfahrensprinzipien. Die erste Ausnahme sei fÅr geringfÅgige Flle einzurichten, wobei die GeringfÅgigkeit in das Ermessen von Staatsanwalt und Gericht gestellt oder von einer Wertgrenze abhngig gemacht werden kÇnnen. Eine zweite Ausnahme betrifft die „NÅtzlichkeit strafrechtlicher Ermittlungen fÅr die Urteilsfindung“. Haben die Ermittlungen einen ausreichenden Tatverdacht hinsichtlich eines Teils des Geschehens ergeben, so kÇnnte der europische Staatsanwalt hinsichtlich weiterer belastender Umstnde von Ermittlungen absehen, wenn diese auf das Urteil keinen wesentlichen Einfluss haben wÅrden. Die dritte Ausnahme hat einen Beschuldigten im Blick, der nur einen geringen Geldbetrag aus der Straftat erlangt hat. Das GrÅnbuch schlgt hier einen Vergleich vor, in dem gegen die freiwillige RÅckzahlung des Betrags von einer Strafverfolgung abgesehen wird. Von all diesen Aufweichungen des Legalittsprinzips wird eine RÅckausnahme vorgeschlagen, wenn nach einem Verweis in das nationale Recht im Einzelfall erschwerende Umstnde vorliegen.
5.14 Schließlich wird betont, dass im Verhltnis der Ttigkeit des Europischen Staatsanwalts und der mitgliedstaatlichen StrafverfolgungsbehÇrden dafÅr Rechnung zu tragen ist, dass der Grundsatz ne bis in idem gewahrt bleibt. Und keine Stellung bezieht die Kommission zu der Frage, ob die Gemeinschaft als Geschdigte gegen einen Einstellungsbeschluss, der eine Ermessensentscheidung sei, vorgehen kÇnnen soll.1
5.15 Der Europische Staatsanwalt wre im Rahmen seiner Aufgaben dafÅr zustndig, die Ermittlungen zu leiten und zu koordinieren. Die Kommission bevorzugt dabei, dass der Europische Staatsanwalt im jeweiligen Mitgliedstaat und im Einklang mit den Prinzipien der Effizienz und der quivalenz dieselben Befugnisse gegenÅber den nationalen ErmittlungsbehÇrden hat wie ein Staatsanwalt im jeweiligen Mitgliedstaat.2 Eine umfassende Kritik der Idee einer europischen Staatsanwaltschaft kann in diesem Rahmen nicht erfolgen.3 Von Interesse sind allein die soeben erwhnten Aussagen zum Legalittsprinzip.
5.16 In einem weiteren GrÅnbuch „Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europischen Union“4 aus dem Jahr 2003 beschftigt sich die Kommission mit Rechten des Beschuldigten im Strafverfahren, nicht aber mit Prozessmaximen wie dem Legalittsprinzip.
1 KOM (2001) 715 endg., 78; hiergegen Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006, 285. 2 KOM (2001) 715 endg., 58. 3 Hierzu statt aller Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006, 235 ff. 4 KOM (2003) endg.
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C. Auswirkungen auf das deutsche Legalittsprinzip
C. Auswirkungen auf das deutsche Legalittsprinzip Insbesondere die normative Verankerung der Europischen Staatsanwaltschaft und die entsprechenden AusfÅhrungen der Kommission im GrÅnbuch zeigen, dass auch auf europischer Ebene die Akkusations- und die Offizialmaxime Platz greifen sollen; die Strafverfolgung wird also nicht Privaten Åberlassen und der Grundsatz ist die Trennung von Richter und ErmittlungsbehÇrde. Dies entspricht auch der Rechtstradition der Mitgliedstaaten.
5.17
Interessanter erscheinen die Auswirkungen auf das deutsche Legalittsprinzip, obschon auch diese nach derzeitigem Stand nicht unerheblich sind. Eine gegenseitige Anerkennung nationaler strafrechtlicher Entscheidungen i.S. der Art. 67 Abs. 3, 82 Abs. 1, 2 AEUV und die Etablierung einer Europischen Staatsanwaltschaft kÇnnen Auswirkungen auf das Legalittsprinzip in Deutschland zeitigen, indem dieses eine Begrenzung erfhrt. Sollte nmlich vorrangig die Europische Staatsanwaltschaft zustndig sein oder ein anderer Mitgliedstaat bereits ein Strafverfahren durchgefÅhrt haben, entfllt fÅr den deutschen Staatsanwalt die Pflicht aus § 152 Abs. 2 StPO.
5.18
Gleichzeitig kann es aber auch zu einer Weiterung der Verfolgungspflicht kommen. Sind strafprozessuale Verfahrensakte nach den Vorstellungen des GrÅnbuchs und mit Einschrnkungen nach der Entschließung des Europischen Parlaments allgemein gegenseitig anzuerkennen, so kann dies auch fÅr die Beweiserhebung gelten. Ein Beispiel ist das spanische Recht, nach dem anders als nach § 100a Abs. 2 der deutschen StPO eine berwachung des Telefonverkehrs bei jeder Straftat mÇglich ist und das auch Beweissurrogate genÅgen lsst. Solche Erkenntnisse wren bei einer weitgehenden gegenseitigen Anerkennung in einem deutschen Strafverfahren verwertbar.1 Ist das solchermaßen nur nach dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates strafprozessual ordnungsgemß gewonnene Beweismittel das einzige Beweismittel, so kann ein Anfangsverdacht i.S. des § 152 StPO nicht mit dem Bestehen eines unselbstndigen Beweisverwertungsverbots begrÅndet werden. Auf die eigentlich vorgenommene Abwgung kommt es dann gar nicht an.
5.19
Auf der Ebene des Anfangsverdachts sind Art. 54 SD und Art. 50 GRCh zu sehen. Selbst die Verfahrenseinstellung in einem Mitgliedstaat kann zu einem Strafklageverbrauch fÅhren2 und damit in Deutschland ein Verfahrenshindernis darstellen. Nach wie vor wird durch das europische Recht nicht verhindert, dass die StrafverfolgungsbehÇrden mehrerer europischer Mitgliedstaaten parallele Ermittlungsverfahren durchfÅhren. In Ermangelung einer solchen Kollisionsregel ist auf dem Boden des deut-
5.20
1 Zu diesem Beispiel Tiedemann in FS Eser, 2005, 889 (891). 2 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01, C-385/01, StV 2003, 201 (202); vgl. auch die AusfÅhrungen in Rz. 4.1 f.
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schen Legalittsprinzips zu entscheiden, ob aufgrund einer stellvertretenden Strafverfolgung durch einen anderen Mitgliedstaat von der Verfolgung einer Tat abgesehen werden kann.1
5.21 Ausgeklammert soll im vorliegenden Rahmen bleiben, ob das Legalittsprinzip deutscher Prgung eine Vorbildwirkung bei der Schaffung einer europischen Staatsanwaltschaft ausÅben sollte. Denn diese Frage hngt mit der hier nicht zu bewerkstelligenden rechtsvergleichenden Perspektive, insbesondere mit Blick auf England, die Niederlande und Frankreich, ab.2 Rechtspolitisch sind theoretisch vier miteinander kombinierbare Wege auszumachen, die eine staatliche Strafverfolgung auch auf europischer Ebene lenken kÇnnen:3 (1) tatschliche Bedingungen, die eine Orientierung am Legalittsprinzip wahrscheinlich machen, (2) eine nachrangige Privat- oder Popularklage, (3) ein Klageerzwingungsverfahren und (4) die Strafbewehrung einer Nichtverfolgung. Gegenwrtig ist aber die Meinungsbildung noch im Fluss.
D. Ausblick 5.22 Der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Strafrecht wird zunehmend grÇßer. Im Steuerrecht stehen regelmßig Gesetze und Entscheidungen auf dem PrÅfstand des EuGH. Vor diesem Hintergrund wird es immer bedeutsamer, schon zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens den Sachverhalt hinsichtlich etwaiger europarechtlicher oder internationaler Implikationen zu ÅberprÅfen. Aus der Praxis heraus ist zu bemerken, dass nicht selten aus RechtsgrÅnden ein Anfangsverdacht verneint und die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt wird, etwa weil eine steuerrechtlich bedeutsame Vorfrage beim BFH oder EuGH anhngig ist, gleichgelagerte Flle kÅrzlich entschieden wurden oder bereits aufgrund der Komplexitt und rechtlichen Schwierigkeit eines steuerlichen Sachverhalts in keinem Fall ein leichtfertiges Verhalten nachzuweisen wre.
5.23 FÅr den Bereich des internationalen Steuerstrafrechts bleibt abzuwarten, wie sich die gemeinsamen BemÅhungen entwickeln, die fiskalischen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten noch besser zu schÅtzen und die finanziellen Interessen der EU zu sichern. In jedem Fall wird eine Ausdehnung der grenzÅberschreitenden Zusammenarbeit die Folge sein. Flle wie der um den europaweiten Emmissionszertifikatehandel und insbesondere die immer noch hohe Schdigung des Umsatzsteueraufkommens legen dies nahe. 1 Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006, 22. 2 Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006, 23. 3 Deiters, Legalittsprinzip und Normgeltung, 2006, 272, der freilich eine Privatoder Popularklagebefugnis fÅr untauglich hlt und aufgrund der Maßgabe einer Ressourcenschonung Variante (1) bevorzugt (S. 289).
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E. Die Rechte des Beschuldigten im Strafrecht auf Unionsebene de lege ferenda
E. Die Rechte des Beschuldigten im Strafrecht auf Unionsebene de lege ferenda ber Art. 82 Abs. 2 AEUV ist es der EU mÇglich, unter BerÅcksichtigung der Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und Traditionen der Mitgliedstaaten in Form von Richtlinien Mindestvorschriften im Bereich des Strafverfahrensrechts vorzunehmen. Entsprechende Vorschlge sind bislang gescheitert. Auch wenn die Grundrechtecharta und die Europische Menschenrechtskonvention entsprechende Verfahrensgarantien bereits beinhalten und fÅr die Mitgliedstaaten selbst unmittelbare GÅltigkeit haben (Art. 6 AEUV), bedarf des dennoch der Umsetzung in spezifisches nationales Verfahrensrecht.1 Namentlich der durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 Abs. 1 UA 1 AEUV) mÇgliche Austausch von Beweismitteln erÇffnet die MÇglichkeit, die Rechte des Beschuldigten im Wege des sog. „forum shopping“2 zu unterlaufen, etwa was den Unmittelbarkeitsgrundsatz betrifft.
5.24
Beispiel: Im Zusammenhang mit der Frage, ob A sich Åberwiegend in Frankreich aufgehalten hat, fordert die deutsche Staatsanwaltschaft via Europischer Beweisanordnung3 von den franzÇsischen BehÇrden ein vorhandenes Vernehmungsprotokoll des dortigen Nachbarn N an. Eine persÇnliche Vernehmung unterbleibt.
Mit dem sog. Stockholmer Programm wurde nunmehr zumindest ein Fahrplan zur Strkung der Verfahrensrechte von Verdchtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren geschaffen4, der folgende Maßnahmen festlegt: – bersetzungen und Dolmetschleistungen,5
1 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 54; Satzger, StV 2003, 141; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 9 Rz. 5 f.; Polakiewicz, EuGRZ 2010, 12. 2 Kritisch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 9 Rz. 12, der einen mÇglichen Verstoß gegen das Fairnessgebot und den Grundsatz der Waffengleichheit erÇrtert. 3 Rahmenbeschluss des Rates v. 18.1.2009 Åber die Europische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, SchriftstÅcken und Daten zur Verwendung in Strafsachen (RbEuBa), ABl. EU 2008 Nr. L 350; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 53, Safferling, Internationales Strafrecht, 406, 507, vgl. auch die AusfÅhrungen in Rz. 6.57; vgl. auch Rz. 9.185. 4 Entschließung des Rates v. 30.11.2009 Åber einen Fahrplan zur Strkung der Verfahrensrechte von Verdchtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren (Text von Bedeutung fÅr den EWR) (2009/C 295/01). Vgl. auch den „Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms“ KOM (2010), 171 endg. Ende 2014 soll das BedÅrfnis an zustzlichen Verfahrensrechten in einem weiteren GrÅnbuch erÇrtert werden, KOM (2010), 171 endg. 5 Vgl. hierzu Richtlinie Åber das Recht auf Dolmetsch- und bersetzungsleistungen im Strafverfahren v. 28.10.2010, EURL 2010/64, ABl. EU 2010, Nr. L 280, 1; umzusetzen bis 27.10.2013; hierzu Brand, DRiZ 2010, 94; Kotz, StV 2010, 626.
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5.25
Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren
– Belehrung Åber die Rechte und Unterrichtung Åber die Beschuldigung,1 – Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe, – Kommunikation mit AngehÇrigen, Arbeitgebern und KonsularbehÇrden, – besondere Garantien fÅr schutzbedÅrftige Verdchtige oder Beschuldigte, – ein GrÅnbuch Åber die Untersuchungshaft.
5.26 Sofern noch keine Umsetzung in nationales Recht erfolgt ist, wird die Kommission ersucht, entsprechende Gesetzesvorschlge zu erarbeiten. Misslich ist, dass dies nicht im Wege einer einheitlichen Gesamtkonzeption erfolgt, sondern gestaffelt und stÅckweise. WÅnschenswert wre vielmehr die einheitliche und konzentrierte Festlegung verbindlicher europischer Mindeststandards i.S. des Stockholmer Programms.2
F. Steuerfahndung 5.27 Gem. § 386 Abs. 1 Satz1 AO ermittelt bei dem Verdacht einer Steuerstraftat die FinanzbehÇrde den Sachverhalt. „FinanzbehÇrde“ sind das Hauptzollamt, das Finanzamt, das Bundeszentralamt fÅr Steuern und die Familienkasse. Nach § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO ist die Aufgabe der Steuerfahndung die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten, die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in derartigen Fllen und die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerflle. Die FinanzbehÇrde fÅhrt das Ermittlungsverfahren gem. § 386 Abs. 2 AO in den Grenzen der §§ 399 Abs. 1, 400, 401 AO selbstndig durch, wenn die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt. Dies gilt nicht, wenn ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen ist. In diesem Fall ist die Staatsanwaltschaft zustndig. Diese kann im brigen jederzeit ein ihr bekanntes Steuerstrafverfahren an sich ziehen (Evokationsrecht). Indem die Steuerfahndung auch die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hat, wird sie doppelfunktional ttig.3 Nach § 393 Abs. 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der FinanzbehÇrde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den fÅr das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Im Besteuerungsverfahren sind jedoch i.S. des Nemo-tenetur-Grundsatzes Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen unzulssig, wenn er dadurch gezwungen wÅrde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Insoweit hat die Steuerfahndung stets deutlich zu erkennen zu geben, in welcher Funktion sie ttig wird. Die Zustndigkeit der Steuerfahn1 Hierzu KOM (2010) 392, endg. v. 20.7.2010. 2 Vgl. auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 54; Satzger, StV 2003, 141; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 101; Polakiewicz, EuGRZ 2010, 12. 3 Kritisch hierzu Schwedhelm in FS Streck, 2011, 561 (568).
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G. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft
dung ist nicht auf strafrechtlich unverjhrte Zeitrume beschrnkt.1 Die Arbeitsweise der Steuerfahndung wird im Wesentlichen bestimmt durch die Anweisungen zum Straf- und Bußgeldverfahren (AStBV).2 Die Zollfahndungsmter und die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der LandesfinanzbehÇrden sowie ihre Beamten haben im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten dieselben Rechte und Pflichten wie die BehÇrden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (Entgegennahme von Strafanzeigen, Einleitung Strafverfahren, Recht des ersten Zugriffs, Eilkompetenzen, Belehrungspflicht). Sie haben auch Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO sowie die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (§ 110 Abs. 1 StPO); ihre Beamten sind Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. FÅhrt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren in Strafsachen durch, so hat die Bußgeld- und Strafsachenstelle nach § 402 Abs. 1 AO nur dieselben Rechte und Pflichten wie die BehÇrden des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung, insbesondere nach § 161 und § 163 StPO sowie die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO. Beschuldigte, Zeugen und Sachverstndige sind nicht verpflichtet, auf Ladung vor ihr zu erscheinen.
5.28
G. Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft Die Ermittlungskompetenz geht auf die Staatsanwaltschaft Åber, wenn sich in einem zunchst wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gefÅhrten Verfahren abzeichnet, dass tateinheitlich oder tatmehrheitlich weitere Nichtsteuerstraftaten in Rede stehen.3 Die Entscheidung Åber die Abgabe eines Steuerstrafverfahrens ergeht gem. § 386 Abs. 4 AO und ist nach pflichtgemßem Ermessen zu treffen. Die FinanzbehÇrde kann die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben. Die Staatsanwaltschaft kann die Strafsache jederzeit an sich ziehen (Evokationsrecht). In der Praxis erfolgt im letzteren Fall hufig gem. § 386 Abs. 4 Satz 3 AO eine RÅckÅbertragung des Verfahrens zur FortfÅhrung der Ermittlungen an die Steuerfahndung. Die unverzÅgliche Abgabe kommt nach Ansicht der FinanzbehÇrde (vgl. Nr. 22 AStBV) insbesondere in Betracht, wenn besondere Umstnde es angezeigt erscheinen lassen, dass das Ermittlungs1 BFH v. 16.12.1997 – VII B 45/97, BStBl. II 1998, 231; BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624; FG Hessen v. 8.11.1996 – 4 V 3735/96. 2 Anweisungen fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) v. 1.11.2013, BStBl. I 2013, 1395. 3 Zur Frage der Unterbrechung der Verjhrung durch die FinanzbehÇrde bei Zusammentreffen mit Allgemeindelikten vgl. BGH v. 24.10.1989 – 5 StR 238/89, wistra 1990, 59; OLG Braunschweig v. 24.11.1997 – Ss (S) 70/97, wistra 1998, 71; zum Ganzen auch Muhler in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 15 Rz. 10, der eine Verjhrungsunterbrechung nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nur ein einer prozessualen Tat i.S. von § 52 StGB annimmt.
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5.29
Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren
verfahren unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft fortgefÅhrt wird, was namentlich der Fall ist, wenn – eine Maßnahme der TelekommunikationsÅberwachung beantragt werden soll; – die Anordnung der Untersuchungshaft (§§ 112, 113 StPO) geboten erscheint; – die Strafsache besondere verfahrensrechtliche Schwierigkeiten aufweist; – weitere Straftaten in Rede stehen; – Freiheitsstrafe Åber einem Jahr zu erwarten ist; – gegen Mitglieder des Europischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, Mitglieder eines Landtages oder Diplomaten ermittelt wird; – ein Amtstrger der Finanzverwaltung der Beteiligung verdchtig ist; – die Wirksamkeit der Selbstanzeige in Rede steht.1
5.30 Nach hier vertretener Ansicht ist bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten stets die Staatsanwaltschaft mit der Verfahrensherrschaft zu betrauen. Bereits die aufgefÅhrten AbgabegrÅnde zeigen auf, dass Åber den einfachen Normalfall hinausgehende Verfahren, sprich Verfahren der mittleren und schweren Kriminalitt, abgegeben werden sollen. Hinzu kommt, dass es im Internationalen Strafrecht und Steuerstrafrecht die jeweiligen SouvernittsansprÅche als auch wechselseitige staatliche StrafansprÅche zu berÅcksichtigen gilt. Zwar steht der Staatsanwaltschaft stets das Evokationsrecht zu, oftmals erfhrt die Staatsanwaltschaft jedoch erst, wenn Åberhaupt, in einem weit fortgeschrittenen Stadium oder bei Beantragung eines Strafbefehls von entsprechenden Verfahren.
H. Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) I. EinfÅhrung 5.31 Das Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren ist in § 393 AO normiert und bereits Gegenstand vielfltiger Untersuchungen.2 Die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der FinanzbehÇrde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren richten sich nach den fÅr das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Es gilt der Grundsatz der 1 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, juris. 2 AusfÅhrlich Muhler in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 15 Rz. 33 ff.; Beckemper, ZIS 2012, 221; BÇse, wistra 2003, 47; Gotzens/Wagner, PStR 2003, 207; Jger, PStR 2002, 49; Braun, DStZ 1999, 570; DÇrn, DStZ 1999, 245; Streck/Spatscheck, wistra 1998, 334; List, DB 2006, 469; Rolletschke, wistra 2004, 924; Webel in Flore/Tsambikakis, §§ 393 AO ff.; Jesse, DB 2013, 1803.
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H. Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO)
Unabhngigkeit und Gleichrangigkeit beider Verfahren.1 Der Beschuldigte ist im Steuerstrafverfahren im Gegensatz zum Besteuerungsverfahren2 zu keiner aktiven oder wahrheitsgemßen Mitwirkung verpflichtet. Im Besteuerungsverfahren sind Zwangsmittel entsprechend dem Nemo-tenetur-Grundsatz gegen den Steuerpflichtigen unzulssig, wenn er dadurch gezwungen wÅrde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten (§ 393 Abs. 1 AO). Soweit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die der Steuerpflichtige der FinanzbehÇrde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in ErfÅllung seiner steuerrechtlichen (Mitwirkungs-) Pflichten offenbart hat, dÅrfen diese Kenntnisse gem. § 393 Abs. 2 AO gegen ihn nicht fÅr die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Eine Ausnahme sieht § 393 Abs. 2 Satz 2 AO fÅr Straftaten vor, an deren Verfolgung ein zwingendes Çffentliches Interesse i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO besteht. Erkenntnisse, die die FinanzbehÇrde oder die Staatsanwaltschaft hingegen rechtmßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dÅrfen im Besteuerungsverfahren verwendet werden (§ 393 Abs. 3 AO). Zwangsmittel sind nur die in § 328 AO benannten Mittel. Kein Zwangsmittel i.S. von § 393 AO ist die in der Praxis hufig anzutreffende Schtzung von Besteuerungsgrundlagen, wenn der Steuerpflichtige von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht.3
5.32
FÅr den Bereich des Internationalen Steuerstrafrecht bedeutsam ist insbesondere das Zusammenspiel von § 393 AO und den erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten, wie z.B. § 90 Abs. 2 und 3 AO oder §§ 16, 17 AStG. Daneben treten die erleichterten SchtzungsmÇglichkeiten bzw. die Vermutungsregel des § 162 Abs. 2 und 3 AO, indem bei bestimmten VerstÇßen wiederlegbar vermutet wird, dass die inlndischen steuerpflichtigen EinkÅnfte hÇher als erklrt sind. Die Finanzverwaltung schtzt dabei eher zu hoch als zu niedrig. Die Grenze ist erst da erreicht, wo eine Strafschtzung4 in Rede steht, wobei die Grenzen jedoch
5.33
1 BT-Drucks. VII/4292, 46; BVerfG v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, wistra 1991, 175; BVerfG v. 15.10.2004 – 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 392; BFH v. 19.8.1998 – XI R 37/97, BStBl. II 1999, 7; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4; BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 956. 2 BVerfG v. 13.5.2009 – 2 BvL 19/08, BFH/NV 2009, 1771; BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, StV 2005, 316; BFH v. 14.5.2008 – V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371; BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15. 3 BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; FG MÅnster v. 31.10.2000 – 5 K 6660/98, EFG 2001, 401; FG MÅnchen v. 4.5.2010 – 13 V 540/10, juris; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4; BFH v. 13.1.2006 – VIII B 7/04, BFH/NV 2006, 914; Hellmann in H/H/Sp, § 393 AO Rz. 75. 4 BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; BFH v. 19.9.2001 – XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4; Hellmann in H/H/Sp, § 393 AO Rz. 76; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 34.
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Kapitel 5 EinfÅhrung in das Internationale Steuerstrafverfahren
fließend sind und der Nachweis einer Strafschtzung im Zweifel schwerlich zu fÅhren sein wird.1 Das Verhltnis von Besteuerungsverfahren und Strafverfahren ist dabei bis heute nicht allseits befriedigend gelÇst. Sei es, was das Verhltnis von Umsatzsteuervoranmeldung zur Umsatzsteuerjahreserklrung betrifft oder die Auswirkungen auf womÇglich strafbefangene nachgelagerte Jahre.
5.34 Indes ist anerkannt, dass die Strafbewehrung der Erklrungspflicht fÅr ein bestimmtes Veranlagungsjahr solange suspendiert wird, wie fÅr dieses Veranlagungsjahr ein Strafverfahren anhngig ist, wobei ein anhngiges Strafverfahren gleichwohl nicht die Nichtabgabe oder die Abgabe einer unrichtigen Steuererklrung fÅr nachfolgende Veranlagungszeitrume rechtfertigt.2 Zudem besteht fÅr zutreffende Angaben des Steuerpflichtigen ein strafrechtliches Verwendungsverbot, wenn die Angaben zu einer mittelbaren Selbstbelastung fÅr zurÅckliegende strafbefangene Besteuerungszeitrume fÅhren.3 Der BGH fÅhrt insoweit aus:4 „Die ErfÅllung der steuerrechtlichen Offenbarungspflichten ist dem Steuerpflichtigen nur dann zumutbar, wenn die – im Besteuerungsverfahren erzwingbaren – Angaben in einem Strafverfahren nicht gegen ihn verwendet werden dÅrfen (vgl. Joecks in FS fÅr Kohlmann, 2003, S. 451, 463). Das Verbot des Selbstbelastungszwanges fÅhrt daher dazu, daß die Erklrungen eines Beschuldigten, die er in ErfÅllung seiner weiterbestehenden steuerrechtlichen Pflichten fÅr nicht strafbefangene Besteuerungszeitrume und Steuerarten gegenÅber den FinanzbehÇrden macht, allein im Besteuerungsverfahren verwendet werden dÅrfen. FÅr das laufende Strafverfahren dÅrfen diese Informationen, soweit sie unmittelbar oder auch mittelbar zum Nachweis einer Steuerhinterziehung fÅr die zurÅckliegenden Steuerjahre fÅhren kÇnnen, nicht herangezogen werden.
5.35 Im Ergebnis wird es bei Auslandssachverhalten eine taktische und ggf. unter kaufmnnischen Gesichtspunkten zu beantwortende, einzelfallbezogene Frage sein sowie vom prognostizierten Entdeckungsrisiko und der Ermittlungswahrscheinlichkeit abhngen, ob der Steuerpflichtige die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten erfÅllt. Die immer strker werdende transnationale Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet des Steuerstrafrechts spricht dabei jedoch tendenziell fÅr eine kooperative Verfahrensweise des Steuerpflichtigen.
II. berblick Åber das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung 5.36 – Der Steuerpflichtige ist steuerrechtlich zur Abgabe richtiger Steuererklrungen auch dann verpflichtet, wenn gegen ihn ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden ist. 1 Vgl. etwa FG MÅnster v. 15.3.2005 – 12 K 3958/03, EFG 2005, 1327 zum oberen Schtzungsrahmen. 2 BGH v. 23.1.2002 – 5 StR 540/01, NJW 2002, 1733; BGH v. 10.1.2002 – 5 StR 452/01, NJW 2002, 1134; BFH v. 18.11.2013 – X B 237/12, BFH/NV 2014, 369. 3 BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, wistra 2005, 148. 4 BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 191/04, wistra 2005, 148.
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H. Verhltnis des Strafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO)
– Zwangsmittel (§ 328 AO) sind im Besteuerungsverfahren insoweit unzulssig, als sich der Steuerpflichtige einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit selbst bezichtigen mÅsste (nemo tenetur se ipsum prodere/accusare). – Verweigert der Steuerpflichtige (berechtigt oder unberechtigt) Angaben, darf das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO schtzen. – FÅr denselben Zeitraum, fÅr den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ist die Pflicht zur Abgabe von Steuererklrungen suspendiert, wenn sich der Steuerpflichtige nicht auf rechtmßigem Weg (RÅcktritt oder Selbstanzeige) aus seiner Konfliktlage befreien kann. – FÅr nicht vom Ermittlungsverfahren betroffene Besteuerungszeitrume bestehen die Steuererklrungspflichten strafrechtlich auch dann fort, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren besteht. – Die Erklrungspflicht wird (per se) auch nicht bei EinkÅnften aus Straftaten suspendiert (z.B. Bestechungsgelder als sonstige EinkÅnfte i.S. von § 22 Nr. 3 EStG).1 – Der Nemo-tenetur-Grundsatz berechtigt nicht zur Abgabe einer inhaltlich falschen Steuererklrung oder Wiederholung falscher Angaben. – Es kommt zu einem strafrechtlichen Verwendungsverbot allein hinsichtlich derjenigen Angaben, die zu einer mittelbaren Selbstbelastung fÅr die (zurÅckliegenden) bereits von einem Ermittlungsverfahren erfassten Jahre und Steuerarten fÅhren.
1 BGH v. 5.5.2004 – 5 StSR 139/03, wistra 2004, 391 (392), wobei jedoch angesichts der mÇglichen Durchbrechung des Steuergeheimnisses gem. § 30 AO eine Reduzierung des Erklrungsumfangs in Betracht kommt, d.h. die EinkÅnfte mÅssen nur betragsmßig, aber nicht unter Benennung der Einkunftsquelle benannt werden.
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Kapitel 6 Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 6.1
B. AuslÇser fÅr internationale Steuerstrafverfahren . . . . . . . .
6.4
C. Verfahrensgrundlagen I. Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . II. Prozessualer Tatbegriff . . . . . . III. Vorermittlungen und Vorfeldermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zum Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatsanwaltliche Vorermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aussetzung des Verfahrens . . .
6.8 6.12 6.17 6.18 6.21 6.22 6.24
D. Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
6.25
II. Sammelauskunftsersuchen an inlndische Banken bei offenen Auslandstransfers . . . . . . .
6.28
III. Cash-Kreditkartenkonten . . . .
6.29
IV. Tafelpapiere . . . . . . . . . . . . . . . .
6.30
V. Weitere Anforderungen an Sammelauskunftsersuchen . . . VI. Pflicht zur Anzeige des in auslndischen Zweigniederlassungen inlndischer Kreditinstitute verwahrten VermÇgens des Erblassers . . . . . . . VII. Weiterleitung von Kontrollmaterial Åber Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.31
6.32
6.33
E. Verwertungsverbote I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
6.36
II. berprÅfung der BeweisfÅhrungskette (chain of evidence).
6.38
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Rz.
a
III. Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.41
IV. Schutz von Bankkunden gem. § 30a AO/§ 194 AO . . . . . . . . .
6.42
V. Reichweite des Steuergeheimnisses im Ermittlungsverfahren 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.50
VI. Verjhrungsunterbrechung . . .
6.52
F. Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln . . .
6.54
I. Europische Beweisanordnung.
6.57
II. Beschlagnahmeverbote nach § 97 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.67
III. EDV-Anlagen/E-Mail-Postfcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.69
6.48
G. Durchsuchung I. Durchsuchung beim Verdchtigen (§ 102 StPO) . . . . . . . . . . .
6.73
II. Durchsuchung beim Unverdchtigen (§ 103 StPO) 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsuchung der Beraterkanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchsuchung beim Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchsuchung beim Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Durchsuchung von Unternehmen/Banken . . . . . . . . . . . . . . .
6.83
III. Zustndigkeit . . . . . . . . . . . . . .
6.85
IV. Durchsuchungsantrag . . . . . . .
6.88
V. Durchsuchungsbeschluss . . . .
6.90
6.74 6.76 6.80 6.81
a
A. Einleitung Rz. VI. Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen . . . . . . . . . . . . . . 1. ZweckmßigkeitsÅberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . H. Untersuchungshaft . . . . . . . . .
6.92
Rz. 3. Außervollzugsetzung und Hinterziehungsvolumen . . . . . 6.134
I. VermÇgensbeschlagnahme gem. § 290 StPO . . . . . . . . . . . . 6.141
6.96
J. GrenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung
6.108 6.109 6.112 6.116 6.118 6.120
I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.142 II. Anordnung des dinglichen Arrests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.145 III. Arrestschuldner . . . . . . . . . . . . 6.147 IV. Arrestanspruch . . . . . . . . . . . . . 6.148 V. Arrestgrund . . . . . . . . . . . . . . . . 6.151 K. Abschluss des Verfahrens . . . . 6.155 L. Exkurs: Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren
III. Verhltnismßigkeit . . . . . . . . 6.124
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 6.156
IV. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . 6.126
II. Grundstze der bisherigen BFH-Rechtsprechung . . . . . . . . 6.158
V. Außervollzugsetzung des Haftbefehls 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 6.128 2. Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz . . . . . 6.130
a
VI. Europischer Haftbefehl . . . . . 6.135
6.94 6.95
I. Dringender Tatverdacht 1. Dringender Tatverdacht und Steueranspruch . . . . . . . . . . . . . 6.99 2. Inhaltliche Anforderungen an den Haftbefehl . . . . . . . . . . . . . 6.104 3. berprÅfung des Verdachtsgrads . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.107 II. Die HaftgrÅnde im Einzelnen . 1. Flucht und Fluchtgefahr . . . . . a) Wohnsitz im Ausland . . . . . b) Straferwartung . . . . . . . . . . 2. Apokryphe HaftgrÅnde im Steuerstrafrecht . . . . . . . . . . . . 3. Verdunkelungsgefahr . . . . . . . .
a
III. Einschrnkende berlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.164
Literatur: Vgl. die Literaturnachweise vor Rz. 11.1.
A. Einleitung Das Steuerstrafverfahren ist stets ein regulres strafrechtliches Ermittlungsverfahren, fÅr welches, wie dargelegt, neben den einschlgigen Vorschriften der AO die allgemeinen Gesetze Åber das Strafverfahren (subsidire) Anwendung finden (§ 385 AO), mithin auch die EMRK, das IRG, ggf. DBA (zu den Auswirkungen im Bereich der Amts- und Rechtshilfe s. Rz. 7.1 ff.) und sonstige innerstaatliche Strafverfahrenvorschriften.1 Das Steuerstrafverfahren wird fÅr die ermittelnden Beamten konkretisiert durch die Anweisungen fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) –
1 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 17.
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6.1
6.2
Kapitel 6
6.3
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
AStBV 2014.1 Diese stellen eine Arbeitshilfe dar, kÇnnen jedoch die einschlgigen Rechtsgrundlagen weder einschrnken noch erweitern oder darÅber entscheiden, welcher Rechtsauffassung im Zweifel zu folgen ist.2 Die AStBV sollen ihrer Zielsetzung nach der einheitlichen Handhabung des Gesetzes dienen und die reibungslose Zusammenarbeit der zur Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der FinanzbehÇrden untereinander, mit anderen Stellen der FinanzbehÇrden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften gewhrleisten (EinfÅhrung Abs. 1 AStBV). Im Hinblick auf das internationale Steuerstrafrecht treffen die AStBV nur wenige Aussagen. Als Rechtsgrundlagen der zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ergeben wird knapp auf die multi- und bilateralen Vertrge sowie – ergnzend, fÅr die dort nicht geregelten Fragen – auf das IRG und die RiVASt verwiesen. Anschließend findet sich der Hinweis, dass Rechtshilfeverkehr auch bei vertragslosem Zustand mÇglich ist und sich in diesem Fall ausschließlich nach nationalem Recht, insbesondere dem IRG richtet (Nr. 1 Abs. 2 AStBV).
B. AuslÇser fÅr internationale Steuerstrafverfahren 6.4 Die AuslÇser fÅr internationale Steuerstrafverfahren sind vielfltig. Oftmals ergeben sich Verdachtsmomente aus der BetriebsprÅfung, etwa wenn auffllige Zahlungen ins Ausland entdeckt werden und ein Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG in Rede steht. Ebenso sind Trusts, Stiftungen, Briefkasten- oder Domizilgesellschaften im Ausland verstrkter Beobachtung unterzogen. Von zunehmender Bedeutung ist auch die Gewinnverlagerung in sog. Steueroasen. Nach Erstattung einer Selbstanzeige erfolgt ebenso die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, um die Wirksamkeit selbiger zu ÅberprÅfen.3 Aber auch Aufflligkeiten in der regulren Steuererklrung kÇnnen Anlass bieten, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, etwa wenn plÇtzlich auslndische Kapitalertrge erklrt werden. Innerhalb der BehÇrden besteht zudem die MÇglichkeit, Informationen auszutauschen, z.B. im Wege sog. Kontrollmitteilungen. Vielfach ergeben sich auch aus bereits gefÅhrten Strafverfahren Anhaltspunkte fÅr weitere Steuerstraftaten. Insbesondere Erbschaften und Schenkungen fÅhren immer wieder zur Einleitung von Strafverfahren.
1 Anweisungen fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) v. 1.11.2013, BStBl. I 2013, 1395; hierzu Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 3 ff. 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 5, die ebenfalls eine unmittelbare Außenwirkung ablehnt, zu Recht jedoch auf eine Selbstbindung der Verwaltung abstellt. 3 Kritisch hierzu J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 104 ff., 215.
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B. AuslÇser fÅr internationale Steuerstrafverfahren Beispiel: A unterhlt Åber Jahre hinweg ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz. Nach seinem Tod wird das Konto auf den Namen seiner Frau umgeschrieben. Die deutschen BehÇrden erhalten hierÅber eine Geldwscheverdachtsanzeige nach dem GwG.
Ebenso sind die ZollbehÇrden zu Mitteilung befugt und verpflichtet, etwa wenn beim GrenzÅbertritt Bargeld oder Bargeld gleichgestellte Mittel1 von mehr als 10.000 Euro festgestellt werden.2 Die Zollbeamten sind befugt, die Einhaltung der Anmeldung, auch mittels kÇrperlicher Durchsuchung, sicherzustellen. FÅr die Bewertung auslndischer Barmittel gilt der jeweilige Tageskurs.
6.5
Auch Umsatzsteuer-Nachschauen gem. § 27b UStG mÅnden gelegentlich in der Einleitung von Strafverfahren. Schließlich sind Selbstanzeigen, Anzeigen durch private Dritte (ehemalige Mitarbeiter, Ehegatten) zu nennen. Weitere mÇglich MÇgliche Ermittlungsmaßnahmen/Erkenntnisquellen sind – Auskunftseinholung (§§ 161, 163 StPO), – Identittsfeststellung (§§ 163b, 127 StPO), – TelefonÅberwachung bei Katalogstraftaten, – Anzeigen Dritter, – Observation (z.B. zur Frage der Ansssigkeit), – Zeugenvernehmung, – Beschuldigtenvernehmung, – Chi-Quadrat Test, – Auswertung von Chiffre Anzeigen,3 – Mitteilung nach § 31b AO bei Verdacht auch Geldwsche oder Terrorismusfinanzierung, – Ankauf von Steuer CDs, – Mitteilung bei GrundstÅcksgeschften (§ 18 GrEStG), – internationaler Informationsaustausch, – Rechtshilfe, RechtshilfeÅbernahmeersuchen.
6.6
Hinzu kommt, dass die Steuerfahndung auch unbekannte Steuerflle zu erforschen hat und daher anders als Polizei und Staatsanwaltschaft „aktiv auf die Jagd“ nach SteuersÅndern geht und dabei mitunter sehr einfallsreich ist.
6.7
1 Schecks, Zahlungsanweisungen, Wechsel, Solawechsel, Aktien, Schuldverschreibungen, Zinsscheine. 2 Zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 130. 3 BFH v. 17.3.1992 – VII 122/91, BFH/NV 1992, 791.
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C. Verfahrensgrundlagen I. Anfangsverdacht 6.8 Voraussetzung fÅr die Einleitung eines Strafverfahrens ist stets ein Anfangsverdacht. Den Begriff des Anfangsverdachts kennt die StPO nicht. Das Gesetz umschreibt das hiermit gemeinhin bezeichnete Erfordernis als das Vorliegen „hinreichender tatschlicher Anhaltspunkte“.1 Sinn und Zweck des Anfangsverdachts ist es, den BÅrger vor unnÇtigen, unbegrÅndeten und unangemessenen staatlichen bergriffen, insbesondere WillkÅr zu schÅtzen. Der Begriff des Anfangsverdachts umschreibt ein Moment, bei welchem der BÅrger mit strafprozessualen Zwangsmaßnahmen rechnen muss und ab dem er als Beschuldigter zu behandeln, und damit insbesondere nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO zu belehren ist. Der Anfangsverdacht verhindert zugleich, dass die ErmittlungsbehÇrden grenzenlos und ohne einen konkreten Bezug zu einer Straftat Daten erheben und sammeln.2 Ein den Verfolgungszwang auslÇsender Anfangsverdacht liegt vor, wenn es nach kriminalistischer Erfahrung mÇglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist3, mithin die MÇglichkeit einer spteren Verurteilung besteht. Die MÇglichkeit bezieht sich auf vier Komponenten:4 – Tatbegehung, – Subsumtion der Tat unter einen Straftatbestand, – Nachweis der Tatbegehung mit prozessual zulssigen Beweismitteln, – Fehlen von Verfahrenshindernissen.
6.9 Das erforderliche Maß an Gewissheit ist um ein Vielfaches geringer als etwa ein hinreichender Tatverdacht, der zur Anklage und ErÇffnung des Hauptverfahrens fÅhrt (§§ 170 Abs. 1, 203 StPO), oder gar ein dringender Tatverdacht, der erhebliche Grundrechtseingriffe zulasten des Beschuldigten rechtfertigt (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
6.10 Eine fÅr Steuerstrafverfahren bedeutsame und fÅr die Strafprozessordnung aufschlussreiche, freilich nicht bindende inhaltliche Ausgestaltung des Legalittsprinzips findet sich in § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO, wonach der die 1 Zum Ganzen Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, 2000; Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003; Schulz, Normiertes Misstrauen, 2001; zum Anfangsverdacht im Steuerstrafverfahren Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 119 ff.; Hellmann in FS KÅhne, 2013, 235 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 169. 2 Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003, 53. 3 BVerfG v. 23.7.1982 – 2 BvR 8/82, NStZ 1982, 430; BVerfG v. 18.1.1994 – 2 BvR 1912/93, NJW 1994, 783; BGH v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, NJW 1989, 96 (97); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 152 StPO Rz. 4; Freund, GA 1995, 13; Kuhlmann, NStZ 1983, 130. 4 Steinberg, JZ 2006, 1045 (1047); Radtke in Radtke/Hohmann, 2011, § 152 StPO Rz. 16.
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C. Verfahrensgrundlagen
Ermittlungspflicht der StrafverfolgungsbehÇrde begrÅndende Verdacht grundstzlich nur dann angenommen werden kann, wenn sich dieser auf zureichende tatschliche Anhaltspunkte stÅtzen lsst. Hierzu existieren gleichlautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden der Lnder.1 Dort ist gleichsam festgelegt, dass bloße Vermutungen eine Mitteilungspflicht des BetriebsprÅfers nicht auszulÇsen vermÇgen. Vielmehr mÅssen Anhaltspunkte fÅr die mÇgliche DurchfÅhrung eines Strafverfahrens vorliegen, die im Weiteren exemplarisch ausgefÅhrt werden, etwa wenn sich bei sog. Kontrollmitteilungen eine fehlende Verbuchung ergibt. Auch das bloße DurchfÅhren von Kalkulationen und Verprobungen, wie Richtsatzverprobungen, Geldverkehrsrechnungen, Zeit-Reihen-Vergleiche oder Abweichungen der Betriebsergebnisse von amtlichen Richtsatzsammlungen, kleinere BuchfÅhrungsmngel und offensichtliches schuldloses Verhalten fÅhren per se nicht zur Annahme eines Anfangsverdachts.2 Umgekehrt soll ein Anfangsverdacht anzunehmen sein bei gewichtigen Differenzen, ungebundenen Privatentnahmen, schwerwiegende BuchfÅhrungsmngel, verschwiegene oder irrefÅhrende Bankkonten, wesentlich zu niedrig bewertete Aktiv-Bestnde, wesentlich zu hoch bewertete Passiv-Bestnde, Selbstanzeigen, Belegflschung.
6.11
II. Prozessualer Tatbegriff Wegen unterschiedlicher Steuern und jeweils isoliert zu betrachtender Veranlagungszeitrume kommt dem prozessualen Tatbegriff im Steuerstrafrecht besondere Bedeutung zu.
6.12
Ggf. kommt die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige in Betracht, wenn die Steuerstraftaten im Rahmen der Durchsuchung nicht entdeckt werden und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den im Durchsuchungsbeschluss aufgefÅhrten Taten stehen.
6.13
Der Begriff der Tat im prozessualen Sinne bestimmt den Prozessgegenstand, und zwar vor allem in folgender Hinsicht: – Begrenzung des Verhandlungsstoffes (§§ 151, 155 Abs. 1 StPO); – Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage und im ErÇffnungsbeschluss gem. § 207 StPO bezeichnete Tat (§ 264 Abs. 1 StPO); – Umfang der Rechtskraft (Art. 103 Abs. 3 GG: ne bis in idem): Prozesshindernis fÅr ein neues Strafverfahren wegen derselben Tat.
6.14
Im Ermittlungsverfahren erlangt der Tatbegriff vor allem an folgenden Punkten Bedeutung:
6.15
1 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden zu Anwendungsfragen zu § 10 Abs. 1 BpO v. 31.8.2009 – 3-S 1400/2, BStBl. I 2009, 829. 2 Vgl. auch die Beispiele bei J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 10.
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– Am Ende des Ermittlungsverfahrens muss der Staatsanwalt die Taten im prozessualen Sinne formell abschließen, denn nur diese sind Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung. – Nur eigenstndige Taten i.S. des § 264 StPO kÇnnen Gegenstand einer Teileinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO sein. – Bei EinstellungsverfÅgungen nach § 154 bzw. § 154a StPO kommt es entscheidend darauf an, ob eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen. – Taten, die hiervon nicht umfasst sind, sind nicht Verfahrensgegenstand, sodass ggf. noch eine wirksame Selbstanzeige in Betracht kommt. Beispiel: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen A aufgrund einer anonymen Anzeige wegen des Verdachts der Bestechung und Steuerhinterziehung fÅr die Jahre 2011 und 2010. Entsprechende DurchsuchungsbeschlÅsse werden erlassen und vollstreckt. Auch in den Jahren 2008 und 2009 hat A Steuern verkÅrzt, die jedoch mit dem Tatvorwurf in keinerlei Zusammenhang stehen.
6.16 Ggf. kommt die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige in Betracht, wenn die Steuerstraftaten im Rahmen der Durchsuchung nicht entdeckt werden und nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den im Durchsuchungsbeschluss aufgefÅhrten Taten stehen.
III. Vorermittlungen und Vorfeldermittlungen 6.17 Die Arbeit der Steuerfahndung beginnt frÅher als die Arbeit der Staatsanwaltschaft, da es ihre Aufgabe ist, auch unbekannte Steuerflle zu erforschen. Sie wird insofern doppelfunktional ttig. 1. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung
6.18 Geben die der Steuerfahndung bekannten Tatsachen einen Anfangsverdacht nicht her, ist auch kein fÇrmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.1 Abzugrenzen in diesem Zusammenhang sind jedoch sog. Vor- oder Initiativermittlungen und Vorfeldermittlungen2 oder pro-aktives Handeln.3 Erstere sollen zur Klrung beitragen, ob die tatschlich bereits vorhandenen Tatsachen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens tragen.4 Vorfeldermittlungen hingegen sollen Åberhaupt erst der Gewinnung solcher Tatsachen dienen. Nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ist es Aufgabe der Steuerfahndung, auch unbekannte Steuerflle aufzudecken und zu ermitteln (vgl. auch Nr. 146 Abs. 1 AStBV 2014). Was die FinanzbehÇrde darunter versteht, ist in Nr. 122 AStBV 2014 niedergelegt, nmlich Maßnah1 Dahs, NJW 1985, 1114; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 152 StPO Rz. 4. 2 Hierzu Artzt, Vorfeldermittlungen, 2002; Hoppe, Vorfeldermittlungen, 1999; ZÇller, Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen, 2002; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 216. 3 Zum Ganzen Weßlau in FG Hilger, 59; Weßlau, Vorfeldermittlungen, 1989. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, §152 StPO Rz. 4a.
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C. Verfahrensgrundlagen
men zur Gewinnung von Erkenntnissen, ob ein Verdacht gegeben und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Die Einschrnkungen des § 93 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 und des § 97 Abs. 2 und 3 AO gelten gem. § 208 Abs. 1 Satz 2 AO nicht; d.h. die Steuerfahndung kann unmittelbar AuskÅnfte von Dritten verlangen, ohne dass der Betroffene zunchst heranzuziehen oder zu informieren ist. In tatschlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt der Steuerfahndung bei der softwaregestÅtzten Auswertung1, etwa von Online-Auktionen im Hinblick darauf, ob es sich um einkommen- und umsatzsteuerpflichtige Vorgnge handelt. Ein Schwerpunkt ist weiter die Beobachtung von GrundstÅcks- und Immobilienverußerungen und Handel mit hochwertigen Kraftfahrzeugen bzw. Ersatzteilen im In- und Ausland.
6.19
In Betracht kommen weiter mediale VerÇffentlichungen zu angedachten Sitzverlegungen oder Verschmelzungen von Firmen, Zuzug- oder Wegzug bekannter PersÇnlichkeiten. So kommt es etwa regelmßig zu sog. Geldwscheverdachtsanzeigen, wenn im Rahmen des Zuzugs in die Bundesrepublik auch Gelder auf deutsche Konten transferiert werden.
6.20
Beispiel: A verußert aus Angst um seine Sicherheit seine auslndische Firma und emigriert in die Bundesrepublik. Den in seinem Heimatland versteuerten VerußerungserlÇs transferiert er auf eine deutsche Bank, die eine Geldwscheverdachtsanzeige (§ 11 GwG) erstattet. Aus der eingeholten Auskunft des Einwohnermeldeamts erfhrt die Steuerfahndung, dass A bereits vor der Verußerung Åber einen Zweitwohnsitz in Deutschland verfÅgte. Im konkreten Fall unterstellte die Steuerfahndung und spter die Staatsanwaltschaft, der VerußerungserlÇs sei in Deutschland zu versteuern gewesen, da A bereits Åberwiegend in der BRD aufhltig gewesen sei und somit unbeschrnkt steuerpflichtig war.
2. Abgrenzung zum Anfangsverdacht Ein Verdachtsgrad i.S. eines Anfangsverdachts ist nicht erforderlich. Ein hinreichender Anlass genÅgt und liegt vor, wenn aufgrund besonderer Anhaltspunkte oder allgemeiner Erfahrung die MÇglichkeit einer SteuerverkÅrzung in Betracht kommt. Dieser hinreichende Anlass ist jedoch abzugrenzen von sog. „Ermittlungen ins Blaue hinein“, die unzulssig sind.2
6.21
3. Staatsanwaltliche Vorermittlungen Im brigen sind lediglich Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft zulssig.3 Die Ablehnung der Zulssigkeit von Vorfeldermittlungen seitens der 1 Etwa mittels der Programme ZIVED, XPider oder IDEA oder durch Verwendung elektronischer Verprobungsmethoden, vgl. auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 40 ff. 2 BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499 (505); BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01. 3 LG Offenburg v. 25.5.1993 – Qs 41/93, NStZ 1993, 506 f.; Schmitt in MeyerGoßner/Schmitt57, §152 StPO Rz. 4a; Lange, DRiZ 2002, 264.
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6.22
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Staatsanwaltschaft grÅndet darauf, dass ohne irgendwelche Tatsachen ein Anfangsverdacht zu verneinen und ein Einschreiten nach dem Legalittsprinzip nicht geboten ist.1 Die Begrenzungsfunktion des Anfangsverdachts zum Schutz des BÅrgers vor unberechtigter Strafverfolgung wÅrde ausgehebelt. Vorfeldermittlungen sind vielmehr prventiv ausgerichtete Arbeit der ErmittlungsbehÇrden. Die Zulssigkeit von Vorermittlungen wird durch die Anzeigepflichten des § 159 Abs. 1 StPO indiziert, die Anlass zu Vorermittlungen geben kÇnnen.2 Durch die Zulassung von Vorermittlungen wird der Betroffene eher geschÅtzt, als dass sie ihm schadet. Denn die mitunter faktisch diskreditierende und stigmatisierende Wirkung eines fÇrmlichen Ermittlungsverfahrens kann auf diese Weise vermieden werden, wenn sich auch hiernach kein Anfangsverdacht kristallisiert hat.3 Vorermittlungen werden in der Praxis in der Regel nicht unter einem Js-, sondern einem AR-Aktenzeichen gefÅhrt.4
6.23 Das Vorermittlungsverfahren unterscheidet sich freilich nicht unerheblich vom Ermittlungsverfahren. Der Betroffene erlangt keinen Beschuldigtenstatus. Strafprozessuale Eingriffs- und Zwangsmaßnahmen sind unzulssig.5 Treffen die Staatsanwaltschaft, die Steuerfahndung oder die Polizei eine Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen, ist der Tatverdchtige nach dem Rechtsgedanken des § 397 Abs. 1 AO in den Beschuldigtenstatus gerÅckt. Der Anfangsverdacht ist dann konkludent bejaht und ein Ermittlungsverfahren durch einen Willensakt der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung oder Polizei eingeleitet.6 4. Aussetzung des Verfahrens
6.24 Hngt die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon ab, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkÅrzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, so kann das Strafverfahren gem. § 396 AO ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskrftig abgeschlossen ist. HierÅber entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, im Verfahren nach Erhebung der Çffentlichen Klage das Gericht nach pflichtgemßem Ermessen.7 Ein Anspruch des Beschuldigten besteht
1 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, §152 StPO Rz. 33. 2 ZÇller in HK5, § 159 StPO Rz. 1. Die Gegenansicht lehnt auch die Zulssigkeit von Vorermittlungen mit dem Argument ab, nach einer Anzeige i.S. des § 159 Abs. 1 StPO liege ein Anfangsverdacht vor, WÇlf, JuS 2001, 478. 3 KÅhne, Strafprozessrecht8, § 20 Rz. 320.1. 4 Zur Kritik vgl. Gross in FS Dahs, 249 (260). 5 Lange, Vorermittlungen, 268 ff.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, §152 StPO Rz. 4a. 6 BGH v. 27.2.1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214 (228); BGH v. 28.2.1997 – StB 14/96, 2 BJs 65/95 – 3- StB 14/96, NStZ 1997, 398. 7 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 4.4.1951 – 1 StR 92/51, BGHSt 1, 92; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273.
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D. Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen
nur in den Fllen der Ermessensreduktion auf null.1 Der Sinn und Zweck der Norm liegt darin, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Whrend der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjhrung. Eine solche Verfahrensweise kommt im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts hufiger vor, da hier steuerliche Vorfragen in der Regel entscheidungserheblich sind. Sie ist indes ausgeschlossen, wenn das Finanzgericht oder die FinanzbehÇrde erklrt hat, die eigene Entscheidung bis zur abschließenden Klrung des Sachverhalts im Strafverfahren auszusetzen.2 Auch kommt eine Aussetzung nicht in Betracht, wenn der Steueranspruch feststeht und lediglich die HÇhe des verkÅrzten Betrags fraglich ist, etwa in Schtzungsfllen.3
D. Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen Literatur: Apitz, Auskunftsersuchen der Steuerfahndung im Rahmen von Vorfeldermittlungen, StBp 2006, 224; LÇwe-Krahl, Auslndische Konten: Meldepflicht der Banken, PStR 2007, 26; Matthes, Noch Sammelauskunftsersuchen oder schon „Rasterfahndung“, PStR 2007, 166; Matthes, Zwischen Durchsuchung und Rasterfahndung – VerdachtsbegrÅndung und ErmittlungsmÇglichkeiten der Steuerfahndung, wistra 2008, 10; Neu, Voraussetzungen und Grenzen sogenannter Sammelauskunftsersuchen, EFG 2008, 759; RÅsken, AußenprÅfung, Nachschau und Steuerfahndung im Rechtsstaat, in DStJG 31 (2008), 243; Tischbein, Zu den Voraussetzungen eines Sammelauskunftsersuchens der Steuerfahndung, WuB X § 30a AO 1.03; Trossen, Verwertungsverbot bei zielgerichteter Erforschung der Verhltnisse dritter Personen, EFG 2004, 1421; Wedelstdt, Sammelauskunftsersuchen – Zulssigkeit, Rechtsschutz, AO-StB 2011, 19; Weidemann, Zur Zulssigkeit des Sammelauskunftsersuchens aufgrund von § 208 I 1 Nr. 3 AO, wistra 2006, 452.
I. EinfÅhrung Besondere Bedeutung fÅr den Bereich der Vorfeldermittlungen im Bereich des internationalen Steuerstrafrecht kommt den vonseiten der Steuerfahndung initiierten Sammelauskunftsersuchen, die sich an Kreditinstitute und/oder Anleger richten und in denen bestimmte Informationen Åber steuerlich relevante Vorgnge erfragt werden, zu. Besonderes Interesse gilt dabei von jeher berweisungen/Transaktionen mit Auslandsbezug, da per se vermutet wird, dass ein Großteil der daraus resultierenden Ertrge in der Folgezeit nicht der Besteuerung unterworfen wurde. 1 BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, NStZ 1991, 240. 2 BGH v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, NJW 1973, 1562. 3 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007, 589; vgl. auch Mellinghoff, Grundstze und Grenzen im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, Stbg 2014, 97 (103, 104).
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6.25
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Beispiel: Es ergeht vonseiten der Steuerfahndung die Anfrage an eine deutsche Bank, Auskunft zu geben Åber smtliche Gelder, die an auslndische Trusts, etwa auf die Cayman Islands, weitergeleitet wurden.
6.26 Ein diesbezÅgliches Auskunftsersuchen ist denknotwendig nicht anlasslos zulssig, sondern an bestimmte, enge Voraussetzungen geknÅpft. Die AufgabenerfÅllung der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hat, wie dargelegt, erst dann einzusetzen, wenn fÅr ein Ttigwerden ein hinreichender Anlass besteht.1 Ein solcher liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (z.B. wegen der Besonderheit des Objektes oder der HÇhe des Wertes) oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (auch konkreten Erfahrungen fÅr bestimmte Gebiete) die MÇglichkeit einer SteuerverkÅrzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist.2 Die nheren Anforderungen an die Rechtmßigkeit Sammelauskunftsersuchen wurden von der Rechtsprechung insbesondere im Zusammenhang mit Tafelpapieren und der Gewhrung von Bonusaktien an private und institutionelle Anleger im In- und Ausland wie folgt konkretisiert:3 Ein hinreichender Anlass liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (auch konkreten Erfahrungen fÅr bestimmte Gebiete) die MÇglichkeit einer SteuerverkÅrzung in Betracht kommt. Ermittlungen „ins Blaue hinein“, Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder hnliche Ermittlungsmaßnahmen sind unzulssig.4 Eines konkreten Tatverdachts, wie er bei der Einleitung eines Strafverfahrens erforderlich ist, bedarf es fÅr das Auskunftsersuchen im Rahmen von Vorfeldermittlungen nicht. Es genÅgt, wenn die MÇglichkeit einer SteuerverkÅrzung in Betracht kommt.5 Das Schsische Finanz1 Zum Begriff des hinreichenden Anlasses vgl. Urteile/BeschlÅsse BFH v. 24.3.1987 – VII R 30/86, BStBl. II 1987, 484 – Vermittlungsprovisionen an Kreditvermittler; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, BStBl. II 1990, 198 – Auskunftsersuchen an Bank wegen ausgestellter Bescheinigungen Åber Finanzierungskosten; BFH v. 11.3.1992 – II R 129/88, BStBl. II 1992, 707 – Erhebung von Versicherungsteuer; BFH v. 17.3.1992 – VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791 – Verkaufsanzeigen fÅr Yachten im Anzeigenheft eines Yachtmaklers; BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499 – Verfassungsmßigkeit der Zinsbesteuerung im Veranlagungszeitraum 1993; BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424 – Befugnisse der Steuerfahndung im Bankenbereich; BFH v. 25.7. 2000 – VII B 28/99 – Tafelpapierentscheidung; BFH v. 4.11.2000 – I B 17/00, BStBl. II 2000, 648 – kein Bankgeheimnis bei SteuerfahndungsprÅfung; BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01 – zur Rechtmßigkeit eines Sammelauskunftsverfahrens; BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 (798). 2 BFH v. 25.7.2000 – VII B 28/99, BStBl. II 2000, 643. 3 FG Baden-WÅrttemberg v. 14.7.2005 – 4 V 24/04 EFG 2005, 1822; was die Voraussetzungen betrifft, zustimmend auch FG Sachsen v. 24.10.2007 – 1 K 1925/06, DStRE 2008, 837. 4 Vgl. BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BFHE 148, 108 = BStBl. II 1988, 359; BFH v. 24.3.1987 – VII R 30/86, BFHE 149, 404 = BStBl. II 1987, 484; BFH v. 17.3.1992 – VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791; BFH v. 16.7. 2002 – IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl. II 2003, 74. 5 BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BFHE 148, 108 = BStBl. II 1988, 359.
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D. Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen
gericht1 ging hingegen in einem gleichgelagerten Fall davon aus, dass es sich um eine unzulssige Rasterfahndung handelte. Der BFH2 besttigte die Ansicht des Schsischen Finanzgerichts und fÅhrt aus: „Die allgemeine, in jedwedem Zusammenhang nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkÅrzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklrt werden – insbesondere wenn die Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, wie bei EinkÅnften der hier vom Streit betroffenen Art –, genÅgt in diesem Zusammenhang nicht, um die Ermittlungsmaßnahmen des FA als ,hinreichend veranlasst‘ und nicht als Ausforschung ,ins Blaue hinein‘ erscheinen zu lassen, wenn anders die in der stndigen Rechtsprechung des BFH vorgenommene Unterscheidung zwischen solchen Ermittlungen und sog. „Rasterfahndungen“ einerseits und andererseits durch hinreichende, konkrete Anhaltspunkte, welche die Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen in besonderem Maße wahrscheinlich erscheinen lassen, veranlassten Ermittlungen jede Bedeutung verlieren soll.“
Ist ein hinreichender Anlass fÅr Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung gegeben, scheidet die Annahme einer Rasterfahndung oder einer Ermittlung ins Blaue hinein aus.3 Die FinanzbehÇrde darf eine Auskunft von Personen, die nicht am Besteuerungsverfahren beteiligt sind, nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklrung geeignet und notwendig, die PflichterfÅllung fÅr den Betroffenen mÇglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhltnismßig und zumutbar ist.4 Dass die Daten auf auslndischen Servern gespeichert sind, steht der Auskunftserteilung an das Finanzamt in technischer Hinsicht nicht entgegen, soweit der Betroffene auf die Daten im Rahmen der ihr nach dem Datenverarbeitungsvertrag obliegenden Aufgaben und Pflichten zugreifen kann.5
6.27
II. Sammelauskunftsersuchen an inlndische Banken bei offenen Auslandstransfers Im Zusammenhang mit Sammelauskunftsersuchen an inlndische Banken bei offenen Auslandstransfers wird der hinreichende Anlass fÅr die auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO gestÅtzten Ermittlungen der Steuerfahndung aufgrund allgemeiner Erfahrung bejaht, insbesondere aufgrund der aus anderen bereits abgeschlossenen Bankenverfahren gewonnenen Erkenntnisse mit gleichem Lebenssachverhalt (Geldtransfers nach Luxemburg).6 Es wird als gerichtsbekannt angenommen, dass sich in den 90er 1 FG Sachsen v. 24.10.2007 – 1 K 1925/06, DStRE 2008, 837, hierzu Weigel, AOStB 2008, 182; Neu, EFG 2008, 759. 2 BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BStBl. II 2009, 582; vgl. hierzu die Anmerkungen von Krain, AO-StB 2009, 161; Wegner, PStR 2009, 127. 3 BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BStBl. II 2002, 495. 4 BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 zu Sammelauskunfstersuchen der Steuerfahndung zu Daten in Luxemburg der Nutzer einer Handelsplattform. 5 BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 (798). 6 FG NÅrnberg v. 12.10.2004 – VI 345/2003 unter Verweis auf BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424, BFH v. 6.2.2001 – VII B 277/00, BStBl. II 2001, 306, BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624.
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6.28
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Jahren eine Vielzahl von Çrtlichen und ÅberÇrtlichen (Raiffeisen-, Volks-)Banken und (Kreis-)Sparkassen wegen Geldtransfers nach Luxemburg mit Steuerfahndungsmaßnahmen konfrontiert sahen. Der BFH geht davon aus, „dass gerade in der Zeit vor EinfÅhrung der 35%igen Quellensteuer auf KapitaleinkÅnfte im Jahr 1993 viele Anleger nach Wegen gesucht und Wege eingeschlagen haben, um VermÇgenswerte [...] dem Steuerfiskus zu verbergen“.1
III. Cash-Kreditkartenkonten 6.29 Cash-Kreditkartenkonten eignen sich nicht dazu, bar eingezahlte Geldbetrge unentdeckt ins Ausland zu verbringen. Die Verwendung eines legitimationspflichtigen Kontos zur Einzahlung von Schwarzgeld birgt eher die Gefahr der Enttarnung, als dass es der Verschleierung von Zahlungswegen dient.2 In einem konkreten Fall wurde mangels weiterer verdachtsbegrÅndender Momente und wegen einer Vielzahl bloßer Vermutungen eine unzulssige Rasterfahndung angenommen.
IV. Tafelpapiere 6.30 Allein die Inhaberschaft sog. Tafelpapiere, verbunden mit der Einlieferung in die Sammeldepotverwahrung, begrÅndet wegen der grundstzlichen Legalitt und blichkeit derartiger Geschfte keinen hinreichenden Verdacht.3 Eine unzulssige Rasterfahndung kann nicht nur dann vorliegen, wenn jedwede Anhaltspunkte fÅr steuerlich erhebliche Umstnde fehlen, sondern auch dann, wenn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren in einem Kreditinstitut mit einem bestimmten Auftrag dazu benutzt wird, ohne RÅcksicht auf einen etwaigen Zusammenhang mit diesem Auftrag bestimmte Verhaltensweisen von Kunden dieses Kreditinstituts in ihrer Totalitt oder jedenfalls mÇglichst vollstndig zu erfassen mit dem Ziel, in allen Fllen undifferenziert, d.h. unabhngig von der HÇhe der festgestellten Betrge oder von sonstigen Besonderheiten, die Vorgnge auf ihre steuerlich korrekte Erfassung einer berprÅfung zu unterziehen.
V. Weitere Anforderungen an Sammelauskunftsersuchen 6.31 Die Anforderungen fÅr die Einholung einer Sammelauskunft gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 AO gehen im Rahmen der Steuerfahndung nicht Åber die Anforderungen hinaus, die der Steuerfahndung bei den Ermittlungen nach 1 BFH v. 15.6.2001 – VII B 11/00, BStBl. II 2001, 624 (625). 2 FG KÇln v. 27.9.2005 – 6 K 5353/04, EFG 2006, 161. 3 BFH v. 25.7.2000 – VII B 28/99, BStBl. II 2000, 643 unter Verweis auf FG Niedersachsen v. 4.12.1998 – X 524/98 V, EFG 1999, 149.
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D. Exkurs: Inlndische Sammelauskunftsersuchen
§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auferlegt sind.1 Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen sind eingehalten, wenn das Auskunftsverlangen zur Sachverhaltsaufklrung geeignet und – gemessen an der Bedeutung der Angelegenheit – notwendig und verhltnismßig erscheint sowie dem Adressaten des Ersuchens die Erteilung der Auskunft mÇglich und zumutbar ist.2
VI. Pflicht zur Anzeige des in auslndischen Zweigniederlassungen inlndischer Kreditinstitute verwahrten VermÇgens des Erblassers Im Rahmen einer SteuerfahndungsprÅfung forderte die Steuerfahndungsstelle die Bank auf, alle von der Betriebssttte in London verwalteten VermÇgensgegenstnde und Forderungen, die bei dem Tod eines inlndischen Erblassers zu dessen VermÇgen gehÇrten oder Åber die dem Erblasser zur Zeit seines Todes die VerfÅgungsmacht zustand, dem jeweils fÅr die Verwaltung der Erbschaftsteuer zustndigen Finanzamt anzuzeigen und der Steuerfahndungsstelle eine Mehrfertigung zu Åbersenden.3 Im konkreten Fall wurde eine „Rasterfahndung“ nach bestimmten Bankkunden verneint, sondern lediglich die Durchsetzung der gesetzlichen Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG angenommen, der die Klgerin bis dahin nicht nachgekommen war. In der jahrelangen NichterfÅllung der Anzeigepflicht durch dieBank und die Klgerin liegt nach Ansicht des BFH ein „konkreter Moment“, der das Ttigwerden der Steuerfahndung als geboten erscheinen lsst.
6.32
VII. Weiterleitung von Kontrollmaterial Åber Kapitalanlagen in der Schweiz durch Steuerfahndung Die Steuerfahndung darf Kontrollmaterial Åber von einem inlndischen legitimationsgeprÅften Konto aus gettigte Kapitalanlagen in der Schweiz bei hinreichendem Anlass an das Wohnsitz-Finanzamt weiterleiten, ohne dass ein strafrechtlicher Anfangsverdacht bestehen muss.4 Werden etwa im Rahmen einer FahndungsprÅfung bei einer Bank Belege aufgefunden, wonach von einem inlndischen Depotkonto bei dieser Bank Gelder auf ein Konto bei einer Schweizer Bank Åberwiesen und ein Teilbetrag in der Folgezeit zurÅckÅberwiesen wurde, genÅgt dies zur Bejahung eines Anfangsverdachts nicht.
1 FG Baden-WÅrttemberg v. 14.7.2005 – 4 V 24/04, EFG 2005, 1822. 2 Vgl. BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BStBl. II 2009, 582. 3 BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BFHE 215, 520; vgl. hierzu LÇwe-Krahl, PStR 2007, 26; Heinrichshofen, ErbStB 2007, 32; Kilches, BFH/PR 2007, 113. 4 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 mit Anm. Bauhaus, AO-StB 2006, 10; Wegner, PStR 2006, 124.
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6.33
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
6.34 Ein strafrechtlicher Verdacht, der weitergehende prozessuale Maßnahmen rechtfertigt, ist allein wegen der berweisung eines hohen Betrags auf das Schweizer Konto nicht begrÅndet, wenn die berweisung in bankÅblicher Weise von einem gem. § 154 Abs. 2 AO legitimationsgeprÅften Konto vorgenommen wird.1 Ein hinreichender Anlass kann indes anzunehmen sein, wenn aufgrund der gesamten Umstnde fÅr ein Ttigwerden im Steuerverfahren ein von einem solchen konkreten Verdacht unabhngiger hinreichender Anlass bestand. Dies kÇnnen beispielsweise die HÇhe des in die Schweiz Åberwiesenen Betrags und das Schweizer Bankgeheimnis (das mitunter Steuerpflichtige zu Kapitalanlagen in der Schweiz veranlasst, um die inlndische Besteuerung zu vermeiden) sein.2
6.35 Gleiches gilt, wenn Feststellungen getroffen wurden, wonach auch Unterlagen Åber nicht anonymisierte Zahlungsvorgnge fÅr die Untersuchung Beweisbedeutung haben konnten, etwa wenn angesichts der von der Bank angebotenen MÇglichkeiten der Geldanlage bei deren Auslandsniederlassungen und nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis der Verdacht bestand, dass diese AnlagemÇglichkeiten von den Anlegern vor allem zum Zweck der Steuerhinterziehung genutzt wurden.3 § 30a Abs. 3 AO ist so auszulegen, dass Kontrollmitteilungen nicht nur bei Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts gegen den Bankkunden, sondern bereits bei einem hinreichenden Anlass fÅr ein Ttigwerden im Steuerverfahren gefertigt und ausgeschrieben werden dÅrfen.4 Die Befugnis der Steuerfahndung zur Weiterleitung des Kontrollmaterials an das Finanzamt ergibt sich aus § 208 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 194 Abs. 3 AO.5
E. Verwertungsverbote I. EinfÅhrung 6.36 Ob und inwieweit Tatsachen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, zur BegrÅndung eines Anfangsverdachts und fÅr weitere Maßnahmen, etwa eine Durchsuchung, herangezogen werden dÅrfen, betrifft die Vorauswirkung von Verwertungsverboten6 und ist im Kontext der Fern1 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 unter Verweis auf BFH v. 6.2.2001 – VII B 277/00, BFHE 194, 26 = BStBl. II 2001, 306; und BFH v. 29.1.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749. 2 Vgl. auch Ruegenberg, Das nationale und internationale Steuergeheimnis im Schnittpunkt von Besteuerungs- und Strafverfahren, 2001, 126 f. 3 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9. 4 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9 unter Verweis auf BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; und BFH v. 15.12.1998 – VIII R 6/98, BFHE 187, 302 = BStBl. II 1999, 138. 5 BFH v. 29.6.2005 – II R 3/04, AO-StB 2006, 9. 6 Zur Fernwirkung von Beweisverboten vgl. Reinecke, Die Fernwirkung von Beweisverboten, 1990.
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E. Verwertungsverbote
wirkung von Beweisverwertungsverboten zu verorten.1 Es ist anerkannt, dass Verfahrensfehler, die ein Verwertungsverbot fÅr ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne Weiteres Fernwirkung fÅr das gesamte Strafverfahren begrÅnden.2 Die Ablehnung eines auf den Anfangsverdacht ausstrahlenden grundstzlichen Verwertungsverbots ist ferner dadurch gerechtfertigt, dass das Strafverfahren durch einen Verfahrensverstoß nicht zur vollstndigen Lhmung kommen soll. Eine Vorauswirkung kommt nur in Ausnahmefllen in Betracht. Insofern ist eine Abwgung vorzunehmen, in welche auf der einen Seite die Schwere des Rechtsverstoßes, der zu dem Beweisverwertungsverbot fÅhrt, und auf der anderen Seite die Schwere der Tat, hinsichtlich derer ein Anfangsverdacht begrÅndet werden soll, einzustellen ist.3 In jedem Fall aber darf eine unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot gewonnene Tatsache nicht zur Rechtfertigung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen herangezogen werden.4 Die fehlerhaft gewonnenen oder einem Verwertungsverbot unterliegenden Erkenntnisse dÅrfen verwertet werden, wenn sie nicht allein auf eine unzulssige Beweiserhebung gestÅtzt werden.5 Dies gilt auch bei Ermittlungen und bei durch Privatpersonen beschafften Beweismitteln.6 Es besteht im brigen kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulssig ist.7 Anders als im anglo-amerikanischen Recht, wo entsprechende Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote der Disziplinierung der eingesetzten Beamten dienen, steht im deutschen Strafrecht die Ermittlung des Sachverhalts, die funktionstÅchtigen Strafrechtspflege, mithin die effektive Verfolgung von Straftaten im Vordergrund. Zudem bestehen hinreichende anderweitige MÇglichkeiten zur Disziplinierung rechtsfehlerhaft handelnder Ermittlungsbeamter. Die bisherige Rechtsprechung lehnt ein Verwertungsverbot im Falle des Ankaufs von sog. „Steuer-CDs“ ab.8
1 Beulke in LÇwe/Rosenberg26, §152 StPO Rz. 26 f. 2 BVerfG v. 8.12.2005 – 2 BvR 1686/04, BVerfGK 7, 61; BGH v. 6.8.1987 – 4 StR 333/87, NJW 1988, 1223. 3 BVerfG v. 29.6.2005 – 2 BvR 866/05, NJW 2005, 2766; BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; BGH v. 12.4.1989 – 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167 = NJW 1989, 2760; Beulke in LÇwe/Rosenberg26, §152 StPO Rz. 26 f. 4 BGH v. 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355; Beulke in LÇwe/Rosenberg26, §152 StPO Rz. 27; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 152 StPO Rz. 4b, § 100a StPO Rz. 35. 5 Vgl. hierzu BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46; OLG Hamm v. 19.10.2006 – 3 Ss 363/06, NStZ 2007, 355. 6 Vgl. zum Ganzen BrunhÇber, GA 2010, 571 (586, 587). 7 BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 27.4.2000 – 2 BvR 75/94, NJW 2000, 3557; zum Ganzen Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 335, 573 ff. 8 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; LG DÅsseldorf v. 11.10.2010 – 4 Qs 50/10, NStZ-RR 2011, 84; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09,
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6.37
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
In seinem Beschluss vom 9.11.2010 ußerte sich das BVerfG1 zu der Verwertung der von einem Informanten angekauften CD mit Daten liechtensteiner Bankkunden.2 Die BeschwerdefÅhrer rÅgten die Verletzung ihres Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung i.V.m. dem Rechtsstaatprinzip und der Rechtschutzgarantie sowie die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches GehÇr. Die Unzulssigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung fÅhrt auch nach Auffassung des BVerfG nicht ohne Weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot.3 Dies gilt auch fÅr Flle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweisverwertungsverbot sei nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkÅrlichen VerfahrensverstÇßen anzunehmen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind.4 Der VerfGH Rheinland-Pfalz5 hlt eine Zurechnung des Handelns von Informanten und damit ggf. ein Verwertungsverbot dann fÅr mÇglich, wenn der Staat zukÅnftig verstrkt, bewusst, planvoll oder auch konkludent6 die Zusammenarbeit mit Privaten intensiviert und entsprechende Daten ankauft.7 Wird bewusst und in stndiger bung8 bei der Informationsbeschaffung durch staatliche BehÇrden gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen, liegt nach Ansicht des VerfGH Rheinland-Pfalz auch in verfassungsrecht-
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NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris = NJW 2014, 1434. BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; vgl. auch LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris = NJW 2014, 1434. Vgl hierzu die Beitrge von Beyer, AO-StB 2011, 5; RÅsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Seitz, Ubg 2014, 380; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schfers, StBW 2011, 34; TrÅg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 458 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230.5; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 273. BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 27.4.2000 – 2 BvR 1990/96, NStZ 2000, 488, und BVerfG v. 27.4.2000 – 2 BvR 75/94, NStZ 2000, 489; BVerfG v. 1.3.2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94, NStZ 2000, 489 (490); BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46; BVerfG v. 2.7.2009 – 2 BvR 2225/08, NJW 2009, 3225. BVerfG v. 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04, NStZ 2006, 46 unter Verweis auf BVerfG v. 15.7.1998 – 2 BvR 446/98, NJW 1999, 273 (274); BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 (2686); VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris. VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13 – juris Rz. 40, NJW 2014, 1434. VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13 – juris Rz. 58, NJW 2014, 1434; hierzu auch Kaspar, GA 2013, 206 (216, 220). Hierzu Seitz, Ubg 2014, 381. Zu diesem Aspekt Kaspar, GA 2013, 206 (220).
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E. Verwertungsverbote
licher Hinsicht ein strafrechtliches Verwertungsverbot ußerst nahe.1 Es sei daher denkbar, dass zukÅnftig gleichsam mosaikartig eine Situation entstehen kÇnnte, die es als gerechtfertigt erscheinen lsst, das Handeln eines privaten Informanten der staatlichen Sphre zuzurechnen. BehÇrden dÅrfen nicht jedes auf Eigeninitiative beruhende unrechtmßige Einwirken Dritter auf private SchutzgÅter bewusst ausnutzen. Maßgebliches Kriterium soll sein, wie hufig der Ankauf entsprechender Informationen erfolgt und ob bereits wiederholt von denselben Personen Daten angekauft werden. Nach hier vertretener Ansicht kommt es ganz entscheidend darauf an, inwieweit der Staat an der Beschaffung entsprechender Daten bereits im Vorfeld (aktiv) mitgewirkt hat.2 Relevant ist weiter, inwiefern der Verußerer tatschlich freiverantwortlich gehandelt hat und ob dieser vor Beschaffung der Informationen mÇgliche Abnehmer bereits kontaktiert hat. Der entgeltliche Erwerb von entsprechenden Daten muss die absolute Ausnahme bleiben und von außerordentlich hohem staatlichem Interesse sein.3 Neuere Tendenzen gehen in die Richtung, eine Verwertbarkeit nur in den Fllen des § 370 Abs. 3 AO bei bandenmßiger Umsatz- oder Verbrauchsteuerhinterziehung anzunehmen.4 Bei der Hinterziehung von Ertragsteuern soll auf den Strafrahmen abzustellen sein; wegen des Fehlens einer Vergleichbarkeit zu den Fllen des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO soll jedoch ein Verwertungsverbot anzunehmen sein.5 Dem ist unter Beachtung der vorgenannten Erwgungen zuzustimmen.
II. berprÅfung der BeweisfÅhrungskette (chain of evidence) In geeigneten Fllen gilt es, die sog. BeweisfÅhrungskette (chain of evidence) zu ÅberprÅfen.6 FÅr den Beschuldigten und das Gericht muss nachvollziehbar sein, aus welchen GrÅnden die ErmittlungsbehÇrden letztlich von der Richtigkeit der Angaben auf auslndischen „Steuer-CDs“ Åberzeugt sind. Im Zeitalter der modernen und immer besser werdenden MÇglichkeiten graphischer Manipulation elektronischer Dokumente und an1 VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13 – juris Rz. 40, 60, NJW 2014, 1434 unter Verweis auf BGH v. 18.4.2005 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 (293). 2 Seitz, Ubg 2014, 381 (382). 3 Zu einer mÇglichen Strafbarkeit der Ankufer vgl. LG DÅsseldorf v. 11.10.2010 – 4 Qs 50/10, NStZ-RR 2011, 84; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13 – juris Rz. 44 f., NJW 2014, 1434; Seitz, Ubg 2014, 381 (382); TrÅg, StV 2011, 111; TrÅg/Habetha, NStZ 2008, 481; Ignor/Jahn, JuS 2010, 390; Pawlik, JZ 2010, 693; Spernath, NStZ 2010, 307. 4 Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 276. 5 Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 276. 6 Zu den finanzgerichtlichen Auswirkungen bei Beweismitteln dubioser Herkunft vgl. auch FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398.
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6.38
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
gesichts der zunehmenden Computerkriminalitt mit all ihren Erscheinungsformen, wie Hacking, Phishing oder Farming, muss sicher ausgeschlossen werden kÇnnen, dass es sich um Flschungen handelt. Der folgende Fall mag die Probleme verdeutlichen: Beispiele: 1. Zur Aufbesserung seiner Finanzen besorgt sich der Hacker A Åber entsprechende Hackerboards im Internet Kreditkartennummern, in- und auslndische Kontodaten sowie weitere persÇnlicheInformationen einer Vielzahl teils prominenter Personen. Mittels eines Grafikprogramms flscht er entsprechende Depot- und Ertrgnisaufstellungen einer schweizer Bank. In der Folgezeit geriert er sich als ehemaliger auslndischer Banker und bietet die von ihm erstellte CD zum Kauf an. Das Amtsgericht erlsst im Ermittlungsverfahren entsprechende DurchsuchungsbeschlÅsse und tatschlich werden bei einem Teil der Beschuldigten entsprechende Steuerhinterziehungen aufgedeckt, die jedoch nicht mit den Informationen von der CD zusammenhngen. 2. Mitglieder der organisierten Kriminalitt bedrohen einen Bankmitarbeiter und dessen Familie mit dem Tod, um an entsprechende Informationen Åber Steuerhinterziehungen zu gelangen und den ErmittlungsbehÇrden zum Kauf anzubieten.
6.39 Als erstes muss es mÇglich sein, den Verußerer der CD zu smtlichen Umstnden der Beschaffung, Verarbeitung und Weitergabe der Informationen als Zeugen zu vernehmen. Nur so lsst sich etwa klren, ob die Unterlagen „echt“ sind oder lediglich bankinterne „Planspiele“ darstellen, die dem Kunden nur mÇgliche Renditen vor Augen fÅhren. Zur Beantwortung der Frage nach einem Verwertungsverbot muss es gleichsam mÇglich sein, den Verußerer befragen zu kÇnnen. Auch wenn Bankmitarbeiter handschriftlich Daten Åbertragen und dann weitergeben, muss es mÇglich sein die Unterlagen der Steuerfahndung mit den Originalen abzugleichen. Schreibfehler, bertragungsfehler und dergleichen kÇnnen nie ausgeschlossen werden. Beispiel: Der schweizer Bankmitarbeiter A notiert handschriftlich die Kontostnde von Kunden. Versehentlich rutscht er eine Kommastelle nach rechts und der Kontostand betrgt nunmehr 1.000.000 statt 100.000. Die Steuerfahndung Åbernimmt diese Zahl.
6.40 Kann nicht sicher beurteilt werden, ob die auf einer Steuer-CD befindlichen Daten zutreffend sind, gilt der Grundsatz der freien richterlichen BeweiswÅrdigung aus § 261 StPO.1 Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten leistet, mithin auch auf diesem Weg eine Verifizierung nicht mÇglich ist (vgl. Rz. 9.254).
1 Vgl. auch die WÅrdigung der Zeugenaussage des FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398.
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E. Verwertungsverbote
III. Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung Ein Verwertungsverbot im Strafverfahren bei Verletzung der steuerrechtlichen Verfahrensvorschriften bei der Informationsgewinnung wird gemeinhin abgelehnt.1 Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften, ggf. unter Einbeziehung vorrangiger Verfassungsgrundstze zu beantworten (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Ein allgemeines, gesetzliches Verwertungsverbot fÅr Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht nach allgemeiner Ansicht im Besteuerungsverfahren nicht.2 Auch eine Fernwirkung von VerfahrensverstÇßen ist weder im Gesetz vorgesehen noch verhltnismßig. Es wÅrde dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, Feststellungen nur deswegen nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, weil in frÅheren Stadien des Verfahrens Verfahrensfehler gemacht worden sind, whrend bei Steuerehrlichen alle Feststellungen uneingeschrnkt der Besteuerung zugrunde gelegt werden und damit die unredlichen Steuerpflichtigen gegenÅber den ehrlichen Steuerpflichtigen besser gestellt wÅrden.3 Selbst in rechtswidriger Weise sichergestellte Beweismittel unterliegen dann keinem Verwertungsverbot, wenn sie ohne Rechtsverstoß htten erlangt werden kÇnnen (vgl. Rz. 6.36 zum Verwertungsverbot). Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, nicht nur gegen die Maßnahmen der Steuerfahndung vorzugehen, sondern auch Beschwerde gegen die richterlichen DurchsuchungsbeschlÅsse einzulegen.
6.41
IV. Schutz von Bankkunden gem. § 30a AO/§ 194 AO Bei der Ermittlung des Sachverhalts haben die FinanzbehÇrden gem. § 30a Abs. 1 AO auf das Vertrauensverhltnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besonders RÅcksicht zu nehmen. Die FinanzbehÇrden dÅrfen von den Kreditinstituten zum Zweck der allgemeinen berwachung die einmalige oder periodische Mitteilung von Konten bestimmter Art oder bestimmter HÇhe nicht verlangen (Abs. 2). Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine LegitimationsprÅfung durchgefÅhrt wurde, dÅrfen anlsslich der AußenprÅfung bei einem Kreditinstitut nicht zwecks NachprÅfung der ordnungsmßigen Versteuerung festgestellt oder abgeschrieben werden. Die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen soll unterbleiben. FÅr Auskunftsersuchen an Kreditinstitute gilt ergnzend die Regelung des § 93 AO. Zudem gilt die Einschrnkung, dass wenn die Person des Steuerpflichtigen bekannt ist und gegen ihn kein Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswid1 FG Baden-WÅrttemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02. 2 FG Baden-WÅrttemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02. 3 FG Baden-WÅrttemberg v. 5.2.2007 – 6 K 408/02; Joecks in F/G/J7, § 393 AO Rz. 53.
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6.42
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
rigkeit eingeleitet ist, auch im Verfahren nach § 208 Abs. 1 Satz 1 AO ein Kreditinstitut erst um Auskunft und Vorlage von Urkunden gebeten werden soll, wenn ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel fÅhrt oder keinen Erfolg verspricht. Schon aus dem Wortlaut wird deutlich, dass es sich nicht um eine zwingende Vorschrift handelt, sondern um sog. intendiertes Ermessen.
6.43 Dadurch wird der Ermessensspielraum der FinanzbehÇrden bei der Sachverhaltsermittlung aber nicht Åber die bei allen Ermittlungsmaßnahmen zu beachtenden Grundstze der Verhltnismßigkeit und der Zumutbarkeit hinaus beschrnkt.1 Bei der Beurteilung, was im Rahmen des § 30a Abs. 3 AO als hinreichender Anlass anzuerkennen ist, sind die zum Auskunftsersuchen i.S. von § 93 Abs. 1 AO oder fÅr ein Ttigwerden der SteuerfahndungsbehÇrden zur „Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerflle“ (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) geltenden Grundstze fÅr einen „hinreichenden Anlass“, sprich das Verbot von Ermittlungen „ins Blaue hinein“ maßgeblich.2
6.44 Hinreichend veranlasst ist eine Kontrolle, wenn das zu prÅfende Bankgeschft Aufflligkeiten aufweist, die es aus dem Kreis der alltglichen und bankÅblichen Geschfte hervorheben oder eine fÅr Steuerhinterziehung besonders anfllige Art der Geschftsabwicklung erkennen lassen, die – mehr als es bei KapitaleinkÅnften aus bei Banken gefÅhrten Konten und Depots stets zu besorgen ist – dazu verlockt, solche EinkÅnfte dem Finanzamt zu verschweigen, wenn also eine erhÇhte Wahrscheinlichkeit der Entdeckung unbekannter Steuerflle besteht.3 Das Finanzamt muss dabei die „allgemeine Erfahrung“ oder die „konkreten Erfahrungen fÅr bestimmte Gebiete“, die die Kontrollmitteilung rechtfertigen sollen, im Einzelnen benennen und in Bezug zu den aktuell gewonnenen Erkenntnissen setzen, sodass der RÅckschluss auf die MÇglichkeit einer SteuerverkÅrzung des Bankkunden plausibel ist.4
6.45 Es ist indes kein Erfahrungssatz dahin gehend anerkannt worden, dass EinkÅnfte aus hÇheren KapitalvermÇgen eher verschwiegen werden als solche aus geringeren. Es sind also stets einzelfallbezogene, konkrete Umstnde zu fordern. Auch ein Auslandsbezug begrÅndet fÅr sich genommen noch keinen Verdachtsmoment.
6.46 § 30a Abs. 3 Satz 1 AO schrnkt im brigen nur die berprÅfung solcher Konten ein, bei denen eine LegitimationsprÅfung nach § 154 Abs. 2 AO 1 BFH v. 9.12.2008 – VII R 47/07, BStBl. II 2009, 509; BFH v. 2.8.2001 – VII B 290/99, BFHE 196, 4 = BStBl. II 2001, 665; BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424. 2 BFH v. 9.12.2008 – VII R 47/07, BStBl. II 2009, 509; BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BFHE 198, 42 = BStBl. II 2002, 495, m.w.N. 3 BFH v. 9.12.2008 – VII R 47/07, BStBl. II 2009, 509. 4 BFH v. 9.12.2008 – VII R 47/07, BStBl. II 2009, 509.
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E. Verwertungsverbote
durchgefÅhrt wurde (sog. kundenbezogene Konten). Die Finanzverwaltung darf smtliche nicht legitimationsgeprÅfte Konten prÅfen, selbst wenn sie Kenntnisse Åber nicht anonymisierte Gegenbuchungen zu Geschftsvorfllen auf legitimationsgeprÅften Kundenkonten i.S. des § 154 Abs. 2 AO vermitteln, etwa im Falle von Dispositionshilfskonten.1 Eine „Sperrwirkung“ entfaltet § 30a Abs. 3 Satz 2 AO bei derartigen Konten erst und nur insoweit, als fÅr die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen ein „hinreichender Anlass“ vorliegen muss.2 Unstrittig ist in der Rechtsprechung des BFH, dass Zufallserkenntnisse, die den Verdacht einer SteuerverkÅrzung im Einzelfall begrÅnden, auch hinsichtlich solcher Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine IdentittsprÅfung vorgenommen worden ist, dem zustndigen Finanzamt mitgeteilt werden kÇnnen.3 Unzulssig ist hingegen die gezielte Suche nach Besteuerungsgrundlagen Dritter und damit ein faktischer Missbrauch der PrÅfung zu anderen Zwecken.4 Dies ergibt sich bereits aus § 194 Abs. 3 AO, wonach Verhltnisses anderer als der zu prÅfenden Person allenfalls stichprobenartig ermittelt werden dÅrfen.
6.47
V. Reichweite des Steuergeheimnisses im Ermittlungsverfahren 1. EinfÅhrung Gem. § 30 Abs. 1 AO haben Amtstrger das Steuergeheimnis zu wahren. Die Offenbarung der Kenntnisse ist jedoch zulssig, wenn hierfÅr ein zwingendes Çffentliches Interesse besteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn – Verbrechen und vorstzliche schwere Vergehen gegen Leib und Leben oder den Staat und seine Einrichtungen verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, – Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stÇren oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf Redlichkeit des geschftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemße Arbeit der BehÇrden unter Çffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschÅttern.
1 BFH v. 27.9.2010 – II B 164/09, BFH/NV 2011, 193; BFH v. 4.4.2005 – VII B 305/04, BFH/NV 2005, 1226. 2 BFH v. 27.9.2010 – II B 164/09, BFH/NV 2011, 193; BFH v. 9.12.2008 – VII R 47/07, BFHE 224, 1 = BStBl. II 2009, 509. 3 Vgl. BFH v. 28.10.1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424; BFH v. 18.2.1991 – VIII R 33/95, BFHE 183, 45 = BStBl. II 1997, 499; BFH v. 2.8.2001 – VII B 299/99, BFHE 196, 4, BStBl. II 2001, 665. 4 BFH v. 4.4.2005 – VII B 305/04, BFH/NV 2005, 1226; BFH v. 4.10.2006 – VIII R 54/04, BFH/NV 2007, 190.
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6.48
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
6.49 Der Begriff des zwingenden Çffentlichen Interesses bedarf als unbestimmter Rechtsbegriff der inhaltlichen Konkretisierung und die in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO enthaltene Wendung „namentlich“ zeigt auf, dass die dort aufgefÅhrten Fallgruppen nicht abschließend geregelt sind. Dem Anwendungserlass der Abgabenordnung (AEAO) folgend, enthlt § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eine beispielhafte Aufzhlung von Fllen, in denen ein zwingendes Çffentliches Interesse zu bejahen sei. Bei anderen Sachverhalten wird ein zwingendes Çffentliches Interesse dann angenommen, wenn sie in ihrer Bedeutung einem der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO erwhnten Flle vergleichbar sind (Punkt 8 zu § 30 AEAO). Der Verbrechensbegriff i.S. von § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a AO bestimmt sich nach § 12 Abs. 1 StGB und erfasst solche Straftaten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darÅber bedroht sind. Als vorstzliche schwere Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat und seine Einrichtungen kommen der AEAO folgend nur solche Vergehen in Betracht, die eine schwerwiegende Rechtsverletzung darstellen und dementsprechend mit Freiheitsstrafe bedroht sind (Punkt 8.2 AEAO). Unter den Begriff der Wirtschaftsstraftat i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO fallen Straftaten hingegen nicht schon deswegen, weil sie nach § 74c GVG zur Zustndigkeit des Landgerichts gehÇren. Der Anwendungserlass geht davon aus, dass in diesem Einzelfall unter Abwgung der Interessen zu prÅfen sei, ob die besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO gegeben seien. Dies deckt sich mit der Ansicht des Finanzausschusses, der nicht wollte, dass alle in § 74c GVG aufgefÅhrten Straftaten per se zur Offenbarung berechtigen.1 2. Rechtsprechung zur Durchbrechung des Steuergeheimnisses
6.50 Der BFH geht davon aus, dass ein zwingendes Çffentliches Interesse nur dann anzunehmen ist, wenn im Falle des Unterbleibens der Mitteilung die Gefahr besteht, dass schwere Nachteile fÅr das allgemeine Wohl des Bundes, eines Landes oder einer anderen Çffentlich rechtlichen KÇrperschaft zu befÅrchten sind.2 Der BFH folgert aus der Gewichtigkeit der in § 30 Abs. 4 AO angefÅhrten Beispielsflle ebenfalls, dass Åber sie hinaus nur in Ausnahmefllen von hnlicher Gewichtung ein zwingendes Çffentliches Interesse an der Durchbrechung des Steuergeheimnisses angenommen werden darf.3 Auf gleicher Linie hierzu liegt das Urteil des BGH vom 12.2.1981.4 Das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung wurde verneint, wenn bei einem Schaden in HÇhe von 1 Mio. Euro der zustndige Finanzbeamte eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft vornimmt. Der BGH bedient sich der Kriterien des BFH.5 Nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO 1 BT-Drucks. 7/4292; Kruse in T/K, § 30 AO Rz. 124. 2 BFH v. 10.2.1987 – VII R 77/84, BFHE 149, 387. 3 BFH v. 10.2.1987 – VII R 77/84, BFHE 149, 387; vgl. auch FG Niedersachsen v. 12.9.1990 – II 627/90 V, EFG 1991, 436; BGH v. 12.2.1981 – III ZR 123/79, NJW 1982, 1648. 4 BGH v. 12.2.1981 – III ZR 123/79, NJW 1982, 1648. 5 BGH v. 31.5.1994 – 5 StR 557/93, NStZ 95, 27.
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E. Verwertungsverbote
ist das zwingende Çffentlichen Interesse daher hinsichtlich der Offenbarung solcher Kenntnisse zu bejahen, die fÅr die Verfolgung solcher Wirtschaftsstraftaten erforderlich sind, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs der durch sie verursachten Schadens eine erhebliche StÇrung der wirtschaftlichen Ordnung herbeifÅhren oder eine erhebliche ErschÅtterung des Vertrauens der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschftlichen Verkehrs oder die ordnungsmßige Arbeit der BehÇrden oder Çffentlichen Einrichtungen verursachen kÇnnen.1 Die Aufnahme eines generalklauselartigen Offenbarungsgrundes ist auch deswegen notwendig, weil eine abschließende Aufzhlung der GrÅnde, welche die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigen, praktisch nicht mÇglich ist.2 Der Begriff des „zwingenden Çffentlichen Interesses“ ist jedoch restriktiv auszulegen, um eine AushÇhlung des Steuergeheimnisses zu vermeiden. Zur inhaltlichen Bestimmung der Reichweite des Steuergeheimnisses sind die durch den BFH aufgestellten Grundstze anzuwenden.3
6.51
VI. Verjhrungsunterbrechung Neben den allgemeinen Regelungen zur strafrechtlichen Verjhrungsunterbrechung des § 78c Abs. 1 StGB kommt im Internationalen Steuerrecht der Regelung des § 78c Abs. 1 Nr. 12 StGB besondere Bedeutung zu, wonach jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen, die Verjhrung unterbricht. Hierunter sind namentlich Rechtshilfeersuchen oder innerstaatliche Rechtshilfe durch konsularische Vertretung der Bundesrepublik im Ausland. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass auslndische StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen nicht auf die Unterbrechung der Verjhrung gerichtet sind.4
6.52
Im brigen gelten die allgemeinen Anforderungen an die Unterbrechung der Verjhrung, d.h. die entsprechende Handlung muss sich gegen eine bestimmte Person und auf eine bestimmte Tat beziehen. Nach hier vertretener Ansicht kommt eine Verjhrungsunterbrechung hinsichtlich eines Allgemeindelikts bei Handlungen der FinanzbehÇrde nur dann in Betracht, wenn es sich um eine einheitliche prozessuale Tat i.S. von § 264 StPO handelt. Der Gesetzgeber hat sich mit § 386 Abs. 1 Satz 1 AO bewusst dafÅr entschieden, die FinanzbehÇrden lediglich mit Kompetenzen hinsichtlich des Verdachts einer Steuerstraftat auszustatten.5
6.53
1 OLG Hamm v. 14.7.1980 – 1 VAs 7/80, NJW 1981, 356. 2 Pahlke/Koenig2, § 30 AO Rz. 226. 3 Joecks in F/G/J7, § 393 AO Rz. 83; Kruse in T/K, § 30 AO Rz. 127; Hellmann in H/H/Sp, § 393 AO Rz. 191. 4 Fischer61, § 78c StGB Rz. 22. 5 Zur Frage der Unterbrechung der Verjhrung durch die FinanzbehÇrde bei Zusammentreffen mit Allgemeindelikten vgl. BGH v. 24.10.1989 – 5 StR 238/89, wistra 1990, 59; OLG Braunschweig v. 24.11.1997 – Ss (S) 70/97, wistra 1998, 71;
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Beispiel: Entdeckt ein BetriebsprÅfer nicht abzugsfhige Schmiergeldzahlungen nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 EStG und belehrt er den Steuerpflichtigen gem. § 10 BpO1 Åber die Einleitung des Strafverfahren und darÅber, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren gem. § 393 Abs. 1 Satz 2 AO nicht mehr erzwungen werden kann, ist zunchst nur die Verjhrung hinsichtlich der Steuerhinterziehung unterbrochen. Eine Verjhrungsunterbrechung hinsichtlich darÅber hinaus verwirklichter Untreuen oder Korruptionstaten ist nur dann zu bejahen, wenn es sich um eine einheitliche prozessuale Tat handelt.
F. Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln 6.54 Die Strafprozessordnung sieht ein abgestuftes System der Erlangung gegenstndlicher Beweismittel vor. Auf der untersten Stufe steht die Sicherstellung von Beweismitteln (§ 94 StPO), alsdann folgt Verpflichtung zur Herausgabe nach § 95 StPO, erst wenn Gegenstnde nicht freiwillig herausgegeben werden, folgt gem. §§ 94 Abs. 2 Satz 1, 98 Abs. 1 StPO die Beschlagnahme, die ggf. mit der Durchsuchung durchgesetzt wird.
6.55 Wer einen Gegenstand, der als Beweismittel fÅr die Untersuchung von Bedeutung sein kann, in seinem Gewahrsam hat, ist nach § 95 Abs. 1 StPO verpflichtet, ihn auf Erfordern der StrafverfolgungsbehÇrde vorzulegen und auszuliefern. Im Falle der Weigerung kÇnnen gegen ihn die in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden (§ 95 Abs. 2 Satz 1 StPO). Das gilt jedoch nicht bei Personen, die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (§ 95 Abs. 2 Satz 2 StPO). Befinden sich die Gegenstnde in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, sieht § 94 Abs. 2 StPO deren Beschlagnahme vor.
6.56 Ein auf diese Norm gestÅtztes Herausgabeverlangen bietet sich immer dann an, wenn Gewissheit herrscht, dass sich ein beschlagnahmefhiger Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet – also nicht etwa im Gewahrsamsbereich des Beschuldigten –, es zur Erlangung des Gegenstands nicht auf einen berraschungseffekt ankommt, die Maßnahme erfolgversprechend ist, das GeFischer61, § 78c StGB Rz. 6a unter Verweis auf OLG Frankfurt v. 5.9.1986 – 1 Ws 163/86, wistra 1987, 32, der keine unterbrechende Wirkung durch Handlungen der FinanzbehÇrde hinsichtlich tatmehrheitlich oder tateinheitlich begangener Allgemeindelikte annimmt; zum Ganzen auch Muhler in MÅller-Gugenberger/ Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 15 Rz. 10, der eine Verjhrungsunterbrechung nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nur bei einer prozessualen Tat i.S. von § 52 StGB annimmt. 1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift fÅr die BetriebsprÅfung – BpO 2000 – v. 15.3.2000, Bundesanzeiger Nr. 58, S. 4898; BStBl. I 2000, 358, zuletzt gendert durch Art. 1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift v. 22.1.2008, BStBl. I 2008, 274.
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F. Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln
bot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befÅrchten ist noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind.1 Dies entspricht der allgemeinen Sachlage, wenn eine Dursuchung bei Dritten zur ErÇrterung steht, da diese in der Regel schon aus GrÅnden der Publizitt ein Interesse daran haben, mit den ErmittlungsbehÇrden zu kooperieren, und sich andernfalls womÇglich nach § 258 StGB (Strafvereitelung) strafbar machen. In der Praxis kann daher oftmals auf eine Durchsuchung verzichtet und das damit mÇglicherweise einhergehende Aufsehen vermieden werden.
I. Europische Beweisanordnung ber Art. 82 Abs. 2 AEUV ist es der EU mÇglich, unter BerÅcksichtigung der Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und Traditionen der Mitgliedstaaten in Form von Richtlinien Mindestvorschriften im Bereich des Strafverfahrensrechts vorzunehmen. Die Europische Beweisanordnung (EBA) basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (vgl. Rz. 9.185) und fllt daher unter Art. 82 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. A AEUV.2 Das Instrument der Europischen Beweisanordnung bezieht sich auf bereits vorhandene und unmittelbar verfÅgbare Beweismittel3, wobei jedoch eine Durchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung oder Beschlagnahme nicht ausgeschlossen ist. Gemeint ist wohl das faktische Vorhandensein. Die Europische Beweisanordnung wurde in Deutschland nicht umgesetzt und wird durch die Europische Ermittlungsanordnung Åberholt (vgl. Rz. 9.185).
6.57
Doch auch ohne innerstaatliche Umsetzung kÇnnen die europischen Vorgaben aus RahmenbeschlÅssen mit Ablauf der Umsetzungsfrist Einfluss auf das innerstaatliche Recht nehmen.4 Ebenso kann ein nicht in innerstaatliches Recht umgesetzter Rahmenbeschluss Einfluss auf die Interpretation und Anwendung des deutschen Strafverfahrensrechts nehmen,
6.58
1 LG SaarbrÅcken v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534; auf gleicher Linie bereits LG Berlin v. 9.4.2008 – 523 Qs 35/08, ZInsO 2008, 865, LG Potsdam v. 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, ZIP 2008, 287. 2 Rb 2008/978/JI v. 18.12.2008, ABl. EU Nr. L 350 v. 30.12.2008, 74; zu den Schwierigkeiten der bislang unterblieben Umsetzung vgl. BT-Drucks. 17/702, 31; BT-Drucks. 17/1543, 1; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 53; Safferling, Internationales Strafrecht, 406, 507; KrÅßmann, StraFo 2008, 458; Ahlbrecht, NStZ 2006, 70; Roger, GA 2010, 27; zum Ganzen auch Mavany, Die Europische Beweisanordnung und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, 2012. 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 36, 37, zur Ausdehnung auf zu erlangende Beweismittel vgl. GrÅnbuch, Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem anderen Mitgliedstaat, KOM (2009), 624 endg. 4 Gleß in S/L/G/H5, III B 3a Rz. 4; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 27; RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (562); Swoboda, HRRS 2014, 11.
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wenn auch nicht contra legem.1 RahmenbeschlÅsse entfalteten an sich – anders als Richtlinien – keine unmittelbare Wirkung (Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EUV a.F.).
6.59 Der EuGH hat in der Maria-Pupino-Entscheidung2 die RahmenbeschlÅsse den Richtlinien weitestgehend gleichgestellt. RahmenbeschlÅsse besitzen nach Ansicht des EuGH einen „zwingenden Charakter“. Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist danach auch auf RahmenbeschlÅsse anzuwenden. Soweit das vorlegende Gericht nationales Recht auszulegen hat, muss es seine Auslegung so weit wie mÇglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen. Die RahmenbeschlÅsse und rahmenbeschlusskonforme Interpretation sind auch kÅnftig von Bedeutung, auch wenn seit dem Vertrag von Lissabon als Rechtsakte der EU nur noch Verordnungen und Richtlinien vorgesehen sind (Art. 288 UAbs. 2, 3 AEUV). Die RahmenbeschlÅsse behalten insofern auch weiterhin ihre GÅltigkeit.3
6.60 Die Europische Beweisanordnung kann zur Erlangung von Sachen, SchriftstÅcken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, fÅr die die Europische Beweisanordnung ausgestellt werden kann, verwendet werden. Auf diesem Weg kÇnnen Sachen, SchriftstÅcke oder Daten, die bereits von Dritten bereitgestellt wurden oder aus einer Durchsuchung stammen, historische Daten aus der Inanspruchnahme von Dienstleistungen einschließlich Finanzgeschften, historische Protokolle von Aussagen, Vernehmungen und AnhÇrungen sowie andere Unterlagen einschließlich der Ergebnisse spezieller Ermittlungsmethoden, erlangt werden.
6.61 Wie beim Europischen Haftbefehl muss der Vollstreckungsstaat die Entscheidung des Anordnungsstaates, einen kÇrperlichen Gegenstand, SchriftstÅcke oder Daten als Beweismittel zu erlangen, vollziehen. Der Vollstreckungsstaat muss die Europische Beweisanordnung gem. Art. 11 Abs. 1 EBA wie die Anordnung einer inlndischen StrafverfolgungsbehÇrde behandeln.4
6.62 Eine Europische Beweisanordnung ist gem. Art. 2 Abs. 2 EBA nicht mÇglich zur: – DurchfÅhrung von Vernehmungen, Entgegennahme von Aussagen oder Einleitung sonstiger Arten von AnhÇrungen von Verdchtigen, Zeugen, Sachverstndigen oder Dritten;
1 Swoboda, HRRS 2014, 11. 2 EuGH v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – „Maria Pupino“, NJW 2005, 2839. 3 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33, unter Verweis auf Art. 9 des Protokolls Nr. 36 Åber die bergangsbestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 4 Safferling, Internationales Strafrecht, 508.
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F. Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln
– DurchfÅhrung kÇrperlicher Untersuchungen oder Entnahme von Zellmaterial oder von biometrischen Daten unmittelbar von dem KÇrper einer Person, einschließlich DNA-Proben oder FingerabdrÅcken; – Erlangung von Informationen in Echtzeit wie etwa durch berwachung des Telekommunikationsverkehrs, verdeckte berwachungsmaßnahmen oder berwachung von Kontobewegungen; – DurchfÅhrung von Untersuchungen von bestehenden Sachen, SchriftstÅcken oder Daten; – Erlangung von Kommunikationsdaten, die von Anbietern eines Çffentlich zugnglichen elektronischen Kommunikationsdienstes oder von Betreibern eines Çffentlichen Kommunikationsnetzes auf Vorrat gespeichert werden. In diesen Fllen ist auf die klassische Rechtshilfe zurÅckzugreifen.1 Jedoch kann sich gem. Art. 4 Abs. 6 EBA die Europische Beweisanordnung auch auf die Entgegennahme von Aussagen von Personen erstrecken, die whrend der Vollstreckung der Europischen Beweisanordnung anwesend sind, wenn diese Aussagen unmittelbar mit dem Gegenstand der Europischen Beweisanordnung in Verbindung stehen. Erforderlich ist aber, dass dies im Ersuchen Eingang gefunden hat.
6.63
Eine Verweigerung kommt schließlich nur aus den in Art. 13 EBA genannten GrÅnden, etwa aus GrÅnden der nationalen Sicherheit oder zur Durchsetzung des Doppelbestrafungsverbots, in Betracht.
6.64
Der Katalog der Straftaten nach Art. 14 Abs. 2 EBA hnelt dem des RbEuHB. FÅr den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts relevant ist, dass Betrug, Korruption Geldwsche und die Flschung amtlicher Dokumente erfasst sind. Eine fÅr das Internationale Steuerstrafrecht bedeutsame Ausnahme findet sich jedoch in Art. 14 Abs. 3 EBA. Wenn sich die Europische Beweisanordnung nicht auf eine der in Art. 14 Abs. 2 EBA benannten Straftaten bezieht und ihre Vollstreckung eine Durchsuchung oder Beschlagnahme erfordern wÅrde, kann die Anerkennung oder Vollstreckung der Europischen Beweisanordnung vom Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit abhngig gemacht werden. Da die Steuerhinterziehung in Art. 14 Abs. 2 EBA nicht erfasst ist, muss die beiderseitige Strafbarkeit feststehen. Die Anerkennung oder Vollstreckung kann jedoch gem. Art. 14 Abs. 2 EBA nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsstaates keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt oder keine gleichartige Steuer- oder Abgabe-, Zoll- und Devisenregelung enthlt wie das Recht des Anordnungsstaates.
6.65
In jedem Fall muss sich der ersuchende Staat davon Åberzeugen, dass die in Rede stehenden Beweismittel unter hnlichen Umstnden erlangt wer-
6.66
1 Zur Kritik hieran vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 65 m.w.N., insbesondere was die Aufspaltung des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Anordnungsstaates und des Vollstreckungsstaates betrifft.
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den kÇnnen, wie wenn die Maßnahme im Inland erfolgt. Denn das Beweismittel an sich ist ein prozessualer FremdkÇrper, hinsichtlich dessen der Vollstreckungsstaat seine eigenen verfahrensrechtlichen Vorschriften anwenden muss.1 ber die Frage der Verwertbarkeit entscheidet der Anordnungsstaat.2
II. Beschlagnahmeverbote nach § 97 StPO 6.67 Beschlagnahmeverbote, die im Inland gelten, beanspruchen auch im Ausland Geltung, etwa wenn diese im Wege der Rechtshilfe erlangt werden sollen. Der Beschlagnahme unterliegen nach § 97 Abs. 1 StPO nicht:3 – schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach § 52 oder § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3b StPO das Zeugnis verweigern dÅrfen (Nr. 1); – Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3b StPO Genannten Åber die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder Åber andere Umstnde gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt (Nr. 2); – andere Gegenstnde, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3b StPO Genannten erstreckt (Nr. 3).
6.68 Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Gegenstnden unzulssig. Dieser Beschlagnahmeschutz erstreckt sich auch auf Gegenstnde, die von den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen ihren Hilfspersonen (§ 53a StPO) anvertraut sind. Satz 1 gilt entsprechend, soweit die Hilfspersonen (§ 53a StPO) der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO genannten Personen das Zeugnis verweigern dÅrften (§ 97 Abs. 4 StPO). Die Beschrnkungen der Beschlagnahme gelten dann nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begrÅnden, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer BegÅnstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist oder wenn es sich um Gegenstnde handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrÅhren. Der hinter § 97 StPO stehende Sinn und Zweck ist es, die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts durch Zugriff auf entsprechende Unterlagen zu verhindern.
1 Safferling, Internationales Strafrecht, 509. 2 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 65. 3 Zur Beweisgewinnung und mÇglichen Verwertungsverboten im Rahmen der ausgehenden Rechtshilfe vgl. Rz. 9.226.
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F. Herausgabe und Beschlagnahme von Beweismitteln
III. EDV-Anlagen/E-Mail-Postfcher Die Sicherung und Beschlagnahme von E-Mail-Postfchern ist mittlerweile problemlos mÇglich.1 Im Hinblick auf EDV-Anlagen und elektronisch gefÅhrte Akten steuerlicher Berater hat sich in der Praxis bewhrt, entsprechend den hÇchstrichterlichen Vorgaben lediglich das betreffende Mandantenverzeichnis und die dazugehÇrige elektronische Akte zu sichern.2 Schon aus VerhltnismßigkeitsgrÅnden ist die Suche hierauf zu beschrnken, wenngleich eine grobe Durchsicht angezeigt sein kann. Die „gezielte Suche nach Zufallsfunden“ (§ 108 StPO) ist freilich unzulssig.3 Bereits der Durchsuchungsbeschluss sollte zeitlich und sachlich bzw. inhaltlich umgrenzt sein.4 Eine unbeschrnkte Beschlagnahme ist auch bei Durchsuchungen beim Beschuldigten nur ausnahmsweise zulssig.5 Die Beschlagnahme smtlicher gespeicherten Daten ist allenfalls dann verhltnismßig, wenn konkrete Anhaltspunkte dafÅr vorliegen, dass der gesamte Datenbestand, auf den zugegriffen werden soll, fÅr das Verfahren potenziell beweiserheblich ist.
6.69
In der Regel verfÅgen die ErmittlungsbehÇrden Åber ausreichende Speichermedien. Was die Speicherung von E-Mail-Postfchern betrifft (Outlook etc.) hat sich in der Praxis bewhrt, lediglich die konkret von dem Beschluss erfasste Kommunikation zu sichern, etwa indem vorher ein entsprechender Ordner unter Outlook angelegt wird, die mittels Suchfunktion zusammengestellten E-Mails dort hinein kopiert werden und dieser Ordner dann exportiert wird.6 Die Sicherung von Smartphones, Blackberry etc. wird bei Dritten (z.B. bei Beratern) nur in Ausnahmefllen in Betracht kommen, da zumeist ein Abgleich mit dem Netzwerkrechner stattfindet. Andernfalls sollte auf einer zeitnahen „Spiegelung“ bestanden werden. Die vorherige Einrichtung einer Rufumleitung kann zweckdienlich sein. Wenngleich den Beschuldigten keine Verpflichtung zur Mitwirkung trifft, kann die Herausgabe von PasswÇrtern zur Abwendung einer Beschlagnahme oder Versiegelung smtlicher Rumlichkeiten angezeigt sein.7
6.70
1 BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06; NJW 2009, 2431; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 94 StPO Rz. 16a, 19a; hierzu auch Gotzens in FS Streck 2011, 519 (525); Tsambikakis/Putzke in Flore/Tsambikakis, § 385 AO Rz. 71 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 275, 282 ff.; zum Ganzen auch Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27. 2 Vgl. auch BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917; BVerfG v. 17.7.2002 – 2 BvR 1027/02, wistra 2002, 378; BVerfG v. 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669. 3 Nickolai in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 25 Rz. 64. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 94 StPO Rz. 19a. 5 Vgl. auch BGH v. 24.11.2009 – StB 48/09 (a), NJW 2010, 1297. 6 Tsambikakis/Putzke in Flore/Tsambikakis, § 385 AO Rz. 71 ff. 7 Tsambikakis/Putzke in Flore/Tsambikakis, § 385 AO Rz. 72.
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6.71 Unzulssig ist trotz der Regelung des § 110 Abs. 3 StPO1, wegen Verstoßes gegen das Territorialittsprinzip ein Online-Zugriff auf im Ausland befindliche Daten (sog. „Transborder Searches“), etwa solche auf auslndischen Servern.2 Allein zur Abwendung eines Beweismittelverlusts kommt eine Sicherung in Betracht. In diesem Fall ist der Rechtshilfeweg zu beschreiten. Ein Verstoß kann unter Umstnden zu einem Beweisverwertungsverbot fÅhren, wenn der Verstoß sich als willkÅrlich oder absichtlich darstellt.3
6.72 Bei E-Mails4 sind zudem vier Phasen zu unterscheiden, die der Absendung, die der Lagerung im Postfach, die des Abrufens und die der abgerufenen Nachricht. Eingriffe in der ersten und dritten Phase bedÅrfen eines Beschluss nach § 100a StPO.5 End- oder zwischengespeicherte Emails kÇnnen nach § 94 StPO beschlagnahmt werden.
G. Durchsuchung I. Durchsuchung beim Verdchtigen (§ 102 StPO) 6.73 Voraussetzung jeder strafprozessualen Zwangsmaßnahme, insbesondere einer Durchsuchung, ist, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen ist, nicht nur straflos vorbereitet worden ist und hierfÅr zureichende tatschliche Anhaltspunkte bestehen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genÅgen nicht. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfhrt die rumliche Lebenssphre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei VerdachtsgrÅnde, die Åber vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur BegrÅndung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus.6 1 Vgl. auch Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27 Rz. 23. 2 Zum Ganzen Gercke, StraFo 2009, 271; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 282 ff.; Beyer, AO-StB 2013, 29; vgl. auch BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794 bzgl. Auskunftsersuchen bei auf auslnidschen Servern befindlichen Daten, auf welche der Steuerpflichtige zugreifen kann; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 88a, 87. 3 BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684; BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917 (1923); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 110 StPO Rz. 10. 4 AusfÅhrlich hierzu Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27 Rz. 53 f. 5 Zum Ganzen BVerfG v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 100a StPO Rz. 6b; § 94 StPO Rz. 16a. 6 BVerfG v. 11.6.2010 – 2 BvR 3044/09, StV 2010, 665; BVerfG v. 13.3.2014 – 2 BvR 974/12, wistra 2014, 266.
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G. Durchsuchung
Notwendig ist ein auf konkrete Tatsachen gestÅtztes Verhalten, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfÅllt.1 Auch bei Durchsuchungen im Ausland aufgrund eines Rechtshilfeersuchens beanspruchen die deutschen Verfahrensnormen Geltung. Bei demjenigen, welcher als Tter oder Teilnehmer einer Straftat oder der BegÅnstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdchtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Rume sowie seiner Person und der ihm gehÇrenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln fÅhren werde. Die Durchsuchung gehÇrt zu den wichtigsten Ermittlungsinstrumenten der Steuerfahndung. Sptestens mit Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses ist dem Beschuldigten die Einleitung des Verfahrens bekannt gegeben. Es gelten die allgemeinen Anforderungen und Voraussetzungen.2
II. Durchsuchung beim Unverdchtigen (§ 103 StPO) 1. berblick Bei anderen Personen als dem Beschuldigten, also Unverdchtigen Dritten und/oder Zeugen sind Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstnde und nur dann zulssig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Rumen befindet. Aufgrund der Unverdchtigkeit des Anordnungsadressaten, der durch sein Verhalten auch aus Sicht der ErmittlungsbehÇrden in keiner Weise Anlass zu den Ermittlungsmaßnahmen gegeben hat, sind erhÇhte Anforderungen an den Verhltnismßigkeitsgrundsatz zu stellen.3 Hinsichtlich der in Rede stehenden Berufsgruppen ist ergnzend die Regelung des § 160a StPO zu beachten. Daran ndert sich auch nichts, wenn der Betroffene aus persÇnlichen GrÅnden oder aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten die Kooperation verweigert. Erst wenn Anhaltspunkte dafÅr vorliegen, der Betroffene werde einem gerichtlichen Herausgabebeschluss unter Androhung von vollstreckbaren Ungehorsamsfolgen nicht nachkommen, kann eine Durchsuchung angezeigt sein. Bis dahin ist das verpflichtende Herausgabeverlangen das geeignete, erforderliche aber auch ausreichende prozessuale Instrument.
6.74
Zur Nachtzeit dÅrfen gem. § 104 StPO die Wohnung, die Geschftsrume und das befriedete Besitztum nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei
6.75
1 BVerfG v. 13.3.2014 – 2 BvR 974/12, wistra 2014, 266. 2 Zum Ganzen Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 194 ff. 3 BVerfG v. 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804; LG SaarbrÅcken v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 103 StPO Rz. 1a.
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Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. Diese Beschrnkung gilt nicht fÅr Rume, die zur Nachtzeit jedermann zugnglich oder die der Polizei als Herbergen oder Versammlungsorte bestrafter Personen, als Niederlagen von Sachen, die mittels Straftaten erlangt sind, oder als Schlupfwinkel des GlÅcksspiels, des unerlaubten Betubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind. Die Nachtzeit umfasst in dem Zeitraum vom 1. April bis 30. September die Stunden von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Mrz die Stunden von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. 2. Durchsuchung der Beraterkanzlei
6.76 Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnistrger in der rumlichen Sphre seiner BerufsausÅbung, so muss sowohl das Ausmaß der Beeintrchtigung der beruflichen Ttigkeit des Rechtsanwalts (Art 12 Abs. 1 GG) als auch der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant bei der AngemessenheitsprÅfung berÅcksichtigt werden.1 Mit Art. 13 Abs. 1 GG ist es nach Ansicht des BVerfG unvereinbar, Kanzleirume von Rechtsanwlten auf der Grundlage von § 103 StPO zu durchsuchen, um Unterlagen Åber die Beratung von Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, zu erhalten und hieraus RÅckschlÅsse auf den Inhalt einer steuerrechtlichen Beratung des Beschuldigten zu ziehen.
6.77 So darf eine Rechtsanwalts- oder Steuerberaterkanzlei nicht ohne Weiteres zur flchendeckenden Aufklrung, etwa wie dort Mandanten hinsichtlich bestimmter steuerrechtlicher Fragestellungen beraten werden, durchsucht werden. Zulssig ist dies nur dann, wenn und soweit sich das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen in der Kanzlei ttige Berufstrger richtet, hinreichende tatschliche Anhaltspunkte fÅr eine flchendeckende Beteiligung an Straftaten der Mandanten vorliegen und auch die weiteren Voraussetzungen fÅr eine Durchsuchung beim beschuldigten Berufsgeheimnistrger gegeben sind.2 Beispiel: Die steuerzentrierte Kanzlei XYZ ist bekannt fÅr aggressive Steuergestaltungsmodelle und steht im Verdacht, Mandanten zur GrÅndung auslndischer Basisgesellschaften zu animieren. Dies geschieht mit dem Wissen, dass es sich lediglich um eine Briefkastengesellschaft handelt. Um die gewÅnschten steuerlichen Auswirkungen zu erreichen und entsprechend zu dokumentieren, unterhlt die Kanzlei Åber einen Strohmann eine BÅroreprsentanz vor Ort.
1 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518; BVerfG v. 12.04.2005 – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29 , 48. 2 BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518.
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G. Durchsuchung
Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnistrger in dessen Rumlichkeiten, bringt dies zudem regelmßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der ErmittlungsbehÇrden gelangen, die die Betroffenen in der Sphre des Berufsgeheimnistrgers grundstzlich sicher whnen dÅrfen.1 Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berÅhrt. Bei der Anwendung strafprozessualer Eingriffsermchtigungen ist zudem das Ausmaß der – mittelbaren – Beeintrchtigung der beruflichen Ttigkeit des Rechtsanwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) zu berÅcksichtigen. Dies bedingt nach zutreffender Ansicht des BVerfG eine besondere Beachtung bei der PrÅfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme.2
6.78
Es ist mit Art. 13 Abs. 1 GG zudem nach Ansicht des BVerfG nicht vereinbar, Kanzleirume von Rechtsanwlten als nichtverdchtigen Dritten, die den Beschuldigten nach Auffassung der ErmittlungsbehÇrde hinsichtlich bestimmter steuerrechtlicher Fragestellungen beraten haben sollen, auf der Grundlage von § 103 StPO zu durchsuchen, um Unterlagen Åber die Beratung von Mandanten, die mit dem Ermittlungsverfahren in keinem Zusammenhang stehen, zu erhalten und um hieraus RÅckschlÅsse auf den Inhalt der Beratung des Beschuldigten zu ziehen.3
6.79
3. Durchsuchung beim Verteidiger Zunchst gelten die obigen AusfÅhrungen entsprechend.4 Gem. § 97 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO i.V.m. § 53 Nr. 2 StPO sind schriftliche Mitteilungen zwischen Verteidiger und Beschuldigten (Verteidigerpost)5, Aufzeichnungen Åber anvertraute oder bekannt gewordene Mitteilungen und Umstnde oder andere Gegenstnde, die dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen, beschlagnahmefrei. Dies gilt auch, wenn sie von Dritten herrÅhren.6 hnlich der Problematik bei der Sicherstellung von BuchfÅhrungsunterlagen ist fraglich, inwieweit beim Verteidiger oder Steuerberater befindliche Bankunterlagen (VermÇgensÅbersichten, Ertrgnisaufstellungen) dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO unterfallen, wenn sie vom Berater selbst angefordert oder diesem vom Mandanten Åbergeben wurden, etwa mit dem Zweck, eine (strafbefreiende) Nacherklrung (§§ 153, 371 AO) zu fertigen. Dienen die Unterlagen der privilegierten Ttigkeit eines Verteidigers/Steuerberaters, kann aus § 97 Abs. 1 Nr. 3 1 2 3 4 5
BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. BVerfG v. 18.3.2009 – 2 BvR 1036/08, NJW 2009, 2518. Zum Ganzen auch Nickolai in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 25 Rz. 2 f. Solche Mitteilungen sind ausnahmsweise auch beim Mandanten selbst beschlagnahmefrei, BGH v. 13.8.1973 – 1 BJs 6/71, StB 34/73, NJW 1973, 2035; OLG Koblenz v. 6.7.1995 – 2 Ws 391/95, StV 1995, 570. 6 OLG Frankfurt v. 21.6.2005 – 3 Ws 499/05, 3 Ws 501/05, NStZ-RR 2005, 270.
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6.80
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
StPO keine Differenzierung danach hergeleitet werden, ob der Beschuldigte seinen Verteidiger mÅndlich Åber den Sachverhalt informiert, entsprechende Unterlagen Åberlsst oder diese erst anfertigen lsst.1 Vom Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO („andere Gegenstnde“) sind alle Gegenstnde erfasst, die durch das geschÅtzte Vertrauensverhltnis hervorgebracht wurden, auch wenn sie außerhalb der Sphre des Verteidigers „entstanden“ sind. Der Beschlagnahmeschutz ist nicht nach § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO ausgeschlossen, da Bankunterlagen grundstzlich keine Tatwerkzeuge fÅr Steuerstraftaten, sondern allenfalls Beweismittel sind.2 4. Durchsuchung beim Steuerberater
6.81 Wegen des schutzwÅrdigen Vertrauensverhltnisses zwischen Berufsgeheimnistrgern und Mandanten, die nicht Beschuldigte und daher unbeteiligte Personen sind3, dÅrfen nur die Unterlagen bzw. Daten bezÅglich der verfahrensbeteiligten Personen gesucht und sichergestellt werden, nicht aber „Zufallsfunde“ bezÅglich anderer Mandanten4. Zu diesem Zweck hat eine Vorsichtung entsprechend § 110 StPO zu erfolgen5.
6.82 Weiterhin umstritten ist die Beschlagnahmefhigkeit von BuchfÅhrungsunterlagen, soweit sie sich beim steuerlichen Berater befinden (§ 97 Abs. 2 Satz 1 StPO).6 berwiegend wird zum Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 53 StPO7 die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO bejaht, solange der Berater die Unterlagen noch fÅr seine Ttigkeit benÇtigt.8 Deliktsgegenstnde, d.h. Tatwerkzeuge und Gegenstnde, die durch die Tat hervorgebracht, zur Tat gebraucht oder bestimmt sind oder 1 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237 (239); LG Stuttgart v. 20.2.1997 – 13 Qs 2/97, DStR 1997, 1449; LG Fulda v. 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, wistra 2000, 155. 2 So auch LG Fulda v. 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, wistra 2000, 155 (158). 3 Hierzu BVerfG v. 17.10.2011 – 2 BvR 2100/11, wistra 2012, 179. 4 BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, wistra 2005, 295; BVerfG v. 5.5.2008 – 2 BvR 1801/06, wistra 2008, 301; BVerfG v. 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, StV 2008, 393; allgemein dazu Kutzner, NJW 2005, 2652; Viskorf, DB 2005, 1929 (1930). 5 Vgl. RÅping, DStR 2002, 2020 (2022). Zur Sichtung sichergestellter Papiere, um Åber deren Beschlagnahmefhigkeit zu entscheiden, s. OLG Jena v. 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, wistra 2001, 73 (76). 6 Nickolai in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 25 Rz. 36. 7 Die Beschlagnahmefreiheit entfllt mit der Entbindung von der Schweigepflicht (§ 53 Abs. 2 StPO). 8 LG Dresden v. 22.1.2007 – 5 Qs 34/2006, 5 Qs 34/06, wistra 2007, 237; LG Hamburg v. 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394; LG Frankfurt a.M. v. 15.10.2002 – 5/12 Qs 39/02, 5-12 Qs 39/02, DStR 2004, 290; LG Chemnitz v. 20.9.2000 – 4 Qs 8/00, wistra 2000, 476; LG Chemnitz v. 15.1.1999 – 5 Qs 2/99, wistra 1999, 154; Lipsky in G/J/W, § 399 AO Rz. 29; grundstzlich fÅr Beschlagnahmefhigkeit LG MÅnchen I v. 23.4.1988 – 19 Qs 3/88, wistra 1988, 326; LG Stuttgart v. 4.4.1990 – 14 Qs 53/90, wistra 1990, 282; MÇssner/Moosburger, wistra 2006, 211. bersicht bei J. MÅller, StBp 2008, 159. Zur Darlegungspflicht
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G. Durchsuchung
aus der Tat herrÅhren, unterfallen gem. § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht dem Beschlagnahmeverbot, etwa geflschte Belege, rÅckdatierte Vertrge etc. 5. Durchsuchung von Unternehmen/Banken Die Durchsuchung von Unternehmen ist rechtmßig, wenn sich der Tatvorwurf gegen die GeschftsfÅhrer/Organe des betroffenen Unternehmens richtet und die Straftaten in Funktion als Organ begangen wurden.1 Eine gesamte Durchsuchung des Unternehmens und nicht nur der tatrelevanten Teilbereiche kommt in Betracht, wenn der Beschuldigte Zugriff auf die entsprechenden Unternehmensteile hat.
6.83
Kreditinstitute sind fÅr sich genommen unverdchtige Dritte. Rechtsgrundlage ist daher § 103 StPO. Wenngleich an die Duldungsverpflichtung geringere Anforderungen zu stellen sind, ist ein Herausgabeverlangen vorrangig. § 30a AO begrÅndet fÅr die Kreditinstitute gegenÅber Auskunftsbegehren der Steuerfahndung kein Mitwirkungsverweigerungsrecht und steht auch strafrechtlichen Ermittlungen nicht entgegen.2 FÅr strafprozessuale Zufallsfunde gilt § 108 StPO, jedoch muss sich aus dem Zufallsfund ein strafprozessualer Anfangsverdacht ergeben.3 Ausforschungsdurchsuchungen sind indes unzulssig.4
6.84
III. Zustndigkeit Durchsuchungen dÅrfen gem. § 105 StPO nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist. Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschftsrume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn mÇglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dÅrfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.
6.85
Der Begriff der Gefahr im Verzug ist eng auszulegen und wird bei Steuerstrafsachen eher selten in Betracht kommen.5
6.86
1 2 3 4 5
der ErmittlungsbehÇrden, dass Unterlagen beschlagnahmefhig sind, AG DÅren v. 16.7.2007 – 14 Gs 943/07, n.v. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 212. Umfassend zu Ermittlungen gegen Banken vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 404 AO Rz. 215 ff. A.A. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 108 StPO Rz. 2, der einen ungewissen Verdacht ausreichen lassen will. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 167, 196, 226, § 404 AO Rz. 265 ff. Vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 191, 218.
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
6.87 Beschlagnahmen dÅrfen nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden (§ 98 Abs. 1 StPO). Der Beamte (Steuerfahndung, Polizei, Staatsanwalt), der einen Gegenstand ohne gerichtliche Anordnung beschlagnahmt hat, soll binnen drei Tagen die gerichtliche Besttigung beantragen, wenn bei der Beschlagnahme weder der davon Betroffene noch ein erwachsener AngehÇriger anwesend war oder wenn der Betroffene und im Falle seiner Abwesenheit ein erwachsener AngehÇriger des Betroffenen gegen die Beschlagnahme ausdrÅcklichen Widerspruch erhoben hat. Der Betroffene kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Zustndigkeit des Gerichts bestimmt sich nach § 162 StPO. Der Betroffene kann den Antrag auch bei dem Amtsgericht einreichen, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat; dieses leitet den Antrag dem zustndigen Gericht zu. Der Betroffene ist Åber seine Rechte zu belehren.
IV. Durchsuchungsantrag 6.88 Bereits der Durchsuchungsantrag ist ausreichend zu begrÅnden, muss tatschliche Angaben Åber den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten und erkennen lassen, das eine Auseinandersetzung mit der Sache stattgefunden hat. Lediglich bei einfach gelagerten Sachverhalten kommt eine Bezugnahme auf entsprechende Anregungen der Steuerfahndung oder Polizei in Betracht. Im Internationalen Steuerstrafrecht sind insbesondere AusfÅhrungen zur Steuerpflicht und zu den betroffenen Lndern erforderlich und, wie sonst auch, Angaben zu den betroffenen Zeitrumen und den betroffenen Steuerarten. Hierauf ist auch deswegen besonderes Augenmerk zu verwenden, da der Durchsuchungsbeschluss einem etwaigen spteren Rechtshilfeersuchen beizufÅgen ist und die erbetene Rechtshilfe auch deswegen verweigert werden kann, wenn die Notwendigkeit entsprechender strafprozessualer Maßnahmen nicht ausreichend dargetan ist.
6.89 Die aufzuklrende Straftat bzw. das vorgeworfene Verhalten ist daher so genau zu umschreiben, wie es nach den Umstnden des Einzelfalls und dem jeweiligen Ergebnis der Ermittlungen mÇglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abtrglich ist.1 Die Art oder der mÇgliche Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, sind anzugeben. Soweit eine genaue Bezeichnung des gesuchten Beweismaterials nicht mÇglich ist, sind die erwarteten Beweismittel annherungsweise – ggf. in Form beispielhafter Angaben, ohne jedoch ins floskelartige zu verfallen („Unterlagen aus denen sich ein Fallbezug ergibt“) zu beschreiben.2
1 BVerfG v. 6.3.2002 –2 BvR 1619/00, NStZ 2002, 372 (373). 2 BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 120/90, NJW 1992, 763.
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G. Durchsuchung
V. Durchsuchungsbeschluss Bei grenzÅberschreitenden Durchsuchungen ist zu bedenken, dass der inlndische Durchsuchungsbeschluss dem Rechtshilfeersuchen beigefÅgt wird und von den auslndischen BehÇrden umgesetzt wird. Neben den Voraussetzungen fÅr den entsprechenden Antrag gelten nochmals gesteigerte Anforderungen.1 Formelhafte Wendungen zum Tatverdacht „wegen Steuerhinterziehung in nicht rechtsverjhrter Zeit“ oder „Umstnde, die den Verdacht einer Steuerstraftat nahelegen“ genÅgen ebenso wenig wie „beweisrelevante Gegenstnde“ als Ziel der Durchsuchung. Es sind konkrete Anhaltspunkte fÅr jede Tat, Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum erforderlich.2 Der bloße Hinweis auf „Karussellgeschfte“ genÅgt nicht.3 Die aufzufindenden Beweismittel sind so genau wie mÇglich zu bezeichnen. Der Durchsuchungsbeschluss ist in jedem Fall kritisch zu ÅberprÅfen und ggf. anzufechten. Die genaue PrÅfung ist schon deswegen unerlsslich, weil fÅr nicht von dem Beschluss erfasste Taten die MÇglichkeit zur Selbstanzeige verbleibt. Die MÇglichkeit zur Vollstreckung von DurchsuchungsbeschlÅssen ist zeitlich befristet auf sechs Monate. Angesichts der mitunter zu beobachtenden Verfahrensdauer bietet sich eine genaue PrÅfung an, wobei geringfÅgige berschreitungen (zwei bis drei Tage) unbeachtlich sind.
6.90
Was das Internationale Steuerstrafrecht betrifft, ist besonderes Augenmerk auf die Frage der Steuerpflicht und des Besteuerungsrechts zu legen. Wird etwa die Ansssigkeit im Inland behauptet, bedarf es auch hierfÅr konkreter Anhaltspunkte. Durch nichts belegte Vermutungen oder Behauptungen ins Blaue hinein genÅgen nicht.
6.91
Beispiel: Die Steuerfahndung in A behauptet in ihrer Anregung auf Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses, der in der Schweiz gemeldete B sei tatschlich in Deutschland ansssig. Zum Beweis der Tatsache fÅhrt sie das Ergebnis einer Observation an, wonach an einem dem B gehÇrigen Haus in Deutschland regelmßig das Licht angeht und abendlich zu verschiedenen Tageszeiten die Rolllden heruntergelassen werden. Erkenntnisse Åber Aufenthalte des B persÇnlich enthlt der Bericht nur fÅr wenige Tage. Tatschlich verwandte B aus GrÅnden des Einbruchsschutzes Zeitschaltuhren. Die vorherige Vernehmung von Zeugen unterblieb.4
1 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 105 StPO Rz. 5 ff.; zum Ganzen auch Matthes, wistra 2008, 11. 2 BVerfG v. 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, wistra 1997, 223 (225); BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvR 1619/00, NJW 2002, 1941; LG MÅnster v. 27.11.2003 – 9 Qs 29/03; LG Koblenz v. 6.12.2000 – 10 Qs 24/2000, StV 2001, 501. 3 BVerfG v. 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516. 4 Zu einer nlichen Fallkonstellation unter Hinweis auf das Verhltnismßigkeitsprinzip vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 226.
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Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
VI. Rechtsschutz gegen Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen 6.92 Gegen die richterliche Beschlagnahmeanordnung, die richterliche Besttigung nach § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO, die Ablehnung des Antrags nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO und gegen die Durchsuchungsanordnung ist das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 304 StPO) gegeben.1 Beschwerdeberechtigt sind insbesondere der Beschuldigte, der letzte Gewahrsamsinhaber oder der Inhaber einer Urkunde, die in Ablichtung zu den Akten genommen wurde. Voraussetzung ist jedoch eine unmittelbare Beschwer, d.h. der Beschuldigte kann nicht die Anordnung der Durchsuchung bei seiner Bank anfechten, jedoch die Beschlagnahme seiner Kontounterlagen.2 Die Beschwerde ist nicht fristgebunden, sofern der Betroffene noch beschwert ist.
6.93 Im brigen gelten die allgemeinen Voraussetzungen und Anforderungen. Gegen die umfassende Sicherstellung eines Datenbestandes zum Zweck der Durchsicht (§ 110 StPO) kann unter entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgegangen werden. 1. ZweckmßigkeitsÅberlegungen
6.94 – Rechtsbehelfe haben grundstzlich keine aufschiebende Wirkung. Eine andauernde Durchsuchung/Beschlagnahme kann nicht gestoppt werden. Bis es zu einer Entscheidung kommt, ist die Maßnahme oft erledigt. – Eine fÇrmliche Beschwerde wird ohne vorherige Akteneinsicht, die in diesem Stadium regelmßig nicht gewhrt werden wird3, kaum Erfolg haben.4 – Mitunter kann es ratsam sein, eine fehlerhafte Anordnung bestehen zu lassen.5 Bleibt die Beschwerde erfolglos, werden durch die Besttigung die Weichen fÅr das sptere Verfahren gestellt und die Rechtsansicht der VerfolgungsbehÇrde zementiert. – Ob Beschwerde einlegt wird ist stets eine Einzelfrage und es sollte nicht per se Beschwerde eingelegt werden.6
1 Zum Ganzen auch Niemeyer in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 87 ff. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 98 StPO Rz. 31; § 105 StPO Rz. 15. 3 Streck/Spatscheck, Die Steuerfahndung4, Rz. 405. 4 S. dazu Streck, StV 1984, 348; LG SaarbrÅcken v. 12.11.1998 – 8 Qs 188/98, wistra 1999, 116. 5 Wegen fehlender Verjhrungsunterbrechung (s. BGH v. 27.5.2003 – 4 StR 142/03, wistra 2003, 382) oder zwecks spterer Geltendmachung von Beweisverwertungsverboten (vgl. BGH v. 18.4.2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 = wistra 2007, 314; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 94 StPO Rz. 21. 6 So Streck/Spatscheck, Die Steuerfahndung4, Rz. 414 f.
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H. Untersuchungshaft
2. Akteneinsicht Die zumindest teilweise Akteneinsicht kann nicht unter Hinweis auf § 147 StPO (Gefhrdung des Untersuchungszwecks) versagt werden, wenn bei dem Beschuldigten durchsucht wurde.1 Der Rechtsstaatsgedanke gebietet es, dass der von einer strafprozessualen Eingriffsmaßnahme Betroffene noch im gerichtlichen Verfahren Åber die Rechtmßigkeit des Eingriffs Gelegenheit erhlt, sich in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen gegen die Eingriffsmaßnahme und den zugrunde liegenden Vorwurf zu verteidigen.2 Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft kann die gerichtliche Entscheidung beantragt werden.
6.95
H. Untersuchungshaft Insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht kommt es Åberproportional hufig zur Anordnung von Untersuchungshaft. Denn nicht selten verfÅgt der Beschuldigte neben auslndischen Konten dort Åber einen Wohnsitz, in Form einer Ferienwohnung, gefestigte soziale Kontakte oder ist aufgrund finanzieller Mittel in der Lage, sich nicht nur vorÅbergehend im Ausland aufzuhalten.
6.96
Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten gem. § 112 Abs. 1 StPO angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdchtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhltnis steht. Es gelten insoweit die allgemeinen Anforderungen, Voraussetzungen und Einschrnkungen fÅr den Erlass eines Haftbefehls.3
6.97
Ein Haftgrund besteht dann, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei WÅrdigung der Umstnde des Einzelfalls die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, Fluchtgefahr). Untersuchungshaft darf nur in streng begrenzten Ausnahmefllen angeordnet werden. Die Untersuchungshaft wird dabei
6.98
1 LG Neubrandenburg v. 16.8.2007 – 9 Qs 107/07, NStZ 2008, 655; LG Berlin v. 18.2.2010 – 536 Qs 1/10, StV 2010, 352; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 111f StPO Rz. 25b; a.A. LG SaarbrÅcken v. 24.8.2005 – 8 Qs 81/05, NStZ-RR 2006, 80; zum Ganzen auch BÇrner, Akteneinsicht nach Durchsuchung und Beschlagnahme, NStZ 2007, 680; passim; BÇrner, Grenzen der Akteneinsicht nach Zwangsmaßnahmen, NStZ 2010, 417. 2 Zur Reichweite der Akteneinsicht vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 147 StPO Rz. 13 ff. 3 Zum Ganzen Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 1 ff.; Niemeyer in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 55; Tsambikakis, PStR 2013, 159.
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Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
als Sonderopfer des Beschuldigten fÅr die Allgemeinheit verlangt.1 Der Eingriff in die Freiheit ist nur hinzunehmen, wenn und soweit einerseits wegen dringenden auf konkrete Anhaltspunkte gestÅtzten Tatverdachts begrÅndete Zweifel an der Unschuld des Verdchtigen bestehen, andererseits der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollstndige Aufklrung der Tat und rasche Bestrafung des Tters nicht anders gesichert werden kann als dadurch, dass der Verdchtige vorlufig in Haft genommen wird.2
I. Dringender Tatverdacht 1. Dringender Tatverdacht und Steueranspruch
6.99 Der dringende Tatverdacht ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat.3 Dies ist zu verneinen, wenn die Ermittlungen trotz einer „nicht unerheblichen Verdachtslage“ lÅckenhaft sind, weil notwendige Untersuchungen nicht durchgefÅhrt wurden, sodass mit einer Verurteilung ohne weitere zeitaufwndige Nachforschungen nicht zu rechnen ist.4
6.100 Indes ist der Verdacht im Steuerstrafrecht zu Beginn des Verfahrens oder bei Beantragung eines Untersuchungshaftbefehls ggf. zeitgleich mit der Beantragung eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses in der Regel weniger verifizierbar als ein dringender Tatverdacht im Kernstrafrecht. Oftmals steht die Frage im Raum, ob die von dem Steuerpflichtigen gewhlte steuerliche Gestaltung ein erlaubtes Mittel zur Steuerersparnis i.S. der Rechtsprechung des BVerfG ist oder ein Verschleierungsmodell fÅr eine Steuerstraftat. Nach Ansicht des BVerfG steht es dem Steuerpflichtigen dabei grundstzlich frei, die fÅr ihn gÅnstigste steuerliche Gestaltung zu whlen.5
6.101 Im Steuerstrafrecht besteht die besondere Problematik darin, dass die Bejahung des dringenden Tatverdachts von der Existenz des Steueranspruchs abhngt.6 Insbesondere bei Rechtsfragen muss der Ermittlungsrichter 1 BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243; BVerfG v. 14.11.2012 – 2 BvR 1164/12, juris. 2 BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243. 3 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 5, 6. 4 OLG Karlsruhe v. 1.9.2003 – 1 Ws 235/03, wistra 2004, 276. 5 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23, 34/57, BVerfGE 237, 249 (250). Die Grenze, ohne freilich zugleich eine Strafbarkeit zu begrÅnden, ist erst bei einer missbruchlichen Gestaltung i.S. von § 42 AO zu sehen. So auch BFH v. 25.1.1994 – IX R 97-98/90, BStBl. II 1994, 738; BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, BFHE 179, 400 (402). 6 Vgl. etwa KG Berlin v. 16.5.2000 – 2 AR 21/00 – 4 Ws 96/00, juris; kritisch Schwedhelm, BB 2010, 731 (732), der moniert, dass das Vorliegen des objektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung in der Regel nicht geprÅft, sondern aufgrund der Behauptungen der Steuerfahndung unterstellt wird.
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H. Untersuchungshaft
diese lÇsen und darf sich nicht mit dem dringenden Tatverdacht begnÅgen.1 Es gilt auch im Steuerstrafrecht der Grundsatz „iura novit curia“.2 Beweismaßerleichterungen, die im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren infolge verweigerter Mitwirkung des Steuerpflichtigen an der Aufklrung des Sachverhalts eintreten, dÅrfen bei der Feststellung einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach nicht genutzt werden.3 Stehen komplexe steuerliche Gestaltungen im Raum, kann es sich im Einzelfall anbieten, deren HintergrÅnde und steuerliche Sinnhaftigkeit zu erÇrtern, um zu versuchen den Vorwurf der Hinterziehung zu entkrften. Idealiter verfÅgt der Berater bereits Åber Anschreiben an die Finanzverwaltung, in denen das verwandte Modell offengelegt wurde. Auch insofern ist der Steuerpflichtige gut beraten, zweifelhafte oder grenzwertige Konstruktionen von vornherein offenzulegen.4
6.102
Vornehmliches Ziel in dieser Situation muss sein, dem ggf. vermeintlichen Steueranspruch konstruktiv entgegenzutreten und diesen zur Vermeidung der Anordnung oder des weiteren Vollzugs sowohl dem Grunde als auch der HÇhe nach zu entkrften.5 Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass hierÅber ein Ermittlungsrichter entscheidet, der in der Regel nur selten Åber eine tiefergehende steuerliche Sachkunde verfÅgt. Insofern kann es sich auch anbieten, an den fÅr das Strafverfahren zustndigen Dezernenten heranzutreten, dessen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls binden ist (§ 120 Abs. 3 Satz 1 StPO).
6.103
2. Inhaltliche Anforderungen an den Haftbefehl Der Haftbefehl ist gem. § 114 StPO zu begrÅnden. Die BegrÅndungspflicht dient dabei nicht nur der Selbstkontrolle des Gerichts und der ErmÇglichung der PrÅfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft durch das Beschwerdegericht, sondern vor allem auch der verlsslichen Unterrichtung des Beschuldigten.6 Die Pflicht gilt insbesondere fÅr den Begriff des dringenden Tatverdachts, welcher mit Tatsachen begrÅndet werden muss,
1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 5 unter Verweis auf LÅttger, GA 1957, 211. 2 Zu den BegrÅndungsanforderungen im Haftbefehl vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 114 StPO Rz. 7, 11. 3 Schwedhelm, BB 2010, 731 (733). 4 Hierzu Schaumburg in Leitner/Dannecker (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2003, 177,(180); Harms, Stbg 2005, 12 (14); Breuer, AO-StB 2004, 14 (17); Blumers in StbJb 1983/84, 319 (335). 5 Zu einem sog. Stiftungsfall eindrucksvoll LG Krefeld v. 21.10.2011 – 22 KLs 47/09, PStR 2012, 1, wo von einem zunchst angenommenen Schaden von ca. 1,3 Mio. Euro letztlich 225.000 Euro verblieben. 6 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 114 StPO Rz. 4 ff.; OLG Karlsruhe v. 6.4.2001 – 3 Ws 31/01, StV 2002, 147; OLG Hamm v. 5.8.2002 – 2 Ws 335/02, NStZ-RR 2002, 335; OLG Brandenburg v. 8.1.1997 – 2 Ws 329/96, StV 1997, 140.
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6.104
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
aus denen die Annahme der großen Wahrscheinlichkeit der Verurteilung des Beschuldigten folgt.1 Hierzu gehÇren auch eine nachvollziehbare Darstellung des Steueranspruchs als Voraussetzung fÅr eine Steuerhinterziehung und eine nachvollziehbare Darstellung des Steuerschadens, da dieser in der Regel ausschlaggebend fÅr die Annahme der Fluchtgefahr und relevant im Rahmen der PrÅfung der Verhltnismßigkeit ist.2
6.105 Schtzungen der FinanzbehÇrde zur HÇhe des vermeintlichen Steuerschadens und der daraus resultierend mÇglichen Straferwartung dÅrfen nicht ungeprÅft Åbernommen werden. Auch die bernahme von Vermutungen genÅgt nicht.3 Es muss in den GrÅnden der Entscheidung dargelegt sein, dass und warum der Ermittlungsrichter sich von der Richtigkeit des Ergebnisses im Rahmen der Grundstze strafprozessualer Ermittlungen Åberzeugt hat.4 Dies gilt auch bei Haftentscheidungen. Zu Recht wird betont, dass es den gesetzlichen Prmissen zuwider liefe, aus geschtzten Mehreinnahmen auf eine entsprechende SteuerverkÅrzung zu schließen, mit der zu erwartenden hohen Sanktion ohne Weiteres Fluchtgefahr zu begrÅnden und womÇglich eine entsprechend hohe Kaution festzusetzen. Insbesondere die gesetzlich normierte Voraussetzung des dringenden Tatverdachts bedingt eine umso sorgfltigere PrÅfung einer stets mit Unsicherheiten behafteten Schtzung. Die bloße pauschale Bezugnahme auf die „polizeilichen Erkenntnisse“ oder die Anregung der Steuerfahndung zur Beantragung der Untersuchungshaft reicht fÅr die BegrÅndung eines dringenden Tatverdachts keinesfalls aus.5 Gegen das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts und entsprechenden Steueranspruchs kann etwa sprechen, wenn die FinanzbehÇrde trotz Kenntnis aller Umstnde keinen Arrest nach § 324 AO anordnet.6
6.106 Auch aus der bloßen Verletzung von Mitwirkungspflichten im brigen kÇnnen in strafrechtlicher Hinsicht fÅr sich genommen keine nachteiligen SchlÅsse zulasten des Beschuldigten gezogen werden. Andernfalls wÅrde das Selbstbelastungsverbot umgangen. 3. berprÅfung des Verdachtsgrads
6.107 Im Haftbeschwerdeverfahren whrend laufender Hauptverhandlung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschrnktem Umfang der NachprÅfung
1 Unzulssig sind Formulierungen wie: „Er ist dieser Tat dringend verdchtig aufgrund der Feststellungen am Tatort sowie des weiteren polizeilichen Ermittlungsergebnisses.“ 2 Zum Schaden vgl. OLG Brandenburg v. 8.1.1997 – 2 Ws 329/96, StV 1997, 140. 3 OLG Frankfurt v. 18.8.1992 – 1 Ws 144/92, StV 1992, 583. 4 RÅping, wistra 2000, 11 (12) unter Verweis auf BGH v. 4.5.1990 – 3 StR 72/90, NStZ 1990, 496. 5 OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119. 6 OLG Oldenburg v. 26.11.2007 – 1 Ws 554/07, wistra 2008, 119.
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durch das Beschwerdegericht.1 In die Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht kann das Beschwerdegericht nur dann eingreifen und diese durch eine abweichende Entscheidung ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung grob fehlerhaft ist und den dringenden Tatverdacht aus GrÅnden bejaht oder verneint, die in tatschlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind.2
II. Die HaftgrÅnde im Einzelnen Ein Haftgrund besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen: – festgestellt wird, dass der Beschuldigte flÅchtig ist oder sich verborgen hlt, – bei WÅrdigung der Umstnde des Einzelfalls die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder – das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begrÅndet, er werde – Beweismittel vernichten, verndern, beiseite schaffen, unterdrÅcken oder flschen oder – auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverstndige in unlauterer Weise einwirken oder – andere zu solchem Verhalten veranlassen, und wenn deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
6.108
Die HaftgrÅnde sind abschließend. § 112a StPO findet bei der Steuerhinterziehung keine Anwendung. 1. Flucht und Fluchtgefahr Ein Sich-Entziehen ist anzunehmen, wenn der Beschuldigte konkret ein Verhalten zeigt, das den Erfolg hat, dass der Fortgang des Strafverfahrens dauernd oder wenigstens vorÅbergehend durch Aufhebung der Bereitschaft des Beschuldigten verhindert wird, fÅr Ladungen und Vollstreckungsmaßnahmen zur VerfÅgung zu stehen.3 Fluchtgefahr besteht, wenn die WÅrdigung der Umstnde des Falles es wahrscheinlicher machen, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen als dass er sich ihm zur VerfÅgung halten werde. Dabei erfordert die Beurteilung der 1 OLG Stuttgart v. 12.9.2007 – 4 Ws 305/07, juris. 2 OLG Stuttgart v. 12.9.2007 – 4 Ws 305/07, juris; OLG Stuttgart v. 12.10.2006 – 2 Ws 218/2006; OLG ThÅringen v. 4.9.2006 – 1 Ws 304/06; OLG DÅsseldorf v. 8.11.2005 – 1 Ws 233/05; OLG Rostock v. 28.1.2004 – 1 Ws 20/04; OLG Karlsruhe v. 26.9.2000 – 3 Ws 196/00, Die Justiz 2001, 87. 3 BGH v. 4.11.1970 – 4 Ars 43/70, BGHSt 23, 380 (384); OLG DÅsseldorf v. 20.3.1986 – 1 Ws 1102/85 = NJW 1986, 2204; zust. Graf, in KK6, § 112 StPO Rz. 17.
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6.109
Kapitel 6
Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Fluchtgefahr die BerÅcksichtigung aller Umstnde des Falles, insbesondere der Art der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat, seiner PersÇnlichkeit, seiner Lebensverhltnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat.1 Hiervon zu unterscheiden sind sog. Fluchtanreize, d.h. es mÅssen Umstnde vorhanden sein, die die Annahme begrÅnden, der Beschuldigte werde diesen Fluchtanreizen auch erliegen.
6.110 Anhaltspunkte fÅr Fluchtgefahr kÇnnen sein: – – – – –
eine hohe Straferwartung; kein fester Wohnsitz; konkrete Auslandsbeziehungen; Fluchtvorbereitungen; Transfer von Geldern.
6.111 Dagegen sprechen gegen eine Fluchtgefahr folgende Umstnde: – – – – – – –
familire, soziale, wirtschaftliche Bindungen; hohes Alter des Beschuldigten, schlechter Gesundheitszustand; Kautionszahlung; fehlende finanzielle Mittel; ausreichende finanzielle Mittel zur Schadenswiedergutmachung; Wohnsitz im Ausland zur Arbeitsaufnahme;2 RÅckkehr von Auslandsreise trotz Kenntnis des Haftbefehls.3
a) Wohnsitz im Ausland
6.112 Allein der Umstand, dass jemand, ob als Deutscher oder Auslnder, einen weiteren oder seinen ausschließlichen Wohnsitz im Ausland hat, begrÅndet fÅr sich genommen ohne weitere Anhaltspunkte, die die Annahme einer reellen Fluchtgefahr rechtfertigen, (noch) nicht die Anordnung der Untersuchungshaft.4 Dies gilt insbesondere fÅr EU-Auslnder, da andern-
1 OLG Sachsen-Anhalt v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 17, 19. 2 OLG MÅnchen v. 22.2.2002 – 3 Ws 95/02, StV 2002, 205. 3 OLG Hamm v. 27.1.2003 – 2 Ws 19/03, StV 2003, 509 (510); OLG Hamm v. 27.12.2002 – 2 Ws 38/02, StV 2003, 512 (513). 4 Vgl. auch OLG Karlsruhe v. 15.10.1998 – 2 Ws 222/98, StV 1990, 36; OLG KÇln v. 13.3.1998 – 2 Ws 115/98, StV 1998, 269; OLG Naumburg v. 10.10.1996 – 1 Ws 101/96, wistra 1997, 80; OLG KÇln v. 18.3.2005 – 2 Ws 32/05, StV 2006, 25; OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, NStZ 2010, 202; OLG Dresden v. 24.2.2005 – 1 Ws 29/05, StV 2005, 224; OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 2 Ws 183/95, StV 1996, 381; OLG Hamm v. 15.4.2004 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 17a; zum Ganzen auch Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, § 15 Rz. 21, Vor § 68 IRG Rz. 19a; Grau, NStZ 2007, 10; Dahs/Riedel, StV 2003, 416; BÇhm, NStZ 2001, 633; Gercke, StV 2004, 675.
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falls ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorlge.1 Erforderlich sind stets einzelfallbezogene und konkrete Umstnde, aus denen auf eine tatschlich existierende Fluchtgefahr geschlossen werden kann. Bloße Mutmaßungen oder allgemeine BefÅrchtungen genÅgen nicht. Zu berÅcksichtigen sind insbesondere die Art der vorgeworfenen Tat, die PersÇnlichkeit des Beschuldigten, seine Lebensverhltnisse, sein Vorleben und sein Verhalten vor und nach der Tat, wobei ihm Schweigen nicht zum Nachteil gereichen kann. Zur BegrÅndung einer Fluchtgefahr bei einem im Ausland ansssigen Beschuldigten sind konkrete Anhaltspunkte dafÅr erforderlich, dass er sich von dort an einen den StrafverfolgungsbehÇrden unbekannten Ort absetzen oder sich sonst dem Verfahren in Deutschland entziehen wird. Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist in der Person eines Beschuldigten oder ggf. bereits Angeklagten, der sich im Ausland aufhlt, ohne flÅchtig zu sein oder sich dort verborgen zu halten, – trotz einer im Falle einer Verurteilung hohen Straferwartung – nicht gegeben, wenn dieser – durch konkrete Tatsachen belegt – ernsthaft bereit ist, sich dem Verfahren zu stellen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und Ladungen Folge zu leisten.2 Anderes gilt, wenn der Beschuldigte ausdrÅcklich zu erkennen gibt, dass er sich dem Verfahren nicht stellen will.3 Ein rein passives Verhalten genÅgt nicht (Nichtbefolgung einer staatsanwaltlichen Ladung).4
6.113
Auch ein Umzug oder Wegzug aus steuerlichen GrÅnden ins Ausland begrÅndet fÅr sich genommen nicht die Annahme von Fluchtgefahr, wenn sich nicht zugleich nach außen hin der Wille manifestiert, sich dem Strafverfahren auf Dauer zu entziehen.5 Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte von jeher im Ausland ansssig war, dort arbeitet und seinen Wohnsitz auch nicht aufgeben will.6
6.114
Andererseits kommt ggf. die Anordnung von Untersuchungshaft in Betracht, wenn der Beschuldigte nachweislich Gelder ins Ausland transferiert hat, dort Åber gefestigte soziale Bindungen oder Wohneigentum
6.115
1 Gercke, StV 2004, 675; PÅschel, StraFo 2009, 136; a.A. Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, § 15 Rz. 21, Vor § 68 IRG Rz. 19a unter Verweis auf Art. 5 Nr. 3 RbEuHB, wonach die Auslieferung davon abhngig gemacht werden kann, dass eine RÅckÅberstellung zur VerbÅßung einer Freiheitsstrafe erfolgt. 2 OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33. 3 OLG Hamm v. 15.4.2000 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278; OLG Stuttgart v. 11.3.1998 – 1 Ws 28/98, NStZ 1998, 428; abweichend Lagodny, StV 1999, 35. 4 BGH v. 4.11.1970 – 4 Ars 43/70, BGHSt 23, 380 (384); OLG KÇln v. 18.3.2005 – 2 Ws 32/05, StV 2006, 25; abweichend OLG KÇln v. 7.8.2002 – 2 Ws 358/02, NStZ 2003, 219; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33; OLG Hamm v. 15.4.2000 – 2 Ws 111/04, NStZ-RR 2004, 278 mit Anm. Hilger, StV 2005, 33. 5 OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, NStZ 2010, 202. 6 LG Hamburg v. 1.3.2002 – 620 Qs 19/02, StV 2002, 205.
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verfÅgt, von dort keine Auslieferung wegen Steuerhinterziehung erfolgt (z.B. Schweiz).1 b) Straferwartung
6.116 Der BGH hat sich in der jÅngeren Vergangenheit wiederholt zur Frage der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung geußert und die Anforderungen an eine bewhrungsfhige Strafe bei der Hinterziehung hoher Summen erheblich verschrft.2 Allein eine erhebliche Straferwartung trgt die Annahme einer Fluchtgefahr jedoch nicht.3 HierfÅr spricht auch folgende praktische berlegung: Gerade in Steuerstrafsachen ist im Falle einer Verurteilung zu einer nichtbewhrungsfhigen Freiheitsstrafe der sog. offene Vollzug eher die Regel denn die Ausnahme.4 Die damit einhergehenden VorzÅge wÅrde sich der Beschuldigte verspielen, wenn er sich nicht dem Verfahren stellen und aus einer bestehenden Untersuchungshaft heraus den Strafvollzug antreten wÅrde. Die Straferwartung kann nur Ausgangspunkt fÅr die Erwgung sein, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter BerÅcksichtigung aller sonstigen Umstnde so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flÅchtig werden.5 Andererseits ist zu konstatieren, dass nicht alle Staaten in gleichem Umfang Rechtshilfe bei bloßen Steuerstraftaten leisten und mitunter die Auslieferung bei bloßen Fiskaldelikten verweigern, etwa die Schweiz nach Art. 32 ff. IRSG.6
6.117 Im Zusammenhang mit der Frage nach der Auslieferung kommt es immer wieder zu nachteiligen Beraterempfehlungen. Aus der jÅngeren Vergangenheit sind Flle bekannt, in denen dem Beschuldigten die Existenz eines gegen ihn gerichteten Haftbefehls in Deutschland bekannt war und 1 OLG Celle v. 20.3.2009 – 1 Ws 141/09, StraFo 2009, 204; vgl. auch Niemeyer in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 55. 2 BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528; vgl. hierzu Wulf, DStR 2009, 459; Schwedhelm/Talaska, GmbH-StB 2011, 54; TrÅg, IBR 2009, 117; Stahl, KSDI 2009, 531; Bilsdorfer, NJW 2009; Peters, NZWiSt 2012, 201. 3 OLG Sachsen-Anhalt v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; OLG Karlsruhe v. 26.6.2009 – 2 Ws 229/09, wistra 2009, 486; OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33; OLG Celle v. 11.10.1949 – Ws 203/49, NJW 1950, 240; KG v. 17.5.1965 – 1 AR 930/61, NJW 1965, 1390; OLG KÇln v. 21.7.1995 – 1 Ws 23/95, StV 1995, 475; OLG Hamm v. 28.1.2000 – 2 Ws 27/2000, NStZ-RR 2000, 188; OLG Karlsruhe v. 1.3.2004 – 3 Ws 44/04, StV 2005, 33; vgl. auch HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 418. 4 Zu diesem Aspekt auch MÅnchhalffen in FS Rieß, 348 (352). 5 OLG Sachsen-Anhalt v. 2.12.2009 – 1 Ws 789/09, StraFo 2010, 112; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 24. 6 Eine Auslieferung kommt jedoch in Betracht bei „schwerer illegaler persÇnlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern“ und Geldwsche, vgl. Schw. Bundesgericht Lausanne v. 22.12.2005 – 1A.288/05, EuGRZ 2006, 425. In Betracht kommt auch der Erlass eines Europischen Haftbefehls.
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ihm vonseiten der Berater geraten wurde, sich dem Verfahren in Deutschland nicht zu stellen. BegrÅndet wurde dies zumeist damit, dass einem Auslieferungsersuchen, in Unkenntnis der tatschlichen und rechtlichen Voraussetzungen, nur geringe Chancen eingerumt wurde. Stattdessen wurde auf die Unttigkeit und Bequemlichkeit der StrafverfolgungsbehÇrden spekuliert. bersehen wird in diesem Zusammenhang auch gern die MÇglichkeit der Passentziehung (§§ 7, 8 PassG) bei deutschen StaatsbÅrgern, wobei in den meisten Fllen der Entzug des Passes auch durch die auslndischen BehÇrden vollstreckt wird, etwa in Thailand, mit der Folge, dass sich derjenige nunmehr unberechtigt in dem Land aufhlt und ggf. Abschiebehaft droht. In solchen Situationen bietet es sich an, gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Gericht nach LÇsungsmÇglichkeiten zu suchen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr dÅrfte schwerlich zu halten sein, wenn der Beschuldigte sich in Kenntnis des Haftbefehls nach Deutschland begibt und sich dem Verfahren stellt.1 2. Apokryphe HaftgrÅnde im Steuerstrafrecht Von Bedeutung sind auch die sog. apokryphen HaftgrÅnde, d.h. solche HaftgrÅnde, die keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden haben, gleichsam aber vielfach fÅr die Anordnung und Vollziehung der Untersuchungshaft ausschlaggebend sein sollen.2 Der Beantragung und dem Erlass des Untersuchungshaftbefehls werden mitunter folgende unlautere BeweggrÅnde unterstellt: – ErhÇhung oder BegrÅndung einer Gestndnisbereitschaft („U-Haft schafft Rechtskraft“); – FÇrderung der Kooperationsbereitschaft; – Aufbau einer Drohkulisse und Drucksituation, Verleihung von Nachdruck; – Erleichterung der Ermittlungen; – HerbeifÅhrung von Zeugenaussagen, etwa gegen Unternehmensverantwortliche; – Verfahrenssicherung; – ErfÅllung des Çffentlichen und dienstlichen Erwartungsdrucks; – Verbesserung der Karrierechancen; – Erzielung eines vorweggenommenen Schadensausgleichs.
6.118
Die Grundproblematik besteht darin, dass die sog. apokryphen HaftgrÅnde, ihr Vorhandensein arguendi causa unterstellt, (in der Regel) nicht offen Eingang in den Haftbefehlsantrag oder die richterliche Entscheidung fin-
6.119
1 OLG Hamm v. 27.1.2003 – 2 Ws 19/03, StV 2003, 509 (510); OLG Hamm v. 27.12.2002 – 2 Ws 38/02, StV 2003, 512 (513). 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 419; Paeffgen, NJW 1990, 537; MÅnchhalffen, StraFo 1999, 332; ablehnend Lemme, wistra 2004, 288; informativ die Aussagen von Verteidigern und Strafverfolgern bei Theile, wistra 2005, 327; Schwedhelm, BB 2010, 731 (732, 733).
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den; mithin im Rahmen der Beschwerde allenfalls eingeschrnkt zur berprÅfung stehen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird daher im Wesentlichen zwischen Verteidigern, Hochschullehrern und JustizangehÇrigen auf der Basis eigener beruflicher Erfahrung gefÅhrt.1 Wertfrei festzuhalten ist aber, dass ein Verfahren von allen Seiten umso vordringlicher und effektiver betrieben wird, wenn der Beschuldigte in Haft sitzt. Festzuhalten ist auch, dass es seltsam anmutet, wenn Haftbefehle unmittelbar, ggf. noch am Tag der VorfÅhrung, sogleich gegen hohe Kautionen – die im Falle einer rechtskrftigen Steuerfestsetzung dem Fiskus zukommen soll2 – außer Vollzug gesetzt werden oder das Strafverfahren (zeitnah) mit einer Einstellung nach § 153a StPO, einer Geldstrafe, einer Bewhrungsstrafe oder Freiheitsstrafe im mittleren Bereich enden. Die Verteidigung gegen solche HaftgrÅnde ist, mangels ausdrÅcklicher Erwhnung schwerlich mÇglich, sodass der Haftbefehl und die dort aufgefÅhrten HaftgrÅnde insgesamt zur berprÅfung zu stellen sind. 3. Verdunkelungsgefahr
6.120 Die Annahme dieses Haftgrundes setzt ein Verhalten des Beschuldigten voraus, das den dringenden Verdacht begrÅndet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persÇnliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird.3 Da die bloße Gefahr ausreicht, ist eine prognostische Entscheidung zu treffen, wobei die konkrete Handlung nicht eindeutig festgestellt werden muss.4 Verdunklungsgefahr lsst sich nicht allein aus der Eigenart des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts der Steuerhinterziehung ableiten.5 Dies wÅrde zu einer nicht hinnehmbaren gesetzlichen Vermutung fÅhren.6 FÅr die Annahme von Verdunklungsgefahr mÅssen weitere Umstnde hinzukommen, aus denen auf die Gefahr der verdunkelnden Einflussnahme geschlossen werden kann. Dazu sind alle Umstnde des Einzelfalles zu prÅfen. Da die Untersuchungshaft keine Beugehaft ist und der Beschuldigte nicht verpflichtet ist, sich zur Sache einzulassen, darf Verdunkelungsgefahr auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Beschuldigte das Versteck der Beute nicht preisgibt.7 Gleiches muss 1 Vgl. Theile, wistra 2005, 327. 2 Kritisch hierzu MÅnchhalffen in FS Rieß, 348 (354). 3 Vgl. auch BT-Drucks. IV/1020, 2; OLG Hamm v. 6.2.2002 – 2 Ws 27/02, wistra 2002, 236; Niemeyer in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 62 ff.; Park, wistra 2001, 250. 4 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 31. 5 OLG KÇln v. 20.9.1996 – 2 Ws 492/96, StraFo 1997, 28 (29); Niemeyer in MÅllerGugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 55; zum Ganzen auch Dahs in FS DÅnnebier, 234; MÅnchhalffen in FS Rieß, 347; bejahend hingegen noch OLG Koblenz v. 28.1.1976 – 1 Ws 35/76, OLGSt StPO § 112, S. 37; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 30, der jedoch einschrnkend auf die WÅrdigung der konkreten Umstnde der Tat abstellt. 6 OLG Hamm v. 6.2.2002 – 2 Ws 27/02, PStR 2002, 76. 7 OLG Frankfurt v. 26.6.2009 – 1 Ws 58/09, StV 2009, 652.
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gelten, wenn der Beschuldigte seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Auf die sog. fahnderische Erfahrung, dass wer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und sich passiv verhlt, auch Beweismittel manipuliert, kann der Haftbefehl nicht gestÅtzt werden.1 Wie dargelegt, ist ein aktives Einwirken erforderlich, da andernfalls das Selbstbelastungsverbot umgangen wÅrde. Wenn die Verdunkelungshandlungen nicht geeignet sind, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren, darf nach allgemeiner Ansicht die Untersuchungshaft nicht angeordnet, bzw. aufrechterhalten werden.2 Der Haftgrund liegt somit nicht vor, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklrt und die Beweise so gesichert sind, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Beschuldigte unlauter handelt oder berechtigt ist, Åber das Beweismittel zu verfÅgen. Sinn und Zweck der Norm ist die Sicherung des staatlichen Strafanspruchs.
6.121
Verdunkelungsgefahr kann jedoch angezeigt sein, wenn, freilich unter BerÅcksichtigung der jeweiligen Taten und Tatbeitrge, das Gesamtkonstrukt der Tat auf Verdunkelung angelegt ist, etwa bei organisierter Umsatzsteuerhinterziehung, organisierter Kriminalitt im Bereich des Zigarettenschmuggels, bandenmßiger Steuerhinterziehung.
6.122
Im Rahmen der Ermittlung gegen Verantwortliche von Unternehmen und insbesondere bei der mittlerweile standardmßigen Sicherung der EDVAnlage mit elektronischen Daten, insbesondere dem E-Mail-Verkehr kommt in besonderem Maße der Umstand zum Tragen, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfllt, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklrt und die Beweise so gesichert sind, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte.
6.123
III. Verhltnismßigkeit Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO darf die Untersuchungshaft nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhltnis steht.3 Das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass „der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmßigen Freiheitsbeschrnkungen stndig als Korrektiv entgegenzuhalten“ ist.4 Das bedeutet, dass der Eingriff in die Freiheit nur hinzunehmen ist, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen 1 Niemeyer in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 11 Rz. 55; Randt, Steuerfahndungsfall, E 496. 2 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 112 StPO Rz. 35. 3 BVerfG v. 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243. 4 BVerfG v. 28.2.1991 – 2 BvR 86/91 = NJW 1991, 2821; Hervorh. vom Verf.
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6.124
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Gemeinschaft auf vollstndige Aufklrung der Tat und rasche Bestrafung des Tters nicht anders gesichert werden kann.1 Vielfach wird indes moniert, dass Haftbefehle, nicht nur in Steuerstrafsachen, mit leichter Hand gefertigt werden.2
6.125 In jedem Fall ist in besonderem Maße dem Umstand Rechnung zu tragen, dass nicht vorbestrafte, sozial integrierte und ggf. in einem Beschftigungsverhltnis stehende oder selbstndige Ersttter in der Regel besonders haftempfindlich sind. Vor dem Hintergrund der mÇglicherweise weitreichenden Folgen der Untersuchungshaft, etwa in Bezug auf die FortfÅhrung eines Unternehmens, den mÇglichen Verlust des Arbeitsplatzes oder sonstiger negativer Folgen, gilt es in jedem Fall genau zu prÅfen, ob die Anordnung der Untersuchungshaft verhltnismßig ist. Als Alternative zur Untersuchungshaft kommt in geeigneten Fllen die Passentziehung gem. §§ 8, 7 Abs. 1 Nr. 1, 4 PaßG in Betracht. Dies ist bereits dann mÇglich, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begrÅnden, dass sich jemand dem Strafverfahren oder seinen steuerlichen Pflichten entziehen will.
IV. Akteneinsicht 6.126 Anlass zu Auseinandersetzungen bietet im Zusammenhang mit der VorfÅhrung bzw. der Festnahme des Beschuldigten immer wieder die Frage nach der Akteneinsicht des Verteidigers und deren Reichweite.3 Nach der Rechtsprechung des EGMR folgt aus Art. 5 Abs. 4 EMRK ein Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf ein kontradiktorisches Verfahren. Die „Waffengleichheit“ zwischen den Verfahrensbeteiligten muss gewhrleistet sein.4 Daran fehlt es, wenn dem Verteidiger der Zugang zu SchriftstÅcken in der Ermittlungsakte versagt wird, die fÅr die wirksame Anfechtung der Rechtmßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlich sind. Es reicht insoweit nicht aus, den Verteidiger lediglich mÅndlich Åber die in der Akte dokumentierten Tatsachen und Beweismittel zu informieren.
6.127 Der Gesamtzusammenhang der EntscheidungsgrÅnde – insbesondere die Bezugnahme auf eine vorangegangene Entscheidung der Kammer des EGMR – deutet darauf hin, dass nach Auffassung des EGMR Art. 5 Abs. 4 1 BVerfG v. 28.2.1991 – 2 BvR 86/91 = NJW 1991, 2821. 2 Adick, HRRS 2010, 247, unter Verweis auf Quedenfeld/FÅllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen3, 234; Parigger, NStZ 1986, 211 (212); Smok, FD-StrafrR 2010, 296298 („vorschnell unterstellte HaftgrÅnde“); Schwedhelm, BB 2010, 731 (732); MÅnchhalffen in FS Rieß, 346 (360). 3 Zum Ganzen Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 427; BÇrner, Akteneinsicht nach Durchsuchung und Beschlagnahme, NStZ 2007, 680; passim; BÇrner, Grenzen der Akteneinsicht nach Zwangsmaßnahmen, NStZ 2010, 417. 4 Vgl. auch Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 147 StPO Rz. 25a m.w.N.; EUGH v. 9.7.2009 – 11364/03, EuGRZ 2009, 566 (577 f.) Rz. 121, 125 = StV 2010, 490 (491) mit Anm. Pauly.
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H. Untersuchungshaft
EMRK nicht zwingend die Gewhrung von Einsichtnahme in den gesamten Akteninhalt erfordert, sondern nur in die von der StA vorgelegten sowie vom Gericht herangezogenen Teile der Akte, auf die der Verdacht im Wesentlichen gestÅtzt wird.1 Insofern ist jedoch dem nunmehr in § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO normierten Anspruch, Rechnung zu tragen.2 Die Staatsanwaltschaft genÅgt von vornherein dem Gebot, durch Anlegung von Zweitakten oder durch die Bereitstellung der Akte in elektronischer Form, VerzÇgerungen des Verfahrens zu vermeiden.3
V. Außervollzugsetzung des Haftbefehls 1. Allgemeines Der Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, ist gem. § 116 StPO auszusetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begrÅnden, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich – die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der StrafverfolgungsbehÇrde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle (in der Regel eine Polizeistation) zu melden, – die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der StrafverfolgungsbehÇrde zu verlassen, – die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen, – die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.
6.128
Im Steuerstrafrecht wird die Zahlung der Kaution vielfach davon abhngig gemacht, dass diese im Falle einer rechtskrftigen Steuerfestsetzung dem Fiskus zukommen soll.4 Die Gefahr besteht hier darin, Aspekte der Verfahrenssicherung mit solchen der Schadenswidergutmachung zu vermengen. § 116 StPO ist Ausdruck des Verhltnismßigkeitsprinzips und nicht eine MÇglichkeit zu verdeckten RÅckgewinnung. Die Finanzverwaltung verfÅgt Åber ausreichende MÇglichkeiten, den Steueranspruch sicherzustellen. Es dÅrfen keine unzumutbaren Verhaltensanforderungen an
6.129
1 EUGH v. 9.7.2009 – 11364/03, EuGRZ 2009, 566 (577f.) Rz. 121, 125 = StV 2010, 490 (491) mit Anm. Pauly. 2 § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO lautet: Liegen die Voraussetzungen von Satz 1 vor und befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese im Fall der vorlufigen Festnahme beantragt, sind dem Verteidiger die fÅr die Beurteilung der Rechtmßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen in geeigneter Weise zugnglich zu machen; in der Regel ist insoweit Akteneinsicht zu gewhren., vgl. hierzu BT-Drucks. 16/13097, 19. 3 BVerfG v. 10.12.1998 – 2 BvR 1998/98, juris. 4 Kritisch hierzu MÅnchhalffen in FS Rieß, 348 (354).
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den Beschuldigten gestellt werden, bereits Strafcharakter tragen oder sonst ein von den HaftgrÅnden nicht gedeckten Ziel verfolgen.1 Allein der verfahrenssichernde Aspekt ist zu berÅcksichtigen. Dies wird umso deutlicher, je mehr vermeintlicher und tatschlicher Steueranspruch differieren. 2. Außervollzugsetzung und Beschleunigungsgrundsatz
6.130 Der im Recht auf Freiheit der Person verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt nach Ansicht des BVerfG, dass die StrafverfolgungsbehÇrden und Strafgerichte alle mÇglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung Åber die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizufÅhren.2 Denn zur DurchfÅhrung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare VerzÇgerungen verursacht ist.3 Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare VerfahrensverzÇgerungen stehen daher in der Regel der weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.
6.131 Im Rahmen der Abwgung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexitt der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhngig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene PrÅfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zÅgigen Fortgang sind mit steigender Dauer der Untersuchungshaft umso strengere Anforderungen zu stellen.4
6.132 Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 121 StPO zugrunde, der bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat Åber sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmetatbestnde.5 Der Beschleunigungsgrundsatz bean1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 116 StPO Rz. 5; LG Dortmund v. 6.8.1997 – 14 (V) Qs 46/97, juris; OLG Frankfurt v. 18.8.1992 – 1 Ws 144/92, StV 1992, 583. 2 BVerfG v. 14.11.2012 – 2 BvR 1164/12, juris. 3 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 4 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 5 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris; BVerfG v. 24.8.2010 – 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674 (676).
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sprucht auch fÅr das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Selbst wenn das Verfahren etwa aus GrÅnden der Komplexitt der im Raum stehenden wirtschaftlichen Vorgnge erhebliche tatschliche und/oder rechtliche Schwierigkeit aufweist, rechtfertigt dies ein Zuwarten nicht.1Weiter ist grundstzlich durch geeignete Maßnahmen der Gerichtsorganisation Sorge dafÅr zu tragen, dass den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots entsprochen werden kann. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist mithin verletzt, wenn sich das Verfahren infolge vermeidbarer gerichtsorganisatorischer Fehler oder Versumnisse erheblich verzÇgert.2 Es kann nicht der Beschuldigte zu vertreten haben und es ihm zum Nachteil gereichen, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zur Verhandlung gelangt, weil dem Gericht die personellen oder schlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemßen Bewltigung des Geschftsanfalls erforderlich wren.3 Der Gesetzgeber hat sich bewusst fÅr die im Haftrecht normierten kurzen Fristen entschieden und allenthalben wird in der Praxis der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen propagiert. Allein kurzfristige Engpsse sind geeignet eine Haftfortdauer dann zu rechtfertigen, wenn sie nicht oder kaum vorhersehbar und vermeidbar waren.4
6.133
3. Außervollzugsetzung und Hinterziehungsvolumen Auf das Gewicht der in Rede stehenden Straftaten, etwa Hinterziehung von Umsatzsteuer in MillionenhÇhe, kommt es grundstzlich nicht an. Die Anforderungen des Beschleunigungsgebots werden nicht dadurch herabgesetzt, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstrafenerwartung im Raum steht.5 Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung kÇnnen bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden VerfahrensverzÇgerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden.6
6.134
VI. Europischer Haftbefehl Bei dem Europischen Haftbefehl7 handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme 1 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 2 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 3 Vgl. BVerfG v. 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, BVerfGE 36, 264 (273 ff.); BVerfG v. 29.11.2005 – 2 BvR 1737/05, BVerfGK 6, 384 (392). 4 Hilger in LÇwe/Rosenberg26, § 121 StPO Rz. 42. 5 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris. 6 BVerfG v. 4.5.2011 – 2 BvR 2781/10, juris; BVerfG v. 24.8.2010 – 2 BvR 1113/10, EuGRZ 2010, 674 (676). 7 Vgl. Rahmenbeschluss Åber den Europischen Haftbefehl und die bergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHB) v. 13.6.2002, ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002, 1, der zurÅckgeht auf die Schlussfolgerung des Europischen Rates
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und bergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.1 Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses. Dabei handelt es sich nicht um einen eigenen Haftbefehlstyp, sondern vielmehr um ein Fahndungsinstrument, das auf der Anerkennung eines im ersuchenden Staat nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 112 ff. StPO) erlassenen nationalen Haftbefehls beruht.2 Der Europische Haftbefehl ersetzt allein das bisherige (umstndliche) Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der bergabe.
6.136 Ein Europischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im HÇchstmaß von mindestens zwÇlf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate betrgt (Art. 2 Abs. 1 RbEuHB). Bei anderen Straftaten als denen des Abs. 2 kann die bergabe davon abhngig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates darstellen, unabhngig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat (Art. 2 Abs. 4 RbEuHB). Die vollstreckende JustizbehÇrde kann die Vollstreckung des Europischen Haftbefehls gem. Art. 4 RbEuHB verweigern, wenn in einem der in Art. 2 Abs. 4 RbEuHB genannten Flle die Handlung, aufgrund derer der Europische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates keine Straftat darstellt.
6.137 In Steuer-, Zoll- und Whrungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europischen Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaates.
6.138 Der sog. Spezialittsgrundsatz stellt sicher, dass der Auszuliefernde im ersuchenden Staat ausschließlich wegen der Tat strafrechtlich verfolgt und belangt wird, deretwegen die Auslieferung vom ersuchten Staat bewilligt wurde.3 Der dem Spezialittsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umzur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Jahr 2000. 1 Zum Ganzen Hecker, Europisches Strafrecht4, 430 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht3, § 12 Rz. 35 ff.; Pohl, Der europische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europischem Primrrecht, 2009; BÇhm, NJW 2006, 2529; HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 429. 2 Vgl. Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 RbEuHB, ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002, 2; Rosenthal, ZRP 2006, 105; BÇhm, NJW 2006, 2592. 3 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295).
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fasst dabei den gesamten mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestnde erfÅllt haben soll. Im Rahmen dieses historischen Vorgangs sind die Gerichte des ersuchenden Staates jedoch nach Ansicht des BGH nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatschlich zu wÅrdigen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfhigkeit besteht.1 Eine nderung in der Rechtsauffassung berÅhrt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates nicht, etwa wenn eine Verurteilung wegen Einzeltaten statt wegen fortgesetzter Handlungen erfolgt. Das Gleiche gilt, wenn das Strafgesetz spter gendert wird (wie im konkreten Fall durch Aufhebung des Verbrechenstatbestands des § 370a AO), ebenso, wenn der den Haftbefehl erlassende Richter anstatt von Tatmehrheit rechtsfehlerhaft von einer VerknÅpfung der Taten i.S. einer Handlungseinheit ausgegangen ist, sofern die dem Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen dem Auslieferungsersuchen zu entnehmen sind.2 Hinreichend, aber erforderlich ist im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts, dass smtliche zur Aburteilung kommenden Taten nach Art des Delikts (im konkreten Fall Steuerhinterziehung), den betroffenen Steuerarten, den jeweiligen Veranlagungszeitrumen und der Begehungsweise identisch sind mit den im Europischen Haftbefehl umrissenen Teilakten des dort beschriebenen Lebenssachverhalts.3 Der RbEuHB enthlt eine Vielzahl weiterer AblehnungsmÇglichkeiten (Art. 3 Nr. 1, 3 RbEuHB).4 Die JustizbehÇrde des Vollstreckungsstaates lehnt die Vollstreckung des Europischen Haftbefehls ferner u.a. deswegen ab, wenn die Straftat, aufgrund der der Europische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fllt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht fÅr die Verfolgung der Straftat zustndig war. Die Vollstreckung kann versagt werden, wenn keine Straftat vorliegt (Art. 4 Nr. 1 RbEuHB), wenn bereits eine Strafverfolgung im Gange ist (Art. 4 Nr. 2 RbEuHB) oder eine rechtskrftige Verurteilung eines Drittstaates vorliegt (Art. 4 Nr. 5 RbEuHB), die Strafverfolgung- oder Strafvollstreckung verjhrt ist (Art. 4 Nr. 4 RbEuHB). Auch eine RÅckÅberstellung zur Strafvollstreckung kann mit der Auslieferung verknÅpft werden (Art. 5 Nr. 3 RbEuHB).
6.139
FÅr den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts relevant wird diese Frage, wenn die hinterzogenen Steuern in der Vergangenheit Gegenstand
6.140
1 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295), unter Verweis auf BGH v. 22.7.2003 – 5 StR 22/03, NStZ 2003, 684; BGH v. 11.1.2000 – 1 StR 505/99, NStZ-RR 2000, 333; BGH v. 6.3.1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318; BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 177/86, NStZ 1986, 557; Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, § 72 IRG Rz. 20. 2 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295). 3 BGH v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 (295). 4 Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 43.
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einer Steueramnestie waren (vgl. Rz. 4.45). Das gesetzliche PrÅfprogramm bei der Auslieferung Deutscher ist in § 80 IRG normiert.1
I. VermÇgensbeschlagnahme gem. § 290 StPO 6.141 Als Zwangsmittel zur Gestellung eines abwesenden Beschuldigten, gegen den die Çffentliche Klage bereits erhoben ist, kann, wenn VerdachtsgrÅnde vorliegen, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen wÅrden, sein VermÇgen durch Gerichtsbeschluss mit Beschlag belegt werden.2 Der dahinterstehende Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Gestellung des Abwesenden durch Entzug seiner finanziellen Mittel zu erzwingen und auf diesem Wege die DurchfÅhrung der Hauptverhandlung zu ermÇglichen. Die fehlende MÇglichkeit der Auslieferung steht der VermÇgensbeschlagnahme nicht entgegen. Das Gericht entscheidet von Amts wegen oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Der Beschluss ist zu begrÅnden, wobei die abstrakte Bezeichnung der VermÇgensbeschlagnahme genÅgt. Die Bekanntmachung richtet sich nach § 291 StPO, durch VerÇffentlichung im Bundesanzeiger. Mit Bekanntmachung verliert der Angeschuldigte die VerfÅgungsbefugnis (absolutes VerfÅgungsverbot, § 291 StPO). Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn der Abwesende nicht mehr tatverdchtig ist, die ErÇffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, das Verfahren wegen eines Prozesshindernisses eingestellt wird oder der Abwesende nunmehr fÅr das Strafverfahren zu VerfÅgung steht, etwa durch Selbstgestellung, Auslieferung, Verhaftung. Beispiel: A ist wegen Steuerhinterziehung in HÇhe von ca. 1,5 Mio. Euro angeklagt. Noch im Zwischenverfahren setzt er sich angesichts der Rechtsprechung des BGH zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung aus Angst vor einer unbedingten Freiheitsstrafe ins Ausland ab. Das Gericht beschließt die VermÇgensbeschlagnahme und teilt den Beschluss nach VerÇffentlichung dem Betreuungsgericht zur DurchfÅhrung der Abwesenheitspflegschaft (§ 1911 BGB) mit. Der Pfleger stellt das VermÇgen sicher, sodass A hierÅber nicht mehr verfÅgen kann.
J. GrenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung I. EinfÅhrung 6.142 Der hinter den Regelungen zur VermÇgensabschÇpfung bzw. VermÇgenssicherung stehende Sinn und Zweck ist, dass Verbrechen sich letztlich fi-
1 Vgl hierzu Hecker, Europisches Strafrecht4, 442 ff. 2 Zum Ganzen BÇrner, NStZ 2005, 547, zugleich Anm. zu KG v. 14.3.2005 – 5 Ws 585/04.
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J. GrenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung
nanziell nicht lohnen soll und dem Tter die aus der Tat erwachsenen Vorteile nicht verbleiben sollen; selbst wenn das Opfer keine AnsprÅche geltend macht (Auffangrechtserwerb, vgl. § 111i Abs. 5 StPO). Durch strafprozessualen und steuerlichen Arrestregelungen wird sichergestellt, dass sptere Vollstreckungsmaßnahmen, etwa bedingt durch VermÇgensverschiebungen des Beschuldigten, nicht ins Leere laufen. Der Arrest dient nicht der endgÅltigen Befriedigung des Fiskus, sondern nur der einstweiligen Sicherung der VollstreckungsmÇglichkeiten als solche sowie des schnellen, effektiven Zugriffs auf das VermÇgen des Steuerpflichtigen.1
6.143
Die Verfallsvorschriften haben im reinen Steuerstrafrecht kaum praktische Bedeutung, da dem Verletzten (hier dem Fiskus) aus der Tat ein Anspruch auf Zahlung der hinterzogenen Steuern zusteht und daher der Ausschlussgrund des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB eingreift. Bei Steuerstrafverfahren scheidet die Anordnung des strafrechtlichen Verfalls nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB aus. Das VermÇgen des Tters kann indes im Wege des strafrechtlichen Arrestes einstweilen gesichert werden. Ungeachtet des Ausschlusstatbestands nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist eine vorlufige Sicherstellung von VermÇgenswerten als Wertersatz zugunsten des Fiskus als Verletztem nach § 111b Abs. 2, 5 StPO als sog. RÅckgewinnungshilfe zulssig. Der Steuerfiskus ist insoweit Verletzter.2
6.144
II. Anordnung des dinglichen Arrests Die Anordnung des dinglichen Arrests ist ein selbstndiger Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO, der die Feststellung enthlt, dass mit Åberwiegender Wahrscheinlichkeit ein Geldanspruch besteht, fÅr den ein SicherungsbedÅrfnis gegeben ist.3 rtlich und sachlich zustndig ist gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO die FinanzbehÇrde, die fÅr die Festsetzung des zu sichernden Anspruchs zustndig wre. Zustndig fÅr die Vollziehung der Arrestanordnung ist die Vollstreckungsstelle des Veranlagungsfinanzamtes.
6.145
Die Anordnung des Arrests liegt im pflichtgemßen Ermessen der FinanzbehÇrde. Nach herrschender Meinung bedarf das Entschließungsermessen keiner besonderen BegrÅndung, da es sich insoweit nur um ein eingeschrnktes Ermessen, in Form des sog. intendierten Ermessens handelt.4 Bei mehreren Schuldnern bedarf es einer BegrÅndung des Auswahlermessens nur dann, wenn die Anordnung nicht gegen alle erfolgen soll, die die Voraussetzungen des § 324 AO erfÅllen.
6.146
1 BFH v. 25.4.1995 – VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037. 2 BGH v. 28.11.2000 – 5 StR 371/00, wistra 2001, 96, 97; Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 48. 3 Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 3 m.w.N. 4 FG Saarland v. 1.3.2005 – 1 K 246/04; Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 3 m.w.N.
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III. Arrestschuldner 6.147 Arrestschuldner kann jeder Vollstreckungsschuldner sein, d.h. neben dem Steuerschuldner auch eine Person, die fÅr eine Steuer haftet oder verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden.
IV. Arrestanspruch 6.148 Der zu sichernde Anspruch muss gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO auf eine sich aus den Steuergesetzen ergebende Geldforderung gerichtet sein. Dabei handelt es sich vor allem um AnsprÅche aus dem Steuerschuldverhltnis i.S. des § 37 AO, also um Steuern (§ 3 Abs. 1 AO), steuerliche Nebenleistungen, HaftungsansprÅche, AnsprÅche auf RÅckgewhr unberechtigt erfÅllter AnsprÅche aus dem Steuerschuldverhltnis nach § 37 Abs. 2 AO und AnsprÅche auf Duldung der Befriedigung aus einem Gegenstand wegen eines Geldanspruchs aus einem Steuerschuldverhltnis.
6.149 Die Arrestanordnung hat die Bezeichnung der zu sichernden Geldforderung jeweils nach Steuerart, SteuerhÇhe und Besteuerungszeitraum zu enthalten, ggf. mit der Folge der Nichtigkeit1 (Konkretisierungsgebot der §§ 119 Abs. 1, 157 AO).
6.150 Die fÅr den steuerlichen Arrest erforderliche Wahrscheinlichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der Sachverhalt, auf dessen Grundlage der Arrestanspruch schlÅssig wre, wahr zu sein scheint. Davon kann ausgegangen werden, wenn nach Abwgung aller Umstnde mehr GrÅnde fÅr als gegen das Bestehen des in der Arrestanordnung bezeichneten Anspruchs bestehen.2
V. Arrestgrund 6.151 Der steuerliche Arrest kann gem. § 324 Abs. 1 Satz 1 AO angeordnet werden, wenn ernsthaft zu befÅrchten ist, dass die Beitreibung der Steuerschuld ansonsten vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Umstnde in ihrer Gesamtheit geeignet sind, bei der FinanzbehÇrde bei ruhiger und vernÅnftiger Abwgung die Besorgnis aufkommen zu lassen, dass ohne die Arrestanordnung der Anspruch nicht verwirklicht werden kÇnnte.3 FÅr die Annahme eines Arrestgrundes genÅgt eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Er muss nicht zur vol1 Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 36 m.w.N. 2 FG Hamburg v. 6.9.1999 – IV 86/99, juris; FG Hessen v. 10.1.1996 – 6 K 1804/90, EFG 1996, 414; FG Baden-WÅrttemberg v. 18.12.1989 – IX K 243/89, EFG 1990, 507, 511; Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 24. 3 BFH v. 13.12.1962 – IV 410/58, HFR 1963, 222; BFH v. 25.4.1995 – VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037; BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BFHE 194, 40 = DStR 2001, 464.
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J. GrenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung
len berzeugung feststehen, sondern eine Mutmaßung des Geschehensablaufs reicht aus.1 Der Arrestgrund ergibt sich in der Praxis zumeist aus einem in der Gesamtschau aller Umstnde zu beurteilenden Verhalten des Arrestschuldners, das den bestehenden Zustand des pfndbaren VermÇgens verndert, wodurch die VollstreckungsmÇglichkeiten der FinanzbehÇrde vereitelt werden kÇnnten.2 – Verschieben von VermÇgenswerten auf eine andere Personen; – Verschleuderung von VermÇgenswerten durch den Steuerpflichtigen oder bertragungen auf nahe AngehÇrige; – einseitige BegÅnstigung eines Glubigers; – beabsichtigte Belastung des einzigen noch zur VerfÅgung stehenden Wertgegenstandes bis zur Wertgrenze; – die Verußerung von Grundbesitz; – Einbringung eines wesentlichen Teils des unbelasteten inlndischen Grundbesitzes in eine KG; – die Beseitigung von Geschftsunterlagen ; – Verschwendungssucht; – nachhaltige Schmlerung des BetriebsvermÇgens durch die Einbuchung von Scheinrechnungen; – Wegschaffen von VermÇgen ins Ausland; – mutwillige Verletzung der Mitwirkungspflichten.
6.152
Die VermÇgensverlagerung ins Ausland kann ebenso wie die VermÇgensumschichtungen im Inland einen Arrestgrund abgeben. So kann eine wesentliche Erschwerung der Vollstreckung vorliegen, wenn ein spteres Leistungsgebot im Ausland vollstreckt werden mÅsste, falls nicht durch Arrestanordnung im Inland die Beitreibung gesichert war.3 DemgegenÅber vermag die allgemein schlechte VermÇgenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße MÇglichkeit, dass der Arrestschuldner sein VermÇgen beiseiteschaffen kÇnnte, fÅr sich genommen keinen Arrest zu rechtfertigen. Ebenso genÅgt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlssigkeit fÅr sich allein nicht zur BegrÅndung einer Arrestanordnung.
6.153
Nicht ausreichend sind: – MÇglichkeit des Verbrauchs oder schlechte VermÇgensverhltnisse; – bloßer Verdacht der Steuerhinterziehung; – Auslandskontake; – Rangwahrung;
6.154
1 FG Saarland v. 3.12.2003 – 1 K 35/03, EFG 2004, 242; vgl. auch FG Hamburg v. 6.9.1999 – IV 86/99, juris; Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 27. 2 Kruse in T/K, § 324 AO Rz. 14 m.w.N. 3 BFH v. 26.2.2001 – VII B 265/00, BFHE 194, 40 = DStR 2001, 464.
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
– Verlegung des Geschftssitzes; – Nichtabgabe von Steuererklrungen. Zum grenzÅberschreitenden Arrest s. Rz. 9.213-9.225.
K. Abschluss des Verfahrens 6.155 Hinsichtlich des Abschlusses des Verfahrens in den Fllen des Internationalen Steuerstrafrechts gelten keine gravierenden Besonderheiten gegenÅber rein inlndisch gefÅhrten Strafverfahren. Neben den MÇglichkeiten der Verfahrenseinstellung nach § 153c StPO gilt es, womÇgliche Verurteilungen im Ausland im Auge zu behalten und ggf. nach § 170 Abs. 2 StPO oder § 154 StPO zu verfahren, etwa im Hinblick auf bereits erfolgte auslndische oder inlndische Aburteilungen (vgl. hierzu Rz. 4.1 f.).
L. Exkurs: Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren Literatur: Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht – Mitwirkungspflichten und Informationshilfe im Lichte des verfassungsdirigierten Leitbildes des Untersuchungsgrundsatzes, 2009; MÇllenbeck, Das Verhltnis der EG-Amtshilfe zu den erweiterten Mitwirkungspflichten bei internationalen Steuerfllen, 2010; Schaumburg/Schaumburg, GrenzÅberschreitende Sachaufklrung, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, 2011, 369; Schilcher, Grenzen der Mitwirkungspflichten im Lichte des Gemeinschaftsrechts, 2010.
I. Vorbemerkung 6.156 Die Frage nach dem Vorliegen einer Steuerhinterziehung wird auch im finanzgerichtlichen Verfahren relevant. Insbesondere bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten steht vielfach die Frage im Raum, ob und bejahendenfalls ab wann eine Steuerhinterziehung per se und wann eine Steuerhinterziehung aufgrund der Verletzung einer der vielfltigen erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten angenommen werden kann.
6.157 Im Gegensatz zum Strafverfahren ist der Steuerpflichtige im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zum Schweigen berechtigt, sondern es obliegen ihm eine Vielzahl steuerlicher Mitwirkungspflichten, die es zu erfÅllen gilt. Grundstzlich entscheidet das Finanzgericht Åber das Vorliegen einer Steuerhinterziehung nach seiner freien berzeugung (§ 96 Abs. 1
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L. Exkurs: Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren
Satz 1 FGO). Die §§ 158, 160, 162 AO gelten sinngemß.1 Erschwerend kommt hinzu, dass das Finanzgericht dabei nichts stets auf die Ergebnisse des Strafverfahrens, etwa ein Strafurteil, Bezug nehmen kann (vgl. §§ 81, 82 FGO i.V.m. § 415 ZPO),2 etwa wenn die Beteiligten substanziierte Einwnde gegen die Feststellungen erheben oder der verfahrensbeendenden Entscheidung keine oder keine tragfhige Sachverhaltsfeststellung zugrunde liegt.3 Umgekehrt kann die Entscheidung des Finanzgerichts Konsequenzen zeitigen, wenn das Strafverfahren nach § 396 AO ausgesetzt ist.
II. Grundstze der bisherigen BFH-Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung des Großen Senats sind die strafrechtlichen Voraussetzungen im finanzgerichtlichen Verfahren nach dem im Besteuerungsverfahren geltenden allgemeinen Grundstzen festzustellen.4 Hierbei ist zwischen dem Beweismaß und der objektiven Beweislast zu unterscheiden. Das Beweismaß betrifft die Frage, ab welchem Grad der persÇnlichen berzeugung der Richter bzw. Finanzbeamten das Vorliegen einer bestimmten Tatsache der Rechtsanwendung zugrunde legen darf. Die objektive Beweislast betrifft hierbei die nachgelagerte Frage, zu wessen Ungunsten die Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache zu werten ist. In seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1979 Åber das anzulegende Beweismaß und die geltende Beweislastverteilung hat der BFH entschieden, dass fÅr das Beweismaß allein die Vorschriften des Steuerverfahrensrechts Anwendung finden.
6.158
Der BFH geht seitdem in stndiger Rechtsprechung davon aus, dass fÅr die von Amts wegen erforderliche Feststellung der Steuerhinterziehung kein hÇheres Maß an Gewissheit erforderlich sei, als fÅr die Feststellung anderer Tatsachen im Besteuerungsverfahren.5 Im Hinblick auf das Beweismaß sollten demnach fÅr die Feststellung der Hinterziehungstat im Grundsatz keinerlei Besonderheiten gelten.
6.159
Die objektive Beweislast („Feststellungslast“) fÅr alle den Steueranspruch begrÅndenden Tatsachen trgt hingegen die FinanzbehÇrde. Dies gilt auch fÅr das Vorliegen der Voraussetzungen von § 370 AO. Soweit das Vorliegen einer Steuerhinterziehung Voraussetzung fÅr die Geltendmachung
6.160
1 Zum Ganzen auch Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz3, 179; Seer in T/L21, § 21 Rz. 172 ff. 2 BFH v. 23.1.1985 – I R 30/81, BStBl. II 1985, 305. 3 Zu denken ist an Einstellungen nach den §§ 153, 153a StPO oder ausgehandelte Strafbefehle bzw. im Termin rechtskrftig gewordene Urteile. 4 BFH v. 5.3.1979 – GrS 5/77, BFHE 127, 140 (145) = BStBl. II 1979, 570 (573); BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BFHE 215, 66; BFH v. 18.6.2013 – VIII B 92/11, BFH/NV 2013, 1448; BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195; FG Hamburg v. 20.6.2013 – 3 V 69/13, NZWiSt 2014, 37. 5 BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84; BFH v. 14.8.1991 – X R 86/88.
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
steuerlicher ZahlungsansprÅche ist, etwa in Fllen der erweiterten Festsetzungsverjhrungsfrist, trgt die FinanzbehÇrde das Risiko der Nicht-Erweislichkeit der zugrunde liegenden strafrechtlichen Voraussetzung. Der Große Senat des BFH hat dies ausdrÅcklich betont und damit begrÅndet, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden sei.1 Unsicherheiten in der Feststellung des relevanten Sachverhalts wirken sich danach zuungunsten der FinanzbehÇrde aus.
6.161 Problematisch ist dies jedoch dann, wenn eine Beweiserleichterung zugunsten der BehÇrde eingreift. Hierbei ist umstritten, ob derartige Beweiserleichterungen auch dann gelten, wenn in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Nachweis einer Steuerhinterziehung zu erbringen ist. In diesen Fllen tritt der In-dubio-pro-reo-Grundsatz in Widerspruch zu den Vorschriften der AO bzw. FGO. Nach teilweise vertretener Ansicht finden steuerliche Beweiserleichterungen wegen der Geltung des strafrechtlichen Zweifelsgrundsatzes keine Anwendung.2
6.162 Nach der Rechtsprechung des BFH kann sich fÅr den Steuerpflichtigen eine objektive Beweislast fÅr steuerbegrÅndende Umstnde aus der Verletzung von Mitwirkungspflichten ergeben.3 Die Nichterweislichkeit der steuererheblichen Tatsachen wirkt sich in diesen Fllen zu seinen Ungunsten aus. Soweit der verfahrensrechtliche Vorwurf der Steuerhinterziehung hierauf aufbaut, tritt die steuerliche Beweislastverteilung in Widerspruch zu der vom BFH anerkannten Geltung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes.4
6.163 Hinsichtlich des Beweismaßes soll der In-dubio-pro-reo-Grundsatz nach der Ausgangsentscheidung des Großen Senats ohne Auswirkung bleiben. In Fllen der Schtzung nach § 162 AO reduziert sich die erforderliche richterliche berzeugung auf das Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Gleiches gilt fÅr andere Flle der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen oder Flle der Beweiserleichterung. Da die Unschuldsvermutung jeweils die volle berzeugung des Richters vom Vorliegen der Tatsache erfordert, wirkt sich die In-dubio-pro-reo-Regel auch auf das anzuwendende Beweismaß und damit auf das Ergebnis der BeweiswÅrdigung selbst aus.
1 BFH v. 5.3.1979 – GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl. II 1979, 570, unter C.II.1. der GrÅnde; BFH v. 21.10.1988 – III R 194/84, BFHE 155, 232 (237) = BStBl. II 1989, 216 (219); BFH v. 14.8.1991 – X R 86/88, BFHE 165, 458 = BStBl. II 1992, 128; BFH v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BFHE 165, 330 = BStBl. II 1992, 9; BFH v. 4.3.1999 – II B 52/98, BFH/NV 1999, 1185. 2 Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2049). 3 BFH v. 5.11.12970 – V R 71/67. 4 FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398.
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III. Einschrnkende berlegungen Die Regelung des § 90 Abs. 2 AO beinhaltet eine besondere Aufklrungspflicht, die systematisch eine Einschrnkung der Ermittlungspflicht des Finanzamts und eine Beschrnkung des Beweismaßes im Finanzgerichtsprozess bewirkt. In dieser Folge kann ein Sachverhalt, welcher sich zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirkt und fÅr den nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Dies zeigt, dass § 90 Abs. 2 AO in den Bereichen keine Anwendung finden kann, die nach der Rechtsprechung des BFH dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz unterliegen. Die Reduzierung des Beweismaßes auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit steht in Widerspruch zu den Grundstzen des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes. Das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerhinterziehung muss vielmehr zur vollen berzeugung des Gerichts feststehen. Die mangelnde Mitwirkung des Steuerpflichtigen kann als Element der BeweiswÅrdigung herangezogen werden. § 90 Abs. 2 AO befreit das Gericht indes nicht von der Pflicht zur zweifelsfreien Feststellung des strafbegrÅndenden Sachverhalts.1
6.164
Sind auch die Grundstze fÅr eine Feststellung der Steuerhinterziehung weitestgehend geklrt, kommt es dennoch insbesondere bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten regelmßig auf die Frage an, ob der Nachweis einer Steuerhinterziehung mit ausreichender Sicherheit gefÅhrt worden ist und ob dem Steuerpflichtigen eine Mitwirkungspflichtverletzung nachteilig angelastet werden kann. Die Rechtsprechung ist dabei insbesondere in Grenzfllen bisweilen kasuistisch. Grundstzlich gilt jedoch, dass die subjektiven und objektiven Voraussetzungen der Steuerhinterziehung dem Grunde nach auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten stets mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkei festzustellen sind; auch bei der Verletzung sog. erweiterter Mitwirkungspflichten bei internationen Steuerpflichten gem. § 90 Abs. 2 AO.2
6.165
Erlangt das Finanzamt beispielsweise die Informationen Åber eine angebliche Geldanlage eines deutschen Anlegers bei einer auslndischen Bank aus einem kriminellen Umfeld (Rotlichtmilieu) und unternimmt das Finanzamt keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen, die die Existenz einer Geschftsbeziehung zu dieser Bank beweisen, lsst sich allein aus der Verlagerung des Wohnsitzes und der Mitnahme des VermÇgens in die Schweiz nicht auf die Absicht zur Steuerhinterziehung schließen.3 Bei anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland setzt die Feststellung einer Steuerhinterziehung voraus, dass der jeweilige Inhaber des ins Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Ertrge erzielt hat, welche der
1 Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 (2051). 2 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BFHE 215, 66; BFH v. 18.6.2013 – VIII B 92/11, BFH/NV 2013, 1448; BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195; FG Hamburg v. 20.6.2013 – 3 V 69/13, NZWiSt 2014, 37. 3 FG Rheinland-Pfalz v. 14.12.2011 – 2 K 1427/11, NZWiSt 2012, 398.
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Ablauf des internationalen Steuerstrafverfahrens
Besteuerung im Inland unterlagen und dadurch Steuern hinterzogen wurden.1 Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass, wer Kapital (anonym) ins Ausland verbringt, daraufhin in der Steuererklrung unrichtige oder unvollstndige Angaben hinsichtlich der erzielten Ertrge macht, wird durch den BFH abgelehnt.2
1 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195. 2 BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFHE 240, 195.
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3. Teil Internationale Amts- und Rechtshilfe Kapitel 7 berblick Åber die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum EUAHiG, zu § 117 AO, Art. 26 OECD-MA und zum MA-InfAust (TIEA-MA); Bilsdorfer, Die Informationsquellen und -wege der Finanzverwaltung, 5. Aufl. Bielefeld 2002; Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. KÇln 2011, § 9 Rz. 1 ff.; Carl/Clos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, Herne/Berlin 1995; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, KÇln 1987; GrÅtzner/PÇtz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (Loseblatt), Heidelberg; Hackner in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 4. Aufl. MÅnchen 2014, 1521 ff.; Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, MÅnchen 2003; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004; Holoubeck/Lang, Verfahren der Zusammenarbeit von VerwaltungsbehÇrden in Europa, Wien 2012; Ipsen, VÇlkerrecht, 6. Aufl. MÅnchen 2014; Lagodny in Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europisches Strafrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 2014, 547 ff.; Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011; Lohr, Das internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, Wien 1993; Popp, GrundzÅge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, MÅnchen 2001; RÅbenstahl/Adick in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, KÇln 2013, 1154 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.53 ff.; Scheller, Ermchtigungsgrundlagen fÅr die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekmpfung, Freiburg 1997; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, KÇln 2015, Rz. 20.1 ff.; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. MÅnchen 2012; Stahlschmidt/Laws, Handbuch des Auskunftsverkehrs in Steuersachen, Berlin 2009; Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht, 13. Aufl. MÅnchen 2012; Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht, 3. Aufl. Berlin 1984;
Whrend im Zuge der fortschreitenden Internationalisierung insbesondere Unternehmen und Privatpersonen im geschftlichen und privaten Umfeld weltweit operieren, endet im Grundsatz die Ttigkeit der Finanzund StrafverfolgungsbehÇrden aus GrÅnden des VÇlkerrechts an den nationalstaatlichen Grenzen.1 Zu den vÇlkerrechtlich garantierten Rechtspositionen eines Staates2 gehÇrt auch dessen Anspruch darauf, dass jeder andere Staat seine Gebietshoheit respektiert3 mit der Folge, dass ein Staat 1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.53 ff. 2 Hierzu Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 534 ff. 3 Hierzu Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 537.
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7.1
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berblick Åber die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe
auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung keine Hoheitsakte setzen darf.1 Hieraus folgt das grundstzliche Verbot, auf fremden Hoheitsgebiet AußenprÅfungen, Fahndungsmaßnahmen oder sonstige steuerliche oder strafrechtliche Ermittlungen oder Sachaufklrungsmaßnahmen durchzufÅhren.2 Hierbei spielt es keine Rolle, ob zu entsprechenden Ermittlungen beauftragte Personen tatschlich (physisch) auf fremdem Hoheitsgebiet ttig werden. Entscheidend ist allein, ob fremdes Hoheitsgebiet betroffen ist, sodass z.B. Online-Durchsuchungen auf auslndischen Servern unzulssig sind.3 Damit ergibt sich eine Divergenz zwischen den vÇlkerrechtlichen Schrankenwirkungen einerseits (formelle Territorialitt) und dem steuerlichen Welteinkommensprinzip (Rz. 13.10) und dem strafrechtlichen Weltrechtsprinzip (materielle Universalitt; Rz. 3.19) andererseits.4 Im Bereich des Steuerrechts korrespondiert mit der Sachaufklrungspflicht der FinanzbehÇrden (§ 88 AO) zwar eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen.5 Dies gilt aber nicht fÅr das Strafrecht,6 sodass sich wegen des prinzipiellen Ermittlungsverbots im Ausland ein Ungleichgewicht zwischen Sachaufklrung im Inland einerseits und Sachaufklrung im Ausland andererseits ergibt. Im Hinblick darauf hat der internationale Informationsaustausch durch Amts- und Rechtshilfe7 in der Praxis eine besondere Bedeutung. Das gilt fÅr die Ermittlung in Steuer- und (Steuer-)Strafsachen gleichermaßen. Ein derartiger internationaler Informationsaustausch, also die Inanspruchnahme und Gewhrung von Amts- und Rechtshilfe, ist nur auf gesetzlicher Grundlage zulssig; dies deshalb, weil in beiden Fllen Informationen weitergegeben werden, die einen Grundrechtseingriff insbesondere in das Recht auf informatio-
1 BVerfG v. 22.3.1983 – 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343 (373); BFH v. 11.2.1959 – II 15/58 U, BStBl. III 1959, 181; Verdross/Simma, Universelles VÇlkerrecht3, 277; Stein/von Buttlar, VÇlkerrecht13, Rz. 537 ff.; Epping in Ipsen, VÇlkerrecht6, § 5 Rz. 60; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 2. 2 Hierzu Herrmann/Soin, NJW 2011, 2922 ff. (2925); Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 ff. 3 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 282 ff.; Gercke, StraFO 2009, 271; Beyer, AO-StB 2013, 29 ff.; zulssig ist dagegen ein Sammelauskunftsersuchen gegen einen inlndischen Betreiber einer Internethandelsplattform, wenn die geforderten Daten auf einem auslndischen Server gespeichert sind und der inlndische Betreiber hierauf einen tatschlichen Zugriff hat; BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, IStR 2013, 794. 4 Seer in FS Schaumburg, 2009, 151 f. 5 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.7 ff., ferner Rz. 14.1 ff. 6 Vgl. §§ 135 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 3, 4 StPO. 7 In der uneinheitlichen steuerrechtlichen Terminologie und in der strafrechtlichen Terminologie ist grenzÅberschreitend zumeist von Rechtshilfe und innerstaatlich von Amtshilfe die Rede; vgl. Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 2; Amtshilfe ist die Hilfe, die eine BehÇrde einer anderen BehÇrde gewhrt und Rechtshilfe die UnterstÅtzung von Gerichten; hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 5.
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berblick Åber die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe
nelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zur Folge haben.1 Die Befugnis zur Amts- und Rechtshilfe, d.h. also das rechtliche DÅrfen, leitet sich aus deutschem Recht ab, ohne dass hieraus ein Anspruch gegenÅber dritten Staaten erwchst. Ein derartiger Anspruch auf Auskunftserteilung ergibt sich allerdings aufgrund supranationalen Rechts sowie aus zahlreichen vÇlkerrechtlichen Vertrgen. Damit steht jedweder internationaler Informationsaustausch unter Gesetzesvorbehalt.2 Im Steuerstrafrecht vollzieht sich der internationale Informationsaustausch zweispurig, und zwar als Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen3 und in Steuersachen4. Einschrnkungen ergeben sich allerdings in den Fllen, in denen ausdrÅcklich der Informationsaustausch auf bestimmte Sachbereiche begrenzt ist. Die Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen erfolgt durchweg im Rahmen globaler, europischer oder bilateraler Kooperationen. Auf der Grundlage der hierfÅr in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen wird in der Praxis zumeist Vollstreckungshilfe, Auslieferungsbzw. Durchlieferungshilfe oder sonstige Amts- und Rechtshilfe geleistet.5
7.2
Die auf die internationale Amts- und Rechtshilfe gerichteten Rechtsgrundlagen sind in zahlreichen multilateralen und bilateralen Vertrgen sowie in innerstaatlichen Rechtsnormen verankert.6 Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind nicht aufeinander abgestimmt und Åberschneiden sich in vielfltiger Weise, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen. Hieraus folgt, dass sich etwa die ErmittlungsbehÇrden bei der Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe grundstzlich auf diejenige mit der grÇßten Reichweite stÅtzen kÇnnen (zu diesem Prinzip der MeistbegÅnstigung Rz. 8.5). Soweit sich dagegen die fÅr die Gewhrung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe maßgeblichen Rechtsgrundlagen Åberlagern, gelten jeweils diejenigen Schrankenwirkungen – etwa Geheimnisschutz7 –, die die grÇßte Reichweite zugunsten der Betroffenen entfalten8 (vgl. auch Rz. 8.5).
7.3
1 Hierzu Scheller, Ermchtigungsgrundlagen fÅr die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekmpfung, Freiburg 1997, 204 ff.; 230 ff. 2 Zu Einzelheiten Lagodny in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 31 Rz. 20 ff. 3 I.S. von „strafrechtlichen Angelegenheiten“ gem. § 1 Abs. 2 IRG. 4 Hierzu gehÇren auch Steuerstrafrecht und Steuerordnungswidrigkeitenrecht. 5 Hierzu Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rz. 54 ff. 6 Lagodny in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 31 Rz. 9, spricht von einem „Normenchaos“ und Carl/Klos, SteuerStud 1993, 5 ff. (5) von „Rechtswirrwarr“; vgl. den berblick im Schreiben des BMF v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen). 7 Vgl. im Steuerrecht etwa die Sonderregelung in den deutschen Abkommen bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 113, 117. 8 Vgl. zum Steuerrecht Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.69, 19.74.
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7.4 Zu den multilateralen Vertrgen gehÇren insbesondere die verschiedenen bereinkommen des Europarates,1 etwa – das Europische AuslieferungsÅbereinkommen von 13.12.1957 (EuAlbk), das durch zwei Zusatzprotokolle vom 15.10.1975 und vom 17.3.1978 und vom 7.11.2001 ergnzt worden ist,2 – das Europische RechtshilfeÅbereinkommen vom 20.4.1959 (EuRhbk), ergnzt durch ein Zusatzprotokoll vom 17.3.19783 und vom 8.11.20014, – das Europische berstellungsabkommen vom 21.3.1983 (berstbk) mit Zusatzprotokoll vom 18.12.19975 und – das Europische Geldwsche-bereinkommen vom 8.11.1990 (EuGeldwschebk)6.
7.5 Auf der Ebene der EU sind ferner folgende multilaterale Vertrge von Bedeutung:7 – EU-AuslieferungsÅbereinkommen vom 27.9.1996 (EUA)8, – das EU-bereinkommen Åber das vereinfachte Auslieferungsverfahren vom 10.3.1995 (EU-VereinfAuslbk)9, – das EU-bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union vom 29.5.2000 (EURhbk)10 samt Zusatzprotokoll vom 16.10.2011 (ZP-EURhbk)11 und – das bereinkommen Åber Computerkriminalitt vom 23.11.2001 (Cybercrbk).12
7.6 FÅr den Bereich der VerhÅtung von Steuerstrafsachen enthlt der Rahmenbeschluss 2006/960/JI (EU)13 eine spezielle Rechtsgrundlage, aufgrund
1 Nunmehr weitgehend ersetzt durch die Richtlinie Åber die Europische Ermittlungsanordnung (RL EEA) v. 14.3.2014; vgl. zu Einzelheiten Rz. 9.185 ff. 2 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1990, 118; das erste Zusatzprotokoll ist von Deutschland nicht ratifiziert worden. 3 BGBl. II 1990, 124. 4 SEV-Nr. 182 (von Deutschland bisher nicht ratifiziert). 5 BGBl. II 1991, 1006; BGBl. II 2002, 2866. 6 BGBl. II 1998, 519. 7 Vgl. nunmehr die Richtlinie Åber die Europische Ermittlungsanordnung (RL EEA) v. 14.3.2014; hierzu Rz. 9.185 ff. 8 ABl. EG 1996 Nr. C 313, 11. 9 ABl. EG 1995 Nr. C 78, 2. 10 ABl. EU 2000 Nr. C 197, 1; BGBl. II 2005, 650. 11 ABl. EU Nr. C 325 v. 21.11.2011. 12 BGBl. II 2008, 1242. 13 Rahmenbeschluss 2006/960/Jl des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union (ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89 und ABl. EU Nr. L 75 v. 15.3.2007, 26); sog. Schwedische Initiative.
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deren z.B. in Deutschland die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der FinanzbehÇrden personenbezogene Daten an andere EU-Mitgliedstaaten1 Åbermitteln dÅrfen.2 FÅr die sog. Schengen Staaten gilt das Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen vom 19.6.1990 (SD)3, das insbesondere Vereinbarungen Åber das Schengener Informationssystem (SIS) enthlt. FÅr die Zusammenarbeit in Strafsachen sind relevant das Europische Amt fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF),4 das Europische Justizielle Netz (EJN),5 die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)6, Eurojust7, das Europische Polizeiamt (Europol)8und schließlich als weltumspannende Kooperationsform Interpol.9
7.7
Auf zwischenstaatliche auf Rechtshilfe gerichtete bilaterale Vertrge sind schließlich mit zahlreichen Drittstaaten geschlossen worden. Sie betreffen durchweg Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen, die entweder von Deutschland selbst oder aber von der EU abgeschlossen worden sind.10 Soweit keine vÇlkerrechtlichen Vereinbarungen eingreifen, ist Rechtsgrundlage fÅr die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten das IRG.11
7.8
FÅr den Bereich des Steuerrechts erfolgt die Amts- und Rechtshilfe12 innerhalb der EU im Wesentlichen auf europarechtlicher Grundlage, und zwar aufgrund
7.9
1 Zustzlich auch an Schengen-assoziierte Staaten i.S. von § 91 Abs. 3 IRG: Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Island. 2 Umgesetzt in Deutschland durch §§ 117a, 117b AO; vgl. gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden der Lnder hierzu v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; Beyer, AO-StB 2013, 351; ferner Rz. 9.147 ff. 3 BGBl. II 1993, 1013; vgl. zum Anwendungsbereich BMF, Schr. v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698, Tz. 1.2.3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen). 4 Office de la Anti-Fraude; Art. 325 Abs. 4 AEUV; ABl. EG 1999 Nr. L 136, 20 ff.; Art. 3 VO (EG) 1073/1999, ABl. EG 1999 Nr. L 136, 1-7. 5 ABl. EU 2008 Nr. L 348, 130. 6 Art. 29–42 EUV a.F; Art. 87 AEUV. 7 Art. 85 AEUV; ABl. EU 2009, Nr. L 138, 14. 8 Art. 88 AEUV; EuropolÅbereinkommen v. 26.7.1995, ABl. EG 1995 Nr. C 316, 1; BGBl. II 1997, 2154. 9 www.bka.de unter „Profil“, www.interpol.net. 10 Hierzu der berblick bei SchrÇder/Stiegel in S/S/vHH, Europisches Strafrecht2, § 35 Rz. 3 ff. 11 IRG v. 27.6.1994, BGBl. I 1994, 1537; BGBl. I 2010, 1408; vgl. ferner die Richtlinien fÅr den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), die als Verwaltungsvorschrift umfassende Richtlinien fÅr den Umgang mit ein- und ausgehenden Ersuchen enthlt, hierzu Rz. 9.12 ff. 12 Vgl. den berblick im Schreiben des BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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berblick Åber die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe
– der EG-Amtshilfe-RL vom 19.12.19771, umgesetzt durch das EGAHiG vom 19.12.1985,2 – der EU-Amtshilferichtlinie (EU-AHiRL) vom 15.2.20113, umgesetzt durch das EUAHiG vom 26.6.20134, – der EG-Beitreibungs-RL vom 9.12.20025, umgesetzt durch das EGBeitrG6, – der EU-Beitreibungs-RL vom 16.3.2010,7 umgesetzt durch das EUBeitrG,8 – der Zins-RL vom 3.6.20039, umgesetzt durch § 45e EStG, i.V.m. der ZIV, – der MWSt-ZVO vom 7.10.201010 und – der VerbrauchSt-ZVO vom 2.5.201211 als unmittelbar geltendes Recht.
7.10 Im brigen stehen bilaterale Vertrge im Vordergrund, und zwar die von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen mit ihren Auskunftsklauseln12, besondere Vertrge Åber Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen13 sowie zahlreiche Informationsaustauschabkommen14 sowie zuletzt das mit den USA vereinbarte Abkommen zur FÇrderung der Steuerehrlichkeit bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten15. Schließlich erfolgt die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen auf der Grundlage des § 117 AO. Das multilaterale bereinkommen Åber die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen des Europarats und der OECD (OECD-Europaratskonvention)16, das ebenfalls einen grenz1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
16
ABl. EG 1977 Nr. L 336, 15. BGBl. I 1985, 2436. ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1. BGBl. I 2013, 1809. ABl. EG 2001 Nr. L 337, 41. Vgl. hierzu das Schreiben des BMF v. 29.2.2012, BStBl. I 2012, 244 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung [Beitreibung]). ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1. Vgl. hierzu das Schreiben des BMF v. 23.1.2014, BStBl. I 2014, 188 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung [Beitreibung]). ABl. EU 2003 Nr. L 157, 38; zuletzt gendert durch RL 2014/48/EU v. 24.3.2014, ABl. EU Nr. 111 v. 15.4.2014, 50. ABl. EU 2010 Nr. L 268. ABl. EU 2012 Nr. L 121. Vgl. hierzu die LnderÅbersicht Nr. 1, BStBl. I 2014, 171. Vgl. LnderÅbersicht Nr. 4, BStBl. I 2014, 171. Tax Information Exchange Agreement (TIEA); hierzu die bersicht Nr. 4 im Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. FATCA-Abkommen v. 31.5.2013, BGBl. II 2013, 1362; in Kraft getreten am 11.12.2013, BGBl. II 2014, Nr. 3; hierzu Eimermann, IStR 2013, 774 ff.; Demleitner, IStR 2013, 564 ff.; DÇhlke, IWB 2013, 438 ff.; Schmitt, WM 2013, 1931 ff.; Beier/Schulte, RIW 2013, 527 ff.; die Verpflichtung der Finanzinstitute zur DatenÅbermittlung an das BZSt ergibt sich aus der aufgrund von § 117c AO ergangenen VO v. 28.7.2014, BGBl. I 2014, 1222; vgl. hierzu auch Czakert, ISR 2014, 331 (332 f.). Vgl. hierzu Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; Czakert, DStR 2010, 567 ff.
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Kapitel 7
berblick Åber die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe
Åberschreitenden Informationsaustausch ermÇglicht, ist zwar von Deutschland unterzeichnet, aber (noch) nicht ratifiziert worden.1 DarÅber hinaus haben die G20-Staaten sich auf einen gemeinsamen Standard fÅr den automatischen Informationsaustausch geeinigt, wobei sich die europischen G5-Staaten gemeinsam mit 40 anderen Staaten dazu verpflichtet haben, bestimmte Finanzinformationen ab September 2017 automatisch auszutauschen.2 Eine Ratifizierung der am 29.10.2014 anlsslich der Jahressitzung des Global Forum3 gezeichneten multilateralen Fassung der Konvention steht noch aus.
1 Deutscher Text abrufbar unter http://www.conventions.coe.int/treaty/ger/Treaties/Html/127.htm. 2 Zu diesem „Competent Authority Agreement“ (CAA), das die „Common Reporting Standards“ (CRS) festlegt, Czakert, ISR 2014, 331 ff. 3 Im Global Forum, dem derzeit 122 Staaten und Jurisdiktionen angehÇren, geht es um steuerliche Transparenz und Informationsaustausch zwischen OECDStaaten und Drittstaaten.
Schaumburg
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Kapitel 8 Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 8.1
B. Inanspruchnahme von Amtsund Rechtshilfe I. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zu einzelnen Rechtsgrundlagen 1. EU-Amtshilferichtlinie . . . . . . 2. Zinsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung a) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung . . . b) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung . . . 4. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Amts- und Rechtshilfeabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . .
8.9
8.16 8.23
8.24 8.29 8.33 8.49
III. § 117 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . .
Rz. 8.57
IV. Zusammenfassender berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.58
a
C. Landesspezifische Besonderheiten I. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zinsbesteuerungsabkommen . 2. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.64 8.65
II. FÅrstentum Liechtenstein . . . 1. Zinsbesteuerungsabkommen . 2. Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Informationsaustauschabkommen . . . . . . . . . . . . . . . .
8.76 8.77
III. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . .
8.91
IV. sterreich . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.97
8.68
8.79 8.83
8.51
Literatur: vgl. die Angaben zu Kap. 7.
A. Allgemeines 8.1 Mit der im Steuerrecht maßgeblichen Sachaufklrungspflicht von Amts wegen (§ 88 AO) korrespondiert zwar eine Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen,1 deren Mitwirkung ist aber nicht selten unzureichend. Im brigen ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen Sachaufklrung im Inland einerseits und Sachaufklrung im Ausland andererseits. Um der allgemeinen Aufgabennorm des § 85 AO zu entsprechen und um die Gesetzmßigkeit und Gleichmßigkeit der Besteuerung bei Auslandsbeziehungen in gleicher Weise zu gewhrleisten2 wie bei Inlandsbeziehungen, ist ein in-
1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.7 ff. 2 Der Zweck der Amts- und Rechtshilfe ist also die zutreffende Besteuerung und dient damit der internationalen Steuergerechtigkeit; vgl. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 6.
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a
A. Allgemeines
ternationaler Informationsaustausch1 zwischen den Finanzverwaltungen unerlsslich. Das gilt auch fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts. Die in Steuersachen ausgetauschten Informationen kÇnnen grundstzlich ohne Weiteres in anhngigen (strafrechtlichen) Ermittlungsverfahren verwendet werden oder zur Grundlage fÅr die ErÇffnung derselben dienen. Einschrnkungen ergeben sich allerdings insbesondere aufgrund des in einigen Doppelbesteuerungs- und Rechtshilfeabkommen verankerten internationalen Steuergeheimnisses (s. Rz. 8.36, 43). Rechtsgrundlagen fÅr den internationalen Informationsaustausch in Steuersachen sind vor allem2 – die EG-AHiRL3 und ihre nationalen Umsetzungsbestimmungen (in Deutschland das EG-Amtshilfegesetz4) fÅr Besteuerungszeitrume bis einschließlich 2012, – die EUAHiRL5 und ihren nationalen Umsetzungsbestimmungen (in Deutschland das EU-Amtshilfegesetz)6 fÅr Besteuerungszeitrume ab 2013, – die Zins-Richtlinie (ZinsRL) und ihre nationalen Umsetzungsbestimmungen (in Deutschland die Zinsinformationsverordnung – ZIV),7 die nur fÅr den Auskunftsverkehr zwischen den EU-Staaten gelten,8 – die MwSt-Zusammenarbeits-VO (MwSt-ZVO),9 – die VerbrauchSt-Zusammenarbeits-VO (VerbrauchSt-ZVO),10, – die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 OECD-MA),11 – die besonderen Abkommen Åber Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen,12 die Informationsaustauschabkommen13 sowie 1 In der gesetzlichen Terminologie (z.B. § 117 AO) sind zumeist die Begriffe Amts- und Rechtshilfe gebruchlich. 2 Vgl. hierzu im Einzelnen Hendricks in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 MA-InfAust Rz. 7 ff.; Seer in FS Schaumburg, 2009, 151 (152 ff.); Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (4 ff.); der Informationsaustausch aufgrund der EU-Beitreibungs-RL wird nachstehend nicht nher erlutert, vgl. hierzu Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 20.36 ff. 3 EG-Richtlinie 77/799/EWG v. 19.12.1977, ABl. EG 1977 Nr. L 336, 15. 4 EGAHiG 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2436. 5 EU-Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1. 6 EUAHiG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 7 ZIV v. 26.1.2004, BGBl. I 2004, 128. 8 RL 2003/48/EG des Rates v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 38; RL 2014/48/ EU des Rates v. 24.3.2014, ABl. EU 2014 Nr. L 111, 50 (nderungsrichtlinie). 9 Verordnung (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden und die Betrugsbekmpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU Nr. L 268 v. 12.10.2010 mit Wirkung ab 1.1.2012; zuvor VO (EG) Nr. 1798/2003 v. 7.10.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 264, 1. 10 V. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121. 11 Hierzu die AbkommensÅbersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 73. 12 Hierzu die AbkommensÅbersicht bei Seer in T/K, § 117 AO Rz. 29 f. 13 Tax Information Exchange Agreements (TIEA); hierzu die Kommentierungen von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust; Czakert in SchÇnfeld/Ditz,
Schaumburg
| 183
8.2
Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
– § 117 AO.
8.3 Aufgrund dieser Rechtsgrundlagen sind nicht nur ersuchensabhngige AuskÅnfte, sondern durchweg auch SpontanauskÅnfte und automatische AuskÅnfte zulssig.1
8.4 Die EUAHiRL und das EUAHiG lassen ebenso wie die MwSt- und VerbrauchSt-ZVO und die ZIV2 und die Auskunftsklauseln der DBA die Erteilung von AuskÅnften aufgrund anderer Rechtsgrundlagen ausdrÅcklich zu (Art. 1 Abs. 3 EUAHiRL, § 1 Abs. 3 EUAHiG). Im Unterschied zu § 117 Abs. 3 AO ergibt sich aus den vorgenannten Rechtsgrundlagen eine Verpflichtung des ersuchten Staates zur Gewhrung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe. Ein darÅber hinausgehender Informationsaustausch bleibt zulssig, sodass aus deutscher Sicht auch KulanzauskÅnfte gem. § 117 Abs. 3 AO zulssig sind.
8.5 Die Auskunftsklauseln der DBA begrenzen die zwischenstaatliche Amtsund Rechtshilfe nach anderen Vorschriften ebenfalls nicht. Das gilt auch in den Fllen, in denen DBA lediglich sog. kleine Auskunftsklauseln enthalten, nach denen Informationen nur fÅr Zwecke der Anwendung der DBA selbst ausgetauscht werden dÅrfen. Damit sind auch hier KulanzauskÅnfte gem. § 117 Abs. 3 AO zulssig.3 Zugleich sind auch die besonderen Abkommen Åber Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen und die Informationsaustauschabkommen neben den Auskunftsklauseln der DBA anwendbar. Soweit von der deutschen Finanzverwaltung zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe außerhalb der europarechtlichen und vÇlkervertraglichen Rechtsgrundlagen gem. § 117 Abs. 1 AO in Anspruch genommen oder gem. § 117 Abs. 3 AO gewhrt wird, gelten zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen allerdings diejenigen Schrankenwirkungen mit der grÇßten Reichweite. Hieraus folgt, dass bei der Gewhrung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe auf der Grundlage des § 117 Abs. 3 AO nicht nur die dort genannten Voraussetzungen fÅr die Auskunftserteilung, sondern insbesondere auch die im EUAHiG aufgefÅhrten Grenzen der Auskunftserteilung sowie das internationale Steuergeheimnis der Auskunftsklauseln der DBA zu beachten sind.4 DemgegenÅber wird die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe nach dem EUAHiG
1 2 3 4
DBA, TIEA-MA; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358 ff.; vgl. die AbkommensÅbersicht in Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. Hierzu der berblick bei Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.115 ff. Gem. § 9 Abs. 2 ZIV gilt fÅr die DatenÅbermittlung das EGAHiG/EUAHiG weitgehend entsprechend. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 64; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 21, 63; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.57. Andernfalls ginge die gesetzgeberische Wertungsdivergenz zulasten der Betroffenen; vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.58; a.A. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 64.
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A. Allgemeines
grundstzlich1 nicht durch Åbrige Rechtsvorschriften Åber zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe2 eingeschrnkt. Die Auskunftsnormen des nationalen Rechts unterliegen allerdings den Grundrechtsschranken. Von Bedeutung ist hier insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 GG).3 Die Befugnis zum Informationsaustausch außerhalb der europarechtlichen und vÇlkervertraglichen Rechtsgrundlagen ist nur innerhalb der von § 117 AO gezogenen Grenzen zulssig. Hieraus folgt, dass weitergehende AuskÅnfte ohne Ersuchen – SpontanauskÅnfte und automatische AuskÅnfte – nach § 117 AO unzulssig – und freiwillige AuskÅnfte auf Ersuchen – KulanzauskÅnfte – nur unter den Voraussetzungen des § 117 Abs. 3 AO gestattet sind.
8.6
Ob eine Auskunft eingeholt oder gewhrt werden soll, entscheidet das Bundeszentralamt fÅr Steuern (BZSt)4 nach seinem Ermessen.5 Hierbei hat es sich an den allgemeinen Ermessensgrenzen Notwendigkeit, Verhltnismßigkeit, ErfÅllbarkeit und Zumutbarkeit zu orientieren.6 Da die Entscheidung Åber die Einholung oder Gewhrung einer Auskunft nicht auf unmittelbare Wirkung nach außen gerichtet ist, stellt sie keinen Verwaltungsakt dar.7 Der betroffene Steuerpflichtige hat vor Stellung des
8.7
1 Ausnahme bei absolutem Geheimnisschutz durch DBA; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 82, 85. 2 Zu Einzelheiten Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 16; Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 36; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 (11). 3 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.66. 4 Im Verhltnis zu sterreich ist ein unmittelbarer Informationsaustausch mÇglich; vgl. BMF, Schr. v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.5.1.3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); ab 1.1.2013 erfolgt die Amts- und Rechtshilfe – abgesehen von dringenden Fllen – nach Maßgabe der EUAHiRL, vgl. Konsultationsvereinbarung v. 6.11.2013, IStR-LB 11/2014, 46. 5 Der Bundesminister der Finanzen hat seine Zustndigkeit auf das BZSt Åbertragen (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG); vgl. BMF v. 29.11.2004, BStBl. I 2004, 1144; vgl. auch BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Rz. 1.5. (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); bei Auskunftsersuchen trifft diese Ermessenspflicht auch die mit der Sache befasste inlndische FinanzbehÇrde, die ihrerseits das BZSt im Wege der Amtshilfe einschaltet, wobei bestimmte formale Anforderungen zu erfÅllen sind; vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.5.2 und Anlagen 2, 2b und 3 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 6 Vgl. BVerfG v. 4.4.2006 – 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320; BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BStBl. II 1988, 359; BFH v. 4.12.2012 – VIII R 5/10, DStR 2013, 253; im berblick: Seer in T/K, § 117 AO Rz. 10 ff. 7 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 107, 111; Schwarz in Schwarz, § 117 AO Rz. 23; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 25; Duhnkrack, GrenzÅberschreitender Steuerdatenschutz, 281 ff.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amtsund Rechtshilfe in Steuersachen, 201 f.; Reiffs, StBp 1996, 309 (310).
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Auskunftsersuchens oder Erteilung der Auskunft zwar keinen Anspruch auf rechtliches GehÇr,1 eine AnhÇrung ist aber regelmßig geboten,2 weil andernfalls keine MÇglichkeit bestÅnde, vor dem Auskunftsaustausch die Wahrung der einschlgigen Befugnisschranken gerichtlich ÅberprÅfen zu lassen.3 In diesem Fall kann der betroffene Steuerpflichtige vorbeugende Unterlassungsklage (§ 40 FGO)4 oder Feststellungsklage (§ 41 FGO)5 erheben. Ggf. kommt auch eine einstweilige Anordnung gem. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO in Betracht.6 Aktiv legitimiert kÇnnen betroffene inlndische und auslndische Steuerpflichtige sein.7 Passiv legitimiert ist das BZSt.
8.8 Soweit das BZSt bereits Åber entsprechende Informationen verfÅgt,8 werden diese durch die bei ihm angesiedelte Informationszentrale fÅr steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) im Rahmen der Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) weitergegeben, und zwar entweder auf Anfrage, unaufgefordert oder elektronisch (stndig) im Rahmen des Informations-Systems der IZA (ISIDatenbank).9 Die Weitergabe der Informationen durch das BZSt erfolgt auch fÅr Zwecke des Steuerstrafverfahrens und Steuerordnungswidrigkeitenverfahrens10.
1 Vgl. § 117 Abs. 4 Satz 3 AO i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 2 Ermessensbettigung durch das BZSt. 3 Vgl. nur Wolffgang/Hendricks in Beermann/Gosch, § 117 AO Rz. 122 m.w.N.; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 ff. (20); vgl. auch BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Rz. 3.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 4 BFH v. 23.7.1986 – I R 306/82, BStBl. II 1987, 92; BFH v. 29.10.1986 – I B 28/86, BStBl. II 1987, 440; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 111; Wolffgang/Hendricks in Beermann/Gosch, § 117 AO Rz. 137; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 3.2.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 5 Allerdings gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO nur subsidir. 6 BFH v. 20.1.1988 – I B 72/87, BStBl. II 1988, 412; BFH v. 29.10.1986 – I B 28/86, BStBl. II 1987, 440; BFH v. 4.9.2000 – I B 17/00, BStBl. II 2000, 648; BFH v. 10.5.2005 – I B 218/04, BFH/NV 2005, 1503; BFH v. 15.2.2006 – I B 87/05, BStBl. II 2006, 616; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 3.2.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); zu Einzelheiten Herlinghaus in FS Herzig, 933 (937 f.). 7 BFH v. 20.1.1988 – I B 72/87, BStBl. II 1988, 412. 8 Rechtsgrundlage fÅr die Sammlung und Auswirkung von Unterlagen Åber steuerliche Auslandsbeziehungen sind § 88a AO und § 5 Abs. 1 Nr. 6 FVG; gegen diese Datensammlung hat das BVerfG v. 10.3.2008 – 1 BvR 2388/03, BStBl. II 2009, 23 keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. 9 Vgl. BMF v. 6.2.2012, BStBl. II 2012, 241. 10 Vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 4 EUAHiG; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe I. berblick Deutsche FinanzbehÇrden kÇnnen zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts (§§ 111 ff. AO) in Anspruch nehmen (§ 117 Abs. 1 AO).1 Eine entsprechende Rechtsgrundlage fÅr den Bereich der EU-Mitgliedstaaten ergibt sich aus § 6 Abs. 1 EUAHiG und speziell zur VerhÅtung von Steuerstrafsachen aus § 117b AO, wonach die Steuerfahndung eingehende Informationen fÅr repressive und prventive Zwecke verwenden darf2 (s. Rz. 9.155). § 117 Abs. 1 AO und § 6 Abs. 1 EUAHiG regeln lediglich die Befugnis zur Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe, d.h. das rechtliche DÅrfen, ohne dass hieraus ein Anspruch gegenÅber dritten Staaten erwchst. Ein derartiger Anspruch auf Auskunftserteilung ergibt sich allein aus der EUAHiRL und der ZinsRL und den jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetzen der anderen EU-Mitgliedstaaten, der MwSt- und VerbrauchSt-ZVO, den Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 OECD-MA), den besonderen Abkommen Åber Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen3 und den Informationsaustauschabkommen.4 Da nach den vorstehenden Rechtsgrundlagen der Anspruch des ersuchenden Staates auf zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe nicht weiter reicht als die Verpflichtung des ersuchten Staates, ist jede Auskunft, die erteilt wird, obwohl keine Verpflichtung hierzu besteht, eine Kulanzauskunft, die nur unter besonderen Voraussetzungen zulssig ist.5
8.9
Ob und unter welchen Voraussetzungen die deutsche Finanzverwaltung zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in Anspruch nehmen darf, ergibt sich aus § 117 Abs. 1 AO. Hiernach ist die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe nur unter den Voraussetzungen der nationalen Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) zulssig. D.h.: Es mÅssen die AuskÅnfte zur DurchfÅhrung der deutschen Besteuerung erforderlich sein
8.10
1 Die Gewhrung zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen spielt in dem hier interessierenden Zusammenhang keine Rolle; vgl. zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.70 ff. 2 § 117b AO setzt den Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89 (sog. “Schwedische Initiative“) um; vgl. hierzu gleich lautender Lndererlass v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538, ferner Beyer, AOStB 2013, 351 ff. und Rz. 9.147 ff.; fÅr die grenzÅberschreitende Informationserteilung durch die Steuerfahndung gilt § 117a AO. 3 Hierzu der berblick bei Seer in T/K, § 117 AO Rz. 29. 4 Hierzu die Kommentierung von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust; Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, TIEA-MA; Seer/Gabert, Ubg 2010, 358 ff.; derartige Abkommen bestehen z.B. mit Jersey (BStBl. I 2010, 166); Liechtenstein (BGBl. II 2010, 950); Guernsey (BGBl. II 2010, 973); Isle of Man (BGBl. II 2010, 957); Gibraltar (BGBl. II 2010, 984); vgl. die AbkommensÅbersicht in Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 5 In Deutschland gem. § 117 Abs. 3 AO.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
(§ 111 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Voraussetzung ergibt sich aus der Sicht des ersuchenden Staates auch aus den Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 1 Satz OECD-MA).1 DemgegenÅber enthlt § 6 Abs. 1 EUAHiG eine derartige Beschrnkung nicht ausdrÅcklich, sie ergibt sich aber aus § 6 Abs. 2 EuAHiG, wonach grundstzlich deutscherseits ein Auskunftsersuchen erst gestellt werden darf, wenn zuvor die eigenen ErmittlungsmÇglichkeiten ausgeschÇpft wurden. Dass der ersuchte EU-Mitgliedstaat zur Auskunft nur verpflichtet ist, wenn die begehrten AuskÅnfte fÅr Zwecke der Besteuerung voraussichtlich erheblich sind (Art. 1 Abs. 1 EUAHiRL, § 4 Abs. 1 EUAHiG), ndert an der hohen Ersuchensschwelle nichts. Erforderlich sind nmlich AuskÅnfte erst dann, wenn diese fÅr die Besteuerung in einem oder mehreren konkreten Fllen2 (voraussichtlich) rechtlich erheblich und vom ersuchenden Staat auch nach AusschÇpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind. Nach § 6 Abs. 2 EUAHiG ist die Erreichbarkeit schon dann nicht gegeben, wenn die DurchfÅhrung der Ermittlungen mit unverhltnismßig großen Schwierigkeiten verbunden wre oder sich nicht als Erfolgversprechend darstellt. Dieses Subsidiarittsprinzip gilt somit fÅr Deutschland als ersuchender Staat, und zwar unabhngig davon, nach welcher Rechtsgrundlage die Auskunft begehrt wird.3
8.11 Im Ergebnis darf die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe daher grundstzlich erst in Anspruch genommen werden, wenn die Sachverhaltsaufklrung durch den inlndischen Beteiligten im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2 und 3 AO) nicht zum Ziel fÅhrt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO),4 wobei im EU-Amtshilfeverkehr eine Erleichterung dahin gehend besteht, dass ein Auskunftsersuchen bereits dann gestellt werden darf, wenn die eigenen Ermittlungen „mit unverhltnismßig großen Schwierigkeiten verbunden“ wren (§ 6 Abs. 2 EUAHiG).
8.12 Obwohl die fÅr die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- oder Rechtshilfe maßgeblichen Normen eine AnhÇrung des betroffenen Steuerpflichtigen nicht vorsehen5, ist es dennoch grundstzlich geboten, vor 1 Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 13. 2 Sog. fishing expeditions sind nicht zulssig, Seer in T/K, § 117 AO Rz. 10; Foddanu in Haase2, AStG/DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 17; vgl. zu zulssigen Gruppenanfragen nach Art. 26 OECD-MA nach neuer Auslegung den OECD-MK Rz. 5.2. 3 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.63; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 89. 4 BFH v. 20.2.1979 – VII R 16/78, BStBl. II 1979, 268; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); Seer in T/K, § 117 AO Rz. 11; § 93 Rz. 19; SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 24; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 35. 5 Die frÅher in § 117 Abs. 4 Satz 3 AO verankerte AnhÇrungspflicht ist mit Wirkung ab 2013 entfallen; unionsrechtlich ist ebenfalls keine AnhÇrungspflicht vorgesehen, vgl. EuGH v. 22.10.2013 – Rs. C-276/12 - Sabou, ISR 2013, 423 mit Anm. Schaumburg.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
Stellung des Auskunftsersuchens rechtliches GehÇr zu gewhren,1 wenn das Auskunftsersuchen Informationen enthlt, die fÅr den Betroffenen im anderen Staat zu einem Eingriff in seine rechtlich geschÅtzte Sphre fÅhren kÇnnten. Die Pflicht zur vorherigen AnhÇrung ist auch verfassungsrechtlich begrÅndet. Sie ergibt sich zum einen aus dem Postulat des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG2, zum anderen aber auch aus dem grundrechtlichen Schutz informationeller Selbstbestimmung.3 Trotz seiner Herkunft aus dem allgemeinen PersÇnlichkeitsrecht4 gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung5 auch fÅr inlndische juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG).6 Die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe setzt ferner die Wahrung des Steuergeheimnisses voraus. Soweit bei der Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe im Rahmen des Ersuchens Verhltnisse des betroffenen Steuerpflichtigen oder anderer Personen zwangslufig mitgeteilt werden mÅssen, bedeutet diese Offenbarung keine unzulssige Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO).7 Umgekehrt unterliegen die erhaltenen AuskÅnfte ebenfalls dem Internationalen Steuergeheimnis, dessen Reichweite allerdings je nach Rechtsgrundlage unterschiedlich ist.
8.13
Zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe kann von den inlndischen FinanzbehÇrden im Grundsatz nicht nur im Besteuerungsverfahren, sondern grundstzlich auch fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts und Steuerord-
8.14
1 HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 261; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 368 f.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 124; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 ff. (20); Bozza-Bodden, in DStJG 36 (2013), 133 (162); Schaumburg, ISR 2013, 425; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 3.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen) 2 Verfahrensgarantie zugunsten des Grundrechtsinhabers; BVerfG v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30 (65 f.). 3 Zur Herleitung im Einzelnen Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 342 ff.; vgl. im brigen Duhnkrack, GrenzÅberschreitender Steuerdatenschutz, 58 ff. 98 ff.; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 89 ff.; Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 1987, 86 (104); fÅr den Fall der Spontanauskunft einen Schutz informationeller Selbstbestimmung verneinend BFH v. 8.2.1995 – I B 92/94, BStBl. II 1995, 358; BFH v. 17.5.1995 – I B 118/94, BStBl. II 1995, 497. 4 Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; nher zum allgemeinen PersÇnlichkeitsrecht Di Fabio in Maunz/DÅrig, Art. 2 GG Rz. 127 ff. 5 Grundlegend BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1 ff.; BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, BVerfGE 67, 100 ff. 6 BVerfG v. 17.7.1984 – 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, BVerfGE 67, 100 (142); Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 1987, 86 (94). 7 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 31, 35, 83, 95; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 372.
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nungswidrigkeitenrechts in Anspruch genommen werden. In welchem Umfang die erhaltenen AuskÅnfte verwendet werden dÅrfen, beurteilt sich nach den einzelnen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen (s. Rz. 7.9). Das gilt unabhngig davon, ob die FinanzbehÇrde oder die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren durchfÅhrt. Soweit die FinanzbehÇrde allerdings (ausnahmsweise) ausschließlich im Steuerstrafverfahren oder im Bußgeldverfahren ttig wird, die begehrten AuskÅnfte fÅr Zwecke der Besteuerung, also nicht „erforderlich“ sind (§§ 117 Abs. 1, 111 Abs. 1 AO), sind die AuskÅnfte nur nach den Regeln Åber die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen einzufordern,1 wobei die Ermittlungsergebnisse in der Regel unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden dÅrfen. Die Staatsanwaltschaft selbst darf als ersuchende BehÇrde die Rechtshilfe ohnehin stets nur auf die fÅr die Rechtshilfe in Strafsachen maßgeblichen Rechtsgrundlagen stÅtzen.
8.15 Als Rechtsgrundlage fÅr Auskunftsersuchen der FinanzbehÇrde in Steuersachen kommen in erster Linie solche in Betracht, mit denen eine Auskunftsverpflichtung der ersuchten auslndischen BehÇrde korrespondiert. Zu diesen Rechtsgrundlagen gehÇren die EU-Amtshilferichtlinie, die Zinsrichtlinie, die Mehrwertsteuer- und die Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung, die Auskunftsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen, die besonderen Amts- und Rechtshilfeabkommen in Steuersachen sowie die Informationsaustauschabkommen.
II. Zu einzelnen Rechtsgrundlagen 1. EU-Amtshilferichtlinie Literatur: Kommentare zum EuAHiG und zu § 117 AO; Balmes/Ribbrock, Auskunftserteilung zwischen den EU-Staaten, AO-StB 2006, 72 ff.; Daurer, Die Amtshilfe in Steuersachen auf unionsrechtlicher Grundlage, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 13 ff.; Brock, Der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr innerhalb der Europischen Union auf der Grundlage des EGAmtshilfegesetzes bei den direkten und indirekten Steuern, Frankfurt 1999; Gabert, Die neue EU-Amtshilferichtlinie, IWB 2011, 7 ff.; Gabert, Council Direktive 2011/16/EU on Administrative Cooperation in the Field of Taxation, ET 2011, 342 ff.; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004, 182 ff.; Obenhaus, Die Novelle der gegenwrtigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten durch das JStG 2013, Stbg 2012, 391 ff.; Schaum1 Vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); fÅr die Steuerfahndung ist insbesondere der Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 (ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89) von Bedeutung, wonach der Auskunftsaustausch fÅr repressive und prventive Zwecke gleichermaßen zulssig ist; vgl. hierzu gleich lautender Lndererlass v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe burg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, KÇln 2015, Rz. 20.1 ff.; Seer, Intensivierung des grenzÅberschreitenden Informationsaustausches durch das EU-Amtshilfegesetz, IWB 2014, 87 ff.
Die maßgebliche Rechtsgrundlage fÅr die in Inanspruchnahme von Amtsund Rechtshilfe innerhalb der EU bietet die EU-Amtshilferichtlinie1, die durch das EUAHiG2 in nationales Recht umgesetzt worden ist. Aufgrund der EU-Amtshilferichtlinie haben sich die FinanzbehÇrden der EU-Mitgliedstaaten gegenseitig Amtshilfe durch Auskunftsaustausch zu leisten. Das bedeutet, dass etwa auf Ersuchen der zustndigen deutschen FinanzbehÇrden3 die anderen EU-Mitgliedstaaten zu AuskÅnften verpflichtet sind (ErsuchensauskÅnfte), soweit sie fÅr die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Steuerrechts erheblich sind (Art. 1 Abs. 1 EUAHiRL).4 Die Auskunftsverpflichtung gilt fÅr den Bereich der Einkommen-, KÇrperschaft-, Erbschaft-, Schenkung-, Gewerbe-, Grund- und Versicherungsteuer (Art. 2 EUAHiRL).5 Diese Ersuchenshilfe umfasst auch, dass Steuerbeamte des um Auskunft ersuchenden Staates an entsprechenden Ermittlungshandlungen des ersuchten Staates sowie an dortigen gleichzeitig stattfindenden AußenprÅfungen teilnehmen dÅrfen.6 Die Auskunftsverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten ergibt sich aus der EU-Amtshilferichtlinie (Art. 5 EUAHiRL) und den jeweils in den ersuchten EUMitgliedstaaten umgesetzten nationalen Gesetze.7 § 117c AO enthlt eine Ermchtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zwecks Umsetzung insbesondere der EU-Amtshilferichtlinie, wobei im Zuge der DatenÅbermittlung an andere BehÇrden eine vorherige AnhÇrung der Beteiligten nicht erfolgt (§ 117c Abs. 2 AO; vgl. allerdings Rz. 8.12).
8.16
Sollte die ersuchte Auskunft8 entgegen Art. 5 EUAHiRL nicht unverzÅglich9 erfolgen, besteht die MÇglichkeit, die EU-Kommission mit dem Ziel
8.17
1 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1; zu Einzelheiten Jirousek, SWI 2011, 235 ff. 2 EUAHiG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 3 Zustndige BehÇrde ist das BMF (Art. 4 Abs. 1 EUAHiRL i.V.m. § 3 Abs. 1 EUAHiG), und das zentrale VerbindungsbÅro ist das BZSt (Art: 4 Abs. 2 Unterabs. 2 EUAHiRL i.V.m. § 3 Abs. 2 EUAHiG, § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG). 4 Beweisausforschungen (fishing expeditions) dÅrfen vom ersuchten EU-Mitgliedstaat nicht verlangt werden (vgl. Prambel Nr. 9 EUAHiRL). 5 Hierzu EuGH v. 11.10.2007 – Rs. C-451/05 – ELISA, DStRE 2008, 479 (481), Rz. 22 f.; vgl. auch § 1 Abs. 1, 2 EUAHiG. 6 Es handelt sich hierbei lediglich um eine Beobachterrolle, die allerdings ein Befragungsrecht und die PrÅfung von Aufzeichnungen einschließt (Art. 11 Abs. 2 EUAHiRL). 7 In Deutschland: EUAHiG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 8 Die Auskunftsersuchen erfolgen mittels eines Standardformulars (Art. 20 EUAHiRL) und die InformationsÅbermittlung auf elektronischem Wege (Art. 21 EUAHiRL) mithilfe des CCN-Netzes (common communication network). 9 Sptestens innerhalb von sechs Monaten und innerhalb von zwei Monaten, wenn die ersuchte BehÇrde bereits im Besitz der entsprechenden Informationen ist (Art. 7 Abs. 1 EUAHiRL).
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der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) einzuschalten.1
8.18 Der Auskunftserteilung durch einen anderen EU-Mitgliedstaat werden allerdings verschiedene Grenzen gesetzt (Art. 17 EUAHiRL). So besteht keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung, wenn die innerstaatlichen AuskunftsmÇglichkeiten seitens des ersuchenden EU-Mitgliedstaates nicht voll ausgeschÇpft worden sind (Art. 17 Abs. 1 EUAHiRL). Es handelt sich insoweit also lediglich um ein subsidires Aufklrungsmittel.2 DarÅber hinaus ist der ersuchte EU-Mitgliedstaat nicht verpflichtet, fÅr Zwecke der Auskunftserteilung Ermittlungen anzustellen und Informationen zu beschaffen, wenn dies fÅr seine eigenen Zwecke nach seinem innerstaatlichen Recht unzulssig wre (Art. 17 Abs. 2 EUAHiRL). Unter diesem Gesichtspunkt kann die Auskunft vom ersuchten Staat auch verweigert werden, wenn ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis preisgegeben werden mÅsste (Art. 17 Abs. 4 EUAHiRL). Ein Bank- und Treuhandgeheimnis ist demgegenÅber nicht geschÅtzt (Art. 18 Abs. 2, 3 EUAHiRL).3 Dem Auskunftsaustausch sind aber nicht nur Grenzen durch die EU-Amtshilferichtlinie selbst gesetzt, sondern auch aufgrund nationalen Rechts. Denn der Rahmen, in dem sich deutsches Auskunftsersuchen zu bewegen hat, wird durch § 117 Abs. 1 AO gesetzt. So sind etwa die in §§ 95 Abs. 6, 393 Abs. 1 Satz 2 AO verankerten Zwangsmittelverbote ebenso zu respektieren wie die Auskunftsverweigerungsrechte (§§ 102, 103 AO) und die VorlageverweigerungsgrÅnde (§§ 101 ff. AO), und zwar auch dann, wenn der andere EU-Mitgliedstaat derartige Rechte nach seinem nationalen Recht nicht kennt4.
8.19 Die dem BZSt5 erteilten AuskÅnfte unterliegen der Geheimhaltung (Art. 16 EUAHiRL). Dementsprechend regelt § 19 EUAHiG ein internationales Steuergeheimnis, aufgrund dessen die deutschen FinanzbehÇrden verpflichtet sind, die erlangten Informationen nur im Besteuerungsverfahren sowie im Straf- oder Bußgeldverfahren zu verwenden6. Soweit es um das Besteuerungsverfahren geht, dÅrfen die empfangenen AuskÅnfte verwendet werden fÅr Zwecke der Steuerfestsetzung, womit neben den Veranlagungs- und Rechtsbehelfsstellen der Finanzmter auch die AußenprÅfung erfasst ist, der berprÅfung derselben durch LandesrechnungshÇfe sowie der Wahrnehmung gesetzlicher Kontroll- und Aufsichtsbefugnisse etwa 1 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 34; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 239 ff. 2 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 35. 3 Das gilt fÅr Besteuerungszeitrume ab 2011, sodass seitdem die in sterreich, Luxemburg und Belgien geltenden Bankgeheimnisse insoweit keine Bedeutung mehr haben. 4 AusfÅhrlich zu diesem Verbot des „Befugnis-Shoppings“ Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 364 ff. 5 Zentrales VerbindungsbÅro (Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 EUAHiRL) i.V.m. § 3 Abs. 2 EUAHiG, § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG; hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 85. 6 Hierzu Seer in T/K, § 117 AO Rz. 82.
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durch Datenschutzbeauftragte.1 In Çffentlichen Gerichtsverhandlungen, die sich mit der Steuerfestsetzung befassen, ist eine Bekanntgabe Åber den Kreis der unmittelbar befassten Personen hinaus zulssig (Art. 16 Abs. 1 EUAHiRL, §§ 15 Abs. 4, 19 Abs. 2 Nr. 1 EUAHiG). Dieses internationale Steuergeheimnis entspricht damit dem in § 30 AO verankerten Steuergeheimnis. Erhaltene AuskÅnfte dÅrfen auch in einem Straf- oder Bußgeldverfahren offenbart werden, und zwar auch im Rahmen (Çffentlicher) Gerichtsverhandlungen (Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 3 EUAHiRL, § 19 Abs. 2 Nr. 4 EUAHiG). Hieraus folgt, dass die aufgrund eines Ersuchens betreffend die steuerlichen Verhltnisse eines bestimmten Steuerpflichtigen erhaltenen AuskÅnfte auch Verwendung finden dÅrfen in Besteuerungsund Straf- und Bußgeldverfahren anderer Personen, und zwar auch dann, wenn andere fÅr den konkreten Ersuchensfall unmittelbar zustndige Personen (Steuerbeamte, Staatsanwlte) befasst werden mÅssen. Allerdings dÅrfen die Informationen fÅr solche Verfahren, die keine Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten betreffen, keine Verwendung finden.2 Die vorgenannten Grundstze gelten allerdings nicht, wenn die erlangten AuskÅnfte im Besteuerungsverfahren, etwa wegen eingetretener Verjhrung, nicht verwendet werden dÅrfen, also nicht „voraussichtlich erheblich“ sind.3 In diesem Fall ist ihre Verwendung im Straf- und Bußgeldverfahren ausgeschlossen.4 Mit anderen Worten: Ein Informationsaustausch ausschließlich fÅr Zwecke des Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitenverfahrens ist unzulssig.5 Das in der EU-Amtshilferichtlinie verankerte internationale Steuergeheimnis ist auch in den Fllen bindend, in denen etwa deutsche Finanzbeamte an Ermittlungshandlungen (Art. 11 EUAHiRL, § 11 EUAHiG) oder an gleichzeitigen AußenprÅfungen (Art. 12 EUAHiRL, § 12 EUAHiG) im ersuchten Staat teilnehmen.
8.20
Neben den ErsuchensauskÅnften ist der fÅr Besteuerungszeitrume ab 2014 verpflichtende automatische Auskunftsverkehr von besonderer Bedeutung. Hiernach haben die EU-Mitgliedstaaten folgende verfÅgbare Informationen Åber in anderen EU-Mitgliedstaaten ansssige Personen innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des betreffenden Steuerjahres zu Åbermitteln (Art. 8 Abs. 1, 6 EUAHiRL): VergÅtungen aus unselbstndiger Arbeit, Aufsichtsrats- oder VerwaltungsratsvergÅtungen, Lebensversicherungsprodukte, Ruhegehlter, Eigentum an und EinkÅnfte aus unbeweg-
8.21
1 Vgl. die Aufzhlung in § 19 Abs. 2 EUAHiG; zu Einzelheiten Schwarz in Schwarz, AO, § 4 EGAHiG Rz. 3. 2 Hierzu Schwarz in Schwarz, AO, § 4 EGAHiG Rz. 1; die Verwendung bei Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer nichtsteuerlichen Straftat ist zugelassen; nicht aber bei Tatmehrheit (§ 53 StGB); vgl. DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 70. 3 Prambel Nr. 9 EGAHiRL; § 4 Abs. 1 EUAHiG. 4 Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 141 ff. (165). 5 In diesem Fall darf von vornherein schon kein Auskunftsersuchen nach der EUAmtshilferichtlinie gestellt werden.
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lichem VermÇgen.1 Diese automatischen AuskÅnfte dÅrfen unter den gleichen Voraussetzungen wie ErsuchensauskÅnfte in Straf- oder Bußgeldverfahren verwendet werden (s. Rz. 8.19).
8.22 DarÅber hinaus sind sptestens innerhalb von einem Monat auch SpontanauskÅnfte in folgenden Fllen zu erteilen (Art. 9, 10 EUAHiRL): Verdacht einer SteuerverkÅrzung, MÇglichkeit korrespondierender Besteuerung, kÅnstliche Gewinnverlagerungen im Konzern, erlangte Informationen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Diese AuskÅnfte dÅrfen ebenfalls unter den gleichen Voraussetzungen wie ErsuchensauskÅnfte im Strafund Bußgeldverfahren verwendet werden (s. Rz. 8.19). 2. Zinsrichtlinie Literatur: Kommentare zu § 45e EStG und zur ZIV; Czakert, Der Vorschlag der Kommission zur Revision der Zinsrichtlinie, IStR 2009, 164 ff.; Fehling in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, KÇln 2015, Rz. 19.1 ff.; Hosp/Langer, Bedeutung der neuen EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie fÅr Drittstaaten, IWB 2011, 499 ff.; Jachmann, Eine deutsche Abgeltungsteuer auf Kapitalertrge im europischen Kontext, BB 2003, 2712 ff.; Strub, Automatischer Informationsaustausch in der EU: Was bringt die neue Zinssteuerrichtline?, IStR 2014, 313 ff.
8.23 Im Hinblick darauf, dass Auskunftsersuchen wegen ZinseinkÅnften aus breit gefcherten Kapitalanlagen wenig effizient sind, enthlt die Zinsrichtlinie die Rechtsgrundlage fÅr einen automatischen grenzÅberschreitenden Auskunftsaustausch2, der auf die Eindmmung der Steuerhinterziehung privater Zinsertrge abzielt.3 Die Verpflichtung zur automatischen Auskunftserteilung ergibt sich aus den die Zinsrichtlinie in nationales Recht umgesetzten Rechtsvorschriften4, die dem § 30a Abs. 2 AO, wonach von Kreditinstituten zum Zwecke der allgemeinen berwachung einmalige oder periodische Mitteilungen Åber Konten bestimm1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 117c AO, der eine Ermchtigungsgrundlage fÅr den Erlass entsprechender Rechtsverordnungen enthlt. 2 Richtlinie 2003/48/EG des Rates v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 38; Richtline 2014/48/EU des Rates v. 24.3.2014 zur nderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinsertrgen, ABl. EU Nr. L 111 v. 15.4.2014, 50. 3 Vgl. Fehling in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 19.24 ff.; Englisch in T/L21, § 4 Rz. 73; nach der Richtlinie 2014/48/EU des Rates v. 24.3.2014, ABl. EU Nr. L 111 v. 15.4.2014, 50 (nderungsrichtlinie) wird der Datenaustausch Åber Privatpersonen hinaus auf bestimmte Stiftungen und Treuhandfonds (Trusts) ausgedehnt (Umsetzungsfrist bis zum 1.1.2016); vgl. hierzu Strub, IStR 2014, 313 ff. (315). 4 In Deutschland ist das die Zinsinformationsverordnung (ZIV) v. 26.1.2004, BStBl. I 2004, 297; Ermchtigungsgrundlage: § 45e EStG; die Richtlinie 2014/48/EU des Rates v. 24.3.2014, ABl. Nr. L 111 v. 15.4.2014, 50 (nderungsrichtlinie) ist bis zum 1.1.2016 umzusetzen.
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ter Art oder bestimmter HÇhe nicht verlangt werden dÅrfen, vorgehen.1 Hiernach haben die sog. Zahlstellen2 den betreffenden zustndigen FinanzbehÇrden Mitteilung darÅber zu machen, an wen welche Zinszahlungen3 geleistet worden sind4. Von dort werden sodann die Meldungen einmal jhrlich an das BZSt und von dort an die Landesfinanzverwaltungen Åbermittelt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 ZIV).5 Die Åbermittelten Daten unterliegen bei der empfangenen BehÇrde dem Geheimnisschutz, wofÅr im Einzelnen die Regelungen des § 19 EUAHiG zur Geltung kommen (§ 9 Abs. 2 ZIV).6 Das bedeutet, dass die Informationen Åber Zinszahlungen nicht nur im Besteuerungsverfahren, sondern auch im steuerlichen Straf- und Bußgeldverfahren der betreffenden Person verwendet werden dÅrfen. Eine Verwendung dieser Informationen bei anderen Personen sowie fÅr Zwecke eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, das keine Steuerstraftat oder keine Steuerordnungswidrigkeit zum Gegenstand hat, ist ausgeschlossen7. 3. Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung Literatur: Kommentare zum UStG; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004, 243 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europisches Steuerrecht, KÇln 2015, Rz. 20.72 ff.
a) Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung Rechtsgrundlage fÅr den innergemeinschaftlichen Informationsaustausch fÅr Zwecke der Mehrwertsteuer ist die MwSt-ZVO.8 Der in der MwStZVO verankerte Informationsaustausch dient der Durchsetzung der MehrwertsteueransprÅche der einzelnen Mitgliedstaaten und zugleich der 1 Hartroff in H/H/R, § 45e EStG Rz. 18; Nieland in Lademann, § 45e EStG Rz. 13; a.A. Jachmann, BB 2003, 2712. 2 Zum Begriff Art. 4 Abs. 1 ZinsRL und § 4 ZIV: Kreditinstitute. 3 Zum Begriff Art. 6 ZinsRL und § 6 ZIV: gezahlte und gutgeschriebene Zinsen, nicht aber Kursgewinne und Dividenden; durch die Richtlinie 2014/48/EU des Rates v. 24.3.2014, ABl. EU Nr. L 111 v. 15.4.2014, 50 (nderungsrichtlinie) wird der Anwendungsbereich der ZinsRL auf diese Kapitalertrge sowie auf bestimmte Versicherungsertrge und Ertrge aus Investmentfonds. ausgedehnt (Umsetzungsfrist bis zum 1.1.2016); vgl. Strub, IStR 2014, 313 ff. (315). 4 Zu Einzelheiten in Deutschland: BMF v. 11.1.2008, BStBl. I 2008, 320. 5 Anstelle des automatischen Informationsaustauschs erheben Luxemburg und sterreich eine Quellensteuer in HÇhe von 35 % (ab 2011), die zu 75 % an den Staat, in dem der Steuerpflichtige ansssig ist, weitergeleitet wird; dieses „Privileg“ von Luxemburg und sterreich soll entfallen. 6 Der Verweis auf das EGAHiG ist nicht auf das EUAHiG erstreckt worden. 7 Zulssig bei Tateinheit (§ 52 StGB) mit der nichtsteuerlichen Straftat; nicht aber bei Tatmehrheit (§ 53 StGB); vgl. DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 70. 8 Verordnung (EU) Nr. 904/210 des Rates v. 7.10.2010 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden und die Betrugsbekmpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU 2010 Nr. L 268.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Bekmpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung – insbesondere in Fllen von grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen (vgl. hierzu s. Rz. 17.41 ff.). Die hiernach mÇgliche Informationshilfe ist sehr weitgehend; sie umfasst nicht nur AuskÅnfte auf Ersuchen, automatische AuskÅnfte und SpontanauskÅnfte, sondern darÅber hinaus auch ein EDVgestÅtztes Informations- und Kontrollsystem, wodurch der zwischenstaatliche Datenaustausch sogar einen unmittelbaren Datenzugriff anderer Mitgliedstaaten ermÇglicht (Artt. 17–24 MwSt-ZVO).1 DarÅber hinaus erfolgt fÅr Zwecke der Bekmpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung im Rahmen von Eurofisc ein rascher Informationsaustausch (Art. 33 ff. MWSt-ZVO). Schließlich enthlt die MwSt-ZVO auch die Rechtsgrundlage fÅr das Anwesenheitsrecht von BehÇrdenvertretern bei behÇrdlichen Ermittlungen in einem anderen Mitgliedstaat sowie fÅr simultane AußenprÅfungen (Art. 28 MwSt-ZVO).2
8.25 Im Grundsatz korrespondiert der Anspruch auf Auskunft mit der Verpflichtung des anderen Mitgliedstaates auf Auskunftserteilung (Artt. 7, 9, 54 MwSt-ZVO). Soweit in der MwSt-ZVO automatisch AuskÅnfte vorgesehen sind (Art. 14 MwSt-ZVO), handelt es sich ebenfalls um PflichtauskÅnfte.3 FÅr SpontanauskÅnfte (Art. 15 MwSt-ZVO), ist dagegen schon mangels normativer Verankerung auskunftsauslÇsender Tatbestnde4 keine Verpflichtung gegeben.5 Aber auch in den Fllen, in denen im Grundsatz die Pflicht zur Auskunft besteht, kann diese in Ausnahmefllen vom ersuchten Staat verweigert werden, wenn die Informationsbeschaffung einen unverhltnismßig großen Verwaltungsaufwand verursachen wÅrde (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a MwSt-ZVO), der ersuchende Mitgliedstaat die Åblichen Informationsquellen nicht ausgeschÇpft hat6 (Art. 54 Abs. 1 Buchst. b MwSt-ZVO)7 und darÅber hinaus bei fehlender Gegenseitigkeit (Art. 54 Abs. 3 MwSt-ZVO) sowie in Fllen der Preisgabe eines Geschfts-, Industrie- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschftsverfahrens (Art. 54 Abs. 4 Halbs. 1 MwSt-ZVO) und schließlich beim Verstoß gegen die Çffentliche Ordnung (§ 54 Abs. 4 Halbs. 2 MwStZVO).8 Ein Bankgeheimnis ist dagegen nicht geschÅtzt (Art. 54 Abs. 5 MWSt-ZVO). 1 Der Informationsaustausch ist unter Verwendung des CCN/CSI-Netzes sicherzustellen (Art. 24 MWSt-ZVO) – CCN = Comon Communication Network; CSI = Common System Interface 2 Hierzu Kraeusel in R/K/L, § 18 UStG Rz. 842 f. 3 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 259. 4 Zu EU-grundrechtlichen Bedenken: Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 276. 5 Kraeusel in R/K/L, § 18 UStG Rz. 840. 6 Zum Subsidiarittsprinzip insoweit Carl/Klos, Leitfaden zur Internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 1995, 212. 7 Insoweit handelt es sich um obligatorische WeigerungsgrÅnde; hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 248. 8 Insoweit handelt es sich um fakultative WeigerungsgrÅnde; hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 250 ff.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
Besteht die Pflicht zur Auskunft, hat der ersuchte Mitgliedstaat die verlangten Informationen „mÇglichst rasch“, sptestens jedoch nach einem Monat nach Eingang des Ersuchens zu Åbermitteln (Art. 10 Satz 1 MwStZVO). Sind die entsprechenden Informationen nicht unmittelbar verfÅgbar, obliegt dem ersuchten Staat eine Beschaffungspflicht, wobei diejenigen behÇrdlichen Ermittlungsinstrumente einzusetzen sind, die nach innerstaatlichem Recht zulssig sind (Art. 54 Abs. 2, MwSt-ZVO). In diesem Fall betrgt die bermittlungsfrist drei Monate nach Eingang des Ersuchens (Art. 10 Satz 1 MwSt-ZVO). Deutsche EmpfangsbehÇrde ist das BZSt.
8.26
Zwecks Mehrwertsteuerkontrolle sehen Art. 17–24 MwSt-ZVO ein bestimmtes Informations- und Kontrollsystem vor. Es geht hierbei insbesondere um die Sicherstellung des Mehrwertsteueraufkommens im Zusammenhang mit steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen1 einerseits und den grundstzlich steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb beim Leistungsempfnger andererseits.2 Dieser Kontrolle dient vor allem die fÅr jeden Unternehmer verbindliche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.3 Der Informationstransfer erfolgt in der Praxis entweder auf der Grundlage der Ersuchenshilfe durch aktive bermittlung der entsprechenden Daten oder aber bei automatischen AuskÅnften durch unmittelbaren Datenzugriff4. Der Datenbestand resultiert aus den monatlich bzw. vierteljhrlich abzugebenden zusammenfassenden Meldungen, die den jeweils zustndigen BehÇrden zu Åbermitteln sind.5 Deutsche EmpfangsbehÇrde ist auch in diesen Fllen das BZSt.6
8.27
Die erlangten AuskÅnfte kÇnnen nicht nur im Besteuerungsverfahren fÅr Zwecke der Mehrwertsteuer, sondern auch zur Festsetzung von Steuern und Abgaben, die unter die EG-Betreibungsrichtlinie7 fallen, verwendet
8.28
1 §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG; s. Rz. 17.22 ff.; dort auch zu betrÅgerischen Umsatzsteuerkarusellen (Rz. 17.41 ff.). 2 §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG; s. Rz. 13.119 ff. 3 Vgl. § 27a UStG; sie wird in Deutschland erteilt durch das BZSt. 4 Zum abgestuften Datenaustausch im Einzelnen: Kraeusel in R/K/L, § 18 UStG Rz. 845 ff.; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 264 ff. 5 Vgl. in Deutschland § 18a UStG. 6 Das BZSt unterhlt die Zentrale Datenbank zur Auswertung und Speicherung von Umsatzsteuerbetrugsfllen und Entwicklung von Risikoprofilen (ZAUBER), die einen direkten Online-Zugriff der FinanzbehÇrden ermÇglicht; vgl. OFD Koblenz v. 9.4.2001, UR 2001, 416; ferner werden zwecks Bekmpfung von Umsatzsteuerbetrug folgende Datenbanken vorgehalten: USEG (Umsatzsteuer EG), LUNA (Lnderumfassende Namensauskunft), ISI (Informationssystem der IZA), OZEAN (Online-Zugriff der Finanzverwaltung auf Ein-/Ausfuhrdaten), ATLAS; vgl die Nachweise in PStR 2014, 139. 7 RL 2008/55/EG des Rates v. 26.5.2008 Åber die gegenseitige UnterstÅtzung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, ZÇlle, Steuern und sonstige Maßnahmen, ABl. EU 2008 Nr. L 150; nunmehr RL 2010/24/EU Åber die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
werden (Art. 55 Abs. 1 MwSt-ZVO). Erfasst werden damit vor allem die Einkommen-, KÇrperschaft-, Gewerbe und Versicherungsteuer sowie die Verbrauchsteuern.1 Schließlich finden die erhaltenen AuskÅnfte auch im Steuerstraf- und im Bußgeldverfahren Zugang (Art. 55 Abs. 1 MwSt-ZVO), ohne dass es hier eine personelle Begrenzung gibt, und zwar auch, wenn die erhaltenen AuskÅnfte ausschließlich im Steuerstraf- und Bußgeldverfahren Verwendung finden sollen.2 Damit kÇnnen im Ergebnis die erhaltenen AuskÅnfte auch im Verfahren anderer Personen ausgewertet werden. Allerdings gelten hier die Schranken des § 30 AO (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 MwSt-ZVO).3 Das bedeutet: Zur DurchfÅhrung eines Steuerstrafverfahrens oder eines steuerlichen Bußgeldverfahrens kÇnnen die erhaltenen AuskÅnfte, und zwar auch im Verfahren dritter Personen, verwendet werden (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Die Offenbarungsbefugnis erstreckt sich auch auf Åbrige Straftaten, soweit sie in Tateinheit mit Steuerstraftaten begangen werden.4 In Fllen der Tatmehrheit besteht demgegenÅber ein Verwendungsverbot.5 Ausnahmsweise dÅrfen darÅber hinaus die erlangten AuskÅnfte fÅr Zwecke der Verfolgung außersteuerlicher Straftaten ausgewertet werden, wenn hierfÅr ein zwingendes Çffentliches Interesse besteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO).6 Erlangte AuskÅnfte bleiben dagegen in einem außersteuerlichen Bußgeldverfahren stets unberÅcksichtigt,7 es sei denn, deren Offenbarung ist gesetzlich ausdrÅcklich zugelassen (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO).8 b) Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung
8.29 Der innergemeinschaftliche Informationsaustausch fÅr Zwecke der Verbrauchsteuern9 stÅtzt sich auf die VerbrauchSt-ZVO.10 Der nach der VerbrauchSt-ZVO mÇgliche Informationsaustausch dient vor allem der Be-
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auf bestimmte Steuern, Abgaben uns sonstige Maßnahmen v. 16.3.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1. Vgl. die Aufzhlung bei Kraeusel in R/K/L, § 18 UStG Rz. 827. Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 141 ff. (152). Kraeusel in R/K/L, § 18 UStG Rz. 822. DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 113; Joecks, wistra 1998, 88; Becker, StBp 2001, 104 ff. (106); OFD NÅrnberg v. 3.10.1988, DStR 1988, 748; a.A. BayObLG v. 6.8.1996 – 4 StRR 104/96, NJW 1997, 600; Spriegel, wistra 1997, 323. DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 113; Blesinger, wistra 1991, 244. Eine Verwendungsbefugnis gem. § 30 Abs. 4 Nr. 4. Abs. 5 AO wird in Zusammenhang mit AuskÅnften aus dem Ausland in aller Regel nicht gegeben sein. DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 113; Alber in H/H/Sp, § 30 AO Rz. 182; Blesinger in KÅhn/von Wedelstdt20, § 30 AO Rz. 30. Z.B. gem. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG. Hierzu zhlen die Steuern auf Energieerzeugnisse und elektrischen Strom, Alkohol und alkoholische Getrnke und Tabakwaren (Art. 2 Nr. 16 VerbrauchStZVO i.V.m. Art: 1 VerbrauchSt-SystRL). Verordnung (EU) Nr. 389/2012 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121, 1.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
kmpfung der Verbrauchsteuerhinterziehung und ermÇglicht deshalb eine enge Zusammenarbeit der hierfÅr zustndigen VerwaltungsbehÇrden.1 Im Hinblick darauf ist die Informationshilfe sehr weitgehend; sie umfasst nicht nur AuskÅnfte auf Ersuchen, automatische AuskÅnfte und SpontanauskÅnfte, sondern auch den zwischenstaatlichen Datenzugriff auf die von den betreffenden BehÇrden in den einzelnen Mitgliedstaaten eingerichteten elektronischen Datenbanken (Art. 19 ff. VerbrauchSt-ZVO). Hierzu dient nicht zuletzt das CCN/CSI-Netz2 als gemeinsame innergemeinschaftliche Plattform, aufgrund deren die elektronische InformationsÅbermittlung sichergestellt wird.3 DarÅber hinaus enthlt die VerbrauchSt-ZVO auch die Rechtsgrundlage dafÅr, dass etwa Beamte der ersuchenden BehÇrde (zentrales Verbrauchsteuer-VerbindungsbÅro) im Hinblick auf die Auskunftserteilung sich in den Amtsrumen der ersuchten BehÇrde aufhalten und dort an behÇrdlichen Ermittlungen teilnehmen dÅrfen (Art. 12 VerbrauchSt-ZVO). DarÅber hinaus wird auch die MÇglichkeit simultaner AußenprÅfungen erÇffnet (Art. 12, 13 VerbrauchSt-ZVO). Dem Anspruch auf Auskunft der ersuchenden BehÇrde (Hauptzollamt) entspricht die Verpflichtung des anderen Mitgliedstaates auf Auskunftserteilung (Art. 6, 8, 31 VerbrauchSt-ZVO). Zu den PflichtauskÅnften zhlen auch die in der VerbrauchSt-ZVO verankerten automatischen AuskÅnfte (Art. 15 VerbrauchSt-ZVO).
8.30
Der Auskunftserteilung sind allerdings Grenzen gesetzt. So kann der ersuchte Staat die Auskunft verweigern, wenn es sich um Beweisausforschungen (fishing expeditions) handelt oder deren Relevanz fÅr Zwecke der Verbrauchsteuern einer bestimmten Person oder einer bestimmbaren Personengruppe oder eines bestimmbaren Personenkreises unwahrscheinlich ist (Prambel Nr. 4 VerbrauchSt-ZVO) sowie wegen der Anzahl und der Art der Auskunftsersuchen die ersuchende BehÇrde zu einem unverhltnismßig großen Verwaltungsaufwand gezwungen wÅrde (Art. 25 Abs. 1 Buchst. b VerbrauchSt-ZVO). DarÅber hinaus kann die Auskunft verweigert werden, wenn die ersuchende BehÇrde (Hauptzollamt) die Åblichen Informationsquellen nicht ausgeschÇpft hat (Art. 25 Abs. 1 Buchst. a VerbrauchSt-ZVO), die Gegenseitigkeit nicht gewhrleistet ist (Art. 25 Abs. 3 VerbrauchSt-ZVO) oder wenn die bermittlung der Informationen zur Preisgabe eines Geschfts-, Industrie- oder Berufsgeheimnisses oder eines Geschftsverfahrens oder zu einem Verstoß gegen die Çffentliche Ordnung fÅhren wÅrde (Art. 25 Abs. 4 VerbrauchSt-ZVO). Nicht geschÅtzt ist dagegen ein etwaiges Bankgeheimnis (Art. 25 Abs. 6 VerbrauchSt-ZVO).
8.31
Die erhaltenen Informationen unterliegen bei der ersuchenden BehÇrde (Hauptzollamt) einer Geheimhaltungsverpflichtung, die allerdings weit-
8.32
1 In Deutschland die Hauptzollmter. 2 CCN = Common Communication Network; CSI = Common System Interface. 3 Vgl. Art. 2 Nr. 15 VerbrauchSt-ZVO.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
gehend gelockert ist (Art. 28 VerbrauchSt-ZVO). Im Einzelnen: Die erlangten Informationen dÅrfen nicht nur fÅr Zwecke der Verbrauchsteuern, sondern auch zur Festsetzung aller anderen Steuern, insbesondere von Einkommen-, KÇrperschaft-, Gewerbesteuer verwendet werden (Art. 28 Abs. 2 Buchst. f VerbrauchSt-ZVO).1 Die erlangten Informationen dÅrfen schließlich auch im Steuerstraf- und im steuerlichen Bußgeldverfahren ausgewertet werden, ohne dass es hier eine personelle Begrenzung gibt (Art. 28 Abs. 2 Stze 2 und 3 VerbrauchSt-ZVO).2 Im brigen orientiert sich die Reichweite der in Art. 28 VerbrauchSt-ZVO verankerten Geheimhaltungsverpflichtung im Inland an § 30 AO. 4. Doppelbesteuerungsabkommen Literatur: Kommentare zu Art. 26 OED-MA und zu § 117 AO; Aumayer, Der Umfang des Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 47 ff.; Bozza-Bodden, Internationale Zusammenarbeit – Informationsaustausch, in Achatz, Internationales Steuerrecht (DStJG 36), KÇln 2013, 133 ff.; Hendricks, Internationale Informationshilfe in Steuerverfahren, KÇln 2004, 122 ff.; Herlinghaus, MÇglichkeiten und Grenzen des Rechtsschutzes gegen Maßnahmen des Informationsaustausches, in FS Herzig, MÅnchen 2010, 933 ff.; Pistone/Gruber, Die MÇglichkeiten der Verweigerung des Informationsaustausches nach Art. 26 OECD-MA, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 75 ff.; Schaumburg/Schloßmacher, Article 26 of the OECD Model in Light of the Right to Informational SelfDetermination, BiFD 2000, 522 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.53 ff.; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 2 ff.
8.33 Whrend innerhalb der EU die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe in aller Regel auf der Grundlage der EU-Amtshilfe-Richtlinie3 (hierzu s. Rz. 8.16 ff.) erfolgt, wird der Auskunftsaustausch mit Drittstaaten, mit denen Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat, durchweg auf Art. 26 OECD-MA4 gestÅtzt. Im Vordergrund stehen hierbei AuskÅnfte auf Ersuchen.
8.34 Mit der Verpflichtung zur Auskunftserteilung des ersuchten Staates korrespondiert auf Abkommensebene der Auskunftsanspruch des ersuchen1 DarÅber hinaus auch fÅr weitere Abgaben, ZÇlle und sonstige Maßnahmen vgl. die Aufzhlung bei Art. 2 EG-BeitreibungsRL (RL 2010/24/EU v. 16.3.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 84, 1). 2 Die fÅr die MwSt-ZVO maßgeblichen Grundstze gelten entsprechend; s. Rz. 8.24 ff. 3 Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, 1. 4 Im Folgenden wird das OECD-MA 2012 zugrunde gelegt, wobei auf bedeutsame Abweichungen der einzelnen (lteren) deutschen Doppelbesteuerungsabkommen hingewiesen wird.
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den Staates.1 Die Vertragsstaaten dÅrfen allerdings auch ohne Ersuchen, d.h. z.B. auch automatische AuskÅnfte austauschen.2 Der Anwendungsbereich der abkommensrechtlichen Auskunftsklauseln geht zumeist Åber den persÇnlichen Anwendungsbereich der sonstigen Vorschriften der DBA hinaus (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA), sodass AuskÅnfte ggf. auch fÅr die steuerlichen Verhltnisse von Personen erteilt werden mÅssen, die im ersuchenden Staat nur der beschrnkten Steuerpflicht unterliegen.3 Entsprechendes gilt auch fÅr den sachlichen Anwendungsbereich, sodass alle Steuern4 Gegenstand eines Auskunftsersuchens sein kÇnnen.5 Die deutschen DBA sehen in bereinstimmung mit dem OECD-MA zumeist einen Informationsaustausch nicht nur zur DurchfÅhrung des Abkommens selbst vor (kleine Auskunftsklausel), sondern darÅber hinaus auch zur DurchfÅhrung des innerstaatlichen Steuerrechts des jeweiligen Vertragsstaates (große Auskunftsklausel).6 Die kleine Auskunftsklausel ermchtigt nur zu AuskÅnften, die unmittelbar auf abkommensrechtliche Rechtsfolgen einwirken.7 Die große Auskunftsklausel dient dagegen der DurchfÅhrung auch des innerstaatlichen Rechts. Es geht hier um tatschliche oder rechtliche Verhltnisse, die der ersuchende Staat fÅr die Entscheidung Åber den Steueranspruch dem Grunde und/oder der HÇhe nach benÇtigt.8
8.35
In einigen DBA erfahren sowohl große als auch kleine Auskunftsklauseln eine ausdrÅckliche Erweiterung dadurch, dass AuskÅnfte (zustzlich)
8.36
1 Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 131; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 22; Czakert in SchÇnfeld/ Ditz, Art. 26 OECD-MA Rz. 6. 2 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 39, dort auch zu Ausnahmen in der deutschen Abkommenspraxis. 3 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; zu den dem MA 1963 folgenden deutschen Abkommen mit Beschrnkung auf ansssige Personen Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 58, 60. 4 Z.B. die Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern. 5 So die Fassung ab OECD-MA 2000; die deutsche Abkommen, die dem MA 1963/1977 folgen, erfassen nur die Abkommensteuern; vgl. hierzu die AbkommensÅbersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 58; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Anlage 1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 6 Hierzu die AbkommensÅbersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 58; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Anlage 1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen). 7 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 19; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 48, 41; den Anwendungsbereich der kleinen Auskunftsklausel dagegen weiterfassend: OECD-MK, Ziff. 7 zu Art. 26 Abs. 1; ihm folgend die Finanzverwaltung, vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Rz. 2.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); zur Kritik hierzu Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 49. 8 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 20; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 48.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
auch fÅr Zwecke der Strafverfolgung1 oder der Verhinderung von SteuerverkÅrzungen2 ausgetauscht werden dÅrfen,3 ohne dass es hierbei auf den Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer Ordnungswidrigkeit ankommt4 (zu Einzelheiten Rz. 8.44). Aber auch in den Fllen, in denen eine derartige ausdrÅckliche Bezugnahme nicht gegeben ist, dÅrfen Auskunftsersuchen nicht nur fÅr steuerliche Zwecke, sondern zustzlich auch fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke gestellt werden. Damit ist ein Auskunftsersuchen nur fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke unzulssig.5 Stellt sich allerdings nach Auskunftserteilung heraus, dass (ausnahmsweise) die erhaltenen Informationen nur steuerstrafrechtliche Bedeutung haben, ist deren Verwendung nicht durch das Steuergeheimnis (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA) gesperrt.
8.37 Ein Auskunftsersuchen ist schließlich auch unzulssig, wenn es der Anwendung von innerstaatlichen Normen dient, die auf eine abkommenswidrige Besteuerung gerichtet sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Dieser Vorbehalt hat zur Folge, dass ein Auskunftsersuchen fÅr Zwecke der Anwendung von Treaty-override-Normen (hierzug Rz. 2.31 f.), etwa § 50d Abs. 8–10 EStG, § 20 Abs. 2 AStG, § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG, vom ersuchten Staat zurÅckgewiesen werden kann.6 Wird die Auskunft dennoch erteilt, kann sie verwendet werden.7
8.38 In der internationalen Auskunftspraxis sind Auskunftsersuchen, die die EinkÅnfte- und VermÇgenszuordnung zwischen international verbundenen Unternehmen betreffen,8 von besonderer Bedeutung. Dienen die AuskÅnfte der EinkÅnfte- und VermÇgenszuordnung innerhalb der von den DBA gezogenen Grenzen (Art. 9 OECD-MA)9 und damit ausschließlich der DurchfÅhrung des innerstaatlichen Rechts, sind sie nur durch große Auskunftsklauseln gedeckt.10 Betreffen die AuskÅnfte dagegen nur die 1 So die Formulierung in Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA, die nicht die Verfolgung von Steuerordungswidrigkeiten mitumfasst. 2 Steuern, die nicht oder nicht in voller HÇhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). 3 Vgl. die bersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 58, 65 ff. 4 SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 264; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 197. 5 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 28; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuerverfahren, 1993, 50; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.2 Abs. 2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); a.A. Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 50; Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe, 2011, 155 ff. 6 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 33. 7 Insoweit handelt es sich um eine Kulanzauskunft. 8 Gemeint ist die Verrechnungspreisproblematik (z.B. § 1 AStG); vgl. hierzu Rz. 13.187 ff.; 15.118 ff. 9 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.289 ff. 10 SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 48; differenzierend Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 52; die kleine Auskunftsklausel halten dagegen fÅr anwendbar
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Feststellung der von den DBA gezogenen Schrankenwirkungen (Art. 9 OECD-MA)1 selbst, so dienen sie der DurchfÅhrung der Abkommen, sodass sie auch durch kleine Auskunftsklauseln gedeckt sind.2 AuskÅnfte zwecks Feststellung angemessener Verrechnungspreise (hierzu s. Rz. 13.187 ff.; 15.118 ff.) sind daher nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln mÇglich. Soweit zwischen einzelnen Staaten koordinierte AußenprÅfungen3 mit Auskunftsaustausch vereinbart werden,4 sind diese ebenfalls nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln zulssig.5 Außerhalb des Abkommensrechts kommen als Rechtsgrundlage Artt. 28 ff. MwSt-ZVO und Art. 12 VerbrauchSt-ZVO6 sowie Art. 12 EUAHiRL, § 12 EuAHiG7 in Betracht.
8.39
Nicht selten dienen Auskunftsersuchen der Aufklrung von Verhltnissen in Drittstaaten.8 Diese DreiecksauskÅnfte zielen zumeist darauf ab, fÅr Zwecke der VerrechnungspreisprÅfung (hierzu s. Rz. 15.118 ff.). Geschftsbeziehungen zwischen im ersuchten Staat und in Drittstaaten ansssigen Unternehmen aufzuklren. Derartige AuskÅnfte dÅrfen nur auf der Grundlage großer Auskunftsklauseln erteilt werden.9 Begehrt der ersuchende vom ersuchten Staat dagegen Informationen Åber ein in einem Drittstaat ansssiges Unternehmen, weil die AuskÅnfte von dem Drittstaat direkt nicht zu erhalten sind, so kann zwar das Auskunftsersuchen
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OECD-MK, Art. 26 Ziff. 7; HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 184. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 2.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.289. Seer in T/K, § 117 AO Rz. 20. Auch SimultanprÅfungen; vgl. Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, 90 f.; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). Hierzu Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 383 ff.; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 158 ff.; Roth in Piltz/Schaumburg, Steuerliche BetriebsprÅfung internationaler Sachverhalte, 51 ff. HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 48; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 160; Roth in Piltz/Schaumburg, Steuerliche BetriebsprÅfung internationaler Sachverhalte, 51 (57). Zu Einzelheiten Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 257 f. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 7 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). Dazu Duhnkrack, GrenzÅberschreitender Steuerdatenschutz, 149 ff.; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 139 ff. OECD-MK, Art. 26 Ziff. 8 Buchst. b; SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 140; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 54; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 141; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 2.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
auf eine große Auskunftsklausel gestÅtzt werden,1 eine Auskunftserteilung scheitert aber bei nicht bereits vorhandenen Informationen regelmßig daran, dass das weitere Auskunftsersuchen des ersuchten Staates an den Drittstaat nicht der Anwendung des Abkommens und nicht der DurchfÅhrung von dessen innerstaatlichem Steuerrecht dient und damit weder durch die kleine noch durch die große Auskunftsklausel gedeckt ist.2 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Drittstaat KulanzauskÅnfte leistet und mit der Weitergabe der Informationen an den anderen Staat einverstanden ist.3
8.41 Voraussetzung fÅr die Auskunftserteilung ist, dass die Informationen zur DurchfÅhrung des Abkommens oder des innerstaatlichen Rechts voraussichtlich erheblich bzw. erforderlich4 sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECDMA). Die AuskÅnfte mÅssen also vom ersuchenden Staat auch nach AusschÇpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sein.5 Im Hinblick darauf ist die Auskunftserteilung nicht schon dann legitimiert, wenn das entsprechende Ersuchen aus der Sicht des ersuchenden Staates effektiver oder einfacher ist als innerstaatliche Mittel.6 Voraussetzung ist ferner, dass sich das Auskunftsersuchen auf einen oder mehrere konkrete Flle bezieht7, wobei Gruppenanfragen, soweit die betreffende Gruppe durch bestimmte Verhaltensmuster so konkretisiert ist, dass eine Individualisierung der einzelnen Gruppenmitglieder mÇglich ist, zulssig sind.8
1 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 54. 2 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 54. 3 SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 143; Czakert in SchÇnfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA Rz. 53. 4 Ab OECD-MA 2005 wird der Begriff „voraussichtlich erheblich“ verwendet, der ebenso wie der bis dahin verwendete Begriff „erforderlich“ i.S. eines (strengen) Subsidiarittsprinzips zu verstehen ist; hierzu Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32; Herlinghaus in FS Herzig, 933 (943 ff.). 5 I.S. dieses Subsidiarittsprinzips OECD-MK, Art. 26 Ziff. 9 Buchst. a; Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; Seer in T/K, § 117 AO Rz. 11; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 137 ff.; Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr im Steuerverfahren, 36 f.; Schaumburg/ Schloßmacher, BiFD 2000, 522 (525 f.); BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); anders die Rechtslage nach § 6 Abs. 2 EUAHiG. 6 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.97; a.A. SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 88b; HÇppner in G/K/G, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 255; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 99, 129. 7 Sog. fishing expeditions sind also nicht zulssig; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 30. 8 Vgl. Nr. 5.2 MK (ab 2012); die neue OECD-Kommentierung darf nicht zur Auslegung frÅher abgeschlossener DBA herangezogen werden; BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.77; M. Lang, SWI 2011, 105 ff. (111).
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
Die Auskunftserteilung durch den ersuchten Staat setzt Gegenseitigkeit voraus.1 Gegenseitigkeit besteht, wenn sich beide Vertragsstaaten AuskÅnfte unter vergleichbaren Umstnden und in vergleichbarem Umfang erteilen.2 Erforderlich ist eine materielle Gegenseitigkeit i.S. der Gleichgewichtigkeit der eingesetzten Verwaltungsmittel und der Gleichwertigkeit der ausgetauschten AuskÅnfte.3 Insgesamt kommt es nur darauf an, dass der Auskunftsverkehr weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht zu einer „Einbahnstraße“ wird,4 wobei es bei Beginn des Auskunftsverkehrs ausreicht, wenn der andere Staat die Gegenseitigkeit zusichert und erkennbar auch in der Lage ist, entsprechende AuskÅnfte zu erteilen.5
8.42
Die Auskunftserteilung ist an keine Form gebunden und daher auch mÅndlich mÇglich. Der ersuchte Staat wird einem Auskunftsersuchen grundstzlich nur dann entsprechen, wenn die erteilten AuskÅnfte im ersuchenden Staat in gleichem Umfang geheim gehalten werden wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts dieses Staates beschafften Informationen (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA). Durch diese Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht des ersuchenden Staates, in Deutschland also insbesondere auf § 30 AO, wirkt der abkommensrechtliche Geheimnisschutz lediglich relativ.6 Dies gilt nicht fÅr die lteren deutschen DBA, soweit sie nach dem Vorbild des OECD-Musterabkommens 1963 ein eigenstndiges absolut wirkendes internationales Steuergeheimnis beinhalten.7 Allerdings dÅrfen auch bei dem bloß relativ wirkenden abkommensrechtlichen Geheimnisschutz die erteilten AuskÅnfte im ersuchenden Staat lediglich bestimmten Personen oder BehÇrden zugnglich gemacht werden.8
8.43
Dies bedeutet, dass die beim BZSt als zustndige EmpfangsbehÇrde9 eingehenden AuskÅnfte nur den Personen oder BehÇrden (einschließlich der Gerichte und der VerwaltungsbehÇrden) zugnglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder Erhebung, der Vollstreckung oder Strafverfolgung oder mit der Entscheidung von Rechtsmitteln hinsichtlich aller nach innerstaatlichen Recht erhobenen Steuern oder mit der Aufsicht Åber diese Personen oder BehÇrden befasst sind, und die Informationen
8.44
1 Art. 26 Abs. 1 OECD-MA stellt nmlich auf den Austausch von Informationen ab. 2 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 37; SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 173; HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 121. 3 Ritter in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 17 (29 f.). 4 HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 121; Hendricks, Internationale Informationshilfe in Steuerverfahren, 281. 5 BFH v. 8.2.1995 – I B 92/94, BStBl. II 1995, 358. 6 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 78; HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 229. 7 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 78, 86, 87 f. 8 Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 OECD-MA; zu Einzelheiten HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 233 ff. 9 Vgl. BMF v. 20.6.2011, BStBl. I 2011, 674.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
nur fÅr diese Zwecke verwendet werden (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 OECD-MA). Soweit Gerichten diese Informationen zugnglich gemacht werden, ist eine entsprechende Offenlegung im Gerichtsverfahren oder in der Gerichtsentscheidung ausdrÅcklich zugelassen (Art. 26 Abs. 2 Satz 3 OECD-MA). Die Weitergabe der Informationen an andere BehÇrden ist dagegen ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn dies gem. §§ 30 ff. AO oder aufgrund anderer Vorschriften ausdrÅcklich ermÇglicht wird1. Aufgrund dieser großen Auskunftsklausel kÇnnen mithin die erhaltenen Informationen zur – auch ausschließlichen2 – DurchfÅhrung eines Steuerstrafverfahrens3 nicht aber ohne Weiteres in einem Bußgeldverfahren4 verwendet werden, ohne dass es im Grundsatz darauf ankommt, ob in dem einen oder anderen Vertragsstaat ansssige Personen und vom Abkommen selbst erfasste Steuern betroffen sind.5 Greift dem gegenÅber eine kleine Auskunftsklausel ein, gilt die Geheimhaltungspflicht fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts oder Steuerordnungswidrigkeitenrechts nur dann nicht, wenn in dem einen oder anderen Vertragsstaat ansssige Personen betroffen sind und es um die Anwendung abkommensrechtlicher Vorschriften geht. Das bedeutet, dass die erlangten Informationen auch fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke verwendet werden dÅrfen, wenn die Steuerstraftat etwa auf einer Erschleichung von Abkommenserleichterungen beruht6. Die vorstehende Abgrenzung gilt freilich nur im Grundsatz, weil die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen gerade hinsichtlich der Geheimhaltungsverpflichtung zum Teil sehr unterschiedliche Regelungen enthalten.7
1 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 85. 2 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 50; mit ausfÅhrlicher BegrÅndung Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 155 ff.; nach einzelnen DBA differenzierend SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 50; dagegen darf ein Auskunftsersuchen fÅr rein steuerstrafrechtliche Zwecke von vornherein nicht gestellt werden. 3 Das gilt auch in den Fllen, in denen eine nichtsteuerliche Straftat in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer Steuerstraftat begangen wurde; nicht aber ohne Weiteres bei Tatmehrheit (§ 53 StGB); vgl. hierzu DrÅen in T/K, § 30 AO Rz. 70. 4 Art. 26 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA meint die „Strafverfolgung“ nicht etwa in einem umfassenden Sinne, sondern nur im Zusammenhang mit vorstzlichem Handeln; vgl. die Parallelvorschrift in Art. 4 InfAust; anders in den Abkommen, in denen von „SteuerverkÅrzung“ die Rede ist. 5 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 450; Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 155 f. 6 Toifl in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 155; gegen die Zulssigkeit generell Lohr, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuerverfahren, 22 f. 7 Art. 26 Abs. 2 Satz 4 OECD-MA 2012 sieht die MÇglichkeit vor, dass die erhaltenen Informationen mit Zustimmung des ersuchten Staates auch fÅr andere Zwecke – z.B. Korruptions- und Geldwschebekmpfung – Verwendung finden; vgl. hierzu Nr. 12.3 MK.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
Ebenso wie das EUAHiG enthalten auch die Auskunftsklauseln der DBA (Art. 26 Abs. 2 OECD-MA) besondere Schrankenwirkungen, aufgrund deren der ersuchte Staat die Auskunftserteilung verweigern darf. Im Gegensatz zu den Regeln des EUAHiG (§ 3 Abs. 1 EGAHiG) bilden absolute Auskunftsverbote bei DBA lediglich die Ausnahme, und zwar betreffen sie die Wahrung von Geschftsgeheimnissen.1
8.45
Auskunftsverweigerungsrechte sind die Regel. Ob der ersuchte Staat von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht oder nicht, liegt in seinem Ermessen.2 Dieses Ermessen steht unter dem Vorbehalt der eigenen Gesetze und der eigenen Verwaltungspraxis des ersuchten Staates (Art. 26 Abs. 3 Buchst a und b OECD-MA), sodass eine Auskunft nicht erteilt werden darf, wenn nicht zugleich das innerstaatliche Recht hierzu die Befugnis einrumt.3 Im Hinblick darauf sehen die Auskunftsklauseln der DBA4 verschiedene Auskunftsverweigerungsrechte vor, sodass der ersuchte Vertragsstaat nicht verpflichtet ist, – Verwaltungsmaßnahmen durchzufÅhren, die von den Gesetzen und der Verwaltungspraxis dieses oder des anderen Vertragsstaates abweichen (Art. 26 Abs. 3 Buchst. a OECD-MA); – Informationen zu erteilen, die nach den Gesetzen oder im Åblichen Verwaltungsverfahren dieses oder des anderen Vertragsstaates nicht beschafft werden kÇnnen (Art. 26 Abs. 3 Buchst. b OECD-MA) und – Informationen zu erteilen, die ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren preisgeben wÅrden oder deren Erteilung der Çffentlichen Ordnung widersprche (Art. 26 Abs. 3 Buchst. c OECD-MA).
8.46
Schließlich gibt es auch Abkommen, die Åberhaupt keinen Informationsaustausch i.S. einer großen oder kleinen Auskunftsklausel vorsehen, sondern lediglich zur Mitteilung von nderungen der nationalen Steuergesetze verpflichten.5
8.47
Die von Deutschland abgeschlossenen besonderen Erbschaftsteuerabkommen6 sowie die sog. großen, auch die Erbschaftsteuer umfassenden Dop-
8.48
1 Hierzu die AbkommensÅbersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 113. 2 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 98; SÇhn in H/H/Sp, § 117 AO Rz. 126; HÇppner in G/K/G, Art. 26 OECD-MA Rz. 197, 200; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 142 f. 3 Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 98. 4 Art. 26 Abs. 3 OECD-MA; hierzu die AbkommensÅbersicht bei Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 113; vgl. allerdings die Modifikationen in Art. 26 Abs. 5 OECD-MA i.d.F. 2005; hierzu Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 126 ff. 5 Vgl. das DBA-UdSSR v. 24.11.1981, BStBl. I 1983, 90, soweit dieses noch fÅr die ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Republik Moldau und Turkmenistan fortgilt. 6 Griechenland (Abkommen v. 18.11./1.12.1910, RGBl. 1912, 173), Schweiz (Abkommen v. 30.11.1978, BGBl. II 1980, 594), USA (Abkommen v.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
pelbesteuerungsabkommen1 enthalten ebenfalls Auskunftsklauseln. Die hiernach ausgetauschten Informationen dÅrfen auch fÅr Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden.2 5. Amts- und Rechtshilfeabkommen Literatur: Kommentare zu § 117 AO.
8.49 Neben den Doppelbesteuerungsabkommen bestehen einige weitere gesondert abgeschlossene Amts- und Rechtshilfeabkommen,3 die u.a. auch Rechtsgrundlage fÅr einen zwischenstaatlichen Auskunftsaustausch sind.4 Soweit die Abkommen Amts-und Rechtshilfe in Abgaben- bzw. Steuersachen regeln, sind damit – abgesehen von Verbrauchsteuern – alle Steuern erfasst.5 Die AuskÅnfte werden allerdings nur im Besteuerungsverfahren, zu dem das Ermittlungs-, Feststellungs- und Rechtsmittelverfahren sowie das Vollstreckungsverfahren gehÇrt,6 und dem Steuerstrafverfahren, soweit es von den FinanzbehÇrden betrieben wird (§ 386 AO)7 ausgetauscht. Hieraus folgt, dass auf dieser Grundlage ein Auskunftsersuchen zwecks DurchfÅhrung eines Bußgeldverfahrens wegen Steuerordnungswidrigkeiten ausgeschlossen ist. Die AuskÅnfte unterliegen zudem den fÅr die Amtsverschwiegenheit und das Steuergeheimnis geltenden Regelungen des jeweiligen Vertragsstaates.8 Aus deutscher Sicht findet somit § 30 AO Anwendung.
8.50 In Deutschland ist zwar grundstzlich das BZSt fÅr die zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe zustndig,9 das Abkommen mit sterreich rumt diese Befugnis aber ausnahmsweise den beteiligten Ober- oder Lnderfinanzdirektionen10 oder den Finanzmtern ein,11 wobei ab 1.1.2013 –
1 2 3 4 5 6 7 8 9
10
11
3.12./14.12.1998, BGBl. II 2000, 1170), Frankreich (Abkommen v. 13.10.2006, BGBl. II 2007, 1403). Dnemark (Abkommen v. 22.11.1995, BGBl. II 1996, 2565), Schweden (Abkommen v. 14.7.1992, BGBl. II 1994, 686). Vgl. Art. 15 Abs. 2 DBA-Frankreich (Erb). Vgl. die LnderÅbersicht Nr. 4, BStBl. I 2014, 171. So die Abkommen mit Finnland v. 25.9.1935, RGBl. 1936, 37; Italien v. 9.6.1938, RGBl. 1939, 124 und mit sterreich v. 4.10.1954, BGBl. II 1955, 833. Vgl. Art. 1 des Abkommens mit sterreich. Vgl. Art. 3 des Abkommens mit sterreich. In Art. 3 des Abkommens mit sterreich heißt es Verwaltungsstrafverfahren. Vgl. Art. 8 des Abkommens mit sterreich. § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.5.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). In Bayern das Bayerische Landesamt fÅr Steuern und in Sachsen das Landesamt fÅr Steuern und Finanzen und in Lndern ohne Ober- und Landesfinanzdirektionen die obersten LandesfinanzbehÇrden. Vgl. Art. 4 des Abkommens mit sterreich.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
abgesehen von dringenden Fllen – die Amts- und Rechtshilfe nach Maßgabe der EUAHiRL erfolgt.1 FÅr den ersuchten Staat besteht nach allgemeinen Grundstzen die Pflicht, die ersuchte Auskunft zu erteilen. Er braucht allerdings zur Erlangung der ersuchten AuskÅnfte keine Zwangsmittel einzusetzen, wenn der ersuchende Staat derartige Zwangsmittel nach seinem eigenen Recht nicht einsetzen dÅrfte.2 Schließlich kann die Auskunft verweigert werden, wenn sie die wesentlichen Interessen des ersuchten Staates gefhrden wÅrden3 und wenn die AuskÅnfte von nicht beteiligten Personen eingeholt werden mÅssten, die nach dem nationalen Recht des ersuchenden Staates selbst zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet wren.4 6. Informationsaustauschabkommen Literatur: Kommentare zu MA-InfAust/TIEA-MA und zu § 117 AO; Kofler/Tumpel, Tax Information Exchange Agreements, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 181 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.53 ff.; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3 ff.; Seer/Gabert, „Tax Information Exchange Agreements“ (TIEA) und das Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz 2009 als neue Instrumente zur Bekmpfung von Steueroasen, Ubg 2010, 358 ff.
Die zwischen Deutschland und anderen Staaten und Gebieten abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen5 (TIEA) sind auf einen effektiven Informationsaustausch gerichtet. Hierbei geht es insbesondere darum, sog. Steueroasen-Staaten zu einem weitgehenden Informationsaustausch zu verpflichten. Die derzeit von Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen6 bestehen zumeist mit Staaten und Gebieten, mit denen im brigen keine Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Gegenstand der in den Informationsaustauschabkommen getroffenen Regelungen entspricht im Kern dem, was in den Auskunftsklauseln der Doppelbesteuerungsabkommen (Art. 26 OECD-MA) geregelt ist. Die von Deutschland bislang abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen sind weitgehend den OECD-MA Åber den Informationsaustausch in Steuersachen (MA-InfAust) nachgebildet.7
8.51
Der in den Abkommen verankerte Informationsaustausch ist auf den Austausch von AuskÅnften beschrnkt, die fÅr die DurchfÅhrung des je-
8.52
1 2 3 4 5 6 7
Konsultationsvereinbarung v. 6.11.2013, IStR-LB 11/2014, 46. Vgl. Art. 5 Abs. 2 des Abkommens mit sterreich. Vgl. Art. 6 Abs. 1 des Abkommens mit sterreich. Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Abkommens mit sterreich. Tax Information Exchange Agreements (TIEA). Hierzu die LnderÅbersicht Nr. 4 im BStBl. I 2014, 171. Vgl. hierzu die umfassende Kommentierung von Hendricks in Wassermeyer, DBA, MA-InfAust und Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, TIEA-MA (Anh. 3).
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
weiligen Rechts der Vertragsparteien betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind (Art. 1 Satz 1 MA-InfAust). DarÅber hinausgehende UnterstÅtzungsmaßnahmen, etwa Vollstreckungs- und Zustellungshilfe sind ausgeschlossen.1 Die auszutauschenden AuskÅnfte schließen allerdings Informationen ein, die der Festsetzung und Erhebung, der Vollstreckung und den Ermittlungen in oder der Verfolgung von Steuerstrafsachen dienen (Art. 1 Satz 2 MA-InfAust). Die von Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommen erfassen insoweit durchweg alle Steuern, insbesondere die Einkommen-, KÇrperschaft-, Gewerbe-, Erbschaftsteuer, mitunter Versicherungsteuer und Umsatzsteuer.2 Von besonderer Bedeutung ist, dass die AuskÅnfte auch fÅr Zwecke der Ermittlungen in Steuerstrafsachen und deren Verfolgung ausgetauscht werden kÇnnen. Zu den Steuerstrafsachen gehÇren nur Steuersachen im Zusammenhang mit vorstzlichem Verhalten, das nach dem Strafrecht der ersuchenden Vertragspartei strafbar ist (Art. 4 Abs. 1 Buchst. o MA-InfAust). Das bedeutet, dass ein Auskunftsaustausch einerseits voraussetzt, dass bereits ein (strafrechtliches) Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und andererseits, dass ein Informationsaustausch etwa in einem Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten ausgeschlossen ist.3 Voraussetzung fÅr die Inanspruchnahme von AuskÅnften nach dem InfAust ist schließlich, dass die AuskÅnfte voraussichtlich erheblich sind (Art. 1 Satz 1 MA-InfAust). Damit sind Ausforschungsersuchen ins Blaue hinein unzulssig.4
8.53 Die Informationsaustauschabkommen sehen lediglich AuskÅnfte auf Ersuchen vor (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MA-InfAust).5 Wird ein derartiges Auskunftsersuchen gestellt, besteht fÅr die ersuchte Vertragspartei die Verpflichtung zur Auskunftserteilung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MA-InfAust). Das gilt freilich nur, soweit die Auskunftserteilung nicht Åber den Anwendungsbereich des Informationsaustauschabkommens selbst hinausgeht.6 Wird um AuskÅnfte in Steuerstrafsachen ersucht, sind die AuskÅnfte ohne RÅcksicht darauf zu erteilen, ob die vorgeworfene Handlung nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei strafbar wre (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MA-InfAust). Damit hat das sonst im Bereich der Internationalen Strafrechtshilfe fÅr die Auskunftserteilung geltende Prinzip der beiderseitigen
1 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA-InfAust Rz. 5. 2 Vgl. das mit Liechtenstein abgeschlossene InfAust v. 18.10.2010, BStBl. I 2010, 285 (Art. 3 Abs. 1). 3 Nr. 35 MK-InfAust; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA-InfAust Rz. 16. 4 Nr. 57 MK-InfAust: keine sog. fishing expeditions; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 1 MA-InfAust Rz. 8; Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Art. 1 TIEA-MA Rz. 9; Kofler/Tumpel in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 181 ff. (192). 5 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 4; Seer/Gabert, StuW 2010, 3 ff. (9). 6 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 5.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
Strafbarkeit1 keine Bedeutung.2 Erst durch den Verzicht auf das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit wird die Effizienz des Auskunftsaustauschs in Steuerstrafsachen gewhrleistet. Dass die Informationsaustauschabkommen auf die Erteilung von mÇglichst verwertbaren AuskÅnften gerichtet sind, beruht vor allem auf einem die ersuchte Vertragspartei treffenden Pflichtenkatalog. Danach besteht etwa eine Beschaffungs- und bermittlungspflicht fÅr angeforderte Informationen, soweit diese der ersuchten Vertragspartei nicht vorliegen (Art. 5 Abs. 2 MA-InfAust). Die Reichweite der Beschaffungspflicht beurteilt sich allerdings nach dem DurchfÅhrungsrecht der ersuchten Vertragspartei, das allerdings so auszugestalten ist, dass der abkommenrechtlichen Beschaffungspflicht entsprochen werden kann (Art. 10 MA-InfAust).3 Ferner besteht eine bermittlungspflicht auch von Zeugenaussagen und beglaubigten Kopien von Originaldokumenten (Art. 5 Abs. 3 MA-InfAust), womit in besonderer Weise dem fÅr die BeweiswÅrdigung maßgeblichen Unmittelbarkeitsprinzip entsprochen werden kann.4 Schließlich sind AuskÅnfte auch dann zu erteilen, wenn sie auf Informationen von Banken, anderen Finanzinstituten oder etwa Treuhndern zurÅckzufÅhren sind (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a MA-InfAust). Die Berufung auf ein innerstaatliches Bankgeheimnis ist damit ausgeschlossen,5 es sei denn, die Auskunftserteilung liefe auf die Preisgabe eines Geschftsgeheimnisses oder sonstigen Geheimnisses hinaus, fÅr das ein Geheimnisschutz besteht, wenn sie sich im Besitz z.B. die ÅberprÅften Steuerpflichtigen selbst befnden (Art. 7 Abs. 2 MA-InfAust).6 Die weitgehende Beschaffungs- und bermittlungspflicht betrifft ferner bestimmte Beteiligungsverhltnisse und sonstige Rechtsverhltnisse an Gesellschaften, Trusts, Stiftungen usw. (Art. 5 Abs. 4 Buchst. b MA-InfAust). Die ersuchte Vertragspartei ist hierbei nur dann von der sie sonst treffenden Verpflichtung entbunden, wenn es sich um bÇrsennotierte Gesellschaften, Çffentliche Investmentfonds oder Çffentliche Investmentsysteme fÅr gemeinsame Anlagen handelt.
8.54
Der ersuchten Vertragspartei stehen verschiedene Auskunftsverweigerungsrechte zur Seite. So besteht keine Verpflichtung zur Erteilung von AuskÅnften, wenn diese den BehÇrden7 der ersuchten Vertragspartei nicht vorliegen und sich auch nicht im Besitz oder in der VerfÅgungsmacht von Personen in ihrem Hoheitsgebiet befinden (Art. 2 MA-InfAust). Hieraus
8.55
1 Popp, GrundzÅge der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, 2001, § 10 Rz. 196 ff. 2 Hierzu kritisch Oberson, IBFD 2003, 14 ff. (15 f.). 3 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 12. 4 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 16. 5 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 21, Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Art. 5 TIEA-MA Rz. 46. 6 Nr. 82 MK-InfAust; zu Einzelheiten Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 5 MA-InfAust Rz. 23, Art. 7 MA-InfAust Rz. 6. 7 Gerichte und VerwaltungsbehÇrden (Art. 8 Satz 1 MA-InfAust).
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
folgt, dass einerseits keine Pflicht zur Einholung von DrittstaatenauskÅnften besteht1, andererseits aber in allen Åbrigen Fllen eine Beschaffungspflicht im eigenen Hoheitsbereich gegeben ist (Art. 5 Abs. 2 MA-InfAust). DarÅber hinaus ist die ersuchte Vertragspartei nicht verpflichtet, AuskÅnfte zu beschaffen oder zu erteilen, die nach dem Recht der ersuchenden Vertragspartei nicht beschafft werden kÇnnten (Art. 7 Abs. 1 MA-InfAust). Zudem besteht ein Auskunftsverweigerungsrecht auch in den Fllen, in denen ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren preisgegeben werden mÅsste (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MA-InfAust). Entsprechende Auskunftsersuchen dÅrfen allerdings bei Informationen im Besitz von Banken, Finanzinstitutionen usw. nicht abgelehnt werden, wenn zwar nach dem betreffenden innerstaatlichen Recht diese Informationen als Geschftsgeheimnis oder als sonstiges Geheimnis behandelt werden, einen derartigen Geheimnisschutz aber dann nicht unterliegen, wenn sie sich im Besitz etwa der ÅberprÅften Steuerpflichtigen befinden (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 MA-InfAust).2 Im Ergebnis bedeutet das, dass ein etwaiges nach innerstaatlichem Recht bestehendes Bankgeheimnis fÅr fremd verwahrte Unterlagen abkommensrechtlich ohne Bedeutung ist. Eingehende Ersuchen kÇnnen ferner dann abgelehnt werden, wenn es sich um vertrauliche Mitteilungen zwischen einem Mandanten und einem Rechtsanwalt bzw. einem anderen zugelassenen Rechtsvertreter handelt (Art. 7 Abs. 3 MA-InfAust). Dieses auch im deutschen Recht verankerte Berufsgeheimnis3 gilt abkommensrechtlich nur fÅr Mitteilungen, die zum Zweck des Einholens oder Erteilens von Rechtsrat oder zur Nutzung in anhngigen oder beabsichtigten Rechtsverfahren, etwa auf Verwaltungsebene oder vor Gericht, gemacht wurden (Art. 7 Abs. 3 Buchst. a und b MA-InfAust).4 Alle Informationen außerhalb dieses eng umschriebenen Mandatsverhltnisses sind daher nicht geschÅtzt, sodass etwa Mitteilungen im Zusammenhang mit der Ttigkeit des Rechtsanwaltes oder Steuerberaters als Treuhnder, GeschftsfÅhrer oder Vertreter in geschftlichen Angelegenheiten weitergegeben werden dÅrfen.5 Schließlich gilt ein Auskunftsverweigerungsrecht nach allgemeinen Grundstzen auch dann, wenn die Auskunft den grundlegenden Ordnungsvorstellungen (ordre public) der ersuchten Vertragspartei widersprche (Art. 7 Abs. 4 MA-InfAust) oder zu einer Diskriminierung von BÅrgern der ersuchten Vertragspartei fÅhrte (Art. 7 Abs. 6 MAInfAust).
8.56 Soweit die ersuchten AuskÅnfte erteilt werden, unterliegen sie der Vertraulichkeit (Art. 8 MA-InfAust). Danach dÅrfen die erhaltenen AuskÅnfte nur im Besteuerungsverfahren und im Steuerstrafverfahren verwendet werden. Eine Verwendung im Bußgeldverfahren wegen Steuerord1 2 3 4 5
Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 2 MA-InfAust Rz. 4. Nr. 82 MK-InfAust. Vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO. Vgl. Nr. 89, 90 MK-InfAust. Nr. 88 MK-InfAust.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
nungswidrigkeiten ist nicht zugelassen (s. Rz. 8.52). Zulssig ist die Offenlegung in einem Çffentlichen Gerichtsverfahren, sodass im Ergebnis die erteilten AuskÅnfte allen Personen, BehÇrden und Gerichten zugnglich gemacht werden dÅrfen, wenn sie die entsprechenden Aufgaben auf die unter das Abkommen fallenden Steuern wahrnehmen.1 Eine Weitergabe der AuskÅnfte etwa an Drittstaaten darf allerdings nur mit Zustimmung der ersuchten Partei erfolgen (Art. 8 Satz 4 MA-InfAust). Dieses absolut wirkende und von § 30 AO losgelÇste internationale Steuergeheimnis bindet nicht nur das BZSt und das BfJ als ersuchende BehÇrden, sondern auch alle Åbrigen Stellen, die sich zulssigerweise mit den eingehenden AuskÅnften zu befassen haben.
III. § 117 Abs. 1 AO Literatur: Kommentare zu § 117 AO; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004, 357 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.62 ff.; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewltigung grenzÅberschreitender Sachverhalte, in FS Schaumburg, KÇln 2009, 151 ff.
Auch ohne innerstaatlich anwendbare Rechtsakte der EU oder vÇlkerrechtliche Vereinbarungen ist die Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilfe auf der Grundlage des § 117 Abs. 1 AO zulssig. Da in derartigen Fllen mit dem Auskunftsersuchen keine Pflicht zur Auskunft des ersuchten Staates korrespondiert, handelt es sich insoweit stets nur um ein Ersuchen um Kulanzauskunft.2 Derartige Ersuchen spielen in der Praxis keine große Rolle und werden von der deutschen Finanzverwaltung Åberhaupt nur dann an andere Staaten gerichtet, wenn es sich um Flle von besonderer Bedeutung handelt. Die auf Kulanzauskunft gerichteten Ersuchen sind nur unter strengen Voraussetzungen zulssig. So folgt etwa in Orientierung an §§ 111 Abs. 1 Satz 1, 112 Abs. 1 AO, dass ein Auskunftsersuchen an einen anderen Staat nur gerichtet werden darf, wenn dies fÅr die DurchfÅhrung der Besteuerung erforderlich ist.3 Erforderlich sind danach AuskÅnfte erst dann, wenn diese fÅr die Besteuerung rechtlich erheblich und von Deutschland als ersuchendem Staat auch nach AusschÇpfung eigener Auskunftsquellen nicht erreichbar sind.4 Konkret bedeutet das, dass zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe auf Grundlage des § 117 Abs. 1 AO nur dann in Anspruch genommen werden 1 Hierzu Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 8 MA-InfAust Rz. 6; Czakert in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Art. 8 TIEA-MA Rz. 70. 2 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 41. 3 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 10 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.63; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 363. 4 Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen, 89; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1963.
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8.57
Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
darf, wenn die Sachverhaltsaufklrung durch den inlndischen Beteiligten nach Maßgabe des § 90 Abs. 2 AO nicht zum Ziel fÅhrt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO)1 Dieses Subsidiarittsprinzip gilt auch in den Fllen der Verletzung von Dokumentationspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO.2 Im Rahmen des dem BZSt bei ErsuchensauskÅnften zukommenden Ermessens, sind zudem die Grundstze der Verhltnismßigkeit und der Zumutbarkeit zu berÅcksichtigen.3 Zwar ist eine AnhÇrungspflicht in § 117 Abs. 1, 3 AO nicht vorgesehen4, sie ist aber aus verfassungsrechtlichen GrÅnden (hierzu s. Rz. 8.12) geboten. Im Hinblick darauf ist der betreffende Steuerpflichtige vor Stellung des Auskunftsersuchens entsprechend zu unterrichten.5 Ferner darf das Auskunftsersuchen nicht Åber das hinausgehen, was die deutschen FinanzbehÇrden nach nationalem Recht selbst ermitteln dÅrften.6 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO). Mit dem an einen auslndischen Staat gerichteten Auskunftsersuchen werden nmlich in aller Regel von § 30 AO geschÅtzte Verhltnisse eines Steuerpflichtigen offenbart. Eine derartige Offenbarung ist zwar im Grundsatz zulssig (§ 30 Abs. 4 Nr. 1, 2 AO), ein Ersuchen verbietet sich aber dann, wenn nicht sichergestellt ist, dass der andere Staat nach seinem Recht das Steuergeheimnis entsprechend wahrt. Das BZSt hat hier ggf. im Zusammenwirken mit den betroffenen Steuerpflichtigen die Rechtslage zu klren. In Zweifelsfllen muss das BZSt sich seitens der auslndischen FinanzbehÇrde eine einzelfallbezogene Zusicherung geben lassen.7 Lsst sich nicht eindeutig klren, ob die im Rahmen des Ersuchens mitzuteilenden Informationen im auslndischen Staat tatschlich dem Steuergeheimnis unterliegen, muss das Ersuchen unterbleiben. Soweit das BZSt aufgrund seines Ersuchens AuskÅnfte erhlt, unterliegen diese dem Steuergeheimnis im Inland (§ 30 AO).
1 Dies gilt nicht fÅr die Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Satz 3 AO); vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 2 Vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 4.1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen), wo nur § 90 Abs. 2 AO zitiert wird. 3 Seer in T/K, § 117 AO Rz. 12. 4 Anders noch in § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AO i.d.F. vor dem AmtshilfeRLUmsG. 5 Seer in T/K, § 91 AO Rz. 2; Seer, IWB 2014, 87 ff. (94 f.); Schaumburg, ISR 2013, 425; ebenso BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 3.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 6 Zu diesem Verbot des „Befugnis-Shoppings“ Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, 364 ff. 7 Vgl. BMF v. 25.25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.6.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen), wonach ein dahin gehender allgemeiner Rechtsgrundsatz allerdings verneint wird.
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B. Inanspruchnahme von Amts- und Rechtshilfe
IV. Zusammenfassender berblick Neben der Verwendung fÅr steuerliche Zwecke ist eine Verwendung der erlangten AuskÅnfte durch die deutsche Finanzverwaltung sowohl fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts als auch des Steuerordnungswidrigkeitenrechts aufgrund folgender Rechtsgrundlagen mÇglich: – EU-AHiRL (EUAHiG) betreffend ESt, KSt, ErbSt (SchSt), VSt, GewSt, GrSt und VersSt; – ZinsRL (ZIV) betreffend ESt, KSt, GewSt; – MwSt-ZVO betreffend USt sowie alle anderen Steuern (§ 3 Abs. 1 AO) und Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (Art. 4 Nr. 10 und 11 Zollkodex); – VerbrauchSt-ZVO betreffend EnergieSt, AlkoholSt, TabakSt.
8.58
Neben der Verwendung fÅr steuerliche Zwecke ist eine Verwendung der erlangten AuskÅnfte durch die deutsche Finanzverwaltung fÅr Zwecke nur des Steuerstrafrechts aufgrund folgender Rechtsgrundlagen mÇglich: – DBA betreffend alle Steuern mit folgenden EU-Staaten: Bulgarien, Dnemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Malta, sterreich, Polen, Schweden, Slowenien, Spanien, Ungarn, Zypern; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt mit folgenden EU-Staaten: Belgien, Estland, Italien, Lettland, Litauen, Rumnien; – Amtshilfe-/Beitreibungsabkommen betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt mit folgenden EU-Staaten: Niederlande; – DBA betreffend alle Steuern mit folgenden Drittstaaten: Algerien, Albanien, Aserbaidschan, Georgien, Ghana, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Russland, Schweiz, Syrien, Tadschikistan, Taiwan,TÅrkei; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt mit folgenden Drittstaaten: Belarus, Liberia, Norwegen, Turkmenistan; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt mit folgenden Drittstaaten: Australien, Island, Singapur, Usbekistan, gypten, Argentinien, Bolivien, China,1 ElfenbeinkÅste, Ecuador, Indien, Indonesien, Jamaika, Kenia, Kuwait, Marokko, Mazedonien, Mongolei, Namibia, Philippinen, Sambia, Simbabwe, Sri Lanka, Ukraine, Uruguay, Venezuela, Vietnam; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt mit folgenden Drittstaaten: Trinidad und Tobago, Vereinigte Arabische Emirate (VAE); – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, GrSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten: Malaysia; – DBA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten: USA;
8.59
1 Nach dem bereits unterzeichneten DBA-China 2014 dÅrfen Åbermittelte Informationen ohne vorherige Zustimmung des Åbermittelnden Staats nicht fÅr Strafsachen verwendet werden (Nr. 6 Buchst. b des Protokolls); vgl. hierzu Schiessl, ISR 2014, 235 ff.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
– TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, VersSt, VerkehrSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Anguilla, Bahamas, Britischen Jungferninseln, Gibraltar, Kaimaninseln, Liechtenstein, San Marino, St. Vincent und Grenadinen, Turks- und Caicosinseln; – TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Guernsey, Isle of Man, Jersey; – TIEA betreffend ESt, KSt, GewSt, VSt, ErbSt, VersSt mit folgenden Drittstaaten (Gebieten): Monaco.
8.60 Eine Verwendung der erlangten AuskÅnfte durch die deutsche Finanzverwaltung fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ist nach folgenden Rechtsgrundlagen ausgeschlossen: – DBA mit folgenden EU-Staaten: Griechenland, Irland, Niederlande, Portugal, Spanien, Tschechien; – DBA mit folgenden Drittstaaten: Kanada, Iran, Israel, Japan, Kosovo, Pakistan, SÅdafrika, Thailand, Tunesien.
8.61 Im Hinblick auf die unterschiedliche Reichweite der jeweiligen AuskunftsmÇglichkeiten steht im Verhltnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten die EUAHiRL (EUAHiG) als Rechtsgrundlage insbesondere fÅr Auskunftsersuchen deutscher FinanzbehÇrden im Vordergrund. FÅr Zwecke der Umsatzsteuer und der harmonisierten Verbrauchsteuern ist der Auskunftsaustausch auf Grundlage der MwSt- und VerbrauchSt-ZVO ebenso zur Routine geworden wie der Auskunftsverkehr nach der ZinsRL (ZIV). Im Verhltnis zu Drittstaaten (Gebieten) vollzieht sich der Auskunftsaustausch vor allem Åber die DBA bzw. TIEA, wobei im Unterschied zum vorgenannten EU-Auskunftsverkehr eine Verwendung fÅr Zwecke auch des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ausgeschlossen ist. Diese Einschrnkung spielt in der Praxis allerdings keine bedeutsame Rolle, weil die Weitergabe der Informationen an die Straf- und Bußgeldsachenstelle ohnehin zunchst auf Flle des Verdachts vorstzlicher SteuerverkÅrzung (§ 370 AO) beschrnkt ist. Sollte das Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung sodann in eine Ordnungswidrigkeit einmÅnden, kÇnnen die erlangten Informationen gleichwohl verwendet werden.
8.62 Whrend die im Zuge des vorgenannten EU-Auskunftsverkehrs erlangten Informationen stets auch in Çffentlichen Gerichtsverhandlungen oder bei der Çffentlichen VerkÅndung von Urteilen verwendet werden dÅrfen, ist dies im brigen nicht ohne Weiteres der Fall. Hiernach ist in Çffentlichen Gerichtsverhandlungen oder bei der Çffentlichen VerkÅndung von Urteilen die Bekanntgabe von AuskÅnften aus folgenden Drittstaaten nicht erlaubt1: Australien, Island, Argentinien, Bosnien und Herzegowina, Indonesien, Iran, Israel, Jamaika, Japan, Kenia, Kosovo, Marokko, Mauritius,
1 Entnommen der bersicht in Anl. 1 zum BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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C. Landesspezifische Besonderheiten
Montenegro, Pakistan, Philippinen, Sambia, Serbien, SÅdafrika, Thailand, Trinidad und Tobago, Tunesien. AuskÅnfte aus Kanada, Norwegen und den USA1 dÅrfen demgegenÅber (nur) mit Zustimmung dieser Staaten in Çffentlichen Gerichtsverhandlungen und bei der Çffentlichen VerkÅndung von Urteilen bekannt gegeben werden. Die vorstehenden Bekanntgabebeschrnkungen gelten auch fÅr die Verfahren der Strafgerichte.
8.63
C. Landesspezifische Besonderheiten I. Schweiz Literatur: Kommentare zu Art. 27 DBA-Schweiz; Altorfer/Streule, Der Steuerstandort Schweiz 2012, IWB 2013, 202 ff.; 2014, 299 ff.; Bach, Gruppenanfragen nach Art. 26 OECD-MA und deren Bedeutung fÅr Art. 27 Abs. 1 DBA-CH, PStR 2013, 72; Engler, Der neue steuerliche Informationsaustausch mit der Schweiz, IWB 2011, 787 ff.; Holenstein, Verfahrensbestimmung zur Amtshilfe der Schweiz nach OECD-Standard, IWB 2011, 12 ff.; Holenstein, Identifikation durch Schilderung eines Verhaltensmusters?, IWB 2012, 17 ff.; Holenstein, Machen Gruppenanfragen nach OECDStandard den Ankauf gestohlener Bankdaten ÅberflÅssig?, PStR 2013, 269; Holenstein in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, KÇln 2013, 1282 ff.; Holenstein, Schweiz, Zeitlicher Anwendungsbereich von Gruppenanfragen, IWB 2013, 340 ff.; Holenstein, Verfahren bei auslndischen Ersuchen auf Steueramtshilfe in der Schweiz, IWB 2014, 370 ff.; Koblenzer/GÅnther, Auslegung von Art. 27 DBASchweiz im Lichte des genderten OECD-Musterkommentars zu Art. 26 OECDMA: MÇglichkeit von rÅckwirkenden Gruppenanfragen zur Aufdeckung sogenannter „Abschleicher“, IStR 2012, 872 ff.; Kubaile, Nach dem Scheitern des Steuerabkomnmens mit der Schweiz – Wie geht es weiter?, PIStB 2013, 62 ff.; Waldburger, Sind Gruppenersuchen an die Schweiz rechtlich zulssig?, FStR 2013, 110 ff.
Der steuerliche Informationsaustausch zwischen Deutschland und der Schweiz erfolgt im Wesentlichen2 auf der Grundlage des Zinsbesteuerungsabkommens (ZBstA) zwischen der EU und der Schweiz3, des der 1 Im Erbschaftsteuer-Abkommen gilt diese Beschrnkung nicht. 2 In Mehrwertsteuersachen ist zudem in Art. 75a Satz 1 MWSTG Internationale Amtshilfe vorgesehen, soweit dies in einem vÇlkerrechtlichen Vertrag vorgesehen ist. Zu diesen vÇlkervertraglichen Grundlagen gehÇren neben den DBA das zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossene Betrugsbekmpfungsabkommen (BB) v. 26.10.2004, SR 0.351.926.81, wonach ein Informationsaustausch bei den indirekten Steuern auch schon bei Steuerhinterziehung vorgesehen ist; vgl. zu Einzelheiten Holenstein in Flore/Tsambikakis, Amtshilfe in Steuersachen, Rz. 520 f.. 3 V. 29.12.2004, ABl. EU 2004 Nr. L 385, 30.
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8.64
Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Umsetzung dienende Zinsbesteuerungsgesetzes (ZBestG)1 sowie des Doppelbesteuerungsabkommens (Art. 27 DBA-Schweiz) und des hierzu in der Schweiz ergangenen Steueramtshilfegesetzes (StAhiG)2. 1. Zinsbesteuerungsabkommen
8.65 Das ZBstA zwischen der EU und der Schweiz3 betrifft lediglich die Besteuerung von Zinsen, die in der EU ansssige Nutzungsberechtigte von in der Schweiz niedergelassenen Zahlstellen (Banken) erhalten. Hierzu ist geregelt, dass auf derartige Zinszahlungen nach Ablauf von sieben Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens ein SteuerrÅckbehalt von 35 % vorzunehmen ist (Art. 1 Abs. 1 ZBstA), wovon 75 % an den EU-Mitgliedstaat weitergeleitet werden, in dem der Nutzungsberechtigte ansssig ist (Art. 8 Abs. 1 ZBstA).4 Die Zahlstellen haben die RÅckbehaltsbetrge an die Eidgenossische Steuerverwaltung (EStV) bis zum 31. Mrz des auf die Zahlung folgenden Jahres zu Åberweisen und hierbei anzugeben, wie die Betrge sich auf die EU-Mitgliedstaaten verteilen (Art. 5 ZBestG). Statt des SteuerrÅckbehalts hat der Nutzungsberechtigte die MÇglichkeit, die Zahlstelle zu ermchtigen, die Zinszahlungen an die zustndige EStV zu melden (Art. 2 Abs. 1 ZBstA, Art. 6 ZBestG), damit die entsprechenden Informationen von dort an die zustndige BehÇrde des betreffenden Mitgliedstaates (in der Bundesrepublik Deutschland das BZSt) zu melden (Art. 2 Abs. 3 ZBstA). Die Meldung seitens der EStV, die dem Charakter nach eine Spontan- bzw. automatische Auskunft bedeutet, umfasst die Identitt des Nutzungsberechtigten, dessen Kontonummer sowie die HÇhe der Zinszahlung (Art. 2 Abs. 2 ZBstA). Die betreffenden AuskÅnfte beziehen sich im Grundsatz nicht auf den formell berechtigten Glubiger der Zinszahlungen, sondern auf den wirtschaftlich Berechtigten (Nutzungsberechtigten), sodass etwa im Falle der Treuhandschaft der Treugeber benannt wird (Art. 4 ZBstA).
8.66 Die Verwendung der erlangten Informationen ist durch das Abkommen nicht beschrnkt, sodass sie in der Bundesrepublik Deutschland in Anwendung von § 30 AO auch fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts Verwendung finden dÅrfen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Dieser abkommensrechtlich nicht eingeschrnkte Verwendungsbereich beruht darauf, dass die Informationen ohnehin nur erteilt werden, wenn der betreffende Nutzungsberechtigte hierzu ausdrÅcklich eine Ermchtigung erteilt hat. Die mit dem SteuerrÅckbehalt und freiwilligen Offenlegung betrauten Zahlstellen unterliegen einem speziellen Schweigegebot hinsichtlich ihrer in AusÅbung ihrer Ttigkeit gemachten 1 V. 17.12.2004 (Stand: 1.2.2013), SR 641.91. 2 V. 28.9.2012, SR 672.5; anwendbar ab 1.2.2013; gendert am 21.3.2014; vgl. hierzu Holenstein, PStR 2014, 232 ff. 3 V. 29.12.2004, ABl. EU 2004 Nr. L 385, 30. 4 Die Kantone sind an dem der Schweiz verbleibenden Anteil zu 10 % beteiligt (Art. 11 ZBstA).
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C. Landesspezifische Besonderheiten
Wahrnehmungen gegenÅber Privatpersonen und anderen Amtsstellen als der EStV (Art. 10 ZBestG). ber die vorgenannten AuskÅnfte hinaus sind fÅr Zwecke der Zinsbesteuerung allerdings auch AuskÅnfte auf Ersuchen vorgesehen.1 Diese AuskÅnfte betreffen allerdings nur Informationen Åber Handlungen, die nach Schweizer Recht als Steuerbetrug2 gelten oder ein hnliches Delikt darstellen (Art. 10 Abs. 1 ZBstA). Im Hinblick darauf erteilt die Schweiz keine AuskÅnfte, soweit es (nur) um Steuerhinterziehung geht. Die vorgenannte Beschrnkung spielt allerdings (inzwischen) keine große Rolle, weil die auf der Grundlage von Art. 27 DBA-Schweiz erteilten AuskÅnfte auch fÅr Zwecke der Verfolgung einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwendet werden dÅrfen (hierzu s. Rz. 8.71).
8.67
2. Doppelbesteuerungsabkommen Art. 27 DBA-Schweiz3 enthlt eine große Auskunftsklausel, aufgrund deren die zur DurchfÅhrung des Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts voraussichtlich erhebliche Informationen ausgetauscht werden. Diese dem Art. 26 OECD-MA nachgebildete Klausel findet Anwendung auf Auskunftsersuchen, die am oder nach dem 21.12.20114 gestellt werden und sich auf Steuerjahre oder Veranlagungszeitrume beziehen, die am oder nach dem 1.1.2011 beginnen (Art. 6 des nderungsprotokolls).
8.68
Auf der Grundlage von Art. 27 DBA-Schweiz besteht lediglich die Verpflichtung zu ErsuchungsauskÅnften (Protokoll Nr. 3 Buchst. e zu Art. 27; Art. 4 Abs. 1 StAhiG). Voraussetzung ist, dass die begehrten Informationen zur DurchfÅhrung des Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffenden Steuern jede Art und Bezeichnung „voraussichtlich erheblich“ sind. Verlangt wird damit lediglich eine materiell-rechtliche Relevanz, an die keine großen Anforderungen zu stellen sind5. Auskunftsersuchen, die auf sog. fishing expeditions gerichtet sind, wird allerdings nicht entsprochen (Protokoll Nr. 3 Buchst. c zu Art. 27; Art. 7a StAhiG).
8.69
Der fÅr das Auskunftsersuchen gebotene Einzelfallbezug verlangt im Grundsatz hinreichende Angaben zur Identifizierung der in eine berprÅ-
8.70
1 Hierzu gilt das StHWiG (Art. 16 ZBestG). 2 Steuerhinterziehung durch vorstzlichen Gebrauch geflschter, verflschter oder inhaltlich unwahrer Urkunden wie GeschftsbÅcher, Erfolgsrechnungen, Lohnausweise oder andere Bescheinigungen Dritter zur Tuschung (Art. 186 DBG; Art. 59 StHG). 3 I.d.F. des nderungsprotokolls v. 27.10.2010, BStBl. I 2012, 512. 4 Zu diesem Zeitpunkt erfolgte der Austausch der das Revisionsprotokoll v. 27.10.2010 betreffenden Ratifikationsurkunden; zur vorhergehenden Rechtsklage HÇppner in G/K/G, Art. 27 DBA-Schweiz. 5 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 30.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
fung oder Untersuchung einbezogenen Person1 (typischerweise der Name und, soweit bekannt, Geburtsdatum, Adresse, Kontonummer oder hnliche identifizierende Informationen) sowie den Namen und, soweit bekannt, die Adresse des mutmaßlichen Informationsinhabers (Protokoll Nr. 3 Buchst. b zu Art. 27; Art. 6 Abs. 2 StAhiG). Hiervon abweichend ist die Angabe des Namens und der Adresse der betroffenen Person nicht erforderlich, wenn deren Identitt auch auf andere Art und Weise festgestellt werden kann (Verstndigungsvereinbarung vom 5.1.2012,2 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a StAhiG). Im Hinblick darauf reicht etwa die Angabe einer Kontonummer der betreffenden Person bei einer namentlich benannten Bank aus. DarÅber hinaus wird auch sog. Gruppenersuchen entsprochen, soweit die betroffenen Personen anhand eines Verhaltensmusters bestimmt werden kÇnnen, allerdings nur fÅr Sachverhalte, welche die Zeit ab dem 1.2.2013 betreffen (Art. 1 Abs. 1 VO zum StAhiG).3 Derartige Verhaltensmuster mÅssen durch Fakten untermauert sein, wobei die NeuerÇffnung oder AuflÇsung eines Kontos oder Depots fÅr sich betrachtet nicht ausreichend ist;4 anders dagegen, wenn das Auskunftsersuchen auf die Benennung von Personen gerichtet ist, die bei einer namentlich benannten Bank bestimmte „steuersparende“ Finanzprodukte erworben haben.5
8.71 Da der Informationsaustausch sich auf (alle) Steuern bezieht, ist der Steuerzweck, fÅr den die Informationen verlangt werden, zu bezeichnen (Art. 6 Abs. 2 Buchst. c StAhiG). Der ersuchten BehÇrde (EStV) wird somit die PrÅfung ermÇglicht, ob die begehrte Information tatschlich fÅr eine dem Abkommen entsprechende Besteuerung verwendet wird.6 Hierdurch wird zugleich klargestellt, dass Auskunftsersuchen fÅr rein (steuer-)strafrechtliche Zwecke ausgeschlossen sind.7 Dienen die begehrten Informationen zustzlich auch der Verfolgung von Steuerstraftaten, ist dem Auskunfts1 Diese muss nicht in einem der beiden Vertragstaaten ansssig sein (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz). 2 BStBl. I 2012, 17; vgl. zur Wirksamkeit derartiger Verstndigungsvereinbarungen DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 43d ff. 3 Verordnung Åber die Amtshilfe bei Gruppenersuchen nach internationalen Steuerabkommen v. 16.1.2013, SR 672.51; ob Art. 27 DBA-Schweiz dagegen einen Anspruch auf Gruppenersuchen gewhrt, ist streitig; bejahend u.a. Czakert in SchÇnfeld/Ditz, Art. 26 OECD-MA Rz. 182; Bach, PStR 2013, 72 ff. (76); verneinend Holenstein, IWB 2013, 340 ff.; Holenstein, IWB 2014, 370 ff. (373 ff.); Holenstein, PStR 2014, 232 ff. (234); Kubaile, PIStB 2013, 62 ff. (66); Waldburger, FStR 2013, 110 ff. 4 Vgl. die Antwort des PStS Koschyk auf entsprechende Anfragen, BT-Drucks. 17/10606, 38; ausreichend dagegen Flle des „Abschleichens“ etwa einer KontoÅberfÅhrung auf eine Bank in Singapur. 5 Vgl. Antwort des PStS Koschyk auf Anfragen, BT-Drucks. 17/10606, 24. 6 Zu diesem Treaty-override-Vorbehalt Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 33. 7 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 28; vgl. auch BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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ersuchen stattzugeben (Art. 27 Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz). Im steuerlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren dÅrfen demgegenÅber die begehrten AuskÅnfte nicht verwendet werden (s. Rz. 8.44). Die Verwendung der Informationen unterliegt dem in Art. 27 Abs. 2 DBASchweiz verankerten internationalen Steuergeheimnis mit der Maßgabe, dass die entsprechenden Informationen ebenso geheim zu halten sind wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts beschafften Informationen1 und nur den Personen oder BehÇrden (einschließlich der Gerichte und der VerwaltungsbehÇrden) zugnglich gemacht werden, die u.a. mit der Strafverfolgung befasst sind, wobei die erlangten Informationen auch in einem Çffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung offengelegt werden dÅrfen (Art. 27 Abs. 2 Stze 1-3 DBA-Schweiz). Sollen die Informationen auch fÅr andere Zwecke verwendet werden (Art. 27 Abs. 2 Satz 4 DBA-Schweiz), bedarf es hierfÅr aus deutscher Sicht der Zustimmung der EidgenÇssischen Steuerverwaltung (Art. 20 Abs. 3 StAhiG), soweit solche Informationen nach dem Recht beider Staaten verwendet werden dÅrfen2.
8.72
Eingehende Auskunftsersuchen werden seitens der EidgenÇssischen Steuerverwaltung zurÅckgewiesen, wenn diese auf Informationen beruhen, die durch nach schweizerischem Recht strafbarer Handlungen erlangt worden sind (Art. 27 Abs. 3 Buchst. c, DBA-Schweiz; Art. 7 Buchst. c StAhiG). Angesprochen sind damit in der Praxis insbesondere diejenigen Auskunftsersuchen, die erst auf der Grundlage von aus Schweizer Sicht illegal beschaffter Bankdaten3 ermÇglicht worden sind (Ordre-public-Vorbehalt)4.
8.73
Einem Auskunftsersuchen wird schließlich auch dann nicht entsprochen, wenn der ersuchende Vertragsstaat nicht „alle in seinem innerstaatlichen Steuerverfahren vorgesehenen Åblichen Mittel zur Beschaffung der Information ausgeschÇpft hat“ (Protokoll Nr. 3 Buchst. a zu Art. 27)5 oder ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren preisgeben wÅrde (Art. 27 Abs. 3 Buchst. c DBA-Schweiz).
8.74
Die Beschaffung der begehrten Informationen seitens der EidgenÇssischen Steuerverwaltung richtet sich nach Art. 8–15 StAhiG, wobei im Hinblick auf das abkommensrechtlich nicht geschÅtzte Bankgeheimnis (Art. 27 Abs. 5 DBA-Schweiz) die Informationsbeschaffung auch gegenÅber Schweizer Banken zwangsweise durchgesetzt werden kann (Art. 13 Abs. 1 Buchst. b, 8 Abs. 2 StAhiG). Zu diesen Zwangsmaßnahmen gehÇren die
8.75
1 Verweis auf § 30 AO; vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 53. 2 Beispiele nach Nr. 12.3 MK: Bekmpfung von Geldwsche, Korruption und Finanzierung von Terrorismus; aus deutscher Sicht bei zwingendem Çffentlichem Interesse, vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a und b AO. 3 Vgl. Art. 271 Schweizer StGB. 4 Holenstein, IWB 2011, 12 ff. (17 f.); Holenstein, IWB 2014, 370 ff. (372 ff.). 5 Zu dieser Subsidiarittsklausel Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Durchsuchung und die Beschlagnahme (Art. 13 Abs. 2 Buchst. a, b StAhiG). Entsprechendes gilt auch fÅr sonstige Finanzinstitute, Bevollmchtigte, Vertreter oder Treuhnder, die ebenfalls nicht geschÅtzt sind (Art. 27 Abs. 5 Satz 1 DBA-Schweiz, Art. 8 Abs. 2 StAhiG)1. Die InformationsÅbermittlung, die im Grundsatz zÅgig erfolgen soll (Art. 4 Abs. 2 StAhiG), ist in der Praxis allerdings dann zeitlichen VerzÇgerungen ausgesetzt, wenn die betroffenen Personen nach vorausgehender Information Åber das eingehende Auskunftsersuchen (Art. 14 Abs. 1 StAhiG) mittels Beschwerde hiergegen vorgehen2.
II. FÅrstentum Liechtenstein Literatur: Kommentare zu Art. 26 DBA-Liechtenstein und zum InfAust-Liechtenstein (TIEAFl); Frommelt in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, KÇln 2012, 1228 ff.; Hecht/ Lampert/Schulz, Das Auskunftsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem FÅrstentum Liechtenstein – Implikationen aus steuerrechtlicher Sicht, BB 2010, 2727 ff.; SchwÇrer, Der Datenaustausch mit Liechtenstein und Jersey nach dem TIEA, DStR 2010, 236 ff.
8.76 Der steuerliche Informationsaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem FÅrstentum Liechtenstein erfolgt auf der Grundlage des Zinsbesteuerungsabkommens (ZBstA) zwischen dem FÅrstentum Liechtenstein und der EU3, dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBALiechtenstein)4 sowie dem Informationsaustauschabkommen (InfAustLiechtenstein)5 und dem hierzu in Liechtenstein ergangenen Steueramtshilfegesetz (SteAHG). 1. Zinsbesteuerungsabkommen
8.77 Auf der Grundlage des Zinsbesteuerungsabkommens (ZBstA)6 ist fÅr Zinszahlungen an in der EU ansssigen natÅrlichen Personen ein SteuerrÅckbehalt vorgesehen, der im siebten Jahr der Abkommensanwendung, also ab 2011 35 v.H. betrgt und anonym zu 75 % an den Ansssigkeitsstaat abgefÅhrt wird (Art. 1 ZBstA, Art. 5, 6 ZBstA). Abweichend hiervon besteht fÅr den Glubiger der Zinszahlungen (Nutzungsberechtigten) die 1 Das Anwaltsgeheimnis ist allerdings geschÅtzt (Art. 8 Abs. 6 StAhiG). 2 Zum vorbehaltenen Recht auf Beschwerde vgl. Protokoll Nr. 3 Buchst. f zu Art. 27, Art. 19 StAhiG; das StAhiG ist inzwischen dahin gehend gendert worden, dass auch eine nachtrgliche Information Åber eingehende Auskunftsersuchen ausreicht, wenn anderenfalls der Zweck der Amtshilfe und der Erfolg ihrer Untersuchung vereitelt wurden (Art. 21a Abs. 1 StAhiG). 3 V. 7.12.2004, ABl. EU 2004 Nr. L 279, 84. 4 V. 5.5.2012, BGBl. II 2012, 1462. 5 V. 2.9.2009, BGBl. II 2010, 950. 6 V. 30.6.2010, LGBl. 2010, 353.
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C. Landesspezifische Besonderheiten
Option zur freiwilligen Offenlegung. Wird hiernach die Zahlstelle (Bank) in Liechtenstein ausdrÅcklich ermchtigt, die Zinszahlungen an die Steuerverwaltung in Liechtenstein zu melden (Art. 7 ZBStG), werden von dort aus automatische Informationen mit Betrags- und Identittsangaben (Art. 2, 5 ZBstA) an das BZSt erteilt. Die Verwendung der erlangten Informationen ist durch das Abkommen nicht eingeschrnkt, sodass sie nach Maßgabe des § 30 AO in Deutschland auch fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts Verwendung finden dÅrfen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Dieser abkommensrechtlich nicht eingeschrnkte Verwendungsbereich beruht darauf, dass die Informationen ohnehin nur erteilt werden, wenn der betreffende Nutzungsberechtigte hierzu ausdrÅcklich eine Ermchtigung erteilt hat. DarÅber hinaus sind auch ErsuchensauskÅnfte zulssig Åber Handlungen, die nach den Rechtsvorschriften von Liechtenstein als Steuerbetrug oder als ein hnliches Delikt gelten (Art. 10 ZBstA). Hieraus ergibt sich nur eine begrenzte Reichweite, weil Steuerbetrug nach Maßgabe von Art. 21 Abs. 2, 146 lie. StRG eine Steuerhinterziehung ist, bei der zur Tuschung der SteuerbehÇrde vorstzlich geflschte, verflschte oder unwahre Geschftsunterlagen oder andere SchriftstÅcke verwendet werden. Die bloße unterlassene Erklrung von Zinseinnahmen reicht somit fÅr einen Informationsaustausch nach dem ZBstA nicht aus. Die Erledigung derartiger Ersuchen (Art. 10 ZBstA) obliegt in Liechtenstein dem Landgericht (Art. 20 Abs. 1 ZBStG), wobei sich das Verfahren nach dem Rechtshilfegesetz richtet (Art. 20 Abs. 2 ZBStG). Entsprechende ErsuchensauskÅnfte haben insoweit in der Praxis keine große Bedeutung.
8.78
2. Doppelbesteuerungsabkommen Das DBA-Liechtenstein1 enthlt in Art. 26 Regelungen Åber den Informationsaustausch. Die DurchfÅhrung des hiernach mÇglichen Informationsaustauschs einschließlich der Verwendung der Åbermittelten Daten und des Datenschutzes richten sich allerdings nach dem mit Liechtenstein abgeschlossenen Informationsaustauschabkommens2 (Protokoll Nr. 9 zu Art. 26). Soweit der Informationsaustausch nach Art. 26 DBA-Liechtenstein eine grÇßere Reichweite aufweist, kÇnnen ErsuchensauskÅnfte auf diese Rechtsgrundlage gestÅtzt werden. Das gilt etwa fÅr den Informationsaustausch betreffend Verbrauchsteuern, der zwar nach dem DBALiechtenstein, nicht aber nach dem InfAust-Liechtenstein mÇglich ist.
8.79
Art. 26 Abs. 1 DBA-Liechtenstein begrÅndet einen vÇlkerrechtlichen Anspruch auf Erteilung von ErsuchensauskÅnften, und zwar nicht nur fÅr Zwecke der DurchfÅhrung des Abkommens selbst, sondern auch zur Anwendung des innerstaatlichen Rechts (große Auskunftsklausel). Die Pflicht zur Auskunftserteilung bezieht sich auf Steuern jeder Art und Bezeichnung, sodass neben Einkommen-, KÇrperschaft- und Gewerbesteuer
8.80
1 V. 5.12.2012, BGBl. II 2012, 1462. 2 V. 2.9.2009, BGBl. II 2010, 950.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
auch Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern erfasst werden.1 Da ErsuchensauskÅnfte sich stets auf Steuern beziehen mÅssen, ist ein Ersuchen fÅr rein steuerstrafrechtliche Zwecke unzulssig.2 Einem Auskunftsersuchen wird damit fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke nur dann entsprochen,3 wenn die Auskunft zugleich auch steuerlichen Zwecken dient (Art. 7 Abs. 2 Buchst. e SteAHG), was in aller Regel der Fall sein wird. Der ersuchte Staat (FÅrstentum Liechtenstein) ist zur Auskunft allerdings nur verpflichtet, wenn die begehrten Informationen fÅr die DurchfÅhrung des DBA oder fÅr die Anwendung innerstaatlichen (deutschen) Steuerrechts voraussichtlich erheblich sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Liechtenstein, Art. 7 Abs. 2 Buchst. e SteAHG). Das bedeutet eine materiell-rechtliche Relevanz, wobei auf den Zeitpunkt der Auskunftserteilung abzustellen ist.4 Hieraus folgt, dass sog. fishing expeditions nicht zugelassen sind (Art. 9 Abs. 1 SteAHG) und zudem das Auskunftsersuchen einen Einzelfallbezug aufweisen muss (Art. 7 Abs. 2 SteAHG)5. HierfÅr reicht es aus, dass die betreffende Person aufgrund von Angaben, z.B. Kontonummer, identifizierbar ist.6 Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Sammelersuchen (Gruppenanfragen) zulssig. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende Spezifizierung von Suchkriterien, wie etwa die Zeichnung einer bestimmten von einer Bank angebotenen Kapitalanlage.7 Voraussichtlich erheblich ist die begehrte Auskunft schließlich auch nur dann, wenn die innerstaatlichen AuskunftsmÇglichkeiten ausgeschÇpft sind (Art. 7 Abs. 2 Buchst. i SteAHG).8 Die AuskÅnfte, die sich nicht zwingend auf Personen beziehen mÅssen, die entweder in Deutschland oder in Liechtenstein ansssig sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Liechtenstein), werden fÅr Zwecke des innerstaatlichen (deutschen) Steuerrechts nur erteilt, wenn die Besteuerung dem DBA-Liechtenstein nicht widerspricht (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBALiechtenstein).9
1 Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 27. 2 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 28; (BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Tz 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 3 Eine Verwendung fÅr Zwecke des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ist stets ausgeschlossen. 4 Die Anforderungen sind nicht hoch; vgl. BFH v. 29.4.2008 – I B 79/07, BFH/NV 2008, 1807; HÇppner in G/K/G, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 183 ff.; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 29. 5 Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 30. 6 Vgl. Art. 7 Abs. 2 Buchst. a SteAHG, wonach das Ersuchen nicht unbedingt den Namen, sondern lediglich „die Identitt des einzelnen Steuerpflichtigen“ enthalten muss. 7 Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 31. 8 Zu diesem Subsidiarittsprinzip Engelschalk in V/L5, Art. 26 OECD-MA Rz. 35; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 32; großzÅgiger dagegen HÇppner in G/K/G, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 255. 9 Zu diesem Treaty-override-Vorbehalt Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 33.
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C. Landesspezifische Besonderheiten
Die erlangten Informationen unterliegen dem (internationalen) Steuergeheimnis (§ 26 Abs. 2 DBA-Liechtenstein). Zugleich wird auf das jeweilige innerstaatliche Steuergeheimnis verwiesen mit der Folge, dass insoweit fÅr Deutschland als Empfngerstaat § 30 AO zur Anwendung kommt.1 Die erlangten AuskÅnfte dÅrfen nicht nur fÅr steuerliche Zwecke, sondern auch fÅr Zwecke der Verfolgung von Steuerstraftaten, also insbesondere im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren verwendet werden (§ 26 Abs. 2 Abs. 1 Halbs. 2 DBA-Liechtenstein).2 Der Kreis der verwendungsberechtigten Personen ist damit weit gezogen, sodass nicht nur die BehÇrden und Personen erfasst werden, die mit der Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung der SteueransprÅche zu tun haben, sondern auch die Strafverfolgungsorgane, also die Straf- und Bußgeldsachenstelle, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft und darÅber hinaus auch die damit befassten Richter der Finanz- und der Strafgerichtsbarkeit.3 Die erhaltenen AuskÅnfte dÅrfen auch fÅr andere Zwecke verwendet werden, wenn dies nach dem Recht beider Vertragsstaaten zulssig ist und der jeweils andere Vertragsstaat dem zustimmt (Art. 26 Abs. 2 Satz 4 DBALiechtenstein). Angesprochen sind hiermit insbesondere Straftaten betreffend Geldwsche, Korruption und die Finanzierung von Terrorismus.4
8.81
Die Auskunftserteilung steht schließlich unter einem Ordre-public-Vorbehalt (Art. 26 Abs. 3 Buchst. c DBA-Liechtenstein). Das bedeutet, dass deutsche Auskunftsersuchen zurÅckgewiesen werden kÇnnen, wenn sie auf Informationen zurÅckzufÅhren sind, die nach dem Recht von Liechtenstein unrechtmßig erlangt worden sind (Art. 8 Abs. 2 SteAHG)5. Von besonderer Bedeutung ist, dass ein Bankgeheimnis nicht geschÅtzt ist (Art. 26 Abs. 5 Satz 1 DBA-Liechtenstein, Art. 12 Abs. 1 SteAHG). Das gilt auch fÅr sonstige Finanzinstitute, Bevollmchtigte, Vertreter oder Treuhnder, soweit diese im Besitz der begehrten Informationen sind (Art. 26 Abs. 5 Satz 1 DBA-Liechtenstein). GeschÅtzt sind allerdings Informationen, die im Rahmen einer Beratung einem Rechtsanwalt zur Kenntnis gelangt sind (Art. 12 Abs. 2 SteAHG)6. Schließlich besteht auch keine Verpflichtung zur Preisgabe von Handels-, Geschfts-, Industrie-, Gewerbeoder Berufsgeheimnissen oder Geschftsverfahren (Art. 12 Abs. 3 SteAHG).
8.82
1 2 3 4
Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 53. Nicht aber im Bußgeldverfahren wegen steuerlicher Ordnungswidrigkeiten. Hierzu Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 54. Vgl. Nr. 12.3 MK; vgl auch § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a und b AO bei zwingendem Çffentlichen Interesse. 5 Betrifft Datenkauf: Verstoß gegen §§ 122–125 lie. StGB; vgl. hierzu Hardt in Wassermeyer, DBA; Art. 7 InfAust-Liechtenstein Rz. 7. 6 Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 89.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
3. Informationsaustauschabkommen
8.83 Im Hinblick darauf, dass fÅr die DurchfÅhrung des Informationsaustauschs nach Maßgabe von Art. 26 DBA-Liechtenstein die Regelungen des Informationsaustauschabkommens mit Liechtenstein1 gelten, werden in der Praxis steuerliche Auskunftsersuchen im Wesentlichen auf das Informationsaustauschabkommen gestÅtzt. Art. 26 DBA-Liechtenstein wird allerdings dann als Rechtsgrundlage in Betracht kommen, wenn die von Deutschland ausgehenden Auskunftsersuchen Steuern betreffen, die nicht von der Reichweite des Informationsaustauschabkommens erfasst werden. Es handelt sich hierbei um Auskunftsersuchen wegen Grunderwerbsteuer und Verbrauchsteuern2. Das Informationsaustauschabkommen mit Liechtenstein ermÇglicht Auskunftsersuchen fÅr Veranlagungszeitrume, die am oder nach dem 1.1.2010 beginnen (Art. 13 Abs. 2 InfAust-Liechtenstein). Lassen die erteilten AuskÅnfte RÅckschlÅsse auf Veranlagungszeitrume vor 2010 zu, so kÇnnen sie auch fÅr die vorangegangenen Zeitrume steuerlich verwendet werden3.
8.84 In Art. 1 InfAust-Liechtenstein sind zwar ebenso wie in Art. 26 DBALiechtenstein nur ErsuchensauskÅnfte vorgesehen, das schließt aber nicht aus, dass auch ohne Ersuchen AuskÅnfte – Spontan- und automatische AuskÅnfte – erteilt werden. Derartige ohne vÇlkerrechtliche Verpflichtung erteilte AuskÅnfte (KulanzauskÅnfte) sind ohne Weiteres zulssig4. Voraussetzung ist, dass die begehrten AuskÅnfte „fÅr die Festsetzung und Erhebung dieser Steuern oder fÅr Ermittlungen bzw. Strafverfolgungsmaßnahmen in Steuersachen voraussichtlich erheblich sind“ (Art. 1 Abs. 1 InfAust-Liechtenstein, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a SteAHG). Damit sind sog. fishing expeditions nicht zugelassen (Art. 9 Abs. 1 SteAHG)5. Voraussichtlich erheblich sind die begehrten AuskÅnfte insbesondere dann, wenn im konkreten Fall die ernstliche MÇglichkeit besteht, dass Deutschland als ersuchender Staat ein Besteuerungsrecht hat, und keine Anhaltspunkte dafÅr vorliegen, dass die Daten dort bereits bekannt sind oder dass die Kenntniserlangung Åber den Gegenstand des Besteuerungsrechts auch ohne Auskunft mÇglich ist (Protokoll Nr. 3 Buchst. c Satz 2 InfAust-Liechtenstein). Dieses Subsidiarittsprinzip ist allerdings in den Fllen gelockert, in denen die AusschÇpfung eigener AuskunftsmÇglichkeiten unverhltnismßig große Schwierigkeiten mit sich bringen wÅrde (Art. 5 Abs. 5 Buchst. i InfAust-Liechtenstein, Art. 7 Abs. 1 Buchst. i SteAHG).
1 2 3 4 5
V. 2.9.2009, BGBl. II 2010, 950. Vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a InfAust-Liechtenstein. Protokoll Nr. 4 zum InfAust-Liechtenstein. Vgl. nur Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA, Rz. 42 ff. m.w.N. Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 1 Rz. 3 und Art. 5 Rz. 28 InfAust-Liechtenstein; vgl auch StGH v. 3.9.2012 – 2012/106, NZWiSt 2013, 143, wonach eine strenge Betrachtungsweise geboten ist.
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C. Landesspezifische Besonderheiten
Die begehrten AuskÅnfte kÇnnen fÅr steuerliche und steuerstrafrechtliche Zwecke gleichermaßen verwendet werden (Art. 1 Satz 1 InfAustLiechtenstein, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a SteAHG). Im Unterschied zum DBA-Liechtenstein (s. Rz. 8.80) werden AuskÅnfte auch dann erteilt, wenn sie ausschließlich der Verfolgung von Steuerstrafsachen dienen (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 InfAust-Liechtenstein).1 Im Hinblick darauf werden als fÅr Auskunftsersuchen zustndige deutsche BehÇrden das Bundeszentralamt fÅr Steuern und das Bundesamt fÅr Justiz benannt (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c InfAust-Liechtenstein i.V.m. Protokoll Nr. 5), wobei das Bundesamt fÅr Justiz zustndig ist, wenn die AuskÅnfte ausschließlich fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke begehrt werden. Insoweit besteht keine Notwendigkeit, AuskÅnfte nach den Regeln Åber die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen (hierzu s. Rz. 9.1) einzuholen.2 Das gilt freilich nur fÅr die Verfolgung von Steuerstrafsachen und nicht von Steuerordnungswidrigkeiten.3 Im Unterschied zum DBA-Liechtenstein ist der Anwendungsbereich aus deutscher Sicht begrenzt auf die Einkommen-, KÇrperschaft-, Gewerbesteuer-, VermÇgensteuer-, Erbschaft-, Umsatz- und Versicherungsteuer (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a InfAust-Liechtenstein) mit der Folge, dass ein Informationsaustausch in Verbrauchsteuersachen nicht verlangt werden kann. Die vorgenannte Beschrnkung gilt entsprechend auch fÅr Steuerstrafsachen.
8.85
Auskunftsersuchen sind zwar mÇglichst detailliert abzufassen, sodass grundstzlich auch die Identitt der Person, der die Ermittlung oder Untersuchung gilt, zu benennen ist (Art. 5 Abs. 5 Buchst. a InfAust-Liechtenstein), eine Namensnennung ist aber nicht erforderlich, sofern sich dies aus anderen Anhaltspunkten bestimmen lsst (Protokoll Nr. 2 InfAustLiechtenstein). Daher reicht insbesondere die Nennung etwa der Kontonummer bei einer Bank aus4. Dies bedeutet, dass im Ergebnis auch Sammelersuchen (Gruppenanfragen) zulssig sind, wenn es hierdurch nicht zu sog. fishing expeditions kommt.5 Im Hinblick darauf ist eine hinreichende Spezifizierung von Suchkriterien erforderlich, wie etwa die Zeichnung einer bestimmten von einer namentlich benannten Bank angebotenen Kapitalanlage.
8.86
An Liechtenstein gerichtete Auskunftsersuchen Åber Kapitalanlagen sind insbesondere deshalb effizient, weil das Bankgeheimnis nicht geschÅtzt ist (Art. 5 Abs. 4 InfAust-Liechtenstein, Art. 12. Abs. 1 SteAHG). Entsprechendes gilt auch fÅr AuskÅnfte Åber andere Finanzinstitute, Bevollmch-
8.87
1 Hierzu Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 5 InfAust-Liechtenstein Rz. 4. 2 Entgegen BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Rz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 3 HierfÅr gilt das InfAust-Liechtenstein nicht (vgl. Art. 1 Satz 1 InfAust-Liechtenstein). 4 Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 5 InfAust-Liechtenstein Rz. 27; vgl. die strenge Betrachtungsweise durch den StGH v. 3.9.2012 – 2012/106, NZWiSt 2013, 143 mit Anm. Wolf. 5 Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 5 InfAust-Liechtenstein Rz. 46.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
tigte, Treuhnder, Åber Investmentfonds und Trusts (Art. 5 Abs. 4 InfAust-Liechtenstein; Art. 13 SteAHG)1. GeschÅtzt wird aber das Anwaltsgeheimnis, allerdings beschrnkt auf Informationen, die zum Zwecke der anwaltlichen Beratung oder zum Zwecke der Verwendung in laufenden oder in Erwgung gezogenen Rechtsverfahren anvertraut wurden (Art. 7 Abs. 2 Buchst. a InfAust-Liechtenstein, Art. 12 Abs. 2 SteAHG). Im Hinblick darauf sind etwa fÅr Mandanten bloß aufbewahrte Unterlagen nicht geschÅtzt.
8.88 Das Verfahren im Zusammenhang mit eingehenden Auskunftsersuchen ist im SteAHG im Einzelnen geregelt. Hiernach wird nach PrÅfung der Zulssigkeit des eingehenden Ersuchens (Art. 9 SteAHG) der betreffende Informationsinhaber seitens der Steuerverwaltung aufgefordert, innerhalb von 14 Tagen die verlangten Informationen zu Åbermitteln (Art. 10 Abs. 1 SteAHG). Wird dieser Aufforderung nicht freiwillig innerhalb der gesetzten Frist2 nachgekommen, kÇnnen entsprechende Zwangsmaßnahmen eingeleitet werden, etwa Haus- und Personendurchsuchungen, Beschlagnahme sowie Zwangs- und Beugemittel gegen Zeugen (Art. 14 ff. SteAHG). Hierbei kann deutschen Finanzbeamten ein Anwesenheits-, Befragung- und PrÅfungsrecht eingerumt werden, wenn die betroffenen Personen (Beschuldigte oder Steuerpflichtige) ausdrÅcklich zugestimmt haben (Art. 6 Abs. 1 InfAust-Liechtenstein, Art. 18 SteAHG).
8.89 Liegen allerdings die Voraussetzungen fÅr ein Auskunftsersuchen nicht vor, etwa bei mangelnder Subsidiaritt, kann ein Ersuchen abgelehnt werden (Art. 7 Abs. 1 InfAust-Liechtenstein, Art. 8 SteAHG). Dies gilt insbesondere, wenn die Erteilung der erbetenen AuskÅnfte der Çffentlichen Ordnung (ordre public) widersprche, was seitens Liechtensteins angenommen wird, wenn das Ersuchen auf Informationen beruht, die durch eine in Liechtenstein gerichtlich strafbare Handlung beschafft worden sind (Art. 7 Abs. 1 Buchst. c InfAust-Liechtenstein, Art. 8 Abs. 2 SteAHG)3.
8.90 Die erteilten Informationen unterliegen der Vertraulichkeit (Art. 8 InfAust-Liechtenstein). Sie dÅrfen daher nur von denjenigen Personen oder BehÇrden, einschließlich AufsichtsbehÇrden und Gerichte, innerhalb des Hoheitsgebietes der ersuchenden BehÇrde verwendet werden4, die sich mit der Veranlagung oder Erhebung, der Vollstreckung oder Verfolgung sowie der Behandlung von Beschwerden in Bezug auf die im Ersuchen angesprochenen Steuern befassen (Art. 8 Abs. 2 InfAust-Liechtenstein, Art. 22 Abs. 1 SteAHG). Im Hinblick auf die zugelassenen Zwecke der Aus1 Zu Einzelheiten Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 5 InfAust-Liechtenstein Rz. 36 ff. 2 Diese kann Åber 14 Tage hinaus verlngert werden (Art. 10 Abs. 2 SteAHG). 3 Dies betrifft insbesondere den Datenverkauf untreuer Mitarbeiter; hierzu Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 7 InfAust-Liechtenstein Rz. 7. 4 Eine Weitergabe an Drittstaaten ist also nicht zulssig; vgl. Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 8 InfAust-Liechtenstein Rz. 6.
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C. Landesspezifische Besonderheiten
kunftsersuchen kÇnnen somit die Informationen jenen Personen zugnglich gemacht werden, die in Steuer- oder Steuerstrafverfahren oder in beiden Verfahren zustndig sind (Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 InfAust-Liechtenstein)1.
III. Luxemburg Literatur: Kommentare zu Art. 25 DBA-Luxemburg; Steichen/BÇing, Neuerungen zum Informationsaustausch in Steuersachen zwischen Deutschland und Luxemburg auf der Grundlage von Art. 23 des deutsch-luxemburgischen DBA, IStR 2012, 104 ff.; Steichen/BÇing in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, KÇln 2013, 1240 ff.
Als EU-Mitgliedstaat ist Luxemburg in das EU-weite System des Informationsaustauschs eingebunden. Das bedeutet, dass im Wesentlichen AuskÅnfte – Ersuchens-, Spontan- und automatische AuskÅnfte – nach den hierfÅr maßgeblichen Regeln ausgetauscht werden. Hierzu gehÇrt insbesondere die EU-Amtshilferichtlinie (EUAHiRL)2 (s. Rz. 8.16 ff.), die Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung3 (s. Rz. 8.24 ff.) und auch die Zinsrichtlinie4 (s. Rz. 8.23). DarÅber hinaus erfolgt der Informationsaustausch auf der Grundlage von Art. 25 DBA-Luxemburg, der dem Art. 26 OECD-MA (s. Rz. 8.33 ff.) entspricht.
8.91
Die EUAHiRL5, die in Luxemburg umgesetzt worden ist, ist in der Praxis die wesentliche Rechtsgrundlage insbesondere fÅr ErsuchensauskÅnfte betreffend alle Steuern – außer Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern (Art. 2 EUAHiRL). Entsprechenden Auskunftsersuchen kommt Luxemburg aber nur dann nach, wenn sie nicht der Beweisausforschung (fishing expeditions) dienen (Nr. 9 der ErwgungsgrÅnde EUAHiRL). Daher sind die Person, der die Untersuchung oder Ermittlung gilt, sowie der steuerliche Zweck, zu dem die Informationen beantragt werden, konkret zu bezeichnen (Art. 20 Abs. 2 EUAHiRL). Im Unterschied zu dem in Art. 25 DBA-Luxemburg verankerten Informationsaustausch sind eine anderweitige Identifizierung der betroffenen Person sowie auch Gruppenanfragen ausgeschlossen.
8.92
1 In der deutschen Verbalnote zu Art. 8 Abs. 2 heißt es: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland legt diese Bestimmung so aus, dass die Verwendung der AuskÅnfte fÅr die in Art. 1 bezeichneten Zwecke auch die Offenlegung in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren einschließt, wenn dies aus allgemein prozessualen Rechten der deutschen Rechtsordnung folgt“. 2 RL 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64. 3 VO (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 268; VO (EU) Nr. 389/2012 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121. 4 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157. 5 RL 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64, vgl. hierzu Rz. 8.16 ff.
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Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
8.93 Neben den vorgenannten ErsuchensauskÅnften sind auch automatische und SpontanauskÅnfte vorgesehen (Artt. 8, 9 EUAHiRL). DarÅber hinaus ist auch eine weitergehende Zusammenarbeit, etwa Teilnahme an den behÇrdlichen Ermittlungen im ersuchten Staat sowie gleichzeitige PrÅfungen dort selbst mÇglich (Art. 11, 12 EUAHiRL). Eingehende Auskunftsersuchen kÇnnen allerdings dann abgelehnt werden, wenn im ersuchenden Staat, also etwa in Deutschland, die Åblichen Informationsquellen nicht ausgeschÇpft worden sind (Art. 17 Abs. 1 EUAHiRL; zu diesem Subsidiarittsprinzip Rz. 8.18). DarÅber hinaus kann die bermittlung der begehrten Informationen verweigert werden, wenn hierdurch ein Handels-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren preisgegeben wÅrde (Art. 17 Abs. 4 EUAHiRL). DemgegenÅber ist das Bankgeheimnis nicht geschÅtzt, sodass Informationen, die sich bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmchtigten, Vertreter oder Treuhnder befinden, zu offenbaren sind (Art. 18 Abs. 2 EUAHiRL). Die Auskunft kann allerdings verweigert werden, wenn dem Auskunftsersuchen Informationen zugrunde liegen, die auf illegaler Datenbeschaffung beruhen (Art. 17 Abs. 4 EUAHiRL)1. Die erteilten Informationen werden in Deutschland nur in den vom Steuergeheimnis (§ 30 AO) gezogenen Grenzen geschÅtzt (Art. 16 Abs. 1 EUAHiRL) mit der Folge, dass sie auch in einem Steuerstrafverfahren oder steuerlichen Bußgeldverfahren verwendet werden dÅrfen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Auskunftsersuchen ausschließlich fÅr Zwecke des Steuerstrafverfahrens und des steuerlichen Bußgeldverfahrens sind auf der Grundlage der EUAHiRL ausgeschlossen2.
8.94 Auf der Grundlage der Zinsrichtlinie3 besteht zwar im Grundsatz die Verpflichtung, Informationen Åber Zinszahlungen von Zahlstellen an in einem anderen EU-Staat ansssige Nutzungsberechtigte auszutauschen, fÅr Luxemburg ergeben sich hierzu aber die Besonderheiten, dass anstelle der automatischen Auskunftserteilung fÅr eine bestimmte bergangszeit (Art. 10 ZiRL) eine Quellensteuer von derzeit 35 % einzubehalten ist (Art. 11 Abs. 1 ZiRL), wovon 75 % an die betreffenden EU-Mitgliedstaaten weiterzuleiten sind (Art. 12 Abs. 2 ZiRL).4 Das gilt allerdings dann nicht, wenn der betreffende Steuerberechtigte die Zahlstelle ausdrÅcklich ermchtigt, AuskÅnfte an seinen Wohnsitzstaat zu erteilen (Art. 13 ZiRL).
8.95 Von großer Bedeutung ist der Informationsaustausch nach Maßgabe von Art. 25 DBA-Luxemburg.5 Im Vordergrund stehen hierbei Ersuchensaus1 Zu diesem Ordre-public-Vorbehalt Steichen/BÇing, IStR 2012, 104 ff. 2 Vgl. Art. 1 Abs. 3 EU-AhiRL; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen) Tz. 1.2: Hier sind AuskÅnfte nach den Regeln Åber die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen. 3 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 64; vgl. hierzu Rz. 8.23. 4 Diese Sonderregelung soll ab 2015 entfallen, sodass ab dann Luxemburg am automatischen Informationsaustausch innerhalb der EU teilnimmt. 5 Die Vorschrift gilt fÅr Veranlagungszeitrume ab 2013; fÅr Veranlagungszeitrume 2010–2012 gilt der inhaltsgleiche Art. 23 DBA-Luxemburg i.d.F. des n-
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C. Landesspezifische Besonderheiten
kÅnfte. DemgegenÅber besteht keine Verpflichtung, Informationen auf automatischer oder spontaner Basis auszutauschen (Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Nr. 5 Abs. 3). Der im Art. 25 DBA-Luxemburg verankerte Informationsaustausch beinhaltet eine große Auskunftsklausel, sodass auf dieser Grundlage Informationen ausgetauscht werden, „die zur DurchfÅhrung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung“ voraussichtlich erheblich sind (Art. 25 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg). Das gilt allerdings nicht fÅr den Fall, dass die Informationen in dem anderen Vertragsstaat einer nicht abkommensgerechten Besteuerung dienen.1 Die ErsuchensauskÅnfte mÅssen einzelfallbezogen sein und hinreichende Angaben zur Identifikation der betroffenen Person, fÅr deren steuerlichen Verhltnisse die AuskÅnfte begehrt werden, enthalten (Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Abs. 1 Buchst. a). Sog. fishing expeditions sind daher ausgeschlossen (Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Abs. 2). Nicht unbedingt erforderlich ist die namentliche Bezeichnung, wenn die Identifizierung auf andere Art und Weise, etwa durch Angabe der Kontonummer bei einer bestimmten Bank erfolgt2. Gruppenanfragen sind nicht vorgesehen. ErsuchensauskÅnfte werden schließlich auch nur dann erteilt, wenn der ersuchende Vertragsstaat zuvor die ihm zur VerfÅgung stehenden Maßnahmen zur Einholung der AuskÅnfte ausgeschÇpft hat, ausgenommen solche, die unverhltnismßig große Schwierigkeiten mit sich bringen wÅrden (Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Abs. 1 Buchst. f). AuskÅnfte werden schließlich auch dann nicht erteilt, wenn die Informationsanfrage auf illegal beschaffte Daten beruht3. DarÅber hinaus sind auch ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren geschÅtzt, wozu allerdings nicht das Bankgeheimnis zhlt (Art. 25 Abs. 3 Buchst. c, Abs. 5 DBA-Luxemburg). Soweit es um Åbermittelte Daten geht, die natÅrliche Personen betreffen, kann Luxemburg vorgeben, fÅr welche Zwecke sie in Deutschland verwendet werden dÅrfen (Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Nr. 5 Abs. 5 Buchst. a). Das Verfahren der innerstaatlichen Informationsbeschaffung in Luxemburg richtet sich nach dem dortigen Umsetzungsgesetz4, wonach u.a. der jeweilige Informationsinhaber die gewÅnschten
1 2
3 4
derungsprotokolls v. 11.12.2009, BStBl. I 2011, 838; fÅr Veranlagungszeitrume bis 2009 kommt Art. 23 DBA-Luxemburg a.F. zur Anwendung, wonach der Auskunftsaustausch sich nicht auf Tatsachen bezieht, „deren Kenntnis die FinanzbehÇrden von Banken erlangt haben, Nr. 27 Schlussprotokoll zum DBA-Luxemburg a.F. Zu diesem Treaty-overriding-Vorbehalt Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 32. Protokoll zu Art. 25 DBA-Luxemburg Nr. 5 Abs. 1 Buchst. a, wo die Identifikation der betroffenen Person nur „typischerweise“ durch Namensnennung zu erfolgen hat; vgl. hierzu Steichen/BÇing in Flore/Tsambikakis, Amtshilfe in Steuersachen Rz. 365, 391. Zu dieser in Art. 25 Abs. 3 Buchst. c DBA-Luxemburg verankerten Ordre-publicKlausel Steichen/BÇing, IStR 2012, 104 ff. (107 ff.). Gesetz v. 31.3.2010, Mmorial A Nr. 51 v. 6.4.2010 (UmsetzungsG).
Schaumburg
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Informationen innerhalb eines Monats an die zustndige luxemburgische FinanzbehÇrde herauszugeben hat (Art. 3 Abs. 2 UmsetzungsG).1
8.96 Die erhaltenen Informationen unterliegen im ersuchenden Vertragsstaat dem Steuergeheimnis mit der Maßgabe, dass die erhaltenen Informationen ebenso geheim zu halten sind wie die aufgrund des betreffenden innerstaatlichen Rechts beschafften Informationen (Art. 25 Abs. 2 DBA-Luxemburg). Das bedeutet, dass in Deutschland insoweit § 30 AO zur Anwendung kommt. DarÅber hinaus dÅrfen die erhaltenen Informationen nur den Personen oder BehÇrden (einschließlich der Gerichte und der VerwaltungsbehÇrden) zugnglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder Erhebung, der Vollstreckung oder Strafverfolgung befasst sind. Wegen der Bezugnahme auf § 30 AO bedeutet dies, dass die erhaltenen Informationen in Deutschland auch in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit verwendet werden dÅrfen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Das bedeutet, dass die Informationen an die Straf- und Bußgeldsachenstellen, an die Steuerfahndung oder an die Staatsanwaltschaft fÅr die vorgenannten Zwecke weitergeleitet werden dÅrfen. Eine Verwendung ausschließlich fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts und des Steuerordnungswidrigkeitenrechts ist dagegen nicht zulssig2. Eine weitergehende Verwendung fÅr andere Zwecke ist nur erlaubt, wenn sie nach dem Recht beider Vertragsstaaten zulssig ist und zudem der ersuchte Vertragsstaat einer solchen Verwendung zustimmt (Art. 25 Abs. 2 Satz 4 DBA-Luxemburg). Angesprochen ist damit insbesondere die Verwendung fÅr Zwecke der Bekmpfung von Geldwsche, Korruption und die Finanzierung von Terrorismus3.
IV. sterreich Literatur: Kommentare zu Art. 26 DBA-sterreich; Eicke, „Noch grÇßere Auskunftsklausel“ im DBA zwischen Deutschland und sterreich, PIStB 2013, 6 ff.; Geuenich/Lang, Verbesserte AmtshilfemÇglichkeiten im deutsch-Çsterreichischen Verhltnis, IWB 2011, 210 ff.; Jirousek, Die Umsetzung des OECD-Standards der Amtshilfe in sterreich – das neue Amtshilfe-DurchfÅhrungsgesetz, SWI 2009, 488 ff. (491); Jirousek, Das neue EU-Amtshilfegeetz, SWI 2012, 532 ff.; Jirousek, Die Revision des Amtshilfe-DurchfÅhrungsgesetzes, SWI 2014, 298 ff.; Putzer in Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, KÇln 2013, 1265 ff.; Staringer/GÅnther, Bankgeheimnis und inter-
1 Zu Einzelheiten Steichen/BÇnig in Flore/Tsambikakis, Amtshilfe in Steuersachen, Rz. 353 ff. 2 Vgl. Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 28; vgl auch BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen). 3 Vgl. Nr. 12.3 MK; die Verwendung ist nach dem Recht beider Staaten zulssig vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO; zur entsprechenden Rechtslage in Luxemburg Steichen/BÇing in Flore/Tsambikakis, Amtshilfe in Steuersachen, Rz. 381.
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C. Landesspezifische Besonderheiten nationale Amtshilfe in Steuersachen, in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 203 ff.
Der Informationsaustausch zwischen Deutschland und sterreich erfolgt im Wesentlichen auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie1 (s. Rz. 8.16 ff.), dem dazu in sterreich ergangenen EU-Amtshilfegesetz2, der Zinsrichtlinie3 (s. Rz. 8.23), der Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung4 (s. Rz. 8.24 ff.) und der Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung5 (s. Rz. 8.29 ff.) sowie von Art. 26 DBA-sterreich6. Daneben kommt auch das Rechts- und Amtshilfeabkommen mit sterreich vom 4.10.19547 in Betracht8.
8.97
Der Informationsaustausch zwischen Deutschland und sterreich erfolgt vor allem nach Maßgabe der EUAHiRL, die alle Steuern außer Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern und ZÇlle betrifft (Art. 2 EUAHiRL). Im Vordergrund stehen ErsuchensauskÅnfte (Art. 5 EUAHiRL). Solchen Auskunftsersuchen wird nur dann stattgegeben, wenn die hierfÅr erforderlichen Angaben – Bezeichnung der betroffenen Personen9 und der steuerliche Zweck – konkret bezeichnet sind (Art. 20 Abs. 2 EUAHiRL). Zudem mÅssen die begehrten AuskÅnfte fÅr die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts voraussichtlich erheblich sein (Art. 1 Abs. 1 EUAHiRL), sodass Beweisausforschungen (fishing expeditions) unzulssig sind (Nr. 9 der ErwgungsgrÅnde zum EUAHiRL). DarÅber hinaus wird das hierfÅr zustndige Central Liaison Office (CLO)10 AuskÅnfte u.a. dann zurÅckweisen, wenn die zur VerfÅgung stehenden Informationsquellen im ersuchenden Staat nicht ausgeschÇpft worden sind
8.98
1 RL 2011/16/EU v. 15.2.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 64. 2 Art. I des Abgabennderungsgesetzes 2012 v. 14.12.2012, BGBl. I Nr. 112/2012; hierzu im berblick Jirousek, SWI 2012, 532 ff.; maßgeblich ist ferner das ADG, BGBl. I 102/2009, das die verfahrensrechtliche Grundlage fÅr den internationalen Informationsaustausch nach dem EU-AHG ist. 3 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157. 4 VO (EU) Nr. 904/2010 v. 7.10.2010, ABl. EU 2010 Nr. L 268. 5 VO (EU) Nr. 389/2012 v. 2.5.2012, ABl. EU 2012 Nr. L 121. 6 I.d.F. des nderungsprotokolls v. 29.11.2010, BStBl. I 2012, 367. 7 BGBl. II 1955, 833 (BStBl. I 1955, 434); gem. Art. 4 Abs. 1 ist ein unmittelbarer Verkehr zwischen den deutschen Oberfinanzdirektionen und den Çsterreichischen Finanzlandesdirektionen zulssig (vgl. BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.5.1.3 – Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen); mit Wirkung ab 1.1.2013 richtet sich – abgesehen von dringenden Fllen – der Informationsaustausch in Steuersachen in erster Linie nach der EUAHiRL; vgl. hierzu die Konsultationsvereinbarung v. 6.11.2013, IStR-LB 11/2014, 46. 8 Ab 1.12.2014 gilt fÅr sterreich zudem das multilaterale bereinkommen Åber die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen des Europarats und der OECD (OECD-Europaratskonvention), das allerdings von Deutschland noch nicht ratifiziert worden ist; vgl. hierzu Schmidt/Stadler, IStR-LB 19/2014, 84 f. 9 Identifikationsmerkmale (Kontonummer) reichen aus. 10 Vgl. § 3 EU-AHG.
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
(Art. 17 Abs. 1 EUAHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 1 EU-AHG). Zudem werden AuskÅnfte nicht erteilt, wenn dies zur Preisgabe eines Handels-, Gewerbeoder Berufsgeheimnisses oder eines Geschftsverfahrens fÅhren wÅrde (Art. 17 Abs. 4 EUAHiRL, § 4 Abs. 3 Nr. 4 EU-AHG). Ein Bankgeheimnis1 ist demgegenÅber nicht geschÅtzt (Art. 18 Abs. 2 EUAHiRL, § 4 Abs. 5 EU-AHG).2 Mit Wirkung ab 1.1.2015 – erstmals fÅr den Veranlagungszeitraum 2014 – wird zudem ein automatischer Informationsaustausch erfolgen, und zwar fÅr VergÅtungen aus nichtselbstndiger Arbeit, Aufsichtsrats- oder VerwaltungsratsvergÅtungen, Lebensversicherungsprodukten, Ruhegehlter sowie Eigentum an und EinkÅnfte aus unbeweglichem VermÇgen (Art. 8 EUAHiRL, § 7 EU-AHG). Schließlich sind auch Spontaninformationen vorgesehen (Art. 9 EUAHiRL, § 8 Abs. 1 EU-AHG).3 ber den bloßen Informationsaustausch hinaus ist auch die Teilnahme an behÇrdlichen Ermittlungen fÅr Zwecke der Informationserlangung vorgesehen, was auch die Befragung der betroffenen Personen und der PrÅfung der Aufzeichnungen umfasst, sofern diese Personen einer solchen Vorgehensweise schriftlich zustimmen (Art. 11 EUAHiRL, § 10 EU-AHG). Im brigen ist die DurchfÅhrung gleichzeitiger PrÅfungen (simultane BetriebsprÅfungen) zulssig (Art. 12 EUAHiRL, § 12 EU-AHG).
8.99 Die Erledigung von Amtshilfeersuchen ist im Amtshilfe-DurchfÅhrungsgesetz (ADG)4 geregelt (§ 1 Abs. 5 EU-AHG). Hiernach hat das CLO, soweit die Voraussetzungen fÅr eine Erteilung der Amtshilfe vorliegen, in den Fllen, in denen das Bankgeheimnis (§ 38 Abs. 1, 5 BWG) eingreift, die Bank Åber das Auskunftsersuchen zu informieren (§ 4 Abs. 1 ADG).5 Die betroffene Person hat keine MÇglichkeit, durch Bescheid feststellen zu lassen, ob die Voraussetzungen fÅr die Durchbrechung des Bankgeheimnisses gegeben sind, sodass insoweit kein Rechtsschutz zur VerfÅgung steht6.
8.100 Erfolgt trotz gebotener Geheimhaltung eine Unterrichtung des deutschen Steuerpflichtigen, so hat dieser in der Zwischenzeit noch die MÇglichkeit, wirksam Selbstanzeige (§ 371 AO) zu erstatten, weil auch bei vorlufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnis1 Entsprechendes gilt fÅr sonstige Kreditinstitute, Bevollmchtigte, Vertreter, Treuhnder und fÅr Eigentumsanteile an einer (juristischen) Person. 2 Gem. § 4 Abs. 6 EU-AHG gilt die diesbezÅgliche Informationspflicht erst fÅr Besteuerungszeitrume ab 1.1.2011. 3 Hauptinformationsquelle sind die Feststellungen der BetriebsprÅfungsdienste, so Jirousek, SWI 2012, 532 ff. (533). 4 V. 9.9.2009, BGBl. I Nr. 102/2009; vgl. zur Neuregelung Jirousek, SWI 2014, 298 ff. und Schmidt/Stadler, IStR-LB 19/2014, 85 f. 5 Nach der nderung des ADG ist die Information an die betreffende Person nicht mehr vorgesehen (§ 4 Abs. 1 ADG n.F.); vgl hierzu Jirousek, SWI 2014, 298 ff. (298 f.). 6 Die Zulssigkeit der Durchbrechung des Bankgeheimnisses gilt bereits fÅr Ersuchen, die ab dem 1.1.2014 gestellt wurden (§ 8 Abs. 3 ADG); zum alten Recht vgl. Geuenich/Lang, IWB 2011, 210 ff (215 ff.).
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C. Landesspezifische Besonderheiten
ses1 und damit eine Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO)2 in aller Regel noch nicht gegeben ist3 (zur Selbstanzeige s. Rz. 11.1 ff.). Die Zinsrichtlinie4 (hierzu s. Rz. 8.23) ist insbesondere Rechtsgrundlage fÅr den automatischen Auskunftsaustausch Åber Zinszahlungen an in anderen EU-Mitgliedstaaten ansssige Glubiger5. FÅr sterreich gelten allerdings folgende Besonderheiten: FÅr eine bestimmte bergangszeit (Art. 10 ZiRL) tritt an die Stelle einer automatischen Auskunftserteilung die Verpflichtung, eine Quellensteuer von derzeit 35 % einzubehalten (Art. 11 Abs. 1 ZiRL), wovon 75 % an die betreffenden EU-Mitgliedstaaten weiterzuleiten sind (Art. 12 Abs. 2 ZiRL).6 Das gilt allerdings dann nicht, wenn der betreffende Steuerpflichtige die Zahlstelle ausdrÅcklich ermchtigt, AuskÅnfte an seinen Wohnstaat zu erteilen (Art. 13 ZiRL).
8.101
Eine wesentliche Rechtsgrundlage fÅr den Informationsaustausch zwischen sterreich und Deutschland ist Art. 26 DBA-sterreich.7 Der dort verankerte Informationsaustausch entspricht weitgehend dem Art. 26 OECD-MA. Im Vordergrund stehen hier ErsuchensauskÅnfte, die i.S. einer großen Auskunftsklausel (hierzu s. Rz. 8.35) alle Informationen erfassen, „die zur DurchfÅhrung dieses Abkommens oder zur Verwaltung bzw. Vollstreckung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung“ voraussichtlich erheblich sind (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-sterreich). Dieser weitgehende Informationsaustausch gilt aber nur, soweit die Besteuerung in dem anderen Vertragsstaat, etwa in der Bundesrepublik Deutschland, nicht dem Abkommen widerspricht (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-sterreich)8. Das Auskunftsersuchen muss konkret sein und die Bezeichnung der Person9, der die Ermittlung oder Untersuchung gilt, sowie den steuerlichen Zweck, fÅr den um die Auskunft ersucht wird, genau bezeichnen (Protokoll zu Art. 26 DBA-sterreich
8.102
1 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010. 2 Einzelfallbeurteilung. 3 Putzer in Flore/Tsambikakis, Amtshilfe in Steuersachen Rz. 484; Geuenich/ Lang, IWB 2011, 210 ff. (217 f.). 4 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157; hierzu Rz. 8.23 ff. 5 Soweit sie natÅrliche Personen sind. 6 Diese Sonderregelung soll ab 2015 entfallen, sodass ab dann sterreich am automatischen Informationsaustausch innerhalb der EU teilnimmt. 7 Abnderungsprotokoll v. 29.12.2010, BStBl. I 2012, 367; die Neuregelung gilt fÅr Veranlagungszeitrume ab 2011, wobei die erteilten Informationen auch zu steuerlichen Beurteilung frÅherer Zeitrume herangezogen werden kÇnnen (Protokoll zu Art. 26 DBA-sterreich Nr. 13a Buchst. d. 8 Zu diesem Treaty-overriding-Vorbehalt Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 33. 9 Gruppenersuchen wird entsprochen (§ 4 Abs. 2 ADG n.F.); vgl hierzu Jirousek, SWI 2014, 298 ff. (300 ff.); Schmidt/Stadler, IStR-LB 19/2014, 85 f.
Schaumburg
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Kapitel 8
Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen
Nr. 13a Buchst. a)1. Im Hinblick darauf ist eine Beweisausforschung durch anlasslose Ermittlungen ins Blaue hinein (fishing expeditions) unzulssig (Protokoll zu Art. 26 DBA-sterreich Nr. 13a Buchst. b). Das gilt auch fÅr Gruppenanfragen. Whrend ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschftsverfahren geschÅtzt ist (Art. 26 Abs. 3 Buchst. c DBA-sterreich), sind Informationen trotz eines etwa bestehenden Bankgeheimnisses zu erteilen (Art. 26 Abs. 5 DBA-sterreich). DarÅber hinaus dÅrfen Informationen auch nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie sich bei einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmchtigten, Vertreter oder Treuhnder befinden oder sich auf Eigentumsanteile auf eine Person beziehen (Art. 26 Abs. 5 DBA-sterreich). Die maßgeblichen innerstaatlichen Verfahrensvorschriften sind im Amtshilfe-DurchfÅhrungsgesetz (ADG) geregelt2.
8.103 Die eingehenden Informationen sind ebenso geheim zu halten wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts beschafften Informationen, sodass insoweit in der Bundesrepublik Deutschland § 30 AO zur Anwendung kommt. Im brigen dÅrfen diese Informationen nur den Personen oder BehÇrden (einschließlich der Gerichte und der VerwaltungsbehÇrden) zugnglich gemacht werden, die mit der Veranlagung oder Erhebung, der Vollstreckung oder Strafverfolgung befasst sind (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 DBA-sterreich). Das bedeutet, dass in Deutschland auch die Straf- und Bußgeldsachenstellen, die Steuerfahndung und die Staatsanwaltschaft die erteilten AuskÅnfte fÅr Zwecke des Steuerstrafrechts und des steuerlichen Ordnungswidrigkeitenrechts verwenden dÅrfen.3 Eine ausschließliche Verwendung fÅr diese Zwecke ist allerdings ausgeschlossen.4 Eine weitergehende Verwendung fÅr andere Zwecke – z.B. Korruptions- und Geldwschebekmpfung – ist zulssig, wenn sie nach dem Recht beider Staaten fÅr diese anderen Zwecke verwendet werden kÇnnen und die zustndige BehÇrde des Åbermittelnden Staates dieser Verwendung zugestimmt hat (Art. 26 Abs. 2 Satz 4 DBA-sterreich). Bei Gefahr im Verzug ist auch eine Verwendung ohne vorherige Zustimmung zulssig, wenn im Nachhinein die Genehmigung erteilt wird (Art. 26 Abs. 2 Stze 5-7 DBAsterreich).
1 Bei Anforderung von Bankinformationen ist die Nennung der Konto- oder Depotnummer oder vergleichbarer Einzelheiten nicht erforderlich (Protokoll zu Art. 26 DBA-sterreich Nr. 13a Buchst. a Doppelbuchst. ee – „soweit bekannt“); anders, wenn der Name unbekannt ist (Art. 4 Abs. 3 ADG n.F.); hierzu Jirousek, SWI 2014, 298 ff. (302). 2 BGBl. I Nr. 102/2009; vgl. zur Neufassung Jirousek, SWI 2014, 298 ff.; Schmidt/ Stadler, IStR-LB 19/2014, 85 f. 3 Gem. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO handelt es sich insoweit um eine befugte Offenbarung der erlangten Informationen. 4 Dementsprechend ist auch ein Ersuchen fÅr rein strafrechtliche Zwecke nicht zulssig; Hendricks in Wassermeyer, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz. 28; vgl. auch BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen).
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Kapitel 9 Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Rz. A. Allgemeiner Teil I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsquellen 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 2. Justizielle Zusammenarbeit auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . 3. Europisches bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhbk) . . . . . . 4. bereinkommen vom 29.5.2000 Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union (EU-Rhbk) und Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen (SD) . . . . . . 5. Europisches AuslieferungsÅbereinkommen . . . . . . . . . . . . 6. Weitere Rechtsquellen . . . . . . 7. Verhltnis der Amtshilfe in Steuersachen zur Rechtshilfe in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . .
9.1 9.4 9.5
9.18
9.19 9.21 9.22
9.23
III. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . .
9.33
IV. Grundprinzipien der Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.34
V. Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . .
9.39
VI. Praktische Aspekte . . . . . . . . .
9.40
VII. Internationale und europische Strafverfolgungsinstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interpol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Europol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eurojust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. OLAF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Europisches Justizielles Netz fÅr Strafsachen (EJN) . . . . . . . . 6. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (§§ 61b, 93 IRG) . . . . .
9.41 9.42 9.43 9.46 9.51 9.52 9.53
B. Eingehende Rechtshilfe I. Zulssigkeit der eingehenden Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
a
II. Gerichtliche Entscheidung Åber die Gewhrung von Rechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . .
9.60
III. Grenzen der Rechtshilfe . . . . .
9.61
IV. Zustndigkeit des Bundes . . . .
9.62
V. Grundstzliche Pflicht zur Bewilligung; Vorabentscheidung
9.63
VI. VorÅbergehende berstellung in das Ausland fÅr ein auslndisches Verfahren . . . . . . . . . . .
9.64
VII. Auslieferung in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.66
VIII. Auslieferung bei Europischem Haftbefehl . . . . . . . . . . .
9.73
IX. Einziehung und Verfall/Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden (§§ 88 IRG ff.) . .
9.78
X. DatenÅbermittlung ohne Ersuchen (§§ 61a, 92 IRG) . . . . . .
9.81
XI. Herausgabe/Durchsuchung und Beschlagnahme 1. Herausgabe von Gegenstnden (§ 66 IRG) . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 94 IRG durch Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 3. Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG . . . . . . 4. Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln nach § 97 IRG . XII. Vollstreckungshilfe 1. Grundstze . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.84
9.85 9.87 9.89 9.92 9.97
C. Ausgehende Rechtshilfe I. Zustndigkeit und Form . . . . . 9.100 II. Geschftswege . . . . . . . . . . . . . 9.104
9.59
III. GrenzÅberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Rechtshilfe im engeren Sinne/Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.106
Peters
| 237
a
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Rz.
IV. bersicht mÇglicher Rechtshilfehandlungen/Beweisrechtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustellungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverstndigen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Beweisantrge auf Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen . . . . . . . . . . . . . c) Vernehmung mittels Videokonferenz . . . . . . . . . . . . d) Videokonferenz mittels EEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. GrenzÅberschreitende Kontenabfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ersuchen um Durchsuchung/ Beschlagnahme/Herausgabe . . 5. berwachung der Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige grenzÅberschreitende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anwesenheit deutscher Beamter im Ausland . . . . . . . . . . . . .
9.107 9.108
9.111
9.113
V. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . 9.208 VI. GrenzÅberschreitende Kontenabfragen/Informationen Åber Bank- und sonstige Finanzgeschfte . . . . . . . . . . . . . . 9.211 F. GrenzÅberschreitende Einziehung und Sicherstellung von VermÇgenswerten I. Strafprozessualer Arrest . . . . . 9.213
9.120
II. Steuerlicher Arrest . . . . . . . . . . 9.216
9.124
G. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse . . . . 9.226
9.127 9.132 9.143 9.145
I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 9.147 Eingehende Ersuchen . . . . . . . . Inhaltliche Anforderungen . . . Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZurÅckhaltung von Informationen oder Erkenntnissen . . . 4. Verwendung der Daten . . . . . .
Rz. IV. bermittlung der Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.207
9.118
D. Schwedische Initiative
II. 1. 2. 3.
a
9.158 9.159 9.163 9.164 9.168
III. SpontanauskÅnfte . . . . . . . . . . 9.170 IV. Ausgehende Ersuchen . . . . . . . 9.171 V. Lnderspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.175 VI. Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . 9.179 VII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . 9.184 E. Europische Ermittlungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.185 I. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.188 II. Verhltnismßigkeit . . . . . . . . 9.199 III. Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung . . . . . . 9.205
H. Landesspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.242 I. Schweiz 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenhang mit der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Inhaltliche Anforderungen . . . 7. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Spezialittsvorbehalt . . . . . . . . 9. Auslieferung . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtshilfe bei indirekten Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Liechtenstein 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige bilaterale Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhaltliche Anforderung an ein Rechtshilfeersuchen . . . . .
9.243 9.246 9.253 9.254 9.255 9.256 9.257 9.259 9.260 9.262 9.263 9.265 9.269 9.270
III. Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . 9.272 IV. sterreich 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . 9.274 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.277 V. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.278
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
Rz. VI. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.281 VII. Sonstige Staaten . . . . . . . . . . . . 9.282 VIII. Rechtshilfe und Steuergeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.283
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Rz. J. StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen/Unaufgeforderte bermittlung von Informationen (Schweiz/Liechtenstein/ sterreich) . . . . . . . . . . . . . . . . 9.284
Literatur: Ahlbrecht/Schlei, Verteidigung gegen und mit Rechtshilfe, StraFo 2013, 265; Binder, Rechtshilfe durch die Schweiz bei Steuerhinterziehung mittels einer falschen EinnameÅberschussrechnung, wistra 2000, 254; BÇse, Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafrecht, ZStW 114 (2002), 148; BÅlte, Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess, ZWH 2013, 219; Carl/Klos, Leitfaden zur internationalen Rechts- und Amtshilfe in Steuersachen, 1995; Carl/Klos, Bankermittlungen in sterreich im Rahmen der Amtsund Rechtshilfegewhrleistung in Steuersachen, wistra 1995, 95; Coen, Ankauf und Verwertung deliktisch beschaffter Beweismittel im Steuerstrafverfahren aus vÇlkerrechtlicher Sicht, NStZ 2011, 433; Dannecker, Bekmpfung der Steuerdelinquenz auf europischer Ebene, in Leitgedanken des Rechts, Paul Kirchof zum 70. Geburtstag, 2013, 1809; Deiters, Gegenseitige Anerkennung von Strafgesetzen in Europa, ZRP 2003, 359; Dreßler, Rechtshilfe in Steuerstrafsachen durch die Schweiz, wistra 1989, 161; Gassner, Liechtenstein im Fadenkreuz der deutschen Steuerfahndung, StraFo 2002, 1 (5); Gercke, Zur Zulssigkeit sog. Transboarder Searches – Der strafprozessuale Zugriff auf im Ausland gespeicherte Daten, StraFo 2009, 271; Gleß, Das Verhltnis von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten und das Prinzip „locus regit actum“, in FS Gerald GrÅnwald, 1999, 197; Gleß, Beweisverbote in Fllen mit Auslandsbezug, JR 2008, 317; Gleß, GenzÅberschreitende Beweissammlung, ZStW 125 (2013), 407; Gleß/Eymann, „Nachtrgliches Verwertungsverbot“ und internationale Beweisrechtshilfe, StV 2008, 318; Gotzens, GrenzÅberschreitung im Steuerfahndungsverfahren, FS Streck 2011, 519; Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe, Ein Leitfaden fÅr die Praxis, 2. Aufl. 2012; Holenstein, Schweiz: Sukzessive ffnung auch bei der Auslieferung in Steuerstrafsachen, PStR 2012, 151; Kramer, TelekommunikationsÅberwachung und Verkehrsdatenabfrage bei Verdacht auf Steuerhinterziehung, NJW 2014, 1561; Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012; Langsdorff, Maßnahmen der Europischen Union zur Vereinfachung und Beschleunigung der Rechtshilfe und insoweit vorgesehene Beschuldigten- und Verteidigerrechte, StV 2003, 472; Lanser, sterreichische Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis, wistra 1999, 213; Nagler, Verteidigung gegen im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse, StV 2013, 324; Rose, Beweisantrge auf Vernehmung von Auslandszeugen, NStZ 2012, 18; RÅping, Ermittlungen der Steuerfahndung und ihre Schranken, DStR 2002, 2020; Sahan/ Ruhmanseder, Steuerstrafrechtliche Risiken fÅr Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfers in die Schweiz, IStR 2009, 715; Schaumburg/Schaumburg, GrenzÅberschreitende Sachaufklrung, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, 2011, 369; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, 2006; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatenstzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht, Ubg 2014, 380; Spriegel/ Wiese, Theorie und Praxis der Rechtshilfegewhrung durch die Schweiz bei Fiskaldelikten, wistra 2000, 409; Stahl, Internationale Rechts-und Amtshilfe im
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
Steuer- und Steuerstrafrecht, KSDI 2014, 18687; Vater, Zum Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung im schweizer Steuerrecht, IWB 2003, 767; Wegner, Auch weiterhin keine Amtshilfe der Schweiz bei Steuerhinterziehungen, PStR 2003, 139; ZÇller, Der Austausch von Strafverfolgungsdaten zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union, ZIS 2011, 64; Zourek, Die Initiative der EU-Kommission im Kampf gegen aggressive Steuerplanung- und Steuerhinterziehung, DB 2013, Beilage Standpunkte zu Heft 13, 17-19.
A. Allgemeiner Teil I. EinfÅhrung 9.1 Die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist in der Praxis vielfach mÅhselig,
9.2
langwierig und durch Formalismus geprgt. Bei einigen Staaten kann es Monate und im Einzelfall bis zu einem Jahr dauern, bis auf ein Rechtshilfeersuchen reagiert wird. Aber auch das Gegenteil ist bekannt. Festzuhalten ist dennoch, dass die MÇglichkeiten der Rechtshilfe stndig verbessert werden und die gegenseitigen Hemmschwellen, bislang vielfach dem Souvernittsgedanken geschuldet, der Anerkennung der Notwendigkeit einer grenzÅberschreitenden Kriminalittsbekmpfung weichen. Aus nachvollziehbaren GrÅnden stehen die Bekmpfung des internationalen Terrorismus, der internationalen organisierten Kriminalitt und insbesondere die Bekmpfung des Handels mit Betubungsmitteln an vorderster Stelle. Bereits seit Lngerem setzt sich indes die Erkenntnis durch, dass auch die Verfolgung grenzÅberschreitender Steuerhinterziehungen angesichts notorisch knapper Kassen in fiskalischer und politischer Hinsicht lohnenswert ist. Oftmals wird dabei Åber das Ziel hinausgeschossen, wenn gleichsam smtliche im Ausland belegenen Konten und VermÇgenswerte dem Generalverdacht der Steuerhinterziehung unterworfen werden oder von StrafverfolgungsbehÇrden die Ansicht vertreten wird, auslndische Stiftungen dienten allein dem Zweck der Steuerhinterziehung. Die Voraussetzungen eines Anfangsverdachts sind in diesen Fllen besonders sorgsam zu prÅfen, da ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, nebst womÇglichem Rechtshilfeersuchen, nicht nur innerstaatliche Auswirkungen hat, sondern auch unabsehbare Konsequenzen im Ausland zeitigen kann. Dies gilt es insbesondere vor dem Hintergrund zu beachten, dass nicht jedes ersuchte Land tatschlich die rechtlichen Mindeststandards in einem Strafverfahren garantiert. Was das Internationale Steuerstrafrecht betrifft, ist die sog. eingehende Rechtshilfe, d.h. Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland nach Deutschland, mitunter ein zweischneidiges Schwert, da sich aus den in Rede stehenden Sachverhalten, neben allgemeinen strafrechtlichen Anhaltspunkten, oftmals Anhaltspunkte fÅr inlndische Steuerstraftaten ergeben kÇnnen. Die Einleitung eines deutschen Strafverfahren ist die denknotwendige Folge des geltenden Legalittsprinzips. Beispiel: Gegen A wird in Frankreich ein Ermittlungsverfahren gefÅhrt, weil er verdchtig ist, Åber „Beratervertrge“ unrechtmßig Zahlungen in HÇhe von 250.000 Euro er-
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A. Allgemeiner Teil halten zu haben, um Auftrge an Geschftspartner zu vergeben. Frankreich begehrt die Durchsuchung seiner in Deutschland belegenen Wohnung, die Beschlagnahme beweisrelevanter Unterlagen und verlangt die bermittlung von Kontoverdichtungen. A hat die EinkÅnfte in Deutschland nicht versteuert und das Entgelt auf ein schweizer Konto transferiert. Neben einer Strafbarkeit in Frankreich kommt nach deutschem Recht womÇglich eine Strafbarkeit nach § 299 Abs. 1, Abs. 3 StGB, § 370 AO in Betracht. Allein hinsichtlich § 299 StGB kme eine Verfahrensweise nach § 153c StPO in Betracht, wenn die Gelder in Deutschland zu versteuern gewesen wren.
Aus anderen Fllen ist bekannt, dass auslndische StrafverfolgungsbehÇrden oder mit strafprozessualen Befugnissen ausgestattete BehÇrden (z.B. DOJ oder SEC) sich auch nicht scheuen, mittels eines Rechtshilfeersuchens oder StrafverfolgungsÅbernahmeersuchens vor dem Hintergrund des in Deutschland geltenden Legalittsprinzips Ermittlungen in Gang zu setzen, allein zu dem Zweck, die Verhandlungsbereitschaft betroffener Firmen im Ausland zu fÇrdern.1 In jedem Fall sollten es die deutschen StrafverfolgungsbehÇrden vermeiden, sich zum BÅttel auslndischer StrafverfolgungsbehÇrden machen zu lassen.
9.3
II. Rechtsquellen 1. Vorbemerkung Das Rechtshilferecht in Strafsachen besteht aus einem undurchdringbaren umfangreichen und unÅberschaubaren Normengeflecht, dem es an jedweder Systematik oder Einheitlichkeit fehlt. Die Grenze des Darstellbaren ist erreicht2, nicht nur was das EU-Recht betrifft.3 Das Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) dient in der Regel nur als lÅckenfÅllende Rechtsquelle gegenÅber den vorrangigen internationalen bereinkommen, insbesondere den vorrangigen vÇlkerrechtlichen Vertrgen.4 Die Darstellung der allgemeinen Grundlagen, Voraussetzungen und MÇglichkeiten der internationalen Rechtshilfe kann daher nur Åberblicksartig erfolgen.5
1 Im konkreten Fall liefen die Ermittlungen in den USA bereits seit fÅnf Jahren bevor die deutschen StrafverfolgungsbehÇrden Åber mÇgliche Strafbarkeiten deutscher Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens informiert wurden. 2 S/L/G/H5, Einl. Rz. 77. 3 Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 12d, 15, beschreiben bis zu 11 Ebenen an Rechtsquellen, die ggf. zu berÅcksichtigen sind, und sprechen von „Rechtshilfechaos“; ein berblick findet sich auch bei Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 145 ff. 4 Zum Ganzen vgl. die Darstellung bei Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, 1 ff.; Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 1 ff. 5 Ein berblick findet sich auch bei Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 36 f.
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9.4
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
2. Justizielle Zusammenarbeit auf Unionsebene
9.5 Nach Artt. 82 ff. AEUV beruht die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung und umfasst die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den in Art. 82 Abs. 2 und in Art. 83 AEUV genannten Bereichen.
9.6 Das Europische Parlament und der Rat sind hierÅber ermchtigt, Maßnahmen zu erlassen, um: – Regeln und Verfahren festzulegen, mit denen die Anerkennung aller Arten von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der gesamten Union sichergestellt wird; – Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern und beizulegen; – die Weiterbildung von Richtern und Staatsanwlten sowie Justizbediensteten zu fÇrdern; – die Zusammenarbeit zwischen den JustizbehÇrden oder entsprechenden BehÇrden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern.
9.7 Sofern es zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzÅberschreitender Dimension erforderlich ist, kÇnnen das Europische Parlament und der Rat gem. Art. 82 Abs. 2 AEUV durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen. Bei diesen Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten berÅcksichtigt. Daneben normieren Artt. 85, 86 AEUV die Institutionalisierung der europischen Strafverfolgung durch Eurojust und die MÇglichkeit der Errichtung einer europischen Staatsanwaltschaft.
9.8 ber Art. 82 Abs. 2 UA AEUV ist die MÇglichkeit der Rechtsangleichung in folgenden Bereichen erÇffnet:1 – die Zulssigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten; – die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren; – die Rechte der Opfer von Straftaten; – sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor vom Rat durch Beschluss bestimmt worden sind.
9.9 In Art. 87 ff. AEUV ist die polizeiliche Zusammenarbeit normiert. Ziel ist die Entwicklung einer polizeilichen Zusammenarbeit zwischen allen zustndigen BehÇrden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Polizei, des Zolls und anderer auf die VerhÅtung oder die Aufdeckung von Straftaten sowie entsprechende Ermittlungen spezialisierter StrafverfolgungsbehÇr1 Zum Ganzen MansdÇrfer, HRRS 2010, 15; vgl. hierzu auch Rz. 5.24.
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A. Allgemeiner Teil
den. Nach Art. 87 Abs. 2 AEUV kÇnnen das Europische Parlament und der Rat Maßnahmen erlassen, die Folgendes betreffen: – Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen sachdienlicher Informationen;1 – UnterstÅtzung bei der Aus- und Weiterbildung von Personal sowie Zusammenarbeit in Bezug auf den Austausch von Personal, die AusrÅstungsgegenstnde und die kriminaltechnische Forschung; – gemeinsame Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen der organisierten Kriminalitt. Von ebenso großer Bedeutung als Rechtsgrundlage ist das Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen (SD).2 Das SD trat am 1.9.19933 in Kraft und wurde am 26.3.1995 zunchst in den Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien umgesetzt. In den Staaten Bulgarien, Dnemark, Estland, Griechenland, Italien, Irland, Island, Lettland, Litauen, Malta, Norwegen, sterreich, Polen, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und im Vereinigten KÇnigreich trat das SD jeweils durch Ratifizierung oder Beitritt zur EU in Kraft. Das SD wurde nicht vollstndig von allen “Schengen-Staaten“ Åbernommen. Vielmehr besteht eine Vielzahl an Ausnahmeklauseln und nationalen Sonderregelungen.
9.10
Die Rechtsgrundlage fÅr die polizeiliche Zusammenarbeit ist in Art. 39 ff. SD normiert. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich insbesondere, dass die Polizei sich untereinander nach Maßgabe des nationalen Rechts und ihrer jeweiligen Zustndigkeit im Interesse der vorbeugenden Bekmpfung und der Aufklrung von strafbaren Handlungen Hilfe leistet (Art. 39 Abs. 1 SD). Art. 40 SD normiert die grenzÅberschreitende Observation und Nacheile in den in Art. 40 Abs. 7 SD benannten Fllen. Die Steuerhinterziehung fllt nicht darunter.
9.11
1 RB-Informationsaustausch = Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union (ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89); vgl. auch Gesetz zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterlichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union und zur nderung registerrechtlicher Vorschriften v. 15.12.2011, BGBl. I 2011, 2714, beruhend auf dem Beschluss 2009/316/JI des Rates v. 6.4.2009 zur Einrichtung des Europischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gem. Art. 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (Standardisiertes Austauschverfahren mit automatischen bersetzungen auf der Grundlage einer Kategorisierung von Straftatbestnden und Sanktionen), ABl. EU Nr. L 93 v. 7.4.2009, 33. 2 bereinkommen v. 19.6.1990 zur DurchfÅhrung des bereinkommens von Schengen v. 14.6.1985, BGBl. II 1993, 1013; vgl. auch www.auswaertigesamt.de. 3 BGBl. II 1994, 631 ff.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
9.12 Das deutsche IRG i.V.m. den RiVASt zeigt in praktischer Hinsicht auf, welche MÇglichkeit der internationalen Rechtshilfe bestehen. Auch wenn den RiVASt als bloße Richtlinien keine Gesetzeswirkung zukommt, legen die Richtlinien fest, welche internationalen Rechtsbruche bestehen und zu beachten sind.1
9.13 Die (eingehende) Rechtshilfe im (steuer-)strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vollzieht sich im Wesentlichen auf Grundlage der eingangs erwhnten Rechtsgrundlagen, also im Wesentlichen anhand des IRG und des EuRhbk nebst Zusatzprotokoll vom 16.10.2001.2 Hinzu kommen das EuGeldwschebk und das StrafrechtsÅbereinkommen vom 27.1.1999 gegen Korruption (EuAntiKorruptionsbk).3 Insbesondere das ZP-Eu-Rhbk verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zur Rechtshilfe bei Auskunfts- und berwachungsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschften, sodass die Berufung auf ein Bankgeheimnis ausgeschlossen ist. Anwendung findet das Protokoll im Verhltnis zu allen Mitgliedstaaten, abgesehen von Estland, Griechenland, Italien und Irland. Bei diesen Staaten verbleibt es bei der Regelung des Art. 50 SD, wonach Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern (Verbrauchssteuern, Mehrwertsteuer und ZÇlle) geleistet wird.
9.14 Der wesentliche Unterschied zur Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen besteht darin, dass die Rechtshilfe in Strafsachen auch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wie Vernehmung, Durchsuchung, Beschlagnahme, grenzÅberschreitende Observationen, grenzÅberschreitende Nacheile und die Vollstreckung von Haftbefehlen beinhaltet.4
9.15 Das Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) verhlt sich in erster Linie zur UnterstÅtzung eines auslndischen Strafverfahrens.5 Es regelt im ersten und zweiten Teil den Anwendungsbereich sowie die Auslieferung an das Ausland (§§ 1–42 IRG). Im dritten Teil ist die 1 OLG SaarbrÅcken v. 13.11.2009 – 1 Ws 2007/09 – Rz. 13. 2 Zu den bilateralen bereinkommen Åber die UnterstÅtzung in Steuer- und Steuerstrafsachen vgl. auch die Aufstellung bei Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 77d. 3 Hinsichtlich smtlicher infrage kommender Rechtsquellen nebst bilateraler Vereinbarungen, Rechtshilfevertrge, OECD Abkommen, und Abkommen sei auf S/L/G/H5, verwiesen. 4 Zum Ganzen vgl. auch das Schreiben des BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 66/06, BStBl. I 2006, 689; Merkblatt Åber die zwischenstaatliche Amtshilfe in Umsatzsteuersachen v. 29.2.2012, BStBl. I 2012, 244; Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 19.1.2004 – IV B 4 – S 1320 – 1/04, BStBl. I 2001, 66); Merkblatt zum internationalen Verstndigungsverfahren und Schiedsverfahren in Steuersachen v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461). 5 Ergnzt wird das IRG durch die in der Praxis besonders relevanten Richtlinien fÅr den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt), die einen verbindlichen Leitfaden fÅr die Bearbeitung von Rechtshilfevorgngen darstellen; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 81.
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A. Allgemeiner Teil
sog. Durchlieferung zur Vollstreckung einer verhngten Strafe oder Sanktion geregelt. Der vierte Teil regelt die Rechtshilfe durch Vollstreckung auslndischer Erkenntnisse, wonach Rechtshilfe auch fÅr ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit durch Vollstreckung einer im Ausland rechtskrftig verhngten Strafe oder sonstigen Sanktion geleistet werden kann (§ 48 IRG). Erst im fÅnften, sechsten und siebten Teil finden sich Regelungen zur sonstigen Rechtshilfe in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Viele Lnder halten gleichartige Gesetze bereit, etwa das Çsterreichische ARHG oder das schweizerische Gesetz zur Rechtshilfe, die sich zum Teil explizit zur Rechtshilfe in Steuerstrafsachen verhalten. Die Rechtshilfe ist ferner geregelt in internationalen und bilateralen Vereinbarungen. Teils findet jedoch auch vertraglose Rechtshilfe statt. Praxisrelevant sind zum einen die bereinkommen des Europarats, die neben den 47 Mitgliedstaaten auch von Nicht-Mitgliedstaaten gezeichnet werden. Ein berblick Åber smtliche Vertrge, die beteiligten Vertragsstaaten und den entsprechenden Ratifizierungsstand findet sich auf den Internetseiten des Europarates (www.coe.int). Die Vorschriften des IRG sind subsidir, wenn und soweit multilaterale oder bilaterale vÇlkerrechtliche Vereinbarungen Åber zwischenstaatliche Rechtshilfe bestehen. Entscheidend fÅr die Subsidiaritt ist die Reichweite der jeweiligen vÇlkerrechtlichen Vereinbarung.1
9.16
Ü Praxishinweis: Die vertragliche Grundlage und die einschlgigen Rechtsgrundlagen und MÇglichkeiten der Rechtshilfe finden sich Åberwiegend bereits im sog. Lnderteil der Richtlinien fÅr den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt).2 Auf der Homepage des Bundesjustizministeriums kann das jeweilige Land mittels Suchfunktion ermittelt werden. Sodann werden die vertraglichen Grundlagen und zu beachtenden Besonderheiten dargestellt. Wegen der teilweise zu beachtenden lnderspezifischen Besonderheiten in Hinblick auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung oder etwaiger Fiskalvorbehalte sind die Verweise innerhalb der bersichten auf womÇgliche Fiskalvorbehalte besonders zu beachten. Von besonderer praktischer Bedeutung sind auch die dort enthaltenen Anlagen und VorstÅcke.
9.17
3. Europisches bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhbk) Das EuRhbk vom 20.4.1959 wird ergnzt durch das 1. Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 (1. ZP-EuRhbk), das 2. Zusatzprotokoll vom 8.11.2001 (2. ZP-EuRhbk) sowie durch bilaterale Vertrge. Das EuRhbk begrÅndet die Verpflichtung, einander soweit wie mÇglich Rechtshilfe zu leisten. 1 OLG KÇln v. 20.6.2003 – Ausl 152/03, NStZ-RR 2003, 339 (340). 2 http://www.bmj.de/DE/Service/StatistikenFachinformationenPublikationen/ Fachinformationen/RiVASt/_node.html oder www.verwaltungsvorschriften-iminternet.de.
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9.18
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
Reichweite und Schranken ergeben sich unmittelbar aus den Bestimmungen des bereinkommens, aus den beiden Zusatzprotokollen, aus Vorbehalten und Erklrungen einzelner Unterzeichnerstaaten zum EuRhbk bzw. zu den ZP-EuRhbk und ggf. aus bilateralen Zusatzvertrgen oder -vereinbarungen. Eine fÅr das internationale Steuerstrafrecht bedeutsame Ausnahmeregelung enthlt Art. 2 EuRhbk. Danach kann Rechtshilfe verweigert werden, wenn sich ein Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die als Fiskalstraftaten angesehen werden (Fiskalvorbehalt). Rechtshilfe in Fiskalsachen muss nur geleistet werden, wenn und soweit dies in Zusatzvertrgen oder -vereinbarungen zum EuRhbk ausdrÅcklich vorgesehen ist. Das EuRhbk wird sptestens ab 2017 durch die Europische Ermittlungsanordnung ersetzt (hierzu Rz. 9.185). 4. bereinkommen vom 29.5.2000 Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union (EU-Rhbk) und Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen (SD)
9.19 Der Sinn und Zweck des EU-Rhbk vom 29.5.2000 besteht darin, im Verhltnis zwischen den Mitgliedstaaten der EU die Anwendung des EuRhbk vom 20.4.1959 und dessen 1. Zusatzprotokolls zu erleichtern und bestimmte Regelungen des SD zu ersetzen.1 Im Protokoll vom 16.10.2001 zum EU-Rhbk (ZP-EU-Rhbk) wurde der Fiskalvorbehalt aufgegeben. DarÅber hinaus haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, AuskÅnfte Åber Bankkonten im Rahmen der Rechtshilfe in Strafsachen zu erteilen. Ein nach nationalem Recht bestehendes Bankgeheimnis darf der Beantwortung nicht entgegenstehen. Daneben bleiben jedoch weitergehende bi- oder multilaterale Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten bzw. den Schengen-Staaten anwendbar (Art. 1 Abs. 2 EU-Rhbk bzw. Art. 48 Abs. 2 SD).
9.20 Das EU-Rhbk schafft eine Grundlage fÅr eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und trgt zur Vereinheitlichung des Rechtsraums bei. Die Erledigung von Rechtshilfeersuchen ist danach nicht mehr vom Recht des ersuchten Staates abhngig, sondern folgt den Regeln des ersuchenden Staates. Erstmals sind auch Vorschriften zur berwachung der grenzÅberschreitenden Telekommunikation normiert. 5. Europisches AuslieferungsÅbereinkommen
9.21 Das EuAlbk des Europarates vom 13.12.19572 bildet die Basis fÅr das europische Auslieferungsrecht. Es begrÅndet Verpflichtungen zur Auslieferung verfolgter Personen zur Strafverfolgung, zur Strafvollstreckung sowie zur Vollstreckung von Maßregeln zur Besserung und Sicherung. Ergnzt wird das EuAlbk durch das 1. Zusatzprotokoll vom 15.10.1975 („ZPEuAlbk“), und das 2. Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 („2. ZP-EuAl1 Zum Ganzen vgl. Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, 1221. 2 BGBl. II 1964, 1369; BGBl. II 1976, 1778; BGBl. I 1982, 2071; BGBl. II 1994, 299.
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bk“). Das 2. ZP-EuAlbk ist am 5.6.1983 in Kraft getreten und ersetzt im Rahmen seines Geltungsbereichs die Regelung des Art. 5 EuAlbk durch Art. 2 2. ZP-EuAlbk, der sich auf die Auslieferung bei fiskalisch strafbaren Handlungen bezieht. Eine Definition der fiskalischen Handlung exisitert nicht. Am 10.3.1995 wurde das bereinkommen fÅr das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten („EUVereinfAuslbk“) beschlossen, welches insbesondere zu einer Beschleunigung in den Fllen fÅhrt, in denen der Beschuldigte zustimmt.1 6. Weitere Rechtsquellen Hervorhebenswerte Rechtsquellen und Fundstellen im Hinblick auf das Internationale Steuerstrafrecht sind ferner: – Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG); – SD2 nebst SIS (Schengen Informationssystem); – Deutsche Erklrung zu Art. 24 EuRhbk3; – ZP-EuRhbk4; – ZP-EuRhbk5; – EU-Rhbk6; – ZP-EU-Rhbk7; – Bilaterale Abkommen auf dem Gebiet der Amts- und Rechtshilfe: BMFSchreiben vom 11.1.20068; – IRG;9 – RiVASt;10 – RiVASt Anhang II (Lnderteil): – Zustndigkeitsvereinbarung 2004;11 – Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen vom 25.1.2006;12 1 BGBl. II 1998, 2229. 2 bereinkommen v. 19.6.1990 zur DurchfÅhrung des bereinkommens von Schengen v. 14.6.1985, BGBl. II 1993, 1013; vgl. auch www.auswaertigesamt.de. 3 BGBl. II 1976, 1799. 4 BGBl. II 1990, 124; BGBl. II 1991, 909; SEV-Nr. 099. 5 SEV-Nr. 182. 6 BGBl. II 2005, 650; ABl. EU 2005 Nr. C 197, 1. 7 BGBl. II 2005, 661; ABl. EU 2005 Nr. C 326, 2. 8 BMF, Schr. v. 11.1.2006 – IV B 5 - S 1301 - 1/06, BStBl. I 2006, 85. 9 BGBl. I 1994, 1537; zuletzt gendert durch Art. 1 des Gesetzes v. 22.7.2005, BGBl. I 2005, 2189. 10 Bundesanzeiger (BAnz.) Nr. 176 v. 18.9.1984 i.V.m. der Beilage 47/84 und BAnz. Nr. 40a v. 27.2.1993; nebst Lnderteil und Anlagen abrufbar unter http://www.bmj.de/DE/Service/StatistikenFachinfaormationenPublikationen/ Fachinformationen/RiVASt/_node.html. 11 BAnz. v. 29.5.2004, 11.494. 12 BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 - 11/06, BStBl. I 2006, 26.
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9.22
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– Merkblatt Åber die zwischenstaatliche Amtshilfe in Umsatzsteuersachen; – Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) vom 19.1.2004;1 – Merkblatt zum internationalen Verstndigungsverfahren und Schiedsverfahren in Steuersachen vom 13.7.20062 – BMF-Schreiben v. 16.11.2006 (Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen);3 – Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23.6.2008 zur Vertiefung der grenzÅberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekmpfung des Terrorismus und der grenzÅberschreitenden Kriminalitt i.V.m. dem Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23.6.2008 zur DurchfÅhrung des Beschlusses 2008/615/JI des Rates vom 23.6.2008;4 – Beschluss 2007/845/JI des Rates vom 6.12.2007 Åber die Zusammenarbeit zwischen den VermÇgensabschÇpfungsstellen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des AufspÅrens und der Ermittlung von Ertrgen aus Straftaten oder anderen VermÇgensgegenstnden im Zusammenhang mit Straftaten;5 – Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates vom 6.10.2006 Åber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen;6 – RB-Sicherstellung = Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union;7 – RB-Beweisanordnung = Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18.12.2008 Åber die Europische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, SchriftstÅcken und Daten zur Verwendung im Strafverfahren;8 – RB-Informationsaustausch = Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union;9 – ECRIS = Beschluss 2009/316/JI des Rates vom 6.4.2009 zur Einrichtung des Europischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gem. Art. 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (Standardisiertes Austauschver1 2 3 4 5 6 7 8 9
BMF v. 19.1.2004 – IV B 4 - S 1320 - 1/04, BStBl. I 2001, 66. BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689. ABl. EU Nr. L 210 v. 6.8.2008, 1 (12); Umsetzungsgesetz BGBl. I 2009, 2507. ABl. EU Nr. L 332 v. 18.12.2007, 103; EU-Ratsdokument 12080/09, CRIMORG 116. ABl. EU Nr. L 328 v. 24.11.2006, 59; Umsetzungsgesetz BGBl. I 2009, 3214. ABl. EU Nr. L 196 v. 2.8.2003, 45; Umsetzungsgesetz BGBl. I 2008, 995; EURatsdokument 9309/09, COPEN 80, EJN 26, EUROJUST 25. ABl. EU Nr. 350 v. 30.12.2008, 72. ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89.
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fahren mit automatischen bersetzungen auf der Grundlage einer Kategorisierung von Straftatbestnden und Sanktionen;1 bereinkommen vom 17.12.1997 Åber die Bekmpfung der Bestechung auslndischer Amtstrger im internationalen Geschftsverkehr;2 bereinkommen vom 8.11.1990 Åber Geldwsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertrgen aus Straftaten;3 FATCA/Musterabkommen zur Bekmpfung der Steuerkriminalitt v. 31.5.20134. Verpflichtung, von den im Staatsgebiet ansssigen Finanzistituten die Informationen Åber fÅr US-Kunden gefÅhrte Konten zu erheben und den US-BehÇrden zur VerfÅgung zu stellen.
7. Verhltnis der Amtshilfe in Steuersachen zur Rechtshilfe in Strafsachen Von der zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist die zwischenstaatliche Amtshilfe5 zu unterscheiden, wie sie Eingangs dargestellt wurde. Wird die FinanzbehÇrde als StrafverfolgungsbehÇrde in einem Steuerstrafverfahren ttig, sind die entsprechenden strafprozessualen Maßnahmen, wie z.B. Durchsuchung, Beschlagnahme und Zeugenvernehmung, nach den Regeln Åber die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen durchzufÅhren. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Steuerstrafverfahren ist aufgrund der Doppelfunktionalitt untrennbarer Bestandteil dieses Verfahrens. Die Ermittlungsergebnisse des Steuerstrafverfahrens kÇnnen daher – in der Regel – unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden.
9.23
Ebenso kÇnnen auch noch nach Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens AuskÅnfte auf dem Amtshilfeweg zum Zweck der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unter Beachtung des § 393 Abs. 1 AO eingeholt und erteilt werden. Rechtsgrundlage hierfÅr bilden die Doppelbesteuerungsabkommen mit großer Auskunftsklausel, bilaterale Amtshilfe-Vertrge, die EG-Amtshilfe-Richtlinie sowie die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 vom 7.10.2003 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Ver-
9.24
1 ABl. EU Nr. L 93 v. 7.4.2009, 33; vgl. auch Gesetz zur Verbesserung des Austauschs von strafregisterlichen Daten zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union und zur nderung registerrechtlicher Vorschriften v. 15.12.2011, BGBl. I 2011, 2714. 2 BGBl. II 1998, 2325 (2327); BGBl. II 1999, 87; aktueller Ratifikationsstand s. unter http://www.oecd.org/dataoecd/59/13/40272933.pdf. 3 BGBl. II 1998, 519, 520; BGBl. II 1999, 200; aktueller Ratifikationsstand (SEVNr. 141) s. unter http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?CM=8&CL=GER. 4 BGBl. II 2013, 1362. 5 Vgl. Kap. 9; zum Ganzen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.53 ff.; Hendricks, Internationale Amtshilfe in Steuerverfahren.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
ordnung (EWG) Nr. 218/92 (zu den Rechtsgrundlagen vgl. auch Rz. 8.9 f.).
9.25 Der praktische Unterschied wird sogleich deutlich: Die Gewhrung von zwischenstaatlicher Amtshilfe durch Informationsaustausch, auch im Rahmen einer gleichzeitigen PrÅfung, stellt einen Eingriff in die Rechte des betroffenen inlndischen Beteiligten dar.1 Zwar ist eine AnhÇrung des Beteiligten bei der Inanspruchnahme steuerlicher Amtshilfe nicht vorgesehen; rechtliches GehÇr soll indes gewhrt werden, wenn das Auskunftsersuchen Informationen enthlt, die fÅr den Betroffenen im anderen Staat zu einem Eingriff in seine rechtlich geschÅtzte Sphre fÅhren kÇnnten.
9.26 Bei einem strafrechtlichen Rechtshilfeersuchen findet naturgemß keine vorherige AnhÇrung statt, um den Zweck der Maßnahme nicht zu gefhrden.2
9.27 In seinem Schreiben vom 25.5.2012 unterscheidet das Bundesfinanzministerium zunchst ausdrÅcklich zwischen der Amtshilfe in Steuersachen und der Rechtshilfe in Steuerstrafsachen. Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen ist nach Auffassung des BMF jede UnterstÅtzung, die fÅr ein Steuerstrafverfahren beansprucht oder gewhrt wird, unabhngig davon, ob das Verfahren von einem Gericht oder einer BehÇrde betrieben wird und ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder einer BehÇrde durchgefÅhrt werden soll.3
9.28 Auch nach Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens sollen nach Auffassung des BMF jedoch noch AuskÅnfte auf dem Amtshilfeweg zum Zweck der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unter Beachtung des § 393 Abs. 1 AO eingeholt und erteilt werden kÇnnen.4 Dem BMF1 Zum Åberdies geltenden Subsidiarittsprinzip vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.64. Zwischenstaatliche Amtshilfe durch einen anderen Staat kann nur verlangt werden, wenn die deutsche Finanzverwaltung die Tatsachen nicht selbst ermitteln kann, wenn benÇtige Beweismittel sich tatschlich im Besitz des ersuchten Staates befinden und wenn sie die entsprechenden Sachverhaltsaufklrungsmaßnahmen nur mit wesentlich grÇßerem Aufwand vornehmen kÇnnte als der ersuchte Staat (vgl. auch § 112 AO). Vgl. auch Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen, BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 - 11/06, BStBl. I 2006, 26 Rz. 2.1.2. 2 Vgl. auch BMF v. 16. 11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06 – Tz. 2.7, BStBl. I 2006, 698. 3 BMF v. 25.5.2012 – V B 6 - S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen, BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06, BStBl. I 2006, 698; vgl. auch BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 -11/06, BStBl. I 2006, 26 Tz. 1.2. 4 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06 – Tz. 1.3, BStBl. I 2006, 698, wobei als Grundlage auf Doppelbesteuerungsabkommen mit großer Auskunftsklausel, bilaterale Amtshilfevertrge, die EG-Amtshilfe-Richtlinie und die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 v. 7.10.2003 Åber die Zusammenarbeit der VerwaltungsbehÇrden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 abgestellt wird.
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Schreiben folgend kÇnnen die so erlangten Erkenntnisse unter Berufung auf § 4 Abs. 1 EGAHiG auch unmittelbar fÅr das Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren verwendet werden.1 Dies bedarf der Klarstellung. Die AuskÅnfte dÅrfen dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 EGAHiG folgend nur dann in einem gerichtlichen Verfahren oder in einem Straf- oder Bußgeldverfahren fÅr Zwecke dieser Verfahren unmittelbar an diesen Verfahren beteiligten Personen offenbart werden, wenn diese Verfahren im Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung oder der berprÅfung der Steuerfestsetzung stehen. Eine generelle Verwendung ist daher mitnichten mÇglich. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass wenn die Steuerfestsetzung bereits abgeschlossen ist, eine Verwendung der im Wege der Amtshilfe erlangten Informationen im Steuerstrafverfahren nicht mehr mÇglich ist.
9.29
Einen Vorrang der Rechtshilfe in Strafsachen erkennt das BMF, wenn die FinanzbehÇrde ausschließlich als StrafverfolgungsbehÇrde in einem Steuerstrafverfahren zur Ermittlung einer Steuerstraftat (§§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1, 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) oder als zustndige VerwaltungsbehÇrde in einem Bußgeldverfahren zur Ermittlung einer Steuerordnungswidrigkeit (§§ 409, 410, 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) ttig wird.2 In diesem Fall sind AuskÅnfte nach den Regeln Åber die zwischenstaatliche Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen bzw. Ermittlungen aufgrund eines auslndischen Rechtshilfeersuchens nur nach den straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften vorzunehmen.3 Hierdurch sollen Verwertungsverbote vermieden werden. Das gilt nach Ansicht des BMF namentlich fÅr die Durchsuchung von Personen und Rumen, die Beschlagnahme von Beweismitteln und die Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverstndigen. Die Ermittlungsergebnisse des Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens kÇnnen nach Ansicht des BMF in der Regel unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden.4
9.30
Dies steht im Einklang mit der Regelung des § 397 AO, da ein Strafverfahren bereits eingeleitet ist, sobald die FinanzbehÇrde, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, eine ihrer Ermittlungspersonen oder der Strafrichter
9.31
1 So bereits BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320-66/06 – Tz. 1.3, BStBl. I 2006, 698. 2 BMF v. 25.5.2012 – V B 6 - S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698; vgl. auch BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 -11/06, BStBl. I 2006, 26 Tz. 1.2.; so auch HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 144. 3 BMF v. 25.5.2012 – V B 6 - S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 unter Verweis auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698; vgl. auch BMF v. 25.1.2006 – IV B 1 - S 1320 - 11/06, BStBl. I 2006, 26 Tz. 1.2. 4 BMF v. 25.5.2012 – V B 6-S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 1.2 unter Hinweis auf Tz. 6.4 des Merkblatts zur zwischenstaatlichen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen v. 16.11.2006, BStBl. I 2006, 698 hinsichtlich Ausnahmen zur Schweiz vgl. Rz. 9.242.
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eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen. Die Maßnahme ist gem. § 397 Abs. 2 AO zudem unter Angabe des Zeitpunkts unverzÅglich in den Akten zu vermerken. Ab diesem Zeitpunkt wird ein Strafverfahren gefÅhrt, fÅr welches die einschlgigen strafrechtlichen Rechtsgrundlagen heranzuziehen sind.
9.32 Ermittelt die FinanzbehÇrde zunchst nur in rein steuerlicher Hinsicht, ist ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Anfangsverdacht nach den oben genannten Kriterien zu bejahen ist, eine Abgabe an die Straf- und Bußgeldsachenstelle geboten. Die FinanzbehÇrde muss bei Vorliegen eines Anfangsverdachts den Rechtshilfeweg beschreiten, zumal auch im reinen Auskunftsersuchen auf das im deutschen Recht bestehende Verbot, im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel gegen den Steuerpflichtigen zu verwenden, hingewiesen werden soll.1 Mit Bejahung eines Anfangsverdachts sind insbesondere bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten vielfach nicht mehr nur inlndische RechtsgÅter betroffen, sondern es gilt einen womÇglichen auslndischen Sanktionsanspruch und die entsprechende staatliche Souvernitt zu berÅcksichtigen. Diesem Umstand gilt es Rechnung zu tragen. Beispiel: Im Rahmen der AußenprÅfung werden bei der X-GmbH ÅberhÇhte Provisionszahlungen ins Ausland festgestellt, aus denen sich bereits wegen der HÇhe der Verdacht einer Strafbarkeit nach § 299 Abs. 2 StGB ergibt2. Der GeschftsfÅhrer A benennt die Zahlungsempfnger nicht und macht auch sonst keine weiteren Angaben. Eine Abgabe an die Straf- und Bußgeldsachenstelle erfolgt nicht. Das Finanzamt versagt gem. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG den Abzug als Betriebsausgabe vorrangig unter Hinweis auf die ungewÇhnliche HÇhe der Provision und erlsst insoweit genderte Bescheide. Hiergegen wendet sich A. Er sieht den objektiven Tatbestand einer rechtswidrigen Handlung als nicht erfÅllt und bestreitet insbesondere das Vorliegen einer Unrechtsvereinbarung vehement. Zudem trgt er vor, dass es an einer konkreten Bevorzugung fehle. Nunmehr leitet die FinanzbehÇrde den Vorgang der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu und versucht auf dem Amtshilfeweg – ohne vorherige AnhÇrung – nhere AuskÅnfte zu den in Rede stehenden Zahlungen und Zahlungsempfngern zu erlangen.
III. Begrifflichkeiten 9.33 Die internationale Rechtshilfe findet stets im Dreiklang von betroffenem BÅrger, betroffenen Staaten und den betroffenen Åbernationalen Institutionen statt. Horizontale Rechtshilfe findet zwischen gleichrangigen Staaten statt. Vertikale Rechtshilfe ist solche, die zwischen einer inter- oder supranationalen Einrichtung und einem Staat erfolgt. Voraussetzung einer 1 BMF v. 25.5.2012 – V B 6-S 1320/07/10004:006 – DOK 2012/0223372, BStBl. I 2012, 599 Tz. 4.2.1. 2 Zu einer gleichgelagerten Konstellation vgl. FG NÅrnberg v. 3.5.2012 – 5 V 294/11, PStR 2012, 216.
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jeden Rechtshilfe ist stets das Vorhandensein eines vÇlkerrechtlichen Vertrags. Die Verpflichtung zur Rechtshilfe gegenÅber Supranationalen Instituten ergibt sich aus deren Einrichtung und Beteiligung des jeweiligen Staates daran. Grundgedanke der Rechtshilfe ist in jedem Fall, dass der Beschuldigte oder Zeuge nicht besser oder schlechter gestellt werden darf, nur weil die Strafverfolgung Åber die Grenzen hinweg unter Beteiligung mehrerer Staaten erfolgt. Von „großer Rechtshilfe“ spricht man gem. § 59 IRG, wenn die Auslieferung des Beschuldigten/Verurteilten in Rede steht. Die sonstige Rechtshilfe wird gemein hin als „kleine Rechtshilfe“ bezeichnet und betrifft den Personal- oder Sachbeweis im Strafverfahren. Innerhalb der Rechtshilfe wird unterteilt in den sog. Auslieferungsverkehr, die sonstige Rechtshilfe und den Vollstreckungshilfeverkehr.1
IV. Grundprinzipien der Rechtshilfe Es ist stets von Amts wegen zu prÅfen, ob die materiellen UnterstÅtzungsvoraussetzungen vorliegen und Rechtshilfehindernisse nicht entgegenstehen.2 Die wichtigsten Prinzipien sind hierbei: – der Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozitt); – das Erfordernis der beiderseitigen Straf- und Verfolgbarkeit; – der Spezialittsgrundsatz (vgl. hierzu die AusfÅhrungen zum Europischen Haftbefehl, Rz. 9.73, 6.135); – der Grundsatz des ordre public;3 – entgegenstehende Rechtshilfehindernisse.
9.34
Nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, der insbesondere im Bereich der vertragslosen Rechtshilfe zum Tragen kommt, muss dem ersuchenden Staat die Versicherung abverlangt werden, dem ersuchten Staat im gleichen Umfang UnterstÅtzung zu gewhren.
9.35
Das Erfordernis der Reziprozitt ist eine besondere Ausprgung des Gegenseitigkeitsprinzips. Auslieferung4 und Vollstreckungshilfe hngen danach davon ab, dass die Tat nach dem Recht beider Staaten strafbar und
9.36
1 Zum Ganzen auch Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, 35. 2 BVerfG v. 9.3.1983 – 2 BvR 315/83, BVerfGE 63, 332 (337); BVerfG v. 9.11.2000 – 2 BvR 1560/00, NStZ 2001, 203 (204); BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442); Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, 34. 3 Art. 6 EGBGB, ffentliche Ordnung (ordre-public): “Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis fÅhrt, das mit wesentlichen Grundstzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“; vgl. auch BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442). 4 Hierzu Lagodny in S/L/G/H5, § 3 IRG Rz. 112.
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verfolgbar ist.1 Entschuldigungs- oder StrafaufhebungsgrÅnde bleiben außer Betracht. Eine in Deutschland wirksam abgegebene Selbstanzeige oder eine Erklrung nach einem Amnestiegesetz entfalten daher im Falle eingehender wie ausgehender Ersuchen grundstzlich keine Sperrwirkung, sondern sind erst auf der Ebene des transnationalen ne bis in idem zu berÅcksichtigen (s. Rz. 4.1 f.). FÅr die beiderseitige Strafbarkeit ist ausreichend, wenn die Tat bei sinngemßer Betrachtung des Sachverhalts den Anforderungen des Rechts des ersuchten Staates entspricht.2 Dies ist bei der Steuerhinterziehung regelmßig der Fall und fÅhrt nur in Einzelfllen zu Besonderheiten, etwa im Hinblick auf die Schweiz, die zwischen Steuerhinterziehung und Abgabenbetrug unterscheidet.
9.37 Nach dem Spezialittsgrundsatz ist die VerfÅgungsgewalt des ersuchenden Staates auf die der rechtshilferechtlichen Bewilligung zugrunde liegende Tat beschrnkt.3 Bei ausgehenden Ersuchen bestimmt sich dies Åber § 72 IRG. Der Spezialittsgrundsatz ist nur im Auslieferungsverkehr gewohnheitsrechtlich anerkannt.4 Die Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung lsst den Grundsatz der Spezialitt nicht entfallen. Ein aus dem Verstoß gegen den Spezialittsgrundsatz resultierendes Verfahrenshindernis fÅhrt nicht zur Nichtigkeit eines Urteils.5 Sofern ein Strafverfahren unter Verstoß gegen das sich aus dem Spezialittsgebot ergebende Verfahrenshindernis gefÅhrt wurde, ist eine Wiederholung des (gerichtlichen) Strafverfahrens nicht erforderlich. Verfahrenshindernisse, auch ein Verstoß gegen den Spezialittsgrundsatz, kÇnnen noch im Revisions-
1 Vgl. §§ 2, 3 Abs. 1 IRG, Art. 2 Abs. 1 EuAlbk. 2 Nher hierzu Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, 35. Vgl. auch die Deliktsgruppen i.S. des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union, bei denen keine berprÅfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, wenn sie im Entscheidungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im HÇchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. 3 Zu den mÇglichen Auswirkungen etwa im Hinblick auf Rechtshilfeersuchen in die Schweiz vgl. BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08 – Fall Schreiber/Thyssen, NJW 2011, 591; vgl. hierzu auch die AusfÅhrungen zum EuHB Rz. 9.73, 6.135. 4 BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591 unter Verweis auf BVerfG v. 25.3.1981 – 2 BvR 1258/79, BVerfGE 57, 9, 27. 5 BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301; Schomburg/ Hackner in S/L/G/H5, § 72 IRG Rz. 28; zu einem mÇglichen Verwertungsverbot vgl. BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, HFR 2005, 477; BGH v. 10.1.2007 – 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit kritischer Anm. Lagodny, der moniert, dass sich smtliche Instanzen Åber den durch die Schweiz forrmulierten Spezialittsvorbehalt hinweggesetzt htten. Vgl. hierzu im Nachgang die Entscheidung BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591. Zu einem Beweisverwertungsverbot bei sonstiger Rechtshilfe auch BFH v. 21.6.1989 – X R 20/88, NJW 1990, 2492.
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verfahren behoben werden.1 Das Hindernis kann dabei sowohl durch eine nachtrgliche Bewilligung des ersuchenden Staates2 als auch durch einen Verzicht behoben werden. Weder der Angeklagte noch der ausliefernde Staat kÇnnen einseitig die nachtrgliche Beseitigung des Verfahrenshindernisses verhindern. Eine Rechtshilfehandlung verstÇßt gegen den ordre public, wenn der ersuchte Staat dazu beitragen wÅrde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wÅrde (vgl. auch § 73 IRG). Die chtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gehÇrt zum festen und unabdingbaren Bestand des vÇlkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. Art. 3 EMRK und Art. 7 des Internationalen Paktes Åber bÅrgerliche und politische Rechte).3 Ebenso kann die Auslieferung zur Verhngung oder Vollstreckung einer an sich zulssigen Strafe gegen den ordre public verstoßen und unzulssig sein, wenn konkret zu besorgen ist, dass die zu erwartende oder verhngte Strafe im ersuchenden Staat in einer den Erfordernissen des Art. 3 EMRK nicht entsprechenden Weise vollstreckt werden wÅrde.4 Der Grundsatz des ordre public steht ferner dann entgegen, wenn die Rechtshilfe im Falle der Gewhrung wesentlichen Grundstzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen wÅrde (vgl. auch § 73 IRG).5 Praktische Auswirkungen hat dies vornehmlich im Bereich der Auslieferung, etwa wenn die rechtlichen Mindeststandards im ersuchenden Land infrage stehen (vgl. hierzu die AusfÅhrungen zur Vollstreckungshilfe, Rz. 9.92). In keinem Fall, insbesondere im europischen Raum, darf eine Straftat mit Auslandsbezug zu einer Besser- oder Schlechterstellung des Beschuldigten fÅhren.
9.38
V. Kompetenzen Die Rechtshilfe als Teil der Pflege der Beziehungen zu auslndischen Staaten obliegt nach Art. 34 GG originr dem Bund. ber auslndische Rechtshilfeersuchen und Åber die Stellung von Ersuchen an auslndische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswrtigen Amt und mit anderen Bundesministerien, deren Geschftsbereich von der Rechtshilfe be1 BGH v. 12.12.2000 – 4 StR 464/00, NJW 2001, 836; BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301. 2 Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, § 72 IRG Rz. 13, wobei dem Beschuldigten rechtliches GehÇr zu gewhren ist. 3 BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442); Lagodny in S/L/G/H5, § 73 IRG Rz. 14 ff. Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, 34. 4 BVerfG v. 8.4.2004 – 2 BvR 253/04, StV 2004, 440 (442). 5 Vgl. hierzu BVerfG v. 26.1.1982 – 2 BvR 856/81, BVerfGE 59, 280 (282); BVerfG v. 23.2.1983 – 1 BvR 990/82, BVerfGE 63, 197 (206 ff.); BVerfG v. 31.3.1987 – 2 BvR 2/86, BVerfGE 75, 1 (19).
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9.39
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
troffen wird. Die zustndigen Bundesministerien kÇnnen die AusÅbung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete BundesbehÇrden Åbertragen. ber Ersuchen nach den Unterabschnitten 2 und 3 von Abschnitt 2 des Neunten Teils des IRG entscheidet das Bundesamt fÅr Justiz, Bonn. Vielfach sind die Befugnisse auf die LandesbehÇrden Åbertragen, welche wiederum die Befugnisse auf Gerichte und Staatsanwaltschaften Åbertragen haben.1 Unterschieden wird dabei stets zwischen der BewilligungsbehÇrde, der PrÅfungsbehÇrde und der VornahmebehÇrde. Davon zu trennen sind die sog. Geschftswege (vgl. hierzu Nr. 5 RiVASt).
VI. Praktische Aspekte 9.40 Die Rechtshilfe auf europischer Ebene ist in tatschlicher Hinsicht gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft der beteiligten BehÇrden. Nur in seltenen Ausnahmefllen kommt es zur Verweigerung des ausgehenden Ersuchens oder eine Antwort unterbleibt gnzlich; vielmehr werden in der Regel ergnzende Angaben oder Przisierungen gefordert. In der Tat kann jedoch ein Rechtshilfeersuchen gewisse Zeit in Anspruch nehmen und einer zÅgigen VerfahrensfÇrderung entgegenstehen. Vermehrt ist auch ein kleiner Grenzverkehr im Bereich der Rechtshilfe zu verzeichnen, d.h. ein direkter Kontakt der StrafverfolgungsbehÇrden untereinander ohne Rechtshilfeersuchen, insbesondere was den deutschsprachigen Raum oder den EUREGIO-Bereich (Deutschland – Niederlande – Belgien) betrifft.2 In keinem Fall sollten Beschuldigte sich jedoch darauf verlassen, aufgrund der Langwierigkeit oder zeitweisen Schwerflligkeit der internationalen Rechtshilfe nicht belangt zu werden. Immer hufiger werden Flle bekannt, in denen mit internationalem Haftbefehl gesuchte Beschuldigte, u.a. mithilfe von Beamten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalmter gezielt aufgespÅrt und zur weiteren Strafverfolgung Åberstellt werden. In derartigen Fllen ist eine Haftverschonung angesichts der bereits manifestierten Fluchtgefahr schwerlich zu erreichen. Beispiel: Der koreanische StaatsangehÇrige K wird wegen gewerbsmßigen Betrugs in Deutschland mit internationalem Haftbefehl gesucht, residiert nach Erkenntnissen 1 Vgl. hierzu die Zustndigkeitsvereinbarung 2004, abgedr, bei S/L/G/H5, Anh. 10; zu den Delegationserlassen, d.h. die WeiterÅbertragung auf die JustizbehÇrden vgl. die bersicht bei Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 26. 2 Im Bereich der sog. Euregio existiert die euregionale polizeiliche Verbindungsstelle „EPICC“ (Euregio-Police-Info-Cooperation-Center) mit Sitz in Heerlen, wo deutsche, niederlndische und belgische Beamte sich einen runden Schreibtisch teilen. Daneben besteht die Niederlndisch-Belgisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft der Polizei (NeBeDeAgPol).
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A. Allgemeiner Teil des FBI in den USA und stellt sich dem Verfahren in Deutschland auf Anraten seiner Berater nicht. Einige Zeit spter fliegen die ermittelnden Staatsanwlte zur berstellung des Beschuldigten nach Deutschland in die USA.
VII. Internationale und europische Strafverfolgungsinstitutionen Auf internationaler Eben stehen mehre Institutionen zur VerfÅgung, die jedoch Åberwiegend die Funktion von koordinierenden Zentralstellen haben, denn originren ErmittlungsbehÇrden gleichstehen. Eine internationale oder europaweite Institution mit der Aufgabe der Strafverfolgung und Ermittlung existiert angesichts des bislang den Einzelstaaten zustehenden Strafanspruchs nicht.
9.41
1. Interpol Interpol (Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation – IKPO –) ist eine Vereinigung nationaler PolizeibehÇrden zur grenzÅberschreitenden VerhÅtung und Verfolgung von Straftaten. Das nationale ZentralbÅro in Deutschland ist das Bundeskriminalamt (BKA).1 Das BZSt nimmt Ersuchen auslndischer Interpol-ZentralbÅros Åber das BKA entgegen. Die Steuerfahndungsstellen hingegen sind nicht Mitglied von Interpol; ein unmittelbarer Verkehr zwischen auslndischen Interpol-ZentralbÅros und nationalen Steuerfahndungsstellen ist daher nicht zulssig. Auslndische Ersuchen, die Åber das BKA deutschen Steuerfahndungsstellen zugeleitet werden und die nicht als dringendes Rechtshilfeersuchen anzusehen sind, dÅrfen daher von diesen nicht beantwortet werden.
9.42
2. Europol Europol, das Europische Polizeiamt mit Sitz in Den Haag, Niederlande, wurde 1992 gegrÅndet, um Daten im Zusammenhang mit Straftaten zu erheben, zu speichern, abzugleichen, zu analysieren, auszuwerten und zu Åbermitteln.2 Ziel der Ttigkeit von Europol ist die Prvention und Bekmpfung organisierter Kriminalitt, Terrorismus und anderer Formen schwerer Kriminalitt, die im Anhang zum Europol-Beschluss aufgefÅhrt sind, worunter auch Korruption fllt.3 Rechtsgrundlage fÅr Europol ist mittlerweile Art. 88 AEUV.4 Ein Teil der bei Europol arbeitenden Bediensteten wird von den nationalen StrafverfolgungsbehÇrden (Polizei-, Zoll-, EinwanderungsbehÇrden usw.) entsandt. Der Verwaltungsrat von Europol 1 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, Rz. 42. 2 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen2, Rz. 40a ff.; zum Ganzen auch Ambos, Internationales Strafrecht3, § 13 Rz. 4 ff.; Dannecker/ BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 357 f. 3 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 13 Rz. 7. 4 Vgl. auch Beschluss des Rates v. 6.4.2009, 2009/371/JI zur Errichtung des Europischen Polizeiamtes, ABl. EU Nr. L 121 v. 15.5.2009, 37; umgesetzt durch das Europolgesetz v. 16.12.1007, BGBl. II 1997, 2150.
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9.43
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
setzt sich aus je einem Vertreter der einzelnen EU-Mitgliedstaaten zusammen. Europol soll eine engere und effizientere Zusammenarbeit der EUMitgliedstaaten bei der VerhÅtung und Bekmpfung der internationalen Kriminalitt ermÇglichen. Dies gilt insbesondere fÅr die Bereiche – Drogenhandel, – Schleuserkriminalitt, – illegaler Kraftfahrzeughandel, – Menschenhandel, einschließlich Kinderpornografie, – Geldflscherei und Flschung anderer Zahlungsmittel, – illegaler Handel mit radioaktiven und nuklearen Substanzen, – Terrorismus .
9.44 Europol unterstÅtzt die Mitgliedstaaten durch: – Erleichterung des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten der EU, – Bereitstellung operativer Analysen und UnterstÅtzung der Arbeit der Mitgliedstaaten, – Bereitstellung von Fachwissen und technischer UnterstÅtzung zur DurchfÅhrung von Ermittlungen und gemeinsamen Maßnahmen innerhalb der EU unter Aufsicht und rechtlicher Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten, – Erstellung strategischer Berichte (z.B. Beurteilung von Bedrohungslagen) und Verbrechensanalysen auf der Grundlage von Informationen und Erkenntnissen der Mitgliedstaaten oder anderer Quellen.
9.45 DarÅber hinaus ist Europol verpflichtet, ein computergestÅtztes System einzurichten und zu pflegen, das die Speicherung, den Zugang zu und die Analyse von relevanten Daten ermÇglicht. Eine gemeinsame Kontrollinstanz, in die jedes EU-Land zwei Datenschutzexperten entsendet, Åberwacht die bestimmungsgemße Nutzung der bei Europol vorhandenen personenbezogenen Daten. Europol ist dem Rat „Justiz und Inneres’’, d.h. den Justiz- und Innenministern aller EU-Lnder, rechenschaftspflichtig. Europol darf operative Maßnahmen nur in Verbindung und in Absprache mit den BehÇrden des Mitgliedstaates oder der Mitgliedstaaten ergreifen, deren Hoheitsgebiet betroffen ist. Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen bleibt ausschließlich den zustndigen einzelstaatlichen BehÇrden vorbehalten (Art 88 Abs. 3 AEUV). 3. Eurojust
9.46 Eurojust ist die Europische Einheit fÅr justizielle Zusammenarbeit und als Koordinationsstelle ohne eigene Vollzugsgewalt konzipiert.1 Rechts1 Vgl. auch Beschluss 2009/426/JI des Rates v. 16.12.2008 zur Strkung von Eurojust und zur nderung des Beschlusses 2002/187/JI Åber die Errichtung von Eurojust zur Verstrkung der Bekmpfung der schweren Kriminalitt, ABl. EU Nr. L 138 v. 4.6.2009; vgl. auch BT-Drucks. 17/8728; Gesetz zur Umsetzung des Be-
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A. Allgemeiner Teil
grundlage und Auftrag sind in Art. 85 AEUV niedergelegt. Hauptaufgabe ist die UnterstÅtzung der Koordinierung und Zusammenarbeit der nationalen (Strafverfolgungs-)BehÇrden i.S. einer Clearingstelle bzw. Dokumentationsstelle (Art. 85 Abs. 1 AEUV).1 Zu den Aufgaben von Eurojust, die der Konkretisierung durch Verordnungen bedarf, kann nach Art. 85 Abs. 1 Buchst. a AEUV die Einleitung von Strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere bei Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, zhlen. Die Befugnis zur Vornahme fÇrmlicher Prozesshandlungen verbleibt bei den nationalen BehÇrden. Bei Eurojust ttig sind Staatsanwlte, Richter und Polizeibeamte, die von den jeweiligen Mitgliedstaaten nach Den Haag entsandt werden. Besteht ein Kooperationsabkommen mit einem Drittland, kÇnnen Verbindungsrichter aus diesem Drittland bei Eurojust arbeiten. Derzeit sind Verbindungsrichter aus Kroatien, Norwegen und den USA bei Eurojust ttig. Daneben bestehen mit einer Vielzahl von Staaten, u.a. der Schweiz, sog. Agreements oder Memorandi of Understanding, welche die nheren Voraussetzungen und Ausgestaltung des Informationsaustausches regeln.2 Ein fÅr StrafverfolgungsbehÇrden hilfreiches Handbuch zur Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und zum Informationsaustausch findet sich unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/joint-investigation-teams.aspx.
9.47
Insbesondere die Entsendung amerikanischer Verbindungsrichter fÅhrte in der Vergangenheit zur Einleitung deutscher Ermittlungsverfahren aufgrund in den USA anhngiger Ermittlungsverfahren wegen VerstÇßen gegen die dortigen Bilanzierungsvorschriften.
9.48
Beispiele: 1. Die SEC ermittelt gegen das deutsche, in den USA bÇrsennotierte Unternehmen A wegen des Verdachts des Verstoßes gegen „books and records“, d.h. wegen des Verstoßes gegen Buchhaltungs- und Bilanzierungsvorschriften. Der Vorwurf grÅndet darin, dass Beratvertrge zur Zahlung von Schmiergeldern genutzt wurden. Es bestehen Anhaltspunkte dafÅr, dass diesbezÅgliche Zahlungen in Deutschland unzutreffend als Betriebsausgaben erfasst wurden. Via Eurojust ist es den amerikanischen BehÇrden im Wege sog. Koordinierungstreffen ohne großes und zeitaufwendiges Rechtshilfeersuchen mÇglich, den deutschen BehÇrden die zur Bejahung eines Anfangsverdachts und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nÇtigen Unterlagen zu Åbergeben.
schlusses (2002/187/JI) des Rates v. 28.2.2000 Åber die Errichtung von Eurojust zur Verstrkung der Bekmpfung der schweren Kriminalitt (Eurojust-GesetzEJG) v. 12.5.2004, BGBl. I 2004, 902; hierzu BR-Drucks. 545/03; BT-Drucks. 15/1719; BT-Drucks. 15/2484; BT-Drucks. 15/2717; BT-Drucks. 15/2832; BRDrucks. 255/04; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 364 f. 1 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 13 Rz. 15; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 13; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 5 Rz. 72. 2 Abrufbar unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/ agreements-concluded-by-eurojust.aspx?Page=1.
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Kapitel 9
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2. Im Rahmen eines grenzÅberschreitenden Verfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen Handels mit Emissionszertifikaten erfolgte die Koordinierung von Durchsuchungsmaßnahmen in 15 Lndern und die Sicherstellung von 100 Mio. Euro Åber Eurojust.
9.49 Ebenfalls bei Eurojust angesiedelt sind die Sekretariate des Europischen Justiziellen Netzes, des Netzes der Kontaktstellen fÅr VÇlkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie des Netzwerks fÅr Gemeinsame Ermittlungsgruppen.
9.50 Bei internationalem Koordinierungsbedarf kann sich ein deutscher Strafverfolgungsbeamter an sein nationales Mitglied bei Eurojust wenden und um Hilfestellung bitten. Rechtsgrundlage fÅr die bermittlung personenbezogener Daten ist § 4 EJG. Die geschieht in der Regel formlos und kann sogar telefonisch erfolgen. Eine derartige Nachfrage bietet sich etwa an, wenn zu vermuten steht, dass ein Sachverhalt bereits Gegenstand eines auslndischen Strafverfahrens ist. Die Ermittlungen kÇnnen dann via Eurojust effektiviert und konzentriert werden. Ob Eurojust die Keimzelle fÅr eine Europische Staatsanwaltschaft ist, bleibt abzuwarten.1 4. OLAF
9.51 OLAF ist das im Jahr 1999 durch Kommissionsbeschluss eingerichtete Amt zur Betrugsbekmpfung.2 Hauptaufgabe ist der Schutz der finanziellen Interessen der EU.3 OLAF untersucht insbesondere Flle von Betrug zum Nachteil des EU-Haushalts, von Korruption sowie von schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb der Organe und Einrichtungen der EU und entwickelt eine Betrugsbekmpfungsstrategie fÅr die Europische Kommission. OLAF schÅtzt in diesem Zusammenhang das Ansehen der europischen Institutionen, indem es bei schwerwiegendem Fehlverhalten ihres Personals, das in ein Disziplinar- oder Strafverfahren mÅnden
1 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 13 Rz. 18 ff.; Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 17; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 5 Rz. 72; zum Ganzen auch GrÅnbuch EStA, 2001; Kempf, StV 2003, 128; Nehm, DRiZ 2000, 358, Radkte, GA 2004, 4 ff.; Frenz, wistra 2010, 434; Gaede, ZStW 115 (2003), 866; NÅrnberger, ZJS 2009, 494. 2 Vgl. KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013; Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europischen Parlaments und des Rates v. 11.9.2013 Åber die Untersuchungen des Europischen Amtes fÅr Betrugsbekmpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates, ABl. EU 2013 Nr. L 248, 1. Smtliche BeschlÅsse und Verordnungen betreffend OLAF sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/about-us/legal-framework/index_en.htm. Zu neueren Reformvorhaben vgl. Lingenthal, ZEuS 2012, 195; zum Ganzen auch Ambos, Internationales Strafrecht3, § 13 Rz. 1 ff.; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 324 f. 3 Vgl. auch die vielfltigen BroschÅren und Informationen unter http://ec.europa.eu/anti_fraud/media-corner/publications/brochure/index_en.htm.
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A. Allgemeiner Teil
kÇnnte, Untersuchungen durchfÅhrt. Hierbei handelt es sich um verwaltungsrechtliches Vorermittlungshandeln.1 Es unterstÅtzt ferner die Europische Kommission bei der Konzipierung und Umsetzung von Strategien zur VerhÅtung und Aufdeckung von Betrug. OLAF fÅhrt dabei unabhngige Ermittlungen durch und unterrichtet hierÅber die zustndigen nationalen BehÇrden. Mit EinfÅhrung der Europischen Staatsanwaltschaft wird OLAF die fedefÅhrende Rolle verlieren und nur noch eine erste Bewertung der Stichhaltigkeit der ihm vorliegenden Behauptungen vornehmen.2 5. Europisches Justizielles Netz fÅr Strafsachen (EJN) Das EJN dient dazu, die Herstellung sachdienlicher Kontakte zwischen den im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zustndigen JustizbehÇrden zu erleichtern.3 Es umfasst nationale bzw. regionale Kontaktstellen, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Çrtlichen JustizbehÇrden ihres Landes sowie die anderen Kontaktstellen mit smtlichen Informationen zu versorgen, die fÅr die reibungslose justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere im Rahmen von Rechtshilfeersuchen, erforderlich sind. Die Kontaktstellen kommen außerdem in regelmßigen Sitzungen zusammen. Jedes Land benennt einen Staatsanwalt, der als Kontaktstelle fÅr das Europische Justizielle Netz fÅr Strafsachen fungiert. ber die Internetseite des EJN sind folgende Informationen abrufbar: – vollstndige Angaben Åber die Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat, – Liste der zustndigen JustizbehÇrden der einzelnen Mitgliedstaaten, – rechtliche und praktische Informationen Åber das Gerichtswesen und die Verfahrenspraxis in den Mitgliedstaaten, – Wortlaut der einschlgigen Rechtsinstrumente und – im Fall bereits in Kraft getretener bereinkommen – etwaiger Erklrungen und Vorbehalte.
9.52
6. Gemeinsame Ermittlungsgruppen (§§ 61b, 93 IRG) Sofern eine vÇlkerrechtliche Vereinbarung dies vorsieht, kann eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG)4 gebildet werden (§ 61b IRG).5 Dies kommt namentlich in Fllen der grenzÅberschreitenden Betubungsmittelkriminalitt oder bei grenzÅberschreitender organisierter Kriminalitt in Betracht. In Steuerstrafsachen sind gemeinsame Ermittlungsgruppen 1 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 13 Rz. 2 m.w.N., auch zur strafprozessualen Verwertbarkeit. 2 KOM 2013 (533) endg. v. 17.7.2013. 3 Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 368. 4 Vgl. auch Nr. 142c RiVASt. 5 Vgl. auch Art. 13 EU-RhbK, Art. 20 2. ZP-EuRhbk, Art. 17 PL-ErgV EuRHbk, Art. 22 CZ-ErgV EuRhbk, Art. 24 Neapel II, Art. 19 VN-OK-bk.
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9.53
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
bislang selten, da in der Regel nur das Steueraufkommen eines Staates betroffen ist und sich der Verfolgungswille des eigentlich unbeteiligten Staates in der Regel in Grenzen hlt. ZukÅnftig dÅrften jedoch, wie anhand des Beispiels zum internationalen Handel mit Emissionszertifikaten ersichtlich, auch im Steuerstrafrecht – insbesondere bei Umsatzsteuerkarussellen – GEGs hufiger vorkommen.
9.54 Eine GEG kann gem. Art. 13 Abs. 1 EU-Rhbk insbesondere gebildet werden, wenn – in dem Ermittlungsverfahren eines Mitgliedstaates zur Aufdeckung von Straftaten schwierige und aufwendige Ermittlungen mit BezÅgen zu anderen Mitgliedstaaten durchzufÅhren sind; – mehrere Mitgliedstaaten Ermittlungen zur Aufdeckung von Straftaten durchfÅhren, die infolge des zugrundeliegenden Sachverhalts ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen in den beteiligten Mitgliedstaaten erforderlich machen.
9.55 FÅr die Einrichtung einer GEG gelten die allgemeinen Grundstze, d.h. ein fÇrmliches Rechtshilfeersuchen zur Einrichtung einer solchen Gruppe ist zunchst erforderlich. Dem von einem anderen Staat in eine GEG entsandten Mitglied kann unter der Leitung des zustndigen deutschen Mitglieds die DurchfÅhrung von Ermittlungsmaßnahmen Åbertragen werden, sofern dies vom entsendenden Staat gebilligt worden ist. Anderen Personen kann die Teilnahme an einer GEG nach Maßgabe der Rechtsvorschriften der teilnehmenden Staaten oder einer zwischen ihnen anwendbaren bereinkunft gestattet werden. Die an der GEG beteiligten Beamten und Beamtinnen dÅrfen den von anderen Staaten entsandten Mitgliedern oder anderen teilnehmenden Personen dienstlich erlangte Informationen einschließlich personenbezogener Daten unmittelbar Åbermitteln, soweit dies fÅr die Ttigkeit der gemeinsamen Ermittlungsgruppe erforderlich ist. Ein fÅr StrafverfolgungsbehÇrden hilfreiches Handbuch zur Einrichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen findet sich unter http://eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/Pages/joint-investigation-teams.aspx.
9.56 Die GEG wird gem. Art. 13 Abs. 3 EU-RhÅbk im Hoheitsgebiet der an der Gruppe beteiligten Mitgliedstaaten unter folgenden allgemeinen Voraussetzungen ttig: – Die Gruppe wird von einem Vertreter der an den strafrechtlichen Ermittlungen beteiligten zustndigen BehÇrde des Mitgliedstaates, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, geleitet. Der Gruppenleiter handelt im Rahmen der ihm nach innerstaatlichem Recht zustehenden Befugnisse. – Die Gruppe fÅhrt ihren Einsatz gemß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates durch, in dem ihr Einsatz erfolgt. – Die Mitglieder der Gruppe nehmen ihre Aufgaben unter BerÅcksichtigung der Bedingungen wahr, die ihre eigenen BehÇrden in der Vereinbarung zur Bildung der Gruppe festgelegt haben. 262
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B. Eingehende Rechtshilfe
– Der Mitgliedstaat, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, schafft die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen fÅr ihren Einsatz. Von einem Mitglied whrend seiner ZugehÇrigkeit zu einer GEG rechtmßig erlangte Informationen, die den zustndigen BehÇrden der betroffenen Mitgliedstaaten nicht anderweitig zugnglich sind, dÅrfen gem. Art. 13 Abs. 10 EU-RhÅbk nur fÅr folgende Zwecke verwendet werden: – fÅr den Zweck, zu dem die Gruppe gebildet wurde; – zur Aufdeckung, Ermittlung und Strafverfolgung anderer Straftaten vorbehaltlich der vorherigen Zustimmung des Mitgliedstaates, in dem die Informationen erlangt wurden. Die Zustimmung kann nur in Fllen verweigert werden, in denen die Verwendung die strafrechtlichen Ermittlungen im betreffenden Mitgliedstaat beeintrchtigen wÅrde, oder in Fllen, in denen dieser Mitgliedstaat sich weigern kÇnnte, Rechtshilfe zu leisten; – zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr fÅr die Çffentliche Sicherheit; – fÅr andere Zwecke, sofern dies von den Mitgliedstaaten, die die Gruppe gebildet haben, vereinbart worden ist.
9.57
Hinsichtlich der Verwertbarkeit fÅr die Verfolgung einer Steuerhinterziehung ist also zunchst auf den Gruppenzweck abzustellen. Sagt dieser nichts darÅber aus, kommt ggf. eine Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaates in Betracht, die nur in den Fllen verweigert werden kann, in denen auch die Leistung von Rechtshilfe verweigert wÅrde, etwa wenn ein Fiskalvorbehalt greift. Offen bleibt, was bei rechtswidrig erlangten Informationen gilt.1 Nach hier vertretener Ansicht kommt es auf das Recht des Staates an, in dem die Informationen letztlich verwendet werden sollen. FÅr eine Verwendung bedarf es eines neuerlichen Rechtshilfeersuchens.
9.58
B. Eingehende Rechtshilfe I. Zulssigkeit der eingehenden Rechtshilfe Das Gesetz Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) bildet die Rechtsgrundlage fÅr die UnterstÅtzung auslndischer Strafverfahren. Konkretisiert wird das Gesetz durch die vorgenannten RiVASt. Auf Ersuchen einer zustndigen Stelle eines auslndischen Staates kann gem. § 59 IRG sonstige Rechtshilfe in einer strafrechtlichen Angelegenheit geleistet werden. Rechtshilfe in diesem Sinne ist jede UnterstÅtzung, die fÅr ein auslndisches Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit gewhrt wird, unabhngig davon, ob das auslndische Verfahren von einem Ge1 Vgl. auch Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, Art. 13 EU-Rhbk Rz. 11.
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9.59
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
richt oder von einer BehÇrde betrieben wird und ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder von einer BehÇrde vorzunehmen ist. Die Rechtshilfe darf jedoch nur geleistet werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen deutsche Gerichte oder BehÇrden einander in entsprechenden Fllen Rechtshilfe leisten kÇnnten.
II. Gerichtliche Entscheidung Åber die Gewhrung von Rechtshilfe 9.60 FÅr die Frage, ob die tatschlichen rechtlichen Voraussetzungen fÅr die Gewhrung von Rechtshilfe vorliegen, ist vor Gewhrung der Rechtshilfe gem. § 61 IRG die Anrufung des Oberlandesgerichts mÇglich. Das Gericht, das fÅr die Leistung der Rechtshilfe zustndig ist und die Voraussetzungen fÅr die Leistung der Rechtshilfe fÅr nicht gegeben hlt, begrÅndet in diesem Fall seine Auffassung und holt die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein. Das Oberlandesgericht entscheidet ferner auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht oder im Fall des § 66 IRG auf Antrag desjenigen, der geltend macht, er wÅrde durch die Herausgabe in seinen Rechten verletzt werden, darÅber, ob die Voraussetzungen fÅr die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist fÅr die Gerichte und BehÇrden, die fÅr die Leistung der Rechtshilfe zustndig sind, bindend. Die Rechtshilfe darf in diesem Falle nicht bewilligt werden, wenn das Oberlandesgericht entschieden hat, dass die Voraussetzungen fÅr die Leistung der Rechtshilfe nicht vorliegen. Beispiel: Im Rahmen eines in den USA gefÅhrten Strafverfahrens gegen einen deutschen Konzern fordern die amerikanischen ErmittlungsbehÇrden die im Rahmen eines deutschen Strafverfahrens gegen diesen Konzern beschlagnahmten Unterlagen an. Der Konzern vertritt die Auffassung, dass eine Rechtshilfe unzulssig wre bzw. die erbetenen Beweismittel von vornherein einem Beschlagnahmeverbot unterfallen, da sich unter den Unterlagen eine Vielzahl als „Privileged und Confidential“ gekennzeichnete Unterlagen befinden, die im Wesentlichen Korrespondenz mit deutschen wie amerikanischen Anwlten enthalten.
III. Grenzen der Rechtshilfe 9.61 Die Leistung von Rechtshilfe sowie die DatenÅbermittlung ohne Ersuchen ist gem. § 73 IRG unzulssig, wenn sie wesentlichen Grundstzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen wÅrde (ordre public).
IV. Zustndigkeit des Bundes 9.62 ber auslndische Rechtshilfeersuchen und Åber die Stellung von Ersuchen an auslndische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswrti-
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B. Eingehende Rechtshilfe
gen Amt und mit anderen Bundesministerien, deren Geschftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. Die zustndigen Bundesministerien kÇnnen die AusÅbung ihrer Befugnisse auf nachgeordnete BundesbehÇrden Åbertragen. In der Regel ist diese Befugnis den jeweiligen Landesregierungen Åbertragen.
V. Grundstzliche Pflicht zur Bewilligung; Vorabentscheidung Zulssige Ersuchen eines Mitgliedstaates um Auslieferung oder Durchlieferung kÇnnen gem. § 79 IRG nur abgelehnt werden, soweit dies in diesem Teil vorgesehen ist. Die ablehnende Bewilligungsentscheidung ist zu begrÅnden. Vor der Zulssigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts entscheidet die fÅr die Bewilligung zustndige Stelle, ob sie beabsichtigt, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen. Die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, ist ebenfalls zu begrÅnden. Sie unterliegt der berprÅfung durch das Oberlandesgericht im Verfahren nach § 29 IRG; die Beteiligten sind zu hÇren. Bei der Belehrung nach § 41 Abs. 4 IRG ist der Verfolgte auch darauf hinzuweisen, dass im Falle der vereinfachten Auslieferung eine gerichtliche berprÅfung nicht stattfindet. FÅhren nachtrglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstnde, die geeignet sind, Bewilligungshindernisse geltend zu machen, nicht zu einer Ablehnung der Bewilligung, unterliegt die Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, der berprÅfung im Verfahren nach § 33 IRG.
9.63
VI. VorÅbergehende berstellung in das Ausland fÅr ein auslndisches Verfahren Wer sich im Geltungsbereich des IRG in Untersuchungs- oder Strafhaft befindet oder aufgrund der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung untergebracht ist, kann gem. § 62 IRG an einen auslndischen Staat auf Ersuchen einer zustndigen Stelle dieses Staates fÅr ein dort anhngiges Verfahren als Zeuge zur Vernehmung, zur GegenÅberstellung oder zur Einnahme eines Augenscheins vorÅbergehend Åberstellt werden, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfÅllt sind: – er sich nach Belehrung zu Protokoll eines Richters damit einverstanden erklrt hat, – nicht zu erwarten ist, dass infolge der berstellung die Freiheitsentziehung verlngert oder der Zweck des Strafverfahrens beeintrchtigt werden wird, – gewhrleistet ist, dass der Betroffene whrend der Zeit seiner berstellung nicht bestraft, einer sonstigen Sanktion unterworfen oder durch Maßnahmen, die nicht auch in seiner Abwesenheit getroffen werden
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9.64
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
kÇnnen, verfolgt werden wird und dass er im Fall seiner Freilassung den ersuchenden Staat verlassen darf, und – gewhrleistet ist, dass der Betroffene unverzÅglich nach der Beweiserhebung zurÅckÅberstellt werden wird, es sei denn, dass darauf verzichtet worden ist.
9.65 Das Einverstndnis ist unwiderruflich. Die Staatsanwaltschaft bereitet die berstellung vor und fÅhrt sie durch. rtlich zustndig ist die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird. Die in dem ersuchenden Staat erlittene Freiheitsentziehung wird auf die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu vollziehende Freiheitsentziehung angerechnet.
VII. Auslieferung in Steuerstrafsachen 9.66 Bislang sind Auslieferungsersuchen wegen Steuerhinterziehung (noch) die Ausnahme und kommen vornehmlich im Zusammenhang mit organisierten Umsatzsteuerhinterziehungen in Betracht. In Zukunft ist jedoch davon auszugehen, dass insbesondere vor dem Hintergrund der Regelungen zum Europischen Haftbefehl es auch wegen Steuerhinterziehung vermehrt zur Beantragung von nationalen, europischen und internationalen Haftbefehlen1 kommt und damit auch vermehrt zu Auslieferungen kommt.2
9.67 Die Mutterkonvention der europischen vertraglichen Auslieferung ist das Europische AuslieferungsÅbereinkommnen (EuAlbk).3 Das EUAlbk ist nachrangig gegenÅber spezielleren vÇlkerrechtlichen Vertrgen, deren Regelungen Bestandteil des innerstaatlichen Rechts sind, wie das IRG, ÇstARHG und das schweizIRSG.4 Die Voraussetzungen fÅr eine Auslieferung sind danach im Wesentlichen – die beiderseitige Strafbarkeit (§§ 2, 3 IRG; Art. 2 Abs. 1 EuAlbk); – eine Mindestsanktion von einem Jahr (Art. 2 Abs. 1 EuAlbk), wobei das EU-Auslbk (Art. 2 Abs. 1) die erforderliche HÇchstmaßstrafandrohung im ersuchenden Staat auf sechs Monate absenkt; – keine Verjhrung (Art. 10 EuAlbk) und – das Fehlen eines Auslieferungshindernisses.
9.68 Das EU-AuslieferungsÅbereinkommen (EU-Auslbk) beseitigt die verschiedenen Auslieferungshindernisse, insbesondere was die Ausnahme vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit angeht. So hebt insbeson1 2 3 4
Vgl. hierzu Peters, ZWH 2014, 1, 48. Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 140. Lagodny/Gleß in S/L/G/H5, 429. Lagodny/Gleß in S/L/G/H5, 429; zum Verhltnis auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 23 f.; vgl. auch die AusfÅhrungen zu den lnderspezifischen Besonderheiten.
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dere Art. 6 EU-Auslbk das fiskalische Delikt als Auslieferungshindernis auf. Art. 7 EU-Auslbk versagt die Berufung auf den Grundsatz der Nicht-Auslieferung eigener StaatsangehÇriger.1 Das EU-VereinfAuslbk regelt schließlich vorrangig der Beschleunigung dienende Verfahrensaspekte. Es wird unter bestimmten Voraussetzungen auf das Zulssigkeitsverfahren und gewisse FÇrmlichkeiten verzichtet, sofern die verfolgte Person mit der Auslieferung einverstanden ist.2 Daneben treten die EMRK und verschiedentliche Zusatzprotokolle, die Auslieferungshindernisses vorsehen, etwa bei VerstÇßen gegen die EMRK, drohender Todesstrafe, unangemessen harter Strafen, kein faires Verfahren gewhrleistet ist, Folter oder unmenschliche Behandlung droht.3
9.69
Die Frage einer Auslieferung in Steuerstrafsachen zwischen den EU Staaten richtet sich im Wesentlichen nach Art 6 des bereinkommens vom 27.9.1996 aufgrund von Art K.3 des Vertrags der Europischen Union Åber die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EU-Auslbk). Die Auslieferung ist zu bewilligen, soweit es sich um Abgaben-, Steuer, Zolloder Devisenstrafsachen handelt, die nach dem Recht des ersuchten Staates einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen. Wo das EU-Auslbk nicht gilt4, findet bei indirekten Steuern Art 63 i.V.m. SD Anwendung5, der wiederum auf strafbare Handlungen gem. Art. 50 SD verweist. Im Falle direkter Steuern findet – soweit ratifiziert – das Zweite Zusatzprotokoll vom 17.3.1978 zum Europischen AuslieferungsÅbereinkommen vom 13.12.1957 (2. ZP-EuAlbk) Anwendung. Auch hier ist die Auslieferung zu bewilligen, soweit es sich um Abgaben-, Steuer, Zolloder Devisenstrafsachen handelt, die nach dem Recht des ersuchten Staates einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen. Erwhnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass eine nach Art. 64 SD erfolgte Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS)6 gem. Art. 95 SD einem Ersuchen um vorlufige Festnahme i.S. von Art. 16 EuAlbk gleichsteht.
9.70
Unter den „Schengen-Staaten“ ist die Auslieferung bei Fiskaldelikten durch Art. 50, 63 SD geregelt.7 Nach Art. 50 Abs. 1 SD besteht eine grundstzliche Rechtshilfepflicht im Bereich der indirekten (Verbrauch-
9.71
1 Wobei Abs. 2 sogleich die Nicht-Bewilligung oder die Auslieferung nur unter bestimmten Bedingungen normiert. 2 Vgl. auch § 41 IRG, wobei der Beschuldigte jedoch hierÅber stets zu belehren ist. 3 Zum Ganzen Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 27. 4 Zum Ratifizierungsstand vgl. unter www.consilium.europa.eu oder S/L/G/H5, IRG III Aa vor Rz. 9. 5 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 20. 6 Hierzu Lagodny/Gleß in S/L/G/H5, 1434 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 2 Rz. 75; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 21. 7 Zu mÇglichen Auswirkungen des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes im europisierten Auslieferungsrecht vgl. Brodowski, StV 2013, 339.
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steuern, der USt und des Zolls), nicht jedoch hinsichtlich der direkten Steuern. Ersuchen in Verfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Verbrauchsteuern dÅrfen nicht mit der BegrÅndung abgelehnt werden, dass von der ersuchten Vertragspartei Verbrauchsteuern auf die in dem Ersuchen genannten Waren nicht erhoben werden (Art. 50 Abs. 2 SD).1 Die Leistung von Rechtshilfe kann gem. Art. 50 Abs. 4 SD ferner verweigert werden, wenn der verkÅrzte oder erschlichene Betrag 25 000 Euro oder der Wert der unerlaubt ein- oder ausgefÅhrten Waren 100 000 Euro voraussichtlich nicht Åbersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Tat wegen ihrer Art oder wegen der Person des Tters von der ersuchenden Vertragspartei als sehr schwerwiegend betrachtet wird.
9.72 Art. 6 Abs. 2 EU-Auslbk sieht vor, dass die Auslieferung nicht mit der BegrÅndung abgelehnt werden darf, dass das Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht dieselbe Art von Abgaben oder Steuern oder keine Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenbestimmungen derselben Art wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats vorsieht.2
VIII. Auslieferung bei Europischem Haftbefehl 9.73 Bei dem Europischen Haftbefehl3 handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und bergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.4 Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses Åber den Europischen Haftbefehl (RbEuHB). Dabei handelt es sich nicht um einen eigenen Haftbefehlstyp, sondern vielmehr um ein Fahndungsinstrument5, das auf der Anerkennung eines im ersuchenden Staat nach den allg. Vorschriften (§§ 112 ff. StPO) erlassenen nationalen Haftbefehls beruht.6 Der Europische Haftbefehl ersetzt allein das bis-
1 Schomburg in S/L/G/H5, Art. 50 SD Rz. 2. 2 Vgl. auch Art. 5 Abs. 2 EuAlbk i.d.F. des 2. ZP-EuAlbk. 3 Vgl. Rahmenbeschluss Åber den Europischen Haftbefehl und die bergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHB) v. 13.6.2002, ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002, 1, der zurÅckgeht auf die Schlussfolgerung des Europischen Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen aus dem Jahre 2000. 4 Zum Ganzen Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 429 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, 430 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 35 ff.; Pohl, Der europische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und Europischem Primrrecht, 2009; BÇhm, NJW 2006, 2529. 5 v. Heintschel-Heinegg in S/B/S/vHH, Europisches Strafrecht, § 37 Rz. 24. 6 Vgl. Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 RbEuHB, ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002, 2; Rosenthal, ZRP 2006, 105; BÇhm, NJW 2006, 2592.
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herige (umstndliche) Auslieferungsverfahren durch ein vereinfachtes System der bergabe. Die Auslieferung aus Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat kann nach den Vorschriften Åber den EuHB (Art. 2 Abs. 1 des RB des Rates vom 13.6.2002 Åber den EuHB1 umgesetzt in § 81 IRG) erfolgen, wenn die Tat nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedsstaates mit einer Freiheitsstrafe im HÇchstmaß von mindestens 12 Monaten bedroht ist, mithin bei smtlichen Steuerstraftaten des § 369 AO.2
9.74
§ 3 IRG findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Whrungsangelegenheiten auch zulssig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. Steuerstraftaten fallen nicht unter § 81 Nr. 4 IRG, wonach die berprÅfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfllt.
9.75
Liegen die Voraussetzungen vor, erfolgt die Einstellung des EuHB in das Schengener Informationssystem („SIS“) und der Beschuldigte kann nach Festnahme im Ausland den inlndischen BehÇrden Åbergeben werden. Die vollstreckende JustizbehÇrde kann die Vollstreckung des Europischen Haftbefehls gem. Art. 4 Abs. 2 verweigern, wenn in einem der in Art. 2 Abs. 4 genannten Flle die Handlung, aufgrund deren der Europische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt. In Steuer-, Zoll- und Whrungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europischen Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats.3
9.76
In jedem Fall ist aber auch bei Vorliegen einer Katalogtat eine SchlÅssigkeitsprÅfung vorzunehmen, ob die Sachdarstellung einen nachvollziehbaren RÅckschluss auf die in Rede stehende Katalogtat zulsst.4 Die zugrunde liegende Tat muss hinreichend konkretisiert sein.5 Gleichsam ist eine TatverdachtsprÅfung durchzufÅhren, mit der womÇglich eine Verweigerung der Auslieferung einhergeht.6 Eine solche ist insbesondere im
9.77
1 2002/584/JI – RbEuHB, ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002. 2 Zum Ganzen vgl. auch Schomburg/Lagodny in S/L/G/H5, vor § 78 IRG; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 12 Rz. 41 f. 3 Daraus wird zum Teil gefolgert das bei Fiskalstraftaten es der ersuchende Mitgliedstaat in der Hand habe, durch den Erlass eines EuHB jegliche noch bestehende Auslieferungsbeschrnkung im Fiskalbereich auszuschalten, so Veh in Wabnitz/Janovsky3, 22. Kap. Rz. 140. 4 OLG Karlsruhe v. 10.8.2006 – 1 AK 30/06, NJW 2006, 3509 ff. 5 Hierzu vgl. OLG KÇln v. 8.1.2010 – AuslA 106/09; OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376. 6 OLG Karlsruhe v. 18.6.2007 – 1 AK 72/06, NStZ-RR 2007, 376.
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Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts fÅr die Frage von Bedeutung, ob der in Rede stehende Steueranspruch Åberhaupt besteht. Beispiel: Die italienischen BehÇrden fÅhren ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den italienischen in Deutschland aufhltigen A. Diese soll angeblich in Italien unbeschrnkt steuerpflichtig sein und entsprechende EinkÅnfte dort nicht versteuert haben. Die deutsche Steuerfahndung geht ihrerseits nachvollziehbar und hinreichend davon aus, dass A in Deutschland unbeschrnkt steuerpflichtig ist und die EinkÅnfte in Deutschland zu versteuern gewesen wren.
IX. Einziehung und Verfall/Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden (§§ 88 IRG ff.) 9.78 Auf europischer Ebene ist die grenzÅberschreitende Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder sonstigen Beweismitteln mÇglich. Die Vollstreckungshilfe fÅr einen anderen Mitgliedstaat der Europischen Union nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6.10.2006 Åber die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen1 richtet sich nach den §§ 88a-88f IRG. Der Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union wurde durch Gesetz vom 6.6.20082 in das nationale Recht umgesetzt.3 Beispiel: Frankreich will im obigen Fall die an A gezahlten 250.000 Euro sicherstellen.
9.79 § 88a Voraussetzungen der Zulssigkeit (1) In Abweichung von § 49 Absatz 1 ist die Vollstreckung einer nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI Åbersandten gerichtlichen Anordnung des Verfalls oder der Einziehung, die auf einen bestimmten Geldbetrag oder VermÇgensgegenstand gerichtet ist, nur zulssig, wenn 1. eine zustndige BehÇrde eines anderen Mitgliedstaates der Europischen Union unter Vorlage der in § 88b genannten Unterlagen darum ersucht hat und 2. auch nach deutschem Recht, ungeachtet etwaiger Verfahrenshindernisse und gegebenenfalls bei sinngemßer Umstellung des Sachverhalts, wegen der Tat, die der auslndischen Anordnung des Verfalls oder der Einziehung zugrunde
1 Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 Åber die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. EU Nr. L 328 v. 24.11.2006, 59. 2 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union v. 6.6.2008, BGBl. I 2008, 995; Inkrafttreten: 30.6.2008. 3 Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union, ABl. EU 2003 Nr. L 196, 45.
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B. Eingehende Rechtshilfe liegt, eine derartige Anordnung ungeachtet des § 73 Absatz 1 Satz 2 des Strafgesetzbuchs htte getroffen werden kÇnnen, wobei a) außer bei Ersuchen um Vollstreckung einer dem § 73d oder dem § 74a des Strafgesetzbuchs entsprechenden Maßnahme die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prÅfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe im HÇchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 6 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI aufgefÅhrten Deliktsgruppen zugehÇrig ist und b) die Vollstreckung in Steuer-, Abgaben-, Zoll- oder Whrungsangelegenheiten auch zulssig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zolloder Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. (2) Die Vollstreckung einer nach Absatz 1 Åbersandten Anordnung des Verfalls oder der Einziehung ist unzulssig, wenn 1. die Tat im Inland oder in einem der in § 4 des Strafgesetzbuchs genannten Verkehrsmittel begangen wurde und nach deutschem Recht nicht mit Strafe bedroht ist; 2. die verurteilte Person zu der Verhandlung, die zur Anordnung eines Verfalls oder einer Einziehung gefÅhrt hat, nicht persÇnlich erschienen ist und nicht durch einen Verteidiger oder eine Verteidigerin vertreten wurde, es sei denn a) die verurteilte Person, ihr Verteidiger oder ihre Verteidigerin wurde nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates Åber das Verfahren unterrichtet oder b) die verurteilte Person hat erklrt, die ergangene Entscheidung nicht anzufechten; 3. die verurteilte Person wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zugrunde liegt, bereits von einem anderen als dem ersuchenden Mitgliedstaat rechtskrftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass diese Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann, es sei denn, der Verfall oder die Einziehung kÇnnte entsprechend § 76a des Strafgesetzbuchs selbstndig angeordnet werden; 4. bei Straftaten, fÅr die das deutsche Strafrecht gilt, die Vollstreckung nach deutschem Recht verjhrt ist, es sei denn, eine Anordnung des Verfalls oder der Einziehung kÇnnte entsprechend § 76a Absatz 2 Nummer 1 des Strafgesetzbuchs erfolgen. § 88b Unterlagen (1) Der ersuchende Mitgliedstaat hat das Original oder eine beglaubigte Abschrift einer rechtskrftigen gerichtlichen Entscheidung mit einer Bescheinigung nach Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI vorzulegen, die die folgenden Angaben enthlt: 1. die Bezeichnung und Anschrift des Gerichts, das den Verfall oder die Einziehung angeordnet hat; 2. die Bezeichnungen und Anschriften der fÅr das Ersuchen zustndigen JustizbehÇrden; 3. die mÇglichst genaue Bezeichnung der natÅrlichen oder juristischen Person, gegen die die Entscheidung vollstreckt werden soll;
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4. die Nennung des Geldbetrages oder die Beschreibung eines anderen VermÇgensgegenstandes, der Gegenstand der Vollstreckung sein soll; 5. die Darlegung der GrÅnde fÅr die Anordnung; 6. die Beschreibung der Umstnde, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit sowie des Tatortes; 7. die Art und rechtliche WÅrdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, auf deren Grundlage die Entscheidung ergangen ist und 8. die Auskunft Åber das persÇnliche Erscheinen der verurteilten Person zu der Verhandlung oder Angaben darÅber, weshalb das Erscheinen nicht erforderlich war. (2) Ist eine entsprechende Bescheinigung nach Absatz 1 bei Stellung des Ersuchens nicht vorhanden oder unvollstndig oder entspricht sie offensichtlich nicht der zu vollstreckenden Entscheidung, kann die zustndige BehÇrde eine Frist fÅr die Vorlage oder Vervollstndigung oder Berichtigung setzen. Ist die Bescheinigung nach Absatz 1 unvollstndig, ergeben sich die erforderlichen Angaben aber aus der zu vollstreckenden Entscheidung oder aus anderen beigefÅgten Unterlagen, so kann die zustndige BehÇrde auf die Vorlage einer vervollstndigten Bescheinigung verzichten. § 88c AblehnungsgrÅnde Ein nach § 88a zulssiges Ersuchen kann nur abgelehnt werden, wenn 1. die Bescheinigung gem. Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI durch den ersuchenden Mitgliedstaat auch nicht in einem Verfahren entsprechend § 88b Absatz 2 Satz 1 vorgelegt, vervollstndigt oder berichtigt wurde; 2. die Tat im Inland oder in einem der in § 4 des Strafgesetzbuchs genannten Verkehrsmittel begangen wurde; 3. die Tat weder im Inland noch im Hoheitsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates begangen wurde und deutsches Strafrecht nicht gilt oder die Tat nach deutschem Recht nicht mit Strafe bedroht ist; 4. im Inland eine Anordnung des Verfalls oder der Einziehung ergangen ist, die sich auf dieselben VermÇgenswerte bezieht, und aus Çffentlichem Interesse der Vollstreckung dieser Anordnung Vorrang eingerumt werden soll oder 5. ein Ersuchen um Vollstreckung einer Anordnung des Verfalls oder der Einziehung aus einem weiteren Staat eingegangen ist, das sich auf dieselben VermÇgenswerte bezieht, und aus Çffentlichem Interesse der Vollstreckung dieser Anordnung Vorrang eingerumt werden soll. § 88d Verfahren (1) Erachtet die nach den §§ 50 und 51 zustndige Staatsanwaltschaft das Ersuchen fÅr zulssig und beabsichtigt sie, keine AblehnungsgrÅnde nach § 88c geltend zu machen, leitet sie geeignete und erforderliche Maßnahmen zur einstweiligen Sicherstellung der zu vollstreckenden VermÇgenswerte entsprechend den §§ 111b bis 111d der Strafprozessordnung ein und gibt dem Verurteilten und Dritten, die den Umstnden des Falles nach Rechte an dem zu vollstreckenden Gegenstand geltend machen kÇnnten, Gelegenheit, sich zu ußern. Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft, nicht von den AblehnungsgrÅnden nach § 88c Nummer 1 bis 3 Gebrauch zu machen, begrÅndet sie diese Entscheidung in dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung Åber die Vollstreckbarkeit.
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B. Eingehende Rechtshilfe (2) Die zustndige BehÇrde kann das Verfahren aufschieben, 1. solange anzunehmen ist, dass die Anordnung gleichzeitig in einem anderen Mitgliedstaat vollstndig vollstreckt wird oder 2. solange das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung der auslndischen Anordnung laufende Straf- und Vollstreckungsverfahren beeintrchtigen kÇnnte. (3) In Abweichung von § 54 Absatz 1 wird die auslndische Anordnung durch das Gericht gemß den §§ 50 und 55 fÅr vollstreckbar erklrt, soweit deren Vollstreckung zulssig ist und die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen, nicht von den AblehnungsgrÅnden nach § 88c Nummer 1 bis 3 Gebrauch zu machen, fehlerfrei ausgeÅbt hat. In der Beschlussformel ist auch der zu vollstreckende Geldbetrag oder VermÇgensgegenstand anzugeben. § 54 Absatz 2a und 4 gilt entsprechend. Die verhngte Sanktion ist in die ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion umzuwandeln, wenn die Entscheidungsformel der auslndischen Anordnung nicht nach § 459g der Strafprozessordnung vollstreckbar ist. § 88f Aufteilung der Ertrge Der Ertrag aus der Vollstreckung ist mit der zustndigen BehÇrde des ersuchenden Mitgliedstaates hlftig zu teilen, wenn er ohne Abzug von Kosten und Entschdigungsleistungen (§ 56a) Åber 10 000 Euro liegt und keine Vereinbarung nach § 56b Absatz 1 getroffen wurde. Dies gilt nicht, wenn die entsprechend § 56b Absatz 2 erforderliche Einwilligung verweigert wurde.
FÅr Deutschland besteht also auch ein fiskalisches Interesse an der Leistung von Rechtshilfe.
9.80
X. DatenÅbermittlung ohne Ersuchen (§§ 61a, 92 IRG) Die §§ 61a, 92 IRG regeln die sog. Spontanauskunft zur Vorbereitung eines fÇrmlichen Ersuchens. § 61a DatenÅbermittlung ohne Ersuchen (1) Gerichte und Staatsanwaltschaften dÅrfen ohne ein Ersuchen personenbezogene Daten aus strafprozessualen Ermittlungen an Çffentliche Stellen anderer Staaten sowie zwischen- und Åberstaatliche Stellen Åbermitteln, soweit 1. eine bermittlung ohne Ersuchen an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Staatsanwaltschaft zulssig wre, 2. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die bermittlung erforderlich ist, um a) ein Ersuchen des Empfngerstaates um Rechtshilfe in einem Verfahren zur Strafverfolgung oder zur Strafvollstreckung wegen einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes im HÇchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fÅnf Jahren bedrohten Straftat vorzubereiten und die Voraussetzungen zur Leistung von Rechtshilfe auf Ersuchen vorlgen, wenn ein solches gestellt wÅrde, oder b) eine im Einzelfall bestehende Gefahr fÅr den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder fÅr Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder fÅr Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im Çffentlichen Interesse geboten ist, abzuwehren oder eine Straftat der in Buchstabe a genannten Art zu verhindern, und
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3. die Stelle, an die die Daten Åbermittelt werden, fÅr die zu treffende Maßnahme nach Nummer 2 zustndig ist. Ist im Empfngerstaat ein angemessenes Datenschutzniveau gewhrleistet, so ist Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle einer Straftat, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes im HÇchstmaß mit Freiheitsstrafe von mehr als fÅnf Jahren bedroht ist, eine Straftat von erheblicher Bedeutung tritt. (2) Die bermittlung ist mit der Bedingung zu verbinden, dass a) nach dem deutschen Recht geltende LÇschungs- oder LÇschungsprÅffristen einzuhalten sind, b) die Åbermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dÅrfen, zu dem sie Åbermittelt worden sind, und c) die Åbermittelten Daten im Falle einer Unterrichtung nach Absatz 4 unverzÅglich zu lÇschen oder zu berichtigen sind. (3) Die bermittlung unterbleibt, soweit fÅr das Gericht oder die Staatsanwaltschaft offensichtlich ist, dass – auch unter BerÅcksichtigung des besonderen Çffentlichen Interesses an der DatenÅbermittlung – im Einzelfall schutzwÅrdige Interessen des Betroffenen an dem Ausschluss der bermittlung Åberwiegen; zu den schutzwÅrdigen Interessen des Betroffenen gehÇrt auch das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im Empfngerstaat. (4) Stellt sich heraus, dass personenbezogene Daten, die nicht htten Åbermittelt werden dÅrfen, oder unrichtige personenbezogene Daten Åbermittelt worden sind, ist der Empfnger unverzÅglich zu unterrichten.
9.82 Soweit vÇlkerrechtliche Vereinbarungen dies vorsehen, dÅrfen Çffentliche Stellen gem. § 92 IRG ohne Ersuchen personenbezogene Daten, die den Verdacht einer Straftat begrÅnden, an Çffentliche Stellen eines anderen Mitgliedstaates der Europischen Union sowie Organe und Einrichtungen der Europischen Union Åbermitteln, soweit eine bermittlung auch ohne Ersuchen an ein deutsches Gericht oder eine deutsche Staatsanwaltschaft zulssig wre und die bermittlung geeignet ist, ein Strafverfahren in dem anderen Mitgliedstaat einzuleiten oder ein dort bereits eingeleitetes Strafverfahren zu fÇrdern, und die Stelle, an welche die Daten Åbermittelt werden, fÅr die zu treffenden Maßnahmen zustndig ist.
9.83 § 92 IRG gilt fÅr smtliche BehÇrden i.S. des § 2 BDSG, wohingegen die gleiche Regelung des § 61a IRG nur fÅr Gerichte und Staatsanwaltschaften gilt. § 92 IRG gilt fÅr Daten, die den Verdacht einer Straftat begrÅnden, wohingegen § 61a IRG auf personenbezogene Daten aus „strafprozessualen Ermittlungen“ abstellt. Auch gilt die Strafmaßgrenze des § 61a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a IRG von fÅnf Jahren nicht. Die Voraussetzungen des § 61a IRG sind auch insofern enger, was die Speicherung und LÇschung von Daten betrifft. Die Anforderungen an den Verdachtsgrad sind in beiden Fllen nicht sonderlich hoch.1
1 BT-Drucks. 15/4232, 9.
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B. Eingehende Rechtshilfe
XI. Herausgabe/Durchsuchung und Beschlagnahme 1. Herausgabe von Gegenstnden (§ 66 IRG) Steuerstrafverfahren fÅhren nicht immer nur aus Deutschland heraus. Auch auslndische Staaten gehen zunehmend dazu Åber, in der Bundesrepublik belegenes VermÇgen Ihrer StaatsbÅrger aufzuspÅren oder Nachweise Åber (vermeintliche) geschftliche Aktivitten zu erhalten1.
9.84
§ 66 Herausgabe von Gegenstnden (1) Auf Ersuchen einer zustndigen Stelle eines auslndischen Staates kÇnnen Gegenstnde herausgegeben werden, 1. die als Beweismittel fÅr ein auslndisches Verfahren dienen kÇnnen, 2. die der Betroffene oder ein Beteiligter fÅr die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat oder aus ihr erlangt hat, 3. die der Betroffene oder ein Beteiligter durch die Verußerung eines erlangten Gegenstandes oder als Ersatz fÅr dessen ZerstÇrung, Beschdigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechtes erhalten oder als Nutzungen gezogen hat oder 4. die durch die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind. (2) Die Herausgabe ist indes nur zulssig, wenn 1. die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulsst, oder wenn sie bei sinngemßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wre, 2. eine Beschlagnahmeanordnung einer zustndigen Stelle des ersuchenden Staates vorgelegt wird oder aus einer Erklrung einer solchen Stelle hervorgeht, dass die Voraussetzungen der Beschlagnahme vorlgen, wenn die Gegenstnde sich im ersuchenden Staat befnden, und 3. gewhrleistet ist, dass Rechte Dritter unberÅhrt bleiben und unter Vorbehalt herausgegebene Gegenstnde auf Verlangen unverzÅglich zurÅckgegeben werden. (3) Die Herausgabe nach Absatz 1 Nr. 2 bis 4 ist nur zulssig, solange hinsichtlich der Gegenstnde noch kein rechtskrftiges und vollstreckbares auslndisches Erkenntnis vorliegt. [ . . .]
2. Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 94 IRG durch Mitgliedstaaten Besonderheiten gelten bei auslndischen Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung:
1 Vgl. auch Nr. 75 RiVASt.
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9.85
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
§ 94 Ersuchen um Sicherstellung, Beschlagnahme und Durchsuchung (1) § 58 Abs. 3 und § 67 finden bei Ersuchen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003/ 577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union (ABl. EU Nr. L 196 S. 45) Anwendung1, wobei 1. die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prÅfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer Freiheitsstrafe im HÇchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 3 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI aufgefÅhrten Deliktsgruppen zugehÇrig ist, 2. ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Whrungsangelegenheiten auch zulssig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vor- schreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates. (2) Die Bewilligung von Ersuchen nach Absatz 1 ist unzulssig, wenn 1. ein Beschlagnahmeverbot nach § 77 Abs. 1 in Verbindung mit § 97 der Strafprozessordnung besteht oder 2. der Verfolgte wegen derselben Tat, die dem Ersuchen zu Grunde liegt, bereits von einem anderen als dem ersuchenden Mitgliedstaat rechtskrftig abgeurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall der Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. [ . . .] (3) Die Bewilligung von Ersuchen um Maßnahmen nach § 58 Abs. 3 und § 67 kann aufgeschoben werden, solange 1. sie laufende strafrechtliche Ermittlungen beeintrchtigen kÇnnte und 2. die das Ersuchen betreffenden Gegenstnde fÅr ein anderes Strafverfahren beschlagnahmt oder sonst sichergestellt sind.
9.86 Der Rechtsschutz des Betroffenen richtet sich nach § 77 IRG i.V.m. § 304 StPO.2 3. Beschlagnahme und Durchsuchung nach § 67 IRG
9.87 § 67 Beschlagnahme und Durchsuchung (1) Gegenstnde, deren Herausgabe an einen auslndischen Staat in Betracht kommt, kÇnnen, auch schon vor Eingang des Ersuchens um Herausgabe, beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden. Zu diesem Zweck kann auch eine Durchsuchung vorgenommen werden. (2) Gegenstnde kÇnnen unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 auch dann beschlagnahmt oder sonst sichergestellt werden, wenn dies zur Erledigung eines nicht auf Herausgabe der Gegenstnde gerichteten Ersuchens erforderlich ist. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. 1 Hierzu auch Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 97 ff. 2 Trautmann in S/L/G/H5, § 94 IRG Rz. 11.
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B. Eingehende Rechtshilfe (3) Die Beschlagnahme und die Durchsuchung werden von dem Amtsgericht angeordnet, in dessen Bezirk die Handlungen vorzunehmen sind. § 61 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) Bei Gefahr im Verzug sind die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) befugt, die Beschlagnahme und die Durchsuchung anzuordnen.
Die Regelung des § 67 IRG schafft kein Sonderrecht. ber § 77 IRG gelten die allgemeinen Anforderungen an Durchsuchungs- und BeschlagnahmebeschlÅsse.1 Im Falle der vorlufigen Anordnung vor Eingang eines Rechtshilfeersuchens sind diese jedoch herabgesetzt. Hinsichtlich der Eilfallkompetenz gelten keine Besonderheiten gegenÅber dem regulren Verfahren und den allgemeinen Anforderungen an den Begriff der Gefahr im Verzug.2 Der Rechtsschutz des Betroffenen richtet sich nach § 77 IRG i.V.m. § 304 StPO.3
9.88
4. Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln nach § 97 IRG Auch fÅr Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln (§ 97 IRG) auf europischer Ebene gelten Besonderheiten.
9.89
§ 97 Ersuchen um Herausgabe von Beweismitteln Auf Ersuchen eines Mitgliedstaates zur Herausgabe von Gegenstnden, die als Beweismittel fÅr ein Verfahren in dem ersuchenden Mitgliedstaat dienen kÇnnen und die nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union beschlagnahmt oder sonst sichergestellt worden sind, findet § 94 Abs. 1 entsprechende Anwendung.
Deliktsgruppen i.S. des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union, bei denen keine berprÅfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit erfolgt, wenn sie im Entscheidungsstaat mit einer Freiheitsstrafe im HÇchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, sind: Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, sexueller Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie, illegalem Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen, illegalem Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen, Korruption, Betrugsdelikten, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften i.S. des bereinkommens vom 26.7.1995 Åber den Schutz der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaf-
1 Lagodny/Gleß in S/L/G/H5, § 67 IRG Rz. 2. 2 BVerfG v. 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121, vgl. auch Lagodny in S/L/G/H5, § 67 IRG Rz. 23. 3 Lagodny/Gleß in S/L/G/H5, § 67 IRG Rz. 23.
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9.90
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
ten,1 Verbrechen, die in die Zustndigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen, Flugzeug- und SchiffsentfÅhrung, Wsche von Ertrgen aus Straftaten, Sabotage, Geldflschung (einschließlich der Euro-Flschung), Cyberkriminalitt, Umweltkriminalitt (einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten), Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, vorstzlicher TÇtung, schwerer KÇrperverletzung, illegalem Handel mit menschlichen Organen und menschlichem Gewebe, EntfÅhrung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen, illegalem Handel mit KulturgÅtern, einschließlich Antiquitten und Kunstgegenstnden Betrug, Erpressung und Schutzgelderpressung, Nachahmung und Produktpiraterie, Flschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, Flschung von Zahlungsmitteln, illegalem Handel mit Hormonen und anderen WachstumsfÇrderern, Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, Vergewaltigung, Brandstiftung.
9.91 In anderen Fllen kann der Vollstreckungsstaat die Anerkennung und Vollstreckung einer Sicherstellungsentscheidung davon abhngig machen, dass die Handlungen,deretwegen die Sicherstellungsentscheidung ergangen ist, eine Straftat darstellen, die nach dem Recht des Vollstreckungsstaates eine Sicherstellung ermÇglicht, unabhngig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Klassifizierung der Straftat nach dem Recht des Entscheidungsstaates.
XII. Vollstreckungshilfe 1. Grundstze
9.92 Die Vollstreckungshilfe fÅr einen anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 Åber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen2 richtet sich nach Unterabschnitt zwei des IRG. Ersuchen an einen anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 Åber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen richten sich nach Unterabschnitt drei. Gemeinhin wird von einer „bertragung der Strafvollstreckung“ gesprochen, die auf der einen Seite die bernahme (§ 48 IRG) und auf der anderen Seite (§ 71 IRG) die Abgabe der Strafvollstreckung meint.3
1 Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union, ABl. EG Nr. C 316 v. 27.11.1995, 8, hierzu Fromm, HRRS 2008, 87; Magiera in FS Friauf, 1996, 13 ff. 2 ABl. EU Nr. L 76 v. 22.3.2005, 16. 3 Zum Ganzen Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, vor § 48 IRG Rz. 1 ff.
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B. Eingehende Rechtshilfe
FÅr den hier interessierenden Bereich der Abgabe der Strafvollstreckung gilt gem. § 71 Abs. 1 IRG, dass ein auslndischer Staat um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Auslnder verhngten Strafe oder sonstigen Sanktion ersucht werden kann.
9.93
Beispiel: Der tÅrkische StaatsangehÇrige A wird in Deutschland wegen Steuerhinterziehung im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells mit hochwertigen Kraftfahrzeugen durch das Landgericht zu einer fÅnfjhrigen Freiheitsstrafe verurteilt. A verfÅgt in Deutschland Åber keinen Wohnsitz, hat nur wenige familire Kontakte und ist der deutschen Sprache kaum mchtig. Die Vollstreckung der Strafe soll in der TÅrkei in der Nhe seines Heimatorts erfolgen.
9.94
§ 71 Ersuchen um Vollstreckung (1) Um bernahme der Vollstreckung kann ersucht werden, wenn: 1. der Verurteilte in dem auslndischen Staat seinen Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhlt und nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausfÅhrbar ist, oder 2. die Vollstreckung in dem ersuchten Staat im Interesse des Verurteilten oder im Çffentlichen Interesse liegt. [ . . .]
Sinn und Zweck der Regelung bestehen darin, dass dem Interesse des Beschuldigten Rechnung getragen wird, eine freiheitsentziehende Sanktion in seinem Sprach-, Kultur- und Rechtskreis zu verbÅßen. Zugleich bewirkt die Regelung eine Entlastung des deutschen Strafvollzugs. § 71 Ersuchen um Vollstreckung [ . . .] Die berstellung des Verurteilten darf nur zur Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion erfolgen [ . . .]. (2) Ein auslndischer Staat kann um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Deutschen verhngten nicht freiheitsentziehenden Strafe oder Sanktion ersucht werden, wenn dies im Çffentlichen Interesse liegt. Er kann ferner um Vollstreckung einer im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen einen Deutschen verhngten freiheitsentziehenden Strafe oder sonstigen Sanktion ersucht werden, wenn 1. der Verurteilte in dem auslndischen Staat seinen Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt hat oder sich dort aufhlt, 2. der Verurteilte nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausfÅhrbar ist, und 3. dem Verurteilten durch die Vollstreckung in dem auslndischen Staat keine erheblichen, außerhalb des Strafzwecks liegenden Nachteile erwachsen. [ . . .]
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9.95
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
(3) Um Vollstreckung darf nur ersucht werden, wenn gewhrleistet ist, dass der ersuchte Staat eine RÅcknahme oder eine Beschrnkung des Ersuchens beachten wird. [ . . .]
9.96 Deutschland als Urteilsstaat soll stets Herr des Verfahrens bleiben. In jedem Fall kommt eine berstellung nicht in Betracht, wenn im ersuchten Staat die Verhngung der Todesstrafe aus einer anderen Entscheidung heraus droht oder der Verurteilte rechtsstaatswidrige Strafen zu befÅrchten hat. Im Gegenzug muss aber sichergestellt sein, dass im auslndischen Staat auch eine entsprechende Vollstreckung der Strafe erfolgt und nicht, wie hufig zu beobachten, hohe Abschlge in der tatschlichen Vollstreckung gewhrt werden1 bzw. bei lebenslanger Freiheitsstrafe nicht vorgesehene Zuschlge erfolgen. Der Verurteilte soll weder besser- noch schlechtergestellt werden. 2. Verfahren
9.97 Um Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion darf nur ersucht werden, wenn das Gericht die Vollstreckung in dem ersuchten Staat fÅr zulssig erklrt hat. Die Entscheidung Åber das „ob“ der Stellung eines berstellungsersuchens trifft die StrafvollstreckungsbehÇrde, d.h. die Staatsanwaltschaft oder der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter. Diese bereiten in Zusammenarbeit mit der Generalstaatsanwaltschaft die berstellung vor.
9.98 ber die Zulssigkeit entscheidet das Oberlandesgericht durch Beschluss. Die Çrtliche Zustndigkeit richtet sich nach dem Sitz des Gerichts, das die zu vollstreckende Strafe oder sonstige Sanktion verhngt hat, oder, wenn gegen den Verurteilten im Geltungsbereich dieses Gesetzes eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, nach § 462a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Die deutsche VollstreckungsbehÇrde sieht von der Vollstreckung ab, soweit der ersuchte Staat sie Åbernommen und durchgefÅhrt hat. Sie kann die Vollstreckung fortsetzen, soweit der ersuchte Staat sie nicht zu Ende gefÅhrt hat.
9.99 Der Verurteilte hat kein eigenes Antragsrecht sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.2 Die Entscheidung der StrafvollstreckungsbehÇrde ist ausreichend zu begrÅnden. Es gelten die allgemeinen Anforderungen an die BegrÅndung von Ermessensentscheidungen. Namentlich mÅssen die Einhaltung und Ausnutzung des Ermessensspielraums, das Ausgehen vom zutreffenden und vollstndig ermittelten Sachverhalt und die tatschliche Abwgung aller zu berÅcksichtigenden Umstnde gegeneinander und deren Einbeziehung in die
1 Hackner/Schomburg in S/L/G/H5, § 71 IRG Rz. 14f, 14g. 2 Hackner/Schomburg in S/L/G/H5, § 71 IRG Rz. 12f.
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C. Ausgehende Rechtshilfe
Entscheidung erkennbar sein.1 Gegen eine ablehnende Entscheidung der StrafvollstreckungsbehÇrde ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG zu den Oberlandesgerichten erÇffnet.2
C. Ausgehende Rechtshilfe I. Zustndigkeit und Form Nach dem EuRhbk sind Ersuchen grundstzlich von JustizbehÇrden zu stellen.3 In der deutschen Erklrung zu Art. 24 EuRhbk sind dabei die Staatsanwaltschaften als JustizbehÇrden aufgefÅhrt.4 Die FinanzbehÇrden und die nachgeordneten Straf- und Bußgeldsachenstellen sind nicht zustndig. Hlt die FinanzbehÇrde die Stellung eines Rechtshilfeersuchens fÅr erforderlich, muss sie sich an die zustndige Staatsanwaltschaft wenden. Ermittelt die FinanzbehÇrde im Steuerstrafverfahren, kann sie Ersuchen auf der Grundlage bilateraler Vertrge aber dann selbst stellen, wenn sie in dem betreffenden Vertrag als berechtigte BehÇrde benannt ist (§§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1 AO, Nr. 127 RiVASt), wie dies etwa mit Kanada der Fall ist. Bei Zweifeln, ob ein auslndischer Staat um Rechtshilfe ersucht werden soll, z.B. weil die deutschen BehÇrden einem entsprechenden auslndischen Ersuchen nicht stattgeben wÅrden, ist gem. Nr. 25 Abs. 2 RiVASt der obersten Justiz- oder VerwaltungsbehÇrde zu berichten oder ihr das Ersuchen vorzulegen.
9.100
Das IRG umfasst zudem nur repressives Handeln.5 Da die FinanzbehÇrden sowohl im Besteuerungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren ttig werden kÇnnen, stehen ihnen dem Grunde nach die Wege der Amtshilfe als auch der Rechtshilfe offen. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Verwaltungs- bzw. Besteuerungsverfahren erfolgt im Rahmen der internationalen Amtshilfe, whrend nur bei der FÅhrung eines Steuerstrafverfahrens die internationale Rechtshilfe zur Anwendung kommt.6 Rechtshilfe scheidet mithin aus, wenn durch die FinanzbehÇrden im Zeitpunkt der Antragstellung nur das Besteuerungsverfahren oder aber lediglich Vorfeldermittlungen i.S. des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO gefÅhrt werden. In diesem Fall kommt allein die Amtshilfe in Betracht.7
9.101
Im brigen gelten die allgemeinen Zustndigkeitsvoraussetzungen. Die FinanzbehÇrden dÅrfen auch nicht beliebig zwischen der Amts- und
9.102
1 Vgl. auch OLG Hamm v. 8.12.1998 – 1 VAs 84/98, StV 2000, 379. 2 Hackner/Schomburg in S/L/G/H5, § 71 IRG Rz. 14j. 3 AusfÅhrlich zum Ganzen Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 24 ff. 4 Vgl. auch die Erklrung der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. II 1976, 1799. 5 BT-Drucks. 9/1338, 34. 6 Korts, IStR 2006, 869. 7 BStBl. I 2006, 701.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
Rechtshilfe whlen. Es muss stets objektiv erkennbar sein, in welcher Funktion und aufgrund welcher Rechtsvorschriften die FinanzbehÇrde ttig wird.1 Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der daraus abzuleitenden RechtsschutzmÇglichkeiten des Betroffenen.2
9.103 Die Stellung eines Rechtshilfeersuchens ist eine Formalangelegenheit, und in der Praxis wird auf die Einhaltung der Formalitten schon wegen der Außenwirkung grÇßter Wert gelegt. Ein Muster zur Abfassung von Rechtshilfeersuchen findet sich in Nr. 150 RiVASt sowie in der Anlage zum BMF-Schreiben vom 16.11.2006 „Zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen“.3 Ein Ersuchen hat dabei stets die Angabe der ersuchenden BehÇrde, den Gegenstand und Grund des Ersuchens, die Identitt des Beschuldigten sowie die Bezeichnung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit und eine geordnete und nachvollziehbare Sachverhaltsdarstellung zu enthalten. Auf etwaige bestehende innerstaatliche Beweiserhebungsverbote, insbesondere Aussage-, Zeugnis-, Auskunftsverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote (§§ 52 ff., 97, 136 Abs. 1, 160a StPO) ist in der Regel unter BeifÅgung einer Ablichtung der jeweiligen Norm hinzuweisen. Ggf. zu fertigende bersetzungen mÅssen den die Richtigkeit der bersetzung besttigenden Vermerk und ggf. Stempel eines amtlich bestellten oder vereidigten bersetzers/Dolmetschers tragen,
II. Geschftswege 9.104 In Nr. 5 RiVASt sind folgende mÇgliche Geschftswege aufgefÅhrt, die sowohl die eingehende wie auch die ausgehende Rechtshilfe betreffen, jedoch fÅr die ausgehende Rechtshilfe insofern von besonderer Bedeutung sind, als hier die ErmittlungsbehÇrde bereits unter BerÅcksichtigung womÇglicher Konsequenzen entscheiden muss, welchen Weg sie whlt.4 Zur VerfÅgung stehen: – der diplomatische Geschftsweg (die Regierung eines der beiden beteiligten Staaten und die diplomatische Vertretung des anderen treten miteinander in Verbindung), – der ministerielle Geschftsweg (die obersten Justiz- oder VerwaltungsbehÇrden in den beteiligten Staaten treten miteinander in Verbindung),
1 Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 (35). 2 Vgl. auch oben die AusfÅhrungen zum Unterschied von Amts- und Rechtshilfe, Rz. 9.23. 3 BStBl. I 2006, 708. 4 Es handelt sich um eine wesentliche FÇrmlichkeit nach OLG DÅsseldorf v. 9.1.2003 – 4 Ausl 371/02-6/03, StV 2004, 146, die ggf. zu einem Verwertungsverbot fÅhren kann. So ist ein direktes Telefonat mit Çsterreichischen ErmittlungsbehÇrden in der Regel unproblematisch, wohingegen sich eine solche Vorgehensweise etwa bei ehemaligen Ostblockstaaten, etwa Russland, nicht empfiehlt.
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C. Ausgehende Rechtshilfe
– der konsularische Geschftsweg (eine konsularische Vertretung im Gebiet des ersuchten Staates und die BehÇrden dieses Staates treten miteinander in Verbindung), – der unmittelbare Geschftsweg (die ersuchende und die ersuchte BehÇrde treten unmittelbar miteinander in Verbindung, unbeschadet der Einschaltung einer PrÅfungs- oder BewilligungsbehÇrde sowie der bermittlung Åber das Bundeskriminalamt oder eine andere bermittlungsstelle). ber auslndische Rechtshilfeersuchen und Åber die Stellung von Ersuchen an auslndische Staaten um Rechtshilfe entscheidet gem. § 74 Abs. 1 IRG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Auswrtigen Amt und mit anderen Bundesministerien, deren Geschftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird. ber § 74 Abs. 2 IRG i.V.m. der Zustndigkeitsvereinbarung vom 28.4.20041 ist die Kompetenz jedoch den Landesregierungen Åbertragen. Wurde das Rechtshilfeersuchen durch eine StrafverfolgungsbehÇrde oder ein Gericht vorbereitet, obliegt die letztliche Entscheidung Åber das Stellen des Ersuchens der zustndigen PrÅfungs- und BewilligungsbehÇrde. Wenn der unmittelbare oder konsularische Geschftsweg erÇffnet ist, liegt die Zustndigkeit fÅr die Bewilligung regelmßig bei der BehÇrdenleitung, in der Praxis ist dies der Leitende Oberstaatsanwalt.
9.105
III. GrenzÅberschreitende Ermittlungsmaßnahmen/Rechtshilfe im engeren Sinne/Beweisrechtshilfe Die Zulssigkeit grenzÅberschreitender Ermittlungsmaßnahmen mittels ausgehender Ersuchen beurteilt sich zunchst nach deutschem Recht. Es gilt der Grundsatz, dass ein Ersuchen dann zulssig ist, wenn die erbetene Maßnahme auch nach deutschem Recht rechtmßig ist.2 Erst dann ist zu prÅfen, ob eine vÇlkerrechtliche bereinkunft spezielle Regelungen zu der beabsichtigten Ermittlungsmaßnahme enthlt. Aus dem Rechtssatz „locus regit actum“ folgt, dass sich die Erledigung des Rechtshilfeersuchens regelmßig nach dem Recht des ersuchten Staates richtet. In Fllen des EU-Rhbk kann der ersuchende Staat nach Art. 4 Abs. 1 EURhÅbk verlangen, dass Verfahrensvorschriften des ersuchenden Staates zur Anwendung kommen („lex forum regit actum“).
1 BAnz. Nr. 100 v. 29.5.2004, 11494. 2 Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, vor § 68 IRG Rz. 27; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 17, 143; zum Ganzen auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, vor § 385 AO Rz. 139 ff.
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9.106
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
IV. bersicht mÇglicher Rechtshilfehandlungen/Beweisrechtshilfe 9.107 Rechtshilfe umfasst in der Regel: – Vernehmung und Beschaffung von Aussagen von Personen; – Erteilung von AuskÅnften und berlassung von SchriftstÅcken und anderen Unterlagen, einschließlich AuszÅgen aus Strafregistern; – Fahndung nach Personen und Sachen, einschließlich deren Identifizierung; – Durchsuchung und Beschlagnahme; – Herausgabe von Gegenstnden, einschließlich der berlassung von BeweisstÅcken; – berstellung von Hftlingen und anderen Personen zur Beweiserhebung oder zur UnterstÅtzung von Ermittlungen; – Zustellung von SchriftstÅcken, einschließlich solcher, die auf das Erscheinen von Personen gerichtet sind; – besondere Ermittlungsmethoden wie z.B. berwachung des Fernmeldeverkehrs, verdeckte Ermittlungen und kontrollierte Lieferungen; – UnterstÅtzung bei Verfahren in Bezug auf Sicherstellung und Einziehung von VermÇgenswerten, RÅckerstattung, Beitreibung von Geldstrafen; – sonstige UnterstÅtzung, soweit sie im Einklang mit dem Ziel des jeweiligen es Vertrags steht und nicht mit dem Recht des ersuchten Staates unvereinbar ist. 1. Zustellungen
9.108 Die Zustellung von SchriftstÅcken im Ausland kann durch unmittelbare bersendung, mittels fÇrmlichen Rechtshilfeersuchens oder durch konsularische Zustellung bewirkt werden.1 Die unmittelbare Zustellung durch Einschreiben mit RÅckschein ist innerhalb der EU und der Schengen Assoziierungsstaten die Regel (§§ 77 Abs. 1, § 37 Abs. 1 StPO, § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei Staaten, die das Eu-Rhbk nicht ratifiziert haben und fÅr die Schengen-Assoziierungsstaaten gilt Art. 52 Abs. 1 SD.2 Liegen Anhaltspunkte dafÅr vor, dass der Empfnger der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mchtig ist, soll die bersetzung veranlasst werden.
9.109 Enthlt das zuzustellende SchriftstÅck eine Aufforderung zum Erscheinen, kÇnnen die Rechtsfolgen, die beim Ausbleiben eintreten, angegeben 1 Vgl. auch Nr. 115, 116 RiVASt; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 87. 2 Eine fÅr die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Praxis Åberaus hilfreiche Liste findet sich in Anlage III zu Anhang II der RiVASt, die Urkunden auflistet, die gem. Art. 52 SD zwischen den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar durch die Post zugestellt werden kÇnnen, wobei aufgelistet ist, ob dies mittels formloser Mitteilung (fM) oder mittels Zustellung (ZU) zu erfolgen hat.
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C. Ausgehende Rechtshilfe
werden. Zwangsmaßnahmen dÅrfen beschuldigten Personen indes nur unter dem Hinweis angedroht werden, dass diese im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates nicht vollstreckt werden kÇnnen.1 Gegen Zeugen und Sachverstndige ist eine solche Androhung unzulssig; auf die besondere Notwendigkeit darf jedoch hingewiesen werden.2 Deutsche BehÇrden dÅrfen in strafrechtlichen Angelegenheiten mit Personen, die im Ausland wohnen – gleichgÅltig ob sie Deutsche oder Auslnder sind -, unmittelbar schriftlich oder fernmÅndlich nur dann in Verbindung treten, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass der auslndische Staat dieses Verfahren als einen unzulssigen Eingriff in seine Hoheitsrechte beanstandet. Als unbedenklich werden Eingangsbesttigungen, Zwischenbescheide, Terminsabstimmungen, Benachrichtigungen von der Aufhebung eines Termins sowie Mitteilungen Åber die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens an Beschuldigte, Antragstellerinnen und Antragsteller erachtet, sprich Verhaltensweisen, die keine originre hoheitliche Ttigkeit i.S. einer Eingriffsverwaltung darstellen.
9.110
2. Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen und Sachverstndigen a) Allgemeines Der persÇnliche Eindruck von einem Zeugen ist in der Regel durch nichts zu ersetzen.3 In einem Ersuchen um Vernehmung von Beschuldigten oder Zeugen bzw. Sachverstndigen ist gem. Nr. 117 RiVASt anzugeben, ob die Vernehmung durch ein Gericht, durch eine Staatsanwaltschaft oder eine andere BehÇrde erfolgen soll.4 Bei einem Ersuchen um richterliche Vernehmung von Zeugen oder Sachverstndigen ist anzugeben, ob um eidliche oder uneidliche Vernehmung ersucht wird. Steht der Person, die vernommen werden soll, ein Recht zur Verweigerung der Aussage, der Auskunft oder der Eidesleistung zu, ist unter wÇrtlicher AnfÅhrung oder BeifÅgung in Ablichtung der deutschen Gesetzesbestimmungen darum zu bitten, die Person vor der Vernehmung Åber das ihr nach den deutschen Vorschriften etwa zustehende Recht zur Verweigerung zu belehren. Es muss sichergestellt werden, dass dieses Recht nicht unterlaufen wird.
9.111
Die Vernehmung im Ausland befindlicher Beschuldigter oder Zeugen kann durch unmittelbare schriftliche AnhÇrung Nr. 121 Abs. 2 RiVASt), mittels fÇrmlichen Rechtshilfeersuchens (Nr. 117 RiVASt), durch eine konsularische Vernehmung (Nr. 130 Abs. 2 RiVASt) oder durch Verneh-
9.112
1 Nr. 116 RiVASt. 2 Ggf. kommt auch die Zusicherung sog. „Freien Geleits“ in Betracht, vgl. Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, Rz. 185. 3 Vgl. auch Nr. 77, 117 RiVASt. Zur Bedeutung der Unmittelbarkeit des Zeugenbeweises vgl. BGH v. 25.4.2002 – 3 StR 506/01, NJW 2002, 2403; BGH v. 26.8.2003 – 1 StR 282/03, NStZ 2004, 347. 4 Zum Ganzen Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 149.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
mung im Wege der Videokonferenz erfolgen. Eine schriftliche oder ggf. telefonische Zeugenauskunft oder schriftliche AnhÇrung des Beschuldigten kommt im Anwendungsbereich des EU-Rhbk und des SD in Betracht. Die Vernehmung durch eine deutsche Auslandsvertretung ist keine Rechtshilfe, sondern gem. § 15 KonsularG i.V.m. Nr. 128-132 RiVASt innerstaatliche Amtshilfe. Ausgehende Ersuchen sind nach Maßgabe von Nr. 117 RiStBV abzufassen.1 In dem Ersuchen ist anzugeben, ob sie durch ein Gericht, durch eine Staatsanwaltschaft oder eine andere BehÇrde erfolgen soll. b) Beweisantrge auf Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen
9.113 Weniger ein Problem der Rechtshilfe denn ein strafprozessuales Problem sind entsprechende Beweisantrge auf Ladung und/oder Vernehmung eines im Ausland befindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung. Beispiel: FÅr die Frage, welchem der beiden in Betracht kommenden Staaten das Besteuerungsrecht zusteht, kam es darauf an, wo der Angeklagte nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 2 DBA-Kanada 1981 ansssig war.2
9.114 Die Ladung des Zeugen erfolgt entweder mittels unmittelbarer Zustellung per Post, wenn dieser Weg vertraglich zugelassen ist (Art. 52 SD), Åber die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik oder im Wege der Zustellung durch den ersuchten Staat (Art. 7 Abs. 1 EU-Rhbk, Art. 3 ZPEuRhbk). Das Erscheinen kann indes nicht mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden (Art. 8 EuRhbk, Art. 52 SD, § 59 IRG). Gem. Art. 12 EuRhbk kann einem Zeugen jedoch „freies Geleit“ zugesichert
1 Vgl. hierzu auch RiVASt Muster 32 und 32a. 2 Zu sog. „Ansssigkeitsantrgen“ vgl. BGH v. 6.9.2011 – 1 StR 633/10 – Fall Schreiber, NZWiSt 2012, 229. Dort stellte die Verteidigung einen Antrag mit dem Ziel, die Ansssigkeit des Angeklagten Schreiber in Kanada zu beweisen, und benannte zum Beweis der Tatsache eine Vielzahl von Zeugen und weshalb diese hierzu Bekundungen treffen kÇnnen. Besondere Bedeutung maß der BGH in diesem Fall dem sog. Konnexittserfordernis zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung zu. Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen, dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge Åberhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden kÇnnen soll, vgl. hierzu auch BGH v. 3.11.2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169. In jedem Fall ist anzuraten, konkret darzulegen, wieso und was der Zeuge zur Ansssigkeit bezeugen kann. Vgl. auch Nagler, StV 2013, 328. Art. 4 Abs. 2 DBA-Kanada 1981 entscheidet insoweit darÅber, welcher der beiden Vertragsstaaten als Ansssigkeitsstaat und welcher als Quellenstaat zu behandeln ist, wenn eine Person nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Kanada 1981 in beiden Staaten ansssig ist. Dem danach gegebenen Ansssigkeitsstaat steht dann das Besteuerungsrecht fÅr die Gewinne des Unternehmens zu. Etwas anderes gilt, wenn das Unternehmen in dem jeweils anderen Staat Åber eine Betriebssttte verfÅgt (vgl. Art. 7 Abs. 1 DBA-Kanada 1981), der dann der sog. Quellenstaat ist.
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werden1 und die unterbliebene Aufnahme einer solchen Zusicherung einen Revisionsgrund bilden.2 In jÅngerer Zeit kommt es auch hufiger vor, dass, wenn ein Zeuge sich nicht bereit erklrt zur Vernehmung nach Deutschland zu reisen, das erkennende Gericht nebst allen Prozessbeteiligten sich auf dem Rechtshilfeweg ins Ausland begibt und der Vernehmung durch einen Çrtlichen Richter beiwohnt, der zuvor im Rechtshilfewege Åbersandte Fragen an den Zeugen richtet, Der Aufenthalt eines Zeugen im Ausland hebt seine Erreichbarkeit mithin nicht auf. Ein entsprechender Beweisantrag kann nur dann abgelehnt werden, wenn die Vernehmung nach pflichtgemßem Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (vgl. auch § 244 Abs. 5 StPO).3 Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandzeugen kann ferner abgelehnt werden, wenn dieser nach den vorliegenden polizeilichen und richterlichen Vernehmungsniederschriften nicht erforderlich ist.4 Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO darf die Ladung eines Zeugen im Ausland nach pflichtgemßem Ermessen des Gerichts auch dann zurÅckgewiesen werden, wenn das Gericht aufgrund hinreichender Anhaltspunkte die sichere berzeugung erlangt, dass durch die beantragte Einvernahme eine weiterfÅhrende und bessere Sachaufklrung nicht zu erwarten ist.5 In diesen Fllen entfllt auch die Pflicht zur PrÅfung, ob eine Vernehmung im Rechtshilfewege mÇglich ist. Kommt es auf die Vernehmung des Zeugen an bzw. ist eine solche aus Aufklrungsgesichtspunkten heraus geboten, stehen mehrere Wege zur VerfÅgung.
9.115
Die Nichterreichbarkeit eines Auslandszeugen darf nur dann festgestellt werden, wenn alle der Bedeutung seiner Aussage entsprechenden BemÅhungen des Gerichts, ihn zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu veranlassen, erfolglos geblieben sind auch zukÅnftig nicht absehbar ist, dass er erscheint. Insofern muss versucht werden, den Zeugen direkt oder durch den auslndischen Staat zur Hauptverhandlung zu laden.6
9.116
Die Nichterreichbarkeit ist durch Beschluss nach § 244 Abs. 6 StPO festzustellen.7 Bei der PrÅfung der Aufklrungspflicht hat das Gericht die Be-
9.117
1 Vgl. Empfehlung R (83) 12 des Ministerkomitees der Mitgliedstaaten des Europarates betreffend das freie Geleit fÅr Zeugen in Anwendung des Art. 12 des EuRhbk v. 23.9.1983. 2 BGH v. 21.3.1984 – 2 StR 700/83, NStZ 1984, 375. 3 Zum Ganzen Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 244 StPO Rz. 78; vgl. auch Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, vor § 68 IRG Rz. 49 ff. 4 BGH v. 15.12.1994 – 4 StR 684/94, juris. 5 BGH v. 8.6.2011 – 3 StR 49/11, NStZ 2011, 646; zum notwendigen Inhalt eines entsprechende Beweisantrags vgl. BGH v. 29.4.2010 – 1 StR 644/09, StV 2010, 556; kritisch hierzu Nagler, StV 2013, 324 (329), unter Verweis auf BT-Drucks. 12/1217, 36, der das Beweisantragsrecht in den Fllen von Auslandszeugen gar liqudiert sieht. 6 Vgl. Art. 5 EU-Rhbk, Art. 52 SD. Eingehend hierzu Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 59 ff. 7 Die BegrÅndungspflicht hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner
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deutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu wÅrdigen und ist insoweit von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Kommt das Gericht unter BerÅcksichtigung sowohl des Vorbringens zur BegrÅndung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde besttigen kÇnnen oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine – des Tatrichters – berzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung besttigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags nach stndiger Rechtsprechung des BGH nicht zu beanstanden.1 c) Vernehmung mittels Videokonferenz
9.118 Besondere Bedeutung im internationalen Steuerstrafrecht wird zukÅnftig die Vernehmung mittels Videokonferenz erlangen. ber § 247a StPO i.V.m. Art. 10 EU-Rhbk ist eine solche Vernehmung mittels Videokonferenz mÇglich. Im Internationalen Steuerstrafrecht ist dieser Weg von besonderer Bedeutung, wenn es um die Vernehmung einer Vielzahl von Personen, etwa zur Frage des gewÇhnlichen Aufenthalts oder der Ansssigkeit geht. Beispiel: Die Finanzverwaltung in A glaubt angesichts einer WohnungsgrÇße von lediglich 16 qm bei einem Einkommen von 250.000 Euro im Jahr nicht, dass der deutsche StaatangehÇrige B als sog. Expat Åberwiegend in Tokyo/Japan aufhltig ist, zumal er noch Åber ein Zimmer im elterlichen Haus verfÅgt und die dortige Anschrift als Zustellungsadresse gebraucht. Zum Beweis benennt B eine Vielzahl von Zeugen mit denen er einen Großteil seiner beruflichen und freien Zeit verbringt.
9.119 Ausweislich der GesetzesbegrÅndung2 soll die Vorschrift auch internationalen Tendenzen Rechnung tragen, auf neue Kommunikationsmittel zurÅckzugreifen und dabei auch die Videotechnologie einzusetzen, mit deren Hilfe Schwierigkeiten bei der Vernehmung von Auslandszeugen Åberwunden werden kÇnnen. Erreichbar ist nach § 247a StPO nunmehr auch ein Zeuge, wenn er aus der Hauptverhandlung heraus mittels einer zeitgleichen Bild-Ton-bertragung an einem anderen Ort vernommen werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Vernehmungsort im Ausland liegt, sofern eine solche Vernehmung im Wege der Rechtshilfe mÇglich ist und die Art ihrer DurchfÅhrung einer solchen nach § 247a StPO im Inland weitgehend entspricht. Entscheidend ist insbesondere, dass eine unbeeinflusste Vernehmung mÇglich ist, bei der die Verhandlungsleitung bei dem Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Hierzu darf sich das Gericht spter nicht in Widerspruch setzen. 1 Vgl. BGH v. 26.10.2006 – 3 StR 374/06, juris; BGH v. 9.6.2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322 (2323); BGH v. 21.12.2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116 (117). 2 BT-Drucks. 13/9063, 4 f.
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Vorsitzenden liegt und die ungeschmlerte AusÅbung der prozessualen Befugnisse aller Prozessbeteiligten gewhrleistet ist.1 Die bloße Aufzeichnung einer kommissarischen Vernehmung durch das Gericht des Aufenthaltsstaates des Zeugen unter Teilnahme deutscher Verfahrensbeteiligter genÅgt nicht den Anforderungen des § 247a StPO. Es fehlt an der Sachleitung durch den Vorsitzenden und es mangelt an interaktiven KommunikationsmÇglichkeiten. d) Videokonferenz mittels EEA Eine Vernehmung im Wege der Videokonferenz oder sonstiger audiovisueller bertragung kommt kÅnftig auch im Wege einer Europischen Ermitlungsanordnung (EEA) (vgl. Rz. 9.185) gem. Art. 24 Abs. 5 EEA in Betracht. Bei der Vernehmung ist ein Vertreter der zustndigen BehÇrde des Vollstreckungsstaats, bei Bedarf unterstÅtzt von einem Dolmetscher, anwesend, der auch die Identitt der zu vernehmenden Person feststellt und auf die Einhaltung der wesentlichen Grundstze des Rechts des Vollstreckungsstaats achtet. (Art. 25 Abs. 5 Buchst. a Satz 1 EEA).
9.120
Zwischen den zustndigen BehÇrden des Anordnungsstaats und des Vollstreckungsstaats sollen ggf. Schutzmaßnahmen getroffen werden (Stimmverzerrung, Verfremdung – Art. 25 Abs. 5 Buchst. b EEA). Die Vernehmung ist unmittelbar von oder unter Leitung der zustndigen BehÇrde des Anordnungsstaats nach deren nationalem Recht durchzufÅhren (Art. 25 Abs. 5 Buchst. c EEA). Auf besonderen Wunsch des Anordnungsstaats oder der zu vernehmenden Person hat der Vollstreckungsstaat sicherzustellen, dass die zu vernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstÅtzt wird (Art. 25 Abs. 5 Buchst. d EEA).
9.121
Der Beschuldigte und auch der Verdchtige sind vor der Vernehmung darÅber zu belehren, welche Verfahrensrechte ihnen nach dem Recht des Vollstreckungsstaats und des Anordnungsstaats zustehen, insbesondere was das Aussage – oder Zeugnisverweigerungsrecht betrifft. Die inhaltliche Reichweite des Aussageverweigerungsrechts richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungs- und dem Anordnungsstaats. HierÅber hat ebenfalls eine Belehrung stattzufinden. In der Praxis war es bislang so, dass die relevanten Vorschriften insoweit mit Åbermittelt wurden (Art. 25 Abs. 5 d) EEA).
9.122
In diese Richtung zielende Beweisantrge sollten nicht ohne Erwgung der MÇglichkeiten einer Videokonferenz abgelehnt werden.2 Die Frage, ob nur eine Vernehmung des Zeugen vor dem erkennenden Gericht die nach Sach- und Rechtslage erforderliche AusschÇpfung des Beweismittels ge-
9.123
1 BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788 unter Verweis auf Rieß, NJW 1998, 3240 (3242). 2 Zum Ganzen vgl. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 344/07, NStZ 2008, 232; BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365; vgl. hierzu Rose, NStZ 2012, 18.
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whrleistet oder ob auch eine kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklrung tauglich ist, hat das Gericht nach seinem pflichtgemßen Ermessen zu entscheiden. Die fÅr die AusÅbung des Ermessens maßgebenden Erwgungen mÅssen aber schlÅssig ergeben, weshalb die kommissarische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklrung ungeeignet und daher ohne jeden Beweiswert ist.1 In keinem Fall darf es einem Angeklagten zum Nachteil gereichen, dass dem Verfahren eine Auslandstat zugrunde liegt oder die Tat jedenfalls einen starken Auslandsbezug aufweist und die BeweisfÅhrung infolgedessen im Wesentlichen auf auslndische Beweismittel zurÅckgreifen muss. Es gelten die oben dargestellten Grundstze zur Vernehmung von Auslandszeugen. Dem legitimen Anliegen, sich gegen aus dem Ausland stammende und belastende Beweismittel durch die Benennung von im Ausland ansssigen Entlastungszeugen zu verteidigen, ist in der Weise Rechnung zu tragen, dass an die Ablehnung eines solchen Beweisantrags strengere Maßstbe anzulegen sind. 3. GrenzÅberschreitende Kontenabfragen
9.124 Durch das Zusatzprotokoll zum EU-Rhbk (ZP-EU-Rhbk) vom 16.10.2001 haben sich die beteiligten Staaten zustzlich dazu verpflichtet, auch AuskÅnfte Åber Bankkonten zu erteilen.2 Das Protokoll geht eigentlich zurÅck auf eine Inititative fÅr ein eigenes bereinkommen gegen Geldwsche und schwere Wirtschaftskriminalitt.3
9.125 Zwar sind Fiskaldelikte nicht erfasst und auch sonst ist der Anwendungsbereich auf Straftaten mit bestimmten Mindeststrafrahmen (vier Jahre Freiheitsstrafe im ersuchenden und zwei Jahre Freiheitsstrafe im ersuchten Staat) begrenzt oder das Erfordernis normiert, dass entsprechende (schwerwiegende) Katalogtaten erfÅllt sein mÅssen. Jedoch sind die oftmals mit einer Steuerhinterziehung einhergehenden Korruptions- und Geldwschetatbestnde erfasst.
9.126 Das Verfahren ist zweistufig aufgebaut. ber Art. 1 ZP-EU-Rhbk kÇnnen, hnlich der inlndischen BaFin-Anfrage, zunchst AuskÅnfte Åber Bankkonten angefordert werden, wenn der ersuchende Mitgliedstaat der Ansicht ist, dass eben diese AuskÅnfte fÅr die Aufklrung einer Straftat aller Wahrscheinlichkeit nach von wesentlichem Wert sind. ber Art. 2 ZP-EU-Rhbk kÇnnen alsdann Informationen Åber bestimmte Bankgeschfte eines bestimmten Bankkontos in einem bestimmten Zeitraum erlangt werden. Dabei ist gem. Art. 6 ZP-EU-Rhbk kein neues Ersuchen erforderlich. Art. 3 ZP-EU-Rhbk hingegen ist prventiv ausgerichtet hinsichtlich der berwachung zukÅnftiger Bankgeschfte. Erforderlich 1 BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365. 2 Vgl. auch die Kontenabfrage nach der EEA unter Rz. 9.211. 3 Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, ZP-Eu-Rhbk S. 1273, Rz. 1 ff.; vgl. auch Erluternder Bericht, ABl. EG Nr. C 257 v. 24.10.2002, 1.
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ist stets ein konkreter Anlass. Sog. Ausforschungsersuchen oder „fishing expeditions“ sind wie im nationalen Recht untersagt.1 Ein Rechtshilfeersuchen darf gem. Art. 7 ZP-EU-Rhbk nicht wegen eines evtl. bestehenden Bankgeheimnisses abgelehnt werden. 4. Ersuchen um Durchsuchung/Beschlagnahme/Herausgabe Ausgehende Ersuchen um Durchsuchung und Beschlagnahme stehen wegen der besonderen Eingriffsintensitt in der Regel unter dem Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit.2 Einem Rechtshilfeersuchen in die Schweiz wegen bloßer Steuerhinterziehung wÅrde nicht entsprochen.
9.127
Ausgehende Ersuchen um Durchsuchung, Beschlagnahme und Herausgabe mÅssen nach Nr. 114 RiVASt enthalten: – die ersuchende Stelle, – Gegenstand und Grund nebst Sachverhaltsdarstellung, – die Person und die Durchsuchungsorte und – die Bezeichnung der strafbare Handlung.
9.128
Die aufzufindenden Gegenstnde sind, genau wie bei innerstaatlichen DurchsuchungsbeschlÅssen, so konkret wie mÇglich zu bezeichnen. Im Steuerstrafrecht ist insofern stets auf die betroffenen Steuern und Zeitrume zu achten. Mitunter reicht eine zusammenfassende Sachverhaltsschilderung nicht, sondern es ist zustzlich eine BeweiswÅrdigung unter Benennung des konkreten Beweismittels erforderlich.3 Die nach innerstaatlichem Recht zuvor ergangenen Durchsuchungs- und BeschlagnahmebeschlÅsse sind beizufÅgen. FÅr diese gelten die allgemeinen Voraussetzungen.
9.129
Nach Art. 1 Abs. 5 und 2 Abs. 4 ZP-EuRhÅbk kÇnnen die Mitlgliedsstaaten die Erledigung von Auskunftsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschften von den gleichen Bedingungen abhngig machen, die fÅr Ersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme gelten. Bei Auskunftsersuchen zu Bankgeschften bietet es sich daher an, diesbezÅgliche BeschlagnahmebeschlÅsse beizufÅgen. Oftmals ist nach dem Recht des ersuchten Staates eine formelle Beschlagnahmeanordnung erforderlich.
9.130
FÅr gespeicherte Daten ist ebenfalls ein Beschlagnahmebeschluss nach §§ 94, 98 StPO erforderlich. Dieser ist auch ausreichend, wenn diese vom Durchsuchungsort rumlich getrennt sind, sich also auf Servern befinden. Die Durchsicht eines elektronischen Speichermediums am Durch-
9.131
1 Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, Art. 1 ZP-EU-Rhbk Rz. 16; vgl. auch Erluternder Bericht ABl. EG Nr. C 257 v. 24.10.2002, 1. 2 Vgl. auch Nr. 114 RiVASt; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 144. Vgl. auch Art. 5 EuRhbk und Art. 51 SD. 3 Zu den Besonderheiten im Hinblick auf ausgehende Ersuchen in die USA vgl. Bischoff in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 94.
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suchungsort darf im Falle eines drohenden Datenverlustes auch auf rumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von dem Speichermedium aus zugegriffen werden kann, erstreckt werden (§ 110 Abs. 3 StPO).1 Ein drohender Datenverlust ergibt sich regelmßig bereits daraus, dass der Betroffene mit Vollzug der Maßnahme um das Verfahren weiß und es ein Leichtes wre, die Daten zu lÇschen. 5. berwachung der Telekommunikation
9.132 In strafprozessualer Hinsicht ist neben den allgemeinen Ermittlungsmaßnahmen in Fllen der organisierten Umsatzsteuerhinterziehung2 die MÇglichkeit der berwachung der Telekommunikation zu erwhnen.3 Ausgehende Ersuchen um berwachung der Telekommunikation sind an die gleichen Voraussetzungen geknÅpft, wie eine berwachung der Telekommunikation im Inland. Ein Rechtshilfeersuchen mit dem Ziel der DurchfÅhrung einer TelefonÅberwachung im Ausland darf nur dann gestellt werden, wenn der Verdacht einer Katalogtat i.S. des § 100a StPO gegeben ist. Es bedarf in jedem Fall eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses. Dies gilt nur dann nicht, wenn Bestandsdaten, etwa aus vorhergegangenen, abgeschlossenen oder gerade durchgefÅhrten Maßnahmen der auslndischen BehÇrden Åbersandt werden sollen.4
9.133 In folgenden Fllen kommt gem. § 100a Abs. 2 Nr. 2 StPO die Anordnung der berwachung der Telekommunikation in Betracht:5 – bandenmßige Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO; – gewerbsmßiger, gewaltsamer und bandenmßiger Schmuggel nach § 373 AO; – Steuerhehlerei im Falle des § 374 Abs. 2 AO. – DafÅr mÅssen neben einem Anfangsverdacht einer schweren Straftat gem. § 100a Abs. 1 die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfÅllt sein: – Die Tat muss auch im Einzelfall schwer wiegen.
1 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 94 StPO Rz. 4, 16; zum direkten Zugriff auf auslndische Server vgl. Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, 196. 2 Etwa die Rasterfahndung nach § 98a Abs. 1 Nr. 5-6 StPO; akustische WohnraumÅberwachung gem. § 100f StPO; Erhebung von Verkehrsdaten gem. § 100g StPO; Standortermittlung von mobilen Endgerten gem. § 100i StPO. 3 Zum Ganzen Kramer, NJW 2014, 1561; Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27 Rz. 75, 139. 4 Vgl. Art. 39 SD, Nr. 124 Abs. 2, Abs. 3 RiVASt. 5 Vgl. auch das Gesetz zur Neuregelung der TelekommunikationsÅberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zu Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, BT Drucks. 16/5846, wo insbesondere die effektive Bekmpfung von Umsatzsteuerkarussellen als Ziel genannt wird, a.a.O. S. 42; vgl. zum Ganzen auch Wulf, wistra 2008, 323; Tsambikakis/Putzke in Flore/Tsambikakis, § 385 AO Rz. 82 ff.
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C. Ausgehende Rechtshilfe
– Die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten muss auf anderen Weise wesentlich erschwert oder aussichtlos sein. – Bei einer einfachen Steuerhinterziehung ist die berwachung der Telekommunikation grundstzlich nicht mÇglich. Eine Anordnung kommt jedoch ggf. in Betracht, wenn zugleich weitere schwere (Katalog-)Straftaten mitverwirklicht werden oder deren Verwirklichung unterstellt wird, wie etwa Geldwsche (§ 261 StGB).1 In den Fllen der bandenmßigen Umsatzsteuerhinterziehung mÅssen besondere, zum Regelbeispiel hinzutretende Umstnde oder ErschwernisgrÅnde vorliegen, die die Annahme einer schweren Straftat rechtfertigen. Auch die Verursachung hoher Schden reicht allein noch nicht aus, da dies eine typische Begleiterscheinung ist. Das Verhltnis zu den Åbrigen Katalogtaten muss gewahrt bleiben. Eine Anordnung kommt jedoch insbesondere vor dem Hintergrund der gesetzlichen Intention in Betracht, wenn es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt, in besonders dreistem Maße das System der Umsatzbesteuerung ausgenutzt wird, internationale Verflechtungen2 bestehen oder die Tat insgesamt in die Nhe zur organisierten Kriminalitt rÅckt.
9.134
Die erlangte Daten dÅrfen nach § 161 Abs. 2 StPO wegen jeder Katalogtat verwendet werden, hinsichtlich derer eine Anordnung htte getroffen werden kÇnnen. Zufallsfunde dÅrfen mithin in einem Steuerstrafverfahren nur insoweit verwendet werden, wie auch wegen dieser die berwachung im konkreten Fall zulssig gewesen wre. Problematisch ist indes der Fall, wenn die Daten in Verfahren wegen einfacher Steuerhinterziehung Verwendung finden sollen.
9.135
Beispiel: Aus der gegen u.a. gegen A gefÅhrten TelekommunikationsÅberwachung anlsslich eines Mordfalls ergibt sich, dass dieser SchwarzeinkÅnfte handwerklicher Ttigkeit nicht der Besteuerung unterworfen hat. Der Verdacht des Mordes gegen A findet keine Besttigung.
Die herrschende Auffassung bejaht eine Verwertbarkeit3 und verweist unter anderem auf die BegrÅndung zu § 477 Abs. 2 StPO, wonach der Verwendung und Weitergabe von TK-Daten kein Verbot der Weitergabe entgegensteht.4 Gegen eine Weitergabe und Verwendung werden insbesondere Bedenken hinsichtlich womÇglicher missbruchlicher Anordnung bei „Vorschieben von Katalogtaten“ eingewandt.5 Trotz aller Bedenken 1 Zur Frage der Verwertbarkeit im Rahmen der sog. Zusammenhangrechtsprechung vgl. BGH v. 11.12.1990 – 1 StR 571/90, wistra 1991, 146; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 100a StPO Rz. 35; Kramer, NJW 2014, 1561. 2 BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 425. 3 Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt57, § 100a Rz. 32 m.w.N.; Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27 Rz. 144. 4 BT-Drucks. 16/5846, 66. 5 Wulf, wistra 2008, 326.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
gelten jedoch die AusfÅhrungen des BVerfG zur Frage der Verwertbarkeit auch bei rechtswidrig erlangten Daten. Sprechen auch gute GrÅnde gegen eine Verwendung und fÅr ein Verwertungsverbot, sieht die Realitt freilich anders aus.
9.137 Vertragliche Regelungen zur grenzÅberschreitenden berwachung des Telefonverkehrs sind selten.1 Die Zulssigkeitsvoraussetzungen ergeben sich innerhalb der Europischen Union aus dem Eu-Rhbk.2 Sind die Regelungen der §§ 100a, 100b Abs. 3 StPO i.V.m. § 110 TKG und § 4 TKV (AuslandskopfÅberwachung und berwachung von aus dem Ausland ins Inland eingehenden Gesprchen) nicht einschlgig, kommt nur ein Rechtshilfeersuchen in Betracht.3 ZukÅnftig wird auch die berwachung des Fernmeldeverkehrs im Wege der Europischen Ermittlungsanordnung (EEA) mÇglich sein (vgl. Rz. 9.185). Die EEA hat gem. Art. 30 Abs. 1 folgende Angaben zu enthalten: – Angaben, die zum Zwecke der Identifizierung der Zielperson der berwachung erforderlich sind, – die gewÅnschte Dauer der berwachung und – ausreichende technische Daten, insbesondere die Zielkennung, damit gewhrleistet wird, dass die EEA vollstreckt werden kann.
9.138 Zustzlich zu den in Art. 11 EEA genannten VersagungsgrÅnden kann die Vollstreckung einer EEA versagt werden, wenn die Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt wÅrde. Der Vollstreckungsstaat kann seine Zustimmung von der ErfÅllung jeglicher Bedingungen abhngig machen, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zu erfÅllen wren. Die Vollstreckung selbst kann durch unmittelbare bertragung oder berwachung und Aufzeichnung erfolgen (Art. 30 Abs. 6 EEA).
9.139 Eingehende Ersuchen um DurchfÅhrung einer berwachung des Telekommunikationsverkehrs kÇnnen sowohl vertraglos (§ 59 Abs. 1 IRG) als auch auf der Grundlage einer vÇlkerrechtlichen Vereinbarung nach § 1 Abs. 3 IRG erledigt werden. Zulssig ist die berwachung des Telekommunikationsverkehrs gem. § 77 IRG nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen der StPO (§§ 100a, 100b, 101). Es gelten insoweit die allgemeinen Grundstze und Voraussetzungen fÅr die Anordnung einer TelefonÅberwachung. In der Regel sichert die auslndische BehÇrde dabei zu, dass: – die Voraussetzungen der TelefonÅberwachung vorlgen, wenn diese im ersuchenden Staat durchgefÅhrt werden mÅsste,
1 Vgl. jedoch Art. 17-23 Eu-Rhbk; Art. 20 VN-OK-bk. 2 Vgl. Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, Art. 18 EU-Rhbk Rz. 1 ff. 3 Br in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 27 Rz. 141.
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C. Ausgehende Rechtshilfe
– die gewonnenen Erkenntnisse nur zur Aufklrung der in dem Ersuchen genannten Straftat(en) verwendet werden und – die berwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind. Ausgehende Ersuchen um berwachung der Telekommunikation sind zunchst an die gleichen Voraussetzungen geknÅpft wie eine berwachung im Inland. Ein Rechtshilfeersuchen mit dem Ziel der DurchfÅhrung einer TelefonÅberwachung im Ausland darf nur dann gestellt werden, wenn der Verdacht einer Katalogtat i.S. des § 100a StPO gegeben ist.1 FÅr die Steuerhinterziehung kommt dies nur bei besonderes schweren Fllen gem. § 370 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 AO, bei gewerbs- oder bandenmßigem Schmuggel gem. § 373 AO oder sowie gewerbsmßiger und bandenmßiger Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 2 AO in Betracht.
9.140
Es bedarf in jedem Fall eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses. Dies gilt nur dann nicht, wenn Bestandsdaten, etwa aus vorhergegangenen, abgeschlossenen oder gerade durchgefÅhrten Maßnahmen der auslndischen BehÇrden Åbersandt werden sollen.2 Das ausgehende Ersuchen soll ferner entsprechend. Art. 17 Eu-Rhbk folgende Punkte enthalten: – die Angabe der BehÇrde, die das Ersuchen stellt; – eine subsumtionsfhige Sachverhaltsdarstellung; – eine Besttigung, dass eine rechtmßige berwachungsanordnung im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Ermittlung erlassen wurde (es empfiehlt sich stets, einen entsprechenden Beschluss in beglaubigter Ablichtung beizufÅgen); – Angaben zum Zweck der Identifizierung der Zielperson; – eine Angabe des strafbaren Verhaltens, das der Ermittlung zugrunde liegt; – die gewÅnschte Dauer der berwachung und – nach MÇglichkeit ausreichende technische Daten, insbesondere die Netzanschlussnummer; – eine Versicherung, dass die Erkenntnisse nur fÅr die im Ersuchen benannten Straftaten verwendet werden; – eine Versicherung, dass die berwachungsprotokolle vernichtet werden, sobald diese nicht mehr benÇtigt werden; – eine Versicherung, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung entsprechend § 100a Abs. 4 StPO gewahrt wird.
9.141
Obige AusfÅhrungen gelten sinngemß fÅr den Einsatz sonstiger technischer Gerte. Die generelle Frage der Verwertung wurde in Art. 18 nicht geregelt.3 Beweisverwertungsverbote kÇnnen indes aus einer etwaigen Bedingung des ersuchten Staates nach Art. 18 Abs. 5b und Art. 18 Abs. 6
9.142
1 Hierzu auch Kramer, NJW 2014, 1561. 2 Vgl. Art. 39 SD, Nr. 124 Abs. 2, Abs. 3 RiVASt. 3 Gleß/Schomburg in S/L/G/H5, Art. 18 EU-Rhbk Rz. 1 ff.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
Satz 2 Eu-Rhbk oder aus der Fortsetzung der berwachung nach Art. 20 Eu-Rhbk folgen. Auch die EEA trifft hierzu keine Aussage. 6. Sonstige grenzÅberschreitende Maßnahmen
9.143 Eine grenzÅberschreitende Observation ist nur in den in Art. 40 Abs. 7 SD genannten Fllen mÇglich.1 Die Steuerhinterziehung ist hiervon nicht umfasst. Hiervon zu unterscheiden ist die grenzÅberschreitende Nacheile, etwa im Rahmen von Grenzkontrollen oder Fllen des Schmuggels.
9.144 Der Einsatz verdeckter Ermittler (§ 110a StPO) kommt nach hier vertretener Ansicht allenfalls in den Fllen von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 und § 373 AO sowie § 373 AO in Betracht (vgl. § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO).2 Es muss sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln, sodass eine Anwendung wohl nur im Falle organisierter Umsatzsteuerkarusselle und schwerer bandenmßiger Steuerhinterziehung in Betracht kommt. Es gelten die allgemeinen Voraussetzungen. Teilweise Ermchtigungen oder Anhaltspunkte fÅr den grenzÅberschreitenden Einsatz verdeckter Ermittler enthalten Art. 14 EU-Rhbk, Art. 19 2. ZP-EuRhbk, Art. 17 CHPolV, Art. 23 Neapel II; Art. 20 VN-OK-bk.3 Eine tragfhige, inhaltlich ausgestaltete Rechtsgrundlage, die Åber die bloße ErÇffnung der MÇglichkeit zum Einsatz verdeckter Ermittler hinausgeht, besteht indes nicht. 7. Anwesenheit deutscher Beamter im Ausland
9.145 Deutsche Ermittlungsbeamte (Steuerfahnder, Staatsanwlte) und Richter dÅrfen im Ausland keine Amtshandlungen vornehmen.4 Es besteht jedoch die MÇglichkeit, bei Amtshandlungen im Ausland mit Genehmigung des jeweiligen auslndischen Staates anwesend sein. Die Teilnahme einer deutschen Richterin oder Beamtin oder eines deutschen Richters oder Beamten an Amtshandlungen im Ausland bedarf der Genehmigung, die in
1 Mord, Totschlag, schwere Straftat sexueller Natur, vorstzliche Brandstiftung, Flschung und Verflschung von Zahlungsmitteln, schwerer Diebstahl, Hehlerei und Raub, Erpressung, EntfÅhrung und Geiselnahme, Menschenhandel, unerlaubter Verkehr mit Betubungsmitteln, Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften Åber Waffen und Sprengstoffe, Vernichtung durch Sprengstoffe, unerlaubter Verkehr mit giftigen und schdlichen Abfllen, schwerer Betrug, Schleuserkriminalitt, Geldwsche, illegaler Handel mit nuklearem und radioaktivem Material, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung i.S. der Gemeinsamen Maßnahme 98/733/JI des Rates v. 21.12.1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europischen Union, terroristische Straftaten i.S. des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates v. 13.6.2002 Åber die Bekmpfung des Terrorismus. Zum Ganzen vgl. Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, 214. 2 Kritisch Lagodny in S/L/G/H5, § 59 IRG Rz. 61a ff. 3 Zum Ganzen auch Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, 219. 4 Vgl. auch Nr. 140, 142 RiVASt.
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der Regel nur bei besonderen, schwerwiegenden Fllen erteilt wird. Der Sinn und Zweck besteht darin, die Souvernitt des ersuchten Staates zu wahren, und wohl auch darin, einem Dienstreisetourismus entgegenzuwirken. Gleichwohl sollte in geeigneten Fllen, wie sonst auch1, persÇnlich an den Ermittlungshandlungen teilgenommen werden. Zwar beschrnkt sich die Teilnahme in der Regel auf die bloße Anwesenheit; mit Einverstndnis des Betroffenen besteht jedoch die MÇglichkeit, die Maßnahme aufgrund der Sach- und Verfahrenskunde des anwesenden deutschen Ermittlungsbeamten abzukÅrzen und so den Eingriff mÇglichst gering zu halten. Die Fertigung eigener Protokolle und Vermerke ist zulssig. In jedem Fall ist aber die gebotene ZurÅckhaltung zu Åben und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich um eine originre auslndische Maßnahme handelt. Hingegen kÇnnen im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen nach Art. 13 Eu-Rhbk deutsche Ermittlungsbeamte in einem anderen Mitgliedstaat mit der DurchfÅhrung von Ermittlungshandlungen unmittelbar betraut werden. Die grenzÅberschreitende Nacheile nach Art. 41 SD ist fÅr Steuerfahndungsbeamte nicht mÇglich.
9.146
D. Schwedische Initiative I. EinfÅhrung Die sog. Schwedische Initiative geht zurÅck auf den Rahmenbeschluss 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union (RbDatA).2 Der Rahmenbeschluss fand seine Umsetzung in § 92 IRG, den §§ 117a, 1 Nr. 3 RiStBV sieht ausdrÅcklich persÇnliche Ermittlungen in bedeutsamen oder rechtlich oder tatschlich schwierigen Fllen vor und auch im Internationalen Steuerstrafrecht ist der persÇnliche Eindruck durch nichts zu ersetzen. 2 Rahmenbeschluss 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89 und ABl. EU Nr. L 75 v. 15.3.2007, 26). Umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566-1576, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden der Lnder zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union“ (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steuerfahndung v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355; ZÇller, ZIS 2011, 64; BTDrucks. 17/5096.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
117b AO1 und weiteren Vorschriften2, was die Bereitstellung von Informationen an Mitgliedsstaaten bei sog. eingehenden Ersuchen betrifft. Die in dem Rahmenbeschluss niedergelegten Anforderungen gelten jedoch auch fÅr ausgehende Ersuchen inlndischer BehÇrden. Rechtsgrundlage fÅr die bermittlung ist in diesen Fllen die gleichlautende auslndische Vorschrift, ebenfalls basierend auf dem RbDatA.
9.148 Der auf eine Initiative Schwedens zurÅckgehende Rahmenbeschluss ist der erste vom Rat verabschiedete Rechtsakt zur Umsetzung des sogenannten Grundsatzes der VerfÅgbarkeit. Der Grundsatz der VerfÅgbarkeit besagt, dass unionsweit Strafverfolgungsbeamte und -beamtinnen in einem Mitgliedstaat, die fÅr die ErfÅllung ihrer Aufgaben Informationen benÇtigen, diese aus einem anderen Mitgliedstaat erhalten kÇnnen und dass die StrafverfolgungsbehÇrde in dem anderen Mitgliedstaat, die Åber diese Informationen verfÅgt, sie – unter BerÅcksichtigung des Erfordernisses in diesem Staat anhngiger Ermittlungen – fÅr den erklrten Zweck bereitstellt.3 Grundstzlich soll es keinen Unterschied mehr zwischen innerstaatlichen und europischen StrafverfolgungsbehÇrden machen, wenn es darum geht, bei den StrafverfolgungsbehÇrden vorhandene oder verfÅgbare Informationen zur VerfÅgung zu stellen.4
9.149 Der Rahmenbeschluss lsst gegenwrtige oder zukÅnftige, in diesem Fall aber nicht entgegenstehende, bilaterale oder multilaterale bereinkÅnfte und Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittlndern und die Rechtsakte der Europischen Union Åber die Rechtshilfe oder die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen5 und Steuersachen als auch die bilateralen und multilateralen Vereinbarungen zur Amtshilfe in Steuersachen unberÅhrt.6 Dazu zhlen auch alle von Drittlndern festgelegten Bedingungen zur Verwendung der von ihnen Åber-
1 Zur Kritik an der Neuregelung vgl. Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 17/5096, 35. 2 § 14a BKAG, §§ 32a, 33a BPolG; §§ 34a, 35a ZFdG; §§ 11a, 11b ZVG; § 6a SchwarzArbG. 3 Vgl. auch den sog. PrÅm-Beschluss: Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung der Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekmpfung des Terrorismus und der grenzÅberschreitenden Kriminalitt, ABl. EU Nr. L 210 v. 6.8.2008, 1, und Beschluss 2008/616/JI des Rates v. 23.6.2008 zur DurchfÅhrung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzÅberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekmpfung des Terrorismus und der grenzÅberschreitenden Kriminalitt, ABl. EU Nr. L 210 v. 6.8.2008, 12. 4 BT-Drucks. 17/5096, 14. 5 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 _ S 1320 – 66/06, BStBl. I 2006, 689. 6 Vgl. auch Art. 11 Ziff. 3., 4. des Rahmenbeschlusses 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89 und ABl. EU Nr. L 75 v. 15.3.2007, 26; gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 539 Tz. 4.
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mittelten Informationen.1 Praktischer Vorteil auf den Rahmenbeschluss gestÅtzter Ersuchen ist die schnellere Informationsgewinnung, angesichts der im Rahmenbeschluss geregelten Fristen. Der Sinn und Zweck des Rahmenbeschlusses ist darin zu sehen, den StrafverfolgungsbehÇrden in den einzelnen Lndern der Europischen Union die (rechtliche) MÇglichkeit zu geben, vorhandene Informationen wie nationale BehÇrden untereinander schnell und unmittelbar austauschen zu kÇnnen, wie dies zum Teil bereits lokal praktiziert wurde.2
9.150
Auch fiskalische GrÅnde spielten bei der nderung von §§ 117a, 117b AO eine Rolle, denn ausweislich der GesetzesbegrÅndung war es auch das Ziel, eine Beschleunigung des innereuropischen Informationsaustausches insbesondere zur Aufdeckung und Ermittlung von unbekannten Steuerfllen zu erreichen.3
9.151
Die Oberfinanzdirektionen der Lnder haben in 2013 eine einheitliche Handhabung festgelegt.4
9.152
Der Rahmenbeschluss verpflichtet nicht dazu, Informationen oder Erkenntnisse in dem Mitgliedstaat, der das Ersuchen um Bereitstellung von Informationen oder Erkenntnissen entgegennimmt, durch Zwangsmaßnahmen im Sinne des nationalen Rechts zu erlangen.
9.153
Die „zustndige StrafverfolgungsbehÇrde“ i.S. des Rahmenbeschlusses ist jede nationale Polizei-, Zoll oder sonstige BehÇrde, die nach nationalem Recht befugt ist, Straftaten oder kriminelle Aktivitten aufzudecken, zu verhÅten und aufzuklren und in Verbindung mit diesen Ttigkeiten Çffentliche Gewalt auszuÅben und Zwangsmaßnahmen zu ergreifen.5 In Deutschland sind dies auch die mit der Steuerfahndung betrauten Dienst-
9.154
1 Vgl. Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen vom 25.5.2012 – IV B 6 – S 1320/07/10004 -, BStBl. I 2012, 599. 2 Im Bereich der sog. Euregio existiert die euregionale polizeiliche Verbindungsstelle „EPICC“ (Euregio-Police-Info-Cooperation-Center) mit Sitz in Heerlen, wo deutsche, niederlndische und belgische Beamte sich einen runden Schreibtisch teilen. Daneben besteht die Niederlndisch-Belgisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft der Polizei (NeBeDeAgPol) 3 BT-Drucks. 17/5096, 18. 4 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden der Lnder zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union“ (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steuerfahndung v. 28.1.2014, BStBl. I 538. 5 Art. 2 Buchst. a des Rahmenbeschlusses 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89.
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stellen der LandesfinanzbehÇrden und die Polizei, nicht aber die Strafund Bußgeldsachenstellen und Staatsanwaltschaften, Gerichte oder Nachrichtendienste. Diese kÇnnen jedoch die Steuerfahndung oder die Polizei mit den entsprechenden Aufgaben betrauen.
9.155 Ersuchen kÇnnen sowohl aus GrÅnden der Aufklrung begangener Straftaten (§§ 117a, 117b, 385 Abs. 1 AO, 163 Abs. 1 Satz 2 StPO repressiver Bereich)1 als auch aus prventiven GrÅnden (§ 117a AO) gestellt werden. In diesem Fall mÅssen konkrete Anhaltspunkte dafÅr vorliegen, dass die bermittlung dieser personenbezogenen Daten dazu beitragen kÇnnte, eine solche Straftat zu verhindern (§ 117a Abs. 3 AO). Auch im Rahmen von Vorermittlungen ist ein Ersuchen zulssig.2
9.156 Es kÇnnen alle Informationen und/oder Erkenntnisse erbeten werden, auf welche die ersuchte auslndische StrafverfolgungsbehÇrde unmittelbar selbst oder mittelbar Åber Dritte Zugriff hat. Die bermittlungspflicht gilt indes nur fÅr vorhandene Informationen/Erkenntnisse. FÅr eingehende Ersuchen wird davon ausgegangen, dass vorhanden diejenigen Daten sind, aus dem Çrtlichen Zustndigkeitsbereich der ersuchten Dienststelle, die sich aus dort liegenden Papierakten oder elektronischen Datenbestnden (direkter Onlinezugriff) ergeben.3
9.157 Die ersuchte BehÇrde ist zur Vornahme weiterer Ermittlungen nicht verpflichtet, kann dies nach Auffassung der obersten FinanzbehÇrden aber freiwillig tun, etwa in Form v. Ortsbesichtigungen zur Abklrung eines Wohnsitzes/Geschftsanschrift oder Zeugenbefragungen, soweit Zwangsmaßnahmen4 nicht erforderlich sind (§ 117a Abs. 6 Nr. 1 AO, § 92 Abs. 4 Nr. 1 IRG).5 Hierbei gilt es jedoch, den Verhltnismßigkeitsgrundsatz zu berÅcksichtigen. Was unter einer Zwangsmaßnahme zu verstehen ist, richtet sich ausschließlich nach innerstaatlichem Recht.6
1 Vgl. Nr. 124 Abs. 3 Buchst. a RiVASt. 2 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 6.3. 3 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541, Tz. 7.2. 4 Kritisch zum Begriff der Zwangsmaßnahmen als zu unscharf gefasst vgl. die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 17/5096, 33. 5 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.2.; wobei jedoch dem RbData folgend es zulssig sein soll, wenn die Mitgliedsstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts Informationen oder Erkenntnisse zur VerfÅgung stellen, die zuvor durch Zwangsmaßnahmen erlangt wurden, vgl. Art. 1 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2006/960 JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89, 90. 6 BT-Drucks. 17/5096, 15.
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II. Eingehende Ersuchen Die einschlgigen Rechtsgrundlagen fÅr eingehende Ersuchen sind fÅr die Finanzverwaltung §§ 117a, 117b AO bzw. fÅr die PolizeibehÇrden §§ 92, 92a IRG.
9.158
1. Inhaltliche Anforderungen Die bermittlung personenbezogener1 Daten bei eingehenden Ersuchen ist nur zulssig, wenn das Ersuchen mindestens die inhaltsgleich in § 92 IRG (strafrechtlicher Bereich) und § 117a Abs. 2 AO (prventiver Bereich) aufgefÅhrten Pflichtangaben enthlt: – die Bezeichnung und die Anschrift der ersuchenden BehÇrde, – die Bezeichnung der Straftat, zu deren VerhÅtung die Daten benÇtigt werden, – die Beschreibung des Sachverhalts, der dem Ersuchen zugrunde liegt, – die Benennung des Zwecks, zu dem die Daten erbeten werden
9.159
Damit sollen ausweislich der GesetzesbegrÅndung sog. fishing expeditions verhindert werden, bei denen allgemein um Auskunft zu einer bestimmten Person ersucht wird, ohne dass konkrete Verdachtsmomente zur Begehung einer Straftat vorliegen.2 Folgende Angaben sind zwingend erforderlich: – der Zusammenhang zwischen dem Zweck, zu dem die Informationen oder Erkenntnisse erbeten werden, und der Person, auf die sich diese Informationen beziehen, – Einzelheiten zur Identitt der betroffenen Person, sofern sich das Ersuchen auf eine bekannte Person bezieht, und – GrÅnde fÅr die Annahme, dass sachdienliche Informationen und Erkenntnisse im Inland vorliegen.
9.160
Der Zweck, zu welchem die Informationen oder Erkenntnisse erbeten werden, ist zwingend und hinreichend anzugeben. Denn auf dieser Grundlage beurteilt die ersuchte BehÇrde im Hinblick auf § 30 AO nach dem sog. Inlandstandard, ob die erbetenen Informationen erteilt werden kÇnnen, d.h. in einem vergleichbaren deutschen Verfahren einer anderen deutschen StrafverfolgungsbehÇrde Åbermittelt werden kÇnnten.
9.161
berdies bilden die Angaben zum beabsichtigten Verwendungszweck den Rahmen, innerhalb dessen die ersuchende BehÇrde die Åbermittelten Informationen verwenden und ggf. auch direkt als Beweismittel im Besteuerungs- und im Strafverfahren verwenden darf. Die ersuchte BehÇrde hingegen kann in ihrem Antwortschreiben den Verwertungsumfang der Åber-
9.162
1 Nicht personenbezogenen Anfragen wÅrde nicht entsprochen, z.B. Sachverhaltsausforschung ohne konkreten Personenbezug. 2 BT-Drucks. 17/5096, 16.
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mittelten Informationen ausdrÅcklich bestimmen. Gleiches gilt fÅr ausgehende Ersuchen auf Grundlage des Rahmenbeschlusses. 2. Fristen
9.163 Der Rahmenbeschluss sieht fÅr die Erledigung des Ersuchens unterschiedlich lange Fristen vor, je nach Dringlichkeit.1 Die Frist betrgt: – 8 Stunden bei – dringenden Ersuchen – Katalogstraftaten, – wenn die Information unmittelbar verfÅgbar ist; – 1 Woche bei – nicht dringende Ersuchen – Katalogstraftaten, – wenn die Information unmittelbar verfÅgbar ist; – 2 Wochen – Åbrige Flle. KÇnnen die benannten Fristen nicht eingehalten werden, sind die GrÅnde hierfÅr anzufÅhren. 3. ZurÅckhaltung von Informationen oder Erkenntnissen
9.164 Die zustndige inlndische StrafverfolgungsbehÇrde darf die ZurverfÅgungstellung von Informationen oder Erkenntnissen gem. § 117a Abs. 5 AO nur verweigern, wenn konkrete GrÅnde fÅr die Annahme bestehen, dass die ZurverfÅgungstellung der Informationen oder Erkenntnisse – wesentliche nationale Sicherheitsinteressen des ersuchten Mitgliedstaats beeintrchtigen wÅrde oder – den Erfolg laufender Ermittlungen oder eines laufenden polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahrens oder die Sicherheit von Personen gefhrden wÅrde oder – eindeutig in keinem Verhltnis zu den Zwecken, fÅr die um sie nachgesucht wurde, stehen wÅrde oder fÅr diese Zwecke irrelevant ist.2
9.165 Die DatenÅbermittlung nach § 117a Abs. 1 und 3 AO unterbleibt gem. § 117a Abs. 5 Nr. 1–4 AO zwingend, wenn – hierdurch wesentliche Sicherheitsinteressen des Bundes oder der Lnder beeintrchtigt wÅrden, – die bermittlung der Daten zu den in Art. 6 des Vertrages Åber die Europische Union enthaltenen Grundstzen in Widerspruch stÅnde, 1 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.4. 2 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.1.
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– die zu Åbermittelnden Daten bei der ersuchten BehÇrde nicht vorhanden sind und nur durch das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden kÇnnen oder – die bermittlung der Daten unverhltnismßig wre oder die Daten fÅr die Zwecke, fÅr die sie Åbermittelt werden sollen, nicht erforderlich sind.1 Die DatenÅbermittlung kann nach § 117a Abs. 6 AO unterbleiben, wenn – die zu Åbermittelnden Daten bei den mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der FinanzbehÇrden nicht vorhanden sind, jedoch ohne das Ergreifen von Zwangsmaßnahmen erlangt werden kÇnnen, – hierdurch der Erfolg laufender Ermittlungen oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person gefhrdet wÅrde oder – die Tat, zu deren VerhÅtung die Daten Åbermittelt werden sollen, nach deutschem Recht mit einer Freiheitsstrafe von im HÇchstmaß einem Jahr oder weniger bedroht ist.2
9.166
Bezieht sich das Ersuchen auf eine strafbare Handlung, die nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder weniger bedroht ist, so kann die zustndige StrafverfolgungsbehÇrde die ZurverfÅgungstellung der erbetenen Informationen oder Erkenntnisse verweigern. Die zustndige StrafverfolgungsbehÇrde hat die ZurverfÅgungstellung von Informationen oder Erkenntnissen Åberdies zu verweigern, wenn die zustndige JustizbehÇrde den Zugang zu den erbetenen Informationen und den Austausch dieser Informationen gem. Art. 3 Abs. 4 RbDatA nicht genehmigt hat.
9.167
4. Verwendung der Daten Daten, die nach dem RbDatA an die mit der Steuerfahndung betrauten auslndischen Dienststellen der FinanzbehÇrden Åbermittelt worden sind, dÅrfen gem. § 117b AO nur fÅr die Zwecke, fÅr die sie Åbermittelt wurden, oder zur Abwehr einer gegenwrtigen und erheblichen Gefahr fÅr die Çffentliche Sicherheit verwendet werden. FÅr einen anderen Zweck oder als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren dÅrfen sie gem. § 117b Abs. 1 Satz 2 AO nur verwendet werden, wenn der Åbermittelnde Staat zugestimmt hat. Von dem Åbermittelnden Staat fÅr die Verwendung der Daten gestellte Bedingungen sind zu beachten. Die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der FinanzbehÇrden erteilen dem Åbermittelnden Staat auf dessen Ersuchen zu Zwecken der Datenschutzkontrolle Auskunft darÅber, wie die Åbermittelten Daten verwendet wurden (§ 117b Abs. 2 AO).
1 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.1. 2 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.1.
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9.169 Auch § 92 Abs. 2 IRG enthlt die Einschrnkung fÅr ausgehende Ersuchen, dass die Verwendung als Beweismittel in einem Gerichtsverfahren unzulssig ist, es sei denn, die zustndige BewilligungsbehÇrde hat ihre Zustimmung zur Verwendung als Beweismittel erteilt. Dies ist auch nachtrglich mÇglich. Die gleichen Anforderungen dÅrften fÅr ausgehende Ersuchen gelten.
III. SpontanauskÅnfte 9.170 Sowohl zum Zwecke der Strafverfolgung (§§ 92c, 61a Abs. 2 bis 4 IRG) als auch zur VerhÅtung von Straftaten (§§ 117a Abs. 3 AO) kann die Steuerfahndung Informationen und Erkenntnisse auch ohne Ersuchen an die auslndische StrafverfolgungsbehÇrde Åbermitteln. Nach dem sog. Inlandsstandard ist Voraussetzung in beiden Fllen, dass eine entsprechende Mitteilung im Rahmen von § 30 AO auch an eine inlndische StrafverfolgungsbehÇrde zulssig wre. Zudem muss es sich um eine Straftat aus dem Katalog zum Europischen Haftbefehl oder um eine gleichwertige Tat (z.B. Steuerhinterziehung) handeln.1
IV. Ausgehende Ersuchen 9.171 Die Steuerfahndung kann zur Erforschung der in ihre Zustndigkeit fallenden Straftaten smtliche BehÇrden gem. §§ 385 Abs. 1 AO, 163 Abs. 1 Satz 2 StPO um Auskunft ersuchen. ber den RbDatA gilt dies nunmehr auch fÅr auslndische BehÇrden der Europischen Union.
9.172 Hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen gilt fÅr ausgehende Ersuchen das zu eingehenden Ersuchen AusgefÅhrte. Auch bei ausgehenden Ersuchen besteht eine bermittlungspflicht nur fÅr vorhandene Informationen, wobei „kleinere Ermittlungen“ (z.B. Objektabklrung) unschdlich sein sollen, sofern keine Zwangsmaßnahmen damit verbunden sind.
9.173 In jedem Fall ist eine entsprechende Anfrage sprachlich przise und mÇglichst exakt abzufassen, insbesondere wenn dies in englischer Sprache geschieht.2 In keinem Fall darf es zu Åbereilten und oder sprachlich nicht korrekten Anfragen bzw. Antworten kommen. Unzulnglichkeiten in sprachlicher Hinsicht kÇnnen durchaus Zweifel an den erhaltenen AuskÅnften schÅren, etwa wenn die Frage missverstndlich, unklar, unprzise oder in sonstiger Weise zu beanstanden ist (Suggestivfragen, Alternativfragen, Fragen nach Werturteilen).
9.174 Der Zweck des Ersuchens ist anzugeben. Die ersuchte BehÇrde kann in ihrer Antwort die Reichweite der Verwendung bestimmen. Werden keine 1 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 6.4. 2 So auch Beyer, AO-2013, 351 (353).
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Angaben hierzu gemacht, kÇnnen die Informationen entsprechend dem angefragten Zweck verwendet werden.
V. Lnderspezifische Besonderheiten Der Rahmenbeschluss gilt im Verhltnis zu allen EU-Mitgliedsstaaten und fÅr die Schengen-assoziierten Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island.1 FÅr die Schweiz stellt der Rahmenbeschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands i.S. des Abkommens zwischen der Europischen Union, der Europischen Gemeinschaft und der Schweiz Åber die Assoziierung bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands dar, die in den in Art. 1 H des Beschlusses 1999/437/EG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/860/EG des Rates vom 25.10.2004 Åber die Unterzeichnung im Namen der Europischen Gemeinschaft und die vorlufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens und mit Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2004/849/ EG des Rates vom 25.10.2004 Åber die Unterzeichnung im Namen der Europischen Union und die vorlufige Anwendung einiger Bestimmungen dieses Abkommens genannten Bereich fallen.2
9.175
Als Straftaten, bei denen eine bermittlung von Informationen erfolgt, sind im hier interessierenden Zusammenhang Betrug (Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB-CH) Betrugsdelikte, inkl. Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften3 , Erschleichen einer Leistung, arglistige, VermÇgensschdigung, unwahre Angaben Åber kaufmnnische Gewerbe, unwahre Angaben gegenÅber HandelsregisterbehÇrden, Warenflschung, betrÅgerischer, Konkurs und Pfndungsbetrug, Leistungs- und Abgabebetrug gemß Bundesgesetz Åber das Verwaltungsstrafrecht und Urkundenflschung erfasst.
9.176
Aufgrund der in dem Rahmenbeschluss enthaltenen AblehnungsmÇglichkeiten ist auch weiterhin davon auszugehen, dass die Schweiz bei einer bloßen Steuerhinterziehung die Informationen nicht zur VerfÅgung stellen wird. Die Steuerhinterziehung stellt in der Schweiz lediglich eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat dar4 und der Rahmenbeschluss fin-
9.177
1 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 540 Tz. 3. 2 Vgl. auch Bundesgesetz v. 12.6.2009 Åber den Informationsaustausch zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten, BBl. 2009, 4493; vgl. auch http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/ data/sicherheit/polizeizusammenarbeit/schengen_dublin/191108-bot-schengenbesitzstand-d.pdf. 3 ABl. EG Nr. C 316 v. 27.11.1995, 49. 4 Vgl. auch http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/polizeizusammenarbeit/schengen_dublin/191108-bot-schengenbesitzstand-d.pdf S. 12 zu den Auswirkungen fÅr den Betrug bzw. die Geltung entsprechender Straftaten, insb. was den Steuerbetrug betrifft.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
det keine Anwendung auf Taten, die nach dem Recht des ersuchenden Staates lediglich Ordnungswidrigkeiten darstellen.1
9.178 Der rumliche Geltungsbereich fÅr Liechtenstein ergibt sich aus dem Protokoll v. 28.2.2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europischen Union, der Europischen Gemeinschaft und dem FÅrstentum Liechtenstein Åber den Beitritt des FÅrstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europischen und Union und der Europischen Gemeinschaft Åber die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen Besitzstandes2. Durch diese bernahme wird der Ermittlungsdruck neuerlich verschrft.3
VI. Problemfelder 9.179 Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative werden zukÅnftig fÅr nicht unerhebliche Probleme – vornehmlich im strafprozessualen Bereich – sorgen. Zunchst ist fraglich, wie die Validitt und Vollstndigkeit der Åbermittelten Informationen beurteilt werden kann. So reicht allein die nicht nher untermauerte Behauptung einer auslndischen BehÇrde nicht aus, bei einem Geschftspartner handele es sich um einen Scheinunternehmer, um die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen.4 Zu Recht ist daher zu fordern, dass die Auskunft fundiert zu sein hat und ggf. mit Beweismitteln zu unterlegen ist. In keinem Fall kann die bloße Behauptung einer auslndischen BehÇrde ausreichend sein.
9.180 Um eine Vermischung von polizeilichen mit justiziellen Kompetenzen zu vermeiden, enthlt der RbDatA klare Regelungen Åber die Verwendung der Åbermittelten Daten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Der Gesetzgeber hat zwar den durch die Umsetzung des RbDatA zu erwartenden grÇßeren Informationsaustausch mit einer erheblich erweiterten Zahl mÇglicher Empfnger erkannt und Erschwernisse bei der Kontrolle darÅber, was mit den weitergeleiteten Daten geschieht, gesehen. Eine allseits befriedende LÇsung wurde jedoch nicht gefunden. Den Staatsanwaltschaften und Gerichten wurde lediglich im Rahmen von § 92 IRG die MÇglichkeit gegeben, in Zweifelsfllen die Rechtmßigkeit des Datenaustauschs sowohl im innerstaatlichen als auch im grenzÅberschreitenden Bereich auf Veranlassung der jeweils zustndigen PolizeibehÇrde vorab zu ÅberprÅfen.5 In diesen Fllen soll die durch § 478 Abs. 1 Stze 1 und 2 StPO 1 Vgl. auch gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 539 Tz. 2. 2 SR 0.362.311. 3 Beyer, AO-StB 2013, 351. 4 Beyer, AO-StB 2013, 351 (352) unter Verweis auf FG MÅnster v. 5.2.2004 – 15 V 5805/03, DStRE 2004, 651. 5 BT-Drucks. 17/5096, 18.
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D. Schwedische Initiative
bestimmte Kompetenzverteilung eingreifen.1 Nicht klar ist aber, wann ein Zweifelsfall vorliegt bzw. ob eine Verpflichtung fÅr die StrafverfolgungsbehÇrden in diesen Fllen besteht. ber § 385 Abs. 1 AO gilt diese Einschrnkung auch fÅr die Steuerfahndung. Nicht unkritisch zu sehen ist auch, dass Anfragen auf Grundlage der Schwedischen Initiative unter Umgehung der besonderen FÇrmlichkeiten eines strafrechtlichen Rechtshilfeersuchens erfolgen und in erster Linie formlos per E-Mail erfolgen. Hier ist das Risiko zu sehen, dass die besonderen FÇrmlichkeiten eines Rechtshilfeersuchens umgangen werden, insbesondere was die sprachliche Abfassung und die sprachliche Genauigkeit des Ersuchens betrifft.2 Zudem entscheidet Åber das Ersuchen ein Sachbearbeiter der StrafverfolgungsbehÇrde, wohingegen ein fÇrmliches strafrechtliches Rechtshilfeersuchen von speziell geschulten, qualifizierten und befhigten Rechtshilfedezernenten der Staatsanwaltschaft abgefasst wird. Anders als bei der steuerlichen Amtshilfe erfolgt das Ersuchen durch eine StrafverfolgungsbehÇrde, und im Falle zureichender tatschlicher Anhaltspunkte kÇnnte sich fÅr die auslndische BehÇrde eine Veranlassung ergeben, ihrerseits dem Legalittsprinzip folgend ein Strafverfahren einzuleiten.
9.181
Bislang nicht geklrt ist, welche RechtsschutzmÇglichkeiten der Betroffene hat, etwa gegen „kleinere Ermittlungen“ im Ausland, z.B. wenn eine „Objektabklrung“ in eine Begehung der rtlichkeiten umschlgt. Im Inland wird bei eingehenden Ersuchen fraglich sein, ob solche „kleineren Ermittlungen“ noch vom Rahmenbeschluss gedeckt sind. Der RbDatA stellt ausdrÅcklich keine Verpflichtung zur Informationsgewinnung oder zur DurchfÅhrung von Ermittlungsmaßnahmen auf3, sondern dient allein der Umsetzung des Grundsatzes der VerfÅgbarkeit von Informationen. Mag man eine Ortsbegehung4 noch fÅr unproblematisch erachten, dÅrfte eine (fÇrmliche) Zeugenbefragung5 eine Umgehung der Rechtshilfe darstellen.
9.182
Der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Strafverfahren dÅrfte weniger berÅhrt sein, da dies ein Problem betrifft, was auch strafrechtlichen Rechtshilfeersuchen gemein ist. Im Zweifel sind die auslndischen Beamten zu laden oder im Wege der Videovernehmung (§ 247a StPO)6 zu vernehmen. Es gilt
9.183
1 BT-Drucks. 17/5096, 123. 2 Vgl. auch die Bedenken von Beyer, AO-StB 2013, 351 (353), der die Gewhrleistung eines hinreichenden Standards an Fremdsprachenkenntnissen fordert und die Gefahr ebenfalls in Åbereilten und sprachlich nicht korrekten Anfragen bzw. Antworten sieht; in diese Richtung auch Weßlau in SK4, § 478 StPO Rz. 12. 3 So auch ausdrÅcklich die GesetzesbegrÅndung, vgl. BT-Drucks. 17/5096, 15, 30. 4 Gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 540 Tz. 6.1. 5 FÅr die Zulssigkeit einer Zeugenbefragung wohl die gleich lautenden Erlasse der obersten FinanzbehÇrden v. 28.1.2014, BStBl. I 538, 541 Tz. 7.2. 6 Zum Ganzen vgl. BGH v. 15.9.1999 – 1 StR 286/99, NJW 1999, 3788; BGH v. 9.10.2007 – 5 StR 344/07, NStZ 2008, 232; BGH v. 28.1.2010 – 3 StR 274/09, NJW 2010, 2365, vgl. hierzu Rose, NStZ 2012, 18.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
der Grundsatz, dass es dem Beschuldigten weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen darf, dass ein Verfahren einen Auslandsbezug aufweist.
VII. Rechtsschutz 9.184 Eine Unterrichtungspflicht des Betroffenen im Vorhinein1 oder Nachhinein ist nicht vorgesehen.2 Ein einstweiliger Rechtsschutz ist davon abhngig, dass der Steuerpflichtige von dem Auskunftsvorhaben Kenntnis hat oder von dem Eingang eine entsprechenden Ersuchens erfhrt. Im prventiven Verfahren ist der Finanzrechtsweg zu beschreiten (§ 33 FGO). Im repressiven Verfahren ist der ordentliche Rechtsweg zu beschreiten (§ 13 GVG). Auch nach Vollzug der Maßnahme muss wegen der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine berprÅfung mÇglich sein, insbesondere was die Zulssigkeit und etwaige Verwertungsverbote betrifft.3
E. Europische Ermittlungsanordnung Literatur: Ahlbrecht, Die Europische Ermittlungsanordnung- oder: EU-Durchsuchung leicht gemacht, StV 2013, 114; BÇse, Der Grundsatz der VerfÅgbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europischen Union, 2007; BÇse, Die Europische Ermittlungsanordnung – Beweistransfer nach neuen Regeln?, ZIS 2014, 152; Kaufmann, Europische Staatsanwlte Åberall, DRiZ 2013, 390; Keller, Europa treibt zentrale Justiz-Projekte voran, DRiZ 2014, 86; Ruggeri, Beweisrechtshilfe und Grundrechtseingriffe am Beispiel des Richtlinienvorschlags einer europischen Ermittlungsanordnung (RlV EEA), ZStW 125 (2013), 407; Swoboda, Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung im deutschen Strafverfahren, HRRS 2014, 11.
9.185 Mit der Europischen Ermittlungsanordnung, die gem. Art. 36 EEA bis zum 22.5.2017 umzusetzen ist, besteht erstmals ein einheitliches Instrument im Bereich der Beweisrechtshilfe. Die Idee einer vereinfachten und praxisgerechten Rechtshilfe in Beweissachen unter BerÅcksichtigung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung geht bereits auf die Tagung des Europischen Rates vom 15./16.10.2009 in Tampere und auf berlegungen im Haager Programm des Europischen Rates zur Strkung von Frei1 In diese Richtung aber grundstzlich die Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks. 17/5096, 35. 2 Auch der gleich lautende Lndererlass geht davon aus, dass eine Unterrichtung nur dann erforderlich ist, wenn dies im Fall eines innerstaatlichen Datenaustauschs vorgesehen wre, BStBl. I 538, 540 Tz. 5.4. 3 Beyer, AO-StB 2013, 351 (354).
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E. Europische Ermittlungsanordnung
heit Sicherheit und Recht in der Europischen Union vom 4. und 5.11.2004 zurÅck.1 Zur Entstehung und Strkung eines Europischen Rechtsraumes sollte neben Maßnahmen zur Bildung des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der jeweils anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung auch forciert darauf hingewirkt werden, dass bestehende rechtliche Hindernisse in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen abgebaut werden. Ermittlungen in grenzÅberschreitenden Fllen sollten hierdurch besser koordiniert und konzentriert werden.2 Erwhnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Umsetzung der sog. Schwedischen Initiative (Rz. 9.147), zurÅckgehend auf den Rahmenbeschluss 2006/960 JI des Rates vom 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union (RbDatA)3. Hier wurde der Grundsatz der VerfÅgbarkeit von Informationen umgesetzt.4 Rat und Parlament haben am 14.3.2014 die endgÅltige Fassung der Richtlinie Åber die Europische Ermittlungsanordnung (RL EEA) verabschiedet5 1 Vgl. auch den sog. PrÅm-Beschluss: Beschluss 2008/615/JI des Rates v. 23.6.2008 zur Vertiefung der Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekmpfung des Terrorismus und der grenzÅberschreitenden Kriminalitt, ABl. EU Nr. L 210 v. 6.8.2008, 1, und Beschluss 2008/616/JI des Rates v. 23.6.2008 zur DurchfÅhrung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzÅberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekmpfung des Terrorismus und der grenzÅberschreitenden Kriminalitt, ABl. EU Nr. L 210 v. 6.8.2008, 12. 2 ABl. EU Nr. C 53 v. 3.3.2005, 1; Erwgung Nr. 3.3 des Haager Programms des Europischen Rates zur Strkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europischen Union. 3 Rahmenbeschluss 2006/960/Il des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedstaaten der Europischen Union, ABl. EU Nr. L 386 v. 29.12.2006, 89 und ABl. EU Nr. L 75 v. 15.3.2007, 26. Umgesetzt in Deutschland durch das Gesetz Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union v. 21.7.2012, BGBl. I 2012, 1566, §§ 117a, 117b AO, § 92 IRG; gleich lautende Erlasse der obersten FinanzbehÇrden der Lnder zur Umsetzung des „Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates v. 18.12.2006 Åber die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den StrafverfolgungsbehÇrden der Mitgliedsstaaten der Europischen Union“ (sog. Schwedische Initiative) im Bereich der Steuerfahndung v. 28.1.2014, BStBl. I 2014, 538; zum Ganzen auch Beyer, AO-StB 2013, 351; Keber/Trautmann, Kriminalistik 2011, 355; ZÇller, ZIS 2011, 64; BTDrucks. 17/5096. 4 BÇse, Der Grundsatz der VerfÅgbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europischen Union, 2007. 5 Legislative Entschließung des Europischen Parlaments v. 27.2.2014 zu dem Entwurf einer Richtlinie des Europischen Parlaments und des Rates Åber die Europische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (09288/2010 – C7-0185/2010 – 2010/0817[COD]); Rats-Dok. 7788/14 (Annahme im Rat am 14.3.2014); zum Ganzen kritisch Ahlbrecht, StV 2013, 114 (120), der gar von einer Verweigerung
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9.186
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
und einen einheitlichen Rahmen fÅr den strafprozessualen Beweistransfer innerhalb der EU geschaffen. Die Richtlinie ersetzt u.a. drei Jahre nach Verabschiedung die Europische Beweisanordnung1 deren Frist zur Umsetzung im Januar 2011 verstrichen ist, ohne dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten, u.a. auch Deutschland, mit einer Umsetzung begonnen hat.2
9.187 Durch die Europische Ermittlungsanordnung werden sowohl die Europische Beweisanordnung, die Europische Sicherstellungsanordnung als auch die auf europischen bereinkommen basierende sonstige Rechtshilfe ersetzt.3 Die Europische Beweisanordnung war in ihrem Anwendungsbereich ohnehin beschrnkt, da sie nur fÅr bereits vorhandene Beweismittel galt. Die Europische Sicherstellungsanordnung war lediglich auf eine Sicherstellung beschrnkt. Um die bergabe der sichergestellten Gegenstnde zu erreichen, musste der Rechtshilfeweg beschritten werden. Ein solches System des Nebeneinanders von verschiedenen Regelungen fÅr den Bereich der Beweismittelrechtshilfe auf europischer Ebene wurde durch die Kommission als „zu stark zersplittert und zu kompliziert“ befunden.4
I. Verfahren 9.188 Eine Europische Ermittlungsanordnung (im Folgenden „EEA“) ist gem. Art. 1 EEA eine gerichtliche Entscheidung, die von einer JustizbehÇrde eines Mitgliedstaats („Anordnungsstaat“) zur DurchfÅhrung einer oder mehrerer spezifischer, auch vorlufiger (Art. 32 EEA) Ermittlungsmaßnahme(n) in einem anderen Mitgliedstaat („Vollstreckungsstaat“) zur Erlangung von Beweisen erlassen oder validiert wird. Die EEA kann nur von einem Staatsanwalt, Richter/Ermittlungsrichter erlassen oder besttigt werden (Art. 2 Buchst. c EEA) oder von jeder anderen vom Anordnungsstaat bezeichneten zustndigen BehÇrde, die in dem betreffenden Fall in ihrer
1
2 3
4
prozessualer Waffengleichheit spricht; zur Kritik auch BRAK-StellungnahmeNr. 10/2010; DAV-Stellungnahme Nr. 29/2011; ECBA-Statement 9145/10; BTBeschluss v. 7.10.2010; BR-Drucks. 280/10; Stellungnahme Deutscher Richterbund Nr. 59/10; Kaufmann, DRiZ 2013, 390; Bischoff in MÅller-Gugenberger/ Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 9 Rz. 46 f. Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates v. 18.12.2008 Åber die Europische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, SchriftstÅcken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. EU Nr. L 350 v. 30.12.2008, 72. Vgl. BT-Drucks. 17/1543. Europisches bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20.4.1959 (EuRhbK); Zusatzprotokolle v. 17.3.1978/8.11.2001; Europisches bereinkommen Åber Geldwsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertrgen aus Straftaten v. 8.11.1999; „bereinkommen v. 29.5.2000 Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union“ (EU-Rhbk). Vgl. auch GrÅnbuch der Europischen Kommission zur Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen in einem anderen Mitgliedstaat, KOM (2009) 624 endg., S. 5; a.A. BR-Drucks. 280/10, 3.
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E. Europische Ermittlungsanordnung
Eigenschaft als ErmittlungsbehÇrde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht fÅr die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zustndig ist,1 wobei im letzteren Fall eine Validierung durch einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt im Anordnungsstaat zu erfolgen hat (Art. 2 Buchst. c ii EEA). In Deutschland kann dies aber nicht durch die PolizeibehÇrden oder die Steuerfahndung geschehen. Die EEA kann auch in Bezug auf die Erlangung von Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der zustndigen BehÇrden des Vollstreckungsstaats befinden, erlassen werden. Insofern wird auch dem Grundsatz der VerfÅgbarkeit von Informationen Rechnung getragen. Auch vorlufige Maßnahmen sind nach Art. 32 EEA mÇglich, um die Vernichtung, Vernderung, Entfernung, bertragung oder Verußerung von Gegenstnden, die als Beweismittel2 dienen kÇnne, zu verhindern.
9.189
Der Erlass einer EEA kann gem. Art. 1 Abs. 3 EEA auch von einer verdchtigen oder beschuldigten Person oder in deren Namen von einem Rechtsanwalt beantragt werden, soweit dies im Rahmen der geltenden Verteidigungsrechte im Einklang mit dem nationalen Strafverfahrensrecht mÇglich ist. KÅnftige Beweisantrge sollten daher auch in diese Richtung ÅberprÅft werden.
9.190
Beispiel: Zum Beweis der Tatsache, dass der A Åberwiegend in Belgien aufhltig ist und dort seinen Lebensmittelpunkt hat, beantragt die Verteidigung die Vernehmung seiner dortigen Nachbarn und Freunde.
Wie beim Europischen Haftbefehl folgt die EEA dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (vgl. Art. 82 AEUV).3 Bei dem Erlass einer EEA sind die Voraussetzungen und Schranken zu beachten wie bei vergleichbaren innerstaatlichen Ermittlungen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b EEA). Die Bindung an innerstaatliches Recht entfllt mithin nicht, sodass insbesondere die MÇglichkeit des „forum shoppings“ grundstzlich nicht erÇffnet wird4; so kÇnnen etwa die hohen inlndischen HÅrden bezÅglich einer berwachung der Telekommunikation nicht umgangen werden.5 1 Zur Kritik vgl. Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116) unter Verweis auf BT-Beschluss v. 7.10.2010, der die Anordnungskompetenz als Åberdehnt ansieht und bei grundrechtsintensiven Ermittlungsmaßnahmen, z.B. bei Wohnungsdurchsuchungen, eine Umgehung des deutschen Richtervorbehalts und damit eine AushÇhlung verfassungsrechtlich verankerter Schutzrechte des Beschuldigten und Drittbetroffener befÅrchtet. 2 Daraus dÅrfte zu folgern sein, dass eine grenzÅberschreitende VermÇgenabschÇpfung von der EEA nicht erfasst ist, da der Rahmenbeschluss ausdrÅcklich von Beweismitteln spricht. 3 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01 – „GÇzÅtok/BrÅgge“, NJW 2003, 1173; vgl. auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 10 Rz. 24; Gleß in S/L/G/H5, III B 3b Rz. 1, 8 ff. 4 So aber die BefÅrchtung von Ahlbrecht, StV 2013, 114 (120). 5 BÇse, ZIS 2014, 152 (153).
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9.191
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
9.192 Die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und die Beweiserhebungen im Rahmen dieser Ermittlungsgruppen sind der Richtlinie nicht mÇglich.
9.193 Die bermittlung der EEA erfolgt durch bersendung der AnordnungsbehÇrde an die VollstreckungsbehÇrde (vgl. Art. 7 EEA). Eine Ermittlung der zustndigen VollstreckungsbehÇrde und eine bermittlung der EEA ist auch Åber das Europische Justizielle Netzwerk (EJN; hierzu vgl. Rz. 9.52) mÇglich (Art. 7 Abs. 4, 5 EEA).
9.194 Das Novum gegenÅber smtlichen bisherigen Verfahrensweisen liegt jedoch in der Fristenregelung des Art. 11 EEA. Eine Entscheidung Åber die EEA ist bereits sobald wie mÇglich, jedoch maximal innerhalb von 30 Tagen zu treffen (Art. 12 Abs. 3 EEA). Sofern keine HinderungsgrÅnde nach Art. 15 EEA vorliegen und die erbetenen Informationen nicht bereits vorhanden sind, ist die Ermittlungsmaßnahme sodann innerhalb von 90 Tagen durchzufÅhren, wobei diese Frist nach Benachrichtigung des Anordnungsstaates in begrÅndeten Ausnahmefllen um hÇchstens 30 Tage verlngert werden kann (Art. 12 Abs. 5 EEA). Insbesondere die zeitliche Komponente wird erheblich zur Beschleunigung von Strafverfahren beitragen, wenn man bedenkt, dass Rechtshilfeersuchen mitunter Åber ein Jahr Zeit in Anspruch nehmen kÇnnen, ohne dass in jedem Fall ein zufriedenstellendes Ergebnis garantiert ist.
9.195 Der weitere praktische Vorteil besteht in dem Erlass des zu verwendenden Formblattes (Art. 5 EEA, Anhang A1). Dies ist lediglich auszufÅllen und zu unterzeichnen und kann direkt Åbersandt werden. Die EEA hat insbesondere die folgenden Angaben zu enthalten: – Angaben zur AnordnungsbehÇrde und ggf. zur validierenden BehÇrde; – Gegenstand und GrÅnde der EEA; – die erforderlichen verfÅgbaren Angaben zu der/den betroffenen Person(en); – eine Beschreibung der strafbaren Handlung, die Gegenstand der Ermittlungen oder des Verfahrens ist, sowie die anwendbaren Bestimmungen des Strafrechts des Anordnungsstaats; – eine Beschreibung der erbetenen Ermittlungsmaßnahme(n) und der zu erhebenden Beweismittel.
9.196 Die VollstreckungsbehÇrde erkennt gem. Art. 9 Abs. 1 EEA eine nach dieser Richtlinie Åbermittelte EEA ohne jede weitere Formalitt an und gewhrleistet deren Vollstreckung in derselben Weise und unter denselben Modalitten, als wre die betreffende Ermittlungsmaßnahme von einer BehÇrde des Vollstreckungsstaats angeordnet worden. Dies gilt nur dann nicht, wenn die VollstreckungsbehÇrde einen Versagungsgrund oder einen der GrÅnde fÅr den Aufschub der Vollstreckung geltend macht.
1 Abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP// TEXT+TA+P7-TA-2014-0165+0+DOC+XML+V0//DE.
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E. Europische Ermittlungsanordnung
Die VollstreckungsbehÇrde hlt gem. Art. 9 Abs. 2 EEA zwingend die von der AnordnungsbehÇrde ausdrÅcklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren ein, etwa was Belehrungen, Anwesenheitsrechte und Verteidigerkonsultationen betrifft. Die AnordnungsbehÇrde kann gem. Art. 9 Abs. 4 EEA darum ersuchen, dass eine oder mehrere BehÇrden des Anordnungsstaats die zustndigen BehÇrden des Vollstreckungsstaats bei der Vollstreckung der EEA unterstÅtzen, soweit die benannten BehÇrden des Anordnungsstaats in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall an der DurchfÅhrung der in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme(n) mitwirken kÇnnten.
9.197
Die im Vollstreckungsstaat anwesenden BehÇrden des Anordnungsstaats sind gem. Art. 9 Abs. 5 EEA bei der Vollstreckung der EEA an das Recht des Vollstreckungsstaats gebunden. FÅr sie sind damit keine Strafverfolgungsbefugnisse im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats verbunden, es sei denn, die Wahrnehmung solcher Befugnisse im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats steht im Einklang mit dem Recht des Vollstreckungsstaats und dem zwischen der AnordnungsbehÇrde und der VollstreckungsbehÇrde vereinbarten Umfang.
9.198
II. Verhltnismßigkeit Die EEA ist in ihrem Anwendungsbereich weder auf erhebliche Straftaten noch auf bestimmte Delikte bzw. Deliktsgruppen beschrnkt. Die Unverhltnismßigkeit der angeordneten Ermittlungsmaßnahme wird in Art. 11 RL EEA nicht ausdrÅcklich als Ablehnungsgrund erwhnt. Der Grundsatz der Verhltnismßigkeit ist jedoch auch von der VollstreckungsbehÇrde zu beachten.1 Beispielsweise kann die VollstreckungsbehÇrde die AnordnungsbehÇrde konsultieren, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die angeordnete Maßnahme nicht erforderlich oder unverhltnismßig ist (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 RL EEA). Eine solche einseitige PrÅfung zur Wahrung verfassungsrechtlicher Prinzipien ist nach Ahlbrecht aber bereits deswegen nicht ausreichend, weil es bislang an einem EU-einheitlichen Verstndnis des Begriffs der Verhltnismßigkeit fehlt.2
9.199
Indes spricht die Regelung des Art. 10 Abs. 3 RL EEA fÅr eine grundstzliche Geltung des Verhltnismßigkeitsgrundsatzes und zumindest fÅr eine eingeschrnkte PrÅfungskompetenz des Vollstreckungsstaates. Denn die VollstreckungsbehÇrde kann eigenmchtig auf eine andere als in der EEA angegebene Maßnahme zurÅckgreifen, wenn diese mit weniger einschnei-
9.200
1 BÇse, ZIS 2014, 152 (158). 2 Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116) unter Verweis auf die Stellungnahme Deutscher Richterbund Nr. 59/10. Im Weiteren verweist Ahlbrecht auf die Erfahrung im Zusammenhang mit dem Europischen Haftbefehl und fordert daher eine Regelung, die es dem Vollstreckungsstaat ermÇglicht, die Einhaltung des Grundsatzes der Verhltnismßigkeit zu prÅfen und ggf. die Vollstreckung der Ermittlungsanordnung zu versagen.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
denden Mitteln das gleiche Ergebnis erreicht.1 Die VollstreckungsbehÇrde kann auch dann auf eine andere als die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme zurÅckgreifen, wenn die von der VollstreckungsbehÇrde gewhlte Ermittlungsmaßnahme mit weniger einschneidenden Mitteln das gleiche Ergebnis wie die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme erreichen wÅrde. Insofern beinhaltet die EEA erstmals ausdrÅcklich Erwgungen zur Zweckmßigkeit und zur Verhltnismßigkeit im engeren Sinne. In diesem Fall besteht indes eine Unterrichtungspflicht gegenÅber der AnordnungsbehÇrde (Art. 10 Abs. 4 EEA). Damit wird der zum Teil erhobenen Kritik Rechnung getragen, wie sie insbesondere aus den Erfahrungen mit dem Europischen Haftbefehl resultiert.2 In jedem Fall ist einer ausufernden Anwendung im Bereich von Bagatellstraftaten entgegenzuwirken.
9.201 Indes liegt der EEA prinzipiell der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zugrunde, sodass sich grundstzlich eine Pflicht zur Vollstreckung ergibt. Die EEA normiert nur fÅr bestimmte Flle ausdrÅcklich einen Versagungsgrund, nmlich dann, wenn die der Ermittlungsanordnung zugrunde liegende Handlung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates keine Straftat darstellt (Art. 11 EEA).
9.202 Eine vollstndige Neuerung gegenÅber bisherigen Ermittlungsinstrumenten und eine wirkliche Verbesserung der Rechtshilfe beinhaltet Art. 10 EEA (RÅckgriff auf eine Ermittlungsmaßnahme anderer Art3). Die VollstreckungsbehÇrde greift danach, „wann immer mÇglich“, auf eine nicht in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahme zurÅck, wenn – die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht besteht oder – die in der EEA angegebene Ermittlungsmaßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur VerfÅgung stehen wÅrde.
9.203 Nach dem sog. Effektivittsgebot ist indes durch alle Mitgliedsstaaten folgendes Minimum an verfÅgbaren Ermittlungsmaßnahmen zu gewhrleisten: – die Erlangung von Informationen oder Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der VollstreckungsbehÇrde befinden, wenn die Informationen oder Beweismittel nach dem Recht des Vollstreckungsstaats im Rahmen eines Strafverfahrens oder fÅr die Zwecke der EEA htten erlangt werden kÇnnen;
1 Vgl. die weiteren Argumente bei BÇse, ZIS 2014, 152 (158); kritisch hierzu Ahlbrecht, StV 2013, 114 (116). 2 Vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Initiative fÅr eine Richtlinie des Europischen Parlaments und des Rates Åber die EEA in Strafsachen, abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmenpdf/stellungnahmen-europa/2011/januar/stellungnahme-der-brak-2011-10.pdf. 3 Gleß in S/L/G/H5, III B 3b Rz. 3.
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E. Europische Ermittlungsanordnung
– die Erlangung von Informationen, die in Datenbanken der Polizei oder der JustizbehÇrden enthalten sind und zu denen die VollstreckungsbehÇrde im Rahmen eines Strafverfahrens unmittelbar Zugang hat; – die Vernehmung eines Zeugen, eines Sachverstndigen, eines Opfers, einer verdchtigen oder beschuldigten Person oder einer dritten Partei im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats; – eine nicht invasive Ermittlungsmaßnahme nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsstaats; – die Identifizierung von Inhabern eines bestimmten Telefonanschlusses oder einer bestimmten IP-Adresse. Allein wenn die in der EEA angegebene Maßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht besteht oder in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zur VerfÅgung stehen wÅrde und es keine andere (gleich geeignete) Ermittlungsmaßnahme gibt, die zu dem gleichen Ergebnis fÅhren wÅrde wie die erbetene Ermittlungsmaßnahme, teilt die VollstreckungsbehÇrde der AnordnungsbehÇrde mit, dass es nicht mÇglich war, die erbetene UnterstÅtzung zu leisten (Art. 10 Abs. 5 EEA).
9.204
III. Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung Die GrÅnde fÅr die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung sind in Art. 11 EEA normiert und gegenÅber dem ursprÅnglichen Entwurf1 erheblich erweitert worden. Die Anerkennung oder Vollstreckung einer EEA im Vollstreckungsstaat kann versagt werden, wenn – nach dem Recht des Vollstreckungsstaats Immunitten oder Vorrechte bestehen, die es unmÇglich machen, die EEA zu vollstrecken, oder wenn Vorschriften zur Bestimmung und Beschrnkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Pressefreiheit und die Freiheit der Meinungsußerung in anderen Medien bestehen, die es unmÇglich machen, die EEA zu vollstrecken – die Vollstreckung der EEA in einem bestimmten Fall wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen schaden, die Informationsquelle gefhrden oder die Verwendung von Verschlusssachen Åber spezifische nachrichtendienstliche Ttigkeiten voraussetzen wÅrde; – die EEA in einem Verfahren nach Art. 4 Buchst. b und c EEA erlassen wurde und die Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht zulssig wre;
1 Zur Kritik vgl. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Initiative fÅr eine Richtlinie des Europischen Parlaments und des Rates Åber die EEA in Strafsachen, abrufbar unter http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-europa/2011/januar/stellungnahme-der-brak2011-10.pdf. Insgesamt ist festzustellen, dass der Kritik in weiten, wenngleich nicht allen Teilen, entsprochen wurde.
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9.205
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
– die Vollstreckung der EEA dem Grundsatz ne bis in idem zuwiderlaufen wÅrde; – die EEA sich auf eine Straftat bezieht, die außerhalb des Hoheitsgebiets des Anordnungsstaats und ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats begangen worden sein soll, und die Handlung, aufgrund deren die EEA erlassen wird, im Vollstreckungsstaat keine Straftat darstellt; – berechtigte GrÅnde fÅr die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Art. 6 EUV und der Charta unvereinbar wre; – die Handlung, aufgrund deren die EEA erlassen wurde, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats keine Straftat darstellt, es sei denn, sie betrifft eine Straftat, die unter den in Anhang D aufgefÅhrten Kategorien von Straftaten genannt wird – wie von der AnordnungsbehÇrde in der EEA angegeben –, und sofern die Straftat im Anordnungsstaat mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im HÇchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, oder – die Anwendung der in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaats auf eine Liste oder Kategorie von Straftaten oder auf Straftaten, die mit einem bestimmten Mindeststrafmaß bedroht sind, beschrnkt ist, und die Straftat, die der EEA zugrunde liegt, keine dieser Straftaten ist.
9.206 Betrifft die EEA eine Straftat i.V.m. Steuern oder Abgaben, ZÇllen und Devisen, so kann die VollstreckungsbehÇrde gem. Art. 11 Abs. 3 EEA die Anerkennung oder Vollstreckung nicht aus dem Grund ablehnen, dass das Recht des Vollstreckungsstaats keine gleichartigen Steuern oder Abgaben vorschreibt oder keine gleichartige Steuer- oder Abgabe-, Zoll- und Devisenregelung enthlt wie das Recht des Anordnungsstaats. Es gelten auch hier die gleichen Einschrnkungen, wie beim Europischen Haftbefehl.
IV. bermittlung der Beweismittel 9.207 Die VollstreckungsbehÇrde Åbermittelt gem. Art. 13 EEA dem Anordnungsstaat unverzÅglich und unmittelbar die Beweismittel, die aufgrund der Vollstreckung der EEA erlangt wurden oder sich bereits im Besitz der zustndigen BehÇrden des Vollstreckungsstaats befinden. hnlich den Regelungen zum Europischen Haftbefehl findet hier ein System der bergabe statt. Die bermittlung des Beweismittels kann gem. Art. 13 Abs. 3 EEA indes so lange ausgesetzt werden, bis Åber einen Rechtsbehelf entschieden wurde. Dies gilt nicht, wenn in der EEA ausreichende GrÅnde dafÅr angegeben werden, dass eine sofortige bermittlung fÅr die ordnungsgemße DurchfÅhrung ihrer Ermittlungen oder die Wahrung von individuellen Rechten unerlsslich ist. Die bermittlung des Beweismittels wird ausgesetzt, wenn sie der betroffenen Person einen schweren und irreparablen Schaden zufÅgen wÅrde. 316
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E. Europische Ermittlungsanordnung
V. Rechtsmittel Art. 14 EEA normiert, soweit ersichtlich, erstmals und ausdrÅcklich Rechtsbehelfe; wenngleich Åber bereits Åber Art. 47 Abs. 1 GRCh gegen den Erlass und die Vollstreckung einer EEA gerichtlicher Rechtsschutz sowohl im Anordnungsstaat als auch im Vollstreckungsstaat1 zu gewhrleisten ist. Die Aufspaltung ist insofern dem Grundsatz der Staatenimmunitt geschuldet; zudem besteht der Vorteil darin, dass das in dem jeweiligen Staat zustndige Gericht besser mit dem anwendbaren Verfahrensrecht betraut ist.2 Eine inzidente PrÅfung ist indes nicht ausgeschlossen, etwa im Hinblick auf den Ordre-public-Vorbehalt (§ 73 IRG).
9.208
Die Mitgliedstaaten haben gem. Art. 14 Abs. 1 EEA darÅber hinaus dafÅr Sorge zu tragen, dass gegen die in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahmen gleichwertige Rechtsbehelfe eingelegt werden kÇnnen, die in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zur VerfÅgung stehen. Dies gilt bereits fÅr die Rechtsmittelbelehrung (Art. 14 Abs. 3 EEA), entsprechende innerstaatliche Fristen (Art. 13 Abs. 4 EEA) sowie eine entsprechende aufschiebende Wirkung (Art. 13 Abs. 6 EEA). Dabei gilt ein Suspensiveffekt nur dann, wenn dies in vergleichbaren innerstaatlichen Fllen der Fall wre. Die sachlichen GrÅnde fÅr den Erlass der EEA kÇnnen hingegen nur durch eine Klage im Anordnungsstaat angefochten werden (Art. 13 Abs. 2 EEA). Die Garantie der Grundrechte im Vollstreckungsstaat bleibt davon freilich unberÅhrt.
9.209
Die erfolgreiche Anfechtung der Beweiserhebung im Vollstreckungsstaat bewirkt nicht automatisch die Unverwertbarkeit des Beweismittels im Anordnungsstaat.3 Es gelten insofern die allgemeinen Grundstze, d.h. die Beweisverwertung richtet sich nach dem Recht, wo das Strafverfahren gefÅhrt wird (vgl. hierzu Rz. 9.226 f.).
9.210
VI. GrenzÅberschreitende Kontenabfragen/Informationen Åber Bank- und sonstige Finanzgeschfte Von besonderer Bedeutung im internationalen Steuerstrafrecht wird gem. Art. 26 EEA die Einholung von Informationen Åber Bank- und sonstige Fi1 Zur Rechtswegspaltung vgl. BÇse, ZIS 2014, 152 (159). 2 Kritisch, jedoch zu Recht Ahlbrecht, StV 2013, 114 (117); Heydenreich, StV 2012, 439 (444), beispielsweise wenn der im Vollstreckungsstaat Betroffene (z.B. ein Zeuge) die Sachentscheidung im Anordnungsstaat anfechten muss und bereits durch die rumliche Entfernung und die sprachliche HÅrde sich Erschwernissen ausgesetzt sieht. FÅr eine transnationale Dimension des Rechtsschutzes daher BÇse, ZIS 2014, 152 (160), der eine Pflicht zur Weiterleitung des Rechtsbehelfs an den Anordnungsstaat vorschlgt. 3 Hierzu Gleß in S/L/G/H5, III B 3b Rz. 6; Gleß, Beweisrechtsgrundstze einer grenzÅberschreitenden Strafverfolgung, 413; Heydenreich, StV 2012, 439 (444); BÇse, ZIS 2014, 152 (161).
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9.211
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
nanzkonten sein. Nach Art. 26 Abs. 1 EEA kann eine EEA erlassen werden, um festzustellen, ob eine natÅrliche oder juristische Person, gegen die das betreffende Strafverfahren gefÅhrt wird, Bankkonten bei einer im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats niedergelassenen Bank unterhlt, kontrolliert oder entsprechend bevollmchtigt ist (Art. 26 Abs. 2 EEA). Bejahendenfalls kÇnnen smtliche Angaben zu den identifizierten Konten Åbermittelt werden. Die AnordnungsbehÇrde hat in der EEA die GrÅnde anzugeben, weshalb die erbetenen AuskÅnfte fÅr das betreffende Strafverfahren wahrscheinlich von wesentlichem Wert sind und weshalb sie annimmt, dass die Konten von Banken im Vollstreckungsstaat gefÅhrt werden, und – soweit dies mÇglich ist – welche Banken mÇglicherweise betroffen sind.
9.212 Eine EEA kann gem. Art. 27 Abs. 1 EEA freilich auch erlassen werden, um Angaben Åber bestimmte Bankkonten sowie Åber Bankgeschfte zu erlangen, die whrend eines bestimmten Zeitraums Åber ein oder mehrere in der EEA angegebenes/angegebene Bankkonto/Bankkonten gettigt wurden (Kontoverdichtungen), einschließlich der Angaben Åber smtliche berweisungs- und Empfngerkonten. Auch hier sind die GrÅnde dafÅr anzugeben, weshalb die erbetenen AuskÅnfte fÅr das betreffende Strafverfahren fÅr relevant erachtet werden. Dies dÅrfte insbesondere im Hinblick auf weitere Empfngerkonten gelten. In keinem Fall darf die EEA zur fishing expedition werden.
F. GrenzÅberschreitende Einziehung und Sicherstellung von VermÇgenswerten I. Strafprozessualer Arrest 9.213 Auf europischer Ebene ist die grenzÅberschreitende Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder sonstigen Beweismitteln mÇglich, wenngleich in der Praxis schwierig und bislang eher die Ausnahme. Auch die Europische Ermittlungsanordnung (EEA) trifft hierzu keine explizite Aussage. Was den grenzÅberschreitenden Arrest in Strafsachen betrifft, wird sich in Zukunft zeigen, inwiefern die EEA herangezogen werden kann. Ausweislich des Wortlaut beziehen sich die vorlufigen Maßnahmen nach der EEA (Art. 32 EEA) nur auf Beweismittel. Die Vollstreckungshilfe fÅr einen anderen Mitgliedstaat der Europischen Union nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6.10.2006 Åber die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen1(Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“) richtet sich nach den §§ 88a-88f IRG. Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 1 Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates v. 6.10.2006 Åber die gegenseitige Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. EU Nr. L 328 v. 24.11.2006, 59.
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F. GrenzÅberschreitende Einziehung und Sicherstellung von VermÇgenswerten
22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union vom 6.6.20081 wurde der Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates vom 22.7.2003 (Rb „Sicherstellung“) Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union in das nationale Recht umgesetzt.2 Beide RahmenbeschlÅsse sind in das IRG implementiert worden, der Rb „Sicherstellung“ durch Gesetz vom 6.20083 und der Rb „Einziehung Gegenseitigkeit“ durch Gesetz vom 8.10.20094. Sofern ein nach Maßgabe der §§ 94, 95 IRG zulssiges Ersuchen gestellt wird, besteht fÅr den ersuchten Staat nach § 96 IRG die Verpflichtung, Rechtshilfe zu bewilligen. Neben der Verpflichtung des ersuchenden Staates, eine justizielle Sicherstellungsentscheidung und eine vollstndig ausgefÅllte Bescheinigung entsprechend den Vorgaben der Artt. 4 Abs. 1, 7 Abs. 1 Buchst. a und 9 Rb „Sicherstellung“ vorzulegen, ist die Zulssigkeit grundstzlich davon abhngig, dass ein sog. „Listendelikt“ i.S. des Art. 3 Abs. 2 Rb „Sicherstellung“ vorliegt (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 IRG). In diesem Fall erfolgt keine berprÅfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Eine Gegenausnahme ist in § 94 Abs. 1 Nr. 2 IRG geregelt. Ein Ersuchen in Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Whrungsangelegenheiten ist danach auch zulssig, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Abgaben-, Zoll- und Whrungsbestimmungen enthlt wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates.
9.214
Die weitere Umsetzung eines zulssigen Ersuchens nach Maßgabe des Rb „Sicherstellung“ richtet sich gem. § 94 Abs. 1 IRG nach den §§ 58 Abs. 3 und 67 IRG, d.h. anders als bei Ersuchen im Rahmen der (vertraglosen) Rechtshilfe nach § 67 Abs. 1 IRG ist neben der Beschlagnahme nach § 77 Abs. 1 IRG i.V.m. §§ 111b Abs. 1, 111c StPO auch der Vollzug von dinglichen Arresten in das LegalvermÇgen des Betroffenen nach § 77 Abs. 1 IRG i.V.m. §§ 111b Abs. 2, 111d StPO mÇglich.5
9.215
1 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union v. 6.6.2008, BGBl. I 2008, 995 – Inkrafttreten: 30.6.2008. 2 Rahmenbeschluss 2003/577/JI des Rates v. 22.7.2003 Åber die Vollstreckung von Entscheidungen Åber die Sicherstellung von VermÇgensgegenstnden oder Beweismitteln in der Europischen Union, ABL. EU Nr. L 196, 45. 3 BGBl. I. 2008, 995. 4 BGBl. I 2009, 3214. 5 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 94 Abs. 1 IRG „[...] nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2003/577/JI des Rates vom 22. Juli 2003 [...]“ i.V.m. Art. 2 „Begriffsbestimmungen“ Buchst. c und d Rb „Sicherstellung“, wonach Sicherstellungsentscheidungen auch in VermÇgensgegenstnde, die ganz oder teilweise dem Wert des ursprÅnglich aus einer Straftat herrÅhrenden Ertrags entsprechen, vollzogen werden kÇnnen.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
II. Steuerlicher Arrest 9.216 Im steuerlichen Verfahren beanspruchen und gewhren die deutschen FinanzbehÇrden ebenso zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung.1 Da sich strafprozessualer und steuerlicher Arrest grundstzlich nicht ausschließen, kommt auch bei der Steuerhinterziehung die Anordnung und grenzÅberschreitende Beitreibung eines steuerlichen Arrests in Betracht.
9.217 Rechtsgrundlagen fÅr die zwischenstaatliche Amtshilfe bei der Steuererhebung sind: – EUBeitrRL2, – DBA mit Erhebungsklauseln, – Vertrge Åber die Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen.
9.218 Die EUBeitrRL ist durch das EUBeitrG3 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Neben dem EUBeitrG/EUBeitrRL enthalten einige DBA bzw. Amts- und Rechtshilfeabkommen Vereinbarungen Åber die Amtshilfe bei der Steuererhebung. Die Vorschriften stehen grundstzlich nebeneinander, das EUBeitrG soll jedoch vorrangig herangezogen werden.4 Die Amtshilfe im Bereich der Beitreibung erstreckt sich auf Forderungen im Zusammenhang mit Steuern und Abgaben aller Art. FÅr den Begriff der Steuern gilt die Legaldefinition des § 3 Abs. 1 AO. Der Anwendungsbereich umfasst auch Forderungen aus Haftungsbescheiden. Ebenfalls umfasst sind die mit den Steuern und Abgaben im Zusammenhang stehenden verhngten Geldstrafen, Geldbußen und Zuschlge auf Forderungen, insbesondere die steuerlichen Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO). 1 Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 23.1.2014, Stand: 1.7.2013 – IV B 6 - S 1320/07/10011 :011, zu den einzelstaatlichen Besonderheiten vgl. insbesondere Anlage 1; zum Ganzen auch Gabert, FR 2012, 707; Kortz, DB 2012, 2422. 2 Richtlinie 2010/24/EU des Rates v. 16.3.2010 Åber die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen, ABl. EU Nr. L 84 v. 31.3.2010, 1; vgl. auch DurchfÅhrungsverordnung (EU) Nr. 1189/2011 der Kommission v. 18.11.2011 zur Festlegung der DurchfÅhrungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 2010/24/EU des Rates Åber die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen, ABl. EU Nr. L 302 v. 19.11.2011, 16; sowie DurchfÅhrungsbeschluss der Kommission v. 18.11.2011 zur Festlegung der DurchfÅhrungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 2010/24/EU Åber die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern, Abgaben und sonstigen Maßnahmen. 3 Gesetz Åber die DurchfÅhrung der Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten der Europischen Union v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592. 4 Zu den Ausnahmen vgl. Tz. 5 Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 23.1.2014 – IV B 6 - S 1320/07/10011 :011; Stand: 1.7.2013.
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F. GrenzÅberschreitende Einziehung und Sicherstellung von VermÇgenswerten
Die deutsche FinanzbehÇrde kann um Sicherungsmaßnahmen im Ausland ersuchen, wenn die Voraussetzungen fÅr die Vollstreckung (§§ 251, 254 AO) gegeben sind, der zu vollstreckende Verwaltungsakt oder das Leistungsgebot noch nicht formell bestandskrftig oder bereits angefochten ist und zu befÅrchten ist, dass ohne die Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen die Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert werden wÅrde.1 Es gelten insofern die allgemeinen Anforderungen hinsichtlich eines inlndischen Arrestes. Es kann ferner um Sicherungsmaßnahmen ersucht werden, wenn ein angeordneter dinglicher Arrest im Ausland vollzogen werden soll.
9.219
Das Ersuchen ist zwingend, ggf. in einer besonderen Anlage, zu begrÅnden, insbesondere was die Arrestvoraussetzungen, den Arrestgrund und eine womÇgliche Gesamtschuldnerschaft der Beteiligten betrifft. Im Fall des Arrestes ist eine Ausfertigung der Arrestanordnung beizufÅgen. Wird um Sicherungsmaßnahmen aufgrund einer Arrestanordnung ersucht, ist das Ersuchen innerhalb der Vollziehungsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 AO dem BZSt vorzulegen.
9.220
Aus der Anlage 1 zum BMF-Schreiben vom 23.1.2014 ist ersichtlich, in welchen Staaten grundstzlich Sicherungsmaßnahmen mÇglich sind.2
9.221
Die Regelungen fÅr Beitreibungsersuchen gelten sinngemß. Bei der BegrÅndung des Ersuchens sind auch bekannte VermÇgenswerte des Schuldners im ersuchten EU-Mitgliedsstaat anzugeben (z.B. bekannte Immobilien, auslndische Bankkonten, Sachwerte etc.).
9.222
Die VollstreckungsbehÇrde muss gem. § 10 Abs. 2 EUBeitrG zuvor alle nach der Abgabenordnung vorgesehenen (inlndischen) VollstreckungsmÇglichkeiten ausgeschÇpft haben, es sei denn, es ist offensichtlich, dass – keine VermÇgensgegenstnde fÅr die Vollstreckung in Deutschland vorhanden sind oder – Vollstreckungsverfahren in Deutschland nicht zur vollstndigen Begleichung der Forderung fÅhren und der VollstreckungsbehÇrde oder dem VerbindungsbÅro konkrete Informationen vorliegen, wonach VermÇgensgegenstnde der betreffenden Person im ersuchten Mitgliedstaat vorhanden sind, – die DurchfÅhrung solcher Vollstreckungsmaßnahmen in Deutschland mit unverhltnismßigen Schwierigkeiten verbunden wre.
9.223
1 Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 23.1.2014 – IV B 6 - S 1320/07/10011 :011; Stand: 1.7.2013 – IV B 6 - S 1320/07/10011 :011, S. 23 ff. 2 Besonderheiten zu einzelnen Staaten ergeben sich aus Tz. 5. Besonderheiten bestehen im Hinblick auf Albanien, Algerien, Belgien, Bulgarien, Dnemark, Finnland, Frankreich, Italien, Kanada, Liechtenstein, Luxemburg, Mauritius, Mexiko, den Niederlanden, Norwegen, sterreich, Polen, Schweden, der Schweiz, Spanien, TÅrkei, Uruguay, USA und dem Vereinigten KÇnigreich.
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
9.224 Das BZSt kann mit anderen auslndischen VerbindungsbÅros vereinbaren, dass deutsche Beamte in begrÅndeten Fllen und unter den in § 17 EUBeitrG oder ggf. § 18 i.V.m. § 17 EUBeitrG genannten Voraussetzungen an Amtshandlungen der BehÇrde des ersuchten EU-MS teilnehmen.
9.225 Die zustndige auslndische BehÇrde kann gleichsam um Sicherungsmaßnahmen ersuchen.1 FÅr die DurchfÅhrung von Sicherungsmaßnahmen gelten die Vorschriften der AO, der Vollstreckungsanweisung und der Vollziehungsanweisung entsprechend. Wenn die Forderung noch nicht fllig und vollstreckbar ist, erfolgt die Sicherung durch Anordnung und Vollziehung des dinglichen Arrestes (§ 324 AO). Die Anordnung des dinglichen Arrestes obliegt dem Finanzamt, in dessen Bezirk der Vollstreckungsschuldner seinen Wohnsitz/gewÇhnlichen Aufenthalt hat oder VermÇgen besitzt, in das vollstreckt werden soll (§ 19 AO).
G. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse Literatur: Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010; BÅlte, Verwertung von im Ausland erlangten Beweismitteln und Anwendungsvorrang des Unionsrechts als Grenze von Verfahrensrechten im nationalen Strafprozess – Zu BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 und EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 und 399/11, ZWH 2013, 219; Gleß, Beweisrechtsgrundstze einer grenzÅberschreitenden Strafverfolgung, 2006; Nagler, Verteidigung gegen im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse, StV 2013, 324; Pawlik, Zur strafprozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter auslndischer Bankdaten, JZ 2010, 693; Pitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, 2009; Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, 2006; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatenstzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Sicht, Ubg 2014, 380; Stiebig, Die Zurechnung von Verfahrenshandlungen in Vertragsstaaten der EMRK, ZJS 2012, 614.
9.226 Von zunehmender Bedeutung und vermehrt Gegenstand hÇchstrichterlicher Entscheidungen ist die Frage nach der Verwertbarkeit auslndischer Erkenntnisse.2 Vielfach steht die Frage im Raum, ob im Ausland die dortigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen, Åberhaupt rechtliche Mindeststandards eingehalten wurden oder ob eine vergleichbare Maßnahme nach deutschem Recht Åberhaupt mÇglich gewesen wre.
9.227 Im Wege der Rechtshilfe im Ausland erlangte Erkenntnisse sind im deutschen Strafverfahren grundstzlich unter den Voraussetzungen verwertbar
1 Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung (Beitreibung) v. 23.1.2014 – IV B 6 - S 1320/07/10011 :011; Stand: 1.7.2013, S. 33 ff. 2 Zur Frage der Verwertbarkeit insgesamt vgl. auch unter Rz. 6.37; HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 573 ff.
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G. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse
wie im Inland erlangte Beweismittel.1 So kÇnnen etwa Vernehmungsniederschriften wie die Protokolle einer inlndischen richterlichen Vernehmung verlesen werden.2 Auslndische Verfahrensfehler sind hierbei grundstzlich unbeachtlich. Die Frage der Beweisgewinnung an sich richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates (locus regit actum). Etwas anderes gilt nur gem. Art. 4 EU-Rhbk (forum regit actum).3 Die PrÅfung erfolgt hierbei regelmßig in zwei Schritten: 1. Sind die Beweise im ersuchten Staat nach dortigem Recht zulssig erhoben? 2. Verstoßen die dortigen Regelungen und das Verfahren gegen wesentliche inlndische Grundstze?
9.228
Eine Zurechnung des Verfahrensgangs in Mitgliedstaaten der EMRK unabhngig davon, ob die konkret betroffenen Verfahrenshandlungen dem jeweils nationalen Verfahrensrecht entsprechen oder nachteilig fÅr den Beschuldigten sind oder nicht, findet nicht statt.4 Die Verwertbarkeit mittels Rechtshilfe eines auslndischen Staates gewonnener Beweise richtet sich nach der Rechtsordnung des um diese Rechtshilfe ersuchenden Staates.5
9.229
1 Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, 237; Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 11; zum Ganzen auch Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozess, 2006. 2 BGH v. 17.12.1982 – 2 StR 635/82, NStZ 1983, 181; BGH v. 14.1.2001 – 3 StR 438/00, StV 2001, 663. 3 Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 11 ff. 4 BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 unter Verweis auf EGMR, Entscheidungen v. 15.6.1999 – Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung v. 14.4.1998 – Nr. 20652/92; vgl. Grabenwerter, EMRK3, § 13 Rz. 42 m.w.N., wonach eine Beschwerde gem. Art. 35 Abs. 3 MRK fÅr unzulssig zu erklren ist, wenn die gerÅgte Handlung oder Unterlassung dem beklagten Staat nicht zuzurechnen ist; vgl. auch Nagler, StV 2013, 324 (325), der moniert, dass die Entscheidungen nicht auffindbar seien, und stattdessen auf EGMR, Urt. v. 27.10.2011 – Nr. 25303/08 – Stojkovic ./. Frankreich und Belgien, verweist, wo einem in Belgien Inhaftierten der Beistand eines Verteidigers verweigert wurde, nachdem dieser aufgrund franzÇsischen Rechtshilfeersuchens vernommen werden sollte, und Frankreich wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. c EMRK verurteilt wurde, da der ersuchende Staat auf die Einhaltung der Fairness htte achten mÅssen. Daraus wird gefolgert, dass eine Zurechnung dann stattfindet, wenn beide Staaten zur Beachtung der Garantien der EMRK verpflichtet sind, vgl. Nagler, StV 2013, 324 (326) unter Verweis auf Gaede, JR 2006, 292 (294), der eine Zurechnung auch dann vornehmen will, wenn fÅr den ersuchten Staat die EMRK nicht gilt, und als Beispiel das Waterboarding in Guantanamo inhaftierter Personen anfÅhrt und im brigen das Erfordernis einer zurÅckhaltenden BeweiswÅrdigung moniert; vgl. auch BÅlte, ZWH 2013, 265 ff. 5 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 Rz. 21, juris, zur bermittlung tschechischer T-Erkenntnisse unter Verweis auf BGH v. 4.3.1992 – 3 StR 460/91, NStZ 1992, 394; BGH v. 10.8.1994 – 3 StR 53/94, NStZ 1994, 595 (596); BGH v. 14.2.2001 – 3 StR 438/00, NStZ-RR 2002, 67; BGH v. 1.4.1992 – 5 StR 457/91, BGHSt 38, 263 (265 f.); vgl. auch BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 = HFR 2005, 477 fÅr im Wege der Rechtshilfe aus der Schweiz beschlagnahmte Unterlagen; Deutscher, StRR 2013, 143; Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 81;
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
9.230 Eine fÅr das Steuerstrafrecht bedeutsame Einschrnkung hinsichtlich der Verwertbarkeit findet sich zunchst in Art. 50 Abs. 3 SD, wonach der ersuchende Staat nur mit vorheriger Zustimmung des ersuchten Staates die erlangten Erkenntnisse fÅr andere als in dem Ersuchen bezeichnete Ermittlungsverfahren verwendet.
9.231 Die Frage, wann gleichwohl ein Verwertungsverbot anzunehmen sein kann, ist kasuistisch und von Pragmatismus geprgt.1
9.232 Verwertungsverbote kÇnnen sich zunchst aus der Missachtung der Souvernitt fremder Staaten ergeben, etwa bei eigenmchtigen grenzÅberschreitenden Handlungen ohne Rechtshilfeersuchen oder bei einer bewussten Missachtung der inhaltlichen Reichweite des Ersuchens.2 Aus einem bloßen Verstoß gegen das Territorialprinzip kann ein Beweisverwertungsverbot zugunsten des Beschuldigten indes nicht hergeleitet werden. Sein Rechtskreis ist insofern nicht betroffen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Rechtshilfeweg willkÅrlich und absichtlich umgangen wird und die vÇlkerrechtliche Norm individualschÅtzenden Charakter entfaltet.3 Mitunter wird davon ausgegangen, dass, wenn das Territorialprinzip sich auch primr auf die Souvernitt des jeweiligen Staates bezieht, jedoch im Bereich der Rechtshilfe durch die konkrete Ermittlungsmaßnahme unmittelbar in die individuelle Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen wird.4 Es bleibt abzuwarten, ob das BVerfG bei seiner Auffassung bleibt oder nicht bestimmten Fllen Grenzen setzt, zumindest bei willkÅrlichen VerstÇßen. Beispiel: Zur Vermeidung eines aufwendigen Rechtshilfeersuchens beschließen die im Grenzgebiet zur Schweiz wohnhaften Steuerfahnder A und B, jeweils vor und nach dem Dienst bei dem in der Nhe von Basel wohnhaften C vorbeizufahren und zu ÅberprÅfen, ob er sich dort nicht nur vorÅbergehend aufhlt.
9.233 Ein Verwertungsverbot ergibt sich ferner aus der Missachtung bestehender Spezialittsvorbehalte oder wenn die auslndische Regierung einer Verwertung zu Informationszwecken Åberlassener Dokumente wider-
1 2 3
4
BÇse, ZStW 114 (2002), 148 (149, 152 und 180); Gleß, JR 2008, 317 (321); Jahn, Gutachten fÅr den 67. Deutschen Juristentag, 2008, C 117; vgl. auch Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 264 ff.; einschrnkend hingegen Perron, ZStW 112 (2000), 202 (219), hinsichtlich der Verwertung der Ergebnisse im Ausland durchgefÅhrter TelekommunikationsÅberwachung; zum Ganzen auch Nagler, StV 2013, 324; BÅlte, ZWH 2013, 219. Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 11d; Nagler, StV 2013, 324 (326). Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 12. BVerfG v. 16.3.2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684 (2686); BVerfG v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917 (1923); BVerfG v. 12.10.1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 63, 343; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris. Spatscheck/Alvermann, IStR 2001, 33 (37).
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G. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse
spricht.1 Ein etwaiger Mangel kann durch Zustimmung geheilt werden. Eine Zurechnung von Verfahrensfehlern des ersuchten Staates findet grundstzlich nicht statt2, es sei denn, der Verstoß ist den deutschen BehÇrden zurechenbar.3 Beweisverwertungsverbote im Zusammenhang mit Beweisrechtshilfe kÇnnen sich indes aus der inlndischen Rechtsordnung des ersuchenden Staates4 oder aus vÇlkerrechtlichen Grundstzen ergeben5, angenommen etwa bei unzulssigen Eingriffen in das Souvernittsrecht eines anderen Staates, z.B. bei bewusster Umgehung der Rechtshilfe.6 Ein Verwertungsverbot hinsichtlich im Rahmen der Rechtshilfe gewonnener Beweise kann sich im Grundsatz zudem aus der Verletzung rechtshilferechtlicher Bestimmungen selbst ergeben. Dies kann der Fall sein wenn etwa entgegen Art. 4 Abs. 1 EU-Rhbk im ersuchten Staat eine richterliche Vernehmung ohne die gem. § 168c StPO erforderliche Benachrichtigung des Verteidigers erfolgt war.7 Ist der ersuchte auslndische Staat rechtshilferechtlich zur Vornahme der erbetenen Beweiserhebung nach dem Recht des ersuchenden Staates verpflichtet, ergibt sich ein inlndisches Beweisverwertungsverbot grundstzlich aus der Verletzung der maßgeblichen inlndischen Beweiserhebungsregeln.8 Der BGH vertritt indes die einschrnkende Ansicht, dass ein aus der Nichteinhaltung rechtshilferechtlicher Bestimmungen abgeleitetes Verwertungsverbot lediglich dann in Betracht zu ziehen ist, wenn den entsprechenden Regelungen (auch) ein individualschÅtzender Charakter – wenigstens i.S. eines Schutzreflexes – zukommt.9
9.234
Ein Verwertungsverbot besteht ferner, wenn unverzichtbare allgemeine rechtsstaatliche Grundstze nicht eingehalten wurden oder bei mehreren
9.235
1 Vgl. BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (344). 2 BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70 = NStZ 2010, 410, mit Anm. Stiebig, StraFo 2010, 281; BGH v. 14.1.2001 – 3 StR 438/00, StV 2001, 663; vgl. auch Sommer, StraFo 2010, 284; Mosbacher, JuS 2010, 689; zum Ganzen Stiebig, ZJS 2012, 614. 3 Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 11 ff. 4 Zu VerstÇßen gegen § 136a StPO bei im Ausland vernommenen Zeugen vgl. Nagler, StV 2013, 324 (327). 5 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris unter Verweis auf Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 81; Gleß, Beweisrechtsgrundstze einer grenzÅberschreitenden Strafverfolgung, 2006, 141 ff.; Gleß, JR 2008, 317 (323 ff.); BÅlte, ZWH 2013, 265. 6 BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (343 f.). 7 BGH v. 15.3.2007 – 5 StR 53/07, NStZ 2007, 417 bzgl. Art. 4 Abs. 1 EU-Rhbk. 8 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 23, juris unter Verweis auf BGH v. 19.3.1996 – 1 StR 497/95, NJW 1996, 2239 (2240). 9 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 25, juris, unter Verweis auf BGH v. 8.4.1987 – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334 (343 f.), verneinte aber im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
mÇglichen Verfahrensweisen bewusst auf eine die strengeren deutschen Vorschriften unterlaufende Verfahrensweise hingewirkt wurde.1 Etwaigen Beweisgewinnungsdefiziten ist in jedem Fall im Rahmen der BeweiswÅrdigung Rechnung zu tragen. Gleiches gilt, wenn lediglich teilweise Beweismittel zur VerfÅgung gestellt werden.2 Dem Umstand, dass potenziell entlastende Beweismittel nicht beigebracht werden kÇnnen, ist durch eine vorsichtige BeweiswÅrdigung und etwaige Anwendung des Zweifelssatzes Rechnung zu tragen. Namentlich kamen diese Grundstze in Verfahren wegen Terrorismus zum Tragen, doch insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht sind Fallgestaltungen denkbar, in denen es dem Beschuldigten faktisch nicht mÇglich ist, entlastende Unterlagen beizubringen: sei es, weil auslndische Banken sich generell weigern, sog. Negativbesttigungen beizubringen; sei es, weil entlastende Zeugen nicht beigebracht werden kÇnnen oder Unterlagen durch fremde Staaten nicht Åbersandt werden (zu entsprechenden Beweisantrgen s. Rz. 9.113 f.).
9.236 Kein Verwertungsverbot ergibt sich aus VerstÇßen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens oder VerstÇßen gegen die EMRK, die nicht durch den Einfluss der deutschen StrafverfolgungsbehÇrden hervorgerufen wurden und bei denen diese auch keine kompensierenden Maßnahmen (etwa Videovernehmung) ergreifen konnten. Eine allgemeine Zurechnung des Verfahrensgangs wird, wie dargelegt (Rz. 9.228), abgelehnt.3 Ein Beweisverwertungsverbot etwa wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK kommt aufgrund von VerstÇßen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen als solche nur in Betracht, wenn sich das Strafverfahren insgesamt als unfair erweist. In der Rechtsprechung des Europischen Gerichtshofs fÅr Menschenrechte (EGMR) ist anerkannt, dass aus der Verletzung von Vorschriften des nationalen Rechts Åber die Beweiserhebung nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot resultiert, wenn das entsprechende Verfahren trotz des Verstoßes insgesamt als fair anzusehen ist.4 Ggf. sind VerstÇße oder Unzulnglichkeiten jedoch bei der BeweiswÅrdigung zu berÅcksichtigen.
9.237 Problematisch ist auch weiterhin die Beschaffung von Beweismitteln im Ausland durch private Personen. Die Vorschriften zu den Beweisverwertungsverboten richten sich grundstzlich nur an StrafverfolgungsbehÇrden. Es gelten die AusfÅhrungen des BVerfG zum Verwertungsverbot, etwa im Fall des Ankaufs von Steuerdaten-CDs5 (vgl. hierzu Rz. 6.36; 11.55). Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe2, 226. Vgl. BGH v. 9.6.2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322. BGH v. 17.3.2010 – 2 StR 397/09, NJW 2010, 2224. BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 29, juris, unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 25.3.1999, 25444/94 – Plissier und Sassi ./. Frankreich – Rz. 45 f., NJW 1999, 3545 f. 5 Vgl. auch Schomburg/Hackner in S/L/G/H5, Vor § 68 IRG Rz. 12d; HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 608 ff.; Seitz, Ubg 2014, 380; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 276. 1 2 3 4
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G. Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Erkenntnisse
Die Unverwertbarkeit im Ausland erhobener Beweise kann ferner gegeben sein, wenn die Beweiserhebung unter Verletzung vÇlkerrechtlich verbindlicher und dem IndividualrechtsgÅterschutz dienender Garantien, wie etwa Art. 3 EMRK, oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundstze i.S. des ordre public (vgl. § 73 IRG) erfolgt ist.1
9.238
Von zunehmender Bedeutung auch im Internationalen Steuerstrafrecht, insbesondere im Bereich der internationalen Umsatzsteuer- oder Tabaksteuerhinterziehung, ist die Frage nach der Verwertbarkeit auslndischer Ergebnisse von TelefonÅberwachungsmaßnahmen. Die Problematik besteht darin, dass in einigen Lndern die Voraussetzungen fÅr eine Genehmigung wesentlich geringer sind als in Deutschland, wo die Steuerhinterziehung nur unter in § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a–c StPO genannten Voraussetzungen als Katalogtat und damit die Anordnung einer TelekommunikationsÅberwachung in Betracht kommt.
9.239
Beispiel: Gegen eine in Deutschland operierende Bande wird in Deutschland wegen der Hinterziehung von Tabaksteuern ermittelt.2 Die Staatsanwaltschaft Hamburg erbittet von den tschechischen Kollegen in Prag die bersendung der Ergebnisse der gegen den Lieferanten von A gefÅhrten TelefonÅberwachung, sowie der Erkenntnisse aus Observationen, Abschriften von Zeugenvernehmungen und sonstiger relevanter Unterlagen.
Bei der Beweisverwertung von Erkenntnissen, die aus einer durch den ersuchten auslndischen Staat originr durchgefÅhrten, nicht durch ein deutsches Rechtshilfeersuchen veranlassten TelekommunikationsÅberwachung stammen, ist den inlndischen Strafgerichten die RechtmßigkeitsprÅfung der auslndischen AnordnungsbeschlÅsse am Maßstab des auslndischen Rechts aus vÇlker- und unionsrechtlichen GrÅnden verwehrt.3 Es sei mit dem hinter dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung stehenden Gedanken des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren, eine in einem Mitgliedstaat ergangene, dort nicht aufgehobene gerichtliche Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der BegrÅndung als rechtswidrig zu bewerten, die Gerichte des Entscheidungsstaates htten ihre eigene nationale Rechtsordnung nicht 1 Sog. (eingeschrnkter) PrÅfungsmaßstab, d.h. inzidenter findet doch eine Kontrolle der auslndischen BeschlÅsse statt, BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 38, juris; s. auch Ambos, Beweisverwertungsverbote, 2010, 83; Gleß, JR 2008, 317 (321 ff.); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 122 ff. und 133 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (662); kritisch auch Nagler, StV 2013, 324 (326); zu den weiteren Konsequenzen auch BÅlte, ZWH 2013, 265. 2 Vgl. BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, juris. 3 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 33, juris. Als BegrÅndung wird ein Eingriff in die fremde staatliche Souvernitt angefÅhrt. A.A. Perron, ZStW 112 (2000), 202 (219); Schuster, Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafprozess, 2006, 111 ff., 245 f.; Schuster, NStZ 2006, 657 (661); Pitsch, Strafprozessuale Beweisverbote, 2009, 148 ff.
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9.240
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
eingehalten.1 WidersprÅchlich, weil auslndische Erkenntnisse privilegierend ist es dann aber, wenn – nach Widerspruch – fÅr die Verwertbarkeit im Inland durch die berwachung der Telekommunikation gewonnener Informationen eine umfassende PrÅfung der Anordnungsvoraussetzungen verlangt wird.2
9.241 Ein aus dem Verstoß gegen den Spezialittsgrundsatz resultierendes Verfahrenshindernis fÅhrt nicht zur Nichtigkeit eines Urteils oder zu einem Verwertungsverbot.3
H. Landesspezifische Besonderheiten 9.242 Im Folgenden werden Besonderheiten zur Leistung von Rechtshilfe im Bereich der Steuerhinterziehung zu einzelnen Staaten erÇrtert, allen voran Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg und sterreich.
I. Schweiz Literatur: Behnisch, Internationale Amts- und Rechtshilfe im Steuerrecht – neue Tendenzen, ST 2007, 286; Heine, Die Verletzung des Bankgeheinisses: Neue Strafbarkeit der Bank bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, in Emmenegger (Hrsg.), Cross-Boarder Banking, Basel 2009; Holenstein, Wird die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen durch die Amtshilfe nach OECD-Standard ÅberflÅssig?, PStR 2011, 41; Lionel, Die Rechtshilfe bei Abgabebetrug gemss Art. 3 Abs. 3 des neuen Rechtshilfegesetzes, ASA 50 (1981), 337 ff.; Paolo, Schweizerisches Bankgeheimnis und auslndischer Fiskus im Rahmen der internationalen Rechts- und Amtshilfe, STR 2000, 702 ff. und SJZ 95 (1999), 401 ff.; Paolo, Bankbeziehungen und internationale Rechtshilfe in Strafsachen: neuere Entwicklungen, SWZ/RSDA 2/95, 63; Petersen, Das Bankgeheimnis zwischen Individualschutz und Institutionsschutz, Diss. TÅbingen 2005; Pieper, Rechts- und Amtshilfe in Steuerangelegenheiten durch die Schweiz
1 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 35, juris. 2 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12 – Rz. 36, juris; BGH v. 7.3.2006 – 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1; BGH v. 7.3. 2006 – 1 StR 534/05, StV 2008, 63 (65); BGH v. 1.8. 2002 – 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362 (365-368). 3 BGH v. 9.2.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 = NJW 2012, 1301; Schomburg/ Hackner in S/L/G/H5, § 72 IRG Rz. 28; zu einem mÇglichen Verwertungsverbot vgl. BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317 = HFR 2005, 477; BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 299/03, HFR 2005, 477; BGH v. 10.1.2007 – 5 StR 305/06, NStZ 2007, 345 mit kritischer Anm. Lagodny, der moniert, dass sich smtliche Instanzen Åber den durch die Schweiz formulierten Spezialittsvorbehalt hinweggesetzt htten. Vgl. hierzu im Nachgang die Entscheidung des BVerfG v. 8.6.2010 – 2 BvR 432/07, 2 BvR 507/08, NJW 2011, 591. Zu einem Beweisverwertungsverbot bei sonstiger Rechtshilfe auch BFH v. 21.6.1989 – X R 20/88, NJW 1990, 2492.
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H. Landesspezifische Besonderheiten insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Bankgeheimnis, Diss. Frankfurt/M. 1995; Weigell, Erfahrungen im Bereich der Rechts- und Amtshilfe sowie des Informationsaustauschs in der Steuerstrafverfolgung im Verhltnis insbesondere zur Schweiz, Tagungsband KÇlner Tage Steuerfahndung 2010, 121.
1. Rechtsquellen Die maßgeblichen Rechtsquellen der Schweiz sind: – Bundesgesetz vom 20.3.1981 Åber internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz – IRSG);1 – Verordnung vom 24.2.1982 Åber internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfeverordnung – IRSV).
9.243
Das IRSG hat die gleiche Funktion wie das deutsche IRG. Smtliche Wegleitungen, Verordnungen und sonstigen fÅr das schweizerische Rechtshilferecht bedeutsamen Unterlagen, insbesondere eine vorzÅgliche GesamtÅbersicht des schweizerischen Rechtshilferechts sind abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/wegleitungen.html.
9.244
Mit der Schweiz besteht zudem eine den Schengen-Besitzstand einbeziehende Assoziierungsvereinbarung2 und weitere bilaterale Ergnzungsvertrge (CH-ErgV EuRhÅbk; ndV Ch-ErgV EuRhÅbK, D-Ch PolVG, D-CH PolV). Von Bedeutung ist ferner das Abkommen vom 26.10.2004 Åber die Zusammenarbeit zwischen der Europischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zur Bekmpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeintrchtigen (BetrugsbekmpfungsAbk EU-CH; BBA).3 Artt. 2 Abs. 1, 26 Abs. 1 BBA normieren etwa die Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern.
9.245
2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Die Schweiz ist Unterzeichnerstaat des EuRhbk, des 1. ZP-EuRhbk und des 2. ZP-EuRhbk.4 Sie leistet jedoch unter Berufung auf Art. 2 des EuRhbk keine Rechtshilfe in reinen Fiskalstrafsachen,5 etwa beim blo1 Abgedruckt bei S/L/G/H5, 2646; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 161. 2 Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der EU, der EG und der schweizerischen Eidgenossenschaft Åber die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, BGBl. II 2006, 1362; vgl. auch S/L/G/H5, 1744. 3 Abgedruckt bei S/L/G/H5, 1337; hierzu auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 153.3. 4 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689. 5 Eine Angleichung der Rechtshilfe im Bereich der direkten Steuern, hat in das IRSG bislang keinen Eingang gefunden. Die Vorlage, wonach der im IRSG verankerte Vorbehalt, wonach lediglich bei Vorliegen eines Abgabebetruges Rechts-
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9.246
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
ßen Verschweigen von EinkÅnften.1 Davon zu unterscheiden ist die Amtshilfe2 (hierzu Rz. 8.64 f.) auf der Grundlage des revidierten Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz, wonach ein besserer Informationsaustausch entsprechend den OECD-Standards vereinbart wurde und nunmehr auch bei Verdacht der bloßen Steuerhinterziehung auf begrÅndete Anfrage Amtshilfe geleistet wird.3 Die darÅber erlangten Kenntnisse kÇnnen auch im Strafverfahren Verwendung finden. Die Neuregelungen finden indes nur Anwendung fÅr Auskunftsersuchen, die am oder nach dem 21.12.2011 gestellt werden und sich auf Steuerjahre/Veranlagungszeitrume beziehen, die am oder nach dem 1.1.2011 beginnen.4
9.247 Der Hauptgrund dafÅr, dass die Schweiz in Fiskalsachen keine Rechtshilfe leistet, besteht darin, dass das Bankgeheimnis auch im schweizerischen Recht ein direktes Hindernis fÅr steuerliche Ermittlungen bildet und nur im Fall von Abgabebetrug aufgehoben werden kann. Die Schweiz sieht sich daher gehindert, auslndischen StrafverfolgungsbehÇrden im Rahmen der Rechtshilfe weitergehende Vorrechte einrumen als die schweizerischen BehÇrden in ihren inlndischen Untersuchungen besitzen.5 Hinzu kommt, dass der reinen Steuerhinterziehung ein geringerer Verhaltensunwert beigemessen wird als etwa dem Betrug, der Arglist erfordert. Fiskaldelikte richten sich in erster Linie gegen den Staat, der aufgrund ausreichender SelbstschutzmÇglichkeiten als weniger schutzwÅrdig erachtet wird.
9.248 Nach Art. 3 Abs. 3 IRSG kann einem Ersuchen um Rechtshilfe aber entsprochen werden, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Steuerbetrug ist. Das „kann“ ist i.S. eines intendierten Ermessens zu lesen. Liegen die Voraussetzungen vor, sind die schweizer BehÇrden zur Leistung von Rechts-
1 2 3
4 5
hilfe geleistet wird, gegenÅber Staaten nicht mehr angewendet wird, mit denen die Schweiz im DBA eine dem OECD-Standard entsprechende Amtshilfeklausel vereinbart hat, wurde nicht umgesetzt. Im Verhltnis zu diesen Staaten sollte der Fiskalvorbehalt fÅr smtliche Instrumente der Rechtshilfe entfallen, vgl. auch das Schreiben der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren v. 21.9.2012, abrufbar unter www.fdk-cdf.ch/120921_irsg_stn_ fdkpvb_def_d_uz.pdf; zur Stellungnahme der politischen Parteien in der Schweiz vgl. www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/.../ve-parteien.pdf. Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 58; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 153.6. Zum Ganzen auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.53 ff.; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004. Vgl. auch das am 20.12.2002 verabschiedete Revisionsprotokoll v. 12.3.2002 zum deutsch-schweizerischen Abkommen v. 11.8.1971 (BGBl. II 1972, 1021), BStBl. I 2003, 165; vgl. zur Auslegung des Protokolls BMF v. 4.1.2010 – IV B 2 S 1301 – CHE/07/10027-01; Peters in Kohlmann, § 399 AO Rz. 58; HilgersKlautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 153.6. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 153.6. Aubert/Kernen/SchÇnle, Le secret bancaire suisse, 222.
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H. Landesspezifische Besonderheiten
hilfe verpflichtet. Nicht gewhrt werden Auslieferung (Artt. 32 ff. IRSG)1, stellvertretende Strafverfolgung (Artt. 85 ff. IRSG) oder die Vollstreckung von Strafentscheiden (Artt. 94 ff. IRSG). Entsprechend Art. 24 der IRSV bestimmt sich der Begriff des Abgabebetruges i.S. von Art. 3 Abs. 3 IRSG nach Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes Åber das Verwaltungsstrafrecht vom 22.3.1974.
9.249
Ein Steuerbetrug liegt vor, wenn der Tter durch sein arglistiges Verhalten bewirkt, dass dem Gemeinwesen unrechtmßig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es sonst am VermÇgen geschdigt wird.2 Die schweizerische Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen an die Bejahung der Arglist. Es sind danach stets besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze LÅgengebude erforderlich, damit eine arglistige Tuschung anzunehmen ist. Das schweizerische Bundesgericht fÅhrt hierzu aus: .3
9.250
„Gemß Art. 24 der Verordnung Åber internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSV) bestimmt sich der Begriff des Abgabebetruges im Sinne von Art. 3 Abs. 3 IRSG nach Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes Åber das Verwaltungsstrafrecht vom 22. Mrz 1974. Danach liegt ein Abgabebetrug vor, wenn der Tter durch sein arglistiges Verhalten bewirkt, dass dem Gemeinwesen unrechtmßig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es sonst am VermÇgen geschdigt wird. Der damit umschriebene Tatbestand ist weiter als jener des Steuerbetrugs gemß Art. 186 des Bundesgesetzes Åber die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990, der eine Tuschung der SteuerbehÇrden durch geflschte, verflschte oder inhaltlich unwahre Urkunden wie GeschftsbÅcher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Lohnausweise oder andere Bescheinigungen Dritter voraussetzt. Ein Abgabebetrug kann, muss aber nicht durch Verwendung falscher oder unrichtiger Urkunden begangen werden, sondern es sind auch andere Flle der arglistigen Tuschung denkbar. Nach der Rechtsprechung sind jedoch immer besondere Machenschaften, Kniffe oder ganze LÅgengebude erforderlich, damit eine arglistige Tuschung anzunehmen ist. Arglist ist namentlich zu bejahen, wenn der Angeschuldigte den Getuschten von der berprÅfung der Falschangaben abhlt, wenn die Angaben objektiv nicht ÅberprÅfbar sind oder falls der Angeschuldigte Anlass hat, den Verzicht auf die berprÅfung vorauszusehen [ . . .]’’
Die Unterscheidung von Abgaben- und Steuerbetrug bleibt auch in den vom SD erfassten Fllen relevant, das seit dem 12.12.2008 auch im Verhltnis zur Schweiz Anwendung findet. Auch wenn Art. 50 SD grund1 Eine Auslieferung kommt jedoch in Betracht bei „schwerer illegaler persÇnlicher Bereicherung mit staatlichen Geldern“ und Geldwsche, vgl. Schweizerisches Bundesgericht Lausanne v. 22.12.2005 – 1005 1 A.288/05, EuGRZ 2006, 425. 2 Vgl. auch Zimmermann/SchrÇder in Flore/Tsambikakis, S. 1227 Rz. 286; Matthes in Kohlmann, § 399 AO Rz. 58; Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 165; Stahl, KSDI 2014, 18687 (18690). 3 Schweizerisches Bundesgericht v. 28.1.2003 – 1A.253/2002/bmt 53; vgl. auch Verfahrensgericht in Strafsachen Basel-Landschaft v. 10.3.2002 – R 2000/039, NStZ-RR 2002, 375.
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9.251
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
stzlich zur Leistung umfassender Rechtshilfe im Bereich der indirekten Steuern verpflichtet, sind die Voraussetzungen fÅr Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen gem. Art. 51 SD im Fall der einfachen Steuerhinterziehung nicht erfÅllt, da eine Strafgerichtsbarkeit wegen des Vergehenscharakters der Steuerhinterziehung in der Schweiz ausgeschlossen ist.
9.252 Weitere Flle der Arglist sind berfakturierung mit KapitalrÅckfluss1, die Verwendung zwischengeschobener Sitzgesellschaften oder die systematische Verwendung geflschter Vertrge2, unrichtige GeschftsbÅcher, planmßige Verschleierung des Wohnsitzes3 oder sonstige manoevres frauduleues (LÅgengebude) i.S. des schweizerischen Rechts.4 3. Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten
9.253 Die Schweiz hlt eine weitere Ausnahme fÅr den Bereich der Rechtshilfe in reinen Fiskalstrafsachen bereit. Wenn es sich um Rechtshilfe zur Entlastung des Beschuldigten handelt, gewhrt die Schweiz unter Berufung auf Art. 63 Abs. 5 IRSG Rechtshilfe, sofern dies zurÅckhaltend gehandhabt wird. Erforderlich ist aber, dass dem deutschen Rechtshilfeersuchen eine protokollierte Zustimmung des Beschuldigten beiliegt.5 Beispiel: Die Steuerfahndung geht davon aus, dass A in Deutschland unbeschrnkt steuerpflichtig ist. Zum Beweis der Tatsache, dass A sich die Åberwiegende Zeit des Jahres in einem kleinen Ort im schweizer Engadin aufhlt, beantragt er die Vernehmung seiner unmittelbaren Nachbarn.
4. Keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten
9.254 Die Schweiz leistet keine Rechtshilfe bei gestohlenen Bankdaten, etwa bei sog. „Steuer-CDs“. Die schweizer BehÇrden sind der Ansicht, dass einem Rechtshilfeersuchen, welches auf gestohlenen schweizer Bankdaten grÅndet, die Anerkennung zu versagen ist. Die Schweiz ist der Auffassung, dass solche Rechtshilfeersuchen abgewiesen werden mÅssen, da sie dem Prinzip von Treu und Glauben zwischen Staaten widersprechen. Die Beachtung dieser Regel ist nach schweizer Ansicht eines der zentralen Elemente des vÇlkerrechtlichen Vertrauensprinzips, wonach der ersuchte Staat davon ausgehen kann, dass die dem Rechtshilfe zugrunde liegenden Angaben den Tatsachen entsprechen. Ein Staat kÇnne jedoch nicht gut1 BGE 111 lb 242 ff. 2 BGE v. 31.1.2006 – 1A.234/2005 E. 2.3. 3 BGer v. 12.8.2004 – 1A.117/2004 E. 3.3.2 zum Fall eines Steuerpflichtigen, der mittels mehrerer fingierte Mietvertrge Åber ein ihm gehÇriges Haus und durch ein unzutreffendes Gsteregister verschleiert, dass er seinen Wohnsitz weiterhin in Deutschland hat. 4 Zum Ganzen auch BGE 125 II 250 ff., insbesondere 252; BGE 115 Ib 68 ff. 5 BGE 113 Ib 67 E. 4a.
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H. Landesspezifische Besonderheiten
glubig ein Rechtshilfeersuchen stellen, das sich auf Daten stÅtzt, welche in der Schweiz oder einem Drittstaat auf illegale Weise beschafft wurden.1 5. Zusammenhang mit der Schweiz Der Sachverhalt, der Gegenstand des das auslndische Ersuchen begrÅndenden Verfahrens bildet, muss in konkretem Zusammenhang mit der Schweiz stehen.2 Einem Ersuchen, das eine reine Beweisausforschung in der ganzen Schweiz bezweckt, wird nicht entsprochen. Die Schweiz tritt nicht auf Ersuchen ein, die ohne weitere Angaben zu ermitteln versuchen, ob die Person, gegen die das auslndische Verfahren gefÅhrt wird, in der Schweiz Bankkonten besitzt.
9.255
6. Inhaltliche Anforderungen Aus der Sachverhaltsschilderung muss zweifelsfrei hervorgehen, dass die Tatbestandselemente der in Rede stehenden Straftat nach schweizerischem Recht erfÅllt sind. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die ersuchende auslndische BehÇrde unter dem Deckmantel einer lediglich behaupteten tauglichen Straftat oder einem behaupteten Abgabenbetrug Beweise verschafft, die zur Ahndung von reinen Fiskaldelikten dienen sollen, fÅr welche ansonsten keine Rechtshilfe gewhrt wÅrde.3 Eine Missachtung des vorgesehenen bermittlungsweges, der formellen oder inhaltlichen Anforderungen oder fehlende bersetzungen haben in der Schweiz jedoch nicht automatisch die Verweigerung der Rechtshilfe zur Folge. Es wird lediglich auf eine Korrektur hingewirkt.4 Bestehen Zweifel Åber die Merkmale der im Ersuchen erwhnten Abgaben, holt das Bundesamt oder die kantonale VollzugsbehÇrde gem. Art. 24 Abs. 3 IRSV die Stellungnahme der EidgenÇssischen Steuerverwaltung ein.
9.256
7. Verfahren Die ersuchende BehÇrde richtet das Rechtshilfeersuchen entweder an das Bundesamt fÅr Justiz oder direkt an die zustndige kantonale BehÇrde. Die ausfÅhrende BehÇrde nimmt eine Art VorprÅfung (Art. 80 IRSG) vor. Stattgebendenfalls erlsst sie eine nicht selbstndig anfechtbare sog. Eintretens- und ZwischenverfÅgung (Art. 80a IRSG), welche die Anordnung 1 Vgl. EidgenÇssisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Schreiben v. 4.10.2010 6.7.0 / S 747 / GOP, abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/ home/straf/wegleitungen.html; vgl. auch Stahl, KSDI 2014, 18687 (18689). 2 BGE 122 II 367, 121 II 241 E. 3a; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 166. 3 Vgl. auch die Wegleitung des schweizerischen Bundesamts fÅr Justiz „Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen“, 9. Aufl. 2009, abrufbar unter http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/wegleitungen.html; vgl. ferner Schweizerisches Bundesgericht v. 6.3.2003 – 1A.5/2003; 1A.35/2002; 1A.63/2001; 1A.221/1999. 4 BGE 1A.160/2000 v. 4.12.2000, E. 3.
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9.257
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
der Zulssigkeit des Rechtshilfeersuchens enthlt. Daran schließt sich der Vollzug der Maßnahmen, ggf. unter Beteiligung deutscher Ermittlungsbeamter, an. Daran anschließend wird die betroffene Person formell angehÇrt und etwaige Einwendungen gegen die Gewhrung von Rechtshilfe werden zu den innerstaatlichen Verfahrensakten genommen. Die Einlassung des Betroffenen verbleibt in den Akten und geht nicht an die ersuchende BehÇrde. Stimmt der Betroffene zu, was unwiderruflich ist (Art. 80c Abs. 1 Satz 2 IRSG), ist das Rechtshilfeverfahren beendet und die Unterlagen kÇnnen unmittelbar zur VerfÅgung gestellt werden (Artt. 80c, 80d IRSG).
9.258 Die VerfÅgung der ausfÅhrenden kantonalen BehÇrde oder der ausfÅhrenden BundesbehÇrde, mit der das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen wird, unterliegt zusammen mit den vorangehenden ZwischenverfÅgungen der Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts.1 Die SchlussverfÅgung oder vorangehende ZwischenverfÅgungen kÇnnen selbstndig nur angefochten werden, sofern sie einen unmittelbaren und nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken, entstanden durch die Beschlagnahme von VermÇgenswerten und Wertgegenstnden oder durch die Anwesenheit von Personen, die am auslndischen Prozess beteiligt sind (Art. 80e IRSG). Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt). 8. Spezialittsvorbehalt
9.259 Die Schweiz verbindet die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen im brigen gem. § 67 IRSG mit folgendem Spezialittsvorbehalt:2 „Die durch Rechtshilfe erhaltenen AuskÅnfte und SchriftstÅcke dÅrfen im ersuchenden Staat in Verfahren wegen Taten, bei denen Rechtshilfe nicht zulssig ist, weder fÅr Ermittlungen benÅtzt noch als Beweismittel verwendet werden. Das Verwertungsverbot bezieht sich ferner auf Taten, die nach schweizerischem Recht als politische, militrische und fiskalische Delikte qualifiziert werden. Als Fiskaldelikt gilt eine Tat, die auf die VerkÅrzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften Åber whrungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Maßnahmen verletzt. Zulssig ist jedoch die Verwendung der Åbermittelten Unterlagen und Informationen zur Verfolgung von Abgabebetrug im Sinne des schweizerischen Rechts. Zulssig ist die Verwendung der in der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse auch: zur Verfolgung anderer als der im Rechtshilfebegehren erwhnten Straftaten, soweit fÅr diese ebenfalls Rechtshilfe zulssig wre; oder zur Verfolgung anderer Personen, die an den im Rechtshilfebegehren erwhnten strafbaren Handlungen teilgenommen haben. In keinem Falle gestattet ist die direkte oder indirekte Verwendung der erhaltenen Unterlagen und der darin enthaltenen Angaben fÅr ein fiskalisches Straf- oder Verwaltungsverfahren. Jegliche weitere Verwendung dieser Unterlagen und Informationen bedarf der ausdrÅcklichen Zustimmung des Bundesamtes fÅr Justiz, die vorgngig einzuholen ist.“
1 Vgl. auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 158.1. 2 Vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 169.
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H. Landesspezifische Besonderheiten
9. Auslieferung Die Schweiz hat die Zustimmung zum Assoziierungsabkommen mit der EU und der EG zum Schengen-Raum im Jahr 2005 erklrt und setzt seit dem 12.12.2008 das SD um. Dies bedeutet, dass die Schweiz in den benannten Fllen zur Auslieferung verpflichtet ist.1 Zu nennen sind insbesondere die Flle der qualifizierten Umsatzsteuerhinterziehung, der qualifizierten Zollzuwiderhandlungen oder ein Abgabenbetrug im Bereich der indirekten Steuern.
9.260
Eine Auslieferung kommt ferner in Betracht bei RÅckforderung deutscher Kapitalertragsteuer auf fiktive GewinnausschÅttungen2, bei organisierter Umsatzsteuerhinterziehung durch unberechtigtes Erlangen von Vorsteuererstattungen3 und sonstigen unberechtigten VorsteuerrÅckerstattungen4. Der Hintergrund fÅr die Ausdehnung der auslieferungsfhigen Taten ist auch, dass das schweizer Bundesgericht mehr und mehr dazu Åbergeht, angesichts der frauduleusen Verhaltensweisen die strafbare Ausnutzung von SteuerrÅckerstattungssystem als auslieferungsfhigen Betrug i.S. von Art. 146 CH-StGB anzusehen.
9.261
10. Rechtshilfe bei indirekten Steuern Die Schweiz leistet nach dem Betrugsbekmpfungsabkommen und dem Schengener Assoziierunsgabkommen Amts-5 und Rechtshilfe bei einfacher Steuerhinterziehung in Fllen der unter das BBA fallenden indirekten Steuern (Zoll, Umsatz, Verbrauch). Rechtshilfe wird geleistet, wenn der voraussichtliche Steuerschaden 25.000 Euro Åbersteigt oder Besonderheiten in der Tat oder der Person des Tters die Gewhrung von Rechtshilfe auch bei geringeren Betrgen gleichwohl erfordern und das Recht des ersuchenden Staates ein Mindestmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe vorsieht.
II. Liechtenstein Literatur: Bußjger, Die neue Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zur Amtshilfe in Finanzangelegenheiten, LJZ 2010, 56; Gey, Internationale Amtshilfe im liechtensteinischen Finanzmarkt- und Steuerrecht – Grund1 Schweizer Bundesgericht v. 13.4.2010 – 1C 163/2010; vgl. hierzu Wegner, PStR 2011, 137; zum Ganzen auch Holenstein, PStR 2012, 151; Stahl, KSDI 2014, 18687 (18693). 2 BGer v. 18.8.2005 – 1A.294/2005. 3 BGer v. 22.2.2002 – 1A.189/2001; BGer v. 28.10.2002 – 1A.189/2002. 4 BGer v. 13.1.2006 – 1 A.297/2005. 5 Zur Amtshilfe und zur Verwendung der Erkenntnisse im Strafverfahren vgl. die AusfÅhrungen in Rz. 8.64.
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9.262
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
prinzipien und neue Entwicklungen, LJZ 2009, 17; Schfer, Was bedeutet „umfassend“ im Stiftungseingangssteuergesetz?, LJZ 2009, 1;
1. Rechtsquellen
9.263 Das liechtensteinische Rechtshilferecht1 ist geregelt im Gesetz vom 15.9.2000 Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz – RHG2).3 Das Gesetz ist hnlich dem deutschen IRG und dem Çsterreichischen ARHG. Mit der RHG-Novelle von 2007 wurde Art. 51 RHG dahin gehend gendert, dass nunmehr die sog. Kleine Rechtshilfe fÅr schwere Flle von Mehrwertsteuerbetrug und bei qualifizierten ZollÅbertretungen zulasten des EU-Haushalts mÇglich ist. Art. 51 Abs. 1a RHG lautet wie folgt: (1a) Dass die dem Ersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung nach dem Art. 15 Ziff. 2 nicht der Auslieferung unterliegt, steht der Leistung von Rechtshilfe nicht entgegen, soweit die Handlung strafbar ist und im Zusammenhang mit einer Schdigung des Haushalts der Europischen Gemeinschaften steht: 1
als Steuerbetrug nach Art. 88 des Mehrwertsteuergesetzes oder als arglistig oder unter erschwerenden Umstnden begangene Zollwiderhandlung nach Art. 118 und 119 in Verbindung mit Art. 124 des schweizerischen Zollgesetzes oder Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes Åber das Verwaltungsstrafrecht, wenn in diesen Fllen die hinterzogene Steuer, der verkÅrzte Zoll oder ein sonstiger unrechtmssiger Vorteil 75 000 Franken Åberstiegen hat oder Åbersteigen htte sollen, oder 2. als Bannbruch nach Art. 120 des schweizerischen Zollgesetzes.
9.264 Auf steuerlicher Ebene gilt daneben das Gesetz vom 30.6.2010 Åber die internationale Amtshilfe in Steuersachen (Steueramtshilfegesetz – SteAHG4). Auch mit Liechtenstein bestehen Assoziierungsabkommen in Bezug auf den Schengen Besitzstand.5 Liechtenstein ist Vertragspartner des 1 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 157 ff.; Hackner in Wabnitz/ Janovsky4, Kap. 24 Rz. 171. 2 Abrufbar unter www.gesetze.li. 3 Dem Schengen-Besitzstand ist Liechtenstein am 19.12.2011 vollstndig beigetreten. Vgl. Protokoll v. 28.2.2008 zwischen der EU, der EG, der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem FÅrstentum Liechtenstein zu dem Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der EU, der EG und der Schweizerischen Eidgenossenschaft Åber die Assoziierung der schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, BGBl. II 2009, 1051; ABl. EU Nr. L 160 v. 18.6.2011, 3; Inkraftsetzungsverordnung v. 8.9.2009, BGBl. II 2009, 1050; Ratsbeschluss v. 9.6.2011 ABl. EU Nr. L 164 v. 18.6.2011, 84. 4 LGBL. 2010/246. 5 Protokoll v. 28.2.2008 zwischen der Europischen Union, der Europischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem FÅrstentum Liechtenstein zu dem Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der Europischen Union, der Europischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft Åber die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der
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EuAlbk, des EuRhÅbk, des EuGeldwschebk und hat am 12.3.2009 die OECD-Standards zur internationalen Kooperation in Steuerangelegenheiten anerkannt. Von Bedeutung ist ferner das Tax Information Exchange Agreement vom 2.9.2009. 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen Die Leistung von Rechtshilfe in rein fiskalischen Strafsachen ist nach liechtensteinischem Recht (IRG Liechtenstein) derzeit noch unzulssig und wird durch Liechtenstein abgelehnt. Denn der Unrechtsgehalt der reinen Steuerhinterziehung wird in Liechtenstein als bloße verwaltungsbehÇrdlich zu ahndende bertretung erachtet. Es gelten die gleichen Bedenken wie in der Schweiz. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit ist insofern nicht gewahrt.
9.265
Beispiel: A unterhlt in Liechteinstein ein aus in Deutschland versteuerten Geldern gespeistes Aktiendepot. Die daraus resultierenden Ertrge versteuert er indes nicht. Bei einer Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornografischer Bilder, werden Depot- und Ertrgnisaufstellungen entdeckt.
Ein auf den Verdacht der Steuerhinterziehung gestÅtztes Rechtshilfeersuchen bliebe erfolglos.
9.266
Rechtshilfe wird jedoch geleistet, wenn neben der Steuerhinterziehung Delikte wie Steuerbetrug, Bestechung, Geldwsche oder sonstige vorgelagerte Begleitdelikte im Raum stehen.
9.267
Beispiel: A erhlt in Deutschland Åber Jahre hinweg Zahlungen, um im Gegenzug Betriebsgeheimnisse zu offenbaren. Die Zahlungen erfolgen Åber eine auslndische Firma auf sein Konto bei der LGT in Liechtenstein. Zahlungen und Ertrge werden in der Folgezeit nicht versteuert. Ein deutsches Rechtshilfeersuchen ergeht mit dem Ansinnen, Nachweise Åber die erhaltenen Zahlungen zu erlangen.
Außer fÅr die Straftaten, hinsichtlich derer eine beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist, kommt eine Verwendung der Åbersandten Unterlagen jedoch nicht in Betracht. Das FÅrstliche Landgericht fÅhrt hinsichtlich zu gewhrender Rechtshilfe bei anderen Delikten zur Verwendung in Steuerstrafverfahren insoweit aus:1 Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABl. EU Nr. L 160 v. 18.6.2011, 3; vgl. auch S/L/G/H5, 1751. Beschluss des Rates v. 9.6.2011 Åber die Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands Åber das Schengener Informationssystem im FÅrstentum Liechtenstein (SIS-AssoziierungsBeschlussFL), ABl. EU Nr. L 160 v. 18.6.2011, 84. S. auch Abkommen zwischen der Regierung des FÅrstentums Liechtenstein und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland Åber die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Steuersachen, 0.351.910.34, LGBl. 289, abrufbar unter https://www.gesetze.li/get_pdf.jsp?PDF=2010289.pdf. 1 BeschlÅsse des FÅrstlichen Landgerichtes v. 18.11.2009 (richtig: ON 4).
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9.268
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
„Die Åbersandten Akten und Gegenstnde dÅrfen im ersuchenden Staat weder zu Beweis- oder Erhebungszwecken wegen einer vor ihrer bergabe begangenen Handlung, auf die sich die Rechtshilfebewilligung nicht erstreckt, noch zu Beweis- oder Erhebungszwecken, wegen einer oder mehrerer fÅr sich allein nicht der Rechtshilfe unterliegenden Handlungen, das sind politische, militrische und fiskalische strafbare Handlungen, verwendet werden. Unter fiskalischen strafbaren Handlungen sind Handlungen zu verstehen, die in der Verletzung von Abgaben-, Monopol-, Zoll- oder Devisenvorschriften oder von Vorschriften Åber die Warenbewirtschaftung oder Åber den Aussenhandel bestehen.
3. Sonstige bilaterale Vereinbarungen
9.269 Von Bedeutung ist ferner das DBA Deutschland – Liechtenstein und die darin enthaltene Auskunftsklausel. 4. Inhaltliche Anforderung an ein Rechtshilfeersuchen
9.270 Die Liechtensteinischen Gerichte gehen in stndiger Rechtsprechung davon aus, dass hinsichtlich des Sachverhalts und des Verdachtsgrades keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind. Es genÅgt ein plausibler Anfangsverdacht, und dem Ermittlungsverfahren ist es nach Ansicht der liechtensteinischen Gerichte immanent, dass bestehende SachverhaltslÅcken erst durch ein Rechtshilfeersuchen geschlossen werden:1 „Diesem Vorbringen ist mit den ordentlichen Rechtshilfeinstanzen entgegenzuhalten, dass an die Detailliertheit und LÅckenlosigkeit der Sachverhaltsdarstellung durch die ersuchende BehÇrde keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Das Rechtshilfeersuchen dient gerade der Schliessung von noch bestehenden SachverhaltslÅcken und der Beschaffung von entsprechenden Beweisen, um im ersuchenden Staat erst die Voraussetzungen fÅr die DurchfÅhrung eines Strafprozesses zu schaffen (StGH 2005/71, Erw. 3.2; StGH 2000/28, LES 2003, 243 [249, Erw. 3.3]). Es ist zwar richtig, dass der Umstand, dass eine Sitzgesellschaft der Anonymisierung des wirtschaftlich Berechtigten an deren Aktiven dient, noch keineswegs ungewÇhnlich und fÅr sich allein kein Indiz fÅr einen Zusammenhang mit Straftaten ist und dass die Rechtshilfegewhrung ohne weitere Indizien problematisch ist und sich jedenfalls nur bei einer blossen WillkÅrprÅfung als verfassungskonform erweist (StGH 2003/11, LES 2006, 1 [7, Erw. 3.5]). Der Staatsgerichtshof hat aber in mehreren Entscheidungen ebenfalls festgehalten, dass auch bei einer differenzierten PrÅfung im Lichte des spezifischen Grundrechts des Geheimnisschutzes nach Art. 32 Abs. 1 und 2 LV sowie Art. 8 EMRK an das Erfordernis des zustzlichen Bezuges einer Sitzgesellschaft zu den auslndischen Straftaten keine strengen Anforderungen zu stellen sind. Der Staatsgerichtshof hat es dabei als genÅgend erachtet, dass eine Vielzahl von Sitzgesellschaften gezielt eingesetzt worden sei, um Ertrge aus den dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten zu verstecken bzw. zu waschen. Da somit der Einbezug von Sitzgesellschaften eine zentrale Rolle im deliktischen Plan gespielt habe und in diesem Zusammenhang auch spezifische BezÅge zu Liechtenstein bestÅnden, genÅge dies als zustzliches Indiz dafÅr, dass auch weitere involvierte Sitzgesellschaften fÅr kriminelle Zwecke missbraucht worden sein kÇnnten (StGH 2006/28, Erw. 7.1; [im Internet abrufbar unter www.stgh.li]; StGH 2006/117, Erw. 3.2; StGH 2007/51, Erw. 3.2.4; StGH 2007/64, Erw. 3.5).“ 1 Liechtensteinischer Staatsgerichtshof v. 10.2.2009 – StGH 2008/122.
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Im konkreten Fall ging es um ein Netzwerk von Gesellschaften, das zum Transfer von Schmiergeldern diente.
9.271
III. Luxemburg Luxemburg1 leistet in Steuersachen Rechtshilfe, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen in Luxemburg den qualifizierten Tatbestand des § 396 Abs. 5 der luxemburgischen Abgabenordnung erfÅllen wÅrde. Danach ist die Hinterziehung eines „nicht unerheblichen Steuerbetrages’’ entweder in HÇhe von mehr als 125.000 Euro oder in relativer HÇhe von mehr als 25 % der Jahressteuer und eine Tuschung der FinanzbehÇrde durch „systematische betrÅgerische Handlungen’’ erforderlich, etwa durch Einschaltung von Domizilgesellschaften.2 Die Verwendung der Åbermittelten Erkenntnisse ist nach dem Spezialittsgrundsatz nur fÅr die im Ersuchen aufgefÅhrten Straftaten zulssig. Im Bereich Umsatzsteuer wird nach Art. 50 SD Rechtshilfe geleistet, wenn der voraussichtliche Steuerschaden 25.000 Euro Åbersteigt oder Besonderheiten in der Tat oder der Person des Tters die Gewhrung von Rechtshilfe auch bei geringeren Betrgen gleichwohl erfordern (Art. 50 Abs. 2 SD). Eine weitergehende Verwertung der Åbersandten Erkenntnisse fÅr andere Straf- oder Verwaltungsverfahren ist gem. Art. 50 Abs., 3 SD nach vorheriger Zustimmung der luxemburgischen JustizbehÇrden mÇglich (Art. 50 Abs. 3 SD). Die Auslegung der einschlgigen luxemburgischen Strafvorschriften folgt dabei nicht den strengen Maßstben, wie sie etwa das Schweizerische Bundesgericht aufgestellt hat. So unterscheidet die Luxemburger Justiz etwa nicht zwischen falschen Bilanzen und falschen Einnahme-berschussRechnungen, sodass auch bei Freiberuflern, die keine BÅcher fÅhren, bei unrichtigen Angaben Åber den Gewinn Rechtshilfe gewhrt wird.
9.272
FÅr die Annahme einer „systematischen betrÅgerischen Handlung’’ reicht die wiederholte, gleichartige Begehungsweise aus.
9.273
IV. sterreich Literatur: Fischerlehner, Beweisverwertungsverbote im Abgabenverfahren, taxlex 2008, 161; Flora, Die Auskunft zu Bankkonten nach dem Protokoll zum bereinkommen Åber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU, BA 2006, 738.
1 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 155 ff. 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 153.3.
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Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
1. Rechtsquellen
9.274 Die Rechtsquellen des Çsterreichischen Rechtshilferechts1 sind:2 – Bundesgesetz vom 4.12.1979 Åber die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz – ARHG); – Verordnung des Bundesministers fÅr Justiz vom 30.4.1980 Åber den Auslieferungsverkehr und den zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (Auslieferungs- und Rechtshilfeverordnung – ARHV); – Bundesgesetz Åber die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europischen Union (EU-JZG); – Bundesgesetz Åber die internationale polizeiliche Kooperation (Polizeikooperationsgesetz – PolKG).
9.275 Daneben bestehen bilaterale Ergnzungsvertrge (D-A-PolV, A-ErgV EuRhbk).
9.276 Das maßgebliche ARHG unterscheidet sich nur unwesentlich vom deutschen IRG. Besonderheiten gelten, was das Auslieferungsrecht betrifft. Weiterhin gelten der Vertrag zwischen Deutschland und stereich Åber die Ergnzung des EuRhbk vom 31.1.19723 und der Vertrag Åber Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 4.10.1954.4 2. Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
9.277 sterreich hat das EuRhbK und das 1. ZP-EuRhbk des SD unterzeichnet. Die vormalige Berufung auf das in sterreich bestehende Bankgeheimnis ist pass. Das deutsche Ersuchen ist nach Einholung der entsprechenden Bewilligung zu richten an die Steuer- und Zollkoordination des Çsterreichischen Bundesministeriums fÅr Finanzen, Fachbereich Internationales Steuerrecht. In bestimmten Fllen ist dann ein direkter Verkehr der beteiligten Finanzmter untereinander mÇglich. sterreich unterscheidet dabei zwischen verwaltungsbehÇrdlicher Amtshilfe und gerichtlicher Rechtshilfe, wobei Letztere ab einem Betrag von 75.000 Euro hinterzogener Steuern in Betracht kommt.
V. USA 9.278 Zwischen Deutschland und den USA ist am 14.10.2003 der Vertrag Åber die Rechtshilfe in Strafsachen5 unterzeichnet worden. Deutschland hat 1 Zum Ganzen vgl. auch BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689. 2 Abrufbar unter www.ris.bka.gv.at. 3 BGBl. II 1975, 1157; BGBl. II 1976, 1818; BGBl. II 1995, 254. 4 BGBl. II 1955, 434, 743. 5 Vertrag v. 14.10.2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika Åber die Rechtshilfe in Strafsachen (RhV D-USA) i.d.F des Zusatzvertrages v. 18.4.2006; Gesetz v. 26.10.2007, BGBl. II 2007, 1618 (1620 ff.), in Kraft getreten am 18.10.2009, BGBl. II 2010, 829.
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H. Landesspezifische Besonderheiten
mit den USA am 18.4.2006 einen Zusatzvertrag zu dem Rechtshilfevertrag vom 14.10.2003 unterzeichnet.1 Die Vertragsparteien verpflichten sich gem. Art. 1 des Vertrags, einander soweit wie mÇglich Rechtshilfe in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und in Strafverfahren, einschließlich solcher wegen Zoll-, Abgaben- und Steuerstraftaten, zu leisten. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren i.S. dieses Vertrags schließen Ermittlungen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nach dem deutschen Kartellrecht ein. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren nach diesem Vertrag sind auch Ermittlungen und Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten, soweit sie im ersuchenden Staat zu Gerichts- oder Strafverfahren fÅhren kÇnnen und soweit sie im ersuchten Staat Straftaten darstellen wÅrden. Die Rechtshilfe kann gem. Art. 25 Abs. 2 des Vertrags bei einer Steuerstraftat abgelehnt werden, wenn die Steuerstraftat nach Auffassung des ersuchten Staates auf einer Besteuerung im ersuchenden Staat grÅndet, die den Bestimmungen einer bereinkunft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, bei dem beide Staaten Vertragspartei sind, widerspricht (Abs. 2 Nr. 1), oder bei nicht von einer solchen bereinkunft erfassten Steuern auf einer Besteuerung im ersuchenden Staat grÅndet, die seinen wesentlichen Steuergrundstzen widerspricht (Abs. 2 Nr. 2).
9.279
Ebenso besteht ein Auslieferungsvertrag.2 Damit stehen kÅnftig jeweils zwei vÇlkerrechtliche Instrumente (EU-USA-Abkommen und der bilaterale Vertrag mit nderung durch den Zusatzvertrag) zur VerfÅgung. Da der Regelungsinhalt des EU-USA-Abkommens in das bilaterale Vertragsverhltnis Åbernommen wurde, dÅrften in der Praxis keine Anwendungsprobleme auftreten. Smtliche Vertrge sind noch nicht in Kraft getreten. Angesichts der rigiden Strafverfolgungspolitik hinsichtlich der Hinterziehung von Steuern in den USA und entsprechender eingehender Ersuchen in der Praxis ist zu konstatieren, dass die Rechtshilfe in Steuerstrafsachen sehr gut funktioniert.
9.280
VI. Kanada Im Verhltnis zu Kanada findet der Rechtshilfevertrag vom 13.2.2002 Anwendung.3 Strafrechtliche Angelegenheiten schließen gem. Art. 1 Abs. 1 1 S/L/G/H5, 2099, vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 178. 2 Auslieferungsvertrag v. 20.6.1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika („AuslV D-USA“); Gesetz v. 16.5.1980, BGBl. II 1980, 646, 1300, i.d.F. des Zusatzvertrages v. 21.10.1986; Gesetz v. 5.12.1988, BGBl. II 1988, 1087; und des 2. Zusatzvertrages v. 18.4.2006; Gesetz v. 26.10.2007, BGBl. II 2007, 1618 (1637), in Kraft getreten am 1.2.2010, vgl. BGBl. II 2010, 829. 3 Vertrag v. 13.5.2002 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada Åber die Rechtshilfe in Strafsachen (RhV D-Kanada); Gesetz v. 5.7.2004, BGBl. II 2004, 962 f., 1564; vgl. auch Hackner in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 24 Rz. 180.
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9.281
Kapitel 9
Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
und Abs. 4 Verfahren betreffend Straftaten im Zusammenhang mit Abgaben, Steuern, ZÇllen und dem internationalen Kapital- oder Zahlungsverkehr ein. Art. 4 regelt die Herausgabe von Gegenstnden, wobei der Begriff „Gegenstnde’’ weit zu verstehen ist. Er bezieht sich auch auf elektronische Gegenstnde bzw. elektronische Kopien von Dokumenten, sprich auf Daten.
VII. Sonstige Staaten 9.282 Die Isle of Man, Jersey, Guernsey, die Karibikinseln, Bahamas, Bermuda, Cayman Island, British Virgin Island erteilen mittlerweile Auskunft in Steuerstrafsachen im Wege der steuerlichen Amtshilfe. Die so erlangten Erkenntnisse kÇnne in der Regel auch im Steuerstrafverfahren Verwendung finden (vgl. Rz. 8.58).1
VIII. Rechtshilfe und Steuergeheimnis 9.283 Das Steuergeheimnis gilt auch gegenÅber auslndischen BehÇrden, steht jedoch dem Rechtshilfeverkehr nicht entgegen, soweit:2 – die mit einem deutschen Rechtshilfeersuchen verbundene Offenbarung steuerlicher Verhltnisse zur DurchfÅhrung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulssig und erforderlich ist oder – die mit der Erledigung eines auslndischen Rechtshilfeersuchens verbundene Offenbarung steuerlicher Verhltnisse durch vÇlkerrechtliche Vereinbarungen oder durch § 117 AO i.V.m. § 59 Abs. 3 IRG ausdrÅcklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO) .
J. StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen/Unaufgeforderte bermittlung von Informationen (Schweiz/Liechtenstein/ sterreich) 9.284 Der Weg eines fÇrmlichen Rechtshilfeersuchens ist mitunter mÅhselig, von Formalitten geprgt und oftmals zeitraubend. Eine effektive Form der DatenÅbermittlung existiert mit den Vorschriften Åber die unaufgeforderte bermittlung von Informationen in Deutschland § 61a d-IRG, sterreich § 59a Ç-ARHG, Liechtenstein Art. 54a li-RHG und der Schweiz Art. 67a ch-IRGS.
1 Vgl. die AbkommensÅbersicht in Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 2 BMF v. 16.11.2006 – IV B 1 - S 1320 - 66/06, BStBl. I 2006, 689.
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J. Unaufgeforderte bermittlung von Informationen Beispiel: Die deutschen BehÇrden ermitteln im Zusammenhang mit der Insolvenzverschleppung eines Energieanbieters. Anlsslich der Åberregionalen Presseberichterstattung treten die schweizer BehÇrden an Deutschland heran und Åbersenden aus einem Geldwscheverfahren stammende Unterlagen (bankinterne Vermerke, Kontodaten, KontoauszÅge, TransaktionsÅbersichten), aus welchen sich RÅckschlÅsse auf betrÅgerische Handlungen und SteuerverkÅrzungen ergeben.
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Kapitel 9
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Rechtshilfe in Steuerstrafsachen
4. Teil Steuerhinterziehung, Selbstanzeige, Korruption und Schmiergelder Kapitel 10 Steuerhinterziehung
A. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 10.1
B. GeschÅtztes Rechtsgut . . . . . .
10.2
II. Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Praktische Auswirkungen am Beispiel des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EuGH vom 27.9.2007, Colle . 2. BFH vom 6.12.2007 . . . . . . . . . 3. BGH vom 18.9.2009 . . . . . . . . . 4. BGH vom 20.11.2008 . . . . . . . 5. Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstoß gegen das Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen fÅr Altflle . c) Konsequenzen fÅr zukÅnftige Flle . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Objektiver Tatbestand . . . . . . . 1. Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben machen a) Begriff der Angabe . . . . . . . . b) Deutlichkeit der Angaben . 3. Begriff der Tatsache . . . . . . . . . 4. Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Erklrungsempfnger . . . . . . . . 6. Unrichtigkeit und Unvollstndigkeit der Angabe . . . . . . 7. Tuschung und Unkenntnis bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . a) Rechtsprechung des BFH . . b) Rechtsprechung des BGH .
8. 9.
C. Tathandlung der Steuerhinterziehung I. Historie des Tatbestands der Steuerhinterziehung . . . . . . . .
a
10. 10.7 10.8 11. 12. 10.15 10.17 10.22 10.23 10.24 10.31 10.34 10.40
13.
14. 15. 16.
10.41 10.42 10.43 10.47 10.48 10.49 10.50 10.51 10.52 10.54 10.55 10.56
17. 18. 19.
c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . Konkludente Ttigung von Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkludente Tuschung im Zollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten der gesetzlichen Vertreter und VerfÅgungsberechtigten . . . . . . . . . . . . . Steuerhinterziehung und abweichende Rechtsauffassung . Steuerhinterziehung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . Der unmittelbare Einfluss des Unionsrechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV . . . . . . . . Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO . . . . . . . Strafbarkeit von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch . . . . . . a) Unangemessene rechtliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen fÅr eine Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuervorteilserlangung . . . . . Kompensationsverbot . . . . . . .
Rz. 10.59 10.61 10.63
10.64
10.68 10.74 10.81
10.82 10.92 10.98 10.101 10.103 10.106 10.113 10.116 10.118
V. Subjektiver Tatbestand . . . . . . 10.123 1. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.124 2. Subjektive Anforderungen bei SteuerverkÅrzung auf Zeit . . . 10.125 VI. Versuch/straflose Vorbereitungshandlung . . . . . . . . . . . . . 10.128
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Rz. VII. Leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 10.129 2. Tatbestand/Tterkreis . . . . . . . 10.131 3. Begriff der Leichtfertigkeit . . . 10.133 VIII. Irrtum 1. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . 10.137 2. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . 10.139 IX. § 370 Abs. 6 AO 1. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 370 Abs. 6 Satz 1 AO) . . . . . 3. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) . . . . . . . . . . . 4. Bestimmung und Feststellung des Hinterziehungsumfangs . . 5. Anwendbarkeit auf Altflle . . 6. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . .
10.142 10.144
10.147 10.149 10.152 10.156
X. Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall/Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.157 XI. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Schmuggel (§ 373 AO) EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . Erscheinungsformen . . . . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . Tter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schadensberechnung . . . . . . . . Qualifikationsmerkmale . . . . . a) Gewerbsmßigkeit . . . . . . . b) Gewaltsame oder bandenmßige Begehung . . . . . . . . 7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . 8. Strafzumessung/Verfahren . . .
10.162 10.165 10.166 10.172 10.177 10.179 10.180 10.181 10.187 10.189
a
XII. Tterschaft und Teilnahme . . 1. Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beihilfe a) Beihilfe durch aktives Tun . b) Psychische Beihilfe . . . . . . . c) Beihilfe durch Unterlassen. d) Rechtsfolgen der Beihilfe . . XIII. Rechtsfolgen 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . 2. Einstellung gegen Auflagen, § 153a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachverhaltsdarstellung, Steuerberechnung und Schtzung im Strafurteil a) Anforderungen an die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil . . . . . . . . b) Schtzung im Urteil . . . . . . 4. Strafzumessung bei Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . a) berblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafzumessung bei Steuerhinterziehung Åber auslndische Familienstiftung . . . 5. Tter-Opfer-Ausgleich bei der Steuerhinterziehung . . . . . . . . 6. Sonstige Nebenfolgen . . . . . . . a) Passentzug . . . . . . . . . . . . . . b) Verlust Çffentlicher mter etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einziehung . . . . . . . . . . . . . . 7. Verfolgungsverjhrung . . . . . . .
Rz. 10.191 10.192 10.193 10.196 10.197 10.198 10.199 10.200
10.201 10.204 10.206 10.207 10.214
10.220 10.221 10.223 10.224 10.226 10.227 10.229
Literatur: Behr, Die Strafbarkeit von Bankmitarbeitern als Steuerhinterziehungsgehilfen bei VermÇgenstransfers ins Ausland, wistra 1999, 245; Bergmann, Steuerhinterziehungs- und Missbrauchsterminologie im europischen Steuerrecht, SWI 2010, 477; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2012; Bressler, Hrteres Vorgehen gegen unkooperative „Steueroasen“ – ErhÇhte Mitwirkungspflichten durch Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz und Steuerhinterziehungsbekmpfungsverordnung und ihre Auswirkungen auf die unternehmerische Praxis, Internationales Steuer- und Gesellschaftsrecht Aktuell 2010, 75; BÅchter-Hole, Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Mitwirkung an Vermeidung der Erwerbsbesteuerung des Abnehmers, EFG 2010, 679; BÅlte, Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Strafbewehrung von § 153 AO: PrÅfstein fÅr Strafrechtsdogmatik und Verfassungsrecht im Steuerstrafrecht, BB 2010, 607; BÅlte, Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld zwischen der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und dem Grundsatz nullum crimen sine lege, BB 2010, 1759; Cornelius, Verweisungs-
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
fehler bei Bezugnahmen nationaler Strafnormen auf europische Richtlinien, NZWiSt 2014, 173; Danzer, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des steuerlichen Beraters, in Kohlmann (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverteidigung im Steuerstrafrecht, DStJG 6 (1983), 67; DÇrn, Hinweispflicht bei Abweichung von der Rechtsansicht der Finanzverwaltung?, wistra 2000, 334; Eckstein, Im Netz des Unionsrechts – Anmerkungen zum Fransson-Urteil des EuGH, ZIS 2013, 220; Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009; Gehm, Der Tatbestand der Steuerhinterziehung im Lichte des Rechts der EU – ein berblick anlsslich der Rechtsprechung des EuGH v. 7.12.2010 (C-285/09), NZWiSt 2013, 53; Gehm, Beteiligung an Steuerhinterziehung von Kunden und Mandanten in Abgrenzung zu neutralem berufstypischem Verhalten, StBW 2013, 558; Geuenich, sterreichische und liechtensteinische Berater als Beitragstter deutscher Steuerdelikte – Riskante Hilfe Åber die Grenze?, Wirtschafts- und Finanzstrafrecht in der Praxis 2009, 37; Geuenich, Neue Maßnahmen zur Bekmpfung der grenzÅberschreitenden Steuerhinterziehung, NWB 2009, 2396; Hanssen, Steuerhinterziehung und leichtfertige SteuerverkÅrzung (§§ 370, 378 AO) durch Abweichung von der hÇchstrichterlichen Finanzrechtsprechung – insbesondere durch Steuerberater, 1984; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte GewinnausschÅttung: unrichtige Feststellung nach § 47 KStG als Steuervorteilserlangung, Baden-Baden, 1995; Harms, Steuerliche Beratung im Dunstkreis des Steuerstrafrechts, Stbg 2005, 12; Hoff, Das Handlungsunrecht der Steuerhinterziehung, 1999; HÇll/Hinghaus, Berichtigungspflicht nach § 153 AO bei vorstzlicher Steuerhinterziehung, PStR 2010, 45; Irrgang, Steuerhinterziehung durch Abweichung von der Auffassung der Finanzverwaltung oder hÇchstrichterlicher Rechtprechung, DB 1988, 781; Korf, Umsatzsteuer: Zum Vorsteuerabzug bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat, IStR 2011, 30; Korts, VerhaltensÅberlegungen bei steuerneutralen Anlagen in der Schweiz, Stbg 2012, 3; Krieger, Tuschung Åber Rechtsauffassungen im Steuerstrafrecht, 1987; KÅffner/Streit, Keine Steuerbefreiung fÅr zum Zweck der Steuerhinterziehung tatschlich ausgefÅhrte innergemeinschaftliche Lieferungen, DStR 2010, 2575; Kuhn/Weigell, Steuerstrafrecht, 2005; Lang, Steuerrecht und Tatbestand der Steuerhinterziehung. Zum 70. Geburtstag von GÅnter Kohlmann, StuW 2003, 289; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006; Linn/MÅller, Besteuerung von Gesellschaften Liechtensteins und EUGrundfreiheiten, IWB 2011, 74; Matthes, Recht auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Scheinunternehmen bzw. bei Einbindung in „Karussellgeschfte“, EFG 2010, 1742; Matthes, Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen bei Steuerhinterziehung durch den Erwerber, EFG 2011, 186; Mellinghoff, Grundstze und Grenzen im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, Stbg 2014, 97; Menke, Die Bedeutung des sog. Kompensationsverbots in § 370 AO – zugleich eine Untersuchung zu Rechtsgut, Handlungsobjekt und Erfolg der Steuerhinterziehung, Hannover 2004; Michel, Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung auch bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfngers?, DB 2009, 1855; Michel, Die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen in Missbrauchsfllen, DB 2010, 296; Mihm, Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter GewinnausschÅttungen, 1998; MÇsbauer, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht, 2. Aufl. 2000; Moosburger, Ist seit der EuGH-Entscheidung „Albert Colle“ ein steuerstrafrechtlicher Vorwurf bei innergemeinschaftlichen Lieferungen passe?, Stbg 2009, 260; El Mourabit, Steuerstrafrechtliche Risiken von Bankmitabreitern, Rechtsanwlten und Steuerberatern im Hinblick auf die Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Forum Steuerrecht 2013, 11; MÅller, Vorsatz und Erklrungspflicht im Steuerstrafrecht, Hamburg 2007; Muth, Steuerhinterziehungsbekmpfung und GemeinnÅtzigkeit im Ausland, StuB 2010, 21; Niehaus, Blankettnormen und Bestimmtheitsgebot vor dem Hintergrund zu-
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
nehmender europischer Rechtsetzung – zugleich Anmerkung zu Landgericht Kassel v. 13.5.2003 (7630 Js 29352/02 – 9 Ns), wistra 2004, 206; Nieland, Steuerhinterziehung eines Finanzbeamten „im Dienst“, AO-StB 2006, 37; NÇcker, Dolus eventualis im Steuerstrafrecht – in dubio contra reo?, AO-StB 2012, 316; NÇhren, Die Hinterziehung von Umsatzsteuer, 2005; Perleberg-KÇlbel/Vollmer, Steuerstrafrecht in der Familie, FuR 2010, 661; Peters, Betrug und Steuerhinterziehung trotz Erklrung wahrer Tatsachen, 2010; Pipping, Die „steuerlich erheblichen Tatsachen’’ im Rahmen der Steuerhinterziehung, DÅsseldorf 1998; Pohl, Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, 1990; Randt, Reichweite und Grenzen der steuerlichen Erklrungspflicht im Steuerstrafrecht, FS fÅr Harald Schaumburg zum 65. Geburtstag, 2009, 1255; Reuß, Grenzen steuerlicher Mitwirkungspflichten, dargestellt am Beispiel der erhÇhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandsbeziehungen, MÅnchen 1979; Reichling/Lange, Der Tterkreis der Steuerhinterziehung durch Unterlassen, NStZ 2014, 311; Risse, Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 204, 93; RÇnnau/Schneider, Der Compliance-Beauftragte als strafrechtlicher Garant, ZIP 2010, 54; RÇnnau/ Wegner, Grund und Grenzen des europischen Rechts auf das nationale Strafrecht – ein berblick unter Einbeziehung aktueller Entwicklungen, GA 2013, 561; Rolletschke, Die Revisionsentscheidung zum „untreuen“ Finanzbeamten – Eine Anmerkung zu BFH wistra 2006, 113, wistra 2006, 249; Sahan/Ruhmannseder, Steuerstrafrechtliche Risiken fÅr Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfer in die Schweiz, IStR 2009, 715; Salditt, Die Hinterziehung ungerechter Steuern, in Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, FS fÅr Klaus Tipke zum 70. Geburtstag, KÇln 1995, 475; Salditt, Die Tat bei der Hinterziehung von Einkommensteuer, FS fÅr Klaus Volk zum 65. Geburtstag, 2009, 637; Samson/Schillhorn, Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch anonymen Kapitaltransfer?, wistra 2001, 1; Schaumburg, Steuerstrafrechtliche Grenzen internationaler Steuergestaltungen aus deutscher Sicht, in Leitner/Dannecker (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2003, 2004, 177; SÇffing, Die transparente liechtensteinische Stiftung, SAM 2010, 177; Sontheimer, Steuerhinterziehung bei steuerrechtlichen Streit- und Zweifelsfragen, DStR 2014, 357; Spatscheck/Maier, Innergemeinschaftliche Lieferung und Umsatzsteuerkarussell – Ein berblick Åber den Stand der Rechtsprechung und die wissenschaftliche Diskussion, ZWH 2013, 265; Stahl/Carle, Zur Bedeutung des Kenntnisstandes der FinanzbehÇrden fÅr die Tatbestandsmßigkeit der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, zugleich Anmerkung zu BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 99; Sterzinger, Keine Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfngers, UR 2011, 20; Tipke, An den Grenzen der Steuerberatung: Steuervermeidung, Steuerumgehung, Steuerhinterziehung, in StbJb 1972/73, 509; Tipke, ber Abhngigkeiten des Steuerstrafrechts vom Steuerrecht, in FS fÅr GÅnter Kohlmann zum 70. Geburtstag, KÇln 2003, 555; Weidemann, Zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO, wistra 2010, 5; Werner, Steuerdaten-Affre Schweiz, IWB 2010, 164; Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001; Wulf, Strafbarkeit der VermÇgensteuerhinterziehung und § 370 AO als Blankettgesetz, wistra 2001, 41; Wulf, Reichweite steuerlicher Erklrungspflichten bei unklarer Rechtslage – wo beginnt der Bereich strafbaren Verhaltens?, in FS Streck 2011, 627; Wulf, Vollendete Steuerhinterziehung trotz voller Sachverhaltskenntnis der FinanzbehÇrde?, Stbg 2013, 223.
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A. EinfÅhrung
A. EinfÅhrung Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist wegen seiner Blanketteigenschaft1 aus sich heraus nicht ohne Weiteres verstndlich. Zur Beantwortung der Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, ist auf die allgemeinen steuerlichen Vorschriften zurÅckzugreifen. In dem sich stetig wandelnden Steuerrecht liegt ein Grund fÅr die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachweis einer Steuerhinterziehung. Ein anderer Grund ist, dass immer noch um die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung gestritten wird. Hinzu kommt, dass das nationale Steuerrecht in zunehmendem Maße europarechtlich und international geprgt wird, was sich wiederum auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung auswirkt. Deutsche Finanz- und Strafgerichte haben die gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Regelungen im europischen Kontext und unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH anzuwenden.2 Die tatbestandlichen Voraussetzungen sollen nur insoweit erluternd dargestellt werden, als dies zum Verstndnis des Internationalen Steuerstrafrechts von Bedeutung ist.
10.1
B. GeschÅtztes Rechtsgut Anhand des geschÅtzten Rechtsguts eines Tatbestands lassen sich Erkenntnisse Åber den Unrechtsgehalt und somit die tatbestandsmßige Handlung und die Intensitt der Rechtsgutbeeintrchtigung gewinnen. Das geschÅtzte Rechtsgut lsst RÅckschlÅsse auf das deliktstypische Tatunrecht zu, und vor allem bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten bietet sich immer wieder die KontrollÅberlegung an, ob, unabhngig von der Verwirklichung des Tatbestands (etwa durch Nichterklrung bestimmter EinkÅnfte einer auslndischen, selbstndigen Tochterfirma) das inlndische Rechtsgut der Steuerhinterziehung Åberhaupt berÅhrt ist.3 1 So die noch herrschende Meinung, vgl. BVerfG v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20; Harms in FS Kohlmann, 413 (414); Pipping, Die steuerlich erheblichen Tatsachen, 68; Wulf, wistra 2001, 41 (43); a.A. Weidemann, wistra 2006, 132 (133); einschrnkend hingegen BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 421 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 f.; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998. 2 Randt, Steuerfahndungsfall, C 969. 3 Hilgers, Tuschung, 35; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 50 f.; Suhr, Rechtsgut, 4. Auch der BGH stellte in seiner Vorlage an den EuGH darauf ab, dass die Regelung des Art. 54 SD nicht greife, wenn die Tat, hier transeuropischer Zigarettenschmuggel, mehrere RechtsgÅter verletze, BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 342/04, wistra 2005, 461, vgl. hierzu das Urteil des EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-288/05 – Kretzinger.
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10.2
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
10.3 Praktisch relevant wurde die Frage nach dem geschÅtzten Rechtsgut z.B. im Rahmen einer Entscheidung zur Frage nach der Strafbarkeit des Komplementrs einer Import-KG wegen der Hinterziehung von AntidumpingzÇllen. Der Umstand, dass hinterzogene AntidumpingzÇlle nicht mehr erhoben werden, steht nach Ansicht des BGH nicht gem. § 2 Abs. 3 StGB einer Bestrafung des Komplementrs wegen gewerbsmßigen Schmuggels entgegen.1 Dannecker fÅhrt hiergegen zu Recht an, dass AntidumpingzÇlle vom Rechtsgut des § 370 AO nicht erfasst werden.2
10.4 FÅr die Frage der Strafzumessung ist die Intensitt der Verletzung des geschÅtzten Rechtsguts ebenfalls relevant.3 Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannte Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen GesamtwÅrdigung besonderes Gewicht. „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen fÅr das durch die Strafnorm geschÅtzte Rechtsgut.4
10.5 Die Åberwiegende Meinung geht davon aus, dass durch die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO das Çffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollstndigen Aufkommen der einzelnen Steuer, der staatliche Steueranspruch, geschÅtzt werde.5 Whrend Isensee davon ausgeht, dass § 370 AO die Zuwiderhandlung gegen Gesetzesbefehle unter Strafe stelle,6 gehen andere von einer rein formalen Schutzfunktion aus, welche allein die steuerlichen Offenbarungspflichten bzw. Wahrheitspflichten gegenÅber den FinanzbehÇrden schÅtze, da hierin auch die wesentliche Tathandlung liege.7 Mitunter wird die Steuerhoheit des Staates Rechtsgut der Steuerhinterziehung angesehen.8 In neuerer Zeit hlt Salditt die gerechte und 1 2 3 4 5
BGH v. 27.8.2010 – 1 StR 217/10, BFH/NV 2010, 2396 (red. Leitsatz). Dannecker in Leitner (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2004, 2005, 67 (106 f.). Vgl. nur BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311 = wistra 2009, 359. BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, BGHSt 53, 311 = wistra 2009, 359. RG v. 16.6.1925 – I 188/25, RGSt 59, 258 (262); RG v. 19.2.1931 – II 487/30, RGSt 65, 165 (169); BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102); BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (5); Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 272; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 43; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 14; Kohlmann/Sandermann, StuW 1974, 221 (229); Lang, StuW 2003, 289 (290); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 35; Krieger, Tuschung Åber Rechtsauffassungen, 90; zum Ganzen auch Suhr, Rechtsgut der Steuerhinterziehung. Wobei jedoch innerhalb der herrschenden Meinung danach differenziert wird, ob das Steueraufkommen der jeweiligen Steuerart geschÅtzt ist oder das gesamtstaatliche Interesse am vollstndigen und rechtzeitigen Aufkommen; vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 11. 6 Isensee, NJW 1985, 1007 (1008), der jedoch anfÅhrt, dass die Norm auch die positivrechtliche Ordnung des Steuerrechts in seiner jeweiligen, rasch vernderlichen Gestalt schÅtze und lediglich „der BÅttel“ des Steuerschuldrechts sei und nicht sein Herr. 7 Troeger/Meyer, Steuerstrafrecht, 8; Schulze, DStR 1964, 416 (421); Backes, Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum, 149. 8 Mattern, Steuer-Strafrecht, 36, 41.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
gleichmßige Lastenverteilung nach dem Grundsatz der Leistungsfhigkeit fÅr das geschÅtzte Rechtsgut.1 Er hinterfragt, ob angesichts des sich immer chaotischer und willkÅrlicher gestaltenden und am nackten Fiskalinteresse ausgerichteten Steuersystems, das i.S. der herrschenden Auffassung angenommene Rechtsgut noch Bestand haben kann.2 Die Verteidigung zu einem großen Teil ungerechter, ja verfassungswidriger Steuern kÇnne nicht Aufgabe des Strafrechts sein. Das geschÅtzte Rechtsgut kann nicht allein aus der Tathandlung abgeleitet werden, da diese immer nur eine Teilmenge aus der Summe der mÇglichen Angriffe auf das geschÅtzte Rechtsgut umschreibt und nicht das Rechtsgut selbst.3 Wollte man im brigen nur die zutreffende Sachverhaltsermittlung als geschÅtztes Rechtsgut der Steuerhinterziehung ansehen, wre die Verletzung des Rechtsguts bereits durch die in § 371 Abs. 1 AO vorausgesetzte Nachholung der zutreffenden Angaben gegenÅber der FinanzbehÇrde geheilt.4 Die darÅber hinausgehende Nachzahlung der Steuer htte keine weitergehende Bedeutung mehr und wre nicht mehr durch einen RechtsgÅterschutz zu begrÅnden.
10.6
C. Tathandlung der Steuerhinterziehung I. Historie des Tatbestands der Steuerhinterziehung Anders als in § 392 RAO wird das tatbestandsmßige Verhalten in § 370 Abs. 1 AO ausdrÅcklich benannt, wenn gleichwohl nicht ausdrÅcklich geregelt ist, welcher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Tters und dem Erfolgseintritt bestehen muss. § 392 RAO ließ es genÅgen, dass der Tter zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschlich oder bewirkte. Dabei wurde nicht jedes Verhalten fÅr ausreichend erachtet, sondern die Flle der Gewalt, der bloßen Nichtzahlung und der Drohung wurden vom Tatbestand ausgenommen.5 Durch die Rechtsprechung wurde zur Behebung der damaligen Probleme das Merkmal der Steuerunehrlichkeit entwickelt, welches dem als zu unbestimmt angesehenen Tatbestand die notwendige Konturierung verleihen sollte. Denn nicht die bloße Gesinnung oder HerbeifÅhrung des Erfolgs wurde als tatbestandsmßig angesehen, sondern nur bestimmte Begehungsformen, die einen spezifischen Unwertgehalt in 1 Salditt in FS Tipke, 475 (479); Salditt in Flore/Tsambikakis, Zur EinfÅhrung Rz. 1 ff. 2 Salditt in FS Tipke, 475 (479 f.); Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, 97. 3 Hanssen, Steuerhinterziehung, 29. 4 Menke, Kompensationsverbot, 44. 5 RG v. 12.12.1935 – 5 D 567/35, RGSt 70, 10 (11); RG v. 3.7.1942 – 1 D 272/41, RGSt 76, 195 (198); BGH v. 11.3.1952 – 1 StR 296/51, BGHSt 2, 183 (185); Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 105 f.; Hilgers, Tuschung, 15; einen historischen berblick bietet Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1 ff.
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10.7
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
sich trugen.1 Da unter Unehrlichkeit nur ein vorstzliches Verhalten verstanden werden kann, wurde nach einem Ttigkeitsmerkmal gesucht, welches die finale Verhaltensweise des Tters zum Ausdruck brachte. Auf diesem Weg gelangte man zur Tuschung, sodass in den Entscheidungen des Reichsgerichts unter Steuerunehrlichkeit ein tuschendes Verhalten verstanden und ein Irrtum der BehÇrde verlangt wurde.2 Anfnglich folgte der BGH dieser Ansicht,3 ging jedoch spter dazu Åber, ein steuerunehrliches Verhalten nicht nur dann anzunehmen, wenn der Tter tuschte, sondern auch dann, wenn er vorstzlich bewirkte, dass die SteuerbehÇrde Åber Bestehen und HÇhe des Steueranspruchs in Unkenntnis gehalten wurde.4 Gegen die Neufassung des Gesetzes wird weiterhin eingewandt, dass die Formulierung mit der Wendung „dadurch“ farblos erscheint und der Auslegung erheblichen Spielraum einrumt. Denn das Gesetz habe nicht geregelt, welcher Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Tters und dem Erfolgseintritt bestehen mÅsse.5
II. Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht 10.8 Der Tatbestand der Steuerhinterziehung wird von der herrschenden Meinung bislang noch als sog. Blankettstraftatbestand verstanden,6 auch wenn neuere Tendenzen zu einem, wenn auch nur teilweisen,7 normati1 Kribs-Drees, DB 1978, 181. 2 RG v. 21.3.1929 – II 854/28, RGSt 63, 95 (99); RG v. 13.5.1937 – 3 D 243/37, RGSt 71, 216 (217); RG v. 3.7.1942 – 1 D 272/41, RGSt 76, 195 (198). 3 BGH v. 3.4.1952 – 3 StR 630/51, BGHSt 2, 338 (340). 4 BGH v. 24.9.1953 – 4 StR 249/53, NJW 1953, 1841; BGH v. 20.7.1971 – 1 StR 683/70, BGHSt 24, 178 (182). 5 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 105 f., der die Fassung des Gesetzes aber als darum bemÅht sieht, das Merkmal der Steuerunehrlichkeit zu erfassen. Auch Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 32, geht davon aus, dass die neuformulierte Tathandlung lediglich abstrakte Beschreibungen des steuerunehrlichen Verhaltens erfasse und daher die Rechtsprechung zu den Vorgngervorschriften zu berÅcksichtigen sei, wobei allerdings eine Zuordnung zu den neuen Tathandlungen erforderlich sei. 6 BVerfG, Beschl. v. 8.5.1974 – 2 BvR 636/72, BVerfGE 37, 201 (208); BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, BFH/NV 2011, 1820; BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (282); BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 295/01, BGHSt 47, 138 (141); Harms in FS Kohlmann, 413 (414); Pipping, Die steuerlich erheblichen Tatsachen, 68; Wulf, wistra 2001, 41 (43); einschrnkend hingegen BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 421 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 f.; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998; a.A. Weidemann, wistra 2006, 132 (133); zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 20 ff. 7 FÅr § 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 387 ff.; Ransiek, HRRS 2009, 421 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 f.; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 140; Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149. Zum Ganzen Moll, Nationale Blankettstrafgesetzgebung, 1998; zu den Auswirkungen auch Ambos, Internationales Strafrecht3, § 11 Rz. 27 ff.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
ven Verstndnis gehen.1 Konsequenz dieser Auffassung wre, dass die SteuerverkÅrzung und die steuerlich erheblichen Angaben lediglich als normative Tatbestandsmerkmale zu begreifen wren. Die praktischen Auswirkungen sind bedeutsam.2 Es besteht nmlich in strafrechtlicher Hinsicht die Gefahr des Verstoßes gegen das strafrechtliche Analogieverbot,3 damit die Gefahr von Strafbarkeitserweiterungen4 und in steuerlicher Hinsicht, insbesondere im Internationalen Steuerstrafrecht, die Gefahr ungewollter Doppelbesteuerungen und ggf. daraus resultierender Doppelbestrafungen.5 Verweist die einschlgige Steuerstraftat der herrschenden Meinung und insbesondere der hÇchstrichterlichen Rechtsprechung folgend indes im Wege der Blanketttechnik akzessorisch auf das Steuerrecht, gelten smtliche Erfordernisse des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips auch fÅr die Auslegung und Anwendung der steuerrechtlichen Normen, auf die das Steuerstrafgesetz dadurch Bezug nimmt.6 Dies fÅhrt zu einer fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigen Rechtslage, weil damit die strengeren Maßstbe des Strafrechts fÅr das Steuerstrafrecht maßgeblich sind. Das Gesetzlichkeitsprinzip gilt auf diesem Weg in vollem Umfang auch fÅr die zumeist außerstrafrechtlichen Normen, die das Blankettverbot materiell ausfÅllen (sog. AusfÅllungsnormen).7 Erst durch das Zusammenlesen der strafrechtlichen Sanktionsnorm und der inhaltlich aussagekrftigen AusfÅllungsnorm ergibt sich ein vollstndiges strafrechtliches Verhaltensver- oder -gebot. Eine sog. Normspaltung ist nicht mÇglich, d.h. eine
1 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 149; Walter in FS Tiedemann, 696 ff.; Weidemann, wistra 2006, 132 (133); differenzierend zwischen § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, 3 AO auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO Rz. 13 ff.; vgl. auch Puppe, GA 1990, 145 (162 ff.) zu der Frage des gesamttatbewertenden Merkmals der Pflichtwidrigkeit beim Straftatbestand der Untreue; Puppe in NK4, § 16 StGB Rz. 19 ff. 2 Vgl. hierzu die Flle des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen unter Rz. 10.15; dazu BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 382 ff.; BÅlte, HRRS 2011, 465 (471); Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736). 3 So auch BÅlte, HRRS 2011, 465 (469); BÅlte, BB 2010, 1759 ff., der die LÇsung darin sieht, den Tatbestand der Steuerhinterziehung als „hochgradig normativ“ zu betrachten und demnach den weiteren steuerlichen Bestimmtheitsgrundsatz gegenÅber dem engeren strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz fÅr anwendbar erachtet. Zu diesem Ansatz vgl. auch Dannecker in FS Achenbach, 2011, 83. 4 Vgl. hierzu BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 390; zur strafbegrÅndenden Anwendung von § 42 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 26. 5 Schauf/Hoink, PStR 2009, 58 (60); Winter, DB 2009, 1843 (1845), Ransiek, HRRS 2009, 420 (426, 427); vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25.3; Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (735 f.), die zu Recht bemngeln, dass eine steuerrechtlich zulssige Auslegung des Begriffs der Steuerhinterziehung zur BegrÅndung einer Strafbarkeit herangezogen wird. 6 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 63. 7 BVerfG v. 25.7.1962 – 2 BvL 4/62, BVerfGE 14, 245; BVerfG v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, NJW 1992, 35; BGH v. 16.5.1984 – 2 StR 525/83, NStZ 1984, 510; Schmitz in MK2, § 1 StGB Rz. 49 ff.
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10.9
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
steuerliche Analogie kann in strafrechtlicher Hinsicht nicht zulasten des Tters gehen.1 Eine steuerlich zulssige tatbestandliche RÅckanknÅpfung ist ebenfalls unzulssig.2
10.10 In jedem Fall gilt im Steuerstrafrecht der strengere strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz einschließlich des, anders als im Steuerrecht,3 geltenden Analogieverbots.4 Der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG verwehrt es der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt im Strafrecht, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen.5 Der Verweis in § 370 AO auf das Steuerrecht ist durch Gesetz oder Rechtsverordnung auszufÅllen. Verwaltungsvorschriften, etwa die Verwaltungsgrundstze-Verfahren, bilden lediglich Auslegungshilfen und kÇnnen grundstzlich keine strafrechtliche Verantwortung begrÅnden.6 Der weitere steuerliche Bestimmtheitsgrundsatz7 beansprucht insoweit keine Geltung. berdies sind bei der Auslegung der das Blankett ausfÅllenden Steuernorm neben den deutschen Auslegungsmaßstben die unionsrechtlichen Auslegungsmaßstbe8 zu beachten.9
10.11 Das Blankettstrafgesetz darf als solches nicht nur auf deutsche Gesetze, sondern auch auf unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht wie z.B. Verordnungen oder frÅher auf Richtlinien10 verweisen (vgl. z.B. den Zollkodex als Verordnung der EG/EU), sofern nur hinreichend deutlich wird, worauf sich der Verweis bezieht.11 Dabei gilt der strafrechtliche Bestimmt-
1 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 340. 2 Schmitz in MK2, § 1 StGB Rz. 35; generell ablehnend auch bei normativem Verstndnis Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 395., vgl. auch Rz. 2.1 f. 3 BFH v. 7.7.2009 – VII R 24/06, BFH/NV 2009, 1920; Englisch in T/L21, § 5 Rz. 74 ff.; Hey in T/L21, § 3 Rz. 237. 4 Vgl. BVerfG v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135; BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754. 5 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfG v. 22.6.1988 – 2 BvR 234/87, 1154/86, BVerfGE 78, 374 (382) und zuletzt BVerfG v. 17.11.2009 – 1 BvR 2717/08, NJW 2010, 754 (755), jeweils m.w.N.; Fischer61, § 1 StGB Rz. 5a. 6 Vgl. den gleich lautenden Lndererlass v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353. 7 Vgl. etwa BFH v. 18.3.2009 – I R 37/08, BFHE 225, 323 unter Verweis auf BVerfG v. 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84, BVerfGE 73, 388 = NJW 1987, 943. 8 Ambos, Internationales Strafrecht3, § 11 Rz. 46 ff. 9 Ambos, Internationales Strafrecht3, § 11 Rz. 29; vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58), der ergnzend den Gedanken der Rechtssicherheit und des RÅckwirkungsverbots anspricht. 10 Zum Fall einer ungÅltigen bzw. außer Kraft getretenen Richtlinie vgl. BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt 2014, 177; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 556; Tully/Merz, wistra 2011, 121. 11 BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt 2014, 177; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 71; zum Ganzen auch Cornelius, NZWiSt 2014, 173.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
heitsgrundsatz1 auch fÅr das europische Recht (vgl. auch Art. 7 EMRK, Art. 49 Abs. 1 GRCh).2 Blankettstrafgesetze, die im Wege einer dynamischen Verweisung auf die jeweils in Kraft befindliche Vorschrift der EU oder anderer Mitgliedstaaten verweisen, sind auch im Steuerstrafrecht wegen der darin liegenden Kompetenzdelegation nach hier vertretener Ansicht verfassungswidrig.3
10.12
Bei einem (zulssigen) Verweis auf europisierte (Verbrauch-)Steuergesetze anderer Mitgliedstaaten der EU mÅssen die in Bezug genommenen Rechtsnormen die Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips vollstndig erfÅllen und die Fremdrechtsanwendung im Urteil nachvollziehbar dargelegt werden.4 Bei der Anwendung deutschen Strafrechts muss zudem gesichert sein, dass die AnknÅpfung an auslndisches Recht nicht durch fremde Rechtsvorstellungen auf eine qualitative Ausweitung der durch den Gesetzgeber gebilligten Strafbarkeit hinausluft.5 Hinzu kommt, dass das gesamte deutsche Strafrecht unionsrechtskonform auszulegen ist, mit weitreichenden Folgen fÅr eine mÇgliche Strafbarkeit, etwa bei Verneinung des Steueranspruchs wegen Verstoßes gegen hÇherrangiges Recht.6 FÅhrt deutsches Recht zu einer Strafbarkeit, verstÇßt es aber gegen unmittelbar anwendbares Europarecht, ohne dass schon eine unionsrechtskonforme Auslegung diesen Zustand vermeiden kann, ist das deutsche Strafrecht nach dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts auch im Steuerstrafrecht nicht anzuwenden.7
10.13
Zur Beachtung eines unionsrechtlichen Vorrangs sind nicht nur die Gerichte, sondern bereits die Staatsanwaltschaft und die Straf- und Bußgeld-
10.14
1 Die Bedeutung im Steuerrecht ist derweil noch unklar, vgl. Seer in T/L21, § 22 Rz. 311. 2 Gehm, NZWiSt 2013, 53 (57). 3 Dannecker in LK12, § 1 StGB Rz. 146; Schmitz in MK2, § 1 StGB Rz. 51; einschrnkend Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 67, 68, der in diesem Fall einen sehr strengen Bestimmtheitsmaßstab fordert, indes ein Rechtsfindungsproblem des BÅrgers zugesteht und bei „Verweisungswirrwarr“ in der Regel zu einer Verfassungswidrigkeit gelangt. Anders als im Lebensmittelstrafrecht handelt es sich bei der Steuerhinterziehung jedoch um kein sog. „Expertenstrafrecht“, sodass unterschiedliche Maßstbe an die Verstndigkeit des Tters nicht anzulegen sein dÅrften. Vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 11 Rz. 28 ff.; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 101; Gehm, NZWiSt 2013, 53 (58). 4 BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, wistra 2001, 62; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; vgl. zur Untreue bei englischer Limited BGH v. 13.4.2010 – 5 StR 428/09, wistra 2010, 268. 5 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 73; zu den mÇglichen Auswirkungen, was einen Irrtum angeht, vgl. Rz. 10.137. 6 Vgl. BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 169/00, NJW 2003, 2842; Heine in G/J/W, § 369 AO Rz. 69. 7 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; zu den Auswirkungen des Europarechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung vgl. auch Rz. 2.57 f.
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Kapitel 10
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sachenstelle verpflichtet; bei Verstoß eines Steuergesetzes gegen Unionsrecht ist das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.1
III. Praktische Auswirkungen am Beispiel des kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen 10.15 Von besonderer Relevanz fÅr das Verstndnis des Tatbestands der Steuerhinterziehung als Blankettatbestand in der Praxis sind auch weiterhin die Flle des fehlenden Nachweises trotz Vorliegen der materiellen Voraussetzungen und die Flle des kollusiven Zusammenwirkens von Verußerer und auslndischem Erwerber oder die Verschleierung des auslndischen Erwerbers in dem Wissen um eine auslndische Steuerhinterziehung.
10.16 Je nach Lesart und Verstndnis vom Tatbestand der Steuerhinterziehung gelangt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Strafbarkeit betrifft. Bei herkÇmmlichem Verstndnis als Blankett mÅsste man eine Strafbarkeit verneinen. Allein bei einem normativen Verstndnis kme eine Strafbarkeit in Betracht. Beispiel: Der portugiesische GeschftsfÅhrer einer in Deutschland ansssigen Gesellschaft, die mit hochwertigen Fahrzeugen handelte, verußerte Fahrzeuge an Kraftfahrzeughndler im europischen Ausland.2 In diesem Zusammenhang nahm der Beschuldigte eine Reihe von Manipulationen vor, um es Hndlern in Portugal zu ermÇglichen, durch Verschleierung der Identitt der tatschlichen Kufer der Fahrzeuge Umsatzsteuer zu hinterziehen. So stellte er in der Buchhaltung Scheinrechnungen auf Scheinkufer als Empfnger der Lieferungen aus, in denen er deren Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die Bezeichnung des tatschlich an einen anderen Erwerber gelieferten Fahrzeugs, den Kaufpreis sowie den Zusatz „steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG“ angab. Bei den Scheinkufern handelte es sich um tatschlich existierende Unternehmen in Portugal, die nur teilweise Kenntnis hatten.
1. EuGH vom 27.9.2007, Colle
10.17 Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Åber die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.12.1991 genderten Fassung 1 Vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (60). Eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB dÅrfte im Falle vertretbarer Rechtsansichten am subjektiven Tatbestand scheitern, etwa wenn bereits ein gefestigtes Meinungsbild existiert. 2 Beispiel nach BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 49/09, HFR 866; EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09, IStR 2011, 26 = NJW 2011, 203; vgl. hierzu EuGH v. 19.9.2000 – Rs. C-454/98 – Schmeink & Cofreth und Strobel, Rz. 62; sowie EuGH v. 3.3.2004 – Rs. C-395/02 – Transport Service, Slg. 2004, I-1991, Rz. 30.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
ist nach Ansicht des EuGH in dem Sinne auszulegen, dass es der Finanzverwaltung eines Mitgliedstaats verwehrt ist, die Befreiung einer tatschlich ausgefÅhrten innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer allein mit der BegrÅndung zu versagen, der Nachweis einer solchen Lieferung sei nicht rechtzeitig erbracht worden.1 Zur BegrÅndung fÅhrt der EuGH aus, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhngig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berÅcksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfÅllt sind, Åber das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen.
10.18
Die Umstze sind vielmehr unter BerÅcksichtigung ihrer objektiven Merkmale zu besteuern. Dem ist zuzustimmen.
10.19
Der EuGH folgert daraus zutreffend, dass, wenn unbestreitbar eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgefÅhrt wurde, es der Grundsatz der steuerlichen Neutralitt erfordert, dass die Steuerbefreiung gewhrt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfÅllt sind. Dies gelte selbst dann, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genÅgt hat.
10.20
Bei der PrÅfung des Rechts auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer ist die Tatsache, dass der Steuerpflichtige bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat, demnach nur dann relevant, wenn eine Gefhrdung des Steueraufkommens besteht und diese vom Steuerpflichtigen nicht vollstndig beseitigt worden ist.2
10.21
2. BFH vom 6.12.2007 Der BFH schloss sich der Rechtsprechung des EuGH an.3 Die Nachweispflichten des Unternehmers sind danach keine materiellen Voraussetzungen fÅr die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung. Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG und der §§ 17a, 17c UStDV bestimmen vielmehr lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat. Als Regel stellt der BFH auf, dass wenn der Unternehmer diesen Nachweispflichten nicht nachkommt, grundstzlich davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfÅllt sind. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn trotz der NichterfÅllung der formellen Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. In diesem Fall ist die Steuerbefreiung zu gewhren, auch
1 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, DStR 2007, 1811. 2 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, DStR 2007, 1811. 3 BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BFHE 219, 469.
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10.22
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
wenn der Unternehmer die erforderlichen Nachweise nicht entsprechend §§ 17a, 17c UStDV erbracht hat. 3. BGH vom 18.9.2009
10.23 Ebenso trat der BGH der Entscheidung des EuGH bei. Er gab seine bisherige Rechtsprechung ausdrÅcklich auf und nimmt ausdrÅcklich auf die AusfÅhrungen der Bundesanwaltschaft Bezug.1 4. BGH vom 20.11.2008
10.24 Die Lieferung von Gegenstnden an einen Abnehmer im Åbrigen Gemeinschaftsgebiet stellt nach Ansicht des BGH vom 20.11.2008 auch dann keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S. des § 6a UStG und damit eine Steuerhinterziehung dar, wenn der inlndische Unternehmer in kollusivem Zusammenwirken mit dem Abnehmer die Lieferung an einen Zwischenhndler vortuscht, um dem Abnehmer die Hinterziehung von Steuern zu ermÇglichen.2
10.25 Werden diese Lieferungen durch die inlndischen Unternehmer gleichwohl als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklrt, macht der Unternehmer nach Ansicht des BGH gegenÅber den FinanzbehÇrden unrichtige Angaben i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und verkÅrzt dadurch die auf die Umstze nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anfallende und von ihm geschuldete Umsatzsteuer.3 Der BGH begrÅndet seine Entscheidung damit, dass nach stndiger Rechtsprechung des EuGH, dem insoweit das Auslegungsmonopol zukommt (Art. 234 EGV), eine betrÅgerische oder missbruchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist.
10.26 Umstzen, die nur zu dem Zweck gettigt werden, missbruchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen, sind diese Vorteile zu versagen.4 § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ist nach Ansicht des BGH gemeinschaftsrechtlich dahin gehend auszulegen, dass der Erwerb des Gegenstands einer Lieferung beim Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat i.S. der Vorschrift unterliegt, wenn die im Bestimmungsland vorgesehene Erwerbsbesteuerung der konkreten Lieferung nach dem Åbereinstimmenden Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierungsmaßnahmen und falsche Angaben gezielt umgangen werden soll, um dem Un1 BGH v. 18.9.2009 – 1 StR 206/09, BGHSt 54, 133 = NJW 2009, 3383. 2 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516; vgl. hierzu Sterzinger, BB 2009, 1563; BÅlte BB 2010, 1759; Bielefeld, DStR 2009, 580; HÇink, DStR 2010, 1772; Gehm, NJW 2012, 1257; Schauf, PStR 2009, 134; Wulf, Stbg 2009, 313; Moosburger, Stbg 2009, 366. 3 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516. 4 BGH v. 20.11.2008 – 1 StR 354/09, BGHSt 53, 45 = NJW 2009, 1516 unter Verweis auf EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax – Rz. 69.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
ternehmer oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen. Anderes gilt, wenn die Verschleierungsmaßnahme anderen Zwecken dient. Indem die Angeklagten kollusiv mit den Abnehmern – im dortigen Fall Italien – zusammenwirkten, entfllt nach Ansicht des BGH die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG fÅr die fraglichen Lieferungen. Durch die aus diesem Grund wahrheitswidrigen Erklrungen als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in den Umsatzsteuerjahreserklrungen und -voranmeldungen wurde die nach deutschem Recht auszuweisende und abzufÅhrende Umsatzsteuer hinterzogen.
10.27
Einzelne Finanzgerichte und der BFH ußerten indes, vorsichtig formuliert, Zweifel an der Rechtsauffassung des BGH.1
10.28
Nach der entsprechenden Entscheidung eines Finanzgerichts legte der BGH im Rahmen eines anderen Revisionsverfahrens dem EuGH betreffend Art. 28c Teil A Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/ EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Åber die Umsatzsteuern2 folgende Frage vor:3
10.29
„Ist Art. 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen, dass einer Lieferung von Gegenstnden im Sinne dieser Vorschrift die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn die Lieferung zwar tatschlich ausgefÅhrt worden ist, aber aufgrund objektiver Umstnde feststeht, dass der steuerpflichtige Verkufer a) wusste, dass er sich mit der Lieferung an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Mehrwertsteuer zu hinterziehen, oder b) Handlungen vorgenommen hat, die darauf abzielten, die Person des wahren Erwerbers zu verschleiern, um diesem oder einem Dritten zu ermÇglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen?“
Der EuGH entschied in der „Rechtssache R“ auf Vorlage des BGH, dass die Versagung der Steuerfreiheit nicht zu beanstanden ist.4 ber die konkrete Frage der Strafbarkeit traf er indes keine Aussage: Er hat dabei ausdrÅcklich darauf hingewiesen, dass die Verweigerung der Steuerbefreiung in einem Fall, in dem eine nach nationalem Recht vorgesehene Verpflichtung nicht eingehalten wurde – etwa die Verpflichtung der Angabe des Empfngers einer innergemeinschaftlichen Lieferung – eine abschreckende Wirkung hat, die
1 FG Baden-WÅrttemberg v. 11.3.2009 – 1 V 4305/08, diesem folgend BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/09, BFHE 226, 449. 2 ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1. 3 BGH v. 7.7.2009 – 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688 = wistra 2009, 441. 4 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09, NJW 2011, 203 = DB 2010, 2774; vgl. hierzu Schenkewitz, BB 2011, 350; BÅrger, BB 2011, 540; FÅllsack, BB 2012, 1442; BÅlte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; KÅffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; HÇink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125.
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10.30
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewhrleisten und Steuerhinterziehungen oder -umgehungen verhÅten soll1. Hierbei hat der Gerichtshof betont, dass die Vorlage von Scheinrechnungen oder die bermittlung unrichtiger Angaben sowie sonstige Manipulationen die genaue Erhebung der Steuer verhindern und das ordnungsgemße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems infrage stellen kÇnne. Derartige Handlungen wÇgen umso schwerer, wenn sie – wie hier – im Rahmen der bergangsregelung fÅr die Besteuerung innergemeinschaftlicher Umstze begangen werden, die auf Beweisen beruht, die von den Steuerpflichtigen zu erbringen sind2. Eine solche Vorgehensweise trgt daher – in der Terminologie des Gerichtshofs – „ZÅge einer Mehrwertsteuerhinterziehung“ und steht deshalb wegen missbruchlichen Verhaltens einer Berufung auf Gemeinschaftsrecht entgegen3.
5. Strafbarkeit
10.31 Eine Aussage Åber die Strafbarkeit derartigen Verhaltens im jeweiligen Mitgliedsstaat ttigte der EuGH nicht. In seiner an die Vorlage an den EuGH anknÅpfenden Entscheidung vom 20.10.2011 nimmt der BGH auf die AusfÅhrungen des EuGH jedoch vollumfnglich Bezug und fÅhrt diese zur BegrÅndung einer Steuerhinterziehung heran.4 Der Wortlaut der deutschen steuerrechtlichen Vorschriften sei ein ausreichender AnknÅpfungspunkt fÅr die gemeinschaftsrechtlich gebotene Auslegung auch des Steuerstrafrechts.
10.32 Das BVerfG nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde wegen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 GG) nicht an.5 Der Wortlaut des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, wonach die Steuerbefreiung voraussetzt, dass die Lieferung im Zielland der Umsatzbesteuerung “unterliegt“, kÇnne auch dahin gehend verstanden werden, dass die konkrete Lieferung im Zielland auch tatschlich der Umsatzbesteuerung unterworfen wird. Die Entscheidung des BVerfG wirft in vielerlei Hinsicht Fragen auf und scheint weder in der BegrÅndung noch im Ergebnis konsequent und richtig.6 Die steuerliche Frage ist dabei das eine.
10.33 Nach hier vertretener Ansicht ist es zulssig und konsequent, die Steuerfreiheit aus Sanktionszwecken zu versagen. Eine andere und strikt davon 1 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09, NJW 2011, 203 Rz. 50. 2 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09, NJW 2011, 203 Rz. 48 3 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, Slg 2007, I-7861, DStR 2007, 1811 Rz. 38; EuGH v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel und Recolta Recycling, Slg 2006, I-6161 = DStR 2006, 1274 Rz. 54. 4 BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 41/09, ZWH 2012, 323, vgl. hierzu BÅlte, HRRS 2011, 465; Schenkewitz, BB 2011, 350; BÅrger, BB 2011, 540; FÅllsack, BB 2012, 1442; BÅlte, DB 2011, 442; Wulf, DB 2011, 731; KÅffner, DStR 2010, 2575; Matthes, EFG 2011, 186; Korf, IStR 2011, 30; HÇink, PStR 2011, 37; Spatscheck, SAM 2011, 64; Sterzinger, UR 2011, 20; Walter, wistra 2012, 125; vgl. auch Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 244 f., 279. 5 BVerfG v. 16.6.2001 – 2 BvR 542/09, DStRE 2012, 379. 6 BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 382 ff.; BÅlte, HRRS 2011, 465 (471); Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736).
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
zu trennende Frage ist jedoch, ob darin zugleich eine (strafbare) Steuerhinterziehung liegt. a) Verstoß gegen das Analogieverbot Die Anwendung von § 370 AO auf derartige Sachverhalte stellt nach hier vertretener Ansicht eine unzulssige Analogie zulasten des Tters dar.1 Der BGH schrnkt das Tatbestandsmerkmal „den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegen“ in § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG unzulssig dahin gehend ein, dass er es als nicht erfÅllt ansieht, wenn durch Tuschungsoder Verschleierungshandlungen die Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland umgangen werden soll. Auf diesem Weg gelangt der BGH zu einer Steuerpflicht, wie sie gesetzlich indes nicht vorgesehen ist.
10.34
Allein eine Sanktion ist das Ziel. Dem Steuerpflichtigen wird wegen des Fehlverhaltens und seiner Verwicklung in kriminelle Machenschaften und Handlungen, die die Lieferung als solche nicht unmittelbar berÅhren, der ihm grundstzlich zustehende Steuervorteil verwehrt.2
10.35
Die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 AO sind jedoch nicht erfÅllt. Die nicht angegebenen und abgefÅhrten auf die Lieferung gleichsam angefallenen Steuern sind keine Steuern, sondern strafhnliche Sanktionen. Der Schutzbereich des § 370 AO ist nicht mehr erÇffnet. Es entsteht gerade kein Steueranspruch auf Zahlung von Umsatzsteuern, sondern lediglich ein Anspruch auf Zahlung einer Fiskalsanktion in HÇhe der auf die Lieferung anfallenden Umsatzsteuer.3
10.36
Neuerlich kommt auch die Bedeutung des geschÅtzten Rechtsguts zum Tragen, nmlich das rechtzeitige und vollstndige Steueraufkommen. Bei dem gegen den Lieferanten im Falle der Versagung bestehenden Anspruch handelt es sich indes nicht um einen solchen Steueranspruch, der dem geschÅtzten Rechtsgut unterfllt, sondern um eine Sanktion fÅr die NichterfÅllung der Nachweispflichten. Das Besteuerungsgut der Umsatzsteuer ist vielmehr der private Verbrauch (Einkommensverwendung) im Bestimmungsland (Inland).4 Das Bestimmungslandprinzip entscheidet denn auch
10.37
1 So auch BÅlte, HRRS 2011, 465 (469); BÅlte, BB 2010, 1759 ff., der jedoch eine LÇsung darin sieht, den Tatbestand der Steuerhinterziehung als „hochgradig normativ“ zu betrachten und demnach den weiteren steuerlichen Bestimmtheitsgrundsatz gegenÅber dem engeren strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz fÅr anwendbar erachtet. Zu diesem Ansatz vgl. auch Dannecker in FS Achenbach, 2011, 83. Das BVerfG und auch der BGH gehen jedoch auch weiterhin davon aus, dass es sich um einen Blanketttatbestand handelt, sodass der strengere strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gilt. 2 BÅlte, HRRS 2011, 465 (469). 3 Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 (736); BÅlte, DB 2011, 442 (444), BÅlte, HRRS 2011, 465 (470). 4 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 9.3 f., 9.74 f.; Englisch in T/L21, § 17 Rz 11.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
die Frage, welchem Staat das Steueraufkommen aus der Umsatzsteuer zusteht; nmlich der Staat, in dem der Letztverbrauch stattfindet.1 Allein die Konzeption als indirekte Verbrauchsteuer fÅhrt dazu, dass Steuerschuldner nicht der Endverbraucher als intendierter Steuertrger ist, sondern der Unternehmer (vgl. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG).2
10.38 Eine Strafbarkeit hinsichtlich des inlndischen Steueranspruchs ist auch nicht wegen § 370 Abs. 6 AO zu bejahen, wenn nunmehr die Abs. 1-5 auch erfÅllt sein sollen, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bzw. Umsatzsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat verwaltet werden oder zustehen.3 § 370 Abs. 6 AO bezieht sich auf den auslndischen Steueranspruch und ermÇglicht eine Strafbarkeit wegen Mittterschaft oder Beihilfe zur Hinterziehung auslndischer Umsatzsteuer.
10.39 Auch weitere steuersystematische berlegungen sprechen in diesem Zusammenhang und in Anbetracht der Regelung des § 370 Abs. 6 AO gegen eine inlndische Strafbarkeit. Die Lieferung ist aus dem Grund steuerfrei, weil die Besteuerung im jeweiligen Mitgliedsstaat erfolgt. Der Steueranspruch entsteht nur einmal. Es wÅrde eine unzulssige, faktische Doppelbesteuerung4 und einen Verstoß gegen den Gedanken des Verbots der Doppelbestrafung (Art. 54 SD/Art. 50 GRCh5) bedeuten, wenn man bei Verschleierung oder kollusivem Zusammenwirken nunmehr neben der Tat im Ausland einen inlndischen Steueranspruch konstruiert und bestraft.6 Eine doppelte Umsatzbesteuerung, wie sie aber bei Zugrundelegung der Ansicht des BGH die Folge wre, verstieße gegen das Ziel der Neutralitt der Steuer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Zudem bilden auch nach der Gegenansicht derartige Geschehen einen einheitlichen historischen Lebenssachverhalt, mithin eine einheitliche prozessuale Tat i.S. des § 264 StPO.7
1 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 9.3 f., 9.74 f. 2 Englisch in T/L21, § 17 Rz 12. 3 Lipsky in G/J/W, § 370 AO Rz. 204 ff.; zum Ganzen auch Tully/Merz, wistra 2011, 121. 4 So auch Schauf/Hoink, PStR 2009, 58 (60); Winter, DB 2009, 1843 (1845), Ransiek, HRRS 2009, 420 (426, 427). 5 Zu diesem Aspekt Heger in FS KÅhne, 565 (571 f.). 6 Mit hnlicher BegrÅndung auch Ransiek, HRRS 2009, 421 (427, 428), der in diesen Fllen davon ausgeht, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, die steuerfrei ist und deshalb keinen Hinterziehungserfolg des § 370 AO begrÅnden kann, und derartige Geschfte auch nicht darauf abzielen, einen ordnungsgemße Besteuerung im Ursprungsland zu verhindern, sondern eine Steuerhinterziehung im Bestimmungsland bezwecken. Im Ursprungsland soll gerade keine Steuer anfallen; a.A. Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 283 f. 7 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (126).
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
b) Konsequenzen fÅr Altflle Verschiedentlich wird davon ausgegangen, dass man dem Tter, der Taten vor dem Ergehen der vorgenannten Entscheidungen begangen hat, eine fehlende Kenntnis vom Bestehen des Umsatzsteueranspruchs zugutehalten kann.1 Dem ist schon angesichts der Vorlage zum EuGH und den Zweifeln innerhalb der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zuzustimmen. Der Steuerpflichtige muss insofern nicht schlauer sein.
10.40
c) Konsequenzen fÅr zukÅnftige Flle Was die Behandlung zukÅnftiger Flle betrifft, wird davon auszugehen sein, dass eine Strafbarkeit dennoch bejaht werden wird. Umso wichtiger wird es dann sein, darzulegen, dass und aus welchen GrÅnden die verschuldeten Auswirkungen der Tat nicht ohne Weiteres unter die AusfÅhrungen des BGH zur Strafzumessung bei grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen zu subsumieren sind. Dem Gesichtspunkt der Gefhrdungshaftung und dem Umstand einer faktischen Doppelbesteuerung ist mindestens auf Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Im Auge zu behalten sein wird auch das ggf. im Ausland gegen den Beschuldigten gefÅhrte Strafverfahren und sich daraus ergebende Konsequenzen, etwa hinsichtlich des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes (Art. 50 GRCh/54 SD). Auch eine Einstellung nach den §§ 153c oder 154 StPO kann ggf. angezeigt sein.
10.41
IV. Objektiver Tatbestand Nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht sich strafbar, wer gegenÅber den FinanzbehÇrde oder anderen BehÇrden Åber steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollstndige Angaben macht und dadurch Steuern verkÅrzt oder fÅr sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hingegen wird bestraft, wer die FinanzbehÇrden pflichtwidrig Åber steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lsst. Das Gesetz unterscheidet zwischen einer Begehungs- und einer Unterlassungsvariante.
10.42
1. Tterkreis Die Steuerhinterziehung ist ein Jedermannsdelikt und kein Sonderdelikt, sodass nicht nur der fÅr die jeweilige Steuer Verpflichtete in Betracht kommt. Es ist ebenso nicht erforderlich, dass die Steuerhinterziehung zu eigenen Gunsten erfolgt. Es kommt allein auf die Ttigung der unrichtigen Angaben an. Die Steuerhinterziehung durch aktives Tun ist ein Jedermannsdelikt und kein Sonderdelikt, sodass nicht nur der fÅr die jeweilige
1 BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 393a; Bielefeld, DStR 2009, 580; Wulf, Stbg 2009, 313; zur Irrtumsproblematik vgl. auch Ransiek, wistra 2012, 365.
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10.43
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Steuer Verpflichtete in Betracht kommt. Es ebenso nicht erforderlich, dass die Steuerhinterziehung zu eigenen Gunsten erfolgt. Es kommt allein auf die Ttigung der unrichtigen Angaben an. Das Kernproblem besteht in der Praxis bei mittleren und großen Unternehmen darin, den Nachweis zu fÅhren, wer konkret fÅr die falsche Angabe oder das Unterlassen einer richtigen Angabe in strafrechtlicher Hinsicht verantwortlich ist und insofern zur Rechenschaft gezogen werden kann: Beispiele: In Vertretung fÅr das urlaubsbedingt abwesende und eigentlich zustndige Vorstandsmitglied Z unterschreibt Vorstandsmitglied X die Steuererklrung der X-AG. X hat von etwaigen Steuerhinterziehungen keine Kenntnis. Zur Verschleierung von ihm begangener Untreuen zulasten des Unternehmens manipuliert der Buchhalter A die BÅcher dergestalt, dass der Gewinn der Gesellschaft und die entsprechende Steuerlast zu niedrig ausfallen.
10.44 FÅr die Frage nach Tterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung gelten Åber § 369 Abs. 2 AO die Regelungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuch der §§ 25 ff. StGB. Im Strafrecht wird zwischen Tterschaft und Teilnahme unterschieden. Tterschaft kommt in Form der Alleintterschaft, Mittterschaft, mittelbaren Tterschaft und Nebentterschaft vor, Teilnahme in Form der Anstiftung und Beihilfe.
10.45 Bei der Steuerhinterziehung setzt Mittterschaft die MÇglichkeit der Tterstellung voraus. Bei aktivem Tun kann dies auch derjenige sein, der zugunsten eines Steuerpflichtigen handelt. Bei Unterlassen kann nur Tter sein, wer zur Aufklrung verpflichtet ist.1
10.46 Mittter kann auch derjenige sein, dem das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sofern nur die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise i.S. von § 25 Abs. 2 StGB gegeben sind.2 Mittter ist, wer nicht nur fremdes Tun fÇrdert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfÅgt, dass sein Beitrag als Teil der Ttigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergnzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Wesentliche Anhaltspunkte kÇnnen der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein.3
1 Vgl. BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, BGH NStZ-RR 2007, 345. 2 St. Rspr., vgl. BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittter 1; BGH v. 28.5.1986 – 3 StR 103/86, NStZ 1986, 463; BGH v. 6.10.1989 – 3 StR 80/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Mittter 3; BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Tter 4; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112. 3 St. Rspr., BGH v. 30.6.2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44; BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289 (291).
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
2. Angaben machen a) Begriff der Angabe Eine Angabe macht im Fall des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wer gegenÅber der FinanzbehÇrde oder auch gegenÅber anderen BehÇrden Tatsachen bekundet.1 Das Mittel zu deren Bekundung ist die Abgabe einer Erklrung, welche schriftlich oder mÅndlich erfolgen kann. Hierbei gilt der gesamte ußerungsinhalt als Erklrung, wozu auch das gehÇrt, was im Rahmen der ußerung ausdrÅcklich an Anlagen in Bezug genommen worden ist.2 Unerheblich fÅr die Tatbestandsverwirklichung ist, wo die falschen Angaben gemacht oder unterlassen werden. So macht sich auch der in Deutschland (un-)beschrnkt Steuerpflichtige strafbar, der aus dem Ausland heraus in Deutschland eine unrichtige Steuererklrung abgibt oder deren Abgabe unterlsst (§ 370 Abs. 7 AO).
10.47
b) Deutlichkeit der Angaben Die Angaben sind auch deutlich, d.h. fÅr den Erklrungsempfnger verstndlich und wahrnehmbar zu machen. So hlt der BFH in stndiger Rechtsprechung die Deutlichkeit der Angaben in der Steuererklrung zur Begrenzung der Ermittlungspflichten des Finanzamts fÅr erforderlich.3 Er geht im Zusammenhang mit der Frage nach einer nderungsmÇglichkeit eines Steuerbescheids nach § 173 AO und der Frage, ob eine Tatsache als bekannt zu gelten hat, davon aus, dass bei Abgabe der Steuererklrung maßgebend ist, ob darin die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollstndig und deutlich dem Finanzamt zur PrÅfung unterbreitet wurden.4 Denn nur wer selbst eine Steuererklrung klar und einwandfrei abgegeben habe, kann sich nach Ansicht des BFH auf eine Pflichtverletzung des Finanzamts berufen.5
1 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 212, wobei bislang nicht geklrt ist, warum § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch „andere BehÇrden erfasst“, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hingegen nicht. 2 OLG Bremen v. 26.4.1985 – Ws 111, 115, 116/84, StV 1985, 282. 3 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, DB 1990, 358; BFH v. 14.12.1994 – XI R 80/92, BFHE 176, 308; BFH v. 10.4.1997 – IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 (758); BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, DStRE 1999, 81 (83 ff.); BFH v. 4.3.1999 – II R 79/97, HFR 1999, 789 (790); BFH v. 24.3.2004 – X B 110/03, BFH/NV 2004, 1070; so auch BFH v. 20.4.2004 – IX R 39/01, BFH/NV 2004, 1138 (1140); BFH v. 25.1.2006 – II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059 (1060 f.); vgl. auch FG Niedersachsen v. 30.1.2003 – 16 K 10365/01. 4 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, DB 1990, 358; BFH v. 10.4.1997 – IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757 (758); BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, DStRE 1999, 81 (83 ff.); BFH v. 4.3.1999 – II R 79/97, HFR 1999, 789 (790); BFH v. 25.1.2006 – II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059 (1060 f.). 5 BFH v. 19.10.1971 – VIII R 27/66, BFHE 103, 404.
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10.48
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
3. Begriff der Tatsache
10.49 Der Begriff der Tatsache i.S. des § 370 AO ist mit dem Begriff der Tatsache in § 263 StGB (Betrug) verwandt. Die Problematik bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht jedoch darin, dass im Rahmen der Steuererklrung weniger Tatsachen, sondern vielmehr bereits die Ergebnisse einer rechtlichen Subsumtion vorgetragen werden, nmlich Zahlen in den entsprechenden Feldern der Steuererklrung. Eine Tatsache ist etwas Geschehenes oder Bestehendes, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit getreten und daher dem Beweis zugnglich ist.1 Das Gegenteil einer Tatsache stellt ein Werturteil oder eine Meinungsußerung dar, wobei zu den Werturteilen auch die reinen rechtlichen Bewertungen eines Sachverhalts – dieser besteht aus Tatsachen – zu rechnen sind, also das Ergebnis juristischer Subsumtion. Zur Abgrenzung ist maßgeblich, ob der Sinn der ußerung einen objektivierbaren, gerichtlicher BeweiswÅrdigung zugnglichen Kern ergibt.2 Die in einer Steuererklrung gemachten Angaben, denen eine rechtliche Wertung zugrunde liegt, sind als Tatsachen in diesem Sinne zu bewerten. Die Einordnung der verkÅrzten oder versteckten Angaben in Steuererklrungen als Angaben Åber Tatsachen i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO deckt sich auch mit den Ergebnissen der Rechtsprechung.3 4. Steuerliche Erheblichkeit der Tatsachen
10.50 Die Angaben Åber Tatsachen mÅssen weiter steuerlich erheblich sein. Erheblich sind alle Tatsachen, die aufgrund eines Steuergesetzes fÅr die Besteuerung von Bedeutung sind, d.h. zur AusfÅllung eines Besteuerungstatbestandes herangezogen werden mÅssen, also Grund und HÇhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen.4 Zu den steuerlich erheblichen Tatsachen werden alle Tatsachen gezhlt, die aufgrund eines Steuergesetzes fÅr die Festsetzung, die Selbstberechnung, die Erhebung oder Betreibung der Steuer oder das Gewhren oder Belassen eines Steuervorteils von Bedeutung sind.5 5. Erklrungsempfnger
10.51 Die Angaben mÅssen gegenÅber den FinanzbehÇrden oder anderen BehÇrden abgegeben werden, wobei sich der BehÇrdenbegriff aus § 6 Abs. 1 AO ergibt. Danach ist BehÇrde jede Stelle, die Aufgaben der Çffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Der Begriff der FinanzbehÇrde bestimmt sich nach § 6 Abs. 2 AO. ber das BehÇrdenmerkmal werden Handlungen des SteuRansiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 228; Fischer61, § 263 StGB Rz. 6. Lackner in LK10, § 263 StGB Rz. 12. OLG Schleswig v. 11.11.1985 – 2 Ss 413/85, wistra 1987, 34. Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 279; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 130, Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 229. 5 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 130.
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erpflichtigen gegenÅber Privatpersonen ausgeschieden, welche Letztere zu einem steuerverkÅrzenden Verhalten veranlassen.1 Als andere BehÇrden i.S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kommen solche BehÇrden in Betracht, die fÅr entscheidende Feststellungen im Besteuerungsverfahren zustndig sind, wie etwa die Gemeinden. 6. Unrichtigkeit und Unvollstndigkeit der Angabe Eine Angabe ist unrichtig, wenn die in ihr enthaltene Behauptung mit der Wirklichkeit nicht Åbereinstimmt, also ein Widerspruch besteht.2 Problematisch ist hingegen, wann eine Angabe unvollstndig ist. Mitunter wird davon ausgegangen, dass unvollstndige Angaben eigentlich auch unrichtige Angaben seien, die besondere Erwhnung jedoch nur aus Klarstellungszwecken erfolgt sei. Eine unvollstndige Angabe sei anzunehmen, wenn eine Erklrung so gewertet werden mÅsse, dass sie zu einem bestimmten Sachzusammenhang eine vollstndige Aussage enthalte. Das Verschweigen von Tatsachen habe dann den positiven Erklrungswert, dass weitere zu offenbarende Tatsachen nicht vorhanden, die gemachten Angaben als solche aber richtig seien3. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich aber zu der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, denn oftmals ist nur schwerlich feststellbar, ob die Angaben unvollstndig durch aktives Tun gemacht wurden oder ob lediglich Teile der Angaben pflichtwidrig unterlassen wurden.4 Im Einzelfall soll daher zu ermitteln sein, ob der Erklrende ausdrÅcklich oder konkludent mitbehauptet, dass smtliche besteuerungserheblichen Umstnde aus einem bestimmten Umkreis vollstndig erklrt sind5.
10.52
Nach Samson kommt es fÅr die Unterscheidung von unrichtigen und unvollstndigen Tatsachen darauf an, einen Maßstab zu finden, an dem der Umfang der wahren, aber unter Umstnden nicht vollstndigen Tatsachen zu messen ist.6 Nach Hanssen kann dieser Vergleich nur Åber die Bestimmung der steuerlichen Pflichten gelingen, da diese den Umfang der anzugebenden Tatsachen angeben und so die Subsumtionsrelevanz einer Tatsache kennzeichnen. Demnach seien Tatsachen unrichtig oder unvollstndig, wenn die Pflicht zur wahrheitsgemßen Sachverhaltserklrung aus den §§ 150 Abs. 1, 90 Abs. 1 AO verletzt wÅrde.7 Mit Wulf ist der Erwhnung der unvollstndigen Angabe in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO lediglich
10.53
1 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 131. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die FinanzbehÇrden die Angaben mit Willen des Tters gutglubig an Finanz- oder andere BehÇrden, die steuerliche Entscheidungen treffen, weitergeben. 2 BGH v. 16.12.1954 – 3 StR 493/54, BGHSt 7, 147; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 129, Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 246. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 247; zustimmend Wulf, Handeln und Unterlassen, 59 f. 4 Hilgers, Tuschung, 49; LÅtt, Handlungsunrecht, 54. 5 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 129. 6 Samson in Franzen/Gast/Samson4, § 370 AO Rz. 34. 7 Hanssen, Steuerhinterziehung, 72.
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klarstellende Funktion zuzumessen. Denn im Hinblick auf die Pflicht zur Abgabe von vollstndigen Erklrungen lsst sich jede unvollstndige Angabe auch unter das Merkmal der „unrichtigen Angabe“ subsumieren.1 7. Tuschung und Unkenntnis bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
10.54 FÅr § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist immer noch nicht abschließend geklrt, ob es fÅr das tatbestandsmßige Verhalten einer Tuschung und somit eines Irrtums der (Finanz-)BehÇrde Åberhaupt bedarf oder ob fÅr eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vielmehr ausreichend ist, dass die unrichtigen oder unvollstndigen Tatsachen in anderer Weise als durch eine Tuschung fÅr die SteuerverkÅrzung urschlich werden.2 Virulent wird die Problematik beim Merkmal der Unkenntnis. Das Merkmal der Tuschung hat in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine ausdrÅckliche Erwhnung gefunden. Bei unbefangener Betrachtung des Wortlauts von § 370 Abs. 1 Nr. 1 und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO fllt auf, dass lediglich § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausdrÅcklich ein „in Unkenntnis“-Lassen der BehÇrde erfordert. Auch § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO verzichtet gnzlich auf eine Beschreibung des behÇrdlichen Kenntnisstandes. Die sich daraus ergebende Konsequenz kÇnnte nun sein, dass auch die vollstndige NichterfÅllung der Erklrungspflicht, das Machen von unvollstndigen Angaben, bei fehlerhafter Festsetzung trotz vollstndiger Kenntnis der „wissenden“ BehÇrde als vollendete Steuerhinterziehung geahndet werden kÇnnte.3 a) Rechtsprechung des BFH
10.55 In dem vielbeachteten4 Urteil vom 25.10.20055 hat der BFH entschieden, dass die fÅr eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderliche und wesentliche objektive kausale VerknÅpfung zwischen den unrichtigen Angaben und dem Eintritt der SteuerverkÅrzung keine gelungene Tuschung mit Irrtumserregung beim zustndigen Finanzbeamten voraussetzt. Vielmehr genÅgt es nach Ansicht des BFH, wenn die unrichtigen oder unvollstndigen Angaben Åber steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Tuschung fÅr die SteuerverkÅrzung urschlich werden.6 Nach dem Wortlaut des Gesetzes und nach dem Sinn und Zweck kÇnne – so der BFH – nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass
1 2 3 4
Wulf, Handeln und Unterlassen, 59 f. Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 53. Wulf, Handeln und Unterlassen, 143. Nieland, AO-StB 2006, 38; RÅsken, BFH/PR 2006, 166; TormÇhlen, DStZ 2006, 262; Wegner, PStR 2006, 52; Rolletschke, wistra 2006, 249; Weidemann, wistra 2006, 274 f. 5 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 6 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, unter Verweis auf BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, BStBl. II 1999, 854 = wistra 2000, 63; so auch Dumke in Schwarz, § 370 AO Rz. 38. Besttigt durch BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07; vgl. hierzu die Anm. von Schmitz, NJW 2007, 2867.
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eine Steuerhinterziehung auch begangen werden kÇnne, wenn in einem vollautomatisierten Verfahren Steuern aufgrund einer falschen Steueranmeldung in unrichtiger HÇhe erhoben wÅrden. GegenÅber einer FinanzbehÇrde seien Angaben vielmehr schon dann gemacht, wenn sie so in deren steuerliches Verfahren eingespeist wÅrden, dass sie zur Grundlage der Steuerfestsetzung oder Erhebung wÅrden.1 b) Rechtsprechung des BGH Der BGH lsst es genÅgen, wenn der Tter unzutreffende Angaben macht und dadurch eine SteuerverkÅrzung bewirkt.2 Denn aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich, dass es auf eine hervorgerufene oder aufrechterhaltene irrige Vorstellung der FinanzbehÇrden bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht ankomme. Es gehÇre nicht zum Tatbestand, dass der Tter durch eine gelungene Tuschung einen Irrtum erregt.3 Vielmehr genÅge es, dass seine unrichtigen oder unvollstndigen Angaben Åber steuererhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Tuschung fÅr die SteuerverkÅrzung urschlich werden.4 Letztendlich wurde das Merkmal der Tuschung jedoch fÅr nicht entscheidungserheblich befunden, da sich zumindest der festsetzende Veranlagungsbeamte in Unkenntnis befunden habe.5 In anderen Entscheidungen geht der BGH davon aus, dass Tuschungshandlungen gegenÅber der FinanzbehÇrde Åber steuerlich erhebliche Tatsachen von § 370 AO erfasst werden, eine Tuschung also taugliches Tatmittel sein kann.6
10.56
In Entscheidungen jÅngeren Datums besttigt der BGH die oben genannte Ansicht des BFH und Åbernimmt hierzu im Wesentlichen auch dessen BegrÅndung.7 Die Einspeisung von Daten in die EDV der Finanzverwaltung dergestalt, dass sie zur Grundlage einer Steuerfestsetzung, -erhebung oder -erstattung werden, wird als ausreichend erachtet.8
10.57
1 BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, wistra 2006, 113. 2 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (286); BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, wistra 2013, 107. 3 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 4 BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266; offengelassen in BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63 mit Anm. Stahl/Carle, wistra 2000, 99. 5 BGH v. 28.1.1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272 (293); BGH v. 19.12.1999 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (286); dem zustimmend AG SaarbrÅcken v. 20.10.1986 – 35 – 269/85, wistra 1988, 202; LG SaarbrÅcken v. 14.7.1987 – 5 II 1/87, wistra 1988, 202; hierzu auch Weyand, wistra 1988, 180. 6 BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100; BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 91/94, BGHSt 40, 109; BGH v. 21.10.1997 – 5 StR 328/97, NStZ 1998, 91. 7 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, BGHSt 51, 356. 8 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, BGHSt 51, 356; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141).
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
10.58 Im Hinblick auf das Erfordernis nach einer Unkenntnis auch fÅr § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO fÅhrt der BGH aus, dass dieses Kriterium abzulehnen ist, da die Veranlagung fiktiver Personen niemandem innerhalb der Finanzverwaltung zugewiesen ist und der Tter außerhalb seines Zustndigkeitsbereichs handele. Seine Kenntnis vom wirklichen Sachverhalt stehe daher einer Tatbestandsverwirklichung nicht entgegen.1 Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund unrichtiger oder unvollstndiger Angaben entfllt nach einer weiteren Entscheidung nicht deshalb, weil den zustndigen FinanzbehÇrden alle fÅr die Steuerfestsetzung bedeutsamen Tatsachen bekannt waren und zudem smtliche Beweismittel (§ 90 AO) bekannt und verfÅgbar waren.2 Der BGH stellt unmissverstndlich klar, dass es fÅr § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO des Merkmals der Unkenntnis nicht bedarf. c) Literatur
10.59 Die Literatur steht der Rechtsprechung, die das Merkmal der Unkenntnis fÅr § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO fÅr nicht konstitutiv hlt, ablehnend gegenÅber.3 DafÅr spricht zunchst das Spannungsverhltnis von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn je nachdem, ob man das Tterverhalten als das „Machen unvollstndiger Angaben“ oder das teilweise „Unterlassen zutreffender Angaben“ interpretiert, kme dem Tter einmal die anderweitig erlangte Kenntnis der BehÇrde zugute, ein anderes Mal jedoch nicht.4 Teilweise wird auch davon ausgegangen, dass es bei Kenntnis der BehÇrde an der Kausalitt zwischen den unzutreffenden Angaben des Tters und dem tatbestandsmßigen Erfolg fehle, da die wissende SteuerbehÇrde die bekanntermaßen unrichtige Steuererklrung nicht zur Grundlage ihrer Festsetzung machen werde, sondern allein ein Fehlverhalten aufseiten der FinanzbehÇrde fÅr die SteuerverkÅrzung urschlich werde.5
1 BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141). 2 BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, DStR 2013, 140 (141); BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10 unter Verweis auf Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 581 ff. 3 Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 78; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 198; ablehnend Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 579, 586 (211); LÅtt, Handlungsunrecht, 64, der anfÅhrt, dass nur bei Unkenntnis ein Achtungsanspruch von dem geschÅtzten Rechtsgut ausgeht; Seer in T/L21, § 23 Rz. 24; Suhr/Naumann/ Bilsdorfer, Steuerstrafrecht4, Rz. 212 (293); Wulf, Handeln und Unterlassen, 143; Hilgers, Tuschung, 96, 97; GÇssel, wistra 1985, 125; Volk, DStZ 1983, 223 (227); Hoff, Handlungsunrecht, 42. 4 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 198, zustimmend Kribs-Dres, DB 1978, 181; Schleeh, StuW 1972, 310 (311). 5 GÇssel, wistra 1985, 132; Volk, DStZ 1983, 227; hiergegen Borchers, wistra 1987, 86 (88) unter Einbeziehung der Problematik, dass Steuern oftmals nur unter dem Vorbehalt der NachprÅfung festgesetzt werden.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Gemeint sein dÅrfte hier, dass die BehÇrde auf die Mitwirkung des Steuerpflichtigen und die Richtigkeit seiner Angaben angewiesen ist, da die Veranlagung aller Steuerpflichtigen ohne deren Mitwirkung allein durch staatliche Institutionen schon wegen der Masse der zu bearbeitenden Flle praktisch unmÇglich ist. Auch Åber einen Vergleich zur Unterlassungsvariante lsst sich dieses Ergebnis begrÅnden. Denn ebenso wie beim Begehungsdelikt erfolgt in den Fllen der Unterlassung die SteuerverkÅrzung aufgrund einer Fehlvorstellung der FinanzbehÇrde. Der Unterschied besteht nur darin, dass diese Fehlvorstellung in dem einen Fall hervorgerufen wird und in dem anderen Fall keine Aufklrung erfolgt.1 Maßgebend ist, dass in beiden Fllen der BehÇrde die faktischen Grundlagen zur Erkenntnis und Durchsetzung des wahren Steueranspruchs fehlen. Ebenso geht Joecks davon aus, dass das Gesetz mit der Formulierung in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Tuschungshandlung beschreibt, die auf weiten Strecken der Tuschungshandlung des Betruges entspricht.2 Weil der Tter Angaben machen muss, ist darunter wenigstens eine Handlung zu verstehen, die auf die Psyche eines anderen in der Weise einwirkt bzw. einwirken kÇnnen muss, dass in diesem die Vorstellung von Tatsachen entstehen soll.3 Damit ist die Psyche des veranlagenden Beamten gemeint, dessen Vorstellungen dann dem Staat zuzurechnen sind.
10.60
8. Konkludente Ttigung von Angaben Eine Angabe Åber Tatsachen kann auch durch schlÅssiges Verhalten erfolgen.4 Ein solches Verhalten ist anzunehmen, wenn das gesamte Verhalten des Tters nach allgemeiner Verkehrsanschauung nur als stillschweigende Behauptung von Tatsachen verstanden werden kann und soll.5 Mitunter wird vorgetragen, dass der Begriff des Machens von Angaben ebenso wie der des Vorspiegelns im Bereich des § 263 StGB nicht nur ausschließlich wÇrtliche Erklrungen umfasst,6 sondern auch konkludente Erklrungen, die damit dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO unterfielen.7 1 2 3 4
Samson/Horn, NJW 1970, 593 (594). Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 119. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 119. BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266; Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 289; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 81; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 15; Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO Rz. 36 f.; Schneider, Steuerhinterziehung, 121; Menke, Kompensationsverbot, 113, unter Verweis auf BGH v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, BGHSt 25, 190; MÇsbauer, Steuerstrafrecht, 108; KÅrzinger in Wannemacher6, Steuerstrafrecht, § 37 Rz. 97, der den Fall nennt, dass ein Steuerpflichtiger, wenn er zu bestimmten Einkunftsarten keine Angaben macht, konkludent zum Ausdruck bringe, dass ihm entsprechende EinkÅnfte nicht zugeflossen sind. Dies stellt jedoch einen Fall des Unterlassens dar; Scheuermann-Kettner in Koch/Scholz, § 370 AO Rz. 22. 5 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 247. 6 Fischer61, § 263 StGB Rz. 12. 7 Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 81; Scheuermann-Kettner in Koch/Scholtz, § 370 AO Rz. 22.
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10.61
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
In der Erklrung einer steuerfreien Lieferung kÇnne etwa zugleich die konkludente Erklrung gesehen werden, dass der Unternehmer in dem Zeitpunkt der Geltendmachung Åber die erforderlichen Nachweise verfÅge.1 § 370 AO setzt nach Ansicht des BGH nmlich tatbestandlich keine wirksame Steuererklrung voraus, sondern lediglich Bekundungen zu den genannten Zwecken, die sogar mÅndlich oder schlÅssig gemacht werden kÇnnen.2
10.62 Der Straftatbestand kann daher durch jedwede ußerung verwirklicht werden, sofern dies zur VerkÅrzung von Steuern fÅhrt. Zu nennen sind abweichend von der Steuererklrung die Flle der AußenprÅfung, des Rechtsbehelfsverfahrens oder der tatschlichen Verstndigung.3 Denn steuerlich erheblich sind etwa auch solche Umstnde, die fÅr die Entscheidung der FinanzbehÇrde Bedeutung erlangen, ob Åberhaupt die Voraussetzungen fÅr eine tatschliche Verstndigung gegeben sind oder welche Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden.4 9. Konkludente Tuschung im Zollrecht
10.63 Im Zollrecht ist die MÇglichkeit einer konkludenten Tuschung anerkannt und wird explizit in Art. 233 DVO5 (Formen konkludenter Willensußerung) erfasst. Genannt werden hier als konkludente Verhaltensweisen die Benutzung des grÅnen Ausgangs der Kontrollstelle;6 das Passieren der Zollstelle ohne Abgabe einer Zollanmeldung, das Anbringen einer Zollanmeldungsvignette oder eines Aufklebers „anmeldefreie Waren“ an der Windschutzscheibe von Personenwagen.7 Dem Verhalten des Tters ist hier der Erklrungswert zu entnehmen, dass er keine gestellungs- oder anmeldungspflichtigen Waren bei sich fÅhrt, und die Bestimmung der Konkludenz knÅpft an ein tatschliches Verhalten des Tters an. Fraglich ist hier allein, ob der Tter i.S. der Konkludenz etwas miterklrt oder ob 1 Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 289; NÇhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer, 175. 2 BGH v. 27.9.2002 – 5 StR 97/02, wistra 2003, 20. 3 Hierzu BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; vgl. auch die Anm. von Spatscheck/Mantas, PStR 1999, 198; Rolletschke, Steuerhinterziehung, Rz. 29; ablehnend noch Streck/Schwedhelm, DStR 1986, 713 (714), die nur eine Verletzung des Steuerrechts als ausreichend ansahen, der Annahme einer Steuerhinterziehung durch eine tatschliche Verstndigung aber entgegenhielten, dass der Blankettverweis nicht greife, wenn eine Vereinbarung Åber den Sachverhalt getroffen werde. 4 Randt, Steuerfahndungsfall, D 3 unter Verweis auf BGH v. 23.6.1992 – 5 StR 74/92, wistra 1992, 300, wo ein Finanzbeamter aufgrund vorgespiegelter Seriositt der Steuerpflichtigen von bestimmten Vollstreckungsmaßnahmen absah. 5 Verordnung (EWG) Nr. 2931/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften v. 12.10.1992. 6 Hierzu FG Hamburg v. 20.10.1998 – IV 124/98, ZfZ 1999, 204; FG MÅnchen v. 25.11.1998 – 3 K 2040, ZfZ 1999, 204; FG Hamburg v. 5.4.2000 – IV 744/97; zuletzt BFH, Beschl. v. 16.3.2007 – VII B 21/06. 7 Erforderlich ist hier jedoch eine entsprechende einzelstaatliche Vorschrift.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
seinem Verhalten nicht ausdrÅcklich der Erklrungswert beizumessen ist, dass keine gestellungspflichtigen Waren eingefÅhrt werden, wenn er etwa den grÅnen Ausgang des Kontrollstelle benutzt. 10. Pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) a) Allgemeines Im Bereich der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Auslandssachverhalten ist der hufigere Fall, dass die FinanzbehÇrde pflichtwidrig Åber steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen wird, wenn beispielsweise steuerliche Gestaltungen nicht offengelegt werden oder bestimmte von der Finanzverwaltung abweichende/unrichtige und strafrechtlich im Ergebnis falsche Rechtsansichten nicht nher erlutert werden.1 Zur vorlufigen Reduzierung einer Umsatzsteuerzahllast und zur Erlangung kurzfristiger Liquidittsvorteile werden nicht selten auch zu niedrige Umsatzsteuervoranmeldungen angegeben.
10.64
Das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begrenzt den Kreis der tauglichen Tter2, wohingegen § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als sog. „Jedermannsdelikt“ nicht nur durch den Steuerpflichtigen begangen werden kann.3 Nach der Rechtsprechung des BGH kann Tter – auch Mittter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein, der selbst zur Aufklrung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist.4 Das Merkmal „pflichtwidrig“ bezieht sich allein auf das Verhalten des Tters (bei dem es sich indes nicht um den Steuerpflichtigen handeln muss), nicht allgemein auf dasjenige irgendeines Tatbeteiligten.5 Damit kommt eine Zurechnung fremder
10.65
1 Zum Ganzen auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 61 f. 2 Einschrnkend BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177, der keine Begrenzung des Tterkreises bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auf bestimmte Personen sieht, aber unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG betont, dass nur derjenige letztlich Tter sein kann, der selbst zur Aufklrung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist; vgl. hierzu Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 (312). 3 Zuletzt BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177; vgl. hierzu Leipold, NJW-Spezial 2013, 376, Gehm, NZWiSt 2013, 319; BGH v. 28.3.2007 – 5 StR 558/06 unter Verweis auf BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112 (113); Wulf, Handeln und Unterlassen, 90, 92; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 161; Randt, Steuerfahndungsfall, D 4; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311. 4 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371 (375 ff.); BGH v. 12. 11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittter 1; BGH v. 14.2.1990 – 3 StR 317/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Eingangsabgaben 1; BGH v. 20.11.1990 – 3 StR 259/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittter 2; BGH v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (58); BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Tter 4 = wistra 2003, 344; BGH v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, wistra 2004, 393; BGH v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112; BGH v. 14.4.2010 – 1 StR 105/10. 5 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundstzen Mittterschaft vorliegen wÅrde. Voraussetzung ist jedoch gem. § 13 StGB eine Garantenstellung des Tters, d.h. er muss in rechtlicher Hinsicht verpflichtet sein, fÅr den Erfolg einzustehen.
10.66 Die Garantenstellung kann sich beispielsweise aus Gesetz ergeben: – § 137 AO (Anzeigepflicht fÅr nichtnatÅrliche Personen), – § 138 AO (Anzeigepflicht fÅr den, der einen Betrieb erÇffnet), – § 139 AO (Anmeldepflicht fÅr Hersteller verbrauchsteuerpflichtiger Waren), – § 153 AO (Berichtigungspflicht), – § 160 AO (Steuerliche Offenlegungspflicht), – Rechtspflicht zur Abgabe von Steuererklrungen (§§ 25 EStG, 56-60 EStDV, § 14a GewStG, § 18 UStG), – Pflicht zur Abgabe von Steueranmeldungen (§ 41a EStG), – Anzeige- und Berichtigungspflichten (z.B. § 17 UStG, § 30 ErbStG).
10.67 Die Garantenstellung kann sich auch aus sog. Ingerenz (vorangegangenes, pflichtwidriges Tun) ergeben.1 b) Pflichten der gesetzlichen Vertreter und VerfÅgungsberechtigten
10.68 Von Bedeutung fÅr die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen insbesondere im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung bei Unternehmen werden kÅnftig die §§ 34, 35 AO sein, die der BGH jÅngst zur BegrÅndung einer Strafbarkeit heranzog.2
10.69 Wer in diesem Sinne als VerfÅgungsberechtigter auftritt, hat unter der Voraussetzung, dass er dazu tatschlich und rechtlich in der Lage ist, wie der gesetzliche Vertreter nach § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Rechtstrgers zu erfÅllen. Zu den von ihm zu erfÅllenden Pflichten gehÇrt insbesondere die Abgabe von Steuererklrungen (etwa von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklrungen) und die Entrichtung der Steuern aus den vorhandenen Mitteln.3
10.70 VerfÅgungsberechtigter iS des § 35 AO ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhltnisse rechtlich und wirtschaftlich Åber Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfÅgen kann und als solcher nach außen auftritt.4 1 Zur Garantenstellung von Steuerberatern vgl. Krekeler, PStR 2002, 183. 2 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177; vgl. hierzu Leipold, NJW-Spezial 2013, 376; Gehm, NZWiSt 2013, 319; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 3 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81 sowie FG Niedersachsen v. 6.6.2008 – 11 K 573/06, EFG 2009, 1610; BGH v. 8.11.1989 – 3 StR 249/89, BGHR AO § 35 VerfÅgungsberechtigter 2; sowie BGH v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittter 1. 4 Vgl. BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 118 ff.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Die VerfÅgungsgewalt muss zudem rechtlich eingerumt sein. Eine faktische VerfÅgungsgewalt genÅgt nicht. Dabei genÅgt eine mittelbare VerfÅgungsbefugnis, d.h. verfÅgungsberechtigt ist auch, wer aufgrund seiner Stellung die Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfÅllen kann oder durch die Bestellung entsprechender Organe erfÅllen lassen kann.1 Der VerfÅgungsberechtigte muss nach außen auftreten, wobei jedoch ein Auftreten gegenÅber der FinanzbehÇrde nicht erforderlich ist. Es reicht aus, wenn derjenige lediglich gegenÅber einer „begrenzten ffentlichkeit“, etwa im Rahmen von Gesellschafterversammlungen, zu erkennen gibt, dass er als solcher Åber das VermÇgen verfÅgen kann, das Auftreten gegenÅber der „allgemeinen ffentlichkeit“ aber weisungsabhngigen Personen Åberlsst.2 Beispiel: A hat seine Geschftsanteile an der X-GmbH aus steuerlichen GrÅnden auf seinen Sohn Åbertragen, der nunmehr auch GeschftsfÅhrer ist. Weil A nicht loslassen kann, kommt er dennoch jeden Tag in die Firma, ist bei allen Vertragsgesprchen mit Kunden und Lieferanten dabei, weist Zahlungen an und nimmt entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Er weiss um die Tatsache, dass sein Sohn seinen aufwendigen Lebensstil auf Firmenmitteln bestreitet und die Kosten hierfÅr teils zu Unrecht und in voller HÇhe als Betriebsausgaben ansetzt. Abwandlung: Der neu eingestellte frisch von der Uni kommende GeschftsfÅhrer Z erkennt das Tun, unternimmt aber aus Angst um seine erste Arbeitsanstellung nichts. Weitere Beispiele: Faktischer GeschftsfÅhrer3 oder „faktischer Leiter“, d.h derjenige, der die Geschfte tatschlich lenkt. In der Praxis ist es vielfach so, dass Beschuldigte bereits mit Verboten belegt sind und daher Strohleute oder Ehefrauen/Freundinnen formell als GeschftsfÅhrer einsetzen. In jedem Fall mÅssen aber die Voraussetzungen des § 35 AO erfÅllt sein.4
Wer als VerfÅgungsberechtigter auftritt, hat die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nur in dem Umfang zu erfÅllen, wie er dies tatschlich und rechtlich kann (§ 35 Halbs. 2 AO). Steuerliche Pflichten sind nach Ansicht des BGH auch dann rechtlich und tatschlich erfÅllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermÇglicht. 1 Boeker in H/H/Sp, § 35 AO Rz. 8 m.w.N. 2 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf BFH v. 10.10.1994 – I B 228/93, BFH/NV 1995, 662; BFH v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; BFH v. 24.4.1991 – I R 56/89, BFH/NV 1992, 76; BFH v. 9.1.2013 – VII B 67/12; Merkt, AO-StB 2009, 81 (84). 3 Zur faktischen Unternehmensbeherrschung bei Einzelunternehmen auch, Bieneck in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 77 Rz. 20; a.A. Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 (314) unter Verweis auf Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO Rz. 294 f. 4 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO Rz. 294 f.; RÅbenstahl, NJW 2013, 2449; Reichling/Lange, NStZ 2014, 311 (314).
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10.71
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
10.72 Auch derjenige, der kraft eines Vertragsverhltnisses den Steuerpflichtigen steuern und deshalb Åber dessen Mittel verfÅgen kann, kann nach Ansicht des BGH im Einzelfall tatschlich und rechtlich in der Lage sein, die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfÅllen.1 Entscheidend ist das Kriterium der sog. Leitungsmacht. Diese ergibt sich in parktischer Hinsicht oftmals aus dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags, Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, aus GesellschafterbeschlÅssen oder aus einem Geschftsverteilungsplan.
10.73 Zu beachten ist jedoch, dass auch ein nicht mit steuerlichen Angelegenheiten befasster MitgeschftsfÅhrer sich grundstzlich von der ordnungsgemßen ErfÅllung der steuerlichen Pflichten durch den verantwortlichen GeschftsfÅhrer zu Åberzeugen hat und ggf. einschreiten muss, wenn er Unregelmßigkeiten erkennt. Die Verpflichtung aus § 153 AO trifft jedes Mitglied der Unternehmensleitung. 11. Steuerhinterziehung und abweichende Rechtsauffassung
10.74 Eine immer wiederkehrende und besonders im Internationalen Steuerstrafrecht relevante Problematik stellt die unzureichende oder unterbliebene Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten in der Steuererklrung dar2, etwa was die sog. Verrechnungspreise betrifft oder die rechtliche Einordnung grenzÅberschreitender Sachverhalte. Eine solche Pflicht zur Kenntlichmachung ergibt sich unmittelbar aus der Abgabenordnung nicht. Auch die amtlichen Vordrucke sehen eine Spalte fÅr Zweifelsfragen, anders als etwa die US-amerikanischen Disclosure Statements3, nicht vor. Der Steuerpflichtige hat zumeist nur Zahlen als das Ergebnis seiner rechtlichen Subsumtion einzutragen. Auch nach Ansicht des BVerfG steht es dem Steuerpflichtigen grundstzlich frei, die fÅr ihn gÅnstigste steuerliche Gestaltung zu whlen.4
10.75 Bereits das Reichsgericht ging jedoch davon aus, dass eine Steuerhinterziehung vorliegen kann, wenn in der Steuererklrung bewusst, aber verschleiert von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs abgewichen wird.5 1 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 unter Verweis auf FG BadenWÅrttemberg v. 25.6.2008 – 12 K 407/04, EFG 2008, 1434. 2 Zum Ganzen ausfÅhrlich Peters, Betrug und Steuerhinterziehung trotz Erklrung wahrer Tatsachen, 2010, 315 ff.; Wulf in FS Streck, 2011, 627 ff.; Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff.; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 237 ff.; Sontheimer, DStR 2014, 357; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 50 f. 3 Form 8275, abrufbar unter www.irs.gov/pub/irs-pdf/f8275.pdf; hierzu auch Seer, StuW 2003, 40 (54). 4 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23, 34/57, BVerfGE 9, 237 (249, 250). Die Grenze ist erst bei einer missbruchlichen Gestaltung i.S. von § 42 AO zu sehen. So auch BFH v. 25.1.1994 – IX R 97-98/90, BStBl. II 1994, 738; BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, BFHE 179, 400 (402). 5 RG v. 26.6.1934 – g.L. 4 D 79/34, RGSt 68, 234.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung „Wenn wirklich der Angeklagte von der Richtigkeit seiner abweichenden Auffassung Åberzeugt gewesen wre, htte es ihm freigestanden, in der Steuererklrung seine abweichende Auffassung zu vertreten. Er handelte aber mit bedingtem Vorsatz, wenn er die Steuererklrung oder ihre Unterlagen absichtlich so herstellte, daß ein nach der Rechtsprechung des RFH bestehender Steueranspruch verschleiert wurde.“
Der BGH geht im Grundsatz davon aus, dass es dem Steuerpflichtigen freistehe, jeweils die ihm gÅnstigste Rechtsauffassung zu vertreten und dieser keine unrichtigen Angaben mache, wenn er offen oder verdeckt eine ihm gÅnstige unzutreffende Rechtsansicht vertrete, aber die steuerlich erheblichen Tatsachen richtig und vollstndig vortrage und es dem Finanzamt ermÇgliche, die Steuer unter abweichender rechtlicher Beurteilung zutreffend festzusetzen.1 Dabei verkennt der BGH nicht, dass sich aufgrund der Formalisierung der Steuererklrung die Angaben zumeist in der sachverhaltslosen Wiedergabe quantifizierter Betrge erschÇpfen. Der Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 1 Satz 2 AO wird jedoch entnommen, dass die Beteiligten im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten die fÅr die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollstndig und wahrheitsgemß offenzulegen haben und eine Offenbarungspflicht fÅr diejenigen Sachverhaltselemente besteht, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist.2
10.76
Den AusfÅhrungen des BGH kann entnommen werden, dass, selbst wenn der Steuerpflichtige auf seine Rechtsansicht hinweist oder den Sachverhalt schildert, dies in der Art und Weise zu geschehen hat, dass sich die FinanzbehÇrde damit auch auseinandersetzen kann und ggf. eine abweichende rechtliche Beurteilung vornehmen kann. Dem Finanzamt soll faktisch die MÇglichkeit gegeben werden, sich inhaltlich mit den Angaben des Steuerpflichtigen auseinandersetzen zu kÇnnen.3 Denn andernfalls kÇnnte der Hinweis auch gnzlich unterbleiben. Mitunter wird davon ausgegangen, dass die vorgenannte Entscheidung des BGH zur Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten nur allzu gern missverstanden werde.4 Die zugrunde liegenden Fallkonstellationen zeigten vielmehr, dass nicht jede von der Verwaltungsauffassung abweichende Verbuchung
10.77
1 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 unter Verweis auf BGH v. 19.12.1990 – 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266 (284). 2 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203 unter Verweis auf BGH v. 15.11.1994 – 5 StR 237/94, wistra 1995, 69; BGH v. 8.8.1985 – 2 ARs 223/85, StV 1985, 487. Dies ist nach Ansicht des BGH insbesondere dann der Fall, wenn die vom Steuerpflichtigen vertretene Auffassung Åber die Auslegung von Rechtsbegriffen oder die Subsumtion bestimmter Tatsachen von der Rechtsprechung, Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmßigen Veranlagungspraxis abweicht. Besttigt in BGH v. 23.2.2000 – 5 StR 570/99, NStZ 2000, 320 (321). Im Grundsatz zustimmend Kuhn/Weigell, Steuerstrafrecht2, Rz. 13. 3 In diesem Sinne auch Seer, StuW 2003, 40 (53), der auf das im amerikanischen Selbstveranlagungssystem verwandte Disclosure Statement (Form 8275) verweist, wonach der Steuerpflichtige als kritisch erkannte Punkte in einer separaten Anlage zu offenbaren hat. 4 Harms, Stbg 2005, 12 (14).
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
nunmehr als Steuerhinterziehung zu behandeln sei.1 Unzutreffende Ansichten seien solange keine Tuschung Åber steuerlich erhebliche Tatsachen, wie sie sich im Rahmen des Vertretbaren bewegten.2
10.78 Indes ist eine umfassenden Pflicht zur Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten abzulehnen und nicht erforderlich im Falle vertretbarer Rechtsansichten.3 4 Nur unvertretbare Rechtsauffassungen stellen kein Werturteil mehr dar, sondern eine unrichtige Tatsache.5
10.79 Das Kernproblem besteht aber in praktischer Hinsicht nicht in der Frage ob eine Kenntlichmachung zu erfolgen hat. Es wre an der tatschlichen Praxis vorbei argumentiert, diese Pflicht gnzlich zu verneinen. Die Problematik liegt vielmehr in der Grenzziehung zwischen einer vertretbaren und einer unvertretbaren Ansicht, die nur anhand des Einzelfalls gelÇst werden kann, sich aber einer abstrakten Beantwortung entzieht.
10.80 Der Steuerpflichtige ist daher gut beraten, zweifelhafte Konstruktionen von vornherein offenzulegen.6 Im Hinblick auf sehr zweifelhafte Gestaltungen ist zu empfehlen, sogleich im Anschreiben auf die Abweichung hinzuweisen, speziell wenn nur divergierende Verwaltungsauffassungen bekannt sind. Zwar wird der Steuerpflichtige sich auf steuerliche Streitigkeiten einzustellen haben, bewahrheitet sich jedoch seine von ihm fÅr richtig erachtete Auffassung, entsteht ihm kein steuerlicher Nachteil. Sollte die Auffassung unrichtig sein oder die Finanzgerichtsbarkeit abweichend entscheiden, dÅrfte der Vorwurf einer (versuchten) Steuerhinterziehung schwerlich haltbar sein. Auch das Bundesfinanzministerium geht mittlerweile in einigen Fllen davon aus, dass die Offenlegungspflicht alle Sachverhaltselemente umfasst, die nach der Rechtsprechung, den Richt1 Harms, Stbg 2005, 12 (14). 2 Harms, Stbg 2005, 12 (14); so auch Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 128. 3 Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 279; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III2, 1189; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 128; Krieger, Tuschung Åber Rechtsauffassungen, 106; Bilsdorfer, PStR 2000, 150 (153); Danzer in Kohlmann, Strafverfolgung und Strafverteidigung, 67, 94, 95; DÇrn, wistra 2000, 334 (335); Hild, BB 2001, 493 (494); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 234 ff.; Kuhn/ Weigell, Steuerstrafrecht2, Rz. 13; Lindenthal, Mitwirkungspflichten, 19; Hanssen, Steuerhinterziehung, 151; eine Pflicht verneinend, die Notwendigkeit aber bejahend auch Irrgang, DB 1988, 781 (782); MÇsbauer, StBp 2004, 229 (233); MÅller, Vorsatz und Erklrungspflicht, 269; Randt, Steuerfahndungsfall, D 19; Schick, StuW 1988, 301 (319); Weyand, INF 2000, 726. 4 Eine umfassendere Pflicht zur Offenbarung bejahend hingegen SchlÅchter, Steuerberatung, 55; Lohmeyer, GA 1972, 302 (306); Lohmeyer, GA 1973, 97 (103); Meine, wistra 1992, 81 (84); Mihm, Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter GewinnausschÅttungen, 122 ff. m.w.N. 5 Meilicke, BB 1984, 1885 (1886, 1888); Hanssen, Steuerhinterziehung, 151; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 128; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 244; so auch OLG DÅsseldorf, Beschl. v. 2.2.1989 – 3 Ws 953/88, Stbg 1991, 521. 6 Hierzu Schaumburg in Leitner/Dannecker (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2003, 177 (180); Randt, Steuerfahndungsfall, D 28; Harms, Stbg 2005, 12 (14); Breuer, AOStB 2004, 14 (17); Blumers in StbJb 1983/84, 319 (335).
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
linien der Finanzverwaltung oder der regelmßigen Verwaltungspraxis von Bedeutung sein kÇnnen, auch wenn sie nach einer von den Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung nicht relevant sind.1 12. Steuerhinterziehung durch Unterlassen Wegen Steuerhinterziehung wird ebenso gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestraft, wer die FinanzbehÇrden pflichtwidrig Åber steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lsst und dadurch Steuern verkÅrzt oder fÅr sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.2 Im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt es hier auf die Unkenntnis der FinanzbehÇrde an.3 Das Merkmal der steuerlich erheblichen Tatsache ist wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu verstehen. Die (rechtzeitige) Pflicht zur Angabe gilt, anders als bei § 370 Abs. 1 Nr.1 AO, gegenÅber FinanzbehÇrden. Wegen des Merkmals der Pflichtwidrigkeit in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist der Tterkreis im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf besonders Verpflichtete beschrnkt. Dies ist insbesondere der Steuerpflichtige (§ 33 Abs. 1 AO).4 Die Verpflichtung kann sich aus der Abgabenordnung und § 13 StGB ergeben (z.B. Compliance Officer).5 Da Åber § 369 Abs. 2 AO fÅr Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze Åber das Strafrecht nur gelten, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen, gilt § 13 StGB nicht uneingeschrnkt. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bestimmt mit dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit spezielle steuerrechtliche Erklrungs-, Berichtigungs- und Offenbarungspflichten (z.B. §§ 34, 35, 90, 93, 93a, 93b, 97, 135, 137-139, 149, 153, 200 AO, §§ 25 Abs. 3, 41a, 45a Abs. 1 EStG, § 31 Abs. 1a KStG, § 18 Abs. 1 UStG, §§ 30, 31, 33, 34 ErbStG), die durch § 13 StGB nicht ausgehebelt werden.6 § 13 StGB kommt nur dann zur Anwendung, wenn steuerrechtliche Regelungen gnzlich fehlen.7
1 Entwurf des BMF v. 19.1.2007, Grundstze fÅr die PrÅfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen in Fllen grenzÅberschreitender Verlagerungen von Funktion (Verwaltungsgrundstze-Funktionsverlagerung). 2 Zum Ganzen Wulf, Handeln und Unterlassen im Steuerstrafrecht, 2001; Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 1996; zum Verhltnis von § 370 Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 2 AO vgl. auch Peters, Betrug und Steuerhinterziehung trotz Erklrung wahrer Tatsachen, 237 ff. 3 Zu den Konsequenzen vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 271, 575 ff.; 1101; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 94 ff. 4 Zu gesetzlichen Vertretern vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 291 ff. 5 Vgl. BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44; RÇnnau/Schneider, ZIP 2010, 54; Tiedemann, 449; zur Verpflichtung aus § 153 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 345; vgl. auch Rz. 10.64. 6 Vgl. auch BGH v. 20.12.1995 – 5 StR 412/95, wistra 1996, 184 (188); BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, wistra 2007, 224 (226); zum Ganzen Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 279. 7 Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 41.
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10.81
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
13. Der unmittelbare Einfluss des Unionsrechts auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung
10.82 Das Verhltnis von Unionsrecht und nationalem Steuerrecht wurde eingangs (Rz. 2.22, 10.8) erlutert. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, wie sich das Unionsrecht auf das Steuerrecht im Strafrecht auswirkt.1
10.83 Mangels originrer europischer Straftatbestnde bedarf es nationaler Umsetzungsakte in Form eines nationalen Gesetzes. Im Steuerstrafrecht erfolgt dies etwa Åber die Blankettnorm des § 370 Abs. 6 AO. Eine weitere MÇglichkeit besteht in der richtlinienkonformen Auslegung.2 Unmittelbare Wirkung entfalten Richtlinien nur zugunsten des BÅrgers3, nicht zu dessen Lasten.4 Daher bedarf es gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV eines nationalen Umsetzungsaktes, der die in der Richtlinie normierte Verhaltensvorschrift strafrechtlich erheblich macht.5
10.84 Doch auch ohne innerstaatliche Umsetzung kÇnnen die europischen Vorgaben aus RahmenbeschlÅssen mit Ablauf der Umsetzungsfrist Einfluss auf das innerstaatliche Recht nehmen.6 Ebenso kann ein nicht in innerstaatliches Recht umgesetzter Rahmenbeschluss Einfluss auf die Interpretation und Anwendung des deutschen Strafverfahrensrechts nehmen, wenn auch nicht contra legem.7 RahmenbeschlÅsse entfalteten an sich – anders als Richtlinien8 – keine unmittelbare Wirkung (Art. 34 Abs. 2 Buchst. b EUV a.F.). 1 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – Fransson, ZWH 2013, 232; vgl. hierzu BÅlte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS KÅhne, 2013, 565 (571 f.); zum Ganzen auch Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2; RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; Dannecker, JZ 2013, 616 (618); zum Ganzen auch Hecker, Europisches Strafrecht4, 303 f., 345 f.; Gehm, NZWiSt 2013, 53. 2 Hecker, Europisches Strafrecht4, § 10 Rz. 2; Safferling, Internationales Strafrecht, 449, 465. 3 Vgl. auch BGH v. 20.11.2013 – 1 StR 544/13, NZWiSt, 2014, 177; Cornelius, NZWiSt 2014, 173 (175); vgl. auch Rz. 2.35 f. 4 Anders verhlt es sich bei Verordnungen i.S. des Art. 288 Abs. 2 AEUV, bei denen kein Transformationsakt vonnÇten ist, wobei jedoch mit sog. „einfachen“ und „qualifizierten“ Blankettnormen im Wege einer statischen oder dynamischen Verweisung eine Bezugnahme auf die Verordnung erreicht wird, etwa im Arzneimittelstrafrecht; hierzu Freund in MK2, Vor §§ 95 AMG Rz. 45 ff.; im Lebensmittelrecht (§ 58 LFGB), im Naturschutzrecht (§ 69 BNatSchG), im Markengesetz (§ 144 Abs. 2 MarkenG); vgl. auch Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 59; Hecker, Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 105, Safferling, Internationales Strafrecht, 471; zu den Auswirkungen auch Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 62 ff. 5 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 56. 6 Hecker , Europisches Strafrecht4, § 7 Rz. 27; RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (562); Swoboda, HRRS 2014, 11; 7 Swoboda, HRRS 2014, 11. 8 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien vgl. Dannecker/BÅlte in Wabnitz/ Janovsky4, Kap. 2 Rz. 238 f.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Der EuGH hat in der Maria-Pupino-Entscheidung1 die RahmenbeschlÅsse den Richtlinien weitestgehend gleichgestellt. RahmenbeschlÅsse besitzen nach Ansicht des EuGH einen „zwingenden Charakter“. Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist danach auch auf RahmenbeschlÅsse anzuwenden. Soweit das vorlegende Gericht nationales Recht auszulegen hat, muss es seine Auslegung so weit wie mÇglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen. Die RahmenbeschlÅsse und rahmenbeschlusskonforme Interpretation sind auch kÅnftig von Bedeutung, auch wenn seit dem Vertrag von Lissabon als Rechtsakte der EU nur noch Verordnungen und Richtlinien vorgesehen sind (Art. 288 UAbs. 2, 3 AEUV). Die RahmenbeschlÅsse behalten auch weiterhin ihre GÅltigkeit.2
10.85
DarÅber hinaus gilt es seit der Fransson-Entscheidung des EuGH3 ergnzend die europischen Grundrechte zu beachten, sofern eine Rechtsnorm in den Geltungsbereich des Unionsrechts fllt (Rz. 2.40, 2.63, 4.31, 11.87).
10.86
Unter Berufung auf die stndige Rechtsprechung fÅhrt der EuGH an, dass die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden. Der EuGH kann eine nationale Rechtsvorschrift nicht im Hinblick auf die Charta beurteilen, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fllt. Fllt dagegen eine Vorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts, hat der im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufene Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benÇtigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu kÇnnen, deren Wahrung er sichert.4
10.87
In Bezug auf die Mehrwertsteuer geht nach Ansicht des EuGH zum einen aus den Art. 2, 250 Abs. 1 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 Åber das gemeinsame Mehrwertsteuersystem5, die den
10.88
1 EuGH, Urt. v. 16.6.2005 – Rs. C-105/03 – Maria Pupino, NJW 2005, 2839. 2 Satzger, Internationales und Europisches Strafrecht6, § 9 Rz. 33, unter Verweis auf Art. 9 des Protokolls Nr. 36 Åber die bergangsbestimmungen nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 3 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – Fransson, ZWH 2013, 232; vgl. hierzu BÅlte, ZWH 2013, 265; vgl. auch Heger in FS KÅhne, 565 (571 f.); RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (569); Risse, HRRS 2014, 93; Eckstein, ZIS 2013, 220. 4 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – Fransson, ZWH 2013, 232 unter Verweis auf: EuGH v. 18.6.1991 – Rs. C–260/89 – ERT, Slg. 1991, I–2925, Rz. 42; EuGH v. 29.5.1997 – Rs. C-299/95 – Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Rz. 15; EuGH v. 18.12.1997 – Rs. C-309/96 – Annibaldi, Slg. 1997, I-7493, Rz. 13; EuGH v. 22.10.2002 – Rs. C-94/00 – Roquette Frres, Slg. 2002, I-9011, Rz. 25; EuGH v. 18.12.2008 – Rs. C-349/07 – Soprop, Slg. 2008, I-10369, Rz. 34; EuGH v. 15.11.2011 – Rs. C-256/11 – Dereci u.a., noch nicht in der amtlichen Sammlung verÇffentlicht, Rz. 72; sowie EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-27/11 – Vinkov, noch nicht in der amtlichen Sammlung verÇffentlicht, Rz. 58. 5 ABl. EU 2006 Nr. L 347, 1.
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Kapitel 10
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Wortlaut der Artt. 2 und 22 Abs. 4 und 8 der Richtlinie 77/388 in der Fassung des Art. 28h dieser Richtlinie Åbernommen haben, und zum anderen aus Art. 4 Abs. 3 EUV hervor, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in seinem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewhrleisten und den Betrug zu bekmpfen. Zudem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 325 AEUV verpflichtet, zur Bekmpfung von rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen. So haben die Mitgliedsstaaten insbesondere die zur Bekmpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, dieselben Maßnahmen zu ergreifen wie zur Bekmpfung von Betrug, der sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richtet.1
10.89 Das BVerfG hat indes klargestellt, dass die Entscheidung des EuGH nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden dÅrfe, nach der fÅr eine Bindung der Mitgliedstaaten durch die in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte der Europischen Union jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatschliche Auswirkungen auf dieses ausreiche.2
10.90 Indes spricht nichts gegen einen intensivierten Grundrechtsschutz.3 Es liefe klassisch-rechtsstaatlichen Vorstellungen zuwider, der Union zwar einerseits die MÇglichkeit einzurumen, den Mitgliedsstaaten Mindestvorgaben hinsichtlich des „Ob“ der Strafbarkeit zu machen, indes dies aber nicht durch grundrechtliche Schranken ausreichend zu flankieren.4 Ein europischer Grundrechtsschutz ist insoweit nur konsequent.
10.91 Es gilt Åberdies der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung (Rz. 2.54), welcher auch fÅr das Strafrecht Geltung beansprucht und sogar zur Nichtanwendung nationaler Straftatbestnde fÅhren kann.5 Ein Ver-
1 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10 – Fransson, ZWH 2013, 232 unter Verweis auf EuGH v. 28.10.2010 – Rs. C-367/09 – SGS Belgium u.a., Slg. 2010, I-10761, Rz. 40-42. Da die Eigenmittel der Union u.a. die Einnahmen umfassen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die nach den Unionsvorschriften bestimmte einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben, geht der EuGH von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlgigen Unionsrechts und der ZurverfÅgungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel fÅr den Haushalt der Union aus, da jedes Versumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer fÅhrt. 2 BVerfG v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, juris. 3 Vgl. auch RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (571); Risse, HRRS 2014, 93 (103). 4 RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (571); zustimmend auch Risse, HRRS 2014, 93 (103). 5 Hecker, Europisches Strafrecht4, 345 f., 349 Rz. 9; Hecker, JA 2002, 723 (727); Tiedemann in LK12, vor § 263 StGB Rz. 98 f.; Soyka, wistra 2008, 127 (128); RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (562); vgl. auch Risse, HRRS 2014, 93.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
halten, das gemeinschaftsrechtlich erlaubt ist, kann nach nationalem Recht nicht verboten oder sogar strafbar sein. Im Ergebnis bedeutet dies eine Straffreiheit fÅr diejenigen Verhaltensweisen, deren Sanktionierung gegen GemeinschaftsrechtverstÇßt.1 Denn die Geltung von EG- oder EURecht kann nicht durch einzelstaatliches Strafrecht begrenzt werden, d.h. das nationale Strafrecht tritt außer Kraft und wird unanwendbar, wenn es im Widerspruch zum Gemeinschafts-/Unionsrecht steht.2 Schon von Rechts wegen ist den nationalen BehÇrden untersagt, den Vorrang des europischen Rechts zu missachten. Allein wenn der mÇgliche Widerspruch von einer Auslegungsfrage abhngig ist, kommt bei richterlichen Handlungen eine Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens in Betracht.3 Dieser Grundsatz ist selbstverstndlich bereits im Ermittlungsverfahren zu beachten.4 Erhebt die Staatsanwaltschaft gleichwohl Anklage, obwohl ein Verstoß in Betracht kommt, ist ein Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV herbeizufÅhren (hierzu Rz. 10.92). Dabei kommt sowohl die Verletzung von Primrrecht als auch von Sekundrrecht in Betracht. Daneben sind die allgemeinen Grundfreiheiten5 zu beachten, namentlich das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV), die Allgemeine FreizÅgigkeit (Art. 21 AEUV), die FreizÅgigkeit der Arbeitnehmer (Artt. 45 ff. AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Artt. 49 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 56 ff. AEUV) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Artt. 63 ff. AEUV).6 14. Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV Der EuGH entscheidet im Wege der Vorabentscheidung – Åber die Auslegung der Vertrge, – Åber die GÅltigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.
10.92
Vorlageberechtigt ist jedes Gericht eines Mitgliedstaates gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV, fÅr dessen Urteil die Entscheidung des EuGH erforderlich
10.93
1 Vgl. Soyka, wistra 2008, 127 (128), der die sich daraus ergebenden Auswirkungen am Beispiel des „Haarverdicker-Doppelhaar“-Falls erÇrtert, BGH v. 22.10.1986 – 3 StR 226/86, BGHSt 34, 199, vgl. auch RÇnnau/Wegner, GA 2013, 561 (564). 2 Vgl. EuGH v. 11.7.1974 – Rs. 8/74 – Dassonville, Slg 1974, 837; EuGH v. 15.12.1976 – Rs. 41/76 – Donckerwolcke, Slg 1976, 1921; EuGH v. 9.3.1978 – Rs. 106/7 – Simmenthal, Slg 1978, 629; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 169/00 – drei TenÇre-Entscheidung, NJW 2003, 2842 zum Gesangssolist als Einrichtung i.S. des Umsatzsteuerrechts; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; Heine in G/J/W, § 369 AO Rz. 69. 3 Zur Umsatzsteuerhinterziehung vgl. BGH v. 17.5.1977 – 3 StR 459/87, BGHSt 37, 168 = NJW 1991, 1622. 4 Zum PrÅfungsumfang vgl. Gaede in Flore/Tsambikakis, § 369 AO Rz. 105 ff. 5 Hierzu Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 228 f., 255 f. 6 Vgl. auch Gehm, NZWiSt 2013, 53 (55).
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und erheblich ist.1 Vorlageverpflichtet sind die letztinstanzlichen Gerichte. Vorlagebefugt ist bereits der Ermittlungsrichter. In geeigneten Fllen bietet es sich an, bereits in diesem frÅhen Verfahrensstadium ein Vorabentscheidungsverfahren herbeizufÅhren, etwa wenn der Erlass eines Haftbefehls im Raum steht oder bei einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft im Falle des Nichterlasses oder des Beschuldigten absehbar ist, dass es auf die Beantwortung ankommt. Vorlageberechtigt ist auch das Finanzgericht, wenngleich nicht verpflichtet.2 Vorlagepflichtig ist nur der BFH.3
10.94 Das erstinstanzliche Tatgericht legt idealerweise im Zwischenverfahren vor. Die Vorlagevoraussetzungen sind bereits dann gegeben, wenn die Tatbestandsmßigkeit, mithin die Zulssigkeit der Anklage von der Entscheidung der Rechtsfrage abhngt. Gleichwohl kann die Hauptverhandlung bereits begonnen werden, wenn noch andere, isoliert zu betrachtende TatvorwÅrfe aufzuklren sind und der Spruch des EuGH im brigen noch im Urteil des erkennenden Gerichts berÅcksichtigt werden kann.4 Beispiel: Der Beschuldigte A sieht sich dem Vorwurf der Hinterziehung inlndischer KÇrperschaftsteuer ausgesetzt. Daneben wird wegen grenzÅberschreitender Hinterziehung von Umsatzsteuer ermittelt, wobei zum einen fraglich ist, ob die in Rede stehenden Umstze steuerbar waren, und zum anderen, welchem Staat bejahendenfalls das Besteuerungsrechts zugestanden htte.
10.95 Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hlt das Gericht eine Entscheidung darÅber zum Erlass seines Urteils fÅr erforderlich, kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. Bei Nichtvorlage liegt ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor, der mit der Verfassungsbeschwerde gerÅgt werden kann.
10.96 In Haftsachen entscheidet der Gerichtshof innerhalb kÅrzester Zeit. Von einer Vorlage kann nur dann abgesehen werden, wenn bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt. Die betreffende Rechtsfrage muss geklrt sein (acte eclaire). Gleiches gilt, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig ist und fÅr Zweifel kein Raum verbleibt (acte clair). Dies beurteilt sich unter BerÅcksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr divergierender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union. Es gelten strenge Anforderungen. Einzubeziehen in diese Entscheidung sind smtliche(!) Sprachfassungen und Begrifflichkeiten der Unionsrechtsnormen. Einzubeziehen sind ferner das gesamte EU-Recht 1 Zum Ganzen nebst Formulierungsvorschlag fÅr einen entsprechenden Antrag des Klgers und zum Verfahrensablauf vgl. die Darstellung bei Schmidt-Troje/ Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz3, 348 ff.; zum Ganzen vgl. auch ABl. EU Nr. C 297 v. 5.12.2009. 2 BFH v. 27.3.2007 – VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335. 3 BFH v. 28.8.2003 – VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68. 4 Vgl. EuGH v. 29.6.2010 – Rs. C-550/09, NJW 2010, 2413.
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und die dem zugrunde liegenden Ziele nebst Entwicklungsstand. Der EuGH entscheidet in sachlicher Hinsicht nur Åber Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der GÅltigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane und der Europischen Zentralbank. Er entscheidet nicht Åber die Auslegung oder die Anwendung des nationalen Rechts. Die Frage ist eindeutig zu formulieren und es muss dargelegt werde, warum die beantragte Auslegung fÅr die Entscheidung des nationalen Gerichts erforderlich ist. Die Entscheidung des EuGH hat bindende Wirkung. Im Internationalen Steuerstrafrecht wird es im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vornehmlich um die Beantwortung steuerlicher Fragen gehen. Die Beantwortung der Frage der Strafbarkeit geht damit nicht automatisch einher. Wie an den Fllen kollusiven Zusammenwirkens bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gezeigt, bedeutet die Bejahung einer GÅltigkeit der steuerlichen Norm nicht automatisch die Verwirklichung des Straftatbestands. Dies ist eine Frage des nationalen Rechts und durch den EuGH grundstzlich nicht zu beantworten.
10.97
15. Anzeige und Berichtigungspflicht nach § 153 AO Vielfach kommt eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen einer unterlassenen Anzeige und Richtigstellung nach § 153 AO in Betracht.1
10.98
§ 153 Berichtigung von Erklrungen (1) Erkennt ein Steuerpflichtiger nachtrglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, 1. dass eine von ihm oder fÅr ihn abgegebene Erklrung unrichtig oder unvollstndig ist und dass es dadurch zu einer VerkÅrzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist oder 2. dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen HÇhe entrichtet worden ist, so ist er verpflichtet, dies unverzÅglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. [ . . .]
Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen und die nach den §§ 34 und 35 AO fÅr den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen.2 Das Unterlassen der Berichtigung kann eine Strafbarkeit wegen Unterlassen begrÅnden, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.3
1 Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 56. 2 Vgl. auch BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, juris, zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit. 3 BGH v. 25.9.1979 – 1 StR 702/78, NJW 1980, 845; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 334 ff.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Beispiel: A erbt von seinem Vater ein im Ausland belegenes Konto und die dortigen EinkÅnfte wurden nie der Besteuerung in Deutschland unterworfen. A ist verpflichtet, auch fÅr die Vergangenheit die EinkÅnfte nachzuerklren.
10.100 Ob eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige erst nachtrglich erfhrt, dass er unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der Steuererklrung die Unrichtigkeit seiner Angaben in Kauf genommen und sich deshalb – durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklrung – zugleich auch wegen bedingt vorstzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht hat, war bis zur Entscheidung des BGH vom 17.3.2009 umstritten.1 Nunmehr geht der BGH davon aus, dass Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO es gebieten, eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht auch dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklrung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat, und er spter zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bestehe auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht, weil auch derjenige, der zunchst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat, die Unrichtigkeit „nachtrglich erkennt“, wenn er spter positiv erfhrt, dass seine Angaben tatschlich unrichtig waren. 16. Strafbarkeit von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch
10.101 Von besonderer Relevanz im Internationalen Steuerstrafrecht ist die Frage, wann ein Verstoß gegen § 42 AO ggf. auch zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung fÅhrt.2 Diese Frage stellt sich etwa bei der Einschaltung von Basisgesellschaften (Briefkastenfirmen) in Niedrigsteuerlndern und Verlagerung von VermÇgen oder EinkÅnften3, wenn dafÅr keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen GrÅnde vorliegen und die Gesellschaften auch keine eigene wirtschaftliche Ttigkeit entfalten.4 Durch rechtsmissbruchliche Gestaltungen kann das Steuergesetz nicht umgan1 Bejahend: BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 unter Verweis auf Heuermann in H/H/Sp, § 153 AO Rz. 12 f.; Brockmeyer in Klein10, § 153 AO Rz. 4; ablehnend auch weiterhin Tipke in T/K, § 153 AO Rz. 11; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO, Rz. 337; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 182; Rolletschke, Steuerstrafrecht3, Rz. 273; Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166; SchÅtberg, BB 2009, 1906; Weidemann, wistra 2010, 5; vgl. auch Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 168 ff.; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 178, 214. 2 Zum Ganzen vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1230; DrÅen in T/K, § 42 AO; Englisch in T/L21, § 5 Rz. 116 ff.; RÇdl/Grube in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 21 Rz. 38 f.; unten Rz. 15.200, 13.235. 3 Vgl. BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/90, wistra 1990, 307. 4 Vgl. hierzu BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BFH/NV 2003, 1202; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50 (51).
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gen werden.1 Aber nicht jede GestaltungsmÇglichkeit fÅhrt dazu, dass der Sachverhalt steuerlich nicht anzuerkennen ist. Der SteuerbÅrger darf seine Verhltnisse so einrichten, wie dies steuerlich am gÅnstigsten fÅr ihn ist, solange er dies auf angemessenem Weg erreicht.2 Jedoch kann eine Gestaltung, die ohne Einbeziehung des steuerlichen Aspektes wirtschaftlich unangemessen ist, da sie ungewÇhnlich ist und nur der Steuerminderung dient, nicht berÅcksichtigt werden.3 Im internationalen Steuerstrafrecht ist zunchst zu prÅfen, ob ein Verstoß gegen § 42 AO vorliegt. In einem zweiten Schritt ist alsdann zu fragen, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerhinterziehung erfÅllt sind.
10.102
a) Unangemessene rechtliche Gestaltung Ein Missbrauch liegt gem. § 42 Abs. 2 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewhlt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil fÅhrt. Dies gilt gem. § 42 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige fÅr die gewhlte Gestaltung außersteuerliche GrÅnde nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhltnisse beachtlich sind. Die wirtschaftliche Unangemessenheit ist danach zu beurteilen, ob diese wirtschaftlichen Vorgnge von verstndigen Personen in Anbetracht aller Umstnde des Falles, insbesondere des mit der Regelung erstrebten wirtschaftlichen Zieles nicht gewhlt wÅrden.4 Die „UngewÇhnlichkeit“ der rechtlichen Gestaltung ist allein kein ausreichendes Indiz fÅr einen Missbrauch. Grundvoraussetzung einer Steuerumgehung ist, dass eine vom Gesetzgeber gewollte steuerliche Belastung nicht eintritt. Dem Steuerpflichtigen muss ein steuerlicher Erfolg zugutekommen, der vom Gesetz missbilligt wird.5 Die rechtliche Gestaltung kann sich aus allen Rechtsgebieten ergeben.
10.103
Kernvoraussetzung einer Steuerumgehung ist der unbestimmte Rechtsbegriff des „Missbrauchs“. Dieser liegt nach Ansicht des BFH vor, wenn eine Gestaltung gewhlt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unan-
10.104
1 Zur strafbegrÅndenden Anwendung von § 42 AO vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 26, 1230 ff.; Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 2010, 263 ff.; Pohl, Steuerhinterziehung durch Steuerumgehung, 1990; zu steuerneutralen Anlagen in der Schweiz vgl. Korts, Stbg 2012, 11 ff. 2 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137. 3 BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, DB 1996, 814. 4 St. Rspr., BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408; BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); BFH v. 13.12.83 – VIII R 173/83, BStBl. II 1984, 428 (431); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1236. 5 St. Rspr., BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408 BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1235.
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gemessen1 bzw. ungewÇhnlich ist und die der Steuerminderung dienen soll, die durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde nicht zu rechtfertigen ist und wenn der Steuerpflichtige nachweisbar mit der Absicht gehandelt hat, ein Steuergesetz zu umgehen.2
10.105 Der Gesetzgeber hat bewusst den unbestimmten Rechtsbegriff der Unangemessenheit gewhlt. Aufgrund der vielfltigen GestaltungsmÇglichkeiten, die die Rechtsordnung dem SteuerbÅrger bietet, war eine allgemeine Formulierung zwingend.3 Letztlich bleibt es eine Frage des Einzelfalls, ob eine rechtliche Gestaltung zur Steuerumgehung fÅhrt oder nicht. Ziel und Leitmotiv der rechtlichen Gestaltung durch den SteuerbÅrger muss die Steuerersparnis sein. Nicht ausreichend ist, wenn auch andere beachtliche Motive zu einer besonderen rechtlichen Gestaltung im Einzelfall gefÅhrt haben. Rechtsmissbrauch scheidet aus, wenn sich fÅr die rechtliche Gestaltung ein einleuchtendes wirtschaftliches Motiv anfÅhren lsst.4 Damit bloßes rechtsunkundiges Verhalten oder Unerfahrenheit vom Tatbestand des § 42 AO nicht erfasst werden, muss beim Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt der rechtlichen Gestaltung eine Umgehungsabsicht vorliegen. Demnach muss es dem Steuerpflichtigen gerade darauf ankommen, ein Steuergesetz zu umgehen um damit Steuern zu sparen. In der Praxis wird dieses Kausalittserfordernis zwischen rechtlicher Gestaltung und Steuerersparnis durch objektiv feststellbare Tatsachen indiziert. Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfÅllt, greift die Sachverhaltsfiktion des § 42 Satz 2 AO. Danach ist die Steuerveranlagung in der Form durchzufÅhren, wie der Sachverhalt entstehen wÅrde, wenn er wirtschaftlich sinnvoll realisiert wird.5 Der Missbrauch von rechtlichen GestaltungsmÇglichkeiten nach der Vorschrift des § 42 AO erfÅllt jedoch nicht automatisch einen Straftatbestand. b) Voraussetzungen fÅr eine Strafbarkeit
10.106 Die Generalklausel des § 42 AO gilt vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) als Grauzone zwischen zulssiger Einschrnkung der steuerlichen Belastung und unzulssiger Steuerhinterziehung.6 Es besteht kein gesetzliches Verbot, es liegt kein Verstoß gegen die guten Sitten vor; lediglich der Erfolg wird fÅr steu1 Hierzu auch BFH v. 17.1.1991 – IV R 132/85, BStBl. II 1991, 607; BFH v. 6.3.31990 – II R 88/87, BStBl. II 1990, 446; FG MÅnster v. 30.5.1996 – 8 K 1043/93, EFG 1996, 985. 2 St. Rspr. BFH v. 21.8.2012 – VIII R 32/09, BStBl. II 2013, 16; BFH v. 27.7.1999 – VIII R 36/98, BFHE 189, 408; BFH v. 8.5.2003 – IV R 54/01, DStRE 2003, 1032 (1033); Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1235. 3 BFH v. 13.12.83 – VIII R 173/83, BStBl. II 1984, 428 (431). 4 BFH v. 13.12.83 – VIII R 173/83, BStBl. II 1984, 428 (431). 5 Zur Problematik der Ermittlung der angemessenen Gestaltung s. Rose/GloriusRose, DB 1999, 1673 m.w.N. 6 Zur Problematik eines Verstoßes gegen das strafrechtliche Analogieverbot vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 25 ff., 1235 ff.
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erliche Zwecke nicht gebilligt. Wegen der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale und der „leerformelhaften“ abstrakten Auslegung der Steuerrechtsprechung sind die allgemeinen Grundstze zu § 42 AO im Steuerstrafrecht nicht anwendbar.1 Steuerliche Umgehungsgeschfte kÇnnen nur dann den Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfÅllen, wenn der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Umgehung den FinanzbehÇrden Åber steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollstndige Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) macht oder steuerlichen Offenbarungspflichten (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) pflichtwidrig nicht nachkommt.2
10.107
Dies ist etwa der Fall, wenn der Steuerpflichtige dem Finanzamt bewusst einen falschen Sachverhalt Åber die rechtliche Gestaltung darlegt; also z.B. Vertrge zurÅckdatiert, um fÅr den vorherigen Veranlagungszeitraum noch AbschreibungsmÇglichkeiten zu erÇffnen.
10.108
Einer der Hauptanwendungsflle im Internationalen Steuerstrafrecht ist die Einschaltung sog. Basisgesellschaften in Niedrigsteuerlndern.3 Die Einschaltung einer auslndischen Kapitalgesellschaft (Basisgesellschaft) ist, unabhngig von der zivilrechtlich zu beurteilenden Rechtsfhigkeit, bereits in steuerrechtlicher Hinsicht nicht per se rechtsmissbruchlich. § 42 AO setzt eine unangemessene rechtliche Gestaltung voraus, die zur Umgehung der Steuergesetze gewhlt wird und die einen sich daraus ergebenden steuergesetzlichen Vorteil nach sich zieht.4 So ist die GrÅndung einer Gesellschaft im Ausland mit dem Ziel der Inanspruchnahme der dortigen vorteilhaften Steuervorschriften nicht geeignet, einen Missbrauch zu begrÅnden. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn mit der GrÅndung der Gesellschaft keine Ansiedlung tatschlicher Art einhergeht
10.109
1 LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5 /13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; zur Missbruchlichkeit der Einschaltung von Basisgesellschaften in Niedrigsteuerlndern BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.1993 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477 zur Gewinnverlagerung ins Ausland bei EinkÅnften aus Patentrechten. 2 BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 1983, 534; BFH v. 17.3.1994 – V R 123/91, BFH/NV 1995, 274 (275); BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 = PStR 2000, 24; BFH v. 21.5.1999 – VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496; einschrnkend wohl Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 27, 1237, 1239, der bei den auf das Steuerrecht verweisenden Merkmalen von normativen Tatbestandsmerkmalen ausgeht und aus diesem Grund von einer wohl grundstzlichen AnknÅpfungsmÇglichkeit an § 42 AO ausgeht, jedoch entsprechend der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn der Sachverhalt verschleiert oder verheimlicht wird. 3 BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114; OLG Karlsruhe v. 18.8.19993 – 3 Ws 16/93, wistra 1993, 308; LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152; BGH v. 26.7.2012 – 1 StR 492/11, wistra 2012, 477; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1239. 4 BGH v. 25.7.1990 – 3 StR 172/90, NJW 1991, 114.
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und/oder keine wirtschaftliche Ttigkeit vor Ort entfaltet wird (hierzu Rz. 15.214).
10.110 Der Steuerpflichtige ist gehalten, den Sachverhalt so zu unterbreiten, dass die FinanzbehÇrde die Anwendbarkeit des § 42 AO prÅfen kann. Oftmals wird jedoch problematisch sein, ob der Steuerpflichtige seiner steuerlichen Offenbarungspflicht pflichtwidrig nicht nachgekommen ist, also die erheblichen Tatsachen der rechtlichen Gestaltung nicht dargelegt hat.1 Faktisch bedeutet diese Mitteilungspflicht, dass der Steuerschuldner den Umgehungstatbestand gegenÅber dem Finanzamt offenbaren muss, um es diesem zu ermÇglichen, Åber § 42 AO das materielle Steuerrecht angemessen anzuwenden und die Steuer zutreffend festzusetzen. Geschieht dies nicht, ist dem Finanzamt eine BewertungsmÇglichkeit nicht erÇffnet.2 In Grenzbereichen bzw. bei gewagten, neuen oder gerichtlich anhngigen steuerlichen Konstruktionen sollte der maßgebliche Sachverhalt gegenÅber der FinanzbehÇrde offengelegt werden.
10.111 Dass der Begriff der Angemessenheit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, zeitigt auch fÅr die strafrechtliche Beurteilung Auswirkungen.3 Angesichts der vielfach kasuistischen Rechtsprechung ist ZurÅckhaltung geboten. Zudem ergeben sich daraus Probleme im Hinblick auf die Feststellung des subjektiven Tatbestands, wenn der Steuerpflichtige von der Angemessenheit Åberzeugt war.4 Von zunehmender Bedeutung fÅr die Frage des Rechtsmissbrauchs auf der Ebene der Mitgliedstaaten wird sein, ob nicht in der Bejahung ein Verstoß gegen die europischen Grundfreiheiten liegt.5
10.112 In strafrechtlicher Hinsicht wird zukÅnftig problematisch sein, dass ein Missbrauch gem. § 42 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen sein soll, wenn der Steuerpflichtige außersteuerliche GrÅnde fÅr die gewhlte Gestaltung nachweist. Gleiches gilt fÅr die Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG, wo der Steuerpflichtige nachzuweisen hat, dass eine Gesellschaft mit Sitz oder Geschftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder Vertragsstaat des EWR-Abkommens tatschlich einer wirtschaftlichen Ttigkeit in diesem Staat nachgeht.6 Die bernahme steuerlicher Beweislastregeln zur BegrÅndung der Annahme der Steuerhinterziehung verbietet sich. Das Strafrecht knÅpft nur an das steuerliche Ergebnis an, ob und bejahendenfalls in welcher HÇhe ein Hinterziehungserfolg gegeben ist. FÅr die Feststellung der Steuerhinterziehung gelten die allgemeinen Beweisgrundstze.7
1 2 3 4 5 6 7
S. hierzu auch Bilsdorfer, PStR 2000, 150. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1237. LG Frankfurt v. 28.3.1996 – 5/13 Kls 94 Js 36385/88, wistra 1997, 152. OLG DÅsseldorf v. 26.8.1988 – 3 Ws 512/88, NStZ 1989, 370 (371). Vgl. auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1240. Dannecker in FS Samson, 257 (271). Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff., 462.
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17. Taterfolg Durch das Verhalten muss es zu einer SteuerverkÅrzung oder zur Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile kommen. Steuern sind namentlich dann verkÅrzt, wenn sie nicht, nicht in voller HÇhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorlufig oder unter Vorbehalt der NachprÅfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der NachprÅfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch SteuervergÅtungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewhrt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Stze 1 und 2 sind auch dann erfÅllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen GrÅnden htte ermßigt oder der Steuervorteil aus anderen GrÅnden htte beansprucht werden kÇnnen (§ 370 Abs. 4 AO).
10.113
Das Ob der SteuerverkÅrzung richtet sich nach den allgemeinen Steuergesetzen und liegt vor, wenn die Soll-Steuer von der Ist-Steuer abweicht. Ausreichend sind ebenso unrichtige Voranmeldungen (§ 168 AO); Nichtanmeldungen zum Flligkeitstermin, ungenÅgende Vorauszahlungen oder einer Verhinderung der Steuervollstreckung, etwa durch falschen Tatsachenvortrag im AdV-Verfahren (§ 361 AO) oder im Rahmen einer tatschlichen Verstndigung.1
10.114
Nicht vom Begriff des Steuervorteils umfasst sind wegen des fehlenden Sanktionscharakters2 Sumnis- und Versptungszuschlge, Zwangsgelder oder sonstige Zuschlge, wie etwa in § 90 Abs. 4 AO normiert. Denn steuerliche Nebenleistungen sind keine Steuern i.S. der Legaldefinition nach § 3 Abs. 1 AO. Nebenleistungen – Sumnis- und Versptungszuschlge sowie Zwangsgelder – sind vielmehr nach Åbereinstimmender Auffassung vorrangig Beuge- oder Druckmittel eigener Art, die Steuerpflichtigen zu einem bestimmten erwÅnschten Verhalten veranlassen sollen.3 Im Weiteren findet sich eine am Rechtsgut orientierte Argumentation, dass das zu schÅtzende Rechtsgut des § 370 AO im Anspruch des Steuerglubigers auf den vollen Ertrag jeder einzelnen Steuer zu sehen ist.4 Dazu gehÇre der allgemeine Zahlungsanspruch des Fiskus nicht. Es handele sich vielmehr um einen Folgeanspruch, der sich erst aus der Verweigerung des Steuer-
10.115
1 BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; vgl. auch die Anm. von Spatscheck/Mantas, PStR 1999, 198; Rolletschke, Steuerhinterziehung, Rz. 29; ablehnend noch Streck/Schwedhelm, DStR 1986, 713 (714), die nur eine Verletzung des Steuerrechts als ausreichend ansahen, der Annahme einer Steuerhinterziehung durch eine tatschliche Verstndigung aber entgegenhielten, dass der Blankettverweis nicht greife, wenn eine Vereinbarung Åber den Sachverhalt getroffen werde. 2 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188). 3 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188) unter Verweis auf BFH v. 26.4.1989 – I R 10/85, BStBl. II 1989, 693; BFH v. 29.8.1991 – V R 78/86, BStBl. II 1991, 906 (908) m.w.N.; Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz, § 370 AO Rz. 40/1; Birk in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 265. 4 BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180 (188).
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pflichtigen gegenÅber dem Anspruch des Staates auf rechtzeitige und vollstndige Zahlung der Steuern ergibt und der als Ungehorsamsfolge neben den Steueranspruch tritt. Zu Recht lehnt der BGH auch einen RÅckgriff auf den Betrug (§ 263 StGB) ab. Die bloße Nichtzahlung oder versptete Zahlung der Steuer ist allein in den Fllen der §§ 26b, 26c UStG (Schdigung des Umsatzsteueraufkommens) strafbewehrt. In Betracht kommt ferner eine Ordnungswidrigkeit nach § 380 AO. 18. Steuervorteilserlangung
10.116 Was den ungerechtfertigten Steuervorteil betrifft, kommen nur solche Vorteile in Betracht, die steuerspezifisch sind. Die Erlangung des Vorteils muss zu einer Beeintrchtigung des Rechtsguts fÅhren. Beispiele: Erschleichen einer Stundung,1 zu Unrecht eingetragene Freibetrge auf Lohnsteuerkarte, Zahlungsaufschub, RÅcknahme oder nderung von Bescheiden (§ 172 AO), VergÅnstigungen im Vollstreckungsverfahren, Bewilligung zollbegÅnstigter Lager, Belassung eines offenen MineralÇlsteuerlagers.2
10.117 Der Erlass steuerlicher Nebenleistungen (§ 3 Abs. 3 AO) ist kein Vorteil. Ob ein unrichtiger Grundlagenbescheid einen ungerechtfertigten VermÇgensvorteil i.S. von § 370 Abs. 4 AO darstellen kann oder ob eine vollendete Steuerhinterziehung erst dann gegeben ist, wenn ein unrichtiger Folgebescheid ergangen ist und bekannt gegeben worden ist, war bislang umstritten. Der BGH hat diese Rechtsfrage nun dahin gehend entschieden, dass die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil i.S. von § 370 Abs. 1 AO sein kann.3 19. Kompensationsverbot
10.118 Die Voraussetzungen fÅr einen Taterfolg sind auch dann erfÅllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen GrÅnden htte ermßigt oder der Steuervorteil aus anderen GrÅnden htte beansprucht werden kÇnnen (§ 370 Abs. 4 AO, Kompensationsverbot).4 Ausgenommen werden davon solche steuermindernden Tatsachen, die in einem „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“ mit den steuererhÇhenden Tatsachen stehen.5 Dies ist dann der Fall, wenn die Tatsachen, die nachtrglich geltend gemacht werden kÇnnten, in einem so engen wirtschaftlichen Zu1 OLG Stuttgart v. 21.5.1987 – 1 Ss 221/87, wistra 1987, 263. 2 BGH v. 13.10.1992 – 5 StR 253/92, HFR 1993, 587. 3 BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, NJW 2009, 381; BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, juris; dagegen Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 406 f. 4 Umfassend Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 506 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 39 f. 5 BGH v. 26.6.1984 – 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; BGH v. 5.2.2004 – 5 StR 420/03, NStZ 2004, 579 (580).
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sammenhang mit den der VerkÅrzung zugrunde liegenden Tatsachen stehen, dass die Geltendmachung der MinderungsgrÅnde die Entdeckung der steuererhÇhenden Tatsachen bewirken wÅrde.1 Die Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen erfÅllt den Tatbestand der Steuerhinterziehung auch dann, „wenn der anzumeldenden Umsatzsteuer so viel abzugsfhige Vorsteuern2 entgegenstehen, dass sich eine negative Zahllast ergeben wÅrde.“ In einem solchen Fall ist besonders sorgfltig zu prÅfen, ob der Tter auch vorstzlich handelte.3
10.119
Auch ein mÇglicher Verlustvor- oder -rÅcktrag nach § 10d EStG stellt einen „anderen Grund“ i.S. von § 370 Abs. 4 Satz 3 AO dar.4
10.120
Einzelflle Kompensationsverbot: – Vorlage von Scheinrechnungen zur Verschleierung von Schmiergeldzahlungen; – Betriebseinnahmen im Verhltnis zu Verlustvortrag oder im Verhltnis zu nachzuholenden/erhÇhenden Einlagebuchungen.
10.121
Einzelflle kein Kompensationsverbot: – Einnahmen im Verhltnis zu nachzuholenden RÅckstellungen fÅr hinterzogene Umsatz- und Gewerbesteuer; – vorgetuschte Einnahmen vs. vorgetuschte Betriebsausgaben; – Betriebsausgaben bei Schwarzeinkufen;5 – Verwendung von Schwarzeinnahmen zur Lohnzahlung.
10.122
V. Subjektiver Tatbestand Die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO kann gem. § 369 Abs. 2 AO, § 16 StGB nur vorstzlich oder leichtfertig (§ 378 AO) begangen werden.6 Der Vorsatz muss sich auf all diejenigen tatschlichen Umstnde erstrecken, die den Tatbestand erfÅllen sowie bei normativen Tatbestandsmerkmalen, die „Parallelwertung in der Laiensphre“ enthalten.7 Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung durch Handeln gehÇrt das Wissen, dass der Tter eine tuschende Handlung vornimmt, dadurch ein Steueranspruch beein1 Zum Ganzen Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 365 ff. 2 Zum Kompensationsverbot bei Vorsteuern und mÇglichen Auswirkungen der Neuregelung der Selbstanzeige vgl. Madauß, NZWiSt 2012, 456. 3 BGH v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 4 Verneinend BGH v. 26.6.1984 – 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; bejahend fÅr den VerlustrÅcktrag BGH v. 25.4.2001 – 5 StR 613/00, wistra 2001, 309; so auch Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 397. 5 BGH v. 20.7.1988 – 3 StR 583/87, wistra 1988, 356. 6 Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 70 f. 7 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 234; zum Vorsatz bei Steuergestaltungen und abweichenden Rechtsansichten vgl. Beuchert, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, 255.
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trchtigt wird, da es durch zu niedrige oder versptete Festsetzung oder durch versptete Beitreibung bzw. dadurch ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil erlangt wird. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gehÇrt darÅber hinaus die Kenntnis derjenigen Tatsachen, die die Pflicht zur Aufklrung der FinanzbehÇrde begrÅnden. 1. Vorsatz
10.124 Zum Inhalt des fÅr § 370 AO erforderlichen Vorsatzes gehÇrt, dass der Tter den nach Grund und HÇhe bestimmten Steueranspruch und die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes kennt oder wenigstens fÅr mÇglich hlt und einen VerkÅrzungserfolg herbeifÅhren will. FÅr eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO bedarf es weder einer Absicht noch eines direkten Hinterziehungsvorsatzes.1 Dolus eventualis genÅgt. Der entsprechende Nachweis des Vorsatzes ist durch die StrafverfolgungsbehÇrden zu fÅhren und unterscheidet sich in seinen Anforderungen mitunter anhand der in Rede stehenden Steuer und Åber die Komplexitt des Sachverhalts. ErhÇhte Anforderungen gelten auch, wenn der Steuerpflichtige sich auf eine fÅr ihn gÅnstige Rechtsansicht beruft. 2. Subjektive Anforderungen bei SteuerverkÅrzung auf Zeit
10.125 Das Gesetz stellt die SteuerverkÅrzung auf Zeit der SteuerverkÅrzung der HÇhe nach ausdrÅcklich gleich. Der Umfang des VerkÅrzungserfolgs ist hier jedoch anders zu bestimmen als bei der endgÅltigen SteuerverkÅrzung. Whrend bei Letzerer die Differenz zwischen festgesetzter und geschuldeter Steuer den Steuerschaden ausmacht, bewirkt der Tter einer zeitlichen VerkÅrzung lediglich einen Zinsverlust. Der Sache nach kann daher von einer endgÅltigen SteuerverkÅrzung eigentlich erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist die Rede sein. Wenn das Gesetz dennoch die unrichtige Festsetzung als endgÅltige VerkÅrzung ansieht, dann erfasst es damit auch bloße zeitliche VerkÅrzungen.
10.126 Eine Differenzierung kann daher nicht auf der Ebene der gesetzlichen Unterscheidung der VerkÅrzungserfolge („nicht oder nicht rechtzeitig“) erfolgen. Vielmehr geht es allein um eine Quantifizierung des vom Tatvorsatz getragenen VerkÅrzungserfolgs.2 Dies ist nur logisch, wenn man bedenkt, dass in der Zwischenzeit bis zur endgÅltigen Festsetzung sich die Entscheidung, ob eine SteuerverkÅrzung auf Dauer oder auf Zeit gewollt wird, allein im Kopf des Tters abspielt und er sich bis zum Ablauf der Frist frei entscheiden kann, ob sich die Hinterziehung allein auf die Zinsen oder auch die letztlich geschuldete Steuerschuld beziehen soll. Anders 1 Vgl. etwa OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10 unter Verweis auf BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09; OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10; zum Ganzen auch NÇcker, AO-StB 2012, 316. 2 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 77.
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ist dies nur, wenn in der Tathandlung schon die Dauerhaftigkeit der Hinterziehung angelegt ist. Aber selbst dann bedarf es eines die Dauerhaftigkeit auslÇsenden Moments. Die Beurteilung richtet sich also nach dem inneren Vorstellungsbild des Tters zum Zeitpunkt der Tathandlung, d.h. z.B. bei Abgabe einer Voranmeldung. Hat der Tter lediglich eine sptere Festsetzung gewollt, etwa Zwecks Mitnahme von Liquidittsvorteilen, dann handelt es sich um eine VerkÅrzung auf Zeit.1 Die VerkÅrzung auf Dauer und auf Zeit unterscheiden sich also nicht im Erfolgs-, sondern im Handlungsunrecht durch das entsprechende Vorstellungsbild des Tters.2 Eine VerkÅrzung auf Zeit wird dann zu einer endgÅltigen, wenn im Anschluss an falsche monatliche Voranmeldungen auch eine unrichtige Jahreserklrung abgegeben wird.3
10.127
VI. Versuch/straflose Vorbereitungshandlung Der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar (§ 370 Abs. 2 AO). Eine Tat ist versucht, wenn der Tter nach seiner Vorstellung die Schwelle zum „jetzt geht es los“ Åberschritten und zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt hat (vgl. auch § 22 StGB).4 Abzugrenzen hiervon sind straflose Vorbereitungshandlungen, wie unterlassene BuchfÅhrung, das Aufstellen falscher Bilanzen (beachte jedoch § 379 AO), die Erstellung falscher GuV-Rechnungen oder die fehlerhafte AusfÅllung von Steuererklrungsvordrucken.5 Das Versuchsstadium beginnt erst mit Entußerung der jeweiligen Erklrung; also mit Einreichen beim Finanzamt. Beim Unterlassen beginnt das Versuchsstadium mit Verstreichenlassen der letzten ErklrungsmÇglichkeit, etwa Fristablauf.6
10.128
VII. Leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) 1. Vorbemerkung Ist der Vorsatz nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar, stellt sich aufseiten der StrafverfolgungsbehÇrden oftmals die Frage, ob nicht
1 Zu dieser subjektiven Sichtweise vgl.: BGH v. 21.1.1998 –5 StR 686/97, wistra 1998, 146; BGH v. 20.4.1999 –5 StR 54/99, wistra 1999, 298; BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63; BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 328/04; Kohlmann, wistra 1982, 2; Randt, Der Steuerfahndungsfall, D 16, D 67; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 77. 2 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 77. 3 BGH v. 19.10.1999 – 5 StR 178/99, wistra 2000, 63; BGH v. 21.1.1998 – 5 StR 686/97, wistra 1998, 146. 4 Vgl. auch BGH v. 16.6.2013 – 1 StR 6/13, StBW 2014, 398. 5 Ggf. kommt jedoch eine Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB in Betracht. 6 BGH v. 16.6.2013 – 1 StR 6/13, StBW 2014, 399.
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wenigstens eine leichtfertige SteuerverkÅrzung in Betracht kommt. Auch im Urteil ist wegen der Wirkung als Auffangtatbestand stets zu prÅfen, ob bei Verneinung einer vorstzlichen Steuerhinterziehung nicht eine leichtfertige SteuerverkÅrzung in Betracht kommt.1
10.130 Eine Renaissance erfhrt der Begriff der Leichtfertigkeit im Zuge der Neuregelung der Selbstanzeige, wenn eine Straffreiheit wegen vorstzlicher Steuerhinterziehung angesichts des Hinterziehungsvolumens nicht mehr in Betracht kommt, etwa in den Fllen des § 370 Abs. 2 Nr. 3 AO, wenn das Hinterziehungsvolumen je Tat 50.000 Euro Åbersteigt. Anders als bei der vorstzlichen Steuerhinterziehung ist der Versuch nicht strafbar. Es gilt ferner der Einheitstterbegriff des § 14 OWiG, d.h. eine Unterscheidung zwischen Tter und Teilnehmer wird nicht getroffen. Tter ist daher grundstzlich jeder, der einen urschlichen Beitrag geleistet hat. Indes ist dieser Kreis begrenzt auf „Steuerpflichtige“ und „Personen, die Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen wahrnehmen“ (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO). 2. Tatbestand/Tterkreis
10.131 Steuerpflichtige sind der Steuerschuldner, Haftungsschuldner, Entrichtungspflichtige, Erklrungspflichtige (§ 149 Abs. 1 AO). FÅr eine Abgrenzung in negativer Hinsicht ist auf § 33 Abs. 2 AO abzustellen.2 § 33 Steuerpflichtiger [ . . .] (2) Steuerpflichtiger ist nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverstndigengutachten zu erstatten oder das Betreten von GrundstÅcken, Geschfts- und Betriebsrumen zu gestatten hat.
10.132 „Bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen“ handelt jeder, dessen Verhalten mit den steuerrechtlichen Pflichten des Steuerpflichtigen in Zusammenhang steht, insbesondere Bevollmchtigte und Beistnde (§ 80 AO), d.h. Rechtsanwlte, Steuerberater, WirtschaftsprÅfer sowie deren Hilfspersonen. Zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist in diesen Fllen jedoch, dass das Ttigwerden gegenÅber der FinanzbehÇrde erkennbar ist bzw. der Berater gegenÅber der FinanzbehÇrde in Erscheinung tritt. Vorbereitende Handlungen sind daher nicht tatbestandsmßig.3 Entscheidend ist, wer hinter den gemachten Angaben steht, wem mithin die strafrechtliche Verantwortlichkeit zuzuschreiben ist. Eine mittelbare Tterschaft ist bei der leichtfertigen Steuerhinterziehung nicht 1 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); BGH v. 13.1.1988 – 3 StR 450/87, BGHR AO § 378 Leichtfertigkeit 1; BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866. 2 Joecks in F/G/J7, § 378 AO Rz. 6. 3 Vgl. hierzu BGH v. 19.12.1997 – 5 StR 569/96, wistra 1998, 180; OLG Braunschweig v. 8.3.1996 – Ss 100/95, DStR 1997, 515; OLG ZweibrÅcken v. 23.10.2008 – 1 Ss 140/08, wistra 2009, 127; Harms, Stbg 2005, 12.
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mÇglich.1 Der objektive Tatbestand kann sowohl durch aktives Tun als auch durch pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen verwirklicht werden. Der Taterfolg muss Åber die reine Kausalitt hinaus auf einer Sorgfaltspflichtverletzung beruhen, d.h. die darin angelegte Gefahr muss sich i.S. des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhangs realisieren. D.h. der Tatbestand ist nicht verwirklicht, wenn die Handlung zwar den Erfolg verursacht hat, dieser jedoch auch bei sorgfltigem Verhalten gleichsam eingetreten wre.2 3. Begriff der Leichtfertigkeit Der Begriff der Leichtfertigkeit ist weder gesetzlich definiert noch einheitlich bestimmt. berwiegend wird davon ausgegangen, dass der Begriff der Leichtfertigkeit einen erhÇhten Grad von Fahrlssigkeit bezeichnet, also in etwa der groben Fahrlssigkeit entspreche.3 Diese Begriffsbestimmung entspricht der herrschenden Meinung zu § 402 RAO 1931 und den Åbrigen Vorschriften, die denselben Begriff verwenden. Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer acht lsst, zu der er nach den besonderen Umstnden des Falles und seinen persÇnlichen Fhigkeiten verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm htte aufdrngen mÅssen, dass dadurch eine Rechts(guts)verletzung eintreten wird.4 Im Ergebnis ist die Leichtfertigkeit eine qualifizierte Form der Fahrlssigkeit. Roxin geht von der Wendung der „wesentlich gesteigerten Fahrlssigkeit“ aus.5
10.133
Die Wendung des „Sich-Aufdrngens“ erinnert aber zugleich an die Rechtsprechung zur einfachen Fahrlssigkeit bei den jeweiligen Fahrlssigkeitsdelikten im StGB. Aus diesem Grund stellt die Judikatur auch insoweit zur Vermeidung „Åberspannter Anforderungen“ 6 durchweg auf ein besonderes Veranlassungsmoment als entscheidendes Kriterium des Fahrlssigkeitsbegriffs ab. Danach mÅssen stets besondere Umstnde vorgelegen haben, die dem Beschuldigten die konkrete Gefahr einer solchen Rechtsgutverletzung vor Augen stellten und Mittel zu ihrer Abwehr nahelegten.7 Gefordert werden somit offensichtliche ußere Anzeichen,8
10.134
1 Fischer61, § 25 StGB Rz. 6. 2 Fischer61, § 15 StGB Rz. 16c. 3 BGH v. 13.1.1988 – 3 StR 450/87, wistra1988, 196; BFH v. 4.12. 1987 – I R 58/86, BStBl. II 1988, 215; Joecks in F/G/J7, § 378 AO Rz. 26 ff.; Heerspink in Flore/ Tsambikakis, § 378 AO Rz. 61 ff.; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 378 AO Rz. 55 ff. 4 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); Joecks in F/G/J7, § 378 AO Rz. 31. 5 Roxin, Strafrecht AT I4, § 24 Rz. 74. 6 BGH v. 1.7.1954 – 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282 (286); BGH v. 2.10.1979 – 1 StR 440/79, NJW 1980, 649 (650). 7 BGH v. 1.7.1954 – 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282 (286); BGH v. 2.10.1979 – 1 StR 440/79, NJW 1980, 649 (650). 8 BGH v. 13.11.1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152 (155).
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dass sich der Argwohn htte aufdrngen mÅssen.1 Da die grobe Fahrlssigkeit aber keinen fest umrissenen Inhalt hat, kommt es fÅr ihre Abgrenzung gegenÅber der einfachen Fahrlssigkeit vornehmlich auf die Umstnde des einzelnen Falles an und auf den Blickwinkel, aus dem die Schuld des Tters beurteilt wird. Schwerpunktmßig ist auf das tatbestandliche Unrecht abzustellen, da es einem auf den RechtsgÅterschutz abstellenden Tatstrafrecht entspricht, wenn der Gesetzgeber die Strafe von einer qualifizierten Fahrlssigkeit abhngig macht.2 Zudem spricht gegen die einfache bertragung des zivilrechtlichen Begriffs der groben Fahrlssigkeit, dass dieser auch im BÅrgerlichen Recht keine klaren Konturen erfahren hat und im Strafrecht die persÇnliche Unfhigkeit wenigstens bei der Schuld weit strker zu berÅcksichtigen ist. Klar ist jedoch, dass es sich um eine wesentlich gesteigerte Fahrlssigkeit handelt.3
10.135 Bei Kaufleuten wird angenommen, dass diese sich in besonderem Maße Åber ihre steuerlichen Pflichten zu informieren haben, insbesondere solche, die mit der kaufmnnischen Ttigkeit in Zusammenhang stehen. ErhÇhte Anforderungen werden auch an die Erkundigungspflicht gestellt, vornehmlich wenn die erkannte Steuerpflichtigkeit eines Geschfts durch modifizierte Gestaltung des Geschfts umgangen werden soll.4 Beispiel: Das im EU-Ausland ansssige Unternehmen A funktioniert in Deutschland steuerpflichtige „Versandgeschfte“ in steuerfreie „Abholgeschfte“ um, indem den Bestellschreiben „Speditionsauftragsschreiben“ beigefÅgt werden. Tatschlich weist jedoch das Unternehmen A die Speditionen an und organsiert die Transporte. Die Empfnger teilen allein den Abladepunkt mit.5
10.136 Im konkreten Fall kommt sogar eine Strafbarkeit wegen vorstzlichen Verhaltens in Betracht, wenn der Tter die Existenz des Steueranspruchs fÅr mÇglich hlt, gleichwohl die FinanzbehÇrde aber in Unkenntnis lsst und sich mit der MÇglichkeit einer Steuerhinterziehung abfindet.
VIII. Irrtum 1. Tatbestandsirrtum
10.137 Der Vorsatz ist gem. § 16 StGB ausgeschlossen, wenn der Tter einem sog. Tatbestandsirrtum erliegt, d.h. nicht erkannt hat, dass er unrichtige Angaben Åber steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkÅrzt.6 Bei einem Irrtum Åber die Steuerrechtslage, sprich die in1 2 3 4 5 6
BGH v. 11.2.1955 – 1 StR 478/54, BGHSt 7, 307 (309). Roxin, Strafrecht AT I3, § 24 Rz. 80. BT-Drucks. IV/650, 132. BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161). BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161). BGH v. 19.5.1989 – 3 StR 590/8, wistra 1989, 263 (264); BGH v. 27.11.2002 – 5 StR 127/02, wistra 2003, 266 (270); OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10,
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haltliche Reichweite oder das Vorhandensein eines Steueranspruchs, liegt ebenfalls ein Tatbestandsirrtum vor.1 Auch sonst sind Konstellationen denkbar, in denen dem Steuerpflichtigen der Vorsatz fehlt2: Geht der Steuerpflichtige etwa irrig davon aus, dass die von ihm eingereichten Informationen an das zustndige Finanzamt weitergeleitet werden, kennt er diejenigen Umstnde nicht, die seine Garantenpflicht fÅr das geschÅtzte Rechtsgut, die Anzeigepflicht, begrÅnden. Er kennt einen Tatumstand nicht, der zur ErfÅllung des Tatbestandsmerkmals erforderlich ist.3 Die bloße Berufung auf einen Irrtum, etwa Åber die Reichweite oder das Bestehen eines Steueranspruchs, genÅgt nicht. Es mÅssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine derartige Annahme rechtfertigen.4 Hlt der Tter die Existenz des Steueranspruchs fÅr mÇglich, lsst er aber gleichwohl die FinanzbehÇrde in Unkenntnis und findet er sich mit der MÇglichkeit einer Steuerhinterziehung ab, kommt vorstzliches Verhalten in Betracht. Der BGH stellt darauf ab, dass es dem Steuerpflichtigen regelmßig mÇglich und zumutbar ist, offene Rechtsfragen nach Aufdeckung des vollstndigen Sachverhalts im Besteuerungsverfahren zu klren.5 Bei der irrigen Annahme eines Steuerpflichtigen, die Bundesrepublik Deutschland habe in einem Doppelbesteuerungsabkommen auf ihr Recht, bestimmte EinkÅnfte zu besteuern, verzichtet, handelt es sich um einen Tatbestandsirrtum hinsichtlich des inlndischen Steueranspruchs, der den Vorsatz der Steuerhinterziehung ausschließt.6
10.138
2. Verbotsirrtum Ein Verbotsirrtum i.S. von § 17 StGB liegt hingegen vor, wenn der Tter bei Kenntnis aller Tatumstnde die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkannt hat, also nicht wusste, dass seine Handlung verboten oder die unterlassene Handlung geboten war.7 In diesen Fllen stellt sich je-
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PStR 2011, 140; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 658 m.w.N.; zum Ganzen Backes, Zur Problematik der Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum im Steuerstrafrecht, 1981. BGH v. 9.2.1995 – 5 StR 722/94, wistra 1995, 191. Vgl. auch die Beispiele bei Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 663. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 101. Vgl. auch BGH v. 18.8.2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; Allgayer in G/J/W, § 369 AO Rz. 28. BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161) unter Verweis auf BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09; BVerfG v. 29.4.2010 – 2 BvR 871/09, wistra 2010, 396 (404). BayObLG v. 30.1.1990 – RReg 4 St 132/89, DStR 1990, 310. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 663. BGH v. 29.5.1961 – GSSt 1/61, BGHSt 16, 155; BGH v. 23.4.1986 – 3 StR 8/86, HFR 1987, 146; Wiese in Wannemacher, Steuerstrafrecht6, Rz. 520; Randt, Steuerfahndungsfall, D 70; Cramer/Sternberg-Lieben in SchÇnke/SchrÇder29, § 17 StGB Rz. 4; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 101; str. bei Irrtum Åber die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO, vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 665.
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doch immer die Frage, ob die Unwissenheit durch Nachfrage lÇsbar und der Irrtum somit vermeidbar gewesen war.1 Beispiel: A segelt mit einer grenzÅberschreitenden steuerlichen Gestaltung hart am Wind bzw. auf der Grenze von Missbrauch und Steuerhinterziehung. Mehrere Berater weigerten sich bereits, die Vorschlge des A so umzusetzen. A beauftragt den Universittsprofessor X mit der Erstellung eines Gutachtens und stellt neben dem Honorar eine nicht unerhebliche Spende fÅr die Universitt in Aussicht. X eilt der Ruf voraus, zwar in strafrechtlichen Dingen besonders bewandert zu sein, nicht aber bei steuerlichen Sachverhalten mit Auslandsbezug.
10.140 Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt nach Ansicht des BGH voraus, dass der Tter alle seine geistigen Erkenntniskrfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlsslichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat.2 Dabei mÅssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Tters verlsslich sein. Eine Auskunft wird in diesem Sinne nur dann als verlsslich angesehen, wenn sie objektiv, sorgfltig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemßer PrÅfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist.3 Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewhr fÅr eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet. Der Tter darf nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm gÅnstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstnde, insbesondere seine Verhltnisse und PersÇnlichkeit. Zu berÅcksichtigen sind insbesondere Bildungsstand, Erfahrung und berufliche Stellung.
10.141 Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Tters zu begrÅnden. Wendet sich der Tter an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, hat er damit zwar das zunchst Gebotene getan. Hinzukommen muss nach Ansicht des BGH, dass der Tter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den fÅr ihn erkennbaren Umstnden vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns fÅr ihn bei auch nur mßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Er darf sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts, etwa nicht allein einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begrÅnden,4 deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben gÅnstig ist. Bestellte Geflligkeitsgutachten scheiden als Grundlage un1 BGH v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99, wistra 2000, 257 (258); zur Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer vgl. FG MÅnchen v. 16.12.1999 – 3 K 1905/97, ZfZ 2000, 139. 2 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461. 3 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461. 4 BGH v. 4.4.2013 – 3 StR 521/12, NStZ 2013, 461; BGH v. 3.4.2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8 m.w.N.
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vermeidbarer VerbotsirrtÅmer aus. AuskÅnfte, die erkennbar vordergrÅndig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine “Feigenblattfunktion“ erfÅllen sollen, genÅgen ebenfalls nicht. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich.
IX. § 370 Abs. 6 AO Literatur: Adick, Innergemeinschaftliche Lieferungen: Versagung der Steuerbefreiung und Strafbarkeit nach § 370 AO?, PStR 2012, 9; Bielefeld, Fingierter innergemeinschaftlicher KfZ-Zwischenhandel zur Umsatzsteuerhinterziehung, DStR 2009, 580; BÅlte, Zur Strafbarkeit der Verschleierung von SanktionsansprÅchen als Umsatzsteuerhinterziehung, HRRS 2011, 465; BÅrger, Innergemeinschaftliche Lieferungen im Reihengeschft, UR 2012, 941; Buse, Umsatzsteuerhinterziehung auf Zeit, UR 2010, 325; Englisch, Nachweispflichten und Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen UR 2008, 481; Gehm, Steuerliche und steuerstrafrechtliche Aspekte des Umsatzsteuerkarussells, NJW 2012, 1257; Harksen/MÇller, Nachweispflichten im grenzÅberschreitenden Warenverkehr UStB 2008, 78; Harms/Heine, EG-Verordnung und Blankettgesetz, FS Amelung, 2009, 393 (402); Hentschel, Die Bedeutung des Steuerordnungswidrigkeitenrechts bei grenzÅberschreitender Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2005, 371; Jger, Die Auswirkungen der Osterweiterung der europischen Union auf das deutsche Steuerstrafrecht, FS Amelung, 2009, 447; Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekmpfung, UR 2006, 569; Kemper, Umsatzsteuerkarusselle (§ 370 VI AO und Art. 280 IV EGV), NStZ 2006, 593; Lohse, Strafbarkeit und Steuerbetrug bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, BB 2012, 430; Matthes, Recht auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Scheinunternehmen bzw. bei Einbindung in “Karussellgeschfte“, EFG 2010, 1742; Muhler, Die Umsatzsteuerhinterziehung, wistra 2009, 1; MÅller, Die Umsatzsteuerhinterziehung, AO-StB 2008, 80; Ransiek, § 370 AO und Steuerbefreiungen fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen, HRRS 2009, 421; Ransiek, Blankettstraftatbestand und Tatumstandsirrtum, wistra 2012, 365; RÅping/Ende, Neue Probleme von schweren Fllen der Hinterziehung, DStR 2008, 13; Schauf/HÇink, Streit um Steuerbefreiung: Missbrauch des Gemeinschaftsrechts als Ausschlusskriterium, PStR 2009, 134; Sterzinger, Keine Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung bei Beteiligung des Lieferers an einem Erwerbsbetrug des Empfngers, UR 2011, 20; Tully/Merz, Zur Strafbarkeit der Hinterziehung auslndischer Umsatz- und Verbrauchsteuern nach der nderung des § 370 Abs. 6 AO im JStG 2010, wistra 2011, 121; Walter/Lohse/DÅrrer, Innergemeinschaftliche Lieferung und Mehrwertsteuerhinterziehung in Deutschland und im EU-Ausland, wistra 2012, 125; Wulf, TelefonÅberwachung und Geldwsche im Steuerstrafrecht, wistra 2008, 323; Wulf, Steuerstreit um die innergemeinschaftliche Lieferung – Ein aktueller berblick zu steuerlichen und strafrechtlichen Problemfeldern, SAM 2012, 59.
1. EinfÅhrung Im Kontext der internationalen Umsatzsteuerhinterziehung ist auch die Regelung des § 370 Abs. 6 AO zu sehen. § 370 Abs. 1-5 AO gelten gem. Peters
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§ 370 Abs. 6 AO auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG1 genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europischen Union verwaltet werden.
10.143 Hintergrund der Regelung ist, dass die in Rede stehenden Zolleinnahmen in den EU-Haushalt fließen: eine VerkÅrzung daher auch den deutschen Steuerzahler schdigt. Die Erstreckung auf auslndische Verbrauchsteuern ist als Vorwegnahme eines einheitlichen europischen Verbrauchsteuersystems zu sehen.2 Die Tathandlungsmodalitten entsprechen denen von § 370 Abs. 1 AO. § 370 Abs. 3 AO findet ebenfalls Anwendung. FÅr die Frage der Steuerschuld kommt es ggf. auf die geltende auslndische Rechtsvorschrift an.3 2. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben (§ 370 Abs. 6 Satz 1 AO)
10.144 Seit dem 1.1.1994 gilt gemeinschaftsweit unverndert der Zollkodex.4 Der im Jahr 2008 verÇffentlichte Modernisierte Zollkodex (MZK5), und die entsprechende DurchfÅhrungsverordnung6 sollten eigentlich ab dem 24.6.2013 automatisch angewendet werden. Am 1.12.2009 trat jedoch der 1 ABl. EU Nr. L 9 v. 14.1.2009, 12. 2 Lipsky in G/J/W, § 370 AO Rz. 197. 3 BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, wistra 2001, 62 (63); BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, wistra 2010, 30; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 605. 4 Zollkodex i.S. des ZollVG ist die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 302, 1, ABl. EG 1993 Nr. L 79, 84, ABl. EG 1996 Nr. L 97, 38; zuletzt gendert durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europischen Parlaments und des Rates v. 16.11.2000, ABl. EG 2000 Nr. L 311, 17, in der jeweils geltenden Fassung. Zollkodex-DurchfÅhrungsverordnung i.S. dieses Gesetzes ist die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission v. 2.7.1993 mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG 1992 Nr. L 253, 1, ABl. EG 1994 Nr. L 268, 32, ABl. EG 1996 Nr. L 180, 34, ABl. EG 1997 Nr. L 156, 59, ABl. EG 1999 Nr. L 111, 88; zuletzt gendert durch die Verordnung (EG) Nr. 881/2003 der Kommission v. 21.5.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 134, 1, in der jeweils geltenden Fassung. 5 Modernisierter Zollkodex VO/EG Nr. 450/2008 des Europischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008, ABl. EU 2008 Nr. 145, 1, htte am 24.3.2013 in Kraft treten sollen (Art. 188 MZK), wird jedoch nunmehr durch den UZK ersetzt. 6 VO/EWG Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 v. 19.10.1992, 1, berichtigt in ABl. EG Nr. L 79 v. 1.4.1993, 84; VO/EWG Nr. 2454/93 v. 2.7.1993, ABl. EG Nr. L 253 v. 11.10.1993, 1.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Vertrag von Lissabon in Kraft. Dieser enthlt fÅr den Erlass von DurchfÅhrungsregelungen neue Vorschriften, die in jedem vom Parlament und dem Rat erlassenen Basisrechtsakt berÅcksichtigt werden mÅssen. Der MZK wurde daher noch vor seiner Anwendung zum 1.11.2013 aufgehoben und durch einen „Zollkodex der Union“ (UZK) ersetzt. Im Amtsblatt vom 9.10.2013 wurde der neue UZK verÇffentlicht als Verordnung (EU) 952/2013.1 Der UZK ersetzt den ZK. Anwendbar soll der UZK nach Verabschiedung der erforderlichen Detailregelungen (delegierte Rechtsakte und DurchfÅhrungsrechtsakte) ab 1.5.2016 sein. Bis zum 1.5.2016 gilt indes noch der Zollkodex der Gemeinschaften.2 In einigen Fllen werden der Zollkodex und die DurchfÅhrungsvorschriften3 durch Leitlinien ergnzt.4 Ziel derartiger Erluterungen/Leitlinien ist es, eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Zollbereich zu gewhrleisten, indem nationale Abweichungen bei der Auslegung vermieden werden und damit eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen im Zollbereich erreicht wird. Leitlinien sind indes nicht rechtverbindlich. Der MZK und der UZK kÇnnen jedoch als Auslegungshilfe herangezogen werden. FÅr den Tatbestand der Steuerhinterziehung und die Qualifikation des Schmuggels wird von besonderer Bedeutung sein, dass der UZK den Kreis mÇglicher Tter nochmals erweitert (vgl. Art. 79 Abs. 3 UZK).5 1 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013, ABl. EU 2013, Nr. L 269, 1, zur Festlegung des Zollkodex der Union Eine Synopse findet sich unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0064:FIN:DE:PDF. 2 Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 DES RATES v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 v. 19.10.1992, 1; vgl. auch unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/customs/customs_code/union_customs_code/index_de.htm. 3 DurchfÅhrungsverordnung (EU) Nr. 1101/2012 der Kommission v. 26.11.2012 zur nderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU Nr. L 327 v. 27.11.2012, 18; DurchfÅhrungsverordnung (EU) Nr 1159/2012 der Kommission v. 7.12.2012 zur nderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU Nr. L 336 v. 8.12.2012, 1; DurchfÅhrungsverordnung (EU) Nr. 1180/2012 der Kommission v. 10.12.2012 zur nderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU Nr. L 337 v. 11.12.2012, 37; DurchfÅhrungsverordnung (EU) Nr. 756/2012 der Kommission v. 20.8.2012 zur nderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EU Nr. L 223 v. 21.8.2012, 8; smtlich abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/customs/procedural_aspects/general/community_code/article_6077_de.htm. 4 Zur Rechtswirkung vgl. unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/ documents/customs/procedural_aspects/general/community_code/1406-de-lignes_directrices.pdf. 5 hnliche Bedenken bei Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 27.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Das nationale Zollverfahrensrecht ist im Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) und in der Zollverordnung (ZollV) geregelt. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i.S. des Gesetzes sind die im Zollkodex geregelten Abgaben sowie die Einfuhrumsatzsteuer und die anderen fÅr eingefÅhrte Waren zu erhebenden Verbrauchsteuern (§ 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG). Die Definition gilt ausdrÅcklich nur fÅr den Anwendungsbereich des ZollVG; ist daher fÅr die Auslegung des § 370 Abs. 6 AO nicht automatisch verbindlich.1
10.145 § 3 Abs. 3 AO stellt klar, dass Ein- und Ausfuhrabgaben nach der Legaldefinition des Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK Steuern i.S. der AO sind. Nach Art 4 Nr. 10 ZK sind Einfuhrabgaben ZÇlle und Abgaben mit gleicher Wirkung, die bei der Einfuhr erhoben werden, sowie bei der Einfuhr erhobene Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitk oder aufgrund der fÅr bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse geltenden Sonderregelungen vorgesehen sind. Dies gilt auch fÅr Ausfuhrabgaben. ber § 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG werden auch die Verbrauchsteuern allgemeiner Art (Einfuhrumsatzsteuer) und besonderer Art erfasst (Steuern auf Energieerzeugnisse, Tabak, Bier, Branntwein, Schaumwein). Es macht keinen Unterschied, ob der betroffene Mitgliedstaat die Einfuhrabgabe fÅr sich oder die EU verwaltet. Von § 370 Abs. 6 Satz 1 AO erfasst sind auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben, die einem Mitgliedstaat der Europischen Freihandelsorganisation (EFTA) oder einem mit dieser assoziierten Staaten zusteht. Betroffen davon sind noch die Schweiz, Liechtenstein und Norwegen. Zu den geschÅtzten Abgaben zhlen insbesondere: – (Einfuhr-)ZÇlle2, – Abgaben mit zollgleicher Wirkung, – sonstige im Rahmen der gemeinsame Agrarpolitk erhobenen Einfuhrabgaben, – bei der Einfuhr zu erhebende auslndische Verbrauchsteuern (etwa fÅr Alkohol und Tabak), – Einfuhrumsatzsteuer bei erstmaliger Einfuhr3.
10.146 Der Begriff der „Einfuhrabgaben“ setzt einen Einfuhrvorgang voraus. Einfuhrabgaben entstehen nur im zuerst betreten EU-Mitgliedsstaat. Auch die Zollschuld und die mit der Einfuhr verbundenen Steuern entstehen nur einmal und am Ort des erstmaligen Verbringens (Art. 215 Abs. 1 ZK, Art. 202 Abs. 1a ZK. Die Einfuhr ist das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittland in das Gebiet der EG und seit der Neufassung des § 373 Abs. 4 AO i.V.m. § 370 Abs. 6 Satz 1 AO ab dem 1.1.2008 auch das Verbringen der Ware außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens
1 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO Rz. 56. 2 Vgl. VO Nr. 2658/87 des Rates v. 23.7.1987, ABl. EG Nr. L 256 v. 7.9.1987, 1. 3 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, wistra 2009, 30; BGH v. 8.11.2000 – 5 StR 440/00, NStZ 2001, 201; BGH v. 30.10.2003 – 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
von einem Mitgliedstaat in den anderen.1 Handelt es sich um Eingangsabgaben, ist § 370 Abs. 1 AO einschlgig. 3. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO) Eine Tat ist nunmehr auch nach § 370 Abs. 1-5 AO strafbar, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG2 genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europischen Union verwaltet werden (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Hierdurch wird das Umsatzsteueraufkommen eines anderen EU-Staates geschÅtzt, in den ausgefÅhrt wird. Zugleich wurden mit dem Verbrauchsteuerbinnenmarktgesetz die wichtigsten Verbrauchsteuern (MineralÇl, Alkohol, Tabak) harmonisiert.3
10.147
Die gleiche Schutzrichtung bezwecken die Nachweispflichten fÅr die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 4 Abs. 1 Buchst. b UStG i.V.m. §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 17c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStDV. Das frÅhere Gegenseitigkeitserfordernis wurde durch das Jahressteuergesetz 2010 gestrichen. FÅr die Hinterziehung vom Umsatz- und Verbrauchsteuern anderer europischer Mitgliedstaaten gelten die gleichen Grundstze wie fÅr die Hinterziehung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach § 370 Abs. 6 Satz 1 AO. Handelt es sich um Eingangsabgaben, also bei der erstmaligen Einfuhr, ist § 370 Abs. 1 AO einschlgig.4
10.148
4. Bestimmung und Feststellung des Hinterziehungsumfangs Aus der Blanketteigenschaft des Tatbestands der Steuerhinterziehung folgt, dass neben den deutschen Steuergesetzen und den Vorschriften des Zollkodex die Verbrauchsteuergesetze der jeweils betroffenen Mitgliedstaaten zur Anwendung kommen.5 Dies bedeutet fÅr das erkennende Gericht Folgendes: Der Tatrichter darf nicht lediglich die Berechnung etwa der auslndischen Finanzverwaltung seinem Urteil zugrundelegen. Denn Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht. Erst durch das Blankettstrafgesetz und die blankettausfÅllenden Normen wird die maßgebliche Strafvorschrift gebildet. Deshalb muss sich das erkennende Gericht selbst mit den blankettausfÅllenden Normen des materiellen Steuerrechts befassen
1 Hilgers-Klautzsch in Kohlmannn, § 373 AO Rz. 16; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 552. 2 ABl. EU Nr. L 9 v. 14.1.2009, 12. 3 Verbrauchsteuerbinnemarktgesetz v. 21.12.1992, BGBl. I 1992, 2150. 4 Hilgers-Klautzsch in Kohlmannn, § 373 AO Rz. 16.2, 25; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 556, 552. 5 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, NStZ 2010, 338; BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
und diese auf den Einzelfall anwenden.1 Es begegnet daher regelmßig erheblichen Bedenken, wenn das Gericht die der Berechnung der verkÅrzten Einfuhrabgaben zugrundeliegenden Normen des Zollkodexes und der auslndischen Steuergesetze im Urteil nicht bezeichnet hat. Denn es legt den RÅckschluss nahe, dass lediglich Berechnungen der Finanzverwaltung ungeprÅft Åbernommen wurden.2 Gleiches gilt auch fÅr die Staatsanwaltschaft, wenn auch in abgeschwchter Form.
10.150 Ob die auslndische Norm hinreichend bestimmt ist und ggf. gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstÇßt, ist im Wege der vergleichenden Auslegung zu ermitteln.
10.151 Die Regelung des § 370 Abs. 6 AO dient ausweislich der GesetzesbegrÅndung der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Umsatzsteuerbetrug und der Verbesserung der grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekmpfung.3 5. Anwendbarkeit auf Altflle
10.152 Ein Streitpunkt wird in Zukunft sein, ob die Regelung erst fÅr Flle nach dem 14.12.2010 eingreift oder bereits Altflle erfasst sind.4 Bejahendenfalls wre neben einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in den oben genannten Fllen des kollusiven Zusammenwirkens eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur auslndischen Hinterziehung die Folge. Was das internationale Verbrauchsteuerrecht betrifft, ist fraglich, welche auslndischen Verbrauchsteuern dem deutschen Strafrechtsschutz unterfallen und ob der Verweis auf die in § 370 Abs. 6 AO benannte Richtlinie zutreffend ist oder nicht die Verbrauchsteuersystemrichtlinie 2008/118/EG zur Anwendung gelangen mÅsste und welche Auswirkungen sich aus dem Bestimmtheitsgrundsatz dafÅr ergeben.5 Immerhin hebt die neue Richtlinie die alte auf.
10.153 Begreift man die in § 370 Abs. 6 AO normierte GegenseitigkeitsverbÅrgung als Verfahrensregelung, greift das RÅckwirkungsverbot nicht, denn nicht die Verfolgbarkeit muss nach Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt sein, sondern die Strafbarkeit. Weil das Verfahrenserfordernis der GegenseitigkeitsverbÅrgung indes nicht dem Schutz des Tters, sondern dazu dient, die Partnerlnder zu gleichartigen Regelungen zu veranlassen, kÇnne sich 1 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; vgl. auch BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 314/09, NStZ 2010, 338; BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; Jger, StraFo 2006, 477. 2 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595. 3 EingefÅgt durch das Jahressteuergesetz 2010, BGBl. I 2010, 1768; vgl. auch BTDrucks. 17/2249, 88. 4 Hierzu ausfÅhrlich Tully/Merz, wistra 2011, 121. 5 Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG, ABl. EU Nr. L 9 v. 14.1.2009.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
der Tter nicht auf einen Vertrauensschutz berufen.1 Begreift man die Regelung indes als objektive Bedingung der Strafbarkeit2, greift das RÅckwirkungsverbot.3 DafÅr spricht zunchst, dass durch die bisherige VerbÅrgung der Gegenseitigkeit in der Norm der inhaltliche Schutzumfang und darÅber der staatliche Strafanspruch der Norm selbst geregelt wurde. FÅr diese Sichtweise spricht ferner, dass ausweislich der GesetzesbegrÅndung eine StrafbarkeitslÅcke geschlossen werden sollte.4 Misst man der Regelung des § 370 Abs. 6 Satz 2 Var. 2 AO blankettausfÅllenden Charakter bei, ist die Hinterziehung auslndischer Verbrauchsteuern auch weiterhin straflos, weil die Bezugnahmebestimmung in Art. 47 Abs. 2 der „neuen“ Systemrichtlinie zwar fÅr Rechtsakte der Europischen Union, jedoch nicht fÅr strafbarkeitskonstituierende Bestimmungen des deutschen Gesetzgebers gelten kann.5 Teilweise wird vertreten, dass es sich in derartigen Konstellationen um Zeitgesetze handele6, oder der Verweis lediglich deskriptiven Charakter habe.7 Denn der Verweis auf Art. 3 Abs. 1 der „alten“ Systemrichtlinie beziehe sich lediglich auf den in der Norm genannten Begriff und stelle daher eine Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs dar.
10.154
Versteht man indes § 370 AO mit der herrschenden Meinung als Blanketttatbestand, muss die logische Konsequenz sein, dass vollumfnglich auf die „richtigen“ steuerlichen Vorschriften Bezug genommen wird und nicht in problematischen Fllen der Blankettcharakter partiell suspendiert oder durch andere Rechtsinstitute ersetzt wird. Eine Zersplitterung des Tatbestands der Steuerhinterziehung in einen Tatbestand mit Blankettelementen, normativen Tatsachen und unbestimmten Rechtsbegriffen kann nicht gewollt sein.
10.155
6. Ausfuhrlieferungen Auch bei Ausfuhrlieferungen nach § 6 UStG (Rz. 17.8) gilt, dass neben den tatschlichen Voraussetzungen auch die formellen Nachweispflichten erfÅllt sein mÅssen. Die Anforderungen ergeben sich aus § 6 Abs. 4 Satz 1 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV. Der Nachweis ist indes nicht (mehr) materielle Voraussetzung fÅr die Steuerbefreiung. Wie auch bei den inner1 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125); dem folgend, jedoch ohne eigene BegrÅndung, Walter/Lohse/DÅrrer, wistra 2012, 125 (128). 2 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 30 ff.; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 162; Lipsky in G/J/W, § 370 AO Rz. 209. 3 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 557, 29. 4 BT-Drucks. 17/2249, 88. 5 Tully/Merz, wistra 2011, 121 (125); vgl. zum Ganzen auch Harms/Heine in FS Amelung, 2009, 393 ff. 6 Harms/Heine in FS Amelung, 2009, 393 (402). 7 So Tully/Merz, wistra 2011, 121 (126), obgleich diese eine nderung des Gesetzestextes wegen der „WertungswidersprÅchlichkeit“ fÅr wÅnschenswert erachten.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
gemeinschaftlichen Lieferungen kommt es allein auf die tatschliche Ausfuhr an.1 Eine Steuerhinterziehung scheidet aus den genannten GrÅnden ebenfalls aus.2
X. Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall/Regelbeispiele 10.157 Bei den in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO aufgefÅhrten Fllen handelt es sich um Regelbeispiele.3 Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung sieht in § 370 Abs. 3 Satz 1 AO fÅr besonders schwere Flle einen erhÇhten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vor. Ist die Tat vor dem 1.1.2008 begangen, ist das Regelbeispiel aufgrund der Fassung des Gesetzes zum Tatzeitpunkt nur dann erfÅllt, wenn der Tter zudem aus grobem Eigennutz gehandelt hat.4
10.158 Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Tter – in großem Ausmaß Steuern verkÅrzt (aktives Tun 50.000 Euro/Unterlassen 100.000 Euro)5 oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO), – seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtstrger missbraucht (§ 370 Abs. 3 Nr. 2 AO), – die Mithilfe eines Amtstrgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (§ 370 Abs. 3 Nr. 3 AO), – unter Verwendung nachgemachter oder verflschter Belege fortgesetzt Steuern verkÅrzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 4 AO) oder – als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchsteuern verkÅrzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO).6
10.159 Zwar besteht eine Vermutung dafÅr, dass, wenn das Regelbeispiel erfÅllt ist, der Fall als besonders schwer anzusehen ist.7 Jedoch kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere strafmildernde Umstnde entkrftet oder kompensiert werden, die fÅr sich allein oder in ihrer Ge1 BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, DStR 2009, 1636. 2 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, BGHSt 54, 133 = NJW 2009, 3383. 3 Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1088 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 80 f. 4 Vgl. Gesetz v. 21.12.2007 zur Neuregelung der TelekommunikationsÅberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, BGBl. I 2007, 3198. 5 BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, vgl. auch Wulf, Stbg 2012, 366. 6 Hierzu Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1088 ff.; vgl. auch Rz.10.61 f. 7 BGH v. 31.3.2004 – 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394; Fischer61, § 46 StGB Rz. 91.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
samtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens fÅr besonders schwere Flle unangemessen erscheint.1 Das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes kann im Zusammenwirken mit allgemeinen MilderungsgrÅnden, ohne dass diese fÅr sich genommen ausreichen, trotz Vorliegen eines Regelbeispiels zu einer Verneinung des besonders schweren Falls fÅhren. In einem Fall des Landgerichts Hildesheim kamen dem Angeklagten namentlich folgende Umstnde im Rahmen des besonders beachtlichen Nachtatverhalten zugute: die geleistete Wiedergutmachung i.S. des § 46a Nr. 2 StGB, die Zahlung der Steuer ohne Abwarten des Bescheids und insbesondere die Tatsache, dass er der Allgemeinheit ehrenamtlich einen gewichtigen Dienst leistete, nmlich die unentgeltliche Arbeit in einem Pflegeheim fÅr Demenzkranke Åber anderthalb Jahre.2 Das Landgericht Hildesheim honorierte letztlich das ausgesprochen ungewÇhnliche und intensive BemÅhen des Angeklagten um Schuldausgleich und Wiedergutmachung. Im Falle der Hinterziehung hÇherer Summen bietet es sich daher regelmßig an, Åberobligatorische Leistungen zu erbringen.
10.160
Im Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts kann es sich etwa anbieten, der Rechtshilfe bei Staaten zuzustimmen, die sonst keine Hilfe bei reinen Fiskalstraftaten leisten (z.B. Schweiz), und auf diese Weise die Aufklrung des Sachverhalts zu erleichtern.
10.161
XI. Schmuggel (§ 373 AO) Literatur: Bender, Rechtsfragen um den Transitschmuggel mit Zigaretten, wistra 2001, 161; Bender, Der Transitschmuggel im europischen „ne bis in idem“, wistra 2009, 176; Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg, Loseblatt; Bongartz in Bongartz/Schroer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 2. Aufl. MÅnchen 2011, Rz. K 1 ff.; Friedrich, Steuerschuld und Steuerzechenschuld im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1989, 98; Hampel, Steuerhinterziehung bei Verbringen von Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates der EU in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland, ZfZ 1996, 358; HÇll, Neufassung des Tabaksteuergesetzes, PStR 2011, 50; Jger, Die Auswirkungen der Osterweiterung der Europischen Union auf das deutsche Steuerstrafrecht, in FS Amelung, 2009, S. 447; Jarsombeck, Das Tabaksteuerzeichen, ZfZ 1999, 296; Jatzke, Vorschriftswidriges Verbringen von Zigaretten aus EG-Mitgliedstaat nach Deutschland, ZfZ 2007, 191; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 2005; F. Kirchhof, Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Kuhlen, Internationaler Schmuggel, Europischer Gerichtshof und deutsches Strafrecht, in FS Jung 2007, S. 445; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Leplow, Ahndung des Zigarettenschmuggels nach dem 1.4.2004, PStR 2007, 180; Leplow, 1 BGH v. 31.3.2004 – 2 StR 482/03, NJW 2004, 2394; BGH v. 2.2.1999 – 4 StR 626/98, NStZ 1999, 244; Fischer61, § 46 StGB Rz. 91. 2 LG Hildesheim v. 6.8.2009 –25 KLs 4222 Js 21594/08, NdsRpfl 2009, 432 (434).
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
Zigarettenschmuggel, Geldwsche und GewinnabschÇpfung, PStR 2008, 213; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; MÇller, Steuerliche Verrechnungspreise und Zollwert, ZfZ 2007, 253; Scheuer, Neuere Entwicklungen im internationalen und nationalen Tabaksteuerrecht, ZfZ 2006, 2; Schmitz/Wulf, Erneut: Hinterziehung auslndischer Steuern und Steuerhinterziehung im Ausland, § 370 Abs. 6, 7 AO, wistra 2001, 361; Tully/Merz, Zur Strafbarkeit der Hinterziehung auslndischer Umsatz- und Verbrauchsteuern nach der nderung des § 370 Abs. 6 AO im JStG 2010, wistra 2011, 121; Weidemann, Vorbereitungshandlung und Versuch bei der Tabaksteuerhinterziehung, wistra 2009, 174; Weidemann, Tabaksteuerstrafrecht, wistra 2012, 1 und 49; Zimmermann, Die Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 1987. Vgl. zum Ganzen auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1525 f.; § 373 AO.
1. EinfÅhrung
10.162 Einfuhrschmuggel in die BRD kommt de facto nur noch Åber die deutschen Hochseehfen oder Flughfen vor.1 Strafrechtlich relevant sind daher wegen § 373 Abs. 4 AO die Flle in denen der Einfuhrschmuggel in einem anderen Mitgliedsstaat mit EU-Außengrenze stattfindet.
10.163 In der Praxis von grÇßter Bedeutung im Bereich des internationalen Steuerrechts sind die Flle der Steuerhinterziehung durch Verbringung und Nichtverzollung bzw. Nichtbesteuerung von Waren. Insbesondere der sog. Zigarettenschmuggel (zum steuerlichen Pflichtenkreis vgl. Rz. 19.18) mit Billigzigaretten aus Russland in das Gemeinschaftsgebiet der EU floriert. Vielfach werden Zigaretten im Wege des sog. Transitschmuggels von Russland Åber Polen/Deutschland, ggf. die Niederlande, Belgien oder Frankreich nach Großbritannien als Endziel geschmuggelt, was angesichts der dortigen Zigarettenpreise2 ußerst lukrativ ist. Teilweise handelt es sich um Lkw-Fahrer, die ihr schmales Gehalt durch die Verbringung relativ kleiner Mengen aufbessern. Vielfach handelt es sich aber um organisierte Banden, die im großen Stil Zigaretten verschieben und im Wege sog. Ameisenkriminalitt Millionenumstze erzielen.
10.164 Neben der klassischen Verbrauchsteuerhinterziehung – z.B. HeizÇlverdieselung und Schwarzbrennen – haben weitere Hinterziehungshandlungen im grenzÅberschreitenden Verkehr mit anderen EU-Mitgliedstaaten große praktische Bedeutung.3 Hinzu kommt, dass auch die Hinterziehung von (harmonisierten) Verbrauchsteuern anderer EU-Mitgliedstaaten in
1 Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 29, der zu Recht darauf hinweist, dass die einzige zollrechtliche EU-Außengrenze zur Schweiz besteht und die in der Regel geschmuggelten Waren dort aber nicht herrÅhren bzw. nicht dort hergestellt werden; zum Ganzen auch Harder in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 22 Rz. 107. 2 Bis zu 9 Euro pro Packung und eine daraus resultierende Gewinnspanne von 800-1000%. 3 Hierzu MÇller/Retemeyer in Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C VI Rz. 1489 ff.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Deutschland unter Strafe gestellt ist (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Das Zollrecht ist in besonderem Maße mit dem europischen Recht verknÅpft.1 2. Erscheinungsformen Schmuggel gem. § 373 AO kommt namentlich in den folgenden Erscheinungsformen vor: – Intelligenzschmuggel, – unrichtige Angaben Åber den sog. Transaktionswert, – unrichtige Angaben Åber die Warenbeschaffenheit/Tarnware2, – Verheimlichen von Waren, – Missbrauch bedingter Zollbefreiungen, – klassischer Schmuggel, – Schmuggel Åber die grÅne Grenze (Landwegtransporte), – Schmuggel im Reiseverkehr.
10.165
3. Tatbestand § 373 AO wurde durch Art 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuregelung der TelekommunikationsÅberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/EG vom 21.12.2007 neugefasst.3 Der Strafrahmen wurde zur Vermeidung von WertungswidersprÅchen erhÇht und die Vorschrift in Abs. 4 um den Verweis auf § 370 Abs. 6 Satz 1 und Abs. 7 AO erweitert, sodass nunmehr auch § 373 AO Einfuhr und Ausfuhrabgaben erfasst, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europischen Gemeinschaften verwaltet werden oder die einem Mitgliedsstaat der Europischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen.
10.166
Der BGH hat klargestellt, dass es sich beim Tatbestand des Schmuggels um eine Qualifikation zu § 370 AO handelt.4 § 373 AO ist mithin nur einschlgig, wenn der Grundtatbestand des § 370 AO oder des § 372 AO er-
10.167
1 Z.B. der gemeinsame Zolltarif, Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates v. 23. 7. 1987, ABl. EG Nr. L 256, 1; sowie Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates v. 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 302 v. 19.10.1992; Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit DurchfÅhrungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. EG Nr. L 253 v. 11.10.1993; zum Zollkodex im Einzelnen Dolfen, EuZW 1993, 754 ff.; Friedrich, StuW 1995, 15 ff.; Witte, Zollkodex6; Vor Art. 1 Rz. 1 ff.; Lux/Sack in Dauses, Hdb. des EUWirtschaftsrechts, C II Rz. 54 ff.; zu den steuerlichen Voraussetzungen vgl. Rz. 19.18 f. 2 Zu den sog. Seehafenfllen vgl. die Darstellung des Ablaufs bei Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 32, ebenso Lipsky in G/J/W, § 370 AO Rz. 202. 3 Einen umfassenden berblick bietend auch Bender in MÅller-Gugenberger/ Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 45. 4 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
fÅllt ist. Liegen die Qualifikationsmerkmale nicht vor, ist die Hinterziehung von Einfuhrabgaben eine Steuerhinterziehung.
10.168 Die tatbestandlichen Voraussetzungen und rechtlichen Konsequenzen auch fÅr den Tatbestand der Steuerhinterziehung seien daher erluternd dargestellt.
10.169 Wer gewerbsmßig Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben (zum Begriff vgl. Rz. 10.144) hinterzieht oder gewerbsmßig durch Zuwiderhandlungen gegen Monopolvorschriften Bannbruch begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer – eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Schusswaffe bei sich fÅhrt (§ 373 Abs. 2 Nr. 1 AO), – eine Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder einen Bannbruch begeht, bei denen er oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich fÅhrt, um den Widerstand eines anderen durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu Åberwinden (§ 373 Abs. 2 Nr. 2 AO) oder – als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung der Hinterziehung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder des Bannbruchs verbunden hat, eine solche Tat begeht (§ 373 Abs. 2 Nr. 3 AO).
10.170 Gem. § 3 Abs. 3 AO sind Einfuhr- und Ausfuhrabgaben1 nach der Legaldefinition des Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK bzw. Art. 5 Nr. 20, 21 UZK Steuern i.S. der AO. Sind durch eine Tat Einfuhrabgaben in großem Ausmaß verkÅrzt, liegt gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO das Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung vor, bei dem ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren erÇffnet ist.2 Dieser Strafrahmen entspricht dem des Schmuggels nach § 373 AO. Tritt ein Merkmal hinzu, das die Tat zum Schmuggel qualifiziert – etwa Gewerbsmßigkeit (§ 373 Abs. 1 AO) – entfaltet der Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO, wenn er ohne das qualifizierende Merkmal anzuwenden wre, eine Sperrwirkung. Deswegen kommt bei einem Schmuggel „in großem Ausmaß“ ein minder schwerer Fall mit einem auf Freiheitsstrafe bis zu fÅnf Jahren oder Geldstrafe verminderten Strafrahmen (§ 373 Abs. 1 Satz 2 AO) nach Ansicht des BGH allenfalls in besonderen Ausnahmefllen noch in Betracht.3 Entsprechend Åbertrgt der BGH die von ihm aufgestellten Grundstze der Strafzumessung bei Hinterziehungsbetrgen in MillionenhÇhe auf den Qualifikationstatbestand des Schmuggels.4
1 Vgl. hierzu und zur Geltung des ZK bzw. UZK auch die AusfÅhrungen zu § 370 Abs. 6 AO unter Rz.10.144. 2 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279 unter Verweis auf BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11. 3 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279. 4 BGH v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, ZWH 2012, 279.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Wird bei dem Verbringen steuerpflichtiger Waren in das Gebiet der BRD nicht mehr gleichzeitig die Zollgrenze der EU Åberschritten, handelt es sich bei den entstehenden Verbrauchsteuern nicht um Einfuhrabgaben i.S. des § 373 AO. Es handelt sich um bloße Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Hinzu kommt eine mÇgliche tateinheitliche Steuerhehlerei hinsichtlich der in einem anderen EU-Mitgliedsstaat verkÅrzten Einfuhrabgaben.1 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage nach einem transnationalen Strafklageverbrauch (Art. 50 GrCh/Art. 54 SD). Der Begriff „Einfuhrabgaben“ i.S. der §§ 373, 370 Abs. 1 AO setzt einen Einfuhrvorgang voraus. Einfuhr ist das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der Europischen Gemeinschaft, und seit der Neufassung des § 373 Abs. 4 AO i.V.m. § 370 Abs. 6 Satz 1 AO ab dem 1.1.2008 auch das Verbringen der Ware (außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens) von einem Mitgliedstaat in den anderen.
10.171
4. Tter In der Vergangenheit war oftmals problematisch, wer als Tter des Schmuggels in Betracht kommt. Abhngig davon, ob beispielsweise die Lkw-Fahrer gut- oder bÇsglubig waren, stelle sich die Frage nach der Strafbarkeit der Hintermnner, die den Schmuggel geplant und gesteuert haben.2
10.172
In den Fllen des §§ 373, 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, ist dies gem. Art. 36b Abs, 3ZK der, der die (summarische) Anmeldung der Waren vornimmt, oder die Person, in deren Namen die Anmeldung abgegeben wird. Von besonderer Bedeutung ist, dass der UZK den Kreis mÇglicher Tter nochmals erheblich erweitert (vgl. Art. 79 Abs. 3/82 Abs. 3 UZK).3
10.173
Hinsichtlich der Mittter oder Hintermnnern gelten die allgemeinen Regeln der Tterschaft und Teilnahme.4 Beim Schmuggel Åber die „GrÅne Grenze“ nach §§ 373, 370 Abs. 1 Nr. 2 AO war bis dato mitunter fraglich und streitig, wer zur Anmeldung verpflichtet ist und demnach als tauglicher Tter in Betracht kommt.5 Bei 1 BGH v. 14.3.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294; BGH v. 14.3.2007 – 5 StR 461/06, wistra 2007, 262. 2 BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NStZ 2001, 421 = StV 2001, 399 = wistra 2001, 298. 3 Zollschuldner soll beispielsweise sein, wer wusste oder vernÅnftigerweise htte wissen mÅssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfÅllt war, und fÅr Rechnung der Person handelte, die diese Verpflichtung zu erfÅllen hatte, oder an der Handlung beteiligt war, die zur NichterfÅllung der Verpflichtung fÅhrte (Abs. 3b); hnliche Bedenken bei Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 27. 4 Hierzu Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 47; vgl. auch Weidemann, wistra 2006, 45 (46); Bender, wistra 2004, 368 (370). 5 Vgl. hierzu auch Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 98 ff.; Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 49.
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10.174
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
der Beteiligung mehrerer ist fÅr jeden gesondert zu prÅfen, ob er als Tter anzusehen ist.
10.175 Die Rechtsprechung entwickelte vor dem Hintergrund des Zollkodexes die Figuren des Verbringers1 und des Verbringers kraft Organisationsgewalt (vgl. auch Art. 36b Abs. 3 ZK).2 Nach Ansicht des BGH verfÅgen auch diejenigen Organisatoren des Transports, die beherrschenden Einfluss auf den FahrzeugfÅhrer haben, indem sie die Entscheidung zur DurchfÅhrung des Transports treffen und die Einzelheiten der Fahrt (z.B. Fahrtroute, Ort und Zeit der Einfuhr) bestimmen, kraft ihrer Weisungsbefugnis Åber die Herrschaft Åber das Transportfahrzeug.3 Die Erwhnung von Fahrer, Beifahrer und weiterer im Fahrzeug befindlicher Personen durch den EuGH stelle keine abschließende Aufzhlung dar.4
10.176 Mit Geltung des Art. 82 UZK ist dieser Streit jedoch entschrft. Die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren sind bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle5 oder an einem anderen von den ZollbehÇrden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in der Freizone unverzÅglich von der Person zu gestellen, die die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht, in deren Namen oder in deren Auftrag die Person handelt, die die Waren in dieses Gebiet verbracht hat und die die Verantwortung fÅr die BefÇrderung der Waren nach dem Verbringen in das Zollgebiet der Gemeinschaft Åbernommen hat (vgl. Art. 36b Abs. 3 ZK). Die Waren kÇnnen auch gestellt werden von einer Person, die die Waren unverzÅglich in ein Zollverfahren ÅberfÅhrt, und vom Bewilligungsinhaber fÅr den Betrieb von Lagersttten oder einer Person, die eine Ttigkeit in einer Freizone ausÅbt. Gestellungspflichtig ist damit bereits de lege lata gem. Art. 40 ZK der Verbringer und derjenige, der Verantwortung fÅr ihre WeiterbefÇrderung Åbernommen hat. Zollschuldner gem. § 79 Abs. 3 UZK und damit mÇglicher Tter einer Steuerhinterziehung bei VerstÇßen ist nach Inkraftreten des UZK gem. Art. 82 Abs. 3 UZK zudem auch: – wer die betreffenden Verpflichtungen zu erfÅllen hatte, – wer wusste oder vernÅnftigerweise htte wissen mÅssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfÅllt war, und fÅr Rechnung der Person handelte, die diese Verpflichtung zu erfÅllen hatte, oder an der Handlung beteiligt war, die zur NichterfÅllung der Verpflichtung fÅhrte,
1 EuGH v. 4.3.2004 – Rs. C-238/02, C-246/02, wistra 2004, 376 mit Anm. Bender, wistra 2004, 368; Weidemann, ZfZ 2005, 354. 2 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 mit zustimmender Anm. Jatzke, ZfZ 2007, 191 und Leplow, PStR 2007, 180; zustimmend auch Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 49; ablehnend Bender, wistra 2007, 309. 3 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 (1296). 4 BGH v. 1.2.2007 – 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 (1296). 5 FÅr eine aktive Tuschung in diesen Fllen Jger in FS Amelung, 447 (452).
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
– wer die betreffenden Waren erworben oder in Besitz genommen hat und zum Zeitpunkt des Erwerbs oder der Inbesitznahme der Waren wusste oder vernÅnftigerweise htte wissen mÅssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfÅllt war. 5. Schadensberechnung Maßstab fÅr die Berechnung der hinterzogenen Abgaben ist in Fllen des Schmuggels und der Steuerhehlerei gem. §§ 373, 374 AO die legale Einfuhr entsprechender Waren.1 FÅr die Entstehung der Zollschuld gelten die Art. 30 ff. ZK. Maßgeblich ist zunchst gem. Art. 30 ZK bzw. Art. 70 UZK der sog. Transaktionswert, d.h. der fÅr die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft/Union tatschlich gezahlte oder zu zahlende Preis. Kann der Transaktionswert nicht bestimmt werden, richtet sich die Bemessung nach Art. 31 ZK bzw. Art. 74 UZK (nachrangige Methoden der Zollwertbestimmung), indem auf vergleichbare Flle abgestellt wird.
10.177
Dem beim abgabenfreien Verkauf zoll- und verbrauchsteuerpflichtiger Waren jeweils erzielten „Schwarzmarktpreis“ kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Anderenfalls wÅrde der illegale EinfÅhrer steuerlich bessergestellt und gerade deshalb gegenÅber dem legalen EinfÅhrer begÅnstigt, weil er sich regelwidrig verhlt, die Waren ohne Gestellung und Anmeldung abgabenfrei in das Unionsgebiet verbringt und infolgedessen entsprechend billiger verkaufen kann.2 Nur wenn die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt werden kÇnnen, dÅrfen selbige unter Beachtung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundstze (§ 261 StPO) vom Tatrichter geschtzt werden.
10.178
6. Qualifikationsmerkmale Hinsichtlich der Qualifikationsmerkmale gelten keine Besonderheiten zu den im Åbrigen StGB verwendeten Begriffen der Gewerbsmßigkeit3, der gewaltsamen oder bandenmßigen Begehung oder dem Verwenden oder BeisichfÅhren von Schusswaffen, Werkzeugen oder sonstigen Mitteln.
10.179
a) Gewerbsmßigkeit Gewerbsmßigkeit liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der Tter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten der fraglichen Art eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; dabei genÅgen auch mittel1 BGH v. 7.6.2004 – 5 StR 554/03, HFR 2005, 66. 2 BGH v. 7.6.2004 – 5 StR 554/03, HFR 2005, 66. 3 §§ 146 Abs. 2, 180a Abs. 1, 2 Nr. 1, 243 Abs. 1 Nr. 3, 253 Abs. 4, 260 Abs. 1 Nr. 1, 260a Abs. 1, 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5, 267 Abs. 3 Nr. 1 StGB, §§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG.
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10.180
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
bare Vorteile.1 Das Merkmal der Gewerbsmßigkeit ist ein besonderes persÇnliches Merkmal, auf das § 28 Abs. 2 StGB Anwendung findet.2 Bei Fehlen in der Person des Tters kommt allein eine Bestrafung aus dem Grunddelikt in Betracht. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln. Bereits die einmalige Tatbegehung ist ausreichend. Beispiel: A, B und C begehen Schmuggel, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, D will bei einer Fahrt bloß seinem Bruder A einen Gefallen tun.
b) Gewaltsame oder bandenmßige Begehung
10.181 § 373 Abs. 2 AO trgt dem Umstand Rechnung, dass bei einer bandenmßigen oder gewaltsamen bzw. bewaffneten Tatbegehung von einer erhÇhten Gefahr fÅr die eingesetzten Beamten und von einer erhÇhten kriminellen Energie auszugehen ist. Die abstrakte Gefhrdung ist ausreichend. Eine Gewerbsmßigkeit ist nicht erforderlich
10.182 Problematisch in der tatschlichen wie rechtlichen Feststellung ist der Nachweis einer Bande. In der Tat ist es so, dass sich vielfach Ttergruppen zur Hinterziehung von Steuern planmßig verbinden und vernetzen. Oftmals werden zur Verschleierung jedoch auch mehr oder weniger gutglubige Unternehmer eingebunden; etwa solche die sich geschftlichen Schwierigkeiten gegenÅbersehen und aus diesem Grund ein Auge zu viel zudrÅcken. Teilweise handelt es sich auch um sog. Kleinunternehmer oder geschftsunerfahrene ExistenzgrÅnder.3
10.183 Hinsichtlich der bandenmßigen Begehung gelten die allgemeinen Grundstze zur Bande.4 Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, kÅnftig fÅr eine gewisse Dauer mehrere selbstndige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen.5 Ein “gefestigter Bandenwille“ oder ein “Ttigwerden in einem Åbergeordneten Bandeninteresse“ ist dabei nicht Voraussetzung. Erforderlich, aber ausreichend fÅr einen bandenmßigen Zusammenschluss mehrerer Personen ist, dass diese sich mit dem Willen verbunden haben, kÅnftig
1 BGH v. 26.6.2012 – 1 StR 289/12, PStR 2012, 212; zum Ganzen auch Bender in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 44 Rz. 212 ff.; Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 7; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 35. 2 BGH v. 10.9.1986 – 3 StR 292/86, wistra 1987, 30; BGH v. 15.3.2005 – 5 StR 592/04, wistra 2005, 227. 3 Vgl. auch die Kritik bei Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG Rz. 21 ff. 4 Vgl. BGH v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266; zum Ganzen auch Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1123; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 75; Fischer61, § 244 StGB Rz. 34 ff.; Bender in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 44 Rz. 214; Tully in G/J/W, § 373 Rz. 7. 5 BGH v. 22.3. 2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321 = NJW 2001, 2266; BGH v. 7.5.2008 – 2 StR 185/08, juris.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
fÅr eine gewisse Dauer mehrere selbstndige im einzelnen noch ungewisse Straftaten der im Gesetz beschriebenen Art zu begehen. Die Bande unterscheidet sich von der Mittterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukÅnftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Von der kriminellen Vereinigung unterscheidet sich die Bande dadurch, dass sie keine Organisationsstruktur aufweisen muss und fÅr sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich ist, diese vielmehr in einer Bande ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven TatausfÅhrung und Beute- oder Gewinnerzielung verfolgen kÇnnen. Die Bandenabrede setzt nicht voraus, dass sich alle Beteiligten gleichzeitig absprechen.1 Sie kann etwa konkludent entstehen oder durch aufeinanderfolgende Vereinbarungen, die eine bereits bestehende Vereinigung von Mitttern zu einer Bande werden lassen, oder dadurch zustande kommen, dass sich zwei Tter einig sind, kÅnftig Straftaten mit zumindest einem weiteren Beteiligten zu begehen, und der Dritte, der durch einen dieser beiden Tter Åber ihr Vorhaben informiert wird, sich der deliktischen Vereinbarung – sei es im Wege einer gemeinsamen bereinkunft, gegenÅber einem Beteiligten ausdrÅcklich, gegenÅber dem anderen durch sein Verhalten oder nur durch seine tatschliche Beteiligung – anschließt. Dabei kann es sich um den Anschluss an eine bereits bestehende Bande handeln; ebenso kann durch den Beitritt erst die fÅr eine Bandentat erforderliche Mindestzahl von Mitgliedern erreicht werden. Die Kenntnis smtlicher Mitglieder untereinander ist nicht erforderlich.2 Indes gelten fÅr die Frage der Zurechnung i.S. des § 25 Abs. 2 StGB die allgemeinen Regeln.3 Mitgliedschaft in einer Bande und die bandenmßige Begehung sind voneinander zu trennen. Bei dem Tatbestandsmerkmal „als Mitglied einer Bande“ handelt es sich im Unterschied zum tatbezogenen Mitwirkungserfordernis um ein besonderes persÇnliches Merkmal. Nur weil jemand Mitglied einer Bande ist, bedeutet dies nicht automatisch auch eine Zurechnung jeder Bandentat.
10.184
Beispiel: A ist Mitglied einer Bande, die sich zur dauerhaften Hinterziehung von Umsatzsteuer verbunden hat, indem flschlicherweise die Lieferung von Kfz im Inland als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt wird. Im Januar 2011 verußern die Beschuldigten auf diese Weise fÅnf Kraftfahrzeuge. A befand sich in dieser Zeit nachweislich im Urlaub. Ein Kontakt zu den Åbrigen oder sonstige Tatbeitrge sind nicht nachweisbar.
Die hufig anzutreffende Argumentation, man habe die Åbrigen Beteiligten nicht persÇnlich gekannt, verfngt. Es brauchen fÅr eine Zurechnung 1 BGH v. 16.6.2005 – 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160. 2 BGH v. 16.12.2003 – 1 StR 297/03, wistra 2004, 265; BGH v. 12.1.2000 – 1 StR 603/99, StV 2000, 259; BGH v. 17.7.1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158 (164). 3 BGH v. 19.1.2012 – 2 StR 590/11, NStZ 2012, 517; BGH v. 10.11.2011 – 3 StR 355/11, NStZ 2012, 518.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
im Steuerstrafrecht auch nicht alle Bandenmitglieder erklrungspflichtig zu sein. Familire Bindungen stehen der Annahme einer Bande ebenso nicht entgegen.1 FÅr den erforderlichen, durch bestimmte Tatsachen zu konkretisierenden “Verdacht“ etwa im Rahmen beantragter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen kommt es auf die sonstigen Umstnde der Tatbegehung an, wie etwa konspirative Vorbereitung oder tatbegleitende Maßnahmen, die auf ein organisiertes Verhalten von mehr als zwei Personen hindeuten.
10.186 FÅr das BeisichfÅhren einer Schusswaffe gelten die von der Rechtsprechung zu § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB (Schwerer Raub) und § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (Bewaffnetes Handeltreiben)2 entwickelten Grundstze. Der Tter muss in derartigen Fllen eine Waffe verfÅgungsbereit bei sich fÅhren. Es gilt der strafrechtliche Waffenbegriff, sodass auch Gaspistolen oder Schreckschusswaffen (sog. PTBs) erfasst sind,3 nicht aber Attrappen oder sog. Softair Pistolen. Die Waffe muss indes funktionsfhig sein, d.h. insbesondere geladen. Eine Gebrauchsabsicht ist nicht erforderlich, die Waffe muss jedoch whrend des Tathergangs ohne weitere Zwischenschritte verfÅgbar und der Tter sich dessen bewusst sein. Im Falle mittterschaftlicher Begehungsweise ist ein entsprechender Vorsatz vonnÇten, d.h. ein Wissen und Wollen des Mittters um die Waffe. Die Vorschrift gilt auch fÅr Dienstwaffentrger (z.B. beteiligte Zollbeamte). Im Fall des § 373 Abs. 2 Nr. 2 AO bedarf es zustzlich einer konkreten Verwendungsabsicht.4 Hier reichen auch ungeladene Waffen, etwa zur Drohung. 7. Konkurrenzen
10.187 Unter Umstnden kommt eine Strafbarkeit wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) in Betracht. Die Vortat ist etwa die Hinterziehung der bei der Einfuhr, z.B. bei der Einfuhr von Zigaretten von Russland nach Polen, angefallenen Einfuhrabgaben, nmlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer.5 Das gilt insbesondere dann, wenn die Taten bereits beendet waren, bevor die Zigaretten nach Deutschland verbracht wurden.6
1 BGH v. 12.7.2006 – 2 StR 180/06, NStZ 2007, 339. 2 Vgl. Fischer61, § 250 StGB; KÇrner, § 30a BtMG; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373 AO Rz. 55 f. 3 BGH v. 4.2.2003 – GSSt 2/02, BGHSt 48, 197; vgl. auch BGH v. 17.6.1998 – 2 StR 167/98, BGHSt 44, 103 = NJW 1998, 2915 4 Zur Verwendung vgl. BGH v. 11.5.1999 – 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92 = NJW 1999, 2198. 5 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644 Rz. 20. 6 Streitig ist, ob der Tatbestand der Steuerhehlerei erst nach Beendigung der Vortat (z.B. Steuerhinterziehung, so etwa BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40; BayObLG v. 11.3.2003 – 4 StR 7/2003, wistra 2003, 315) oder schon im Zeitfenster nach Vollendung aber noch vor Beendigung der Vortat verwirklicht werden kann (so BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, BFH/NV 2013, 493); Engelhardt in H/H/Sp, § 374 AO Rz 17.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).1 Die Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei der Einfuhr von Waren in das Inland und die Hinterziehung der Umsatzsteuer nach Weiterverußerung der nmlichen Waren sind grundstzlich nicht Teil derselben Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO). Beim Schmuggel und der nachfolgenden Hinterziehung von Umsatzsteuer handelt es sich nach Ansicht des BGH um unterschiedliche Taten im materiell-rechtlichen Sinn, die durch unterschiedliche Tathandlungen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in unterschiedlichen Besteuerungsverfahren, bezogen auf unterschiedliche Steuernormen und gegenÅber unterschiedlichen BehÇrden begangen werden.2
10.188
8. Strafzumessung/Verfahren Von besonderer Bedeutung fÅr die Strafzumessung bei der Hinterziehung von Tabaksteuer ist, dass theoretisch in mehreren Lndern Abgaben anfallen, die es zu berÅcksichtigen gilt. Das unionsrechtliche Verbrauchsteuersystem geht fÅr den Fall normgemßen Verhaltens jedoch davon aus, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundstzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Unionsrecht sieht deshalb grundstzlich die MÇglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor.3 Eine Addition der jeweils theoretisch angefallenen Steuern ist daher unzulssig und diesem Umstand im Rahmen der Strafzumessung ausdrÅcklich Rechnung zu tragen.
10.189
In geeigneten Fllen spricht der BGH daher die Empfehlung aus, die Strafverfolgung hinsichtlich der verkÅrzten Abgaben gem. §§ 154, 154a StPO auf den bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Zoll und (oder gar nur) auf die bei dem Verbringen in das deutsche Verbrauchsteuergebiet hinterzogene deutsche Tabaksteuer zu beschrnken.4 Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwen-
10.190
1 BGH v. 28.8.2008 – 1 StR 443/08, NStZ 2009, 159; Schuster/Schultehinrichs in Flore/Tsambikakis, § 374 AO Rz 52; zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO und zu einem mÇglichen Strafklageverbrauch vgl. unter Rz. 3.43, 4.1. 2 BGH v. 4.9.2013 – 1 – StR 374/13, NStZ 2014, 102. 3 BGH v. 9.6.2011 – 1 StR 21/11, juris, unter Verweis auf Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 92/12/EWG des Rates v. 25.2.1992 Åber das allgemeine System, den Besitz, die BefÇrderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren, ABl. EG 1992 Nr. L 76, 1 – “Verbrauchsteuer-Systemrichtlinie“; sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates v. 16.12.2008 Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG sowie die dortigen ErwgungsgrÅnde Nr. 12, 30 und 31; ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 4 BGH v. 9.6.2011 – 1 StR 21/11, juris; BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09; BGH v 29.6.2010 – 1 StR 294/10; vgl. auch Tully in G/J/W, § 373 AO Rz. 77; Lipsky in G/J/W, § 370 AO Rz. 202.
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dung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer.1
XII. Tterschaft und Teilnahme 10.191 FÅr die Frage nach Tterschaft und Teilnahme bei der Steuerhinterziehung gelten respektive der besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen von § 370 AO2 die Regelungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs der §§ 25 ff. StGB.3 Voraussetzung ist in jedem Fall das Vorliegen einer vorstzlich begangenen rechtswidrigen Haupttat. Wie dargelegt (Rz. 3.13), macht es fÅr die Frage der Strafbarkeit keinen Unterschied, wo die Tat begangen wird oder die Teilnahme erfolgt. Mittelbare Tterschaft, Anstiftung oder Beihilfe kÇnnen auch aus dem Ausland heraus erfolgen. 1. Anstiftung
10.192 Als Anstifter wird gleich einem Tter bestraft, wer vorstzlich einen anderen zu dessen vorstzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat (§ 26 StGB). Die Tathandlung besteht in der vorstzlichen Bestimmung eines anderen zur Begehung einer vorstzlichen rechtswidrigen Tat, indem er den anderen zu einer Tat veranlasst, Åber die nicht er selbst, sondern der andere die Tatherrschaft haben soll.4 „Bestimmen“ meint das Hervorrufen des Tatentschlusses durch jedwede Anstiftungshandlung. Erforderlich ist jedoch ein Akt kommunikativer Natur, sodass die bloße Verursachung des fremden Tatentschlusses, etwa durch Schaffung objektiver Tatanreize, nicht genÅgt.5 Ratschlge steuerlicher Berater zum Kapitaltransfer ins Ausland unter Hinweis auf die vermeintlich schwierige Tatentdeckung fallen jedoch darunter.6 Nicht erforderlich ist, dass der Tter die Kausalitt der Anstiftungshandlung fÅr seinen Tatentschluss erkennt. 2. Beihilfe a) Beihilfe durch aktives Tun
10.193 Als Gehilfe wird bestraft, wer vorstzlich einem anderen zu dessen vorstzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat (§ 27 Abs. 1 StGB). Im Internationalen Steuerstrafrecht ist dieses Problematik insofern 1 BGH v. 19. 4. 2007 – 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; Jger, NStZ 2008, 21 (24). 2 BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 87. 3 Zum Ganzen Roxin, Tterschaft und Tatherrschaft, 2006; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 87 ff.; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 20 f. 4 Fischer61, § 26 StGB Rz. 2; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 140. 5 Fischer61, § 26 StGB Rz. 3a, 4. 6 Randt, Steuerfahndungsfall, A 133.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
von Bedeutung, dass das deutsche Stafrecht auch dann Anwendung findet, wenn beispielsweise ein auslndischer Bankmitarbeiter1 einem deutschen Steuerpflichtigen zu dessen inlndischer Steuerhinterziehung aus dem Ausland heraus Hilfe leistet (vgl. auch Rz. 3.12 ff.). Der Gehilfe unterstÅtzt die Tat eines anderen. Die Hilfeleistung braucht nach einhelliger Ansicht fÅr den Taterfolg nicht im engeren Sinne urschlich zu sein. Ausreichend ist schon die bloße FÇrderung oder Erleichterung der Haupttat.2 Maßgeblich fÅr die Beihilfe zur Steuerhinterziehung3 ist die Entscheidung des BGH vom 1.8.2000.4 Zielt das Handeln des Haupttters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“ und es ist nach Ansicht des BGH als „Solidarisierung“ mit dem Tter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadquat anzusehen5. Im Hinblick auf die europische Kapitalverkehrsfreiheit ist jedoch ZurÅckhaltung geboten.6 Das Handeln ist nicht als Beihilfe einzustufen, wenn der Hilfeleistende nicht weiß, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttter verwendet wird. Hlt er es lediglich fÅr mÇglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, ist sein Handeln regelmßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm UnterstÅtzten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung „die FÇrderung eines erkennbar tatgeneigten Tters angelegen sein“ ließ.7 Eine generelle Straflosigkeit von „neutralen“, „berufstypischen“ oder „professionell adquaten“ Handlungen kommt dagegen nicht in Betracht8, da nahezu jede Handlung in einen
1 Vgl. auch den Entwurf eines Gesetzes zur Bekmpfung von Steuerstraftaten im Bankenbereich, BT-Drucks. 17/14324; BR-Drucks. 117/14. Ausweislich der GesetzesbegrÅndung stehen insbesondere „komplizierte Modelle zur Steuerumgehung mit Auslandsbezug“ im Fokus. 2 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 (341); BGH v. 18.4.1996 – 1 StR 14/96, BGHSt 42, 135 (136); Fischer61, § 27 StGB Rz. 2; BGH v. 5.6.2013 – 1 StR 626/12, wistra 2013, 346; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 153 ff. 3 Zur Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Banken vgl. insbesondere Burhoff, PStR 2000, 154 (155); Joecks, WM 1998 Sonderbeilage Nr. 1, 13 f.; LÇwe-Krahl, Steuerhinterziehung bei Bankgeschften2, 18; Wohlers, NStZ 2000, 169; Wohlleben, Beihilfe durch ußerlich neutrale Handlungen, 1996, Rogat, Die Zurechnung bei der Beihilfe, 1997; El Mourabit, Forum Steuerrecht 2013, 11; Gehm, StBW 2013, 558; Wegner, PStR 2013, 212; ausfÅhrlich auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 165 ff. 4 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340; vgl. auch BGH v. 20.9.2000 – 5 StR 729/98, NStZ 2000, 34. 5 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 unter Verweis auf LÇwe-Krahl, wistra 1995, 201 (203). 6 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 174; Samson/Schillhorn, wistra 2001, 1; Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 257 f. 7 BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340. 8 Vgl. auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 24 f.
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10.194
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
strafbaren Kontext gestellt werden kann.1 Entscheidend war fÅr den BGH die systematische Anonymisierung der Geldtransfers und damit eine Verringerung des Entdeckungsrisikos durch den Bankangestellten. In einer neueren Entscheidung besttigt der BGH die von ihm vertretene Sichtweise.2 In Fllen, in denen nicht eine „berufstypische“, sondern vielmehr eine neutrale Alltagshandlung ohne berufstypischen Bezug vorliegt, bedarf die Beurteilung, ob eine strafbare Beihilfe vorliegt, einer besonders eingehenden PrÅfung. Die entwickelten Grundstze zu den berufstypischen neutralen Handlungen sind jedoch auch hier grundstzlich anwendbar.3 Gibt z.B. jemand einem Schwarzgeldempfnger, den er zuvor selbst bestochen hat, konkrete Hinweise, an welche Personen oder Institutionen sich dieser zwecks Geldtransfer und -anlage in der Schweiz wenden kann oder bietet er gar an, den entsprechenden Kontakt herzustellen, dann liegt es nach Ansicht des BGH nahe, dass er sich „die FÇrderung eines erkennbar tatgeneigten Tters angelegen sein“ lsst.4
10.195 Die Frage der Beihilfe wird also in aller Regel auf der subjektiven Seite entschieden und wird daher nicht zuletzt stark durch das Einlassungsverhalten der Beteiligten bestimmt. Handlungen von Bankmitarbeitern, die in der Regel fÅr eine Beihilfe sprechen, sind das gebÅhrenpflichtige Angebot, keine Ertrgnisaufstellungen nach Deutschland zu Åbersenden,5 Beratung Åber Vermeidung inlndischer Steuern durch Geldtransfer ins Ausland unter Verwendung von Aliasnamen,6 die Erteilung von Ratschlgen keine VermÇgenswerte in die Schweiz mitzunehmen, Angebot von Lebensversicherungsmnteln (wraps), Verschleierungsmaßnahmen (Nummernkonto, Alibikonto).7 Nicht erfasst sind aber bankÅbliche Auslandsgeschfte8 und solche Ttigkeiten, die im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben erfolgen.9 In steuerlicher Hinsicht setzt eine Haftung nach § 71 AO ebenfalls voraus, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt ist und dies nach den Vorschriften der AO und FGO,10 nicht aber der StPO, festgestellt ist.11 Insbesondere sind tatschliche Feststellungen etwa dazu von NÇten, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Ertrge erzielt hat, die der Besteuerung im In1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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So bereits Roxin in FS Miyazawa, 1995, 501 (515). BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f. BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 f. BGH v. 18.8.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996. Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 99 f., der von „verschattendem“ Verhalten spricht. BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996. LG DÅsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, juris. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 180. Dannecker/BÅlte in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 2 Rz. 264. BFH v. 5.3.1979 – GrS 5/77, BFHE 127, 140 = BStBl. II 1979, 570. BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BStBl. II 2013, 526; BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; vgl. auch El Mourabit, Forum Steuerrecht 2013, 11; Gehm, StBW 2013, 558; Wegner, PStR 2013, 212; Adick/HÇink, PStR 2013, 146; RÅbenstahl, ZWH 2013, 370.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
land unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklrung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorstzlich gehandelt hat. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch Steuern hinterzieht, existiert nicht.1 b) Psychische Beihilfe Im Rahmen strafrechtlicher Verantwortlichkeit fÅr positives Tun setzt jede Beihilfe – auch die psychische Beihilfe – unabdingbar einen durch Handeln erbrachten Tatbeitrag voraus. In einem „tatenlosen, duldenden“ Verhalten, in der bloßen Anwesenheit bei der TatausfÅhrung kann keine konkludente Billigung der Haupttat gesehen werden. Die bloße Kenntnis von der Begehung der Tat und deren Billigung ohne einen die Tat fÇrdernden Beitrag reicht nicht aus, um die Annahme von Beihilfe zu begrÅnden.2 Denn andernfalls wÅrden die rechtlichen Anforderungen im Hinblick auf die Garantenpflichten beim unechten Unterlassen umgangen und die Strafbarkeit im Bereich der Beihilfe ausgedehnt. In diesen Fllen kommt eine Beihilfe durch Unterlassen nur dann in Betracht, wenn der Gehilfe Garant fÅr das vom Haupttter angegriffene Rechtsgut ist.3 Der BGH wertet Åberdies eine Billigung nur dann als Hilfeleisten, wenn sie gegenÅber dem Tter auch zum Ausdruck gebracht und dieser dadurch in seinem Tatentschluss oder in seiner Bereitschaft, ihn weiterzufolgen, bestrkt wird.4 Erforderlich ist in jedem Fall eine nachweisbare psychische Beeinflussung.5 Zudem verlangt der BGH in den Fllen psychischer Beihilfe, sorgfltige und genaue Feststellungen darÅber, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefÇrdert oder erleichtert wurde und dass sich der Gehilfe dessen bewusst war.6
10.196
c) Beihilfe durch Unterlassen FÅr die Annahme einer Beihilfe durch Unterlassen ist nicht erforderlich, dass die unterlassene Handlung den Taterfolg verhindert htte. Denn zum Tatbestand der Beihilfe durch ttiges Handeln gehÇrt nicht, dass dieses fÅr den Erfolg der Handlung des Haupttters kausal geworden ist, sondern es genÅgt, wenn die Handlung des Haupttters gefÇrdert oder erleichtert wird. Es genÅgt daher fÅr eine Beihilfe durch Unterlassen, dass der Gehilfe in der Lage ist, durch seine Ttigkeit die Vollendung der Tat zu erschweren.7 Die allgemeinen Garantenpflichten spielen grundstzlich nur eine 1 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BStBl. II 2013, 526 unter Verweis auf BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057. 2 BGH v. 24.3.1993 – 2 StR 99/93, NStZ 1993, 385; BGH v. 27.1.2004 – 3 StR 454/03, wistra 2004, 180. 3 OLG Stuttgart v. 17.4.2000 – 2 Ss47/2000, wistra 2000, 392. 4 BGH v. 3.5.1996 – 2 StR 641/95; so auch Cramer/Heine in SchÇnke/SchrÇder29, § 27 StGB Rz. 12; Joecks in MK2, § 27 StGB Rz. 35. 5 Joecks in MK2, § 27 StGB Rz. 35. 6 BGH v. 24.3.1993 – 2 StR 99/93, NStZ 1993, 385. 7 Hoyer in SK, § 27 StGB Rz. 10.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
untergeordnete Rolle, da der behÇrdenfremde BÅrger nicht „HÅter“ des Steueranspruchs ist.1 Die steuerliche Garantenpflicht hat gerade durch § 153 AO eine besondere Ausprgung erfahren, die nicht umgangen werden darf. Nur ausnahmsweise kommt eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht.2 d) Rechtsfolgen der Beihilfe
10.198 Neben einer Anklage oder Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung kommt namentlich bei Beihilfehandlungen von Kreditinstituten die Verhngung einer Geldbuße gem. §§ 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG i.V.m. §§ 149, 150 Abs. 2, 153, 168 AO, § 27 StGB, jeweils i.V.m. den einschlgigen Einzelsteuergesetzen in Betracht.3
XIII. Rechtsfolgen Literatur: Baum, Notwendigkeit der gesonderten Feststellung der hinterzogenen Besteuerungsgrundlagen bei Realsteuern, insbesondere bei hinterzogener Gewerbesteuer, DStR 1996, 416; Binnewies, Beweislastverteilung und Beweisnot im Zusammenhang mit § 160 AO, Stbg 2004, 516; Bornheim, Nachweis der Steuerhinterziehung mittels Schtzung, AO-StB 2004, 138; Burkhard, Umgrenzungs-, Informations- und Akzeptanzfunktion im Strafbefehl im Steuerstrafrecht, StraFo 2004, 342; DÇrn, Schtzung von ZinseinkÅnften bei sog. Luxemburg-Anlagen, D-spezial 2002, 3-5 (32/2002); DÇrn, Steuerhinterziehung in Schtzungsfllen?, NStZ 2002, 189; Erb, Verteidigungsanstze in Schtzungsfllen, SAM 2007, 122; Griesel, Die Schtzung im Steuerstrafverfahren, PStR 2007, 101; Jger, Anforderungen an die Sachdarstellung im Urteil bei Steuerhinterziehung, StraFo 2006, 477; Haas, Das Verhltnis der Schtzungen im steuerlichen Ermittlungsverfahren zum Steuerstrafverfahren, FS 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., 2003, 469; Hild, Berechnung der SteuerverkÅrzung in einem Steuerstrafverfahren, StC 2008, Nr 6, 26; Hild, Progressionsadquate Berechnung vorstzlicher Steuerhinterziehungsbetrge, Stbg 2010, 357; Huber, Weiterentwickelte und neue Methoden der berprÅfung, Verprobung und Schtzung, StBp 2002, 199; Kraztsch, Die Wechselwirkung von Strafverfahren und tatschlicher Verstndigung bzw. Schtzung, PStR 2005, 10; Messner, Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, AktStR 2007, 227; Nack, Revisibilit der BeweiswÅrdigung, StV 2002, 510; OlgemÇller/Reddig, Keine „Schtzung“ einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren – Klarstellende Rechtsprechung des BFH, Stbg 2007, 225; Pump/Fittkau, Kann, darf oder muss die Vorsteuer geschtzt werden?, UStB 2008, 48; Schmidt-Liebig, Die Schtzung im Steuerrecht, NWB Fach 17, 1847 (41/2004); Stahl, Schtzung von KapitaleinkÅnften bei Fehlen plausibler Angaben Åber die Verwendung und den Verbleib von GeldvermÇgen, BeSt 2004, 8; Sterzinger, Umfang der verkÅrzten Steuern bei Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung, UR 2009, 906; Volk, Zur Schtzung im Steuerstraf1 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 162. 2 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 162a. 3 Vgl. LG DÅsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, juris.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung recht, FS fÅr GÅnter Kohlmann zum 70. Geburtstag, 2003, 579; Wegner, Schtzung von Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklrung, PStR 2008, 92; Werner, Hinterziehungsvorwurf trotz Schtzung?, PStR 2003, 4; Weyand, Anforderungen an Urteile wegen leichtfertige SteuerverkÅrzung, Information StW 1994, 94; Wiggen, Die Beweiskraft des Zeitreihenvergleichs, StBp 2008, 168.
1. Vorbemerkung Von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die Frage nach der Steuerhinterziehung selbst ist gerade im Internationalen Steuerstrafrecht die Frage, was nach der Steuerhinterziehung kommt, also den Steuerpflichtigen nach einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage (§ 153a StPO), Erlass eines Strafbefehls (§ 407 StPO), oder Verurteilung erwartet bzw. welche MÇglichkeiten im Falle der Verurteilung verbleiben. Insbesondere vor dem Hintergrund der jÅngeren Rechtsprechung des BGH zur Frage der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung und zu den Anforderungen und Reichweite der strafbefreienden Selbstanzeige ist besonderes Augenmerk auf die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil und die Richtigkeit und Vollstndigkeit der Strafzumessungserwgungen zu legen.
10.199
2. Einstellung gegen Auflagen, § 153a StPO Vor dem Hintergrund der mitunter komplexen steuerrechtlichen (Vor-)Fragen und damit einhergehender Sachverhaltsschwierigkeiten kommt es insbesondere bei internationalen Steuerstrafverfahren Åberproportional hufig zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage. Eine Einstellung des Verfahren nach § 398 AO wegen GeringfÅgigkeit ist eher die Ausnahme. Mit Zustimmung des Gerichts kann jedoch unter Umstnden eine Einstellung nach § 153 StPO in Betracht kommen.1 Eine Einstellung kommt zwar grundstzlich nicht in Betracht, wenn die Klrung einer Rechtsfrage im Raum steht. Es gilt der Grundsatz iura novit curia. Dies gilt auch und insbesondere fÅr die Klrung steuerrechtlich relevanter Vorfragen. Ggf. ist das Verfahren nach § 396 AO auszusetzen. Die Praxis sieht freilich mitunter anders aus und oftmals wird bei internationalen Sachverhalten gerade die komplexe Steuerrechtslage bemÅht, um eine Rechtfertigung fÅr ein Vorgehen nach § 153a StPO zu finden. FÅr die Frage der Schuld sind neben der SchadenshÇhe oder der HÇhe des VerkÅrzungsbetrags insbesondere ein Mitverschulden der FinanzbehÇrde, erhebliche finanzielle Einbußen des Beschuldigten sowie die Komplexitt der (Steuer-)Rechtslage relevant. Auch eine unwirksame Selbstanzeige kann Anlass fÅr eine Einstellung sein. Die jÅngere Rechtsprechung des BGH2 zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung
1 Zu den Voraussetzungen vgl. Peters in Kohlmann, § 398 AO. 2 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71; BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 168/11, BFH/NV 2011, 1468; BGH v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, NZWiSt 2012, 195.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
steht einer Einstellung nach § 153a StPO bei Steuerschden jenseits von 50.000 Euro bei aktivem Tun bzw. 100.000 Euro bei Unterlassen nicht entgegen.1 Es kommt stets auf den Einzelfall an. Die Unschuldsvermutung bleibt von der Einstellung nach § 153a StPO unberÅhrt.2 3. Sachverhaltsdarstellung, Steuerberechnung und Schtzung im Strafurteil a) Anforderungen an die Darstellung der Steuerhinterziehung im Urteil
10.201 An die Darlegung der Steuerhinterziehung im strafgerichtlichen Urteil sind hohe Anforderungen zu stellen. Gleiches gilt, wenn auch in geringerem Umfang, wegen der Umgrenzungsfunktion fÅr die staatsanwaltliche Anklage.3 Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO mÅssen die UrteilsgrÅnde die fÅr erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller ußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehÇrigen inneren Tatsachen in so vollstndiger Weise geschehen, dass in den konkret angefÅhrten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann.4 Dazu gehÇren insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage fÅr die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen).5
10.202 Bei einer Steuerhinterziehung durch Abgabe unrichtiger oder unvollstndiger Steuererklrungen ist der tatschliche Sachverhalt festzustellen, aus dem sich die geschuldete Steuer ergibt. Die UrteilsgrÅnde haben nicht nur die Summe der vorstzlich verkÅrzten Steuern zu beinhalten, sondern auch deren Berechnung im Einzelnen anzugeben.6
10.203 Das Tatgericht ist grundstzlich nicht gehindert, sich den Steuerberechnungen der Finanzverwaltung anzuschließen, die auf festgestellten Besteuerungsgrundlagen aufbauen. Im Urteil muss dann aber zweifelsfrei
1 Von einer Grenze von 50.000 Euro ausgehend wohl Voßmeyer/Hammes, Stgb 2009, 62 (65). 2 BVerfG v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90, MDR 1991, 891; BVerfG v. 6.12.1995 – 2 BvR 1732/95, NStZ-RR 1996, 168; OLG Frankfurt v. 12.7.1996 – 1 Ws 82/96, NJW 1996, 3353 (3354). 3 Vgl. hierzu BGH v. 27.5.2009 – 1 StR 665/08, NStZ-RR 2009, 340; BGH v. 16.5.2013 – 1 StR 68/13; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 516/13; restriktiver Salditt, Die Tat bei der Hinterziehung von Einkommensteuer, in FS Volk, 2009, 637 (647); Burkhard, StraFo 2004, 342; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 411 ff., zu den Beweisgrundstzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff. 4 OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08. 5 BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639. 6 OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 7.4.1978 – 5 StR 48/78.
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eine eigenstndige Steuerberechnung erkennbar sein.1 Insoweit bedarf es einerseits der Feststellung, welche Steuern seitens der FinanzbehÇrden zu welchem Zeitpunkt festgesetzt wurden (sog. Ist-Steuer). Weiter ist erforderlich, dass zum einen der tatschliche Sachverhalt festgestellt wird, aus dem die von Gesetzes wegen geschuldete Steuer folgt (sog. Soll-Steuer). Zum anderen ist die Soll-Steuer als solche festzustellen. Aus der GegenÅberstellung von Soll- und Ist-Steuer ergibt sich dann die verkÅrzte Steuer.2 Beispiel: Beispielsweise reicht die bloße Bezugnahme auf die Aussage einer BetriebsprÅferin, wonach diese ihren PrÅfbericht und die darin errechneten Spekulationsgewinne erlutert habe, weder aus, um die SteuerverkÅrzungstatbestnde fÅr das Revisionsgericht nachvollziehbar und ÅberprÅfbar darzulegen, noch ist sie ein Beleg dafÅr, dass das Landgericht sich tatschlich eigenstndig vom Vorliegen aller die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 AO ausfÅllenden Tatsachen, d.h. dem tatschlichen Vorliegen von Wertpapieranschaffungs- und -verußerungsgeschften eine richterliche berzeugung gebildet hat.
b) Schtzung im Urteil Die Steuerhinterziehung selbst kann nicht geschtzt werden3, wohl aber die HÇhe der verkÅrzten Steuer.4 Die Schtzung von Besteuerungsgrundlagen im Strafverfahren ist zulssig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfÅllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist. Dies gilt auch und gerade dann, wenn Belege nicht mehr vorhanden sind. Eine fehlende Buchhaltung befreit nicht von strafrechtlicher Verantwortung. Dies gilt auch dann, wenn keine handelsrechtliche BuchfÅhrungspflicht besteht.5
10.204
Zur DurchfÅhrung der Schtzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten Schtzungsmethoden einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung.6 In den UrteilsgrÅnden ist nachvollziehbar darzulegen, wie das Gericht zu den Schtzungsergebnissen gelangt ist.7 Die Schtzung obliegt dem Tatrichter selbst. Er darf Schtzungen der FinanzbehÇrden nur
10.205
1 OLG MÅnchen v. 15.2.2011 – 4 StRR 167/10, juris unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08. Vgl. auch die Nachweise bei Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 456 ff. 2 BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639. 3 OlgemÇller/Reddig, Stbg 2007, 225. 4 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007, 589–590; zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 480 ff. 5 BGH v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09, wistra 2011, 28. 6 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, BGHR AO § 370 Abs. 1, Steuerschtzung 3 unter Verweis auf Jger, StraFo 2006, 477 (480 f.) und Joecks, wistra 1990, 52 (54). 7 BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00 unter Verweis auf BGH v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08 – Rz. 11 ff., BGHR StPO § 267 Abs. 1, Steuerhinterziehung 1; vgl. auch BGH v. 25.3.2010 – 1 StR 52/10.
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dann Åbernehmen, wenn er von ihrer Richtigkeit unter BerÅcksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundstze (§ 261 StPO) Åberzeugt ist.1 In jedem Fall hat der Tatrichter in den UrteilsgrÅnden fÅr das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, wie er zu den Schtzungsergebnissen gelangt ist.2 Die bernahme einer Schtzung der FinanzbehÇrden kommt nur dann in Betracht, wenn der Tatrichter diese eigenverantwortlich nachgeprÅft hat und von ihrer Richtigkeit auch unter BerÅcksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden strafrechtlichen Verfahrensgrundstze Åberzeugt ist.3 Anzumerken ist, dass das Gericht bei einer bestreitenden Einlassung ohne weitere Anhaltspunkte fÅr Richtigkeit dieser Darstellung im Hinblick auf die Wahl einer geeigneten Schtzmethode nicht allein deshalb Glauben schenken muss, weil es die Behauptung nicht widerlegen kann.4 4. Strafzumessung bei Steuerhinterziehung
10.206 Im Internationalen Steuerrecht werden oftmals hohe Steuerschden verursacht, insbesondere in Stiftungsfllen, bei grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen oder bei Unternehmen, etwa bei Verlagerung von EinkÅnften ins Ausland. Die Strafzumessung im Steuerstrafrecht folgt dabei grundstzlich den gleichen Regeln und Grundstzen wie im allgemeinen Strafrecht. Angesichts des geschÅtzten Rechtsguts (hierzu Rz. 10.2) kommt jedoch der Generalprvention strkere Bedeutung zu.5 a) berblick
10.207 Die Grundstze der Strafzumessung sind in § 46 StGB normiert. § 46 Grundstze der Strafzumessung (1) Die Schuld des Tters ist Grundlage fÅr die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe fÅr das kÅnftige Leben des Tters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berÅcksichtigen. (2) Bei der Zumessung wgt das Gericht die Umstnde, die fÅr und gegen den Tter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
– die BeweggrÅnde und die Ziele des Tters, – die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
1 St. Rspr., vgl. nur BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209 (211); BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 2 BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 461/04, NStZ-RR 2005, 209 (211); BGH v. 26.4.2001 – 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 3 BGH v. 26.4.2001 –- 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 (309). 4 BGH v. 18.8.2009 – 1 StR 107/09 – Rz. 18; BGH v. 4. 12. 2008 – 1 StR 327/08 – Rz. 8; BGH v. 21.10.2008 – 1 StR 292/08 – Rz. 24; BGH v. 1.7.2008 – 1 StR 654/07 – Rz. 22; BGH v. 19.6.2008 – 1 StR 217/08 – Rz. 19; BGH v. 8.5.2008 – 3 StR 102/08 – Rz. 9. 5 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1005.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
– das Maß der Pflichtwidrigkeit, – die Art der AusfÅhrung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, – das Vorleben des Tters, seine persÇnlichen und wirtschaftlichen Verhltnisse sowie
– sein Verhalten nach der Tat, besonders sein BemÅhen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das BemÅhen des Tters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. (3) Umstnde, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dÅrfen nicht berÅcksichtigt werden.
Bei der Strafzumessung wegen Steuerhinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der erforderlichen GesamtwÅrdigung besonderes Gewicht.1 „Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen fÅr das durch die Strafnorm geschÅtzte Rechtsgut, das – wie dargelegt (Rz. 10.2) – nach Auffassung des BGH die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und vollstndigen Steueraufkommens2, weshalb die HÇhe der verkÅrzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S. des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO ist.3 Ungeachtet dessen ist im Einklang mit der jÅngeren Rechtsprechung des BGH eine tarifmßige Berechnung allein anhand der SchadenshÇhe zu verneinen und vielmehr auf die in § 46 StGB normierten Kriterien abzustellen.
10.208
Bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhngung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen MilderungsgrÅnden noch schuldangemessen sein. Gleichwohl kommt auch bei Hinterziehungsbetrgen in MillionenhÇhe entgegen der hÇchstrichterlichen Rechtsprechung auch weiterhin eine aussetzungsfhige Freiheitsstrafe bei Vorliegen besonders gewichtiger MilderungsgrÅnde noch in Betracht.4
10.209
1 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71; zum Ganzen Jger, DStZ 2012, 737; Gehm, StVW 2012, 1184 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1019.1. 2 RG v. 16.6.1925 – I 188/25, RGSt 59, 258 (262); RG v. 19.2.1931 – II 487/30, RGSt 65, 165 (169); BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102); BGH v. 25.1.1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 (5); Blumers/GÇggerle, Hdb. Steuerstrafverfahren2, Rz. 272; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 43; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 14; Kohlmann/Sandermann, StuW 1974, 221 (229); Lang, StuW 2003, 289 (290); Grunst, Steuerhinterziehung durch Unterlassen, 35; Krieger, Tuschung Åber Rechtsauffassungen, 90; zum Ganzen auch Suhr, Rechtsgut der Steuerhinterziehung. Wobei jedoch innerhalb der herrschenden Meinung danach differenziert wird, ob das Steueraufkommen der jeweiligen Steuerart geschÅtzt ist oder das gesamtstaatliche Interesse am vollstndigen und rechtzeitigen Aufkommen. 3 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 unter Verweis auf BGH v. 18.3.1998 – 5 StR 693/97, wistra 1998, 269 (270). 4 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = NJW 2009, 528, vgl. hierzu Wulf, DStR 2009, 459; Schwedhelm/Talaska, GmbH-StB 2011, 54; TrÅg, IBR 2009, 117; Stahl, KSDI 2009, 531; Bilsdorfer, NJW 2009, 476; Salditt, PStR 2009, 15.
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10.210 Denn entscheidend ist stets eine GesamtwÅrdigung von Tat, Tter und den verschuldeten Auswirkungen, wobei stets im Auge zu behalten ist, dass die Indiziwirkung von Regelbeispielen erschÅttert oder das Regelbeispiel wiederlegt werden kann.1
10.211 Die Strafzumessung ist Sache des zur Aburteilung berufenen Tatrichters und den Vorgaben von § 46 StGB entsprechend durchzufÅhren.2 Eine statische „Millionengrenze“ oberhalb derer eine aussetzungsfhige Bewhrungsstrafe nur in Ausnahmefllen in Betracht kommt, kann schon de lege lata keine Anerkennung beanspruchen. Denn allein die HÇhe der hinterzogenen Betrge besagt noch nichts Åber den individuellen Schuldvorwurf. Beispiel: A unterhlt Åber 20 Jahre hinweg ein Depot in der Schweiz, welches er mit nicht versteuerten Geldern aus illegalen Waffengeschften fÅllt. Die daraus resultierenden Kapitalertrge erklrt A in Deutschland nicht. A verstirbt und es beerbt ihn seine 65jhrige in wirtschaftlichen und steuerlichen Dingen vÇllig unbedarfte und im brigen nicht vorbestrafte Frau, die allein aus Angst nichts unternimmt und das Depot nicht anrÅhrt. Vier Jahre spter stellt sich im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens heraus, dass Depot einen Wert von 50 Mio. Euro aufweist, nachdem sich der Wert in den letzten vier Jahren ohne Zutun der Frau aufgrund geschickter Anlage verdoppelt hat.
10.212 Warum im Fall eines Gestndnisses nebst einer unmittelbaren Zahlung der Steuer inkl. smtlicher Zuschlge ein Strafbefehl ungeeignet sein soll, erschließt sich nicht. Der individuell anzulastende Schuldvorwurf bestimmt sich allein Åber die Tatsache, dass die gebotene Erklrung nicht abgegeben wurde. Auf die HÇhe des Taterfolgs hatte das Verhalten der Frau keinen Einfluss.
10.213 FÅr den Bereich des Internationalen Steuerstrafrechts relevant ist zudem, dass die gezielte Schaffung schwer aufklrbarer Auslandssachverhalte strafschrfend wirken soll.3 Es sind jedoch stets ergnzend die europischen Grundfreiheiten zu achten, sodass ohne weitere Anhaltspunkte keine nachteiligen SchlÅssen zu ziehen sind. Im Rahmen von Umsatzsteuerkarussellen kann bei den einzelnen Beteiligten, bei Kenntnis von Struktur und Funktionsweise, der durch das System verursachte Gesamtschaden als Grundlage fÅr die Strafzumessung herangezogen werden.4
1 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (85); BGH v. 5.5.2011 – 1 StR 116/11, wistra 2011, 347; BGH v. 12.7.2011 – 1 StR 81/11, wistra 2011, 396. 2 Zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1005. 3 BGH v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, NJW 2009, 3379; vgl. auch Jger, DStZ 2012, 737 (740) unter Verweis auf BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 (86). 4 BGH v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1029.13.
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b) Geldstrafe neben Freiheitsstrafe Hat der Tter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht, so kann gem. § 41 StGB neben einer Freiheitsstrafe eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhngt werden, wenn dies auch unter BerÅcksichtigung der persÇnlichen und wirtschaftlichen Verhltnisse des Tters angebracht ist. Die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe sind nach dem Gesetz gleichwertig in dem Sinne, dass ein Tagessatz Geldstrafe einem Tag Freiheitsstrafe entspricht. Die Regelung des § 41StGB bewirkt keine Strafrahmenverschiebung und stellt auch keine Zusatzstrafe dar.
10.214
Im Hinblick auf die von der Strafe ausgehende Wirkung fÅr das zukÅnftige Leben des Tters ist durch das erkennende Gericht stets zu prÅfen, ob eine Freiheitsstrafe, die noch zur Bewhrung ausgesetzt werden kann, in Verbindung mit einer anderen Sanktion, insbesondere einer Geldstrafe, noch der Schuld angemessen ist. Geld- und Freiheitsstrafe dÅrfen dabei beliebig miteinander kombiniert werden, solange die Kombination das Maß des Schuldangemessen erreicht.
10.215
Eine solche Kombination ist selbst aber auch insbesondere dann mÇglich, wenn ohne die zustzliche Geldstrafe eine nicht mehr aussetzbare Freiheitsstrafe erforderlich wre.1
10.216
Eine zustzliche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe sieht das Gesetz vornehmlich fÅr Flle vor, in denen es nach der Art von Tat und Tter zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, diesen nicht nur an der Freiheit, sondern darÅber hinaus auch am VermÇgen zu treffen.2 Bei einer Steuerhinterziehung liegt eine persÇnliche Bereicherung vor.3 Aus der Entstehungsgeschichte folgerte auch der BGH seinerzeit, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 41 StGB gerade bei § 370 AO in weiterem Umfang als nach der damaligen Fassung des 2. StrRG mÇglich angewandt wissen wollte.4 Diese Grundstze gelten auch vor dem Hintergrund der jÅngeren Rechtsprechung zur Verschrfung der Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung.
10.217
FÅr die Verteidigung bietet sich Åber die in der Praxis mitunter weniger bekannte Norm des § 41 StGB die MÇglichkeit, auch bei der Hinterziehung hÇherer Summen noch die Verhngung einer bedingten Freiheitsstrafe zu erreichen.
10.218
Beispiel: A hinterzog in den Jahren 2009-2012 insgesamt 3,5 Mio. Euro, indem er auslndische KapitaleinkÅnfte und Spekulationsgewinne nicht erklrte. Die Selbst-
1 BGH v. 17.9.1997 – 2 StR 317/97, StV 1997, 633. 2 Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses fÅr die Strafrechtsreform zum Entwurf eines StGB, BT-Drucks. V/4095, 21, 22. 3 Fischer61, § 41 StGB Rz. 4. 4 BGH v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60 (64) = NJW 1984, 2170 (2171).
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Kapitel 10
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anzeige schlug fehl und das Gericht sieht sich an der Verhngung einer Verhngung einer Bewhrungsstrafe durch die Rechtsprechung des BGH gehindert. Das Gericht verhngt daher eine Freiheitsstrafe von insgesamt zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewhrung aussetzt. Daneben urteilt das Gericht eine (Gesamt-)Geldstrafe von 720 Tagesstzen aus.
10.219 Im Fall des Widerrufs der Bewhrung und Nichtzahlung der Geldstrafe wren rechnerisch vier Jahre Freiheitsstrafe zu vollstrecken. c) Strafzumessung bei Steuerhinterziehung Åber auslndische Familienstiftung
10.220 Dass die Strafzumessungsregeln des BGH zur Steuerhinterziehung nicht statisch sind, beweist die Entscheidung des LG Bochum vom 26.1.2009.1 Der dortige Angeklagte hinterzog Åber eine liechtensteinische Familienstiftung in den Jahren 2002-2006 einen Gesamtbetrag in HÇhe von 967.815,85 Euro. Das Landgericht Bochum verurteilte ihn wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewhrung aussetzte und stÅtzte das Strafmaß im Wesentlichen auf folgende Punkte: – Gesamtbild der Tat nicht derart schwerwiegend; – keine Vorstrafen; – Alter des Angeklagten; – anzuerkennende Lebensleistung; – frÅhzeitiges von Reue und Einsicht getragenes Gestndnis; – aktive Mitwirkung im Strafverfahren; – Åber die Ermittlungen hinausgehende Angaben; – Schadenswidergutmachung vor Beginn der Hauptverhandlung; – Åberwiegende Steuerehrlichkeit des Verurteilten; – massives Çffentliches Interesse an der Person des Angeklagten; – negative berufliche Konsequenzen. 5. Tter-Opfer-Ausgleich bei der Steuerhinterziehung
10.221 Von Bedeutung fÅr die Strafzumessung kann – wie sonst auch – sein, ob bereits ein Tter-Opfer-Ausgleich stattgefunden hat. Die Anwendbarkeit des § 46a StGB wird von der Rechtsprechung mit der Argumentation bestritten, dass der Gesetzgeber mit § 46a Nr. 1 StGB zwar den Ausgleich der immateriellen Tatfolgen intendiere, dies aber ausgeschlossen sei, wenn das geschÅtzte Rechtsgut dem Staat bzw. der Allgemeinheit zustehe.2 Offengelassen wurde jedoch ausdrÅcklich, ob die Nachzahlung von Steuern Åberhaupt ein Fall der Schadenswiedergutmachung i.S. von § 46a Nr. 2 StGB sein kann. Zudem ist zu bemerken, dass die in dem Urteil des
1 LG Bochum v. 26.1.2009 – 12 KLs 350 Js 1/08, juris 2 BayObLG v. 28.2.1996 – 4 StR 33/96, wistra 1996, 152.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
BayObLG zitierte BGH-Entscheidung sich auf einen Fall der Vergewaltigung bezog, sich der BGH also nicht explizit zur Steuerhinterziehung ußerte. Jedoch geht der BGH in einer spteren Entscheidung davon aus, dass § 46a Nr. 1 StGB im Fall der Steuerhinterziehung unanwendbar sei1 und beruft sich hierbei auf die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Aus dem wissenschaftlichen Umfeld wird mitunter befÅrchtet, dass bei einer Anwendung der Vorschrift des § 46a StGB im Steuerstrafrecht die Motivation fÅr die Erstattung von Selbstanzeigen untergraben werde, insbesondere weil dann der Tter auch nach Eingreifen eines Ausschlussgrundes gem. § 371 Abs. 2 AO noch mit einer Privilegierung rechnen kÇnne.2 Daher mÅsse § 371 AO als lex specialis die allgemeine Regelung des § 46a StGB verdrngen. FÅr eine Anwendung des § 46a StGB spricht vielmehr die immer strker werdende Akzentuierung der Opferperspektive und die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich nicht auf bestimmte Deliktsgruppen beschrnkt hat.3 Durch die Anwendung der Vorschrift wird auch der Wirkungsbereich des § 371 AO und die dort durch die AusschlussgrÅnde gezogenen Grenzen nicht unterlaufen. Dies ist schon deswegen kaum zu befÅrchten, weil § 46a StGB – nur fakultativ – die MÇglichkeit einer Strafmilderung bzw. des Absehens von Strafe erÇffnet, whrend § 371 AO im Fall der rechtzeitigen Erstattung der Selbstanzeige vÇllige Straffreiheit garantiert.4 Neuerdings geht auch die untergerichtliche Rechtsprechung von einer Anwendbarkeit aus. In dem Urteil des LG Hildesheim vom 6.8.2009 heißt es:5 „Entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung (Nachweise b. Fischer, a.a.O., Rz. 8 zu § 46a StGB) ist § 46a Nr. 2 StGB auch auf Steuerstraftaten anwendbar. Anders als die nach ihrem Wortlaut (,Tter-Opfer-Ausgleich‘) auf Straftaten mit individuellen Opfern beschrnkte Regelung des § 46a Nr. 1 StGB ist die Regelung des § 46a Nr. 2 StGB, die dem materiellen Ausgleich des durch die Tat angerichteten Schadens dient, auch auf Delikte zum Nachteil der Allgemeinheit anwendbar (Fischer a.a.O.). Ein genereller Ausschluss der Anwendung dieser Regelung auf Steuerstraftaten ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar; der Gesetzgeber hat auch nicht etwa eine diesbezÅgliche Sonderregelung in der AO getroffen. Zwar ist jedenfalls die bloße Bereitschaft, hinterzogene Steuern nachzuzahlen, fÅr die Anwendung des § 46a Nr. 2 StGB nicht ausreichend (vgl. BGH wistra 2001, 22, 23 f.); der Tter muss einen Åber die rein rechnerische Kompensation hinaus gehenden Beitrag erbringen (BGH wistra 2000, 95 f.; wistra 2001, 22, 23 f.).“
1 BGH v. 25.10.2000 – 5 StR 399/00, NStZ 2001, 2000. 2 Blesinger, wistra 1996, 152. 3 Schwedhelm/Spatscheck, DStR 1995, 1450; Brauns, wistra 1996, 214; RÅbenstahl in Flore/Tsambikakis, § 46a StGB Rz. 7 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1059.2. 4 Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1059.2; so auch Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 240. 5 LG Hildesheim v. 6.8.2009 – 25 KLs 4222 Js 21594/08, NdsRpfl 2009, 432.
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Kapitel 10
Steuerhinterziehung
6. Sonstige Nebenfolgen
10.223 Die Nebenfolgen der Steuerhinterziehung sind in § 375 AO normiert und setzen zunchst eine Freiheitsstrafe von einem Jahr voraus.1 a) Passentzug
10.224 Nach § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Passgesetzes (PassG) kann dem Steuerpflichtigen der Pass entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen wÅrden.2 Beispiel: A gibt die steuerpflichtige Verußerung seines Betriebs, des von ihm genutzten Eigenheims und diverser GrundstÅcke in HÇhe von 10 Mio. Euro ordnungsgemß gegenÅber dem Finanzamt an, zahlt die festgesetzten Steuern jedoch nicht. Er verschweigt zudem die rÅckdatierte Abmeldung beim Einwohnermeldeamt, den Erwerb eines HausgrundstÅcks in der Schweiz und die Verbringung seines Mobiliars dorthin.
10.225 Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG ist ein Pass u.a. dann zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begrÅnden, dass sich der Passbewerber seinen steuerlichen Verpflichtungen entziehen will. Ausreichend sind bereits erhebliche SteuerrÅckstnde und das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG, nmlich der Steuerfluchtwille.3 b) Verlust Çffentlicher mter etc.
10.226 § 375 AO Nebenfolgen (1) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen 1. 2. 3. 4.
Steuerhinterziehung, Bannbruchs nach § 372 Abs. 2, § 373 Steuerhehlerei oder BegÅnstigung einer Person, die eine Tat nach den Nummern 1 bis 3 begangen hat,
kann das Gericht die Fhigkeit, Çffentliche mter zu bekleiden, und die Fhigkeit, Rechte aus Çffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs). [ . . .]
1 Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1175; Schuster/Schultehinrichs/Ebner in Flore/Tsambikakis, § 375 AO Rz. 1 ff. 2 Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1175; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 614. 3 OVG Berlin-Brandenburg v. 28.2.2006 – OVG 5 S 52.5, juris.
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C. Tathandlung der Steuerhinterziehung
Auch die Entziehung der Gewerbeerlaubnis, der Gaststttenerlaubnis und des Waffenscheins kommen bei der Steuerhinterziehung in Betracht.1 Gleiches gilt fÅr Jagdscheine. c) Einziehung
10.227
§ 375 AO Nebenfolgen [ . . .] (2) Ist eine Steuerhinterziehung, ein Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 AO oder eine Steuerhehlerei begangen worden, kÇnnen 1. die Erzeugnisse, Waren und andere Sachen, auf die sich die Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben im Sinne des Artikels 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes, der Bannbruch oder die Steuerhehlerei bezieht, und 2. die BefÇrderungsmittel, die zur Tat benutzt worden sind, eingezogen werden. [ . . .]
Dem Tter sollen, wie sonst auch, die Vorteile seiner Tat nicht verbleiben und auch etwaige Tatmittel sollen eingezogen werden, um weitere, gleichgelagerte Straftaten zu verhindern.
10.228
Beispiel: Einziehung unverzollter Zigaretten samt Transport-Lkw; Kfz bei Umsatzsteuerkarussell.
7. Verfolgungsverjhrung In den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–5 AO genannten Fllen besonders schwerer Steuerhinterziehung betrgt die Verjhrungsfrist zehn Jahre. Im brigen gilt die regelmßige Verjhrungsfrist von fÅnf Jahren. Bei der Steuerhinterziehung durch aktives Tun in Zusammenhang mit Veranlagungssteuern ist die Tat beendet mit der Bekanntgabe des (ersten) unrichtigen Steuerbescheids. Daher beginnt die Verjhrung in den Fllen der Veranlagungssteuern mit der Bekanntgabe der unrichtigen Steuerfestsetzung an den Steuerpflichtigen. Eine Unterlassungstat ist bei Veranlagungssteuern beendet, wenn das zustndige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk fÅr den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat. Bei Flligkeitssteuern ist die SteuerverkÅrzung eingetreten, wenn der Tag der gesetzlichen Frist verstrichen ist und keine ausdrÅckliche Fristverlngerung gewhrt wurde. Die Verjhrung wird unterbrochen durch die erste Vernehmung des Beschuldigten oder die Anordnung der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder Bußgeldverfahrens (§ 376 AO). Die interne, schriftliche, in den Geschftsgang gelangte Anordnung genÅgt. Wegen dieser Wirkung gilt es die Anordnung 1 VG Berlin v. 4.5.2011 – 1 K 257/10, juris; zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1178; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 614 ff.
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10.229
Kapitel 10
Steuerhinterziehung
stets genau auf Ihre inhaltliche Wirksamkeit und Reichweite zu ÅberprÅfen.
10.230 Die Verfolgungsverjhrung ist whrend der Aussetzung des Strafverfahrens nach § 396 AO gehemmt. Andernfalls htte es der Beschuldigte in der Hand durch VerzÇgerung des Steuerverfahrens, das Strafverfahren zum Erliegen zu bringen.
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Kapitel 11 Selbstanzeige
A. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz. 11.1
B. Voraussetzungen der Selbstanzeige I. Tatsachenvortrag . . . . . . . . . . .
11.3
II. Abgabe der Selbstanzeige durch Vertreter . . . . . . . . . . . . .
11.7
III. Transfer von Unterlagen aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . .
11.8
IV. Form der Selbstanzeige . . . . . . 11.14 V. Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.15 VI. Abgrenzung zur Berichtigungspflicht von Erklrungen (§ 153 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . 11.16 C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige . . . . . . . . . . . 11.19 I. Unverjhrte Steuerstraftaten . 11.21 II. Vollstndigkeitsgebot . . . . . . . 1. Gestufte Selbstanzeige . . . . . . 2. Vollumfngliche Berichtigung unrichtiger Angaben einer Steuerart a) Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstndigkeit der Nacherklrung und geringfÅgige Abweichungen . . . . . . . . . . 3. Selbstanzeige nach der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Selbstanzeige bei StiftungsvermÇgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.22 11.23
11.26
11.29 11.33 11.35
III. Nachzahlung der Steuern innerhalb der Frist . . . . . . . . . . . . 11.36
a
Rz. III. Erscheinen der FinanzbehÇrde (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.45 IV. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) 1. Begriff der Tatentdeckung . . . . 2. Reichweite der Tatentdeckung. 3. Auslandsspezifische Besonderheiten bei der Frage nach der Tatentdeckung . . . . . . . . . . . . . a) Kontrollmitteilungen . . . . . b) Mediale Tatentdeckung/ Ankauf von Steuer-CDs . . . c) Grenzkontrollen . . . . . . . . . d) Tatentdeckung durch auslndische Amtstrger . . . . . e) Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . .
11.46 11.50
11.53 11.54 11.55 11.57 11.58
11.60
V. Subjektives Moment . . . . . . . . 11.61 VI. Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund von Verwertungsverboten . . . . . . . . . . 11.63 E. Selbstanzeige bei Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.64 I. Selbstanzeige Åber 50.000 Euro (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO) . . 11.66 II. Altflle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.69 III. Selbstanzeige und Verbandsgeldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.70 F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) . . . . . . . . 11.74
D. SperrgrÅnde . . . . . . . . . . . . . . . . 11.40
G. Selbstanzeige bei leichtfertiger SteuerverkÅrzung . . . . . . 11.77
I. Bekanntgabe der AußenprÅfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) . . . . . . . . . . . . . . 11.41
H. Umfang der Sperrwirkung . . . . 11.78
II. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) . . . . . . . . . . . . . . 11.44
I. Fertigung der Selbstanzeige vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung und der gesetzlichen Neufassung . . . . 11.80
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Kapitel 11
Selbstanzeige
Rz. J. Verwendung der Selbstanzeige fÅr sonstige Straftaten . . . . . . . 11.85
a
Rz. K. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.87
Literatur: Adick, Zur Neuregelung der Selbstanzeige (§ 371 AO) im Jahr 2011, HRRS 2011, 197; Alvermann, Die verdeckte Stellvertretung bei der Selbstanzeige – Chancen und Risiken, Stbg 2008, 544; Bader/Zlimnig, Bargeldverkehr im Dreilndereck Deutschland – sterreich – Schweiz, PStR 2010, 298-302; Beyer, Auskunftspflichten von Kapitalanlegern bei Fragen der ErmittlungsbehÇrden betreffend Bankmitarbeiter, Stbg 2011, 32; Beyer, Neuregelung der Selbstanzeige, AO-StB 2011, 119; Bielefeld/Sumecova, Neue „Tischordnung“ bei der Selbstanzeige – keine Einladung mehr zur Teilselbstanzeige, StB 2010, 311; Binnewies, GmbH-GeschftsfÅhrer in Bedrngnis? Die Einschrnkung der Selbstanzeige, GmbHR 2010, R 257; Breyer, Der Inhalt der strafbefreienden Selbstanzeige, 1999; Bron/Seidel, Informationsaustausch, Datenkauf sowie Selbstanzeige bei Stiftungs- und Truststrukturen, ErbStB 2010, 111; BÅlte, Der strafbefreiende RÅcktritt vom vollendeten Delikt: Partielle Entwertung der strafbefreienden Selbstanzeige gemß § 371 AO durch § 261 StGB? ZStW 122, 550 (2010); Eigenthaler, Grundprobleme der Selbstanzeige im Sinne von § 371 AO, StW 2010, 32; Engelhardt/Loose, Der spteste Zeitpunkt fÅr eine Selbstanzeige, AO-StB 2009, 273; Erb, Selbstanzeige: Berufsrechtliche Konsequenzen fÅr Rechtsanwlte und Steuerberater, PStR 2008, 17; Faiß, Kann die SelbstanzeigemÇglichkeit nach abgeschlossener AußenprÅfung wieder aufleben?, PStR 2010, 73; Fehling/Rothbcher, Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige durch Medienberichte?, DStZ 2008, 821; FÅllsack/BÅrger, Tohuwabohu um die Selbstanzeige: Wer sich anzeigt, wird bestraft – Situationsbeschreibung und LÇsungsansatz, BB 2010, 2403; FÅllsack/BÅrger, Die Neuregelung der Selbstanzeige, BB 2011, 1239; Gehm, Die Selbstanzeige nach § 371 AO im Zusammenhang mit den Kapitalanlegerfllen Schweiz, NJW 2010, 2161; Geuenich, Strafbefreiende Selbstanzeige – macht jetzt auch der Gesetzgeber „reinen Tisch“?, BB 2010, 2148; GÇres/Kleinert, Die Liechtensteinische Finanzaffre – Steuer- und steuerstrafrechtliche Konsequenzen, NJW 2008, 1353; Habammer, Die neuen Koordinaten der Selbstanzeige, DStR 2010, 2425; Hechtner, Die Strafbefreiende Selbstanzeige nach den nderungen durch das Schwargeldbekmpfungsgesetz – Strafbefreiende Selbstanzeige erster und zweiter Klasse mit Zuschlag, DStZ 2011, 265; Heerspink, Auf ein Neues: Steuer-CD, AOStB 2010, 155; Heerspink, Die Ermittlungen zur Liechtenstein-Affre, AO-StB 2009, 25; Holewa/LÇwe-Krahl, Schwarzgeldkonten in der Schweiz – Fatale Fehler bei Selbstanzeigen, PStR 2010, 91; HÅls/Reichling, Die Selbstanzeige nach § 371 AO im Spannungsfeld zum Insolvenzrecht, wistra 2010, 327; Kamps, Rechtsprechungsnderung des BGH zur Wirksamkeit einer „Teilselbstanzeige“ i.S. des § 371 AO, DB 2010, 1488; Kamps, Selbstanzeige bei Erbschaftsteuerhinterziehung – Handlungsbedarf?, ErbR 2010, 151; Kaspar, Strafprozessuale Verwertbarkeit nach rechtswidriger privater Beweisbeschaffung – Zugleich ein Beitrag zur Systematisierung der Beweisverbotslehre, GA 2013, 206; Kemper, Wieder ein neuer § 371 AO?, DStR 2014, 928; Kauffmann, Die Affre Liechtenstein und Schweiz in der Praxis – Zur Verwertbarkeit der angekauften Steuerdaten-CD im Strafverfahren, JA 2010, 597; Mack, Nichts ist umsonst: Selbstanzeige und Nachzahlungspflicht, Stbg 2010, 258; Madauß, Selbstanzeige und Schtzung der Besteuerungsgrundlagen, NZWiSt 2014, 126; MÅller, A., Die strafbefreiende Selbstanzeige fÅr einen Dritten, AO-StB 2007, 276; MÅller, J.R., Die Selbstanzeige, 2012; Mutter/Schwart, Keine Angst vor der Selbstanzeige – Nacherklrung von EinkÅnften aus KapitalvermÇgen bei VermÇgensbindung in Stiftungen und Trusts, IStR 2009, 807; Pezzer, Zur Reichweite
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A. EinfÅhrung der Ablaufhemmungen des § 171 Abs. 5 und 9 AO, BFH/PR 2010, 77; Prowatke/ Kelterborn, Zur Wirksamkeit der Selbstanzeige bei „geringfÅgiger Unvollstndigkeit, DStR 2012, 640; Randt/Schauf, Selbstanzeige und Liechtenstein-Affre, DStR 2008, 489; Ransiek/Hinghaus, Tatbegriff und Selbstanzeige nach § 371 AO, StV 2010, 711; Rau, Ausgewhlte Grundsatzprobleme und Grenzbereich der Selbstanzeige, FS Streck 2011, 533; Rolletschke, Zur Einreichung einer Berichtigungsanzeige oder Selbstanzeige beim unzustndigen Finanzamt, wistra 2008, 439; Rolletschke/Roth, Die neue Selbstanzeige: Lebensbeichte, Sperrtatbestnde, Zuschlag, Vertrauensschutz, StRR 2011, 171; Roth, Strafbefreiende Selbstanzeige?, NWB 2010, 1004; Ruhmannseder, Fallstricke und Verschrfungen bei der Nacherklrung nichtversteuerter auslndischer Kapitalertrge, StBW 2010, 1044, 1182; Sahan/ Ruhmannseder, Steuerstrafrechtliche Risiken fÅr Banken und ihre Mitarbeiter bei Kapitaltransfer in die Schweiz, IStR 2009, 715; Salditt, Gestutzte Selbstanzeige – der Beschluss des 1. Strafsenats des BGH vom 20. Mai 2010, PStR 2010, 168; Salditt, Liechtenstein: Fragen und Argumente, PStR 2008, 84; Schfers, Selbstanzeige: Praktische Tipps, StBW 2010, 181; Schfers, Geplante Verschrfung der Selbstanzeige, StBW 2011, 34; Schauf/Schwartz, Neuregelung der Selbstanzeige, PStR 2011, 8; Schlecht, Die strafbefreiende Selbstanzeige: Reform- und Reparaturanstze, Ubg 2014, 389; SchÅtzeberg, Der persÇnliche, sachliche und zeitliche Umfang der Sperrwirkung bei der Selbstanzeige nach § 371 AO, StBp 2009, 223; Schwrzler/ Wagner/Frommelt, Datendiebstahl in Liechtenstein: Neues zu den AnsprÅchen gegen die LGT Treuhand AG, SAM 2010, 2; Schwedhelm/Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige und Tatentdeckung im Rahmen der „Liechtenstein-Ermittlungen“ Stbg 2008, 294; Seitz, Der Ankauf von Steuerdatenstzen in strafrechtlicher und strafprozessualer Hinsicht, Ubg 2014, 380; Spatscheck, Das Ende des Bankgeheimnisses – Neue Amtshilferegelungen mit Liechtenstein, der Schweiz und sterreich, SAM 2010, 7; Spatscheck, Fallstricke der Selbstanzeige, DB 2013, 1073; Streck, Testamentsberatung bei auslndischem verschwiegenen VermÇgen, insbesondere bei auslndischen verschwiegenen Konten, ErbR 2011, 2; TrÅg, Steuerdaten-CDs und die Verwertung im Strafprozess, StV 2011, 111; Wagner, Liechtensteiner Stiftungen oder die Liechtenstein Story – Zur These vom Schleusen von Geld an der Steuer vorbei und der Vorverurteilung derer, die Geld in Liechtenstein anlegen – Steuerrecht, Steuerstrafrecht, Strafrecht, EU-Recht, ZSteu 2008, 95; Wegner, § 371 AO: Luft die strafbefreiende Selbstanzeige zum 31.12.2010 aus?, PStR 2010, 145; Wegner, Steuer- und steuerstrafrechtliche Risiken fÅr den Erben eines „Problem-Nachlasses“, ErbBstg 2010, 80; Wessing, Nebenfolgen der Selbstanzeige, SAM 2010, 99; Wulf, Ausschluss der Selbstanzeige durch Kontrollmitteilung?, Stbg 2010, 175; Wulf, Auf dem Weg zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige (§ 371 AO)?, wistra 2010, 286; Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige – nach der Reform ist vor der Reform, Stbg 2014, 271
A. EinfÅhrung Nicht nur vor dem Hintergrund im Ausland belegener Konten und daraus resultierender nicht versteuerter Kapitalertrge nimmt das Institut der Selbstanzeige im Internationalen Steuerstrafrecht eine besondere Rolle ein. Auch auf Unternehmensebene kommt etwa die Abgabe einer Selbstanzeige in Betracht, etwa wenn sich nachtrglich herausstellt, dass etwaige Gewinnverlagerungen ins Ausland zumindest den Tatbestand der leichtfertigen SteuerverkÅrzung erfÅllen, oder wenn schwarze Kassen aufgelÇst werden sollen.
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11.1
Kapitel 11
Selbstanzeige
11.2 Die Selbstanzeige ist ein persÇnlicher Strafaufhebungsgrund und wirkt nur zugunsten desjenigen, der die tatbestandlichen Voraussetzungen erfÅllt.1 Die Motive des Anzeigenden sind unerheblich. Anders als ein strafbefreiender RÅcktritt nach § 24 StGB kann eine Selbstanzeige auch nach vollendeter Tat erfolgen. Eine Abgrenzung zum strafbefreienden RÅcktritt in Form des RÅcktritts vom beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Variante 2 StGB) kann jedoch angezeigt sein, wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, die flligen Steuern und Zuschlge zu entrichten und die Vollendung der Tat verhindert wird. Sinn und Zweck der Selbstanzeige ist es, dem Staat bislang unbekannte Steuerquellen zu erschließen und den Steuerpflichtigen zur RÅckkehr zur Steuerehrlichkeit zu bewegen.2 Von untergeordneter Bedeutung ist die Honorierung der RÅckkehr zur Steuerehrlichkeit. Die Regelung des § 371 Abs. 4 AO stellt ein Strafverfolgungshindernis dar.
B. Voraussetzungen der Selbstanzeige I. Tatsachenvortrag 11.3 FÅr die Wirksamkeit der Selbstanzeige ist in inhaltlicher Hinsicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige bzw. sein Helfer eine gewisse Ttigkeit entfaltet, die in der Richtung einer Berichtigung und Ergnzung der bisherigen Angaben liegt.3 Hierdurch muss ein wesentlicher Beitrag zur ErmÇglichung einer zutreffenden nachtrglichen Steuerfestsetzung geleistet werden. Dabei wird es als ausreichend betrachtet, wenn die durch die bisherigen unwahren oder unvollstndigen Angaben des Steuerpflichtigen dem Finanzamts verschlossene Steuerquellen durch eigene Aufklrungsttigkeit des Steuerpflichtigen dem Einblick des Finanzamts erÇffnet worden ist, sodass es nunmehr dem Finanzamt mÇglich ist, auf dieser Grund-
1 Allg. Meinung. Zu den Auswirkungen hinsichtlich Dritter, etwa Steuerberater oder Bankmitarbeiter, die um die Steuerhinterziehung wussten, vgl. J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 983. Wussten Dritte von der Steuerhinterziehung und ist ihnen der Vorwurf der Beihilfe zu machen, kommt ggf. die Annahme des Sperrgrunds der Tatentdeckung in Betracht, wenn diese um die Selbstanzeige wussten. 2 Zur Rechtfertigung und zum Zweck der Selbstanzeige vgl. J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 254 ff. 3 BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 (375); BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 ff.; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 ff.; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146; OLG KÇln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); LG Stuttgart v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73); OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 (275); vgl. zum Ganzen auch Breyer, Selbstanzeige, 187 ff.; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 199.
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B. Voraussetzungen der Selbstanzeige
lage ohne langwierige grÇßere Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklren und die Steuer richtig festzusetzen.1 Dabei dÅrfen im Einzelfall keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. So kann etwa nicht verlangt werden, dass das Finanzamt die nachzufordernde Steuer ohne weitere Aufklrungsttigkeit bei anderen auskunftsbereiten Stellen sofort festsetzen kann.2 Da der Sinn und Zwecke einer Selbstanzeige darin liegt, dem Staat eine bisher unbekannte Steuerquelle zu erschließen3, sind zur AnreizerhÇhung der Selbstanzeigebereitschaft an den Erklrungsinhalt wesentlich geringere Anforderungen zu stellen als bei einer Steuererklrung. Es genÅgt, wenn die Selbstanzeige so viel Material enthlt, dass das Finanzamt sich durch eine gewisse weitere eigene – wenn auch nicht langwierige – Aufklrung Klarheit verschaffen kann.4 Wie jede Erklrung ist auch die Erklrung zur Selbstanzeige der Auslegung i.S. von § 133 BGB zugnglich.5 Eine Anfechtung kommt hingegen nicht in Betracht, da es sich um eine Wissens- und nicht um eine Willenserklrung handelt.
11.4
Bislang stellte der BGH als entscheidendes Kriterium darauf ab, ob sich fÅr die FinanzbehÇrde eine wesentliche Verbesserung der fÅr die zutreffende Steuerfestsetzung notwendigen Tatsachengrundlage ergeben habe.6 Ebenso geht Joecks unter Verweis auf die hÇchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass der Steuerpflichtige seinen Anspruch auf Straffreiheit nicht schon dadurch verliert, dass die zahlenmßige Berechnung der Steuer noch eine gewisse eigene Aufklrung durch das Finanzamt erfordert, wie etwa durch Beiziehung von Steuerakten oder Anfragen bei Stellen, die dem Finanzamt gegenÅber zur Auskunft verpflichtet oder zweifellos dazu bereit sind.7
11.5
Vor dem Hintergrund des geschÅtzten Rechtsguts der Steuerhinterziehung, das Çffentliche Interesse am rechtzeitigen und vollstndigen Auf-
11.6
1 St. Rspr., BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 (375); BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, NJW 2003, 2996 ff.; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 ff.; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146; OLG KÇln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); LG Stuttgart, Beschl. v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73); OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 (275); vgl. zum Ganzen auch Breyer, Selbstanzeige, 187 ff.; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 199. 2 BGH v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; OLG Stuttgart v. 21.8.1989 – 10 KLs 137/88, wistra 1990, 72 (73). 3 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140); Breyer, Selbstanzeige, 175. 4 OLG Hamburg v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274. 5 Breyer, Selbstanzeige, 207. 6 BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (384). 7 Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 52 unter Verweis auf RG 70, 350.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
kommen der einzelnen Steuer,1 und dem Sinn und Zweck der Selbstanzeige, kommt es nach hier vertretener Ansicht aber nicht so sehr auf die konkrete Darlegung an. Erforderlich ist vielmehr, dass es der FinanzbehÇrde ermÇglicht wird, die nicht entrichtete Steuer zutreffend festzusetzen. HierfÅr ist jedoch zunchst die Kenntnis des steuerrelevanten Sachverhalts vonnÇten.2 Auch der BGH stellt darauf ab, dass die MÇglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige auf fiskalischen Erwgungen beruht und es dem Staat auf die Erschließung bisher unbekannter Steuerquellen ankommt, damit er die ihm obliegenden Aufgaben erfÅllen kann.3
II. Abgabe der Selbstanzeige durch Vertreter 11.7 Die Selbstanzeige muss nicht persÇnlich abgegeben werden, sondern kann durch einen Vertreter oder Beauftragten erfolgen. Eine schriftliche Bevollmchtigung ist nicht erforderlich.4 Die Selbstanzeige kann auch in verdeckter Stellvertretung abgegeben werden.5 Entscheidend ist nur, dass der Tter die Mitteilung veranlasst hat und sie ihm deshalb zurechenbar ist.6 FÅr die Frage des Nachweises der Vollmacht gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, der im Strafprozess auch fÅr Umstnde gelten kann, die die Zulssigkeit des Verfahrens betreffen (Prozessvoraussetzungen, Prozesshindernisse), und somit erst recht fÅr die dem materiellen Recht zuzuordnende Frage, ob ein Strafaufhebungsgrund in Form der Selbstanzeige vorliegt.7
III. Transfer von Unterlagen aus dem Ausland 11.8 Vielfach ist es erforderlich, der Selbstanzeige aus dem Ausland stammende Unterlagen beizufÅgen, etwa Depot- und Ertrgnisaufstellungen oder sonstige relevante Unterlagen. Der Steuerpflichtige steht dabei vor dem Dilemma, dass, wenn er an der Grenze mit entsprechenden Unterla1 BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100 (102). 2 Ebenso J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 307. 3 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03; BGHSt 49, 137 (141) unter Verweis auf BGH v. 4.7.1979 – 3 StR 130/79, BGHSt 29, 37 (40); BGH v. 11.11.1958 – 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100 f.; besttigt durch BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 (2726). 4 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985, 74 f.; einschrnkend wohl Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 118 unter Verweis auf BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140). 5 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140) unter Verweis auf Joecks in F/G/J5, § 371 AO Rz. 82; RÅping in H/H/Sp, § 371 AO Rz. 43; so auch Stahl, Selbstanzeige3, 79 Rz. 63 ff.; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 471 ff. 6 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136 (140) unter Verweis auf RÅping in H/H/Sp, § 371 AO Rz. 40. 7 Stahl, Selbstanzeige3, 80 Rz. 66 unter Verweis auf Meyer-Goßner55, § 261 StGB Rz. 29, 33.
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B. Voraussetzungen der Selbstanzeige
gen aufgegriffen wird, die Entdeckung der Tat droht und damit ein Sperrgrund i.S. von § 371 Abs. 2 AO gegeben sein kÇnnte.1 Die erste MÇglichkeit, Unterlagen „sicher“ nach Deutschland zu verbringen, besteht darin, die komplette Selbstanzeige im Ausland zu fertigen und durch einen steuerlichen Berater Åberbringen zu lassen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass § 97 StPO die Beschlagnahmefreiheit nur dann vorsieht, wenn der Steuerpflichtige bereits in den Beschuldigtenstatus gerÅckt ist.2 In jedem Fall sollte die MÇglichkeit geprÅft werden, die Unterlagen im Falle gegenstndlicher Verbringung zu verschlÅsseln und als „privileged and confidential“ zu kennzeichnen.
11.9
Eine weitere MÇglichkeit ist, Daten aus dem Ausland im Wege des direkten Datenaustauschs elektronisch (verschlÅsselt) zu versenden.
11.10
Die dritte MÇglichkeit besteht darin, zunchst eine Schtzung3 abzugeben und dann in einem zweiten Schritt die konkreten Zahlen nebst den Unterlagen zu Åbersenden, da mit Abgabe der Schtzung ein Anwartschaftsrecht auf Straffreiheit besteht.
11.11
Schließlich besteht die MÇglichkeit, Unterlagen anonymisiert aus dem Ausland zu Åbersenden, etwa dass auf den Unterlagen nur ein Kennwort vermerkt wird. Im Falle der Entdeckung kÇnnen diese Unterlagen keinem konkreten Steuerpflichtigen zugeordnet werden.
11.12
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass auch bereits grÇßere berweisungen, z.B. zur Zahlung der Steuern, Zinsen und Zuschlge, aus dem Ausland nach Deutschland verdachtsbegrÅndend wirken kÇnnen. Auch diese Gelder sollten Åber einen steuerlichen Berater transferiert werden.
11.13
IV. Form der Selbstanzeige Die Selbstanzeige ist nicht an bestimmte Formalien gebunden.4 Es ist nicht erforderlich, dass sie als solche bezeichnet wird.5 Sie kann sogar „beilufig“ abgegeben werden6 oder konkludent erfolgen.7 AusfÅhrungen 1 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 201. 2 Ablehnend zu dieser Vorgehensweise auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 204, 407. 3 Hierzu Madauß, NZWiSt 2014, 126. 4 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 291; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 50. 5 BGH v. 13.10.1998 – 5 StR 392/98, wistra 1999, 27; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 65; Stahl, Selbstanzeige3, § 91 Rz. 98. 6 OLG KÇln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); Breyer, Selbstanzeige, 175. 7 BGH v. 13.10.1992 – 5 StR 253/92, wistra 1993, 66 (68); OLG KÇln v. 28.8.1979 – 1 Ss 574/79, DB 1980, 57 (58); Breyer, Selbstanzeige, 175; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 298.
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11.14
Kapitel 11
Selbstanzeige
wie „vergessen“, „Åbersehen“ oder nhere Erluterungen zur inneren Tatseite sind nicht erforderlich. Der Text kann neutral gehalten werden.1
V. Adressat 11.15 Die Selbstanzeige ist dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO folgend bei der FinanzbehÇrde abzugeben. Dies ist nach herrschender Auffassung das sachlich und Çrtlich zustndige Finanzamt.2 Zwar ist auch ein unzustndiges Finanzamt zur Weitergabe verpflichtet (§§ 111 ff. AO). Das Risiko einer verspteten oder verzÇgerten Weiterleitung sollte jedoch vermieden werden. Sicherheitshalber sollte ggf. eine Kopie an die Straf- und Bußgeldsachenstelle/Steuerfahndung gesandt werden, um Missverstndnisse hinsichtlich einer womÇglich bevorstehenden Tatentdeckung zu vermeiden.
VI. Abgrenzung zur Berichtigungspflicht von Erklrungen (§ 153 AO) 11.16 Erkennt ein Steuerpflichtiger nachtrglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, – dass eine von ihm oder fÅr ihn abgegebene Erklrung unrichtig oder unvollstndig ist und dass es dadurch zu einer VerkÅrzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist oder – dass eine durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu entrichtende Steuer nicht in der richtigen HÇhe entrichtet worden ist, ist er verpflichtet, dies unverzÅglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen und die nach den §§ 34 und 35 AO fÅr den Gesamtrechtsnachfolger oder den Steuerpflichtigen handelnden Personen (Erben, gesetzliche Vertreter) mit der Folge einer mÇglichen Strafbarkeit im Fall des Unterlassens.3 Beispiele: 1. Als Gesamtrechtsnachfolger des B erbt A auch ein schweizer Bankkonto. Die daraus resultierenden Ertrge hat der Erblasser nie erklrt. 2. B folgt dem A als Vorstandsvorsitzenden in der X-AG und erfhrt von der Existenz im Ausland belegener schwarzer Kassen, die bisher in keiner Bilanz aufgetaucht sind.
1 FÅr Beratungshinweise und Muster vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 284 ff. 2 Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 89 m.w.N. 3 Hierzu BGH v. 4.4.1979 – 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371 (376); FG Berlin v. 27.1.1999 – 2 K 2138/97, EFG 1999, 680; zum Ganzen J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 1277 ff.
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C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige
Die Anzeigepflicht besteht ferner, wenn die Voraussetzungen fÅr eine Steuerbefreiung, Steuerermßigung oder sonstige SteuervergÅnstigung nachtrglich ganz oder teilweise wegfallen. Die Regelung betrifft den Fall, dass ein Steuerpflichtiger die unvorstzlich herbeigefÅhrte SteuerverkÅrzung nachtrglich erkennt. Bleibt er indes unttig, kommt eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Betracht. Nur selbst verursachte Fehler und LÅcken sind anzuzeigen.
11.17
Die steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklrung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat (dolus eventualis) und er erst im Nachhinein zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die von ihm gettigten Angaben unrichtig sind (hierzu Rz. 10.98). Die aus § 153 AO resultierende steuerrechtliche Pflicht zur Berichtigung von mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegebenen Erklrungen wird in strafrechtlicher Hinsicht erst mit der Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suspendiert, das die unrichtigen Angaben erfasst.1
11.18
C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige Zwei Ereignisse der jÅngeren Zeit wirken sich in besonderem Maße auf die Selbstanzeige aus. Zum einen ist das Urteil des BGH vom 20.5.2010 zu nennen.2 Zum anderen ist es das Schwarzgeldbekmpfungsgesetz.3 In der amtlichen BegrÅndung zur Neuregelung der Selbstanzeige heißt es:4 „Die Neuregelung der Selbstanzeige soll dazu dienen, dass in Zukunft Steuerhinterzieher, die ihre Selbstanzeige nur insoweit erstatten, wie sie eine Aufdeckung fÅrchten, nicht mehr mit Strafbefreiung belohnt werden. [ . . .] KÅnftig muss eine Selbstanzeige umfassend alle Hinterziehungssachverhalte, die strafrechtlich noch nicht verjhrt sind, enthalten, damit die Rechtsfolge Straffreiheit auch eintritt. Sie darf sich nicht nur als sog. Teilselbstanzeige auf bestimmte Steuerquellen, z.B. in bestimmten Lndern oder auf bestimmte Steuergestaltungen beziehen. Strafbefreiung soll nur noch derjenige erwarten dÅrfen, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollstndig offenbart.“ [ . . .] Das bedeutet, aus smtlichen strafrechtlich bisher noch nicht verjhrten Besteuerungszeitrumen mÅssen die unterlassenen oder unvollstndigen Angaben voll1 BGH v. 17. 3.2008 – 1 StR 479/08. 2 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180 = NJW 2010, 2146. 3 Gesetz zur Verbesserung der Bekmpfung der Geldwsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekmpfungsgesetz) v. 28.4.2011, BGBl. I 2011, 676; vgl. hierzu auch Beyer, AO-StB 2011, 119; Hechtner, DStZ 2011, 265. Vgl. auch die vielfltigen Stellungnahmen unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a07/anhoerungen/2011/042/Stellungnahmen/index.html sowie das Protokoll des Finanzausschusses v. 21.2.2011 Nr. 17/42. 4 BT-Drucks. 17/4182, 4 f.
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11.19
Kapitel 11
Selbstanzeige
stndig nachgeholt beziehungsweise smtliche Unrichtigkeiten vollumfnglich berichtigt werden.
11.20 Die in der GesetzesbegrÅndung vorgesehene Einschrnkung, dass unbewusste Unrichtigkeiten und Unvollstndigkeiten nicht zum Ausschluss der Selbstanzeige fÅhren sollen,1 ist dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmbar.
I. Unverjhrte Steuerstraftaten 11.21 Die Selbstanzeige muss lediglich Angaben zu unverjhrten Steuerstraftaten enthalten. Die Verjhrung richtet sich nach den strafrechtlichen Verjhrungsfristen und betrgt in der Regel fÅnf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB).2 Zu beachten ist jedoch die Vorschrift des § 376 AO, wonach in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 15 AO genannten Fllen besonders schwerer Steuerhinterziehung die Verjhrungsfrist zehn Jahre betrgt. Die Bestimmung des zeitlichen Umfangs der Nacherklrung ist mithin abhngig von der PrÅfung, wann Verfolgungsverjhrung eingetreten ist. Beispiel: A erzielte im Jahr 2002 durch die Verußerungen von Aktienpaketen Åber seine auslndische Bank hohe EinkÅnfte, die zu einer Einkommensteuernachzahlung von 100.000 Euro gefÅhrt htten. Die Verußerung hat A bisher gegenÅber den Finanzamt verschwiegen. Die LÇsung hngt davon ab, ob § 376 AO auch fÅr „Altflle“ Geltung beansprucht.
II. Vollstndigkeitsgebot 11.22 Mit der Neufassung des Gesetzes hat der Gesetzgeber das Erfordernis einer Åbergreifenden Nacherklrungspflicht eingefÅhrt. Die Berichtigung muss sich nunmehr auf alle unverjhrten Steuerstraftaten beziehen. Die Nacherklrung einzelner Taten im materiellen Sinne ist daher nicht mehr mÇglich. 1. Gestufte Selbstanzeige
11.23 Auch nach der Reform des § 371 AO bleibt die sog. „gestufte Selbstanzeige“ mÇglich,3 etwa wenn die Zollverwaltung im Rahmen der berwachung des grenzÅberschreitenden Bargeldverkehrs (§ 12a ZollVG) Hin-
1 BT-Drucks. 17/4182, 5. 2 BT-Drucks. 17/5067, 21; Hechtner, DStZ 2011, 265 (267). 3 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 50, 54; Rolletschke in G/J/W, § 371 AO Rz. 47 ff.; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 406; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 70 ff.; ablehnend, aber im Ergebnis nicht Åberzeugend Hunsmann, NJW 2011, 1484.
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C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige
weise auf eine mÇgliche Steuerhinterziehung entdeckt.1 Die Einleitung des Bußgeldverfahrens nach § 31a ZollVG schließt die Selbstanzeige nicht aus. Ist nicht bereits von einer Tatentdeckung auszugehen, kommt eine wirksame Selbstanzeige noch in Betracht. Dem Finanzamt kÇnnen in einem ersten Schritt die geschtzten Zahlen mitgeteilt werden, deren Konkretisierung in einem zweiten Schritt erfolgen kann.2 Davon zu unterscheiden ist freilich die „pauschale“ Selbstanzeige oder die bloße AnkÅndigung der Abgabe einer Selbstanzeige. Die Nacherklrung muss immer konkrete, wenn auch geschtzte Zahlen beinhalten, welche den einzelnen Steuern zugeordnet werden kÇnnen und die FinanzbehÇrde in die Lage versetzen, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt aufzuklren und die Steuer festzusetzen. Die Schtzung sollte als solche bezeichnet werden und im Zweifel eher zu hoch ausfallen. Welche Angaben weiterhin erforderlich sind, ist vom Einzelfall abhngig. Im Grundsatz dÅrften jedoch die gleichen Anforderungen, wie fÅr Schtzungen durch die Finanzverwaltung gelten.3 Von griffweisen oder wahllos ÅberhÇhte Schtzungen ist abzuraten.
11.24
Die Angabe zu hoher Betrge hindert nicht einen Einspruch gegen die Steuerbescheide.4 Auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist mÇglich. Sowohl um die HÇhe als auch um die rechtliche Qualifikation kann weiterhin gestritten werden, sodass auch eine vorsorgliche Selbstanzeige mÇglich ist. Auch hier muss gelten, dass geringfÅgige Abweichungen unbeachtlich sind.
11.25
2. Vollumfngliche Berichtigung unrichtiger Angaben einer Steuerart a) Steuerart Mit Beschluss vom 25.10.2011 hatte der BGH die bisher Åbliche Teilselbstanzeige faktisch abgeschafft.5 Diese nderung fand Eingang in die Neufassung des § 371 AO; der Gesetzgeber hat eine Fassung gewhlt, die letztlich Åber die durch den BGH formulierten Anforderungen hinausgeht. Um Straffreiheit zu erlangen, mÅssen nunmehr zu allen unverjhrten Taten derselben Steuerart sogleich „in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollstndigen Angaben ergnzt oder die unterlassenen Angaben nachholt“ werden.
1 Madauß, NZWiSt 2014, 126. 2 Vgl. auch BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304; Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127). 3 Madauß, NZWiSt 2014, 126 (127) unter Verweis auf BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304. 4 Unzutreffend geht LG Heidelberg v. 16.11.2012 – 1 Qs 62/12, NZWiSt 2013, 38; von einem Widerruf der Selbstanzeige aus; hierzu Heuel, AO-StB 2013, 133. 5 Zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 313 ff.; kritisch hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 66.
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11.26
Kapitel 11
Selbstanzeige
11.27 Nach dem Gesetzeswortlaut sind Angaben zu „allen unverjhrten Steuerstraftaten einer Steuerart“ zu machen. Der Begriff der Steuerart ist jedoch gesetzlich nicht definiert, was die Probleme aufwirft.1 Die GesetzesbegrÅndung versteifte sich auf „Einkommensteuerhinterziehungen“, was den Schluss zulsst, dass smtliche Unrichtigkeiten – losgelÇst von der Einkunftsart und der Frage des Sachzusammenhangs – mit unmittelbarer Auswirkung auf die Einkommensteuer berichtigt werden mÅssen.
11.28 Nach richtiger Ansicht hat eine AnknÅpfung an die speziellen Steuergesetze dergestalt zu erfolgen, dass nur eigene Arten und Formen staatlicher Abgaben erfasst sein kÇnnen, die sich klar von anderen Steuern, eingeschlossen deren Erhebungsform, abgrenzen lassen. Ungeklrt ist, ob auch Beteiligungen an „gleichartigen“ Steuerhinterziehungen (z.B. Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung) verschiedener Steuerpflichtiger einzubeziehen sind. Nach hier vertretener Ansicht ist der Wortlaut einschrnkend dahin gehend auszulegen, dass nur die „Steuerart“ ein und desselben Steuerschuldners einbezogen wird. b) Vollstndigkeit der Nacherklrung und geringfÅgige Abweichungen
11.29 Nach dem Gesetzeswortlaut hat die Berichtigung in vollem Umfang zu erfolgen. Bisher ließen geringfÅgige Abweichungen von 6-10 % die Wirksamkeit der Selbstanzeige unberÅhrt.2 Ausweislich der GesetzesbegrÅndung sollen auch weiterhin Unschrfen im praktischen Vollzug hinzunehmen sein, sodass Bagatellabweichungen auch weiterhin nicht zur Unwirksamkeit der Selbstanzeige fÅhren.3 Richtigerweise kann die jedoch die Summe der Abweichung nur ein Anhaltspunkt fÅr die GeringfÅgigkeit sein.4 Angesichts der Tatsache, dass eine Selbstanzeige zur Straffreiheit fÅhrt, muss Ausgangspunkt die Frage der individuellen Vorwerfbarkeit, mithin der dem Tter anzulastenden Schuld sein. Dadurch wird auch die Problematik um „nicht-dolose“ Teilselbstanzeigen erheblich entschrft.5
11.30 Der BGH ist der Ansicht, dass nach der neuen Gesetzesfassung des § 371 Abs. 1 AO jedenfalls eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als 5 % vom VerkÅrzungsbetrag i.S. des § 370 Abs. 4 AO nicht mehr geringfÅgig ist.6 Jedoch soll eine wertende Betrachtung vorgenommen wer1 Vgl. auch Beyer, AO-StB 2001, 119 (120); Hechtner, DStZ 2011, 265 (268); Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 66. 2 OLG Frankfurt v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974; BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 244, Jger in Klein12, § 371 AO Rz. 20; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68. 3 BT-Drucks. 17/5067, 19. 4 So auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68. 5 Zum Ganzen ausfÅhrlich J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 313 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.3. 6 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633; Geuenich, BB 2011, 3106; TrÅg, NJW 2012, 3256; Spatscheck/HÇll, SAM 2011, 206 (561); Prowatke/ Kelterborn, DStR 2012, 640.
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C. Inhaltliche Anforderungen an die Selbstanzeige
den, ob bei GesamtwÅrdigung der Umstnde nicht auch unterhalb der postulierten 5 % eine Versagung der Strafbefreiung in Betracht kommt, etwa ob es sich um bewusste Abweichungen handelt, oder in einer zu niedrigen Schtzung noch die RÅckkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann.1 Die AusfÅhrungen des BGH lassen den Schluss zu, dass gerade in Fllen, in denen die Zeit drngt, etwa wenn Depotaufstellungen aus dem Ausland noch nicht vorliegen, dies den Weg in die Straffreiheit nicht erschwert. Anzuraten ist allerdings, den Willen zur RÅckkehr in die Steuerehrlichkeit zu dokumentierten, etwa durch BeifÅgung des Schriftverkehrs mit den Bankinstituten. Nicht geklrt ist, ob sich die 5 % auf alle Taten beziehen oder den jeweiligen Veranlagungszeitraum (Gesamtbetrachtung/Isolierte Betrachtung).2 Wegen des Erfordernisses der vollstndigen RÅckkehr wird jedoch auf den Gesamtbetrag abzustellen sein.3
11.31
Beispiel: A hat Einkommensteuer 2010 in HÇhe von 10.500 Euro und Einkommensteuer 2011 in HÇhe von 1.000 Euro hinterzogen. Die Einkommensteuer 2010 erklrt er in zutreffender HÇhe nach, die Einkommensteuer 2011 nur in HÇhe von 500 Euro. BezÅglich 2011 besteht eine Differenz von 50 %. Im Verhltnis zur Gesamterklrung betrgt die Differenz jedoch nur 4,3 %.
Eine Kompensation innerhalb einer materiellen Tat dÅrfte als Konsequenz des materiell-rechtlichen Tatbegriffs4 nicht in Betracht kommen.
11.32
3. Selbstanzeige nach der Selbstanzeige Ungeklrt ist, ob eine Selbstanzeige nach der Selbstanzeige mÇglich ist. Eine Differenzierung zwischen dolosen und undolosen Teilselbstanzeigen ist wohl nicht zu erwarten. GesetzesbegrÅndung, Wortlaut (es fehlt die Wendung „insoweit“) und der Unterschied zur Altregelung lassen de facto nur den Schluss zu, dass auch im Falle versehentlicher unvollstndiger Selbstanzeigen die Wirksamkeit insgesamt verneint werden wird.5 Erste Stellungnahmen des Finanzministeriums NRW6 deuten bereits in diese Richtung, auch wenn durchaus Argumente fÅr die Anerkennung einer un1 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW-Spezial 2011, 633. 2 Hierzu Sackreuther, PStR 2011, 244. 3 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.1.; Spatscheck/HÇll, SAM 2011, 561 (563); Prowatke/Kelterborn, DStR 2012, 640 (643); Heuel/Rau, KSDI 2012, 17935; in diese Richtung auch OFD Nds. v. 13.7.2011 – S 0702 – 30 – St 131; a.A. Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (201); Jope, NZWiSt 2012, 59. 4 Kritisch hierzu Schwartz, wistra 2011, 81 (86), Heuel/Beyer, StBW 2011, 315, Spatscheck/Dinkgraeve, AO-StB 2004, 262; Quedenfeld/FÅllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen3, Rz. 524. 5 Zum Ganzen Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.5. 6 FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1, B.3.; in diese Richtung auch Roth/SchÅtzeberg, PStR 2010, 214; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (203).
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11.33
Kapitel 11
Selbstanzeige
dolosen Teilselbstanzeige sprechen.1 Zum einen ist es in derartigen Fllen keine planvolle Hinterziehungstaktik des Steuerpflichtigen, sondern gleichwohl der Versuch, in die Steuerehrlichkeit zurÅckzukehren. Im Umkehrschluss wÅrde dies bedeuten, dass der Steuerpflichtige trotz Willens zur RÅckkehr in die Steuerehrlichkeit dauerhaft daran gehindert ist. Dies widerspricht dem fiskalischen Zweck der Selbstanzeige. Wenn der Steuerpflichtige plausibel darlegen kann, warum die erste Selbstanzeige versehentlich unvollstndig war, und die Nacherklrung verhltnismßig gering ist, spricht nach hiesigem DafÅrhalten nichts dagegen, die Wirksamkeit insgesamt anzuerkennen.2 Beispiel: A erstattet angesichts neu aufgetauchter CDs aus Liechtenstein unter Zeitdruck Selbstanzeige hinsichtlich smtlicher nichterklrter KapitaleinkÅnfte seiner auslndischen Konten. Nach Abgabe der Selbstanzeige und Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO findet er zufllig sein Postbank Sparbuch aus Kindertagen, auf dem seit 30 Jahren unangetastet 1.000 DM schlummern, die seine Großeltern noch fÅr ihn angelegt hatten.
11.34 Vor dem Hintergrund, dass geringfÅgige Abweichungen (vgl. dazu Rz. 11.29) unschdlich sein sollen, wird man auch bei Nacherklrung dieses Kontos der ursprÅnglichen Selbstanzeige nicht die Wirkung versagen wollen. Anders ist indes der Fall zu beurteilen, wenn A bewusst lediglich die europischen Konten erklrt in der Annahme, hinsichtlich der in Asien belegenen Konten bestehe keine Entdeckungswahrscheinlichkeit. 4. Selbstanzeige bei StiftungsvermÇgen
11.35 Steht die Erstattung einer Selbstanzeige bei StiftungsvermÇgen3 im Raum, gilt es sich zunchst die steuerlichen Pflichtenkreise und daraus womÇglich resultierenden strafrechtlichen Verantwortungsbereiche vor Augen zu fÅhren.4 Insbesondere ist auf die Unterscheidung zwischen selbstndigen und unselbstndigen Stiftungen zu achten. Davon abhngig ist auch, welche Unterlagen der Selbstanzeige beizufÅgen sind. Es tritt keine Straffreiheit ein, wenn der Steuerpflichtige, verschuldet oder unverschuldet, zur Sachaufklrung nicht in der Lage ist.5
1 Vgl. auch Schwartz, PStR 2011, 150 ff., der eine Unterscheidung nach Lebenssachverhalten trifft und darÅber zur Wirksamkeit gelangt; Beyer, AO-StB 2011, 119; Kamps, DB 2010, 1488; Prowakte/Kelterborn, DStR 2012, 640 (642); zur Gegenansicht vgl. Rolletschke/Roth, Stbg 2012, 200. 2 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 384; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.5. 3 Zu den verschiedenen Stiftungsmodellen und den steuerlichen Auswirkungen vgl. Rz. 15.203. 4 Vgl. hierzu die AusfÅhrungen in Rz. 15.203; zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 416; Mutter/Schwartz, IStR 2009, 807. 5 LG Hamburg v. 18.6.1986 – 117/86 Ns, wistra 1988, 120 (121) unter Berufung auf BGH v. 14.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698.
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D. SperrgrÅnde
III. Nachzahlung der Steuern innerhalb der Frist Die hinterzogenen Steuern sind innerhalb einer von der FinanzbehÇrde gesetzten Frist nachzuzahlen. Bis dahin besteht eine Art Anwartschaft1 auf Straffreiheit, die mit Zahlung erstarkt.2 Dem Tter sollte solange Zeit gegeben werden, um die erforderlichen Mittel zu beschaffen (mindestens 14 Tage, maximal jedoch sechs Monate). Die Frist kann verlngert werden. Es bietet sich jedoch an, die finanziellen Mittel bei Abgabe der Selbstanzeige parat zu haben. Ist die Frist zu kurz bemessen, entfaltet sie keine Rechtwirkung.3 Im spteren Strafverfahren wird dann die Unangemessenheit festgestellt und das Strafverfahren bis zum Ablauf einer gerichtlich bestimmten Frist ausgesetzt (§ 228 StPO).
11.36
Zur Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens kann es sich anbieten, i.S. der hÇchstrichterlichen Rechtsprechung die Abgabe an die Staatsanwaltschaft zu beantragen, wie dies bei Fragen Åber die Wirksamkeit von Selbstanzeigen nunmehr gewollt ist.
11.37
Ist der Tter allein aufgrund wirtschaftlichen UnvermÇgens zur Zahlung nicht in der Lage, legt er aber gleichwohl alle Besteuerungsgrundlagen offen, bleibt abzuwarten, ob eine teilweise Straffreiheit angenommen werden wird bzw. geringfÅgige Abweichungen unschdlich sind. Gleiches gilt fÅr die Kombination von undoloser Teilselbstanzeige und wirtschaftlichem UnvermÇgen. Auch hier sprechen die besseren Argumente dafÅr, derartigen Selbstanzeigen die Wirkung nicht gnzlich zu versagen.
11.38
Nebenleistungen wie Sumniszuschlge, Hinterziehungszinsen oder Versptungszuschlge fallen nicht unter § 371 Abs. 3 AO, hindern mithin den Eintritt der Straffreiheit nicht. Es kann sich daher anbieten, im Verwendungszweck oder Anschreiben darauf hinzuweisen, dass die Zahlung auf die Steuer erfolgt.
11.39
D. SperrgrÅnde § 371 Abs. 2 AO fÅhrt abschließend die SperrgrÅnde auf, bei deren Vorliegen eine Straffreiheit nicht eintritt4: § 371 AO Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung [ . . .]
1 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 86. 2 Zum Ganzen ausfÅhrlich J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 497 ff. 3 LG Koblenz v. 13.12.1985 – 105 JS (Wi) 17.301/83 – 10 KLs, wistra 1986, 79 (81); zur Angemessenheit unterschiedlicher Fristen vgl. die Nachweise bei J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 571. 4 Zum Ganzen auch Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 133 f.
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11.40
Kapitel 11
Selbstanzeige
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn 1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjhrten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergnzung oder Nachholung a) dem Tter oder seinem Vertreter eine PrÅfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist oder b) dem Tter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder c) ein Amtstrger der FinanzbehÇrde zur steuerlichen PrÅfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder 2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergnzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Tter dies wusste oder bei verstndiger WÅrdigung der Sachlage damit rechnen musste oder 3. die nach § 370 Absatz 1 verkÅrzte Steuer oder der fÅr sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50.000 Euro je Tat Åbersteigt. [ . . .]
I. Bekanntgabe der AußenprÅfung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) 11.41 Dass bereits die bloße Bekanntgabe der steuerlichen AußenprÅfung den Weg zur Straffreiheit versperren soll, ist neu.1 Auf die Rechtmßigkeit der PrÅfungsanordnung kommt es nicht an2, solange diese nicht nichtig ist.3 Voraussetzung ist die schriftliche Bekanntgabe der PrÅfungsanordnung gem. § 196 AO. Ob die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 AO Geltung beansprucht4, kann dahinstehen.5 Im Ernstfall trgt die FinanzbehÇrde die Feststellunglast fÅr den Zugang der mittels einfachem Brief versandten PrÅfungsanordnung, der nur schwer zu beweisen ist.6 Ein Prima-facie-Beweis gilt, erst recht im Strafrecht, nicht.7
1 Zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 640 ff.; vgl. auch Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 87 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 116 ff. 2 BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (383); Beyer, AO-StB 2011, 119 (122); Schauf in Kohlmann, § 371 Rz. 119.1; a.A. Adick, HRRS 2011, 197 (200). 3 BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381 (383). 4 Bejahend J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 722; Roth, PStR 2011, 202; anders Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 119.1. 5 Ablehnend Adick, HRRS 2011, 197 (200). 6 Vgl. die AusfÅhrungen des FG DÅsseldorf v. 11.2.2005 – 8 K 2373/04 BB, EFG 2005, 1004 unter Verweis auf BFH v. 5.12.1974 – V R 111/74, BStBl. II 1975, 286; BFH v. 14.3.1989 – VII R 75/85, BStBl. II 1989, 534; BFH v. 12.3.2003 – X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031; mÇgliche Beweisschwierigkeiten prognostizierend auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 119.1. 7 Im Zweifel muss das Finanzamt den Zugang nachweisen, vgl. auch BFH v. 13.2.2008 – XI B 218/07, BFH/NV 2008, 742.
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D. SperrgrÅnde
Fraglich ist was zu gelten hat, wenn sich die PrÅfungsanordnung nicht an den Tter oder seinen Vertreter richtet, sondern an die Kapitalgesellschaft als Steuersubjekt. Im Falle der Steuerhinterziehung durch vertretungsberechtigte Organe ließe sich die Sperre als vom Gesetzeswortlaut umfasst ansehen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Steuerhinterziehung durch Dritte begangen wurde. In diesem Fall wre die Wortlautgrenze Åberschritten.
11.42
Spannungen und Argumentationspotenzial ergeben sich auch im Hinblick auf § 378 Abs. 3 AO, der keinen entsprechenden Sperrgrund kennt. Eine leichtfertige SteuerverkÅrzung kann auch whrend laufender PrÅfung angezeigt werden.1 Dies bedeutet zum einen, dass der Frage nach der Leichtfertigkeit in erhÇhtem Maße Bedeutung zukommt.2 Der sachliche Umfang der Sperrwirkung bestimmt sich nach dem Inhalt der PrÅfungsanordnung, d.h. die Sperrwirkung umfasst smtliche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsstand in sachlichem Zusammenhang stehen.3 Bedeutung kommt der PrÅfungsanordnung jedoch weiterhin in persÇnlicher Hinsicht zu.4
11.43
II. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO) Hinsichtlich der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (vgl. auch § 397 AO) ist zu beachten, dass die Entdeckung einer der von der Selbstanzeige erfassten Taten die Strafbefreiung fÅr alle unverjhrten Taten der entsprechenden Steuerart ausschließt (vertikale Infektionswirkung).5 Die in der Regel schriftlich vorliegende EinleitungsverfÅgung umgrenzt dabei die Reichweite6 der Sperrwirkung und ist daher genauestens auf ihre Wirksamkeit hin zu ÅberprÅfen (vgl. auch Nr. 28 Abs. 2 AStBV).7 Die Finanzverwaltung NRW will wohl auch eine horizontale Infektionswirkung fÅr andere Steuerarten annehmen.8
1 Hierzu J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 765. 2 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 119.2; Adick, HRRS 2011, 197 (200). 3 Vgl. auch BFH v. 23.1.1985 – I R 53/81, BStBl. II 1985, 566; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 119.3; Adick, HRRS 2011, 197 (200); einschrnkend Prowatke/Felten, DStR 2011, 899. 4 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 653. 5 Zum Ganzen J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 770 ff.; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 95 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 190. 6 Zur Reichweite in persÇnlicher Hinsicht vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 177 ff. 7 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 807f.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 175. 8 FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1; ablehnend Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.5 ff., 191.2, 206; zu den Auswirkungen im Zusammenhang mit mehreren auslndischen Schwarzgeldkonten vgl. die AusfÅhrungen zur Tatentdeckung in Rz. 11.46.
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11.44
Kapitel 11
Selbstanzeige
III. Erscheinen der FinanzbehÇrde (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO) 11.45 BezÅglich der Regelung des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO gilt auch weiterhin, dass fÅr das Erscheinen der FinanzbehÇrde das kÇrperliche Erscheinen maßgeblich ist.1 Der Umfang der Sperrwirkung bestimmt sich im Fall der steuerlichen PrÅfung (§ 200 Abs. 2 AO) sachlich, zeitlich und persÇnlich nach der PrÅfungsanordnung.2 Im Fall der FahndungsprÅfung bestimmt sich die Reichweite der Sperrwirkung Åber die richterliche Durchsuchungsanordnung. Andernfalls bestimmt sich die Sperrwirkung nach dem sachlichen Umfang der PrÅfung. Nach der Rechtsprechung des BGH vom 5.4.20003 und 20.5.20104 erstreckt sich die Sperrwirkung auch auf VorwÅrfe, die nicht Gegenstand der Ermittlungen sind, jedoch damit in einem engen sachlichen und/oder zeitlichen Zusammenhang stehen (Sachzusammenhang).5 Fraglich ist, inwieweit in Zukunft bei regulren AußenprÅfungen und SonderprÅfungen eine Sperrwirkung angenommen werden wird.6 Die AusfÅhrungen des BGH lassen eine restriktive Tendenz befÅrchten. Nach Abschluss der PrÅfung lebt die MÇglichkeit zur Selbstanzeige wieder auf.7 Nach hier vertretener Ansicht ist die Schlussbesprechung der maßgebliche Zeitpunkt bzw. im Umkehrschluss zum Wortlaut „Erscheinen“ das Verlassen des Betriebs. Allersptestens ist die PrÅfung mit Erlass der entsprechenden Steuerbescheide beendet.8
IV. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 2 AO) Literatur: Brenner, Kein Ausschluss der Selbstanzeige, wenn der konkrete Tter noch nicht entdeckt ist, DStZ 1984, 478; DÇrn, Behandlung von Kontrollmitteilungen in Fi1 Zum persÇnlichen Umfang der Sperrwirkung vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 139 ff. 2 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 16 ff.; zur Sperrwirkung bei rechtswidrigen PrÅfungsmaßnahmen vgl. BGH v. 16.5.2005 – 5 StR 118/05, wistra 2005, 381; BayObLG v. 23.1.1985 – Rreg. 4 St 309/84, wistra 1985, 117; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 106 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 120 ff. 3 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219. 4 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304. 5 Vgl. jedoch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 150 unter Verweis auf Jger in Klein10, § 371 AO Rz. 42, der davon ausgeht, dass sich die AusfÅhrungen des BGH allein auf § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c Alt. 2 AO beziehen und es deswegen fÅr § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c Alt. 1 AO auch weiterhin auf den PrÅfungsauftrag ankommt; a.A. Webel, PStR 2010, 189 (193); vgl. auch FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1. 6 Vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 151 ff. 7 BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 38/94, wistra 1994, 228; BGH v. 15.1.1988 – 3 StR 232/88, BGHR AO § 371 – Selbstanzeige 1; Jger in Klein12, § 371 AO Rz. 45; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 768; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 160.2. 8 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 768; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 161.
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D. SperrgrÅnde nanzmtern und Bußgeld- und Strafsachenstellen, DStZ 1991, 747; DÇrn, Wirksamkeit der Selbstanzeige trotz Vorliegens von Kontrollmaterial, DStZ 1992, 620; Fehling/Rothbcher, Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige durch Medienberichte, DStZ 2008, 821; Leise, Zum Begriff der Tatentdeckung bei Selbstanzeige, BB 1972, 1500; MÅller/Burkhard, berwachung des grenzÅberschreitenden Bargeldtransfers in Europa, Stbg 2002, 137; Randt/Schauf, Selbstanzeige und Liechtenstein-Affre – Ist der Weg in die Straflosigkeit noch mÇglich oder sind die Taten schon entdeckt?, DStR 2008, 489; Roth, Ankauf von Daten-CDs – eine Zwischenbilanz, Stbg 2013, 29; Schwedhelm/Wulf, Strafbefreiende Selbstanzeige und Tatentdeckung im Rahmen der „Liechtenstein-Ermittlungen“, Stbg 2008, 294.
1. Begriff der Tatentdeckung Von besonderer Bedeutung fÅr die Selbstanzeige im Kontext des Internationalen Steuerstrafrechts ist die Frage nach der Tatentdeckung, die gem. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO die Abgabe einer Selbstanzeige sperrt.
11.46
Beispiel: A fÅrchtet anlsslich der Durchsuchung bei seiner Bank im Inland wegen anonymer Kapitaltransfers um die Entdeckung seines luxemburgischen Kontos.
Tatentdeckung liegt vor, wenn durch die Kenntnis zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei vorlufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen mehr als wahrscheinlich ist.1 Die Regelung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO besteht aus dem objektiven Moment der Entdeckung der Tat. Hinzukommen muss die subjektive positive Kenntnis oder eine dem Tter bekannte hinreichende Entdeckungswahrscheinlichkeit.
11.47
Entdeckt i.S. des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist die Tat nicht schon bei bloßem Tatverdacht. Dies ist bereits dem Wortsinn des Merkmals des Entdeckens zu entnehmen, der die Flle bloßen VerdachtschÇpfens nicht mit umfasst.2 Das Gesetz stellt auf die Entdeckung der Tat ab, sodass auch die Person, die als Tter oder Teilnehmer der Steuerstraftat in Betracht kommt, noch nicht bekannt zu sein braucht.3 Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert daher mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Anlass geben kÇnnen. Jedoch mÅssen die tatschlichen Besteuerungsgrundlagen nicht bereits so weit
11.48
1 Vgl. BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1998, 308; BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 226; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 204, der aus der Rechtsprechung des BGH folgert, dass die Voraussetzungen fÅr die Erhebung der Çffentlichen Klage vorliegen mÅssen; Spatscheck, DB 2013, 1073 (1077); zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 943 ff.; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 124 ff. 2 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415. 3 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146 unter Verweis auf BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
bekannt sein, dass der Schuldumfang verlsslich beurteilt werden kann. Es genÅgt, dass konkrete Anhaltspunkte fÅr die Tat als solche bekannt sind. Die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt fÅr sich allein noch keine Tatentdeckung dar.1 Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert zudem mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit spterer Aufklrung gegeben ist.2
11.49 In der Regel wird eine Tatentdeckung bereits dann anzunehmen sein, wenn unter BerÅcksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstnde nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit naheliegt.3 Welche Umstnde jedoch hinzukommen mÅssen, damit die Tat (wenigstens zum Teil) entdeckt ist, lsst sich allein im Einzelfall und nicht schematisch beantworten.4 Nach hier vertretener Ansicht muss die Tat in ihren wesentlichen Teilen wahrgenommen worden sein oder eine solche Wahrnehmung unmittelbar zu erwarten sein (Tter5, Steuerart, ungefhrer Schaden). Stets ist die Tat entdeckt, wenn der Abgleich mit den Steuererklrungen des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollstndig angegeben wurde. 2. Reichweite der Tatentdeckung
11.50 FÅr die Frage nach der Reichweite der Entdeckung der Tat sind in der Praxis letztlich die AusfÅhrungen des BGH vom 20.5.20106 maßgeblich.7 Danach betrifft der Sperrgrund der Tatentdeckung nicht nur solche Taten, die vom Ermittlungswillen („zur Ermittlung“) des erschienenen Amtstrgers erfasst sind. Er erstreckt sich auch auf solche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen.8 Damit gilt ein eng materiell-rechtlicher Tatbegriff.9 Der Normzweck erfordert nach Ansicht des BGH die Erstreckung der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 AO a.F. auch auf solche steuerlichen Sachverhalte, bei denen – soweit sie nicht bereits von dem bisherigen Ermittlungswillen erfasst sind – unter BerÅcksichtigung des bisherigen 1 2 3 4 5 6 7
8
9
BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 210. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. Kritisch hierzu Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 191.2, 206, der von einem weiten materiell-rechtlichen Tatbegriff ausgeht und die NichterfÅllung bestimmter materieller Mitwirkungspflichten bzgl. einzelner Besteuerungsgrundlagen fÅr entscheidend hlt. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146 unter Hinweis auf BGH v. 19.4.1983 – 1 StR 859/82, wistra 1983, 146; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219; BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 204; RÅping in H/H/Sp, § 371 AO Rz. 190.
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D. SperrgrÅnde
berprÅfungsziels einerseits und den steuerlichen Gegebenheiten des beschuldigten Steuerpflichtigen andererseits bei Åblichem Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in die berprÅfung einbezogen wÅrden.1 Dies sei jedenfalls stets dann der Fall, wenn sich die neuen TatvorwÅrfe lediglich auf weitere Besteuerungszeitrume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen erstrecken. Denn dann erweist sich die bloß teilweise erfolgte Berichtigung, Ergnzung oder Nachholung nicht als geeignet, den FinanzbehÇrden bisher unbekannte Steuerquellen zu erschließen. Der Amtstrger erscheint dann auch „zur Ermittlung“ zusammenhngender Taten.2 Die Definition der Tatentdeckung enthlt eine doppelte, zweistufige Prognose. Zunchst ist auf der Grundlage der vorhandenen, regelmßig noch unvollstndigen Informationen die Verdachtslage, und zwar vorlufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorlufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen.3 Die Tat ist entdeckt, wenn das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich ist, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen wÅrde. Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dÅrfen nach Ansicht des BGH nicht zu hoch angesetzt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss. Ein hinreichender Tatverdacht i.S. von §§ 170 Abs. 1, 203 StPO ist indes nicht erforderlich.4 Denn die in §§ 170 Abs. 1, 203 StPO fÅr einen hinreichenden Tatverdacht notwendige Prognose der Verurteilungswahrscheinlichkeit baut auf einem ausermittelten Sachverhalt auf.5 Eine derartige Prognose lsst sich bei der Entdeckung der Tat – eine Entdeckung „zum Teil“ genÅgt – noch nicht verlsslich stellen. Die Entdeckung bildet vielmehr erst den Ausgangspunkt der dann gebotenen Ermittlungen.
11.51
Vor diesem Hintergrund kÇnnen etwa bis dato nicht erklrte Auslandskonten eine eigenstndige, unbekannte Steuerquelle darstellen. Auch der BGH stellt auf unbekannte Steuerquellen ab, deren Erschließung der maßgebliche Sinn und Zweck der Selbstanzeige ist.6
11.52
Beispiel: A hat in 2009 fÅr den VZ 05-06 eine Selbstanzeige fÅr sein in Liechtenstein belegenes Konto abgegeben. Die Tat war damit entdeckt. Eine weitere Selbstanzeige fÅr nachfolgende Veranlagungszeitrume nach Abschluss des ersten, anlsslich der 1 2 3 4 5
BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146; vgl. Jger, wistra 2000, 228. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. A.A. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 204. A.A. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 204; Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (490); Fehling/Rothbcher, DStZ 2008, 821 (824). 6 Zur Problematik der dolosen Teilselbstanzeige und der Selbstanzeige nach der Selbstanzeige vgl. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 68.4.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
Selbstanzeige eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ist damit nicht gesperrt, solange es sich um eine unbekannte Steuerquelle handelt, z.B. ein Konto in der Schweiz. A kÇnnte in 2012 eine Selbstanzeige fÅr den VZ 09-10 abgeben.1
3. Auslandsspezifische Besonderheiten bei der Frage nach der Tatentdeckung
11.53 Angesichts der verbesserten ErmittlungsmÇglichkeiten im Hinblick auf Steuerstraftaten und auch der strkeren Kooperation bei der internationalen Zusammenarbeit sollen nach Auffassung des BGH keine hohen Anforderungen an die Annahme des „KennenmÅssens“ der Tatentdeckung, mithin die Bejahung der subjektiven Komponente, mehr gestellt werden. Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO werde heute maßgeblich durch die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung im vorstehend verstandenen Sinne und weniger durch die subjektive Komponente bestimmt.2 Die bloße Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt fÅr sich allein jedoch noch keine Tatentdeckung dar.3 a) Kontrollmitteilungen
11.54 Auch bei Kontrollmitteilungen kommt es darauf an, ob sich bereits aus dem Vorliegen derselbigen Hinweise darauf ergeben, dass die in Rede stehenden EinkÅnfte keinen Eingang in die Steuererklrung gefunden haben.4 Die bloße Feststellung von (anonymisierten) Auslandstransfers, etwa im Rahmen der AußenprÅfung bei Banken, stellt noch keine Tatentdeckung dar,5 zumal vielfach Pseudonyme oder Referenznummern Verwendung finden und die Person des Tters unbekannt ist.6 Etwas anders wÅrde auch einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit bedeuten. Erforderlich ist auch hier ein Abgleich mit den Steuerakten.7 b) Mediale Tatentdeckung/Ankauf von Steuer-CDs
11.55 Vermehrt tauchen Flle auf, in denen bereits Åber VerÇffentlichungen in der Presse bekannt ist, dass Datentrger mit Informationen Åber Auslandskonten und womÇgliche Steuerhinterziehungen Deutscher angekauft werden sollen oder angekauft worden sind.8 Wie dargelegt (Rz. 6.37), bedarf es fÅr die Tatentdeckung zunchst eines Abgleichs der Daten mit 1 A.A. FinMin. NRW, Stellungnahme v. 25.6.2010 – S 0702-9-VA 1; ebenso Roth/ SchÅtzeberg, PStR 2010, 214; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200 (203). 2 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 3 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, NJW 2010, 2146. 4 Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 188; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 227; Dumke in Schwarz, § 371 AO Rz. 114; DÇrn, Stbg 1997, 493; J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz 955. 5 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 960. 6 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 955; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230. 7 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 227; Streck/Mack, BB 1995, 2137 (2146); Riegel/Kruse, NStZ 1999, 325. 8 Zum Ganzen Fehling/Rothbcher, DStZ 2008, 821 ff.; Seitz, Ubg 2014, 380.
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D. SperrgrÅnde
der Steuerakte des Betroffenen.1 Die ungeprÅften Daten stellen keine Tatentdeckung dar.2 Tatentdeckung liegt erst vor, wenn durch die Kenntnis zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei vorlufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen mehr als wahrscheinlich ist.3 Es gelten die allgemeinen Grundstze. Allein die Erlangung von Informationen Åber GeldvermÇgen im Ausland durch in Deutschland uneingeschrnkt steuerpflichtige Personen stellt noch keine Tatentdeckung dar.4 Erforderlich ist Åberdies, dass die verkÅrzte Steuer nach Steuerart und Veranlagungszeitraum beziffert werden kann.5 Dabei hilft es auch nichts, wenn mit dem Ankauf der CD Informationen Åber sog. Hinterziehungsberatungen der jeweiligen Banken erlangt werden. Denn dies sagt noch nichts darÅber aus, ob der Steuerpflichtige die Ertrge nicht doch in seiner Steuererklrung angegeben hat. Das bloße Unterhalten auslndischer Konten oder Stiftungen im Ausland begrÅndet fÅr sich genommen noch keinen Verdacht. Dies gilt auch bei Nummernkonten.6 Etwas anderes kann gelten, wenn es sich um Sachverhaltsgestaltungen bzw. Anlageformen handelt, die allein der Steuerhinterziehung dienen und sich dies unmittelbar aus dem aufgefundenen Material ergibt.7 Bei Lebensversicherungsvertrgen („Wraps“) ist entscheidend, ob es sich um ein steuerrechtlich zulssiges Gestaltungsinstrumentarium zur Vermeidung oder Reduzierung steuerpflichtiger EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen handelt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG). Entscheidend ist, ob ein wirtschaftliches Risiko abgedeckt wird. Fehlt eine solche Risikoabdeckung, liegt bereits kein Versicherungsvertrag vor.8 1 So auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 964 ff. 2 Vgl. auch Spatscheck, DB 2013, 1073 (1078); enger Rolletschke in G/J/W, § 371 AO Rz. 118; a.A. Roth, Stbg 2013, 29 (33), der darauf abstellt, dass zuvor eine WerthaltigskeitsprÅfung stattfindet und diese in mehr als der Hlfte der Flle positiv ausfllt. 3 Vgl. BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1983, 197; BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, NStZ 1985, 126; BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1998, 308; BGH v. 30.3.1993 – 5 StR 77/93, wistra 1993, 227; BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 226; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 203 f., der aus der Rechtsprechung des BGH folgert, dass die Voraussetzungen fÅr die Erhebung der Çffentlichen Klage vorliegen mÅssen; zum Ganzen auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 943 ff. 4 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 965. 5 J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 965; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230.3; DStR 2008, 489 (490). 6 Einschrnkend Wessing/Biesgen, NJW 2012, 2689 (2692); Wessing in Flore/ Tsambikakis, § 371 AO Rz. 127, die auf die einem Nummernkonto immanente Verschleierung abstellen. 7 Vgl. Roth, Stbg 2013, 29 (33) fÅr die Flle der Lebensversicherungsmntel unter Verweis auf LG DÅsseldorf v. 21.11.2011 – 10 KLs 14/11, PStR 2012, 248; vgl. auch OFD Karlsruhe v. 18.7.2012 – S 20702/4 – St 413, wonach in den Fllen der Credit-Suisse Life Bermuda Ltd. von einer Tatentdeckung zum 1.1.2012 auszugehen sein soll, vgl. hierzu Burkhard, Steuerconsultant 2013, 22. 8 BMF v. 1.10.2009 – IV C 1 – S 2252/07/0001, BStBl. I 2009, 1172. Vgl. auch Rz. 15.201.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
11.56 Im brigen gelten jedoch die allgemeinen Anforderungen an die Tatentdeckung. Allein eine entsprechende Presseberichterstattung begrÅndet noch keine Kenntnis des Tters.1 Auch bei Benennung der konkreten Bank bedarf es tragfhiger Anhaltspunkte, warum der Steuerpflichtige davon ausgehen musste, dass sich etwa genau seine Daten auf einer angekauften CD befanden.2 Die Kenntnis des Steuerpflichtigen ist von der SteuerbehÇrde nachzuweisen.3 In derartigen Fllen ist stets gesondert zu prÅfen, ob nicht per se ein Beweiserwertungsverbot4 besteht und bereits aus diesem Grund eine Tatentdeckung ausscheidet (vgl. Rz. 6.36, 9.226). c) Grenzkontrollen
11.57 Werden im Rahmen einer Grenzkontrolle Bankunterlagen aufgefunden, besagt dies solange nichts, wie sich aus den Unterlagen nicht der Nachweis ergibt, dass die in Rede stehenden Ertrge keinen Eingang in die Steuererklrung gefunden haben und es zu einer SteuerverkÅrzung gekommen ist.5 Eine Selbstanzeige ist noch mÇglich.6 Denn ein Abgleich mit der Steuererklrung setzt ferner voraus, dass auch die seinerzeit eingereichten Belege des Steuerpflichtigen vorliegen und nachvollzogen werden kann, auf welcher Grundlage die Zahlen zustande gekommen sind. Im Regelfall befinden sich diese Unterlagen aber wieder beim Steuerpflichtigen, der wegen des nunmehr drohenden Strafverfahrens nicht mehr zur Vorlage verpflichtet ist („nemo tenetur se ipsum prodere/accusare“). Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Hinterziehung unmittelbar aus den aufgefundenen Materialien ergibt oder der Steuerpflichtige an Ort und Stelle gesteht.7 Gleiches gilt fÅr bis dahin ungeprÅfte/nicht abgeglichene Kontrollmitteilungen und Geldwscheverdachtsanzeigen. Beispiel: A wird an einem Samstag beim GrenzÅbertritt von der Schweiz nach Deutschland kontrolliert. Unter der Fußmatte in seinem Kfz finden sich DepotÅbersichten und 1 Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 229; MÅckenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483); Spatscheck, DB 2013, 1073 (1078). 2 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 234.1; Wulf, wistra 2010, 286 (289). 3 Fehling/Rothbcher, DStZ 2008, 821 (827); Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 234.1, 237 ff. 4 Vgl. BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; vgl. auch LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris = NJW 2014, 1434; Beyer, AO-StB 2011, 5; RÅsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Seitz, Ubg 2014, 380; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schfers, StBW 2011, 34; TrÅg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 458 ff.; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 230.5; Pflaum in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 20 Rz. 273. 5 BGH v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, wistra 1993, 197; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 229. 6 Vgl. auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 138, 987. 7 Randt, Steuerfahndungsfall, B 64.
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D. SperrgrÅnde Ertrgnisaufstellungen. Er bittet die Grenzbeamten, ihm Kopien der sichergestellten Unterlagen zu Åberlassen. Noch am Sonntag wirft er nach anwaltlicher Beratung und Zusammenstellung der relevanten Zahlen eine „Nacherklrung“ bei dem fÅr ihn zustndigen Finanzamt ein. Am Montag um 8.00 Uhr Åbergibt er das gleiche Schreiben dem Vorsteher persÇnlich, noch bevor dieser Åberhaupt einen Abgleich der aufgefundenen Unterlagen veranlassen kann. Fazit: Die Selbstanzeige ist wirksam.
d) Tatentdeckung durch auslndische Amtstrger Bei Tatentdeckung durch eine auslndische BehÇrde, etwa im Rahmen einer Durchsuchung o.., ist hinsichtlich der Sperrwirkung einer Selbstanzeige maßgeblich, ob damit zu rechnen ist, dass diese Erkenntnisse der InlandsbehÇrde im Rahmen der Rechtshilfe aufgrund bestehender Abkommen Åbermittelt wÅrden.1 Auch bei sonstigen auslndischen Personen oder Dritten kommt es darauf an, ob diese die erlangten Kenntnisse an die zustndigen BehÇrden weiterreichen.2 Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit den sog. Offshore-Leaks Daten zu verneinen. Die Daten wurden zunchst Journalisten angeboten, die die Daten ausdrÅcklich nicht weiterleiten wollten. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn Staaten, denen die Daten zu VerfÅgung gestellt wurden, selbige an Deutschland weiterleiten. Auch in diesem Fall bedarf es jedoch eines Abgleichs mit der Steuerakte.
11.58
Bei Schweizer BehÇrden ist stets zu prÅfen, ob in Steuerstrafsachen Åberhaupt Rechtshilfe gewhrt wird. Die Schweiz leistet in Steuerstrafsachen grundstzlich keine Rechtshilfe.3 Die Gewhrung ist nach innerstaatlichem Recht aber mÇglich, wenn Gegenstand des Verfahrens ein „Steuerbetrug“ ist bei dem weitere Tatbestnde, etwa Urkundenflschung (§ 267 StGB) mit verwirklicht sind.4 Ein Steuerdelikt kann nach Ansicht des BGH zwar nicht nur von der Finanz- oder StrafverfolgungsbehÇrde selbst, sondern auch von einem Dritten (einer anderen BehÇrde oder einer Privatperson, hier: der Schweizer Polizei) „entdeckt“ werden. Dies setzt aber voraus, dass bereits durch seine Kenntnis von der Tat eine Lage geschaffen wird, nach der bei vorlufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Es ist deshalb darauf abzustellen, ob da-
11.59
1 Rolletschke in G/J/W, § 371 AO Rz. 110; Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 224; Jger in Klein12, § 371 AO Rz. 66; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 219; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 212, 219. 2 BGH v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1988, 308; BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 193. 3 Zu den Auswirkungen hinsichtlich des Informationsaustauschs Åber Art. 27 DBA-Schweiz vgl. Rz. 8.68; vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 220. 4 Vgl. auch BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293 unter Verweis auf Art. 2 Buchst. a EuRHbk; GrÅtzner/PÇtz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen2, II S 16 Rz. 1 und 22; Art. 3 Abs. 3 des Schweizer Bundesgesetzes Åber internationale Rechtshilfe in Strafsachen v. 20.3.1981, abgedruckt bei GrÅtzner/PÇtz, ebd., IV S 16; Art. 24 der Schweizer Verordnung Åber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen v. 24.2.1982.
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Selbstanzeige
mit zu rechnen ist, dass der Dritte seine Kenntnis an die zustndige BehÇrde weiterreicht.1 In Fllen internationaler Rechtshilfe kann dies nicht erst zu dem Zeitpunkt anzunehmen sein, in dem sich die auslndischen BehÇrden nach der Auffindung von Beweismitteln zur Bewilligung der Rechtshilfe entschließen. Der Zeitpunkt kann mit der Auffindung der Unterlagen selbst zusammenfallen. Auf die MÇglichkeit der steuerlichen Amtshilfe nach dem DBA-Schweiz kommt es dabei nicht an. e) Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund Verwertungsverbots
11.60 Eine Tatentdeckung ist ausgeschlossen, wenn die der Entdeckung zugrunde liegenden Tatsachen wegen eines Verfahrenshindernisses oder Verwertungsverbots nicht verwertet werden dÅrfen. In den sog. „Liechtenstein-Fllen“ wird jedoch das Vorliegen eines Verwertungsverbots durch das BVerfG und die untergerichtliche Rechtsprechung (noch) verneint2 (zur Problematik der Verwertungsverbote im Steuerstrafverfahren insgesamt s. Rz. 6.36, 9.228 f., 11.63).
V. Subjektives Moment 11.61 Positive Kenntnis von der Tatentdeckung und damit ein Sperrgrund liegt vor, wenn der Steuerpflichtige aus den ihm bekannten Tatsachen nachweislich3 den Schluss gezogen hat, dass die BehÇrde um die Tat weiß.4 Mit der Entdeckung rechnen, muss, wem sich aus nachweislich bekannten Tatsachen der Schluss der Tatentdeckung geradezu aufdrngen muss.5 Mit dem „RechnenmÅssen“ stellt das Gesetz eine widerlegbare Beweisregel zulasten des Tters auf, mit der der Nachweis des vom Tter bestrittenen Wissens in den Fllen ersetzt werden soll, in denen der Strafrichter dem Tter einzelne, bestimmte und zwingende Begleitumstnde nachzuweisen vermag, aus denen sich dem Tter die berzeugung von der Entdeckung seiner Steuerverfehlung aufdrngen musste. Die Frage, ob der Tter „bei verstndiger WÅrdigung der Sachlage“ mit der Entdeckung rechnen musste, ist allein aus der Lage des Tters heraus und abgestellt auf 1 BGH v. 13.5.1987 – 3 StR 37/87, wistra 1987, 293. 2 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09; DStR 2010, 2412; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 10/08, 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 133 ff. Vgl hierzu die Beitrge von Beyer, AO-StB 2011, 5; RÅsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schfers, StBW 2011, 34; TrÅg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140. 3 Der Nachweis ist durch die ErmittlungsbehÇrde zu fÅhren, vgl. auch Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 239.2; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 198, und im Rahmen des Zwischenverfahrens oder im Rahmen der Hauptverhandlung Åber den Grundsatz der freien richterlichen BeweiswÅrdigung zu lÇsen. 4 Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 197. 5 Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 197.
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seine individuellen ErkenntnismÇglichkeiten zu beurteilen.1 Die einschrnkende Tendenz der hÇchstrichterlichen Rechtsprechung hat keinen Eingang in die Neufassung des Gesetzes gefunden.2 Im Zweifel gilt der Indubio-pro-reo-Grundsatz.3 Im Falle des Ankaufs sog. Steuer-CDs bei entsprechender medialer VerÇffentlichung des Ankaufs als solchem ist ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige um die Entdeckung wissen musste.4 Auch wenn der BGH die Anforderungen an das KennenmÅssen vor dem Hintergrund der verstrkten Kooperation im Bereich der internationales Zusammenarbeit herabgesetzt sieht, erschließt sich nicht, warum der Steuerpflichtige den Schluss ziehen soll, dass gerade seine Daten sich auf der CD befinden.5 Etwas anderes kann gelten, wenn die Bank den Kunden nachweislich nicht nur allgemein bereits Åber das Abhandenkommen der Daten informiert hat.
11.62
VI. Ausschluss der Tatentdeckung aufgrund von Verwertungsverboten Eine Tatentdeckung ist grundstzlich ausgeschlossen, wenn die der Entdeckung zugrunde liegenden Tatsachen wegen eines Verfahrenshindernisses oder Verwertungsverbots nicht verwertet werden dÅrfen. In den sog. „Liechtenstein-Fllen“ wird jedoch das Vorliegen eines Verwertungsverbots durch das BVerfG und die untergerichtliche Rechtsprechung (noch) verneint.6 1 BayObLG v. 24.2.1974 – 4 St 135/71, BB 1972, 524. 2 FÅllsack/BÅrger, BB 2011, 1239 (1242) unter Verweis auf FÅllsack/BÅrger, BB 2010, 2403 (2408); vgl. auch Beyer, AO StB 2011, 119 (123); Salditt, PStR 2010, 168 (173); BR-Drucks. 431/14 v. 26.9.2014. 3 Jger in Klein12, § 371 AO Rz. 71; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 201; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 239. 4 So auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 1024, der ebenfalls darauf abstellt, dass Åber den Inhalt der CDs keine Details verÇffentlicht wurden; a.A. Roth, Stbg 2013, 29 (33), der ohne nhere BegrÅndung davon ausgeht, dass an das subjektive Moment keine hohen Anforderungen mehr zu stellen sind und im brigen von einer Information der Kunden durch die Banken ausgeht. 5 Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 239.1, der zu Recht bemerkt, dass sich aus den Presseartikeln ein „gesicherter Sachverhalt“ oder „gesicherte Erkenntnisse“ nicht entnehmen lassen; Randt/Schauf, DStR 2008, 489 (490); vgl.auch Kohler in MK-StGB, § 371 AO Rz. 229; MÅckenberger/Iannone, NJW 2012, 3481 (3483). 6 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09; DStR 2010, 2412; LG Bochum v. 7.8.2010 – 2 Qs 10/08, 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, juris; zur Problematik der Verwertungsverbote im Steuerstrafverfahren insgesamt vgl. die AusfÅhrungen unter Rz. 6.36, 9.228 f. Vgl. hierzu die Beitrge von Beyer, AO-StB 2011, 5; RÅsken, BFH/PR 2011, 112; Vahle, DVP 2011, 170; Wohlers, JZ 2011, 252; Kaiser, NStZ 2011, 383; Coen, NStZ 2011, 433; Lipsky, PStR 2011, 4; Joecks, SAM 2011, 21; Wenzel, StBW 2010, 1125; Schfers, StBW 2011, 34; TrÅg, StV 2011, 111; Loritz, WuB VII D § 102 StPO 1.11; Hillmer, ZFE 2011, 140.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
E. Selbstanzeige bei Unternehmen 11.64 Jeder Beteiligte einer Steuerhinterziehung kann eine Selbstanzeige abgeben. Eine Vertretung ist mÇglich. Es ist anerkannt, dass eine Selbstanzeige des GeschftsfÅhrers strafbefreiende Wirkung fÅr die anderen Organe entfaltet.1 Problematisch ist, dass bei Selbstanzeigen mit (steuerlichen) Wirkungen fÅr das Unternehmen zumeist mehrere beteiligt sind und nicht selten steuer- und strafrechtliche Konkurrenzverhltnisse im Unternehmens- oder Konzernverbund von Bedeutung sind. Soll die Selbstanzeige auch Wirkung auf der Ebene der Gesellschafter entfalten, bedarf es einer Bevollmchtigung. Ausreichend ist die Selbstanzeige beim Feststellungsfinanzamt, aufgrund der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids. Bei zeitgleich abgegebenen Steuererklrungen mit jeweils Åbereinstimmenden unrichtigen Angaben ist von einer Tat im materiellen Sinne auszugehen. Es kann daher eine Zusammenrechnung, etwa von KÇrperschaftsteuer und Umsatzsteuer, angezeigt sein. Problematisch wird zukÅnftig sein, dem Vollstndigkeitsgebot Rechnung zu tragen und nicht bei einer Selbstanzeige Gefahr zu laufen, mÇgliche Steuerhinterziehungen zu Åbersehen.2
11.65 Das Verfolgungshindernis tritt nur dann ein, wenn „der Tter“ den entsprechenden Geldbetrag zahlt. Damit kann nur der Tter im strafrechtlichen Sinne gemeint sein, was eine Abgrenzung zwischen Tterschaft (§ 25 StGB) und Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) erforderlich macht und eine genau PrÅfung bedingt. Die letztlich tterschaftlich handelnden Personen sind wie Gesamtschuldner zu behandeln, wobei nur einmal auf die volle Summe zu zahlen ist. Zahlt das Unternehmen die Geldauflage, ist diese, wie bei § 153a StPO auch, bei dem Tter als Lohn zu erfassen und wiederum zu versteuern.
I. Selbstanzeige Åber 50.000 Euro (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO) 11.66 In Fllen, in denen Straffreiheit nur deswegen nicht eintritt, weil der Hinterziehungsbetrag 50.000 Euro Åbersteigt (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO), wird gem. § 398a AO von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der Tter innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern entrichtet (Nr. 1) und einen Geldbetrag in HÇhe von 5 % der hinterzogenen Steuer zugunsten der Staatskasse zahlt (Nr. 2).3 Ausweislich der GesetzesbegrÅndung orientiert
1 BGH v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985, 74; zum Ganzen auch Spatschek, DB 2013, 1073 (1079). 2 Diese BefÅrchtung hegt auch J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 386, der zur LÇsung des Problems eine Differenzierung nach doloser und undoloser Teilselbstanzeige vorschlgt. 3 AusfÅhrlich J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 1042 ff.
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E. Selbstanzeige bei Unternehmen
sich die Regelung an § 153a StPO.1 Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO bezieht sich auf jede einzelne Tat im materiellen Sinne.2 Dies hat zur Folge, dass ggf. einzelne Taten aus dem „Berichtigungsverbund“ ausgenommen sind.3 Der Zuschlag ist an die Staatskasse zu entrichten. Das konkrete Prozedere oder gar welche Verfahrensordnung einschlgig sein soll, ist nicht geregelt worden. Auch die Zustndigkeit wurde nicht bestimmt, wird jedoch konsequenterweise bei der Staatsanwaltschaft oder Straf- und Bußgeldsachenstelle zu verorten sein. Es entsteht kein endgÅltiges Verfahrenshindernis. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die tatschlich hinterzogene Summe hÇher war, hindert dies ein Verfahren nicht. Eine Anrechnung gezahlter Betrge findet nur in begrenztem Umfang statt. Eine Unterscheidung zwischen einer Steuerhinterziehung auf Dauer und einer solchen auf Zeit wird man fÅr die Berechnung der 5 % nicht annehmen kÇnnen. Jede versptete Steuervoranmeldung wird mithin der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO unterworfen.4 § 398a AO fÅhrt zu keinem Verfahrenshindernis in Form des beschrnkten Strafklageverbrauchs, sondern nur zu einem Verfolgungshindernis, wenn die Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige vorliegen.
11.67
Eine Anrechnung fÅr bereits gezahlte Betrge sieht § 398a Nr. 2 AO nicht vor. Jedoch dÅrfte eine Anrechnung auf die zu verhngende Strafe nach § 56f Abs. 3 StGB in Betracht kommen.
11.68
II. Altflle FÅr sog. Altflle, d.h. teilweise Selbstenzeigen, die am Tag der VerkÅndung des Schwarzgeldbekmpfungsgesetzes schon erstattet waren, gilt die Regelung des Art. 97 § 24 EinfÅhrungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO): FÅr diese bleibt der bei Abgabe der Selbstanzeige bestehende Status der Straffreiheit insoweit erhalten. Die nach dem Tag der VerkÅndung des vorliegenden Gesetzes erstattete (weitere) Selbstanzeige wird als erstmalige Selbstanzeige gewertet. Straffreiheit tritt ein, wenn zu diesem Zeitpunkt alle bis dahin noch nicht offenbarten steuerlich erheblichen Sachverhalte der unverjhrten Vergangenheit in vollem Umfang erklrt, berichtigt oder ergnzt werden.5
11.69
III. Selbstanzeige und Verbandsgeldbuße Straftaten von Leitungspersonen eines Unternehmens fÅhren immer hufiger auch zur Verhngung einer Verbandsgeldbuße nach dem OWiG. Der 1 2 3 4 5
BT-Drucks. 17/5067, 20. Beyer, AO-StB 2011, 119 (124); Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 249.4. Zum Ganzen FÅllsack/BÅrger, BB 2011, 1239 (1241, 1242). Zu mÇglichen Haftungsfragen vgl. Pegel, Stbg 2011, 348. BT-Drucks. 17/4182, 6.
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11.70
Kapitel 11
Selbstanzeige
Vorteil besteht darin, dass die Geldbuße der HÇhe nach recht hoch veranschlagt und Åber § 29a OWiG zustzlich ein Verfall erreicht werden kann. Die Frage der Anwendbarkeit von § 30 OWiG wird zunehmend auch im Bereich der Selbstanzeige durch Unternehmen diskutiert.1
11.71 Hat jemand – als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, – als Vorstand eines nicht rechtsfhigen Vereins oder als Mitglied eines solchen Vorstandes, – als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfhigen Personengesellschaft, – als Generalbevollmchtigter oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmchtigter einer juristischen Person oder einer in Nr. 2 oder 3 genannten Personenvereinigung oder – als sonstige Person, die fÅr die Leitung des Betriebs oder Unternehmens einer juristischen Person oder einer in Nr. 2 oder 3 genannten Personenvereinigung verantwortlich handelt, wozu auch die berwachung der GeschftsfÅhrung oder die sonstige AusÅbung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehÇrt, eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese gem. § 30 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße festgesetzt werden.
11.72 Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) kann die Geldbuße auch gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden. Die Geldbuße darf in diesen Fllen jedoch den Wert des Åbernommenen VermÇgens sowie die HÇhe der gegenÅber dem Rechtsvorgnger angemessenen Geldbuße nicht Åbersteigen (§ 30 Abs. 2 Buchst. a OWiG). Im Bußgeldverfahren tritt der Rechtsnachfolger in die Verfahrensstellung ein, in der sich der Rechtsvorgnger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge befunden hat.
11.73 Wird wegen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ein Straf- oder Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt oder wird von Strafe abgesehen, so kann die Geldbuße grundstzlich selbstndig festgesetzt werden (§ 30 Abs. 4 OWiG). Die selbstndige Festsetzung einer Geldbuße gegen die juristische Person oder Personenvereinigung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen GrÅnden nicht verfolgt werden kann (§ 30 Abs. 4 Satz 3 OWiG). Wird fÅr alle an der Steuerhinterziehung beteiligten Leitungspersonen des Unternehmens eine strafbefreiende Selbstanzeige abgegeben, scheidet nach 1 Reichling, NJW 2013, 2233.
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F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO)
Åberwiegender Ansicht die Verhngung einer Verbandsgeldbuße aus.1 Auch Åber § 130 OWiG kommt die Verhngung einer Verbandsgeldbuße nicht in Betracht. Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorstzlich oder fahrlssig die Aufsichtsmaßnahmen unterlsst, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt gem. § 130 Abs. 1 OWiG ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehÇrige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehÇren auch die Bestellung, sorgfltige Auswahl und berwachung von Aufsichtspersonen. Die Regelung des § 378 AO, insbesondere § 378 Abs. 3 AO, ist indes abschließend.
F. Fremdanzeige zugunsten Dritter (§ 371 Abs. 4 AO) Wird die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmßig erstattet, wird ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklrungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollstndig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 4 AO). Sinn und Zweck der Regelung ist zu verhindern, dass jemand nicht deswegen gehindert wird eine Selbstanzeige abzugeben, weil er damit fÅr Dritte die Gefahr der Strafverfolgung erÇffnet. Es soll ein Interessenkonflikt des Anzeigepflichtigen vermieden werden. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, tritt Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 4 Satz 2, Abs. 3 AO). Weiterhin umstritten ist, was gilt, wenn der Dritte vorstzlich Steuern hinterzogen hat.2 Beispiel: Die Z-GmbH hat vier GeschftsfÅhrer (A, B, C, D). A hat vorstzlich Steuern zugunsten der Gesellschaft hinterzogen. B erfhrt davon im Nachhinein und unternimmt nichts, obwohl er wegen §§ 153 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, 34 AO zur Berichtigung verpflichtet ist. B hat sich auf diesem Weg der Steuerhinterziehung durch Unterlassen schuldig gemacht. C gibt nunmehr eine strafbefreiende Selbstanzeige ab. Fraglich ist, ob diese Wirkung fÅr und gegen die Åbrigen Gesellschafter A, B, und D entfaltet.
1 Schauf in Kohlmann, § 377 AO Rz. 116; Joecks in F/G/J7, § 377 AO Rz. 49b; Reichling, NJW 2013, 2233; Heerspink in Flore/Tsambikakis, Vorb. §§ 377 AO Rz. 132. 2 Vgl. hierzu Randt, Steuerfahndungsfall, B 127; bejahend LG Bremen v. 26.6.1998 – 42 Qs 84b Ds 860 Js 22051/97, Stbg 1998, 562; a.A. OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, wistra 1996, 190.
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11.74
Kapitel 11
Selbstanzeige
11.75 Ausgehend vom Wortlaut und unter BerÅcksichtigung von Sinn und Zweck der Norm wird man die Selbstanzeige fÅr alle als wirksam erachten mÅssen. § 371 Abs. 4 AO benennt als Sperrgrund lediglich die Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- und Bußgeldverfahrens. Sinn und Zweck ist die Erschließung unbekannter Steuerquellen. Auf die Motivation kommt es nicht an. Ferner spricht fÅr diese Sichtweise, dass das Problem seit Jahren bekannt ist und der Gesetzgeber sich auch im Rahmen der jÅngsten Neufassung des § 371 AO nicht zu einer nderung veranlasst sah.1
11.76 Auch nach der Neuregelung der Selbstanzeige ist folgende Vorgehensweise immer noch mÇglich: Beispiel: Der geschftsfÅhrende Alleingesellschafter A hat zugunsten seiner Firma Steuern hinterzogen. Im Rahmen der BetriebsprÅfung zeichnet sich die Entdeckung der Tat ab. Aus diesem Grund bestellt A den B zum weiteren GeschftsfÅhrer, der nunmehr die Erklrung nach § 153 AO mit strafbefreiender Wirkung auch fÅr den A nachholt.
G. Selbstanzeige bei leichtfertiger SteuerverkÅrzung 11.77 Die Regelung des § 378 Abs. 3 AO blieb letztlich unangetastet. Nach dem Wortlaut „soweit“ sind Teilselbstanzeigen weiterhin mÇglich. Die Selbstanzeige bleibt mÇglich, bis der Sperrgrund der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens eingetreten ist. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist auch in Fllen Åber 50.000 Euro mÇglich, was Streit um den Begriff der Leichtfertigkeit in Abgrenzung zum Eventualvorsatz vorprogrammiert, aber in Zukunft eine wichtige Argumentationslinie darstellt.2
H. Umfang der Sperrwirkung 11.78 Was den Umfang und die Reichweite der Sperrwirkung bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes angeht, bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Dies gilt insbesondere fÅr die Frage nach einer zweiten Selbstanzeige nach zunchst unvollstndiger erster „Teil-Selbstanzeige“.3 Gleiches gilt fÅr sog. „ergnzende Selbstanzeigen“. Es ist davon auszugehen, dass sich 1 Vgl. auch OLG Stuttgart v. 31.1.1996 – Ws 1/96, wistra 1996, 190; Joecks in F/G/J7, § 371 AO Rz. 228a; Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 283.3; Stahl/ Carl, DStR 2000, 1248; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO Rz. 174 ff.; zum Ganzen J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 1394 ff. 2 Zum Ganzen J.R. MÅller, Selbstanzeige, Rz. 1228 ff. 3 Vgl. hierzu Bergmann, JR 2012, 146; Schwartz, wistra 2011, 81, Bielefeld/Sumecova, StB 2010, 311.
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I. Fertigung der Selbstanzeige vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neufassung
Finanzverwaltung und Rechtsprechung auf den Standpunkt stellen, dass wenn ein Sperrgrund vorliegt, eine Selbstanzeige nicht mehr und auch nach Abschluss des Verfahrens nicht wieder mÇglich ist. Nach hiesigem DafÅrhalten ließe sich vertreten, dass bei Einstellung des „ersten“ auf die Selbstanzeige hin eingeleiteten Strafverfahrens die SelbstanzeigemÇglichkeit insgesamt wieder auflebt. Denn der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO hat allein den Sinn, ein Wettrennen zwischen Steuerpflichtigem und Ermittlern zu verhindern und will demjenigen den Weg zur Selbstanzeige abschneiden, bei dem ohnehin mit einer Entdeckung der strafrechtlichen VorwÅrfe zu rechnen ist; der also nicht mehr „freiwillig“ i.S. des RÅcktrittsgedankens zur Steuerehrlichkeit zurÅckfinden wÅrde. Nach Abschluss des ersten Verfahrens uns Nichtentdeckung weiterer Steuerstraftaten handelt der Steuerpflichtige jedoch wieder aus autonomen Motiven heraus.
11.79
I. Fertigung der Selbstanzeige vor dem Hintergrund der BGH-Rechtsprechung und der gesetzlichen Neufassung Zunchst ist festzustellen, welche nicht verjhrten EinkÅnfte aus welchen Steuerarten bis dato keinen Eingang in die Steuererklrungen des/ der Betroffenen gefunden haben. Angesichts der Neufassung sind vollumfnglich alle EinkÅnfte derselben Steuerart zu erklren, sodass etwa eine Selbstanzeige lediglich fÅr Ertrge eines schweizer Depots unwirksam ist, wenn nicht auch die Kapitalertrge in Drittstaaten erklrt werden. Vor dem Hintergrund der immer weiter fortschreitenden tatschlichen und rechtlichen MÇglichkeiten im Bereich der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Steuer- und Steuerstrafrechts sollten auch Lnder wie Singapur oder Stdte wie Hong-Kong oder die Cayman Islands nicht als sichere Hfen erachtet werden. Stellt sich nmlich spter heraus, dass die Selbstanzeige nur die halbe Wahrheit gewesen ist, kann diese sogleich als gestndnisgleiche Einlassung zur Steuerhinterziehung verwertet werden.
11.80
Ggf. sind Depot- und Ertrgnisaufstellungen smtlicher auslndischer Banken anzufordern und aufzubereiten. Etwaige Erluterungen in auslndischer Sprache sind zu Åbersetzen. Dies kann mitunter lngere Zeit in Anspruch nehmen. Bescheinigungen Åber einbehaltene Quellensteuer sollten ebenfalls vorliegen.
11.81
Ist Eile geboten, sollte eine großzÅgige Schtzung vorgenommen werden, die in keinem Fall hinter den tatschlichen Angaben zurÅckbleiben darf. Die sptere Korrektur nach unten ist unproblematisch. Die Schtzung darf freilich nicht maßlos ausfallen und jeder Grundlage entbehren.
11.82
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Kapitel 11
Selbstanzeige
11.83 Alsdann sind die steuerlichen Auswirkungen genau zu berechnen und die erforderlichen Finanzmittel bereitzustellen. Steuerliche Haftungsregeln sind zu beachten (§ 71 AO). Es ist festzustellen, welche Taten strafrechtlich verjhrt sind und inwiefern sich Auswirkungen fÅr die steuerliche Verjhrungsfrist von zehn Jahren bei Steuerhinterziehung ergeben kÇnnen (§ 169 Abs. 2 AO). Ferner gilt es, Berufs- und disziplinarrechtliche Folgen fÅr den Betroffenen abzuwgen.1 Sodann ist zu fragen, ob die Abgabe der Selbstanzeige nicht bereits gesperrt ist.
11.84 In praktischer Hinsicht hat sich bewhrt, die VermÇgensstnde einer Tabelle aufzulisten, jeweils zum 1.1. fÅr die strafbefangenen Zeitrume. FÅr den steuerlichen Zehnjahreszeitraum bietet es sich an, eine entsprechende Aufstellung zu fertigen. Werbungskosten und Ertrge sind darin gesondert aufzufÅhren. Die Selbstanzeige sollte so Åbersichtlich wie mÇglich gehalten werden. Mit Abgabe der Selbstanzeige sollte eine Akontozahlung geleistet werden in HÇhe der Steuerschuld auf die Steuerschuld. Der Zinslauf fÅr die Nachversteuerung wird so gestoppt. Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO).
J. Verwendung der Selbstanzeige fÅr sonstige Straftaten 11.85 ber die Steuerhinterziehung hinaus ist eine Selbstanzeige nicht mÇglich, etwa fÅr Urkundendelikte, Betrugsdelikte, Untreuen, Insolvenzstraftaten oder der Steuerhinterziehung zugrunde liegende Korruptionstaten. Straffreiheit tritt nur fÅr die Steuerhinterziehung ein.
11.86 Indes gilt das Steuergeheimnis des § 30 AO, und auch wenn formell die Einleitung eines Strafverfahrens erfolgt, besteht eine Befugnis zur Weiterleitung der in der Selbstanzeige enthaltenen Informationen nur in den Fllen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO.2
K. Ausblick 11.87 Die weitere Entwicklung im Hinblick auf die strafbefreiende Selbstanzeige bleibt abzuwarten. Am 9.5.2014 haben sich die Finanzminister
1 Zum Ganzen Pflaum, wistra 2011, 55. 2 BGH v. 5.5.2004 – 5 StR 139/03, wistra 2004, 391 (392), wobei jedoch angesichts der mÇglichen Durchbrechung des Steuergeheimnisses gem. § 30 AO eine Reduzierung des Erklrungsumfangs in Betracht kommt, d.h. die EinkÅnfte mÅssen nur betragsmßig, aber nicht unter Benennung der Einkunftsquelle benannt werden.
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K. Ausblick
der Lnder auf der Jahreskonferenz fÅr eine Beibehaltung bei gleichzeitiger Verschrfung der Selbstanzeige geeinigt. Die EinfÅhrung einer Selbstanzeige beschrnkt auf Bagatellflle wurde abgelehnt. Wesentliche Neuerungen1 der zum 1.1.2015 geplanten Selbstanzeige soll zum einen sein die Herabsetzung des Betrags von 50.000 auf 25.000 Euro, ab dem gem. § 398a AO ein Zuschlag fllig wird. Bei darÅber hinausgehenden Betrgen soll der Zuschlag 10% bis 100.000, 15% ab 100.000 und bei einem Hinterziehungsvolumen von 1 Mio. Euro soll der Zuschlag bei 20% liegen. Ergnzend soll zum anderen die Verjhrung bei allen Fllen der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre angehoben werden. Zur Erlangung der Straffreiheit soll ferner die Straffreiheit mit der Zahlung der Hinterziehungszinsen verknÅpft werden. Es soll zudem gesetzlich klargestellt werden, dass auch die Umsatzsteuer- oder Lohnsteuer-Nachschau eine Sperrwirkung fÅr die strafbefreiende Selbstanzeige auslÇst ebenso wie eine Bekanntgabe der PrÅfungsanordnung nur an den BegÅnstigten. Im Bereich der Anmeldesteuern soll eine gesetzliche Klarstellung zur Beseitigung bestehender praktischer und rechtlicher Verwerfungen erfolgen. Insbesondere soll eine berichtigte oder versptete Steuer(vor)anmeldung, die keine Jahreserklrung ist, als wirksame Teilselbstanzeige gelten kÇnnen. In steuerlicher Hinsicht soll eine besondere Anlaufhemmung fÅr auslndische Kapitalertrge eingefÅhrt werden. FÅr den Fall der neuerlichen Verschrfung2 wird insbesondere fraglich sein, ob nicht bei einer abermaligen ErhÇhung der Zuschlge nach § 398a AO, insbesondere bei einem Zuschlag von 20% ab einem Hinterziehungsvolumen von einer Mio. Euro, der Zuschlag Strafcharakter3 erhlt und damit faktisch ein Strafklageverbrauch4 ipso iure geschaffen wird. Insbesondere die AusfÅhrungen des EuGH in Sachen Fransson nhren diesen Schluss (vgl. hierzu Rz. 4.31). Eine Kombination von verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen wird durch den EuGH nur solange als unschdlich erachtet, als die verwaltungsrechtliche Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter i.S. von Art. 50 GRCh hat. Die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von Steuerzuschlgen richtet sich nach folgenden Kriterien: die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, die Art der Zuwiderhandlung und die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion.5 Sollte ab einem Hinterziehungsvolumen vom einer Mio. Euro tatschlich ein Zuschlag von 20 % fllig werden, spricht viel dafÅr, dass der EuGH diese Voraussetzungen als erfÅllt ansieht, sofern die weiteren Voraussetzungen erfÅllt sind und die Vorschrift 1 Eine bersicht der gesamten Neuerungen findet sich unter http://www.fm.nrw.de/presse/2014_05_09_Strafbefreiende-Selbstanzeige.php; vgl. auch BR-Drucks. 431/14 v. 26.9.2014. 2 Vgl. Kemper, DStR 2014, 928; Wenzler, AO-StB 2014, 127 (128); Schlecht, Ubg 2014, 389; Wulf, Stbg 2014, 271. 3 Ablehnend indes ohne BegrÅndung Schlecht, Ubg 2014, 389 (393). 4 Ablehnend FinMin NRW v. 5.5.2011 – S 0702 - 8 - V A 1; OFD Niedersachsen v. 9.6.2011 – S 0702 - 30 - St 131. 5 EuGH v. 26.2.2013 – Rs. C-617/10, ZWH 2013, 232.
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Kapitel 11
Selbstanzeige
des § 398a AO in den Geltungsbereich des Unionsrechts fllt (zu den Voraussetzungen vgl. Rz. 4.31).1 Dies kÇnnte dann (mittelbar) der Fall sein, wenn etwa die Frage im Raum steht, ob der Zuschlag als Werbungskosten oder Betriebsausgaben steuerlich abzugsfhig ist. Auch Grundfreiheiten kÇnnen mit Grundrechten kollidieren.2 Eine reflexive Betroffenheit (Rz. 2.9, 2.54, 2.57) des § 398a AO kÇnnte zudem dann anzunehmen sein, wenn sich die der Selbstanzeige zugrunde liegende Tat mittelbar oder unmittelbar gegen Gemeinschaftswerte richtete, etwa in einer Umsatzsteuerhinterziehung bestand. Einen Strafklageverbrauch nur fÅr diese Flle anzunehmen, wre inkonsequent und widersprÅchlich, sodass man zu einem Strafklageverbrauch insgesamt kme. Schließlich wird man zukÅnftig die Einstellung nach § 398a AO mit erfolgter, im Fall der Wiederaufnahme nicht zu erstattender3 Zahlung (vgl. § 398a Abs. 4 AO-E) als rechtskrftige Verurteilung i.S. von Art. 50 GRCh ansehen mÅssen.4 Es gelten hnliche berlegungen wie bei § 153a StPO (Rz. 4.12, 4.21).5 Bereits geleistete Zahlungen sollen der GesetzesbegrÅndung und dem Referentenentwurf folgend, wie bei § 153a StPO, nur im Rahmen der Strafzumessung berÅcksichtigt werden kÇnnen (§ 398a Abs. 4 AO-E). FÅr einen Strafklageverbrauch spricht auch die weitere berlegung, dass das Strafverfahren nach der Neufassung nur bei neuen Tatsachen wieder aufgenommen werden darf oder wenn sich nachtrglich herausstellt, dass das Verfahrenshindernis doch nicht bestanden hat (§ 398a Abs. 3 AO-E). Weitere Sanktionen aufgrund derselben, bereits bekannten Tatsachen sind mithin nicht mÇglich. BÅlte folgert daraus zu Recht eine Sperrwirkung der Strafverfolgung in anderen Mitgliedsstaaten und einen unionsrechtlichen Strafklageverbrauch.6 Etwas anderes muss freilich gelten, wenn der Steuerpflichtige selbst mittels unrichtiger Selbstanzeige die FinanzbehÇrden bewusst tuscht, um die Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO i.V.m. § 398a AO zu erreichen. Hier fehlt es an einem schutzwÅrdigen Vertrauen in den Bestand der behÇrdlichen Entscheidung.7
1 BÅlte, NZWiSt 2014, 321 (324); Jger in Klein, § 398a AO Rz. 1. 2 Nusser, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte, 2011, 50 ff., 148, 180 f. 3 A.A. noch Hoyer in Gosch/Beermann, § 398 AO Rz.. 28; Hunsmann, PStR 2011, 983 (985). 4 Vgl. die AusfÅhrungen des EuGH v. 5.6.2014 – Rs. C-398/12 – „M“; Hoyer in Gosch/Beermann, § 398 AO Rz. 28; BÅlte, NZWiSt 2014, 321 (324, 325). 5 EuGH v. 11.2.2003 – Rs. C-187/01, C-385/01; zum Ganzen Anagnostopoulos in FS Hassemer, 2010, 1123; Eser in FS Meyer, 2006, 514; kritisch Nehm in FS Steininger, 2003, 381; Schomburg in FS Eser, 2005, 835; Vogel in FS Schroder, 2006, 889; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rz. 113, 114; Brandenstein in Flore/Tsambikakis, Kap. 13 Rz. 17. 6 BÅlte, NZWiSt 2014, 321 (324, 325). 7 BÅlte, NZWiSt 2014, 321 (324, 327) unter Verweis auf Dannecker, EuZ 2009, 110 (113).
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Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder Rz. A. Korruption im Kontext des internationalen Steuerstrafrechts
a
Rz. 3. Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.30 4. Unrechtsvereinbarung . . . . . . . 12.31 5. Unlautere Bevorzugung . . . . . . 12.32
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . .
12.1
II. Hintergrund der Verschrfung des Korruptionsstrafrechts . . .
12.3
I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 12.33
12.8 12.9 12.10
II. Auslandstaten . . . . . . . . . . . . . . 12.41
III. 1. 2. 3.
Die Bestechungstatbestnde . . Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteilsbegriff des § 333 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialadquanz . . . . . . . . . . . . . 5. VerknÅpfung von Vorteil und DienstausÅbung/Unrechtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wirksame Genehmigung . . . .
12.13 12.15
B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG
III. Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung . 12.43 C. Benennungsverlangen nach § 160 AO I. EinfÅhrung . . . . . . . . . . . . . . . . 12.44
12.18 12.22
IV. Bestechlichkeit und Bestechung im geschftlichen Verkehr, § 299 StGB . . . . . . . . . . . 12.27 1. Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.28 2. Tterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.29
II. Empfnger i.S. des § 160 AO . . 12.46 III. Benennungspflicht bei Provisionszahlungen . . . . . . . . . . . 12.49 IV. Umfang der Benennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.63
Literatur: Ahlbrecht/Dann, Internationale Angestelltenbestechung und steuerliches Abzugsverbot, PStR 2008, 209; Bernsmann, Untreue und Korruption – der BGH auf Abwegen, GA 2009, 296; Braun, Mitteilung von im Besteuerungsverfahren bekannt gewordenen Tatsachen an externe Stellen, EFG 2008, 762; Dann, Korruption im Notstand – Zur Rechtsfertigung von Schmiergeld- und Bestechungszahlungen, wistra 2011, 127; Greeve, Korruptionsdelikte in der Praxis, 2005; HÇll, Die Mitteilungspflichten bei Korruptionssachverhalten im RegelungsgefÅge des Steuergeheimnisses, ZIS 2010, 309; Jahn, Ermittlungen in Sachen Siemens/SEC, StV 2009, 41; Matthes, Steuerhinterziehung durch die Behandlung von Bestechungsgeldern als BA, EFG 2012, 288; Park, § 299 StGB – Auslegungshilfe durch steuerrechtliche Fremdvergleichskriterien?, wistra 2010, 321; Pelz, Aktuelle Rechtsprobleme des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG und seine Folgen, DStR 2014, 449; Peters, Hospitality und Strafrecht oder “Bitte nicht (an)fÅttern“, ZWH 2012, 262; Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, BB 2000, 1006; RÇnnau, Untreue durch Einrichtung verdeckter Kassen, Bestechung im geschftlichen Verkehr im Ausland sowie auslndischer Amtstrger, StV 2009, 246; RÅbenstahl, (Un-)Zulssigkeit von Benennungsverlangen (§ 160 AO) bei berweisungen an intransparente Domizilgesellschaften, StBp 2011, 329; Sahan, Korruption als steuerstrafrechtliches Risiko, in FS fÅr Erich Samson, 2010, 599; Saliger, Hospitality und Korruption, in FS fÅr Hans-Heiner KÅhne, 2013, 443; Satzger, „Schwarze Kassen“ zwischen Untreue und Korruption, NStZ 2009, 297; Schauf/Idler, Praxiserfahrun-
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Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder gen im Zusammenhang mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG, Ubg 2010, 111; Schuhr, Funktionale Anforderungen an das Handeln als Amtstrger (§§ 331 ff. StGB) oder Beauftragter (§ 299 StGB), NStZ 2012, 11; Spatschek, Korruption und Steuerstrafrecht, SAM 2012, 100; von Tippelskirch, Schutz des Wettbewerbs vor Korruption, GA 2012, 574.
A. Korruption im Kontext des internationalen Steuerstrafrechts I. Vorbemerkung 12.1 Sptestens seit den großen Schmiergeldaffren der letzten Jahre und allen
12.2
sich daran anschließenden Verfahren ist klar, dass Korruptionstaten auch immer einen steuerstrafrechtlichen Aspekt haben. Der Abzug von Honoraren fÅr Beratervertrge, Provisionen und sonstigen geldwerten Leistungen und damit zusammenhngenden Zuwendungen als Betriebsausgabe ist gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG1 unzulssig, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulsst. Die BetriebsprÅfer der FinanzbehÇrden sind angehalten, insbesondere bei auslandsorientierten Unternehmen besonderes Augenmerk auf ins Ausland geflossene nÅtzliche Zuwendungen zu legen, insbesondere was Beratervertrge im Ausland ansssiger Personen betrifft, da hierÅber hufig Schmiergelder generiert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass den Steuerpflichtigen insofern erhÇhte Mitwirkungspflichten treffen (§§ 90 Abs. 2, 3, 160 AO etc.).
II. Hintergrund der Verschrfung des Korruptionsstrafrechts 12.3 Angesichts der Hufung aufsehenerregender Bestechungsflle in der Çffentlichen Verwaltung und der wachsenden Besorgnis, dass die organisierte Kriminalitt mit korruptiven Mitteln in verstrktem Maße in staatliche Strukturen eindringt,2 hat der Gesetzgeber, um das Vertrauen der BÅrger in die Integritt des Staates als einen der Eckpfeiler der Gesellschaft auch fÅr die Zukunft sicherzustellen,3 durch das Korruptionsbekmpfungsgesetz vom 13.8.19974 u.a. nicht nur die Strafandrohungen der einschlgigen Strafvorschriften in §§ 331 ff. StGB verschrft, sondern auch die Bestimmungen gegen die Vorteilsannahme (§ 331 Abs. 1 StGB) und die Vorteilsgewhrung (§ 333 Abs. 1 StGB) tatbestandlich erweitert. Angesichts der zunehmenden Privatisierung staatlicher Aufgaben sah der 1 EingefÅgt durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. a Doppelbuchst. ee des Jahressteuergesetzes 1996 v. 11.10.1995, BGBl. I 1995, 1250 (1253). 2 Vgl. Bauer/Gmel in LK11, Nachtrag zu §§ 331–338 StGB Rz. 2 m.w.N. 3 Vgl. den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP v. 24.9.1996, BT-Drucks. 13/5584, 1 und 8, den die Bundesregierung unverndert Åbernommen hat, s. BT-Drucks. 13/6424. 4 BGBl. I 1997, 2038.
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A. Korruption im Kontext des internationalen Steuerstrafrechts
Gesetzgeber die Gefahr, dass die Flucht ins Privatrecht auch deutliche strafrechtliche Erleichterungen nach sich ziehen kÇnnte. Gem. § 331 Abs. 1 StGB a.F. machte sich ein Amtstrger wegen Vorteilsannahme nur strafbar, wenn er als Gegenleistung fÅr eine vergangene oder kÅnftige Diensthandlung einen Vorteil fÅr sich selbst forderte, sich versprechen ließ oder annahm. Nach der Neufassung der Vorschrift reicht es nunmehr aus, wenn der Amtstrger den Vorteil fÅr einen Dritten fordert, sich versprechen lsst oder annimmt. Mit der Erweiterung von § 331 Abs. 1 StGB und § 333 Abs. 1 StGB sollten zum einen die Flle, in denen durch die Vorteile nur das generelle „Wohlwollen“ des Amtstrgers erkauft bzw. „allgemeine Klimapflege“ betrieben wird, in den Tatbestand einbezogen sowie die Schwierigkeiten Åberwunden werden, die sich bei der Anwendung dieser Vorschriften in ihrer ursprÅnglichen Fassung daraus ergaben, dass vielfach die Bestimmung des Vorteils als Gegenleistung fÅr eine bestimmte oder zumindest hinreichend bestimmbare Diensthandlung aufgrund der Besonderheiten der Sachverhaltsgestaltungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar waren.1 Ferner sollten auch die – strafwÅrdigen – Flle erfasst werden, in denen der Amtstrger den Vorteil zwar fÅr eine Diensthandlung, aber oftmals auch zur Umgehung der einschlgigen Strafvorschriften zugunsten eines Dritten – insbesondere fÅr „Personenvereinigungen“ – fordert, sich versprechen lsst oder annimmt, ohne dass erkennbar bzw. nachweisbar ist, dass die Zuwendung auch den Amtstrger zumindest mittelbar besserstellt; denn – so die BegrÅndung – die geschÅtzten RechtsgÅter seien durch derartige Zuwendungen in gleicher Weise beeintrchtigt wie bei Vorteilen, die dem Amtstrger selbst zugute kommen.2 Flankiert durch die ergnzenden Vorschriften des EU-Bestechungsgesetzes (EuBestG)3 und des Gesetzes zur Bekmpfung internationaler Bestechung (IntBestG)4 werden darÅber hinaus auslndische, europische und internationale Amtstrger ebenfalls erfasst.5 Mit dem EUBestG haben die Mitgliedstaaten sich verpflichtet, auch den internationalen Einrichtungen strafrechtlichen Schutz zukommen zu lassen. Die §§ 332, 334-336, 338 StGB (nicht aber die bloße Vorteilsannahme oder –gewhrung) kommen mithin auch zur Anwendung bei:
1 Vgl. den Bericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags v. 26.6.1997, BT-Drucks. 13/8079, 15. 2 Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP v. 24.9.1996, BT-Drucks. 13/5584, 16. 3 Gesetz zu dem Protokoll v. 27.9.1996 zum bereinkommen Åber den Schutz der finanziellen Interessen der Europischen Gemeinschaften, EUBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2340; vgl. hierzu BT-Drucks. 13/10424. 4 Gesetz zu dem bereinkommen v. 17.12.1997 Åber die Bekmpfung der Bestechung auslndischer Amtstrger im internationalen Geschftsverkehr, IntBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2327, vgl. hierzu BT-Drucks. 13/10428. 5 AusfÅhrlich dazu Korte, wistra 1999, 81; Pelz, StraFo 2000, 300.
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12.6 – Amtstrgern eines anderen Mitgliedstaates der EU, sofern deren Stellung der eines Amtstrgers nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB entspricht, – Gemeinschaftsbeamten, – Mitgliedern der Kommission oder des Rechnungshofes der EU, – Richtern oder Gerichtsmitgliedern eines Mitgliedstaates.
12.7 ber § 1 IntBestG werden Richter auslndischer Staaten, internationaler Gerichte, Amtstrger auslndischer Staaten und internationaler Organisationen sowie auslndische Soldaten inlndischen Amtstrgern gleichgestellt. Gem. § 2 Abs. 1 IntBestG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fÅnf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im internationalen geschftlichen Verkehr zu verschaffen oder zu sichern, einem Mitglied eines Gesetzgebungsorgans eines auslndischen Staates oder einem Mitglied einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation einen Vorteil fÅr dieses oder einen Dritten als Gegenleistung dafÅr anbietet, verspricht oder gewhrt, dass es eine mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhngende Handlung oder Unterlassung kÅnftig vornimmt. Es handelt sich hierbei um einen eigenstndigen Tatbestand. § 3 IntBestG ordnet ausdrÅcklich die Geltung des deutschen Strafrechts an. Der Amtstrgerbegriff nach Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG ist nicht i.S. der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, sondern autonom auf der Grundlage des OECD-bereinkommens Åber die Bekmpfung der Bestechung auslndischer Amtstrger im internationalen Geschftsverkehr vom 17.12.1997 auszulegen.
III. Die Bestechungstatbestnde 12.8 Nach § 331 StGB macht sich strafbar, wer als Amtstrger oder fÅr den Çffentlichen Dienst besonders Verpflichteter fÅr die DienstausÅbung einen Vorteil fÅr sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lsst oder annimmt. § 333 StGB erfasst spiegelbildlich die Geberseite. Die §§ 332, 334 StGB regeln die Bestechung im Hinblick auf konkrete Diensthandlungen, mithin qualifizierte Flle des § 331 StGB bzw. § 333 StGB.1 1. Rechtsgut
12.9 Vornehmliches Ziel jeder gesetzlichen Tatbestandsbildung ist es, den dem Rechtsgut zukommenden Schutz in Bezug auf Einwirkungsintensitt und Angriffsart festzulegen. Das geschÅtzte Rechtsgut lsst daher RÅckschlÅsse auf das deliktstypische Tatunrecht zu. Durch die §§ 331–335 StGB wird das Vertrauen in die Unkuflichkeit von Trgern staatlicher Funktionen und damit zugleich das Vertrauen in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen und das Vertrauen in die Lauterkeit des Çffentlichen 1 Zum Ganzen ausfÅhrlich Blessing in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 53 Rz. 40 ff.; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 12.
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Dienstes geschÅtzt.1 Letztlich steht die FunktionstÅchtigkeit der staatlichen Verwaltung als Ganzes im Raum, und die Bestechungstatbestnde sind zum grÇßtmÇglichen Schutz als abstrakte Gefhrdungsdelikte ausformuliert. 2. Tterkreis Tter auf der Empfngerseite kÇnnen nur deutsche Amtstrger oder fÅr den Çffentlichen Dienst besonders Verpflichtete sein. Die Amtstrgereigenschaft bestimmt sich nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Amtstrger ist nach deutschem Recht, wer Beamter oder Richter ist, in einem sonstigen Çffentlich-rechtlichen Amtsverhltnis steht oder sonst dazu bestellt ist, bei einer BehÇrde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der Çffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur AufgabenerfÅllung gewhlten Organisationsform wahrzunehmen.
12.10
Der Begriff des Beamten ist im staatsrechtlichen Sinne zu verstehen. Es kommt auf die fÇrmliche Berufung in ein Beamtenverhltnis durch Aushndigung einer Ernennungsurkunde, nicht auf die Art der Åbertragenen Aufgaben an.2 Die Vorteilsannahme ist Sonderdelikt, und die tterbegrÅndende Eigenschaft muss zur Tatzeit vorliegen. Es genÅgt weder, dass sie zuvor bestanden hat noch dass sie spter begrÅndet wird und dann bei Vornahme der Diensthandlung gegeben ist.
12.11
Die Amtstrgereigenschaft nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB setzt eine Bestellung, d.h. eine bertragung der Ttigkeit durch Çffentlichrechtlichen Akt, der nicht formgebunden sein muss, voraus. Sonstige Stellen sind dabei Institutionen ohne RÅcksicht auf ihre Organisationsform, die keine BehÇrden, rechtlich aber befugt sind, bei der AusfÅhrung von Gesetzen mitzuwirken, namentlich KÇrperschaften und Anstalten des Çffentlichen Rechts, organisatorisch ausgrenzbare Teile von BehÇrden und zur ErfÅllung Çffentlicher Aufgaben berufene Vereinigungen, AusschÅsse oder Beirte.3 Nach den Gesetzesmaterialien und der stndigen Rechtsprechung sollen damit im Wesentlichen diejenigen Ttigkeiten erfasst werden, die i.S. der Rechtsprechung zu § 359 StGB a.F. aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen. Dazu gehÇrt jedenfalls die Eingriffsverwaltung, welche Aufgaben der staatlichen Anordnungs- und Zwangsgewalt wahrnimmt, und zwar auch dann, wenn Private (z.B. technische berwachungsvereine) mit solcher Hoheitsbefugnis beliehen sind,4 außerdem aber auch die Leistungsverwaltung zur Da-
12.12
1 Fischer61, § 331 StGB Rz. 3 m.w.N. 2 BGH v. 9.10.1990 – 1 StR 538/89, BGHSt 37, 191 (192) = MDR 1991, 166. 3 BT-Drucks. 7/550, 209; hierzu auch BGH v. 16.4.2004 – 2 StR 486/03, BGHSt 49, 214 (219); BGH v. 19.6.2008 – 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290 (293); BGH v. 9.7.2009 – 5 StR 263/08, BGHSt 54, 39 (41); BGH v. 18.4.2007 – 5 StR 506/06, NJW 2007, 2932 (2933). 4 BGH v. 29.1.1992 – 5 StR 338/91, BGHSt 38, 199 (201).
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seinsvorsorge,1 die unmittelbar fÅr die Daseinsvoraussetzungen der Allgemeinheit oder ihrer Mitglieder sorgt.2 ber die ergnzenden Vorschriften des EU-Bestechungsgesetzes3 und des Gesetzes zur Bekmpfung internationaler Bestechung4 werden darÅber hinaus auslndische, europische und internationale Amtstrger ebenfalls erfasst.5 3. Vorteilsbegriff des § 333 Abs. 1 StGB
12.13 Ein Vorteil ist jede Leistung, auf die der Amtstrger keinen Anspruch hat und die seine wirtschaftliche, rechtliche oder auch nur persÇnliche Lage objektiv verbessert. Darunter fallen insbesondere materielle Zuwendungen mit VermÇgenswert.6 Es ist unbeachtlich, wenn der BegÅnstigte einen vergleichbaren Vorteil auch auf eine andere Art und Weise erlangen kann. Ausnahmsweise kann dies jedoch fÅr die subjektive Wertschtzung durch den BegÅnstigten und damit fÅr die (angestrebte) Unrechtsvereinbarung von Bedeutung sein.7 Dass die Gewhrung von Vorteilen der AusÅbung der dienstlichen Aufgaben zu dienen bestimmt ist, entlastet nicht.8
12.14 Als Vorteile sind insbesondere anerkannt die ErhÇhung der persÇnlichen Liquiditt;9 die Stundung einer Schuld,10 die Gewhrung eines zinslosen Darlehens, Honorare fÅr wertlose Gutachten.11 Da aber im Wortlaut des Gesetzes jeglicher Bezugspunkt fÅr die Bestimmung des Vorteilsbegriffs fehlt, wird der objektive Gehalt der Besserstellung letztlich aus einer Gesamtbewertung von Tterstellung, Dienstpflicht und -ausÅbung sowie der Unrechtsvereinbarung und der Frage der Sozialadquanz geschlossen. 4. Sozialadquanz
12.15 Unter dem Gesichtspunkt der Sozialadquanz werden in gewissem Umfang Åbliche und deshalb sozialadquate Vorteile von der Strafbarkeit ausgenommen, wie gewohnheitsmßig anerkannte, relativ geringwertige 1 BGH v. 27.11.2009 – 2 StR 104/09, BGHSt 54, 202 (208). 2 Zur Frage der Amtstrgereigenschaft niedergelassener Kassenrzte vgl. die VorlagebeschlÅsse des BGH an den Großen Senat, BGH v. 20.7.2011 – 5 StR 115/11, ZWH 2011, 62; BGH v. 5.5.2011 – 3 StR 458/10, ZWH 2011, 58; BGH v. 29.3.2012 – GSSt 2/11, BGHSt 57, 202. 3 EUBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2340. 4 IntBestG v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2327. 5 AusfÅhrlich dazu Korte, wistra 1999, 81; Pelz, StraFo 2000, 300. 6 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 unter Verweis auf BGH v. 23.5.2002 – 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295 (304); BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 99/0, NStZ 2008, 216 (217); BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310). 7 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580. 8 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580; a.A. Fischer61, § 331 StGB Rz. 12. 9 BGH v. 13.11.1997 – 1 StR 323/97, wistra 1998, 106. 10 BGH v. 8.2.1961 – 2 StR 566/60, BGHSt 16, 40. 11 BGH v. 16.3.1999 – 5 StR 470/98, wistra 1999, 224.
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Aufmerksamkeiten (Kugelschreiber, Kalender Werbematerialien).1 Unbestritten ist auch, dass solche Leistungen bzw. Zuwendungen tatbestandlich außer Betracht bleiben, die der HÇflichkeit oder Geflligkeit entsprechen und als gewohnheitsrechtlich anerkannt gelten (z.B. Blumen, Kaffee).2 Zur rechtlichen Einordnung der sog. Bagatellgrenze werden verschiedene LÇsungsanstze vertreten.3 Die Rechtsprechung stellt lediglich fest, dass eine Sozialadquanz nur dann anzuerkennen sei, wenn relativ geringwertige Aufmerksamkeiten vorliegen.4 Auf der anderen Seite gelten aber bereits wiederholte oder regelmßige Gewhrungen von Vorteilen niedrigen Werts als nicht mehr sozialadquat.5 Mitunter wird vertreten, dass nur solche Zuwendungen strafrechtlich irrelevant seien, die so geringfÅgig sind, dass bei vernÅnftiger Betrachtung nicht der Eindruck entstehen kÇnne, dass der Nehmer sich dem Geber durch die Annahme der Zuwendung verpflichtet.6 Vielfach bestehen innerdienstliche Verwaltungsanweisungen, die umfassende, vollumfngliche Verbote hinsichtlich der Entgegennahme von Aufmerksamkeiten und Einladungen enthalten.7 Eine abschließende Aussage Åber die Bestimmung der Sozialadquanz ist damit indes nicht getroffen. Nach hier vertretener Ansicht kann es nicht allein auf die betragsmßige HÇhe der Zuwendung ankommen, insbesondere wenn keinerlei Unrechtsvereinbarung in Rede steht. FÅr die Bestimmung der Sozialadquanz muss, dem Wortsinn entsprechend, ergnzend die gesellschaftliche blichkeit mitentscheidend sein. Richtig dÅrfte vielmehr sein, sich fÅr die Beantwortung der Frage nach der Sozialadquanz aus Wertungsgesichtspunkten heraus gedanklich an den steuerlichen Grundstzen zur verdeckten GewinnausschÅttung zu orientieren. Unter einer verdeckten GewinnausschÅttung ist bei einer Kapitalgesellschaft eine VermÇgensminderung zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, sich auf die HÇhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen AusschÅttung steht.8 Der BFH hat die Veranlassung einer VermÇgensminderung durch das Gesellschaftsverhltnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschaf-
1 BGH v. 2.2.2005 – 5 StR 168/04, wistra 2005, 226; BGH v. 23.10.2002 – 1 StR 541/01, GesR 2003, 16; BGH v. 27.10.1960 – 2 StR 177/60, BGHSt 15, 239. 2 Greeve, Korruptionsdelikte in der Praxis, S. 115 Rz. 267. 3 Vgl. zum Ganzen die Nachweise bei Fischer61, § 331 StGB Rz. 25 m.w.N.; Gorf in G/J/W, § 331 StGB Rz. 98 f. 4 BGH v. 23.5.2002 – 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295. 5 BGH v. 3.12.1997 – 2 StR 267/97, NStZ 1998, 194, fÅr den Fall der Gewhrung von zwei Glas Bier in 90 Fllen. 6 OLG Frankfurt v. 9.3.1990 – 1 Ss 505/89, NJW 1990, 2074. 7 Vgl. etwa die Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zur FÇrderung von Ttigkeiten des Bundes durch Leistungen Privater (Sponsoring, Spenden und sonstige Schenkungen) v. 7.7. 2003, BAnz. 2003, 14906); Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprvention in der Bundesverwaltung v. 30.7.2004, BAnz 2004, 17745). 8 Zum Ganzen Hey in T/L21, § 11 Rz. 54.
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12.16
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ter einen VermÇgensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewhrt htte.1 FÅr die Angemessenheit, d.h. die Sozialadquanz ist mithin entscheidend, ob die Zuwendung des Vorteils i.S. des DrittFremdvergleichs so oder so hnlich auch einem dritten Amtstrger/Geschftspartner zugewendet worden wre, freilich ohne Vorhandensein konkreter dienstlicher BerÅhrungspunkte, aus der eine entsprechende Unrechtsvereinbarung zu folgern sein kÇnnte. Auch der BGH nimmt eine differenzierende Betrachtung bei hÇhergestellten Amtstrgern vor.2 Die untergerichtliche Rechtsprechung fÅhrt ergnzend die Verkehrssitte oder Gewohnheitsrecht an.3 Im Bereich des internationalen Strafrechts gilt es nach hier vertretener Ansicht, auch ÇrtsÅbliche Gepflogenheiten in die Betrachtung der Sozialadquanz mit einzubeziehen
12.17 Etwas anderes gilt freilich dann, wenn Vorteile zugewendet werden, die ersichtlich auf die Person und die Ttigkeit des Amtstrgers zugeschnitten sind, vornehmlich, wenn sie dessen allgemeinen Lebenszuschnitt Åbersteigen (Luxusreisen, exklusive Golfturniere, hochwertige IncentiveVeranstaltungen).4 5. VerknÅpfung von Vorteil und DienstausÅbung/Unrechtsvereinbarung
12.18 Zwischen dem Vorteil und der DienstausÅbung muss ein „Gegenseitigkeitsverhltnis“ in dem Sinne bestehen, dass der Vorteil nach dem (angestrebten) ausdrÅcklichen oder stillschweigenden Einverstndnis der Beteiligten seinen Grund gerade in der DienstausÅbung hat.5 Ziel der Vorteilszuwendung muss sein, auf die kÅnftige DienstausÅbung Einfluss zu nehmen und/oder die vergangene DienstausÅbung zu honorieren.6 Unter „DienstausÅbung“ wird jedwede dienstliche Ttigkeit verstanden, die nach den Vorstellungen der Beteiligten nicht einmal in groben Umrissen konkretisiert sein muss. Es genÅgt, wenn der Wille des Vorteilsgebers auf ein generelles Wohlwollen, bezogen auf kÅnftige Fachentscheidungen gerichtet ist, das bei Gelegenheit aktiviert werden kann.7
1 BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, FR 1989, 562 = GmbHR 1989, 430 = BStBl. 1989, 631; BFH v. 16.3.1967 – I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl. III 1967, 626; BFH v. 2.2.1994 – I R 78/92, GmbHR 1994, 416 = FR 1994, 364 = HFR 1994, 407. 2 BGH v. 10.3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. 3 OLG Hamburg v. 14.1.2000 – 2 Ws 243/99 Rz. 57, juris unter Verweis auf OLG Frankfurt v. 9.3.1990 – 1 Ss 505/89, NJW 1990, 2074. 4 Zu sog. Hospitality Veranstaltungen vgl. Peters, ZWH 2012, 262; Saliger in FS KÅhne, 2013, 443. 5 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580; BGH v. 7.7.2005 – 4 StR 549/04, NJW 2005, 3011; vgl auch Gorf in G/J/W, § 331 StGB Rz. 67 f., 78. 6 BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310). 7 BGH v. 21.6.2007 – 4 StR 69/07, NStZ-RR 2007, 309 (310).
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Mit der Neufassung der Bestechungstatbestnde wurde der enge Bezug zu bestimmten Diensthandlungen gelockert. Ausreichend ist nunmehr, dass der Vorteil fÅr die DienstausÅbung im Allgemeinen gewhrt und gefordert wird.1 Die Lockerung der Anforderungen an die Unrechtsvereinbarung soll Zuwendungen einbeziehen, die einer bestimmten Diensthandlung nicht hinreichend konkret zugeordnet werden kÇnnen. Erfasst werden sollten insbesondere sog. Anbahnungszuwendungen (das sog. „AnfÅttern“), die sich auf die DienstausÅbung beziehen, ebenso wie die Klimapflege oder „Stimmungspflege“ zur Schaffung allgemeinen Wohlwollens im Rahmen der DienstausÅbung. Man spricht insoweit von einer „gelockerten Unrechtsvereinbarung“.2
12.19
Von entscheidender Bedeutung ist stets die Frage nach der konkreten Unrechtsvereinbarung, an der der Gesetzgeber bewusst festgehalten hat. Dabei genÅgt es, wenn ein Vorteil „fÅr die vergangene oder kÅnftige DienstausÅbung“ im Allgemeinen angeboten, versprochen oder gewhrt wird. Nicht mehr erforderlich ist, dass der Vorteil als Gegenleistung dafÅr gewhrt wird, dass der Amtstrger eine in seinem Ermessen stehende Diensthandlung kÅnftig vornimmt. Die Diensthandlung muss in ihrer konkreten Ausgestaltung nach Zeitpunkt, Anlass und AusfÅhrungsweise (noch) nicht in allen Einzelheiten feststehen. Es reicht vielmehr aus, wenn sich das Einverstndnis der Beteiligten darauf bezieht, dass der Amtstrger innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereichs oder Kreises von Lebensbeziehungen nach einer gewissen Richtung hin ttig geworden ist oder werden soll und die einvernehmlich ins Auge gefasste Diensthandlung nach ihrem sachlichen Gehalt zumindest in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist.
12.20
Ob der Vorteilsgeber dabei ein von § 333 Abs. 1 StGB erfasstes oder ein anderes Ziel verfolgt, mithin die subjektiven Voraussetzungen erfÅllt sind, bleibt jedoch Tatfrage3 und weiterhin das Einfallstor fÅr Beweisschwierigkeiten. Auch wenn eine stillschweigende bereinkunft genÅgt, sind pauschale Bewertungen unzulssig. Die Abgrenzung ist vielmehr nach den fallbezogenen Umstnden, vornehmlich anhand der Interessenlage der Beteiligten vorzunehmen.4 Letztlich bleibt der Nachweis des Beeinflussungswillens in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung, die Raum fÅr Argumentation der Beschuldigten und einen erheblichen Entscheidungsspielraum des Gerichts beinhaltet. Hier wird die Unterscheidung getroffen zwischen tatbestandlichem „Schmieren“ und straflosem FÇrdern.5 Der BGH ist sich bewusst, dass das Merkmal der Unrechtsvereinbarung nach der von ihm vorgenommenen Auslegung im Randbereich
12.21
1 BT-Drucks. 13/8079, 15. 2 Fischer61, § 331 StGB Rz. 24; KÇnig, JR 1997, 397 (398); Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (480). 3 Kritisch zum Erfordernis des Beeinflussungswillen Reinhold, HRRS 2010, 213 (214 ff.). 4 BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580. 5 Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (473).
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kaum trennscharfe Konturen aufweist, dies zu Beweisschwierigkeiten fÅhren kann und dem Tatrichter einen betrchtlichen Entscheidungsspielraum einrumt.1 6. Wirksame Genehmigung
12.22 Eine wirksame Genehmigung lsst gem. §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB die Strafbarkeit entfallen. Jedoch nur, wenn nicht zu befÅrchten ist, dass die Vorteilsannahme die objektive AmtsfÅhrung des Beamten beeintrchtigt oder den Eindruck seiner Befangenheit entstehen lassen kÇnnte, kommt eine Genehmigung Åberhaupt in Betracht.
12.23 Die Genehmigungsbefugnis und die Zustndigkeit hierfÅr richtet sich mangels einer in den §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB enthaltenen Rechtsgrundlage nach den Vorschriften des Çffentlichen Dienstrechts.2 Der Amtlichen BegrÅndung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu § 331 Abs. 3 StGB kann Eindeutiges hinsichtlich der Zustndigkeit nicht entnommen werden.3 Es heißt lediglich, dass die BehÇrde nicht nur fÅr den Beamten Çrtlich, sondern zur Erteilung einer Genehmigung auch sachlich zustndig sein muss.4 Die Einhaltung der konkreten Zustndigkeit wird dadurch gesichert, dass die Rechtswirksamkeit der Genehmigung davon abhngig ist, ob diese durch die BehÇrde „im Rahmen ihrer Befugnis“ erteilt wird.
12.24 FÅr die Beamten im staatsrechtlichen Sinn ergibt sich die zustndige BehÇrde aus den einschlgigen beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Lnder. Zustndig ist der Dienstvorgesetzte. FÅr nicht in einem Çffentlich-rechtlichen Amtsverhltnis stehende Amtstrger ist davon auszugehen, dass „zustndige BehÇrde“ i.S.d. §§ 331 Abs. 3 und 333 StGB zur Genehmigung von Vorteilsannahmen der jeweils fÅr die Beschftigten zustndige Arbeitgeber ist.5 Bei privatrechtlich organisierten Unternehmen, die Aufgaben der Çffentlichen Verwaltung i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB wahrnehmen, kann nichts anderes gelten. Zustndige BehÇrde ist in diesem Fall das Unternehmen selbst und dort die Stelle, welche fÅr den jeweiligen Beschftigten zustndig ist.6
12.25 Schließlich ist zu prÅfen, ob die Grenzen der Genehmigungsbefugnis eingehalten wurden. Denn unbeachtlich sind nichtige und erschlichene Genehmigungen sowie solche, die von einer konkret unzustndigen BehÇrde erteilt sind, wobei die „Unzustndigkeit“ auch darauf beruhen kann, dass ein Sachverhalt nicht genehmigungsfhig oder die Genehmigung gegen-
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BGH v. 14.10.2008 – 1 StR 260/08, BGHSt 53, 6 = NJW 2008, 3580. Z.B. § 71 Abs. 1 BBG. BT-Drucks. 7/550, 272. BT-Drucks. 7/550, 272. BGH v. 10. 3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. Jutzi, NStZ 1991, 105 (107).
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stndlich beschrnkt ist.1 Gerade mit steigendem Wert der Zuwendung erhÇht sich aber der Verdacht, dass irgendetwas „nicht mit rechten Dingen zugeht“.2 Bei nicht in einem Çffentlich-rechtlichen Amtsverhltnis stehenden Amtstrgern, die nicht bei einem Çffentlich-rechtlichen Arbeitgeber angestellt sind, sondern bei privatrechtlich organisierten Unternehmen der Çffentlichen Hand ttig sind, wird es zulssig sein, Differenzierungen und Abweichungen im Verhltnis zu den fÅr den Çffentlichen Dienst geltenden Regelungen anzunehmen. Auch der BGH hlt es fÅr vertretbar, auf individuelle VermÇgensverhltnisse der einzelnen Amtstrger und die Usancen im jeweiligen Ttigkeitsgebiet abzustellen; namentlich bei Çffentlich-rechtlichen Organisationen, deren Verwaltungsaufgabe eine gewisse „Entfremdung“ erfahren haben, die also dem privatwirtschaftlichen Bereich nherstehen, wie etwa die Çffentlich-rechtlichen Sparkassen oder Landesbanken.3
12.26
IV. Bestechlichkeit und Bestechung im geschftlichen Verkehr, § 299 StGB Nach § 299 StGB macht sich strafbar, wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschftlichen Betriebs im geschftlichen Verkehr einen Vorteil fÅr sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafÅr fordert, sich versprechen lsst oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt.
12.27
1. Rechtsgut Schutzgut der vormals im Wettbewerbsrecht enthaltenen Vorschrift ist vorrangig das Allgemeininteresse an einem freien lauteren Wettbewerb.4 Ein womÇgliches Interesse oder Einverstndnis des Geschftsherrn ist daher unbeachtlich. GeschÅtzt sind daneben mittelbar die inlndischen und auslndischen Mitbewerber davor, dass sich der Vorteilsgeber einen Vorsprung verschaffen will, die Allgemeinheit vor Verteuerung sowie der Geschftsherr mittelbar vor Benachteiligung.5 § 299 Abs. 1 StGB gilt gem. § 299 Abs. 3 StGB auch fÅr Handlungen im auslndischen Wettbewerb. Auch § 299 StGB ist ein abstraktes Gefhrdungsdelikt.
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BT-Drucks. 7/550, 272. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (485). BGH v. 10.3.1983 – 4 StR 375/82, BGHSt 31, 264 (279) = NStZ 1984, 501. BÅrger, wistra 2003, 130; Fischer61, § 299 StGB Rz. 2. BGH v. 18.1.1983 – 1 StR 490/82, BGHSt 31, 207 (211).
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12.28
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2. Tterkreis
12.29 Tter kÇnnen nur Angestellte oder Beauftragte eines geschftlichen Betriebes sein. Angestellter ist dabei, wer in einem Dienst-, Werksvertragsoder Auftragsverhltnis zum Geschftsinhaber steht; Beauftragter ist derjenige, der aufgrund seiner Stellung berechtigt und verpflichtet ist, fÅr den Betrieb zu handeln, sofern er nicht Betriebsinhaber oder Angestellter ist.1 3. Vorteil
12.30 Der Vorteil ist hnlich zu verstehen wie bei § 331 StGB. Erfasst sind smtliche materiellen und immateriellen Zuwendungen, auf die der Empfnger keinen Anspruch hat und die seine Lage verbessern. Auch im Rahmen von § 299 StGB kommt es nicht auf die HÇhe des VermÇgenswertes an, sodass hierunter auch kleinere Aufmerksamkeiten und Werbegeschenke fallen. Schwierig zu beurteilen ist deshalb, wann die Annahme solcher Aufmerksamkeiten und Geschenke im Rahmen der Sozialadquanz gerechtfertigt sein kann bzw. ihre Geringwertigkeit ein Indiz dafÅr ist, dass sie nicht als Gegenleistung fÅr die unlautere Bevorzugung gegeben worden sind. Nach allgemeiner Ansicht kÇnnen auch hÇherwertige Zuwendungen straflose, sozialadquate Vorteile darstellen, wenn ihnen die objektive Eignung fehlt, geschftliche Entscheidungen sachwidrig zu beeinflussen. Maßgeblich in diesem Zusammenhang sind das Einkommen, die berufliche Stellung und der Lebenszuschnitt des Eingeladenen sowie Anlass, Art und Weise der Zuwendung.2 4. Unrechtsvereinbarung
12.31 Der Vorteil muss als Gegenleistung fÅr eine kÅnftige unlautere Bevorzugung gefordert, angeboten, versprochen oder angenommen werden. Ein konkretes Gegenleistungsverhltnis ist nicht Voraussetzung. Anders als bei den Bestechungsdelikten wird die allgemeine „Klimapflege“ ohne jedweden Bezug hingegen nicht erfasst. Die Lockerung der Unrechtsvereinbarung hat keine Entsprechung gefunden. Zuwendungen zur HerbeifÅhrung allgemeinen Wohlwollens/Klimapflege ohne Bezug zu einer bestimmten Bevorzugung sind nicht ausreichend.3 Da oftmals noch keine genaue Vorstellung darÅber besteht, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Weise die Unrechtsvereinbarung eingelÇst werden soll, genÅgt es jedoch, dass die ins Auge gefasste Bevorzugung nach ihrem sachlichen Gehalt in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist.4 Anderes gilt bei einer Strafbarkeit wegen (nachtrglicher) Gewhrung/Annahme eines Vorteils fÅr in der Vergangenheit liegende Bevorzugungen.
1 2 3 4
Zum Tterbegriff vgl. Fischer61, § 299 StGB Rz. 8. Fischer61, § 299 StGB Rz. 16, § 331 StGB Rz. 25; Staschik, SpuRt 2010, 187 (190). BGH v. 14.7.2010 – 2 StR 200/10, wistra 2010, 447. BGH v. 14.7.2010 – 2 StR 200/10, wistra 2010, 447.
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B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG
5. Unlautere Bevorzugung Die Unrechtsvereinbarung i.S. von § 299 StGB setzt die zukÅnftige unlautere Bevorzugung eines anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb voraus. Darunter ist nach Ansicht des BGHs die sachfremde Entscheidung zwischen zumindest zwei Bewerbern zu verstehen, was folglich einen Wettbewerb und die Benachteiligung eines Konkurrenten voraussetzt.1 Entscheidend ist hierbei der zukÅnftige Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen. Als genÅgend wird angesehen, wenn die zum Zwecke des Wettbewerbs vorgenommenen Handlungen geeignet sind, eine eigene Bevorzugung oder die eines Dritten im Wettbewerb zu veranlassen, wobei es nicht der Vorstellung eines bestimmten verletzten Mitbewerbers bedarf.2 Die Bevorzugung wird dann als unlauter angesehen, wenn sie sachfremd in unlauterer Weise durch die Zuwendung des sozial inadquaten Vorteils geleistet wird und geeignet ist, Mitbewerber durch Umgehung der Regeln des Wettbewerbs und durch Ausschaltung der Konkurrenz zu schdigen.3 Eine berschneidung von § 299 StGB und § 331 StGB ergibt sich, wenn der Amtstrger fÅr seine AnstellungskÇrperschaft im Wettbewerb ttig wird, etwa im Rahmen der Beschaffungsverwaltung.4
12.32
B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG I. EinfÅhrung Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG dÅrfen Betriebsausgaben den Gewinn nicht mindern, die eine Zuwendung von Vorteilen sowie damit zusammenhngende Aufwendungen darstellen, wenn die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulsst.5 Die FinanzbehÇrde teilt gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit i.S. des Satzes 1 begrÅnden, der Staatsanwaltschaft oder der VerwaltungsbehÇrde mit (Rz. 15.230).6
12.33
Eine Versagung des Betriebsausgabenabzugs kommt insbesondere bei einem Verstoß gegen § 299 und §§ 331 ff. StGB in Betracht, also bei Schmiergeldzahlungen.7
12.34
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BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02 wistra 2003, 385 (386). BGH v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02 wistra 2003, 385 (386). Fischer61, § 299 StGB Rz. 16. Satzger, ZStW 115 (2003), 469 (487). Zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1155 ff.; Bannenberg in Wabnitz/Janovsky4, Kap. 12 Rz 104 f. 6 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, wistra 2008, 434. 7 FG MÅnster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053-2056.
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12.35 Die Vorteilszuwendungen mÅssen dem Steuerpflichtigen zuzurechnen sein. Im Unterschied zum Vorteilsbegriff der Bestechungstatbestnde muss jedoch tatschlich ein Abfluss zu verzeichnen sein. Die Vergabe zinsgÅnstiger oder zinsloser Darlehen genÅgt etwa nicht.
12.36 Haben Mitarbeiter gehandelt, ist die Frage der Zurechnung entscheidend und es gelten insoweit die allgemeinen Grundstze. Probleme kÇnnen insbesondere dann auftauchen, wenn Mitarbeiter auslndischer Tochterfirmen gehandelt haben und die Frage der ausreichenden berwachung durch den Mutterkonzern in Rede steht. Beispiel: Deutsche Mitarbeiter einer auslndischen Tochterfirma eines deutschen Telekommunikationsunternehmens wenden Åber Jahre hinweg zur Erlangung regulativer Vorteile Mitgliedern, Parteien und Amtstrgern eines EU-Beitrittstaates mittels sog. Beratervertrge erhebliche Summen zu. Die aus Deutschland stammenden Gelder werden als Betriebsausgaben verbucht.1 Neben einer Strafbarkeit nach den Bestechungsvorschriften kommt eine Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266 StGB, ggf. im besonders schweren Fall (§§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB), sowie eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in Betracht, da gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG ein Abzugsverbot besteht.
12.37 Das praktische Problem besteht bereits darin, dass dem strafrechtlich nicht geschulten BetriebsprÅfer die Pflicht zur Subsumtion unter strafrechtliche Normen auferlegt wird. Im Zweifel wird dieser, um disziplinaroder strafrechtlichen Maßnahmen (§ 258a StGB) zu entgehen, frÅhzeitig und in Zweifelsfllen eine entsprechende Mitteilung an die Straf- und Bußgeldsachenstelle fertigen. Voraussetzung ist aber zunchst stets, dass der in Rede stehende Betrag als Betriebsausgabe geltend gemacht wurde. Andernfalls kommt eine Mitteilung nur in den engeren Grenzen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a, Nr. 5 Buchst. a-c AO in Betracht.
12.38 Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der StrafverfolgungsbehÇrden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht i.S. des Strafrechts gegeben ist. Es gilt das zum Anfangsverdacht AusgefÅhrte und unterstreicht neuerlich die Bedeutung des Anfangsverdachts. Es mÅssen in jedem Fall zureichende tatschliche Anhaltspunkte fÅr eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen.2
12.39 Hinsichtlich der Mitteilungspflicht verhlt sich bereits das BMF-Schreiben restriktiv:3 „Eine Mitteilungspflicht besteht im Regelfall nicht schon dann, wenn das Abzugsverbot nicht anwendbar ist (insbesondere bei privat mitveranlassten Aufwendungen, Tz. 4, bei einer Vorteilszuwendung, die nicht zu einer BA gefÅhrt hat, z.B. bei 1 Im konkreten Fall stammten die Gelder von der auslndischen Tochterfirma bzw. die Gelder wurden von Schweizer Firmen bezahlt, die eigens zu diesem Zweck gegrÅndet wurden. 2 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850. 3 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 – S 2145 - 35/02, BStBl. I 2002, 1031 (Tz. 32).
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B. Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG verbilligten Darlehen, Tz. 7, bei Versagung des BA-Abzugs nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 EStG oder bei Anwendung des Abzugsverbots wegen Nichtbefolgung eines Benennungsverlangens nach § 160 AO, Tz. 34 bis 37). In diesen Fllen ist aber immer zu prÅfen, ob eine Mitteilung nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. b AO (AEAO zu § 30 AO, 8.1 und 8.3) in Betracht kommt und ggf. bei Hinzutreten weiterer Umstnde sogar eine Mitteilungspflicht aufgrund einer Ermessensreduzierung besteht.“
Die MÇglichkeit bereits eingetretener Strafverfolgungsverjhrung oder eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes steht der Mitteilungspflicht nicht entgegen. Denn die PrÅfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen fÅr die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterliegt der ausschließlichen Beurteilung der zustndigen StrafverfolgungsbehÇrden. Es wre ein sachwidriger Eingriff der FinanzbehÇrde in den Zustndigkeitsund Verantwortungsbereich der StrafverfolgungsbehÇrden, wenn sie den StrafverfolgungsbehÇrden Erkenntnisse, die sie nach einer gesetzlichen Vorschrift zu Åbermitteln habe, aufgrund eigener Einschtzung strafverfahrensrechtlicher Voraussetzungen vorenthalten kÇnnte.1 Dem Steuerpflichtigen entstehen hierdurch keine Nachteile, da im Falle der Verjhrung das Verfahren ohnehin eingestellt wird. Das Abzugsverbot umfasst smtliche unmittelbaren und mittelbaren mit der Betriebsausgabe im Zusammenhang stehenden Ausgaben, also auch Transaktionskosten, Reisekosten etc.
12.40
II. Auslandstaten Hinsichtlich der Beurteilung von Auslandstaten hlt das BMF-Schreiben konkrete Handlungsanweisungen bereit:2
12.41
„Wird die Tat ganz oder teilweise im Ausland begangen, so ist im Rahmen der PrÅfung der Tatbestandsmßigkeit zunchst zu klren, ob die konkrete Tat vom Schutzbereich des deutschen Straftatbestands erfasst wird. Die Fassung eines Tatbestands und dessen Auslegung kann ergeben, dass dieser sich auf den Schutz inlndischer SchutzgÅter beschrnkt, was insbesondere bei § 108b StGB und Ordnungswidrigkeiten der Fall ist (z.B. bei § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVerfG; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB ; § 405 Abs. 3 Nr. 2 AktG, § 152 Abs. 1 Nr. 1 GenG) oder nur beschrnkt nicht deutsche Interessen schÅtzt (vgl. z.B. § 108e StGB hinsichtlich des Stimmenkaufs von EP-Abgeordneten); vgl. auch die Ergnzung durch Art. 2 § 2 IntBestG; s. auch die inlandsbezogene Beschrnkung in Art. 7 Abs. 2 Nr. 10.4 StrndG. Wenn nicht eine grenzÅberschreitende Tat gem. § 3 StGB vorliegt, findet § 7 StGB Anwendung, sodass es im Wesentlichen auf die Strafbarkeit der Tat im Ausland ankommt.“
Inwieweit eine Genehmigung der Annahme des Vorteils die Rechtswidrigkeit entfallen lsst, ist nach dem BMF-Schreiben bei jeder Regelung gesondert zu prÅfen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn vor der An-
1 Im Ergebnis auch BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850. 2 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 - S 2145 - 35/02, BStBl. I 2002, 1031 (Tz. 12, 13).
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12.42
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nahme eine Genehmigung in wirksamer Weise erteilt wird (vgl. § 333 Abs. 3 StGB). Nachtrgliche Genehmigungen kÇnnen ggf. auch die Rechtswidrigkeit entfallen lassen.1 Vor diesem Hintergrund kann es hilfreich sein, zu bestimmten Zahlungen rechtliche Einschtzungen, Unbedenklichkeitserklrungen oder Ablichtungen erteilter Genehmigungen bereitzuhalten.
III. Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung 12.43 Fordert die FinanzbehÇrde den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklrung, die vermutete Vorteilszuwendungen zum Gegenstand haben (auch bei Benennungsverlangen nach § 160 AO) auf, hat die FinanzbehÇrde den Steuerpflichtigen Åber die mÇgliche Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG, die MÇglichkeit der straf- bzw. bußgeldrechtlichen Selbstbelastung und das Zwangsmittelverbot zu belehren. Dies ist namentlich dann angezeigt, wenn durch die Vorteilszuwendung ein Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht wurde und somit das einkommensteuerliche Abzugsverbot eingreift, der Steuerpflichtige gleichwohl die Zuwendung als Betriebsausgabe absetzt, die FinanzbehÇrde Åber die Gewinnminderung im Unklaren lsst und dadurch seiner Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemßen Steuererklrung nicht nachkommt.2
C. Benennungsverlangen nach § 160 AO I. EinfÅhrung 12.44 Die Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 10 EStG steht im unmittelbaren Spannungsfeld zu den steuerlichen Mitwirkungspflichten, insbesondere zu § 160 AO und dem strafrechtlichen Nemo-tenetur-Prinzip.3 Will der Steuerpflichtige den Betriebsausgabenabzug herbeifÅhren, wird er den Empfnger der Zahlung benennen mÅssen. Gleichsam vergrÇßert er das Risiko, wegen der Korruptionstat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Bei Auslandssachverhalten sind die Anforderungen an eine wirksame und ausreichende Empfngerbenennung erfÅllt, wenn die Zahlung im Rahmen eines Åblichen Handelsgeschfts erfolgt, der Geldbetrag tatschlich ins Ausland geflossen ist und der Empfnger nachweislich nicht der deutschen Steuerpflicht unterliegt (vgl. auch Rz. 15.237).
1 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 - S 2145 - 35/02, BStBl. I 2002, 1031 (Tz. 7). 2 BMF v. 10.10.2002 – IV 6 - S 2145 - 35/02, BStBl. I 2002, 1031. 3 Zum Ganzen auch Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1217 ff.
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C. Benennungsverlangen nach § 160 AO
Das nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO auszuÅbende Ermessen im Hinblick auf ein Benennungsverlangen vollzieht sich in zwei Stufen.1 Auf der ersten Stufe entscheidet das Finanzamt nach pflichtgemßem Ermessen (§ 5 AO), ob es das Benennungsverlangen an den Steuerpflichtigen richten soll. Auf der zweiten Stufe trifft es eine Ermessensentscheidung darÅber, ob und inwieweit es die in § 160 Abs. 1 Satz 1 AO genannten Ausgaben, bei denen der Empfnger nicht genau bekannt ist, zum Abzug zulsst.2 Das Benennungsverlangen steht in besonderem Maße unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Es darf nicht unverhltnismßig sein und die fÅr den Steuerpflichtigen zu befÅrchtenden Nachteile dÅrfen nicht außer Verhltnis zum beabsichtigten Erfolg stehen. Es muss die Vermutung naheliegen, dass der Zahlungsempfnger den Bezug zu Unrecht nicht versteuert hat.3 Dabei ist der Zielsetzung entsprechend allein auf die deutsche Steuer abzustellen.4 Das Verlangen darf auch dann gestellt werden, wenn der Steuerpflichtige den Empfnger nicht bezeichnen kann, weil ihm bei Auszahlung des Geldes dessen Name und Anschrift unbekannt waren. Dies gilt umso mehr fÅr Auslandssachverhalte, in denen der Steuerpflichtige nach § 90 Abs. 2, 3 AO und § 16 Abs. 1 AStG in erhÇhtem Maße darlegungs- und beweispflichtig ist. Auf eine Empfngerbezeichnung kann nur verzichtet werden, wenn dieser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht steuerpflichtig ist.
12.45
II. Empfnger i.S. des § 160 AO Empfnger i.S. des § 160 AO ist derjenige, dem der in der Betriebsausgabe erhaltene wirtschaftliche Wert Åbertragen worden ist.5 Dies gilt nicht nur, wenn der Steuerpflichtige sich Hilfspersonen bedient, die aufgrund bestimmter Vereinbarungen Geldbetrge vom Steuerpflichtigen an nicht bekannte Dritte weitergeleitet haben, sondern auch in Fllen, in denen die natÅrliche oder juristische Person, die die Zahlungen des Steuerpflichtigen entgegengenommen hatte, lediglich zwischengeschaltet wurde, weil sie die vertraglich ausbedungenen Leistungen entweder mangels eigener wirtschaftlicher Bettigung nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderem Grund die empfangenen Gelder an Dritte weiterleitet. Empfnger i.S.
1 BFH v. 30.3.1983 – I R 228/78, BStBl. 1983, 654; BFH v. 12.9.1985 – VIII R 371/83, BStBl. II 1986, 537; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. 1989, 995; BFH v. 19.1.1994 – I R 40/92, BFH/NV 1995, 181; BFH v. 24.6.1997 – VIII 9/96, BStBl. II 1998, 51; BFH v. 15.10.1998 – IV R 8/98, BStBl. II 1999, 333; BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II, 1999, 434. 2 Zum Ganzen auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.45 ff. 3 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. 1989, 995; BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II, 1999, 434; BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, BFH/NV 2002, 609. 4 BFH v. 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. 1989, 995; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.47 ff. 5 BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; besttigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/09, BFH/NV 2013, 1826.
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des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist dann nicht die zwischengeschaltete Person, sondern sind die dahinterstehenden Dritten, an die die Gelder letztlich gelangt sind.1
12.47 Dies folgt aus dem Sinn, Steuerausflle zu verhindern, die dadurch eintreten kÇnnen, dass der Empfnger geltend gemachter Betriebsausgaben die Einnahmen bei sich nicht steuererhÇhend erfasst. Ist eine natÅrliche oder juristische Person, die die Zahlungen unmittelbar entgegengenommen hat, lediglich zwischengeschaltet, weil sie empfangene Gelder lediglich weitergeleitet hat, dann ist sie nicht Empfnger iS des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO, sodass die hinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zu benennen sind.2 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine in Deutschland ansssige Gesellschaft der zu grÅndenden auslndischen Gesellschaft VermÇgenswerte zukommen lsst und diese an die Kapitalgeber weitergeleitet wÅrden. Die bloße Zahlung an Dritte fÅhrt indes nicht zu einer Versagung des Abzugs als Betriebsausgabe.3 Glubiger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist der wirtschaftliche EigentÅmer der Forderung; Empfnger i.S. der Vorschrift ist hingegen derjenige, dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert vom Steuerpflichtigen Åbertragen wurde.4 § 160 AO bezweckt allein, den wirtschaftlichen Vertragspartner zu erfassen, der die Betriebseinnahme zu versteuern hat.5 Schließt ein Steuerpflichtiger mit einem wirtschaftlich ttigen Geschftspartner einen Vertrag ab, ist dieser Geschftspartner bezÅglich der vertraglich vereinbarten Entgeltforderung Glubiger und Empfnger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO. Das gilt auch dann, wenn der Geschftspartner den Steuerpflichtigen anweist die Zahlungen an einen Dritten zu leisten. Denn auch in diesem Fall erlischt die Forderung durch die Zahlung, und die Zahlung fließt dem Geschftspartner wirtschaftlich zu.6 Dies gilt auch ohne eine konkrete Anweisung i.S. des § 787 BGB, wenn der Steuerpflichtige nachweislich eine Leistungsbeziehung mit einem (auslndischen) wirtschaftlich aktiven Unternehmen unterhlt und nur die Zahlung an einen Dritten mit der Maßgabe erfolgt, dass die Zahlung auf das Entgelt mit dem Lieferanten anzurechnen ist.7
12.48 In den Fllen, in denen auf Anweisung oder Wunsch des Vertragspartners an einen Dritten gezahlt wird, setzt der Steuerpflichtige kein eigenstndiges Risiko einer Steuergefhrdung. Es macht im Ergebnis keinen Unter1 BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; besttigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/09, BFH/NV 2013, 1826. 2 FG Saarland v. 10.5.2001 – 1 V 44/01. 3 FG MÅnster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053. 4 FG MÅnster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053 unter Verweis auf BFH v. 21.7.2009 – IX B 55/09, BFH/NV 2010, 3. 5 FG Hamburg v. 2.2.2007 – 2 K 21/06, EFG 2007, 974. 6 FG MÅnster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053 unter Verweis auf FG Hamburg v. 2.2.2007 – 2 K 21/06, EFG 2007, 974 mit Anm. KÅhnen; Bauhaus, AO-StB 2007, 235. 7 FG MÅnster v. 17.8.2010 – V 1009/10 K, F, EFG 2010, 2053.
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C. Benennungsverlangen nach § 160 AO
schied, ob der Vertragspartner das Entgelt zunchst selbst in Empfang nimmt, um es anschließend an den Dritten weiterzuleiten, mit dem er allein in Geschftsbeziehungen steht, oder ob es im abgekÅrzten Zahlungsweg unmittelbar an den Dritten gezahlt wird. In beiden Fllen entsteht das Risiko einer Steuergefhrdung allenfalls durch den Vertragsschluss des Vertragspartners mit dem Dritten. Wird das Risiko aber durch den Vertragspartner gesetzt, kann es nicht Åberzeugen, wenn gerade der Risikoverursacher, allein durch die Benennung des Dritten als Zahlstelle fÅr den Steuerpflichtigen, das mit § 160 AO verbundene Risiko der Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben von der eigenen Person auf den Steuerpflichtigen verlagern oder bei diesem erst zur Entstehung bringen kÇnnte, obwohl der Steuerpflichtige naturgemß weniger Åber die Verhltnisse bei dem Dritten wissen kann und muss, weil fÅr ihn nur die Tilgung einer Verbindlichkeit gegenÅber dem Vertragspartner von Bedeutung ist.
III. Benennungspflicht bei Provisionszahlungen Gem. § 160 AO haben Steuerpflichtige auf Verlangen der FinanzbehÇrde Glubiger oder Empfnger von Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben zu benennen. Kommen sie dieser Verpflichtung zu Empfngerbenennung nicht nach, sind die Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben steuerlich regelmßig nicht zu berÅcksichtigen. Zweck der Vorschrift ist es, mÇgliche Steuerausflle zu verhindern, die dadurch eintreten kÇnnen, dass der Empfnger geltend gemachter Betriebsausgaben oder Lasten, die Einnahmen bzw. Forderungen bei sich nicht steuererhÇhend erfasst.1 Eine Erweiterung dieses Abzugsverbots erfolgt durch § 16 AStG. Unabdingbare Voraussetzung ist zunchst, dass es sich dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 160 AO folgend um Betriebsausgaben (o.a. Ausgaben) handeln muss, welche grundstzlich steuerlich abzugsfhig sind. Fehlt es hieran, kommt es auf die weiteren Voraussetzungen der Vorschrift nicht an, da ein Abzug ohnehin nicht in Betracht kommt.2
12.49
Die Rechtsprechung geht mittlerweile jedoch weiter und verlangt vom inlndischen Adressaten des Benennungsverlangens Angaben darÅber, wem die dem unmittelbaren Zahlungsempfnger zugewandte Zahlung wirtschaftlich zugute gekommen ist. Gefragt wird hierbei nach demjenigen „dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert“ vom
12.50
1 BFH v. 17.12.1980 – I R 148/76, BStBl. II 1981, 333; BFH v. 30.3.1983 – I R 228/78, BStBl. II 1983, 654; BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208; BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1989, 51; BFH v. 15.10.1998 – IV R 8/98, BStBl. II 1999, 333; Lang in T/K, § 160 AO Rz. 3; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.45; Sorgenfrei, IStR 2002, 470. 2 BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51.
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Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder
Steuerpflichtigen Åbertragen wird1 oder nach „den tatschlichen Erbringern der Leistung der auslndischen Gesellschaft“.2
12.51 Bei Provisionszahlungen an auslndische Gesellschaften ist zu differenzieren: Ist die auslndische Gesellschaft im wirtschaftlichen Sinne Handelsvertreter und als solcher ttig, reicht die Nennung der Gesellschaft fÅr die Anerkennung der Betriebsausgaben aus. Verwendet die auslndische Gesellschaft jedoch die Provision, etwa um die Angestellten des Auftraggebers zu schmieren, bleibt bei ihr nur ein Differenzbetrag hngen und wird die Gesellschaft von einer Person planvoll eingesetzt und gesteuert, die mit dem deutschen Zahlenden nichts zu tun hat, ist der Betriebsausgabenabzug anzuerkennen. Ist die auslndische Gesellschaft vom inlndischen Steuerpflichtigen, d.h. dem Zahlenden – ohne dass verdeckte Entnahmen vorliegen –, planvoll eingesetzt, um § 160 AO zu umgehen, so ist das Unternehmen Hilfsperson, und die Dahinterstehenden sind zu benennen. Sind die Gesellschafter der auslndischen Gesellschaft Angestellte des Auftraggebers, die geschmiert werden sollen, kommt es darauf an, ob sie das Geld durch eine GewinnausschÅttung ihrer Gesellschaft oder durch eine unmittelbare Weiterleitung erhalten. Nur im letzteren Fall soll § 160 AO eingreifen, da die auslndische Gesellschaft insoweit nur eine Treuhandfunktion hat und damit nicht sie, sondern die Angestellten als Empfnger bezeichnet werden mÅssen. Dagegen sei im ersteren Fall die auslndische Gesellschaft als Empfnger korrekt bezeichnet, da das Geld erst durch eine GewinnausschÅttung zu den Gesellschaftern gelangt.
12.52 Teils wird diese Auffassung als zu weit erachtet3, denn bei Inlandsgeschften seien Provisionszahlungen in Niedrigsteuerlnder unÅblich. Deshalb sei mit der Benennung allein der auslndischen Gesellschaft dem Zweck des § 160 AO nicht genÅge getan.4 WÅrde man diser Ansicht folgen, soll nach dieser Meinung § 16 AStG zur Anwendung kommen, wonach bei Zahlungen an Personen im Ausland, die mit ihren EinkÅnften nicht oder nur unwesentlich besteuert werden, der Empfnger i.S. des § 160 AO erst dann genau bezeichnet sein, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und der Gesellschaft, Personen oder Personengesellschaft bestehen oder bestanden haben. DafÅr ließe sich anfÅhren, dass eine Åber die Empfngerbenennung hinausgehende Darstellung der in § 16 AStG geforderten Umstnde – im Umkehrschluss – bei § 160 AO gerade nicht erforderlich ist.5 FÅr diese Regelung sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 160 AO, wonach Steuerausflle vermieden werden sollen. Nur soweit aber Steueraus-
1 BFH v. 25.11.1986 – IV B 76/86, fÅr Bargeldbetrge bzw. Schecks, die erkennbar fÅr einen anderen als den unmittelbaren Empfnger bestimmt waren. 2 BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. 1999, 121. 3 Wannemacher, Steuerstrafrecht6, Rz. 1456. 4 Pelka in JbFSt 1982/83, 118. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 16 AStG Rz. 5.
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C. Benennungsverlangen nach § 160 AO
flle nicht zu erwarten sind, ist anerkannt, dass derartige Ausgaben trotz fehlender Empfngerbezeichnung zum Abzug zugelassen werden.1 HierfÅr reicht nicht aber schon die bloße MÇglichkeit aus, erforderlich ist vielmehr, dass der Empfnger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den BezÅgen weder der unbeschrnkten noch der beschrnkten Steuerpflicht im Inland unterliegt. Anders stellt sich die Situation dar, wenn der Steuerpflichtige selbst Opfer einer fÅr ihn nicht durchschaubaren Tuschung geworden ist und sich ihm nicht Zweifel hinsichtlich seines Geschftspartners aufdrngen mussten, bei sonst fehlender Erkennbarkeit, sowie dann, wenn der unmittelbare Zahlungsempfnger in einem EU-Staat ansssig ist, was – im Gegensatz zu in sog. typischen Steueroasen ansssigen Gesellschaften – unverdchtig ist.2 Nach Ansicht des FG DÅsseldorf kann eine dahin gehende Beweisvorsorgepflicht des Steuerpflichtigen nur bei Erkennbarkeit eines nach objektivem Maßstab steuerrelevanten Sachverhalts, nicht aber bezÅglich des Nichtvorhandenseins steuererheblicher Tatsachen in Betracht kommen.3
12.53
Es ließe sich anfÅhren, dass, wenn es sich fÅr die inlndische Muttergesellschaft so darstellt, dass es sich um zulssige (innereuropische) Provisionszahlungen gehandelt hat, kein Anlass dahin gehend besteht, Zweifel zu hegen an dem tatschlichen Vorliegen einer Betriebsausgabe. Ein steuerrelevanter Sachverhalt liegt dann insoweit nicht vor, als dass vom Standpunkt der inlndischen Gesellschaft aus es sich um eine abzugsfhige Betriebsausgabe an eine auslndische Person handelt, deren inlndische Steuerpflicht ausgeschlossen ist. DafÅr spricht auch die berlegung, dass selbst wenn die Gelder direkt von der inlndischen Muttergesellschaft an die entsprechenden Empfnger gezahlt wÅrden, aus Sicht der Muttergesellschaft in der Regel keine Zweifel bestehen, dass es sich um auslndische Personen handelt, die der deutschen Steuerpflicht nicht unterliegen.
12.54
Der Steuerpflichtige kann nur Umstnde offenlegen, die in seinem Kenntnisbereich liegen oder von denen er sich in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen kann.4 Einblicke bzw. tatschliche oder gar rechtliche MÇglichkeiten (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 2 AO) in die Liefer- und Leistungsbeziehungen seines Vertragspartners hat der inlndische Steuerpflichtige regelmßig nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf den geforderten vollen Namen und die volle Privatanschrift von Personen, die in eine hinter dem unmittelbaren Zahlungsempfnger stehende Liefer- bzw. Leistungskette involviert sind. UnmÇgliches darf vom Steuerpflichtigen nicht verlangt
12.55
1 BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51; Lang in T/K, § 160 AO Rz. 10; Wassermeyer in F/W/B/S, § 16 AStG Rz. 46. 2 BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, IStR 2002, 274. 3 FG DÅsseldorf v. 21.3.2000 – 3 K 4432/92. 4 BFH v. 1.6.1994 – X R 73/91, BFH/NV 1995, 3.
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Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder
und hieraus keine nachteiligen steuerlichen Konsequenzen gezogen werden, solange er die UnmÇglichkeit nicht (zurechenbar) verursacht hat.1
12.56 Denn in derartigen Fllen wÅrde eine Anwendung von § 160 Abs. 1 AO zu einer Gefhrdungshaftung in der Person des inlndischen Steuerpflichtigen nicht fÅr (vermutetes) inlndisches, sondern fÅr auslndisches Steueraufkommen fÅhren. Sofern also nicht eine durch tatschliche Anhaltspunkte belegte Vermutung kollusiven Zusammenwirkens von der Finanzverwaltung eingreift, ist eine Ausdehnung von § 160 Abs. 1 AO gesetzlich nicht mehr gedeckt. DafÅr spricht auch, dass der anvisierte „wirtschaftliche“ oder „letztliche“ Leistungsempfnger mit der erforderlichen Sicherheit regelmßig ohnehin nicht bestimmt werden kann.
12.57 Der VIII. Senat des BFH hat schließlich selbst ausdrÅcklich erwhnt, dass eine restlose Aufklrung der Verwendung ohnehin nicht mÇglich sei. Der Rechtsgedanke des § 160 AO sei nicht so weitgehend zu verstehen, dass ein Steuerpflichtiger, um den Betriebsausgabenabzug nicht zu gefhrden, in jedem Falle „erschÇpfende Ermittlungsaufgaben fÅr das Finanzamt“ wahrzunehmen habe.2
12.58 Andere Senate sehen den Normzweck des § 160 AO erst als erfÅllt an, wenn „sichergestellt“ bzw. wenn „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ der Empfnger im Inland nicht steuerpflichtig ist.3 Der I. Senat hingegen hat einerseits diesen Wahrscheinlichkeitsgrad vorausgesetzt, andererseits im Leitsatz derselben Entscheidung nicht so stringent formuliert: „Die bloße MÇglichkeit einer im Inland fÅr den Empfnger nicht bestehenden Steuerpflicht reicht allein nicht aus, um von der Rechtsfolge des § 160 AO abzusehen“.4
12.59 Im Falle der Provisionszahlung an eine auslndische Tochtergesellschaft, welche diese Gelder dann an die entsprechenden Empfnger weiterleitet, muss es fÅr § 160 AO als genÅgend angesehen werden, wenn fÅr die deutsche Gesellschaft feststeht, dass die Gelder im Ausland verbleiben und nicht der deutschen Steuerpflicht unterliegen. DafÅr muss ausreichend sein, dass dargelegt wird, dass es sich um Provisionszahlungen an auslndische Personen gehandelt hat und die auslndische Gesellschaft quasi nur „Durchlaufstelle“ der Zahlung, gleichwohl der eigentliche Vertragspartner ist. FÅr die deutsche Muttergesellschaft ist nie ganz aufklrbar, wer nun letztlich wirtschaftlich BegÅnstigter der Zahlung ist.
12.60 Zu denken ist etwa an den Fall, dass ein Vertragspartner der auslndischen Gesellschaft die ihm zustehende Forderung bereits im Wege einer 1 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 2; Wittmann, Mitwirkungspflicht und Aufklrungspflicht in der AO, StuW 1987, 35 ff. (42): Vermeidbarkeit der UnmÇglichkeit. 2 BFH v. 25.11.1986 – VIII R 350/82. 3 BFH v. 13.9.1999 – IV B 41/99, BFH/ NV 2000, 817; BFH v. 12.8.1999 – XI R 51/98, BFH/NV 2000, 299 f. 4 BFH v 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318.
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C. Benennungsverlangen nach § 160 AO
vorweggenommenen stillen Sicherungszession abgetreten hat ohne dies offenzulegen, d.h. fÅr seinen Glubiger gem. § 185 BGB einzugsberechtigt ist, oder das Konto/Sparbuch bzw. der Pfndung unterworfen ist bzw. der pfndbare Teil Åberwiesen wird. Hiervon hat der inlndische Steuerpflichtige regelmßig keine Kenntnis. WÅrde es sich dabei um einen inlndischen Steuerpflichtigen handeln, so mÅsste konsequenterweise ein Abzug als Betriebsausgabe versagt werden, da der Steuerpflichtige nicht den „letztlichen wirtschaftlichen“ Empfnger benannt hat. Ferner kann der inlndische Steuerpflichtige meist schon rein tatschlich nicht darlegen, wer letztlich „wirtschaftlich“ hinter dem Empfnger steht, etwa wenn das angegebene Konto wiederum nur eine „Durchlaufstation“ ist, etwa weil der auslndische Empfnger die Einnahme nicht versteuern will oder es sich um ein anonym gefÅhrtes Konto handelt. Sinn und Zweck des § 160 Abs. 1 AO ist nicht, den Betriebsausgabenabzug zu versagen, sondern Steuerausflle zu verhindern. Neben § 160 Abs. 1 AO tritt daneben aber auch noch die Mitwirkungspflicht des Empfngers selbst, welcher im Falle einer inlndischen Steuerpflicht die Einnahmen ggf. zu versteuern htte. § 160 AO kann hingegen nicht derart weit verstanden werden, dass der Leistende, um in den Genuss der Abzugsfhigkeit zu kommen, dem Empfnger jedwede Obliegenheit faktisch abzunehmen hat. Wenn also gegenÅber den inlndischen BehÇrden angegeben wird, dass es sich um Provisionszahlungen handelt, die durch die Tochtergesellschaft an auslndische Personen ausbezahlt werden, und dem legale Vertrge zugrunde liegen, so ist dies nicht anders zu bewerten, als wenn die Zahlung etwa anlsslich der Begleichung von Mietzinsen der auslndischen Gesellschaft erfolgt.
12.61
Dagegen ließe sich einwenden, dass wenn Zahlungen anlsslich einer Provisionsvereinbarung gezahlt werden, wie bei sonstigen Vertrgen auch der eigentliche Vertragspartner zu benennen ist, welcher zumindest der auslndischen Tochterfirma bekannt ist, mithin sich daraus die MÇglichkeit und Zumutbarkeit der Empfngerbenennung ergibt.1
12.62
IV. Umfang der Benennungspflichten Bestehen Anhaltspunkte, dass der Rechnungssteller eine sog. Domizilgesellschaft ist, ist es nach allgemeiner Ansicht nicht ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt zur Benennung der Personen auffordert, die die Leistungen tatschlich gegenÅber dem inlndischen Steuerpflichtigen erbracht haben. Das Wesen einer Domizilgesellschaft oder Sitzgesellschaft besteht darin, dass diese in dem Niedrigsteuerstaat nur ihren Sitz hat, dort keine wirtschaftliche Ttigkeit ausÅbt und ihr Einkommen aus-
1 BFH v. 8.2.1972 – VIII R 41/66, juris.
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12.63
Kapitel 12 Korruption und Schmiergelder
schließlich aus inlndischen Quellen beziehen.1 Ausgeschlossen ist ein Benennungsverlangen aber dann, wenn feststeht, dass der hinter der Domizilgesellschaft Stehende der deutschen Besteuerung nicht unterliegt.2
12.64 In jÅngeren Entscheidungen klang bereits die Tendenz an, beispielsweise die europische Limited per se nicht als Domizilgesellschaft anzusehen, da dies einen Verstoß gegen die europischen Grundfreiheiten darstelle.3 Eine Diskriminierung ist insbesondere darin zu sehen, dass mit den Entscheidungen „berseering“, „Centros“4 und „Inspire Art“5 die auslndische Gesellschaft nicht nur als rechts- sondern auch als parteifhig anerkannt wurde. Diskriminierend ist ferner, anstelle der auslndischen Gesellschaft seitens des Finanzamts den/die Gesellschafter zu Verfahrensbeteiligten zu machen. Im Falle einer deutschen GmbH ist auch nur diese als solche zu benennen, sodass fÅr die Limited nichts anderes gelten kann. Die europische Kapitalgesellschaft wÅrde gegenÅber einer ansssigen Gesellschaft benachteiligt.6 Zudem ist seit der „Dublin-Docks“-Entscheidung anerkannt, dass ein Outsourcing in eine Kapitalgesellschaft nicht missbruchlich ist und kein Umgehungsgeschft i.S. des § 42 AO darstellt.7
1 BFH v. 30.8.1995 – I R 126/94, BFH/NV 1996, 267; BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. II 1999, 121; BFH v. 13.12.1999 – IV B 41/99, BFH/NV 2000, 818; BFH v. 12.8.1999 – XI R 51/98, BFH/NV 2000, 299; Schmidt, IStR 99, 338. 2 FG MÅnster v. 13.3.1997 – 5 K 2954/96, EFG 98, 251; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312; besttigt durch BFH v. 11.7.2013 – IV R 27/09, BFH/NV 2013, 1826. 3 BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01; FG DÅsseldorf v. 18.2.2004 – 13 K 4740/00; FG Saarland v. 10.5.2002 – 1 V 44/01; FG Niedersachsen v. 30.11.2000 – 5 K 62/98; BFH v. 18.2.2004 – 13 K 4740/00. 4 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C 212/97, GmbHR 1999, 474. 5 EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260. 6 Zu diesem Kriterium auch BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14. 7 BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14.
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5. Teil GrundzÅge des Internationalen Steuerrechts Kapitel 13 Materielles Recht
A. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . .
Rz. 13.1
B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern . . . . . . . . . . . . . . 1. Einkommensteuer a) Unbeschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschrnkte Steuerpflicht . c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht . . . . . . . . . 2. KÇrperschaftsteuer a) Unbeschrnkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschrnkte Steuerpflicht . c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht . . . . . . . . . 3. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . .
13.10
13.11 13.15
13.28
13.47 13.50
13.58 13.73
II. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . 13.82 1. Unbeschrnkte Steuerpflicht . 13.87 2. Beschrnkte Steuerpflicht . . . . 13.97 III. Verkehrsteuern . . . . . . . . . . . . . 1. Umsatzsteuer a) Steuerbare Umstze . . . . . . b) Steuerfreie Export-Umstze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Steuerschuldner . . . . . . . . . 2. Grunderwerbsteuer a) Erwerbsvorgnge . . . . . . . . . b) nderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft . . . . . . . . c) Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung . . . . . . .
13.105 13.106 13.129 13.133 13.137
13.139 13.140
a
Rz. d) Steuerbefreiungen . . . . . . . . 13.142 e) Steuerschuldner . . . . . . . . . 13.143 IV. Verbrauchsteuern . . . . . . . . . . . 13.144 V. Hinzurechnungsbesteuerung . 13.148 VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen . . . . . . . . . 13.163 VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EinkÅnfteabgrenzung bei Betriebssttten . . . . . . . . . . . . . . . 2. EinkÅnfteabgrenzung bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . a) Verdeckte GewinnausschÅttung . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Einlage . . . . . . . . c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) . . . . . . . . . . .
13.171 13.174 13.187 13.191 13.197 13.201
C. Doppelbesteuerungsrecht I. Grundstze . . . . . . . . . . . . . . . . 13.218 II. Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . 13.221 III. Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) 1. Allgemeine Hinweise . . . . . . . 2. Auslegungskonflikte . . . . . . . . 3. Steuerumgehung . . . . . . . . . . . 4. Abkommensberechtigung . . . . 5. Sachliche Reichweite . . . . . . . 6. Verteilungs- und Vermeidungsnormen . . . . . . . . . . . . . .
13.227 13.229 13.235 13.238 13.242 13.244
Literatur (Gesamtdarstellungen): Achatz (Hrsg.), Internationales Steuerrecht, DStJG 36 (2013); Bchle/Knies/Ott/ Rupp, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. Stuttgart 2010; Brhler, Internationales Steuerrecht, 7. Aufl. Wiesbaden 2012; Djanani, Internationales Steuerrecht,
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a
Kapitel 13 Materielles Recht 4. Aufl. Wiesbaden 2008; Breithecker, EinfÅhrung in die Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl., 2010; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl. Bielefeld 2005; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. MÅnchen 2009; Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011; Grotherr/Herfort/Strunk, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. Achim 2010; Haase, Internationales und Europisches Steuerrecht, 4. Aufl. 2014; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2000; MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012; Reith, Internationales Steuerrecht, MÅnchen 2004; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011; Scheffler, Internationale betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl. MÅnchen 2009; Schmidt/Sigloch/Henselmann, Internationale Steuerlehre, Wiesbaden 2005; Wilke/Weber, Internationales Steuerrecht, 12. Aufl. Herne/Berlin 2014.
A. Begrifflichkeiten 13.1 Der Begriff des Internationalen Steuerrechts1 ist gesetzlich nicht fest-
13.2
13.3
gelegt. Er ist auch kein Systembegriff, weil das Steuerrecht, soweit es internationale BezÅge hat, nicht einheitlich kodifiziert und ohne systematische Konzeption ist.2 Der Begriff des Internationalen Steuerrechts hat letztendlich nur Bedeutung fÅr die Verstndigung. Wenn daher im Folgenden vom Internationalen Steuerrecht die Rede ist, so sind damit jene Normen angesprochen, die auslandsbezogene Sachverhalte erfassen. Es kann sich hierbei um Normen handeln, die der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Auf einer weiteren Ebene lsst sich der Begriff des Internationalen Steuerrechts in zwei weitere Ordnungsbegriffe dahin gehend aufteilen, dass sich all jene Normen, die der Vermeidung der Doppelbesteuerung dienen, als Doppelbesteuerungsrecht, und alle Åbrigen Normen als Außensteuerrecht bezeichnen lassen. Außensteuerrecht und Doppelbesteuerungsrecht stehen nicht selten in einer Wechselbeziehung die dadurch geprgt ist, dass das Außensteuerrecht kollisions- und konfliktbegrÅndend,3 und das Doppelbesteuerungsrecht kollisionsauflÇsend wirkt. Die KollisionsbegrÅndung4 erfolgt im Bereich der Subjektsteuern (z.B. Einkommen- und KÇrperschaftsteuer) durch das internationale Nebeneinander von unbeschrnkter Steuerpflicht durch Erfassung des Welteinkommens in AnknÅpfung an Wohnsitz, gewÇhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschftsleitung und beschrnkter Steuerpflicht durch Erfassung inlndischen Einkommens. Bei Doppelwohnsitz oder Mehrfachwohnsitz kommt es zu einer KollisionsbegrÅndung auch durch ein Nebeneinander von unbeschrnkter Steuerpflicht in mehreren Staaten. Schließlich ist 1 2 3 4
Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1.1 ff. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 1.4; Seer in T/L21, § 1 Rz. 82. Dieser Begriff ist nicht i.S. des Internationalen Privatrechts zu verstehen. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 2.3 ff.
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A. Begrifflichkeiten
eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprgte beschrnkte Steuerpflicht in mehreren Staaten mÇglich. Eine KollisionsauflÇsung1 ist die Folge von Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf bilateraler (Doppelbesteuerungsabkommen) und unilateraler Ebene (z.B. § 34c EStG). Von besonderer Bedeutung sind aber auch die sowohl im Außensteuerrecht als auch im Doppelbesteuerungsrecht angesiedelten Normen zur Vermeidung von EinkÅnfteverlagerungen.2 EinkÅnfteverlagerungen sowohl in Hochsteuerlnder als auch in Niedrigsteuerlnder werden im Außensteuerrecht insbesondere durch – § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG (Steuerentstrickung), – § 16 Abs. 3a EStG (Steuerentstrickung), – § 12 Abs. 1, 3 KStG (Steuerentstrickung), – § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte GewinnausschÅttung), – § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG (verdeckte Einlage), – § 1 AStG (Berichtigung von EinkÅnften) und – § 6 AStG (Wegzugsbesteuerung)
13.4
13.5
vermieden. Es handelt sich hierbei um unilaterale Normen des Außensteuerrechts, die lediglich einseitig wirken und keine RÅcksicht darauf nehmen, ob die betreffenden EinkÅnfte in dem begÅnstigten Staat besteuert werden. Zu den bilateralen Normen, die gegen EinkÅnfteverlagerungen gerichtet sind, gehÇrt Art. 7 OECD-MA, der im Unterschied zu den vergleichbaren unilateralen Normen zweiseitiger Natur ist und damit zugleich der zwischenstaatlichen EinkÅnfteabgrenzung dient. Die Vermeidung der EinkÅnfteverlagerung ist hier freilich nur Nebenzweck; Primrwertung des Art. 7 OECD-MA ist die Vermeidung der Doppelbesteuerung zugunsten des betreffenden Steuerpflichtigen.
13.6
Zu den Normen zur Vermeidung von EinkÅnfteverlagerungen zugunsten nur von Niedrigsteuerlndern zhlen vor allem – die §§ 2-5 AStG (erweiterte beschrnkte Steuerpflicht), – §§ 7-14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung), – § 15 AStG (Besteuerung bei auslndischen Familienstiftungen) sowie – § 42 AO (Steuerumgehung).
13.7
Auf die Vermeidung von EinkÅnfteverlagerung gerichtete Normen haben auch im Doppelbesteuerungsrecht Verbreitung gefunden. Zu diesen Vermeidungsnormen zhlt u.a. § 50d Abs. 3 EStG. Durch diese Treaty-shopping-Klausel soll insbesondere die missbruchliche Inanspruchnahme einer Quellensteuerreduktion nach Maßgabe der Doppelbesteuerungs-
13.8
1 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 2.4. 2 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 2.10 ff.
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Kapitel 13 Materielles Recht
abkommen und des § 43b EStG vermieden werden. Dies geschieht dadurch, dass die Zwischenschaltung von Gesellschaften steuerlich nicht anerkannt wird, soweit Personen an ihnen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung (Quellensteuerreduktion) nicht zustÅnde, wenn sie die EinkÅnfte unmittelbar selbst erzielten, und die von der auslndischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoertrge nicht aus eigener Wirtschaftsttigkeit stammen, sowie in Bezug auf diese Ertrge fÅr die Einschaltung der auslndischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde fehlen oder die auslndische Gesellschaft nicht mit einem fÅr ihren Geschftszweck angemessen eingerichteten Geschftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Diese Missbrauchsvorschrift, die eine normative Konkretisierung des § 42 AO darstellt, zielt insbesondere auf auslndische Holdinggesellschaften und sog. KÅnstler- und Sportlerverleihgesellschaften ab.
13.9 Auf der gleichen Systemlinie liegt § 20 Abs. 1 AStG, der im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung von der Rechtsfolge her darauf gerichtet ist, die Abschirmwirkung von DBA zu beseitigen. Damit korrespondiert § 20 Abs. 2 AStG, wonach bei auslndischen BetriebssttteneinkÅnften mit Kapitalanlagecharakter in Abweichung von den bilateralen Regelungen der DBA die Doppelbesteuerung nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung vermieden wird.
B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern 13.10 Zu den Ertragsteuern, die an EinkÅnfte anknÅpfen1, gehÇren die Einkommen-2, KÇrperschaft- und Gewerbesteuer. Das Einkommensteuergesetz folgt ebenso wie das KÇrperschaftsteuergesetz dem international Åblichen Wohnsitzprinzip mit der Folge der Trennung zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht. Im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht wird dementsprechend bei der Einkommensteuer an den Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewÇhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) und bei der KÇrperschaftsteuer an den Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) oder Sitz (§ 11 AO) angeknÅpft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 1 Abs. 1 KStG). Im Falle der unbeschrnkten Steuerpflicht wird im Grundsatz das gesamte Welteinkommen (Welteinkommensprinzip oder Universalittsprinzip) und bei beschrnkter Steuerpflicht die inlndischen EinkÅnfte (Quellenprinzip oder Territorialittsprinzip) erfasst. DemgegenÅber ist die Gewerbesteuer
1 Hierzu Hey in T/L21, § 7 Rz. 22. 2 Einschließlich Kirchensteuer als Annex zur Einkommensteuer sowie die Lohnund Kapitalertragsteuer als besondere Erhebungsformen.
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
als Objektsteuer1 durch die Çrtliche AnknÅpfung an das Gebiet einer bestimmten (inlndischen) Gemeinde geprgt (§§ 4, 35a Abs. 3 GewStG). Damit beschrnkt sich die Gewerbesteuer auf das Inland, sodass hierfÅr weitgehend das Territorialittsprinzip gilt. Im Hinblick darauf nimmt das Gewerbesteuergesetz grundstzlich auch keine Differenzierung zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht vor. 1. Einkommensteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum EStG, zu §§ 2, 6 AStG und zu §§ 8, 9 AO; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 8 Rz. 1 ff.; Jakob, Einkommensteuer, 4. Aufl. MÅnchen 2009; Niemeier/Schlierenkmper/Schnitter/NÇcker/Stuparu, Einkommensteuer, 23. Aufl. Achim 2015; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 5.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 601 ff.; ZenthÇfer/Schulze zur Wiesche, Einkommensteuer, 11. Aufl. Stuttgart 2013.
a) Unbeschrnkte Steuerpflicht NatÅrliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewÇhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).2 Primrer AnknÅpfungspunkt ist hierbei der Wohnsitz, der dort ist, wo jemand eine Wohnung unter Umstnden innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Die Wohnung muss nicht angemessen oder gar standesgemß sein, es reicht aus, wenn es sich um Rumlichkeiten handelt, die Åberhaupt zum Wohnen geeignet sind.3 Schließlich ist auch ohne Bedeutung, ob die Rumlichkeiten mÇbliert sind oder nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige Åber die Wohnung tatschlich verfÅgen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter VerfÅgungsmacht.4 Eine derartige VerfÅgungsmacht ist zu verneinen, wenn sich jemand lediglich zu Besuchszwecken bei einer anderen Person, auch wenn es sich hierbei um Verwandte handelt, oder in einem Hotel aufhlt.5 Die Umstnde mÅssen ferner darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Es wird hierbei nicht auf die tatschliche Nutzung abgestellt. So reicht es bei Abwesenheit des Wohnungsinhabers aus, wenn die Wohnung so ausgestattet ist, dass er jederzeit zurÅckkehren 1 Hierzu GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 1 GewStG Rz. 14; Sarrazin in Lenski/ Steinberg, § 1 GewStG Rz. 2. 2 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.1 ff. 3 Vgl. die Aufzhlung bei Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 4 BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909. 5 Zu Einzelheiten Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 6, 6a, 6b.
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und sich hierin aufhalten kann.1 Die Umstnde mÅssen aber dafÅr sprechen, dass die Wohnung nicht nur vorÅbergehend benutzt wird.2 (Zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.246 ff.).
13.12 Neben dem Wohnsitz ist der gewÇhnliche Aufenthalt ein weiterer, allerdings subsidirer AnknÅpfungspunkt fÅr die unbeschrnkte Steuerpflicht. Einen gewÇhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umstnden aufhlt, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorÅbergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). In der Besteuerungspraxis wird ein gewÇhnlicher Aufenthalt im Inland in aller Regel nur angenommen, wenn die Aufenthaltsdauer mehr als sechs Monate betrgt.3 Erfolgt der Aufenthalt allerdings ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder hnlichen privaten Zwecken, ist ein gewÇhnlicher Aufenthalt nur dann anzunehmen, wenn die Aufenthaltsdauer mindestens ein Jahr betrgt (§ 9 Satz 2 AO). (Zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.254 ff.).
13.13 Die unbeschrnkte Steuerpflicht wird aufgrund einer Sonderregelung (§ 1 Abs. 2 EStG) auf deutsche StaatsangehÇrige erstreckt, die im Inland zwar weder einen Wohnsitz noch einen gewÇhnlichen Aufenthalt haben, die aber zu einer inlndischen juristischen Person des Çffentlichen Rechts in einem Dienstverhltnis stehen und dafÅr Arbeitslohn aus einer inlndischen Çffentlichen Kasse beziehen (erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht). Betroffen hierdurch sind insbesondere ins Ausland entsandte Diplomaten und Berufskonsuln, die im Empfangsstaat aufgrund des Wiener bereinkommens fÅr Diplomatische Beziehungen (WD)4 und des Wiener bereinkommens fÅr konsularische Beziehungen (WK)5 im Empfangsstaat mit ihren BezÅgen freigestellt und im brigen mit den dort erzielten EinkÅnften nur nach Art der beschrnkten Steuerpflicht einer Besteuerung unterworfen sind.6
13.14 Neben der „normalen“ unbeschrnkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG) und der erweiterten unbeschrnkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) wird fÅr EU-Grenzpendler darÅber hinaus eine unbeschrnkte Steuerpflicht fingiert (§ 1 Abs. 3 EStG), allerdings mit der Besonderheit, dass im Rahmen dieser fingierten unbeschrnkten Steuerpflicht nicht das Welteinkommen, sondern lediglich die inlndischen EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) 1 BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; BFH v. 10.4.2013 – I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909; weitere Einzelheiten bei Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 9 ff. 2 Hier kann auf die Sechs-Monats-Frist des § 9 Satz 2 AO zurÅckgegriffen werden; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68. 3 Vgl. BMF v. 2.1.2008, BStBl. I 2008, 26 (AO-Anwendungserlass) zu § 9 AO Tz. 1. 4 Wiener bereinkommen fÅr Diplomatische Beziehungen (WD) v. 18.4.1961, BGBl. II 1964, 957. 5 Wiener bereinkommens fÅr konsularische Beziehungen (WK) v. 24.4.1963, BGBl. II 1969, 1585, BGBl. II 1971, 1285. 6 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.39.
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der Besteuerung unterworfen werden. Die fingierte unbeschrnkte Steuerpflicht gilt auf Antrag fÅr natÅrliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewÇhnlichen Aufenthalt im Inland haben, soweit sie inlndische EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) beziehen und ihre EinkÅnfte mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden EinkÅnfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht Åbersteigen, wobei der vorgenannte Betrag zu kÅrzen ist, soweit dies nach den Verhltnissen des Wohnsitzstaates notwendig und angemessen ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 EStG). FÅr diesen Personenkreis ergibt sich als besondere Rechtsfolge, dass sie die familien- und personenbezogenen Steuerentlastungen, die eigentlich nur bei „normaler“ unbeschrnkter Steuerpflicht gewhrt werden, in Anspruch nehmen kÇnnen, vorausgesetzt, es handelt sich um UnionsbÅrger oder um EWR-StaatsangehÇrige (§ 1a Abs. 1 EStG).1 b) Beschrnkte Steuerpflicht NatÅrliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewÇhnlichen Aufenthalt haben, sind, soweit nicht die erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) oder die fingierte unbeschrnkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) gegeben ist, beschrnkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inlndische EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) erzielen. Damit liegt der beschrnkten Steuerpflicht das Territorialittsprinzip zugrunde.2
13.15
Die beschrnkte Steuerpflicht ist dadurch gekennzeichnet, dass im Unterschied zur unbeschrnkten Steuerpflicht die persÇnlichen Verhltnisse des Steuerpflichtigen weitgehend unberÅcksichtigt bleiben, wodurch sie einen objektsteuerhnlichen Charakter erhlt.3 Dieser Objektsteuercharakter grÅndet sich insbesondere darauf, dass etwa – Sonderausgaben (§§ 10, 10a EStG) nicht abzugsfhig sind (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG), – die Pauschbetrge fÅr Sonderausgaben (§ 10c EStG),4 der Entlastungsbetrag fÅr Alleinerziehende (§ 24b EStG), die Kinderfreibetrge des § 32 EStG, das Splittingprivileg des § 32a Abs. 6 EStG, die AbzÅge wegen außergewÇhnlicher Belastung (§§ 33 und 33a EStG) sowie die Pausch-
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1 Entsprechendes gilt fÅr Schweizer aufgrund des FreizÅgigkeitsabkommens zwischen der EU und der Schweiz (ABl. EG 2002 Nr. L 114, 6; BGBl. II 2001, 810); vgl. EuGH v. 28.2.2013 – Rs. C-425/11 – Ettwein, BStBl. II 2013, 896; vgl. BMF, Schreiben v. 16.9.2013, BStBl. I 2013, 1325. 2 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.99 ff. 3 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BFH/NV 2012, 118, Loschelder in Schmidt33, § 49 EStG Rz. 1; Strunk in Korn, § 49 EStG Rz. 1; Gosch in Kirchhof13, § 49 EStG Rz. 1; Hey in T/L21, § 8 Rz. 1 ff., Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.106 ff. 4 FÅr beschrnkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gelten allerdings die in § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG bezeichneten Ausnahmen.
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betrge fÅr Behinderte, Hinterbliebene und Pflegepersonen (§ 33b EStG) und die Steuerermßigungen wegen haushaltsnaher Beschftigungsverhltnisse sowie fÅr die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen und Handwerkerleistungen (§ 35a EStG) nicht berÅcksichtigt werden (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG), der Freibetrag gem. § 16 Abs. 4 EStG nicht in Betracht kommt (§ 50 Abs. 1 Satz 3 EStG), EinkÅnfte, die dem abgeltenden Steuerabzug unterliegen, weder beim Verlustausgleich mit anderen Einkunftsarten noch beim Verlustabzug berÅcksichtigt werden dÅrfen (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG), der Splittingtarif grundstzlich1 nicht zur Anwendung kommt (vgl. §§ 26 Abs. 1, 32a Abs. 5 EStG) und bei Anwendung des Grundtarifs das zu versteuernde Einkommen um den Grundfreibetrag erhÇht wird (§ 50 Abs. 1 Satz 2 EStG), die Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens gem. § 4g EStG ausgeschlossen ist und schließlich die Einkommensteuer fÅr steuerabzugspflichtige EinkÅnfte im Grundsatz2 mit dem Steuerabzug abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG).
13.17 § 49 Abs. 1 EStG fÅhrt im Einzelnen auf, welche inlndischen EinkÅnfte der beschrnkten Einkommensteuerpflicht unterliegen. Der EinkÅnftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG knÅpft zwar an die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG an, ebenso ist das Verhltnis der in § 49 Abs. 1 EStG aufgefÅhrten EinkÅnfte zueinander nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 13 ff. EStG zu beurteilen, die EinkÅnftequalifikation selbst erfolgt aber nach den besonderen Gesetzmßigkeiten der in § 49 Abs. 2 EStG verankerten isolierenden Betrachtungsweise. Diese isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) besagt, dass die im Ausland gegebenen Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) außer Betracht bleiben, soweit bei ihrer BerÅcksichtigung inlndische EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht angenommen werden kÇnnen.
13.18 Die isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) rumt den im Inland verwirklichten Tatbestandsmerkmalen die Prioritt fÅr die Bestimmung der Einkunftsart ein. Auslndische Besteuerungsmerkmale (Tatbestandsmerkmale) scheiden bei der Bestimmung der Einkunftsart nur insoweit aus, als ihre BerÅcksichtigung eine nach den Verhltnissen im Inland begrÅndete Steuerpflicht ausschließen wÅrde.3 FÅr die Bestimmung der Einkunftsart stehen daher die inlandsbezogenen Qualifikationsmerkmale im Vordergrund. Im Hinblick darauf spielen insbesondere die Subsidiarittsregeln der Einkunftsarten (§§ 20 Abs. 8; 21 Abs. 3; 22 Nr. 1 Satz 1; 22
1 Ausnahme: §§ 1 Abs. 3, 1a Abs. 1 EStG. 2 Ausnahmen in § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG. 3 BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367; BFH v. 7.11.2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861.
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Nr. 3 Satz 1; 23 Abs. 2 EStG) keine Rolle, soweit ein auslandsbezogenes Qualifikationsmerkmal hierfÅr bestimmend wre.1 Zu den der beschrnkten Steuerpflicht unterliegenden inlndischen EinkÅnften gehÇren – EinkÅnfte aus einer im Inland betriebenen Land- und Forstwirtschaft (§§ 13, 14 EStG), – EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15–17 EStG), soweit folgende AnknÅpfungspunkte gegeben sind: inlndische Betriebssttte, ein fÅr das Inland bestellter stndiger Vertreter, BefÇrderungsvorgnge mit Seeschiffen und Luftfahrtzeugen zwischen inlndischen und von inlndischen zu auslndischen Hfen, nicht selbst durchgefÅhrte BefÇrderungen oder BefÇrderungsleistungen im Rahmen einer internationalen Betriebsgemeinschaft oder eines Poolabkommens, kÅnstlerische, sportliche, artistische unterhaltende oder hnliche Darbietungen oder deren Verwertung im Inland sowie Gewinne aus der Verußerung von bestimmten Anteilen an einer inlndischen Kapitalgesellschaft und von unbeweglichem VermÇgen, Sachinbegriffen und bestimmten Rechten sowie aus deren Vermietung und Verpachtung und schließlich AblÇsezahlungen fÅr im Inland vertraglich verpflichtete Berufssportler, – EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit (§ 18 EStG), die im Inland ausgeÅbt oder verwertet worden ist oder fÅr die im Inland eine feste Einrichtung oder eine Betriebssttte unterhalten wird, – EinkÅnfte aus nichtselbstndiger Arbeit (§ 19 EStG) mit folgenden AnknÅpfungspunkten: AusÅbung oder Verwertung im Inland, Zahlungen aus inlndischen Çffentlichen Kassen, VergÅtung fÅr eine Ttigkeit als GeschftsfÅhrer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer inlndischen Gesellschaft, Entschdigung fÅr die AuflÇsung eines Dienstverhltnisses, soweit die hieraus bezogenen EinkÅnfte zuvor der inlndischen Besteuerung unterlegen haben, AusÅbung an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeugs, das von einem inlndischen Unternehmen betrieben wird, – bestimmte EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen (§ 20 EStG), – EinkÅnfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG), wenn das unbewegliche VermÇgen, die Sachinbegriffe oder Rechte im Inland belegen, in einem inlndischen Çffentlichen Buch oder Register eingetragen sind oder in einer inlndischen Betriebssttte oder in einer anderen Einrichtung verwertet werden, – bestimmte sonstige EinkÅnfte (§ 22 EStG).
13.19
Bei beschrnkt Steuerpflichtigen wird die Einkommensteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit die Einkommensteuer durch den Steuerabzug an der Quelle
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1 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550.
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abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG),1 besteht zwischen Steuerveranlagung einerseits und Steuerabzug andererseits insoweit ein Ausschließungsverhltnis.
13.21 Eine Steuerveranlagung kommt nur dann in Betracht, wenn – ein Steuerabzug an der Quelle nicht vorgesehen ist, – die dem Steuerabzug unterliegenden EinkÅnfte solche eines inlndischen Betriebs sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG), – sich spter herausstellt, dass die Voraussetzungen der erweiterten unbeschrnkten (§ 1 Abs. 2 EStG) oder fingierten unbeschrnkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG) nicht vorlagen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG), – im Kalenderjahr sowohl eine beschrnkte als auch eine unbeschrnkte Steuerpflicht bestanden hat, sodass die whrend der beschrnkten Steuerpflicht erzielten EinkÅnfte in eine Veranlagung zur unbeschrnkten Steuerpflicht einzubeziehen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG), – auf der Lohnsteuerbescheinigung i.S. des § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG eines Arbeitnehmers Werbungskosten gem. § 9 EStG, Sonderausgaben gem. § 10 EStG oder der Freibetrag oder der Hinzurechnungsbetrag gem. § 39a Abs. 1 Nr. 7 EStG eingetragen wurden (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a EStG), – eine Veranlagung beantragt wurde fÅr EinkÅnfte aus nichtselbstndiger Arbeit i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG) und fÅr EinkÅnfte i.S. der § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 EStG (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG), soweit die Antragsteller StaatsangehÇrige eines EU/EWR-Staates sind und dort ihren Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt haben (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG)2 oder – ein Steuerabzug auf Anordnung des Finanzamts erfolgt (§ 50a Abs. 7 EStG).
13.22 Der Steuerabzug ergibt sich bei den EinkÅnften aus nichtselbstndiger Arbeit aus den §§ 38 ff. EStG, bei den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen aus § 43 EStG, bei den EinkÅnften aus kÅnstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden und hnlichen Darbietungen im Inland sowie aus deren Verwertung im Inland aus § 50a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG, bei den EinkÅnften aus RechtsÅberlassungen (Lizenz- oder Know-how-GebÅhren) aus § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG und bei AufsichtsratsvergÅtungen aus § 50a Abs. 1 Nr. 4 EStG. Die HÇhe des Steuerabzugs ist fÅr die EinkÅnfte aus 1 Eine Abgeltungswirkung ergibt sich auch aus § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungsteuer). 2 Die Beschrnkung der Antragsveranlagung auf EU-/EWR-StaatsangehÇrige verstÇßt sowohl gegen Art. 3 Abs. 1 GG als auch gegen die abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbote (Art. 24 OECD-MA); vgl. zum ersten Aspekte unter dem Gesichtspunkt des objektiven Nettoprinzips Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.109 ff. und zum zuletzt genannten Aspekt Gosch, DStR 2007, 1553 (1560).
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nichtselbstndiger Arbeit in § 39d EStG und fÅr die EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen in den §§ 32d, 43, 43a und 43b EStG geregelt. FÅr AufsichtsratsvergÅtungen ist ein Steuerabzug in HÇhe von 30 % (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) vorgesehen; bei den Åbrigen nach § 50a EStG steuerabzugspflichtigen EinkÅnften betrgt der Steuersatz 15 % (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG) der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 EStG) und bei dem gem. § 50a Abs. 3 EStG vorgesehenen Steuerabzug auf Nettobasis 30 % bei natÅrlichen Personen und 15 % bei KÇrperschaften, Personenvereinigungen und VermÇgensmassen (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG).1 Die beschrnkte Steuerpflicht wird durch § 2 AStG dahin gehend erweitert, dass nicht nur die in § 49 Abs. 1 EStG enumerativ aufgefÅhrten InlandseinkÅnfte, sondern in Abgrenzung zu § 34d EStG alle nichtauslndischen EinkÅnfte (sog. erweiterte InlandseinkÅnfte) erfasst und einer Vollprogression unterworfen werden und die fÅr die abzugspflichtigen EinkÅnfte gem. § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgesehene Abgeltungswirkung aufgehoben wird. Diese erweiterte beschrnkte Steuerpflicht gilt fÅr natÅrliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fÅnf Jahre lang als deutsche StaatsangehÇrige unbeschrnkt steuerpflichtig waren. Die erweiterte beschrnkte Steuerpflicht wird sodann fÅr weitere zehn Jahre aufrechterhalten. Es verbleibt allerdings bei der normalen beschrnkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 4 und 49 EStG) fÅr diejenigen Veranlagungszeitrume, in denen die InlandseinkÅnfte und erweiterten InlandseinkÅnfte insgesamt nicht mehr als 16.500 Euro betragen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 AStG).
13.23
Die erweiterte beschrnkte Steuerpflicht tritt im Wesentlichen ein, wenn die natÅrliche Person in einem auslndischen Gebiet ansssig ist, in dem sie nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt. In welchen auslndischen Gebieten eine niedrige Besteuerung vorliegt, ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG grundstzlich anhand eines abstrakten Belastungsvergleichs einer unverheirateten natÅrlichen Person mit steuerpflichtigen EinkÅnften von 77.000 Euro zu ermitteln. Ergibt dieser unabhngig von den Verhltnissen der konkret zu besteuernden Person anzustellende Vergleich, dass die fiktive Einkommensteuer in dem auslndischen Gebiet mehr als ein Drittel geringer ist als die Belastung einer im Inland ansssigen natÅrlichen Person, so spricht eine widerlegbare Vermutung dafÅr, dass die zu besteuernde Person im auslndischen Gebiet einer niedrigen Besteuerung unterliegt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AStG). Die Niedrigbesteuerung liegt ferner dann vor, wenn die betroffene natÅrliche Person in dem auslndischen Gebiet eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch nehmen kann (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG). Auch diese Vermutung kann widerlegt werden.
13.24
1 Zum Dualismus von Nettobesteuerung und Bruttobesteuerung und seinen verfassungsrechtlichen Implikationen vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.109 ff.
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13.25 Die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AStG ergebende Vermutung der Niedrigbesteuerung kann durch den Steuerpflichtigen dadurch widerlegt werden, dass er den Nachweis erbringt, dass die von seinem Einkommen insgesamt zu entrichtenden Steuern mindestens zwei Drittel der Einkommensteuer betragen, die er bei unbeschrnkter Steuerpflicht im Inland zu entrichten htte. Der Nachweis dieser Zwei-Drittel-Belastung erfolgt durch einen konkreten Belastungsvergleich im Rahmen einer Schattenveranlagung. Bemessungsgrundlage fÅr die Vergleichsberechnung ist das Einkommen. Soweit es um die im Ausland hierauf entrichteten Steuern geht, ist auf das Einkommen i.S. des betreffenden auslndischen Steuerrechts abzustellen.1 Daher sind auch auslndische Steuern auf Einkunftsarten, die in Deutschland nicht der Einkommensbesteuerung unterliegen, in den Vergleich mit einzubeziehen.2
13.26 In sachlicher Hinsicht setzt die erweiterte beschrnkte Steuerpflicht voraus, dass der Auswanderer wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AStG). Der Begriff der wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen wird in § 2 Abs. 3 und 4 AStG nher umschrieben. In § 2 Abs. 3 Nr. 1–3 AStG aufgefÅhrten Alternativen betreffen die unmittelbaren wesentlichen wirtschaftlichen Inlandsinteressen, whrend in § 2 Abs. 4 AStG i.V.m. § 5 AStG auch mittelbare wesentliche Inlandsinteressen genannt werden. Soweit es um unmittelbare wesentliche wirtschaftliche Inlandsinteressen geht, geht es um folgende drei (alternative) Flle: – Unternehmer- bzw. Mitunternehmerschaft eines inlndischen Gewerbebetriebs oder das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zu Beginn des Veranlagungszeitraums (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG), – nichtauslndische EinkÅnfte, soweit sie mehr als 30 % der GesamteinkÅnfte oder 62.000 Euro Åbersteigen (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG) und – nichtauslndisches VermÇgen, soweit dieses zu Beginn des Veranlagungszeitraums mehr als 30 % des GesamtvermÇgens oder 154.000 Euro Åbersteigt (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 AStG).
13.27 ber den EinkÅnftekatalog des § 49 Abs. 1 EStG hinaus werden im Ergebnis zustzlich insbesondere noch folgende erweiterte InlandseinkÅnfte erfasst3: 1. EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb, die a) weder einer inlndischen noch einer auslndischen Betriebssttte zuzurechnen sind oder b) aus BÅrgschafts- und Avalprovisionen erzielt werden, deren Schuldner unbeschrnkt steuerpflichtig ist;
1 Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 197. 2 Zimmermann/KÇnemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 113. 3 Auszugsweise Wiedergabe des Schreibens BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 2.5.0.1; zu Einzelheiten Zimmermann/KÇnemann in S/K/K, § 2 AStG Rz. 66 ff.
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2. EinkÅnfte aus der Verußerung von WirtschaftsgÅtern, die zum AnlagevermÇgen eines auslndischen Betriebs gehÇren und im Inland belegen sind; hierzu gehÇrt auch ein nicht schon unter § 17 EStG fallender Gewinn aus der Verußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die ihre Geschftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat; 3. EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen i.S. des § 20 EStG, wenn der Schuldner unbeschrnkt steuerpflichtig ist und es sich nicht um auslndische EinkÅnfte i.S. des § 34d Nr. 6 EStG handelt; hierunter fallen z.B. Zinsen, die von Inlndern auf Schuldscheindarlehen an erweitert beschrnkt Steuerpflichtige gezahlt werden, wenn diese Darlehen nicht durch auslndischen Grundbesitz gesichert sind; 4. EinkÅnfte aus der Vermietung und Verpachtung von beweglichem VermÇgen im Inland, sofern dieses nicht zu einem im Ausland belegenen Sachinbegriff gehÇrt; 5. EinkÅnfte aus wiederkehrenden BezÅgen i.S. des § 22 Nr. 1 EStG, wenn der Verpflichtete unbeschrnkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 6. EinkÅnfte aus privaten Verußerungsgeschften i.S. des § 22 Nr. 2 EStG, wenn die verußerten WirtschaftsgÅter nicht im Ausland belegen sind; 7. EinkÅnfte aus Leistungen, wenn der zur VergÅtung der Leistung Verpflichtete unbeschrnkt steuerpflichtig ist oder seinen Sitz im Inland hat; 8. andere EinkÅnfte, die das deutsche Steuerrecht (§§ 49 und 34d EStG) weder dem Inland noch dem Ausland zurechnet (z.B. Ertrge aus beweglichen Sachen, die nicht zum AnlagevermÇgen eines auslndischen Betriebs gehÇren); 9. EinkÅnfte, die dem Steuerpflichtigen nach §§ 5, 15 AStG zuzurechnen sind. c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht Im Hinblick darauf, dass allein im Rahmen der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht das Welteinkommensprinzip zur Geltung kommt, kann jedes Ausscheiden aus der unbeschrnkten Steuerpflicht, etwa durch Aufgabe des inlndischen Wohnsitzes oder gewÇhnlichen Aufenthalts, zu einem Ausschluss oder zu einer Beschrnkung1 des deutschen Besteuerungsrechts fÅhren.2 Bleibt keine beschrnkte oder erweiterte beschrnkte Einkommensteuerpflicht aufrechterhalten, scheidet der Steuerpflichtige aus der deutschen Steuerhoheit vollends aus. Insbesondere das Ausscheiden 1 Z.B. infolge Anrechnung auslndischer Steuern (§ 34c EStG). 2 Dementsprechend sind bei einem innerhalb eines Kalenderjahres erfolgten Wechsel von der unbeschrnkten zur beschrnkten Steuerpflicht eigentlich zwei Einkommen zu ermitteln und zwei Steuerveranlagungen durchzufÅhren (BFH v. 17.4.1996 – I R 78/95, BStBl. II 1996, 571); § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG ordnet demgegenÅber die DurchfÅhrung nur einer Veranlagung an.
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13.28
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aus der deutschen Steuerhoheit (Steuerentstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige whrend der Zeit der unbeschrnkten Steuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit WirtschaftsgÅtern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung entzogen werden. Ein Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit erfolgt auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine unbeschrnkte Steuerpflicht im Inland zwar aufrechterhlt, durch BegrÅndung einer weiteren unbeschrnkten Steuerpflicht im Ausland nach einem DBA dort aber als ansssig gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) mit der Folge, dass Deutschland die Eigenschaft als Wohnsitzstaat und damit die Befugnis zur uneingeschrnkten Besteuerung des Welteinkommens grundstzlich verliert (vgl. Rz. 13.240 f.).
13.29 Eine Steuerentstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige durch Wohnsitzwechsel im Ausland bewirkt, dass die beschrnkte Steuerpflicht durch ein DBA eingeschrnkt wird. Schließlich ist eine Steuerentstrickung auch durch Ausscheiden aus der erweiterten beschrnkten Steuerpflicht infolge Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen denkbar.
13.30 Neben den vorgenannten Fllen, in denen der Steuerpflichtige aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (subjektbezogene Steuerentstrickung), sind auch jene Flle von Bedeutung, in denen ein Besteuerungsgegenstand aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet (objektbezogene Steuerentstrickung). Hiermit sind vor allem jene Flle angesprochen, in denen ein Wirtschaftsgut von einem inlndischen Betrieb auf eine auslndische Betriebssttte ÅberfÅhrt wird und nach einem DBA die Besteuerung der Betriebsstttengewinne allein dem Betriebsstttenstaat zugewiesen ist (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA).
13.31 Im Einkommensteuerrecht ist die Entstrickung im BetriebsvermÇgensbereich in § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG (fiktive Entnahme), in § 16 Abs. 3a EStG (fiktive Betriebsaufgabe) und im PrivatvermÇgensbereich in § 6 AStG (fiktive Verußerung bei Wegzug) geregelt (zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.11 ff., 65 ff.).
13.32 Von der in § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG verankerten Entstrickungsregelung werden im BetriebsvermÇgensbereich der Ausschluss und die Beschrnkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsgutes erfasst. Angesprochen ist damit vor allem der grenzÅberschreitende BetriebsvermÇgenstransfer etwa vom inlndischen Stammhaus auf eine auslndische Betriebssttte, deren Gewinne abkommensrechtlich freigestellt sind oder eine Anrechnung auslndischer Steuern auslÇsen (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG). Da nicht auf die Verußerung, sondern bereits auf die vorgelagerte berfÅhrung abgestellt wird, knÅpft § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG die Rechtsfolge im Ergebnis an die abstrakte Gefhrdung1 des deutschen Besteuerungsrechts
1 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 213; Heinicke in Schmidt33, § 4 EStG Rz. 329; Wassermeyer, DB 2006, 1176 (1176).
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an.1 Neben grenzÅberschreitenden wird auch ein auslndischer BetriebsvermÇgenstransfer erfasst, wenn etwa ein Wirtschaftsgut von einer sog. Anrechnungs- auf eine Freistellungsbetriebssttte ÅberfÅhrt wird.2 Schließlich kÇnnen die Entstrickungsfolgen auch ausgelÇst werden, wenn etwa der gesamte Betrieb oder Teilbetrieb in das Ausland verlegt wird oder der Unternehmer unter „Mitnahme“ seines Betriebs oder Teilbetriebs dorthin verzieht. Soweit die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende entstrickungsbedingte Entnahme (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) zu einem Gewinn fÅhrt, kann dieser auf Antrag gem. § 4g EStG unter bestimmten Voraussetzungen in EU-Fllen im Ergebnis Åber fÅnf Jahre verteilt der Besteuerung zugefÅhrt werden.3 Eine entstrickungsbedingte Entnahme unterbleibt allerdings, wenn eine SE oder SCE, deren Anteile einem inlndischen BetriebsvermÇgen zuzuordnen sind, ihren Sitz verlegen und hierdurch die Gewinne aus der Verußerung der Anteile an der SE/SCE wegzugsbedingt nicht mehr oder nur noch beschrnkt besteuert werden kÇnnen (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG). Betroffen ist hier insbesondere der Wegzug in EU-Staaten, denen zuzugsbedingt abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht fÅr Gewinne aus der Verußerung der Anteile mit der Folge der Anrechnung in Deutschland zufllt.4 Diese Ausnahme von der Entnahmefiktion, die auf Art. 10d Abs. 1 FRL beruht, fÅhrt dazu, dass die Anteile weiterhin steuerverstrickt bleiben. Werden die Anteile an der weggezogenen SE/SCE spter verußert, so ist ein etwaiger Verußerungsgewinn gem. § 15 Abs. 1a EStG ungeachtet abkommensrechtlicher
1 Eine derartige Gefhrdung ist indessen bei einer auslndischen Freistellungsbetriebssttte nicht gegeben, da im Verußerungsfall die im Inland gebildeten stillen Reserven auch abkommensrechtlich fÅr Zwecke der deutschen Besteuerung erhalten bleiben; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106; a.A. Mitschke, DB 2009, 1376 ff.; in diesem Sinne auch die „Klarstellung“ in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG durch das JStG 2010; speziell zur Steuerentstrickung fÅr gewerblich geprgte Personengesellschaften die Sonderregelung in § 50i EStG. 2 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 215; Wied in BlÅmich, § 4 EStG Rz. 487. 3 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortbesteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft; vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; hierzu Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; vgl. auch FG DÅsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11, ISR 2014, 58 (Vorlagebeschluss zum EuGH) m. Anm. MÅller. 4 Vgl. Artt. 13 Abs. 3, 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-Tschechien.
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13.33
Kapitel 13 Materielles Recht
Schranken zu vesteuern1 und zwar auch hinsichtlich der erst nach dem Wegzug gebildeten stillen Reserven.2
13.34 Soweit eine fiktive Betriebsaufgabe gegeben ist (§ 16 Abs. 3a EStG), werden alle WirtschaftsgÅter einschließlich eines Firmenwerts mit dem gemeinen Wert angesetzt (§ 16 Abs. 3a, Abs. 3 Satz 7 EStG). Ein hierdurch entstandener Aufgabegewinn kann auf Antrag Åber fÅnf Jahre verteilt werden (§ 36 Abs. 5 EStG), wenn die entstrickten WirtschaftsgÅter einer EU-/EWR-Betriebssttte zuzuordnen sind.3
13.35 Die den PrivatvermÇgensbereich treffende Entstrickungsregelung ist in § 6 AStG verankert. Es handelt sich hierbei um eine Wegzugsbesteuerung, aufgrund derer die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sichergestellt werden, die in Anteilen an einer in- oder auslndischen Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 EStG angefallen sind.4 Die Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven erfolgt dadurch, dass das in § 17 EStG fÅr die Gewinnrealisierung vorausgesetzte primre Tatbestandsmerkmal der Verußerung durch Tatbestandsmerkmale ersetzt wird, die an das Ausscheiden aus der unbeschrnkten Steuerpflicht anknÅpfen. Die durch § 6 AStG begrÅndete Besteuerung des VermÇgenszuwachses wird in seinem Grundtatbestand dadurch erfÅllt, dass der betroffene Steuerpflichtige Deutschland verlsst. Diese Wegzugsbesteuerung, die eine subjektbezogene Steuerentstrickung erfasst, ist damit der letzte Akt innerhalb der unbeschrnkten Steuerpflicht.5
13.36 Der Grundtatbestand der Wegzugsbesteuerung, nmlich Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewÇhnlichen Aufenthaltes, wird gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 AStG unter den dort nher beschriebenen Voraussetzungen um weitere vier Tatbestnde ergnzt, und zwar durch – unentgeltliche oder teilentgeltliche AnteilsÅbertragung oder die bertragung der Anteile durch Erwerb von Todes wegen auf beschrnkt Steuerpflichtige (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG),
1 Dieses treaty overriding entspricht den Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 FRL. 2 Kritisch hierzu Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 109; FÇrster, DB 2007, 72 (75 f.). 3 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortbesteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft; vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert von EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; hierzu Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; vgl. auch FG DÅsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11, ISR 2014, 58 (Vorlagebeschluss zum EuGH) m. Anm. MÅller. 4 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.357 ff. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 39.
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– BegrÅndung einer auslndischen Ansssigkeit (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG), – Einlage der Anteile in ein auslndisches BetriebsvermÇgen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG) und – Ausschluss oder Beschrnkung des deutschen Besteuerungsrechts in Åbrigen Fllen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG). Bei allen Ergnzungstatbestnden mÅssen die Åbrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG stets erfÅllt sein.1
13.37
Entsprechend der Zielsetzung des § 6 AStG, die whrend der Zeit der unbeschrnkten Steuerpflicht entstandenen VermÇgenszuwchse fÅr Zwecke der deutschen Besteuerung zu sichern, bedarf es dann keiner Wegzugsbesteuerung, wenn das Ausscheiden aus der unbeschrnkten Steuerpflicht lediglich vorÅbergehend ist. Aus diesem Grund ist in § 6 Abs. 3 AStG vorgesehen, dass bei einer bloß vorÅbergehenden Abwesenheit von nicht mehr als fÅnf Jahren der Steueranspruch unter bestimmten Voraussetzungen entfllt. Die vorgenannte FÅnfjahresfrist kann um weitere fÅnf Jahre verlngert werden, wenn berufliche GrÅnde fÅr die Abwesenheit maßgeblich sind und die Absicht zur RÅckkehr unverndert fortbesteht. Hieraus ist zu folgern, dass auch bei einer RÅckkehr innerhalb der ersten fÅnf Jahre nach Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht eine RÅckkehrabsicht bestanden haben muss.2 Die tatschliche RÅckkehr innerhalb von fÅnf Jahren nach Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht indiziert indessen die gesetzlich vorausgesetzte RÅckkehrabsicht.3 Soweit § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG den Wegfall des Steueranspruchs anordnet, greift die nderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ein,4 sodass der Steuerbescheid entsprechend zu ndern ist.5 Der Steueranspruch entfllt allerdings dann nicht, wenn der WegzÅgler die Anteile zwischenzeitlich verußert oder aber einen der Ersatztatbestnde des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 3 AStG verwirklicht hat und er zudem im Zeitpunkt der WiederbegrÅndung der unbeschrnkten Steuerpflicht nicht zugleich auch abkommensrechtlich im Inland ansssig wird (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AStG).6
13.38
1 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.367. 2 Vertreter dieser subjektiven Theorie sind Gropp in Lademann, § 6 AStG Rz. 67; BMF v. 2.12.1994, BStBl. I 1995 (Sondernummer 1), Tz. 6.4.1; a.A. (eingeschrnkte objektive Theorie) Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 144; Kraft in Kraft, § 6 AStG Rz. 436; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 141. 3 Hecht in MÇssner/Fuhrmann, § 6 AStG Rz. 39. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 148; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 6.4.1. 5 FÅr einen vorlufigen Steuerbescheid gilt die nderungsvorschrift des § 165 Abs. 2 AO. 6 Zu diesem zuletzt genannten Aspekt weiterfÅhrend Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 152.
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13.39 Die Wegzugsbesteuerung knÅpft an einen fingierten Verußerungsgewinn1 an und berÅcksichtigt damit nicht die steuerliche Leistungsfhigkeit.2 § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG sieht daher folgerichtig in dieser Besteuerung eine sachliche Hrte mit der Folge, dass auf Antrag des Steuerpflichtigen die auf den fiktiven Verußerungsgewinn geschuldete Einkommensteuer fÅr einen Zeitraum von hÇchstens fÅnf Jahren zu stunden ist. Nach § 6 Abs. 4 Satz 3 AStG ist entsprechend der in § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG vorgesehenen Frist eine Stundung auf die Dauer von lngstens zehn Jahren zulssig. FÅr die ersten fÅnf Jahre ist die Stundung hierbei ohne Tilgung der Steuerschuld mÇglich, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, innerhalb der Frist wieder unbeschrnkt steuerpflichtig werden zu wollen. Anschließend kann er eine tilgungsfreie Stundung auf weitere fÅnf Jahre erhalten, wenn er glaubhaft macht, dass berufliche GrÅnde fÅr seine Abwesenheit maßgebend sind und seine Absicht zur RÅckkehr unverndert fortbesteht (§ 6 Abs. 4 Satz 3 AStG). Sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 AStG erfÅllt, hat der Steuerpflichtige einen Rechtsanspruch auf Stundung. Im Gegensatz zu § 222 AO ist § 6 Abs. 4 AStG damit keine Ermessensvorschrift. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AStG ist die Stundung bei endgÅltigem Wohnsitzwechsel ins Ausland nur gegen Sicherheitsleistung zulssig. Ist dagegen der Wohnsitzwechsel nur ein vorÅbergehender, kann die Stundung auch ohne Sicherheitsleistung angeordnet werden, wenn der Steueranspruch als nicht gefhrdet erscheint. Die Art der Sicherheitsleistung richtet sich nach § 241 AO. Werden die Anteile whrend des Stundungszeitraums verußert, ist ggf. die Stundung zu widerrufen (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG i.V.m. § 131 Abs. 2 Nr. 1 AO). Da § 6 Abs. 4 AStG keine besondere Zinsregelung enthlt, richtet sich die Verzinsung nach § 234 AO. Der Steuerpflichtige hat gem. § 6 Abs. 4 AStG zwar keinen Anspruch auf zinslose Stundung;3 da die Stundung nach der Wertung des § 6 Abs. 4 AStG die Regel und die sofortige Einziehung der Steuer die Ausnahme darstellt, ist unter den Voraussetzungen des § 234 Abs. 2 AO aber regelmßig auf die Zinsen zu verzichten.4
13.40 § 6 Abs. 5 AStG enthlt fÅr den Wegzug in EU-/EWR-Staaten Sonderregelungen, die im Wesentlichen auf eine erweiterte StundungsmÇglichkeit der durch den Wegzug ausgelÇsten Steuer gerichtet ist. Die erweiterte StundungsmÇglichkeit kann nur von EU-/EWR-StaatsangehÇrigen in Anspruch genommen werden. Entfllt whrend des Stundungszeitraums die EU-/EWR-StaatsangehÇrigkeit, ist die Stundung wegen Wegfalls einer Tatbestandsvoraussetzung zu widerrufen, ohne dass die WiderrufsgrÅnde des
1 Besteuerung von Solleinkommen. 2 Zur Vereinbarkeit der Wegzugsbesteuerung mit dem Leistungsfhigkeitsprinzip Schaumburg in FS Tipke, 125 (141 f.). 3 BFH v. 16.10.1991 – I R 145/90, BStBl. II 1992, 321. 4 Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 174; hnlich Gropp in Lademann, § 6 AStG Rz. 74.
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§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG im Einzelnen vorliegen mÅssen.1 Voraussetzung fÅr die Stundung ist ferner, dass der Wegziehende nach der Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht im betreffenden Zuzugsstaat eine der deutschen unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Entfllt auch diese Voraussetzung whrend des Stundungszeitraums, ist ebenfalls die Stundung zu widerrufen.2 Voraussetzung ist schließlich, dass die Amtshilfe und die gegenseitige UnterstÅtzung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewhrleistet sind (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG). Ob eine erweiterte Stundung nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Stze 1-3 AStG in Betracht kommt, beurteilt sich im Wesentlichen nach den Verhltnissen zum Zeitpunkt des Wegzuges oder sptestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die maßgeblichen Voraussetzungen erfÅllt sind. FÅr bestimmte nachtrgliche Ereignisse ist die erweiterte Stundung allerdings zu widerrufen (§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG). Ein derartiger Widerrufsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn der weggezogene Steuerpflichtige von einem EU-/ EWR-Staat z.B. in einen Drittstaat weiterzieht (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG).
13.41
Um sicherzustellen, dass die FinanzbehÇrden zeitnah die in Betracht kommenden WiderrufsgrÅnde in Erfahrung bringen, enthlt § 6 Abs. 7 AStG umfangreiche Mitteilungspflichten. Hiernach ist der wegziehende Steuerpflichtige oder sein Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet, nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck die Verwirklichung eines der WiderrufsgrÅnde mitzuteilen (§ 6 Abs. 7 Satz 1 AStG). DarÅber hinaus hat er auch bis zum Ablauf des 31. Januar jeden Jahres schriftlich seine am Ende des Vorjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu besttigen, dass die Kapitalanteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiterhin zuzurechnen sind. Wird die vorgenannte Mitteilungspflicht verletzt, kann die FinanzbehÇrde die Stundung widerrufen (§ 6 Abs. 7 Satz 5 AStG).
13.42
Der Wechsel von der beschrnkten in die unbeschrnkte Steuerpflicht, etwa bei Aufgabe des auslndischen und BegrÅndung eines inlndischen Wohnsitzes, fÅhrt grundstzlich3 auch zu einem fÅr die Besteuerung maßgeblichen Wechsel vom Territorialittsprinzip zum Universalittsprinzip mit der Folge, dass die inlndische Besteuerung nunmehr das Welteinkommen erfasst. Dieses Eintreten in die unbeschrnkte Steuerpflicht (Steuerverstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige whrend der Zeit vor Beginn der unbeschrnkten
13.43
1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 209; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 247; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 185; a.A. Hecht in MÇssner/Fuhrmann, § 6 AStG Rz. 209. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG, Rz. 210; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 195. 3 Ausnahme: Wechsel von der beschrnkten zur fingierten unbeschrnkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 3; 1a EStG).
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Kapitel 13 Materielles Recht
Steuerpflicht im Ausland im Zusammenhang mit WirtschaftsgÅtern gebildeten stillen Reserven nunmehr von der deutschen Besteuerung erfasst werden.1 Eine Steuerverstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz im Ausland zwar aufrechterhlt, durch BegrÅndung eines weiteren inlndischen Wohnsitzes nach dem maßgeblichen DBA (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA) hier aber als ansssig gilt, sodass deutsches Besteuerungsrecht grundstzlich nicht beschrnkt ist. Eine Steuerverstrickung ist schließlich auch in den Fllen denkbar, in denen durch Wohnsitzwechsel im Ausland eine bislang bestehende Einschrnkung der beschrnkten oder erweiterten beschrnkten Steuerpflicht entfllt. Im brigen gelten die fÅr die Steuerentstrickung maßgeblichen Grundstze vice versa auch fÅr die Steuerverstrickung, sodass auch insoweit zwischen subjektbezogener und objektbezogener Steuerverstrickung zu unterscheiden ist.
13.44 Eine Verstrickungsregelung ist fÅr den BetriebsvermÇgensbereich in § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG (fiktive Einlage) und fÅr den PrivatvermÇgensbereich in § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG (fiktive Anschaffung bei Zuzug) verankert. Soweit es um den BetriebsvermÇgensbereich geht, regelt § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG, dass die BegrÅndung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleichsteht. Bemessungsgrundlage ist der gemeine Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) bzw. der Entstrickungswert im Wegzugsstaat, hÇchstens jedoch der gemeine Wert (§ 17 Abs. 2 ASatz 3 EStG).
13.45 Aus der Sicht des deutschen Steuerrechts geht es hierbei darum, steuerliche Doppelerfassungen zu vermeiden. Angesprochen ist hiermit insbesondere der Import stiller Reserven: Werden etwa WirtschaftsgÅter von einer auslndischen Betriebssttte, die in einem Land belegen ist, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, das die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung vorsieht (Freistellungsbetriebssttte), auf das inlndische Stammhaus Åbertragen und anschließend verußert, so werden die im Ausland außerhalb der deutschen Besteuerung2 gebildeten stillen Reserven der deutschen Besteuerung nicht unterworfen, weil fÅr die transferierten WirtschaftsgÅter eine Eingangsbewertung zum gemeinen Wert vorgeschrieben ist. Die fÅr die Steuerent- und Steuerverstrickung maßgeblichen Regelungen sind indessen insoweit inkongruent, als eine fiktive Einlage zum gemeinen Wert nur bei BegrÅndung, nicht aber bei Strkung des deutschen Besteuerungsrechts angenommen wird.3 Im Hinblick darauf werden etwa die Buchwerte von WirtschaftsgÅtern fortgefÅhrt, die von einer auslndischen Betriebssttte, fÅr deren Ein-
1 Die vorstehenden Grundstze gelten auch dann, wenn vorher keine beschrnkte Steuerpflicht gegeben war. 2 Abkommensrechtliche Freistellung aufgrund des Betriebsstttenprinzips (Art. 7 Abs. 1 OECD-MA). 3 Zur Kritik z.B. Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 321; Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 110; Carl, KSDI 2007, 15401 (15403).
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kÅnfte die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, auf das inlndische Stammhaus eines unbeschrnkt Steuerpflichtigen ÅberfÅhrt werden. Die den PrivatvermÇgensbereich betreffende Verstrickungsregelung des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG will verhindern, dass Deutschland den vor einem Zuzug entstandenen, bereits im Ausland besteuerten, Wertzuwachs ein weiteres Mal besteuert.1 Die steuerliche Doppelerfassung wird dadurch vermieden, dass fÅr Zwecke der Verußerungsgewinnbesteuerung nicht die Anschaffungskosten, sondern derjenige Wert zugrunde gelegt wird, den der Wegzugsstaat bei der Berechnung der der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt hat.2 Der Anwendungsbereich dieser Verstrickungsnorm ist indessen dadurch eingeschrnkt, dass hÇchstens der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland angesetzt wird.3 Sofern daher der Wegzugsstaat tatschlich einen hÇheren als den gemeinen Wert ansetzt, kommt es zu einer partiellen steuerlichen Doppelerfassung. Eine Wertaufstockung bis zur HÇhe des gemeinen Werts unterbleibt schließlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige nur vorÅbergehend von Deutschland abwesend ist und sodann wieder nach Deutschland zuzieht (§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG).4
13.46
2. KÇrperschaftsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum KStG und zu §§ 10, 11 AO; DÇtsch/Alber/Sdtler/Sell/ZenthÇfer, KÇrperschaftsteuer, 16. Aufl. Stuttgart 2012; Frotscher, KÇrperschaftsteuer-Gewerbesteuer, 2. Aufl. MÅnchen 2008; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 11 Rz. 1 ff.; Jger/Lang, KÇrperschaftsteuer, 18. Aufl. Aachen 2009; Niehus/Wilke, Besteuerung der Kapitalgesellschaften, 3. Aufl. Stuttgart 2012; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 6.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1163 ff.; ZenthÇfer/Leben, KÇrperschaftsteuer und Gewerbesteuer, 16. Aufl. Stuttgart 2013.
a) Unbeschrnkte Steuerpflicht Juristische Personen, die im Inland einen Ort der Geschftsleitung oder ihren Sitz (Satzungssitz) haben, sind unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 KStG).5 Primrer AnknÅpfungspunkt ist der Ort der 1 Zu Einzelheiten TÇben/Reckwardt, FR 2007, 159 ff. 2 Die den BetriebsvermÇgensbereich betreffende Verstrickungsregelung (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG) stellt demgegenÅber nicht auf eine entsprechende Entstrickungsbesteuerung im anderen Staat ab. 3 Das gilt natÅrlich nicht, wenn die tatschlichen Anschaffungskosten hÇher waren; Gosch in Kirchhof13, § 17 Rz. 81. 4 Hinweis auf § 6 Abs. 3 AStG. 5 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.1 ff.
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Kapitel 13 Materielles Recht
Geschftsleitung. Das ist der Ort, wo der fÅr die GeschftsfÅhrung maßgebende Wille gebildet wird.1 Bei einer an mehreren Orten ttigen GeschftsfÅhrung ist der gem. § 10 AO maßgebliche Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung da, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.2 Sind kaufmnnische und technische Leitung getrennt, ist auf den Ort der kaufmnnischen Leitung abzustellen.3 Gibt es mehrere Orte der kaufmnnischen Leitung, ist derjenige Ort maßgeblich, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Im Hinblick auf den Wortlaut des § 10 AO „Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung“ gibt es somit stets nur einen einzigen Ort der Geschftsleitung,4 der sich allerdings gerade bei polyzentrischen Unternehmen in der Praxis nur sehr schwer bestimmen lsst.5 Es kommt allein darauf an, wo die fÅr die GeschftsfÅhrung nÇtigen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet werden.6 Das ist regelmßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende GeschftsfÅhrungsttigkeit entfalten, d.h., an dem sie die tatschlichen organisatorischen und rechtsgeschftlichen Handlungen vornehmen, die der gewÇhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschfte).7 Unbeachtlich ist mithin, wo die abgegebenen Willenserklrungen wirksam werden oder die angeordneten Maßnahmen auszufÅhren sind.8 Der Ort der nach außen hin erkennbaren Verwaltung muss daher Çrtlich nicht identisch sein mit dem Ort der geschftlichen Oberleitung, der im Zweifel dort ist, wo sich das BÅro des GeschftsfÅhrers oder Vorstandes befindet.9 Nimmt der GeschftsfÅhrer (Vorstand) seine Geschfte von seiner Wohnung aus wahr, ist dort der Ort der Geschftsleitung.10 (Zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.280 ff.).
13.48 Neben dem Ort der Geschftsleitung wird die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht durch den Satzungssitz begrÅndet. Das ist der Ort, der 1 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 2 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 3 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/75, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554. 4 Diese in der Praxis wenig bedeutsame Frage ist allerdings streitig; vgl. hierzu den berblick bei Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 9. 5 Hierzu Raupach in JbFSt 1994/1995, 419 f.; Schaumburg/Schloßmacher in FS Peltzer, 389 ff. 6 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 7 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622. 8 Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 2a; Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 47. 9 BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437. 10 BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804; Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 2 m.w.N.
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschft oder dergleichen bestimmt ist.1 AngeknÅpft wird damit an ein juristisches Merkmal. Insoweit entspricht der Sitz juristischer Personen dem zivilrechtlichen, nicht aber dem steuerrechtlichen Wohnsitz natÅrlicher Personen. Geschftsleitung und Sitz stehen als AnknÅpfungspunkte fÅr die unbeschrnkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 KStG gleichrangig nebeneinander (zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.285 ff.). Neben den nach inlndischem Recht errichteten KÇrperschaften werden von der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unter bestimmten Voraussetzungen auch nach auslndischem Recht errichtete KÇrperschaften, Personenvereinigungen und VermÇgensmassen erfasst. Hier gilt im Ergebnis Folgendes: Sind nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften2 mit Ort der Geschftsleitung im Inland kÇrperschaftlich strukturiert und mit den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG genannten Gesellschaften deutschen Rechts vergleichbar,3 sind sie als Kapitalgesellschaft i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG4 unbeschrnkt steuerpflichtig. Sind sie dagegen mit Personengesellschaften deutschen Rechts vergleichbar, unterliegen nicht die Gesellschaften selbst, sondern ihre Gesellschafter der Besteuerung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach auslndischem Recht errichtete Gesellschaften sind daher, soweit sie kÇrperschaftlich strukturiert sind, stets KÇrperschaftsteuersubjekte und damit unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig, wenn sie im Inland den Ort ihrer Geschftsleitung haben. Damit entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG der unionsrechtlich verbÅrgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV), wie sie fÅr den Zuzug von Kapitalgesellschaften durch die Rechtsprechung des EuGH5 konkretisiert worden ist. Die Qualifikation als KÇrperschaftsteuersubjekt hat unabhngig davon zu erfolgen, ob nach den Regeln des Internationalen Gesellschaftsrechts die Sitz- oder GrÅndungstheorie zur Anwendung kommt.6 Damit ist auch unerheblich, ob die auslndische Gesellschaft aus der Sicht des
1 §§ 5 und 278 AktG, § 4a GmbHG, § 6 GenG, § 18 VAG, §§ 24, 57 und 80 BGB. 2 Der Klammerzusatz in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG enthlt eine nicht abschließende Aufzhlung von Kapitalgesellschaften („insbesondere“). 3 Zu den einzelnen Merkmalen des maßgeblichen Typenvergleichs BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; BFH v. 17.5.2000 – I R 19/98, BStBl. II 2000, 619; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 20.8.2008 – I R 39/07, BStBl. II 2009, 234; BMF v. 19.3.2004, BStBl. I 2004, 411 (zur LLC). 4 Vgl. BFH v. 15.7.1998 – I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, BFH/NV 2003, 969; Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 108; Hey in T/L21, § 11 Rz. 31; Schaumburg in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.). 5 Grundlegend: EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 – Centros, EuGHE 1999, I-1459; EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – berseering, EuGHE 2002, I-9919; EuGH v. 30.1.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, EuGHE 2003, I-10155. 6 Altendorfer in H/H/R, § 1 KStG Rz. J 06-3; Kalbfleisch in Ernst & Young, § 1 KStG Rz. 45, Hey in T/L21, § 11 Rz. 31; Schaumburg in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (411 ff.).
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Kapitel 13 Materielles Recht
deutschen Internationalen Privatrechts Rechtsfhigkeit hat oder nicht.1 Die vorstehenden Grundstze gelten, da § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG insoweit nicht differenziert, auch fÅr in Drittstaaten errichtete Rechtstrger mit der Folge, dass diese auch dann KÇrperschaftsteuersubjekte sind, wenn ihnen nach Maßgabe des deutschen internationalen Privatrechts in Orientierung an die Sitztheorie die Rechtsfhigkeit versagt wird.2 Diese Grundstze finden Anwendung nicht nur fÅr Kapitalgesellschaften, sondern auch fÅr die in § 1 Abs. 1 Nr. 2-6 KStG aufgefÅhrten Rechtstrger. So unterliegen dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG nicht nur rechtsfhige und nicht rechtsfhige Genossenschaften deutschen Rechts,3 sondern auch nach auslndischem Recht errichtete Genossenschaften, wenn sie ihrer Struktur nach einer Genossenschaft deutschen Rechts entsprechen. Auch rechtsfhige Vereine und rechtsfhige privatrechtliche Stiftungen auslndischen Rechts kÇnnen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig sein, sofern sie im Inland ihre Geschftsleitung haben. Entsprechendes gilt schließlich auch fÅr nicht rechtsfhige Vereine und nicht rechtsfhige Stiftungen auslndischen Rechts. Sie werden von § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG erfasst, wenn sie mit den entsprechenden Rechtstrgern deutschen Rechts vergleichbar sind. Dies gilt in besonderer Weise fÅr auslndisches ZweckvermÇgen, etwa Trusts,4 sofern die vom Trust erzielten EinkÅnfte nicht dem Stiftungs- oder Treugeber zuzurechnen sind.5 b) Beschrnkte Steuerpflicht
13.50 Der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unterliegen KÇrperschaften, Personenvereinigungen und VermÇgensmassen, die weder ihre Geschftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben (§ 2 Nr. 1 KStG). Im Ergebnis werden damit nur nach auslndischem Recht errichtete Rechtstrger erfasst.
13.51 Welche EinkÅnfte als inlndische zu qualifizieren sind, ergibt sich durch Verweis auf den in § 49 Abs. 1 EStG enthaltenen EinkÅnftekatalog (§ 8 Abs. 1 KStG).
13.52 Daher sind fÅr die Qualifizierung der inlndischen EinkÅnfte im Rahmen der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht die gleichen Grundstze wie bei der beschrnkten Einkommensteuerpflicht anzuwenden. Das gilt insbesondere fÅr die sich aus § 49 Abs. 2 EStG ergebende isolierende Betrachtungsweise, wonach im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale (Tat-
1 Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 108; Streck in Streck8, § 1 KStG Rz. 14. 2 So etwa von in der Schweiz errichteten Kapitalgesellschaften; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411. 3 Namentlich Erwerbs- und Erzeugergenossenschaften; hierzu Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 75. 4 Vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 5 Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 92.
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
bestandsmerkmale) außer Betracht bleiben, soweit bei ihrer BerÅcksichtigung inlndische EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) nicht angenommen werden kÇnnten. Die Reichweite des § 49 Abs. 2 EStG ist indessen beschrnkt, weil in jenen Fllen, in denen die Einkunftsart nicht losgelÇst vom Steuersubjekt bestimmt werden kann, auf im Ausland verwirklichte Tatbestandsmerkmale zurÅckgegriffen werden muss. Das gilt insbesondere fÅr EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), aus nichtselbstndiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG), aus Leistungen gesetzlicher Rentenversicherungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und fÅr AbgeordnetenbezÅge (§ 49 Abs. 1 Nr. 8a EStG). Derartige EinkÅnfte kÇnnen von KÇrperschaften ihrer Art nach nicht erzielt werden.1 Im Hinblick darauf, dass § 8 Abs. 2 KStG keine Anwendung findet, kann ein KÇrperschaftsteuersubjekt im Rahmen der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht ohne Weiteres EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft (§§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielen, soweit keine Liebhaberei gegeben ist. Im Vordergrund steht in der Praxis die Erzielung von EinkÅnften aus Gewerbebetrieb gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten AnknÅpfungsmerkmale kommen hierbei uneingeschrnkt auch fÅr KÇrperschaftsteuersubjekte zur Anwendung. Dies gilt auch fÅr § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, soweit das auslndische KÇrperschaftsteuersubjekt als VergÅtungsglubiger (KÅnstlerverleihgesellschaft) fÅr kÅnstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende und hnliche Darbietungen eingeschaltet ist.2 Bei beschrnkt steuerpflichtigen KÇrperschaftsteuersubjekten wird die KÇrperschaftsteuer entweder im Rahmen einer Veranlagung durch Steuerbescheid festgesetzt oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben. Soweit das KÇrperschaftsteuergesetz selbst keine speziellen Vorschriften enthlt, gelten Åber § 31 Abs. 1 KStG die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Das gilt insbesondere fÅr die fÅr beschrnkt Steuerpflichtige geltenden Vorschriften der §§ 50 und 50a EStG.3 (Zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 15.302 ff.).
13.53
Abweichend von den in §§ 43, 43a Abs. 1 EStG genannten Kapitalertragsteuerstzen, die fÅr die Dividenden 25 % betragen, ergeben sich fÅr beschrnkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften Reduktionen auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Auf Abkommensebene wird die Quellensteuerbefugnis der HÇhe nach durchweg auf 5 %, 10 % oder 15 % begrenzt (Art. 10
13.54
1 BFH v. 30.11.1966 – I 215/64, BStBl. III 1967, 400; BFH v. 4.3.1970 – I R 140/66, BStBl. II 1970, 428; BFH v. 7.7.1971 – I R 41/70, BStBl. II 1971, 771; BFH v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287; BFH v. 20.2.1974 – I R 217/71, BStBl. II 1974, 511; BFH v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl. II 1983, 213; BFH v. 20.6.1984 – I R 283/81, BStBl. II 1984, 828. 2 BFH v. 2.2.1994 – I B 143/93, BFH/NV 1994, 864; zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 2 KStG Rz. 45 ff. 3 Das gilt auch fÅr § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG; hierzu Loschelder in Schmidt33, § 50a EStG Rz. 12.
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Abs. 2 OECD-MA),1 sodass unter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 2 und 3 EStG (Freistellungsverfahren) von vornherein nur die reduzierte Kapitalertragsteuer einzubehalten ist. Gem. § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG wird die Kapitalertragsteuer nicht erhoben,2 wenn Glubigerin eine beschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtige EU-Muttergesellschaft3 ist, die im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) nachweislich seit mindestens zwÇlf Monaten ununterbrochen mindestens zu 10 % unmittelbar am Nennkapital der ausschÅttenden unbeschrnkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft (Tochtergesellschaft) beteiligt ist (§ 43b Abs. 2 EStG). Wird der vorgenannte Beteiligungszeitraum erst nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer vollendet, ist die einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten (§ 43b Abs. 2 Satz 5 EStG). Im Hinblick darauf, dass die Kapitalertragsteuer 25 %, der tarifliche Steuersatz aber nur 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) betrgt, erfolgt gem. § 44a Abs. 9 EStG eine Erstattung von Kapitalertragsteuer in HÇhe von 2/5, um so eine Gleichbehandlung mit unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtigen Rechtstrgern zu gewhrleisten.4 Hierbei finden die Vorschriften des § 50d Abs. 1 Stze 3-9, Abs. 3 und 4 EStG entsprechende Anwendung mit der Folge, dass insbesondere die Aktivittsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfÅllt sein mÅssen.
13.55 Gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG wird die KÇrperschaftsteuer fÅr EinkÅnfte, die dem Steuerabzug unterliegen, im Falle der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht grundstzlich durch den Steuerabzug abgegolten.5 Diese Abgeltungswirkung gilt dann nicht, wenn die abzugspflichtigen EinkÅnfte in einem inlndischen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). DarÅber hinaus entfllt gem. § 32 Abs. 2 KStG die Abgeltungswirkung auch in weiteren vier Fllen:
1 Vgl. zur deutschen Abkommenspraxis die AbkommensÅbersicht bei Tischbierek in V/L5, Art. 10 OECD-MA Rz. 67. 2 Die Freistellung steht allerdings unter Missbrauchsvorbehalt (§ 50d Abs. 3 EStG). 3 Gesellschaften i.S. der Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011, ABl. EU Nr. L 345 v. 29.12.2011, 8, Åber das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter-Tochter-Richtlinie), vgl. Anlage 2 zum EStG. 4 Hierzu SchÇnfeld, IStR 2007, 850 ff. 5 Bei Portfolio-Dividenden ist die Abgeltungswirkung bei auslndischen EU-Kapitalgesellschaften mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) unvereinbar, EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C 284/09 – Kommission ./. Deutschland, DStR 2011, 2038; die Benachteiligung auslndischer gegenÅber inlndischer EU-Kapitalgesellschaften ist mit Wirkung ab 1.3.2013 dadurch beseitigt worden, dass inlndischen Kapitalgesellschaften zufließende Dividenen (BezÅge) von der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG ausgenommen sind, wenn die Beteiligung zu Beginn des betreffenden Kalenderjahres weniger als 10 % betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 561).
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
– § 32 Abs. 2 Nr. 1 KStG betrifft den Fall, dass whrend eines Kalenderjahres sowohl unbeschrnkte Steuerpflicht als auch beschrnkte Steuerpflicht gegeben ist. Dies hat zur Folge, dass die whrend der beschrnkten Steuerpflicht erzielten steuerabzugspflichtigen EinkÅnfte in einer Veranlagung zur unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht mit der Maßgabe einzubeziehen sind, dass die einbehaltenen Abzugsteuern zur Anrechnung kommen.1 – Gem. § 32 Abs. 2 Nr. 2 KStG entfllt die Abgeltungswirkung, wenn der Glubiger der in § 50a Abs. 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 EStG genannten VergÅtungen eine Veranlagung zur KÇrperschaftsteuer beantragt. Dieses Veranlagungswahlrecht gilt nur fÅr EU-/EWR-KÇrperschaften, deren Sitz und Ort der Geschftsleitung sich innerhalb des Gebietes der EU/ EWR befinden (§ 32 Abs. 4 KStG). Diese Regelung entspricht dem § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG. – Die Abgeltungswirkung entfllt gem. § 32 Abs. 2 Nr. 3 KStG ferner dann, wenn die beschrnkt steuerpflichtige KÇrperschaft als Glubigerin von steuerabzugspflichtigen Betrgen selbst in Anspruch genommen werden kÇnnte. Angesprochen werden hiermit insbesondere § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, wonach ausnahmsweise der Glubiger der Kapitalertrge in Anspruch genommen werden kann, und § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG, wenn der VergÅtungsschuldner den Steuerabzug nicht vorschriftsmßig vorgenommen hat.2 – Schließlich betrifft § 32 Abs. 2 Nr. 4 KStG die Flle, in denen die KÇrperschaft gem. § 38 Abs. 2 KStG nach dem bergang vom Anrechnungs- zum HalbeinkÅnfteverfahren whrend eines bergangszeitraums AusschÅttungen vornimmt.3 Hierdurch wird gewhrleistet, dass die in § 38 Abs. 2 KStG geregelte ausschÅttungsbedingte KÇrperschaftsteuererhÇhung whrend des bergangszeitraums weiterhin mÇglich bleibt. Soweit die KÇrperschaftsteuer durch den Steuerabzug nicht abgegolten ist, gilt gem. § 23 Abs. 1 KStG fÅr beschrnkt steuerpflichtige KÇrperschaftsteuersubjekte einheitlich ein tariflicher Steuersatz von 15 %.4
13.56
Der Steuerabzug erfolgt im Grundsatz unabhngig davon, ob nach Maßgabe des nationalen Rechts oder des Abkommensrechts ein niedrigerer Steuersatz oder gar eine Steuerfreistellung eingreift. In Abweichung hiervon ergibt sich fÅr den Glubiger von Kapitalertrgen oder VergÅtungen nur die MÇglichkeit, im Nachhinein die vollstndige oder teilweise Erstattung einbehaltener und abgefÅhrter Abzugsteuern oder im Vorhinein eine entsprechende Freistellung zu beantragen (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 50d Abs. 1-6 EStG). Sowohl Erstattung als auch Freistellung sind u.a. nur unter den fÅr auslndische Kapitalgesellschaften maßgeblichen Vo-
13.57
1 2 3 4
Diese Regelung entspricht der des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG. Zu Einzelheiten Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 37 ff. Hierzu Siegers in D/P/M, § 32 KStG Rz. 46 ff. ZuzÅglich Solidarittszuschlag.
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raussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zulssig. Nach dieser auf Missbrauchsverhinderung1 gerichteten Vorschrift werden Erstattung und Freistellung von Abzugsteuern versagt, soweit an der antragstellenden Auslandsgesellschaft Personen beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustnde, wenn sie die EinkÅnfte unmittelbar erzielten, und – die von der auslndischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoertrge nicht aus eigener Wirtschaftsttigkeit stammen sowie – in Bezug auf diese fÅr die Einschaltung der auslndischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde fehlen oder – die auslndische Gesellschaft nicht mit einem fÅr ihren Geschftszweck angemessen eingerichteten Geschftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. c) Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht
13.58 Der Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht betrifft im Kern den grenzÅberschreitenden Wegzug und Zuzug von KÇrperschaftsteuersubjekten,2 womit zugleich Rechtsfragen der Steuerentstrickung und Steuerverstrickung angesprochen werden. Steuerentstrickung und Steuerverstrickung kÇnnen allerdings auch ohne Wechsel zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht ausgelÇst werden. Verlegt etwa eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inlndischen Satzungsitzes ihre Geschftsleitung in das Ausland, bleibt die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten. In Abkommensfllen erfolgt dennoch wegzugsbedingt in aller Regel ein Wechsel in der Abkommensberechtigung (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) mit der Folge, dass das deutsche Besteuerungsrecht eingeschrnkt oder gar vÇllig aufgehoben wird, sodass auch insoweit ein Fall der Steuerentstrickung gegeben ist. Der Wegzug und Zuzug von Kapitalgesellschaften betrifft somit gleichermaßen die isolierte und simultane Verlegung von Geschftsleitung und Satzungssitz.
13.59 Eine grenzÅberschreitende Sitzverlegung i.S. der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschftsleitung ist nach derzeit geltendem nationalen Recht als identittswahrender Wegzug nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)3 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)4 mit der Maßgabe mÇglich, dass Sitz und Hauptverwaltung5 in ein und demselben Mitgliedstaat liegen mÅssen (Art. 7 SE-VO, Art. 6 SCE-VO). In allen anderen Fllen ist der Wegzug durch Verlegung des Satzungssitzes derzeit zwar nach nationa-
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Rule-/directive shopping. Nachfolgend geht es nur noch um Kapitalgesellschaften. Societas Europea = Europische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europea = Europische Genossenschaft. Entspricht in etwa Satzungssitz und Ort der Geschftsleitung (§§ 10, 11 AO).
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
lem Recht rechtstechnisch (noch) ausgeschlossen,1 aufgrund europarechtlicher Vorgaben fÅr den Fall des formwechselnden Wegzugs aber geboten.2 DemgegenÅber ist die Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschftsleitung) unter Beibehaltung des inlndischen Satzungssitzes in das Ausland3 nach nationalem Recht mÇglich,4 was allerdings europarechtlich nicht zwingend ist.5 Dieses Problemfeld des Internationalen Privatrechts hat im Ausgangspunkt fÅr das Steuerrecht indessen keine Bedeutung: So sind etwa nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht auch dann unterworfen, wenn sie den Ort der Geschftsleitung im Inland haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), also ohne RÅcksicht darauf, dass nach hÇchstrichterlicher Rechtsprechung6 eine derart zuziehende Gesellschaft nach Maßgabe der unverndert geltenden Sitztheorie als nichtrechtsfhige Personenvereinigung zu qualifizieren ist. Die steuerlichen Folgen einer grenzÅberschreitenden Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften ergeben sich mithin losgelÇst davon, durch welche Doktrin (Sitztheorie vs. GrÅndungstheorie) das internationale Privatrecht des einen oder anderen Staates beherrscht wird. Die steuerlichen Rechtsfolgen eines Wegzugs einer Kapitalgesellschaft sind in § 12 Abs. 1 und 3 KStG geregelt. Die dort verankerten Entstrickungsregelungen erfassen die Verlegung des Satzungssitzes und des Verwaltungssitzes (Ort der Geschftsleitung)7 einer SE (SCE) in das EU-Ausland sowie im brigen die Verlegung des Orts der Geschftsleitung in das Ausland durch nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften.8 In beiden Fallvarianten scheiden die betreffenden Kapitalgesellschaften aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht aus. Die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in das Ausland ist dagegen, soweit es sich nicht um eine SE handelt, nach nationalem Recht im 1 OLG MÅnchen v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915; vgl. allerdings OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349 und den Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, wonach kÅnftig ein grenzÅberschreitender Rechtsformwechsel zulssig werden soll (abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/media/archive/2751.pdf.); hierzu Leuering, ZRP 2008, 73 ff.; Bollacher, RIW 2008, 200 ff. 2 EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, NJW 2009, 569 (obiter dictum); EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10 – VALE, EWS 2012, 375; und im Anschluss hieran auch nach nationalem Recht fÅr den Fall des formwechselnden Zuzugs fÅr zulssig gehalten vom OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; vgl. auch Schaper, ZIP 2014, 810 ff. 3 EU/EWR-Bereich und Drittstaaten. 4 Vgl. § 5 AktG, § 4a GmbHG. 5 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. C-81/87 – Daily Mail, EuGHE 1988, 5483; EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, NJW 2009, 569. 6 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411. 7 Zu den Unterschieden zwischen Verwaltungssitz und Ort der Geschftsleitung SchÇn in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Steuerrecht, Rz. 49 ff. 8 § 12 Abs. 1 KStG erfasst auch die berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern vom inlndischen Stammhaus auf eine auslndische Betriebssttte (Entstrickung), wobei § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG entsprechend gelten; vgl. hierzu Rz. 13.22 f.
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Kapitel 13 Materielles Recht
Grundsatz (noch) ausgeschlossen. Sie fÅhrt stets zur AuflÇsung1 mit der Folge, dass bei entsprechender Umsetzung nicht § 12 Abs. 1 KStG, sondern eine Liquidationsbesteuerung gem. § 11 KStG eingreift. Etwas anderes gilt fÅr den formwechselnden Wegzug, der ohne AuflÇsung grundstzlich2 durch die unionsrechtlich verbÅrgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) gewhrleistet wird.3 Von § 12 Abs. 1 KStG wird allerdings auch der Fall erfasst, dass eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung des inlndischen Satzungssitzes ihre Geschftsleitung in das EU-/EWR-Ausland verlegt und hierdurch bei Anwendung von DBA nunmehr abkommensrechtlich als dort ansssig gilt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).
13.61 Die Rechtsfolgen des Wegzugs einer Kapitalgesellschaft auf Gesellschaftsebene hngen im Wesentlichen davon ab, ob der Wegzug in einen EU/ EWR-Staat oder in einen Drittstaat erfolgt:
13.62 Bei Wegzug einer Kapitalgesellschaft in einen EU-/EWR-Staat erfolgt nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 KStG auf Gesellschaftsebene4 eine wirtschaftsgutbezogene Gewinnrealisierung (Entstrickung): Wird wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung und der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschrnkt, gilt dies als Verußerung oder berlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Erfasst wird durch die vorstehende Entstrickungsregelung nicht nur der Wegzug, der zum Ausscheiden aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht fÅhrt, sondern auch der Wegzug unter Beibehaltung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht. Damit ergeben sich fÅr den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat drei Fallgruppen: 1. Verlegung des Satzungssitzes und des Orts der Geschftsleitung einer SE (SCE), 2. Verlegung des Orts der Geschftsleitung einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft und 3. die Verlegung der Geschftsleitung einer Kapitalgesellschaft mit Satzungssitz in Deutschland.
13.63 Das deutsche Besteuerungsrecht wird auf Gesellschaftsebene weder ausgeschlossen noch beschrnkt, soweit WirtschaftsgÅter unverndert dem inlndischen BetriebsstttenvermÇgen der wegziehenden Kapitalgesell-
1 Hierzu Roth in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379 (395, 399). 2 Ausnahme: Vorbehalt der Rechtfertigung aus zwingenden GrÅnden des Allgemeinwohls; EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, NJW 2009, 569; zur Frage des Glubigerschutzes und der Mitbestimmung Kindler, NZG 2009, 493 ff. 3 EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06 – Cartesio, NJW 2009, 569; EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10 – VALE, EWS 2012, 375; vgl. auch: Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Paefgen, WM 2009, 529 (532); Jaensch, EWS 2012, 353 ff. 4 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschafterebene Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.36 ff.
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schaft zuzuordnen sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob ein DBA eingreift oder nicht. Dies gilt nicht, wenn WirtschaftsgÅter aufgrund der sog. Zentralfunktion der nunmehr im Ausland ansssigen Kapitalgesellschaft dem auslndischen BetriebsvermÇgen derselben zuzuordnen sind.1 Davon sind insbesondere immaterielle WirtschaftsgÅter sowie Beteiligungen an nachgeschalteten Kapitalgesellschaften betroffen.2 Im Ergebnis fÅhrt das dazu, dass eine gem. § 12 Abs. 1 KStG gebotene Steuerentstrickung nur dann unterbleibt, wenn die WirtschaftsgÅter unverndert inlndisches BetriebsstttenvermÇgen bilden. In Abkommensfllen ist hierbei auf den abkommensrechtlichen Betriebsstttenbegriff (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) abzustellen, weil sich allein hiernach entscheidet, ob ein deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschrnkt wird.3 Das bedeutet zugleich, dass in den vorgenannten Fllen fÅr die Zuordnung der WirtschaftsgÅter zum BetriebsstttenvermÇgen allein die abkommensrechtlichen Zuordnungskriterien maßgeblich sind.4 Soweit WirtschaftsgÅter einem auslndischen BetriebsstttenvermÇgen zuzuordnen sind, ergeben sich wegzugsbedingt keine Vernderungen, wenn die betreffenden WirtschaftsgÅter bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich durch Anwendung der Freistellungsmethode der deutschen Besteuerung entzogen waren. In den Åbrigen Fllen, also etwa dann, wenn Åberhaupt kein DBA eingreift oder aber vor dem Wegzug die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wurde,5 entfllt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug. Das gilt nicht nur in den Fllen, in denen die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht ausscheidet, sondern auch dann, wenn wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht zwar aufrechterhalten bleibt, die abkommensrechtliche Ansssigkeit aber in den anderen Staat wechselt.6 DarÅber hinaus erfolgt schließlich auch eine Gewinnrealisierung, wenn WirtschaftsgÅter anlsslich des Wegzugs oder auch unabhngig davon aus einem inlndischen in ein auslndisches BetriebsstttenvermÇgen verbracht werden.
1 BMF v. 25.1.2006, BStBl. I 2006, 26 Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4; (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889 Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE], Rz. 11.09); eine Zentralfunktion des Stammhauses ablehnend Breuninger in FS Schaumburg, 587 (606 ff.); vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG. 2 BFH v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.4, 2.6.1 (c); (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889 Tz. 2.4); zu Einzelheiten Ritzer in R/H/vL, UmwStG2, Anh. 6 Rz. 121 ff. 3 Ritzer in R/H/vL, UmwStG2, Anh. 6 Rz. 118. 4 Zu diesen Zuordnungskriterien Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 240 f. 5 Insbesondere aufgrund bilateraler Aktivittsklauseln oder wegen § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG. 6 Art. 4 Abs. 3 OECD-MA; zu Einzelheiten Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 103 ff.
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.65 Die aufgrund der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG entstehende Gewinnrealisierung unterliegt uneingeschrnkt der KÇrperschaftsteuer. Wird allerdings die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland aufrechterhalten, kann in EU-Fllen die in § 4g EStG vorgesehene Åber fÅnf Jahre gestreckte Besteuerung in Anspruch genommen werden, soweit es sich um WirtschaftsgÅter des AnlagevermÇgens handelt (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4g EStG)1.
13.66 Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat fÅhrt auf Gesellschaftsebene2 zu einer Liquidationsbesteuerung (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG), wenn die Kapitalgesellschaft hierdurch aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht ausscheidet. Gleiches gilt, wenn eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft aufgrund von Abkommensrecht nach dem Wegzug als nicht mehr im Inland oder in einem anderen EU-/EWRStaat als ansssig anzusehen ist (§ 12 Abs. 3 Satz 2 KStG; Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Damit werden etwaige whrend der Zeit der unbeschrnkten Steuerpflicht bis zum Wegzug gebildete stille Reserven einer Schlussbesteuerung zugefÅhrt (§ 11 KStG). Das setzt im Grundfall (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG) voraus, dass nach Wegzug sowohl der Satzungssitz (§ 11 AO) als auch der Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) in einem Drittstaat belegen ist. Da die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat nach nationalem Recht rechtstechnisch nicht mÇglich ist,3 kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG) allein die Verlegung der Geschftsleitung einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat in Betracht.4
13.67 Bleibt nach Wegzug der Kapitalgesellschaft eine beschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten, so erfolgt eine Reduktion des Welteinkommensprinzips auf das Territorialittsprinzip. Dieser Fall ist insbesondere dann gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft inlndisches BetriebsstttenvermÇgen unterhlt. Obwohl die in diesem Betriebsstt1 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft, vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; aus dem Schrifttum: KÇrner, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, IStR 2012, 6 ff.; Rautenstrauch/ Seitz, Ubg 2012, 14 ff.; Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; und verstÇßt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfhigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifst-Schrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 2 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschaftsebene Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.46. 3 OLG MÅnchen v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915. 4 Verlegt eine nach deutschem Recht errichte Kapitalgesellschaft ihre Geschftsleitung in einen Drittstaat, greift nicht § 12 Abs. 3 Satz 2 KStG, sondern § 12 Abs. 1 KStG ein, s. Rz. 13.69.
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tenvermÇgen enthaltenen stillen Reserven auch zukÅnftig im Inland steuerverhaftet bleiben, schreibt § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG in entsprechender Anwendung des § 11 KStG eine Liquidationsbesteuerung vor, in deren Rahmen es zu einer Realisation aller stillen Reserven kommt.1 Soweit auslndisches BetriebsstttenvermÇgen vorhanden ist, entsteht durch die Schlussbesteuerung (§ 12 Abs. 3 KStG) regelmßig nur dann eine Steuerbelastung, wenn das auslndische BetriebsstttenvermÇgen in einem Staat belegen ist, mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat.2 Greifen dagegen DBA ein, fÅhrt § 12 Abs. 3 KStG hinsichtlich des auslndischen BetriebsstttenvermÇgens auf Gesellschaftsebene im Grundsatz3 zu keiner Steuerbelastung, soweit die Freistellungsmethode zur Anwendung kommt: Abkommensrechtlich sind die aus deutscher Sicht entstandenen Gewinne aus der Realisierung der in dem auslndischen BetriebsstttenvermÇgen ruhenden stillen Reserven der deutschen Besteuerung entzogen.4
13.68
Bleibt trotz Wegzugs die unbeschrnkte Steuerpflicht aufrechterhalten und erfolgt auch kein Wechsel in der abkommensrechtlichen Ansssigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA), richten sich die Steuerfolgen nach § 12 Abs. 1 KStG, sodass es darauf ankommt, ob wegzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschrnkt wird. Angesprochen sind hiermit insbesondere Flle, in denen eine Kapitalgesellschaft unter Beibehaltung ihres inlndischen Satzungssitzes ihre Geschftsleitung in einen Drittstaat verlegt mit dem Deutschland kein DBA abgeschlossen hat. (Zu Pflichtverletzungen bei Wegzug Rz. 15.45 ff.).
13.69
Der Wechsel von der beschrnkten zur unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht betrifft im Wesentlichen den Zuzug auslndischer Kapitalgesellschaften. Durch den Zuzug einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft, etwa einer SE, wird die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht begrÅndet, womit zugleich in Abkommensfllen auch die Ansssigkeit wechselt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Der Wechsel in die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht erfÅllt auf Gesellschaftsebene5 keinen Steuertatbestand.6 Es bleibt insbesondere bei der steuerlichen Identi-
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1 Diese Rechtsfolge ist gemessen am Sinn und Zweck des § 12 Abs. 3 KStG nicht gerechtfertigt, sodass insoweit eine teleologische Reduktion geboten ist; Lambrecht in Gosch2, § 12 KStG Rz. 8; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.43 m.w.N. 2 In diesem Fall erfolgt eine (begrenzte) Anrechnung der auslndischen Steuern (§ 26 Abs. 1 KStG). 3 Ausnahme: Anrechnungsmethode wegen bilateraler oder unilateraler Aktivittsklauseln oder wegen § 50d Abs. 9 EStG. 4 Betriebsstttenprinzip: Artt. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA. 5 Zu den Rechtsfolgen auf Gesellschafterebene Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.52. 6 SchÇn in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Steuerrecht, Rz. 175; Schulz/Petersen, DStR 2002, 1504 (1513).
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tt der zuziehenden Kapitalgesellschaft, weil § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG Kapitalgesellschaften unabhngig davon erfasst, ob sie nach in- oder auslndischem Recht errichtet sind. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob die zuziehende Kapitalgesellschaft zuzugsbedingt die Rechtsfhigkeit verliert.1 Ergibt sich aufgrund des maßgeblichen Typenvergleichs, dass die auslndische Gesellschaft vor ihrem Zuzug als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren ist, ndert sich an diesem Befund durch den Zuzug nichts. Somit tritt kein steuerlicher Rechtstrgerwechsel ein mit der Folge, dass insoweit auch eine Gewinnrealisierung unterbleibt.2 Entsprechendes gilt auch in den Fllen, in denen zuzugsbedingt zwar keine unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht, abkommensrechtlich aber eine inlndische Ansssigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begrÅndet wird. Es handelt sich hierbei um nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaften, die den Ort der Geschftsleitung vom Ausland in das Inland verlegen. Auch in diesem Fall lÇst der Zuzug keine inlndische Besteuerung aus.
13.71 Zuzugsbedingte Auswirkungen ergeben sich allerdings hinsichtlich der Zugangsbewertung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen BetriebsvermÇgens: Gem. § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG steht die BegrÅndung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung eines Wirtschaftsguts einer Einlage gleich mit der Folge, dass insoweit die nunmehr verstrickten WirtschaftsgÅter mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Diese fiktive Einlage gilt nicht nur fÅr den Transfer von WirtschaftsgÅtern vom Ausland in das Inland, sondern auch fÅr den Zuzug einer Kapitalgesellschaft.3 Der gemeine Wert ist hierbei sowohl fÅr materielle als auch fÅr immaterielle WirtschaftsgÅter einschließlich des Geschftswerts anzusetzen.4 Die Zugangsbewertung zum gemeinen Wert greift auch in dem Fall ein, in dem eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Ort der Geschftsleitung vom Ausland in das Inland verlegt und hierdurch abkommensrechtlich im Inland ansssig wird (Art. 4 Abs. 3 OECDMA). Zuzugsbedingt wird hierdurch nmlich ebenfalls deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Verußerung des von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen BetriebsvermÇgens begrÅndet.
13.72 Eine fiktive Einlage (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG) ist indessen in allen Fllen nur insoweit gegeben, als nicht bereits vor dem Zuzug die Gewinne aus der Verußerung von von der zuziehenden Kapitalgesellschaft gehaltenen WirtschaftsgÅtern der Besteuerung unterlagen. Angesprochen sind hiermit WirtschaftsgÅter, die einer inlndischen Betriebssttte bereits vor dem Zuzug zuzuordnen waren. Die Steuerver1 Etwa bei einem Zuzug aus Drittstaaten; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411. 2 Hierzu Schaumburg, DK 2005, 341 (351); Kahle/Cortez, FR 2014, 673 (684). 3 SchÇn in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Steuerrecht Rz. 178; Benecke/ Schnitger, IStR 2006, 765 (766); DÇtsch/Pung, DB 2006, 2704; 2648 (2651). 4 § 5 Abs. 2 EStG i.V.m. § 248 Abs. 2 HGB gilt hier wegen des Vorrangs der Regeln Åber die Einlagen nicht (§ 5 Abs. 6 EStG).
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strickung greift daher insbesondere dann ein, wenn bislang dem auslndischen BetriebsvermÇgen aufgrund der sog. Zentralfunktion zuzuordnende WirtschaftsgÅter nunmehr dem inlndischen BetriebsvermÇgen der zuziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind.1 DarÅber hinaus setzt eine Steuerverstrickung auch fÅr solche WirtschaftsgÅter der zuziehenden Kapitalgesellschaft ein, die zu einem auslndischen BetriebsstttenvermÇgen gehÇren, wenn die Gewinne aus der Verußerung der betreffenden WirtschaftsgÅter abkommensrechtlich nicht von deutscher Steuer freizustellen sind (Art. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA).2 3. Gewerbesteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GewStG; Hidien/Pohl/Schnitter, Gewerbesteuer, 14. Aufl. Achim 2009; Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 12 Rz. 1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 8.1 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1132 ff.; ZenthÇfer/Leben, KÇrperschaftsteuer und Gewerbesteuer, 16. Aufl. Stuttgart 2013.
Aus dem dem Gewerbesteuergesetz zugrunde liegenden quivalenzprinzip3 folgt die Çrtliche AnknÅpfung an das Gebiet einer bestimmten (inlndischen) Gemeinde, in der ein Gewerbebetrieb unterhalten wird (§§ 4 und 35a Abs. 3 GewStG). Da nur inlndische Gemeinden begÅnstigt sind, beschrnkt sich die Gewerbesteuer auf das Inland.4 Im Gegensatz zur Einkommen-, KÇrperschaft- und Erbschaftsteuer verwirklicht damit die Gewerbesteuer als Objektsteuer5 weitgehend das Territorialittsprinzip. Im Hinblick darauf nimmt das Gewerbesteuergesetz grundstzlich auch keine Differenzierung zwischen unbeschrnkter und beschrnkter Steuerpflicht vor.6
1 Zur „Zentralfunktion“ des Stammhauses BMF v. 25.1.2006, BStBl. I 2006, 26 Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, Tz. 2.4 (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889 Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE], Rz. 11.09); vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG. 2 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.51. 3 BVerfG v. 13.5.1969 – 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; vgl. zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 1132 ff.; GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 1 GewStG Rz. 12; Montag in T/L21, § 12 Rz. 1 ff. (m.w.N.); Wendt, BB 1987, 1257 ff.; Jochum, StuB 2005, 254 ff. 4 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 8.1 ff. 5 GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 1 GewStG Rz. 14; Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 1 GewStG Rz. 2; Einzelheiten bei Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 106 ff. 6 Ausnahme: § 2 Abs. 6 GewStG.
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13.73
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13.74 Aufgrund des Objektsteuercharakters steht im Gewerbesteuergesetz das Steuerobjekt im Vordergrund. Das Steuersubjekt bezeichnet lediglich denjenigen, der die Gewerbesteuer zu entrichten hat.1
13.75 Obwohl die Gewerbesteuer vor allem die Ertrge von gewerblichen Unternehmen als Besteuerungsgut2 erfasst, ist Steuerobjekt das gewerbliche Unternehmen, der Gewerbebetrieb3 selbst. Betroffen sind daher lediglich der stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG) und der Reisegewerbebetrieb (§ 35a GewStG), soweit sie im Inland betrieben werden.
13.76 Gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG ist unter einem Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen i.S. des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Hierdurch sind rechtsformunabhngige Gewerbebetriebe angesprochen, fÅr die die allgemeine Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG einschlgig ist.4 DarÅber hinaus werden aber auch die nur teilweise gewerblich ttigen Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) und die gewerblich geprgten Personengesellschaften (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) erfasst. Deren EinkÅnfte unterliegen stets in vollem Umfang der Gewerbesteuer.
13.77 Von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG werden neben den Personengesellschaften deutschen Rechts auch Personengesellschaften auslndischen Rechts erfasst, soweit sie im Inland eine Betriebssttte unterhalten und in ihrer rechtlichen Grundstruktur einer Personengesellschaft inlndischen Rechts entsprechen (Typenvergleich).5
13.78 FÅr die rechtsformabhngigen Gewerbebetriebe findet § 2 Abs. 2 GewStG Anwendung, wonach als Gewerbebetriebe stets und in vollem Umfang die Ttigkeiten der dort nher bezeichneten Kapitalgesellschaften gelten. Zu den rechtsformabhngigen Gewerbebetrieben gehÇren gem. § 2 Abs. 3 GewStG auch sonstige juristische Personen des privaten Rechts und nichtrechtsfhige Vereinigungen, soweit sie einen wirtschaftlichen Geschftsbetrieb unterhalten. Als rechtsformabhngige Gewerbebetriebe typisiert § 2 Abs. 2 GewStG die Ttigkeit von Kapitalgesellschaften, wobei ebenso wie durch § 1 Abs. 1 KStG auch Kapitalgesellschaften auslndischen Rechts erfasst werden.6 1 Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 2 GewStG Rz. 26; vgl. zu den Begriffen Steuersubjekt und Steuerobjekt Seer in T/L21, § 6 Rz. 30 ff.; 36 ff. 2 Zum Begriff Seer in T/L21, § 6 Rz. 36 Burmester, StuW 1993, 221 ff. 3 §§ 2 Abs. 1 und 35a GewStG. 4 GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 2 GewStG Rz. 6; Obermeier in BlÅmich, § 2 GewStG Rz. 200. 5 RFH v. 4.4.1939, RStBl. 1939, 854; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 2 GewStG Rz. 18. 6 Vgl. den Klammerzusatz in § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG „insbesondere . . .“; BFH v. 28.3.1979 – I R 81/76, BStBl. II 1979, 447; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 2 GewStG Rz. 340; Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 2 GewStG Rz. 1737; Obermeier in BlÅmich, § 2 GewStG Rz. 665.
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B. Außensteuerrecht I. Ertragsteuern
Ein Gewerbebetrieb wird im Inland betrieben, soweit fÅr ihn im Inland oder auf einem in einem inlndischen Schiffsregister eingetragenen Kauffahrteischiff eine (gewerbliche) Betriebssttte1 unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob im Rahmen der inlndischen Betriebssttte eine gewerbliche Ttigkeit ausgeÅbt wird, beurteilt sich unter Einbeziehung der im Ausland verwirklichten Ttigkeitsmerkmale. Die isolierende Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) gilt im Gewerbesteuerrecht nicht.2
13.79
Steuersubjekt (Steuerschuldner) ist der Unternehmer, fÅr dessen Rechnung ein Gewerbe tatschlich betrieben wird (§ 5 Abs. 1 Stze 1 und 2 GewStG). Ist die Ttigkeit einer Personengesellschaft ein Gewerbebetrieb, so ist Steuerschuldnerin die Gesellschaft (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Ob der Unternehmer im Inland oder Ausland ansssig ist, spielt keine Rolle. Soweit der maßgebliche Unternehmer eine juristische Person ist, kommt es auch nicht darauf an, ob diese nach inlndischem oder nach auslndischem Recht errichtet worden ist.3 Wird das Gewerbe in der Rechtsform einer Europischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet betrieben, sind deren Mitglieder4 Gesamtschuldner (§ 5 Abs. 1 Satz 4 GewStG).
13.80
Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbesteuermessbetrag (§ 14 GewStG). Grundlage fÅr die Berechnung des Gewerbeertrags ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuer-/KÇrperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG). § 7 GewStG enthlt einige fÅr die Ermittlung des Gewerbeertrages maßgebliche Modifikationen. Hierzu gehÇrt u.a. auch die Anwendung des § 50d Abs. 10 EStG, wonach SondervergÅtungen, soweit abkommensrechtlich keine ausdrÅckliche Regelung gegeben ist, als Unternehmensgewinne gelten mit der Folge, dass diese insoweit auch in den Gewerbeertrag einzubeziehen sind (§ 7 Satz 6 GewStG). Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb werden die in § 8 GewStG genannten Betrge hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt sind. Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird sodann nach Maßgabe des § 9 GewStG gekÅrzt. Im außensteuerlichen Kontext ist, soweit es nicht um die Vermeidung der Doppelbesteuerung geht, auch die Hinzurechnung von Verlustanteilen an einer auslndischen Mitunternehmerschaft von Bedeutung (§ 8 Nr. 8 GewStG). Im Hinblick auf das sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG ergebende systemtragende Prinzip der Inlandsbesteuerung ist diese Hinzurechnung selbstverstndlich.5 Das Gleiche gilt fÅr die ent-
13.81
1 § 12 AO; ein stndiger Vertreter (§ 13 AO) reicht also nicht aus. 2 BFH v. 28.7.1982, BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983 77; Obermeier in BlÅmich, § 2 GewStG Rz. 665; GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 2 GewStG Rz. 7. 3 Vgl. zu entsprechenden Qualifikationsfragen im KÇrperschaftsteuerrecht Rz. 13.49. 4 Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 v. 25.7.1985 Åber die Schaffung einer Europischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABl. EG Nr. L 199 v. 31.7.1985, 1 (EWIV-VO). 5 Zu Einzelheiten GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 8 Nr. 9 GewStG Rz. 2.
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Kapitel 13 Materielles Recht
sprechende KÅrzung von Gewinnanteilen nach § 9 Nr. 2 GewStG. Schließlich ist auch die KÅrzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG um den Teil des Gewerbeertrags eines inlndischen Unternehmens, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebssttte entfllt, lediglich von deklaratorischer Bedeutung.1 Durch die KÅrzung ist lediglich der Teil des Gewerbeertrags betroffen, der auf die auslndische Betriebssttte selbst entfllt.2 Ist dieser Anteil negativ, fÅhrt die in § 9 Nr. 3 GewStG angeordnete KÅrzung im Ergebnis zu einer Hinzurechnung.3 Die KÅrzung betrifft stets nur die Teile des Gewerbeertrags, die der eigenen auslndischen Betriebssttte des Unternehmens zuzuordnen sind.
II. Erbschaftsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum ErbStG und BewG und zu § 4 AStG; Eisele, Erbschafsteuerreform 2009, 2. Aufl. Herne 2009; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. MÅnchen 2008; HÅbner, Erbschaftsteuerreform 2009, MÅnchen 2009; Moench/ HÅbner, Erbschaftsteuer, 3. Aufl. MÅnchen 2012; Pauli/Maßbaum, Erbschaftsteuerreform 2009, KÇln 2009; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 7.1 ff.; Schulte, Erbschaftsteuerrecht, Heidelberg 2010; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 869 ff.
13.82 Die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer4 vereinigt von ihrer Belastungswirkung her die Typenmerkmale der Steuern von Einkommen und von VermÇgen gleichermaßen: Sie ist eine Steuer auf das Einkommen,5 weil sie die Bereicherung des Erben besteuert; sie ist eine Steuer auf das VermÇgen, weil sie anlsslich des VermÇgensÅbergangs die VermÇgenssubstanz besteuert.6 Diese besondere steuersystematische Qualifikation beruht darauf, dass durch § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 ErbStG der VermÇgensanfall, der sich von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden vollzieht, besteuert wird und durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Zeitabstnden (30 Jahre) das VermÇgen von inlndischen Familienstiftungen und Famili1 GÅroff in Glanegger/GÅroff8, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 1. 2 Gosch in BlÅmich, § 9 Nr. 3 GewStG Rz. 216; vgl. auch BFH v. 28.3.1985 – IV R 80/82, BStBl. II 1985, 405. 3 BFH v. 21.4.1971 – I R 200/67, BStBl. II 1971, 743; BFH v. 10.7.1974 – I R 248/71, BStBl. II 1974, 752. 4 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 7.1 ff. 5 I.S. eines ReinvermÇgenszugangs. 6 Hey in T/L21, § 8 Rz. 38 ff.; fÅr Steuer vom Einkommen: Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 872 ff.; Seer in T/L20, § 15 Rz. 1; Gebel in T/G/J, EinfÅhrung ErbStG Rz. 15; Meincke16, EinfÅhrung ErbStG Rz. 2; fÅr Substanzsteuer aus der Sicht des Åbertragenen VermÇgens Seer, GmbHR 2002, 873 (874); fÅr Verkehrsteuer: BFH v. 22.9.1982 – II R 61/80, BStBl. II 1983, 179; BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258; BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BStBl. II 2010, 74; BFH v. 9.12.2009 – II R 22/08, BStBl. II 2010, 363; fÅr Sollertragsteuer: Zitzelsberger in FS Ritter, 661 (665).
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B. Außensteuerrecht II. Erbschaftsteuer
envereinen erfasst wird. Unter dem Gesichtspunkt des VermÇgensanfalls ist es gerechtfertigt, die deutsche Erbschaftsteuer als Erbanfallsteuer zu bezeichnen,1 die ihre Legitimation aus dem Leistungsfhigkeitsprinzip herleitet.2 Die gesetzliche Ausgestaltung als Erbanfallsteuer artikuliert sich im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht in zwei persÇnlichen AnknÅpfungspunkten: Es sind dies der Erblasser/Schenker sowie der Erwerber, soweit es sich um Inlnder handelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
13.83
Ist Steuerobjekt nicht der VermÇgensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG), sondern das VermÇgen von inlndischen Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG), wird nur an die Stiftung bzw. an den Verein angeknÅpft. Insoweit ist die Erbschaftsteuer keine Erbanfallsteuer, sondern eine in periodischen Abstnden (30 Jahre) zu erhebende Steuer auf das VermÇgen (Substanzsteuer).3 Diese Ersatzerbschaftsteuer steht außerhalb der grundlegenden Besteuerungskonzeption des Erbschaftsteuergesetzes und fÅhrt damit zwar zu einem Systembruch, nicht aber zu deren Verfassungswidrigkeit.4
13.84
Sind die Voraussetzungen der unbeschrnkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ErbStG) gegeben, wird grundstzlich der weltweite VermÇgensanfall bzw. das weltweite VermÇgen der Besteuerung unterworfen. Hierdurch verwirklicht sich das Welteinkommens-/WeltvermÇgensprinzip. Einschrnkungen ergeben sich lediglich aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen.5
13.85
Sind Erblasser/Schenker und Erwerber keine Inlnder, kommt im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht nur eine rumliche AnknÅpfung fÅr die Besteuerung in Betracht. Diese setzt voraus, dass der VermÇgensanfall in InlandsvermÇgen i.S. von § 121 BewG besteht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), wobei ein Schuldenabzug nur eingeschrnkt (§ 10 Abs. 6 ErbStG) und eine Anrechnung auslndischer Erbschaftsteuer (§ 21 ErbStG) ausgeschlossen
13.86
1 Seer in T/L21, § 15 Rz. 1; Gebel in T/G/J, EinfÅhrung ErbStG Rz. 2; Meincke16, § 1 ErbStG Rz. 8; Schindhelm, ZEV 1997, 8 (10), Crezelius in DStJG 22 (1999), 73 (103). 2 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 873; Viskorf in V/K/S/W, Einf. ErbStG Rz. 16; Meincke in DStJG 22 (1999), 39 (40 ff.); Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 26; Crezelius in FS Tipke, 403 (405); Mellinghoff in DStJG 22 (1999), 127 (135); Seer, GmbHR 2009, 225 ff.; vgl. allerdings zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11, BFH/NV 2012, 1881. 3 Meincke16, Einf. ErbStG Rz. 1; Seer in T/L21, § 15 Rz. 3. 4 BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 779; BFH v. 10.12.1997 – II R 25/94, BStBl. II 1998, 114; zur Kritik Meincke16, § 1 ErbStG Rz. 14 f.; Seer in T/L21, § 15 Rz. 35. 5 Erbschaftsteuerabkommen bzw. sog. große DBA, die auch die Erbschaftsteuer umfassen, hat Deutschland abgeschlossen mit Schweden und Dnemark; kleine Abkommen bestehen mit Griechenland, der Schweiz, Frankreich und den USA.
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Kapitel 13 Materielles Recht
ist. Insoweit wird also das Territorialittsprinzip verwirklicht. FÅr das Steuerobjekt „VermÇgen“ von Familienstiftungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) ist eine bloß rumliche SteueranknÅpfung nicht vorgesehen, sodass es eine beschrnkte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nicht gibt.1 1. Unbeschrnkte Steuerpflicht
13.87 Die unbeschrnkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist im Gegensatz zum Einkommen- und KÇrperschaftsteuergesetz nicht steuersubjektbezogen, sondern regelt die Reichweite der Erbschaftsteuer in dem Sinne, dass der weltweite VermÇgensanfall (§ 1 Abs. 1 Nr. 1–3 ErbStG) der Besteuerung unterworfen wird (WeltvermÇgensprinzip), wenn die dort genannten Voraussetzungen erfÅllt sind.2 Unbeschrnkt steuerpflichtig sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG damit nicht die in § 20 ErbStG genannten Steuersubjekte, sondern die in § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 ErbStG aufgefÅhrten Steuerobjekte (Steuergegenstnde).3 DemgegenÅber ist die unbeschrnkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG subjektbezogen: Unbeschrnkt steuerpflichtig sind Familienstiftung und Familienverein; beide Steuersubjekte unterliegen der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 ErbStG) mit der Folge, dass ihr gesamtes WeltvermÇgen der Erbschaftsteuer unterworfen wird.4
13.88 Die unbeschrnkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt voraus, dass an den in § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 ErbStG bezeichneten VermÇgensÅbergngen ein Inlnder beteiligt ist (§ 42 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) oder das VermÇgen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) einer inlndischen Familienstiftung oder einem inlndischen Familienverein gehÇrt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Als Inlnder gelten natÅrliche Personen mit Wohnsitz (§ 8 AO; Rz. 13.11) oder gewÇhnlichem Aufenthalt (§ 9 AO; Rz. 13.12) sowie nichtnatÅrliche Personen mit Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO; Rz. 13.47) oder Sitz (§ 11 AO; Rz. 13.48) im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und d ErbStG). Damit verwirklicht das Erbschaftsteuergesetz im Rahmen der persÇnlichen AnknÅpfung das Wohnsitzprinzip.
13.89 Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG tritt die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht auch dann ein, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der AusfÅhrung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) Personen sind, die sich als deutsche StaatsangehÇrige, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, nicht lnger als fÅnf Jahre lang dauernd im Ausland aufhalten (erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht). Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass die deutsche Erbschaftsteuer durch lediglich vorÅbergehende
1 2 3 4
Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 9; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 47. Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 1. Hierzu Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 5a. Das WeltvermÇgensprinzip fÅr Familienstiftungen und Familienvereine ergibt sich zwar nicht ausdrÅcklich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, aber aus dem Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 9.
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B. Außensteuerrecht II. Erbschaftsteuer
Wohnsitzverlegung in das Ausland umgangen werden kann.1 Im Hinblick darauf kann § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG zu den Normen zur Vermeidung von VermÇgensverlagerungen gezhlt werden Rz. 13.4). § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn sowohl der Erblasser (Schenker) als auch der Erwerber im Inland keinen Wohnsitz haben (zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.4 ff.). Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ErbStG gelten als Inlnder auch deutsche StaatsangehÇrige mit Wohnsitz oder gewÇhnlichem Aufenthalt im Ausland, die in einem Dienstverhltnis zu einer inlndischen KÇrperschaft des Çffentlichen Rechts stehen und dafÅr Arbeitslohn aus einer inlndischen Çffentlichen Kasse beziehen. Voraussetzung ist ferner, dass der Wohnsitzstaat nur eine nach den Grundstzen der beschrnkten Steuerpflicht entsprechende Erbschaftsteuer erhebt. Sind diese Voraussetzungen gegeben, erstreckt sich die erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht auch auf die zum Haushalt gehÇrenden AngehÇrigen, soweit diese die deutsche StaatsangehÇrigkeit besitzen. Die Vorschrift greift erst nach Ablauf von fÅnf Jahren nach Aufgabe des letzten inlndischen Wohnsitzes oder gewÇhnlichen Aufenthaltes2 ein, weil zuvor die erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG vorrangig ist.3
13.90
Im Hinblick darauf, dass im Rahmen beschrnkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) wegen der Erfassung nur des InlandsvermÇgens (§ 121 BewG), lediglich ein eingeschrnkter Schuldenabzug (§ 10 Abs. 6 ErbStG) und eine Anrechnung auslndischer Erbschaftsteuer (§ 21 ErbStG) Åberhaupt nicht mÇglich ist sowie persÇnliche Freibetrge (§ 16 Abs. 1 ErbStG) nicht gewhrt werden, sieht § 2 Abs. 3 ErbStG fÅr das InlandsvermÇgen die Option zur unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht vor (fiktive unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht). Hierdurch sollen diese gegen die unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten4 verstoßenen Regelungen5 fÅr EU-/EWR-BÅrger europarechtskonform ausgeglichen werden.6
13.91
1 So die BegrÅndung der Regierungsvorlage zum 2. Steuerreformgesetz, BRDrucks. 140/72. 2 Nach h.M. kommt es auf den inlndischen gewÇhnlichen Aufenthalt nicht an; vgl. etwa JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG, Rz. 21. 3 JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 27. 4 Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV). 5 EuGH v. 11.9.2008 – Rs. C-11/07 – Eckelkamp, IStR 2008, 697; EuGH v. 11.9.2008 – Rs. C-47/07 – Arens-Sikken, IStR 2008, 700; EuGH v. 22.4.2010 – Rs. C-510/08 – Vera Mattner, BFH/NV 2010, 1212; zuletzt EuGH v. 17.10.2013 – C - 181/12 – Welte, ZEV 2014, 46. 6 Parallele zur fiktiven unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG; s. Rz. 13.14), wobei § 2 Abs. 3 ErbStG nicht darauf abstellt, ob das Åbergehende VermÇgen ganz oder ganz Åberwiegend im Inland belegen ist; vgl. auch koordinierend Lndererlass v. 15.3.2012, BStBl. I 2012, 328.
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13.92 Die in § 1 Abs. 1 ErbStG genannten Erwerbe bilden das Steuerobjekt, nmlich – der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), – Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), – Zweckzuwendungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), – das VermÇgen von Familienstiftungen und Familienvereinen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG).
13.93 Die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht gilt fÅr den gesamten VermÇgensanfall (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Es kommt daher grundstzlich nicht darauf an, ob es sich um Inlands- oder um AuslandsvermÇgen handelt (WeltvermÇgensprinzip).1 Der Umfang des VermÇgensanfalls ist indessen unterschiedlich. Ist der Erblasser ein Inlnder, so sind smtliche Erwerbe aus seinem Nachlass und alle sonstigen VermÇgensanflle, die nach § 3 ErbStG als von ihm zugewendet gelten, steuerpflichtig.2 Entsprechendes gilt fÅr die Schenkung unter Lebenden: Hier sind die unentgeltlichen Zuwendungen in vollem Umfang steuerpflichtig.
13.94 Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG den gesamten VermÇgensanfall in die unbeschrnkte Steuerpflicht einbezieht, ist damit das NettovermÇgen gemeint. Dieses Nettoprinzip3 artikuliert sich insbesondere in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wonach fÅr Zwecke der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs auf die Bereicherung, d.h. auf das BruttovermÇgen unter BerÅcksichtigung der gesetzlich zugelassenen Abzugsposten4 sowie der dort genannten Befreiungen und Freibetrge,5 abzustellen ist.6 Zu den in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG genannten Befreiungen und Freibetrgen gehÇren insbesondere die fÅr BetriebsvermÇgen, land- und forstwirtschaftliches VermÇgen und fÅr Beteiligungen an Kapitalgesellschaften vorgesehenen VergÅnstigungen, die sowohl einen Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) als auch jenseits dessen Reichweite einen degressiv ausgestalteten Abzugsbetrag von hÇchstens 150.000 Euro (§ 13a Abs. 2 ErbStG) beinhalten. Der Verschonungsabschlag7 bezieht sich nur auf begÅnstigtes VermÇgen (§ 13b ErbStG), wozu nur inlndisches und in EU-/EWR-Staaten
1 FÅr Diplomaten und Konsuln ergeben sich allerdings Einschrnkungen des Welteinkommens-/WeltvermÇgensprinzips aufgrund des WD und WK; vgl. zu Einzelheiten JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 101 ff. 2 Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 8. 3 Hierzu Seer in T/L21, § 15 Rz. 124. 4 Nach Meincke16, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag I“. 5 Nach Meincke16, § 10 ErbStG Rz. 2 „Nettobetrag II“. 6 Damit wird zugleich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) entsprochen; vgl. EuGH v. 11.12.2003 – Rs. C-364/01 – Barbier, EuGHE 2003, I-15013, EuGH v. 11.9.2008 – Rs. C-11/07 – Eckelkamp, IStR 2008, 697; EuGH v. 11.9.2008 – Rs. C-47/07 – Arens-Sikken, IStR 2008, 700; zuletzt EuGH v. 17.10.2013 – Rs. C-181/12 – Welte, ZEV 2014, 46. 7 Vom BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11, BFH/NV 2012, 1881 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG fÅr verfasssungswidrig gehalten.
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B. Außensteuerrecht II. Erbschaftsteuer
belegenes VermÇgen gehÇrt (§ 13b Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 ErbStG).1 DrittstaatenvermÇgen ist somit von vornherein der BegÅnstigung entzogen, es sei denn, es wird mittelbar Åber begÅnstigungsfhige Bewertungseinheiten des § 13b Abs. 1 Nr. 1-Nr. 3 ErbStG gehalten.2 Das gilt insbesondere fÅr Anteile an Kapitalgesellschaften in Drittstaaten, die durch Einbringung in EU-/EWR-Kapitalgesellschaften oder durch Zuzug in den BegÅnstigungsrahmen gelangen kÇnnen. Ist nur der Erwerber, etwa der Erbe oder der Beschenkte, ein Inlnder, so erstreckt sich die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht nicht auf den gesamten VermÇgensanfall, sondern nur auf das VermÇgen, das von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden auf den inlndischen Erwerber Åbergeht. Diese Eingrenzung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 ErbStG, sie ist aber nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift geboten. Die persÇnlichen AnknÅpfungspunkte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bestimmen die Reichweite der unbeschrnkten Steuerpflicht nmlich nur in dem Sinne, dass das bei den dort genannten inlndischen Erwerbern weltweit anfallende VermÇgen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen ist. Das bei auslndischen Erwerbern anfallende VermÇgen unterliegt dagegen nicht der unbeschrnkten Steuerpflicht, wenn Erblasser oder Schenker keine Inlnder sind.3
13.95
Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG tritt die in § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG geregelte Ersatzerbschaftsteuerpflicht nur ein, wenn die Stiftung oder der Verein ihre Geschftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. ber die Reichweite dieser Ersatzerbschaftsteuerpflicht, darÅber, ob neben dem InlandsvermÇgen auch AuslandsvermÇgen erfasst wird, trifft das Gesetz keine ausdrÅckliche Regelung. Da indessen inlndischer Sitz und Ort der Geschftsleitung die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht markieren und hierfÅr grundstzlich das WeltvermÇgensprinzip gilt, ist § 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Abgrenzung zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.S. einer unbeschrnkten Ersatzerbschaftsteuerpflicht auszulegen, sodass auch auslndisches VermÇgen erfasst wird.4 (Zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.29 ff.).
13.96
2. Beschrnkte Steuerpflicht Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG tritt die beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht in allen Fllen ein, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inlnder sind. Es handelt sich damit um eine Auffangvorschrift, die im Hinblick auf die fÅr die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht maß1 Damit wird im Ergebnis insoweit europarechtlichen Vorgaben entsprochen; vgl. EuGH v. 25.10.2007 – Rs. C-464/05 – Geurts und Vogten, EuGHE 2007, I-9344; EuGH v. 17.1.2008 – Rs. C-256/06 – Jger, EuGHE 2008, I-140. 2 JÅlicher in T/G/J, § 13b ErbStG Rz. 68; HÅbner, Ubg 2009, 1 (8); von Oertzen in JbFStR 2008/09, 97 (189). 3 JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 6; Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 8. 4 Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 9; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 47.
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13.97
Kapitel 13 Materielles Recht
gebliche DoppelanknÅpfung Erblasser (Schenker) und Erwerber und die zeitliche Ausdehnung durch die erweiterte unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht in der Praxis keine sehr große Bedeutung hat. Die beschrnkte Steuerpflicht erstreckt sich zudem nur auf den VermÇgensanfall, der InlandsvermÇgen i.S. des § 121 BewG betrifft.
13.98 § 121 BewG enthlt einen numerus clausus derjenigen VermÇgensgegenstnde, die zum InlandsvermÇgen zhlen. VermÇgensgegenstnde, die dort nicht aufgefÅhrt sind, etwa Bank- oder Sparguthaben und Wertpapierdepots bei inlndischen Kreditinstituten, nicht dinglich gesicherte Forderungen gegen inlndische Schuldner, gehÇren somit nicht zum InlandsvermÇgen. Daher sind auch der auf Geld gerichtete Pflichtteilsanspruch, selbst wenn er gegen einen inlndischen Erben gerichtet ist, sowie ein Geldvermchtnis, auch wenn es aus einem Nachlass zu entrichten ist, der nur aus InlandsvermÇgen besteht, nicht beschrnkt erbschaftsteuerpflichtig.1 FÅr Beteiligungen an inlndischen Kapitalgesellschaften wird § 121 BewG allerdings durch § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG erweitert (zu diesbezÅglichen Pflichtverletzungen Rz. 16.21 ff.).
13.99 § 121 BewG enthlt einen Katalog von VermÇgensgruppen, der in etwa dem in § 49 Abs. 1 EStG aufgefÅhrten EinkÅnftekatalog entspricht.2 Obwohl das Bewertungsgesetz fÅr die Qualifizierung von InlandsvermÇgen keine ausdrÅckliche Bestimmung enthlt, wird seitens der Rechtsprechung gleichwohl eine dem § 49 Abs. 2 EStG entsprechende allgemeingÅltige isolierende Betrachtungsweise angenommen.3 Welcher der in § 121 BewG aufgezhlten VermÇgensarten WirtschaftsgÅter zuzuordnen sind, ist daher danach zu entscheiden, wie sich diese WirtschaftsgÅter vom Inland aus gesehen darstellen.4 Bei der Qualifizierung dieser WirtschaftsgÅter ist auf die Begriffe und Maßstbe des deutschen Rechts abzustellen. Auslndische Rechtsinstitute sind den vergleichbaren deutschen Rechtsinstituten gleichzustellen.5
13.100 Das InlandsvermÇgen (§ 121 BewG) umfasst folgende VermÇgensgruppen: – – – –
inlndisches land- und forstwirtschaftliches VermÇgen, inlndisches GrundvermÇgen, inlndisches BetriebsvermÇgen, Beteiligungen an inlndischen Kapitalgesellschaften,
1 Meincke16, § 2 ErbStG Rz. 11; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 71 f.; Eisele in Kapp/Ebeling, § 2 ErbStG Rz. 52. 2 Die Parallelitt von § 49 Abs. 1 EStG und § 121 Abs. 2 BewG ist unter dem Gesichtspunkt, dass die Erbschaftsteuer auch eine Steuer auf das Einkommen ist, durchaus konsequent. 3 BFH v. 2.9.1953 – III 105/53 S, BStBl. III 1953, 324; BFH v. 20.1.1959 – I 112/57 S, BStBl. III 1959, 133; BFH v. 30.1.1981 – III R 116/79, BStBl. II 1981, 560; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 51. 4 JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 51; Noll in Flick/Piltz2, Rz. 1285. 5 BFH v. 20.7.1960 – II 262/57 U, BStBl. III 1960, 385; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 7.15 ff.
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B. Außensteuerrecht II. Erbschaftsteuer
– Patente, Gebrauchsmuster und Topografien, – WirtschaftsgÅter, die einem inlndischen gewerblichen Betrieb Åberlassen sind, – grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen, – Forderungen aus stiller Beteiligung und partiarischem Darlehen, – Nutzungsrechte am InlandsvermÇgen. Durch § 4 AStG wird die beschrnkte Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) Åber die in § 121 BewG genannten WirtschaftsgÅter hinaus auf alle VermÇgenswerte ausgedehnt, deren Ertrge bei unbeschrnkter Einkommensteuerpflicht nicht zu den auslndischen EinkÅnften i.S. des § 34c Abs. 1 EStG gehÇren. Die erweiterte beschrnkte Steuerpflicht, die auf den Erblasser oder Schenker abstellt, setzt voraus, dass weder Erblasser (Schenker) noch Erwerber Inlnder sind. Die erweiterte beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht betrifft ausgewanderte natÅrliche Personen mit deutscher StaatsangehÇrigkeit unter den gleichen Voraussetzungen wie die erweiterte beschrnkte Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG).
13.101
Die erweiterte beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht ist sowohl der unbeschrnkten als auch der erweiterten unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht gegenÅber subsidir.1 Soweit es daher zu berschneidungen zwischen der erweiterten unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht einerseits und der erweiterten beschrnkten Erbschaftsteuerpflicht andererseits kommt, tritt die erweiterte beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht zurÅck. Ist also der Erblasser (Schenker) deutscher StaatsangehÇriger, wird im Regelfall die erweiterte beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht nur fÅr die Zeit zwischen Ablauf der FÅnfjahresfrist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG und Ablauf des Zehnjahreszeitraums nach § 2 Abs. 1 AStG eingreifen, sofern auch die Erwerber nicht Inlnder sind und fÅr den Erwerb im Ausland nicht eine entsprechende Steuer in HÇhe von mindestens 30 % der deutschen Erbschaftsteuer zu entrichten ist (§ 4 Abs. 2 AStG).2
13.102
§ 4 Abs. 1 Satz 1 AStG enthlt eine AnknÅpfung an die Tatbestandsmerkmale des fÅr die erweiterte beschrnkte Einkommensteuerpflicht maßgebenden § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG. Eine erweitert beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht setzt demnach insbesondere Folgendes voraus: – Der Erblasser oder Schenker muss eine natÅrliche Person (gewesen) sein, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fÅnf Jahre lang unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig war;
13.103
1 Viskorf in V/K/S/W, § 2 ErbStG Rz. 11; Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7; Ettinger in Haase2, § 4 AStG Rz. 10. 2 Baßler in F/W/B/S, § 4 AStG Rz. 7; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 81.
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Kapitel 13 Materielles Recht
– der Erblasser oder Schenker muss(te) in einem auslndischen Gebiet ansssig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung von Einkommen (§ 2 Abs. 2 AStG) unterliegt (unterlag); – der Erblasser oder Schenker muss(te) unmittelbar oder mittelbar wesentliche wirtschaftliche Interessen (§ 2 Abs. 3 und 4 AStG) im Inland haben.
13.104 ber das InlandsvermÇgen gem. § 121 BewG hinaus wird daher noch folgendes erweitertes InlandsvermÇgen erfasst:1 1. Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland; 2. Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland; 3. Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschftsguthaben bei Genossenschaften im Inland; 4. AnsprÅche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland sowie Nießbrauchs- und Nutzungsrechte an VermÇgensgegenstnden im Inland; 5. Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden; 6. VersicherungsansprÅche gegen Versicherungsunternehmen im Inland; 7. bewegliche WirtschaftsgÅter, die sich im Inland befinden; 8. VermÇgen, dessen Ertrge nach § 5 AStG der erweiterten beschrnkten Steuerpflicht unterliegen; 9. VermÇgen, das nach § 15 AStG dem erweitert beschrnkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist.
III. Verkehrsteuern 13.105 Zu den Verkehrsteuern, die an Verkehrs- und Realakte, insbesondere an Umstze, anknÅpfen, gehÇren die Umsatz-, Grunderwerb-, Versicherung-, Feuerschutz-, Renn-, Wett- und Lotterie-, Kraftfahrzeug- und Luftverkehrsteuer, die von ihrer Belastungswirkung her als Steuern auf die Einkommensverwendung Verbrauchsteuercharakter haben.2 Whrend das Umsatzsteuergesetz im Hinblick auf das prgende Bestimmungslandprinzip international steuerrechtliche BezÅge aufweist, sind die speziellen Verkehrsteuern im Wesentlichen binnenorientiert. Allerdings erfasst das Grunderwerbsteuergesetz tatbestandlich auch auslndische Rechtsvorgnge, zu denen etwa nderungen im Gesellschafterbestand auslndischer Gesellschafter (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und auslndische Anteilsvereinigungen (§ 1 Abs. 3 GrEStG) gehÇren. Im Hinblick darauf beschrnkt sich der nachfolgende berblick auf die Umsatzsteuer3 und die Grunderwerbsteuer.
1 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernummer 1), Tz. 4.1.1. 2 Vgl hierzu im berblick: Englisch in T/L21, § 18, Rz. 1 ff. 3 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 9.1 ff.
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B. Außensteuerrecht III. Verkehrsteuern
1. Umsatzsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum UStG; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 17 Rz. 1 ff., 392 ff.; Hummel, Umsatzsteuerrecht bei Auslandsbeziehungen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 18.1 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, 4. Aufl. MÅnchen 2009; Lippros, Umsatzsteuer, 23. Aufl. Achim 2012; Reiß, Umsatzsteuerrecht, 12. Aufl. MÅnster 2014; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 17. Aufl. Berlin 2011; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 9.1 ff.; Seer (Hrsg.), Umsatzsteuer im Europischen Binnenmarkt, DStJG 32 (2009); Stadie, Umsatzsteuerrecht, KÇln 2005; Sikorski, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, 7. Aufl. Herne 2011; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 967 ff.;
a) Steuerbare Umstze Die in § 1 Abs. 1 UStG bezeichneten Umstze unterliegen der Umsatzsteuer nur dann, wenn sie im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, wozu das Landgebiet, das Seegebiet innerhalb der ZwÇlf-MeilenZone (KÅstenmeer) sowie der Untergrund unter beiden und der Luftraum darÅber gehÇrt, mit Ausnahme der Gemeinde BÅsingen (Hochrhein), der Insel Helgoland, der Freihfen, der Gewsser und Watten zwischen der Hoheitsgrenze und der jeweiligen Strandlinie sowie der deutschen Schiffe und der deutschen Luftfahrzeuge in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehÇren (§ 1 Abs. 2 UStG). Zu diesen steuerbaren Umstzen gehÇren Lieferungen, Gegenstandsentnahmen, Personalzuwendungen, sonstige Leistungen, Nutzungsentnahmen, die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb.
13.106
§ 3 Abs. 1 UStG bezeichnet als Lieferungen Leistungen eines Unternehmers, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befhigt, im eigenen Namen Åber einen Gegenstand zu verfÅgen. Der unter der Kurzformel „Verschaffung der VerfÅgungsmacht“ allgemein verwendete Lieferbegriff ist dann erfÅllt, wenn der Abnehmer wie ein EigentÅmer Åber den Liefergegenstand verfÅgen kann.1
13.107
Lieferungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland ausgefÅhrt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Der Ort der Lieferung richtet sich gem. § 3 Abs. 5a UStG, vorbehaltlich der §§ 3c, 3e, 3f und 3g UStG, nach § 3 Abs. 6-8 UStG. Im Verhltnis zu den anderen Vorschriften enthlt § 3
13.108
1 Einzelheiten bei Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 590 ff.; Stadie2, § 3 UStG Rz. 16 ff.; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 116 ff.; aus der Rspr. des EuGH: EuGH v. 6.2.2003 – Rs. C-185/01 – Auto Lease Holland, BStBl. II 2004, 573; EuGH v. 15.12.2005 – Rs. C-63/04 – Centralan, EuGHE 2005, I-11087; vgl. auch BFH v. 21.4.2005 – VR 11/03, BStBl. II 2007, 63.
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Kapitel 13 Materielles Recht
Abs. 7 Satz 1 UStG die fÅr die Ortsbestimmung maßgebliche Grundregel. Der Lieferort ist nach dieser Grundregel fÅr unbewegte (ruhende) Lieferungen1 dort, wo sich der Gegenstand der Lieferung zur Zeit der Verschaffung der VerfÅgungsmacht befindet.2
13.109 Von der systematischen Grundregel des § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gibt es fÅr Transportlieferungen folgende Abweichungen: – BefÇrderungs- und Versendungsort, d.h. der Lieferort ist dort, wo sich der Liefergegenstand zu Beginn der BefÇrderung bzw. bei bergabe an den Beauftragten (Versendung) befindet (§ 3 Abs. 6 UStG), – Empfngerort fÅr innergemeinschaftliche Versandverkufe an private Endverbraucher und bestimmte andere nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Abnehmer (§ 3c Abs. 1 UStG) und fÅr die Lieferung von Gas oder Elektrizitt an Wiederverkufer (§ 3g Abs. 1 Satz 1 UStG), – Abgangsort fÅr Lieferungen von Gegenstnden oder die AusfÅhrung von Restaurationsleistungen whrend einer BefÇrderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn (§ 3e Abs. 1 UStG), – Verbrauchsort fÅr die Lieferung von Gas oder Elektrizitt an Nichtunternehmer und Unternehmer fÅr den eigenen Verbrauch (§ 3g Abs. 2 UStG).
13.110 Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG wird einer Lieferung gegen Entgelt die Entnahme eines Gegenstandes aus dem Unternehmen fÅr Zwecke außerhalb des Unternehmens (Gegenstandsentnahme) gleichgestellt. Diese Fiktion, die sich sowohl auf die Lieferung als auch auf die Entgeltlichkeit bezieht, dient der Sicherstellung der Besteuerung des Letztverbrauchs, womit zugleich dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer entsprochen wird.3 Wie sich aus § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG ergibt, ist die Regelung darauf angelegt, einen vorgenommenen Vorsteuerabzug zu neutralisieren.4 Ort der Gegenstandsentnahme ist stets der Unternehmensort (§ 3f UStG).
1 Englisch in T/L21, § 14 Rz. 402. 2 In den wichtigsten Fllen des BefÇrderns und Versendens (Transportlieferungen) ist der Ort der Lieferung dort, wo die BefÇrderung oder Versendung des Gegenstandes an den Abnehmer beginnt (§ 3 Abs. 6 UStG); § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG gilt daher nur fÅr Lieferbeziehungen, denen keine Warenbewegung zugrunde liegt (ruhende Lieferungen), sodass § 3 Abs. 6 UStG in der Praxis den Regelfall und § 3 Abs. 7 UStG den Ausnahmefall normiert; hierzu Stadie2, § 3 UStG Rz. 144; Fritsch in R/K/L, § 3 UStG Rz. 437 f. 3 EuGH v. 20.1.2005 – Rs. C 412/03 – Hotel Scandic Gsabck, EuGHE 2005, I-743; EuGH v. 11.12.2008 – Rs. C-371/07 – Danfoss und AstraZeneca, EuGH 2008, I-9549; BFH v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl. II 2012, 53; Englisch in T/L21, § 17 Rz. 153. 4 EuGH v. 20.1.2005 – Rs. C 412/03 – Hotel Scandic Gsabck, EuGHE 2005, I-743; Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 1107; Stadie2, § 3 UStG Rz. 56; Englisch in T/L21, § 17 Rz. 154.
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B. Außensteuerrecht III. Verkehrsteuern
FÅr Personalzuwendungen, also fÅr die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstandes durch einen Unternehmer an sein Personal fÅr dessen privaten Bedarf wird die Entgeltlichkeit der Lieferung fingiert, soweit keine Aufmerksamkeit1 vorliegt (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2 UStG). Damit wird im Ergebnis auch hier der zuvor vorgenommene Vorsteuerabzug neutralisiert2 und zugleich ein unversteuerter Endverbrauch vermieden.3
13.111
Sonstige Leistungen sind gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG Leistungen, die nicht Lieferungen sind. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der sonstigen Leistung besteht im Gegensatz zur Lieferung nicht in der Zuwendung eines Gegenstandes, sondern in der Erbringung einer Dienstleistung, in einer NutzungsÅberlassung oder in der bertragung eines Rechtes.4 Die sonstige Leistung kann auch in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustandes bestehen (§ 3 Abs. 9 Satz 2 UStG).
13.112
Sonstige Leistungen sind nur dann steuerbar, wenn sie im Inland erbracht werden. Nach der Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG ist der Unternehmensort maßgeblich, also der Ort, von dem aus das Unternehmen betrieben wird.5 Hiervon gibt es im Wesentlichen folgende Abweichungen: – Empfngerort fÅr sonstige Leistungen,6 die an einen Unternehmer fÅr dessen Unternehmer ausgefÅhrt werden (§ 3a Abs. 2 UStG)7 und darÅber hinaus fÅr bestimmte sonstige Leistungen, soweit der Empfnger weder ein Unternehmen, fÅr dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine nicht unternehmerisch ttige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist,8 es sich also im Wesentlichen um Nichtunternehmer handelt, die im Drittlandsgebiet ansssig sind (§ 3a Abs. 4 UStG) und fÅr bestimmte auf elektronischem Weg vom Drittlandsgebiet aus erbrachte sonstige Leistungen fÅr private Zwecke (§ 3a Abs. 5 UStG),9 – GrundstÅcksort fÅr sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem GrundstÅck10 (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG), – bergabeort fÅr die kurzfristige Vermietung eines BefÇrderungsmittels (§ 3a Abs. 3 Nr. 2 UStG),11
13.113
1 Allgemeine Wertgrenze 40 Euro (Abschn. 1.8 Abs. 3 UStAE); fÅr Betriebsveranstaltungen 110 Euro (Abschn. 1.8 Abs. 4 Satz 3 Nr. 6 UStAE. 2 Hierzu Stadie2, § 3 UStG Rz. 76. 3 Englisch in T/L21, § 17 Rz. 175, 155. 4 Nieskens in R/D, § 3 UStG Rz. 3471. 5 Das kann auch eine Betriebssttte sein (§ 3a Abs. 2 Satz 2 UStG); vgl. Art. 44 MwStSystRL; Art. 10, 11 MwStVO. 6 Vorbehaltlich §§ 3a Abs. 3–8, 3b, 3e und 3f UStG (§ 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). 7 Das kann auch am Ort der Betriebssttte sein. 8 Vgl. die Neuregelung des § 3a Abs. 2 Satz 3 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 9 Vgl. Art. 58 MwStSystRL und die ab 1.1.2015 geltende Neuregelung nach dem Kroatien-AnpG, BGBl. I 2014, 1266. 10 Zum GrundstÅckbegriff Abschn. 3a.3 Abs. 2 UStAE. 11 Vgl. Art. 38, 40 MwStVO; vgl. auch die Neuregelung in § 3a Abs. 3 Nr. 2 Stze 3 und 4 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG.
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Kapitel 13 Materielles Recht
– Erbringungsort (Ttigkeitsort) fÅr kulturelle, kÅnstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende, sportliche, unterhaltende oder hnliche Leistungen einschließlich der Leistungen der jeweiligen Veranstalter (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG), Restaurationsleistungen (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b UStG) und fÅr Arbeiten an beweglichen kÇrperlichen Gegenstnden und die Begutachtung dieser Gegenstnde (§ 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c UStG),1 – Umsatzort fÅr Vermittlungsleistungen, wenn der Auftraggeber weder ein Unternehmer ist, fÅr dessen Unternehmen die Leistung bezogen wird, noch eine nicht unternehmerisch ttige juristische Person mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 3a Abs. 3 Nr. 4 UStG),2 – Nutzungsort fÅr die Vermietung eines BefÇrderungsmittels von einem im Drittlandsgebiet ansssigen Unternehmer, soweit das Fahrzeug im Inland genutzt wird (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 UStG), fÅr bestimmte sonstige Leistungen von Unternehmern im Drittlandsgebiet an im Inland ansssige juristische Personen des Çffentlichen Rechts (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 UStG) und fÅr Telekommunikationsdienstleistungen und Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, die von einem im Drittland ansssigen Unternehmer erbracht werden (§ 3a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 UStG).
13.114 DarÅber hinaus enthalten Sonderregelungen weitere Bestimmungsorte, insbesondere den – BefÇrderungsort, wonach im Grundsatz die BefÇrderungsleistung dort ausgefÅhrt wird, wo sie bewirkt wird, sodass bei grenzÅberschreitenden BefÇrderungen der auf das Ausland entfallende Teil der BefÇrderung nicht zur Steuerbarkeit fÅhrt (§ 3b Abs. 1 UStG), – Erbringungsort fÅr an Nichtunternehmer erbrachte selbstndige sonstige Leistungen, soweit sie das Beladen, Entladen und Umschlagen von Waren betreffen (§ 3b Abs. 2 UStG),3 – Abgangsort fÅr an Nichtunternehmer erbrachte grenzÅberschreitende innergemeinschaftliche BefÇrderungen (§ 3b Abs. 3 UStG) sowie fÅr Restaurationsleistungen whrend einer BefÇrderung an Bord eines Schiffes, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn (§ 3e UStG), – Unternehmensort fÅr in eigenem Namen erbrachte Reiseleistungen, die nicht fÅr das Unternehmen des Leistungsempfngers ausgefÅhrt werden und bei denen Reisevorleistungen in Anspruch genommen werden (§ 25 Abs. 1 UStG).
13.115 Nutzungsentnahmen (Verwendungsentnahmen) werden einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG). Diese Fiktion ist darauf gerichtet, die Besteuerung des Letztverbrauchs durch Neu1 Vgl. Art. 59a Buchst. B MwStSystRL. 2 Vgl. Art. 30 MwStVO. 3 Soweit sie als Nebenleistungen zu BefÇrderungsleistungen erbracht werden, gilt der BefÇrderungsort (§ 3b Abs. 1 UStG).
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B. Außensteuerrecht III. Verkehrsteuern
tralisierung eines zuvor vorgenommenen Vorsteuerabzugs sicherzustellen.1 Zu den Nutzungsentnahmen zhlt insbesondere die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Fahrzeugs durch den Unternehmer sowie die private Nutzung von Telefonanlagen, Faxgerten usw. Ort der Nutzungsentnahme ist der Unternehmensort, also der Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (§ 3f UStG).2 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG unterliegt die Einfuhr von Gegenstnden im Inland oder in den Çsterreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg3 der Umsatzsteuer, und zwar in der Form der Einfuhrumsatzsteuer. Was unter Einfuhr zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Umsatzsteuergesetz, sondern Åber § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG aus dem Zollkodex. Danach ist Einfuhr das Verbringen von Gegenstnden aus einem Drittlandsgebiet zum freien Verkehr.4 Der Einfuhrtatbestand ist daher nicht erfÅllt, wenn der betreffende Gegenstand im Inland einem Versandverfahren oder einer Zolllagerregelung unterliegt (zu Pflichtverletzungen bei der Einfuhr Rz. 17.48 ff.).
13.116
Die Einfuhrumsatzsteuer hat den Zweck, aus dem Drittlandsgebiet eingefÅhrte Gegenstnde, die nach dem international geltenden Bestimmungslandprinzip bei der Ausfuhr im anderen Staat von der Umsatzsteuer entlastet worden sind, auf das inlndische Steuerniveau heraufzuschleusen, soweit die Einfuhr selbst nicht steuerfrei ist (§ 5 UStG). Daher entsprechen die Steuerstze der Einfuhrumsatzsteuer stets denjenigen der Umsatzsteuer selbst. Ist der EinfÅhrende ein Nichtunternehmer, so wird dieser endgÅltig mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet. Damit wird der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer Rechnung getragen. Ist der EinfÅhrende dagegen ein Unternehmer, so kann dieser die entstandene Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG).5 Zwischen der Einfuhrumsatzsteuer einerseits und der steuerbefreiten Ausfuhr ohne Vorsteuerverlust6 andererseits besteht daher ein systembedingter Zusammenhang.
13.117
Dieser Grenzausgleich funktioniert nur zwischen Staaten, die durch Steuergrenzen getrennt sind. Aus steuererhebungstechnischen GrÅnden wird daher bei innergemeinschaftlichen Lieferungen das Bestimmungsland-
13.118
1 Soweit der Vorsteuerabzug in bestimmten Fllen (§ 15 Abs. 1b UStG) ausgeschlossen oder eine Vorsteuerberichtigung (§ 15a Abschn. A UStG) durchzufÅhren ist, unterbleibt die Besteuerung der Nutzungsentnahme (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 Halbs. 2 UStG). 2 Erfolgt die Nutzungsentnahme aus einer Betriebssttte, gilt die Betriebssttte als Ort der sonstigen Leistung (§ 3f Satz 2 UStG). 3 Es handelt sich um Zollanschlussgebiete zum freien Verkehr. 4 Abschn. 15.8 Abs. 2 UStAE. 5 Die Einfuhrumsatzsteuer muss nicht entrichtet sein; vgl. EuGH v. 29.3.2012 – Rs. C-414/10 – Veleclair, UR 2012, 602; dem folgend § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG 6 Entsprechend §§ 4 Nr. 1a, 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG.
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Kapitel 13 Materielles Recht
prinzip im Grundsatz durch eine vergleichbare Regelung dadurch sichergestellt, dass mit der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung ohne Vorsteuerverlust1 in dem einen Mitgliedstaat die Erwerbsteuer2 in dem anderen Mitgliedstaat korrespondiert.
13.119 Der innergemeinschaftliche Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG) dient der Umsetzung des Bestimmungslandprinzips. Die Besteuerung des Erwerbs korrespondiert nmlich mit der Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) in dem anderen Mitgliedstaat.3 Dementsprechend knÅpft der Erwerbstatbestand mit seiner durch § 1a UStG gefundenen begrifflichen Ausprgung an den Liefertatbestand (§ 3 Abs. 1 UStG) an. Diese AnknÅpfung (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG) findet ihre Rechtfertigung insbesondere darin, dass Erwerb und Lieferung grundstzlich auf dem Vollzug desselben Rechtsgeschfts beruhen.4 Einen Gegenstand erwirbt daher stets der, dem die VerfÅgungsmacht an dem Gegenstand verschafft wird.
13.120 Nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 UStG ist ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt5 gegeben, wenn es sich handelt um – eine grenzÅberschreitende Lieferung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes, insbesondere in das Inland (§ 1 Abs. 2a UStG) oder um eine Lieferung aus dem Åbrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete (§ 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG), – einen Unternehmer, der fÅr sein Unternehmen erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG), oder eine juristische Person, die fÅr ihren nichtunternehmerischen Bereich erwirbt (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG), und – einen Unternehmer, der die Lieferung an den Erwerber im Rahmen seines Unternehmens ausfÅhrt und hierfÅr nicht eine Steuerbefreiung fÅr Kleinunternehmer (entsprechend § 19 Abs. 1 UStG) in Anspruch nimmt (§ 1a Abs. 1 Nr. 3 UStG).
13.121 Durch § 1a Abs. 2 UStG wird ein weiterer Tatbestand mittels Fiktion dem innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt gleichgestellt: das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Åbrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner VerfÅgung, ausgenommen zu einer nur vorÅbergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingefÅhrt hat (§ 1a Abs. 2 UStG).
13.122 Die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb (Erwerbsteuer) erfÅllt damit den gleichen Zweck wie die Umsatzsteuer auf die Ein1 2 3 4
Entsprechend §§ 4 Nr. 1b, 15 Abs. 3 Nr. 1a UStG. Entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Hierzu Englisch in T/L21, § 17 Rz. 409. Den Erwerber trifft allerdings keine Nachforschungspflicht; Stadie2, § 1a UStG Rz. 12. 5 Ein unentgeltlicher innergemeinschaftlicher Erwerb ist nicht steuerbar.
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fuhr (Einfuhrumsatzsteuer): Im Anschluss an die steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung in dem anderen Mitgliedstaat bewirkt die Erwerbsteuer die Heraufschleusung der von EU-Umsatzsteuer entlasteten Ware auf inlndisches Steuerniveau. Die Erwerbsteuer verwirklicht damit ebenso das Bestimmungslandprinzip wie die Einfuhrumsatzsteuer. Ausnahmen hiervon enthlt § 1a Abs. 3 UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb wird danach nicht angenommen, wenn – die Erwerber nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Personen sind (§ 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG) und – ihr Erwerb unter einer Erwerbsschwelle von 12.500 Euro bleibt (§ 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG).1
13.123
An die Stelle der Erwerbsteuer tritt in diesem Ausnahmefall die Besteuerung des Lieferers im Ursprungs- oder im Bestimmungsland nach Maßgabe der sog. Versandhandelsregelung in § 3c UStG. § 1a Abs. 3 UStG korrespondiert daher vor allem mit § 3c Abs. 2 und 1 UStG, wonach bei BefÇrderungs- und Versendungslieferungen der Ort der Lieferung im Bestimmungsland liegt.
13.124
§ 1b Abs. 1 UStG bestimmt als weitere Sonderregelung, dass der Erwerb neuer Fahrzeuge nicht nur bei den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 UStG bezeichneten Unternehmern und juristischen Personen, sondern auch bei allen anderen Personen, insbesondere bei Privatpersonen, der Erwerbsteuer unterliegt. Diese Vorschrift ist im Zusammenhang mit den §§ 2a und 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. §§ 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c und 15 Abs. 4a UStG zu sehen.
13.125
Weitere Ausnahmen von der Erwerbsteuer enthlt § 1c UStG: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb liegt hiernach nicht vor, wenn aus einem anderen Mitgliedstaat an im Inland ansssige oder stationierte diplomatische Missionen oder berufskonsularische Vertretungen, zwischenstaatliche Einrichtungen sowie an fremde NATO-Streitkrfte fÅr deren nichtunternehmerische Bereiche geliefert wird (§ 1c Abs. 1 UStG).2 Das grenzÅberschreitende Verbringen eines Gegenstandes durch deutsche Streitkrfte aus dem Åbrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland fÅr den Ge- oder Verbrauch dieser Streitkrfte gilt schließlich als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt (§ 1c Abs. 2 UStG).
13.126
Gem. § 3d Satz 1 UStG liegt der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs dort, wo die BefÇrderung oder Versendung des Liefergegenstandes endet. Dies ist grundstzlich im Bestimmungsland.
13.127
1 Der Erwerber kann auf die Anwendung dieser Erwerbsschwellenregelung verzichten und somit zur Erwerbsbesteuerung optieren (§ 1a Abs. 4 UStG); die Erwerbsteuer ist allerdings zwingend beim Erwerb neuer Fahrzeuge und verbrauchsteuerpflichtiger Waren (§ 1a Abs. 5 UStG). 2 Die Ausnahme gilt nicht fÅr den Erwerb neuer Fahrzeuge (§ 1c Abs. 1 Satz 3 UStG).
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.128 Gem. § 3d Satz 2 UStG wird allerdings ein inlndischer Ort des Erwerbs fingiert, wenn der Liefergegenstand unter Verwendung einer deutschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in einen anderen Mitgliedstaat gelangt. Wird eine dortige Erwerbsbesteuerung nachgewiesen, ist die deutsche Erwerbsteuer zu erstatten. b) Steuerfreie Export-Umstze
13.129 Die Steuerfreiheit bestimmter Exportumstze nach Maßgabe des § 4 Nr. 1–3, 5, 6, 7 UStG bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) ermÇglicht eine Entlastung von deutscher Umsatzsteuer, wodurch dem Bestimmungslandprinzip entsprochen wird. Das Bestimmungsland erhebt bei der Einfuhr eine Einfuhrumsatzsteuer sowie beim innergemeinschaftlichen Erwerb eine Erwerbsteuer mit dem Ziel, Importware auf innerstaatliches Steuerniveau hochzuschleusen. Dadurch gelangt die Ware, nur mit der Umsatzsteuer des Bestimmungslandes belastet, in die Hand des privaten Endverbrauchers.1
13.130 Die Steuerbefreiung von Exportumstzen betrifft im Wesentlichen Lieferungen, nicht aber sonstige Leistungen. Hier wird das Bestimmungslandprinzip nur partiell etwa Åber den Empfngerort, GrundstÅcksort und Erbringungsort nach Maßgabe insbesondere des § 3a Abs. 2 und 3 UStG verwirklicht.
13.131 Folgende Steuerbefreiungen sind von Bedeutung: – Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG), – Lohnveredelung an Gegenstnden der Ausfuhr (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 7 UStG), – innergemeinschaftliche Lieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG), – Umstze fÅr die Seeschifffahrt und fÅr die Luftfahrt (§§ 4 Nr. 2, 8 UStG), – grenzÅberschreitende BefÇrderungen (§ 4 Nr. 3 UStG), – Vermittlung von Exportumstzen (§ 4 Nr. 5 UStG), – Leistungen im Eisenbahnverkehr (§ 4 Nr. 6 Buchst. a UStG), – Lieferung eingefÅhrter Gegenstnde (§ 4 Nr. 6 Buchst. c UStG), – Fhrverkehr mit Helgoland (§ 4 Nr. 6 Buchst. d UStG), – Abgabe von Speisen und Getrnken auf Seeschiffen (§ 4 Nr. 6 Buchst. e UStG), – Leistungen an Nato-Streitkrfte (§ 4 Nr. 7 Buchst. a, b UStG), – Leistungen an Diplomaten und zwischenstaatliche Einrichtungen (§ 4 Nr. 7 Buchst. c, d UStG). (Zu Pflichtverletzungen bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen Rz. 17.8 ff., Rz. 17.22 ff.).
1 Husmann in R/D, § 4 Nr. 1 UStG Rz. 4, 8; Englisch in T/L21, § 17 Rz. 404, 409.
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Steuerfrei ist schließlich auch der innergemeinschaftliche Erwerb von bestimmten Gegenstnden, deren Lieferung im Inland selbst ebenfalls steuerfrei wre (§ 4b UStG). DarÅber hinaus ist unter bestimmten Voraussetzungen auch die Einfuhr von Gegenstnden von der Einfuhrumsatzsteuer befreit (§ 5 UStG).
13.132
c) Steuerschuldner Steuersubjekt und Steuerschuldner der Umsatzsteuer sind grundstzlich Unternehmer (§§ 2; 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG). DarÅber hinaus kÇnnen auch Nichtunternehmer als Steuersubjekte und Steuerschuldner in Betracht kommen: – beim innergemeinschaftlichen Erwerb z.B. natÅrliche Personen als Privatpersonen (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG), – bei einer flschlich als innergemeinschaftlich befreite Lieferung behandelten Leistung ein privater Abnehmer (§ 13a Abs. 1 Nr. 3 UStG), – bei einer zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer auch derjenige, der Nichtunternehmer ist (§ 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG), – beim innergemeinschaftlichen Reihengeschft der letzte Abnehmer, wozu auch juristische Personen des Çffentlichen Rechts als Nichtunternehmer zhlen (§ 13a Abs. 1 Nr. 5 UStG), und schließlich – im Falle der Einfuhr hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer, die auch von Nichtunternehmern (Zollschuldner) erhoben wird (§ 13a Abs. 2 UStG).
13.133
In Ausnahmefllen wird die Steuerschuldnerschaft vom Leistenden auf den Leistungsempfnger verlagert (§ 13b Abs. 5 UStG, „reverse charge“). Hiernach ist der Leistungsempfnger, soweit er Unternehmer oder eine juristische Person ist, Steuerschuldner fÅr die an ihn ausgefÅhrten steuerpflichtigen oder sonstigen Leistungen.1 Besonderheiten ergeben sich fÅr im Inland nicht ansssige Unternehmer, die im Inland ausschließlich steuerfreie Umstze ausfÅhren und keine Vorsteuer abziehen kÇnnen: Zur ErfÅllung ihrer Steuererklrungspflichten2 haben sie die MÇglichkeit, einen Fiskalvertreter zu bestellen (§§ 22a–22e UStG), der die Pflichten des betreffenden auslndischen Unternehmers als eigene zu erfÅllen hat (§ 22b Abs. 1 UStG). Damit ist ihm auch die eigentlich dem Unternehmer obliegende Pflicht, gesonderte Aufzeichnungen zu fÅhren, auferlegt (§ 22b Abs. 2, 3 UStG). Dementsprechend erhlt der Fiskalvertreter3 fÅr jeden von ihm vertretenen auslndischen Unternehmer eine gesonderte Steuer-
13.134
1 Vgl. die Neufassung des § 13b Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5 UStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG und des Kroatien-AnpG. 2 Voranmeldung: § 18 Abs. 1, 2 UStG; Steuererklrung: § 18 Abs. 3, 4, 4c UStG; zusammenfassende Meldung fÅr innergemeinschaftliche Warenlieferungen: § 18a UStG. 3 Gem. § 22a Abs. 2 UStG i.V.m. §§ 3; 4 Nr. 9c StBerG sind hierzu befugt die steuerberatenden Berufe sowie Spediteure, Zolldeklaranten und Lagerhalter, soweit die zuletzt genannten drei Berufsgruppen nicht Kleinunternehmer (§ 19 UStG) sind.
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nummer und Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (§ 22d Abs. 1 UStG). Der Fiskalvertreter wird insbesondere in den Fllen des steuerfreien innergemeinschaftlichen Erwerbs (§§ 4b Nr. 3; 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG) und anschließender steuerfreier innergemeinschaftlicher Lieferung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b; 6a UStG) ttig werden.1
13.135 Soweit im Ausland ansssige Unternehmer im Inland entweder keine Umstze oder nur die folgenden Umstze ausfÅhren – grenzÅberschreitende BefÇrderungsleistungen (§ 4 Nr. 3 UStG), – Lieferungen und sonstige Leistungen, fÅr die das Reverse-Charge-Verfahren gilt (§ 13b UStG), – BefÇrderungleistungen, die der Einzelbesteuerung unterliegen (§§ 16 Abs. 5, 18 Abs. 5 UStG), – Innergemeinschaftliche Erwerbe und daran anschließende Lieferungen (§ 25 Abs. 2 UStG) oder – auf elektronischem Wege erbrachte sonstige Leistungen an Nichtunternehmer bei AusÅbung des Wahlrechts i.S. einer steuerlichen Erfassung in nur einem EU-Mitgliedstaat (§ 3a Abs. 5 UStG i.V.m. § 18 Abs. 4c UStG), wird ihnen die abziehbare Vorsteuer auf Antrag durch das BZSt vergÅtet (§ 18 Abs. 9 UStG, § 59 UStDV), wobei im Rahmen des Vorsteuer-VergÅtungsverfahrens zwischen im Unionsgebiet und im Drittlandsgebiet ansssigen Unternehmen differenziert wird.2 Sind die Voraussetzungen fÅr die Anwendung des Vorsteuer-VergÅtungsverfahrens nach § 59 UStDV nicht erfÅllt, kÇnnen Vorsteuerbetrge nur im allgemeinen Besteuerungsverfahren (§§ 16, 18 Abs. 1-4 UStG) berÅcksichtigt werden.
13.136 Im Inland ansssige Unternehmer, denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat von Unternehmen Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden, kÇnnen ebenfalls beim BZSt Antrge auf VorsteuervergÅtung stellen, wobei die entsprechenden Antrge nach VorprÅfung an die zustndigen auslndischen BehÇrden weitergeleitet werden (§ 18g UStG).3 2. Grunderwerbsteuer Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GrEStG; Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, 6. Aufl. Achim 2011; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 18 Rz. 1 ff.; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Ver1 Zu weiteren Einzelheiten Mondorf, BB 1997, 705 ff.; Nieskens, UR 1997, 1 (15); Lange, UR 1996, 401 ff.; Birkenfeld, DStZ 1997, 461 ff. 2 Zu Einzelheiten BMF v. 3.12.2009, BStBl. I 2009, 1520, dort insbesondere zu den Einschrnkungen bei im Drittlandsgebiet ansssigen Unternehmern (Tz. 6 und 7); ferner Schlosser-Reimer in Bunjes13, § 18 UStG Rz. 58 ff. 3 Zu Einzelheiten BMF v. 3.12.2009, BStBl. I 2009, 1520, Tz. 31 ff.
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B. Außensteuerrecht III. Verkehrsteuern kehrsteuern, 17. Aufl. Berlin 2011, RutemÇller, Die Umsatz- und grunderwerbsteuerliche Behandlung von GrundstÅcksumstzen, Hamburg 2011; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1017 ff.
a) Erwerbsvorgnge Die in § 1 Abs. 1 GrEStG aufgefÅhrten Erwerbsvorgnge unterliegen der GrESt1 nur dann, wenn sie sich auf inlndische GrundstÅcke beziehen.2 Damit gilt uneingeschrnkt das grundstÅcksbezogene Territorialittsprinzip. Wo hingegen das Erwerbsgeschft abgeschlossen worden ist, spielt keine Rolle. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob an dem Erwerbsgeschft In- oder Auslnder beteiligt sind.3 Einen Auslandsbezug weisen allerdings die Tatbestnde des § 1 Abs. 2a, 3 GrEStG auf, wonach die nderung des Gesellschafterbestands auch einer grundbesitzenden auslndischen Personengesellschaft und die Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung einer grundbesitzenden auslndischen Personen- oder Kapitalgesellschaft eine Grunderwerbsteuer auslÇsen.
13.137
Folgende Erwerbsvorgnge sind von Bedeutung: – Verpflichtungsgeschft, als ein Rechtsgeschft, das einen Anspruch auf GrundstÅcksÅbereignung begrÅndet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG),4 – Auflassung, soweit ihr kein Verpflichtungsgeschft vorausgegangen ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG), – EigentumsÅbergang, soweit ihm kein Verpflichtungsgeschft vorausgegangen ist und es auch keiner Auflassung bedarf (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG),5 – Meistgebot im Zwangsversteigerungsverfahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG),6 – bestimmte Zwischengeschfte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5-7 GrEStG), – Verschaffung der Verwertungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 GrEStG), dem eigentlichen Grundtatbestand,7
13.138
1 Als Steuer auf die Einkommensverwendung/Verbrauchsteuer) kann es zu einer Kumulation von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer kommen; zur europarechtlichen Unbedenkichkeit im Hinblick auf Art. 401 MwStSystRL EuGH v. 8.7.1986 – Rs. C-73/85 – Kerrutt, EuGHE 1986, 2219; BFH v. 2.4.2008 – II R 53/06, BStBl. II 2009, 544. 2 Viskorf in Boruttau17, § 2 GrEStG Rz. 21; Hofmann/Hofmann10, § 2 GrEStG Rz. 3. 3 Viskorf in Boruttau17, § 2 GrEStG Rz. 23. 4 Die hiermit verbundene frÅhzeitige Erhebung der Grunderwerbsteuer und die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts fÅr Zwecke der Grundbucheintragung (§ 22 GrEStG) dient der Sicherstellung der Steuer. 5 Z.B. Eigentumserwerb durch Erbgang (steuerfrei gem. § 3 Nr. 2 GrEStG), bei Umwandlung (ggf. steuerfrei gem. § 6a GrEStG) oder bei Anwachsung (ggf. teilweise steuerfrei gem. § 6 Abs. 2 GrEStG). 6 Diese frÅhzeitige SteueranknÅpfung dient der Sicherstellung. 7 Englisch in T/L21, § 18 Rz. 5.
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– nderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft (§ 1 Abs. 2a GrEStG), wonach in den Fllen, in denen mindestens 95 % der Anteile innerhalb eines Zeitraums von fÅnf Jahren auf neue Gesellschafter Åbergehen, einen auf die bereignung des GrundstÅcks gerichtetes Rechtsgeschft auf eine neue Personengesellschaft fingiert wird (hierzu s. Rz. 18.3 ff.), – Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung, wenn mindestens 95 % der Anteile in der grundbesitzenden Gesellschaft in einer Hand vereinigt wÅrden oder aber Åbergehen (§ 1 Abs. 3, 3a GrEStG; hierzu s. Rz. 18.14 ff.). b) nderungen im Gesellschafterbestand einer Personengesellschaft
13.139 Gehen mindestens 95 % der Anteile an einer grundstÅcksbesitzenden Personengesellschaft innerhalb eines Zeitraums von fÅnf Jahren auf neue Gesellschafter Åber, fingiert § 1 Abs. 2a GrEStG ein auf die bereignung des GrundstÅcks gerichtetes Rechtsgeschft auf eine neue Personengesellschaft. Erfasst werden unmittelbare und mittelbare Vernderungen im Gesellschafterbestand an in- und auslndischen Personengesellschaften gleichermaßen.1 Bei nach auslndischem Recht errichteten Gesellschaften erfolgt hierbei die Qualifikation als Personengesellschaft im Rahmen eines Typenvergleichs.2 Neben der unmittelbaren wird auch die mittelbare nderung des Gesellschafterbestandes einer grundbesitzenden inoder auslndischen Personengesellschaft erfasst.3 Angesprochen ist damit u.a. auch der Gesellschafterwechsel bei mehrstÇckigen Personengesellschaften, und zwar auch dann, wenn der Gesellschafterwechsel in einer hÇheren Stufe einer auslndischen Personengesellschaft erfolgt. In diesen Fllen ist die Erhebung der Steuer allerdings strukturell schwierig.4
1 Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 831. 2 Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 831; vgl. zum Typenvergleich Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.7; 6.14; vgl. zur nach US-amerikanischem Recht errichteten LLC: BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; BMF v. 16.4.2010, BStBl. I, 2010, 354, Tz. 1.2. 3 Zur Berechnung der 95-%-Grenze in diesen Fllen gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561; BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, BStBl. II 2013, 833; hierzu Pahlke5, § 1 GrEStG Rz. 299 ff.; Behrens, Ubg 2013, 434 ff.; mit Wirkung ab 7.6.2013 gilt § 1 Abs. 3a GrEStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG, der u.a. gegen sog. RETT-Blocker-Strukturen (RETT-Blocker – Real Estate Transfer TaxBlocker) gerichtet ist (§ 23 Abs. 11 GrEStG); vgl. auch gleich lautende Lndererlasse v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1364; hierzu Wagner/Lieber, DB 2013, 1387 ff.; Fleischer, StuB 2014, 218 ff. 4 Micker, DStZ 2009, 285 (290).
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c) Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung § 1 Abs. 3 GrEStG erfasst die Anteilsvereinigung und die AnteilsÅbertragung, und zwar – die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 GrEStG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG) – die weitere bertragung von mindestens 95 % der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG), und – die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile einer grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand eines Konzerns bzw. Organkreises (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 GrEStG).
13.140
Erfasst wird nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Anteilsvereinigung1 und AnteilsÅbertragung, und zwar sowohl bei inlndischen als auch bei auslndischen Gesellschaftern.2 Im Hinblick darauf hat im Grunderwerbsteuerrecht die internationale Organschaft Bedeutung erlangt mit der Folge, dass z.B. auch Anteilsverschiebungen auf einer im Ausland angesiedelten hÇheren Konzernstufe im Inland Grunderwerbsteuer auslÇsen kÇnnen.3
13.141
d) Steuerbefreiungen Im Zusammenhang mit nderungen im Gesellschafterbestand an in- und auslndischen Personengesellschaften (§ 1 Abs. 2a GrEStG) und der Anteilsvereinigung und AnteilsÅbertragung bei in- und auslndischen Gesellschaften, insbesondere Kapitalgesellschaften (§ 1 Abs. 3 GrEStG) haben die in den §§ 5, 6 und 6a GrEStG verankerten Steuerbefreiungen besondere Bedeutung. Die §§ 5 und 6 GrEStG betreffen bertragungsvorgnge vom Gesellschafter auf eine Personengesellschaft (Gesamthand) und umgekehrt sowie von einer Personengesellschaft (Gesamthand) auf eine andere Personengesellschaft (Gesamthand). Die Steuerbefreiung tritt hiebei in dem Umfang nicht ein, in dem der Gesellschafter am VermÇgen beteiligt ist. Die §§ 5 und 6 GrEStG sind auch bei auslndischen Personengesellschaften anwendbar, soweit diese als Gesamthandsgemein-
1 Die maßgebliche Beteiligungsquote von 95 % muss auf jeder Beteiligungsstufe erfÅllt sein; vgl. BFH v. 25.8.2010 – II R 65/08, BStBl. II 2011, 225; mit Wirkung ab 7.6.2013 gilt § 1 Abs. 3a GrEStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG, der gegen sog. RETT-Blocker-Strukturen gerichtet ist und nunmehr bei unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen eine Durchrechnung verlangt (§ 23 Abs. 11 GrEStG); vgl. hierzu Wagner/Lieber, DB 2013, 1387 ff.; Tiede, StuB 2014, 765 ff. 2 BFH v. 5.11.2002 – II R 23/00, BFH/NV 2003, 505; Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 931; Grotherr, BB 1994, 1972 (1973 ff.): 3 Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 1060; zu Problemen des Verwaltungsvollzugs Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Vorbemerkung Rz. 168; vgl. auch BFH v. 18.11.2005 – II B 23/05, BFH/NV 2006, 612, wonach kein normatives Vollzugsdefizit vorliegen soll.
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schaften qualifiziert werden kÇnnen.1 Die Steuerbefreiungen greifen nur dann ein, wenn die in §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 4, 5 GrEStG geregelten fÅnfjhrigen Behaltefristen erfÅllt sind. § 6a GrEStG enthlt ein Konzernprivileg, wonach unter § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1, Abs. 2, 2a, 3 oder 3a GrEStG fallende Rechtsvorgnge von der Steuer freigestellt werden, soweit diese auf Umwandlungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1-3 UmwG beruhen. Voraussetzung ist, dass an der Umwandlung ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem Unternehmen unmittelbar oder mittelbar abhngige Gesellschaften beteiligt sind. Die hiernach erforderliche Mindestbeteiligungsquote von 95 % muss fÅnf Jahre vor (Vorbehaltensfrist) und fÅnf Jahre nach dem Erwerbsvorgang (Nachbehaltensfrist) bestanden haben (§ 6a Satz 4 GrEStG). Diese Steuerbefreiung erfasst gleichermaßen in- und auslndische EU-/EWR-Rechtstrger (§ 6a Satz 2 GrEStG)2 und entsprechende Erwerbsvorgnge, welche auf Grundlage des Rechts eines EU- bzw. EWR-Staates vorgenommen worden sind.3 e) Steuerschuldner
13.143 Steuersubjekte und damit Steuerschuldner sind grundstzlich die am Erwerbsvorgang beteiligten Vertragsteile, also Erwerber und Verußerer (§ 13 GrEStG).4 Das gilt auch in den Fllen der bertragung von mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GrEStG). FÅhrt die bertragung der Anteile zu einer Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG), ist allein der Erwerber der Steuerschuldner (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG). Bei einer Anteilsvereinigung im Organkreis sind Steuerschuldner alle Organkreismitglieder, die zusammen als Ergebnis mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz halten (§ 13 Nr. 5 Buchst. b GrEStG).
IV. Verbrauchsteuern Literatur (Gesamtdarstellungen): Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg (Loseblatt); Bongartz/Schroer-Schallenberg, Verbrauchsteuer, 2. Aufl. MÅnchen 2011; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 17 Rz. 105 ff.; FÇrster, Die Verbrauchsteuern, Geschichte, Systematik, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben, Heidelberg 1989; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Kruse (Hrsg.), ZÇlle, Verbrauchsteuern, europisches Marktordnungsrecht, DStJG 11 (1988); MÅller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauch1 FinMin. Baden-WÅrttemberg v. 14.1.2010, DB 2010, 816. 2 Zu Einzelheiten insgesamt gleich lautende Lndererlasse v. 19.6.2012, BStBl. I 2012, 662; v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1375; vgl. hierzu auch die Anm. von Jorde/ Trinkhaus, Ubg 2012, 649 ff.; Behrens, DStR 2012, 2149 ff. 3 Ergnzende Klarstellung mit Wirkung ab 7.6.2013 (§ 23 Abs. 12 GrEStG). 4 Bei rechtsgeschftlichem Erwerb (§ 13 Nr. 1 GrEStG) besteht Gesamtschuldnerschaft.
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B. Außensteuerrecht IV. Verbrauchsteuern steuern, Berlin 1997; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1037 ff., 1103 ff.;
Die in Deutschland erhobenen Verbrauchsteuern werden nicht unmittelbar beim Verbraucher, sondern als indirekte Steuer beim Hersteller oder Hndler erhoben.1 Sie sind allerdings auf berwlzung ausgerichtet, sodass letztlich der Verbraucher als intendierter Steuertrger die Belastung zu tragen hat.2 Die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern sind in Orientierung an der Systemrichtlinie3 Åberwiegend harmonisiert. Hierzu gehÇren Branntweinsteuer (ab 1.1.2018 Alkoholsteuer), Schaumweinsteuer, Biersteuer, Energiesteuer, Stromsteuer und die Tabaksteuer. Nicht harmonisiert sind die Kaffeesteuer, Alkopopsteuer und die Kernbrennstoffsteuer.
13.144
Die vorgenannten Verbrauchsteuern (weitere Einzelheiten zu EnergieStG und TabStG Rz. 19.4 ff.) entstehen grundstzlich, sobald eine der folgenden Tatbestnde erfÅllt ist: – berfÅhrung der Erzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr, sofern sich keine Steuerbefreiung anschließt (vgl. § 143 Abs. 1 BranntwMonG/§ 18 Abs. 1 AlkStG), – Herstellung außerhalb des Steuerlagers zu gewerblichen Zwecken (vgl. § 143 Abs. 4 BranntwMonG/§§ 18 Abs. 4 AlkStG), – Einfuhr, soweit hierdurch die berfÅhrung in den steuerrechtlich freien Verkehr verbunden ist (vgl. § 147 Abs. 1 i.V.m. § 145 Abs. 1 BranntwMonG/§ 20 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 1 AlkStG).
13.145
Die Ausfuhr von Erzeugnissen fÅhrt dazu, dass eine BefÇrderung unter Steueraussetzung zu dem Zeitpunkt endet, zu dem die Erzeugnisse das Verbrauchsteuergebiet der EU verlassen (vgl. § 141 Abs. 3 BranntwMonG/§ 16 Abs. 3 Satz 2 AlkStG). Hieraus folgt, dass sodann die einschlgigen Zollvorschriften Anwendung finden (Art. 161 f. ZK).4 Solange die Erzeugnisse nicht in den steuerrechtlich freien Verkehr ÅberfÅhrt werden, besteht die MÇglichkeit, die Erzeugnisse unversteuert herzustellen, zu bearbeiten, zu lagern und zu befÇrdern. Mittels dieses Verfahrens der Steueraussetzung5 wird die Steuerentstehung aufgeschoben und mÇglichst nahe an den Zeitpunkt des tatschlichen Verbrauchs gelegt. Zugleich wird im grenzÅberschreitenden Warenverkehr durch das Steueraussetzungsverfahren auch das Bestimmungslandprinzip verwirklicht.
13.146
1 Englisch in T/L21, § 18 Rz. 109. 2 Hierzu Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 ff. (37 f.). 3 Richtlinie 2008/118/EG des Rates Åber das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG v. 16.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 9, 12. 4 Hierzu im berblick SchrÇer-Schallenberg in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht2, D 95 ff. 5 Vgl. § 5 EnergieStG; § 4 Nr. 2 TabStG; § 132 Nr. 2 BranntwMonG/§§ 4 ff. AlkStG; § 3 Nr. 2 SchaumweinStG; § 3 Nr. 2 BierStG; § 4 Nr. 2 KaffeeStG.
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.147 Es ist zu unterscheiden zwischen der Steueraussetzung im Steuerlager und der BefÇrderung unter Steueraussetzung. Die Steueraussetzung im Steuerlager erÇffnet die MÇglichkeit, die Ware unversteuert unter steuerlicher berwachung herzustellen, zu be- oder verarbeiten, zu lagern, zu empfangen oder zu versenden.1 Die Steueraussetzung im Steuerlager ist nur Steuerlagerinhabern mÇglich, die hierzu eine besondere Erlaubnis haben.2 Neben der Steueraussetzung im Steuerlager ist die Steueraussetzung bei BefÇrderung von besonderer Bedeutung. Soweit auf Versender- und Empfngerseite berechtigte Personen agieren, sind Lieferungen im Steuergebiet und innergemeinschaftliche WarenbefÇrderungen unversteuert mÇglich. BefÇrderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung im Steuergebiet betrifft solche von einem Steuerlager in ein anderes Steuerlager, in Betriebe von Verwendern oder zu sonstigen BegÅnstigten. Unter Steueraussetzung sind auch BefÇrderungen aus anderen in andere oder Åber andere Mitgliedstaaten mÇglich, wobei die begÅnstigte BefÇrderung endet, wenn die verbrauchsteuerpflichtigen Waren das Verbrauchsteuergebiet der EU verlassen haben.3
V. Hinzurechnungsbesteuerung Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zu §§ 7-14 AStG; Aigner, Hinzurechnungsbesteuerung und DBARecht, Wien 2004; Brhler, Controlled Foreign Companies-Rules, Frankfurt u.a. 2007, 16; Burwitz, Auslndische Konzernfinanzierunggesellschaften im Internationalen Steuerrecht, KÇln 2005; Dreßler, Gewinn- und VermÇgensverlagerungen in Niedrigsteuerlnder und ihre steuerliche berprÅfung, 4. Aufl. Neuwied/Kriftel/ Berlin 2007; Fischer/Kleineidam/Warneke, Internationale Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 5. Aufl. Berlin 2005, 115; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. MÅnchen 2009, Rz. 680 ff.; Große, Subpart F als Referenz fÅr die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, Frankfurt u.a. 2003; Haase, Die Hinzurechnungsbesteuerung, Herne 2009; Henkel, Hinzurechnungsbesteuerung, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 7.1 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 441 ff.; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2000, 405 ff.; KÇhler, Die Steuerpolitik der deutschen internationalen Unternehmen im Einflussbereich der Hinzurechnungsbesteuerung, Frankfurt 1994; Maier-Frischmuth, Internationale Unternehmensttigkeit und deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, Lohmar/KÇln 2003; Pitzal, Nicht- und Niedrigbesteuerung in Vorschriften des nationalen Außensteuerrechts und des Abkommensrecht, Baden-Baden 2008; Rasch, Die Ziele der neuen deutschen Hinzurechnungsbesteuerung, Weilerswist 2004; Rehfeld, Die Vereinbarkeit des Außensteuergesetzes mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 1 Vgl. etwa § 4 Abs. 1 BierStG; § 133 Abs. 1 BranntwMonG/§ 5 AlkStG, § 4 Abs. 1 SchaumweinStG; § 5 Abs. 1 TabStG. 2 Zu Einzelheiten SchrÇer-Schallenberg in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht2, D 17 ff. 3 Im berblick SchrÇer-Schallenberg in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht2, D 85 ff.
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B. Außensteuerrecht V. Hinzurechnungsbesteuerung Frankfurt u.a. 2008; Reith, Internationales Steuerrecht, MÅnchen 2004, 473 ff.; RÇdder, Hinzurechnungsbesteuerung – Praxisorientierte Analyse der aktuellen Rechtslage aus der Sicht eines deutschen international ttigen Konzerns, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne/Berlin 2011, 2041 ff.; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, MÅnchen 2007; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 10.1 ff.; Schmidtmann, Hinzurechnungsbesteuerung bei internationalen Umstrukturierungen, Berlin 2007; SchÇnfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europisches Gemeinschaftsrecht, KÇln 2005; von Waldthausen, Stuerlastgestaltung im Einflussbereich der erweiterten Hinzurechnungsbesteueurng im Außensteuergesetz, Lohmar/KÇln 1999.
Es gehÇrt zu den international tragenden Besteuerungsprinzipien, Kapitalgesellschaften als eigenstndige Steuersubjekte zu behandeln. Damit entfalten Kapitalgesellschaften in steuerlicher Hinsicht eine Abschirmwirkung. Im außensteuerlichen Kontext bedeutet diese Abschirmwirkung, dass Gewinne auslndischer Kapitalgesellschaften, an denen inlndische Anteilseigner beteiligt sind, solange der inlndischen Besteuerung entzogen sind, als AusschÅttungen unterbleiben. Diese Aufschub- bzw. Abschirmwirkung ist besonders signifikant in den Fllen, in denen aus steuerlichen Motiven Kapitalgesellschaften in Niedrigsteuerlndern (Basisgesellschaften) errichtet worden sind. Die Steuervorteile bleiben nmlich nur solange erhalten, wie die Gewinne dieser Gesellschaften thesauriert werden. Von der technischen Ausgestaltung her zielt die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) darauf ab, die Aufschub- bzw. Abschirmwirkung fÅr niedrig besteuerte sog. EinkÅnfte aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 AStG) durch eine AusschÅttungsfiktion zu beseitigen, wobei die sonst fÅr die Dividendenertrge vorgesehenen (partiellen) Steuerbefreiungen (vgl. §§ 3 Nr. 40 Buchst. d; 32d EStG, § 8b Abs. 1 KStG) nicht zur Anwendung kommen.1 Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass auf einer ersten Stufe die niedrig besteuerten EinkÅnfte der auslndischen Kapitalgesellschaft aus passivem Erwerb als eigene EinkÅnfte der unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigner behandelt werden (§ 7 Abs. 1 AStG).2 Auf der zweiten Stufe werden diese EinkÅnfte sodann in ausgeschÅttete Dividendenertrge umqualifiziert (§ 10 Abs. 2 AStG). Damit betrifft die Hinzurechnungsbesteuerung im Ergebnis die Einkommen-, KÇrperschaft- und ggf. die Gewerbesteuer.
13.148
Im Hinblick darauf, dass die Hinzurechnungsbesteuerung von ihrer teleologischen Ausrichtung her Normen zur Vermeidung von EinkÅnfteverlagerungen in Niedrigsteuerlnder umfasst,3 liegen damit den §§ 7–14
13.149
1 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.1 ff. 2 Vgl. den berblick bei SchÇnfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europisches Gemeinschaftsrecht, 138 ff. 3 Dem Gesetzgeber schwebte zwar eine Missbrauchsabwehrregelung vor; vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, vor §§ 7–14 AStG Rz. 21; Reiche in Haase2, § 7 AStG Rz. 1, die bloße Nierigbesteuerung (§ 8 Abs. 3 AStG) und das Vorliegen sog. EinkÅnfte aus passivem Erwerb (§ 8 Abs. 1 AStG) fÅhren aber noch nicht zu einer „unangemessenen Gestaltung“ (§ 42 Abs. 2 AO).
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Kapitel 13 Materielles Recht
AStG eine dem § 42 AO vergleichbare gesetzgeberische Wertung zugrunde.1 FÅr das Konkurrenzverhltnis gelten folgende Grundstze:2 – Zwar ergibt sich aus § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, dass einzelsteuerliche Umgehungsvorschriften vorgehen, das gilt aber nur, wenn die Tatbestandsvorausetzungen und die angeordneten Rechtsfolgen zumindest vergleichbar sind.3 Das ist bei § 42 AO einerseits und den §§ 7-14 AStG andererseits nicht der Fall, weil die Rechtsfolge des § 42 AO bereits bei der EinkÅnftezurechnung ansetzt und die EinkÅnfte von vornherein dem zurechnet, der sie bei unterstellter angemessener Gestaltung erzielt htte. DemgegenÅber behandeln die §§ 7-14 AStG die (auslndische) Zwischengesellschaft als EinkÅnfteerzielungssubjekt, sodass ihr die von ihr erzielten EinkÅnfte aus passivem Erwerb auch steuerlich zugerechnet werden und erst auf einer weiteren Stufe diese EinkÅnfte so besteuert werden, als htte die Zwischengesellschaft die von ihr erzielten und ihr zugerechneten EinkÅnfte zum frÅhestmÇglichen Zeitpunkt ausgeschÅttet. – Die Anwendung des § 42 AO setzt voraus, dass dessen Tatbestandsmerkmale smtlich erfÅllt sind. Das ist nicht der Fall, wenn – die Hinzurechnungsbesteuerung, auf die Gesamtdauer der Gestaltung gesehen, eine hÇhere inlndische Steuer auslÇst4 oder – die Unangemessenheit der Gestaltung ausschließlich auf Tatumstnden beruht, die nach § 8 AStG die EinkÅnfte einer Auslandsgesellschaft als ZwischeneinkÅnfte qualifizieren.5
13.150 Aus diesen Grundstzen ergibt sich, dass im Ergebnis § 42 AO durch die §§ 7-14 AStG verdrngt wird, soweit Åber das Erzielen von EinkÅnften aus passivem Erwerb hinaus keine weiteren Umstnde vorliegen, die die Einschaltung einer Auslandsgesellschaft als unangemessen – als Manipulation – erscheinen lassen.6 Die Anwendung des § 42 AO wird im Ergebnis auf sog. Briefkastengesellschaften ohne eigene Geschftsrume und ohne eigenes Personal beschrnkt und damit insoweit die Ausnahme sein.7 In-
1 Ein relevantes Konkurrenzverhltnis zu § 39 AO (Zurechnung von EinkÅnften) und § 41 AO (Scheingeschfte) ergibt sich nicht; hierzu Reiche in Haase2, § 7 AStG Rz. 10 f. 2 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50 zu § 42 AO a.F. 3 Die Einzelheiten sind umstritten, vgl DrÅen in T/K, vor § 42 AO Rz. 11 ff. 4 Vgl. BFH v. 12.7.1989 – I R 46/85, BStBl. II 1990, 113; BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 5 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 6 So im Ergebnis bei allerdings anderer BegrÅndung Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 8; Reiche in Haase2, § 7 AStG Rz. 13. 7 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.32; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung auslndischer Kapitalgesellschaften, 73 (202 ff.); Kraft, IStR 1993, 148 (153); Gosch in FS Reiß, 597 (602, 604 f.).
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B. Außensteuerrecht V. Hinzurechnungsbesteuerung
soweit ist auch ein Gleichlauf mit unionsrechtlichen Vorgaben gegeben,1 wonach nur rein kÅnstliche Gestaltungen durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht geschÅtzt sind.2 Der Grundtatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung umfasst drei Tatbestandsvoraussetzungen, nmlich die Beteiligung unbeschrnkt steuerpflichtiger Personen an einer auslndischen Kapitalgesellschaft zu mehr als der Hlfte, die EinkÅnfte aus passivem Erwerb und die Niedrigbesteuerung der auslndischen Kapitalgesellschaft (Zwischengesellschaft).
13.151
Die unbeschrnkte Steuerpflicht der an der Zwischengesellschaft beteiligten natÅrlichen oder juristischen Personen muss sowohl zum Ende des maßgeblichen Wirtschaftsjahres3 als auch zum Zeitpunkt des Zuflusses des Hinzurechnungsbetrages (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG), also unmittelbar nach Ablauf des maßgeblichen Wirtschaftsjahres der auslndischen Gesellschaft gegeben sein4. Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt ferner voraus, dass die unbeschrnkt Steuerpflichtigen, jedenfalls mit erweitert beschrnkt steuerpflichtigen Personen zusammen (§ 7 Abs. 2 AStG), zu mehr als der Hlfte an der Zwischengesellschaft beteiligt sind. Davon abweichend gilt fÅr Zwischengesellschaften, die ZwischeneinkÅnfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen, eine Sonderregelung (§ 7 Abs. 6, 6a AStG) wie folgt:
13.152
Betragen die den ZwischeneinkÅnften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegenden Bruttoertrge mehr als 10 % aber nicht mehr als 90 % der gesamten Bruttoertrge5 der auslndischen Zwischengesellschaft oder Åbersteigen die hiernach außer Ansatz zu lassenden Betrge insgesamt 80.000 Euro, so erfolgt insoweit eine Hinzurechnung zum unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigner, wenn dieser mindestens zu 1 % an der Zwischengesellschaft beteiligt ist (§ 7 Abs. 6 Satz 1 und 2 AStG). Betragen die den ZwischeneinkÅnften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegenden Bruttoertrge mehr als 90 %6 der gesamten Bruttoertrge der vorgenannten Art, so lÇst auch eine Beteiligung von weniger als 1 % die Hinzurechnungsfolge aus, es sei denn, die auslndische Gesellschaft ist bÇrsennotiert (§ 7 Abs. 6 Satz 3 AStG).
13.153
Die Hinzurechnungsbesteuerung greift nur ein, soweit die Zwischengesellschaft niedrig besteuerte EinkÅnfte aus passivem Erwerb erzielt. Das
13.154
1 2 3 4
EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. Vgl. § 8 Abs. 2 AStG. Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3, 21.2, 69. Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 9.3, 21.2, 69; § 10 AStG Rz. 156 ff. 5 Solleinnahmen ohne durchlaufende Posten und ohne gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer, vgl. BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 9.0.1; zu Einzelheiten Reiche in Haase2, § 7 AStG Rz. 120 f. 6 Ausschließlich oder fast ausschließlich; vgl. BFH v. 30.8.1995 – I R 77/94, BStBl. II 1996, 122; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 76.1.
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Kapitel 13 Materielles Recht
Gesetz enthlt allerdings nicht etwa einen Katalog der EinkÅnfte aus passivem Erwerb, sondern einen numerus clausus der EinkÅnfte aus aktiver Ttigkeit (§ 8 Abs. 1 AStG). Alle nicht ausdrÅcklich als EinkÅnfte aus aktiver Ttigkeit genannten EinkÅnfte sind also demnach solche aus passivem Erwerb. Soweit mehrere der in dem EinkÅnftekatalog aufgefÅhrten Ttigkeiten ausgeÅbt werden, sind diese, soweit sie in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, derjenigen Ttigkeit zuzuordnen, die das Geprge gibt.1 Hieraus folgt, dass fÅr die EinkÅnftequalifikation eine funktionale Betrachtungsweise geboten ist.2 Aufgrund dieser funktionalen Betrachtungsweise sind insbesondere EinkÅnfte aus Nebenttigkeiten denen der Hauptttigkeit zuzuordnen. So gehÇren etwa Zinsertrge fÅr die Anlage von Kapital eines Produktionsunternehmens, z.B. fÅr sptere Investitionen, sowie Zinsertrge fÅr die Stundung von Forderungen aus Lieferung von ProduktionsgÅtern zu den EinkÅnften aus aktiver Ttigkeit, obwohl Zinsertrge, isoliert betrachtet, zu den EinkÅnften aus passivem Erwerb zhlen. Als aktive EinkÅnfte werden aufgefÅhrt: – EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 AStG), – EinkÅnfte aus industrieller Ttigkeit (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 AStG), – EinkÅnfte aus Bank- und Versicherungsgeschften, soweit hierfÅr ein in kaufmnnischer Weise eingerichteter Betrieb unterhalten wird, es sei denn, es handelt sich Åberwiegend um konzerninterne Geschfte (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG),3 – EinkÅnfte aus Handelsttigkeit, soweit sie eigenstndig operierenden Handelsgesellschaften mit weit verzweigten Kundennetz zuzuordnen ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG),4 – EinkÅnfte aus Dienstleistungen, soweit diese tatschlich von den entsprechenden Dienstleistungsgesellschaften ausgefÅhrt werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG),5 – EinkÅnfte aus Vermietung und Verpachtung, wobei allerdings zumeist6 LizenzgebÅhren von Patentverwertungsgesellschaften ausgenommen sind7, – EinkÅnfte aus Finanzierungsttigkeit, soweit das Kapital ausschließlich bei fremden Dritten auf auslndischen Kapitalmrkten aufgenommen und entweder inlndischen Betrieben oder Betriebssttten oder im
1 BFH v. 16.5.1990 – I R 16/88, BStBl. II 1990, 1049; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.0.2. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 31 ff.; Vogt in BlÅmich, § 8 AStG Rz. 15; Gropp in Lademann, § 8 AStG Rz. 10; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.0.2. 3 Im Einzelnen hierzu Reiche in Haase2, § 8 AStG Rz. 31 ff. 4 Zu den nheren auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelten Ausnahmeregelungen im Einzelnen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.88 ff. 5 Zu Einzelheiten Reiche in Haase2, § 8 AStG Rz. 49 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.95 ff. 6 Ausnahme: eigene Forschungs- und Entwicklungsttigkeit. 7 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.102 ff.
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B. Außensteuerrecht V. Hinzurechnungsbesteuerung
Ausland belegenen aktiv ttigen Betrieben oder Betriebssttten zugefÅhrt wird (§ 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG), – GewinnausschÅttungen von Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG), – Beteiligungsverußerungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG)1, – Umwandlungsgewinne (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG)2. Soweit nach Maßgabe des vorstehenen EinkÅnftekatalogs die EinkÅnfte als passiv zu qualifizieren sind, enthlt § 8 Abs. 2 AStG fÅr EU-/EWR-Gesellschaften eine Ausnahmeregelung, soweit diese im EU-/EWR-Bereich einer tatschlichen wirtschaftlichen Ttigkeit nachgehen und zudem vonseiten der vorgenannten Staaten AuskÅnfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzufÅhren3.
13.155
Die Hinzurechnungsbesteuerung kommt schließlich nur in Betracht, wenn der Gesamtbetrag der EinkÅnfte aus passivem Erwerb der auslndischen Gesellschaft einer niedrigeren Besteuerung unterliegt. Dies ist allgemein der Fall, wenn die Belastung dieser EinkÅnfte durch Ertragsteuern4 weniger als 25 % betrgt, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit EinkÅnften aus anderen Quellen beruht (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AStG).
13.156
Als Rechtsfolge ergibt sich im Grundsatz, dass die niedrig besteuerten EinkÅnfte aus passivem Erwerb der auslndischen Kapitalgesellschaft (ZwischeneinkÅnfte) den unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigner nach Maßgabe seiner Beteiligung unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der auslndischen Gesellschaft als eigene EinkÅnfte zufließen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Die ZwischeneinkÅnfte sind hierbei in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG). Steuerliche VergÅnstigungen, die an die unbeschrnkte Steuerpflicht oder an das Bestehen eines inlndischen Betriebs oder einer inlndischen Betriebssttte anknÅpfen, bleiben allerdings ebenso außer Betracht wie bestimmte Vorschriften des EStG, des KStG und des UmwStG (§ 10 Abs. 3 Satz 4 AStG).5
13.157
In den Fllen eines mehrstufigen Beteiligungsaufbaus, in denen einer auslndischen Obergesellschaft eine oder mehrere Zwischengesellschaften nachgeschaltet sind, werden die ZwischeneinkÅnfte dieser Untergesell-
13.158
1 Zu den Ausnahmen Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 304.1 ff.; Reiche in Haase2, § 8 AStG Rz. 89 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.118 ff. 2 Zu den Besonderheiten Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 316.1 ff.; Reiche in Haase2, § 8 AStG Rz. 99 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.128 ff. 3 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.133 ff. 4 Das sind Steuern auf das Gesamteinkommen oder Teile des Einkommens; vgl. hierzu BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 8.3.1.2. 5 Zu Einzelheiten Intemann in Haase2, § 10 AStG Rz. 81 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.167 ff.
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Kapitel 13 Materielles Recht
schaften der vorgeschalteten Obergesellschaft zugerechnet (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die Zurechnung setzt auf der Ebene der auslndischen Obergesellschaft bei der Berechnung des Hinzurechnungsbetrages an.1 Die zuzurechnenden ZwischeneinkÅnfte der auslndischen Untergesellschaft gehÇren zu den dem Hinzurechnungsbetrag der auslndischen Obergesellschaft gem. § 10 Abs. 3 AStG zugrunde liegenden EinkÅnften. Diese Zurechnung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 AStG hat an erster Stelle unmittelbar nach Ermittlung der ZwischeneinkÅnfte zu erfolgen.2 (Zu Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit auslndischen Basisgesellschaften Rz. 15.214 ff.).
13.159 Bei der Ermittlung des beim unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigners anzusetzenden Hinzurechnungsbetrags sind die zugrunde liegenden ZwischeneinkÅnfte um die von der auslndischen Kapitalgesellschaft entrichteten außerbetrieblichen Steuern zu kÅrzen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AStG)3. Schließlich sind die ZwischeneinkÅnfte auch noch zu kÅrzen um bestimmte steuerfreie Beteiligungsverußerungsgewinne (§ 11 AStG) und um einen Verlustabzug (§ 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d EStG). Der sich so ergebende Hinzurechnungsbetrag ist nach Maßgabe der Beteiligung eines jeden einzelnen unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigners sodann als eigene EinkÅnfte anzusetzen4. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der betreffende Anteilseigner von dem ihm eingerumten Wahlrecht Gebrauch macht und statt des Steuerabzugs die Anrechnung der von der auslndischen Kapitalgesellschaft entrichteten Steuern begehrt (§ 12 Abs. 1 AStG). In diesem Fall ist der Hinzurechnungsbetrag um die anteiligen anrechenbaren Steuern zu erhÇhen (Aufstockungsbetrag). Der auf diese Weise ermittelte anzusetzende Hinzurechnungsbetrag wird steuerlich als Dividende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) angesetzt und entweder den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder den EinkÅnften aus Gewerbebetrieb, aus Landund Forstwirtschaft oder aus selbstndiger Arbeit zugeordnet, wenn die Beteiligung an der auslndischen Gesellschaft zu einem BetriebsvermÇgen gehÇrt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 AStG).
13.160 Auf den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag finden § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG (TeileinkÅnfteverfahren), 32d EStG (Abgeltungsteuer) sowie § 8b Abs. 1 KStG (Dividendenfreistellung) keine Anwendung, wodurch im Ergebnis sichergestellt wird, dass die betreffenden ZwischeneinkÅnfte auf das maßgebliche inlndische Ertragsteuerniveau angehoben 1 BFH v. 28.9.1988 – I R 91/87, BStBl. II 1989, 13. 2 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.160; zu Einzelheiten im Zusammenhang mit der Zurechnung von ZwischeneinkÅnften nachgeschalteter Untergesellschaften dort unter Rz. 10.217 ff. (Zu Pflichtverletzungen in Zusammenhang mit auslndischen Basisgesellschaften Rz. 15.214 ff.). 3 BegrÅndung: Der Hinzurechnungsbesteuerung kann nur der Betrag unterliegen, den die auslndische Gesellschaft gÅnstigstenfalls htte ausschÅtten kÇnnen. 4 Zum Ermittlungschema vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.160.
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B. Außensteuerrecht V. Hinzurechnungsbesteuerung
werden.1 Im Hinblick darauf, dass der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag als (fiktive) Einnahme zu qualifizieren ist, regelt § 10 Abs. 2 Satz 4 AStG, dass hierauf § 3c Abs. 2 EStG entsprechend zur Anwendung kommt2 mit der Folge, dass auf Gesellschafterebene anfallende Werbungskosten und Betriebsausgaben nur zu 60 % abzugsfhig sind,3 obwohl der Hinzurechnungsbetrag voll besteuert wird.4 Soweit der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag zu den EinkÅnften aus Gewerbebetrieb gehÇrt, unterliegt dieser im Grundsatz auch der Gewerbesteuer.5 Da der anzusetzende Hinzurechnungsbetrag aufgrund der teleologischen Ausrichtung der Hinzurechnungsbesteuerung als „Quasi-AusschÅttung“ (Dividende) zu qualifizieren ist,6 kommt die Anwendung der KÅrzungsvorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG in Betracht,7 die im Ergebnis allerdings nur im Falle der Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie8 entlastende Wirkung erzeugt (§ 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 GewStG).
13.161
Die fÅr den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag vorgenommene Qualifizierung als Dividende (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG) wirkt auch abkommensrechtlich (§ 20 Abs. 1 AStG). Hieraus folgt, dass Deutschland grundstzlich auch insoweit den anzusetzenden Hinzurechnungsbetrag nach Maßgabe der fÅr Dividenden geltenden Verteilungsnormen (Art. 10 OECD-MA) besteuern darf.9 Wird zu einem spteren Zeitpunkt seitens der auslndischen Kapitalgesellschaft tatschlich ausgeschÅttet, wird zwecks Vermeidung einer Doppelbelastung unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerbefreiung gewhrt (§ 3 Nr. 41 EStG). Eine etwa einbehaltene Kapitalertragsteuer kann gleichwohl angerechnet werden (§ 12 Abs. 3 AStG).
13.162
1 Zu Einzelheiten Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 187, 202. 2 Allerdings keine Anwendung auf Kapitalgesellschaften; zu Einzelheiten Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 208 ff.; Luckey in S/K/K, § 10 AStG Rz. 61; KÇhler/Haun, Ubg 2008, 73 (87). 3 Gegen BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 537 durch das JStG 2008 in das Gesetz eingefÅgt; vgl. zur Anwendung § 21 Abs. 17 Satz 1 AStG. 4 Das kann zu einer berbesteuerung fÅhren; hierzu Intemann in Haase2, § 10 AStG Rz. 58. 5 BFH v. 21.12.2005 – I R 4/05, BStBl. II 2006, 555; Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 186. 6 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. 2006, 537; BFH v. 11.2.2009 – I R 40/08, IStR 2009, 363. 7 Ruf/Wohlfahrt, Ubg 2009, 496 (497 f.); RÇdder, IStR 2009, 873 (876 f.) mit Hinweis auch auf die KÅrzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG; a.A. Wassermeyer/ SchÇnfeld in F/W/B/S, § 10 AStG Rz. 187; Intemann in Haase2, § 10 AStG Rz. 10. 8 RL Nr. 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 6 Åber das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten. 9 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.201.
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VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen Literatur: Kommentare zu § 15 AStG; Habammer, Der auslndische Trust im deutschen Ertrag- und Erbschaft-/Schenkungsteuerrecht, DStR 2002, 425; Helmert, Die Zurechnung nach § 15 AStG bei Verlusten, IStR 2005, 272; Hey, Hinzurechnungsbesteuerung bei auslndischen Familienstiftungen gem. § 15 AStG i.d.F. des JStG 2009 – europa- und verfassungswidrig!, IStR 2009, 181; JÅlicher, Zurechnung von Ertrgen und VermÇgen einer Auslandsstiftung nach § 15 AStG, PIStB 2002, 8; Kellersmann/ Schnitger, Europarechtliche Bedenken hinsichtlich der Besteuerung auslndischer Familienstiftungen, IStR 2005, 253; Kinzl, Nachfolgeplanung mit Familienstiftungen: § 15 AStG zwischen Hindernis und Europarechtswidrigkeit, IStR 2005, 264; Kirchhain, Die Familienstiftungen und ihrer BegÅnstigten in Deutschland, DB 2006, 414; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Herne 2010; von LÇwe, sterreichische Privatstiftung mit Stiftungsbeteiligten in Deutschland, IStR 2005, 578; Milatz/Herbst, Die Besteuerung der Destinatre einer auslndischen Familienstiftung, BB 2012, 1500; Opel, Steuerliche Behandlung von Familienstiftungen, Stiftern und BegÅnstigten in nationalen und internationalen Verhltnissen, ZÅrich 2009; Piltz, Die Çsterreichische Privatstiftung in der Nachfolgeplanung – fÅr Steuerinlnder tabu?, ZEV 2000, 378; Rehm/Nagler, Zurechnungsbesteuerung bei auslndischen Familienstiftungen (§ 15 AStG) und die Empfngerbenennung (§ 160 AO) auf dem PrÅfstand des Gemeinschaftsrechts, IStR 2009, 284; Richter/Wachter, Handbuch des internationalen Stiftungsrechts, Angelbachtal 2007; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 11.1, 3.13; SchÇnfeld, Probleme der neuen einheitlichen und gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen fÅr Zwecke der Anwendung des § 15 AStG (auslndische Familienstiftungen), IStR 2009, 16; Schulz, Die Besteuerung auslndischer Familienstiftungen nach dem Außensteuergesetz, Wiesbaden 2010; Seifert/von Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 4. Aufl. MÅnchen 2014; Wassermeyer, Die Zurechnung von EinkÅnften aus Kapital, DStJG 30 (2007), 257; Wassermeyer, Zurechnung negativen Einkommens nach § 15 AStG im Verfahren nach § 180 AO, IStR 2009, 72; Wassermeyer, Einkommenszurechnung nach § 15 AStG, IStR 2009, 191; Wienbracke, Die ertragsteuerliche Behandlung von Trusts nach nationalem und nach DBA-Recht, RIW 2007, 201.
13.163 Ebenso wie Kapitalgesellschaften werden auch Stiftungen als eigenstndige Steuersubjekte behandelt. Das gilt auch dann, wenn derartige Stiftungen VermÇgen lediglich im Interesse des Stifters oder der Destinatre halten. Soweit VermÇgen in auslndischen Familienstiftungen angelegt ist, entfalten diese gegenÅber der deutschen Besteuerung eine Abschottungswirkung mit der Folge, dass eine Besteuerung im Inland allenfalls dann ermÇglicht wird, wenn unbeschrnkt steuerpflichtigen Personen VermÇgen oder Einkommen zugewendet wird. § 15 AStG zielt auf die Besteuerung der den Familienstiftungen nahestehenden und unbeschrnkt steuerpflichtigen Personen ab.1 Die durch auslndische Familienstiftungen gegenÅber der deutschen Besteuerung verursachte Abschottungswirkung wird dadurch durchbrochen, dass EinkÅnfte2 und Ver1 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.1. 2 HierfÅr erfolgt eine gesonderte Feststellung gem. § 18 Abs. 4 AStG; so die Neureglung i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG).
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B. Außensteuerrecht VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen
mÇgen,1 dieser auslndischen Familienstiftungen unmittelbar dem unbeschrnkt steuerpflichtigen Stifter, Anfalls- oder Bezugsberechtigten zugerechnet werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Unter die Zurechnungsvorschrift des § 15 AStG fallen in erster Linie auslndische Familienstiftungen.2 Gem. § 15 Abs. 2 AStG sind Familienstiftungen Stiftungen, bei denen der Stifter, seine AngehÇrigen und deren AbkÇmmlinge zu mehr als der Hlfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind. Whrend Stifter derjenige ist, der die Stiftung errichtet und/oder dieser VermÇgen zugewendet hat,3 das dem Stiftungskapital zuwachsen soll, sind AngehÇrige die in § 15 AO und AbkÇmmlinge die in § 1589 BGB genannten Personen.
13.164
Bei der Frage, ob eine Bezugs- oder Anfallsberechtigung zu mehr als der Hlfte vorliegt, ist getrennt auf die Bezugs- oder die Anfallsberechtigung abzustellen,4 wobei jeweils die Barwerte der jeweiligen BezÅge bzw. des Anfalls5 die AusgangsgrÇße fÅr die Quotenbesteuerung bilden.6 (Zu Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit auslndischen Familienstiftungen Rz. 15.203 ff.).
13.165
Neben Familienstiftungen werden Åber § 15 Abs. 3 AStG auch Unternehmensstiftungen erfasst, soweit sie Åberwiegend den Stifter und/oder seine Gesellschafter, von ihm abhngige Gesellschaften, Mitglieder, Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte oder AngehÇrige dieser Personen begÅnstigen.7 Stifter selbst kann hiernach ein Unternehmer, Mitunternehmer sowie eine KÇrperschaft, Personenvereinigung oder VermÇgensmasse sein.
13.166
Schließlich werden auch sonstige ZweckvermÇgen und VermÇgensmassen wie Familienstiftungen behandelt (§ 15 Abs. 4 AStG). Voraussetzung
13.167
1 Die VermÇgensteuer wird nicht mehr erhoben, und fÅr die Erbschaftsteuer gilt § 15 AStG nicht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AStG). 2 Zum Typenvergleich BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457; Kraft in Kraft, § 15 AStG Rz. 302; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 47. 3 Oder fÅr dessen Rechnung VermÇgen Åbertragen wird; vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 85; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 42. 5 Das Einkommen der Stiftung ist unmaßgeblich. 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 85; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.3; modifizierend Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 43, die bei Anfallsberechtigten die bloße Addition der jeweiligen AnsprÅche auf das StiftungsvermÇgen bei AuflÇsung der Stiftung also ohne Abzinsung fÅr ausreichend halten; vgl. die bersicht der zum Teil stark divergierenden Literaturmeinungen Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 59. 7 Zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 101 ff.
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Kapitel 13 Materielles Recht
ist indessen, dass sie auch Stiftungscharakter haben, d.h., dass nach der Satzung Bezugs- und/oder Anfallsberechtigte vorgesehen sind.1 Damit werden von der Reichweite des § 15 AStG auch auslndische Trusts erfasst, und zwar ohne RÅcksicht darauf, ob es sich um rechtsfhige oder um nichtrechtsfhige Gebilde handelt; die wirtschaftliche Selbstndigkeit reicht aus.2 Voraussetzung ist allerdings, dass der Trust selbst EinkÅnfteerzielungssubjekt ist. Sog. revocable Trusts, bei denen der Errichter oder Treugeber (settlor, grantor) dem VermÇgensverwalter (trustee) VermÇgenswerte nur widerruflich zum Eigentum Åbertrgt, fÅhren nicht zur bertragung einer Einkunftsquelle: Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO sind die EinkÅnfte unverndert dem Treugeber zuzurechnen.3 Denkbar ist aber auch, dass der trustee das VermÇgen treuhnderisch fÅr die Anfalls- bzw. Bezugsberechtigten (beneficiaries) hlt mit der Folge, dass die EinkÅnfte unmittelbar diesem Personenkreis zuzurechnen sind.4 In diesem Fall greift § 15 AStG ebenfalls nicht ein. Erfasst wird lediglich der sog. irrevocable Trust, bei dem der settlor dem trustee die WirtschaftsgÅter endgÅltig zu Eigentum Åbertrgt, ohne dass der settlor oder die beneficiaries als wirtschaftliche EigentÅmer des TrustvermÇgens anzusehen sind. In diesem Fall besteht lediglich eine treuhnderische Bindung des trustees gegenÅber dem Trust, die ihre Grundlage in einem Vertrag zugunsten Dritter zwischen dem settlor und dem trustee hat. Hieraus folgt, dass die EinkÅnfte des Trusts als VermÇgensmasse gem. § 15 Abs. 4 AStG der Zurechnung (§ 15 Abs. 1 AStG) unterliegt.5
13.168 Aus der Zurechnung von EinkÅnften folgt, dass die Ermittlung der EinkÅnfte6 auf der Stufe der auslndischen Familienstiftung vorzunehmen ist, sodass allein deren Verhltnisse maßgeblich sind.7 Die zurechnungspflichtigen EinkÅnfte sind hierbei nach den Vorschriften des KStG und des EStG zu ermitteln (§ 8 Abs. 1 KStG), allerdings mit der Maßgabe, dass in Anwendung von § 10 Abs. 3 AStG bestimmte Steuerbefreiungen (z.B. 1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 126; Rundshagen in S/K/K, § 15 AStG Rz. 70; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 122. 2 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727. 3 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; vgl. auch BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 124; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.14; . 4 Das setzt voraus, dass sich der settlor des VermÇgens endgÅltig begeben hat und die beneficiaries als wirtschaftliche EigentÅmer des TrustvermÇgens anzusehen sind; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 5 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 123; Bredow, WIB 1995, 775 (780); Seibold, IStR 1993, 545 ff. 6 Zu ermitteln nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts (§ 15 Abs. 7 Satz 1 AStG). 7 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 8.4.2009 – I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437; Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 34; von LÇwe, IStR 2005, 578; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.1.1.
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B. Außensteuerrecht VI. Zurechnungsbesteuerung bei Familienstiftungen
§ 8 Abs. 1 und 2 KStG) unberÅcksichtigt bleiben (§ 15 Abs. 7 AStG).1 Zu den EinkÅnften der auslndischen Familienstiftung gehÇren auch die ZwischeneinkÅnfte nachgeschalteter Zwischengesellschaften und in Drittstaaten ansssiger Stiftungen (§ 15 Abs. 9 und 10 AStG).2 Im Ergebnis werden damit die Regelungen der §§ 7-14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung) insoweit auf § 15 AStG ausgedehnt. Die Zurechnung erfasst allerdings keine negativen EinkÅnfte (§ 15 Abs. 7 Satz 2 AStG). Zulssig ist lediglich ein VerlustrÅck- oder Verlustvortrag gem. § 10d EStG (§ 15 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG). Die Zurechnung erfolgt in erster Linie bei dem unbeschrnkt steuerpflichtigen Stifter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AStG). Scheidet eine Zurechnung hiernach aus, werden EinkÅnfte und VermÇgen der auslndischen Familienstiftung bei den unbeschrnkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten entsprechend ihrem Anteil zugerechnet (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AStG). Bezugs- und Anfallsberechtigter kann nur sein, wer gegenÅber der Stiftung einen Rechtsanspruch oder jedenfalls eine rechtliche Anwartschaft hat.3 Die zuzurechnenden EinkÅnfte sind bei den vorgenannten (natÅrlichen) Personen EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG), soweit sie nicht zu den EinkÅnften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbstndiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehÇren (§ 15 Abs. 8 Stze 1 und 2 Halbs. 1 AStG).4 Hierbei kommt auch das TeileinkÅnfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) sowie die abgeltende Besteuerung (§ 32d EStG) zur Anwendung (§ 15 Abs. Satz 2 Halbs. 2 AStG).5 FÅr der KÇrperschaftsteuer unterworfenen (juristischen) Personen greift die Freistellung gem. § 8b Abs. 1 und 2 KStG ein (§ 15 Abs. 8 Satz 3 AStG).6
13.169
Erfolgen tatschliche Zuwendungen unterbleibt eine Besteuerung beim Stifter und/oder bei den Bezugs- oder Anfallsberechtigten, soweit die zugrunde liegenden EinkÅnfte bereits zugerechnet worden sind (§ 15 Abs. 8 Satz 3 AStG).7
13.170
1 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 2 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 49 ff.; Vogt in BlÅmich, § 15 AStG Rz. 14; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 50; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.26; a.A. BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98 BFH/NV 2001, 1457; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1, wonach es fÅr die Berechtigung ausreicht, dass die Zuwendung tatschlich erfolgt oder nach den Umstnden zu erwarten ist. 4 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 5 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 6 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 7 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab VZ 2013 (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG).
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VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zu § 8 Abs. 3 KStG, § 1 AStG und zu Art. 7 Abs. 2 und Art. 9 OECDMA; Andresen, Konzernverrechnungspreise fÅr multinationale Unternehmen, Hamburg 2000; Bauer, Neuausrichtung der internationalen Einkunftsabgrenzung im Steuerrecht, Berlin 2004; Baumhoff, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, 3.1 ff.; Baumhoff/BodenmÅller, Die Besteuerung grenzÅberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; BodenmÅller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen im Ausland, DÅsseldorf 2004; Borstell, Verrechnungspreispolitik bei konzerninternen Lieferungsbeziehungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 519; Brndel, Verrechnungspreise bei grenzÅberschreitender Lizenzierung von Marken im Konzern, Berlin 2010; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DÅsseldorf 2009; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebssttten: Ableitung einer rechtsformneutralen Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes im internationalen Steuerrecht, Berlin 2004; Eisele, GrenzÅberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen in Schaumburg/RÇdder (Hrsg.), Unternehmenssteuerreform 2008, KÇln 2007, 541; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 549 ff., 1078 ff.; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Kaminski, Umlagen bei konzerninternen Dienstleistungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 693; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, GÇttingen 2008; Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, KÇln (Loseblatt); Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg 2009; Kurzewitz, Die Bestimmung von Verrechnungspreisbandbreiten als Problem der internationalen Doppelbesteuerung in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 635; Liebchen, Beteiligungen an auslndischen Personengesellschaften: Steuerliche Gewinnermittlung und Einkunftsabgrenzung, Berlin 2008; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, MÅnchen 2000; Raupach/Pohl/Ditz (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts 2010, Herne/Berlin 2010; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 18.1 ff.; Schein, Verrechnungspreismethoden fÅr den datennetzgeschÅtzten Geschftsverkehr zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften, MÅnchen 2005; Schuch, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; VÇgele/Borstell/Engler, Handbuch der Verrechnungspreise, 3. Aufl. MÅnchen 2011, Rasch, Konzernverrechnungspreise in nationalen, bilateralen und europischen Steuerrecht, KÇln 2001; Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, Berlin 2003; Wehner, Verrechnungspreise, Bonn 2003; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmenssteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Ziehr, EinkÅnftezurechnung im internationalen Einheitsunternehmen, Lohmar 2008.
13.171 Das Internationale Steuerrecht verlangt innerhalb einer jeden Einkunftsart eine Abgrenzung zwischen in- und auslndischen EinkÅnften. Die Zuord570
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
nung zu auslndischen EinkÅnften ist fÅr unbeschrnkt steuerpflichtige Personen im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (z.B. §§ 34c und 34d EStG) erforderlich. DemgegenÅber knÅpft die beschrnkte Steuerpflicht nur an inlndische EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) an. Diese internationale EinkÅnftezuordnung (EinkÅnfteabgrenzung) erfolgt entweder bei ein und demselben Steuerpflichtigen – etwa bei der Ausgrenzung von Betriebsstttengewinnen aus dem Gesamtgewinn des Stammhauses fÅr Zwecke des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und der Steuerentstrickung und Steuerverstrickung gem. § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 und 8 EStG sowie gem. § 1 Abs. 4, 5 AStG1 – oder bei verschiedenen Steuersubjekten. Die EinkÅnfteabgrenzung zwischen verschiedenen Steuersubjekten fÅhrt hierbei nicht selten zu einer EinkÅnftekorrektur nach den Regeln der verdeckten GewinnausschÅttung (§ 8 Abs. 3 Satz 1 KStG), der verdeckten Einlage (§ 8 Abs. 1 Satz 3 KStG) oder gem. § 1 Abs. 1-3 AStG.2 Einkunftsartenzuordnung, EinkÅnfteermittlung und subjektive EinkÅnftezuordnung des Einkommensteuerrechts finden ihre Parallele auch in DBA. Dort geht es vor allem um die Zuordnung der EinkÅnfte zu den einzelnen Verteilungsnormen. Whrend hierfÅr die DBA weitgehend eigenstndige Regelungen vorsehen, wird fÅr Zwecke der subjektiven EinkÅnftezuordnung und der EinkÅnfteermittlung durchweg auf das jeweilige innerstaatliche Recht verwiesen.3
13.172
Die EinkÅnfteabgrenzung nach Maßgabe des nationalen Rechts und des Abkommensrechts betrifft ferner das grenzÅberschreitende Verhltnis zwischen in- oder auslndischen Betriebssttten und dem in- oder auslndischen Stammhaus. Als Stammhaus im vorgenannten Sinne kommen neben natÅrlichen Personen als Einzelunternehmer und Kapitalgesellschaften auch Personengesellschaften in Betracht. Soweit es um die EinkÅnfteabgrenzung verschiedener Steuersubjekte geht, sind insbesondere angesprochen die grenzÅberschreitende Beziehungen zwischen in- und auslndischen Kapitalgesellschaften und ihren in- oder auslndischen Gesellschaftern sowie entsprechend fÅr Personengesellschaften, die gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG (ab 2013)4 den Kapitalgesellschaften gleichgestellt sind5.
13.173
1 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG; hierzu s. Rz. 13.185 ff. 2 Erfasst werden neben Kapitalgesellschaften gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG auch Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften); da § 1 Abs. 1–3 AStG in der Praxis vor allem Kapitalgesellschaften betrifft, wird er unter Rz. 13.201 ff. in entsprechendem Zusammenhang erlutert. 3 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 1 OECD-MA Rz. 49; Vor 6–22 OECD-MA Rz. 55 ff.; Prokisch in V/L5, Art. 1 OECD-MA Rz. 104. 4 § 21 Abs. 20 Satz 1 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG; soweit es um die Qualifikation als nahestehende Person geht, findet die Neuregelung auf alle noch nicht bestandskrftigen Veranlagungen Anwendung § 21 Abs. 20 Satz 2 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG). 5 FÅr vorangehende VZ ist auf die Mitunternehmer (Gesellschafter) abzustellen; hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 218; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 65; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.109.
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Kapitel 13 Materielles Recht
1. EinkÅnfteabgrenzung bei Betriebssttten Literatur (ab 2000): Kommentare zu § 1 Abs. 4 und 5 AStG und zu Art. 7 Abs. 1, 2 OECD-MA; Bendlinger, Die ertragsteuerliche Ergebnisaufteilung zwischen inlndischem Stammhaus und auslndischer Betriebssttte – Besonderheiten bei internationalen Anlagenerrichtungen, in Lang/Jirousek (Hrsg.), Praxis des Internationalen Steuerrechts, FS fÅr Loukota, Wien 2005, 69; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebssttten, Berlin 2004; Haiß, Gewinnabgrenzung bei Betriebssttten im Internationalen Steuerrecht, Neuwied/Kriftel 2000; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 667 ff.; LÇwenstein/Looks/Heinsen, Betriebsstttenbesteuerung, 2. Aufl. MÅnchen 2011; Nowotny, Betriebsstttengewinnermittlung, Wien 2004; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstttenbesteuerung, KÇln 2001; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 18.9 ff.; Strunk, Betriebsstttengewinnabgrenzung, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, KÇln 2012, Rz. 4.1 ff.; Wassermeyer/Andresen/ Ditz, Betriebssttten-Handbuch, KÇln 2006. Literatur zum neuen Recht (AOA): Andresen/Busch, Betriebssttten-EinkÅnfteabgrenzung: Steuerliche Untiefen bei der Transformierung des Authorised OECD Approaches in nationales Recht, Ubg 2012, 451; Busch, Fiktive Transaktionen im Authorised OECD Approach, BB 2012, 2281; Ditz in SchÇnfeld/Ditz, DBA Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 20 ff.; Ditz, Betriebsstttengewinnabgrenzung nach dem „Authorised OECD Approach“ – Eine kritische Analyse, ISR 2012, 48; Greier/Persch, Auswirkungen der nderung des Art. OECD-MA auf die Gewinnabgrenzung bei Baubetriebssttten, BB 2012, 1318; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorised OECD Approach“ (AOA) fÅr die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010), Rz. 370 ff.; Kaeser, Betriebsstttenvorbehalte und AOA: “Der Begriff der tatschlichen ZugehÇrigkeit“ nach dem OECD-MK 2010, ISR 2012, 63; Kahle, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstten nach dem Authorised OECD Approach, in LÅdicke/MÇssner/Hummel (Hrsg.), Das Steuerrecht der Unternehmen, FS fÅr Frotscher, Freiburg 2013, 287; Kahle/MÇdinger, Betriebsstttenbesteuerung: Zur Anwendung und Umsetzung des Authorised OECD Approach, DStZ 2012, 802; Kroppen, der „Authorised OECD Approach“ zur Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebssttte in Kessler/FÇrster Watrin (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung, FS fÅr Herzig, MÅnchen 2010, 1071; Schaumburg, GrenzÅberschreitende EinkÅnftekorrektur bei Betriebsttten, ISR 2013, 197 ff.; Schnitger, nderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013, IStR 2012, 633; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Staaten, IStR 2012, 277; Wilke, Die geplanten nderungen in § 1 AStG, IWB 2012, 271.
13.174 Das Erfordernis der EinkÅnfteabgrenzung bei Betriebssttten besteht – allerdings mit unterschiedlichem Funktionsgehalt – sowohl auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts als auch auf der des Abkommensrechts. Entsprechendes gilt fÅr die internationale VermÇgenszuordnung, die nach gleichen Kriterien erfolgt.1
1 Andresen in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 2.36 ff.
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
Im innerstaatlichen Recht sind BetriebssttteneinkÅnfte fÅr Zwecke der Einkommen- und KÇrperschaftsteuer AnknÅpfungsmerkmale einerseits fÅr die beschrnkte Steuerpflicht1 und andererseits fÅr unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung2 sowie fÅr die Verlustausgleichsbeschrnkungen gem. § 2a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG und fÅr die Entstrickung und Verstrickung gem. § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 und 8 EStG sowie fÅr die EinkÅnfteabgrenzung gem. § 1 Abs. 4, 5 AStG.
13.175
DarÅber hinaus verlangt auch das Gewerbesteuergesetz die Ermittlung von BetriebssttteneinkÅnften: Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Der auf eine Auslandsbetriebssttte entfallende Gewinn ist damit nicht der Gewerbesteuer ausgesetzt (KÅrzung gem. § 9 Nr. 3 GewStG).
13.176
Im Abkommensrecht dagegen sind BetriebssttteneinkÅnfte Kriterium fÅr das Besteuerungsrecht des einen oder anderen Vertragsstaates (Art. 7 OECD-MA). Trotz dieser Funktionsunterschiede der BetriebssttteneinkÅnfte sind die Regeln Åber die EinkÅnftezuordnung im Grundsatz identisch: Auf beiden Ebenen geht es gleichermaßen darum, der Betriebssttte diejenigen EinkÅnfte zuzuordnen, die sie im Rahmen des Gesamtunternehmens erwirtschaftet hat.3 Die EinkÅnftezuordnung bezieht sich insoweit also stets nur auf verschiedene Unternehmensteile ein und desselben Steuerpflichtigen.
13.177
Im Abkommensrecht erfhrt die EinkÅnftezuordnung eine unmittelbare Regelung: In Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA ist das Veranlassungsprinzip verankert. Danach kÇnnen im Betriebsstttenstaat die Gewinne besteuert werden „nur insoweit, als sie dieser Betriebssttte zugerechnet werden kÇnnen“. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 enthlt sodann in Ausformung des vorgenannten Grundsatzes die sog. Dealing-at-arm‘s-length-Klausel (Drittvergleich). Hiernach sind der Betriebssttte die Gewinne zuzuordnen, die sie htte erzielen kÇnnen, wenn sie eine gleiche oder hnliche Ttigkeit unter gleichen oder hnlichen Bedingungen als selbstndiges Unternehmen ausgeÅbt htte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebssttte sie ist, vÇllig unabhngig gewesen wre.4
13.178
1 §§ 1 Abs. 4; 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; §§ 2 Nr. 1; 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (EinkÅnfte einer inlndischen Betriebssttte). 2 §§ 34c; 34d Nr. 2 Buchst. a EStG; § 26 Abs. 1 und 6 KStG (EinkÅnfte einer auslndischen Betriebssttte). 3 BFH v. 29.1.1964 – I 153/61 S, BStBl. III 1964, 165; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.12; Debatin, DB 1989, 1692 ff., 1739 (1740), der insoweit von einem Erwirtschaftungsprinzip spricht, das hier i.S. des Veranlassungsprinzips zu verstehen ist; hnlich Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 3.15, 3.19, mit einem berblick Åber den Meinungsstand in Rz. 3.10. 4 Zu Art. 7 Abs. 2 OECD 2010, dem bislang nur wenige deutsche DBA entsprechen, Rz. 13.184.
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.179 FÅr die EinkÅnftezuordnung bei Betriebssttten bedient sich die internationale Praxis (bislang) der direkten und der indirekten Methode. Bei der direkten Methode werden die EinkÅnfte der Betriebssttte regelmßig aufgrund einer eigenstndigen BetriebsstttenbuchfÅhrung oder, soweit eine derartige BuchfÅhrung nicht vorliegt, im Schtzungswege so zugeordnet, wie sie sich aufgrund einer eigenen BuchfÅhrung ergeben htten.1 Die direkte Methode orientiert sich an der insbesondere durch das bislang geltende Abkommensrecht vorgegebenen (eingeschrnkten) Selbstndigkeitsfiktion2 der Betriebssttte (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008) und baut auf der fiktiven Trennung zwischen Betriebssttte einerseits und Stammhaus andererseits auf.3 DemgegenÅber geht die indirekte Methode von den gesamten EinkÅnften des ganzen Unternehmens aus, um diese dann nach Maßgabe bestimmter SchlÅssel – etwa nach Umsatz, Lohnsumme, Materialaufwendungen oder Prmieneinnahmen –4 auf Stammhaus und Betriebssttte aufzuteilen (Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008).
13.180 Die fÅr die direkte Methode maßgebliche abkommensrechtliche Selbstndigkeitsfiktion der Betriebssttte (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008) hat nur Bedeutung fÅr die EinkÅnftezuordnung, nicht aber fÅr die EinkÅnfteermittlung.5 Das Trennungsprinzip fÅhrt insoweit also nicht dazu, dass Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebssttte zu einer Gewinnrealisierung fÅhren. Da zwischen Betriebssttte und Stammhaus keine schuldrechtlichen Beziehungen bestehen kÇnnen, sind dennoch abgeschlossene „Vertrge“ In-sich-Geschfte und deshalb steuerrechtlich unbeachtlich,6 soweit das jeweilige nationale Recht nicht ausdrÅcklich eine Gewinnrealisierung auch bei bloßen Innentransaktionen vorschreibt.7
1 Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 101 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 189; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 133. 2 Gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA in der Neufassung 2010 gilt dagegen die uneingeschrnkte Selbstndigkeitsfiktion; vgl. OECD, Report on the Transfer Pricing Aspects of Business Restructurings – Chapter IX of the Transfer Pricing Guidelines, Paris 2010. 3 Roth in H/H/R, § 49 EStG Rz. 250; Debatin, DB 1989, 1692 (1696), 1739 ff. 4 Hierzu im Einzelnen Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 104 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 191; nach neuem Recht (OECD-MA 2010) ist die indirekte Methode nur noch in engen Grenzen zulssig; Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 419. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 185; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18–25; Ditz, IStR 2005, 37 (40 ff.). 6 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 12.1; Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 89 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 174, 185; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 1.2.3; Andresen in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 2.163. 7 Vgl. etwa § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG sowie § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG fÅr Wirtschaftsjahre, die nach dem 21.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG).
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
Soweit keine Rechtsgrundlage gegeben ist, bieten Innentransaktionen lediglich AnknÅpfungsmerkmale fÅr die Aufteilung der EinkÅnfte zwischen Stammhaus und Betriebssttte in den Fllen, in denen etwa durch (sptere) Verußerung Åbertragener WirtschaftsgÅter seitens der Betriebssttte ein Gewinn entstanden ist.1
13.181
Im Rahmen der direkten Methode verwirklicht sich die EinkÅnftezuordnung – getrennte Zuordnung von Aufwendungen und Ertrgen – durch das Veranlassungsprinzip,2 das sich mit Blick auf die Ertragszuordnung im Erwirtschaftungsprinzip konkretisiert.3 Das Veranlassungsprinzip gilt nicht nur im nationalen Recht, etwa fÅr die Zuordnung von Betriebsausgaben zu einer inlndischen Betriebssttte,4 sondern auch im Abkommensrecht (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008),5 sodass dort dem sog. Attraktionsprinzip, nach dem alle Gewinne eines Unternehmens aus Quellen des Betriebsstttenstaates als Betriebsstttengewinne behandelt werden, folgerichtig eine Absage erteilt wird.6
13.182
Die EinkÅnfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte spielt in der Praxis in den folgenden Fllen eine besondere Rolle:7 – berlassung von Finanzmitteln fÅhrt nicht zur Verrechnung von Zinsen, wenn es sich um die ZurverfÅgungstellung von Eigenkapital (Dotationskapital) der Betriebssttte handelt.8
13.183
1 Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432. 2 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 1.25; Debatin, DB 1989, 1692 ff., 1739 (1740); zum Veranlassungsprinzip allgemein Hey in T/L21, § 8 Rz. 213 ff. 3 Hierzu im Einzelnen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.269, 18.34; kritisch hierzu Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 3.15; zum Erwirtschaftungsprinzip als Kriterium der EinkÅnftezuordnung allgemein Hey in T/L21, § 8 Rz. 150 ff. 4 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; Roth in H/H/R, § 49 EStG Rz. 242; Gosch in Kirchhof13, § 49 EStG Rz. 15. 5 Vgl. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA fÅr die Aufwandszuordnung; OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 16; Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 117; Niehaves in Haase2, Art. 7 OECD-MA Rz. 48; Wassermeyer in W/A/D, BetriebsstttenHandbuch, Rz. 1.26. 6 OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 5; Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 42 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 184; Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 72; Niehaves in Haase2, Art. 7 OECD-MA Rz. 48. 7 Rechtslage gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 und bis zur Neuregelung gem. § 1 Abs. 4 und 5 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 8 BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. III 1966, 24; BFH v. 25.6.1986 – II R 213/83, BStBl. II 1986, 785; BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 63; BFH v. 9.11.1999 – II R 107/97, BFH/NV 2000, 688; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 281; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 7.16; Hemmel-
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Kapitel 13 Materielles Recht
Vom Verbot der Zinsverrechnung wird lediglich fÅr den Bereich des Geld- und Kreditgewerbes eine Ausnahme gemacht,1 da das Kreditgeschft zum gewÇhnlichen Geschftsgegenstand gehÇrt und daher die Verzinsung regelmßig einem Außenaufwand des Stammhauses entspricht. Die Zuordnung von Kapital zur Betriebssttte schließt auch die Zuordnung von Fremdkapital ein, soweit die Fremdkapitalaufnahme durch die Ttigkeit der Betriebssttte veranlasst ist. Die fÅr diese Fremdkapitalausstattung seitens des Unternehmens gezahlten Zinsen sind als Außenaufwand der Betriebssttte zuzuordnen.2 – berlassung von WirtschaftsgÅtern zur Nutzung ist eine bloße Innentransaktion, sodass ein hierfÅr seitens des Stammhauses verlangtes Entgelt steuerlich nicht berÅcksichtigt werden kann. In Betracht kommt daher allein eine Aufwandszuordnung,3 in deren Rahmen nur der Außenaufwand des Unternehmens ausgeglichen werden kann. Soweit die Åberlassenen WirtschaftsgÅter, insbesondere wenn sie auf Dauer zur Nutzung Åberlassen sind, der auslndischen Betriebssttte oder dem auslndischen Stammhaus zuzuordnen sind, erfolgt eine Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG, bei der der gemeine Wert des Wirtschaftsgutes zugrunde zu legen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Im umgekehrten Fall erfolgt eine entsprechende Steuerverstrickung (§§ 4 Abs. 1 Satz 8; 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).4 – Dienstleistungen, fÅr die lediglich eine Aufwandszuordnung ohne Gewinnaufschlag in Betracht kommt5. Etwas anderes gilt in jenen Fllen, in denen die Erbringung von Dienstleistungen Gegenstand der eigentlichen Unternehmensttigkeit ist,6 weil insoweit der Betriebs-
1 2
3
4 5
6
rath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 116; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.38; a.A. Kroppen in G/K/G, Art. 7 OECD-MA Rz. 186. OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA, Ziff. 19; BFH v. 9.11.1999 – II R 107/97, BFH/NV 2000, 688 BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 4.1.4. BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. III 1966 24; BFH v. 25.6.1986 – II R 213/83, BStBl. II 1986, 785; BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 12.1.1994 – II R 95/89, BFH/NV 1994, 690; BFH v. 20.3.2002 – II R 84/99, BFH/NV 2002, 1017; Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 117; Roth in H/H/R, § 49 EStG Rz. 274 ff.; Andresen in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 2.106; 2.108 ff. mit Differenzierung nach Fallgruppen. RFH v. 26.10.1937, RStBl. 1938, 46; BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. III 1966, 24; BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 278; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 3.32; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.42. Zu weiteren Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.42. BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 3.7; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.45. FÅr Finanzgeschfte von Banken: OECD-MK zum OECD-MA, Art. 7 Ziff. 17.6, 19; Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 91, 102; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 287; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 3.6.
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
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sttte ein am Markt erbrachter Außenumsatz zugerechnet werden kann.1 Kosten der GeschftsfÅhrung kÇnnen, soweit ein Außenaufwand entstanden ist, entsprechend dem maßgeblichen Veranlassungsprinzip der Betriebssttte belastet werden, wenn die entsprechenden Leistungen der Betriebssttte zugute kommen.2 berfÅhrung von AnlagevermÇgen ist eine bloße Innentransaktion, sodass allein eine Steuerentstrickung (§ 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG) in Betracht kommt.3 Warenlieferungen zwischen Stammhaus und Betriebssttte sind lediglich Innentransaktionen, die allein eine Steuerentstrickung gem. § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG auslÇsen.4 FÅr den umgekehrten Fall greift eine Steuerverstrickung ein (§§ 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). berlassung von Geschftschancen sind nur bloße Innentransaktionen, sodass eine Gewinnrealisierung nur unter den Voraussetzungen der Steuerentstrickung (§ 4 Abs. 1, Stze 3, 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG) erfolgt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Geschftschance zu einem (immateriellen) Wirtschaftsgut verdichtet hat.5
(Zu Pflichtverletzungen Rz. 15.176 ff.).
in
diesem
Zusammenhang
Rz. 15.65 ff.,
Durch die Neuregelung in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 ist die grenzÅberschreitende EinkÅnfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte an diejenige zwischen verbundenen Unternehmen (Art. 9 OECDMA) weitgehend angeglichen worden6 mit der Folge, dass auch bloße Innentransaktionen einbezogen werden. Damit wird im Ergebnis die uneingeschrnkte Selbstndigkeitsfiktion der Betriebssttte7 zugrunde gelegt. Das bedeutet, dass etwa die Erbringung von grenzÅberschreitenden Dienstleistungen zwischen Stammhaus und Betriebssttte nach Fremdvergleichsgrundstzen abzurechnen ist.
1 Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 91; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 287. 2 BFH v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 284. 3 Zur Bildung steuerlicher Ausgleichsposten vgl. § 4g EStG. 4 Ein steuerlicher Ausgleichsposten (gestreckte Besteuerung) gem. § 4g EStG ist fÅr WirtschaftsgÅter des UmlaufvermÇgens (Waren) nicht vorgesehen, sodass stets eine ÅberfÅhrungsbedingte Sofortversteuerung eingreift. 5 Vgl. BFH v. 26.10.2004 – IX R 53/02, BStBl. II 2005, 167; Ditz in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 4.55. 6 Sog. Authorized OECD Approach (AOA); vgl. zu Entstehungsgeschichte und Einzelheiten Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kahle/MÇdinger, DStZ 2012, 802 ff. 7 Sog. Functionally Separate Entity Approach; vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 17.7.2008, Paris 2008; hierzu Kroppen in FS Herzig, MÅnchen 2010, 1072 ff.
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13.184
Kapitel 13 Materielles Recht
13.185 FÅr Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen, gilt die fÅr die grenzÅberschreitende Aufteilung von EinkÅnften zwischen Stammhaus und Betriebssttte maßgebliche durch das AmtshilfeRLUmsG eingefÅhrte Neuregelung in § 1 Abs. 4 und 5 AStG (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG). Damit werden die AOA-Regelungen (Authorized OECD Approach)1 Åbernommen, nachdem diese zuvor bereits ihren Niederschlag im OECD-MA 2010 gefunden haben.2 Insoweit erfolgt durch § 1 Abs. 4, 5 AStG eine Anpassung an (zukÅnftige) DBA-Bestimmungen. Die neue Regelung ist im Kern darauf gerichtet, die fÅr selbstndige Rechtstrger, insbesondere fÅr Kapitalgesellschaften, in § 1 Abs. 1 AStG verankerte EinkÅnftekorrektur auch im Verhltnis zu Betriebssttten zur Anwendung zu bringen (§ 1 Abs. 5 Satz 1 AStG).3 Das hat zur Folge, dass nunmehr auch (grenzÅberschreitende) Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebssttte der EinkÅnftekorrektur unterliegen, was im Ergebnis bedeutet, dass fiktive EinkÅnfte der Besteuerung unterworfen werden.4 Da das in § 1 Abs. 1 AStG verankerte Verrechnungspreisregime grundstzlich Geschftsbeziehungen i.S. schuldrechtlicher Beziehungen voraussetzt, enthlt § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG eine Erweiterung dahin gehend, dass hierunter auch Geschftsvorflle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebssttte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) erfasst werden. Auf dieser Grundlage erfolgt eine VerrechnungspreisprÅfung und ggf. eine EinkÅnftekorrektur fÅr die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen – einem inlndischen Unternehmen und seiner auslndischen Betriebssttte, wenn dadurch auslndische EinkÅnfte eines unbeschrnkt Steuerpflichtigen erhÇht worden sind und – einem auslndischen Unternehmen und seiner inlndischen Betriebssttte, wenn dadurch die inlndischen EinkÅnfte eines beschrnkt Steuerpflichtigen gemindert worden sind.
13.186 Die EinkÅnftekorrektur erfolgt hierbei stets zulasten der unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtigen Person (§ 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG).5 Im Hinblick darauf, dass das Verrechnungspreisregime im Ausgangspunkt nur zwischen selbstndigen Rechtstrgern, insbesondere Kapitalgesellschaften, zur Anwendung kommt, die Betriebssttte hierzu aber nicht gehÇrt, ist die Betriebssttte fÅr Zwecke der VerrechnungspreisprÅfung (fiktiv) wie ein eigenstndiges und unabhngiges Unternehmen zu behandeln (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG). HierfÅr sind zwei Transforma1 Zu Einzelheiten Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kaeser, ISR 2012, 63 ff. 2 Bislang sind nur wenige deutsche DBA nach dem Vorbild von Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2010 abgeschlossen oder gendert worden; vgl. hierzu Ditz in SchÇnfeld/Ditz, Art. 7 OECD-MA (2010), Rz. 20 ff. 3 Zur Qualifikation des § 1 Abs. 5 AStG als EinkÅnftekorrekturnorm: Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198). 4 Hierzu Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.). 5 Zur Kritik an dieser einseitigen fiskalischen Orientierung Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.105.
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
tionsschritte vorgeschrieben (§ 1 Abs. 5 Satz 3 AStG). In einem ersten Schritt sind Personalfunktionen, VermÇgenswerte, Chancen und Risiken sowie ein Dotationskapital der Betriebssttte zuzuordnen (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1-4 AStG). Danach erfolgt in einem zweiten Schritt die Bestimmung der Art der Geschftsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) im Verhltnis zur Betriebssttte und hierauf aufbauend die Bestimmung der (angemessenen) Verrechnungspreise.1 Dass bloße Innentransaktionen EinkÅnfte auslÇsen, ist keine Besonderheit des § 1 Abs. 5 AStG: Die bereits bestehenden Entstrickungsregelungen (§§ 4 Abs. 1 Satz 3, 4; 16 Abs. 3 EStG; § 12 Abs. 1 KStG; s. Rz. 13.32 f.; 13.60) fingieren im Ergebnis ebenfalls entsprechende EinkÅnfte. Soweit sich die vorgenannten Regelungen mit denen des § 1 Abs. 5 AStG Åberschneiden, ist § 1 Abs. 5 AStG schon wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ nur subsidir anzuwenden.2 Damit beschrnkt sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Abs. 5 AStG im Wesentlichen auf Innentransaktionen, die entweder Dienstleistungen betreffen oder aber zu keiner Entstrickung fÅhren. DarÅber hinaus ergibt sich ein eigenstndiger Anwendungsbereich auch in den Fllen, in denen die in § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG normierten Zuordnungsregeln von dem sonst allgemein gÅltigen Veranlassungsprinzip (s. Rz. 13.182) abweichen.3 Im Hinblick darauf, dass bislang nur wenige deutsche Doppelbesteuerungsabkommen eine dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA vergleichbare AOA-Regelung enthalten, sind Doppelbesteuerungen nicht zu vermeiden, wenn der andere Staat diese Regelungen tatschlich nicht anwendet. FÅr diesen Fall sieht § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG vor, dass deutscherseits die AOARegelungen nicht zur Anwendung kommen, wenn anderenfalls es zu einer Doppelbesteuerung kme. 2. EinkÅnfteabgrenzung bei Kapitalgesellschaften Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zu § 8 Abs. 3 KStG, § 1 Abs. 1-3 AStG und zu Art. 9 OECD-MA; Andresen, Konzernverrechnungspreise fÅr multinationale Unternehmen, Hamburg 2000; Br, Verstndigungen Åber Verrechnungspreise verbundener Unternehmen im deutschen Steuerrecht, Berlin 2009; Baumhoff, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 3.1 ff.; BodenmÅller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland – Ertragsteuerliche Folgen, Strategien und Modelle, DÅsseldorf 2004, Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DÅsseldorf 2009; Eisele, GrenzÅberschreitende Funktionsverlagerung, Berlin 2003; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlage-
1 Zu dieser eigenartigen Gesetzestechnik Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (639); die Einzelheiten sind in der Betriebsstttengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) geregelt; vgl. zum Entwurf Kußmaul/Delarber/MÅller, IStR 2014, 466 ff., 573 ff. 2 Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638), Kahle, DStZ 2012, 691 (698); Hemmelrath/ Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198). 3 Ditz, ISR 2012, 48 ff. (53); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198).
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Kapitel 13 Materielles Recht rung, in Schaumburg/RÇdder, Unternehmenssteuerreform 2008, MÅnchen 2007, 541; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 733 ff.; Kaminski, Verrechnungspreisbestimmung bei fehlendem Fremdvergleichspreis, Neuwied 2001; Korff, Verrechnungspreise fÅr konzerninterne Dienstleistungen aus Sicht Deutschlands und der USA, Lohmar 2008; Keerl, Internationale Verrechnungspreise in der globalisierten Wirtschaft, GÇttingen 2008; Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, KÇln, Kap. I-IX; Kurzewitz, Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethoden zur Verringerung von Doppelbesteuerungsproblemen, Hamburg, 2009; Nientimp, Steuerliche Gewinnabgrenzung im internationalen Konzern, Lohmar 2003; Oestreicher, Internationale Verrechnungspreise, Berlin 2003; Rasch, Konzernverrechnungspreise im nationalen, bilateralen und europischen Steuerrecht, KÇln 2001; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 18.80 ff.; Schaumburg/Piltz, Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, KÇln 2000; Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerung – Neuausrichtung?, KÇln 2010; Schein, Verrechnungspreismethoden fÅr den datennetzgestÅtzten Geschftsverkehr zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften, MÅnchen 2005; Schuch, Verrechnungspreisgestaltung im Internationalen Steuerrecht, Wien 2001; Sinz/Kahle, Praxis der Verrechnungspreissysteme in ausgewhlten Branchen, Herne 2013; VÇgele/Borstell/Engler, Handbuch der Verrechnungspreise, 3. Aufl. MÅnchen 2011; Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014; Weber, Technologietransfer im internationalen Konzern, Berlin 2003; Wehner, Verrechnungspreise, Bonn 2003; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, Baden-Baden 2009.
13.187 Im Hinblick darauf, dass Kapitalgesellschaften eigenstndige Steuersubjekte sind, ist zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterebene zu trennen. Dieses Trennungsprinzip1 gilt auch fÅr international operierende Konzerne2, sodass fÅr jede einzelne Konzerngesellschaft die EinkÅnfte gesondert zu ermitteln sind.
13.188 Dass internationale Konzerne aus selbstndigen Steuersubjekten bestehen, ndert nichts an dem Umstand, dass sie wirtschaftlich eine Einheit darstellen kÇnnen.3 Aus diesem Grund sind Geschftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen durchweg nicht von zwischen fremden Dritten Åblichen Interessengegenstzen geprgt. Im Hinblick darauf hat die allgemeine Zuordnungsregel (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 2 Abs. 1 EStG) fÅr miteinander verbundene Kapitalgesellschaften durch Sondervorschriften nicht nur eine Konkretisierung, sondern auch eine Erweiterung i.S. einer EinkÅnftekorrektur erfahren. Die fÅr die EinkÅnftezuordnung bei Kapitalgesellschaften geltenden besonderen Normen sind zugleich stets auch EinkÅnftekorrekturnormen. Zu diesen insbesondere fÅr Kapitalgesellschaften bedeutsamen besonderen EinkÅnftekorrekturnormen gehÇren vor allem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte GewinnausschÅttung), § 8 1 BFH v. 24.3.1987 – I B 117/86, BStBl. II 1987, 508; Hey in T/L21, § 11 Rz. 1; VÇgele/Fischer in V/B/E, Verrechnungspreise3, A Rz. 61. 2 Schaumburg in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (1). 3 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.80 sowie zum Folgenden Rz. 18.80 ff.
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Abs. 3 Stze 3–6 KStG (verdeckte Einlage) und § 1 AStG (Berichtigung von EinkÅnften). Whrend sich die Regelungen betreffend verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen gegenseitig ausschließen, gehen diese der EinkÅnftekorrektur vor (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG),1 sodass bei Kapitalgesellschaften folgendes Konkurrenzverhltnis gilt: Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen2 haben im Grundsatz Vorrang vor der EinkÅnftekorrektur gem. § 1 AStG,3 diese ergnzt aber die Åbrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen Åber die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG). Im Ergebnis wird somit eine MeistbegÅnstigung zugunsten der Finanzverwaltung dahin gehend normiert, dass grenzÅberschreitend fÅr alle EinkÅnftekorrekturnormen einheitlich der Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zur Anwendung kommt, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 1 AStG und der Åbrigen Korrekturnormen gleichermaßen erfÅllt sind.4
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Gegen die Anwendung der grenzÅberschreitend wirkenden EinkÅnftekorrekturnomen sind allerdings unionsrechtliche und abkommensrechtliche Schranken gerichtet. Aus europarechtlicher Sicht ist zwar eine die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) beschrnkende Verrechnungspreisregelung wegen der gebotenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten und der Notwendigkeit der Verhinderung von Steuerumgehungen im Grundsatz gerechtfertigt,5 im Einzelnen muss sie sich aber als verhltnismßig erweisen, d.h. nicht Åber das erforderliche Maß hinausgehen.6 Im Hinblick darauf sind einige Detailregelungen in § 1 AStG europarechtlich nicht legitimiert.7 Aus abkommensrechtlicher
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1 „ . . . unbeschadet anderer Vorschriften . . .“ (§ 1 Abs. 1 AStG); so die h.M., z.B. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 76 ff.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 13; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 36; teils i.S. einer Idealkonkurrenz, teils i.S. einer Subsidiaritt; im Ergebnis ebenso BMF v. 14.5.2005, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 1.1.2.; BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 5.3.3. 2 Ebenso Entnahmen und Einlagen. 3 Zu den Fllen, in denen das Konkurrenzverhltnis Bedeutung haben kann: Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 356; zu Einzelheiten auch Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.9 ff. 4 Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 12; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 78; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.57; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.81; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (547); Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.7. 5 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C 311/08 – SGI, IStR 2010, 144 Rz. 60 ff., 65 ff. 6 Vgl. nur EuGH v. 11.32004 – Rs. C-9/02 – Hugues de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409; EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10866. 7 Hierzu im berblick Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.60 f. m.w.N.; die Einzelheiten sind streitig; vgl. auch
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Sicht (Art. 9 OECD-MA) bleibt eine EinkÅnftekorrektur wegen verdeckter GewinnausschÅttung darÅber hinaus in den Fllen versagt, in denen es an einer im vorhinein getroffenen Vereinbarung fehlt.1 a) Verdeckte GewinnausschÅttung
13.191 Bei verdeckten GewinnausschÅttungen handelt es sich um VermÇgensvorteile, die eine Kapitalgesellschaft ihren unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtigen Gesellschaftern außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zuwendet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter sie einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umstnden nicht zugewendet htte.2 Oder anders: Eine verdeckte GewinnausschÅttung ist eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung),3 die durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, sich auf die HÇhe des Einkommens (genauer: Unterschiedsbetrag gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG4) auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen AusschÅttung steht.5 Die VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung) muss zudem die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) auszulÇsen.6 Ob die Kapitalgesellschaft eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung) erlitten hat, lsst sich in Orientierung am Fremdvergleich erst nach einer vergleichenden Bewertung von Vor- und Nachteilen eines oder mehrerer Geschfte feststellen, die zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter und/oder diesem nahestehenden Personen abgewickelt worden sind. Soweit es sich um ein einheitliches Geschft, etwa um einen gegenseitigen Vertrag handelt, ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen
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hierzu SchÇnfeld in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 13.1 ff. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BFH/NV 2013, 324; FG KÇln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 162; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.30; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.293, 18.87. So die alte Formel, z.B. BFH v. 24.9.1980 – I R 88/77, BStBl. II 1981, 108. Nach BerÅcksichtigung eines Vorteilsausgleichs; BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – I 130/62 U, BStBl. III 1965, 598; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 100. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329; hierzu Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 165; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 247. So die neue Formel seit 1989; vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 44/85, BStBl. II 1989, 475; BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631; BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633; BFH . 12.4.1989 – I R 142/85, I R 143/85, BStBl. II 1989, 636; BFH v. 28.6.1989 – I R 89/85, BStBl. II 1989, 854; seitdem stndige Rechtsprechung. BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 13; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190.
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ohne Weiteres geboten.1 Ist hiernach eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung) nicht feststellbar, kommt es auf die weitere Frage der Urschlichkeit des Gesellschaftsverhltnisses nicht mehr an.2 Liegt dagegen ein vom Fremdvergleich abweichendes Verhalten vor, wird hierdurch die Veranlassung im Gesellschaftsverhltnis indiziert.3 Handelt es sich um mehrere Geschfte, so ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen (Vorteilsausgleich) nur unter den folgenden Voraussetzungen mÇglich:4 – Der Ausgleich muss auch zwischen Fremden denkbar sein.5 – Die Geschfte mÅssen in einem inneren Zusammenhang stehen.6 – Die Vor- und Nachteile mÅssen quantifizierbar sein.7 – Die Vorteilsverrechnung muss vereinbart gewesen sein8 oder zur Geschftsgrundlage eines nachteiligen Geschfts gehÇrt haben.9
1 BFH v. 16.11.1965 – I 302/61 S, BFHE 84, 268; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 115; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 261. 2 BFH v. 23.6.1981 – VIII R 102/80, BStBl. II 1982, 245; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil C Rz. 69; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.84. 3 BFH v. 19.3.1997 – I R 75/96, BStBl. II 1997, 577; Wassermeyer in FS Offerhaus, 405. 4 BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – IV 322/64 U, BStBl. III 1965, 589; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz 3.329; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 3.165 ff.; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 115. 5 BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704. 6 BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 13.12.1995 – X R 261/93, BStBl. II 1996, 180. 7 Daher stellen lediglich allgemeine Vorteile, die eine KonzernzugehÇrigkeit bietet, z.B. erhÇhte KreditwÅrdigkeit oder berlassung des Konzernnamens, soweit dieser nicht zugleich Marke ist (BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140), als sog. KonzernrÅckhalt keine ausgleichsfhigen Vorteile dar; vgl. Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.306. 8 Mit einem beherrschenden Gesellschafter muss der Vorteilsausgleich stets im Voraus klar und eindeutig vereinbart worden sein; so BFH v. 21.7.1976 – I R 223/74, BStBl. II 1976, 734; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R 25/82, BStBl. II 1989, 248; BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; seit BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 hat das Fehlen einer Vereinbarung lediglich Indizwirkung; vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 24/97, BStBl. II 1998, 573; zu Einzelheiten Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 318 ff.; in Abkommensfllen kommt es auf diesen formalen Aspekt allerdings nicht an; hierzu Rz. 13.190, 13.193. 9 Ein Vorteilsausgleich im Konzern kommt daher nur in Ausnahmefllen in Betracht; vgl. BFH v. 1.8.1984 – I R 99/80, BStBl. II 1985, 18; BFH v. 22.8.2007 – I R
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.193 Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhltnis ist bei einem beherrschenden Gesellschafter auch dann anzunehmen, wenn es an einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung fehlt, ob und in welcher HÇhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll.1 Damit wird auch diese Form der verdeckten GewinnausschÅttung als durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst angesehen.2 Da die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) auf diesen formalen Aspekt indessen nicht abstellen,3 entfalten diese insoweit eine Schrankenwirkung gegenÅber der EinkÅnftekorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG.4
13.194 GrenzÅberschreitende VermÇgensverschiebungen zwischen Schwestergesellschaften kÇnnen ebenfalls zu einer verdeckten GewinnausschÅttung zugunsten der Muttergesellschaft fÅhren. Bei einem derartigen Dreiecksverhltnis wird eine verdeckte GewinnausschÅttung der einen Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft und von dort eine verdeckte Einlage in die andere Schwestergesellschaft angenommen, soweit es sich um einlagefhige WirtschaftsgÅter handelt.5 Sind Gegenstand der verdeckten GewinnausschÅttung zwischen Schwestergesellschaften dagegen nicht aktivierungsfhige WirtschaftsgÅter, etwa Nutzungen und Leistungen, so ist zwar eine verdeckte GewinnausschÅttung der einen Schwestergesell-
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32/06, BStBl. II 2007, 961; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 263; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 91. Es handelt sich insoweit nur um Indizwirkungen; vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; fÅr verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. BFH v. 29.7.1992 – I R 18/91, BStBl. II 1993, 139; BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und Åbrigen Gesellschaftern, und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhltnis anzunehmen sei; hierzu Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BFH/NV 2013, 324; FG KÇln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 144; Eigelshoven in V/L5, Art. 9 OECD-MA Rz. 27; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.293, 18.87; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.30; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff.; vgl. auch Rz. 15.130 ff. BFH v. 23.10.1968 – I 228/65, BStBl. II 1969, 243; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 11.6.1975 – II R 131/66, BStBl. II 1975, 831; BFH v. 6.4.1977 – I R 183/75, BStBl. II 1977, 571; BFH v. 18.7.1985 – IV R 135/82, BStBl. II 1985, 635; BFH v. 23.10.1985 – I R 248/81, BStBl. II 1986, 178; BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605; BFH v. 12.12.2000 – VIII R 62/93, BStBl. II 2001, 234; vgl. auch Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhltnisse“; Schallmoser/Eisgruber/Janetzko in H/H/R, § 8 KStG Rz. 315; Frotscher in Frotscher/Maas, Anh. zu § 8 KStG Rz. 302, Stichwort „Schwestergesellschaft; Lang, in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil C Rz. 830.
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schaft zugunsten der Muttergesellschaft gegeben, die Weitergabe des Nutzungs- oder Leistungsvorteils an die andere Schwestergesellschaft fÅhrt aber nicht zu einer verdeckten Einlage.1 Die Weiterleitung dieses Vorteils ohne Anschaffungskosten bewirkt einen Vorteilsverbrauch, der im Ergebnis wie eine Betriebsausgabe zu behandeln ist mit der Folge, dass sich auf diese Weise Ertrag und Aufwand in gleicher HÇhe gegenÅberstehen,2 es bei der Muttergesellschaft grundstzlich also zu einer steuerlich wertgleichen Kompensation kommt. Die Rechtsfolge der verdeckten GewinnausschÅttung3 besteht auf Gesellschaftsebene darin, dass diese das Einkommen nicht mindert (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). Ist der von der Kapitalgesellschaft auf der ersten Gewinnermittlungsstufe4 ausgewiesene Unterschiedsbetrag i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG infolge verdeckter GewinnausschÅttungen zu niedrig, erfolgt gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG außerhalb der Steuerbilanz5 auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe6 eine Hinzurechnung,7 die KÇrperschaftsteuer auslÇst, und zwar grundstzlich ohne RÅcksicht darauf, wann die verdeckte GewinnausschÅttung dem Gesellschafter zufließt.8 § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG erschÇpft sich somit in der Funktion einer bloßen EinkÅnftekorrektur.9
13.195
Als Rechtsfolge bewirkt die (zugeflossene) verdeckte GewinnausschÅttung bei einem unbeschrnkt steuerpflichtigen Gesellschafter EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG), sofern die Kapitalanteile PrivatvermÇgen sind, oder EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb, sofern diese zu einem BetriebsvermÇgen gehÇren. GehÇren sie zum Privat-
13.196
1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508. 2 Zu dieser „Ertrag/AufwandslÇsung“ Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhltnisse“; DÇllerer, Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 159 ff. 3 Hierzu ausfÅhrlich Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 200 ff.; ferner Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.45 ff. 4 Zu den Gewinnermittlungsstufen vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 247; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 204. 5 BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BFH v. 12.10.1995 – I R 27/95, BStBl. II 2002, 367; BFH v. 28.1.2004 – I R 21/03, BStBl. II 2005, 841; BMF v. 28.5.2002, BStBl. I 2002, 603. 6 Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 204; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 247; Wassermeyer, IStR 2001, 633 ff. 7 Die Bewertung erfolgt nach Fremdvergleichsgrundstzen, was in der Regel zum Ansatz mit dem gemeinen Wert fÅhrt; BFH v. 23.2.2005 – I R 70/04, BStBl. II 2005, 882; vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 383, 385, 715. 8 Vorteilsgeneigheit reicht aus; BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190; zu Einzelheiten Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 113. 9 BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BFH v. 21.12.1994 – I R 65/94, HFR 1995, 445; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BMF v. 28.5.2002, BStBl. I 2002, 603; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 395; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 202.
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Kapitel 13 Materielles Recht
vermÇgen wird eine als Abgeltungsteuer wirkende Kapitalertragsteuer in HÇhe von 25 % erhoben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1; 32d EStG), wobei die MÇglichkeit besteht, eine Veranlagung zum individuellen Steuersatz zu whlen, wenn eine solche tarifgÅnstiger ist. GehÇren die Anteile zum BetriebsvermÇgen einer natÅrlichen Person, greift das TeileinkÅnfteverfahren ein, sodass 60 % der BezÅge steuerpflichtig sind (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG). Fließt die verdeckte GewinnausschÅttung einer KÇrperschaft zu, greift bei einer Mindestbeteiligung von 10 % (§ 8b Abs. 4 KStG)1 die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG ein, wobei 5 % als nicht abziehbare Betriebsausgaben gelten (§ 8b Abs. 5 KStG). Voraussetzung fÅr die (partielle) Steuerbefreiung ist allerdings, dass bei der leistenden Kapitalgesellschaft die verdeckte GewinnausschÅttung nicht zu einer Einkommensminderung gefÅhrt hat (§ 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 3, 32 d Abs. 2 Nr. 4 EStG, § 8 b Abs. 1 Satz 2 KStG). Dieses materielle Korrespondenzprinzip gilt insbesondere fÅr verdeckte GewinnausschÅttungen auslndischer Kapital-(Tochter-)gesellschaften2 und ab 2014 auch fÅr Åbrige GewinnausschÅttungen (BezÅge)3 Ist der Gesellschafter beschrnkt steuerpflichtig, gehÇren (zugeflossene) verdeckte GewinnausschÅttungen als sonstige BezÅge zu den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen, soweit die Anteile nicht einem inlndischen BetriebsstttenvermÇgen zuzuordnen sind.4 b) Verdeckte Einlage
13.197 Das Einkommen von Kapitalgesellschaften ermittelt sich gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes. Zu diesen Vorschriften zhlen die §§ 4 Abs. 1 Satz 1; 5 EStG, die fÅr Zwecke des VermÇgensvergleichs den Abzug von Einlagen gebieten. Dementsprechend ordnet § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG an, dass verdeckte Einlagen das Einkommen der KÇrperschaft grundstzlich nicht erhÇhen. Eine verdeckte Einlage liegt dann vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person seiner Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrecht1 Die Neuregelung (Mindestbeteiligung) gilt fÅr BezÅge, die nach dem 28.2.2013 zufließen (§ 34 Abs. 7a Satz 2 KStG). 2 Hierzu Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff. 3 § 34 Abs. 7 Stze 12 und 13 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 4 §§ 2 Abs. 1; 49 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5a; 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG; §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5a; 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG; Kapitalertragsteuerpflicht gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG mit Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG; § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG); bei Portfolio-Dividenden ist die Abgeltungswirkung bei auslndischen Kapitalgesellschaften mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) unvereinbar, EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-284/09 – Kommission ./. Deutschland, DStR 2011, 2038; zwecks Gleichstellung sind mit Wirkung ab 1.3.2013 Dividenden (BezÅge) bei inlndischen Kapitalgesellschaften von der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG ausgenommen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres weniger als 10 % betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 561).
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
lichen Einlagen VermÇgensgegenstnde zuwendet und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhltnis hat.1 Ob die Zuwendung durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, beurteilt sich aufgrund des Fremdvergleichs, also danach, ob ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, den VermÇgensvorteil der Gesellschaft nicht gewhrt htte.2 Als Einlagen sind nur WirtschaftsgÅter geeignet, die das VermÇgen der Kapitalgesellschaft vermehren, sei es durch den Ansatz oder die ErhÇhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens.3 Dagegen fÅhrt die berlassung von WirtschaftsgÅtern oder von Kapital zur Nutzung ohne Entgelt oder gegen ein unangemessen niedriges Entgelt zu keiner unmittelbaren VermÇgensmehrung.4 Die VermÇgensmehrung ist nmlich nicht die NutzungsÅberlassung selbst, sondern allenfalls die Folge der Nutzung, wenn also die Kapitalgesellschaft durch Nutzung der Åberlassenen WirtschaftsgÅter oder des Åberlassenen Kapitals Ertrge erzielt.5 NutzungsÅberlassungen, und zwar auch solche Åber die Grenze, kÇnnen damit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein.6 Daher sind nur aktivierungsfhige WirtschaftsgÅter einlagefhig.7 Zu diesen aktivierungsfhigen WirtschaftsgÅtern gehÇren im Grundsatz auch immaterielle WirtschaftsgÅter, die im Betrieb selbst geschaffen worden sind. Das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 1 und 2 EStG, § 248 Abs. 2 HGB wird hier durch den steuerlichen Trennungsgrundsatz, wo1 BFH v. 19.2.1970 – I R 24/67, BStBl. II 1970, 442; BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 308; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 332 ff.; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 105; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.60 ff. 2 BFH v. 21.9.1989 – IV R 115/88, BStBl. II 1990, 86; BFH v. 15.10.1997 – I R 80/96, BFH/NV 1998, 624; Weber-Grellet, DB 1998, 1532 ff. 3 BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 4 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; vgl. auch den Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG, wo im Klammerzusatz im Unterschied zum Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG der Hinweis auf Nutzungen fehlt. 5 DÇllerer, Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 177. 6 So die stndige Rspr.: BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1960, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 16.11.1977 – I R 83/75, BStBl. II 1978, 386; BFH v. 22.1.1980 – VIII R 74/77, BStBl. II 1980, 244; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 37/79, BFHE 140, 63; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 133/82, BFHE 140, 69; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 20.9.1990 – IV R 300/84, BStBl. II 1991, 82; BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240. 7 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.
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13.198
Kapitel 13 Materielles Recht
nach der Gesellschaftsbereich von dem Gesellschafterbereich steuerlich abzugrenzen ist, verdrngt.1
13.199 Die Rechtsfolgen der verdeckten Einlage bestehen auf Gesellschaftsebene darin, dass die durch den Ansatz oder die ErhÇhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens eingetretene VermÇgensmehrung bei der Ermittlung des steuerlichen Gewinns im Rahmen der zweistufigen Gewinnermittlung2 auf der zweiten Stufe außerbilanziell wieder abgezogen wird (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG).3 Stattdessen wird einlagebedingt das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) erhÇht.4 Das gilt allerdings nicht, soweit die verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Dieses materielle Korrespondenzprinzip gilt insbesondere fÅr grenzÅberschreitende verdeckte Einlagen in eine inlndische Kapitalgesellschaft (vgl. auch Rz. 15.137 f.).
13.200 Auf Gesellschafterebene fÅhrt die verdeckte Einlage als Rechtsfolge zu nachtrglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung, und zwar grundstzlich ohne RÅcksicht darauf, ob die Anteile zu einem BetriebsvermÇgen gehÇren oder Beteiligungen i.S. von §§ 17, 20 Abs. 2 EStG darstellen.5 Der Gesellschafter kann daher die verdeckten Einlagen nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehen.6 Die gewinnerhÇhende Aktivierung als nachtrgliche Anschaffungskosten hat abgesehen von der in § 8 Abs. 3 Satz 6 KStG getroffenen Regelung allerdings im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu unterbleiben, wenn der Wert der Beteiligung durch die verdeckte Einlage nicht erhÇht wird.7 Die nach1 BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 24.3.1987 – I R 202/83, BStBl. II 1987, 705; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 105a. 2 Zur zweistufigen Gewinnermittlung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BMF v. 28.5.2002, BStBl. I 2002, 603 Rz. 2 f.; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5. 3 Bewertung der verdeckten Einlage zum Teilwert; vgl. hierzu Balmes in H/H/R, § 8 KStG Rz. 22; Wochinger in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil B Rz. 61. 4 Heger in Gosch2, § 27 KStG Rz. 12; DÇtsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 35. 5 BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; BFH v. 26.11.1993 – VI R 3/92, BStBl. II 1994, 242; BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307; BFH v. 29.7.1997 – VIII R 57/94, BStBl. II 1998, 652; BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436; BFH v. 23.2.2005 – I R 44/04, BStBl. II 2005, 522; Gosch in Kirchhof13, § 17 EStG Rz. 93; Weber-Grellet in Schmidt33, § 17 EStG Rz. 164, § 5 Rz. 639. 6 BFH v. 15.9.1961 – VI 224/61 U, BStBl. III 1961, 547. 7 BFH v. 6.3.2003 – XI R 52/01, BStBl. II 2003, 658; Richter in H/H/R, § 6 EStG Rz. 803; zu den Besonderheiten bei nachtrglichen Anschaffungskosten aus kapitalersetzenden Darlehen und BÅrgschaften im Unterschied zu § 17 EStG, BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733; BFH v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl. II 2005, 694.
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
trglichen Anschaffungskosten sind gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG mit dem Teilwert und bei zum PrivatvermÇgen gehÇrenden Anteilen mit dem gemeinen Wert anzusetzen, sodass es insoweit im BetriebsvermÇgen grundstzlich1 zu einer Gewinnrealisierung kommt.2 Diese steuerliche Behandlung gilt auch fÅr grenzÅberschreitende verdeckte Einlagen in eine auslndische Tochtergesellschaft.3 c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) Bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen,4 insbesondere verbundenen Kapitalgesellschaften5, sieht § 1 AStG eine EinkÅnfteberichtigung vor, sofern die EinkÅnfte dadurch gemindert werden, dass Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde gelegt worden sind, die von denen abweichen, die voneinander unabhngige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhltnissen vereinbart htten (Fremdvergleichsgrundsatz). In diesem Fall sind die EinkÅnfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhngigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wren. Damit normiert § 1 AStG eine Abweichung von der Regel, dass EinkÅnftetatbestnde6 nur durch ein tatschliches oder rechtliches, nicht aber durch ein vorgestelltes Geschehen verwirklicht werden kÇnnen.7 § 1 AStG fingiert also EinkÅnfte.8
13.201
Maßstab fÅr die EinkÅnfteberichtigung sind Bedingungen fÅr Geschftsbeziehungen, die voneinander unabhngige Dritte unter gleichen oder hnlichen Verhltnissen vereinbart htten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG).9 Dies
13.202
1 Ausnahme, wenn das Wirtschaftsgut innerhalb von drei Jahren vor der verdeckten Einlage angeschafft oder hergestellt wurde (§ 6 Abs. 6 Satz 3 EStG). 2 Hierzu Frotscher in Frotscher/Maas, § 8 KStG Rz. 106. 3 Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.37. 4 Vgl. § 1 Abs. 2 AStG. 5 Zu den Steuerpflichtigen, deren EinkÅnfte berichtigt werden kÇnnen, zhlen im Grundsatz nur Steuersubjekte, also unbeschrnkt und beschrnkt steuerpflichtige Personen. Aufgrund der Sonderregelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG werden Personengesellschaften den Kapitalgesellschaften gleichgestellt und somit fÅr die Anwendung des § 1 AStG als Steuerpflichtige behandelt (Regelung ab VZ 2013; § 21 Abs. 20 Satz 1 AStG). 6 § 38 AO; § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Satz 3; 13-24 EStG. 7 BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1969, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; zum Prinzip der Ist-Einkommensbesteuerung als Subprinzip des Leistungsfhigkeitsprinzips Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II2, 631 ff. 8 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875. 9 Tatschlicher und hypothetischer Fremdvergleich; obwohl die Formulierung „ . . . htten“ nur auf einen hypothetischen Fremdvergleich hindeutet; hierzu Kaminski, RIW 2007, 594 (594).
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Kapitel 13 Materielles Recht
entspricht dem international allgemein anerkannten Dealing-atarm‘s-length-Prinzip. Andere Hochsteuerlnder haben dem § 1 AStG vergleichbare Korrekturvorschriften. Trotz internationaler Akzeptanz des Dealing-at-arm‘s-length-Prinzips ergeben sich in der Besteuerungspraxis der einzelnen Staaten dennoch erhebliche Abweichungen bei der EinkÅnfteberichtigung, sodass bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zwischen international verbundenen Unternehmen eine Doppelbesteuerung nicht selten unvermeidbar ist.1
13.203 Dass es zu erheblichen Abweichungen bei der EinkÅnfteberichtigung mit der Folge einer Doppelbesteuerung kommt, beruht u.a. auch darauf, dass fÅr die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhngigen Dritten alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen und nach den Grundstzen ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter handeln“. Diese Transparenzklausel,2 gilt fÅr den tatschlichen und hypothetischen Fremdvergleich gleichermaßen3 und ist nicht auf den Anwendungsbereich des § 1 AStG beschrnkt. § 1 AStG ergnzt nmlich die Åbrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen Åber die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).4
13.204 Die Berichtigung betrifft lediglich EinkÅnfte aus Geschftsbeziehungen, also durchweg schuldrechtliche Beziehungen,5 die keine gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen sind6 und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Ttigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG anzuwenden sind oder wren, wenn sich der Geschftsvorfall im Inland ereignet htte (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a
1 Vgl. zur EU-Schiedsverfahrenskonvention und zu abkommensrechtlichen Schiedsverfahren Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.114 ff. 2 Zur Unvereinbarkeit mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedsverfahrenskonvention Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 8; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 275; Kroppen in Kroppen, Hdb. Internationale Verrechnungspreise, FVerl. Anm. 107; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Q Rz. 221 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht International ttiger Unternehmen4, Rz. 3.157; vgl. auch unten Rz. 15.143 ff. 3 Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 168; fÅr eine restriktive Auslegung i.S. einer Anwendbarkeit nur auf den hypothetischen Fremdvergleich Wassermeyer/ Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V10; Frischmuth, IStR 2007, 485 (486); Frischmuth in FS Schaumburg, 647 (656 ff.). 4 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.107. 5 Soweit es sich um das Verhltnis zu einer auslndischen Betriebssttte handelt, ist auf Geschftsvorflle(anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) abzustellen (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG). 6 Rechtslage ab 2003 als Reaktion auf das sog. Patronatsurteil (BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; Nichtanwendungserlass BMF v. 17.10.2002, BStBl. I 2002, 1025).
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
AStG).1 Die Geschftsbeziehungen mÅssen zum Ausland unterhalten werden,2 sodass Geschftsbeziehungen im Ausland und zum Inland nicht unter den Anwendungsbereich des § 1 AStG fallen.3 Die Rechtsfolge der EinkÅnfteberichtigung nach § 1 AStG besteht darin, dass der Berichtigungsbetrag, den betreffenden EinkÅnften des Steuerpflichtigen hinzuzurechnen ist.4
13.205
Maßstab fÅr die EinkÅnftekorrektur ist das Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip (Fremdvergleich). Bei diesem Fremdvergleich, der im Grundsatz dem Fremdvergleich der bilateralen EinkÅnfte-Korrekturklausel (Art. 9 OECDMA) entspricht, kommt es darauf an, was andere unabhngige Unternehmen vereinbart htten. DarÅber hinaus stellt § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG darauf ab, dass die voneinander unabhngigen Dritten alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen (Transparenzklausel) und nach den Grundstzen ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter handeln. Whrend die Transparenzklausel einer Parallele sowohl im Abkommensrecht (Art. 9 OECD-MA) als auch in der EU-Schiedsverfahrenskonvention (Art. 4 EU-SchK) entbehrt, steht die Rechtsfigur des (doppelten) ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleiters5 zwar in Einklang insbesondere mit dem Abkommensrecht6 und mit der hÇchstrichterlichen Rechtsprechung zur verdeckten GewinnausschÅttung und verdeckten Einlage,7 hierÅber gibt es aber keinen internationalen Konsens, sodass insoweit Verstndigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) ausgelÇst werden kÇnnen.8
13.206
Die Ableitung angemessener Verrechnungspreise aus den hierfÅr maßgeblichen Fremdvergleichswerten regelt § 1 Abs. 3 AStG. Hierbei wird unterschieden zwischen tatschlichem und hypothetischem Fremdvergleich.9 Innerhalb des Anwendungsbereichs des tatschlichen Fremdvergleichs,
13.207
1 FÅr die letzte Fallalternative ist auf eine fiktive inlndische nahestehende Person abzustellen; vgl. BMF, Schreiben v. 4.6.2014, DB 2014, 1341. 2 Zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 231 ff. 3 BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BStBl. II 1988, 868; zu den hierdurch entstehenden „KorrekturlÅcken“ Ege in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15 (25 ff.). 4 In Betracht kommt eine Hinzurechnung insbesondere bei GewinneinkÅnften i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1-3 EStG; so BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1990, 875; BFH v. 5.12.1990 – I R 94/88, BStBl. II 1991, 287. 5 Hierzu Wassermeyer/Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 111 ff.; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.143 ff. 6 Hierzu Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 111. 7 Stndige Rechtsprechung seit BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204. 8 Vgl. Wassermeyer, DB 2007, 535 (536). 9 Tatschlicher Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Stze 1–4 AStG; hypothetischer Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Stze 5–8 AStG; die OECD-Verrechnungspreis-RL 2010 sehen einen hypothetischen Fremdvergleich demgegenÅber nicht vor; anstelle von tatschlichem Fremdvergleich wird auch der Begriff „konkreter Fremdvergleich“ verwendet; vgl. den berblick bei Baumhoff/Liebchen in Was-
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der als innerbetrieblicher oder zwischenbetrieblicher Vergleich1 durchgefÅhrt werden kann, ist darauf abzustellen, ob die in Betracht kommenden Fremdvergleichswerte uneingeschrnkt oder nur eingeschrnkt vergleichbar sind. Die vorgenannten Kriterien stehen in einem Drei-StufenVerhltnis, sodass der tatschliche dem hypothetischen Fremdvergleich und im Rahmen des tatschlichen Fremdvergleichs die uneingeschrnkt vergleichbaren den nur beschrnkt vergleichbaren Werten vorgehen.2 In Orientierung an dieses Drei-Stufen-Verhltnis entscheidet sich, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung kommt. DarÅber hinaus wird hierdurch auch der Umfang einer etwaigen Verrechnungspreiskorrektur determiniert.
13.208 Sind im Rahmen des tatschlichen Fremdvergleichs uneingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte verfÅgbar, ist fÅr die Angemessenheit der Verrechnungspreise vorrangig auf die Preisvergleichsmethode (Comparable uncontrolled price method),die Wiederverkaufspreismethode (Resale price method) oder die Kostenaufschlagsmethode (Cost plus method) als Standardmethoden abzustellen.3 Die Fremdvergleichswerte sind am Markt zu ermitteln, wobei die uneingeschrnkte Vergleichbarkeit nach Vornahme sachgerechter Anpassungen im Hinblick auf die ausgeÅbten Funktionen, die eingesetzten WirtschaftsgÅter und die Åbernommenen Chancen und Risiken (Funktionsanalyse) hergestellt werden kann (§ 1 Abs. 3 Satz 1 AStG). Eine uneingeschrnkte Vergleichbarkeit liegt vor, wenn die Geschftsbedingungen identisch sind oder Unterschiede bei den Geschftsbedingungen keine wesentliche Auswirkung auf die Preisgestaltung haben oder Unterschiede in den Geschftsbedingungen (z.B. unterschiedliche Zahlungsziele) durch hinreichend genaue Anpassungen besei-
sermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 3.123 ff. 1 Im Rahmen des zwischenbetrieblichen Vergleichs wird in der Praxis nicht selten auf Datenbankanalysen zurÅckgegriffen, aus denen bestimmte betriebswirtschaftliche Kennziffern abgeleitet werden; zu den hiermit verbundenen Problemen (z.B. Vergleichbarkeit) VÇgele/CrÅger in V/B/E, Verrechnungspreise3, H Rz. 28 ff.; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 3.131; Oestreicher, StuW 2006, 243 ff.; Wahl/Preisser, IStR 2008, 51 ff. 2 Zu diesem Stufenverhltnis Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 203; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (543 f.). 3 Die Standardmethoden stehen gleichrangig nebeneinander, wobei diejenige zu whlen ist, „mit der der Fremdvergleichspreis im konkreten Einzelfall mit der grÇßtmÇglichen Wahrscheinlichkeit seiner Richtigkeit ermittelt werden kann“; so BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; in den OECD-Verrechnungspreis-RL 2010 ist eine Rangfolge der Standardmethoden nicht vorgesehen; zu den Standardmethoden im einzelnen Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Untenehmen4, Rz. 3.169 ff.; dort auch zu den gewinnorientierten Methoden – insbesondere Geschftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (profit split method) und geschftsvorfallbezogene Nettommargenmethode (transacional net margin method – TNMM) – Rz. 3.219 ff.
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tigt worden sind.1 Diese Voraussetzungen werden in der Praxis nur bei Geschftsbeziehungen mÇglich sein, die homogene GÅter oder standardisierte Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Unter den vorgenannten Voraussetzungen werden uneingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte nur im Rahmen bestimmter Bandbreiten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG) feststellbar sein.2 Soweit der vereinbarte Verrechnungspreis sich innerhalb dieser Bandbreiten bewegt, ist dieser uneingeschrnkt zu akzeptieren.3 Hieraus folgt im Grundsatz, dass stets der fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigste Wert innerhalb der Bandbreite angesetzt werden kann.4 In den Fllen, in denen die ermittelten Fremdvergleichswerte nur eingeschrnkt vergleichbar sind, sind diese nach Vornahme sachgerechter Anpassungen einer geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde zu legen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 AStG). Zu den geeigneten Verrechnungspreismethoden gehÇren in erster Linie die Standardmethoden.5 Neben den vorgenannten (transaktionsbezogenen) Standardmethoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) kommen auch transaktionsbezogene Gewinnmethoden und ggf. die Gewinnaufteilungsmethode in Betracht.6 Sind mehrere eingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte7 feststellbar, ist die sich ergebende Bandbreite einzuengen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG). Was darunter zu verstehen ist, lsst sich dem Gesetz nicht unmittelbar entnehmen. Angesprochen sind damit statistisch anerkannte Verfahren, die darauf gerichtet sind, Extremwerte bei der Ermittlung von Durchschnittswerten auszuschalten.8 Im Vordergrund hierbei steht die sog. Interquartil-Methode,9 bei der sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Preisbandbreite unbe-
1 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 Buchst. a (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 2 Zur Entstehung von Preisbandbreiten Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.168 ff. 3 Greinert in RÇdder/Schaumburg, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (549); Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V26; BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 4 Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.186; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1463); vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BFH/NV 2005, 1719. 6 AusfÅhrlich zu den einzelnen Verrechnungspreismethoden Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383 ff. 7 Gemeint sind Fremdvergleichspreise. 8 Hierzu Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551). 9 Interquartile-Range; BegrÅndung des Regierungsentwurfs § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143 unter Hinweis auf BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.12.5. (Verwaltungsgrundstze-Verfahren).
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rÅcksichtigt bleibt. Im Ergebnis wird damit die am Markt ermittelte Bandbreite um 50 % pauschal eingeengt.1
13.210 Liegen die tatschlich vereinbarten Verrechnungspreise in den Fllen der uneingeschrnkt und nur eingeschrnkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte außerhalb der normalen bzw. eingeengten Bandbreite, hat eine EinkÅnftekorrektur zu erfolgen, wobei Maßstab der Median ist (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG). Mit der Bezugnahme auf den Median wird ein statistischer Begriff verwendet, der bedeutet, dass mindestens 50 % aller Merkmalswerte kleiner oder gleich und mindestens 50 % aller Merkmalswerte auch grÇßer oder gleich diesem Wert sind.2
13.211 KÇnnen auch keine eingeschrnkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzufÅhren (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG).3 Das bedeutet, dass ein am Markt zwischen ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleuten typischer Preisbildungsprozess simuliert werden muss.4 Hierbei ist davon auszugehen, dass die auf der Anbieter- und Nachfrageseite gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleiter5 alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG).6 Im Rahmen des vorgenannten simulierten Preisbildungsprozesses ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der HÇchstpreis des Leistungsempfngers unter BerÅcksichtigung funktons- und risikoadquater Kapitalisierungsgrundstze zu ermitteln (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Hierdurch entsteht ein Einigungsbereich, der letztlich von den jeweiligen Gewinnerwartungen
1 Zur Kritik hieran Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V42; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 (362 ff.); Werra, IStR 2005, 19 (21); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769). 2 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V48; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.194 ff., 5.200; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551 f.) mit dem Hinweis, dass diese Methode eine ungerade Zahl von Merkmalswerten unterstellt. 3 Diese Pflicht obliegt dem Steuerpflichtigen. 4 Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V55; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 177, 204; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (553). 5 Zum doppelten ordentlichen, gewissenhaften Geschftsleiter: BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. C 3.143 ff. 6 Zur Kritik an dieser realittsfernen Transparenzklausel Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.156 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108; Roeder, Ubg 2008, 202 (205); Piltz in JbFStR 2007/2008, 99 (149 ff.).
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(Gewinnpotenzialen) bestimmt wird.1 § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG unterstellt somit, dass die Preisobergrenze des Leistungsempfngers stets Åber der Preisuntergrenze des Leistenden liegt (Einigungsbereich). Liegt die Preisobergrenze des Leistungsempfngers dagegen unter der Preisuntergrenze des Leistenden, kommt jedenfalls nach den Åblichen Gesetzmßigkeiten des Marktes kein Geschft zustande. In einem derartigen Fall versagt somit auch der hypothetische Fremdvergleich, ohne dass sich aus dem Gesetz ergibt, welcher Verrechnungspreis sodann angemessen sein soll.2 Das Gebot, aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen den Mindestpreis des Leistenden und den HÇchstpreis des Leistungsempfngers unter Einbeziehung der jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenziale) zu ermitteln, luft im Kern auf eine doppelte ertragswertorientierte Bewertung hinaus,3 die der Unternehmensbewertung entspricht.4 Auf der Grundlage des so ermittelten Einigungsbereichs ist derjenige Verrechnungspreis angemessen, der innerhalb dieses Einigungsbereichs angesiedelt ist und der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der hÇchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei im Zweifel5 der Mittelwert6 des Einigungsbereichs den angemessenen Verrechnungspreis abbildet (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG).7
13.212
Weicht der tatschlich vereinbarte Verrechnungspreis vom Mittelwert des Einigungsbereichs oder von dem Wert innerhalb des Einigungsbereichs ab, der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der hÇchsten Wahrscheinlichkeit entspricht, hat eine EinkÅnftekorrektur zu erfolgen. § 1 Abs. 3 Satz 8 AStG enthlt indessen eine Erleichterung dahin gehend, dass eine EinkÅnftekor-
13.213
1 Einzelheiten zur Ermittlung des Einigungsbereichs bei Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.208 ff. 2 Zur Kritik Kahle in W/S/G, § 1 AStG Rz. 131; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.158; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1464); Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2004, 541 (554). 3 Schreiber, Ubg 2008, 433 (434 ff.). 4 Hierzu Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (554 f.). 5 Widerlegbare Vermutung; der Steuerpflichtige kann einen fÅr ihn gÅnstigeren Wert glaubhaft machen; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.164. 6 Als Mittelwert ist wohl der arithmetische Mittelwert gemeint; vgl. Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (556 f.), dort auch zur Kritik an der normativen Fehlverwendung statistischer Begriffe. 7 Entgegen BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867, wonach wie beim tatschlichen Fremdvergleich (BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171) auch beim hypothetischen Fremdvergleich auf den fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigsten Wert abzustellen ist; zur Kritik an dieser mit Art. 9 OECD-MA und den OECD-RL (Rz. 1.45) nicht zu vereinbarenden „Mittelwertmethode“ Ditz/ Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.112; Kaminski, StuW 2008, 337 (342); Hornig, PIStB 2008, 45 (45).
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rektur unterbleiben kann,1 wenn der zugrunde gelegte Einigungsbereich unzutreffend ermittelt wurde und der tatschlich vereinbarte Verrechnungspreis einem Wert entspricht, der innerhalb des zutreffend ermittelten Einigungsbereichs liegt.2 Etwas anderes gilt in den Fllen, in denen wesentliche immaterielle WirtschaftsgÅter und Vorteile Gegenstand der Geschftsbeziehungen sind. Weicht die tatschliche sptere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhngige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart htten (§ 1 Abs. 3 Satz 11 AStG).
13.214 Die EinkÅnftekorrektur setzt voraus, dass die dem Dealing-atarm‘s-length-Prinzip nicht entsprechenden Bedingungen zu einer Minderung der EinkÅnfte fÅhren. Dies lsst sich erst nach BerÅcksichtigung eines Vorteilsausgleichs3 feststellen. Der Vorteilsausgleich betrifft nur den Ausgleich von Vor- und Nachteilen verschiedener Rechtsgeschfte. Vor- und Nachteile eines einheitlichen Rechtsgeschfts sind dagegen ohne Weiteres ausgleichsfhig.4
13.215 Im Unterschied zu dem insbesondere im Rahmen der verdeckten GewinnausschÅttung maßgeblichen Vorteilsausgleich (hierzu Rz. 13.192), gilt im Rahmen des § 1 AStG ein erweiterter Vorteilsausgleich.5 Im Hinblick darauf wird lediglich vorausgesetzt,6 dass – ein Ausgleich auch zwischen Fremden denkbar sein muss und – die Vor- und Nachteile quantifizierbar sind.7
1 Ermessen der Finanzverwaltung. 2 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V65 ff.; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (557 f.); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1466). 3 Das ist der Ausgleich zwischen den Ergebnissen aus vorteilhaften und nachteiligen Geschften. 4 Sog. Palettenbetrachtung: Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 805; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 164 ff.; Baumhoff in MÇssner, Steuerrecht international ttiger Unternehmen3, Rz. C 436; Dahnke in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 141 f. 5 Zur BegrÅndung im Einzelnen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.119; vgl. ferner Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.332. 6 So Tz. 3.14 OECD-Leitlinien 2010. 7 Anders dagegen BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218 (Verwaltungsgrundstze) Rz. 2.3.2, wonach die Gesellschafter in einem inneren Zusammenhang stehen mÅssen und die Vorteilsverrechnung vereinbart oder Geschftsgrundlage gewesen sein muss.
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Folgende Sachverhalte sind in der Praxis von besonderer Bedeutung:1 – Funktionsverlagerungen Es handelt sich um einen Vorgang, bei dem ein Unternehmen (das verlagernde Unternehmen) einem anderen nahestehenden Unternehmen (das Åbernehmende Unternehmen) WirtschaftsgÅter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken Åbertrgt oder zur Nutzung Åberlsst, damit das Åbernehmende Unternehmen eine Funktion ausÅben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeÅbt worden ist, und dadurch die AusÅbung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschrnkt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).2 Erfasst wird also nicht die bloße bertragung oder NutzungsÅberlassung von WirtschaftsgÅtern oder die Erbringung von sonstigen Leistungen, sondern die bertragung eines BÅndels von WirtschaftsgÅtern und sonstigen Leistungen. Angesprochen ist damit insbesondere die bertragung gesondert gefÅhrter Bereiche eines Unternehmens, ohne dass hierbei ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinne vorliegen muss.3 Derartige Funktionen sind z.B. Einkauf, Produktion, Marketing, Verkauf, Logistik, Forschung und Entwicklung oder Verwaltung.4 Ist eine Funktionsverlagerung gegeben, ist fÅr Zwecke der Gesamtbewertung auf die verlagerte Funktion als Ganzes (Transferpaket) abzustellen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG). Das gilt aber nur fÅr den Fall, dass ein hypothetischer Fremdvergleich vorzunehmen ist.5 Werden also uneingeschrnkt oder eingeschrnkt vergleichbare Werte im Rahmen eines tatschlichen Fremdvergleichs, etwa durch Ableitung aus vergleichbaren am Markt ermittelten Unternehmenstransaktionen, festgestellt, gelten die allgemeinen Grundstze, sodass insbesondere die Preisvergleichsmethode zur Anwendung kommt. Ist das nicht der Fall, ist das Transferpaket als Ganzes im Grundsatz unter BerÅcksichtigung funktions- und risikoadquater Kapitalisierungszinsstze (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 1 AStG) wertmßig zu bestimmen. Hierbei ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der HÇchstpreis des Leistungsempfngers zu ermitteln, wobei der
1 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.143 ff. 2 Die vom Gesetz vorgegebene Definition ist eine Tautologie; zur Kritik Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); vgl. auch die Definition von Borstell/Schperclaus, IStR 2008, 275 ff.; ausfÅhrlich zu Funktionsverlagerungen Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.1 ff. 3 Zum Begriff des Teilbetriebs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG: Teilbetrieb ist ein mit einer gewissen Selbstndigkeit ausgestatteter organisatorisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der fÅr sich allein lebensfhig ist; vgl. BFH v. 10.3.1998 – VIII R 31/95, BFH/NV 1998, 1209. 4 BMF v. 13.10.2010, BStBl. I 2010, 774, Rz. 15 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung). 5 § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG verweist auf Satz 5 in Abs. 3.
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hierdurch geprgte Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 AStG). Die von Gesetzes wegen gebotene ertragswertorientierte Gesamtbewertung bei grenzÅberschreitender Funktionsverlagerung kann allerdings durch eine Einzelbewertung der betroffenen WirtschaftsgÅter ersetzt werden, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass keine wesentlichen immateriellen WirtschaftsgÅter und Vorteile mit der Funktion Åbergegangen sind (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 AStG),1 die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpaketes als Ganzes dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 AStG) oder dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung ist, und er es genau bezeichnet (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 AStG).2 In den Fllen der Funktionsverlagerung, in deren Rahmen wesentliche immaterielle WirtschaftsgÅter und Vorteile Gegenstand der Geschftsbeziehung sind, ist bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs die in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG (§ 9 FVerlV) verankerte Anpassungsklausel3 von Bedeutung.4 Diese greift ein, wenn die tatschliche sptere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung abweicht, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lag. Eine derartige erhebliche Abweichung ist gegeben, wenn der unter Zugrundelegung der tatschlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprÅnglichen Einigungsbereichs liegt (§ 10 FVerlV). Wenn eine derartige Anpassungsregelung nicht getroffen wurde, gilt § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG mit der Folge, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein entsprechender Anpassungsbetrag auf den ursprÅnglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen ist, das dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG).5 (Zu Pflichtverletzungen bei Funktionsverlagerungen Rz. 15.168 ff.).
1 Vgl. hierzu BMF v. 13.10.2010, BStBl. 2010, 774 Rz. 38 ff (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung). 2 Zu diesen Escape-Regelungen Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.360 ff.; BMF v. 13.10.2010, BStBl. 2010, 774 Rz. 38 ff (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung). 3 Diese kommt in allen Fllen des hypothetischen Fremdvergleichs in Betracht. 4 Zur Anpassungsklausel Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.429 ff.; vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Pohl, IStR 2010, 690 ff. 5 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.129 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.
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B. Außensteuerrecht VII. Internationale EinkÅnfteabgrenzung
– Warenlieferungen Die Angemessenheit von Preisen fÅr die Lieferung von Waren und GÅtern wird in der Praxis Åberwiegend anhand der Standardmethoden ermittelt, wobei die Preisvergleichsmethode und die Wiederverkaufspreismethode im Vordergrund stehen.1 Welche der Standardmethoden letztlich sachgerecht ist, hngt von der Funktion des betreffenden Unternehmens innerhalb etwa eines konzerninternen Produktions- und Vertriebsprozesses ab. Hierzu bedarf es in aller Regel einer Funktionsund Risikoanalyse.2 Diese Funktions- und Risikoanalyse ist jeweils aus der Sicht des Produktions- und Vertriebsunternehmens anzustellen.3 – Dienstleistungen Die Angemessenheit von Entgelten fÅr erbrachte Dienstleistungen wird in der Praxis Åberwiegend anhand der Standardmethoden ermittelt, wobei die Preisvergleichsmethode und die Kostenaufschlagsmethode im Vordergrund stehen.4 Voraussetzung ist allerdings, dass die Dienstleistungen Åberhaupt verrechenbar sind, was bei einer Veranlassung aufgrund des Gesellschaftsverhltnisses nicht der Fall ist.5 – Finanzierungsleistungen Entgelte fÅr Finanzierungsleistungen kÇnnen unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs zwischen international verbundenen Unternehmen mit steuerlicher Wirkung nur dann verrechnet werden, wenn die Finanzierungsleistungen betrieblich veranlasst sind.6 Hieraus folgt, dass etwa dem Konzern gewidmetes Eigenkapital nicht entgeltsfhig ist. Ob Eigen- oder Fremdkapital gewidmet worden ist, beurteilt sich danach, ob das Kapital auf schuldrechtlicher oder auf gesellschaftsrechtlicher Ebene hingegeben worden ist.7 Handelt es sich um Fremdkapital sind im Grundsatz Zinsen zu verrechnen, wobei die Abzugs1 Sieker in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 289; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 577; Borstell/HÅlster in V/B/E, Verrechnungspreise , L Rz. 7; Ege in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15; ausfÅhrlich zur Lieferung von GÅtern und Waren Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.1 ff. 2 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.10.2 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 3 Hierzu Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.239 ff.; zu weiteren Einzelheiten Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.7 ff., 6.49 ff. 4 Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 653 ff.; Borstell in V/B/E, Verrechnungspreise3, N Rz. 5; Ege in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 15; ausfÅhrlich Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.87 ff. 5 Vgl. hierzu den berblick bei Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.117 ff. 6 Zu Einzelheiten Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.417 ff. 7 Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720; BFH v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2008, 123; BFH v. 23.6.20120 – I R 37/09, DStR 2010, 1883. 3
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Kapitel 13 Materielles Recht
fhigkeit als Betriebsausgabe nur im Rahmen der Zinsschranke (§ 8a KStG, § 4h EStG) mÇglich ist.1 Die Berechnung der Entgelte fÅr zwischen international verbundenen Unternehmen ausgetauschte Finanzierungsleistungen orientiert sich, soweit es sich um Kreditgewhrungen handelt, durchweg an der Preisvergleichsmethode. Unter dem Gesichtspunkt des Fremdvergleichs folgt hieraus, dass fÅr die Hingabe von Darlehen diejenigen Zinsstze zugrunde zu legen sind, wie sie zwischen fremden Dritten vereinbart werden. Hiernach gilt Folgendes: Hat die darlehensgebende Kapitalgesellschaft selbst einen Kredit aufgenommen, so bemisst sich der angemessene Zinssatz nach den in Rechnung gestellten Sollzinsen, wenn und soweit davon ausgegangen werden kann, dass die hingegebenen Darlehensbetrge andernfalls zur KreditrÅckzahlung verwendet worden wren.2 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bilden die bankÅblichen Habenzinsen die Untergrenze und die bankÅblichen Sollzinsen die Obergrenze.3 Betreibt die darlehensgebende Kapitalgesellschaft keine Bankgeschfte und ist sie deshalb auch nicht mit dem damit verbundenen Aufwand belastet, sind nicht die bankÅblichen Sollzinsen4 zugrunde zu legen, sondern es ist davon auszugehen, dass sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer die Marge zwischen Sollzinsen einerseits und Habenzinsen andererseits teilen.5 – Forschungsleistungen In der internationalen Praxis wird der grenzÅberschreitende Technologietransfer unterschiedlich abgerechnet. Whrend die Nutzung immaterieller WirtschaftsgÅter, etwa die NutzungsÅberlassung von Patenten, Know-how sowie SchutzrechtsÅberlassungen zumeist nach festen Lizenzstzen6 nach Maßgabe der Preisvergleichsmethode abgerechnet 1 Ggf. ergeben sich auch Einschrnkungen nach dem SteuerHBekG/SteuerHBekV; zu verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Zinsschranke BFH v. 13.3.2012 – I B 111/11, DStR 2012, 955; BFH v. 18.12.2013 – I B 85/13, DStR 2014, 788. 2 Hierzu unter dem Gesichtspunkt der verhinderten VermÇgensmehrung bei verdeckter GewinnausschÅttung BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; vgl. auch Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 743.2. 3 BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 743 ff.; Nieß in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 45 (55). 4 So aber BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218, Rz. 4.2.1. (Verwaltungsgrundstze); vgl. zur Kritik gegen diese Verwaltungsregelung Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 738; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 447. 5 BFH v. 28.2.1990 – I R 83/87, BStBl. II 1990, 649; BFH v. 19.1.1994 – I R 93/93, HFR 1994, 455; BFH v. 22.10.2003 – I R 36/03, DStRE 2004, 304; zu weiteren Einzelheiten Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.268. 6 In der Praxis werden vergleichbare Lizenzstze aufgrund von Informationen aus allgemein zugnglichen Datenbanken ermittelt; zur Verwertbarkeit im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AO, § 1 Abs. 1, 3 GAufzV) vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.4 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren).
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C. Doppelbesteuerungsrecht
werden,1 steht bei der Auftragsforschung die Kostenaufschlagsmethode im Vordergrund.2 In den Fllen, in denen die angemessene LizenzgebÅhr fÅr die berlassung wesentlicher immaterieller WirtschaftsgÅter zur Nutzung auf der Grundlage des hypothetischen Fremdvergleichs ermittelt wurde, bedarf es einer nachtrglichen Anpassung derselben, wenn die tatschliche sptere Gewinnentwicklung von derjenigen abweicht, die der Lizenzvereinbarung zugrunde lag (§ 1 Abs. 3 Satz 11 AStG).3 Das gilt allerdings dann nicht, wenn Lizenzvereinbarungen getroffen werden, die die zu zahlende Lizenz vom Umsatz oder Gewinn des Lizenznehmers abhngig machen oder fÅr die HÇhe der Lizenz Umsatz und Gewinn berÅcksichtigen (§ 9 FVerlV).4
C. Doppelbesteuerungsrecht I. Grundstze Die Doppelbesteuerung beruht im Bereich der Subjektsteuern5 vor allem auf dem internationalen Nebeneinander von unbeschrnkter Steuerpflicht durch Erfassung des Welteinkommens/WeltvermÇgens, die anknÅpft an Wohnsitz, gewÇhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Ort der Geschftsleitung, und beschrnkter Steuerpflicht durch Erfassung inlndischen Einkommens/inlndischen VermÇgens. Neben dieser primren Kollision von unbeschrnkter Steuerpflicht einerseits und beschrnkter Steuerpflicht andererseits kann es zu einer Doppelbesteuerung auch durch das Nebeneinander von unbeschrnkter Steuerpflicht in mehreren Staaten kommen. Schließlich ist eine Kollision auch durch eine verschiedenartig ausgeprgte beschrnkte Steuerpflicht in mehreren Staaten mÇglich. Es gibt keinen vÇlkerrechtlichen Satz, der eine derartige Doppel1 BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218, Rz. 5.1.1. (Verwaltungsgrundstze); Sieker in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 304; Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 709 ff.; Portner in Schaumburg (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 78 (91 ff.). 2 BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218, Rz. 5.2.2.; 5.3. (Verwaltungsgrundstze); Baumhoff in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 718.3; ausfÅhrlich zur NutzungsÅberlassung immaterieller WirtschaftsgÅter und zur Auftragsforschung Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.560 ff., 6.602 ff. 3 Zu dieser Anpassungsklausel Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.595 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; ferner Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.148. 4 Zu Einzelheiten Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.288. 5 Zu ihnen gehÇren insbesondere Einkommensteuern; zur Steuertypologie im Einzelnen Hey in T/L21, § 7 Rz. 20 ff.
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13.218
Kapitel 13 Materielles Recht
besteuerung verbÇte und der die Vermeidung der Doppelbesteuerung zur Auflage machte.1
13.219 Auch der AEUV enthlt kein ausdrÅckliches Doppelbesteuerungsverbot.2 Ein Doppelbesteuerungsverbot lsst sich auch nicht unmittelbar aus den unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten ableiten.3 Das sekundre Unionsrecht enthlt allerdings fÅr bestimmte Sachbereiche mitunter ein partielles Gebot der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Angesprochen sind hiermit insbesondere die steuerliche Fusionsrichtlinie,4 die MutterTochter-Richtlinie5 und die Zins- und Lizenz-Richtlinie.6 Schließlich wird
1 Vgl. BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497; Vogel in V/L5, Einl. DBA Rz. 14; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 14.3, dort auch zum Folgenden (Rz. 14.1 ff.). 2 Hierzu Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; Kofler, DBA und Europisches Gemeinschaftsrecht, 381 ff.; Scherer, Doppelbesteuerung und Europisches Gemeinschaftsrecht, 76 f. 3 EuGH v. 12.5.1998 – Rs. C-226/96 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793 Rz. 30; EuGH v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerckhaert und Morres, EuGHE 2006, I-10967, Rz. 20 ff.; EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C-67/08 – Block, IStR 2009, 175 Rz. 27 ff.; EuGH v. 16.7.2009 – Rs. C-128/08 – Damseaux, IStR 2009, 622 Rz. 20 ff.; EuGH v. 15.4.2010 – Rs. C-96/09 – DIBA, EuGHE 2010, I-2929 Rz. 25 ff.; EuGH v. 8.12.2011 – Rs. C-157/10 – Banco Bilbao, IStR 2012, 152 Rz. 31; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, 135 ff.; SchÇn, IStR 2004, 289 (299); Hahn, IStR 2002, 681 (686); MÇssner/Kellersmann, DVBl. 1995, 968 (970); fÅr ein grundfreiheitliches Verbot dagegen Englisch, Dividendenbesteuerung, 251 ff.; Englisch, IStR 2007, 67; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europisches Gemeinschaftsrecht, 154 ff.; Kofler, IStR 2011, 668 ff. (669); Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteueurng im EG-Binnemarkt, 155 ff.; Dautzenberg, DB 1994, 1542 ff.; ferner mehr oder weniger stark differenzierend Cordewener, Europische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 857 ff.; Lehner in FS Wassermeyer, 241 ff.; SchÇnfeld, StuW 2005, 158 ff.; die Vereinbarkeit des abkommensrechtlichen Progressionsvorbehaltes mit den Grundfreiheiten wurde bejaht von BFH v. 15.5.2002 – I R 40/01, BStBl. II 2002, 660. 4 Richtlinie 2009/133/EG Åber das gemeinsame Steuersystem fÅr Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie fÅr die Verlegung des Sitzes einer Europischen Gesellschaft oder einer Europischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 34, gendert durch RL 2013/13/EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30. 5 UrsprÅngliche Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 6 Åber das gemeinsame Steuersystem von Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 6; umgesetzt durch § 43b EStG, § 8 Abs. 1, 9 KStG und § 9 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 GewStG; nunmehr Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011 Åber das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 345 v. 29.12.2011, 8; zuletzt nderungsrichtlinie 2014/86/EU des Rates v. 8.7.2014; ABl. EU Nr. L 219 v. 25.7.2014, 40. 6 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003, ABl. EG Nr. L 157 v. 26.6.2003, 49 ff.; zuletzt gendert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates v. 20.11.2006, ABl. EU 2006 Nr. L 363, 129; umgesetzt durch § 50g EStG.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
angenommen, dass auch dem nationalen Recht kein Rechtsatz dahin gehend zu entnehmen sei, dass eine Doppelbesteuerung verboten und deren Vermeidung geboten sei.1 Indessen ist es das verfassungsrechtlich verankerte Rechtsprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfhigkeit, das eine Vermeidung der Doppelbesteuerung gebietet.2 Da insbesondere die Umsatzsteuer und die verschiedenen Verbrauchsteuern durch ein strenges Territorialittsprinzip geprgt sind,3 wird die Notwendigkeit besonderer Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung insoweit nicht gesehen.4 Auf uni- und bilateraler Ebene (DBA) wird die Doppelbesteuerung insbesondere durch folgende Methoden vermieden bzw. gemildert: – Anrechnungsmethode, aufgrund deren die auf auslndische EinkÅnfte oder auslndisches VermÇgen erhobene auslndische Steuer auf die anteilige deutsche Steuer angerechnet werden kann, – Freistellungsmethode, durch die auslndische EinkÅnfte oder VermÇgensteile ganz oder teilweise von deutscher Steuer freigestellt werden, – Abzugsmethode, wonach eine auf auslndische EinkÅnfte erhobene auslndische Steuer bei der inlndischen EinkÅnfteermittlung wie eine Betriebsausgabe abgezogen werden kann, – Pauschalierungsmethode, wonach auslndische EinkÅnfte nur in HÇhe eines (geringeren) Pauschalsteuersatzes versteuert werden, – Erlassmethode, aufgrund deren als ultima ratio die inlndische Steuer auf auslndische EinkÅnfte oder VermÇgensteile ganz oder teilweise erlassen werden kann.
II. Unilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Zum EStG: Kommentare zu § 3 Nr. 40 und 41, 32d Abs. 5, 34c, 34d EStG und InvStG; Desens, Das HalbeinkÅnfteverfahren KÇln 2004; Dinkelsbach, Besteuerung des Anteilsbesitzes an Kaitalgesellschaften im HalbeinkÅnfteverfahre, DÅsseldorf 2006; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 38 ff.; MÇssner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012 Rz. 2.244 ff.; Otto, Die Besteuerung von gewinnausschÅtzenden KÇrperschaften und Anteilseig1 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1975, 497. 2 SchÇnfeld/Hck in SchÇnfeld/Ditz, DBA-Systematik Rz. 10; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 14.8 ff. m.w.N. 3 Steuerbar sind nur Umstze im Inland (§ 1 Abs. 1 UStG) oder durch bergang der belasteten Ware in dem steuerrechtlich freien Verkehr im Inland (z.B. § 8 Abs. 1 EnergieStG). 4 Vgl. allerdings Stadie in R/D, Einf. UStG Rz. 270 ff.
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13.220
Kapitel 13 Materielles Recht nern nach dem HalbeinkÅnfteverfahren, Berlin 2007; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 15.1 ff.; Zum KStG: Kommentare zu §§ 8b, 26 KStG; § 50g EStG; Englisch, Dividenenbesteuerung, KÇln 2005; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 60 ff.; MÇssner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 2.378 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 15.151 ff. Zum GewStG: Kommentare zu § 9 GewStG; MÇssner, Doppelbesteuerung und deren Beseitigung, in MÇssner u.a. Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 2.411 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 15.217 ff. Zum ErbStG: Kommentare zu § 21 ErbStG; Hamdan, Die Beseitigung internationaler Doppelbesteuerung durch § 21 ErbStG, Angelbachtal 2007; HÇnninger, Internationale Doppelbesteuerung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, Frankfurt/M. 2003.
13.221 Die im nationalen Recht verankerten Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden durch Doppelbesteuerungsabkommen nur dann verdrngt, wenn die abkommensrechtlichen Regelungen eine grÇßere Reichweite aufweisen, im Ergebnis fÅr den Steuerpflichtigen also gÅnstiger sind. Das bedeutet etwa, dass eine im nationalen Recht vorgesehene Steueranrechnung durch eine weiterreichende Steuerfreistellung im Abkommensrecht verdrngt wird (vgl. § 34c Abs. 6 Stze 2–6 EStG).1 Im brigen stehen die DBA, der Erlass- oder Pauschalisierungsmethode (§ 34c Abs. 5 EStG) nicht entgegen.2 Schließlich ist der optionale Steuerabzug auch bei Anwendung von DBA (§ 34c Abs. 6 Satz 2 EStG) in den Grenzen des § 34c Abs. 2 EStG mÇglich. Soweit die DBA sich darauf beschrnken, die Steueranrechnung dem Grunde nach zu regeln, hinsichtlich der Modalitten aber auf nationales Recht verweisen, greifen die nationalen Anrechnungsregeln ein.3
13.222 Bei der Einkommensteuer kommt die Freistellungsmethode in folgenden Fllen zur Anwendung: – Im Rahmen des TeileinkÅnfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG) werden insbesondere die Verußerungen von Anteilen an in- und auslndischen Kapitalgesellschaften sowie AusschÅttungen derselben bei unbeschrnkt und beschrnkt Steuerpflichtigen zu 40 % steuerfrei gestellt. Im Kern geht es hier zwar um die Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung, wegen der Abhngigkeit von der steuerlichen Vorbelastung 1 BFH v. 11.9.1987 – VI R 19/84, BStBl. II 1987, 856; BFH v. 11.9.1987 – VI R 64/86, BFH/NV 1988, 631; BFH v. 24.3.1998 – I R 38/97, BStBl. II 1998, 471; BFH v. 19.4.1999 – I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317; Gosch in Kirchhof13, § 34c EStG Rz. 8. 2 LÅdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 421; Gosch in Kirchhof13, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in H/H/R, § 34c EStG Rz. 173. 3 BFH v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261; LÅdicke in F/W/B/S, § 34c EStG Rz. 82.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
auch auf auslndischer Gesellschaftsebene dient § 3 Nr. 40 EStG so gesehen aber auch der Vermeidung der (internationalen) wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. – Gewinne aus der Verußerung von Anteilen an einer auslndischen Kapitalgesellschaft sowie GewinnausschÅttungen derselben werden steuerfrei gestellt (§ 3 Nr. 41 EStG), soweit fÅr das Kalenderjahr (Wirtschaftsjahr) oder fÅr die vorangegangenen sieben Kalenderjahre (Wirtschaftsjahre) entsprechende Hinzurechnungsbetrge auf Gesellschafterebene der Einkommensteuer unterlegen haben. – In Investmentertrgen in- und auslndischer Investmentfonds enthaltene auslndische EinkÅnfte werden bei den Investmentfondsanlegern freigestellt, wenn sie bei unmittelbarem Bezug abkommensrechtlich von der deutschen Besteuerung auszunehmen wren. Die Anrechnungsmethode wird durch § 34c EStG verwirklicht, soweit unbeschrnkt steuerpflichtige Personen auslndische EinkÅnfte (§ 34d EStG) erzielen, wobei die im Ausland gezahlte Steuer bis zur HÇhe der deutschen Einkommensteuer zur Anrechnung kommt. Eine entsprechende Anrechnung wird auch beschrnkt steuerpflichtigen Personen fÅr DrittstaateneinkÅnfte gewhrt (§ 50 Abs. 3 EStG).1
13.223
Bei der KÇrperschaftsteuer gilt die Steuerfreistellung in folgenden Fllen: – In § 8b Abs. 1 KStG werden In- und Auslandsdividenden von der KÇrperschaftsteuer freigestellt. Die Steuerbefreiung wird vorbehaltlos gewhrt, sodass es auf irgendwelche Mindestbesitzzeiten, Mindestbeteiligungs- oder Aktivittsvorbehalte nicht ankommt. Das gilt allerding nicht fÅr sog. Steuerbesitzdividenden, also in den Fllen, in denen die Beteiligungen zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 v.H. des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (§ 8b Abs. 4 Satz 1 KStG)2 und ferner dann nicht, wenn die BezÅge bei der ausschÅttenden KÇrperschaft das Einkommen gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG).3 – Gewinne aus der Verußerung von in- oder auslndischen Kapitalanteilen werden gem. § 8b Abs. 2 KStG freigestellt. – In Umsetzung der Zins- und Lizenz-Richtlinie4 enthlt § 50g EStG5 eine Steuerfreistellung fÅr Zins- und LizenzgebÅhren, die an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansssiges verbundenes Unternehmen gezahlt werden. Normadressaten des § 50g EStG sind ausschließlich
13.224
1 Zur Anwendung der Pauschalierungs- und Erlassmethode vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 15.132 ff. 2 Fassung ab 1.3.2013 (Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rs. C-284/09 v. 21.3.2012, BGBl. I 2013, 561). 3 Zu dieser Korrespondenzklausel Schaumburg in FS Frotscher, 503 (514 ff.). 4 Richtlinie 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU Nr. L 157 v. 26.6.2003, 49, zuletzt gendert durch RL 2013/13/EU v. 13.5.2013, ABl. EU 2013 Nr. L 141, 30. 5 Diese Vorschrift gilt auch fÅr die KÇrperschaftsteuer, vgl. Anlage 3 Nr. 2 zu § 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG.
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Kapitel 13 Materielles Recht
nach dem Recht der EU-Mitgliedstaaten errichtete Kapitalgesellschaften.1 – Soweit eine Steuerfreistellung nicht in Betracht kommt, erfolgt entweder eine Steueranrechnung (§ 26 Abs. 1 KStG), ein Steuerabzug (§ 26 Abs. 6 KStG i.V.m. § 34c Abs. 2 und 3 EStG) oder ein Steuererlass und Steuerpauschalierung (§ 26 Abs. 6 KStG i.V.m. § 34c Abs. 5 EStG).
13.225 Obwohl durch das Gewerbesteuergesetz das Territorialittsprinzip verwirklicht wird,2 ist eine Vermeidung der Doppelbesteuerung insbesondere bei auslndischen Dividenden geboten. Diese Vermeidung der Doppelbesteuerung wird durch Steuerfreistellung im Wege des sog. gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs (§ 9 Nr. 7 GewStG) gewhrleistet.
13.226 FÅr Zwecke der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) wird die Doppelbesteuerung allein durch die Steueranrechnung (§ 21 ErbStG) vermieden3
III. Bilaterale Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) Literatur (Gesamtdarstellungen ab 2000): Kommentare zum OECD-MA 2008 und 2010 und zu den deutschen DBA; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2009, 96 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 64 ff.; Keuthen, Die Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung im EG-Binnenmarkt, Berlin 2009; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2000, 645 ff.; Kofler, DBA und Europisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007; Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, Baden-Baden 2010; Locher, EinfÅhrung in das Internationale Steuerrecht der Schweiz, 3. Aufl. Bern 2005; LÅdicke, berlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; MÇssner, Beseitigung der Doppelbesteuerung durch Staatsvertrge, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. 2012, Rz. 2.418 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011 Rz. 16.1 ff.
1. Allgemeine Hinweise
13.227 DBA sind darauf gerichtet, gegenÅber den aufgrund des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Vertragsstaaten entstehenden SteueransprÅchen Schrankenwirkungen4 zu entfalten. Diese Wirkungen beruhen im Wesentlichen auf den mit Lex-specialis-Charakter ausgestatteten Normen 1 2 3 4
§ 50g Abs. 3 Nr. 5 EStG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 zum EStG. Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 15.217. Zur Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 15.243 ff. Zu den in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich verwendeten, fÅr die Rechtsanwendung aber nicht weiter bedeutsamen Begrifflichkeiten Vogel in V/L5, Einl. DBA Rz. 70; Menck in G/K/G, DBA, Grundlagen, Abschn. 2 Rz. 57 ff.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
der DBA,1 die nach Umsetzung in innerstaatliches Recht2 einen gegenseitigen Steuerverzicht der Vertragsstaaten begrÅnden.3 Dieser gegenseitige Steuerverzicht wird, entsprechend der Grundkonzeption des OECDMAs4, dadurch gewhrleistet, dass einerseits die Besteuerung im Quellenstaat umgrenzt wird (Art. 6–21 OECD-MA) und andererseits der Wohnsitzstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Steueranrechnung oder Steuerfreistellung gewhrt (Art. 23 OECD-MA). Whrend die Steueranrechnung auf die Vermeidung der effektiven Doppelbesteuerung gerichtet ist, geht es bei der Steuerfreistellung um die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung, d.h. sie erfolgt im Grundsatz ohne RÅcksicht darauf, ob der Quellenstaat die betreffenden EinkÅnfte Åberhaupt besteuert (zu den Ausnahmen, z.B. Subject-to-tax-Klauseln, s. Rz. 13.236). Entsprechendes gilt auch fÅr die Steuerumgrenzung – Steuerfreistellung oder reduzierter (Quellen-)Steuersatz – im Quellenstaat, die ebenfalls grundstzlich ohne RÅcksicht auf eine Besteuerung im Ansssigkeitsstaat erfolgt. Zu den bilateralen DBA zhlen auch die insbesondere von Deutschland mit einigen Staaten abgeschlossenen Sonderabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der EinkÅnfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen.5 Die Sonderabkommen beinhalten eine Freistellung der EinkÅnfte von Luft- und/oder Schifffahrtunternehmen von der Steuer in dem einen Vertragsstaat, sofern der Ort der Geschftsleitung des Unternehmens in dem anderen Vertragsstaat belegen ist. Zudem enthalten mehrere Sonderabkommen6 eine MeistbegÅnstigungsklausel, nach der die Vertragsstaaten verpflichtet sind, dem Unternehmen aus dem anderen Vertragsstaat mindestens die Vorteile zu gewhren, welche sie Unternehmen aus Drittstaaten gewhren. DarÅber hinaus beziehen sich die Sonderabkommen hufig nicht allein auf einen steuerrechtlichen, sondern zustzlich auch auf einen handelsrechtlichen Anwendungsbereich – z.B. Maßnahmen zur erleichterten Abwicklung des Schiffsverkehrs, Zollabfertigung und Zolltarife. Der Sinn und Zweck der Sonderabkommen besteht somit nur teilweise darin, die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Zudem hat insbesondere Deutschland mit Staaten und anderen Jurisdiktionen, mit denen bislang entweder keine oder aus deutscher Sicht DBA mit nur unzureichenden Auskunftsklauseln bestehen, Informationsaustauschabkommen (Tax Information Exchange Agreements – TIEA) abgeschlos1 DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 2, 5. 2 In Deutschland durch Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG); vgl. zum Abschluss und Wirksamwerden von DBA: Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.19 ff. 3 Vogel in V/L5, Einl. DBA Rz. 70, 72. 4 Zur Bedeutung SchÇnfeld/Hck in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Systematik Rz. 26 ff.; das deutsche Muster-DBA hat bislang noch keine wesentliche Bedeutung erlangt; vgl. Text und Kommentierung bei SchÇnfeld/Ditz in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Anh. 4. 5 Zum Abkommensstand: Nr. 3 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171. 6 Z.B. Chile und China.
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13.228
Kapitel 13 Materielles Recht
sen, die gegen den von sog. Steueroasen gerichteten schdlichen Steuerwettbewerbs gerichtet sind und vor allem der vollstndigen Erfassung von KapitaleinkÅnften dienen.1 Soweit mit Staaten zugleich DBA bestehen, die mit den Sonderabkommen und den Informationsaustauschabkommen vergleichbare Regelungen enthalten, sind wegen der Gleichrangigkeit der Abkommen die diesbezÅglichen Regelungen gleichermaßen anwendbar, ohne dass die eine Regelung die andere verdrngt.2 2. Auslegungskonflikte Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 25 OECD-MA; Albert, DBA-Verstndigungsverfahren – Probleme und Verbesserungsvorschlge, ifst-Schrift Nr. 457 (2009); Eigelshoven/Wolff, Verstndigungverfahren – Praktische Erfahrungen und ungelÇste Probleme, in LÅdicke, Praxis und Zukunft des deutschen internationalen Steuerrechts, KÇln 2012, 129 ff.; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, Berlin 2009; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.79; ZÅger, Schiedsverfahren fÅr Doppelbesteuerungsabkommen: MÇglichkeiten zur Verbesserung des Rechtsschutzes im internationalen Steuerrecht, Wien 2011.
13.229 Es ist nicht zu vermeiden, dass die Vertragsstaaten ein und dieselben Abkommenvorschriften unterschiedlich auslegen. Eine derartige unterschiedliche Auslegung fÅhrt zu einer StÇrung der Regelungshomogenitt und vereitelt damit nicht selten die Vermeidung der Doppelbesteuerung als eigentliches Vertragsziel der DBA. Es kommt hierbei zu Auslegungskonflikten.3 Diese kÇnnen bilateral entweder durch normspezifische Switch-over-Klauseln4 oder durch ein Verstndigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), multilateral partiell durch die Schiedsverfahrenskonvention5 oder in Anwendung des Europischen bereinkommens zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten6 sowie durch bilaterale und unilaterale7 Subjekt-to-tax-Klauseln behoben werden. 1 Zum derzeitigen Stand vgl. Nr. 4 der Anlage zum Schreiben des BMF v. 22.1.2014, BStBl. I 2014, 171; zu Einzelheiten Rz. 8.83 ff. 2 So ausdrÅcklich Abschn. 2 des Schlussprotokolls zum DBA-China betreffend Sonderabkommen. 3 Zur Typologie Vogel in V/L5, Einl. DBA Rz. 151 ff.; von Poser/Groß-Naedlitz, Der Qualifikationskonflikt bei DBA, 104 ff.; Hannes, Qualifikationskonflikte im Internationalen Steuerrecht, 129 ff. 4 Hierzu Vogel in V/L5, Einl. DBA 168 ff. mit AbkommensÅbersicht; ferner § 50d Abs. 9 EStG. 5 bereinkommen Åber die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, 90/436/EWG, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10; gendert durch Richtlinie 2005/19/EG zur nderung der Richtlinie 90/434/EWG v. 17.2.2005, ABl. EU Nr. L 58 v. 4.3.2005, 19 ff. 6 V. 29.4.1957, BGBl. II 1961, 81; vgl. auch Art. 41 Abs. 5 DBA-Schweden. 7 Z.B. § 50d Abs. 8 EStG bei EinkÅnften aus nichtselbstndiger Arbeit.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
Insbesondere folgende Instrumente sind darauf gerichtet, eine unterschiedliche Anwendung von Abkommensrecht und damit eine Doppelbesteuerung zu vermeiden: – Verstndigungsverfahren, die den zustndigen BehÇrden beider Vertragstaaten die MÇglichkeit erÇffnen, Schwierigkeiten bei der Auslegung und Anwendung der DBA in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln (Art. 25 OECD-MA), – Vorabverstndigungsverfahren (APAs), die darauf abzielen, zwischen zwei oder mehreren Staaten eine einvernehmliche Besteuerung von noch nicht verwirklichten Geschften eines Steuerpflichtigen und ihm nahestehenden Personen i.S. von § 1 AStG, eine einvernehmliche Gewinnaufteilung zwischen einem inlndischen Unternehmen und seiner auslndische Betriebssttte oder eine einvernehmliche Gewinnermittlung einer inlndischen Betriebssttte eines auslndischen Unternehmens herbeizufÅhren,1 – Konsultationsverfahren, bei denen es darum geht, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung der Abkommen entstehen, im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen sowie RegelungslÅcken im DBA zu schließen, – Schiedsverfahren, die in einigen DBA den Zweck der Behebung von Auslegungskonflikten sicherstellen wollen,2 – EU-Schiedsverfahrenskonvention,3 wonach im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen und dem Verhltnis zu Betriebssttten die Doppelbesteuerung beseitigt werden soll.4
13.230
Im Hinblick darauf, dass die vor allem im Ansssigkeitsstaat abkommensrechtlich gebotene Steuerfreistellung auf die Vermeidung der virtuellen Doppelbesteuerung gerichtet ist, kommt es bei Nichtbesteuerung im Quellenstaat zu einer doppelten Nichtbesteuerung.5
13.231
Das gilt auch fÅr den Fall, dass der Quellenstaat freistellt, ohne dass der Ansssigkeitsstaat besteuert. Zu einer bloß (internationalen) Minderbesteuerung kommt es im vorgenannten Fall, wenn die EinkÅnfte im Quellenstaat nur mit einem begrenzten Quellensteuersatz belastet werden.6
13.232
1 So die Formulierung in § 178a Abs. 1 AO. 2 Hierzu der berblick bei Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 250, 260 ff. 3 Richtlinie 90/434/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10, gendert durch Richtlinie 2005/19/EG zur nderung der Richtlinie 90/434/EWG v. 17.2.2005, ABl. EU Nr. L 58 v. 4.3.2005, 19 ff. 4 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.114 ff.; Schaumburg in Schaumbueg/Englisch, Europisches Steuerrecht, Rz. 16.1 ff. 5 Zur Begriffsvielfalt: Weiße EinkÅnfte, Keinmalbesteuerung, Minderbesteuerung, Nullbesteuerung, Doppelfreistellung; vgl. hierzu Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 32 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 503. 6 Sog. Graue EinkÅnfte; vgl. hierzu Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 187 f.
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Kapitel 13 Materielles Recht
13.233 Gegen die doppelte Nichtbesteuerung sind insbesondere bilaterale1 und multilaterale Switch-over-Klauseln2 und Subject-to-tax-Klauseln3 in folgenden Fllen gerichtet: – negative Qualifikationskonflikte, die dazu fÅhren, dass durch divergierende Auslegung von Abkommensbestimmungen jeder Staat sein Besteuerungsrecht verneint, also den jeweils anderen Staat fÅr berechtigt hlt, die betreffenden EinkÅnfte zu besteuern:4 § 50d Abs. 9 EStG.5 – NichtausÅbung des Besteuerungsrechts im Quellen- oder im Ansssigkeitsstaat:6 Abkommensrechtliche Subject-to-tax-Klauseln; § 50d Abs. 8 EStG.7
13.234 Von Bedeutung sind schließlich auch unilaterale Korrespondenzklauseln, die eine internationale Minderbesteuerung in den Fllen verhindern wollen, in den zwei oder mehrere Staaten bei verschiedenen Steuerpflichtigen korrespondierende Sachverhalte steuerlich unterschiedlich einordnen.8 3. Steuerumgehung Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu § 20 Abs. 2 AStG, § 50d Abs. 3 EStG, § 42 AO; Lampe, Missbrauchsvorbehalte in vÇlkerrechtlichen Abkommen am Beispiel der Doppelbesteuerungsabkommen, KÇln/Berlin/MÅnchen 2006; LÅdicke, berlegungen zur deutschen DBA-Politik, Baden-Baden 2008; Lutz, Die Maßnahmen gegen die missbruchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, ZÅrich 2000; Paschen, Steuerumgehung im nationalen und internationalen Steuerrecht, Wiesbaden 2001; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.124.
1 Unilaterale Klauseln verdrngen die abkommensrechtliche Freistellung; zu diesem treaty overriding vgl. Rz. 2.32. 2 Anrechnung statt Freistellung bei negativen Qualifikationskonflikten. 3 Besteuerung trotz Freistellung, wenn der andere Staat nicht besteuert; es wird auch der Begriff „RÅckfallklausel“ verwendet; vgl. hierzu den berblick bei Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 173 f. 4 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.84; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 57. 5 Zur Verfassungsmßigkeit des § 50d Abs. 9 EStG (treaty overriding) BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13, DB 2014, 2439 (Vorlagebeschluss). 6 Hierzu im berblick Vogel in V/L5, vor Art. 6-22 OECD-MA Rz. 31 ff. 7 Zur Frage der Verfassungsmßigkeit des in § 50d Abs. 8 EStG verankerten treaty overriding Vorlagebeschluss des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, FR 2012, 819; zu § 50d Abs. 10 EStG Vorlagebeschluss des BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, DStR 2014, 306. 8 Beispiele: § 3 Nr. 40 Buchst. d Satz 2 EStG; § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG, wonach eine (partielle) Steuerfreistellung fÅr GewinnausschÅttungen (BezÅge) nur gewhrt wird, wenn sie das Einkommen der leistenden (auslndischen) Kapitalgesellschaft nicht genmindert haben.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
Da die Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterschiedlich ausgeprgt sind, kommt es international zu einem starken Regelungsgeflle. Die Folge dieses internationalen Regelungsgeflles bei den unilateralen und bilateralen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist das Bestreben von Steuerpflichtigen, durch entsprechende Gestaltungen sich unter den Schutz jener Abkommensvorschriften zu stellen, die eine Milderung oder gar eine Vermeidung der Doppelbesteuerung am besten gewhrleisten. International steht die Ausnutzung des Regelungsgeflles von DBA im Vordergrund. Es handelt sich hierbei um Fallgestaltungen, bei denen es darum geht, – durch Zwischenschaltung einer Person die Schutzwirkung eines Abkommens in Anspruch zu nehmen, die sonst nicht gewhrt wÅrde (treaty shopping), – durch bestimmte Gestaltungen EinkÅnfte von einer in eine andere Einkunftsart des Abkommens umzuqualifizieren (rule shopping) oder – Doppelbefreiungen bzw. eine doppelte Nichtbesteuerung (negative Qualifikationskonflikte) zu erlangen.
13.235
Gegen die nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme von Abkommensregelungen durch Steuerpflichtige sind auf Abkommensebene folgende Maßnahmen gerichtet: – Einschrnkung der Abkommensberechtigung insbesondere in den mit der Schweiz und den USA abgeschlossenen DBA;1 – Aktivittsklauseln, wonach die Freistellung von Betriebsstttengewinnen und von Schachteldividenden davon abhngig gemacht wird, dass die Einnahmen der Betriebssttte oder der Tochtergesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich aus sog. aktiven oder produktiven Ttigkeiten stammen;2 – Beneficiary-Klauseln, wonach Empfnger von Dividenden, Zinsen und LizenzgebÅhren die Reduzierung von Quellensteuern oder deren NichtErhebung im Quellenstaat nur dann beanspruchen kÇnnen, wenn sie Nutzungsberechtigte (beneficial owner) sind;3 – bilaterale und unilaterale Switch-over-Klauseln,4 die zum Wechsel von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode fÅhren, um eine auf negativen Qualifikationskonflikten beruhende doppelte Nichtbesteuerung in beiden Vertragstaaten zu verhindern;
13.236
1 Zu Einzelheiten Prokisch in V/L5, Art. 1 OECD-MA Rz. 138 ff. 2 AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23 OECD-MA Rz. 74 ff. 3 Zu Einzelheiten Vogel in V/L5, vor Art. 10–12 OECD-MA Rz. 10 ff.; Kraft, Die missbruchliche Inanspruchnahme von DBA, 20 ff. 4 AbkommensÅbersicht bei Prokisch in V/L5, Art. 1 OECD-MA Rz. 136; im nationalen Recht § 50d Abs. 9 EStG; hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.525.
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Kapitel 13 Materielles Recht
– bilaterale und unilaterale Subject-to-tax-Klauseln,1 die ebenfalls darauf gerichtet sind, insbesondere eine Doppelfreistellung zu verhindern;2 – KÅnstlerverleihklauseln (Art. 17 Abs. 2 OECD-MA), die bewirken, dass Personen, denen EinkÅnfte aus der Ttigkeit als KÅnstler oder Sportler zufließen, obwohl sie selbst nicht als KÅnstler oder Sportler auftreten, der Besteuerung in dem Staat unterliegen, in dem die kÅnstlerische oder sportliche Ttigkeit ausgeÅbt wird; – GrundstÅcksklauseln (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA), wonach Gewinne aus der Verußerung von Anteilen an GrundstÅcksgesellschaften vom Belegenheitsstaat besteuert werden dÅrfen, sodass statt der Freistellungs- die Anrechnungsmethode eingreift;3 – ArbeitnehmerÅberlassungsklauseln, wonach in Abweichung von Art. 15 Abs. 2 OECD-MA auch der Ttigkeitsstaat besteuern darf.4
13.237 Soweit keine spezifischen abkommensrechtlichen Missbrauchsklauseln zur Anwendung kommen, verbleibt ein Anwendungsbereich fÅr § 42 AO.5 DarÅber hinaus greifen auch weitere spezielle Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts ein, die, soweit ihr Anwendungsbereich reicht, ebenfalls § 42 AO verdrngen (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Hierzu gehÇren u.a. die unilaterale Switch-over-Klausel des § 20 Abs. 2 AStG, wonach fÅr niedrig besteuerte auslndische BetriebssttteneinkÅnfte aus passivem Erwerb die abkommensrechtliche Steuerfreistellung durch die Steueranrechnung ersetzt wird,6 ferner § 50d Abs. 1 EStG, wonach gewhrleistet ist, dass die durch DBA eingerumte Reduzierung oder Freistellung von Quellensteuern nur dann beansprucht werden kann, wenn der Empfnger der betreffenden EinkÅnfte seine Abkommensberechtigung nachweist und schließlich die (Anti-) Treaty-shopping-Klausel des § 50d Abs. 3 EStG, die regelt, dass eine nicht aktiv ttige auslndische Gesellschaft keinen Anspruch auf Steuerentlastung nach Maßgabe der DBA und gem. der §§ 43b, 50g EStG hat, soweit an ihr Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustnde, wenn diese die EinkÅnfte unmittelbar erzielten.7
1 AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, vor Art. 6-22 OECD-MA Rz. 31 ff.; im nationalen Recht § 50d Abs. 8 EStG; hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.523 f. 2 Zu Einzelheiten Vogel in V/L5, vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 19, 20; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 1 OECD-MA Rz. 72. 3 Reimer in V/L5, Art. 13 OECD-MA Rz. 174. 4 Hierzu Prokisch in V/L5, Art. 15 OECD-MA Rz. 54 ff.; dort auch zu den entsprechenden missbruchlichen Gestaltungen. 5 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.133 ff., 16.154 ff. 6 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.151. 7 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.153, 16.160 ff.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
4. Abkommensberechtigung Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 1, 3 und 4 OECD-MA; Helde, Dreiecksverhltnisse im Internationalen Steuerrecht unter Beteiligung einer Betriebssttte, KÇln 2000; Lang/ Schuch/Staringer, Die Ansssigkeit im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2008; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.169 ff., 16.194 ff.
Die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen kÇnnen nur Personen in Anspruch nehmen, die abkommensberechtigt sind. FÅr die Abkommensberechtigung stellen die DBA (Art. 1 OECD-MA) darauf ab, ob eine Person in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansssig ist. Mit dieser AnknÅpfung unterfallen dem Abkommensschutz lediglich solche Personen, die wenigstens zu einem der beiden Vertragsstaaten eine besondere persÇnliche Bindung aufweisen. Werden diese Merkmale – Person (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA) und Ansssigkeit (Art. 4 OECD-MA) – nicht erfÅllt, versagt der Abkommensschutz mit der Folge, dass insoweit eine Doppelbesteuerung bilateral nicht vermieden werden kann.
13.238
Der Kreis derjenigen, die als Personen i.S. des Abkommens als Abkommenssubjekte1 und damit als Trger von Rechten und Pflichten in Betracht kommen, ist im Abkommen weit gezogen. Neben den natÅrlichen Personen fallen auch Gesellschaften, d.h. juristische Personen oder Rechtstrger, die fÅr die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, sowie alle anderen Personenvereinigungen in diesen Schutzkreis (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und b OECD-MA). Dieser Schutzkreis verengt sich allerdings dadurch, dass nur solche Personen unter den Abkommensschutz fallen, die in wenigstens einem der beiden Vertragsstaaten ansssig sind. Hierzu gehÇren jene Personen, die in einem oder in beiden Vertragsstaaten nach dortigem Recht aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres stndigen Aufenthaltes, des Orts der Geschftsleitung oder eines anderen hnlichen Merkmals steuerpflichtig sind.2 Durch bilaterale und multilaterale Antitreaty-shopping-Klauseln kann die Abkommensberechtigung in Sonderfllen, insbesondere bei missbruchlicher Ausnutzung von AbkommensvergÅnstigungen, allerdings ausgeschlossen werden.3
13.239
Der Begriff der Ansssigkeit (Art. 4 OECD-MA) hat nicht nur Bedeutung fÅr die Abkommensberechtigung einer Person, er dient auch als AnknÅpfungspunkt fÅr die Besteuerung im Wohnsitzstaat in Abgrenzung gegen die Besteuerung im Quellenstaat. Nach der Grundkonzeption der DBA
13.240
1 Prokisch in V/L5, Art. 1 OECD-MA Rz. 5. 2 Damit sind (deutsche) Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften) grundstzlich nicht abkommensberechtigt. 3 Vgl. z.B. die sog. Limitation-on-benefits-Klausel in Art. 28 DBA-USA sowie § 50d Abs. 3 EStG.
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Kapitel 13 Materielles Recht
wenden sich deren Schrankenwirkungen zum einen gegen den Quellenstaat und zum anderen gegen den Wohnsitzstaat. Die den Quellenstaat betreffenden Abkommensvorschriften fÅhren zu einer Umgrenzung der Quellenstaatsbesteuerung, wonach entweder die Besteuerung im Quellenstaat voll aufrechterhalten bleibt,1 den Besteuerungsgrundlagen2 oder der SteuerhÇhe nach eingeschrnkt3 oder aber gnzlich aufgehoben4 wird. Die den Wohnsitzstaat betreffenden Vorschriften regeln sodann, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die (verbleibende) Doppelbesteuerung auszugleichen hat.5 Der Begriff der Ansssigkeit ist schließlich noch von Bedeutung fÅr die Regelung derjenigen Flle, in denen sich eine Doppelbesteuerung daraus ergibt, dass zwei Wohnsitze vorhanden sind.6
13.241 Die Entscheidung darÅber, welcher Staat als Wohnsitzstaat oder als Quellenstaat besteuern darf, wird sodann auf einer Stufenfolge zumeist ortsbezogener Kriterien getroffen (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA). Als Wohnsitzstaat gilt danach stets derjenige Vertragstaat, in dem die Person aufgrund eines abgestuften Regelungssystems als ansssig gilt. Der andere Vertragstaat ist sodann automatisch der Quellenstaat.7 5. Sachliche Reichweite Literatur (ab 2002): Kommentare zu Art. 2 OECD-MA; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.189 ff.
13.242 Die DBA bestimmen durchweg, dass unter ihren sachlichen Anwendungsbereich solche Steuern fallen, die vom Einkommen und VermÇgen fÅr Rechnung eines Vertragsstaates oder seiner GebietskÇrperschaften erhoben werden (Art. 2 Abs. 1 OECD-MA). Hierbei spielt es keine Rolle, ob die betreffenden Steuern durch Veranlagung oder durch Abzug an der Quelle erhoben werden. Da die deutsche Kirchensteuer keiner derartigen GebietskÇrperschaft zufließt, unterliegt sie zwar nicht dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA, als Annexsteuer zur Einkommensteuer
1 So das fÅr die Besteuerung unbeweglichen VermÇgens geltende Belegenheitsprinzip (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA). 2 So das fÅr Unternehmensgewinne geltende Betriebsstttenprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). 3 Vgl. etwa die Steuersatzbegrenzung fÅr auf Dividenden und Zinsen erhobene Quellensteuern (Art. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 OECD-MA). 4 So etwa fÅr LizenzgebÅhren (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA). 5 Entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung (Art. 23A, 23B OECD-MA). 6 Art. 4 Abs. 2 OECD-MA (tie-breaker-rule); hierzu Rz. 15.263 ff. 7 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 2; Pohl in SchÇnfeld/ Ditz, Art. 4 Rz. 11; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.196.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
wird sie aber mittelbar erfasst.1 Mit den Steuern vom Einkommen und VermÇgen ist der Kreis der in die Abkommen einbezogenen Steuern sehr weit gezogen. Aus deutscher Sicht gehÇren hierzu nicht nur die Einkommen-, KÇrperschaft-2 und VermÇgensteuer,3 sondern auch die Gewerbesteuer.4 Als Steuer vom VermÇgen unterliegt die Grundsteuer dem sachlichen Anwendungsbereich der DBA,5 was allerdings im Hinblick darauf, dass nur inlndische GrundstÅcke der Besteuerung unterliegen,6 keine weiteren Auswirkungen hat. Nicht erfasst werden indessen grundstzlich die Umsatzsteuer und (sonstige) Verbrauchsteuern sowie zumeist die Erbschaftsteuer,7 fÅr die Deutschland allerdings einige eigenstndige Abkommen abgeschlossen hat.8 Zu den Steuern vom Einkommen und VermÇgen gehÇren nicht Sozialversicherungsbeitrge, selbst wenn diese als Steuern bezeichnet werden.9 Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stellen durchweg klar, dass zu den Steuern vom Einkommen und VermÇgen auch die Steuern vom VermÇgenszuwachs gehÇren. Damit wird auch die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG erfasst.10
13.243
6. Verteilungs- und Vermeidungsnormen Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu Art. 6–21 OECD-MA; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl. MÅnchen 2000, 740 ff.; MÇssner, Beseitigung der Doppelbesteuerung durch Staatsvertrge, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 2.418 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.211 ff.;
Die Schrankenwirkungen11 der DBA artikulieren sich primr in ihren Verteilungsnormen,12 die darauf gerichtet sind, die Verteilung des Steuer1 Dremel in SchÇnfeld/Ditz, Art. 2 OECD-MA Rz. 17. 2 Einschließlich des als Ergnzungsabgabe erhobenen Solidarittszuschlags, vgl. §§ 1 und 5 SolZG. 3 Sie wird seit dem 1.1.1997 nicht mehr erhoben. 4 Hierzu die AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 2 OECD-MA Rz. 39. 5 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 2 OECD-MA Rz. 32. 6 § 1 Abs. 1 und 2 GrStG. 7 Ausnahme: DBA-Schweden; DBA-Dnemark. 8 Mit Griechenland, Schweiz, Frankreich und den USA. 9 Vogel in V/L5, Art. 2 OECD-MA Rz. 21. 10 Vogel in V/L5, Art. 2 OECD-MA Rz. 29; unmittelbar als Steuer vom Einkommen qualifizierend Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 2 OECD-MA Rz. 45. 11 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.211 ff. 12 Artt. 6–22 OECD-MA; neben Verteilungsnormen sind auch die Begriffe Zuteilungsnormen und Kollisionsnormen gebruchlich, vgl. zur Terminologie im Einzelnen Vogel in V/L5, Einl. DBA Rz. 68 ff.; Debatin, DB 1985, Beilage 23, 1 (2); kritisch zu dieser Begriffsbildung Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 1
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Kapitel 13 Materielles Recht
gutes1 zwischen Wohnsitzstaat und Quellenstaat vorzunehmen. In ihrem Ausgangspunkt zielen die Verteilungsnormen darauf ab, die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechtzuerhalten und diejenige des Quellenstaates zu umgrenzen mit der Folge, dass die Steuerberechtigung des Quellenstaates entweder aufrechterhalten, begrenzt oder gnzlich aufgehoben wird. Die Reichweite der abkommensrechtlichen Verteilungsnormen ist begrenzt: Sie enthalten durchweg keine Regeln Åber die EinkÅnfteermittlung und -zurechnung, sodass abkommensrechtlich beides dem innerstaatlichen Recht vorbehalten ist.2 Im Hinblick darauf sind die diesbezÅglichen Regeln jeweils dem nationalen Recht zu entnehmen.
13.245 FÅr die einzelnen Einkunftsarten, fÅr deren Abgrenzung und Konkurrenzen vom deutschen Steuerrecht abweichende Regeln gelten sind die folgenden Verteilungsnormen maßgeblich:3 – EinkÅnfte aus unbeweglichem VermÇgen, zu denen im Wesentlichen EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft und aus GrundstÅcksvermietung zhlen, unterliegen im Grundsatz gleichermaßen der Steuerberechtigung des Wohnsitz- und des Quellenstaates (Art. 6 OECD-MA). Der Ausgleich der Doppelbesteuerung erfolgt durch den Wohnsitzstaat, was in der deutschen Vertragspraxis Åberwiegend durch Steuerfreistellung geschieht.4 – FÅr Unternehmensgewinne, zu denen insbesondere EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb zhlen,5 steht im Ausgangspunkt die Steuerberechtigung ausschließlich dem Wohnsitzstaat zu (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 OECD-MA). Unterhlt das Unternehmen in dem anderen Vertragstaat indessen eine Betriebssttte, so kÇnnen die Unternehmensgewinne im Betriebsstttenstaat insoweit besteuert werden, als sie der Betriebssttte dort zugerechnet werden kÇnnen (Art. 7 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2, Abs. 2 OECD-MA). FÅr derartige Betriebsstttengewinne erfolgt in der deutschen Vertragspraxis die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch den Wohnsitzstaat im Wege der Freistellungsmethode, die mitunter allerdings unter Aktivittsvorbehalt gestellt ist.6 Der Freistellung von Betriebsstttengewinnen entspricht die NichtberÅcksichtigung von Be-
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OECD-MA Rz. 9; Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 1, der diese Normen als Steuerbefreiungs- und Steuerermßigungsnormen bezeichnet, ohne dass hierin ein Widerspruch erkennbar ist; vgl. SchÇnfeld/Hck in SchÇnfeld/Ditz, DBA, Systematik Rz. 37; ferner Rz. 13.227. Zur Abgrenzung zwischen (wirtschaftlichem) Steuergut und (rechtlichem) Steuerobjekt Seer in T/L21, § 6 Rz. 36. Hemmelrath in V/L5, Art. 7 OECD-MA Rz. 21; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 6–22 OECD-MA Rz. 15; Art. 7 OECD-MA Rz. 159. Zugleich unter Hinweis auf die Vermeidungsnormen (Art. 23 A, B OECD-MA) – Steuerfreistellung oder Steueranrechnung. AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. Seit dem OECD-MA 2000 auch EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit nicht aber Gewinnanteile an gewerblich geprgten Personengesellschaften; vgl. BMF, Schreiben v. 26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258 Rz. 2.2.1. Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.229 ff.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
triebsstttenverlusten (sog. Symmetriethese).1 Das gilt allerdings ausnahmsweise nicht fÅr sog. finale Verluste,2 die aus europarechtlichen GrÅnden (Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV) phasenverschoben zu dem Zeitpunkt anzusetzen sind, in dem die Verluste jedenfalls aus wirtschaftlichen GrÅnden nicht mehr berÅcksichtigt werden kÇnnen.3 Die Betriebsstttenbesteuerung erfordert eine Gewinnabgrenzung4 zwischen Stammhaus einerseits und Betriebssttte andererseits (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Diese fÅr Zwecke der bilateralen Besteuerungszuordnung erforderliche Gewinnabgrenzung zwischen Teilen ein und desselben Unternehmens findet ihre Parallele bei (steuerlich selbstndigen) verbundenen Unternehmen (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA),5 fÅr die ebenfalls eine Gewinnabgrenzung z.B. zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft oder zwischen Schwestergesellschaften vorgesehen ist (Einzelheiten Rz. 13.171 ff.). – Gewinne aus Schifffahrt und Luftfahrt kÇnnen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatschlichen Geschftsleitung des Unternehmens befindet (Art. 8 Abs. 1 und 2 OECD-MA). – Bei DividendeneinkÅnften bestehen die Schrankenwirkungen der DBA darin, dass die Besteuerung im Wohnsitzstaat aufrechterhalten und diejenige im Quellenstaat der HÇhe nach begrenzt wird (Art. 10 OECDMA). In der deutschen Abkommenspraxis ist die Quellensteuerbefugnis zumeist auf 0 %, 5 %, 10 % oder 15 % begrenzt,6 wobei ggf. im EU-Bereich eine vÇllige Freistellung nach Maßgabe der Mutter-Tochter-Richt-
1 BFH v. 11.3.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, DStR 2010, 918; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, IStR 2014, 377 m. Anm. Mitschke; im Grundsatz unionsrechtlich unbedenklich, vgl. EuGH v. 7.11.2013 – Rs. C-322/11 – K, IStR 2013, 913 m. Anm. Benecke/Staats; ferner EuGH v. 17.7.2014 – Rs. C-48/13 – Nordea, IStR 2014, 563 m. Anm. Mitschke. 2 EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06 – Lidl Belgium, EuGHE 2008, I-3617; EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11 – A Oy, IStR 2013, 239; BFH v. 3.2.2010 – I R 23/09, BFH/NV 2010, 1163; BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, IStR 2010, 670; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, IStR 2010, 663; BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, IStR 2014, 377. 3 EuGH v. 21.2.2013 – Rs. C-123/11 – A Oy, IStR 2013, 239 Rz. 55; BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, IStR 2010, 663; FG KÇln v. 19.2.2014 – 13 K 3906/09, IStR 2014, 733 (Vorlagebeschluss zum EuGH) m. Anm. Mitschke; Gosch, BFH/PR 2008, 491 ff.; Englisch, IStR 2008, 404 ff.; Ditz/Quilitzsch, IStR 2013, 242; Mitschke, IStR 2013, 209; vgl. auch die LiteraturÅbersicht bei Heinicke in Schmidt33, § 2a EStG Rz. 13. 4 Gleichbedeutend mit EinkÅnfteabgrenzung und EinkÅnfte- oder Gewinnzuordnung bzw. Gewinnzurechnung. 5 Um verbundene Unternehmen handelt es sich, wenn ein Unternehmen unmittelbar oder mittelbar an der Geschftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital des anderen Unternehmens beteiligt ist oder wenn dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der GeschftsfÅhrung, der Kontrolle oder dem Kapital beider Unternehmen beteiligt sind. 6 Vgl. die AbkommensÅbersicht bei Tischbirek in V/L5, Art. 10 OECD-MA Rz. 67.
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Kapitel 13 Materielles Recht
linie,1 in Betracht kommt. Der Wohnsitzstaat des Dividendenempfngers rechnet die Steuer des Quellenstaates an oder gewhrt Steuerbefreiung. – FÅr ZinseinkÅnfte bleibt die Besteuerungsbefugnis im Wohnsitzstaat uneingeschrnkt aufrechterhalten, wobei die Besteuerung im Quellenstaat der HÇhe nach begrenzt wird (Art. 11 Abs. 1, 2 OECD-MA). Soweit die DBA eine Quellensteuerbefugnis einrumen, wird die Doppelbesteuerung dadurch vermieden, dass der Wohnsitzstaat des Zinsempfngers die Steuer des Quellenstaates anrechnet. Zwischen verbundenen in der EU ansssigen Unternehmen bestimmt zudem die Zins- und Lizenz-Richtlinie2 eine Quellensteuerbefreiung auf Zinszahlungen, um grenzÅberschreitende Finanzbeziehungen insbesondere zwischen Konzernunternehmen innerhalb der EU gegenÅber solchen innerhalb eines Mitgliedstaates gleichzustellen. Die Zins- und LizenzRichtlinie ist durch § 50g EStG umgesetzt worden. – LizenzgebÅhren sind in der internationalen Abkommenspraxis zumeist der ausschließlichen Besteuerungsbefugnis des Wohnsitzstaates, in dem der Lizenzgeber ansssig ist, zugewiesen (Art. 12 Abs. 1 OECDMA).3 Dem entspricht im Ergebnis auch die durch § 50g EStG umgesetzte Zins- und Lizenz-Richtlinie,4 wonach zwischen verbundenen in der EU ansssigen Unternehmen gezahlte LizenzgebÅhren im Quellenstaat nicht besteuert werden dÅrfen. – FÅr Verußerungsgewinne gelten folgende Regeln: Gewinne aus der Verußerung unbeweglichen VermÇgens kÇnnen im Grundsatz sowohl vom Belegenheitsstaat als auch vom Wohnsitzstaat besteuert werden, wobei allerdings die Doppelbesteuerung in aller Regel durch Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat vermieden wird.5 Gewinne aus der Verußerung beweglichen BetriebsvermÇgens einer Betriebssttte ist dem sogenannten Betriebsstttenprinzip unterworfen, sodass der Vertragsstaat der Betriebssttte besteuerungsbefugt ist, ohne den Schrankenwirkungen des Abkommens zu unterliegen (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA). Im Wohnsitzstaat wird die Doppelbesteuerung allerdings entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden, wobei in der deutschen Abkommenspraxis die Steuerfreistellung ggf. unter Aktivi-
1 Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 6; nunmehr Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011, ABl. EU Nr. L 345 v. 29.12.2011; zuletzt nderungsrichtlinie 2014/86/EU des Rates v. 8.7.2014, ABl. EU Nr. L 219 v. 25.7.2014, 40; vgl. § 43b EStG. 2 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU Nr. L 157 v. 26.6.2003, 49, zuletzt gendert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU Nr. L 363 v. 20.12.2006, 19. 3 Vgl. die AbkommensÅbersicht bei PÇllath/Lohbeck in V/L5, Art. 12 OECD-MA Rz. 29. 4 RL 2003/49/EG v. 3.6.2003, ABl. EU Nr. L 157 v. 26.6.2003, 49, zuletzt gendert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU Nr. L 363 v. 20.12.2006, 19. 5 So durchweg die deutsche Abkommenspraxis; vgl. AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23 OECD-MA Rz. 16.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
ttsvorbehalt vorherrscht.1 FÅr die Besteuerung von Gewinnen aus der Verußerung von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen ist ausschließlich der Vertragstaat zustndig, in dem der Ort der Geschftsleitung liegt (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA). Der Wohnsitzstaat hat daher die Verußerungsgewinne stets freizustellen. Gewinne aus der Verußerung von Anteilen an Immobiliengesellschaften unterliegen sowohl der Besteuerung im Wohnsitzstaat als auch im Belegenheitsstaat (Art. 13 Abs. 4 OECD-MA). Die Doppelbesteuerung wird in der deutschen Abkommenspraxis in aller Regel im Wohnsitzstaat durch Anrechnung vermieden.2 FÅr Gewinne aus der Verußerung von Åbrigen VermÇgen, zu denen insbesondere Gewinne aus der Verußerung von privat gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften zhlen, gilt das Wohnsitzprinzip mit der Folge, dass der Quellenstaat nicht besteuern darf (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). – EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit3 sind grundstzlich allein dem Wohnsitzstaat zur Besteuerung zugewiesen.4 Der Staat, in dem die Ttigkeit ausgeÅbt wird, darf als Quellenstaat nur dann besteuern, wenn fÅr die Ttigkeit dort gewÇhnlich bzw. regelmßig eine feste Einrichtung zur VerfÅgung steht. In diesem Fall wird die Doppelbesteuerung im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder durch Steueranrechnung vermieden. In der deutschen Abkommenspraxis steht die Freistellung unter Progressionsvorbehalt im Vordergrund. – EinkÅnfte aus unselbstndiger Arbeit werden im Ausgangspunkt der Besteuerung allein dem Wohnsitzstaat zugewiesen (Art. 15 OECDMA). Das im Grundsatz geltende Wohnsitzprinzip wird durch das Arbeitsortsprinzip abgelÇst, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit im Staat des Arbeitsortes ausÅbt und sich dort innerhalb eines Zeitraums von zwÇlf Monaten an mehr als 183 Tagen aufgehalten hat oder wenn die VergÅtungen von einem Arbeitgeber, fÅr einen Arbeitgeber oder von einer Betriebssttte oder festen Einrichtung im Staat des Arbeitsortes gezahlt worden sind. – Aufsichtsrats- und VerwaltungsratsvergÅtungen (Art. 16 OECD-MA) sind der Besteuerungsbefugnis sowohl dem Wohnsitzstaat als auch dem Sitzstaat als Quellenstaat zugewiesen. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung wird im Wohnsitzstaat entweder durch Freistellung oder
1 AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 2 Reimer in V/L5, Art. 13 OECD-MA Rz. 131. 3 Die fÅr die EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit maßgebliche Verteilungsnorm des Art. 14 OECD-MA ist zwar seit dem OECD-MA 2000 suspendiert, weil sich deren Regelungskreis nicht wesentlich von dem des Art. 7 OECD-MA unterscheidet, da aber die meisten deutschen DBA eine dem Art. 14 OECD-MA vergleichbare Verteilungsnorm enthalten, hat die nachfolgende Darstellung weiterhin Bedeutung. 4 Art. 14 Abs. 1 OECD-MA a.F.
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Kapitel 13 Materielles Recht
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Anrechnung bewirkt.1 Die Besteuerungsbefugnis im Sitzstaat unterliegt dabei grundstzlich keinen Schrankenwirkungen. EinkÅnfte von KÅnstlern und Sportlern sind in eigenstndigen Verteilungsnormen geregelt, die unabhngig davon eingreifen, ob die KÅnstler oder Sportler selbstndig oder unselbstndig ttig sind (Art. 17 OECDMA). Aufgrund dieser Verteilungsnormen wird die Besteuerungsbefugnis vorrangig dem Ttigkeitsstaat als Quellenstaat zugewiesen. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Anrechnung oder Freistellung obliegt dem Wohnsitzstaat. Soweit eine Freistellung vorgesehen ist, erfolgt diese grundstzlich ohne RÅcksicht auf die tatschliche Besteuerung. FÅr Ruhegehlter2 wird in der internationalen Abkommenspraxis aufgrund besonderer Verteilungsnormen (Art. 18 OECD-MA) allgemein das Wohnsitzprinzip statuiert, und zwar ohne RÅcksicht darauf, in welchem Staat die frÅhere unselbstndige Ttigkeit ausgeÅbt wurde.3 Abweichend hiervon sehen einige deutsche DBA eine Steuerbefreiung im Wohnsitzstaat vor4 oder rumen dem frÅheren Ttigkeitsstaat als Quellenstaat eine uneingeschrnkte Besteuerungsbefugnis oder eine Quellensteuerbefugnis ein.5 EinkÅnfte aus dem Çffentlichen Dienst unterliegen in der internationalen Abkommenspraxis allgemein dem Kassenstaatsprinzip, sodass allein der Staat zur Besteuerung befugt ist, der die Gehlter, LÇhne und hnliche VergÅtungen zahlt.6 Die Kehrseite dieses ausschließlichen Kassenstaatsprinzips ist die grundstzliche Freistellung der BezÅge aus dem Çffentlichen Dienst im Wohnsitzstaat, sofern dieser nicht mit dem Kassenstaat identisch ist. In Abweichung von diesem Kassenstaatsprinzip (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA) gilt das ausschließliche Wohnsitzprinzip, wenn die Dienste im Wohnsitzstaat geleistet werden, die betreffende Person dort ansssig ist und sie die StaatsangehÇrigkeit dieses Staates besitzt oder sie aus anderen GrÅnden als zur ArbeitsausÅbung in diesem Staat ansssig geworden ist (Art. 19 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA). EinkÅnfte von Studenten, also Zahlungen fÅr den Unterhalt, das Studium oder der Ausbildung sind im Aufenthaltsstaat (Gastland) frei-
1 Prokisch in V/L5, Art. 16 OECD-MA Rz. 3; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 16 OECD-MA Rz. 1. 2 I.S. von Einnahmen; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 18 OECD-MA Rz. 16. 3 Das Wohnsitzprinzip ist im Hinblick auf die sog. nachgelagerte Besteuerung von AlterseinkÅnften in Deutschland problematisch; hierzu LÅdicke, berlegungen zur deutschen DBA-Politik, 153 ff. 4 AbkommensÅbersicht bei Ismer in V/L5, Art. 18 OECD-MA Rz. 80, 85. 5 AbkommensÅbersicht bei Ismer in V/L5, Art. 18 OECD-MA Rz. 80, 86, 93. 6 Art. 19 OECD-MA; zur Rechtfertigung fÅr den Vorrang des Quellenstaates Waldhoff in V/L5, Art. 19 OECD-MA Rz. 6; Haase in Haase2, Art. 19 OECD-MA Rz. 2; Rodi, RIW 1992, 484 (487); kritisch dagegen Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 19 OECD-MA Rz. 1; Wessel in S/K/K, Art. 19 OECD-MA Rz. 4.
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C. Doppelbesteuerungsrecht
gestellt, wenn die Zahlungen aus Quellen außerhalb des Gastlandes stamen (Art. 20 OECD-MA). – Andere EinkÅnfte, zu denen im Wesentlichen EinkÅnfte aus dem Quellenstaat, soweit sie ihrer Art nach nicht den speziellen Verteilungsnormen zuzuordnen sind1, EinkÅnfte aus Drittstaaten sowie EinkÅnfte aus dem Wohnsitzstaat2 gehÇren, sind im Grundsatz allein dem Wohnsitzstaat der Besteuerung zugewiesen (Art. 21 Abs. 1 OECD-MA). In der internationalen Abkommenspraxis ist allerdings hufig geregelt, dass das in der abkommensrechtlichen Auffangklausel verankerte Wohnsitzprinzip nicht fÅr EinkÅnfte gilt, die einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebssttte oder festen Einrichtung zuzuordnen sind (Art. 21 Abs. 2 OECD-MA). In diesem Fall erfolgt die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Steuerfreistellung im Wohnsitzstaat.
1 Hierzu die bersicht bei Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 21 OECD-MA Rz. 22 ff.; SchÅtte in Haase2, Art. 21 OECD-MA Rz. 16; Kempermann in F/W/K, Art. 21 DBA-Schweiz Rz. 11. 2 Lehner in V/L5, Art. 21 OECD-MA Rz. 4; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 21 OECD-MA Rz. 1; SchÅtte in Haase2, Art. 21 OECD-MA Rz. 16; Kempermann in F/W/K, Art. 21 DBA-Schweiz Rz. 11.
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Kapitel 14 Mitwirkungspflichten Rz. A. Allgemeine Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.1
B. Erweiterte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.4
C. Gesteigerte Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.9
D. Dokumentationspflichten . . . 14.13
a
Rz. E. Besondere Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.21 F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.22 G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.34
Literatur (Kommentare und Monographien ab 2000): Kommentare zu §§ 90 ff. AO und §§ 16, 17 AStG; Hegemann, Benennung von Zahlungsempfngern gem. § 160 AO, Frankfurt/M. u.a. 2004; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen der Verletzung, Frankfurt 2006; Menck, Besteuerungsvollzug im internationalen Steuerrecht, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 12.1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.7 ff.; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 21 Rz. 172 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014, Rz. 9.1 ff.
A. Allgemeine Mitwirkungspflichten Literatur (ab 2000): Kommentare zu §§ 90 Abs. 1 und § 393 Abs. 1 AO; Englisch, Europarechtliche EinflÅsse auf den Untersuchungsgrundsatz im Steuerverfahren, IStR 2009, 37; Menck, Besteuerungsvollzug im internationalen Steuerrecht, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 12.1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.7 ff.; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 21 Rz. 172 ff.; Seer, Der Vollzug von Steuergesetzen unter den Bedingungen einer Massenverwaltung, in DStJG 31 (2008), 7 ff.
14.1 Zur ErfÅllung ihrer Untersuchungspflicht (§ 88 Abs. 1 AO) bedient sich die FinanzbehÇrde gem. § 90 AO der Mitwirkung der Steuerpflichtigen oder anderer beteiligter Personen.1 Diese Mitwirkungspflicht ist ein Aufklrungs- oder Beweismittel, das gleichberechtigt neben den Åbrigen in
1 Hierzu im berblick Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.7 ff.; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006.
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B. Erweiterte Mitwirkungspflichten
§ 92 AO genannten Beweismitteln1 steht. § 90 Abs. 1 Satz 1 AO begrÅndet eine allgemeine Mitwirkungspflicht, die ihre Konkretisierung und Erweiterung in anderen Mitwirkungstatbestnden der Abgabenordnung findet.2 DarÅber hinaus gebietet § 90 Abs. 1 Satz 2 AO, die fÅr die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollstndig offenzulegen und die bekannten Beweismittel anzugeben.3 Das gilt auch fÅr den Fall, dass sich der Beteiligte, soweit er Steuerpflichtiger ist, hierdurch wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit belasten wÅrde (§ 393 Abs. 1 AO).4 Mitwirkungsverpflichtet ist jeder Beteiligte.5 Er kann von der FinanzbehÇrde innerhalb der von § 5 AO gesetzten allgemeinen Ermessensgrenzen zur Mitwirkung herangezogen werden; d.h. die Mitwirkung muss zur Aufklrung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhltnismßig, erfÅllbar und zumutbar sein.6 Ein Mitwirkungsverweigerungsrecht ist fÅr Beteiligte nicht vorgesehen,7 sodass auch belastende Tatsachen den FinanzbehÇrden mitgeteilt werden mÅssen. Zwecks Aufklrung grenzÅberschreitender und auslndischer Sachverhalte haben die sog. erweiterten und gesteigerten Mitwirkungspflichten sowie die Dokumentations- und besonderen Mitwirkungspflichten eine besondere Bedeutung.8
B. Erweiterte Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 2 AO und §§ 16, 17 AStG; Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433; Dreßler, Unbeachtlichkeit auslndischer Auskunftsverbote im deutschen Steuerrecht, StBp 1992, 149; Frotscher, Mitwirkungs-, Nachweis- und Dokumentationspflichten im internationalen Steuerrecht, in LÅdicke, Fortentwicklung der Internationalen 1 AuskÅnfte Beteiligter und dritter Personen; Sachverstndige, Urkunden und Akten, Augenschein. 2 Konkretisierung: §§ 93, 95, 97, 99, 100, 135, 137–139, 140 ff., 149, 153, 154, 200, 208 Abs. 1 Stze 2 und 3, 210 AO; Erweiterung auf beweissichernde Aufzeichnungspflichten: §§ 90 Abs. 3 Satz 1 und 2, 140 ff. AO; §§ 4 Abs. 3 Satz 5, Abs. 7; 6 Abs. 2 Satz 4, 5 EStG; § 22 UStG; gesteigerte Mitwirkungspflichten nach dem SteuerHBekG: § 90 Abs. 2 Satz 3. 3 Zur Wahrheitspflicht Seer in T/K, § 90 AO Rz. 9. 4 Zwangsmittel (§ 328 AO) gegen den Steuerpflichtigen sind aber unzulssig (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO); vgl. im brigen Rz. 2.62, 5.31 ff. 5 Zum Begriff des Beteiligten s. § 78 AO. 6 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 13; § 92 Rz. 5 ff.; SÇhn in H/H/Sp, § 90 AO Rz. 72 ff.; zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Mitteilungspflichten Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 42 ff. 7 Die Verweigerungsrechte der §§ 101-103 AO gelten nur fÅr andere Personen. 8 Hierzu Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 ff.
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14.2
14.3
Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
Unternehmensbesteuerung, KÇln 2002, 168; Hruschka, Feststellungslast und Mitwirkungspflicht bei Auslandsbetriebssttten, IStR 2002, 753; Kempermann, Mitwirkungspflichten und Beweislast bei Auslandssachverhalten, FR 1990, 473; Korts/ Korts, ErmittlungsmÇglichkeiten deutscher FinanzbehÇrden bei Auslandssachverhalten, IStR 2006, 869; Menck, Besteuerungsvollzug im internationalen Steuerrecht, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 12.1 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.10 ff.; Schaumburg/Schaumburg, Der Zeuge im Ausland in Klein/Stihl/Wassermeyer/Piltz/Schaumburg (Hrsg.), Unternehmen/Steuern, FS fÅr Flick, KÇln 1997, 989; Schaumburg/Schaumburg, GrenzÅberschreitende Sachaufklrung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, KÇln 2011, 369 ff.; Schnitger, Die erweiterte Mitwirkungspflicht und ihre gemeinschaftlichen Grenzen, BB 2002, 332 ff.; Seer, Steuerverfahrensrechtliche Bewltigung grenzÅberschreitender Sachverhalte, in Spindler/Tipke/RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 151; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014, Rz. 9.6 ff.
14.4 Da die FinanzbehÇrden aus GrÅnden des VÇlkerrechts nicht befugt sind, im Ausland Sachaufklrung zu betreiben, begrÅndet § 90 Abs. 2 AO erweiterte Mitwirkungspflichten.1 Hiernach haben die Beteiligten grenzÅberschreitende und auslndische Sachverhalte aufzuklren und die dafÅr erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Ggf. ist Beweisvorsorge zu treffen, wenn die Gefahr besteht, dass zu einem spteren Zeitpunkt die Beweismittelbeschaffung an rechtlicher und/oder tatschlicher UnmÇglichkeit scheitert.
14.5 Eine rechtliche UnmÇglichkeit der Beweismittelbeschaffung ist insbesondere dann gegeben, wenn diese gesetzlich untersagt ist.2 In derartigen Fllen ist ein auf § 90 Abs. 2 AO gestÅtztes Auskunftsbegehren wegen Verstoßes gegen die Grundstze der Verhltnismßigkeit und der Zumutbarkeit jedenfalls dann rechtswidrig, wenn fÅr den betreffenden Steuerpflichtigen das Risiko der Strafverfolgung besteht.3
1 Die Unionsrechtskonformitt des § 90 Abs. 2 AO ist zu bejahen; EuGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe, EuGHE 1979, 649 Rz. 8; EuGH v. 15.5.1997 – Rs. C-250/95 – Futura/Singer, EuGHE 1997, I-2471; Englisch, IStR 2009, 37 (41); Seer, EWS 2013, 257 (259 f.) m.w.N. auch zu Gegenansichten. 2 Etwa gem. Art. 273 des Schweizerischen Strafgesetzbuches und Art. 4 des Liechtensteinischen Staatsschutzgesetzes; fÅr eine Sperrwirkung dieser Vorschriften gegenÅber § 90 Abs. 2 AO: Schmidt/Gassmann, AWD 1970, 464 ff.; Debatin/Vogel, H., AWD 1958, 202 ff.; Hangarter, RIW/AWD 1982, 176 ff.; Franke in W/S/G, § 17 AStG, S. 180; gegen eine Sperrwirkung: BFH v. 16.4.1980 – I R 75/78, BStBl. II 1981, 492; BFH v. 16.4.1986 – I R 32/84, BStBl. II 1986, 736; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 35; Heise, Die Vorlage im Ausland belegener Geschftsunterlagen im Steuerermittlungsverfahren, 94 ff.; Dreßler, StBp 1992, 149 ff. 3 Hierzu Seer in T/K, § 90 AO Rz. 37; SÇhn in H/H/Sp, § 90 AO Rz. 68 ff.; Großfeld in FS Michaelis, 118 ff.; Dreßler, StBp 1992, 149 (152 f.).
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C. Gesteigerte Mitwirkungspflichten
In Fllen tatschlicher UnmÇglichkeit ist von Bedeutung, dass § 90 Abs. 2 Stze 1 und 2 AO keine Pflicht begrÅndet, Beweismittel zu schaffen.1 § 90 Abs. 2 Stze 1 und 2 AO verlangen lediglich, dass vorhandene Beweismittel fÅr Zwecke der Besteuerung vorgehalten bzw. gesichert werden. Nur insoweit ist gegenÅber § 90 Abs. 1 AO, der keine Rechtsgrundlage fÅr die Anfertigung und Aufbewahrung von Aufzeichnungen ist,2 eine Pflichtenerweiterung gegeben.
14.6
Durch die sich aus § 90 Abs. 2 AO ergebende gesteigerte Mitwirkungspflicht wird der Untersuchungsgrundsatz nicht suspendiert3 und keine subjektive Beweislast eingefÅhrt.4
14.7
Erweiterte Mitwirkungspflichten enthlt auch § 17 Abs. 1 AStG, der eine besondere Ausprgung der §§ 90 ff. AO, insbesondere des § 90 Abs. 2 Stze 1 und 2 AO beinhaltet.5 § 17 Abs. 1 AStG bezieht sich auf die Sachverhaltsermittlung bei zwischengeschalteten Gesellschaften (§ 5 AStG), bei Zwischengesellschaften (§§ 7–14 AStG) und bei Familienstiftungen (§ 15 AStG) und trifft diejenigen Personen, bei denen eine Zurechnung oder eine Hinzurechnung von EinkÅnften und VermÇgen in Betracht kommt.6 Im Wesentlichen dient damit § 17 Abs. 1 AStG der DurchfÅhrung der Hinzurechnungsbesteuerung (hierzu Rz. 13.148 ff.). Entsprechend dieser Zielsetzung sind auf Verlangen insbesondere die Geschftsbeziehungen zu Zwischengesellschaften offenzulegen (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 AStG) sowie die Bilanzen und Erfolgsrechnungen dieser Gesellschaften vorzulegen (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 AStG). Die Mitwirkungsverpflichtung des Steuerpflichtigen geht auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 AStG nicht Åber das rechtlich und/oder tatschlich MÇgliche hinaus.7 Ebenso wie bei § 90 Abs. 2 AO ist auch das Auskunftsverlangen nach § 17 Abs. 1 AStG eine Ermessensentscheidung, wobei insbesondere die Grundstze der Verhltnismßigkeit und Zumutbarkeit zu beachten sind.8
14.8
C. Gesteigerte Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 2 AO; DrÅen, Internationale Amtshilfe in Steuersachen im Lichte des deutschen Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetzes, in Lang/ 1 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 (375). 2 BFH v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, DStR 2009, 2006. 3 BFH v. 18.11.2008 – VIII R 24/07, BStBl. II 2009, 518; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. 4 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 20. 5 Zum Lex-specialis-Charakter Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 16. 6 Hans in Haase2, § 17 AStG Rz. 8. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 14; im Rahmen des § 17 Abs. 1 AStG gilt insoweit nichts anderes als bei § 90 Abs. 2 Stze 1 und 2 AO. 8 Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 25a; Hans in Haase2, § 17 AStG Rz. 16.
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Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, Wien 2011, 369 ff.; Geuenich, Neue Maßnahmen zur Bekmpfung der grenzÅberschreitenden Steuerhinterziehung, NWB 2009, 2369; Geurts, So much trouble . . .? Anmerkungen zum Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz, DStR 2009, 1883; Haarmann/Suttorp, Zustimmung des Kabinetts zum Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetzes, BB 2009, 1275; Hegemann, Benenneung von Zahlungsempfngern gem. § 160 AO, Frankfurt/M. u.a., 2004; Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, KÇln 2004; Kessler/Eicke, Gedanken zur Verfassungs- und Europarechtskonformitt des Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetzes, DB 2009, 1314; Kleinert/ GÇrres, Das neue Gesetz zur Bekmpfung der Steuerhinterziehung, NJW 2009, 2713; Puls, BMF-Entwurf eines Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetzes: Abkehr vom Rechtsstaatspirnzip?, Ubg 2009, 186; Puls, Erster berblick Åber die Rechtsverordnung zum Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz, Ubg 2009, 556; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.19 ff.; Schaumburg/Schaumburg, GrenzÅberschreitende Sachaufklrung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, KÇln 2011, 369 ff.; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 21 Rz. 174 ff.; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; Worgulla/SÇffing, Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz, FR 2009, 545.
14.9 § 90 Abs. 2 Satz 3 AO regelt gesteigerte Mitwirkungspflichten1 wie folgt: Wenn Steuerpflichtige Åber Geschftsbeziehungen zu Finanzinstituten in nicht kooperativen Staaten und Gebieten (Jurisdiktionen) verfÅgen, kann die FinanzbehÇrde fÅr die Richtigkeit und Vollstndigkeit der vom Steuerpflichtigen erteilten Angaben eine eidesstattliche Versicherung und darÅber hinaus eine Vollmacht verlangen, im Namen des Steuerpflichtigen mÇgliche AuskunftsansprÅche gegen die betreffenden auslndischen Finanzinstitute außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Diese gesteigerten Mitwirkungspflichten sind im Kern darauf gerichtet, nicht kooperative Jurisdiktionen (Steueroasen) zu einem effektiven Informationsaustausch mit Deutschland zu zwingen.2
14.10 Sich die Richtigkeit und Vollstndigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen an Eides statt versichern zu lassen,3 setzt voraus, dass es objektiv erkennbare Anhaltspunkte fÅr die Annahme gibt, dass der Steuerpflichtige Åberhaupt Geschftsbeziehungen zu Finanzinstituten in nicht kooperativen Staaten oder Gebieten unterhlt. So lange indessen unklar ist, welche Jurisdiktionen Åberhaupt unkooperativ sind, wird die eidesstattliche Versicherung gem. § 90 Abs. 2 Satz 3 AO4 in der Praxis keine allzu große Rolle spielen, zumal sie ohnehin nicht erzwingbar ist. 1 EingefÅhrt durch das Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz (SteuerHBekG) v. 27.9.2009, BGBl. I 2009, 2302; Zielsetzung: Verbesserung der finanzbehÇrdlichen ErmittlungsmÇglichkeiten einerseits und Anreiz zur bilateralen Auskunftsverpflichtung durch andere Staaten andererseits; vgl. Seer in T/K, § 90 AO Rz. 27; Geuenich, NWB 2009, 2396 ff.; Wagner, BB 2009, 2293 ff. (2294). 2 So die RegBegr., BT-Drucks. 16/13106, 1. 3 § 90 Abs. 2 Satz 3 AO ist lex specialis zu § 95 AO. 4 Zum Problem der Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung (§ 156 StGB) trotz strafbefreiender Selbstanzeige Geuenich, NWB 2009, 2396 (2402); von Wedelstdt, DB 2009, 1731 (1732).
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D. Dokumentationspflichten
Von besonderer Bedeutung ist die in § 90 Abs. 2 Satz 3 AO vorgesehene Verpflichtung, auf Anforderung der FinanzbehÇrde diese zu bevollmchtigten, im Namen des Steuerpflichtigen mÇgliche AuskunftsansprÅche gegenÅber in nicht kooperativen Jurisdiktionen ansssigen Kreditinstituten außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen. Erforderlich hierfÅr ist, dass die FinanzbehÇrde im Einzelnen darlegt, aufgrund welcher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass eine Geschftsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem betreffenden Kreditinstitut vorliegt. Eine „Rasterbevollmchtigung“ durch Aufzhlung beliebiger auslndischer Kreditinstitute ist daher unzulssig.1 Wird die Vollmacht seitens des Steuerpflichtigen nicht erteilt, ergeben sich Åber die normative BrÅcke des § 1 Abs. 5 SteuerHBekV weitreichende, zulasten des Steuerpflichtigen wirkenden Rechtsfolgen, die im Wesentlichen darin bestehen, dass fÅr Dividenden das TeileinkÅnfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG), der Abgeltungsteuertarif (§ 32d Abs. 1 EStG) sowie die Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG)2 nicht zur Anwendung kommen.3
14.11
Die durch das Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz4 und durch die Steuerhinterziehungsbekmpfungsverordnung5 eingefÅhrten gesteigerten Mitwirkungspflichten6 sind einstweilen obsolet, weil es derzeit keine nicht kooperativen Jurisdiktationen gibt.7
14.12
D. Dokumentationspflichten Literatur: Kommentare zu § 90 Abs. 3 AO und zur GAufzV; Andresen, Neue gesetzliche Verpflichtung zur Dokumentation von Verrechnungspreisen: Handlungsbedarf fÅr grenzÅberschreitend ttige Unternehmen, RIW 2003, 489; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundstze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach dem „Verwaltungsgrundstze-Verfahren“, DStR 2005, 1549; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DÅsseldorf 2009; Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014, Rz. 8.1 ff.; Eigelshoven/Kratzer, Rechtsverordnung 1 DrÅen in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 371 ff. (375); Worgulla/SÇffing, FR 2009, 545 (548). 2 Entsprechendes gilt fÅr abkommensrechtliche Schachtelprivilegien. 3 Dies gilt auch fÅr die Steuerfreistellung fÅr Verußerungsgewinne (§ 8b Abs. 2 KStG). 4 Steuerhinterziehungsbekmpfungsgesetz v. 27.9.2009, BGBl. I 2009, 2302. 5 Steuerhinterziehungsverordnung v. 18.9.2009, BGBl. I 2009, 3046. 6 Zu verfassungsrechtlichen Fragen DrÅen in Lang/Schuch/Staringer, Internationale Amtshilfe in Steuersachen, 369 ff. (381 ff.); Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 ff. (376 ff.). 7 So die Klarstellung durch BMF, Schr. v. 5.1.2010, BStBl. I 2010, 19.
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Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
zu Aufzeichnungspflichten bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der BetriebsprÅfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten fÅr Verrechnungspreise – Bisherige Erfahrungen mit der BetriebsprÅfung und aktuelle Entwicklungen, BB 2007, 918; Frotscher, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen und en Rechtsfolgen ihrer Verletzung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), KÇrperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS fÅr Wassermeyer, MÅnchen 2005, 391; Kaminski/Strunk, Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, RIW 2003, 561; Kaminski/ Strunk, Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, StBp 2004, 1, 29; Moebus, Neue Dokumentationspflichten bei Transferpreisen – Irrweg und/oder Irrglaube? DB 2003, 1413; Rasch/Rettinger, Aktuelle Fragen der Verrechnungspreisdokumentation: Unternehmenscharakterisierung und Methodenwahl in den Verwaltungsgrundstze-Verfahren, BB 2007, 353; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.24 ff.; Schaumburg/Schaumburg, GrenzÅberschreitende Sachaufklrung – Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten, in FS Streck, KÇln 2011, 369 ff.; Schreiber, Aufzeichnungspflichten fÅr internationale Verrechnungspreise, Stbg 2003, 474; Seer, Neue Dokumentations- und Nachweispflichten, in Piltz/Schaumburg, Internationale EinkÅnfteabgrenzung, KÇln 2003, 35; Seer, Steuerliche Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, EWS 2013, 257; VÇgele/Brem, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DB 2003, 1535; Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen, IStR 2005, 18.
14.13 Die in § 90 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO verankerte Beweismittelbeschaffungspflicht erstreckt sich nur auf tatschlich vorhandene Beweismittel, sodass hierdurch allein nicht die Pflicht begrÅndet wird, entsprechende Beweismittel zu erstellen.1 Eine diesbezÅgliche Pflichtenerweiterung enthlt allerdings § 90 Abs. 3 AO, wonach unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtige Personen, die grenzÅberschreitende Geschftsbeziehungen mit nahestehenden Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) unterhalten, umfangreichen Dokumentationspflichten unterworfen sind. Diese Dokumentationspflichten sollen es der Finanzverwaltung ermÇglichen, die zwischen international verbundenen Unternehmen vereinbarten Verrechnungspreise zu prÅfen. Damit dienen die Dokumentationspflichten im Wesentlichen der steuerlichen AußenprÅfung, die in zunehmendem Maße auf die PrÅfung internationaler Verrechnungspreise gerichtet ist.2 Dem entspricht es, dass die Vorlage der zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation seitens der FinanzbehÇrde nur fÅr Zwecke der AußenprÅfung verlangt werden soll (§ 90 Abs. 3 Satz 6 AO; § 2 Abs. 6 GAufzV). Die Vorlage hat innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO), wobei in begrÅndeten Einzelfllen die Frist auch mehrfach verlngert werden kann (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO). Die Frist bei außergewÇhnlichen Geschftsvorfllen betrgt gem. § 90 Abs. 3 Satz 9 AO 30 Tage. 1 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 27. 2 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.24; Kaminski/Strunk, Stbg 2005, 407 (416).
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D. Dokumentationspflichten
Im Hinblick darauf, dass die ErfÅllung der in § 90 Abs. 3 AO statuierten Dokumentationspflichten fÅr die betroffenen Unternehmen zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand und damit verbunden auch zu zustzlichen Kosten fÅhren, enthlt § 6 GAufzV fÅr kleinere Unternehmen Erleichterungen.1
14.14
Die Dokumentationspflichten betreffen nur Geschftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, also solchen Personen, die in § 1 Abs. 2 AStG im Einzelnen aufgefÅhrt sind. Erfasst werden damit im Wesentlichen grenzÅberschreitende Geschftsbeziehungen von in der Rechtsform von Kapital- und Personengesellschaften gefÅhrten Konzernen, wegen § 90 Abs. 3 Satz 4 AO aber auch grenzÅberschreitende Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebssttte (§ 1 Abs. 4 und 5 AStG).2
14.15
Soweit § 90 Abs. 3 Satz 1 AO Aufzeichnungen Åber den Inhalt der Geschftsbeziehungen zu auslndischen nahestehenden Personen verlangt, korrespondiert diese Pflicht zur Sachverhaltsdokumentation mit den in § 90 Abs. 2 AO verankerten Mitwirkungspflichten, die sich im Grundsatz nur auf Sachverhaltsaspekte beziehen (§ 1 Abs. 2 GAufzV). ber diese Sachverhaltsdokumentation hinaus verlangt § 90 Abs. 3 Satz 2 AO aber auch eine Angemessenheitsdokumentation, in deren Rahmen dem Steuerpflichtigen rechtliche Wertungen, insbesondere eine Subsumtion unter § 1 AStG abverlangt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV). Das gilt insbesondere fÅr Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen.
14.16
§ 1 Abs. 2 GAufzV verlangt fÅr Zwecke der Sachverhaltsdokumentation Aufzeichnungen Åber die Art, den Umfang und die Abwicklung sowie Åber die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschftsbeziehungen. Hierzu gehÇren allgemeine Informationen Åber Beteiligungsverhltnisse, Geschftsbetrieb und Organisationsaufbau, Åber Geschftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sowie eine Funktionsund Risikoanalyse (§ 4 Nr. 1–4 GAufzV).3 Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Funktions- und Risikoanalyse. In diesem Zusammenhang sind Informationen Åber die wesentlichen eingesetzten WirtschaftsgÅter, Åber die Vertragsbedingungen, Åber die gewhlte Geschftsstrategie sowie Åber die fÅr die Preisvereinbarung bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhltnisse aufzuzeichnen und ggf. zu erlutern (§ 4 Nr. 3 Buchst. a
14.17
1 Zu Einzelheiten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 46. 2 Geplant ist eine international abgestimmte Ausweitung der Dokumentationspflichten; vgl. zum entsprechenden OECD-Diskussionsentwurf Bittner/Dawid/ Hoffmann, IWB 2014, 218 ff. 3 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.11 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) sowie den berblick bei Cordes in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz.8.47 ff.
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Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
GAufzV).1 DarÅber hinaus ist auch die gesamte WertschÇpfungskette zu beschreiben und der eigene WertschÇpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen darzustellen (§ 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV).2
14.18 Die Angemessenheitsdokumentation3 beinhaltet insbesondere die Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhltnisse, die fÅr die Ttigkeiten des Steuerpflichtigen und die vereinbarten Bedingungen von Bedeutung sind (§ 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV). FÅr die konkret gewhlte Verrechnungspreismethode4 sind betriebsexterne und -interne Fremdvergleichsdaten heranzuziehen, die sich auf Fremdpreise direkt oder auch auf Bruttomargen, Kostenaufschlge und Nettomargen beziehen kÇnnen.5
14.19 Im Kern handelt es sich um eine Verrechnungspreisanalyse, die vor allem die Darstellung der tatschlich angewandten Verrechnungspreismethode und die BegrÅndung der Geeignetheit der angewandten Methode umfasst (§ 4 Nr. 4 GAufzV).6
14.20 Die Aufzeichnungen mÅssen lediglich das ernsthafte BemÅhen des Steuerpflichtigen belegen, seine Geschftsbeziehungen zu nahestehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV).7
E. Besondere Mitwirkungspflichten 14.21 Was § 90 Abs. 1 Satz 1 AO als allgemeine Mitwirkungspflicht zusammenfasst, findet seine Konkretisierung in zahlreichen besonderen Vorschriften der Abgabenordnung und anderen Steuergesetzen, die fÅr die Ermittlung 1 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.11.4 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) mit weitergehenden Konkretisierungen. 2 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.11.5 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 3 Diese ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Gesetz, entspricht aber klar dem in §§ 1 Abs. 3; 4 Nr. 4 GAufzV zum Ausdruck gekommenen Willen; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 42; Andresen, RIW 2003, 489 (491); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157 (158 ff.); eine Pflicht dagegen verneinend Schnorberger, DB 2003, 1241 (1244); vgl. den berblick bei Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.114 ff. 4 Maßgebend ist also die Ist-Beziehung; vgl. Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1538); Schreiber, Stbg 2003, 474 (484); Kaminski/Strunk, RIW 2003, 561 (562). 5 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.2 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 6 Andere (geeignete) Methoden sind daher nicht darzustellen; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Sieker in GS Traszkalik, 142 ff.; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (356). 7 Vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.3 (VerwaltungsgrundstzeVerfahren); zum Grundsatz des ernsthaften BemÅhens Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 135; VÇgele/ Brem, IStR 2004, 48 (49).
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F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
inlndischer, grenzÅberschreitender und auslndischer Sachverhalte gleichermaßen gelten. Hierzu zhlen z.B. – Auskunftspflicht beteiligter und anderer Personen (§ 93 AO), – die eidliche Vernehmung (§ 94 AO), – Kontrollmitteilungen (§ 93a AO i.V.m. der Mitteilungsverordnung – MV), – Daten- und Kontenabruf (§§ 93 Abs. 7, 8, 93b AO), – Versicherung an Eides statt (§ 95 AO), – Hinzuziehung von Sachverstndigen (§ 96 AO), – Vorlage von Urkunden (§ 97 AO),1 – Augenscheinseinnahme (§ 98 AO), – das Betreten von GrundstÅcken und Rumen (§ 99 AO), – Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO), – Benennung eines Empfangsbevollmchtigten (§ 123 AO), – Bestellung eines Fiskalvertreters (§§ 22a–22e UStG), – Personenstands- und Betriebsaufnahme (§ 135 AO), – Anzeige Åber die GrÅndung usw. von KÇrperschaften (§ 137 AO), – Anzeige Åber Erwerbsttigkeit (§ 138 AO), – Anzeige fÅr Zwecke von Verbrauchssteuern und besonderen Verkehrsteuern (§ 139 AO), – BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140 ff. AO, § 22 KStG), – Aufbewahrung von Unterlagen (§ 147 ff. AO), – Abgabe von Steuererklrungen (§§ 149 f. AO), – Empfngerbenennung (§ 160 AO, § 16 Abs. 1 AStG), – Berichtigung von Steuererklrungen (§ 153 AO), – Mitwirkungspflichten bei AußenprÅfungen (§ 200 AO), – Anzeigepflichten nach Wegzug (§ 39 Abs. 7 EStG), – Mitwirkungspflichten bei Steuerfahndung und Zollfahndung (§ 208 Abs. 1 Stze 2 und 3 AO), – Mitwirkungspflichten bei Nachschau (§ 210 AO), – Mitwirkungspflichten nach Wegzug (§ 6 Abs. 7 AStG), – Nachweispflichten nach Einbringung (§ 22 Abs. 3 UmwStG).
F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu §§ 160, 162, 328 AO; Bruschke, Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten fÅr Verrechnungspreise, DStZ 2006, 575; Carl, 1 Nach der Neuregelung (AmtshilfeRLUmsG) darf die Vorlage von Urkunden auch ohne vorheriges Auskunftsverlagen begehrt werden (anders noch § 97 Abs. 2 AO a.F.).
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Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
Schtzung bei Auslandssachverhalten – verschrfte Dokumentationspflichten und Sanktionen, AO-StB 2004, 360; Hagen, Das Empfngerbenennungsverlagen nach § 160 AO, DStZ 2004, 564; Huselmann, UnterwÅnschte Nebenwirkungen der Steuerhinterziehungsbekmpfungsverordnung fÅr auslndische Investoren, Ubg 2009, 704; Rehm/Nagler, Zurechnungsbesteuerung bei auslndischen Familienstiftungen (§ 15 AStG) und die Empfngerbenennung (§ 160 AO) auf dem PrÅfstand des Gemeinschaftsrechts, IStR 2008, 284; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.31; Schmitz, Empfngerbenennung bei Auslandssachverhalten – § 16 AStG oder § 160 AO?, IStR 1997, 193; Sieker, Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen i.S. von § 162 Abs. 3 und 4 AO, in GS Trzaskalik, KÇln 2005, 135; Sorgenfrei, Reichweite und Schranken des § 160 AO, IStR 2002, 469; Tipke, § 160 AO – nochmals systematisch Åberdacht, GS Trzaskalik, 2005, 121; Wassermann, Domizilgesellschaft und Benennungsverlagen nach § 160 (Beispiel Schweiz), IStR 2003, 112; von Wedelstdt, Benennung von Glubigern und Zahlungsempfngern, AO-StB 2007, 325; von Wedelstdt, Wann darf das Finanzamt schtzen?, AO-StB 2008, 244.
14.22 Kommt der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, kÇnnen diese unter Anwendung von Zwangsmitteln (§ 328 AO) durchgesetzt werden, es sei denn, er wÅrde sich durch seine Mitwirkung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit bezichtigen (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO).1 Wird im brigen die Mitwirkungspflicht durch den Beteiligten verletzt, wird hierdurch die Sachaufklrungspflicht der FinanzbehÇrde nicht suspendiert.2 Die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Beteiligten fÅhrt vor allem dann, wenn er der einzige Wissenstrger ist, allerdings zu einer Reduzierung des fÅr die Sachverhaltsaufklrung erforderlichen Gewissheitsgrades (Beweismaßreduzierung),3 sodass verbleibende Unsicherheiten zu einer Schtzung dem Grunde nach berechtigen.4 Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Beteiligten auf der einen Seite fÅhrt somit zu einer Einschrnkung der Ermittlungspflichten der FinanzbehÇrde auf der anderen Seite.5 Die FinanzbehÇrde braucht im Grundsatz also keine unverhltnismßigen Anstrengungen zu unternehmen, um die Beweisschwierigkeiten aus1 Bei unzureichendem Steuergeheimnisschutz wird auf der Grundlage eines grundrechtlichen Schweigerechts, das aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Selbstbelastungsverbotes (Nemo-tenetur-Grundsatz) abgeleitet wird (vgl. BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058 Rz. 60), ein Mitwirkungsverweigerungsrecht des Beteiligten angenommen; vgl. hierzu Joecks in F/G/J7, § 393 AO Rz. 10; RÅping, Der Grundsatz des rechtlichen GehÇrs und seine Bedeutung im Strafverfahren, 208; Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 49 ff.; vgl. hierzu Rz. 5.31 ff. 2 BFH v. 18.11.2008 – VIII R 24/07, BStBl. II 2009, 518; BFH v. 18.11.2008 – VIII R 2/06, BFH/NV 2009, 731. 3 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15 f; die Grundstze der Beweismaßreduzierung gelten nicht im Steuerstrafrecht; hierzu Joecks in F/G/J7, § 370 AO, Rz. 55 ff. 4 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15, § 162 AO Rz. 32 ff. 5 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 9.6.2005 – IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; BFH v. 3.11.2005 – VIII B 12/05, BFH/NV 2006, 250; BFH v. 28.12.2006 – VIII B 48/06, BFH/NV 2007, 646; BFH v. 14.5.2008 – V B 227/07, BFH/NV 2008, 1371; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 14.
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F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
zurumen, die sich aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten ergeben.1 KÇnnen daher aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflichten Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt werden, so dÅrfen diese gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO geschtzt werden.2 Die einer jeden Schtzung anhaftenden Unsicherheiten kÇnnen hierbei zulasten des Steuerpflichtigen gehen.3 DarÅber hinaus kÇnnen aus der Verletzung der Mitwirkungspflichten im Wege der BeweiswÅrdigung negative SchlÅsse gezogen werden, sodass die Flle der Unerwiesenheit des Sachverhaltes und damit die Anwendung der Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) nur selten in Betracht kommen werden.4 Wird der in § 90 Abs. 2 AO verankerten Beweismittelbeschaffungspflicht nicht entsprochen, so liegt insoweit eine Pflichtverletzung auch bei tatschlicher und/oder rechtlicher UnmÇglichkeit vor, wenn der Beteiligte Beweisvorsorge htte treffen kÇnnen. War indessen auch die Beweisvorsorge aus rechtlichen und/oder tatschlichen GrÅnden nicht mÇglich, ist eine Verletzung der Beweismittelbeschaffungspflicht nicht gegeben, sodass die FinanzbehÇrde im Rahmen der BeweiswÅrdigung keine negativen SchlÅsse ziehen darf.5
14.23
Ist dagegen eine Mitwirkungspflicht verletzt und ist die Informationsbeschaffung auch nicht Åber ErsuchensauskÅnfte der Finanzverwaltung zu bewerkstelligen, erfolgt eine freie BeweiswÅrdigung6 und nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO eine Reduzierung des Beweismaßes fÅr die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen (Schtzung), wobei auch eine BeweiswÅrdigung zulasten des Steuerpflichtigen in Betracht kommen kann.7 Eine Konkretisierung des fÅr die Tatbestnde der §§ 5 und 7–15 AStG maßgeblichen Schtzungsrahmen enthlt § 17 Abs. 2 AStG.
14.24
Soweit im Rahmen gesteigerter Mitwirkungspflichten eine Vollmachtserteilung fÅr die Finanzverwaltung angefordert wird, ergeben sich nachteilige steuerliche Rechtsfolgen, wenn diese Vollmacht seitens des Steuerpflichtigen nicht erteilt wird (§ 1 Abs. 5 SteuerHBekV). Zu diesen zulasten des Steuerpflichtigen wirkenden Rechtsfolgen gehÇrt, dass fÅr Dividenden das TeileinkÅnfteverfahren (§ 3 Nr. 40 EStG), der Abgeltungsteuertarif
14.25
1 BFH v. 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318. 2 BFH v. 13.3.1985 – I R 7/81, BStBl. II 1986, 318; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15. 3 BFH v. 23.10.1958 – V 5/57 U, BStBl. III 1959, 16; BFH v. 26.4.1983 – VIII R 38/82, BStBl. II 1983, 618; BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381; BFH v. 29.3.2001 – IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484; Seer in T/K, § 162 AO Rz. 44; Sauer in Beermann/Gosch, § 162 AO Rz. 40.4. 4 Zu Einzelheiten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 15; Martin, BB 1986, 1021 (1025, 1028). 5 Zu weiteren Einzelheiten Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Seer, FR 2002, 380 (389); Suchanek/Jansen, GmbHR 2009, 412 (417). 6 BFH v. 6.11.1987 – III R 241/83, BStBl. II 1988, 438; Crezelius, IStR 2002, 433 (436), Hruschka, IStR 2002, 753 (754 f.). 7 Seer in T/K, § 90 AO Rz. 20, § 162 AO Rz. 35 m.w.N.
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Mitwirkungspflichten
(§ 32d Abs. 1 EStG) sowie die Steuerfreistellung (§ 8b Abs. 1 KStG)1 nicht zu Anwendung kommt.2
14.26 ber die vorstehenden, ohnehin gravierenden Rechtsfolgen hinaus wird der FinanzbehÇrde auch die MÇglichkeit einer besonderen Schtzung erÇffnet (§ 162 Abs. 2 Satz 3 AO). Kommt nmlich der Steuerpflichtige dem Verlangen nach eidesstattlicher Versicherung oder nach Vollmachtserteilung nicht nach, greift die widerlegbare gesetzliche Vermutung ein, dass der Steuerpflichtige in dem betreffenden auslndischen Staat steuerpflichtige EinkÅnfte erzielt hat und/oder die steuerpflichtigen EinkÅnfte hÇher sind als bisher erklrt. Damit beschrnken sich die Rechtsfolgen nicht auf eine bloße Beweismaßreduzierung, sondern ermchtigen die FinanzbehÇrden, die EinkÅnfte dem Grunde nach zu schtzen. Wurden bereits in dem inkriminierten Staat erzielte EinkÅnfte steuerlich erklrt, so erstreckt sich die widerlegbare gesetzliche Vermutung darauf, dass die EinkÅnfte tatschlich hÇher waren als erklrt.
14.27 Wird die Verrechnungspreisdokumentation nach Anforderung durch die FinanzbehÇrde nicht vorgelegt oder ist die vorgelegte Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass die Dokumentation nicht zeitnah erstellt worden ist, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Rahmen einer Schtzung widerlegbar vermutet, dass die im Inland erzielten steuerpflichtigen EinkÅnfte, zu deren Ermittlung die Dokumentation dient, hÇher als die erklrten EinkÅnfte sind. Es handelt sich hier um eine Beweisvermutung zulasten des Steuerpflichtigen, die unmittelbar auf die Rechtsfolge, nmlich hÇhere EinkÅnfte, abzielt.3 Voraussetzung ist, dass die Dokumentationspflichten verletzt worden sind, dass also entweder innerhalb der 60- oder 30-Tages-Frist Åberhaupt keine oder eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorgelegt wird oder dass außergewÇhnliche Geschftsvorflle (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO) nicht zeitnah dokumentiert worden sind. Maßstab dafÅr, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist oder nicht, ist, ob ein sachverstndiger Dritter innerhalb angemessener Zeit feststellen und prÅfen kann, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat und inwieweit dabei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde.4 Der Verwertbarkeitstest bezieht sich somit gleichermaßen auf die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation. Im Ergebnis wird eine Verrechnungspreisdokumentation nur dann unverwertbar sein, wenn ihr keine Aussagekraft mehr zukommt.5
1 Entsprechendes gilt fÅr abkommensrechtliche Schachtelprivilegien. 2 Die gilt auch fÅr die Steuerfreistellung fÅr Verußerungsgewinne (§ 8b Abs. 2 KStG). 3 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 66. 4 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) Rz. 3.4.19. 5 Bruschke, DStZ 2006, 575 (576 f.); Seer, EWS 2013, 257 (262); Schaumburg/ Schaumburg in FS Streck, 369 (381).
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F. Steuerliche Rechtsfolgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
Sofern wegen Verletzung der Dokumentationspflichten eine Schtzung im vorgenannten Sinne dem Grunde nach zulssig ist, bleibt dem Steuerpflichtigen gleichwohl die MÇglichkeit, im Nachhinein die in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO verankerte, zu seinen Lasten gehende Beweisvermutung durch andere Beweismittel und/oder eine entsprechende Verrechnungspreisanalyse zu widerlegen.1 Davon abgesehen bleibt der FinanzbehÇrde eine entsprechende Schtzung zuungunsten des Steuerpflichtigen versagt, wenn sie selbst z.B. aufgrund anderweitiger Erkenntnisse zu dem Ergebnis kommt, dass die Verrechnungspreise angemessen sind.2 Der in § 88 AO verankerte Untersuchungsgrundsatz wird nmlich durch § 162 Abs. 3 Satz 1 AO nicht suspendiert, sodass die Schtzung keinen Strafcharakter haben darf.3 Ist indessen eine Schtzung geboten, ermchtigt § 162 Abs. 3 Satz 2 AO die FinanzbehÇrde in den Fllen, in denen sich angemessene Verrechnungspreise innerhalb bestimmter Bandbreiten bewegen, zu einer Schtzung an dem fÅr den Steuerpflichtigen ungÅnstigsten Ende der Bandbreite.4 Das gilt auch dann, wenn Zweifel an der Richtigkeit des ausgewiesenen Gewinns sich nicht ausrumen lassen, weil eine auslndische, nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 AO nicht erfÅllt (§ 162 Abs. 3 Satz 3 AO)
14.28
Werden die Dokumentationspflichten verletzt, kÇnnen Steuerzuschlge bei Nichtvorlage und verspteter Vorlage verwertbarer Dokumentationen festgesetzt werden (§ 162 Abs. 4 AO). Whrend bei Nichtvorlage ein Steuerzuschlag in HÇhe von mindestens 5.000 Euro mindestens aber 5 % und hÇchstens 10 % der hinzu geschtzten EinkÅnfte fllig wird, ist bei verspteter Vorlage fÅr jeden vollen Tag der Sumnis 100 Euro maximal 1 Mio. Euro zu zahlen. Bei diesen Steuerzuschlgen handelt es sich nicht um Strafen im Rechtssinne,sondern um Beugemittel.5
14.29
In den Fllen, in denen bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zu nicht kooperativen Jurisdiktionen (Steueroasen) die Dokumentationen gem. § 90 Abs. 3 AO nicht zeitnah erstellt und vorgelegt worden sind (§ 1 Abs. 2 SteuerHBekV), werden die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1, 2
14.30
1 § 90 Abs. 3 AO enthlt keine Ausschlussfristen, sodass entsprechende Unterlagen noch im Termin zur mÅndlichen Verhandlung beim FG nachgereicht werden kÇnnen; Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 30; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006, 106; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 213 f. 2 Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 134 f. 3 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 68. 4 Der BFH hatte noch eine Schtzung an dem fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigsten Ende der Bandbreite vorgeschrieben, vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 Rechtsfolge: kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG (ne bis in idem); vgl. Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72; Seer, EWS 2013, 257 (263); vgl. auch Rz. 4.31.
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Mitwirkungspflichten
KStG sowie die Schachtelfreistellungen nach den DBA versagt (§ 4 SteuerHBekV). Schließlich ergibt sich als zustzliche Rechtsfolge weiterhin, dass eine vÇllige oder teilweise Entlastung vom Steuerabzug gem. § 50d Abs. 1, 2 oder § 44a Abs. 9 EStG außer Betracht bleibt, wenn die auslndische Gesellschaft den Namen und die Ansssigkeit der natÅrlichen Personen, die zu mehr als 10 % an ihr beteiligt sind, nicht benennt (§ 2 SteuerHBekV).1
14.31 Wird den besonderen Mitwirkungspflichten nicht entsprochen, ergibt sich als allgemeine Rechtsfolge eine Beweismaßreduzierung. Eine Besonderheit ergibt sich in den Fllen, in denen die FinanzbehÇrde auf schriftlichen Antrag des Steuerpflichtigen bewilligt hat, dass elektronische BÅcher und sonstige erforderliche Aufzeichnungen im Ausland gefÅhrt und aufbewahrt werden (§ 146 Abs. 2a Satz 1 AO). Werden Umstnde bekannt, die zu einer Beeintrchtigung der Besteuerung fÅhren, kann die Bewilligung seitens des Finanzamts widerrufen werden. Als Folge hiervon sind die elektronischen BÅcher und Aufzeichnungen zurÅckzuverlagern (§ 146 Abs. 2a Satz 3 AO). Kommt der Steuerpflichtige der Aufforderung zur RÅckverlagerung innerhalb der ihm hierfÅr bestimmten Frist nicht nach, kann ein VerzÇgerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO) zwischen 2.500 Euro und 250.000 Euro auferlegt werden. Das gilt auch im Falle der Verlagerung ohne Bewilligung und in den Fllen, in denen die Mitteilungspflichten gem. § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, die Pflicht zur Einrumung des Datenzugriffs gem. § 147 Abs. 6 AO und die Pflicht zur Auskunftserteilung oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO verletzt worden sind.2
14.32 Werden auf Verlangen der FinanzbehÇrde Glubiger und Empfnger von Lasten, Betriebsausgaben und Werbungskosten und anderen Ausgaben seitens des Steuerpflichtigen nicht benannt (§ 160 AO), so sind Lasten und Ausgaben in der Regel steuerliche nicht zu berÅcksichtigen. Soweit Betriebsausgaben gelten gemacht worden sind, fÅhrt dieses Abzugsverbot durchweg zu einer EinkÅnfteerhÇhung. Anders ist die Rechtsfolge beim Abzugsverbot fÅr bestimmte Schulden. Hier kommt es zwar zu einer ErhÇhung des BetriebsvermÇgens, diese VermÇgensmehrung kann jedoch aus steuerpflichtigen Gewinnen, aus steuerfreien Einnahmen oder aus Einlagen stammen.3 Stammt die VermÇgensmehrung aus steuerpflichtigen EinkÅnften, ist zu klren, ob diese EinkÅnfte in dem Jahr der Ver-
1 Mangels BÇrsenklausel wird die Benennung nicht selten an tatschlicher UnmÇglichkeit scheitern; hierzu Huselmann, Ubg 2009, 704 (706); im brigen sind die Regelungen der SteuerHBekV derzeit ohnehin obsolet; vgl. Rz. 14.12. 2 BFH v. 28.6.2011 – X B 37/11, BFH/NV 2011, 1833; dagegen auf den Fall der BuchfÅhrungsverlagerung beschrnkend DrÅen in T/K, § 146 AO Rz. 50. 3 BFH v. 27.9.1967 – I 231/64, BStBl. II 1968, 67; BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208.
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G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
mÇgensmehrung zugeflossen sind. Nur dann fÅhrt das Abzugsverbot fÅr Schulden auch zu einer EinkÅnfteerhÇhung.1 Die Regelung des § 160 AO erfhrt durch § 16 Abs. 1 AStG insoweit eine Verschrfung, als eine genaue Glubiger- oder Empfngerbenennung erst dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und unwesentlich besteuerten auslndischen Gesellschaften oder Personen bestehen und bestanden haben.2 (Zu Einzelheiten vgl. Rz. 12.44 ff., Rz. 15.230 ff.).
14.33
G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten Literatur: Kommentare zu §§ 160, 162 AO; Bornheim, Nachweis der Steuerhinterziehung mittels Schtzung, AO-StB 2004, 138; DÇrn, Schtzung im Steuerstraf- und im Besteuerungsverfahren, wistra 1993, 1 ff. und 50 ff.; Hild, Schtzungen im Steuerund Strafrecht, DB 1996, 2300; Joecks, Steuerliche Schtzungen im Strafverfahren, wistra 1990, 52; Lohr, Schtzungen im Steuer- und Steuerstrafrecht, FS Volk, 2009, 323; SchÅtzeberg, Die Schtzung im Besteuerungs- und im Steuerstrafverfahren, StBp 2009, 33; Vogelberg, Die Bedeutung des § 160 AO bei Nichtbesteuerung von Zahlungsempfngern, PStR 2005, 294 ff.; Volk, Zur Schtzung im Steuerstrafrecht, FS Kohlmann, 2003, 579.
Die Verletzung von den in den Steuergesetzen ausdrÅcklich verankerten Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten fÅhrt erst dann zu einer Steuerhinterziehung, wenn in diesem Zusammenhang entweder gar keine oder Steuererklrungen mit zu niedrigen EinkÅnften abgegeben werden oder es sonst infolge der Verletzung der vorgenannten Pflichten zu keiner oder zu einer zu niedrigen oder verspteten Steuerfestsetzung kommt (§ 370 AO). Soweit die PflichtverstÇße nicht zu einer vollendeten oder versuchten Steuerhinterziehung fÅhren, kann insbesondere der Tatbestand der Steuergefhrdung gem. § 379 AO erfÅllt sein.3 Hiernach werden insbesondere Handlungen, die zur Vorbereitung einer SteuerverkÅrzung oder zur Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile geeignet sind, als Ordnungswidrigkeiten erfasst. § 379 AO hat in der Praxis allerdings nur eine geringe Bedeutung, weil zumeist auch unrichtige Steuererklrungen abgegeben werden, sodass wegen daraus folgender unzutreffender Steuerfestsetzung eine SteuerverkÅrzung nach den vorrangig anzuwendenden §§ 370, 378 AO die Folge ist. Im Hinblick darauf greift § 378 AO regelmßig nur dann ein, wenn die Tathandlungen vor Abgabe der 1 BFH v. 24.3.1987 – I B 156/86, BFH/NV 1988, 208; BFH v. 16.3.1988 – I R 151/85, BStBl. II 1988, 759; Kuhsel, DB 1995, 650 (650). 2 Vgl. hierzu Schmitz, IStR 1997, 193 ff. 3 Zur Subsidiaritt des § 379 AO Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 17.
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14.34
Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
Steuerklrungen aufgedeckt werden.1 Whrend § 379 AO nur ganz bestimmte PflichtverstÇße in eigener Sache erfasst, erstreckt sich der Bußgeldtatbestand des § 380 AO auf die Verletzung von Pflichten, die dritten Personen Besteuerungsverfahren hinsichtlich fremder Steuerschulden obliegen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Gefhrdung von Abzugsteuern.
14.35 Im außensteuerlichen Kontext ist unter strafrechtlichen Gesichtspunkten insbesondere die Verletzung der im Gesetz ausdrÅcklich vorgesehenen Anzeigepflichten von besonderer Bedeutung. Diese Anzeigepflichten sind darauf gerichtet, ergnzend zur Abgabe von Steuererklrungen/Steueranmeldungen und die AbfÅhrung von Abzugsteuern die vollstndige Erfassung aller potenziellen Steuerpflichtigen sicherzustellen. Soweit die Verletzung der betreffenden Anzeigepflichten nicht in eine vollendete oder versuchte Steuerhinterziehung einmÅndet, kann sie mit einem Bußgeld geahndet werden, falls dies gesetzlich ausdrÅcklich vorgesehen ist. Zu einigen Einzelheiten:
14.36 § 137 Abs. 1 AO verlangt von KÇrperschaften, Vereinen, VermÇgensmassen und ggf. Personengesellschaften dem zustndigen Finanzamt (§ 20 AO) und den Gemeinden die Umstnde anzuzeigen, die fÅr die steuerliche Erfassung von Bedeutung sind. Es geht hierbei insbesondere um die GrÅndung, den Erwerb der Rechtsfhigkeit, die nderung der Rechtsform, die Verlegung der Geschftsleitung oder des Sitzes und die AuflÇsung. Diese Anzeigepflichten gelten auch fÅr beschrnkt steuerpflichtige Rechtstrger, soweit deren Steuerpflicht nicht durch den Steuerabzug abgegolten ist2. Da steuerlich relevante Umstnde anzuzeigen sind, muss die Anzeige selbst dann erfolgen, wenn die EinkÅnfte etwa abkommensrechtlich freigestellt sind.3 Die vorgenannten Anzeigepflichten gegenÅber dem fÅr die Besteuerung zustndigen Finanzamt (§ 20 AO) betreffen allerdings nicht Personengesellschaften, da sie selbst nicht Steuersubjekte sind4. GegenÅber der Gemeinde besteht allerdings eine Anzeigepflicht, weil die Personengesellschaft sowohl Schuldnerin der Grundsteuer (§ 10 GrStG) als auch der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG) sein kann. Obwohl die in § 137 AO verankerte Anzeigeverpflichtung auf eine vollstndige Erfassung der potenziellen Steuerpflichtigen gerichtet ist, bewirkt deren Verletzung keine Ordnungswidrigkeit5.
14.37 § 138 Abs. 1, 1a, 1b, 3 AO verpflichtet natÅrliche und juristische Personen, die Aufnahme einer Erwerbsttigkeit bzw. die ErÇffnung einer Be1 Zu weiteren Anwendungsfllen des § 379 AO Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 17. 2 Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 1. 3 Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 1; CÇster in Pahlke/Koenig2, § 137 AO Rz. 4; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 137 AO Rz. 4. 4 Brandis in T/K, § 137 AO Rz. 2; Schwarz in Schwarz, § 137 AO Rz. 5; CÇster in Pahlke/Koenig2, § 137 AO Rz. 4. 5 Vgl. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO.
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G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
triebssttte sowie die Verlegung und die Aufgabe des Betriebs, einer Betriebssttte oder einer freiberuflichen Ttigkeit der betreffenden Gemeinde mitzuteilen, die ihrerseits unverzÅglich das Finanzamt zu unterrichten hat. Obwohl es auch hierbei um die vollstndige Erfassung potenzieller Steuerpflichtiger geht, fÅhrt die Verletzung dieser Anzeigepflichten zu keiner Ordnungswidrigkeit.1 DemgegenÅber handelt ordnungswidrig, wer vorstzlich oder leichtfertig die ihm obliegende Mitteilungspflicht gem. § 138 Abs. 2 AO nicht, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO). § 138 Abs. 2 AO betrifft unbeschrnkt steuerpflichtige Steuersubjekte, die innerhalb von fÅnf Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das meldepflichtige Ereignis eingetreten ist (§ 138 Abs. 3 AO), gegenÅber dem jeweils zustndigen Finanzamt (§§ 18–20 AO) Mitteilung zu machen haben Åber – die GrÅndung und den Erwerb von Betrieben und Betriebssttten im Ausland, – die Beteiligungen an auslndischen Personengesellschaften oder deren Aufgabe oder nderung sowie – den Erwerb von Beteiligungen an einer auslndischen KÇrperschaft, Personenvereinigung oder VermÇgensmasse i.S. von § 2 Nr. 1 KStG, wenn damit unmittelbar eine Beteiligung von mindestens 10 % oder mittelbar von mindestens 25 % am Kapital oder am VermÇgen der vorgenannten Rechtstrger erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen mehr als 150.000 Euro betrgt.
14.38
Die Verletzung der vorstehenden Mitteilungspflichten, die der steuerlichen berwachung bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten dient, mÅnden nicht selten in eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bzw. in eine leichtfertige SteuerverkÅrzung ein (§ 378 AO).2
14.39
§ 139 AO verpflichtet zur Anmeldung von Betrieben fÅr Zwecke der Verbrauchsteuern und besonderer Verkehrsteuern. Diese Anmeldepflicht, die neben die Anzeigepflicht nach §§ 137, 138 AO tritt,3 dient insbesondere der berwachung von Betrieben, die der Steueraufsicht gem. §§ 209–212 AO unterliegen. Erfasst werden auch im Ausland ansssige Steuerpflichtige, soweit sie im Inland Betriebssttten unterhalten.4 Eine Verletzung der in § 139 Abs. 1 AO verankerten Anmeldepflicht kann zu einer Verbrauchsteuergefhrdung (§ 381 Abs. 1 Nr. 1 AO) fÅhren, soweit in den betreffenden Verbrauchsteuergesetzen auf § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO verwiesen wird.5
14.40
1 2 3 4
Vgl. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO. Hierzu MÇsbauer, wistra 1991, 43 f.; Hentschel, wistra 2005, 371. Brandis in T/K, § 139 AO Rz. 1. FÅr die Auslegung von Betrieb i.S. von Betriebssttte auch Brandis in T/K, § 139 AO Rz. 2; CÇster in Pahlke/Koenig2, § 139 AO Rz. 4. 5 Hierzu der berblick auf die einzelnen Verweisungsnormen bei Matthes in Kohlmann, § 381 AO Rz. 45.
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Mitwirkungspflichten
14.41 Gem. § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ist ordnungswidrig das Nicht- oder Falschverbuchen von Geschftsvorfllen oder von Betriebsvorgngen, die nach Gesetz buch- oder aufzeichnungspflichtig sind. Damit wird insbesondere auf die §§ 140, 141 AO verwiesen. Nach § 140 AO sind aufgrund außersteuerlicher Gesetze und Verordnungen bestehende BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten auch fÅr Zwecke der Besteuerung zu erfÅllen. Neben diesen abgeleiteten BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten normiert § 141 AO originre steuerrechtliche BuchfÅhrungsund Aufzeichnungspflichten, die indessen nur dann eingreifen, wenn sich die entsprechenden Pflichten nicht schon aus § 140 AO ergeben.1 Zu den außersteuerlichen Vorschriften, die BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten begrÅnden, gehÇren auch auslndische Rechtsnormen.2 Betroffen hierdurch sind vor allem beschrnkt steuerpflichtige Personen, die in Deutschland Betriebssttten (§ 12 AO) unterhalten, die nicht zugleich Zweigniederlassungen (§§ 13d–13g HGB) sind.3 Gibt es keine außersteuerlichen in- oder auslndischen Rechtsnormen, greift § 141 AO ein. Soweit inlndische Unternehmen, gleich ob Einzelkaufleute, Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften, auslndische Betriebssttten unterhalten, erstrecken sich die außersteuerlichen BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten des deutschen Rechts auch auf diese.4 DarÅber hinaus kÇnnen sich hierfÅr BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten auch aus auslndischen Rechtsnormen ergeben. Damit sind im Ergebnis VerstÇße gegen sich aus auslndischem Recht ergebende BuchfÅhrungsund Aufzeichnungspflichten tatbestandsmßig i.S. des § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, womit zugleich eine Parallele zu § 283b StGB gegeben ist, wonach auch im Ausland zu erfÅllende BuchfÅhrungspflichten erfasst werden.5 Die Verletzung von BuchfÅhrungs- oder Aufzeichnungspflichten ist nur dann ordnungswidrig, wenn hierdurch ermÇglicht wird, Steuern zu verkÅrzen oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen (§ 379 Abs. 1 Satz 1 AO). Damit reicht bereits die abstrakte Gefahr einer SteuerverkÅrzung aus,6 soweit sich diese auf inlndische Steuern bezieht.7 Da
1 DrÅen in T/K, § 140 AO Rz. 1. 2 DrÅen in T/K, § 140 AO Rz. 7; Mathiak in K/S/M, § 5 EStG Rz. A 219; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.17; Richter/Braun, GmbHR 2012, 18 ff. (20); BMF v. 16.5.2011, BStBl. I 2011, 530; zweifelnd BFH v. 9.8.1989 – I B 118/88, BStBl. II 1990, 175; offengelassen von BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; a.A. GÇrke in H/H/Sp, § 140 AO Rz. 11; Beinert/Werde, DB 2005, 1480 ff. (1485); Wachter, FR 2006, 393 ff. (398 f.). 3 HierfÅr gelten die sonst fÅr Einzelkaufleute, Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften geltenden BuchfÅhrungspflichten; vgl. DrÅen in T/K, § 140 AO Rz. 11. 4 Rechtsgrundlagen: §§ 238–245, 264 ff., 290 ff. HGB, §§ 120 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB, §§ 91, 270, 286 AktG, § 41 GmbHG, § 33 GenG. 5 OLG Karlsruhe v. 21.2.1985 – 4 So 1/85, BB 1985, 1957. 6 Jger in F/G/J7, § 379 AO Rz. 38; Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 95. 7 Jger in F/G/J7, § 379 AO Rz. 41; Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 90.
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G. Strafrechtliche Folgen bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
§ 379 Abs. 1 Nr. 3 AO durch § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO verdrngt wird,1 kÇnnen VerstÇße gegen verbrauchsteuerliche BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungsvorschriften nur nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.2 Neben den in den §§ 140–146 AO im Einzelnen verankerten BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten, von denen lediglich die Verletzung der Aufzeichnungspflicht des Warenausgangs (§ 144 AO) mit einem Bußgeld bewehrt ist (§ 379 Abs. 2 Nr. 1a AO),3 enthalten die §§ 147 und 147a AO Aufbewahrungspflichten, deren Verletzung allerdings zu keiner Ordnungswidrigkeit fÅhrt.4 Die Vernichtung von Geschftsunterlagen kann allerdings gem. § 274 StGB als UrkundenunterdrÅckung strafbar sein.5
14.42
Als Steuerordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht wird derjenige, der vorstzlich oder leichtfertig seiner Verpflichtung, Steuerabzugsbetrge einzubehalten und abzufÅhren, nicht, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt (§ 380 Abs. 1 AO). Da diese Ordnungswidrigkeit gegenÅber der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und der leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) subsidir ist, wird nur der Fall erfasst, dass die Steuerabzugsbetrge rechtzeitig und vollstndig angemeldet, aber nicht entsprechend einbehalten und abgefÅhrt worden sind6. § 380 AO betrifft im Wesentlichen den Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber (§§ 38 ff. EStG), den Steuerabzug bei Kapitalertrgen (§§ 43 ff. EStG), die Bauabzugsteuer (§§ 48 ff. EStG) und im außensteuerlichen Kontext insbesondere den Quellensteuerabzug bei beschrnkter Steuerpflicht (§ 50a EStG).
14.43
Auf der gleichen Linie liegt § 26b UStG, wonach ordnungswidrig handelt, wer die in einer Rechnung (§ 14 UStG) ausgewiesene Umsatzsteuer zum Flligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollstndig entrichtet. Im Falle einer gewerbsmßigen oder bandenmßigen Schdigung des Umsatzsteueraufkommens ist eine Straftat i.S. von § 26c UStG gegeben. §§ 26b, 26c UStG kommen nur in Betracht, wenn die Umsatzsteuer vollstndig und rechtzeitig angemeldet worden ist. Andernfalls liegt eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) vor.
14.44
Im außensteuerlichen Kontext ist schließlich auch § 50e EStG von Bedeutung, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorstzlich oder leichtfertig bestimmte sich aus § 45d EStG gegenÅber dem Bundeszentralamt fÅr Steuern bestehende Mitteilungspflichten nicht, nicht richtig, nicht voll-
14.45
1 Jger/Lipsky in F/G/J7, § 381 AO Rz. 10; Matthes in Kohlmann, § 381 AO Rz. 25, 40; Traut in Flore/Tsambikakis, § 381 AO Rz. 14. 2 Jger/Lipsky in F/G/J7, § 381 AO Rz. 10; Traut in Flore/Tsambikakis, § 381 AO Rz. 14. 3 Hierzu OFD Koblenz v. 29.3.2011, DStR 2012, 85. 4 Jger in F/G/J7, § 379 AO Rz. 27; Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 79. 5 BGH v. 29.1.1980 – 1 StR 683/79, BGHSt 29, 192 (194 f.); Matthes in Kohlmann, § 379 AO Rz. 79. 6 Jger in F/G/J7, § 380 AO Rz. 3b; Matthes in Kohlmann, § 380 AO Rz. 5 ff.
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Kapitel 14
Mitwirkungspflichten
stndig oder nicht rechtzeitig nachkommt.1 Mit Bußgeld bewehrt ist auch die Verletzung der aufgrund der Zinsinformationsverordnung (ZIV)2 i.S. des § 45e EStG bestehenden Pflicht zur Fertigung von Mitteilungen Åber ausgezahlte Zinsen und die Pflicht zur Fertigung von Mitteilungen, die sich aus den nach Art. 17 der Zinsrichtlinie3 abgeschlossenen Vertrgen mit anderen Staaten und unabhngigen Gebieten ergibt.4
14.46 Soweit insbesondere aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten das Finanzamt eine Schtzung von Besteuerungsgrundlagen vornimmt (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO), hat die Schtzung steuerstrafrechtlich grundstzlich keine Bedeutung. Im Steuerstrafverfahren und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren ist nmlich der Sachverhalt in Orientierung an § 261 StPO selbstndig zu ermitteln mit der Folge, dass nicht die auf § 162 AO beruhende Beweismaßreduzierung, sondern allein die Regeln freier BeweiswÅrdigung maßgeblich sind.5 Das gilt vor allem in den Fllen, in denen wegen Verletzung von Dokumentationspflichten steuerlich eine Schtzung zulasten des Steuerpflichtigen legitimiert ist (§ 162 Abs. 3 Satz 1 und 2 AO). Die bernahme einer derartigen Schtzung verbietet sich fÅr den Strafrichter. Er darf nur die Besteuerungsgrundlagen heranziehen, die zu seiner berzeugung als erwiesen anzusehen sind.6 Nur in diesem Rahmen kÇnnen Schtzungen zugrunde gelegt werden,7 wobei allerdings im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist. In der Praxis wird daher nicht selten ein Abschlag von der Schtzung des Finanzamts vorgenommen8 (vgl. auch Rz. 10.201 f.).
1 Zu Einzelheiten Joecks in K/S/M, § 50e EStG Rz. B 1 ff.; zustndig fÅr die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit ist das BZSt (§ 50e Abs. 1a EStG i.d.F. des Kroatien-AnpG). 2 ZIV v. 26.1.2004, BStBl. I 2004, 297; BGBl. I 2004, 128. 3 RL 2003/48/EG v. 3.6.2003, ABl. EU Nr. L 157 v. 26.6.2003, 38; zuletzt gendert durch RL 2006/98/EG v. 20.11.2006, ABl. EU Nr. L 363 v. 20.12.2006, 19. 4 Zu Einzelheiten Joecks in K/S/M, § 50e EStG Rz. B 5 ff. 5 Vgl nur Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16. 6 BGH v. 10.9.1987 – 4 StR 287/85, wistra 1986, 65; BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1991, 147; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 98/07, wistra 2007, 345; BGH v. 19.7. 2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 561/13, NZWiSt 2014, 353. 7 Vgl. BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 98/07, wistra 2007, 345; BFH v. 19.7.2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470. 8 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16; Kamps/Wulf, DStR 2003, 2045 ff. (2050); SchÅtzeberg, StBp 2009, 33 ff. (38).
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6. Teil Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
A. Allgemeine Hinweise . . . . . . .
Rz. 15.1
B. Typische Problembereiche I. 1. 2. 3.
Wegzug natÅrlicher Personen berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Wohnsitzaufgabe im Inland. b) Wohnsitzaufgabe in einem auslndischen EU-/EWRStaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgabe des gewÇhnlichen Aufenthaltes . . . . . . . . . . . . d) Aufgabe der Ansssigkeit im Inland . . . . . . . . . . . . . . .
II. Wegzug von Kapitalgesellschaften 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland . . . . . . b) Verlegung der Ansssigkeit in das Ausland . . . . . . . . . . .
15.11 15.19 15.22 15.23
15.29 15.37 15.40
15.45 15.51 15.52 15.53 15.59
III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.65 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.74 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.76 a) BetriebsvermÇgenstransfer in eine auslndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . 15.79 b) NutzungsÅberlassung an eine auslndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.83 c) BetriebsvermÇgenstransfer in eine inlndische Betriebssttte . . . . . . . . . . . . . . 15.85 IV. Internationale Umwandlungen 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.88
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2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Inlndische Umwandlungen mit Auslandsbezug . . . b) GrenzÅberschreitende Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . c) Auslndische Umwandlungen mit Inlandsbezug . . . . . V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Verdeckte GewinnausschÅttung . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdeckte Einlage . . . . . . . . c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) . . . . . . . . . . . 4. Korrekturmaßstbe . . . . . . . . . 5. Strafrechtliche Verantwortlichkeit a) Objektiver Tatbestand . . . . b) Subjektiver Tatbestand . . . 6. Berichtigungspflichten gem. § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. 1. 2. 3.
Rz. 15.93 15.94 15.95 15.102 15.110
15.118 15.120 15.124 15.130 15.134 15.139 15.146
15.156 15.163 15.166
Funktionsverlagerungen berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.168 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.171 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.172
VII. Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.176 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.177 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.180 VIII. Auslndische Kapitalertrge 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dividenden . . . . . . . . . . . . . b) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . .
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15.184 15.186 15.193 15.194 15.197
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Rz. IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.203 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.208 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.211 X. Auslndische Basisgesellschaften 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.214 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.220 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.221 XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.230 2. Pflichtenkreis/Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.235 XII. Zuzug natÅrlicher Personen 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.238 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.241
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3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Wohnsitz im Inland . . . . . . b) GewÇhnlicher Aufenthalt im Inland . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansssigkeit im Inland . . . XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . a) Ort der Geschftsleitung im Inland . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungssitz im Inland . . . . c) Ansssigkeit im Inland . . . XIV. 1. 2. 3.
Rz. 15.245 15.246 15.254 15.263
15.271 15.277 15.279 15.280 15.285 15.289
Inlndische EinkÅnfte berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.294 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 15.295 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 15.302
A. Allgemeine Hinweise 15.1 Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im Internationalen Ertragsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzmtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 387 Abs. 2 AO), dem Bundeszentralamt fÅr Steuern (§ 386 Abs. 1 Satz 2 AO) und der Steuerfahndung (§§ 208 Abs. 1 Nr. 1, 404 AO; § 163 StPO) eingeleitet.1 Das Strafverfahren ist in diesen Fllen eingeleitet, sobald die vorgenannten BehÇrden Maßnahmen treffen, die erkennbar darauf abzielen, wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen (§ 397 Abs. 1 AO).2 Voraussetzung ist das Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts, der dann gegeben ist, wenn zureichende tatschliche Anhaltspunkte fÅr eine verfolgbare Tat vorliegen (§ 152 Abs. 2 StPO). HierfÅr mÅssen konkrete Tatsachen bekannt sein, die einen begrÅndeten Anhalt fÅr eine Straftat liefern. Diese Tatsachen brauchen zwar noch nicht zur berzeugung der StrafverfolgungsbehÇrden festzustehen, erforderlich ist aber mehr als eine bloße Vermutung, sodass etwa eine bloße kriminalistische Hypothese nicht aus-
1 In Zusammenhang mit Ertragsteuern sind ferner zur Einleitung von Strafverfahren befugt: Familienkasse im Zusammenhang mit der Gewhrung von Kindergeld als SteuervergÅtung i.S. des § 370 Abs. 4 Satz 2 AO; Polizei etwa im Zusammenhang mit Schmuggelsachverhalten; Staatsanwaltschaft meist anlsslich der Verfolgung von (anderen) Wirtschaftsstraftaten; Strafrichter insbesondere in Funktion als Ermittlungsrichter; vgl. hierzu den berblick bei Quedenfeld in Flore/Tsambikakis, § 397 AO Rz. 8 ff.; Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 15; vgl. ferner oben Rz. 5.27 ff.; 6.1 ff. 2 FÅr die Einleitung eines Bußgeldverfahrens gilt Entsprechendes (§ 410 Abs. 1 Nr. 6 AO).
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A. Allgemeine Hinweise
reicht1 (hierzu Rz. 6.8 ff.). Aber auch in den Fllen, in denen ein Anfangsverdacht noch nicht bejaht werden kann, werden insbesondere seitens der Steuerfahndung sog. Vorfeldermittlungen durchgefÅhrt (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO), die bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten insbesondere dann von Bedeutung sind, wenn die Steuerpflichtigen der Person nach unbekannt sind2 (zu Einzelheiten Rz. 6.17 ff.). Soweit in den vorgenannten Fllen die FinanzbehÇrden selbstndige Ermittlungsbefugnisse haben, wird die Strafsache gleichwohl an die zustndige Staatsanwalt abgegeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO), wenn etwa eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist, die nicht im Strafbefehlsverfahren geahndet werden kann.3 DarÅber hinaus kann die Staatsanwaltschaft die Strafsache auch jederzeit an sich ziehen (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Von diesem Evokationsrecht wird die Staatsanwaltschaft bei entsprechendem Umfang und Bedeutung der Steuerstraftat Gebrauch machen.
15.2
Ob Åberhaupt der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung gegeben ist, ob also Steuern verkÅrzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, lsst sich insbesondere im Bereich des Internationalen Steuerrechts nicht immer sicher beurteilen. Im Hinblick darauf kÇnnen eingeleitete Strafverfahren ausgesetzt werden, bis die Besteuerungsverfahren, etwa bis zu einer Entscheidung des BFH, rechtskrftig abgeschlossen sind (§ 396 Abs. 1 AO). Ob ausgesetzt wird, obliegt dem Ermessen der zustndigen Stelle – FinanzbehÇrde, Staatsanwaltschaft, Strafgericht -, wobei eine Ermessenreduzierung auf null gegeben ist, wenn in einem Verfahren vor dem Finanzgericht oder BFH oder in einem Verstndigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA) zu entscheiden ist, ob Åberhaupt ein (tatrelevanter) Steueranspruch besteht. Entsprechendes gilt, wenn in einem anhngigen Verfahren das BVerfG Åber die Wirksamkeit einer Norm zu entscheiden hat, auf die eine Steuerhinterziehung gestÅtzt wird.4 Eine Aussetzung des Strafverfahrens sollte jedenfalls bei (vermeintlichen) Pflichtverletzungen im Internationalen Steuerrecht die Regel sein. Whrend der Aussetzung des Strafverfahrens ruht die strafrechtliche Verjhrung (§ 396 Abs. 3 AO)5. Erfolgt (ausnahmsweise) eine strafrechtliche Verurteilung vor dem rechtskrftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens, besteht bei einer Entscheidungsdivergenz nur ausnahmsweise die MÇglichkeit, eine strafrechtliche Verurteilung im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens (§ 359 StPO).
15.3
Zu den Ermittlungsanlssen zhlt vor allem die Verletzung von Mitwirkungspflichten whrend der AußenprÅfung. Angesprochen sind damit
15.4
1 Vgl. BVerfG v. 4.7.2006 – 2 BvR 950/05, NJW 2006, 2974; Peters in Kohlmann, § 397 AO Rz. 5 f. 2 Seer in T/K, § 208 AO Rz. 27; Matthes in Kohlmann, § 404 AO Rz. 81. 3 Zu weiteren Fllen vgl. Nr. 18 AStBV. 4 Hierzu Brandenstein in Flore/Tsambikakis, § 396 AO Rz. 13 ff. 5 Das gilt auch fÅr die absolute Verjhrungsfrist gem. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, OLG Karlsruhe v. 8.3.1990 – 2 Sg 222/89, wistra 1990, 205.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Flle, in denen der Steuerpflichtige trotz Aufforderung durch die AußenprÅfung die Erteilung von AuskÅnften verweigert, obwohl bei Auslandssachverhalten eine erhÇhte Mitwirkungspflicht besteht (§ 90 Abs. 2 AO). Soweit sich hieraus der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit ergibt, besteht fÅr den PrÅfer die Verpflichtung, zunchst unverzÅglich die Straf- und Bußgeldsachenstelle zu unterrichten (§ 10 BpO). Bloße Vermutungen lÇsen allerdings eine Mitteilungspflicht nicht aus.1 Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen selbst, dÅrfen Ermittlungen, soweit der Verdacht reicht, erst fortgesetzt werden, wenn ihm die Einleitung des Straftverfahrens mitgeteilt worden ist (§ 397 AO).2 HierÅber hat ein Einleitungsvermerk der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu erfolgen (§ 397 Abs. 2 AO). Zudem hat der PrÅfer den Steuerpflichtigen darÅber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO). DarÅber hinaus werden Ermittlungsverfahren auch aufgrund eigener Wahrnehmungen seitens der FinanzbehÇrden ausgelÇst. Zu den diesbezÅglichen Erkenntnisquellen gehÇren Presse, Rundfunk und in zunehmendem Maße auch das Internet. Von Bedeutung sind eingehende AuskÅnfte aus dem Ausland, wobei SpontanauskÅnfte etwa Åber auslndische Kapitalertrge eine besondere Rolle spielen (zur Amts- und Rechtshilfe Rz. 8.1 ff., 9.1 ff.). Ferner lÇsen eingehende Strafanzeigen aus dem privaten oder geschftlichen Umfeld des Betroffenen sowie angekaufte CDs (hierzu s. Rz. 6.37) Ermittlungen aus. Das gilt auch fÅr anonyme Anzeigen jedenfalls dann, wenn diese so konkret gefasst sind, dass sie auf ein gewisses Insiderwissen schließen lassen. Schließlich werden Ermittlungsverfahren auch dann eingeleitet, wenn der betreffende Steuerpflichtige eine Selbstanzeige erstattet. Das gilt auch fÅr Selbstanzeigen Dritter, vor allem dann, wenn sie nur fÅr einzelne Tatbeteiligte zur Straffreiheit fÅhren.
15.5 Im Bereich des Internationalen Steuerrechts wird die Steuerhinterziehung gleichermaßen durch unrichtige Angaben Åber steuerlich erhebliche Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) und durch Verstoß gegen Erklrungspflichten durch Unterlassungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) begangen.3 Im Hinblick darauf, dass die vom Steuerpflichtigen geforderten Steuererklrungen nicht in erster Linie die Mitteilung steuerlich erheblicher Tatsachen verlangen, sondern durchweg eigene steuerliche Subsumtionen einfordern, kann von unrichtigen Angaben Åber steuerlich erhebliche Tatsachen Åberhaupt nur dann die Rede sein, wenn das mitgeteilte Subsumtionsergebnis von dem zugrunde liegenden Sachverhalt unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt gedeckt ist. Das bedeutet, dass der Steuerpflichtige in seinen Steuererklrungen auch eine gÅnstigere Rechtsansicht vertreten
1 Vgl. gleich lautende Lndererlasse v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829. 2 Die Mitteilungspflicht dient dem Schutz des Beschuldigten vor Selbstbezichtigung; Jger in F/G/J7, § 397 AO Rz. 93; Matthes in Kohlmann, § 397 AO Rz. 38. 3 § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO spielt in dem hier interessierenden Zusammenhang keine Rolle; vgl. zu Einzelheiten Rz 10.52 ff.
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A. Allgemeine Hinweise
darf.1 Wird allerdings eine von der Rechtsprechung und den Steuerrichtlinien abweichende Rechtsansicht vertreten, bedarf es in der Steuererklrung eines entsprechenden Hinweises.2 Gibt es keine entsprechenden Vorgaben durch Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen, was im Bereich des Internationalen Steuerrechts hufig der Fall ist, besteht eine entsprechende Hinweispflicht nicht.3 Im Hinblick darauf, dass die ErmittlungsmÇglichkeiten der Finanzverwaltung im Ausland begrenzt sind (hierzu Rz. 7.1), enthalten zahlreiche dem Internationalen Steuerrecht zuzuordnenden Vorschriften steuerliche Beweislastregelungen sowie Nachweispflichten, deren Verletzung eine fÅr den Steuerpflichtigen belastende steuerliche Rechtsfolge auslÇsen. Derartige Beweislastregelungen und Nachweispflichten bleiben im Steuerstrafverfahren außer Betracht.4 Aus dieser Divergenz folgt im Ergebnis, dass an die Sachverhaltsermittlung fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke erhÇhte Anforderungen zu stellen sind.
15.6
Eine Steuerhinterziehung ist nur dann strafbar, wenn bezogen auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale Vorsatz gegeben ist. Zwar ist ein Eventualvorsatz ausreichend, dies setzt aber den Nachweis voraus, dass der betroffene Steuerpflichtige einen Steueranspruch fÅr mÇglich gehalten hat. Wenn demgegenÅber nicht nachgewiesen werden kann, dass Åberhaupt eine Vorstellung von einem entsprechenden Steueranspruch bestand, ist der Vorsatz zu verneinen. In den Fllen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gehÇrt zum Vorsatz zustzlich auch die Kenntnis aller Umstnde, die eine steuerliche Erklrungspflicht auslÇsen (zu Einzelheiten s. Rz. 10.123 ff.). Im Bereich des Internationalen Ertragsteuerrechts ist es hufig nicht mÇglich, einen entsprechenden Vorsatz nachzuweisen. Im Hinblick darauf bleibt nur die Ahndung als leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) oder, so der in der Praxis hufige Fall, die Einstellung gem. § 153a StPO.
15.7
Im privaten Bereich ist die Steuerhinterziehung in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit steuerlich nicht erklrten EinkÅnften aus auslndischen Kapitalanlagen von Bedeutung. Angesprochen sind hier insbesondere Kapitalanlagen, die durch ein Bankgeheimnis geschÅtzt sind. Ist die Hinterziehungstat aufgedeckt (zum Informationsaustausch
15.8
1 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 128a; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO Rz. 213 ff.; vgl. Rz. 10.74 ff. 2 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 (140); vgl. zur Kritik Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 127; Randt in FS Schaumburg, 1255 ff. 3 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 128a; Wulf in Grotherr, Hdb. der Internationalen Steuerplanung3, 2069 ff. (2075); Harms, Stbg 2005, 14. 4 BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56; Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 20; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94; Spriegel, wistra 1998, 241; Peters/ Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253).
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Rz. 8.1 ff.; 9.1 ff.), ergeben sich in aller Regel keine besonderen rechtlichen Probleme.
15.9 Das gilt auch in den Fllen, in denen die Kapitalanlagen mittelbar Åber auslndische Familienstiftungen oder Trusts gehalten werden (hierzu s. Rz. 13.163 ff.). Im Hinblick auf die einstweilen noch unzureichende grenzÅberschreitende Sachaufklrung sind auf EU-Ebene die BemÅhungen darauf gerichtet, die EU-Zinsrichtlinie (s. Rz. 8.23 ff.) Åber Zinsen hinaus auf alle Kapitalertrge auszudehnen und in den hiernach mÇglichen automatischen Auskunftsverkehr auch sterreich und Luxemburg einzubeziehen (zu der derzeit noch bestehenden Ausnahmeregelung fÅr beide EUStaaten s. Rz. 8.94, 8.101). DarÅber hinaus wird das Netz der Doppelbesteuerungsabkommen mit großer Auskunftsklausel (s. Rz. 8.35 ff.) und der Informationsaustauschabkommen (TIEA) insbesondere mit sog. Steueroasen weiter ausgebaut, auf deren Grundlage steuerlich und steuerstrafrechtlich relevante AuskÅnfte verlangt werden kÇnnen (s. Rz. 8.51 ff.). Von Bedeutung ist zudem das mit den USA abgeschlossene Abkommen zur FÇrderung der Steuerehrlichkeit bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten1. Auf der Grundlage dieses Abkommens werden die FATCA-Regelungen der USA2 umgesetzt. Hiernach verpflichtet sich Deutschland, von hier ansssigen Finanzinstituten Informationen Åber fÅr US-Kunden gefÅhrte Konten zu erheben und den US-BehÇrden (auch fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke) zur VerfÅgung zu stellen.3 Eine Intensivierung des internationalen Informationsaustauschs ist schießlich durch das am 29.10.2014 im Rahmen des Global Forum gezeichneten Competent Authority Agreement (CAA) zu erwarten, das einen weltweiten Datenaustausch Åber bei Banken unterhaltene Konten ermÇglicht.4
15.10 Im betrieblichen Bereich geht es u.a. um die grenzÅberschreitende Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerlnder, die als Ergebnis „aggressiver Steuerplanung“ seit 2012 in das Visier der internationalen Steuerpolitik geraten ist.5 Im Vordergrund stehen hierbei die insbesondere von US-Konzernen praktizierten Steuersparmodelle,6 die im Wesentlichen das inter-
1 BGBl. II 2013, 1362. 2 Foreign Account Tax Compliance Act. 3 Vgl. zu Einzelheiten DÇhle, IWB 2013, 433 ff.; Demleitner, IStR 2013, 5644; Eimermann, IStR 2013, 774 ff. 4 Vgl. Czakert, ISR 2014, 331 ff. 5 Vgl. Bericht der OECD zur AushÇhlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen (BEPS – Base Erosion and Profit Shifting) v. 12.2.2013 sowie Aktionsplan der EUKommission zur Verstrkung der Bekmpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung v. 6.12.2012; vgl die Hinweise von Eilers/Schmitz, ISR 2013, 68 ff. (71) und Gillamariam/Binding, DStR 2013, 1153 ff.; Lang, M., SWI 2013, 62 ff.; Rasch/Tillmann, ISR 2013, 139 ff.; Kreienbaum, IStR 2014, 637; dort auch zur Zusammenarbeit mit den G20-Mitgliedstaaten. 6 Hierzu Pinkernell, Internationale Steuergestaltung im Electronic Commerce, ifst-Schrift Nr. 494 (2013); Pinkernell, StuW 2012, 369 ff.; Pinkernell, IStR 2013, 180 ff.
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A. Allgemeine Hinweise
nationale Steuergeflle, die unterschiedlichen steuerlichen AnknÅpfungspunkte der einzelnen Staaten sowie BesteuerungslÅcken im US-Steuerrecht nutzen mit der Folge, dass deren Steuerquote zum Teil unter 10 % liegt. Es handelt sich zumeist um Flle, in denen „mobile“ Besteuerungsgrundlagen, also Marken, Patente, Know-how und Kapital in Niedrigsteuerlndern allokiert werden, um von dort Åber LizenzgebÅhren und Zinsen die Steuerbemessungsgrundlagen in Hochsteuerlndern zu schmlern. Hiergegen ist vor allem der Aktionsplan der OECD vom 19.7.20131 gerichtet, der Maßnahmen zur Bekmpfung von SteuerverkÅrzung und Gewinnverschiebung durch multinationale Unternehmen enthlt.2 Die vorgeschlagenen Maßnahmen zielen darauf ab, die internationalen und nationalen Steuersysteme anzupassen und eine verstrkte koordinierte Vorgehensweise der Staaten zu ermÇglichen. Hierzu werden nderungen insbesondere des OECD-Musterabkommens und der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien vorgeschlagen. Im Nachgang zum vorgenannten Aktionsplan sind DiskussionsentwÅrfe erstellt worden, die sich z.B. mit der internationalen Minderbesteuerung durch hybride Strukturen und der Besteuerung der digitalen Wirtschaft (Electronic commerce) beschftigen.3 Bereits vor der OECD hat die EU-Kommission am 6.12.2012 einen entsprechenden Aktionsplan zur Verbesserung der Bekmpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung vorgelegt.4 FÅr die bereits umgesetzten Maßnahmen liegt ein Zwischenbericht vor5, auf dessen Grundlage die Mutter-Tochter-Richtlinie gendert worden ist.6 FÅr in Deutschland ansssige Unternehmen sind hiergegen insbesondere im nationalen Recht verankerte Verrechnungspreisregelungen (§ 1 AStG, hierzu Rz. 13.171 ff.) sowie spezielle Missbrauchsregelungen (z.B. § 50d Abs. 3 EStG, hierzu Rz. 13.235 ff.) sowie das Normeninstrumentarium der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7-14 AStG; hierzu Rz. 13.148 ff.) gerichtet. In steuerstrafrechtlicher Hinsicht ergeben sich hieraus keine Besonderheiten, weil in
1 Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS); http://www.oecd.org/ ctp/BEPSActionPlan.pdf; zum Stand 9/2014 Kreienbaum, IStR 2014, 637. 2 Vgl. hierzu den berblick bei Steiner, SWI 2013, 385 ff.; Dawid/Knopp, IWB 2013, 591 ff.; Brsch/Quilitzsch/Schulz, ISR 2013, 358; RÇdder/Pinkernell, IStR 2013, 619 ff.; Pinkernell, FR 2013, 737 ff. 3 Zu Einzelheiten Valta, ISR 2014, 176 ff., 214 ff.; Fehling, IStR 2014, 638. 4 Mitteilung der Kommission an das Europsiche Parlament und den Rat v. 6.12.2012: Aktionsplan zur Verstrkung der Bekmpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung (KOM [2012] 722 endgÅltig) (s. auch http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/taxtion/tax_fraud _ evasion/ com_2012_722_de.pdf. 5 Fighting Tax Evasion and Avoidance: A Year of Progress; http://europa.eu/rapid/ press-release_MEMO-13-1096_de.htm; zu Einzelheiten Leitgeb, SWI 2014, 264. 6 nderungsrichtlinie 2014/86/EU des Rates v. 8.7.2014, wonach fÅr GewinnausschÅttungen innerhalb der EUIEWR die Steuerfreistellung neu gewhrt wird, wenn diese bei der leistenden Gesellschaft nicht steuermindernd berÅcksichtigt wurden (Korrespondenzprinzip); vgl. hierzu Haase, IStR 2014, 650; Kahlenberg, StuB 2014, 647; Hinweis: in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG bereits verankert; vgl. Rz. 13.224.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
den Fllen, in denen internationale BesteuerungslÅcken geschickt genutzt werden und die Tatbestnde der vorgenannten Normen erfÅllt sind, eine Steuerhinterziehung nicht ohne Weiteres gegeben ist. Das ist allenfalls dann der Fall, wenn damit einhergehende Mitwirkungspflichten verletzt werden.1
B. Typische Problembereiche I. Wegzug natÅrlicher Personen Literatur (ab 2000): Kommentare zu §§ 8, 9 AO, §§ 4 Abs. 1 Satz 3 und 4, 4g, 16 Abs. 3a, 36 Abs. 5 EStG; §§ 2, 6 AStG; Baßler, Die Bedeutung des § 6 AStG bei der Planung der Unternehmensnachfolge, FR 2008, 218; Deininger/Lang, Wegzug aus steuerlichen GrÅnden, 2. Aufl. Bonn 2009; Ditz, Aufgabe der finalen Entnahmetheorie – Analyse des BFHUrteils vom 17.7.2008 und seiner Konsequenzen, IStR 2009, 115; DÇrfler/Adrian/ Oblau, Europisierung des deutschen Steuerrechts durch das SEStEG, RIW 2007, 226; Ettinger, Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG und Gemeinschaftsrecht, IStR 2006, 747; FÇrster, SEStEG: Rechtsnderungen im EStG, DB 2007, 72; Hoffmann, Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme in der BFH-Rechtsprechung, DB 2008, 2286; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 584; Keller, Die Fortentwicklung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG, Frankfurt/M. 2006; Kessens, Die Besteuerung der grenzÅberschreitenden berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern, Frankfurt/M. 2009; Lohmann/Heerdt, Umwandlungsvorgnge im Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung i.S. des § 6 Abs. 5 S. 5 AStG, IStR 2014, 153 ff.; Mitschke, Zur gesetzlichen Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, DB 2009, 1376; Ostertun/Reimer, Wegzugsbesteuerung Wegzugsberatung, MÅnchen 2007; Richter/Escher, Deutsche Wegzugsbesteuerung bei natÅrlichen Personen nach dem SEStEG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, FR 2007, 674; Roser, berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern ins Ausland – eine Grundsatzentscheidung mit vielen Fragen, DStR 2008, 2389; Roser/Hamminger, Wohnsitzverlegung ins Ausland als Instrument der Steuerplanung und damit zusammenhngende Besteuerungsprobleme bei und nach der Wohnsitzverlegung, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 1523 ff.; Schaumburg, Die neue Dogmatik der internationalen Steuerentstrickung, in StbJb 2008/2009, 193; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 5.337; Schneider/Oepen, Finale Entnahme, Sicherstellung stiller Reserven und Entstrickung, FR 2009, 22; Schnitger, Die Entstrickung im Steuerrecht, ifst-Schrift Nr. 487 (2013); SÇffing/Bron, Die Wegzugsbesteuerung im Verhltnis zur Schweiz unter BerÅcksichtigung des FreizÅgigkeitsabkommens, RIW 2009, 358; Wassermeyer, MerkwÅrdigkeiten bei der Wegzugsbesteuerung, IStR 2007, 833.
1 Vgl. zu § 42 AO BGH v. 24.8.1983 – 3 StR 89/83, BGHSt 32, 60 (64), BGH v. 30.5.1990 – 3 StR 55/60, wistra 1990, 307 (308); BFH v. 1.2.1983 – VIII R 30/80, BStBl. II 1983, 534; BFH v. 29.8.2007 – IX R 17/07, BStBl. II 2008, 502; Hartmann/Wietschorek in Flore/Tsambikakis, § 42 AO Rz. 3; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 139.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
1. berblick Der Wegzug natÅrlicher Personen fÅhrt zum Ausscheiden aus der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht, wenn im Inland weder ein (weiterer) Wohnsitz (§ 8 AO) noch ein gewÇhnlicher Aufenthalt (§ 9 AO) zurÅckbleibt. Werden nach dem Wegzug keine (erweiterten) InlandseinkÅnfte erzielt, scheidet auch eine beschrnkte bzw. erweitert beschrnkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG, § 2 AStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) aus. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschrnkte Steuerpflicht aufrechterhalten bleibt, etwa wegen eines zurÅckbleibenden (weiteren) Wohnsitzes oder eines gewÇhnlichen Aufenthaltes im Inland, hngt die Reichweite der Besteuerung in Abkommensfllen davon ab, ob Deutschland oder der andere Staat (Zuzugsstaat) als Ansssigkeitsstaat (Wohnsitzstaat) gilt (Art 4 Abs. 2 OECD-MA).1 Hinsichtlich der laufenden Besteuerung ist daher in Wegzugsfllen wie folgt zu unterscheiden: – Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht durch berwechseln zur beschrnkten Steuerpflicht bei Aufgabe des inlndischen Wohnsitzes und eines gewÇhnlichen Aufenthaltes im Inland mit der Folge, dass fortan nur noch inlndische EinkÅnfte der Einkommensteuer unterliegen (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfllt, soweit im Inland eine Betriebssttte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), – Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht durch Aufgabe des inlndischen Wohnsitzes und gewÇhnlichen Aufenthaltes ohne BegrÅndung der beschrnkten oder erweitert beschrnkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG, § 2 AStG) mit der Folge, dass eine inlndische Steuerpflicht gnzlich entfllt, – BegrÅndung der unbeschrnkten Steuerpflicht im Ausland unter Aufrechterhaltung der unbeschrnkten Steuerpflicht im Inland dadurch, dass hier ein vorrangiger oder ein nachrangiger Wohnsitz oder ein gewÇhnlicher Aufenthalt verbleibt mit der Folge, dass in Abkommensfllen Deutschland entweder als Wohnsitzstaat oder lediglich als Quellenstaat gilt (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA), – Beendigung der erweitert beschrnkten Steuerpflicht, etwa durch Wohnsitzverlegung in ein Hochsteuerland mit der Folge, dass eine Besteuerung der erweiterten InlandseinkÅnfte (§ 2 AStG) entfllt.
15.11
Soweit in Wegzugsfllen eine unbeschrnkte, beschrnkte oder erweitert beschrnkte Einkommensteuerpflicht nicht entfllt, sind hiergegen die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hiernach hat Deutschland als Wohnsitzstaat auslndische EinkÅnfte freizustellen oder die hierauf entfallende auslndische Steuer anzurechnen. Als Quellenstaat verbleibt Deutschland nur eine eingeschrnkte Besteuerungsbefugnis. In den Fllen, in denen keine Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen, hat Deutschland im Rahmen der unbeschrnkten Ein-
15.12
1 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.202; ferner Rz. 13.28 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
kommensteuerpflicht zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung auf auslndische EinkÅnfte entfallende auslndische Steuern zur Anrechnung zu bringen (§ 34c Abs. 1 EStG). Entsprechendes gilt bei sog. Dreiecksfllen im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht (§ 50 Abs. 3 EStG).
15.13 Der Wegzug hat nicht nur Folgen hinsichtlich der laufenden Besteuerung. Denn das Ausscheiden aus der unbeschrnkten Steuerpflicht oder der Wechsel zur abkommensrechtlichen Ansssigkeit im anderen Staat kann zu einem Ausschluss oder zu einer Beschrnkung1 des deutschen Besteuerungsrechts fÅhren. Das gilt insbesondere, wenn keine beschrnkte oder erweitert beschrnkte Einkommensteuerpflicht aufrechterhalten bleibt. Damit in derartigen Fllen etwaige whrend der Zeit der unbeschrnkten Steuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit WirtschaftsgÅtern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung nicht entzogen werden, ist fÅr den BetriebsvermÇgensbereich in den §§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG eine besondere Entstrickungsbesteuerung und fÅr den PrivatvermÇgensbereich in § 6 AStG eine Wegzugsbesteuerung vorgesehen.
15.14 Von der in § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG verankerten Entstrickungsentnahme werden der Ausschluss und die Beschrnkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts erfasst. Angesprochen ist damit vor allem der grenzÅberschreitende BetriebsvermÇgenstransfer etwa vom inlndischen Stammhaus auf eine auslndische Betriebssttte, deren Gewinne abkommensrechtlich freigestellt sind oder eine Anrechnung auslndischer Steuern auslÇsen.2 Die Entstrickungsfolgen kÇnnen aber auch ausgelÇst werden, wenn der betreffende Steuerpflichtige wegzieht und einzelne WirtschaftsgÅter (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) oder einen Teilbetrieb oder den gesamten Betrieb3 (§ 16 Abs. 3a EStG) „mitnimmt“. Hiervon wird aber auch der Fall erfasst, dass wegzugsbedingt WirtschaftsgÅter, die bisher dem inlndischen Stammhaus zuzuordnen waren, nunmehr dem neu gebildeten auslndischen Stammhaus zuzuordnen sind.4 Soweit die gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem gemeinen Wert anzusetzende Entstrickungsentnahme (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) zu einem Gewinn fÅhrt, erfolgt eine Sofortversteuerung, die in EU-Fllen auf Antrag nur dann Åber fÅnf Jahre gestreckt werden kann, wenn der betreffende Steuerpflichtige in der 1 Z.B. infolge Anrechnung auslndischer Steuern (§ 34c EStG). 2 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfllen indessen nicht der Fall, weil zukÅnftige Gewinne aus der Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur berfÅhrung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lsst sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen. 3 FÅr „mitgenommene“ Teilbetriebe und Betriebe gilt § 16 Abs. 3a EStG. 4 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 217; Wied in BlÅmich, § 4 EStG Rz. 488; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.350.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
unbeschrnkten Steuerpflicht verbleibt.1 Wird wegzugsbedingt der gesamte Betrieb entstrickt, greifen die Rechtsfolgen wie bei der Aufgabe des Gewerbebetriebs insgesamt ein (§ 16 Abs. 3a EStG). FÅhrt die gem. § 16 Abs. 3a, Abs. 3 Satz 7 EStG mit den gemeinen Wert anzusetzende entstrickungsbedingte Betriebsaufgabe zu einem Gewinn, so erfolgt auch hier eine Sofortversteuerung mit der MÇglichkeit einer fÅnfjhrigen Ratenzahlung in EU-/EWR-Fllen (§ 36 Abs. 5 EStG).2 Im PrivatvermÇgensbereich wird durch § 6 AStG die Besteuerung derjenigen stillen Reserven sichergestellt, die in Anteilen einer in- oder auslndischen Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 EStG angefallen sind. Die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG setzt voraus, dass eine natÅrliche Person insgesamt mindestens zehn Jahre lang unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig war und durch Aufgabe ihres Wohnsitzes oder gewÇhnlichen Aufenthaltes die unbeschrnkte Steuerpflicht beendet. Dieser Grundtatbestand wird um weitere vier Tatbestnde ergnzt, und zwar durch – unentgeltliche oder teilentgeltliche AnteilsÅbertragung oder die bertragung der Anteile durch Erwerb von Todes wegen auf beschrnkt Steuerpflichtige (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG), – BegrÅndung einer auslndischen Ansssigkeit (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG), – Einlage der Anteile in ein auslndisches BetriebsvermÇgen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG) und – Ausschluss oder Beschrnkung des deutschen Besteuerungsrechts in Åbrigen Fllen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG).
15.15
Die Wegzugsbesteuerung entfllt bei einer bloß vorÅbergehenden Abwesenheit von nicht mehr als fÅnf Jahren, wobei die FÅnf-Jahres-Frist um weitere fÅnf Jahre verlngert werden kann, wenn berufliche GrÅnde fÅr die Abwesenheit maßgeblich sind und die Absicht zur RÅckkehr unverndert fortbesteht (§ 6 Abs. 3 AStG).3
15.16
Im Unterschied zu den fÅr den BetriebsvermÇgensbereich maßgeblichen Entstrickungsregelungen (§§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG) folgt
15.17
1 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist allerdings unionsrechtlich zweifelhaft, vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; aus dem Schrifttum: KÇrner, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, IStR 2012, 6 ff.; Rautenstrauch/ Seitz, Ubg 2012, 14 ff.; Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; und verstÇßt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfhigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifst-Schrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 2 Auch insoweit bestehen unionsrechtliche und verfassungsrechtliche Zweifel. 3 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 141 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.381.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
die Wegzugsbesteuerung nicht dem Konzept der (gemilderten) Sofortversteuerung, sondern regelt, dass auf Antrag die auf den fiktiven Verußerungsgewinn geschuldete Einkommensteuer fÅr einen Zeitraum von hÇchstens fÅnf Jahren zu stunden ist (§ 6 Abs. 4 Satz 1 AStG). Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Stundung auf die Dauer von lngstens 10 Jahren zulssig (§ 6 Abs. 4 Satz 3 AStG). FÅr die ersten fÅnf Jahre ist die Stundung hierbei ohne Tilgung der Steuerschuld mÇglich, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, innerhalb dieser Frist wieder unbeschrnkt steuerpflichtig werden zu wollen. Bei endgÅltigem Wohnsitzwechsel ins Ausland ist die Stundung1 nur gegen Sicherheitsleistung zulssig. Ist dagegen der Wohnsitzwechsel nur ein vorÅbergehender, kann die Stundung auch ohne Sicherheitsleistung angeordnet werden, wenn der Steueranspruch als nicht gefhrdet erscheint.2 In aller Regel wird auf die Erhebung von Stundungszinsen verzichtet (§ 234 Abs. 2 AO).3
15.18 Beim Wegzug in EU-/EWR-Staaten gilt eine Sonderregelung dahin gehend, dass eine Wegzugssteuer zwar festgesetzt werden darf, diese aber ohne Sicherheitsleistung und ohne Festsetzung von Ratenzahlungen zeitlich unbegrenzt zinslos zu stunden ist (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Diese erweiterte StundungsmÇglichkeit kann nur von EU-/EWR-StaatsangehÇrigen fÅr den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat in Anspruch genommen werden. Entfllt whrend des Stundungszeitraums die EU-/EWR-StaatsangehÇrigkeit oder verlegt der weggezogene Steuerpflichtige seinen Wohnsitz in einen Drittstaat, ist die Stundung wegen Wegfalls einer Tatbestandsvoraussetzung zu widerrufen, ohne dass die WiderrufsgrÅnde des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG im Einzelnen vorliegen mÅssen.4 Voraussetzung fÅr die Stundung ist ferner, dass der Wegziehende nach der Beendigung der unbeschrnkten Steuerpflicht im betreffenden Zuzugsstaat eine der deutschen unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG). Entfllt auch diese Voraussetzung whrend des Stundungszeitraums, ist die Stundung gleichfalls zu widerrufen.5 Voraussetzung ist schließlich, dass die Amtshilfe und die gegenseitige UnterstÅtzung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewhrleistet sind (§ 6 Abs. 5 Satz 2 AStG).6
1 Hierauf besteht ein Rechtsanspruch. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 184, 195. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 195; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 173; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.382. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG, Rz. 209; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 247; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 184; a.A. Hecht in MÇssner/Fuhrmann, § 6 AStG Rz. 54. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG, Rz. 210; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 194. 6 Zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 217.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
2. Pflichtenkreis FÅr den Wegzug natÅrlicher Personen ins Ausland bestehen – abgesehen fÅr Zwecke der Lohnsteuer (§ 39 Abs. 7 EStG) – grundstzlich keine gegenÅber den FinanzbehÇrden zu erfÅllenden Meldepflichten. Whrend die Aufgabe des gewÇhnlichen Aufenthaltes im Inland bei bereits bestehendem Wohnsitz im Ausland auch nach außersteuerlichen Vorschriften keine Meldepflichten bestehen, ist die Aufgabe einer inlndischen Wohnung bei der zustndigen MeldebehÇrde anzumelden. Rechtsgrundlage hierfÅr ist § 17 Abs. 2 BMG1 i.V.m. mit den entsprechenden Meldegesetzen der Lnder. Die Meldepflicht ist innerhalb von zwei Wochen gegenÅber der MeldebehÇrde2 zu erfÅllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 BMG). Wird dieser Meldepflicht vorstzlich oder fahrlssig nicht, nicht richtig, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig entsprochen, kann dieser Verstoß als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 54 Abs. 2 Nr. 2 BMG). Die MeldebehÇrden haben sodann die entsprechenden Daten den zustndigen FinanzbehÇrden zu Åbermitteln (§ 136 AO i.V.m. §§ 34, 38 BMG). Die bermittlung hat gegenÅber dem fÅr die Veranlagung von Personensteuern zustndigen Finanzamt (§ 19 AO), in dessen Bezirk sich die MeldebehÇrde befindet, zu erfolgen.3
15.19
In den Fllen, in denen beim Wegzug in den EU-/EWR-Bereich die Steuer gestundet wurde (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG), hat der Steuerpflichtige oder sein Gesamtrechtsnachfolger dem zustndigen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) gem. § 6 Abs. 7 Satz 1 AStG auf amtlich vorgeschriebenen Vordruck4 darÅber Mitteilung zu machen, ob Tatbestnde verwirklicht worden sind, die einen Widerruf der Stundung rechtfertigen (§ 6 Abs. 5 Satz 4 AStG). Diese Mitteilung ist innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis zu erstatten (§ 6 Abs. 7 Satz 2 AStG). Der Mitteilung sind ggf. schriftliche Nachweise beizufÅgen (§ 6 Abs. Satz 3 AStG). DarÅber hinaus hat der Steuerpflichtige jeweils bis zum 31. Januar schriftlich seine am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu besttigen, dass die Anteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiter zuzurechnen sind (§ 6 Abs. 7 Satz 4 AStG). Ein Verstoß gegen die vorgenannten Mitteilungspflichten hat keine bußgeldrechtlichen Folgen, kann aber zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) fÅhren.5
15.20
Wenn nach dem Wegzug im Inland ein (nachrangiger) Wohnsitz oder gewÇhnlicher Aufenthalt beibehalten wird, besteht die Pflicht, ein wegzugsbedingtes neues Auslandsengagement dem zustndigen Finanzamt anzu-
15.21
1 Das MRRG v. 19.4.2002 wird zum 1.11.2015 außer Kraft treten (Art. 4 MeldFortG). 2 In NRW sind das die Gemeinden als Çrtliche OrdnungsbehÇrden (§ 1 MG NRW). 3 Brandis in T/K, § 136 AO Rz. 2. 4 Abgebildet bei Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG nach Rz. 370. 5 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 317.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
zeigen (§ 138 Abs. 2 AO). Das gilt auch fÅr den Fall, dass ein Betrieb oder eine Betriebssttte im Zuge des Wegzugs vom In- in das Ausland verlegt wird.1 Die Mitteilung ist innerhalb eines Monats nach Eintritt des meldepflichtigen Ereignisses zu erstatten (§ 138 Abs. 3 AO). Davon abweichend kÇnnen die meldepflichtigen Ereignisse eines Kalendermonats einmal monatlich gesammelt angezeigt werden.2 Wer vorstzlich oder leichtfertig der vorgenannten Anzeigepflicht nicht, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO), die vorbehaltlich des § 378 AO mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. 3. Pflichtverletzungen
15.22 Im Zusammenhang mit dem Wegzug in das Ausland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland tatschlich ein Wohnsitz aufgegeben worden ist oder nicht.3 Hierbei geht es zum einen darum, dass etwa bei vorgetuschter Wohnsitzaufgabe eine unbeschrnkte Steuerpflicht unverndert gegeben ist und zum anderen darum, dass eine Wohnsitzaufgabe verheimlicht worden ist, um etwa eine gewinnrealisierende Entstrickung von WirtschaftsgÅtern im BetriebsvermÇgensbereich (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG), eine Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) oder eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) zu vermeiden. Ferner sind die Flle von Bedeutung, in denen vorgegeben wird, den Wohnsitz in ein Hochsteuerland verlegt zu haben, tatschlich aber, um der erweitert beschrnkten Einkommensteuerpflicht zu entgehen (§ 2 AStG), der Wegzug in einem Niedrigsteuerland erfolgt ist. Schließlich ist strafrechtlich relevant der Wegzug von einem EU-/EWR-Staat in einen Drittstaat nach gewhrter Stundung der Wegzugsteuer (§ 6 Abs. 5 AStG), wenn der Wegzug in den Drittstaat entgegen der Verpflichtung in § 6 Abs. 7 AStG dem Finanzamt nicht angezeigt wurde. In allen Fllen geht es um die Wohnsitzaufgabe im Inland oder in einem EU-/EWR-Staat. a) Wohnsitzaufgabe im Inland
15.23 Ob im Inland der Wohnsitz wegzugsbedingt aufgegeben wurde, hngt nicht vom Willen des Steuerpflichtigen, sondern allein von der tatschlichen Gestaltung ab.4 Zeigt sich allerdings der Wille des Steuerpflichtigen
1 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6; Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 19; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 138 AO Rz. 10; Dißars, Stbg 2009, 453 ff. (454). 2 BMF v. 15.4.2010, BStBl. I 2010, 346; dort auch Abdruck der entsprechenden Vordrucke. 3 Vgl. zu den entsprechenden Hinterziehungskonstellationen auch RÇdl/Grube in Wabnitz/Janovsky4, 1319 ff. 4 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02,
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
dadurch, dass er seinen Wohnsitz bei der MeldebehÇrde ordnungsgemß abgemeldet hat, kann hierin ein entsprechender Indikator fÅr die Aufgabe des Wohnsitzes gegeben sein.1 Im Hinblick darauf wird in der Praxis seitens der Wegziehenden zumeist eine umfangreiche Dokumentation angelegt, um im Einzelnen darzulegen, dass der Wegzug auch tatschlich erfolgt ist. Zu diesen Maßnahmen gehÇren u.a. der Verkauf oder die Vermietung der bislang benutzten Wohnung, Abmeldung von Telefon, Gas, Strom und Wasser, Nachsendeantrag fÅr die Postzustellung, Abmeldung des Pkw bei der StraßenzulassungsbehÇrde, Abmeldung bei Vereinen und dergleichen. Damit geht einher zumeist auch die Mitteilung an das bislang zustndige Wohnsitzfinanzamt, obwohl hierzu keine Verpflichtung besteht (hierzu Rz. 15.19). Nicht selten wird allerdings ein (verdeckter) Wohnsitz, wenn auch im eingeschrnkten Maße, aufrechterhalten. Auch wenn es sich hierbei nur um einfache Wohnrume handelt, sind sie gleichwohl als Wohnung i.S. von § 8 AO anzusehen. Denn es spielt grundstzlich keine Rolle, ob die Rumlichkeiten angemessen oder gar standesgemß sind.2 Somit kommen als Wohnungen in Betracht: Baracken, Hotelzimmer bei Dauernutzung, Wochenendhuser, Ferienhuser, Jagdhuser, Gartenhuschen in einer Laubenkolonie, Wohnwagen bei Dauermiete auf einem Campingplatz.3 In den Fllen des (angeblichen) Wegzuges spielt die Frage, ob bei einem Aufenthalt in einer inlndischen Wohnung auch ein Innehaben derselben anzunehmen ist eine große Rolle. Ein Innehaben ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige Åber die Wohnung tatschlich verfÅgen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter VerfÅgungsmacht.4 Eine jedenfalls abgeleitete VerfÅgungsmacht ist insbesondere in den Fllen eines Familienwohnsitzes anzunehmen, wenn der Betreffende bei sich bietender Gelegenheit dorthin immer wieder zurÅckkehrt, um sich dort bei der Familie aufzuhalten.5 Beispiel: Die Eheleute A waren seit vielen Jahren im Inland wohnhaft und hier unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig. Im Verlauf der Jahre haben sie ein beachtliches PrivatvermÇgen aufgebaut. Hierzu gehÇrten u.a. drei Aktienpakete, die jeweils 0,8 % des betreffenden Grundkapitals von drei bÇrsennotierten auslndischen Kapitalgesellschaften reprsentierten. Ferner waren sie EigentÅmer eines aufwendig ausgestatteten Ferienhauses in einer bekannten inlndischen Feriengegend. Zum Ende ihrer
1 2 3
4 5
BFH/NV 2003, 944; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B87. BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5; Schwarz in Schwarz, § 8 AO Rz. 5; vgl. auch oben Rz. 13.11. So die Aufzhlung bei Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 m.N. aus der Rechtsprechung; vgl. ferner Eich, EStB 2011, 269 ff. BFH v. 23.11.1988 – II R 149/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. BFH v. 29.10.1959 – IV 129/58 S, BStBl. III 1960/61; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146; BFH v. 30.10.2002 – VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht beruflichen Ttigkeit verußerten die Eheleute A ihr bislang eigengenutztes Einfamilienhaus an Dritte. DarÅber hinaus Åbertrugen sie das Ferienhaus im Rahmen vorweggenommener Erbfolge auf ihre Tochter. Danach verzogen sie in einen Niedrigsteuerkanton der Schweiz. Whrend der Sommermonate haben sich die Eheleute A Jahr fÅr Jahr regelmßig zusammenhngend fÅr etwa drei Monate in dem Ferienhaus, dessen Einrichtung unverndert geblieben ist, aufgehalten. Nachdem die Eheleute A ihre drei Aktienpakete nach dem Wegzug mit hohem Gewinn verußert hatten, erhielt das Finanzamt, in dessen Bezirk das Ferienhaus liegt, Kenntnis von wiederholten Aufenthalten der Eheleute A in dem Ferienhaus. Im Rahmen des Ermittlungsverfahren wurde bei der Durchsuchung des Ferienhauses durch die Steuerfahndung festgestellt, dass die Einrichtung unverndert auf die persÇnlichen BedÅrfnisse der Eheleute A zugeschnitten war und zudem entsprechende Kleidung, Wsche und Toilettenartikel so vorgehalten wurden, dass ein jederzeitiger Aufenthalt in dem Ferienhaus mÇglich war.
15.24 Der Wegzug der Eheleute A in die Schweiz hat keine Wegzugsbesteuerung gem. § 6 Abs. 1 AStG ausgelÇst. Dies deshalb nicht, weil die Anteile an den drei auslndischen Aktiengesellschaften wegen der Beteiligung von weniger als 1 % keine solchen i.S. von § 17 EStG waren. Im Rahmen der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht sind zwar die entsprechenden Verußerungsgewinne der Einkommensteuer zu unterwerfen (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG), von der Wegzugsbesteuerung werden sie aber dennoch nicht erfasst.1 Da die Gewinne aus der Verußerung der Anteile an den drei auslndischen Kapitalgesellschaften hier weder der beschrnkten noch der erweitert beschrnkten Steuerpflicht (§§ 1 Abs. 4, 49 Abs. 1 EStG, § 2 AStG) unterlagen,2 kommt eine Besteuerung im Inland nur im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht in Betracht, soweit ihr keine abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen entgegenstehen. Da die Eheleute A nach den Feststellungen der Steuerfahndung Åber das Ferienhaus jederzeit verfÅgen konnten und whrend ihrer Aufenthalte dort nicht „aus dem Koffer“ leben mussten und stets Zugang zu den Rumlichkeiten hatten, ist jedenfalls von einer abgeleiteten VerfÅgungsmacht Åber dieses Ferienhaus auszugehen. Dass das Haus nur zu Ferienzeiten und auch nur Åber drei Monate regelmßig genutzt wurde, spielt keine Rolle. Damit unterliegen die erzielten Verußerungsgewinne der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht der Eheleute A. Da sie aber in der Schweiz Åber eine stndige Wohnsttte verfÅgen,3 dort jedenfalls ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen haben, gelten sie als in der Schweiz ansssig mit der Folge, dass Deutschland die Verußerungsgewinne im Ergebnis nicht besteuern 1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 42; Strunk/Kaminski in S/K/K, § 6 AStG Rz. 20; zu dieser bloß singulren Erfassung von Kapitalanteilen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.358 f. 2 Die Verußerungsgewinne sind weder InlandseinkÅnfte noch erweiterte InlandseinkÅnfte, sondern auslndische EinkÅnfte (§ 34d Nr. 6 EStG). 3 Besonders qualifizierter Wohnsitz, den die natÅrliche Person nicht nur gelegentlich und auch nicht nur zu vorÅbergehenden Zwecken nutzt; vgl. BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; BFH v. 5.6.2007 – I R 22/06, BStBl. II 2007, 812; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 ff.; vgl. auch Milatz/Weist, IWB 2011, 408 ff.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
darf (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz). Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz rumt zwar Deutschland ein besonderes Besteuerungsrecht fÅr den Fall ein, dass die Schweiz als Ansssigkeitsstaat gilt (Åberdachende Besteuerung), dies gilt aber hier deshalb nicht, weil die Eheleute A in Deutschland keine stndige Wohnsttte unterhalten haben. Eine derartige stndige Wohnsttte wird jedenfalls durch ein nur vorÅbergehend im Jahr ausschließlich zu Erholungszwecken genutztes Ferienhaus nicht vermittelt.1 Damit ist schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben.
15.25
In den Fllen, in denen die Verlegung des Wohnsitzes in das Ausland nicht offengelegt wird, geht es nicht selten darum, eine Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) zu vermeiden.
15.26
Beispiel: A betreibt seit vielen Jahren im Inland ein Einzelunternehmen. Gegenstand des Einzelunternehmens ist die Herstellung und der Vertrieb von Konsumerzeugnissen. Zum BetriebsvermÇgen des Einzelunternehmens gehÇren u.a. auch Anteile an in verschiedenen Staaten ansssigen Vertriebskapitalgesellschaften. Um den franzÇsischen Markt besser zu erschließen, verlegt A seinen Wohnsitz nach Frankreich an den Sitz der dortigen Vertriebskapitalgesellschaft. Den inlndischen Wohnsitz gibt er auf, ohne das Finanzamt hierÅber zu unterrichten oder sich bei der zustndigen MeldebehÇrde abzumelden. Die inlndische Produktion wird im Inland von einem Prokuristen geleitet, der auch die kaufmnnischen Routineentscheidungen trifft. Alle wesentlichen Leitentscheidungen trifft A von Frankreich aus. Hierzu bedient er sich der kaufmnnischen Einrichtung der dortigen Vertriebstochterkapitalgesellschaft. In Frankreich hat A den dortigen FinanzbehÇrden seinen neuen Wohnsitz nicht mitgeteilt. Dementsprechend hat er dort auch keinerlei Steuererklrungen abgegeben. Das bislang von ihm bewohnte Haus im Inland, unter dessen Adresse er immer noch gemeldet ist, hat er an dritte Personen vermietet. Dort eingehende Post wird von den Mietern nach Frankreich weitergeleitet. Aufgrund anonymer Hinweise erfahren die deutschen FinanzbehÇrden, dass A seit Jahren keinen Wohnsitz mehr im Inland unterhlt. Gegen A wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und zugleich fÅr das Jahr des Wegzugs ein genderter Einkommensteuerbescheid und Gewerbesteuermessbescheid erlassen, in dem die stillen Reserven in den Anteilen an der franzÇsischen Vertriebsgesellschaft der Besteuerung unterworfen werden. Hiergegen wendet sich A mit dem Einspruch.
Aufgrund des Wegzugs nach Frankreich und der damit verbundenen Aufgabe der unbeschrnkten Steuerpflicht wird eine Entstrickungsbesteuerung (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) ausgelÇst, soweit wegzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschrnkt wird. Abzustellen ist hierbei auf den Gewinn aus der Verußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes. Das ist der Fall, wenn bislang dem inlndischen Gewerbebetrieb zuzuordnende WirtschaftsgÅter nunmehr einer franzÇsischen Betriebssttte (Stammhaus) zuzuordnen sind und etwaige auch auf frÅheren VermÇgenszuwchsen beruhende Verußerungsgewinne der 1 Verhandlungsprotokoll v. 18.6.1971 zu Art. 4 Abs. 2 und 3 DBA-Schweiz; hierzu Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 71.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
franzÇsischen Besteuerung unterliegen.1 Sollten die Ermittlungen ergeben, dass die in den Rumlichkeiten der franzÇsischen Vertriebstochterkapitalgesellschaft von A ausgeÅbten Aktivitten abkommensrechtlich zu einer Betriebssttte2 fÅhren, womit zugleich wegen der Ansssigkeit des A in Frankreich insoweit ein franzÇsisches Unternehmen (Stammhaus) gegeben wre, kme es wegzugsbedingt zu einer Zuordnung jedenfalls der Anteile an der franzÇsischen Vertriebstochterkapitalgesellschaft.3 Die Folge hiervon wre eine Gewinnrealisierung in HÇhe der Differenz zwischen dem bilanziellen Buchwert und dem gemeinen Wert der Anteile (§ 4 Abs. 1, Stze 3 und 4, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).4 Da A nach dem Wegzug in Deutschland nur beschrnkt steuerpflichtig ist, scheidet die Bildung eines Ausgleichposten gem. § 4g EStG aus.5 Die Besteuerung erfolgte sodann nach Maßgabe des sog. TeileinkÅnfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG).6
15.28 Im Rahmen der Abgabe der Steuererklrung fÅr unbeschrnkt Steuerpflichtige htte A im Jahr des Wegzugs in Kenntnis aller Umstnde und ausgehend von der Ansicht der Finanzverwaltung7 im Rahmen seiner Ein1 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfllen indessen nicht der Fall, weil zukÅnftige Gewinne aus der Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter abkommesrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur berfÅhrung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lsst sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen. 2 Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 DBA-Frankreich. 3 Im Zweifel gilt nach Ansicht der Finanzverwaltung ohnehin eine derartige Zuordnung aufgrund der Zentralfunktion des Stammhauses; vgl. BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4; BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889 Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 03.20; vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG. 4 Nach Ansicht des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStTR 2010, 106 erfolgt demgegenÅber eine Aufteilung der Verußerungsgewinne zwischen Deutschland und Frankreich. 5 Zu den unionsrechtlichen Zweifeln dieser Vorschrift Crezelius in Kirchhof13, § 4g EStG Rz. 9. 6 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist allerdings europarechtlich zweifelhaft, vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; aus dem Schrifttum: KÇrner, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, IStR 2012, 6 ff.; Rautenstrauch/ Seitz, Ubg 2012, 14 ff.; Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; und verstÇßt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfhigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifst-Schrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 7 Vgl. R 4.3 (2–4) EStR und BMF v. 20.5.2009, BStBl. I 2009, 671.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
kÅnfte aus Gewerbebetrieb die aufgrund der Entstrickung (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) ausgelÇste Gewinnrealisation erklren mÅssen. Im Hinblick auf das anhngige Einspruchsverfahren ist es geboten, das strafrechtliche Ermittlungsverfahren auszusetzen (§ 396 Abs. 1 AO), wozu die FinanzbehÇrde befugt ist, solange sie das Ermittlungsverfahren selbstndig durchfÅhrt (§ 386 Abs. 2 AO).1 Dies deshalb, weil rechtlich zweifelhaft ist, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG Åberhaupt eingreift2 und zudem diese Vorschrift im Zusammenspiel mit § 4g EStG unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt ist.3 Da A trotz Wohnsitzes in Frankreich dort keine Steuererklrungen abgegeben hat und demzufolge die auf das franzÇsische Stammhaus entfallenen Gewinne dort nicht der Besteuerung unterworfen worden sind, hat A in Frankreich eine Steuerhinterziehung begangen. Diese Tat ist in Deutschland nicht strafbar, weil § 370 AO sich grundstzlich4 nur auf inlndische Steuern bezieht.5 Die deutschen FinanzbehÇrden werden allerdings gem. § 8 EUAHiG (Spontanauskunft) Åber das Bundeszentralamt fÅr Steuern (BZSt)6 den franzÇsischen FinanzbehÇrden entsprechende AuskÅnfte erteilen, aufgrund deren in Frankreich ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 1 EUAHiG). Eine Auskunftserteilung kommt schließlich auch auf der Grundlage von Art. 22 Abs. 2 DBA-
1 Andernfalls die Staatsanwaltschaft (§ 396 Abs. 2 Halbs.1 AO) oder im Zwischenverfahren sowie im Hauptverfahren das Strafgericht (§ 396 Abs. 2 Halbs. 2 AO). 2 Das ist nach der Rspr. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, FR 2010, 183; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106 in Abkommensfllen nicht der Fall, weil zukÅnftige Gewinne aus der Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter abkommesrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen sind, sodass etwa Deutschland die bis zur berfÅhrung entstandenen stillen Reserven weiterhin besteuern darf. Dem § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG lsst sich allerdings eine andere gesetzgeberische Konzeption entnehmen. 3 Dieses (abgemilderte) Konzept der Sofortversteuerung ist unionsrechtlich zweifelhaft, vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; dagegen zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; aus dem Schrifttum: KÇrner, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, IStR 2012, 6 ff.; Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14 ff.; Gosch, IWB 2014, 183; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; und verstÇßt zudem gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfhigkeitsprinzip; hierzu Schnitger, ifst-Schrift Nr. 487 (2013), 106; Andresen, DB 2012, 879 ff. (883); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 4 Ausnahme: § 370 Abs. 6 AO, der nicht fÅr Ertragsteuern gilt. 5 Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 33, § 370 AO Rz. 24; Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 24. 6 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 5 und 9 FVG; BMF v. 25.5.2012, BStBl. I 2012, 599, Rz. 1.5.1.1 (Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen).
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Frankreich in Betracht.1 In beiden Fllen ist A vorher zu hÇren (Rz. 8.12). Eine etwaige Bestrafung wegen Steuerhinterziehung in Deutschland und in Frankreich unterliegt nicht dem innerhalb der EU geltenden Doppelbestrafungsverbot (vgl. Art. 54 SD), weil es sich nicht um „dieselbe Sache“, also nicht um ein einheitliches Tatgeschehen handelt.2 b) Wohnsitzaufgabe in einem auslndischen EU-/EWR-Staat
15.29 Von strafrechtlicher Bedeutung sind auch begangene Pflichtverletzungen nach Wegzug in das Ausland. Angesprochen ist hierbei insbesondere der Fall, dass im Anschluss an einen (privilegierten) Wegzug in einen anderen EU-/EWR-Staat ein weiterer Wohnsitzwechsel in einen Drittstaat erfolgt, wodurch eine bislang im Inland gewhrte SteuervergÅnstigung, etwa eine Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG, durch einen nachfolgenden Wohnsitzwechsel in einen Drittstaat zum Fortfall kommt. Beispiel: A ist zu 20 % an der inlndischen A-GmbH beteiligt. Die Beteiligung hlt er in seinem PrivatvermÇgen. A verlegt seinen Wohnsitz von Deutschland nach sterreich. HierÅber informiert er sowohl die deutsche als auch die Çsterreichische Finanzverwaltung. Aufgrund des Wegzuges erlsst das bislang fÅr ihn zustndige inlndische Wohnsitzfinanzamt einen Steuerbescheid, in dem in HÇhe der Differenz zwischen den Anschaffungskosten der GmbH-Anteile und deren gemeinen Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs ein Verußerungsgewinn gem. § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 1 EStG erfasst wird. Die diesbezÅgliche Einkommensteuer wird unter BerÅcksichtigung des TeileinkÅnfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) festgesetzt und sodann gem. § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet. Nach Ablauf von drei Jahren verzieht A von sterreich in die Schweiz, ohne hiervon dem fÅr ihn bislang zustndigen Finanzamt Mitteilung zu machen. Er hat es zudem auch in den Vorjahren unterlassen, dem Finanzamt seine Anschrift mitzuteilen und zu besttigen, dass die Anteile ihm weiterhin zuzurechnen sind. Nach einigen Monaten erhlt das bislang zustndige inlndische Finanzamt (§ 19 AO) durch Hinweise von dritter Seite Kenntnis von der Wohnsitzverlegung des A in die Schweiz. Erst nach Ablauf von mehr als einem Jahr wird die Stundung widerrufen und die Einkommensteuer fllig gestellt.
15.30 A war nach seinem Wegzug verpflichtet, dem bislang fÅr ihn zustndigen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) jhrlich bis zum Ablauf des 31. Januar schriftlich seine am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu besttigen, dass die Anteile ihm weiterhin zuzurechnen sind (§ 6 Abs. 7 Satz 4 AStG). Obwohl A dieser Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, hat das vorgenannte Wohnsitzfinanzamt die Stundung nicht widerrufen. Da A seine Mitwirkungspflicht dadurch verletzt hat, dass er seinen Wegzug in die Schweiz dem vorgenannten Wohnsitzfinanzamt nicht innerhalb eines Monats mit1 Zu Einzelheiten Kramer in Wassermeyer, DBA, Art. 22 DBA-Frankreich Rz. 8 ff. 2 Vgl. BGH v. 12.12.2013 – 3 StR 531/12, NJW 2014, 1025; zu Einzelheiten Rz. 4.10 ff.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
geteilt hat,1 war der Widerruf der Stundung insoweit zwingend vorgeschrieben.2 Es handelt sich hierbei um den Widerruf eines rechtmßigen Verwaltungsaktes (§ 131 AO), sodass der Widerruf nur innerhalb eines Jahres nach Erlangung der Kenntnis des Widerrufsgrundes zulssig ist (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO).3 FÅr das vormalige Wohnsitzfinanzamt besteht die MÇglichkeit des Widerrufs der Stundung wegen der versumten Jahresfrist erst dann wieder, wenn A nachfolgend seiner Pflicht zur jhrlichen Mitteilung seiner Anschrift (§ 6 Abs. 7 Stze 4 und 5 AStG) nicht nachkommt oder einer der WiderrufsgrÅnde des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG vorliegt, wobei freilich wiederum die Jahresfrist des § 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO eingehalten werden muss.
15.31
Htte A seinem vormaligen Wohnsitzfinanzamt (§ 19 AO) rechtzeitig den Wegzug in die Schweiz mitgeteilt (§ 6 Abs. 7 Stze 1 und 2 AStG), wre das Finanzamt in der Lage gewesen, die Stundung zu widerrufen. Dass das Finanzamt nach der spteren tatschlichen Kenntniserlangung die maßgebliche Jahresfrist des § 131 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 130 Abs. 3 AO versumt hat mit der Folge, dass der Widerruf insoweit ausgeschlossen war, spielt keine Rolle. Damit ist davon auszugehen, dass aufgrund der von Gesetzes wegen gebotenen Mitteilung des A der Widerruf der Stundung rechtzeitig erfolgt wre.4 Dadurch, dass A aufgrund seiner unterlassenen Mitteilung den (rechtzeitigen) Widerruf der Stundung vereitelt hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt.5
15.32
Den Umstnden entsprechend kann auch davon ausgegangen werden, dass der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, jedenfalls dann, wenn im Rahmen der gewhrten Stundung seitens des Finanzamts ausdrÅcklich auf die Mitteilungspflichten hingewiesen wurde.
15.33
Der Wohnsitzwechsel von einem auslndischen EU-/EWR-Staat in einen Drittstatt lÇst auch im Gefolge steuerneutraler Umwandlungen eine ganz- oder teilweise Nachversteuerung aus. Da hier insoweit keine Mitteilungspflichten wegziehender Personen bestehen, ist eine Steuerhinterziehung in derartigen Wegzugsfllen in aller Regel auch dann nicht gegeben, wenn die Finanzverwaltung hiervon (zunchst) keine Kenntnis hat.
15.34
Beispiel: A, franzÇsischer StaatsbÅrger und in Frankreich ansssig, ist Einzelunternehmer und unterhlt in Deutschland eine Betriebssttte, die als Betrieb i.S. von § 20 Abs. 1 UmwStG zu qualifizieren ist. Er bringt seinen Betrieb im Wege der SachgrÅndung
1 Vgl. § 6 Abs. 7 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG; vgl den Abdruck des Vordrucks im Schreiben des BMF v. 8.6.2005, BStBl. I 2005, 174. 2 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 230; Hck in Haase2, § 6 AStG Rz. 176. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 230. 4 Hierzu Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 88. 5 Nicht gerechtfertigter Steuervorteil durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht in die A-GmbH zu Buchwerten ein. Die entsprechenden Steuerbescheide ergehen erklrungsgemß. Er erbringt jeweils zum 31.5.des Jahres gegenÅber dem zum Zeitpunkt der Einbringung zustndigen Finanzamt1 den Nachweis, dass ihm die GmbH-Anteile zuzurechnen sind (§ 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). In der Zwischenzeit, d.h. zwei Jahre nach der Einbringung verlegt er seinen Wohnsitz von Frankreich in die Schweiz, ohne hiervon der deutschen Finanzverwaltung Mitteilung zu machen. Weitere zwei Jahre spter erhlt das fÅr die A-GmbH zustndige Finanzamt Kenntnis davon, dass der einbringende Gesellschafter A seinen Wohnsitz verlegt hat.
15.35 Die ursprÅngliche Einbringung seines Betriebs durch A unterlag dem Regelungsbereich des UmwStG u.a. nur deshalb, weil A zum Zeitpunkt der Einbringung in Frankreich ansssig war (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. b UmwStG). Im brigen wurde die Steuerneutralitt der Einbringung dadurch ermÇglicht, dass die deutsche Besteuerung fÅr die Gewinne aus der Verußerung des von A eingebrachten BetriebsvermÇgens seitens der A-GmbH nicht eingeschrnkt war (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Durch den Wegzug in die Schweiz ist das durch § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. b UmwStG vorausgesetzte Erfordernis der EU-/EWR-Ansssigkeit im Nachhinein weggefallen mit der Folge, dass hierdurch die Besteuerung eines sog. Einbringungsgewinns I ausgelÇst wird (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG). Das bedeutet, dass dieser Einbringungsgewinn I, der innerhalb von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitraum ganz oder teilweise anzusetzen ist, rÅckwirkend auf den Zeitpunkt der Einbringung der Besteuerung zu unterwerfen ist. Einbringungsgewinn I ist danach der Betrag, um den der gemeine Wert des eingebrachten BetriebsvermÇgens im Einbringungszeitpunkt abzÅglich Verußerungskosten den von der A-GmbH angesetzten Buchwert Åbersteigt, vermindert um jeweils ein Siebtel fÅr jedes seit dem Einbringungszeitpunk abgelaufene Zeitjahr (§ 22 Abs. 1 Satz 3 UmwStG). Da das Finanzamt erst nach zwei Jahren von dem Wegzug Kenntnis erlangt hat, ist der entsprechende Einkommen- und Gewerbesteuermessbescheid (Gewerbesteuerbescheid) mit erheblicher Versptung ergangen.
15.36 Htte A dem zustndigen Finanzamt Åber seinen Wegzug frÅhzeitig Mitteilung gemacht, wre die Steuerfestsetzung zu einem frÅheren Zeitpunkt erfolgt. Indessen ergibt sich fÅr A als Einbringenden keine konkrete sich aus dem UmwStG ergebende Mitteilungspflicht hinsichtlich des Wegzuges. § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwStG enthlt lediglich eine Nachweispflicht betreffend die Zurechnung der Anteile selbst.2 Es ist daher Aufgabe der FinanzbehÇrden den Verlust der Ansssigkeitsvoraussetzungen i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG zu Åberwachen und festzustellen.3 A war auch nicht verpflichtet, die im Einbringungsjahr abgegebenen Steuererklrungen zu berichtigen (§ 153 Abs. 1 AO). Dies deshalb nicht, weil 1 Vgl. zur Zustndigkeit BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE), Rz. 22.29 S. 3. 2 Hierzu Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 85. 3 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 51; Stangl in R/H/vL2, § 22 UmwStG Rz. 131.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
sie seinerzeit richtig waren.1 Da somit A keine Pflichtverletzung trifft, ist von vornherein schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. c) Aufgabe des gewÇhnlichen Aufenthaltes Auch bei Aufgabe eines inlndischen Wohnsitzes verbleibt es nicht selten bei einem gewÇhnlichen Aufenthalt im Inland, insbesondere in den Fllen, in denen trotz Wegzugs unverndert im Inland etwa einer beruflichen Ttigkeit nachgegangen wird. Ein gewÇhnlicher Aufenthalt ist nmlich dort, wo sich jemand unter Umstnden aufhlt, die erkennen lassen, das er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorÅbergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). Auf eine entsprechenden Willen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.2 Als gewÇhnlicher Aufenthalt im Inland ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhngender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen (§ 9 Satz 2 AO). Kurzfristige Unterbrechungen, etwa zu Urlaubszwecken, bleiben unberÅcksichtigt mit der Folge, dass sie einerseits nicht zu einer Neuberechnung der Sechs-MonatsFrist fÅhren und andererseits bei der Berechnung nicht mit einzubeziehen sind.3 Die Sechs-Monats-Frist4 muss nicht zur Gnze in ein Kalenderjahr fallen.5 Beispiel: A, deutsche StaatsangehÇrige, ist Filmschauspielerin, die vor einigen Jahren ihren Wohnsitz vom Inland in die Schweiz verlegt hat. Aufgrund eines mit einem deutschen Fernsehsender abgeschlossenen mehrjhrigen Vertrages produziert sie seitdem regelmßig Fernsehfilme im Inland. Whrend der Produktionswochen reist sie in der Regel montags an und kehrt donnerstagabends in die Schweiz zurÅck. Vertraglich vereinbarte Produktionspausen wurden eingelegt whrend der Oster- und Pfingstfeiertage von jeweils einer Woche, im Sommer von sechs Wochen und um die Weihnachtszeit von zwei Wochen. A hat whrend der Produktionswochen in ein und demselben Hotel wechselnde Hotelzimmer gebucht, wobei sie whrend der Anwesenheitszeiten stets „aus dem Koffer“ lebte. A hat nach ihrem Wegzug in die Schweiz in Deutschland keine Steuererklrungen abgegeben. Von dem ihr in monatlichen Abstnden ausgezahlten Honorar wurde seitens der Fernsehanstalt eine Quellensteuer in HÇhe von 15 % einbehalten. DarÅber hinaus unterhlt A bei einer inlndischen Bank grÇßere Festgeldguthaben, aus denen sie Zinsen bezog. Im Rahmen einer bei der Fernsehanstalt durchgefÅhrten QuellensteuerprÅfung6 ergeben sich Anhaltspunkte fÅr einen gewÇhnlichen Aufenthalt der A im Inland.
1 Steuererklrungen werden nicht dadurch unrichtig, dass nach deren Abgabe sich die tatschlichen oder rechtlichen Verhltnisse ndern; vgl. hierzu Seer in T/K, § 153 AO Rz. 8. 2 Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 2; vgl. auch oben Rz. 13.12. 3 BFH v. 22.6.2001 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 10. 4 Berechnung nach §§ 187 ff. BGB. 5 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452; Deppe, StuW 1982, 332 ff. 6 Vgl. § 73d Abs. 2 EStDV.
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15.37
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Dementsprechend wird dem zustndigen Wohnsitzfinanzamt1 Mitteilung gemacht. Daraufhin wird gegen A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.38 Entsprechend der Vorgehensweise in der Praxis ist darauf abzustellen, ob ein zeitlich zusammenhngender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten gegeben ist (§ 9 Satz 2 AO). Die Frist, bei deren Berechnung kurzfristige Unterbrechungen nicht mitgerechnet werden, muss nicht innerhalb eines Kalenderjahres bzw. Veranlagungszeitraums Åberschritten werden.2 Ob kurzfristige Unterbrechungen unberÅcksichtigt bleiben (§ 9 Satz 2 Halbs. 2 AO) hngt davon ab, ob der Aufenthalt trotz der Unterbrechung nach den objektiven Umstnden, etwa wegen der Fortdauer des Anlasses fÅr den Aufenthalt, noch als zusammenhngend angesehen werden kann.3 Daher sind etwa Familienheimfahrten und urlaubsbedingte Abwesenheiten unbeachtlich, und zwar auch dann, wenn die Unterbrechung mehr als zwei oder drei Wochen andauert.4 Da hier A sich im Inland nur fÅr einen einzigen Zweck – der ErfÅllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen zur Produktion von Fernsehfilmen im Inland – aufgehalten hat, handelt es sich um einen einheitlich zu betrachtenden Aufenthalt mit der Folge, dass die Zeiten der Abwesenheit an den Wochenenden sowie whrend der Produktionspausen mit einzubeziehen sind. Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass die sechswÇchige Sommerpause keine kurzfristige Unterbrechung mehr darstellt, ist die Sechsmonatsfrist gleichwohl erfÅllt, weil diese dann von Sommerpause zu Sommerpause kalenderjahrÅbergreifend zu berechnen ist.5
15.39 Als Folge ergibt sich, dass A in den betreffenden Jahren auch nach dem Wegzug in die Schweiz aufgrund des gewÇhnlichen Aufenthaltes im Inland unbeschrnkt steuerpflichtig geblieben ist. Wegen ihres Wohnsitzes i.S. einer stndigen Wohnsttte in der Schweiz gilt sie dort allerdings als ansssig (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz). Deutschland kann gleichwohl ungeachtet der abkommensrechtlichen Schranken die Besteuerung durchfÅhren, falls A ihren gewÇhnlichen Aufenthalt von mindestens sechs Monaten im Kalenderjahr im Inland gehabt hat (Art. 4 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz).6 Da hier auch die vertraglich vereinbarte Sommerpause eine nicht mitzurechnende „kurzfristige Unterbrechung“ ist, kÇnnen die
1 Das ist das Finanzamt, in dessen Bezirk sich der gewÇhnliche Aufenthalt befindet (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO). 2 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452; BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 12. 3 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001. 4 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001; Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 11; Gosch in Kirchhof13, § 1 EStG Rz. 8; a.A. Schwarz in Schwarz, § 9 AO Rz. 9, wonach von einer kurzfristigen Unterbrechung bei einer Dauer von mehr als zwei bis drei Wochen nicht mehr gesprochen werden kÇnne. 5 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001. 6 Sog. Åberdachende Besteuerung, vgl. Hamminger in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 101.
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B. I. Wegzug natÅrlicher Personen
von A erzielten EinkÅnfte aus selbstndiger Arbeit sowie die EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen (Zinsen) im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht erfasst werden. Im Hinblick darauf htte A in den betreffenden Jahren Steuererklrungen fÅr unbeschrnkt Steuerpflichtige abgeben mÅssen. Da dies nicht geschehen ist, wurden die Honorare aus kÅnstlerischer Ttigkeit bislang lediglich der beschrnkten Steuerpflicht unterworfen, wobei die Einkommensteuer durch Einbehaltung einer Quellensteuer in HÇhe von 15 % abgegolten wurde (§§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 50 Abs. 2 Satz 1, 50a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG). Die Zinsen aus dem Inlndischen Festgeldkonto wurden demgegenÅber im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht nicht erfasst (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG). Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Aufgrund der Umstnde wird indessen ein Vorsatz kaum nachzuweisen sein. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der EinkÅnfte aus kÅnstlerischer Ttigkeit. Sollten allerdings die Ermittlungen ergeben, dass A in der Schweiz mit ihren EinkÅnften einer niedrigen Besteuerung oder einer Vorzugsbesteuerung unterlag, htten die Zinsen im Rahmen der sog. erweitert beschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) als nicht auslndische EinkÅnfte der Einkommensteuer unterworfen werden mÅssen, ohne dass dem abkommensrechtliche Schranken entgegengestanden htten (vgl. Art. 4 Abs. 4 DBASchweiz). Aber auch hier wird die Bejahung des subjektiven Tatbestands der Steuerhinterziehung eher zweifelhaft sein. d) Aufgabe der Ansssigkeit im Inland Ist eine natÅrliche Person in zwei Vertragsstaaten unbeschrnkt steuerpflichtig, etwa aufgrund eines dortigen Wohnsitzes oder gewÇhnlichen Aufenthaltes, beurteilt sich abkommensrechtlich die Ansssigkeit, die immer nur in einem oder dem anderen Staat sein kann, nach der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA verankerten sog. Tie-Breaker-Rule. Hiernach sind nacheinander folgende Kriterien fÅr die Bestimmung der Ansssigkeit maßgeblich: stndige Wohnsttte, Mittelpunkt der Lebensinteressen, gewÇhnlicher Aufenthalt, StaatsangehÇrigkeit, gegenseitiges Einvernehmen.1
15.40
Die Ansssigkeit hat nicht nur Bedeutung fÅr die Abkommensberechtigung einer Person, sie dient auch als AnknÅpfungspunkt fÅr die Besteuerung im Wohnsitzstaat in Abgrenzung gegen die Besteuerung im Quellenstaat. Nach der Grundkonzeption der DBA wenden sich dessen Schrankenwirkungen nmlich zum einen gegen den Quellenstaat und zum anderen gegen den Wohnsitzstaat. Die den Quellenstaat betreffenden Abkommensvorschriften fÅhren zu einer Umgrenzung der Quellenstaatsbesteuerung, wonach entweder die Besteuerung im Quellenstaat voll auf-
15.41
1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 59 ff.; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD-MA Rz. 59 ff.; Kaminski in S/K/K, Art. 4 OECD-MA Rz. 35 ff.; ferner Rz. 15.263 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
rechterhalten bleibt,1 dem Grunde2 oder der HÇhe nach eingeschrnkt3 oder aber gnzlich aufgehoben4 wird. Die den Wohnsitzstaat betreffenden Vorschriften regeln sodann, auf welche Weise der Wohnsitzstaat die (verbleibende) Doppelbesteuerung auszugleichen hat.5 Beispiel: A, deutscher StaatsangehÇriger, hat außerhalb seiner gewerblichen bzw. beruflichen Ttigkeit eine Zufallserfindung gemacht, die er an ein inlndisches Unternehmen zwecks Vermarktung gegen eine jhrlich zu zahlende LizenzgebÅhr Åberlsst. A hat eine Wohnung im Inland. Wegen anderweitiger beruflicher Ttigkeiten nimmt er sich zustzlich noch eine Wohnung in sterreich, in der er sich ganz Åberwiegend aufhlt. Nach dreijhriger Ttigkeit in sterreich wird er nunmehr in der Schweiz als Angestellter bei einem großen Unternehmen ttig. Er gibt die Wohnung in sterreich auf und lebt fortan in der Schweiz. In der Wohnung in Deutschland hlt er sich unverndert nur selten auf. A hat die deutsche Finanzverwaltung zwar Åber die BegrÅndung einer Wohnung in sterreich, nicht aber Åber seinen Wegzug von dort in die Schweiz informiert. Das zustndige Wohnsitzfinanzamt hat A bislang als in sterreich ansssig angesehen.
15.42 Aufgrund der Ansssigkeit in sterreich6 sind die LizenzeinkÅnfte des A im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht nach Maßgabe von Art. 12 Abs. 1 DBA-sterreich von deutscher Einkommensteuer freigestellt worden. Die BegrÅndung der Ansssigkeit in sterreich hat in Deutschland zu keiner nur fÅr WirtschaftsgÅter des BetriebsvermÇgens geltenden Entstrickungsbesteuerung gefÅhrt (§§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4, 16 Abs. 3a EStG). Es handelte sich nmlich um eine Zufallserfindung, die PrivatvermÇgen darstellt und bei ihm zu EinkÅnften aus zeitlich begrenzter berlassung von Rechten (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) fÅhrt.7
15.43 Der Wegzug von sterreich in die Schweiz ndert nichts daran, dass A in Deutschland unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig bleibt. Allerdings gilt er nunmehr als in der Schweiz ansssig, weil er dort eine stndige Wohnsttte unterhlt, dort jedenfalls den Mittelpunkt der Lebensinteressen hat (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz). Gleichwohl darf Deutschland die Besteuerung ungeachtet der abkommensrechtlichen Bestimmun-
1 So das fÅr die Besteuerung unbeweglichen VermÇgens geltende Belegenheitsprinzip (Art. 6 Abs. 1 OECD-MA). 2 So das fÅr die Unternehmensgewinne geltende Betriebsstttenprinzip (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). 3 So etwa die Steuersatzbegrenzung fÅr auf Dividenden und Zinsen erhobene Quellensteuern (Artt. 10 Abs. 2, 11 Abs. 2 OECD-MA). 4 So etwa fÅr LizenzgebÅhren (Art. 12 Abs. 1 OECD-MA). 5 Entweder durch Steueranrechnung oder durch Steuerfreistellung (Art. 23a, 23b OECD-MA). 6 A unterhlt dort eine stndige Wohnsttte (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-sterreich). 7 Vgl. BFH v. 18.6.1998 – IV R 29/97, BStBl. II 1998, 567; BFH v. 23.4.2003 – IX R 57/99, BFH/NV 2003, 1311.
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B. II. Wegzug von Kapitalgesellschaften
gen durchfÅhren (Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz).1 Das bedeutet, dass die LizenzeinkÅnfte in Deutschland nunmehr der Steuerpflicht zu unterwerfen sind, wobei allerdings die von A fÅr die LizenzeinkÅnfte in der Schweiz entrichtete Steuer zur Anrechnung kommt (Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz). Im Rahmen der von A in Deutschland abgegebenen Einkommensteuererklrungen htte A angeben mÅssen, dass er nunmehr in der Schweiz ansssig ist. Das fÅr ihn zustndige Finanzamt (§ 19 AO) htte sodann die LizenzeinkÅnfte nicht freigestellt, sondern unter Anrechnung der Steuern in der Schweiz der Besteuerung unterworfen. Im Hinblick darauf hat A den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt, wobei bei der Frage, welcher Steuerbetrag verkÅrzt worden ist, die in der Schweiz gezahlten anrechenbaren Steuern zu berÅcksichtigen sind.2 Ob der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, wird im Hinblick auf die in anderen Doppelbesteuerungsabkommen unbekannte Sondervorschrift des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz mehr als zweifelhaft sein.
II. Wegzug von Kapitalgesellschaften Literatur: Kommentare zu §§ 11, 12 Abs. 1, 3 KStG; Blumenberg, Steuerfragen im Zusammenhang mit der Sitzverlegung der Europischen Gesellschaft, in Spindler/Tipke/ RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 559; Breuninger, Die „Zentralfunktion des Stammhauses“ bei grenzÅberschreitenden Verschmelzungen, in Spindler/Tipke/RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 587; Brinkmann/Reiter, National Grid Indus: Auswirkungen auf die deutsche Entstrickungsbesteuerung, DB 2012, 16; Eickmann/Stein, Die Wegzugsbesteuerung von Kapitalgesellschaften nach dem SEStEG, DStZ 2007, 723; Eismayr/Linn, Steuerliche Aspekte des Wegzugs von Kapitalgesellschaften, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 471 ff.; Hey, Personalstatut und Steuerrecht, DK 2004, 577; Hofmeister, Sind die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 1 KStG mit Art. 43, 48 EG-Vertrag vereinbart?, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), KÇrperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS fÅr Wassermeyer, MÅnchen 2005, 437; Kessler/ Huck/Obser/Schmalz, Wegzug von Kapitalgesellschaften, DStZ 2004, 813; Kessler/ Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Ende oder Besttigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 2012, 267; KÇhler, Der Wegzug von Unternehmen und Unternehmensteilen in die EU, in Spindler/Tipke/RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 813; von der Laage, BesteuerungsbedÅrfnis versus Europarechtskonformitt beim Wegzug einer Europischen Aktiengesellschaft, StuW 2012, 182; MÇller-Gosoge/Kaiser, Die deutsche EXIT-Besteuerung bei Wegzug von Unternehmens ins Ausland, BB 2012, 803; Rauten1 Sog. Åberdachende Besteuerung; vgl. Hamminger in Wassermeyer, DBA, Art. 4 DBA-Schweiz Rz. 101. 2 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 74; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472).
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15.44
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht strauch/Seitz, National Grid Indus: Europarechtliche Implikationen fÅr den Wegzug und die internationale Umwandlung von Gesellschaften, Ubg 2012, 14; RÇdder, Steuerorientierte berlegungen beim Wegzug und Zuzug von Unternehmen, Ubg 2009, 597; Schaumburg, Zuzug und Wegzug von Kapitalgesellschaften im Steuerrecht, in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, KÇln 2005, 403; Schaumburg, Der Wegzug von Unternehmen, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), KÇrperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS fÅr Wassermeyer, MÅnchen 2005, 411; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011 Rz. 6.29 ff.; Schnittker/Pitzal, Wegzug und Zuzug, in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, KÇln 2013, Rz. 10.1 ff.; ThÇmmes, Zulssigkeit einer identittswahrenden Sitzverlegung von Gesellschaften in der EU, IWB 2012, 571; ThÇmmes/Linn, Verzinsung und Sicherheitsleistung bei aufgeschobener Flligkeit von Steuern im Wegzugsfall, IStR 2012, 282; Wassermeyer, Die Bilanzielle Behandlung der Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs 1 Satz 3 EStG und nach § 12 Abs 1 KStG, DB 2008, 430.
1. berblick
15.45 Der Wegzug von Kapitalgesellschaften fÅhrt zum Ausscheiden aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht, wenn im Inland weder ein Sitz (§ 11 AO) noch eine Geschftsleitung (§ 10 AO) zurÅckbleibt. Werden nach dem Wegzug keine InlandseinkÅnfte erzielt, scheidet auch eine beschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) aus. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten bleibt, etwa wegen eines zurÅckbleibenden Satzungssitzes, hngt die Reichweite der Besteuerung in Abkommensfllen davon ab, ob Deutschland oder der andere Staat (Zuzugsstaat) als Ansssigkeitsstaat (Wohnsitzstaat) gilt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA)1. Da ein Wegzug i.S. der Verlegung des Satzungssitzes und des Ortes der Geschftsleitung nach derzeit geltendem nationalen Recht als identittswahrender Wegzug nur bei der SE (Art. 8 Abs. 1 SE-VO)2 und der SCE (Art. 7 Abs. 1 SCE-VO)3 mÇglich ist4, kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang fÅr andere Kapitalgesellschaften nur der Wegzug durch Verlegung der Geschftsleitung in Betracht5. Hinsichtlich der laufenden Besteuerung ist daher in Wegzugsfllen wie folgt zu unterscheiden (vgl. zu Einzelheiten Rz. 13.58 ff.): Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.209 f. Societas Europea = Europische Aktiengesellschaft = Europa-AG. Societas Cooperativa Europea = Europische Genossenschaft. Sitz und Hauptverwaltung mÅssen allerdings in ein und demselben Mitgliedstaat liegen (Art. 7 SE-VO, Art. 6 SCE-VO). 5 Der Wegzug durch Verlegung des Satzungssitzes ist derzeit nach nationalem Recht rechtstechnisch nicht vorgesehen; OLG MÅnchen v. 4.10.2007 – 31 W 36/07, NZG 2007, 915; aber primrrechtlich geboten; vgl. EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10 – VALE, ZIP 2012, 1394 und im Anschluss hieran auch nach nationalem Recht fÅr den Fall des formwechselnden Zuzugs fÅr zÅlssig gehalten OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; vgl. Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 ff.; SchÇn, ZGR 2013, 333 ff.; den Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, wonach kÅnftig ein grenzÅberschreitender Rechtsformwechsel zulssig 1 2 3 4
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B. II. Wegzug von Kapitalgesellschaften
– Beendigung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht durch Aufgabe des inlndischen Satzungssitzes und der inlndischen Geschftsleitung einer SE oder SCE mit der Folge, dass fortan nur noch inlndische EinkÅnfte der KÇrperschaftsteuer unterliegen (§§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfllt, soweit im Inland eine Betriebssttte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), – Beendigung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft durch Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland mit der Folge, dass fortan nur noch inlndische EinkÅnfte der KÇrperschaftsteuer unterliegen (§§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) und eine Gewerbesteuer nur anfllt, soweit im Inland eine Betriebssttte verbleibt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), – BegrÅndung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht im Ausland unter Aufrechterhaltung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht im Inland dadurch, dass hier der Satzungssitz verbleibt mit der Folge, dass in Abkommensfllen Deutschland lediglich als Quellenstaat gilt. Soweit trotz Wegzugs eine unbeschrnkte oder beschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht im Inland aufrechterhalten bleibt, sind hiergegen die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hiernach hat Deutschland, soweit hier der Satzungssitz belegen ist, als Quellenstaat nur eine eingeschrnkte Besteuerungsbefugnis. In den Fllen, in denen keine Doppelbesteuerungsabkommen eingreifen, hat Deutschland im Rahmen der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung auf auslndische EinkÅnfte entfallene auslndische Steuern zur Anrechnung zu bringen (§ 26 Abs. 1, 6 KStG). Entsprechendes gilt bei sog. Dreiecksfllen im Rahmen der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 50 Abs. 3 EStG).
15.46
Der Wegzug hat nicht nur Folgen hinsichtlich der laufenden Besteuerung. Denn das Ausscheiden aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht oder der Wechsel zur abkommensrechtlichen Ansssigkeit im anderen Staat kann zu einem Ausschluss oder zu einer Beschrnkung1 des deutschen Besteuerungsrechts fÅhren. Das gilt insbesondere in den Fllen, in denen keine beschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht aufrechterhalten bleibt. Damit in derartigen Fllen etwaige whrend der Zeit der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht im Inland im Zusammenhang mit WirtschaftsgÅtern gebildete stille Reserven der deutschen Besteuerung nicht entzogen werden, enthlt § 12 Abs. 1, 3 KStG eine besondere Entstrickungsbesteuerung, die auf eine teilweise oder vollstndige Realisierung der im BetriebsvermÇgen gebundenen stillen Reserven gerichtet ist,
15.47
werden soll (abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/media/archive/2751.pdf.); hierzu Leuering, ZRP 2008, 73 ff.; Bollacher, RIW 2008, 200 ff. 1 Z.B. infolge Anrechnung auslndischer Steuern.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
wobei in § 12 Abs. 1 KStG die teilweise und in § 12 Abs. 3 KStG die vollstndige Gewinnrealisierung verankert ist. Hiernach ist wie folgt zu unterscheiden: – § 12 Abs. 1 KStG betrifft den Wegzug in einen EU-/EWR-Staat ohne RÅcksicht darauf, ob eine unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht im Inland aufrechterhalten bleibt und in einen Drittstaat, aber nur, wenn die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht hierdurch nicht entfllt. – § 12 Abs. 3 KStG betrifft den Wegzug in einen Drittstaat bei Aufgabe der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht oder der EU/EWR-Ansssigkeit i.S. des Abkommensrechts.
15.48 Soweit § 12 Abs. 1 KStG eingreift, erfolgt auf Gesellschaftsebene eine wirtschaftsgutbezogene Gewinnrealisierung (Entstrickung): Wird wegzugsbedingt das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung oder Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschrnkt, gilt dies als Verußerung oder berlassung des Wirtschaftsguts zum gemeinen Wert. Eine derartige Entstrickung erfolgt daher nicht, soweit WirtschaftsgÅter unverndert dem inlndischen BetriebsstttenvermÇgen der wegziehenden Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob ein DBA eingreift oder nicht. Eine Entstrickung unterbleibt ebenfalls, soweit WirtschaftsgÅter einem auslndischen BetriebsstttenvermÇgen zuzuordnen sind, und diese bereits vor dem Wegzug abkommensrechtlich durch Anwendung der Freistellungsmethode der deutschen Besteuerung entzogen waren1. In den Åbrigen Fllen, also etwa dann, wenn Åberhaupt kein DBA eingreift oder vor dem Wegzug die Doppelbesteuerung durch Anrechnung vermieden wurde,2 entfllt das deutsche Besteuerungsrecht durch den Wegzug. Das gilt nicht nur in den Fllen, in denen die wegziehende Kapitalgesellschaft aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht ausscheidet, sondern auch dann, wenn wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht zwar aufrechterhalten bleibt, die abkommensrechtliche Ansssigkeit aber in den anderen Staat wechselt (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).3
15.49 Die aufgrund der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG entstehende Gewinnrealisierung unterliegt uneingeschrnkt der KÇrperschaft- und Gewerbesteuer. Wird allerdings die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht wegen Verbleibens des Satzungssitzes im Inland aufrechterhalten, kann die in § 4g EStG vorgesehene Åber fÅnf Jahre gestreckte Besteuerung in Anspruch genommen werden, soweit es sich um WirtschaftsgÅter des AnlagevermÇgens handelt (§ 12 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4g EStG). 1 In der deutschen Abkommenspraxis wird die Doppelbesteuerung von Betriebsstttengewinnen grundstzlich durch Steuerfreistellung vermieden; hierzu die AbkommensÅbersicht bei Vogel in V/L5, Art. 23 OECD-MA Rz. 16. 2 Insbesondere aufgrund bilateraler Aktivittsklauseln oder wegen § 20 Abs. 2 AStG oder § 50d Abs. 9 EStG. 3 Zu Einzelheiten Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 103 ff.
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B. II. Wegzug von Kapitalgesellschaften
In den Fllen des § 12 Abs. 3 KStG erfolgt im Rahmen einer Liquidationsbesteuerung eine vollstndige Realisation aller stiller Reserven. Im Wesentlichen ist der Fall betroffen, in dem eine Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat wegzieht und hierdurch aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht ausscheidet (§ 12 Abs. 3 Satz 1 KStG). Gleiches gilt, wenn die Kapitalgesellschaft aufgrund von Abkommensrecht nach dem Wegzug als nicht mehr im Inland oder in einem anderen EU-/EWR-Staat als ansssig anzusehen ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 KStG i.V.m. Art. 4 Abs. 3 OECDMA). Wegzugsbedingt werden somit etwa whrend der Zeit der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht bis zum Wegzug gebildete stille Reserven einer Schlussbesteuerung zugefÅhrt (§ 11 KStG). Da die Verlegung des Satzungssitzes einer Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat nach nationalem Recht rechtstechnisch (noch) nicht mÇglich ist1, kommt in dem hier interessierenden Zusammenhang allein die Verlegung der Geschftsleitung einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat in Betracht. Die vollstndige Realisierung aller stillen Reserven erfolgt auch dann, wenn nach dem Wegzug eine inlndische Betriebssttte verbleibt, obwohl die in diesem BetriebsstttenvermÇgen enthaltenen stillen Reserven auch zukÅnftig im Inland steuerverhaftet bleiben2.
15.50
2. Pflichtenkreis Der Wegzug, insbesondere also die Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland, ist seitens der wegziehenden Kapitalgesellschaft gleichermaßen dem zustndigen Finanzamt und der Gemeinde anzuzeigen (§ 137 AO). Dies gilt ohne RÅcksicht darauf, ob etwa durch Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht wegfllt oder erhalten bleibt. Zugleich hat die wegziehende Kapitalgesellschaft gegenÅber der zustndigen Gemeinde die Verlegung der Geschftsleitung innerhalb eines Monats mitzuteilen (§ 138 Abs. 1 Satz 4, Abs. 3 AO). DarÅber hinaus hat die wegziehende Kapitalgesellschaft die Pflicht, das wegzugsbedingte neue Auslandsengagement dem zustndigen Finanzamt anzuzeigen (§ 138 Abs. 2 AO). Das gilt auch fÅr den Fall, dass ein Betrieb oder eine Betriebssttte im Zuge des Wegzugs vom In- in das Ausland
1 OLG MÅnchen v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915; anders allerdings OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349. 2 Hier ist eine teleologische Reduktion dahin gehend geboten, dass eine Schlussbesteuerung gem. § 12 Abs. 3 KStG nur fÅr den Fall erfolgt, dass eine kÅnftige Besteuerung der stillen Reserven auch im Rahmen der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht nicht gewhrleistet ist; andernfalls ist eine verfassungswidrige bermaßbesteuerung gegeben; Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 53; Hofmeister in BlÅmich, § 12 KStG Rz. 100 f.; Lambrecht in Gosch2, § 12 KStG Rz. 8; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.43; Hey in T/L21, § 11 Rz. 104; Blumenberg/Lechner, BB 2006, 25 (32); Eickmann/Stein, DStR 2007, 723 (725); Prinz in JbFSt 2007/2008, 416; a.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 507; Frotscher in Frotscher/Maas, § 12 KStG Rz. 173.
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15.51
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
verlegt wird1. Die Mitteilung ist innerhalb eines Monats nach Eintritt des meldepflichtigen Ereignisses zu erstatten (§ 138 Abs. 3 AO). Davon abweichend kÇnnen die meldepflichtigen Ereignisse eines Kalendermonats einmal monatlich gesammelt angezeigt werden2. Wer vorstzlich oder leichtfertig der vorgenannten Anzeigepflicht nicht, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO),3 die vorbehaltlich des § 378 AO mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. Betroffen sind hierdurch insbesondere die gesetzlichen Vertreter (Vorstnde, GeschftsfÅhrer), die in erster Linie Adressaten der sich aus § 138 AO ergebenden Verpflichtung sind. 3. Pflichtverletzungen
15.52 Im Zusammenhang mit dem Wegzug von Kapitalgesellschaften in das Ausland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland tatschlich eine Geschftsleitung aufgegeben worden ist oder nicht. Diese Frage lsst sich nur selten mit Sicherheit beantworten. Dies deshalb, weil in der Praxis zumeist GeschftsfÅhrungsmaßnahmen sowohl vom Inland als auch vom Ausland aus erfolgen. Der Wegzug einer Kapitalgesellschaft wird daher gegenÅber dem Finanzamt im Rahmen der Abgabe von Steuererklrungen Åberhaupt nur dann bekannt, wenn der Satzungssitz in das Ausland verlegt wird, was aus rechtstechnischen GrÅnden aber nur, dann aber auch zugleich mit der Verlegung der Geschftsleitung, bei einer SE oder SCE mÇglich ist (hierzu s. Rz. 13.49, 15.46). a) Verlegung der Geschftsleitung in das Ausland
15.53 Gem. § 10 AO ist der Ort der Geschftsleitung dort, wo sich der Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung befindet, also dort, wo der fÅr die GeschftsfÅhrung maßgebende Wille gebildet wird4. Ist die GeschftsfÅhrung an mehreren Orten ttig, ist auf den Ort abzustellen, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet5. Im Zweifel ist der Ort der kaufmnnischen Leitung maßgeblich6. Es besteht ein internationaler Konsens, als Ort der Geschftsleitung den Ort anzusehen, an dem die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Ist 1 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6; Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 19; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 138 AO Rz. 10; Dißars, Stbg 2009, 453 ff (454). 2 BMF v. 15.4.2010, BStBl. I 2010, 346; dort auch Abdruck der entsprechenden Vordrucke. 3 Hierzu Gehm, NWB 2012, 1072 ff. 4 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; vgl. auch oben Rz. 13.47. 5 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 6 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/75, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 454.
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B. II. Wegzug von Kapitalgesellschaften
dies in mehreren Staaten der Fall oder werden sie im Rahmen von Telefon-, Video- oder Internetkonferenzen durchgefÅhrt, wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstnde bzw. GeschftsfÅhrer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben1. Die bloße AusÅbung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss auf den Vorstand oder die GeschftsfÅhrer hat auf den Ort der Geschftsleitung zwar grundstzlich keinen Einfluss2, erstreckt sich diese Beeinflussung allerdings auf den tglichen Geschftsablauf, wird also in die Tagesgeschfte hineindirigiert, so verdichtet sie sich in eine GeschftsfÅhrung. Aufgrund dieses Umstandes haben nach auslndischem Recht errichtete inlndisch beherrschte Kapitalgesellschaften mitunter (ungewollt) den Ort der Geschftsleitung im Inland. In der Praxis wird hierbei nicht selten versucht, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen den Ort der Geschftsleitung (wieder) in das Ausland zu verlegen.
15.54
Beispiel: A, deutscher StaatsangehÇriger mit Wohnsitz im Inland, hlt seit Jahren alle Anteile einer auf Guernsey registrierten Kapitalgesellschaft (Ltd.). Die Gesellschaft erzielt Lizenzeinnahmen aus der Vergabe von geschÅtzten Marken, die sie von dritter Seite erworben hat. Die Lizenznehmer sind ausnahmslos im Inland ansssig. Die Gesellschaft wird vertreten durch einen dort ansssigen Rechtsanwalt, der nur auf Anweisung von A ttig wird. A selbst steuert die gesamten Geschfte von seinem Wohnsitz in Deutschland aus. A verlegt seinen Wohnsitz in die Schweiz, von wo er sodann nachfolgend die Geschfte der Gesellschaft betreibt. In der Schweiz nimmt A eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch. Die Gesellschaft, die in Guernsey keiner KÇrperschaftsteuer unterliegt, hat in allen Jahren keine AusschÅttungen gettigt. Im Inland hat A im Zusammenhang mit der Gesellschaft keinerlei Steuererklrungen abgegeben. In seiner eigenen Einkommensteuererklrung fehlen Hinweise auf seine Beteiligung an der Gesellschaft.
Da die Geschfte der Gesellschaft in den Jahren vor seinem Wegzug in die Schweiz von seinem deutschen Wohnsitz aus gesteuert wurden, war der Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) whrend dieser Zeit in Deutschland3 mit der Folge, dass die Gesellschaft in allen Jahren im Inland unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und zudem der Gewerbesteuer unterlag (§ 2 Abs. 1 GewStG). Der Sitz (§ 11 AO) dieser Gesellschaft auf Guernsey ndert an der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht nichts. Da mit Guernsey kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht und Guernsey selbst auch nicht in das Doppelbesteuerungsabkommen mit Großbritannien einbezogen ist,4 stellt sich auch nicht die Frage der abkommensrechtlichen Ansssigkeit. Damit gilt: Die
1 Vgl. Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N. 2 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 3 Zur Wohnung als Ort der Geschftsleitung BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804. 4 Vgl. hierzu Beckmann in Wassermeyer, DBA, vor Art. I Rz. 14 DBA-Großbritannien.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Lizenzeinnahmen der Gesellschaft sind im Inland zur KÇrperschaft- und Gewerbesteuer heranzuziehen. DarÅber hinaus unterliegen die Lizenzeinnahmen auch der Umsatzsteuer (§ 1 Nr. 1 UStG).1 Die Quellensteuern, die die inlndischen Schuldner der LizenzvergÅtungen in der Annahme einbehalten haben, bei der Glubigerin handele es sich um eine beschrnkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, kÇnnen zwar nicht angerechnet werden, weil die betreffenden LizenzeinkÅnfte keine inlndischen EinkÅnfte sind,2 eine Erstattung der einbehaltenen Quellensteuer ist aber geboten.3 Die durch die Wohnsitzverlegung in die Schweiz verbundene Verlegung der Geschftsleitung der Gesellschaft dorthin fÅhrt zu einem Ausscheiden aus der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht. Hierdurch wird eine Liquidationsbesteuerung (§§ 12 Abs. 3, 11 KStG) ausgelÇst, in deren Rahmen4 insbesondere die in den Marken ruhenden stillen Reserven gewinnerhÇhend zu realisieren sind.5
15.56 Im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft den Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) im Inland hatte, sie mithin unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) und A nicht veranlasst hat, dass fÅr sie im Inland Steuererklrungen abgegeben wurden,6 ist der objektive und nach Lage der Dinge auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Die HÇhe der zugunsten der Gesellschaft hinterzogenen Steuern errechnet sich auf der Grundlage der Steuern, die auf die LizenzeinkÅnfte sowie auf die wegzugsbedingte Liquidation der Gesellschaft entfallen, wobei die im Inland einbehaltenen und zu erstattenden Quellensteuern zu berÅcksichtigen sind.7
15.57 Der Wegzug von A in die Schweiz hat bei ihm selbst aber auch eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG) ausgelÇst. Hiernach ist der Unterschied zwischen den Anschaffungskosten der Anteile und deren gemeiner Wert zum Zeitpunkt des Wegzugs der Einkommensteuer im Rahmen 1 Ort der sonstigen Leistung liegt im Inland (§ 3a Abs. 1, Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UStG). 2 Vgl. §§ 34c, 34d EStG. 3 § 37 Abs. 2 AO; vgl. hierzu Frotscher in Frotscher, § 50d EStG Rz. 29 ff. 4 Zur Ermittlung des Verlegungsgewinns Kolbe in H/H/R, § 12 KStG Rz. 61 ff. 5 Da es zu keiner Auskehrung des VermÇgens kommt, schlagen die Rechtsfolgen des § 12 Abs. 3 KStG nicht auf die Gesellschafterebene durch, sodass § 17 Abs. 4 EStG insoweit nicht zur Anwendung kommt; Kessens in Schnitger/Fehrenbacher, § 12 KStG Rz. 298 mit Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG; Schaumburg in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, 40 ff. (427 ff.); a.A. Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 513. 6 A ist als VerfÅgungsberechtigter i.S. von § 35 AO anzusehen, weil er aufgrund seiner Stellung in der Lage war, „tatschliche und rechtliche Rechtsverhltnisse herbeizufÅhren, die ihn dazu befhigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfÅllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfÅllen zu lassen“; BFH v. 16.3.1995 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284; BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591. 7 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 74; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472).
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des TeileinkÅnfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a EStG) zu unterwerfen. Da nachfolgend auch der Ort der Geschftsleitung der Gesellschaft in die Schweiz verlegt worden ist, greift zudem auch die Entstrickungsvorschrift des § 17 Abs. 5 Satz 1 EStG ein, die im Grundsatz zwar vorrangig anzuwenden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AStG), wegen des zeitlichen Ablaufs hier aber erst dem Wegzug und damit § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG nachfolgt.1 Die Rechtsfolgen sind in beiden Fllen insoweit identisch. Nach dem Wegzug unterliegt A der erweitert beschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG), in deren Rahmen die LizenzeinkÅnfte der Gesellschaft, die passiv und niedrig besteuert sind (vgl. § 8 Abs. 1, 3 AStG),2 dem A zuzurechnen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AStG). Im Ergebnis werden damit die Lizenzeinnahmen der Gesellschaft, die bei nunmehr bestehender beschrnkter Steuerpflicht in Deutschland einer Quellensteuer in HÇhe von 15 % (§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EStG) unterliegen, aufgrund der Zurechnung gem. § 5 AStG bei A der (hÇheren) individuellen Einkommensteuerbelastung unterworfen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 AStG), wobei jedoch zwecks Vermeidung einer berbesteuerung die in Deutschland von den Lizenzeinnahmen einbehaltenen Quellensteuern zur Anrechnung kommen.3 Da A in der Schweiz eine Vorzugsbesteuerung in Anspruch nimmt, kann er die Schrankenwirkung des DBA-Schweiz nicht fÅr sich beanspruchen (Art. 4 Abs. 6 DBA-Schweiz). A hat in allen Jahren, obwohl er VerfÅgungsberechtigter (§ 35 AO) war, nicht dafÅr Sorge getragen, dass fÅr die unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft KÇrperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklrungen abgegeben wurden. Htte er sie abgegeben, wre seitens der Finanzmter rechtzeitig KÇrperschaftsteuer und Umsatzsteuer und seitens der KommunalbehÇrden Gewerbesteuer erhoben worden.4 A hat auch zu seinen eigenen Gunsten den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung dadurch verwirklicht, dass er es unterlassen hat, im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht und der nach Wegzug erweitert beschrnkten Steuerpflicht entsprechende Steuererklrungen sowie Feststellungserklrungen (§§ 5 Abs. 3, 18 AStG) abzugeben. Htte er diese Steuererklrungen bei den zustndigen Finanzmtern eingereicht, wre sowohl der im Rahmen der Wegzugsbesteuerung angefallene VermÇgenszuwachs auf die Anteile an der Limited sowie die nach dem Wegzug dem A zuzurechnenden LizenzeinkÅnfte der Limited steuerlich erfasst wor-
1 Wassermeyer in F/W/B/S, § 6 AStG Rz. 101. 2 Das EU-/EWR-Privileg gilt fÅr Guernsey nicht; da die Insel nicht zum Vereinigten KÇnigreich und damit auch nicht zur Europischen Union gehÇrt; vgl. Art. 335 Abs. 5 Buchst. c AEUV; hierzu Jaeckel in Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU/ AEUV Art. 355 AEUV Rz. 23. 3 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernr. 1 Rz. 5.1.1.3; zu weiteren Einzelheiten Weggenmann in Haase2, § 5 AStG Rz. 43 ff. 4 Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB); vgl. BGH v. 26.5.1993 – 5 StR 134/93, wistra 1993, 222; OLG SaarbrÅcken v. 25.2.1999 – Ss 89/98 (130/98), Ss 89/98, wistra 1999, 276.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
den. Nach Lage der Dinge wird auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein. b) Verlegung der Ansssigkeit in das Ausland
15.59 Sind in Abkommensfllen juristische Personen und (ausnahmsweise) abkommensberechtigte Personengesellschaften in beiden Vertragsstaaten unbeschrnkt steuerpflichtig, etwa aufgrund des Sitzes oder des Orts der Geschftsleitung, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat ist, in dem sich der Ort der tatschlichen Geschftsleitung befindet (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Da die deutsche Rechtsprechung zu § 10 AO bei der Bestimmung des Orts der Geschftsleitung auf tatschliche Verhltnisse abstellt, kÇnnen diese Rechtsprechungsgrundstze auch fÅr den abkommensrechtlichen Begriff „Ort der tatschlichen Geschftsleitung“ herangezogen werden.1 Der Ort der Geschftsleitung befindet sich danach dort, wo der fÅr die Geschftsleitung maßgebende Wille tatschlich gebildet wird; d.h., wo die geschftsleitenden Anordnungen abgegeben, nicht aber dort, wo sie wirksam werden.2 Im Hinblick darauf, dass nur der eine oder der andere Staat Wohnsitzstaat sein kann, kommt fÅr die tatschliche Geschftsleitung nur ein einziger Ort in Betracht.3
15.60 Wo sich der Ort der tatschlichen Geschftsleitung befindet, ist insbesondere bei nach deutschem Recht errichteten international ttigen Kapitalgesellschaften nicht immer ohne Weiteres feststellbar. Das gilt insbesondere dann, wenn fÅr einzelne Sparten zustndige Vorstandsmitglieder in verschiedenen Staaten ansssig sind und von dort die betreffende Sparte, die auch einen Teilkonzern darstellen kann, grenzÅberschreitend leiten. In diesen Fllen kommt es darauf an, wo die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Finden sie in mehreren Staaten (abwechselnd) statt, ist der Ort der tatschlichen Geschftsleitung dort, wo die meisten Vorstandssitzungen abgehalten werden. Diese Abgrenzung hilft allerdings dann nicht weiter, wenn die Vorstandssitzungen im Rahmen von Telefon-, Videooder Internetkonferenzen durchgefÅhrt werden. Hier wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstnde bzw. GeschftsfÅhrer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben.4 Da die Geschftsleitung nicht nur durch den Vorstand bzw. die GeschftsfÅhrung, sondern auch durch nachgeordnete FÅhrungsebenen ausgeÅbt wird, ist auch hierauf abzustellen.
1 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 265. 2 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695, BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 3.8.1977– III R 92/74, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV 1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83. 3 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 226. 4 Vgl. Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N.; ferner oben Rz. 13.47.
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B. II. Wegzug von Kapitalgesellschaften Beispiel: Zur A-AG mit Sitz im Inland gehÇren verschiedene auslndische Tochterkapitalgesellschaften, die ausschließlich in Lndern ansssig sind, mit denen Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Die A-AG sowie ihre auslndischen Tochterkapitalgesellschaften stellen Produkte her, die in den jeweiligen Lndern auch vertrieben werden. Der Vorstand bestand bislang aus drei Personen, die im Inland am Sitz der A-AG ttig waren. Durch Erwerb einer auf dem gleichen Gebiet ttigen US-amerikanischen Kapitalgesellschaft wird der Vorstand der A-AG auf fÅnf Personen aufgestockt. Der Vorstandsvorsitzende, der zugleich fÅr Forschung und Entwicklung zustndig ist, sowie der Finanzvorstand, der zugleich auch das Personalressort leitet, sind im Inland bei der A-AG ttig. Die drei Åbrigen Vorstandsmitglieder sind auch bei der US-amerikanischen Tochtergesellschaft ttig und leiten von dort weltweit den Vertrieb und die beiden wichtigsten Produktionssparten des Konzerns. Die Vorstandssitzungen werden per Videokonferenz abgehalten. Lediglich einmal im Jahr erfolgt eine Strategiesitzung des Vorstandes am Sitz der A-AG im Inland. Die dem Vorstand nachgeordnete FÅhrungsebene arbeitet ganz Åberwiegend am Sitz der A-AG im Inland. In der deutschen Steuererklrung sind aus dem Umstand, dass drei Vorstandsmitglieder in den USA ttig sind, keine steuerlichen Folgerungen gezogen worden. Im Hinblick darauf wird gegen alle Vorstandsmitglieder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.61
Da die A-AG im Inland den Satzungssitz (§ 11 AO) unterhlt, ist sie hier unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Nach Abwgung aller fÅr den Ort der tatschlichen Geschftsleitung maßgeblichen Umstnde ist davon auszugehen, dass auch nach dem Erwerb der US-amerikanischen Gesellschaft die Ansssigkeit der A-AG im Inland verblieben ist. HierfÅr sprechen folgende Umstnde: Die maßgebliche Strategiesitzung des Vorstandes findet im Inland statt, hier sind auch der Vorstandsvorsitzende und der Finanzvorstand ttig, die mit ihren Verantwortungsbereichen zentrale Funktionen ausÅben. Hinzu kommt, dass die nachgeordneten FÅhrungsebenen ganz Åberwiegend vom Inland aus agieren.
15.62
Damit ist zwar eine Verlegung des Orts der tatschlichen Geschftsleitung und damit die Ansssigkeit in die USA nicht feststellbar, sodass auch eine Liquidationsbesteuerung gem. §§ 12 Abs. 3 Satz 2, 11 KStG unterbleibt, durch die Aktivitten der in den USA ansssigen Vorstandsmitglieder sind dort aber Geschftsleitungsbetriebssttten (Art. 5 Abs. 2 Buchst. c DBA-USA) der A-AG gebildet worden. Die auf diese Geschftsleitungsbetriebssttten entfallenden Gewinne sind von deutscher KÇrperschaft- und Gewerbesteuer freizustellen (Art. 23 Abs. 3 Buchst. a DBAUSA) und allein in den USA zu versteuern. Welche Gewinne auf diese Geschftsleitungsbetriebssttten in den USA entfallen, ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2, 3 DBA-USA, wonach den dortigen Betriebssttten die Gewinne zugerechnet werden, „die sie htte erzielen kÇnnen, wenn sie eine gleiche oder hnliche Ttigkeit unter gleichen oder hnlichen Bedingungen als selbstndiges Unternehmen ausgeÅbt htte“ (Art. 7 Abs. 2 DBA-USA).1 Unter den vorgenannten Gesichtspunkten ist somit eine SteuerverkÅr-
15.63
1 Sog. Dealing-at-arm‘s-length-Klausel; hierzu Wolff in Wassermeyer, DBA, Art. 7 DBA-USA Rz. 186 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
zung nicht gegeben. Aus deutscher Sicht kann es durch BegrÅndung von Geschftsleitungsbetriebssttten in den USA allerdings zu einem Zuordnungswechsel von WirtschaftsgÅtern und im Zusammenhang damit zu einer steuerwirksamen Gewinnrealisierung kommen (§ 12 Abs. 1 KStG; vgl. Rz. 13.69). Nach Meinung der deutschen Finanzverwaltung ist im Zweifel hiervon aber nicht auszugehen.1 Davon abgesehen steht der Annahme einer Gewinnrealisierung auch die Rechtsprechung des BFH2 entgegen, wonach kÅnftige Gewinne aus der Verußerung nunmehr einer auslndischen Betriebssttte zuzuordnenden WirtschaftsgÅter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen sind.3
15.64 Soweit die A-AG im Rahmen ihrer abgegebenen Steuererklrungen von unbeschrnkter KÇrperschaftsteuerpflicht und Ansssigkeit im Inland ausgegangen ist, ist das nach Maßgabe der vorgenannten Gesichtspunkte zutreffend. Dass in den USA eine Geschftsleitungsbetriebssttte gebildet worden ist, war zwar mitteilungspflichtig,4 hat aber mangels Zuordnungswechsel von WirtschaftsgÅtern zu keiner SteuerverkÅrzung im Inland gefÅhrt.5 Damit ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist einzustellen (§ 170 Abs. 2 StPO).
III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten Literatur: Kommentare zu Art. 7 OECD-MA, § 4 Abs. 1, 2 und 4, § 4g, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 12 Abs. 1 KStG; vgl. im brigen die LiteraturÅbersicht vor Rz. 15.11, 15.45.
1. berblick
15.65 Der grenzÅberschreitende Leistungstransfer bei Betriebssttten umfasst vor allem den grenzÅberschreitenden BetriebsvermÇgenstransfer, die 1 Sog. Zentralfunktion des Stammhauses; vgl. BMF v. 25.1.2006, BStBl. I 2006, 26 Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 2.4 (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889 Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE], Rz. 11.09); vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG. 2 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106. 3 Hieran ndert auch nichts der bloß Beispiele auffÅhrende § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG; vgl. Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 4 § 138 Abs. 2 Nr. 1 AO; vgl. auch Betriebssttten-Verwaltungsgrundstze, BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Tz. 1.1.4.2 (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 888); Folge: Ordnungswidrigkeit gem. § 379 Abs. 2 Nr. 1 AO (Steuergefhrdung); vgl. Rz. 14.38. 5 Hinweis: US-Betriebsstttengewinne sind grundstzlich freizustellen (Art. 23 Abs. 3 Buchst. a DBA-USA).
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B. III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten
grenzÅberschreitende NutzungsÅberlassung sowie die grenzÅberschreitende Erbringung von Dienstleistungen. Beim grenzÅberschreitenden BetriebsvermÇgenstransfer geht es im Wesentlichen um die berfÅhrung von materiellen oder immateriellen WirtschaftsgÅtern vom inlndischen Stammhaus auf die auslndische Betriebssttte oder von der inlndischen Betriebssttte auf ein auslndisches Stammhaus (Outbound-Fall). Erfasst wird aber auch die entsprechende berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern vom Ausland in das Inland (InboundFall).
15.66
Bei der ersten Fallgruppe (Outbound-Flle) kommt es zu einem Ausschluss oder zu einer Beschrnkung deutschen Besteuerungsrechts, wenn die Gewinne aus der spteren Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter entweder steuerfrei sind, etwa in Abkommensfllen,1 oder zu einer Anrechnung von auslndischen Steuern auf die auf den Verußerungsgewinn erhobene deutsche Einkommensteuer fÅhrt.2 Um den Steuerzugriff auf die zuvor im Inland gelegten stillen Reserven zu sichern, bewirkt die berfÅhrung der WirtschaftsgÅter in das Ausland (Steuerentstrickung) eine fiktive Entnahme (§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG) zum gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG). Soweit es hiernach zu einer Gewinnrealisierung kommt, kann ein steuerlicher Ausgleichsposten gebildet werden, wobei dieser jeweils zu 1/5 gewinnerhÇhend aufzulÇsen ist (§ 4g EStG).3 Die in § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG verankerte Entstrickungsregelung (fiktive Entnahme) kommt auch auf einen auslndischen BetriebsvermÇgenstransfer zur Anwendung, wenn etwa ein Wirtschaftsgut von einer sog. Anrechnungs- auf eine Freistellungsbetriebssttte ÅberfÅhrt wird.4 Eine entsprechende Entstrickungsregelung gilt fÅr Kapitalgesellschaften allerdings mit der Maßgabe, dass eine Verußerung des Wirtschaftsgutes zum gemeinen Wert fingiert wird (§ 12 Abs. 1 KStG). Im Hinblick darauf, dass insbesondere in Abkommensfllen nicht klar ist, ob Åberhaupt und ggf. in welchem Umfang ÅberfÅhrungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht verloren geht,5 wird durch das in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG
15.67
1 Artt. 13 Abs. 2, 23A OECD-MA. 2 Vgl. §§ 34c Abs. 1, 34d Nr. 1 EStG; Art. 23B OECD-MA. 3 Diese Steuerstreckung gilt allerdings nur in EU-Fllen und nur fÅr WirtschaftsgÅter des AnlagevermÇgens und kann zudem nur von unbeschrnkt steuerpflichtigen Personen in Anspruch genommen werden; zu unionsrechtlichen Zweifeln: Holzhuser in K/S/M, § 4g EStG Rz A24; Crezelius in Kirchhof13 § 4g EStG Rz. 9; Heinicke in Schmidt33, § 4g EStG Rz. 1; die Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C - 164/12 - DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; vgl. auch oben Rz. 13.33. 4 Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 215; Wied in BlÅmich, § 4 EStG Rz. 487. 5 Verneint vom BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106, wonach zukÅnftige Gewinne aus der Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen sind; ebenso Wassermeyer, IStR 2008, 176; Gosch,
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG genannte Regelbeispiel klargestellt,1 dass ein Ausschluss oder eine Beschrnkung deutschen Besteuerungsrechts insbesondere dann gegeben ist, wenn ein bisher einer inlndischen Betriebssttte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut nunmehr einer auslndischen Betriebssttte zuzuordnen ist.2
15.68 Wird die gesamte Betriebssttte (Betrieb, Teilbetrieb) auf das auslndische Stammhaus ÅberfÅhrt, greift die (spezielle) Entstrickungsvorschrift des § 16 Abs. 3a EStG ein. Die festgesetzte Steuer auf den hiernach ausgelÇsten Aufgabegewinn kann gem. § 36 Abs. 5 EStG in fÅnf gleichen Jahresraten zinslos entrichtet werden. Dieses Privileg gilt allerdings nur fÅr den EU/EWR-Bereich.3
15.69 Neben der berfÅhrung, also etwa der kÇrperlichen Verbringung von materiellen WirtschaftsgÅtern, wird von § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) auch die vernderte Zuordnung insbesondere von immateriellen WirtschaftsgÅtern etwa durch ausschließliche Nutzung durch eine auslndische Betriebssttte erfasst. DarÅber hinaus erfasst der Regelungsbereich des § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) auch den Fall der grenzÅberschreitenden NutzungsÅberlassung. Angesprochen sind damit insbesondre diejenigen Flle, in denen etwa das inlndische Stammhaus der auslndischen Betriebssttte materielle und immaterielle WirtschaftsgÅter zur Nutzung Åberlsst, ohne dass dadurch eine Zuordnung dieses Wirtschaftsguts zum auslndischen BetriebsstttenvermÇgen erfolgt.4 In allen Fllen ist der gemeine Wert anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG), wobei sich dieser bei der grenzÅberschreitenden NutzungsÅberlassung nur auf den Nutzungswert und nicht etwa auf das betreffende Wirtschaftsgut selbst bezieht.5 Durch Ansatz des gemeinen Wertes werden zwar die stillen Reserven fÅr Zwecke der Besteuerung sichergestellt,6 zugleich erfolgt aber auch eine Doppelbesteuerung, wenn
1 2
3 4 5
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BFH/PR 2008, 500; Prinz, DB 2009, 810; Ditz, IStR 2009, 120; Schneider/Oepen, FR 2009, 572; Kahle/Franke, IStR 2009, 408; Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200); dagegen bejahend z.B. Mitschke, DB 2009, 1377 f. Als Reaktion auf das Urteil des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464. So die Intention des Gesetzgebers; durch die AuffÅhrung von Beispielfllen wird aber noch nicht festgeschrieben, dass berfÅhrungsflle stets zu einem Ausschluss oder Beschrnkung deutschen Besteuerungsrechts fÅhren; hierzu Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785 f.); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198). Vgl. zu Einzelheiten Lammers in H/H/R, § 36 EStG Rz. 59 ff.; ferner oben Rz. 13.34. Bei bloß kurzfristiger NutzungsmÇglichkeit und bei Nutzung durch mehrere Betriebssttten; zu Einzelheiten Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 108; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 217; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.33; RÇdder/Schumacher, DStR 2006, 1481 (1485); anders Werra/Teiche, DB 2006, 1456 (1457 f.); FÇrster, DB 2007, 72 (75 f.). Diese Regelung ist allerdings, weil die Steuerstreckung gem. § 4g EStG vom Wortlaut her nicht eingreift, Åbermßig und damit unionsrechtlich nicht haltbar, vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012,
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B. III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten
etwa bei der auslndischen Betriebssttte das betreffende Wirtschaftsgut nicht mit dem gemeinen Wert, sondern mit den ursprÅnglichen Buchwerten angesetzt wird.1 Zu den in der ersten Fallgruppe angesprochenen Outbound-Fllen zhlt schließlich auch der Fall, dass Anteile an einer SE/SCE wegzugsbedingt nicht mehr einer inlndischen, sondern nunmehr einer auslndischen Betriebssttte zuzuordnen sind (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG, § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG). Hier gilt folgende Besonderheit: Entgegen § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG erfolgt keine fiktive Entnahme. Die Anteile bleiben vielmehr weiterhin steuerverstrickt. Werden die Anteile an der weggezogenen SE/SCE allerdings spter verußert, so ist ein etwaiger Verußerungsgewinn gem. § 15 Abs. 1a EStG ungeachtet abkommensrechtlicher Schranken zu versteuern,2 und zwar auch hinsichtlich der erst nach dem Wegzug gebildeten stillen Reserven.3
15.70
Bei den in der zweiten Fallgruppe genannten Inbound-Fllen geht es im Wesentlichen um die berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern vom Ausland in das inlndische Stammhaus oder in eine inlndische Betriebssttte (§ 4 Abs. 1 Satz 8 EStG). Die derart ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter gelten in das inlndische BetriebsvermÇgen mit dem gemeinen Wert als eingelegt (§§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Voraussetzung ist, dass hierdurch ÅberfÅhrungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht begrÅndet wird.4
15.71
Im Wesentlichen wird damit als fiktive Entnahme und Einlage erfasst die berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern – von einem inlndischen Stammhaus auf eine auslndische Betriebssttte, – von einer inlndischen Betriebssttte auf ein auslndisches Stammhaus, – von einer auslndischen Anrechnungsbetriebssttte auf eine auslndische Freistellungsbetriebssttte, – von einem auslndischen Stammhaus auf eine inlndische Betriebssttte,
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27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106; hierzu KÇrner, IStR 2012, 1 ff.; Mitschke, IStR 2012, 6 ff.; Rautenstrauch/Seitz, Ubg 2012, 14 ff.; Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; Gosch, IWB 2014, 183. Hierzu Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 398; die LÇsung ist hier nur Åber Verstndigungsverfahren nach der Schiedsverfahrenskonvention oder nach den Doppelbesteuerungsabkommen mÇglich. Dieses treaty overriding entspricht den Vorgaben von Art. 10 Abs. 2 FRL. Kritisch hierzu Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 109; FÇrster, DB 2007, 72 (75 f.). Eine Verstrkung deutschen Besteuerungsrechts bzw. die BegrÅndung oder die Verstrkung eines nutzungsbezogenen Besteuerungsrechts werden nicht erfasst; zur Kritik hierzu Carl, KSDI 2007, 15403.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
– von einer auslndischen Freistellungsbetriebssttte auf ein inlndisches Stammhaus, – von einer auslndischen Freistellungsbetriebssttte auf eine auslndische Anrechnungsbetriebssttte.
15.73 Durch die in § 1 Abs. 4, 5 AStG verankerte Neuregelung zur grenzÅberschreitenden EinkÅnftekorrektur bei Betriebssttten wird im Ergebnis das Verrechnungspreisregime des § 1 Abs. 1 AStG auch auf grenzÅberschreitende Geschftsvorflle zwischen Stammhaus und Betriebssttte ausgedehnt (Einzelheiten Rz. 13.185 f.). Von der Reichweite der Neuregelung werden die grenzÅberschreitende berfÅhrung von materiellen und immateriellen WirtschaftsgÅtern, deren NutzungsÅberlassung sowie zwischen Stammhaus und Betriebssttte ausgetauschte Dienstleistungen erfasst.1 Als EinkÅnftekorrekturnorm ist § 1 Abs. 5 AStG darauf gerichtet, wegen nicht angemessener Verrechnungspreise die inlndischen EinkÅnfte unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtiger Personen zu erhÇhen. Im Ergebnis werden damit fiktive EinkÅnfte der Besteuerung unterworfen.2 Dass bloße Innentransaktionen EinkÅnfte auslÇsen, ist keine Besonderheit des § 1 Abs. 5 AStG, da bereits die spezifischen Entstrickungsregelungen (§§ 4 Abs. 1 Stze 3, 4; 16 Abs. 3a EStG, 12 Abs. 1 KStG) ebenfalls entsprechende EinkÅnfte fingieren. Soweit sich die vorgenannten Regelungen mit denen des § 1 Abs. 5 AStG Åberschneiden, ist § 1 Abs. 5 AStG schon wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG „unbeschadet anderer Vorschriften“ nur subsidir anzuwenden.3 Damit beschrnkt sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 AStG im Wesentlichen auf Innentransaktionen, die Dienstleistungen und die berlassung von Kapital betreffen.4 Nach Åberkommener (frÅherer) Rechtslage ist im Rahmen der EinkÅnfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte in derartigen Fllen lediglich eine Aufwandszuordnung ohne Gewinnaufschlag vorzunehmen (hierzu s. Rz. 13.180). FÅr die berlassung von Kapital aus Eigenmitteln seitens des inlndischen Stammhauses an die auslndische Betriebssttte bedeutet dies, dass nichts zu verrechnen ist (s. Rz. 13.183). FÅr Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 enden, ist hierfÅr wie zwischen selbstndigen Rechtstrgern nunmehr ein angemessenes Entgelt zu berechnen, sodass es insoweit ggf. zu einer EinkÅnftekorrektur kommt (s. Rz. 13.185 f.). Das gilt allerdings nicht, wenn das zur Anwendung kommende Doppelbesteuerungsabkommen keine dem § 1 Abs. 5 AStG entsprechende Regelung enthlt,5 soweit der Steuer-
1 Damit wird der sog. Authorized OECD Approach (AOA) umgesetzt; hierzu im Einzelnen: Ditz, ISR 2012, 48 ff.; Kaeser, ISR 2012, 63 ff. 2 Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198). 3 Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Kahle, DStZ 2012, 691 (698); Hemmelrath/ Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.). 4 Vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.). 5 Das ist bei den meisten deutschen Doppelbesteuerungsabkommen der Fall; nur wenige haben die AOA-Regelungen der OECD im Zuge des OECD-MA 2010 Åbernommen.
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B. III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten
pflichtige nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend diesem Abkommen ausÅbt und deshalb die in § 1 Abs. 5 AStG verankerte Neuregelung zu einer Doppelbesteuerung fÅhren wÅrde (§ 1 Abs. 5 Satz 8 AStG). 2. Pflichtenkreis FÅr den grenzÅberschreitenden Leistungstransfer zwischen inlndischem Stammhaus und auslndischer Betriebssttte oder inlndischer Betriebssttte und auslndischem Stammhaus ergeben sich umfangreiche Dokumentationspflichten, die im Wesentlichen der steuerlichen AußenprÅfung dienen (§ 90 Abs. 3 Satz 4 AO; vgl. hierzu Rz. 14.13 ff.). Hiernach sind Aufzeichnungen Åber die grenzÅberschreitenden Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebssttte zu erstellen. Es geht hierbei insbesondere darum, ob die etwa auf eine auslndische Betriebssttte ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter zutreffend mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG) angesetzt worden sind. Die Einzelheiten ergeben sich aus der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV), deren Regelungen entsprechend auch fÅr den Leistungstransfer zwischen Stammhaus und Betriebssttte gelten (§ 7 GAufzV)1. Die hiernach zu erstellenden Aufzeichnungen sollen die PrÅfung ermÇglichen, welche Sachverhalte verwirklicht wurden (Sachverhaltsdokumentation) und ob und inwieweit der auch fÅr die EinkÅnfteabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte geltende Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde (Angemessenheitsdokumentation).2
15.74
WÅrde fÅr den grenzÅberschreitenden BetriebsvermÇgenstransfer in Anwendung von § 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) die Steuerstreckung gem. § 4g EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) in Anspruch genommen, bestehen bestimmte Aufzeichnungspflichten (§ 4g Abs. 4 EStG) und darÅber hinaus die Pflicht, dem zustndigen Finanzamt unverzÅglich die Ereignisse mitzuteilen, die zu einer vorzeitigen (gewinnerhÇhenden) AuflÇsung des gebildeten Ausgleichsposten fÅhren (§ 4g Abs. 5 EStG).
15.75
3. Pflichtverletzungen Wird den in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO fÅr den grenzÅberschreitenden BetriebsvermÇgenstransfer verankerten Dokumentationspflichten nicht entsprochen, etwa weil trotz Anforderung durch die FinanzbehÇrde keine oder im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorgelegt oder verwertbare Aufzeichnungen versptet vorgelegt werden, ist gem. § 162 Abs. 4 AO ein Zuschlag festzusetzen, und zwar bei Nichtvorlage von Aufzeichnungen 1 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG; vgl. nunmehr speziell die Betriebsstttengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV), die erstmals auf Wirtschaftsjahre Anwendung findet, die nach dem 31.12.2014 beginnen. 2 Vgl. Verwaltungsgrundstze-Verfahren BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Tz. 1, 3.4.19.
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15.76
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
bzw. Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen von mindestens 5 v.H. und hÇchstens 10 v.H. des positiven Mehrbetrags der EinkÅnfte, mindestens jedoch 5.000 Euro und bei verspteter Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen in HÇhe von mindestens 100 Euro fÅr jeden vollen Tag der FristÅberschreitung, hÇchstens jedoch 1 Mio. Euro fÅr alle Flle verspteter Vorlage.1 DarÅber hinaus ergibt sich als Folge der Verletzung der Dokumentationspflichten nach allgemeinen Grundstzen eine Beweismaßreduzierung, wonach fÅr Zwecke der Besteuerung nicht der Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, sondern auch derjenige mit einem geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann.2 Ferner ergibt sich bei entsprechendem Pflichtverstoß eine Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen nach § 162 Abs. 3 AO, wonach widerlegbar vermutet wird, dass seine im Inland steuerpflichtigen EinkÅnfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen i.S. des § 90 Abs. 3 AO dienen, hÇher als die von ihm erklrten EinkÅnfte sind (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Festsetzung des Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO oder auch der Einsatz von Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) schließt die DurchfÅhrung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens (§§ 369 ff. AO) nicht aus. Allerdings haben die nach allgemeinen Grundstzen im Steuerrecht zulssige Beweismaßreduzierung und die besonders geregelte Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen (§ 162 Abs. 3 AO) im Strafrecht keine Geltung.3
15.77 Wurde fÅr den ÅberfÅhrungsbedingten Entnahmegewinn (§ 4 Abs. 1 Stze 3, 4 EStG) ein Ausgleichsposten gebildet, ist dieser bei Verletzung der obliegenden Aufzeichnungs- und Anzeigepflichten vorzeitig gewinnerhÇhend aufzulÇsen (§ 4g Abs. 5 Satz 2 EStG).
15.78 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht sind insbesondere jene Flle von Bedeutung, in denen materielle oder immaterielle WirtschaftsgÅter auf eine auslndische Betriebssttte ÅberfÅhrt worden sind, ohne dass diese Vorgnge in der BuchfÅhrung oder in den betreffenden Steuererklrungen abgebildet wurden. Entsprechendes gilt auch fÅr die berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern einer auslndischen Betriebssttte auf das inlndische Stammhaus. a) BetriebsvermÇgenstransfer in eine auslndische Betriebssttte
15.79 Im Regelfall liegt einem grenzÅberschreitenden BetriebsvermÇgenstransfer eine zielgerichtete Handlung der Steuerpflichtigen zugrunde. Das gilt 1 Vgl. Verwaltungsgrundstze-Verfahren BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.6.3. 2 Vgl. BFH v. 15.2.1989, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 9.8.1991, BStBl. II 1992, 55; BFH v. 17.10.2001, BStBl. II 2004, 171; Verwaltungsgrundstze-Verfahren BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.4. 3 Hierzu Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56; Volk in FS Kohlmann, 579 ff. (580); vgl. auch Seer in T/K, § 162 AO Rz. 16 m.w.N.
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B. III. GrenzÅberschreitender Leistungstransfer bei Betriebssttten
insbesondere bei der berfÅhrung von materiellen WirtschaftsgÅtern, die aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung fortan auf Dauer im Rahmen einer auslndischen Betriebssttte genutzt werden sollen. In tatschlicher Hinsicht erfolgt in diesen Fllen zumeist eine kÇrperliche Verbringung der betreffenden WirtschaftsgÅter. Im Rahmen der gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebotenen zweistufigen Gewinnermittlung1 ist der BetriebsvermÇgenstransfer auf der zweiten Stufe als (fiktive) Entnahme zu berÅcksichtigen. Das bedeutet etwa, dass der Gewinn der ersten Stufe um den gemeinen Wert der auf die auslndische Betriebssttte ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter zu erhÇhen ist (§§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4, 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).2 In HÇhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter und deren gemeinem Wert kann allerdings bei WirtschaftsgÅtern des AnlagevermÇgens auf Antrag ein Ausgleichsposten gebildet werden, soweit die WirtschaftsgÅter auf eine andere EU-Betriebssttte ÅberfÅhrt worden sind (§ 4g Abs. 1 EStG). Der Ausgleichsposten ist hierbei im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu jeweils einem FÅnftel gewinnerhÇhend aufzulÇsen (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese dem Konzept der Sofortversteuerung folgende Entstrickungsregelung geht nach Maßgabe der Rechtsprechung des BFH ins Leere (s. Rz. 13.32, 15.14) und ist zudem gemessen an der europarechtlich verbÅrgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) zweifelhaft.3 Beispiel: Die im Inland ansssige A-GmbH & Co. KG unterhlt in sterreich eine Betriebssttte, die von der inlndischen A-GmbH & Co. KG gelieferte Halbfertigprodukte weiter bearbeitet und sodann in sterreich und anderen Staaten vertreibt. Um eine gebotene Produktionserweiterung zu ermÇglichen, wurden seitens der inlndischen A-GmbH & Co. KG 2012 maschinelle Anlagen in die Çsterreichische Betriebssttte ÅberfÅhrt, die dort seit dem zur Weiterverarbeitung der gelieferten Produkte eingesetzt werden. Dem GeschftsfÅhrer der Komplementr-GmbH war zwar die Entstrickungsregelung des § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG bekannt, aufgrund einer gutachtlichen Stellungnahme seines Steuerberaters stellte er sich aber auf den Standpunkt, dass die betreffende Regelung angesichts der Rechtsprechung des BFH leerlufig und zudem mit Unionsrecht unvereinbar sei. Aus diesem Grunde blieb eine fiktive Entnahme unberÅcksichtigt. In der von ihm fÅr die A-GmbH & Co. KG fÅr 2012 am 1.9.2013 abgegebenen Feststellungserklrung (§ 181 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO) finden sich keinerlei Hinweise auf die berfÅhrung der Maschinen in die Çsterreichische Betriebssttte. 1 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5. 2 § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG geht dem § 1 Abs. 4 und 5 AStG vor; s. Rz. 13.186. 3 EuGH v. 29.11.2011 – Rs C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommmission ./. Spanien, ISR 2013, 225; eine Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106 m. Anm. Mitschke; vgl. hierzu ferner Linn, IStR 2014, 136; Mitschke, IStR 2014, 214; Gosch, IWB 2014, 183; vgl. auch FG DÅsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11, ISR 2014, 58 (Vorlagebeschluss zum EuGH) m. Anm. MÅller.
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15.80
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
15.81 Durch die berfÅhrung von Maschinen seitens der inlndischen A-GmbH & Co. KG in die Çsterreichische Betriebssttte ist in Orientierung an die Rechtsprechung des BFH1 eine Beschrnkung oder ein Ausschluss deutschen Besteuerungsrechts nicht gegeben, sodass von vornherein der Tatbestand der §§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4, 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG nicht erfÅllt worden ist.2 Diese streitige Rechtsfrage (s. Rz. 13.32, 15.14) kann hier im Ergebnis aber offenbleiben, weil aus Sicht des verantwortlichen GeschftsfÅhrers diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten3 ohnehin nicht anwendbar ist.4 Die Unionsrechtswidrigkeit dieser auf Gewinnrealisierung gerichteten Entstrickungsnorm ist in vergleichbaren Fllen durch den EuGH bejaht,5 aber auch verneint6 worden. Dass der EuGH nicht konkret zu § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG entschieden hat, spielt hierbei keine Rolle.7 Dessen Rechtsgrundstze gelten nmlich ganz allgemein fÅr Entstrickungsflle und somit auch fÅr den gegenÅber § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG nur subsidir anwendbaren § 1 Abs. 4 und 5 AStG, dem eine vergleichbare Wertung zugrunde liegt.8 Hieraus folgt, dass aus der Sicht des GeschftsfÅhrers die berfÅhrung der WirtschaftsgÅter in die auslndische Betriebssttte keine zur Besteuerung fÅhrende gewinnrealisierende Entnahme (§ 4 Abs. 1 Stze 4 und 5 EStG) oder EinkÅnftekorrektur (§ 1 Abs. 4 und 5 AStG) ausgelÇst hat. Das bedeutet, dass jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist. Dem GeschftsfÅhrer der Komplementr-GmbH oblag nicht die Verpflichtung, im Rahmen der von ihm abzugebenden Feststellungserklrung den BetriebsvermÇgenstransfer als steuerlich erhebliche Tatsache zu offenbaren: Er hat eine Rechtsansicht zugrunde gelegt, die in Orientierung an die BFH- und die zum Zeitpunkt der Abgabe der Feststellungserklrung bekannte EuGHRechtsprechung zu dem Ergebnis kommt, dass der grenzÅberschreitende BetriebsvermÇgenstransfer keine Besteuerung auslÇst.9 Dass nach Abgabe 1 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 103. 2 FÅr sptere Wirtschaftsjahre gilt: § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG geht dem fÅr nach dem 31.12.2012 endenden Wirtschaftsjahren anwendbaren § 1 Abs. 4 und 5 AStG vor; s. Rz. 13.186. 3 Hier Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV. 4 Die Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre gem. § 4g EStG ist unzureichend. 5 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; zuvor schon EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, DStR 2004, 551 und EuGH v. 7.7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N – DStR 2006, 1691. 6 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106. 7 Hierzu MÅller-Gugenberger in MÅller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht5, § 5 Rz. 93; ferner Rz. 2.43 f. 8 Ultima-ratio-Besteuerung; vgl. Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. 9 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 2.8.5; Harms, Stbg 2005, 12 ff. (14); Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff. fÅr eine weitergehende Erklrungspflicht i.S. eines Hinweises auf eine
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der Feststellungserklrung der EuGH in einem vergleichbaren Fall anders entschieden hat, macht die Feststellungserklrung nicht unrichtig, so dass der GeschftsfÅhrer auch nicht gem. § 153 Abs. 1 AO verpflichtet war, die Erklrung zu berichtigen.1 Dass der GeschftsfÅhrer der Komplementr-GmbH den in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO verankerten Dokumentationspflichten nicht entsprochen hat, insbesondere Aufzeichnungen Åber die Verbringung der WirtschaftsgÅter in die Çsterreichische Betriebssttte nicht erstellt hat, ist strafrechtlich ohne Belang. Eine Ordnungswidrigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.
15.82
b) NutzungsÅberlassung an eine auslndische Betriebssttte Die in § 4 Abs. 1 Stze 3 und 4 EStG (§ 12 Abs. 1 KStG) verankerte Entstrickungsregelung2 erfasst nicht nur die berfÅhrung von WirtschaftsgÅtern in eine auslndische Betriebssttte als Hauptanwendungsfall, sondern auch eine entsprechende NutzungsÅberlassung. Angesprochen sind damit insbesondere diejenigen Flle, in denen etwa das inlndische Stammhaus der auslndischen Betriebssttte materielle und immaterielle WirtschaftsgÅter zur Nutzung Åberlsst, ohne dass dadurch eine Zuordnung dieser WirtschaftsgÅter zum auslndischen BetriebsstttenvermÇgen und damit ein grenzÅberschreitender BetriebsvermÇgenstransfer erfolgt. Soweit hierfÅr der gemeine Wert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 1 EStG), bezieht sich dieser auf den Nutzungswert und nicht etwa auf das betreffende Wirtschaftsgut selbst.3 Ob ein Wirtschaftsgut auf eine auslndische Betriebssttte ÅberfÅhrt oder dieser lediglich zur Nutzung Åberlassen worden ist, entscheidet sich nach allgemeinen Veranlassungsgesichtspunkten, wobei allgemein davon ausgegangen wird, dass ein Wirtschaftsgut entweder nur dem Stammhaus oder nur der Betriebssttte zuzuordnen ist.4 In Orientierung an diesen Grundsatz ist eine berfÅhrung in eine auslndische Betriebssttte dann gegeben, wenn das betreffende Wirtschaftsgut ausschließlich und auf Dauer von der auslndischen Betriebs-
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nur von der Finanzverwaltung abweichenden der Steuererklrung zugrunde gelegten Rechtsansicht Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 86; Seer in T/K, § 150 AO Rz. 17; Seer/Krumm, DStR 2013, 1814 ff. (1816); vgl. zum Meinungsstreit Sontheimer, DStR 2014, 357 ff. Seer in T/K, § 153 AO Rz. 8. Diese geht dem § 1 Abs. 4 und 5 AStG insoweit vor; vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.). Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 108; Musil in H/H/R, § 4 EStG Rz. 217; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.33; RÇdder/Schumacher, IStR 2006, 1481 ff. (1485); anders Werra/Teiche, DB 2006, 1456 ff. (1457 f.); FÇrster, DB 2007, 72 ff. (75 f.). BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.4; BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 888; fÅr eine anteilige Zuordnung dagegen z.B. Andresen in W/A/D, Betriebssttten-Handbuch, Rz. 2.44.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
sttte genutzt wird.1 Wird dagegen das Wirtschaftsgut der auslndischen Betriebssttte nur vorÅbergehend oder nicht ausschließlich zur Nutzung Åberlassen, ist eine ÅberfÅhrungsbedingte Entstrickung ausgeschlossen, sodass die stillen Reserven des betreffenden Wirtschaftsgutes selbst nicht realisiert werden. Allein mÇglich ist daher nur eine nutzungsbedingte Entstrickung, fÅr die als gemeiner Wert (Nutzungswert) der kapitalisierte Barwert der zukÅnftigen NutzungsvergÅtungen anzusetzen ist.2 Die vorgenannte nutzungsbedingte Entstrickungsregelung wird nicht durch § 1 Abs. 5 AStG3 verdrngt, weil die dort verankerte EinkÅnftekorrektur wegen des in Bezug genommenen § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG4 lediglich subsidir zur Anwendung kommt.5 Beispiel: Die A-GmbH im Inland vertreibt bundesweit Textilien unter einer fÅr sie geschÅtzten Marke. Die entsprechenden Textilien werden in ihrem Auftrag von Lohnunternehmern in Asien hergestellt. Die A-GmbH unterhlt in sterreich mehrere Boutiquen, die die entsprechenden Textilien unter der fÅr die A-GmbH geschÅtzten Marke seit 2008 vertreiben. Die entsprechenden Auftrge an die asiatischen Lohnunternehmer werden nach den eigenen Design-Vorgaben der Boutiquen durch diese in Auftrag gegeben.6 Aufgrund einer gutachtlichen Stellungnahme seines Steuerberaters hat der GeschftsfÅhrer der A-GmbH aus dem Umstand, dass die Marke auch von den auslndischen Boutiquen genutzt wird, keine steuerlichen Folgerungen gezogen. Im Rahmen einer bei der A-GmbH durchgefÅhrten AußenprÅfung fÅr die Jahre 2008 bis 2010 wird der vorliegende Sachverhalt aufgedeckt und sogleich gegen den GeschftsfÅhrer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Hierbei wird seitens der Finanzverwaltung die Ansicht vertreten, die A-GmbH htte gegenÅber den auslndischen Boutiquen fÅr die Nutzung der Marke eine (fiktive) LizenzgebÅhr berechnen mÅssen, sodass der Gewinn der A-GmbH entsprechend zu niedrig ausgewiesen worden sei.
15.84 Im Hinblick darauf, dass fremden dritten Geschftspartnern gegenÅber die Marke nicht unentgeltlich zur Nutzung Åberlassen worden wre, sind im Grundsatz die Voraussetzungen fÅr eine EinkÅnftekorrektur gem. § 1 Abs. 1, 4 Satz 2, Abs. 5 AStG erfÅllt. Zwar kÇnnen zwischen einem inlndischen Stammhaus und einer (auslndischen) Betriebssttte keine schuldrechtlichen Vereinbarungen getroffen werden, sodass insoweit auch keine Geschftsbeziehungen vorliegen kÇnnen und somit § 1 AStG eigentlich keine Anwendung finden kann, gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG werden aber Geschftsvorflle zwischen Stammhaus und (auslndischer) Betriebssttte als Geschftsbeziehungen fingiert. Im Hinblick da1 Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA, Rz. 278; Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 327; Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebssttten, 294; Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. (102). 2 BrÅninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, K Rz. 121; Frotscher in Frotscher/ Maas, § 12 KStG Rz. 402. 3 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 4 „Unbeschadet anderer Vorschriften“; vgl. Rz. 13.186. 5 Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (638); Kahle, DStZ 2012, 691 ff. (698); Hemmelrath/ Kepper, IStR 2013, 37 ff. (41); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (198 f.) 6 Vgl. zum Sachverhalt Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. (101).
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rauf ist die auslndische Betriebssttte eines inlndischen Stammhauses wie ein eigenstndiges und unabhngiges Unternehmen zu behandeln. Hieraus folgt, dass fÅr Zwecke der EinkÅnftekorrektur bei der A-GmbH eine gewinnerhÇhende LizenzgebÅhr zum Ansatz zu bringen ist, wie sie mit fremden Dritten vereinbart worden wre. Die vorgenannte EinkÅnftekorrektur ist, soweit es sich um Geschftsvorflle zwischen Stammhaus und auslndischer Betriebssttte handelt, allerdings erst durch das AmtshilfeRLUmsG normativ umgesetzt worden und gilt erst fÅr Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 beginnen (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG). Die damit einhergehenden nderung des § 1 AStG ist auch nicht bloß deklaratorischer Natur. Es handelt sich vielmehr um eine Umsetzung des im Jahre 2010 durch die OECD verabschiedeten „Authorized OECD Approach (AOA)“.1 Damit kann fÅr frÅhere Wirtschaftsjahre § 1 Abs. 5 AStG nicht die Rechtsgrundlage fÅr den Ansatz einer (fiktiven) LizenzgebÅhr sein. Rechtsgrundlage ist aber auch nicht § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG, weil die dort verankerte Entstrickungsregelung den Ansatz einer (fiktiven) LizenzgebÅhr nicht zulsst. Indessen ist gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG eine (fiktive) NutzungsÅberlassung mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Der gemeine Wert entspricht hierbei dem kapitalisierten Barwert der zukÅnftigen NutzungsvergÅtungen, bezogen auf die voraussichtliche Nutzungsdauer.2 Diese Rechtsansicht, die auch von der Finanzverwaltung vertreten wird3, entspricht dem dem § 12 Abs. 1 KStG zugrunde liegendes Konzept der Sofortversteuerung, das allerdings mit der Rechtsprechung des BFH4 und mit der unionsrechtlich verbÅrgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV)5 unvereinbar ist und damit nicht angewendet werden darf. Damit ist schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Davon abgesehen wre auch der subjektive Tatbestand zu verneinen, weil der GeschftsfÅhrer der A-GmbH aufgrund der von ihm in Auftrag gegebenen gutachtlichen Stellungnahme seines Steuerberaters mit guten GrÅn-
1 OECD, Model Tax Convention on Income and on Capital 2010, Art. 7 (2); OECD, 2010 Report on the attribution of profits to permanent establishments, 22.7.2010, Part I, Section B. 2 BrÅninghaus in V/B/E, Verrechnungspreise3, K Rz. 121; Frotscher in Frotscher/ Maas, § 12 KStG Rz. 402. 3 Vgl. hierzu den Hinweis bei Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. (101). 4 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106, wonach die tatschlich realisierten Gewinne zwischen Betriebssttte und Stammhaus nach Verursachungsgesichtspunkten aufzuteilen sind, die Beispielsaufzhlung in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG ndert hieran nichts, vgl. nur Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785 f.); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 5 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; eine Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre wird zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106, dieser Gesichtspunkt spielt hier aber keine Rolle, weil § 4g EStG (§ 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf NutzungsÅberlassungen keine Anwendung findet.
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den davon ausgehen durfte, dass die berlassung der Marken zur Nutzung keine steuerlichen Folgen auslÇsen wÅrde. Er war daher auch nicht verpflichtet, etwa bei Abgabe der KÇrperschaftsteuererklrung auf die grenzÅberschreitende NutzungsÅberlassung hinzuweisen.1 c) BetriebsvermÇgenstransfer in eine inlndische Betriebssttte
15.85 Der BetriebsvermÇgenstransfer vom Ausland in das Inland betrifft im Wesentlichen die berfÅhrung von materiellen oder immateriellen WirtschaftsgÅtern von einer auslndischen Betriebssttte in das inlndische Stammhaus oder von einem auslndischen Stammhaus in eine inlndische Betriebssttte. Wird in beiden Fallkonstellationen ÅberfÅhrungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter begrÅndet, handelt es sich um eine (fiktive) Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG), die mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Im Rahmen der gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG gebotenen zweistufigen Gewinnermittlung2 fÅhrt diese Verstrickung dazu, dass der Gewinn auf der ersten Stufe um den gemeinen Wert der in das inlndische Stammhaus oder die inlndische Betriebssttte ÅberfÅhrten WirtschaftsgÅter zu vermindern ist. Erfolgt zu einem spteren Zeitpunkt eine Verußerung des betreffenden Wirtschaftsguts, entsteht in HÇhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem gemeinen Wert des ÅberfÅhrten Wirtschaftsgutes und dem Verußerungspreis ein Gewinn oder ein Verlust. Entsprechendes gilt fÅr den Fall, dass das in das Inland ÅberfÅhrte Wirtschaftsgut zu einem spteren Zeitpunkt in eine auslndische Betriebssttte oder auf das auslndische Stammhaus ÅberfÅhrt wird: In HÇhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert des ÅberfÅhrten Wirtschaftsgutes und dem gemeinen Wert entsteht ein Gewinn oder ein Verlust (§§ 4 Abs. 1 Stze 3 und 4; 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).
15.86 Beispiel: Der in den USA ansssige X betreibt in den USA und in verschiedenen anderen Lndern Kunstgalerien, in denen er Werke zeitgenÇssischer KÅnstler ausstellt und zum Verkauf anbietet. Er hat von einem deutschen NachwuchskÅnstler verschiedene Kunstwerke erworben, die er, nachdem er sie in den USA nicht hat verkaufen kÇnnen, in seine deutsche Galerie verbringt und dort zum Verkauf anbietet. Ihm gelingt es, zwei Jahre spter alle Kunstwerke dieses KÅnstlers mit einem erheblichen Gewinn an einen deutschen Sammler zu verkaufen. Durch entsprechende anonyme Hinweise wird gegen X ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen 1 BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 28.5; Harms, Stbg 2005, 12 ff. (14); Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff.; fÅr eine weitergehende Erklungspflicht i.S. eines Hinweises auf eine von der Finanzverwaltung abweichenden in der Steuererklrung zugrunde gelegten Rechtsansicht Hellmann in H/H/Sp, § 370 AO Rz. 86; Seer in T/K, § 150 AO Rz. 17; Seer/Krumm, DStR 2013, 1814 ff. (1816); vgl. zum Meinungsstreit Sontheimer, DStR 2014, 357 ff. 2 Hierzu Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5.
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B. IV. Internationale Umwandlungen Rahmen festgestellt wird, dass A die entsprechenden Verußerungsgewinne in seinen Einkommensteuererklrungen nicht erfasst hat.
Die Verußerungsgewinne unterliegen als inlndische EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb bei X der beschrnkten Einkommensteuerpflicht (§§ 1 Abs. 4; 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). DarÅber hinaus unterliegen die Verußerungsgewinne auch der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 GewStG). Nach Maßgabe des DBA-USA ergeben sich keine Schrankenwirkungen: FÅr die einer deutschen Betriebssttte zuzuordnenden Unternehmensgewinne hat Deutschland das uneingeschrnkte Besteuerungsrecht (Art. 7 Abs. 1 DBA-USA). Damit ist der objektive und den Umstnden entsprechend wohl auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Was die HÇhe der SteuerverkÅrzung anbelangt, ist zu berÅcksichtigen, dass durch die Verbringung der Kunstwerke in die inlndische Galerie des X der Verstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG erfÅllt worden ist.1 X htte also im Rahmen der Gewinnermittlung die ÅberfÅhrten Kunstwerke mit dem gemeinen Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG) ansetzen mÅssen. Der durch die sptere Verußerung der Kunstwerke erzielte Verußerungsgewinn berechnet sich daher aus dem Unterschied zwischen dem VerußerungserlÇs und dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt der berfÅhrung der Kunstwerke.
IV. Internationale Umwandlungen Literatur: Kommentare zum UmwStG und zu § 12 Abs. 2 KStG; Beinert/Benecke, Internationale Aspekte der Umstrukturierung von Unternehmen, FR 2010, 1009, 1120; Brhler/Heerdt, Steuerneutralitt bei grenzÅberschreitender Verschmelzung unter Beteiligung hybrider Gesellschaften, StuW 2007, 260; Ettinger/KÇniger, Steuerliche RÅckwirkung bei grenzÅberschreitenden Umstrukturierungsvorgngen, GmbHR 2009, 590; Girlich/Philipp, Entstrickungsaspekte bei der Hinausverschmelzung von Kapitalgesellschaften, Ubg 2012, 150; GÇbel/Ungemach, Entstrickungsfallen des UmwStG bei internationalen Umwandlungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 427 ff.; Hecht, Auslandsverschmelzungen unter Beteiligung steuerverstrickten inlndischen VermÇgens und Anteile, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 405 ff.; Helm/ HÅbner, Die grenzÅberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften als Instrument internationaler Reorganisatioen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2011, 339 ff.; Henkel, Internationale Umwandlungen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl KÇln 2012 Rz. 10.1 ff.; Hruschka, Umwandlungen mit AuslandsberÅhrungen, StuB 2011, 540; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 1187 ff., 1203 ff.; Klingberg/Nitzschke, GrenzÅberschreitende Umwandlungen am Beispiel grenzÅberschreitender Verschmelzungen, Ubg 2011, 451; KÇhler/Kshammer, Um1 In den USA erfolgt keine ÅberfÅhrungsbedingte Entstrickung und somit keine Aufdeckung stiller Reserven; hierzu Wolff in Wassermeyer, DBA, Art. 7 DBAUSA
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht wandlung von Kapitalgesellschaften mit auslndischen Anteilseignern in Personengesellschaften nach dem UmwSt-Erlass 2011, GmbHR 2012, 301; Middendorf/Strothenke, Umwandlungen mit internationalem Bezug, StuB 2012, 305; Prinz, Grundlagen zum internationalen Umwandlungssteuerrecht, DB 2012, 820; Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, KÇln 2013; Pyszka/JÅngling, Steuerfalle: Umwandlung von EU-Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften, GmbHR 2012, 327; Schaumburg, Steuerliche Restriktionen bei internationalen Umwandlungen, GmbHR 2010, 1341; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 17.1 ff.; Schell, Internationale BezÅge bei Verschmelzungen zwischen KÇrperschaften, FR 2012, 101; SchÇnfeld, Ausgewhlte internationale Aspekte des neuen Umwandlungssteuererlasses, IStR 2011, 497.
1. berblick
15.88 Zu den internationalen Umwandlungen1 zhlen – inlndische Umwandlungen mit Auslandsbezug, also Umwandlungen inlndischer Gesellschaften mit auslndischen Gesellschaftern und/ oder mit AuslandsvermÇgen, – grenzÅberschreitende Umwandlungen, hier insbesondere Hinaus- und Hereinverschmelzungen sowie Hinaus- und Hereinspaltungen, – auslndische Umwandlungen mit Inlandsbezug, also Umwandlungen auslndischer Gesellschaften mit inlndischen Gesellschaftern und/ oder mit InlandsvermÇgen.
15.89 Whrend inlndische Umwandlungen mit Auslandsbezug sowohl im UmwG als auch im UmwStG eine Regelung erfahren haben, sind grenzÅberschreitende Umwandlungen umwandlungsrechtlich nur fÅr die SE und die SCE2 und im brigen fÅr Kapitalgesellschaften nur die Hinausund Hereinverschmelzung3 geregelt. Das UmwStG erfasst dem gegenÅber smtliche grenzÅberschreitenden Umwandlungen von in EU- und EWRStaaten ansssigen Rechtstrgern.4 Entsprechende Drittstaatenumwandlungen werden daher abgesehen von den in § 13 UmwStG normierten Rechtsfolgen von UmwStG nicht erfasst. Eine partielle Regelung findet sich lediglich insoweit in § 12 Abs. 2 KStG.
15.90 Auslndische Umwandlungen mit Inlandsbezug vollziehen sich rechtstechnisch allein nach Maßgabe des fÅr den Sitz des auslndischen Rechtstrgers maßgeblichen Rechts. Daher enthlt das UmwG keine diesbezÅglichen Regeln. DemgegenÅber erfasst der sachliche und persÇnliche Anwendungsbereich des UmwStG auch mit inlndischen Umwandlungen vergleichbare Umwandlungsvorgnge in EU-/EWR-Staaten (§ 1 Abs. 1
1 Vgl. hierzu Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, Rz. 1.8; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.1 ff.; im berblick auch Prinz, DB 2012, 820 ff. 2 Vgl. Art. 2, 17 SE-VO, Art. 2, 19 SCE-VO. 3 Vgl. §§ 122a-122l UmwG. 4 § 1 Abs. 2, 4 UmwStG.
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und 3 UmwStG). DarÅber hinaus ist fÅr die Hinzurechnungsbesteuerung eine Sonderregelung getroffen (§ 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG). In den vom UmwStG geregelten Fllen ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerneutralitt der Umwandlungen mÇglich. Zu den Voraussetzungen zhlt u.a., dass umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der Åbertragenen WirtschaftsgÅter bei dem Åbernehmenden Rechtstrger nicht ausgeschlossen oder beschrnkt wird.1 Die Steuerneutralitt wird technisch durch BuchwertverknÅpfung hergestellt, wobei dem Åbernehmenden Rechtstrger ein entsprechendes Wahlrecht zur Seite steht.2 Bleibt umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht nicht uneingeschrnkt erhalten, erfolgt eine Sofortversteuerung durch Realisation der in den Åbergehenden WirtschaftsgÅtern ruhenden stillen Reserven. Eine derartige Sofortversteuerung ist allerdings mit den unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten unvereinbar.3 Zulssig ist allerdings die sog. StundungslÇsung, wonach zwecks Sicherung der stillen Reserven eine Gewinnrealisierung normiert werden darf, wenn hierauf entfallende Steuern bis zum Zeitpunkt der tatschlichen Gewinnrealisierung etwa durch Verußerung gestundet werden.4
15.91
In den Fllen der steuerneutralen Einbringung, also dann, wenn ein Betrieb oder ein Teilbetrieb oder Kapitalanteile in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewhrung von Gesellschaftsrechten zu einem unter dem gemeinen Wert liegenden Wert eingebracht werden (§§ 20, 21 UmwStG), erfolgt in bestimmten Fllen eine nachtrgliche Versteuerung. Hierzu gehÇrt insbesondere der Fall, dass nach der Einbringung eines Betriebs oder Teilbetriebs (Sacheinlage) die erhaltenen Anteile oder bei Einbringung von Kapitalanteilen (Anteilstausch) die eingebrachten Anteile innerhalb von sieben Jahren verußert werden (§ 22 Abs. 1 und 2 UmwStG). Entsprechendes gilt bei der Einbringung von BetriebsvermÇgen in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 5 i.V.m. § 22 Abs. 3 UmwStG).
15.92
1 Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG fÅr die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften; allg. hierzu Schaumburg in FS Herzig, 2011, 711 ff. 2 Vgl. z.B. § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bei der Verschmelzung einer KÇrperschaft auf eine nur Personengesellschaft. 3 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, DStR 2011, 2334; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225. 4 Eine Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre wurde zu §§ 20, 21 UmwStG 1995 allerdings akzeptiert vom EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR, 106 mit Anm. Mitschke; vgl. hierzu Linn, IStR 2014, 136; Gosch, IWB 2014, 183; ferner FG DÅsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11, ISR 2014, 58 (Vorlagebeschluss) m. Anm. MÅller.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
2. Pflichtenkreis
15.93 FÅr internationale Umwandlungen bestehen keine gegenÅber den FinanzbehÇrden speziell zu erfÅllende Meldepflichten. Insoweit gelten daher etwa fÅr internationale Umwandlungen von Kapitalgesellschaften die allgemeinen Anzeigepflichten gem. §§ 137, 138 Abs. 2 AO1 und Steuererklrungspflichten.2 Besonderheiten ergeben sich z.B. bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, wonach die Åbertragende Kapitalgesellschaft jeweils zur Erstellung und Abgabe einer steuerlichen Schlussbilanz auf den steuerlichen bertragungsstichtag verpflichtet ist (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 1 Satz 1 UmwStG). Diese Verpflichtung ist aufgrund Gesamtrechtsnachfolge (§ 12 Abs. 3 UmwStG) von der Åbernehmenden Kapitalgesellschaft zu erfÅllen3 und gilt unabhngig davon, ob die Åbertragende Kapitalgesellschaft im Inland unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtig oder im Inland zur FÅhrung von BÅchern verpflichtet ist.4 Von besonderer Bedeutung sind die Nachweispflichten im Zusammenhang mit sperrfristbehafteten Anteilen. Es geht hierbei um die im Zuge einer Sacheinlage (§ 20 UmwStG) erhaltenen und um die im Rahmen eines Anteilstauschs Åbertragenen Anteile (§ 21 UmwStG). Werden die vorgenannten Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt verußert, ist der Gewinn aus der Einbringung rÅckwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als sog. Einbringungsgewinn I (§ 22 Abs. 1 UmwStG) bzw. als Einbringungsgewinn II (§ 22 Abs. 2 UmwStG) nachzuversteuern, wenn weitere im Gesetz genannte Voraussetzungen erfÅllt sind. Um die Besteuerung des Einbringungsgewinns I und des Einbringungsgewinns II sicherzustellen, hat der Einbringende in den dem Einbringungszeitpunkt folgenden sieben Jahren jhrlich sptestens bis zum 31. Mai den Nachweis darÅber zu erbringen, wem die sperrfristbehafteten Anteile zuzurechnen sind (§ 22 Abs. 3 Satz 1 UmwStG). Wird dieser Nachweis nicht erbracht, gelten die Anteile zu Beginn des jeweiligen jhrlichen berwachungszeitraums innerhalb der siebenjhrigen Sperrfrist als verußert (§ 22 Abs. 3 Satz 2 UmwStG). Die entsprechenden Nachweispflichten bestehen auch bei der Einbringung in eine Personengesellschaft (§ 24 Abs. 5 UmwStG). 3. Pflichtverletzungen
15.94 Im Zusammenhang mit internationalen Umwandlungen betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt umwandlungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der Åbertrage-
1 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 01.20. 2 Aufgrund Gesamtrechtsnachfolge zu erfÅllen vom Åbernehmenden Rechtstrger (vgl. §§ 4 Abs. 2, 12 Abs. 3 UmwStG). 3 Entsprechendes gilt fÅr die Abgabe von Steuererklrungen fÅr die Åbertragende Kapitalgesellschaft. 4 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.01.
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nen WirtschaftsgÅter bei dem Åbernehmenden Rechtstrger ausgeschlossen oder beschrnkt wird. Ist dies der Fall, ist die Steuerneutralitt der Umwandlung von vornherein ausgeschlossen. Im Hinblick darauf sind abgegebene Steuer- und Feststellungserklrungen nicht selten unzutreffend, weil die Voraussetzungen einer steuerneutralen Umwandlung nicht gegeben sind. Dies gilt unabhngig davon, ob etwa seitens des Åbernehmenden Rechtstrgers ein Antrag auf BuchwertfortfÅhrung gestellt wurde oder nicht.1 Denn der Antrag, der sptestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz bei dem fÅr die Besteuerung des Åbernehmenden Rechtstrgers zustndigen Finanzamt zu stellen ist,2 wird nicht etwa durch das zustndige Finanzamt beschieden, sondern erzeugt unmittelbare Rechtswirkungen, falls die hierfÅr erforderlichen Voraussetzungen erfÅllt sind. a) Inlndische Umwandlungen mit Auslandsbezug Bei inlndischen Umwandlungen mit Auslandsbezug geht es in der Praxis im Wesentlichen um folgende Fallgruppen:3 die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften mit beschrnkt steuerpflichtigen Anteilseignern und/ oder auslndischen Betriebssttten auf andere Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften sowie die Verschmelzung von Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften (Einbringung), die bzw. deren Gesellschafter spter wegziehen.
15.95
Bei der Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auf andere Kapitalgesellschaften4 oder auf Personengesellschaften5 darf die Åbertragende Kapitalgesellschaft in ihrer steuerlichen Schlussbilanz (bertragungsbilanz) die Åbergehenden WirtschaftsgÅter mit einem Wert unterhalb des gemeinen Wertes insoweit ansetzen, als insbesondere sichergestellt ist, dass deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Verußerung der Åbergehenden WirtschaftsgÅter bei der Åbernehmenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschrnkt ist (§§ 3 Abs. 2, 11 Abs. 2 UmwStG). Ein Ansatz mit dem gemeinen Wert, also eine Entstrickung, kommt insbesondere dann in Betracht, wenn in DBAStaaten ansssige Anteilseigner der Åbertragenden Kapitalgesellschaft in Deutschland lediglich beschrnkt steuerpflichtig sind. Strafrechtlich relevant sind derartige Verschmelzungsvorgnge dann, wenn dem zustndigen Finanzamt die Kenntnis Åber den Steuerstatus der Anteilseigner vorenthalten wird.
15.96
1 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG fÅr den Fall der Sacheinlage. 2 Vgl. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG. 3 Vgl. hierzu Jschke/Staats in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013, Rz. 6.56; ferner Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.25 ff. 4 Hierzu im berblick Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, 2013, Rz. 8.46 ff. 5 Hierzu im berblick Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.20 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
15.97 Beispiel: Die unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtige A-GmbH hlt alle Anteile an der B-GmbH; weiteres VermÇgen hat die A-GmbH nicht. An der A-GmbH sind je zur Hlfte im Inland unbeschrnkt sowie beschrnkt steuerpflichtige natÅrliche Personen beteiligt. Die beschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigner sind smtlich in Spanien ansssig. Aufgrund entsprechender GesellschafterbeschlÅsse wird die A-GmbH auf die B-GmbH verschmolzen (Abwrtsverschmelzung). Der GeschftsfÅhrer der B-GmbH, der zugleich GeschftsfÅhrer der A-GmbH war (ist), stellt bei dem fÅr die A-GmbH zustndigen Finanzamt den Antrag, die Åbergehenden WirtschaftsgÅter (Anteile an der B-GmbH) in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert anzusetzen (§ 11 Abs. 2 UmwStG). Der GeschftsfÅhrer hat sich in dieser Angelegenheit vorher steuerlich mit dem Ergebnis beraten lassen, dass ein Buchwertansatz rechtlich zulssig sei. Dementsprechend hat der GeschftsfÅhrer in der KÇrperschaftsteuererklrung der A-GmbH keinen bertragungsgewinn ausgewiesen. Im Zuge einer spteren AußenprÅfung wird festgestellt, dass an der Åbertragenden A-GmbH beschrnkt steuerpflichtige natÅrliche Personen beteiligt waren. Die AußenprÅfung vertritt die Ansicht, dass im Zuge der Abwrtsverschmelzung bei der A-GmbH ein bertragungsgewinn htte versteuert werden mÅssen. Gegen den GeschftsfÅhrer der A-GmbH wird daher ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.98 Die Abwrtsverschmelzung ist dann steuerneutral mÇglich, wenn u.a. deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der Åbertragenden WirtschaftsgÅter (Anteile an der B-GmbH) bei der Åbernehmenden Kapitalgesellschaft (hier B-GmbH) nicht ausgeschlossen oder beschrnkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass eine Abwrtsverschmelzung auf Ebene der Åbernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) nicht zu einem steuerpflichtigen Durchgangserwerb eigener Anteile fÅhrt, sodass die Anteile an der Åbernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) unmittelbar (im Wege des Direkterwerbs) auf die Anteilseigner der Åbertragenen Muttergesellschaft (hier A-GmbH) Åbergehen.1 Dementsprechend stellt sie darauf ab, ob das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Anteile an der Åbernehmenden Tochtergesellschaft (hier B-GmbH) entfllt oder eingeschrnkt wird.2 Ausgehend von dieser Verwaltungsansicht entfllt verschmelzungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht. Dies deshalb, weil vor der Verschmelzung die etwaige Verußerung der Anteile an der B-GmbH auf Ebene der A-GmbH der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unterlagen, whrend nach der Verschmelzung die Anteile an der B-GmbH nunmehr nicht mehr der deutschen Verußerungsgewinnbesteuerung ausgesetzt sind, soweit die vorgenannten Anteile den beschrnkt steuerpflichtigen spanischen Gesellschaftern zuzuordnen sind: Etwaige Verußerungsgewinne unterliegen zwar der beschrnkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG), abkommensrechtlich entfllt jedoch der Steuerzugriff (Art. 13 Abs. 3 DBA-Spanien). Die vorgenannte Ansicht
1 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.18; vgl. auch BFH v. 28.10.2009 – I R 4/09, BStBl. II 2011, 315. 2 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.19.
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der Finanzverwaltung1 wird allerdings Åberwiegend nicht geteilt.2 Danach sind in Orientierung an dem Gesetzeswortlaut die Anteile an der Åbernehmenden Tochtergesellschaft (B-GmbH) nicht als im Rahmen der Abwrtsverschmelzung Åbergehende WirtschaftsgÅter und die Anteilseigner der Åbertragenden Muttergesellschaft (A-GmbH) nicht als Åbernehmende Rechtstrger anzusehen.Danach ist eine steuerneutrale Abwrtsverschmelzung ohne Weiteres mÇglich. Hiernach war also ein bertragungsgewinn der A-GmbH steuerlich nicht zu erklren. Da A aufgrund steuerlicher Beratung mit guten GrÅnden davon ausgehen durfte, dass die Abwrtsverschmelzung auf Ebene der A-GmbH keinen bertragungsgewinn auslÇst, ist jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Er war auch nicht verpflichtet etwa bei Abgabe der KÇrperschaftsteuererklrung darauf hinzuweisen, dass spanische Anteilseigner an der Åbertragenden A-GmbH beteiligt waren.3 Die Verschmelzung von Kapital- auf Personengesellschaften mit auslndischem BetriebsstttenvermÇgen ist steuerneutral nur mÇglich, wenn sichergestellt ist, dass deutsches Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschrnkt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Soweit unbeschrnkt steuerpflichtige Gesellschafter beteiligt sind, tritt hinsichtlich des auslndischen BetriebsstttenvermÇgens im Grundsatz keine steuerliche nderung ein. Anders ist es dagegen bei beschrnkt steuerpflichtigen Gesellschaftern, weil sowohl die laufenden Gewinne als auch die Gewinne aus der Verußerung von BetriebsstttenvermÇgen nach der Verschmelzung auf die Personengesellschaft als auslndische Betriebsstttengewinne nicht mehr der beschrnkten Steuerpflicht unterliegen.4 Das gilt allerdings nur in den Fllen, in denen keine DBA eingreifen, und in Abkommensfllen, soweit die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung vermieden wird, weil andernfalls bereits vor der Verschmelzung kein Besteuerungsrecht bestand.5
1 Ebenso DÇtsch in D/P/M, § 11 UmwStG Rz. 65 f. 2 Vgl. etwa Schmitt in S/H/S6, § 11 UmwStG Rz. 125; RÇdder in R/H/vL2, § 11 UmwStG Rz. 112; Schmitt/Schloßmacher, UmwStE 2011, MÅnchen 2012, Anm. zu Rz. 11.19; RÇdder/Schmidt-Fehrenbacher, UmwStE 2011, Bonn 2012, Anm. zu Rz. 11.19; RÇdder/Schaden, Ubg 2011, 40 ff:; Kessler/Philipp, DB 2011, 1658; Schumacher/Neitz-Hackstein, Ubg 2011, 409 ff. (412); SchÇnfeld, IStR 2011, 497. 3 Zur Reichweite der Erklrungspflichten i.S. von § 370 AO BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Harms, Stbg 2005, 12 ff. (14); ferner Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff. m.w.N. 4 Vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG; BFH v. 24.2.1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663; BMF, Schr. v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.19; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.30. 5 MÇhlenbrock/Pung in D/P/M, § 3 UmwStG Rz. 39a; Birkenmaier in R/H/vL2, § 3 UmwStG Rz. 104; Widmann in W/M, § 3 UmwStG Rz. R 63.27; Schmitt in S/H/S6, § 3 UmwStG Rz. 92; Schnitter in Frotscher/Maas, § 3 UmwStG Rz. 83.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Beispiel: Aufgrund entsprechender GesellschafterbeschlÅsse wird die A-GmbH auf die A-GmbH & Co. KG verschmolzen. Anteilseigner der A-GmbH sind im Inland ansssige natÅrliche Personen sowie in HÇhe von 10 v.H. der in Gibraltar wohnhafte X. Die A-GmbH unterhlt u.a. eine Betriebssttte in Gibraltar. Der GeschftsfÅhrer der A-GmbH & Co. KG stellt bei dem fÅr die A-GmbH zustndigen Finanzamt den Antrag, die im Zuge der Verschmelzung Åbergehenden WirtschaftsgÅter in der steuerlichen Schlussbilanz der A-GmbH mit dem Buchwert anzusetzen. Dass X in Gibraltar ansssig ist, erwhnt er bei seinem Antrag nicht. Die auf die A-GmbH & Co. KG Åbergehenden WirtschaftsgÅter setzt der GeschftsfÅhrer in der steuerlichen Schlussbilanz der A-GmbH mit dem Buchwert an, sodass ein bertragungsgewinn weder in der steuerlichen Schlussbilanz noch in der entsprechenden KÇrperschaftsteuererklrung der A-GmbH ausgewiesen wird. Whrend der spteren AußenprÅfung erlangt das zustndige Finanzamt erstmals Kenntnis davon, dass X in Gibraltar wohnhaft ist. Daher wird entsprechend der Beteiligung des X an der frÅheren A-GmbH (10 v.H.) ein bertragungsgewinn fÅr die der Betriebssttte in Gibraltar zuzuordnenden WirtschaftsgÅter ermittelt. Gegen den GeschftsfÅhrer wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.100 Die Verschmelzung der A-GmbH auf die A-GmbH & Co. KG war hier deshalb nicht im vollen Umfang steuerneutral mÇglich, weil deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Verußerung der auf die A-GmbH & Co. KG Åbertragenen der Betriebssttte in Gibraltar zuzuordnenden WirtschaftsgÅter wegfllt (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Ob deutsches Besteuerungsrecht verlorengeht oder beschrnkt wird, ist zunchst gesellschafterbezogen zu prÅfen, und zwar bezogen auf die jeweils Åbergehenden WirtschaftsgÅter. Diese gesellschafterbezogene Betrachtungsweise1 fÅhrt hier dazu, dass die der Betriebssttte in Gibraltar zuzuordnenden WirtschaftsgÅter in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind, soweit X hieran (10 %) beteiligt ist.2 Dies deshalb, weil verschmelzungsbedingt die vorgenannten WirtschaftsgÅter, soweit sie Åber die Beteiligung an der A-GmbH & Co. KG auf X entfallen, gnzlich aus dem deutschen Steuerzugriff ausscheiden: Whrend die Gewinne aus der Verußerung dieser WirtschaftsgÅter vor der Verschmelzung bei A-GmbH der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unterlagen, ohne dass dem die Schrankenwirkungen eines DBA entgegenstanden,3 sind nach der Verschmelzung die betreffenden WirtschaftsgÅter, soweit X an der A-GmbH & Co. KG beteiligt ist (10 %) Åberhaupt keiner deutschen Besteuerung ausgesetzt.4
15.101 Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, dass dem GeschftsfÅhrer be-
1 Hierzu BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.18. 2 Vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 03.19. 3 Mit Gibraltar besteht kein DBA; das DBA-Großbritannien umfasst nicht Gibraltar. 4 Auch keine beschrnkte Steuerpflicht bei X, da insoweit keine inlndische Betriebssttte gegeben ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG).
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wusst war, dass es auf den Wohnsitz des X ankam, wird auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein. b) GrenzÅberschreitende Umwandlungen Rechtstechnisch ist aus dem Bereich grenzÅberschreitender Umwandlungen lediglich die grenzÅberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften mÇglich, soweit mindestens eine der beteiligten Kapitalgesellschaften dem Recht eines anderen EU-/EWR-Staates unterliegt (§§ 122a ff. UmwG).1 Schließlich sieht auch die SE-VO2 die GrÅndung einer SE durch grenzÅberschreitende Verschmelzung vor, wobei insoweit lediglich eine Verschmelzung durch Aufnahme oder durch NeugrÅndung in Betracht kommt.3 Im brigen kann das Ziel einer grenzÅberschreitenden Umwandlung auch durch die Einbringung von Betrieben, Teilbetrieben, Mitunternehmeranteilen oder Kapitalanteilen in EU-/EWR-Kapitalgesellschaften gegen Gewhrung von Gesellschaftsrechten verwirklicht werden (§§ 20, 21 UmwStG). Unionsrechtlich geboten und nach unionskonformem nationalen Recht zulssig ist schließlich auch der formwechselnde Zuzug/Wegzug von EU-Kapitalgesellschaften.4
15.102
Die Hinausverschmelzung von inlndischen auf auslndische Kapitalgesellschaften5 gehÇrt in der Praxis zur wichtigsten Fallgruppe der internationalen Umwandlung von Kapitalgesellschaften. Vom Regelungsbereich des UmwStG werden sie nur dann erfasst, wenn sowohl Åbertragende als auch Åbernehmende Rechtstrger nach dem Recht eines EU- oder EWRStaates gegrÅndete Gesellschaften i.S. des Art. 54 AEUV oder Art. 34 EWR-Abkommens sind und deren Sitz und Ort der Geschftsleitung sich in einem EU-/EWR-Staat befindet (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Die Steuerneutralitt einer derartigen Hinausverschmelzung ist neben anderen Voraussetzungen nur mÇglich, wenn das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Verußerung der Åbertragenen WirtschaftsgÅter nicht ausgeschlossen oder beschrnkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Zu einer Entstrickung und damit zu einem bertragungsgewinn kommt es in den vorgenannten Fllen ins-
15.103
1 Weitergehend Drygala in Lutter5, § 1 UmwG Rz. 11 ff., der aus unionsrechtlichen GrÅnden z.B. auch eine grenzÅberschreitende Spaltung fÅr zulssig erachtet (Rz. 20); ebenso Kallmeyer in Kallmeyer5, § 1 UmwG Rz. 4 ff.; DaunerLieb in KK, § 1 UmwG Rz. 28; vgl. auch HÇrtnagl in S/H/S6, § 1 UmwG Rz. 22. 2 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 v. 8.10.2001 Åber das Statut der Europischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001. 3 Entsprechendes gilt fÅr die SCE; Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 Åber das Statut der Europischen Genossenschaft (SCE); ABl. EG Nr. L 49 v. 17.2.2007, 35. 4 EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C 278/10 – VALE, ZIP 2012, 1394; OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; vgl. zu diesem Problemkreis Bayer/ Schmidt, ZIP 2012, 1481 ff.; SchÇn, ZGR 2013, 333 ff. 5 Hierzu im berblick Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 17.100; Beinert/Scheifele in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, KÇln 2013, Rz. 8.245 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
besondere dann, wenn im Zuge der Hinausverschmelzung materielle oder immaterielle WirtschaftsgÅter nunmehr der Åbernehmenden auslndischen Kapitalgesellschaft zuzuordnen sind. Diese Flle sind in besonderer Weise strafrechtlich relevant, wenn aus dem Zuordnungswechsel keine steuerlichen Konsequenzen gezogen werden. Beispiel: Die in Deutschland ansssige A-GmbH unterhlt hier einen großen Produktionsbetrieb mit einer entsprechenden kaufmnnischen Einrichtung, die auch Beteiligungen an in- und auslndischen Tochtergesellschaften sowie Patente verwaltet. Die A-GmbH wird rÅckwirkend auf die franzÇsische X-SA verschmolzen. Die Eintragung der Verschmelzung erfolgt acht Monate nach dem Verschmelzungsstichtag in den entsprechenden Registern beider Staaten. Erst nach der Registereintragung wechseln die GeschftsfÅhrer der A-GmbH in die GeschftsfÅhrung der franzÇsischen X-SA Åber. Beide GeschftsfÅhrer haben zuvor den Antrag gestellt, die Åbergehenden WirtschaftsgÅter der A-GmbH mit dem Buchwert anzusetzen (vgl. § 11 Abs. 2 UmwStG). In der auf den steuerlichen bertragungsstichtag erstellten steuerlichen Schlussbilanz sind dementsprechend die Buchwerte angesetzt und in der KÇrperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklrung keine bertragungsgewinne ausgewiesen worden. Ebenso wurden seitens der Åbernehmenden X-SA in den folgenden Steuererklrungen keine Gewinnrealisierungen bezÅglich der Åbergegangenen materiellen und immateriellen WirtschaftsgÅter erklrt. Im Rahmen einer zu einem spteren Zeitpunkt bei der X-SA durchgefÅhrten AußenprÅfung wird festgestellt, dass es zu einer Gewinnrealisierung in den Beteiligungen und in den Patenten gekommen ist. Dementsprechend wird gegen die beiden GeschftsfÅhrer der frÅheren A-GmbH und jetzigen X-SA ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.104 Da sowohl die A-GmbH als Åbertragender als auch die X-SA als Åbernehmender Rechtstrger im EU-/EWR-Bereich ansssig sind, liegen die Eingangsvoraussetzungen fÅr die Anwendung der §§ 11 ff. UmwStG vor (§ 1 Abs. 1, 2 Nr. 1 UmwStG). Eine Steuerneutralitt auf Ebene der Åbertragenden A-GmbH hngt davon ab, ob verschmelzungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Verußerung der Åbertragenen WirtschaftsgÅter bei der Åbernehmenden X-SA nicht ausgeschlossen oder beschrnkt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Abzustellen ist hierbei auf den Verschmelzungsstichtag (§ 2 Abs. 1 UmwStG).1 Zu diesem zurÅckliegenden Zeitpunkt konnte ein verschmelzungsbedingter Zuordnungswechsel nicht gegeben sein, weil damals die A-GmbH tatschlich noch existent war. Ein Wechsel in der Zuordnung der materiellen und immateriellen WirtschaftsgÅter von der zurÅckbleibenden deutschen Produktionsbetriebssttte auf die X-SA als Stammhaus in Frankreich konnte daher frÅhestens mit dem Wechsel der beiden GeschftsfÅhrer der frÅheren A-GmbH zur X-SA erfolgen.2
15.105 Sollten die weiteren Ermittlungen erweisen, dass die Beteiligungen an inund auslndischen Tochtergesellschaften sowie die Patente nicht mehr im Inland, sondern im Rahmen der Geschftsleitung in der franzÇsischen 1 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 11.05 S. 3. 2 Schmitt in S/H/S6, § 11 UmwStG Rz. 116; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 02.15.
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B. IV. Internationale Umwandlungen
X-SA als Stammhaus verwaltet werden und somit diesem steuerlich zuzuordnen sind,1 sind jedenfalls aus Sicht der Finanzverwaltung die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG gegeben mit der Folge, dass in HÇhe der Differenz zwischen Buchwert und dem gemeinen Wert der Åbergangenen WirtschaftsgÅter ein fiktiver Verußerungsgewinn der Besteuerung zu unterwerfen ist. Dem steht allerdings die Rechtsprechung des BFH2 entgegen, wonach kÅnftige Gewinne aus der Verußerung der nunmehr dem auslndischen Stammhaus zuzuordnenden WirtschaftsgÅter abkommensrechtlich zwischen den Staaten nach Verursachungsbeitrgen aufzuteilen ist.3 Die Rechtsfrage kann hier im Ergebnis offenbleiben, weil aus Sicht der GeschftsfÅhrer diese steuerliche Entstrickungsregelung wegen Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten4 ohnehin nicht anwendbar ist.5 Die Unionsrechtswidrigkeit dieser auf Gewinnrealisierung gerichteten Entstrickungsnorm des § 12 Abs. 1 KStG ist nicht nur von Anbeginn an in der Literatur,6 sondern in vergleichbaren Fllen durch den EuGH bejaht,7 aber auch (spter) verneint8 worden. Hieraus folgt, dass beide GeschftsfÅhrer davon ausgehen durften, dass der Wechsel in der Zuordnung keine unmittelbar zur Steuerpflicht fÅhrende fiktive Verußerung auslÇst. Das bedeutet zugleich, dass jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist. Den GeschftsfÅhrern der X-SA oblag nicht die Verpflichtung, im Rahmen der von Ihnen abzugebenden Steuererklrungen den Zuordnungwechsel der betreffenden WirtschaftsgÅter als steuerlich erhebliche Tatsache zu offenbaren: Sie haben eine Rechtsansicht zugrunde gelegt, die in Orientierung an die BFH- und EuGH-Rechtsprechung zu dem Ergebnis kommt, dass entweder Åberhaupt keine Gewinnrealisierung oder die in § 12 Abs. 1 KStG verankerte Entstrickungsregelung mit den unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreihei-
1 Sog. Zentralfunktion des Stammhauses; vgl. BMF v. 25.1.2006, BStBl. I 2006, 26 Rz. 2.1.2; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 2.4 (BMF v. 25.8.2009, BStBl. I 2009, 889, Tz. 2.4; BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 [UmwStE] Rz 11.09); zu Einzelheiten Frotscher in GS KrÅger, 95 ff.; Breuninger in FS Schaumburg, 587 ff.; vgl. nunmehr § 1 Abs. 4, 5 AStG. 2 BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 404; BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, BFH/NV 2010, 346; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, IStR 2010, 106. 3 Hieran ndert auch nichts der bloß Beispiele aufzhlende § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG; vgl. Gosch, IWB 2012, 779 ff. (785); Schaumburg, ISR 2013, 197 ff. (200). 4 Hier Niederlassungsfreiheit Art. 49 AEUV. 5 Die Steuerstreckung Åber fÅnf Jahre gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4g EStG ist unzureichend. 6 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.28 m.w.N. 7 EuGH v. 29.11.2001 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus, IStR 2012, 27; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-38/10 – Kommission ./. Portugal, IStR 2012, 763; EuGH v. 25.4.2013 – Rs. C-64/11 – Kommission ./. Spanien, ISR 2013, 225; zuvor schon EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – De Lasteyrie du Saillant, DStR 2004, 551 und EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N – DStR 2006, 1691. 8 EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-164/12 – DMC, IStR 2014, 106.
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ten unvereinbar und deshalb nicht anwendbar ist.1 Dass die GeschftsfÅhrer den in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO aufgefÅhrten Dokumentationspflichten, wonach grenzÅberschreitende Innentransaktionen fÅr Stammhaus und Betriebssttte zu erstellen sind, nicht entsprochen haben, ist strafrechtlich ohne Belang. Eine Ordnungswidrigkeit ist ebenfalls nicht gegeben.
15.106 In der Praxis sind die Flle von besonderer Bedeutung, in denen Unternehmensteile – Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil – oder Kapitalanteile in eine auslndische Kapitalgesellschaft gegen Gewhrung von Gesellschaftsrechten eingebracht werden. Diese grenzÅberschreitenden Einbringungsvorgnge unterliegen dem Regelungsbereich des UmwStG, wenn die Åbernehmende auslndische Kapitalgesellschaft im EU-/EWRBereich ansssig ist (§ 1 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 5 UmwStG). Die Steuerneutralitt hngt davon ab, dass im Falle der Einbringung von Unternehmensanteilen deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung des eingebrachten BetriebsvermÇgens bei der Åbernehmenden Gesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG) und beim grenzÅberschreitenden Anteilstausch deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschrnkt ist (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG). Die Steuerneutralitt wird nur unter Vorbehalt gewhrt. Werden etwa die eingebrachten Kapitalanteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt durch die Åbernehmende auslndische Kapitalgesellschaft verußert oder wird ein entsprechender Ersatzrealisationstatbestand verwirklicht, wird hierdurch die rÅckwirkende Besteuerung des sog. Einbringungsgewinns II beim Einbringenden ausgelÇst (§ 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG). Zu den Ersatzrealisationstatbestnden zhlt auch der Wegzug der Åbernehmenden auslndischen Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat (§ 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG). Erlangt das zustndige deutsche Finanzamt von dem Wegzug der Åbernehmenden auslndischen Kapitalgesellschaft keine oder nur versptet Kenntnis, ergeben sich ggf. strafrechtliche Folgen fÅr die an dem grenzÅberschreitenden Anteilstausch beteiligten Personen. Beispiel: Der in Deutschland ansssige A hlt alle Anteile an der in der Schweiz domizilierenden A-AG. Er bringt seine Anteile an der A-AG in die in Luxemburg ansssige X-SA gegen Gewhrung neuer Gesellschaftsrechte ein. A ist Vorstand der X-SA. Die Einbringung der Anteile an der A-AG erfolgt antragsgemß zu Buchwerten. Demzufolge hat A keinen Einbringungs- bzw. Verußerungsgewinn hinsichtlich der Anteile an der inlndischen A-GmbH erklrt. A hat in der Folgezeit dem Finanzamt jhrlich mitgeteilt, dass die von ihm eingebrachten Kapitalanteile unverndert der X-SA zuzurechnen sind.2
1 Zur Reichweite der Erklrungspflicht i.S. von § 370 AO: BGH v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, NStZ 2000, 203; Harms, Stbg 2005, 12 ff. (14); Randt in FS Schaumburg, 2009, 1255 ff. m.w.N. 2 Vgl. § 22 Abs. 3 UmwStG.
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B. IV. Internationale Umwandlungen Im Zuge einer spteren AußenprÅfung wird festgestellt, dass die X-SA zwei Jahre nach der Einbringung der Anteile an der A-GmbH ihren Ort der Geschftsleitung in die Schweiz verlegt hat. Dementsprechend wird bei dem einbringenden A rÅckwirkend ein Einbringungsgewinn II angesetzt. Sogleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die Anteilseinbringung fllt in den Anwendungsbereich des UmwStG, weil die Åbernehmende X-SA eine EU-Kapitalgesellschaft ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 5 UmwStG). Dass die A-AG, deren Anteile eingebracht werden, in einem Drittstaat ansssig ist, spielt keine Rolle. Im Hinblick darauf, dass eine mehrheitsvermittelnde Beteiligung eingebracht wurde, es sich also um einen qualifizierten Anteilstausch handelt (§ 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG), waren auf Antrag des einbringenden A die erhaltenen Anteile an der X-SA mit dem Buchwert anzusetzen: Deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung der erhaltenen Anteile war abkommensrechtlich nicht ausgeschlossen oder beschrnkt (§ 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 UmwStG i.V.m. Art. 8 Abs. 1 DBA-Luxemburg). Ob die Åbernehmende X-SA in Luxemburg ihrerseits den Buchwert angesetzt hat, spielt keine Rolle.1
15.107
Durch die Verlegung des Orts der Geschftsleitung der X-SA in die Schweiz innerhalb des maßgeblichen Sieben-Jahres-Zeitraums entfallen im Nachhinein die Eingangsvoraussetzungen fÅr die Anwendung des UmwStG. Denn die Steuerneutralitt der Einbringung war nur deshalb mÇglich, weil die in Luxemburg gegrÅndete X-SA dort sowohl den Sitz als auch den Ort der Geschftsleitung hatte (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 5 UmwStG). Der Wegfall dieser Voraussetzung lÇst einen Einbringungsgewinn II aus, der zu einer Besteuerung bei dem einbringenden A fÅhrt (§ 22 Abs. 2 Satz 6 UmwStG).
15.108
In strafrechtlicher Hinsicht ist die Rechtslage wie folgt: Der Wegzug der X-SA in die Schweiz ist zwar ein rÅckwirkendes Ereignis, das bei A als Einbringendem zum Zeitpunkt der Einbringung einen steuerpflichtigen Einbringungsgewinn II2 auslÇst und demzufolge zu einer nderung des betreffenden Einkommensteuerbescheides fÅhrt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). A war aber nicht verpflichtet, dem fÅr ihn zustndigen Finanzamt Åber dieses rÅckwirkende Ereignis Mitteilung zu machen. Insbesondere war A nicht gehalten, seine seinerzeitige Einkommensteuererklrung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu berichtigen, weil die von ihm abgegebene Steuererklrung, die von der Steuerneutralitt des Einbringungsvorgangs ausging, zutreffend war. Sie ist auch nicht durch den Wegzug der X-SA unrichtig geworden. A war auch nicht gem. § 22 Abs. 3 UmwStG verpflichtet, das Finanzamt Åber den Wegzug der X-SA zu informieren. Denn § 22 Abs. 3 UmwStG verlangt von A nur eine Mitteilung darÅber, wem die von ihm eingebrachten Anteile zuzurechnen sind. Diesen Nach-
15.109
1 Keine doppelte BuchwertverknÅpfung; vgl. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE) Rz. 21.15 S. 3. 2 TeileinkÅnfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Buchst. c EStG).
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weis hat A erbracht. Ob der Ersatzrealisationstatbestand-Wegfall der Voraussetzungen i.S. von § 1 Abs. 4 UmwStG (hier: Wegzug) erfÅllt war oder nicht, obliegt allein der berwachung durch das Finanzamt.1 Eine Strafbarkeit des A scheidet somit aus. c) Auslndische Umwandlungen mit Inlandsbezug
15.110 Auslndische Umwandlungen, die nicht selten nach dem maßgeblichen auslndischen Steuerrecht steuerneutral mÇglich sind,2 wirken auch auf das inlndische Steuerrecht ein. Hiermit sind insbesondere diejenigen Flle angesprochen, in denen entweder im Zuge der auslndischen Umwandlung inlndisches BetriebsstttenvermÇgen Åbergeht oder an den auslndischen Rechtstrgern unbeschrnkt steuerpflichtige Personen beteiligt sind. Soweit die auslndischen Umwandlungen in EU-/EWR-Staaten vollzogen werden, fallen derartige Umwandlungen, soweit sie mit Umwandlungen nach dem UmwG vergleichbar sind, in den Anwendungsbereich des UmwStG (§ 1 Abs. 2, 4 UmwStG). Damit ist eine Steuerneutralitt auch im Inland mÇglich. Das gilt auch fÅr die in den §§ 20 ff. UmwStG geregelten Einbringungen, wobei Steuerneutralitt fÅr die Einbringung in Kapitalgesellschaften (§§ 22 ff. UmwStG) nur im EU-/EWRBereich (§ 1 Abs. 4 Satz 1 UmwStG) und fÅr die Einbringung in Personengesellschaften (§ 24 UmwStG) auch fÅr Drittstaaten in Betracht kommt (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG), ohne dass es in den vorgenannten Fllen auf eine Vergleichbarkeit mit einem Umwandlungsvorgang i.S. des UmwG ankommt (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 und 5 UmwStG). Schließlich ist fÅr die Verschmelzung auslndischer Kapitalgesellschaften in Drittstaaten3 auch die Anwendung von § 12 Abs. 2 KStG und von §§ 7 ff. AStG (Hinzurechnungsbesteuerung) mÇglich.
15.111 Strafrechtliche Probleme treten in diesem Zusammenhang dann auf, wenn fÅr den verschmelzungsbedingten bergang von WirtschaftsgÅtern inlndischer Betriebssttten eine Steuerneutralitt beansprucht wird, obwohl die Voraussetzungen hierfÅr tatschlich nicht gegeben sind.
15.112 Beispiel: Die X-AG in der Schweiz unterhlt in Deutschland eine Produktionsbetriebssttte, mit deren EinkÅnften die X-AG der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unterliegt. Aufgrund von in der Schweiz geltenden Umwandlungsvorschriften wird die X-AG auf die ebenfalls in der Schweiz ansssige Y-AG verschmolzen. In diesem Zusammenhang werden den ausschließlich in der Schweiz ansssigen Aktionren der A-AG aus GÅnden eines wertmßigen Spitzenausgleichs bare Zuzahlungen geleistet, die 10 v.H. des Gesamtnennbetrages der gewhrten Aktien an der Y-AG Åbersteigen.4 Der Vorstand Y der Y-SA behandelt den verschmelzungsbedingten ber-
1 Patt in D/P/M, § 22 UmwStG Rz. 51. 2 Vgl. die LnderÅbersicht bei W/M Anh. 3. 3 Dieser eingeschrnkte Anwendungsbereich ergibt sich aus § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KStG; hierzu Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 403. 4 Vgl. § 54 Abs. 4 UmwG.
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B. IV. Internationale Umwandlungen gang der WirtschaftsgÅter der inlndischen Betriebssttte als steuerneutral. In der betreffenden KÇrperschaftsteuererklrung verweist er diesbezÅglich auf die Vorschrift des § 12 Abs. 2 KStG. Im Rahmen einer spteren AußenprÅfung kommt die Finanzverwaltung zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 KStG nicht erfÅllt worden sind. Dementsprechend wird gegen den verantwortlichen Vorstand Y ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die an sich gem. § 12 Abs. 2 KStG mÇgliche Steuerneutralitt scheitert hier schon daran, dass die auslndische Verschmelzung nicht mit der in § 2 UmwG aufgefÅhrten (inlndischen) Verschmelzung vergleichbar ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KStG). Dies deshalb, weil hier die baren Zuzahlungen mehr als 10 v.H. des Gesamtnennbetrages der gewhrten Anteile betragen1 und im Hinblick auf den hiermit herbeigefÅhrten Spitzenausgleich eine als Verußerungsentgelt zu qualifizierende Gegenleistung gegeben ist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KStG).2 Dass verschmelzungsbedingt deutsches Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung der Åbertragenden WirtschaftsgÅter der Betriebssttte nicht beschrnkt wird (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KStG), spielt hierbei keine Rolle. Die Steuerneutralitt kann damit nicht auf § 12 Abs. 2 KStG gestÅtzt werden.
15.113
Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Sollten die Ermittlungen ergeben, dass dem Vorstand Y in Kenntnis des Gesetzeswortlautes des § 12 Abs. 2 KStG bewusst war, dass in Deutschland eine Steuerneutralitt bei einer gewhrten Gegenleistung nicht in Betracht kommt, wird auch der subjektive Tatbestand erfÅllt sein.
15.114
Auslndische Umwandlungen kÇnnen auch dann inlndische Steuerfolgen auslÇsen, wenn zwar verschmelzungsbedingt kein inlndisches BetriebsstttenvermÇgen Åbergeht, an dem Åbertragenden auslndischen Rechtstrger aber im Inland ansssige Anteilseigner beteiligt sind. Angesprochen ist hiermit insbesondere die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG).
15.115
Beispiel: Die deutsche A-GmbH hlt alle Anteile an der in Luxemburg ansssigen X-SA, die ihrerseits alle Anteile an der Y-SA und an der Z-SA hlt. Diese beiden Gesellschaften sind ebenfalls in Luxemburg ansssig. Aufgrund entsprechender BeschlÅsse wird die Y-SA auf die Z-SA verschmolzen, ohne dass in Luxemburg eine verschmelzungsbedingte Gewinnrealisierung erfolgt. Der GeschftsfÅhrer der deutschen A-GmbH, der Åber alle Vorgnge informiert ist, hat die Verschmelzung in den von der A-GmbH abzugebenden Feststellungs- oder Steuererklrungen nicht erfasst.
15.116
Im Rahmen einer spteren AußenprÅfung bei der A-GmbH gelangt die Verschmelzung der Y-SA auf die Z-SA zur Kenntnis der deutschen Finanzverwaltung. Diese geht davon aus, dass die Verschmelzung bei der A-GmbH eine Hinzurechnungsbesteuerung auslÇst. Dementsprechend wird gegen den GeschftsfÅhrer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
1 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwStE), Rz. 1.25. 2 Benecke/Staats in D/P/M, § 12 KStG Rz. 406.
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15.117 Eine Hinzurechnungsbesteuerung, fÅr deren Zweck die GeschftsfÅhrer der A-GmbH eine Feststellungserklrung abzugeben htte (§ 18 Abs. 3 AStG), greift in dem hier interessierenden Zusammenhang nur ein, wenn die X-SA aus der Verschmelzung der Y-SA auf die Z-SA niedrig besteuernde EinkÅnfte aus passivem Erwerb (ZwischeneinkÅnfte) erzielt hat (vgl. § 8 Abs. 1, 3 AStG). Das ist hier nicht der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG gegeben sind. Hiernach sind die im Rahmen der Verschmelzung anfallenden bertragungsgewinne als nicht der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegende aktive EinkÅnfte zu qualifizieren, wenn die Verschmelzung zu Buchwerten htte erfolgen kÇnnen, wenn sie sich im Inland vollzÇge und zudem feststeht, dass sie nicht auf sog. KapitalanlagegÅter1 entfallen. Die erste Voraussetzung ist hier gegeben, weil die Verschmelzung, wre sie im Inland (Deutschland) erfolgt, gem. § 11 Abs. 2 UmwStG steuerneutral mÇglich gewesen wre. Ob die zweite Voraussetzung erfÅllt ist, ist unklar. Wegen der Bezugnahme des § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG auf § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG geht die Finanzverwaltung in der Praxis davon aus, dass der Steuerpflichtige (hier die A-GmbH) nachzuweisen hat, dass die verschmelzungsbedingt Åbergegangenen WirtschaftsgÅter bei der Y-SA nicht der Erzielung von KapitalanlageeinkÅnften (§ 7 Abs. 6a AStG) dienten. Soweit also hier dieser Nachweis nicht erbracht wird, handelt es sich um EinkÅnfte aus passivem Erwerb, die bei der A-GmbH der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 1 AStG) unterliegen. Indessen stellt § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG, der insoweit auf die Regelungen des § 8 Abs. 1 Nr. 9 AStG verweist, ein derartiges Nachweiserfordernis nicht auf.2 Sollte daher trotz weiterer Sachverhaltsermittlungen nicht feststellbar sein, dass die Y-SA als Åbertragender Rechtstrger tatschlich schdliche KapitalanlagegÅter i.S. von § 7 Abs. 6a AStG erzielt hatte,3 geht der Nachteil aus dem Fehlen des Nachweises nicht zulasten der A-GmbH. Das gilt in strafrechtlicher Hinsicht auch fÅr den verantwortlichen GeschftsfÅhrer der A-GmbH, weil steuerliche Beweislast- und Vermutungsregelungen im Strafverfahren keine Anwendung finden.4
1 WirtschaftsgÅter, die den in § 7 Abs. 6a AStG bezeichneten Ttigkeiten dienen. 2 SchÇnfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 319.13. 3 Dieser Nachweis ist in der Praxis ohnehin meist nicht zu fÅhren; vgl. Lieber, FR 2002, 139 ff. (145). 4 Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56.
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften Literatur: Vgl. vor Rz. 13.187.
1. berblick Im Hinblick darauf, dass in- und auslndische Kapitalgesellschaften selbstndige Steuersubjekte1 sind, ist stets zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterebene zu trennen. Dieses Trennungsprinzip2 gilt auch fÅr international verbundene Kapitalgesellschaften, insbesondere fÅr international operierende Konzerne,3 sodass fÅr jede einzelne derart verbundene Kapitalgesellschaft die EinkÅnfte gesondert zu ermitteln sind. Dass insbesondere internationale Konzerne aus selbstndigen Steuersubjekten bestehen, ndert nichts an dem Umstand, dass sie wirtschaftlich eine Einheit darstellen kÇnnen. Aus diesem Grund sind Geschftsbeziehungen zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften durchweg nicht von zwischen fremden Dritten Åblichen Interessengegenstzen geprgt. Ist ein derartiges Drittfremdverhalten nicht gegeben und sind hierdurch die EinkÅnfte der an den Geschftsbeziehungen beteiligten mit miteinander verbundenen Kapitalgesellschaften beeinflusst worden, greifen besondere EinkÅnftekorrekturnormen ein. Zu diesen insbesondere fÅr Kapitalgesellschaften bedeutsamen besonderen EinkÅnftekorrekturnormen gehÇren vor allem § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte GewinnausschÅttung), § 8 Abs. 3 Stze 3–6 KStG (verdeckte Einlage) und § 1 AStG (Berichtigung von EinkÅnften).4 Diese vorgenannten (unilateralen) EinkÅnftekorrekturnormen unterliegen bei Anwendung von DBA den Schrankenwirkungen der abkommensrechtlichen (bilateralen) Korrekturklauseln (Art. 9 OECDMA).5
15.118
Whrend sich die Regelungen betreffend verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen gegenseitig ausschließen, gehen diese der EinkÅnftekorrektur gem. § 1 AStG stets vor,6 sodass bei Kapitalgesellschaften folgendes Konkurrenzverhltnis gilt: Verdeckte GewinnausschÅttungen
15.119
1 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Nr. 1 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG. 2 BFH v. 24.3.1987 – I B 117/86, BStBl. II 1987, 508; Hey in T/L21, § 11 Rz. 1. 3 Schaumburg in Schaumburg, Internationale Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften, 1 (1). 4 § 1 AStG gilt zwar fÅr alle Steuerpflichtigen, betroffen sind in der Besteuerungspraxis in erster Linie aber Kapitalgesellschaften; zu Einzelheiten Rz. 13.187 ff. 5 BFH v. 11.10.2012 –I R 75/11, IStR 2013, 54; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.87; Ditz in SchÇnfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 19 m.w.N. 6 „ . . . unbeschadet anderer Vorschriften . . .“ (§ 1 Abs. 1 AStG); so die h.M., z.B. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 76 ff.; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 13; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 31; teils i.S. einer Idealkonkurrenz,
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und verdeckte Einlagen1 haben im Grundsatz Vorrang vor der EinkÅnftekorrektur gem. § 1 AStG, diese ergnzt aber die vorgenannten Korrekturnormen, soweit Rechtswirkungen des § 1 AStG Åber die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG). Im Ergebnis wird somit eine MeistbegÅnstigung zugunsten der Finanzverwaltung dahin gehend normiert, dass grenzÅberschreitend fÅr alle EinkÅnftekorrekturnormen einheitlich der Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zur Anwendung kommt, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 1 AStG und der Åbrigen Korrekturnormen gleichermaßen erfÅllt sind.2 2. Pflichtenkreis
15.120 Da die FinanzbehÇrden aus GrÅnden des VÇlkerrechts nicht befugt sind, im Ausland Sachverhaltsaufklrung zu betreiben, begrÅndet § 90 Abs. 2 AO erweiterte Mitwirkungspflichten.3 Hiernach haben die Beteiligten grenzÅberschreitend auslndische Sachverhalte aufzuklren und die dafÅr erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Diese Beweismittelbeschaffungspflicht erstreckt sich allerdings nur auf tatschlich vorhandene Beweismittel, sodass hierdurch nicht die Pflicht begrÅndet wird, entsprechende Beweismittel zu erstellen.4 Eine diesbezÅgliche Pflichtenerweiterung enthlt allerdings § 90 Abs. 3 AO, wonach unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtige Personen, die grenzÅberschreitende Geschftsbeziehungen mit nahestehenden Personen (§ 1 Abs. 2 AStG) unterhalten, umfangreichen Dokumentationspflichten unterworfen sind (zu Einzelheiten Rz. 14.13 ff.). Diese Dokumentationspflichten sollen es der Finanzverwaltung ermÇglichen, die zwischen international verbundenen Unternehmen, insbesondere zwischen Kapitalgesellschaften, vereinbarten Verrechnungspreise zu prÅfen. Damit dienen die Dokumentationspflichten im Wesentlichen der steuerlichen AußenprÅfung, die in zunehmendem Maße auf die PrÅfung internationaler Verrechnungspreise gerichtet ist. Dem entspricht es, dass die Vorlage der zu erstellenden Verrechnungspreisdokumentation seitens der FinanzbehÇrde nur fÅr Zwecke der AußenprÅfung verlangt werden soll (§ 90 Abs. 3 Satz 6 AO; § 2
1 2
3
4
teils i.S. einer Subsidiaritt; im Ergebnis ebenso BMF v. 14.5.2005, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, 3, Rz. 1.1.2.; BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 5.3.3. Ebenso Entnahmen und Einlagen. Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 12; Schallmoser in H/H/R, § 8 KStG Rz. 78; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (547); Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.7. Die Unionsrechtskonformitt des § 90 Abs. 2 AO ist zu bejahen; EUGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe, EuGHE 1979, 649 Rz. 8; EuGH v. 15.5.1997/ Rs. C-250/95 – Futura/Singer, EuGHE 1997, I. 2471; Englisch, IStR 2009, 37 (41); Seer, EWS 2013, 257 (259 f.) m.w.N. auch zu Gegenansichten; zum Folgenden auch Rz. 14.4 ff. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 34; Schaumburg/Schaumburg in FS Streck, 369 (375).
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
Abs. 6 GAufzV). Die Vorlage hat innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO), wobei in begrÅndeten Einzelfllen die Frist auch mehrfach verlngert werden kann (§ 90 Abs. 3 Satz 10 AO). Die Frist bei außergewÇhnlichen Geschftsvorfllen betrgt gem. § 90 Abs. 3 Satz 9 AO 30 Tage. Soweit § 90 Abs. 3 Satz 1 AO Aufzeichnungen Åber den Inhalt der Geschftsbeziehungen zu auslndischen nahestehenden Personen verlangt, korrespondiert diese Pflicht zur Sachverhaltsdokumentation mit den in § 90 Abs. 2 AO verankerten Mitwirkungspflichten, die sich im Grundsatz nur auf Sachverhaltsaspekte beziehen (§ 1 Abs. 2 GAufzV). ber diese Sachverhaltsdokumentation hinaus verlangt § 90 Abs. 3 Satz 2 AO aber auch eine Angemessenheitsdokumentation, in deren Rahmen dem Steuerpflichtigen rechtliche Wertungen, insbesondere eine Subsumtion unter § 1 AStG abverlangt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV).
15.121
§ 1 Abs. 2 GAufzV verlangt fÅr Zwecke der Sachverhaltsdokumentation Aufzeichnungen Åber die Art, den Umfang und die Abwicklung sowie Åber die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Geschftsbeziehungen. Hierzu gehÇren allgemeine Informationen Åber Beteiligungsverhltnisse, Geschftsbetrieb und Organisationsaufbau, Åber Geschftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sowie eine Funktionsund Risikoanalyse (§ 4 Nr. 1–4 GAufzV).1 Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Funktions- und Risikoanalyse. In diesem Zusammenhang sind Informationen Åber die wesentlichen eingesetzten WirtschaftsgÅter, Åber die Vertragsbedingungen, Åber die gewhlte Geschftsstrategie sowie Åber die fÅr die Preisvereinbarung bedeutsamen Markt- und Wettbewerbsverhltnisse aufzuzeichnen und ggf. zu erlutern (§ 4 Nr. 3 Buchst. a GAufzV).2 DarÅber hinaus ist auch die gesamte WertschÇpfungskette zu beschreiben und der eigene WertschÇpfungsbeitrag des Steuerpflichtigen darzustellen (§ 4 Nr. 3 Buchst. b GAufzV).3
15.122
Die Angemessenheitsdokumentation4 beinhaltet insbesondere die Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhltnisse, die fÅr die Ttigkeiten des Steuerpflichtigen und die vereinbarten Bedingungen von Bedeutung
15.123
1 Zu Einzelheiten vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.11 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) sowie den berblick bei Cordes in Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.47 ff. 2 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.11.4 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) mit weitergehenden Konkretisierungen. 3 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.11.5 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 4 Diese ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Gesetz, entspricht aber klar dem in §§ 1 Abs. 3; 4 Nr. 4 GAufzV zum Ausdruck gekommenen Willen; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 42; Andresen, RIW 2003, 489 (491); Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2004, 157 (158 ff.); eine Pflicht dagegen verneinend Schnorberger, DB 2003, 1241 (1244); vgl. den berblick bei Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 8.114 ff.
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sind (§ 1 Abs. 3 Satz 1 GAufzV). FÅr die konkret gewhlte Verrechnungspreismethode1 sind betriebsexterne und -interne Fremdvergleichsdaten heranzuziehen, die sich auf Fremdpreise direkt oder aber auch auf Bruttomargen, Kostenaufschlge und Nettomargen beziehen kÇnnen.2 Im Kern handelt es sich um eine Verrechnungspreisanalyse, die vor allem die Darstellung der tatschlich angewandten Verrechnungspreismethode und die BegrÅndung der Geeignetheit der angewandten Methode umfasst (§ 4 Nr. 4 GAufzV).3 Die Aufzeichnungen mÅssen lediglich das ernsthafte BemÅhen des Steuerpflichtigen belegen, seine Geschftsbeziehungen zu nahestehenden Personen unter Beachtung des Fremdergleichsgrundsatzes zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV).4 3. Pflichtverletzungen
15.124 Wird die Verrechnungspreisdokumentation nach Anforderung durch die FinanzbehÇrde nicht vorgelegt oder ist die vorgelegte Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass die Dokumentation nicht zeitnah erstellt worden ist, wird gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO im Rahmen einer Schtzung widerlegbar vermutet, dass die im Inland erzielten steuerpflichtigen EinkÅnfte, zu deren Ermittlung die Dokumentation dient, hÇher als die erklrten EinkÅnfte sind. Es handelt sich hier um eine Beweisvermutung zulasten des Steuerpflichtigen, die unmittelbar auf die Rechtsfolge, nmlich hÇhere EinkÅnfte, abzielt.5 Voraussetzung ist, dass die Dokumentationspflichten verletzt worden sind, dass also entweder innerhalb der 60- oder 30-Tages-Frist Åberhaupt keine oder eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorgelegt wird oder dass außergewÇhnliche Geschftsvorflle (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO) nicht zeitnah dokumentiert worden sind. Maßstab dafÅr, ob die Dokumentation im Wesentlichen unverwertbar ist oder nicht, ist, ob ein sachverstndiger Dritter innerhalb angemessener Zeit feststellen und prÅfen kann, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat und inwieweit dabei der Fremdvergleichsgrundsatz beachtet wurde.6 Der Verwertbarkeitstest bezieht sich somit gleichermaßen auf die Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation. Im Ergebnis wird eine Verrechnungspreisdokumen1 Maßgebend ist also die Ist-Beziehung; vgl. Wassermeyer, DB 2003, 1535 (1538); Schreiber, Stbg 2003, 474 (484); Kaminski/Strunk, RIW 2003, 561 (562). 2 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.2 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 3 Andere (geeignete) Methoden sind daher nicht darzustellen; Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Sieker in GS Traszkalik, 2005, 142 ff.; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353 (356). 4 Vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.3 (VerwaltungsgrundstzeVerfahren); zum Grundsatz des ernsthaften BemÅhens Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 135; VÇgele/ Brem, IStR 2004, 48 ff. (49). 5 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 66; zu Einzelheiten Rz. 14.22 ff. 6 BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren) Rz. 3.4.19.
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tation nur dann unverwertbar sein, wenn ihr keine Aussagekraft mehr zukommt.1 Sofern wegen Verletzung der Dokumentationspflichten eine Schtzung im vorgenannten Sinne dem Grunde nach zulssig ist, bleibt dem Steuerpflichtigen gleichwohl die MÇglichkeit, im Nachhinein die in § 162 Abs. 3 Satz 1 AO verankerte, zu seinen Lasten gehende Beweisvermutung durch andere Beweismittel und/oder eine entsprechende Verrechnungspreisanalyse zu widerlegen.2 Davon abgesehen bleibt der FinanzbehÇrde eine entsprechende Schtzung zuungunsten des Steuerpflichtigen versagt, wenn sie selbst z.B. aufgrund anderweitiger Erkenntnisse zu dem Ergebnis kommt, dass die Verrechnungspreise angemessen sind.3 Der in § 88 AO verankerte Untersuchungsgrundsatz wird nmlich durch § 162 Abs. 3 Satz 1 AO nicht suspendiert, sodass die Schtzung nicht zu einer Strafschtzung werden darf.4 Ist indessen eine Schtzung geboten, ermchtigt § 162 Abs. 3 Satz 2 AO die FinanzbehÇrde in den Fllen, in denen sich angemessene Verrechnungspreise innerhalb bestimmter Bandbreiten bewegen, zu einer Schtzung an dem fÅr den Steuerpflichtigen ungÅnstigsten Ende der Bandbreite.5 Das gilt auch fÅr den Fall, dass eine auslndische, nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten bzw. Auskunftspflichten verletzt (§ 162 Abs. 3 Satz 3 AO).6
15.125
Werden die Dokumentationspflichten verletzt, kÇnnen Steuerzuschlge bei Nichtvorlage und verspteter Vorlage verwertbarer Dokumentationen festgesetzt werden (§ 162 Abs. 4 AO). Whrend bei Nichtvorlage ein Steuerzuschlag in HÇhe von mindestens 5.000 Euro, mindestens aber 5 % und hÇchstens 10 % der hinzu geschtzten EinkÅnfte fllig wird, ist bei verspteter Vorlage fÅr jeden vollen Tag der Sumnis 100 Euro maximal 1 Mio. Euro zu zahlen. Bei diesen Steuerzuschlgen handelt es sich nicht um Strafen im Rechtssinne, sondern um Beugemittel.7
15.126
1 Bruschke, DStZ 2006, 575 (576 f.); Seer, EWS 2013, 257 (262); Schaumburg/ Schaumburg in FS Streck, 2011, 369 ff. (381). 2 § 90 Abs. 3 AO enthlt keine Ausschlussfristen, sodass entsprechende Unterlagen noch im Termin zur mÅndlichen Verhandlung beim FG nachgereicht werden kÇnnen; Frotscher in Schwarz, § 162 AO Rz. 30; Lindenthal, Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und Folgen ihrer Verletzung, 2006, 106; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 213 f. 3 Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 134 f. 4 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 68. 5 Der BFH hatte noch eine Schtzung an dem fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigsten Ende der Bandbreite vorgeschrieben, vgl. BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 6 Derartige Personen haben indessen keine originren Mitwirkungspflichten, sodass § 162 Abs. 3 Satz 3 AO insoweit leerlufig ist; hierzu Seer in T/K, § 162 AO Rz. 71a; Seer, IWB 2012, 350 ff. (356); Auskunftsersuchen sind aber zulssig; vgl. Seer in T/K, § 162 AO Rz. 71a. 7 Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72.
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15.127 In den Fllen, in denen bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zu nicht kooperativen Jurisdiktionen (Steueroasen) die Dokumentationen gem. § 90 Abs. 3 AO nicht zeitnah erstellt und vorgelegt worden sind (§ 1 Abs. 2 SteuerHBekV), werden die Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1, 2 KStG sowie die Schachtelfreistellungen nach den DBA versagt (§ 4 SteuerHBekV). Schließlich ergibt sich als zustzliche Rechtsfolge weiterhin, dass eine vÇllige oder teilweise Entlastung vom Steuerabzug gem. § 50d Abs. 1, 2 oder § 44 Abs. 9 EStG außer Betracht bleibt, wenn die auslndische Gesellschaft den Namen und die Ansssigkeit der natÅrlichen Personen, die zu mehr als 10 % an ihr beteiligt sind, nicht benennt (§ 2 SteuerHBekV).1
15.128 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht gilt Folgendes: 15.129 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige in seiner Steuererklrung aufgrund nicht fremdÅblicher Verrechnungspreise ermittelte EinkÅnfte erklrt und hierdurch Steuern verkÅrzt werden.2 Die SteuerverkÅrzung ist hierbei grundstzlich durch Vergleich der auf Grundlage der unrichtigen Angaben festgesetzten IstSteuer und der zutreffenden festzusetzenden Soll-Steuer zu ermitteln.3 Dieser Ist-Soll-Vergleich setzt im Ergebnis voraus, dass nach voller berzeugung des Strafrichters die der Besteuerung zugrunde gelegten Verrechnungspreise tatschlich nicht fremdÅblich (unangemessen) sind und somit zu einer verdeckten GewinnausschÅttung, verdeckten Einlage oder einer EinkÅnftekorrektur gem. § 1 AStG fÅhren. Im Hinblick darauf hat also die bloße Verletzung von Dokumentationspflichten fÅr sich keine strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Bedeutung.4 Wird etwa eine Verrechnungspreisdokumentation nicht vorgelegt, wird zwar hierdurch eine zulasten des Steuerpflichtigen wirkende (widerlegbare) Beweisvermutung dahin gehend ausgelÇst, dass die im Inland steuerpflichtigen EinkÅnfte hÇher als die erklrten EinkÅnfte sind (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO), diese Beweisvermutung ist aber fÅr den maßgeblichen Ist-Soll-Vergleich und damit strafrechtlich ohne Bedeutung.5 Da es den (einzigen) 1 Mangels BÇrsenklausel wird die Benennung nicht selten an tatschlicher UnmÇglichkeit scheitern; hierzu Huselmann, Ubg 2009, 704 (706).; im brigen sind die Regelungen der SteuerHBekV derzeit ohnehin obsolet; vgl Rz. 14.12. 2 Insoweit werden gegenÅber dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht; vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 123; Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1595; Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 ff. (507); Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (251). 3 BGH v. 30.7.1985 – 1 StR 286/85, wistra 1986, 23; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94. 4 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.36; Weigell, IStR 2005, 162; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (250). 5 Vgl. Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56; Wulf in Grotherr, Hdb. der internationalen Steuerplanung3, 2080; a.A. Klein, Die Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislasten im Steuerrecht und im Strafrecht 1989, 82 f.
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richtigen Verrechnungspreis nicht gibt,1 ist in strafrechtlicher Hinsicht ein Verrechnungspreis nur dann unangemessen, wenn er bei Anwendung des tatschlichen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Stze 1 und 2 AStG) außerhalb feststellbarer Bandbreiten und bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG) außerhalb des maßgeblichen Einigungsbereichs liegen (zu Einzelheiten Rz. 13.207 ff.). Der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung2 setzt Vorsatz voraus,3 der in der Praxis nur dann (ausnahmsweise) nachweisbar sein wird, wenn etwa der Steuerpflichtige bewusst Verrechnungspreise außerhalb der Bandbreite festlegt.4 Soweit in diesem Zusammenhang eine Dokumentation vorgelegt wird, aufgrund derer die berlegungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in vertretbarer Weise dargelegt werden, wird der erforderliche Vorsatz in aller Regel nicht nachweisbar sein.5 Wer dagegen ohne RÅcksicht auf die Vorgaben des § 1 Abs. 3 AStG den Verrechnungspreis festlegt, der sodann „zufllig“ innerhalb der maßgeblichen Bandbreiten liegt, wird sich ggf. einer versuchten Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht haben.6 a) Verdeckte GewinnausschÅttung Bei verdeckten GewinnausschÅttungen,7 die bei der leistenden Kapitalgesellschaft das Einkommen nicht mindern dÅrfen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), handelt es sich um VermÇgensvorteile, die eine Kapitalgesellschaft ihren unbeschrnkt oder beschrnkt steuerpflichtigen Gesellschaftern außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zuwendet, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter sie einem Nichtgesellschafter unter sonst gleichen Umstnden nicht zugewendet htte.8 Oder anders: Eine verdeckte GewinnausschÅttung ist eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung),9 die durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, sich auf die HÇhe des Einkommens (genauer: Unter1 Vgl. Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 ff. (498 f., 508). 2 Hierzu Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.23. 3 Randt, Der Steuerfahnungsfall, C 694; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (255); vgl. auch Rz. 10.123 ff. 4 Vgl. Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 ff. (512). 5 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.33; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (255). 6 Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (255 f.); dort auch mit Hinweisen zur Frage, wann bei nicht fremdÅblichen Verrechnungspreisen der Vorwurf der Leichtfertigkeit i.S. des § 378 AO in Betracht kommt. 7 Zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.82 ff.; ferner Rz. 13.191 ff. 8 So die alte Formel des BFH; z.B. BFH v. 24.9.1980 – I R 88/77, BStBl. II 1981, 108. 9 Nach BerÅcksichtigung eines Vorteilsausgleichs; BFH v. 22.4.1964 – I 62/61 U, BStBl. III 1964, 370; BFH v. 4.5.1965 – I 130/62 U, BStBl. III 1965, 598; BFH v. 21.12.1972 – I R 70/70, BStBl. II 1973, 449; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; BFH v. 20.8.1986 – I R 87/83, BStBl. II 1987, 75; BFH v. 7.12.1988 – I R
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schiedsbetrag gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG1) auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen AusschÅttung steht.2 Ob die Kapitalgesellschaft eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung) erlitten hat, lsst sich in Orientierung am Fremdvergleich3 erst nach einer vergleichenden Bewertung von Vor- und Nachteilen eines oder mehrerer Geschfte feststellen, die zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem Gesellschafter und/oder diesem nahestehenden Personen abgewickelt worden sind. Soweit es sich um ein einheitliches Geschft, etwa um einen gegenseitigen Vertrag handelt, ist ein Ausgleich von Vor- und Nachteilen ohne Weiteres geboten.4 Ist hiernach eine VermÇgensminderung (verhinderte VermÇgensmehrung) nicht feststellbar, kommt es auf die weitere Frage der Urschlichkeit des Gesellschaftsverhltnisses nicht mehr an.5 Liegt dagegen ein vom Fremdvergleich abweichendes Verhalten vor, wird hierdurch die Veranlassung im Gesellschaftsverhltnis indiziert.6
15.131 Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhltnis ist bei einem beherrschenden Gesellschafter auch dann anzunehmen, wenn es an einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung fehlt, ob und in welcher HÇhe ein Entgelt von der Kapitalgesellschaft gezahlt werden soll.7 Damit
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25/82, BStBl. II 1989, 248; zu weiteren Einzelheiten Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 100. BFH v. 5.6.2002 – I R 69/01, BStBl. II 2003, 329; hierzu Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 165; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 247. So die neue Formel des BFH seit 1989; vgl. BFH v. 22.2.1989 – I R 44/85, BStBl. II 1989, 475; BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631; BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BStBl. II 1989, 633; BFH v. 12.4.1989 – I R 142/85, I R 143/85, BStBl. II 1989, 636; BFH v. 28.6.1989 – I R 89/85, BStBl. II 1989, 854; seitdem stndige Rechtsprechung allerdings mit folgender Ergnzung: Die VermÇgensminderung (verminderte VermÇgensmehrung) muss die Eignung haben, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG) auszulÇsen; BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 13; BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190. Abzustellen ist also auf Fremdvergleichspreise; vgl. BFH v. 23.2.2005 – I R 70/04 BStBl. II 2005, 882; BFH v. 23.1.2008 – I R 8/06, BFH/NV 2008, 1057, Wassermeyer, IStR 2001, 633; nach Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 383 ist der gemeine Wert maßgeblich. BFH v. 16.11.1965 – I 302/61 S, BFHE 84, 268; BFH v. 8.6.1977 – I R 95/75, BStBl. II 1977, 704; Wilk in H/H/R, § 8 KStG Rz. 115; Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 261. BFH v. 23.6.1981 – VIII R 102/80, BStBl. II 1982, 245; DÇllerer, Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 115 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.84; Lang, FR 1984, 629 (630). BFH v. 19.3.1997 – I R 75/96, BStBl. II 1997, 577; Wassermeyer in FS Offerhaus, 405. Es handelt sich insoweit nur um Indizwirkungen; vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; fÅr verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005; vgl. auch Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 320; Lang in D/P/M, § 8 KStG Abs. 3 Teil C Rz. 203.
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wird auch diese Form der verdeckten GewinnausschÅttung als durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst angesehen.1 Da die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln (Art. 9 OECD-MA) auf diesen formalen Aspekt indessen nicht abstellen,2 entfalten diese insoweit eine Schrankenwirkung gegenÅber der EinkÅnftekorrektur gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG3 mit der Folge, dass von vornherein der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.4 Davon abgesehen ist auch ohne Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen eine verdeckte GewinnausschÅttung bloß wegen Nichteinhaltung formaler Anforderungen strafrechtlich ohne Bedeutung.5 Ist daher in diesen Fllen ein dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender angemessener Preis bei der EinkÅnfteermittlung zugrunde gelegt worden, ist unabhngig davon, wie der Preis zustande gekommen ist, der Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verneinen.6 Beispiel: Die in den Niederlanden ansssige in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft (B.V.) gefÅhrte Speditionsgesellschaft (X-B.V.) hlt alle Anteile an der deutschen A-GmbH, die ihrerseits ebenfalls Speditionsgeschfte ausfÅhrt. Aufgrund in der Vergangenheit getroffener mÅndlicher Vereinbarungen zahlt die A-GmbH am Jahresende fÅr bestimmte seitens der X-B.V. in der Vergangenheit erbrachte und nunmehr zum Jahresende in Rechnung gestellte Dienstleistungen ein Entgelt. Das Entgelt wurde als Betriebsausgabe behandelt. Im Rahmen der AußenprÅfung wird der Betriebsausgabenabzug bei der A-GmbH mangels im Vorhinein getroffener klarer und eindeutiger Vereinbarungen versagt und dementsprechend als verdeckte GewinnausschÅttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) behandelt. Zugleich wird gegen den verantwortlichen GeschftsfÅhrer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Die stndige Rechtsprechung geht zwar von einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhltnis und damit von einer verdeckten GewinnausschÅttung aus, wenn die Kapitalgesellschaft mit dem beherrschenden Gesellschafter keine im Vorhinein getroffene klare und eindeutige Vereinbarung darÅber getroffen hat, ob und in welcher HÇhe ein Entgelt fÅr eine 1 BFH v. 29.7.1992 – I R 18/91, BStBl. II 1993, 139; BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, BStBl. II 1996, 246; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545. 2 Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und Åbrigen Gesellschaftern, und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhltnis anzunehmen sei; hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.293; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353 ff. 3 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, IStR 2013, 54; Ditz in SchÇnfeld/Ditz, Art. 9 OECD-MA Rz. 19 m.w.N., Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.87. 4 Madauß, NZWiSt 2013, 207 ff. (209). 5 Bornheim, Steuerstrafverteidigung, 2. Aufl. 2010, 336 f.; a.A. Madauß, NZWiSt 2013, 207 ff. (209). 6 Zu Einzelheiten Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 210a; ggf. kommt aber eine versuchte Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, 2 AO, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht; vgl. Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff (255).
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
gegenÅber der Kapitalgesellschaft zu erbringende Leistung gezahlt werden soll (Rz. 13.193), es handelt sich aber weder um ein Tatbestandsmerkmal der verdeckten GewinnausschÅttung i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG noch um eine dort geregelte unwiderlegbare Vermutung. Es geht hierbei lediglich um Indizwirkungen,1 die abkommensrechtlich ohne Bedeutung sind, weil die entsprechenden Gewinnkorrekturklauseln (hier Art. 6 Abs. 1 DBA-NL) auf diesen formalen Aspekt nicht abstellen.2 Hiernach kommt es allein darauf an, ob das an die X-B.V. gezahlte Entgelt i.S. eines Drittfremdverhaltens (dealing at arm‘s length) angemessen war oder nicht. Sollte dies der Fall sein, verbietet sich wegen der von Art. 6 Abs. 1 DBA-NL ausgehenden Schrankenwirkung eine EinkÅnftekorrektur mit der Folge, dass es insoweit bei dem geltend gemachten Betriebsausgabenabzug verbleibt. Dementsprechend ist von vornherein auch der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die abkommensrechtlichen Gewinnkorrekturklauseln keine Sperrwirkung entfalten,3 ist die Rechtslage in strafrechtlicher Hinsicht nicht anders: Da hier das Entgelt fÅr eine tatschlich erbrachte Leistung bezahlt worden ist, bedarf es der Feststellung, dass das Entgelt unangemessen hoch war,4 anderenfalls ist das Ermittlungsverfahren einzustellen.
15.133 GrenzÅberschreitend wirkende, verdeckte GewinnausschÅttungen kommen in der Praxis nicht nur im Verhltnis zwischen Tochter- und Muttergesellschaft vor, sondern auch in Fllen von (grenzÅberschreitenden) VermÇgensverschiebungen zwischen Schwestergesellschaften. Bei einem derartigen Dreiecksverhltnis wird eine verdeckte GewinnausschÅttung der einen Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft und von dort eine verdeckte Einlage in die andere Schwestergesellschaft angenommen, soweit es sich um einlagefhige WirtschaftsgÅter handelt.5 Sind Gegenstand der 1 Vgl. BFH v. 11.2.1997 – I R 43/96, BFH/NV 1997, 806; BFH v. 17.12.1997 – I R 70/97, BStBl. II 1998, 545; BFH v. 28.6.2002 – IX R 68/99, BStBl. II 2002, 699; fÅr verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten von BFH v. 27.7.2009 – I B 45/09, BFH/NV 2009, 2005. 2 Sie differenzieren nicht zwischen beherrschenden und Åbrigen Gesellschaftern, und sie unterstellen auch nicht, dass mangels einer klaren und von vornherein getroffenen Vereinbarung eine Veranlassung im Gesellschaftsverhltnis anzunehmen sei; vgl. hierzu BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, IStR 2013, 54; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.87. 3 So die Ansicht der Finanzverwaltung; vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren), Rz. 6.1.1: „Art. 9 OECD-MA behandeltet nur Flle unangemessen abgerechneter Leistungsbeziehungen auf schuldrechtlicher Basis. Leistungen an den beherrschenden Gesellschafter ohne vorherige, klare und eindeutige Vereinbarung werden dagegen von Art. 9 OECD-MA nicht erfasst“. 4 Vgl. BGH v. 3.3.1993 – 5 StR 546/92, wistra 1993, 185; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 210a; Schwedhelm, StraFo 1999, 362. 5 BFH v. 23.10.1968 – I 228/65, BStBl. II 1969, 243; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 11.6.1975 – II R 131/66, BStBl. II 1975, 831; BFH v. 6.4.1977 – I R 183/75, BStBl. II 1977, 571; BFH v. 18.7.1985 – IV R 135/82,
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
verdeckten GewinnausschÅttung zwischen Schwestergesellschaften dagegen nicht aktivierungsfhige WirtschaftsgÅter, etwa Nutzungen und Leistungen, so ist zwar eine verdeckte GewinnausschÅttung der einen Schwestergesellschaft zugunsten der Muttergesellschaft gegeben, die Weitergabe des Nutzungs- oder Leistungsvorteils an die andere Schwestergesellschaft fÅhrt aber nicht zu einer verdeckten Einlage.1 Die Weiterleitung dieses Vorteils ohne Anschaffungskosten fÅhrt vielmehr zu einem sog. Vorteilsverbrauch, der im Ergebnis wie eine Betriebsausgabe zu behandeln ist mit der Folge, dass sich auf diese Weise Ertrag und Aufwand in gleicher HÇhe gegenÅberstehen,2 es bei der Muttergesellschaft grundstzlich also zu einer steuerlich wertgleichen Kompensation kommt. Diese Kompensation wirkt auch in strafrechtlicher Hinsicht, weil Ertrag und Aufwand in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang miteinander verknÅpft sind.3 b) Verdeckte Einlage Eine verdeckte Einlage4, die das Einkommen der empfangenden KÇrperschaft grundstzlich nicht erhÇht (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG), liegt dann vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Einlagen VermÇgensgegenstnde zuwendet und diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhltnis hat.5 Ob die Zuwendung durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, beurteilt sich aufgrund des Fremdvergleichs, also danach, ob ein Nicht-Gesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmans, den VermÇgensvorteil der Gesellschaft nicht gewhrt htte.6
1 2
3 4 5
6
BStBl. II 1985, 635; BFH v. 23.10.1985 – I R 248/81, BStBl. II 1986, 178; BFH v. 20.8.1986 – I R 150/82, BStBl. II 1987, 455; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; vgl. auch Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhltnisse“; Schallmoser/Eisgruber/Janetzko in H/H/R, § 8 KStG Rz. 315; Frotscher in Frotscher/Maas, Anh. zu § 8 KStG Rz. 302, Stichwort „Schwestergesellschaft; Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil C Rz. 830. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508. Zu dieser „Ertrag/AufwandslÇsung“ Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 131, Stichwort „Dreiecksverhltnisse“; DÇllerer, Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 159 ff.; zu Einzelheiten Rz. 10.118 ff. Zum Kompensationsverbot Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 64 ff.; vgl. auch Rz. 13.197 ff. Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.95 ff. BFH v. 19.2.1970 – I R 24/67, BStBl. II 1970, 442; BFH v. 9.3.1983 – I R 182/78, BStBl. II 1983, 744; BFH v. 16.4.1991 – VIII R 100/87, BStBl. II 1992, 234; zu Einzelheiten Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 332 ff.; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 105. BFH v. 21.9.1989 – IV R 115/88, BStBl. II 1990, 86; BFH v. 15.10.1997 – I R 80/96, BFH/NV 1998, 624; Weber-Grellet, DB 1998, 1532 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
15.135 Als Einlagen sind nur WirtschaftsgÅter geeignet, die das VermÇgen der Kapitalgesellschaft vermehren, sei es durch den Ansatz oder die ErhÇhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens.1 Die Bewertung erfolgt hierbei mit dem Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG).2 Dagegen fÅhrt die berlassung von WirtschaftsgÅtern oder von Kapital zur Nutzung ohne Entgelt oder gegen ein unangemessen niedriges Entgelt zu keiner unmittelbaren VermÇgensmehrung.3 Die VermÇgensmehrung ist nmlich nicht die NutzungsÅberlassung selbst, sondern allenfalls die Folge der Nutzung, wenn also die Kapitalgesellschaft durch Nutzung der Åberlassenen WirtschaftsgÅter oder des Åberlassenen Kapitals Ertrge erzielt.4 NutzungsÅberlassungen, und zwar auch solche Åber die Grenze, kÇnnen damit nicht Gegenstand einer verdeckten Einlage sein.5 Daher sind nur aktivierungsfhige WirtschaftsgÅter einlagefhig.6 Zu diesen aktivierungsfhigen WirtschaftsgÅtern gehÇren im Grundsatz auch immaterielle WirtschaftsgÅter, die im Betrieb selbst geschaffen worden sind.
15.136 Die Rechtsfolgen der verdeckten Einlage bestehen auf Gesellschaftsebene darin, dass die durch den Ansatz oder die ErhÇhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens eingetretene VermÇgensmehrung bei der Ermittlung des steuerlichen Gewinns im Rahmen der zweistufigen Gewinnermittlung7 auf der zweiten Stufe außerbilanziell wieder abgezogen wird (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG).8 Stattdes1 BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 2 BFH v. 11.2.1998 – I R 89/97, BStBl. II 1998, 691; Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 335. 3 BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240; vgl. auch den Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 7 EStG, wo im Klammerzusatz im Unterschied zum Klammerzusatz in § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG der Hinweis auf Nutzungen fehlt. 4 DÇllerer, Verdeckte GewinnausschÅttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften2, 177. 5 So die stndige Rspr.: BFH v. 8.11.1960 – I 131/59 S, BStBl. III 1960, 513; BFH v. 9.3.1962 – I 203/61 S, BStBl. III 1962, 338; BFH v. 3.2.1971 – I R 51/66, BStBl. II 1971, 408; BFH v. 16.11.1977 – I R 83/75, BStBl. II 1978, 386; BFH v. 22.1.1980 – VIII R 74/77, BStBl. II 1980, 244; BFH v. 28.1.1981 – I R 10/77, BStBl. II 1981, 612; BFH v. 19.5.1982 – I R 102/79, BStBl. II 1982, 631; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 37/79, BFHE 140, 63; BFH v. 22.11.1983 – VIII R 133/82, BFHE 140, 69; BFH v. 24.5.1984 – I R 166/78, BStBl. II 1984, 747; BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348; BFH v. 20.9.1990 – IV R 300/84, BStBl. II 1991, 82; BFH v. 25.10.1994 – VIII R 65/91, BStBl. II 1995, 312; BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, BFH/NV 2002, 240. 6 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 7 Zur zweistufigen Gewinnermittlung BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BStBl. II 2002, 366; BMF v. 28.5.2002, BStBl. I 2002, 603 Rz. 2 f.; Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 2.5; Wassermeyer, GmbHR 2002, 1 ff. 8 Bewertung der verdeckten Einlage zum Teilwert; vgl. hierzu Balmes in H/H/R, § 8 KStG Rz. 22; Wochinger in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil B Rz. 61.
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
sen wird einlagebedingt das steuerliche Einlagekonto (§ 27 KStG) erhÇht.1 Diese steuerliche Behandlung gilt auch fÅr grenzÅberschreitende verdeckte Einlagen in eine inlndische Kapitalgesellschaft. Die außerbilanzielle Hinzurechnung der verdeckten Einlage auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe fÅhrt im Ergebnis bei der empfangenen Kapitalgesellschaft zu einer Steuerneutralitt. Dies gilt allerdings nicht, soweit die verdeckte Einlage beim leistenden Gesellschafter zu einer Minderung dessen Einkommens2 gefÅhrt hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Mit dieser materiellen Korrespondenz sind insbesondere Flle angesprochen, in denen die verdeckte Einlage auf Gesellschafterebene zum Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug gefÅhrt hat.3 Worauf dieser Umstand beruht, spielt keine Rolle.4 Das vorstehende Korrespondenzprinzip gilt auch grenzÅberschreitend,5 wodurch allerdings insbesondere mit dem Abkommensrecht nicht zu vereinbarende kompensatorische Steuereffekte sowie Doppelbesteuerungen ausgelÇst werden kÇnnen.6 Diese Verwerfungen beruhen im Wesentlichen darauf, dass auf die Bemessungsgrundlage deutschen Rechts abgestellt, das Trennungsprinzip durchbrochen und Abkommensrecht unterlaufen wird.7 Zudem ergeben sich Konsequenzen in steuerstrafrechtlicher Hinsicht, wenn die grenzÅberschreitende verdeckte Einlage bei der empfangenden inlndischen Kapitalgesellschaft steuerneutral behandelt wird, obwohl der auslndische Gesellschafter, etwa die auslndische Muttergesellschaft, den gewhrten Vorteil steuerlich mindernd bzw. nicht steuerlich erhÇhend behandelt hat. Beispiel: Die in Belgien unbeschrnkt steuerpflichtige X-S.A. (entspricht einer AG) hlt alle Anteile an der deutschen A-GmbH. Die X-S.A. verußert der A-GmbH verschiedene WirtschaftsgÅter ihres AnlagevermÇgens zu einem Preis von insgesamt 1 Mio. Euro, was dem Buchwert, nicht aber dem am Markt erzielbaren Drittfremdpreis (1,5 Mio. Euro) entspricht. Noch im selben Jahr werden die erworbenen WirtschaftsgÅter fÅr insgesamt 1,5 Mio. Euro verußert, wobei GeschftsfÅhrer A entsprechend § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG den erzielten Gewinn außerbilanziell um 500.000 Euro kÅrzt. Im Rahmen der spteren AußenprÅfung wird festgestellt, dass die belgische X-S.A. die gelieferten WirtschaftsgÅter mit dem vereinbarten Preis von 1 Mio. 1 Heger in Gosch2, KStG, § 27 Rz. 12; DÇtsch in D/P/M, § 27 KStG Rz. 35. 2 Der Minderung des Einkommens steht die verhinderte VermÇgensmehrung gleich (BR-Drucks. 622/06, 119; BT-Drucks. 16/2712, 70); ebenso Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG Teil B Rz. 153; Rengers in BlÅmich, § 8 KStG Rz. 186; DÇtsch/Pung, DB 2007, 11 (14); a.A. Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 341; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 124; Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff.; DÇrfler/Heurung/Adrian, DStR 2007, 515 (518); Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1321). 3 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 341; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 123. 4 Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1322). 5 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 345; Grotherr, RIW 2006, 898 (902); zur Verfassungsmßigkeit derartiger grenzÅberschreitender Korrespondenzklauseln Schaumburg in FS Frotscher, 503 (514 ff.). 6 Hierzu Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 (1649); DÇrfler/Adrian, Ubg 2008, 373 (377 ff.); Kempf in StbJb 2008/2009, 147 (150 ff.), jeweils mit Praxisfllen. 7 DÇrfler/Adrian, Ubg 2008, 373 (378).
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15.137
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Euro steuerlich erfasst hat. Im Hinblick darauf stellt sich die Finanzverwaltung unter Hinweis auf § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG auf den Standpunkt, dass das Einkommen der A-GmbH fÅr steuerliche Zwecke um 500.000 Euro zu erhÇhen sei. Demgemß wird gegen den GeschftsfÅhrer A ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.138 In Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG wird das Einkommen der A-GmbH nur dann erhÇht, wenn die „verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat“. Dieses Korrespondenzprinzip gilt zwar auch grenzÅberschreitend,1 nach dem Wortlaut der Vorschrift aber nur dann, wenn die verdeckte Einlage bei der X-S.A. zu einer Minderung des Einkommens, also zu einem Betriebsausgabenabzug gefÅhrt hat. Der Minderung des Einkommens steht zwar nach allgemeinen Grundstzen die verhinderte VermÇgensmehrung gleich,2 diese Gleichstellung lsst sich aber nicht unmittelbar dem Gesetzestext entnehmen. Selbst wenn der mÇgliche Wortsinn des § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG das Ergebnis – Einbeziehung verhinderter VermÇgensmehrung – noch deckt, darf diese weitgehende Auslegung nicht zulasten des GeschftsfÅhrers A gehen: Er durfte in Orientierung an den Gesetzeswortlaut und an der in der Literatur entsprechend vertretenen Ansicht davon ausgehen, dass das materielle Korrespondenzprinzip nicht fÅr den Fall der verhinderten VermÇgensmehrung gilt. Im Ergebnis wird jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht zu bejahen sein. c) Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG)
15.139 Bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen, insbesondere verbundenen Kapitalgesellschaften, sieht § 1 AStG eine EinkÅnfteberichtigung vor, sofern die EinkÅnfte dadurch gemindert werden, dass Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde gelegt worden sind, die von denen abweichen, die voneinander unabhngige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhltnissen vereinbart htten (Fremdvergleichsgrundsatz).3 In diesem Fall sind die EinkÅnfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhngigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wren.
15.140 Die Regelung des § 1 AStG stellt zwar eine Beschrnkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar, sie ist jedoch im Hinblick auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und zwecks Vermeidung von Steuerumgehungen durch sog. 1 Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 345; Grotherr, RIW 2006, 898 (902). 2 Vgl. BR-Drucks. 622/06, 119; BT-Drucks. 16/2712, 70; ebenso Lang in D/P/M, § 8 Abs. 3 KStG, Teil B Rz. 153; Rengers in BlÅmich, § 8 KStG Rz. 186; DÇtsch/ Pung, DB 2007, 11 (14); a.A. Watermeyer in H/H/R, § 8 KStG Rz. 341; Roser in Gosch2, § 8 KStG Rz. 124; Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff.; DÇrfler/Heurung/Adrian, DStR 2007, 515 (518); Strnad, GmbHR 2006, 1321 (1321). 3 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.104 ff.; ferner Rz. 13.201 ff.
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
kÅnstliche Gestaltungen gerechtfertigt.1 Maßstab dafÅr, ob eine kÅnstliche Gestaltung vorliegt, ist der Fremdvergleichsgrundsatz. Aus GrÅnden der Verhltnismßigkeit ist dem Steuerpflichtigen die MÇglichkeit einzurumen, den Gegenbeweis zu erbringen und hierbei wirtschaftliche GrÅnde fÅr die gewhlte Gestaltung nachzuweisen.2 Maßstab fÅr die EinkÅnfteberichtigung sind Bedingungen fÅr Geschftsbeziehungen, die voneinander unabhngige Dritte unter gleichen oder hnlichen Verhltnissen vereinbart htten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG).3 Maßgebend ist damit der Drittfremdpreis. Dies entspricht dem international allgemein anerkannten Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip. Andere Hochsteuerlnder haben dem § 1 AStG vergleichbare Korrekturvorschriften.4 Trotz internationaler Akzeptanz des Dealing-at-arm‘s-length-Prinzips ergeben sich in der Besteuerungspraxis der einzelnen Staaten dennoch so erhebliche Abweichungen bei der EinkÅnfteberichtigung, dass bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen zwischen international verbundenen Unternehmen eine Doppelbesteuerung nicht selten unvermeidbar ist.5
15.141
Dass es zu erheblichen Abweichungen bei der EinkÅnfteberichtigung mit der Folge einer Doppelbesteuerung kommt, beruht u.a. auch darauf, dass fÅr die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhngigen Dritten alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen und nach den Grundstzen ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter handeln“. Diese Transparenzklausel, gilt fÅr den tatschlichen und hypothetischen Fremdvergleich gleichermaßen6 und ist nicht auf den Anwendungsbereich des § 1 AStG beschrnkt. § 1 AStG ergnzt nmlich die Åbrigen Korrekturnormen, soweit deren Rechtswirkungen Åber die Rechtswirkungen der anderen Korrekturnormen hinausgehen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AStG).
15.142
1 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144 Rz. 55. 2 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – SGI, IStR 2010, 144 Rz. 71; FG Schleswig-Holstein v. 29.11.2012 – 1 K 118/07, EFG 2013, 279 (Rev. eingelegt: BFH I R 88/12); Scheipers/Linn, IStR 2010, 469. 3 Tatschlicher und hypothetischer Fremdvergleich; obwohl die Formulierung „ . . . htten“ nur auf einen hypothetischen Fremdvergleich hindeutet; hierzu Kaminski, RIW 2007, 594 (594). 4 Vgl. nur den berblick bei Ernst & Young, Transfer Pricing, 2001 Global Survey sowie im International Tax Review 2008, Nr. 48. 5 Vgl. zur Schiedsverfahrenskonvention der EU und zu abkommensrechtlichen Schiedsverfahren Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.114 ff. 6 Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 152; fÅr eine restriktive Auslegung i.S. einer Anwendbarkeit nur auf den hypothetischen Fremdvergleich Wassermeyer/ Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V10; Frischmuth, IStR 2007, 485 (486); Frischmuth in FS Schaumburg, 647 (656 ff.); zur Unvereinbarkeit mit Art. 9 OECD-MA und Art. 4 EU-Schiedsverfahrenskonvention Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 8; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 275; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
15.143 Die wirklichkeitsfremde Transparenzklausel,1 die im Ergebnis eine Fiktion bedeutet und mit Abkommensrecht ohnehin unvereinbar ist, ist strafrechtlich nicht relevant. Beispiel: Die X-YH (entspricht einer GmbH) in SÅdkorea hlt alle Anteile an der deutschen A-GmbH. Die X-YH stellt Computer her, die sie weltweit vertreibt. In Deutschland werden die Computer von der A-GmbH vertrieben. DarÅber hinaus beliefert die X-YH aber auch unabhngige Hndler in Deutschland. Der GeschftsfÅhrer der A-GmbH, der von einem steigenden Absatz ausgeht, erwirbt von der X-YH eine grÇßere Zahl von Computern, um so die von ihm erwartete Nachfrage fÅr das nchste halbe Jahr abdecken zu kÇnnen. Der von der A-GmbH gezahlte Preis entspricht dem Preis, den auch die unabhngigen deutschen Hndler an die X-YH zu entrichten haben. Sowohl A als auch den Åbrigen deutschen Hndlern ist nicht bekannt, dass die X-YH bereits die Entwicklung eines leistungsfhigeren Computers abgeschlossen hat, der tatschlich zwei Monate nach dem Erwerb der alten Computer auf dem Markt vorgestellt und zum Verkauf angeboten wird. Im Zuge einer spter bei der A-GmbH durchgefÅhrten AußenprÅfung wird der von der A-GmbH an die X-YH entrichtete Verrechnungspreis fÅr die Altcomputer als unangemessen hoch beanstandet. Hierbei beruft sich der AußenprÅfer auf die in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG verankerte Transparenzklausel, wonach davon auszugehen ist, „dass die voneinander unabhngigen Dritten alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen und nach den Grundstzen ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter handeln“. Auf dieser Grundlage hlt der AußenprÅfer einen wesentlich niedrigeren Verrechnungspreis fÅr angemessen. Dementsprechend ist beabsichtigt, das zu versteuernde Einkommen der A-GmbH zu erhÇhen. Zugleich wird gegen den GeschftsfÅhrer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.144 Entsprechend der vom AußenprÅfer vertretenen Ansicht hat die A-GmbH an die X-YH fÅr die Lieferung der Altcomputer einen berpreis bezahlt, somit der Alleingesellschafterin einen VermÇgensvorteil zugewendet, der bei der A-GmbH zu einer VermÇgensminderung gefÅhrt hat. Eine verdeckte GewinnausschÅttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ist aber nur dann gegeben, wenn diese VermÇgensminderung durch das Gesellschaftsverhltnis veranlasst ist, wenn also ein ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter den VermÇgensvorteil einem Nicht-Gesellschafter unter sonst gleichen Umstnden nicht zugewendet htte.2 Da der GeschftsfÅhrer der A-GmbH von der Neuentwicklung des Computers keine Kenntnis hatte und somit nach seinem Kenntnisstand fÅr die Altcomputer einen angemessenen Preis gezahlt hat, liegen die Voraussetzungen einer verdeckten GewinnausschÅttung nicht vor, insbesondere enthlt die fÅr die verdeckte GewinnausschÅttung maßgebliche Grundlagennormen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine dem § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG entsprechende Transparenzklausel.3 Gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG wird indessen § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (verdeckte GewinnausschÅttung) durch § 1 Abs. 1 AStG Åberlagert mit der Folge, dass im Ergebnis auch insoweit die Transparenzklausel des § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG zur Anwendung kommt. § 1 1 Vgl. hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108. 2 Zur Entwicklung der Rspr. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 166 ff. 3 Hierzu Piltz in JbFSt 2007/2008, 150.
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B. V. GrenzÅberschreitende Verrechnungspreise zwischen Kapitalgesellschaften
Abs. 1 Satz 3 AStG ist allerdings den Schrankenwirkungen der abkommensrechtlichen Gewinnberichtigungsvorschriften ausgesetzt, die das Gebot der Transparenz der Geschftsbeziehungen nicht vorsehen.1 Konkret: Art. 9 Abs. 1 DBA-Korea lsst eine EinkÅnftekorrektur unter Anwendung der Transparenzklausel nicht zu.2 Da somit die Transparenzklausel (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AStG) nicht zur Anwendung kommt, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben. Aber selbst wenn man die Transparenzklausel fÅr anwendbar hielte,3 kann jedenfalls der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung hieraus nicht abgeleitet werden, weil es sich insoweit um eine lediglich fÅr das Steuerrecht wirksame Fiktion handelt, die in strafrechtlicher Hinsicht bedeutungslos ist.4 Sollten die Ermittlungen allerdings ergeben, dass der GeschftsfÅhrer der A-GmbH tatschlich Kenntnis von der Neuentwicklung des Computers hatte, liegen die Voraussetzungen einer verdeckten GewinnausschÅttung vor, weil er als ordentlicher und gewissenhafter Geschftsleiter den derart hohen Preis nicht bezahlt htte bzw. htte bezahlen dÅrfen.5 Unter den vorstehenden Voraussetzungen wren sodann der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben.
15.145
4. Korrekturmaßstbe Obwohl die in Betracht kommenden, in Konkurrenz zueinander stehenden EinkÅnftekorrekturnormen unterschiedliche Korrekturmaßstbe6 regeln, fÅhrt die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG durchweg dazu, dass bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen der Fremdvergleichspreis der maßgebliche Korrekturmaßstab ist.7 Das bedeutet, dass eine EinkÅnftekorrektur stets dann zu erfolgen hat, wenn etwa der tatschlich vereinbarte Preis (Verrechnungspreis) vom maßgeblichen Fremdvergleichspreis abweicht. Da es indessen nicht nur um Preise, sondern
1 Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 9; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 3.155 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108; Borstell/Wehnert in V/B/E, Verrechnungspreise3, Q Rz. 221 f.; Wassermeyer, DB 2007, 535 (536); Piltz in JbFSt 2007/2008, 152; Kroppen in FS Schaumburg, 2009, 857 ff. (868 f.); Frischmuth in FS Schaumburg, 2009, 647 ff. (656 ff.). 2 Ein wirksames treaty overriding ist nicht gegeben; vgl. hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.108; konkret zu Art. 9 Abs. 1 DBA-Korea Schrage in Wassermeyer, DBA, Art. 9 DBA-Korea Rz. 3. 3 So die Finanzverwaltung. 4 Vgl. hierzu Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56; Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580). 5 Auf die Transparenzklausel kommt es insoweit nicht an. 6 Zumeist Teilwert oder gemeiner Wert. 7 Zu § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG i.S. der MeistbegÅnstigung zugunsten der Finanzverwaltung Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (547).
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15.146
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
auch um andere Bedingungen geht, bilden Fremdvergleichswerte die maßgeblichen Orientierungspunkte fÅr angemessene Verrechnungspreise.
15.147 Die Ableitung angemessener Verrechnungspreise aus den hierfÅr maßgeblichen Fremdvergleichswerten regelt § 1 Abs. 3 AStG. Hierbei wird unterschieden zwischen tatschlichem und hypothetischem Fremdvergleich.1 Innerhalb des Anwendungsbereichs des tatschlichen Fremdvergleichs ist darauf abzustellen, ob die in Betracht kommenden Fremdvergleichswerte uneingeschrnkt oder nur eingeschrnkt vergleichbar sind. Die vorgenannten Kriterien stehen in einem Drei-Stufen-Verhltnis, sodass der tatschliche dem hypothetischen Fremdvergleich und im Rahmen des tatschlichen Fremdvergleichs die uneingeschrnkt vergleichbaren den nur beschrnkt vergleichbaren Werten vorgehen.2 In Orientierung an dieses Drei-Stufen-Verhltnis entscheidet sich, welche Verrechnungspreismethode zur Anwendung kommt. DarÅber hinaus wird hierdurch auch der Umfang einer etwaigen Verrechnungspreiskorrektur determiniert.
15.148 Sind im Rahmen des tatschlichen Fremdvergleich uneingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte3 verfÅgbar, ist fÅr die Angemessenheit der Verrechnungspreise vorrangig auf die Preisvergleichsmethode, die Wiederverkaufspreismethode oder die Kostenaufschlagsmethode (Standardmethoden) abzustellen.4 Uneingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichwerte werden nur im Rahmen bestimmter Bandbreiten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG) feststellbar sein.5 Soweit der vereinbarte Verrechnungspreis sich innerhalb dieser Bandbreiten bewegt, ist dieser uneingeschrnkt zu akzeptieren.6 Hieraus folgt im Grundsatz, dass stets der fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigste Wert innerhalb der Bandbreite angesetzt werden kann.7 Dies gilt auch fÅr das Strafrecht, und zwar selbst dann, wenn der betreffende Steuerpflichtige die sich aus § 90 Abs. 3 AO ergeben1 Tatschlicher Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Stze 1–4 AStG; hypothetischer Fremdvergleich: § 1 Abs. 3 Stze 5–8 AStG; die OECD-Verrechnungspreis-RL 2010 sehen einen hypothetischen Fremdvergleich demgegenÅber nicht vor; hierzu Luckhaupt, Ubg 2010, 646 ff. 2 Zu diesem Stufenverhltnis: Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (543 f.); vgl. auch Rz. 13.207. 3 Wie z.B. bei identischen Geschftsbedingungen oder solchen Geschftsbedingungen mit geringen durch entsprechende Anpassungen zu beseitigen Unterschieden; vgl. BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 Buchst. a (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 4 Vgl. zu den Standardmethoden im berblick Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.134 ff. 5 Zur Entstehung von Preisbandbreiten Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 (348 ff.). 6 Greinert in RÇdder/Schaumburg, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (549); Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V26; BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570, Rz. 3.4.12.7 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren. 7 Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.186; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461 (1463); vgl. auch BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.
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den Dokumentationspflichten verletzt hat und dementsprechend eine Schtzung (§ 162 Abs. 3 AO) erfolgt. Gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO darf die FinanzbehÇrde, etwa bei Anwendung der Preisvergleichsmethode, innerhalb der Bandbreite zwar den fÅr den Steuerpflichtigen ungÅnstigsten Wert zugrunde legen, eine derartige zulasten des Steuerpflichtigen gehende Schtzung ist aber in strafrechtlicher Hinsicht unzulssig.1 Sind die ermittelten Fremdvergleichswerte nur eingeschrnkt vergleichbar, sind diese nach Vornahme sachgerechter Anpassungen einer geeigneten Verrechnungspreismethode2 zugrunde zu legen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 AStG). Sind mehrere eingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte3 feststellbar, ist die sich ergebende Bandbreite einzuengen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 AStG). Angesprochen sind damit statistisch anerkannte Verfahren, die darauf gerichtet sind, Extremwerte bei der Ermittlung von Durchschnittswerten auszuschalten.4 Im Vordergrund hierbei steht die sog. Interquartil-Methode,5 bei der sowohl das untere als auch das obere Viertel der Werte der ermittelten Preisbandbreite unberÅcksichtigt bleibt. Im Ergebnis wird damit die am Markt ermittelte Bandbreite um 50 % pauschal eingeengt.6
15.149
Liegen die tatschlich vereinbarten Verrechnungspreise in den Fllen der uneingeschrnkt und nur eingeschrnkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte außerhalb der normalen bzw. eingeengten Bandbreite, hat eine EinkÅnftekorrektur zu erfolgen, wobei Maßstab der Median ist (§ 1 Abs. 3 Satz 4 AStG). Mit der Bezugnahme auf den Median wird ein statistischer Begriff verwendet, der bedeutet, dass mindestens 50 % aller Merkmalswerte kleiner oder gleich und mindestens 50 % aller Merkmalswerte auch grÇßer oder gleich diesem Wert sind.7
15.150
1 Spezifisch steuerliche Beweislastregeln haben im Steuerstrafverfahren außer Betracht zu bleiben; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 55 ff.; Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 20; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253). 2 Vor allem die Standardmethoden. 3 Gemeint sind Fremdvergleichspreise. 4 Hierzu Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551). 5 Interquartile-Range; BegrÅndung des Regierungsentwurfs § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG, BR-Drucks. 220/07, 143 unter Hinweis auf BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.12.5. (Verwaltungsgrundstze-Verfahren). 6 Zur Kritik hieran Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V42; Baumhoff in FS Wassermeyer, 347 (362 ff.); Werra, IStR 2005, 19 (21); Finsterwalder, DStR 2005, 765 (769). 7 Zu Einzelheiten Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V48; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.194 ff.; 5.2000; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (551 f.). mit dem Hinweis, dass diese Methode eine ungerade Zahl von Merkmalswerten unterstellt.
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15.151 Der Median mag zwar fÅr die Bestimmung angemessener Fremdvergleichspreise maßgeblich sein,1 aus strafrechtlicher Sicht ist er indessen ohne Bedeutung. Die Frage nmlich, ob der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, hngt nicht von statistischen Vorgaben ab, sondern orientiert sich allein an dem Ermittlungsergebnis der hierzu berufenen Stellen.2 Das bedeutet, dass im Zweifel der fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigste Wert innerhalb einer Preisbandbreite ohne Einengung aufgrund der sog. Interquartil-Methode zugrunde zu legen ist.3 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung wird im Ergebnis nur dann zu bejahen sein, wenn feststeht, dass der vereinbarte Verrechnungspreis außerhalb der Bandbreite der am Markt feststellbaren ggf. angepassten Vergleichspreise liegt.4
15.152 KÇnnen auch keine eingeschrnkt vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden, ist ein hypothetischer Fremdvergleich durchzufÅhren (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG).5 Das bedeutet, dass ein am Markt zwischen ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleuten typischer Preisbildungsprozess simuliert werden muss.6 Hierbei ist davon auszugehen, dass die auf der Anbieter- und Nachfrageseite gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschftsleiter7 alle wesentlichen Umstnde der Geschftsbeziehungen kennen (§ 1 Abs. 3 Satz 5 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG).8 Im Rahmen des vorgenannten simulierten Preisbildungsprozesses ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der HÇchstpreis des Leistungsempfngers zu ermitteln (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Hierdurch entsteht ein Einigungsbereich, der letztlich von den jeweiligen Gewinnerwartungen (Gewinnpotenzialen) bestimmt wird. § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG unterstellt somit, dass die Preisobergrenze des Leistungsempfngers stets Åber der Preisuntergrenze des Leistenden liegt (Einigungsbereich). Auf der Grundlage des so ermittelten Einigungsbereichs ist derjenige Verrechnungspreis angemessen, der innerhalb dieses Einigungsbereichs angesiedelt ist und der dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der hÇchsten Wahrscheinlichkeit
1 Zur Kritik hieran: Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V 50. 2 Vgl. Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 29. 3 Vgl. hierzu Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253). 4 Vgl. hierzu Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 12.52; RÇdl/Grube in Wabnitz/Janovsky4, S. 1337; Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 ff. (507 ff.). 5 Diese Pflicht obliegt dem Steuerpflichtigen. 6 Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V55; Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 204; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (553). 7 Zum doppelten ordentlichen, gewissenhaften Geschftsleiter: BFH v. 17.5.1995 – I R 147/93, BStBl. II 1996, 204; Baumhoff in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. C 3.143 ff. 8 Zur Kritik an dieser realittsfernen Transparenzklausel Roeder, Ubg 2008, 202 (205); Piltz in JbFStR 2007/2008, 99 (149 ff.); vgl. auch Rz. 15.143 f.
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entspricht, wobei im Zweifel der Mittelwert1 des Einigungsbereichs den angemessenen Verrechnungspreis abbildet (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG).2 In strafrechtlicher Hinsicht ist dieser Mittelwert allerdings ohne Bedeutung. Denn auch beim hypothetischen Fremdvergleich ist darauf abzustellen, ob der tatschlich zugrunde gelegte Verrechnungspreis sich innerhalb des Einigungsbereichs findet, wobei unter dem Gesichtspunkt des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes innerhalb des Einigungsbereichs der fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigste Wert zugrunde zu legen ist.3
15.153
FÅr den Bereich des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG) enthlt § 1 Abs. 3 Stze 11-13 AStG eine Anpassungsklausel.4 Diese Anpassungsklausel ist in eine gesetzliche Vermutungsregelung wie folgt eingekleidet: „ . . . weicht die tatschliche sptere Gewinnentwicklung erheblich von der Gewinnentwicklung ab, die der Verrechnungspreisbestimmung zugrunde lagen, ist widerlegbar zu vermuten, dass zum Zeitpunkt des Geschftsabschlusses Unsicherheiten im Hinblick auf die Preisvereinbarung bestanden und unabhngige Dritte eine sachgerechte Anpassungsregelung vereinbart htten“. Eine erhebliche Abweichung ist dabei gegeben, wenn der unter Zugrundelegung der tatschlichen Gewinnentwicklung zutreffende Verrechnungspreis außerhalb des ursprÅnglichen Einigungsbereichs liegt (§ 10 FVerlV). Wurde eine entsprechende Anpassungsregelung tatschlich nicht getroffen, gilt § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG mit der Folge, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein entsprechender Anpassungsbetrag auf den ursprÅnglichen Verrechnungspreis der Besteuerung des Wirtschaftsjahres zugrunde zu legen ist, dass dem Jahr folgt, in dem die Abweichung eingetreten ist (§ 1 Abs. 3 Satz 12 AStG).5
15.154
Die vorstehende Vermutungsregelung ist in strafrechtlicher Hinsicht ohne Bedeutung.6 Entscheidend ist, ob eine Anpassungsklausel tatsch-
15.155
1 Als Mittelwert ist wohl der arithmetische Mittelwert gemeint; vgl. Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (556 f.), dort auch zur Kritik an der normativen Fehlverwendung statistischer Begriffe. 2 Entgegen BFH v. 15.9.2004 – I R 7/02, BStBl. II 2005, 867, wonach wie beim tatschlichen Fremdvergleich (BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171) auch beim hypothetischen Fremdvergleich auf den fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigsten Wert abzustellen ist; zur Kritik an dieser mit Art. 9 OECD-MA und den OECD-RL (Rz. 1.45) nicht zu vereinbarenden „Mittelwertmethode“ Kaminski, StuW 2008, 337 (342); Hornig, PIStB 2008, 45 (45). 3 Spezifisch steuerliche Beweislastregeln haben im Steuerstrafverfahren außer Betracht zu bleiben; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 55 ff.; Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 20; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253). 4 Zur Anpassungsklausel vgl. Bernhardt/van der Ham/Kluge, IStR 2008, 844 ff.; Peter/Spohn/Hogg, IStR 2008, 864 ff.; Scholz, IStR 2007, 521 ff.; Schaumburg, IStR 2009, 877 ff.; Pohl, IStR 2010, 690 ff. 5 Zu Einzelheiten Schaumburg, IStR 2009, 877 ff. 6 Vgl. Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 20 m.w.N.
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lich vereinbart worden ist oder in Orientierung an dem Fremdvergleichsgrundsatz zwischen fremden Dritten vereinbart worden wre. KÇnnen solche Feststellungen nicht getroffen werden, ist zugunsten des Steuerpflichtigen fÅr strafrechtliche Zwecke davon auszugehen, dass eine derartige Anpassungsklausel nicht vereinbart worden wre. Das bedeutet im Ergebnis, dass insoweit eine Steuerhinterziehung nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommt. 5. Strafrechtliche Verantwortlichkeit a) Objektiver Tatbestand
15.156 § 1 Abs. 3 AStG normiert die gesetzlichen Vorgaben zur Ermittlung der im Rahmen des Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG steuerlich anzusetzenden Verrechnungspreise. Als formelles Gesetz steht § 1 Abs. 3 AStG in der Normenhierarchie Åber der GAufzV und entfaltet im Gegensatz zu den Verwaltungsgrundstzen-Verfahren1 unmittelbar externe Bindungswirkung gegenÅber Rechtsprechung und Steuerpflichtigen insbesondere auch bei der AusfÅllung des Blanketttatbestands der Steuerhinterziehung. Es handelt sich um eine Vorschrift des materiellen Steuerrechts, die Einzelheiten der in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vorgesehenen (außerbilanziellen2) Korrektur der steuerlichen Gewinnermittlung regelt.
15.157 Die besondere steuerstrafrechtliche Problematik der Verrechnungspreisermittlung beruht im brigen darauf, dass es den „einen“, richtigen Fremdvergleichspreis/Verrechnungspreis nicht gibt, sondern dass der Fremdvergleichspreis/Verrechnungspreis in der Regel aus einer Bandbreite von Preisen besteht.3 Insoweit gelten ergnzend die AusfÅhrungen hinsichtlich der Vertretbarkeit und Kenntlichmachung abweichender Rechtsansichten (Rz. 10.74 ff.),4 sodass eine Strafbarkeit de facto nur dann in Betracht kommt, wenn der Steuerpflichtige von allen vertretbaren Methoden abweicht und daraus ein unangemessener Verrechnungspreis resultiert.
15.158 Angesichts der Bandbreite mÇglicher Methoden zur Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises ist Åberdies der In-dubio-pro-reo-Grundsatz und die verwandte Bewertungsmethode zur Feststellung des Schadens beim Betrug im Auge zu behalten. Stehen mehrere Methoden zur Berechnung des Schadens zur Auswahl und kÇnnen sich deren Ergebnisse unterscheiden, ist dies in strafrechtlicher Hinsicht zu berÅcksichtigen. So sind nach Ansicht des BGH zur Bestimmung des Wertes eines Unterneh1 Zu deren fehlender externen Bindungswirkung Seer in T/K, § 90 AO Rz. 43; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2005, 1549; Rasch/Rettinger, BB 2007, 353. 2 So bereits Verwaltungsgrundstze-Verfahren, Tz. 5.3.3 zu § 1 AStG a.F. 3 BFH v. 17.10.1002 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307. 4 Zu den Besonderheiten bei Angemessenheits-Bandbreiten auch Wulf in FS Streck, 2011, 627 (642 f.).
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mens im Strafverfahren, wie auch im Besteuerungsverfahren,1 grundstzlich die anerkannten Bewertungsmaßstbe heranzuziehen, die fÅr den Beschuldigten am gÅnstigsten sind.2 Nur so kann wegen der im Zivilrecht bestehenden Bewertungsunsicherheiten und ungeklrten Bewertungsmaßstbe dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz Rechnung getragen werden.3 Die Bandbreite mÇglicher Verrechnungspreise und mÇglicher Verrechnungspreismethoden fÅhrt zu Schwierigkeiten nicht nur bei der Frage, ob der Steuerpflichtige durch Verwendung unangemessener Verrechnungspreise unrichtige Angaben gemacht hat, sondern auch bei der Frage, ob es hierdurch zu einer SteuerverkÅrzung gekommen ist. Legt der Steuerpflichtige fremdunÅbliche Verrechnungspreise zugrunde, macht er nach hier vertretener Ansicht im Ergebnis unrichtige Angaben i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.4
15.159
Unangemessene Verrechnungspreise sind grundstzlich zu berichtigen; entweder den Grundstzen der verdeckten GewinnausschÅttung, der verdeckten Einlage oder des § 1 AStG folgend. Im Fall einer verdeckten GewinnausschÅttung kommt eine steuerstrafrechtliche Konsequenz erst dann in Betracht, wenn die Dokumentationspflicht der verdeckten GewinnausschÅttung in den amtlichen Vordrucken der KÇrperschaftsteuererklrung unterbleibt.5 Im Falle der verdeckten Einlage muss der steuerpflichtige inlndische Gesellschafter diese in seiner Bilanz als zustzliche Anschaffungskosten auf seine Beteiligung abbilden. Tut er dies nicht, enthlt die Steuerbilanz unrichtige Angaben.6 Im Fall des § 1 Abs. 1 AStG sind die EinkÅnfte in der HÇhe anzusetzen, wie sie unter Dritten erzielt worden wren, und die Korrektur außerbilanziell vorzunehmen.7 Unterlsst der Steuerpflichtige diese Korrektur und legt er die unangemessenen Verrechnungspreise der Steuererklrung zugrunde, macht er unrichtige Angaben.
15.160
Die Annahme einer Steuerhinterziehung ist freilich ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige sich redlich und ernsthaft um eine dem Fremdvergleich genÅgende Preisbildung fÅr seine steuerliche EinkÅnftermittlung bemÅht und die FinanzbehÇrde Åber die Verwendung abweichender,
15.161
1 BFH v. 17.10.1002 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171; BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, DStR 2005, 1307. 2 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457 (459). 3 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457 (459). In den VWG-Verfahren wird hingegen unter Tz. 3.4.10.1 davon ausgegangen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter GeschftsfÅhrer die Methode whlt, die seinen Verrechnungspreisen am besten gerecht wird. 4 So die wohl herrschende Meinung, vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 129, Sidhu/Schemmel, BB 2005, 2549 (2550). 5 Kiesel/Theisen, IStR 2006, 285, zum Ganzen Mihm, Strafrechtliche Konsequenzen verdeckter GewinnausschÅttungen, 1998; Hardtke, Steuerhinterziehung durch verdeckte GewinnausschÅttung, 1995. 6 Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (508). 7 VWG-Verfahren, Tz. 5.3.3.; BFH v. 30.5.1990 – I R 97/88, BStBl. II 1999, 875.
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aber vertretbarer Methoden in Kenntnis setzt. Dies kann der Fall sein, wenn entsprechende Vergleichswerte nicht existieren, z.B. im Fall von LizenzgebÅhren.1
15.162 Ergnzend muss es hierdurch dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 AO folgend („und dadurch Steuern verkÅrzt“) auch zu einer kausalen SteuerverkÅrzung kommen. Der verwandte Preis kann ja auch zutreffend sein.2 Die SteuerverkÅrzung selbst ist, den allgemeinen Grundstzen folgend, durch Vergleich der auf Grundlage der unrichtigen Angaben festgesetzten IstSteuer und der auf Grundlage richtiger Angaben festzusetzenden SollSteuer zu ermitteln.3 b) Subjektiver Tatbestand
15.163 Die Schwierigkeiten im Bereich des objektiven Tatbestandes setzen sich beim subjektiven Tatbestand fort.4 Im Falle unangemessener Verrechnungspreise wird die Frage nach der Strafbarkeit gem. § 370 Abs. 1 AO in der Regel auf der subjektiven Tatbestandsseite entschieden.5 Legt der Steuerpflichtige anhand einer ordnungsgemßen Dokumentation Åber die berlegungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise eine vertretbare Vorgehensweise dar, die von Finanzverwaltung und Justiz im Ergebnis nicht nachvollzogen wird, kommt die Annahme vorstzlichen Verhaltens angesichts der Unwgbarkeiten der Verrechnungspreis-Ermittlung schwerlich in Betracht. Hat der Steuerpflichtige Åberhaupt keine ordnungsgemße Dokumentation angelegt6 und ist er auch sonst nicht in der Lage, das Zustandekommen der Verrechnungspreise schlÅssig zu erklren,7 liegt dolus eventualis bezÅglich der Unrichtigkeit der Angaben nahe; 1 Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (508), die unter Verweis auf Streck/Binnewies, DStR 2009, 231 davon ausgehen, dass der Steuerpflichtige im Bereich der Verrechnungspreise durch eine entsprechende „Tax Compliance“ eine Steueroptimierung erreichen kann, ohne sich strafbar zu machen. 2 Vgl. auch BFH v. 17.10.1002 – I R 103/00, BStBl. II, 2004, 171, wonach eine Pflichtverletzung nur die Veranlassung der vereinbarten Preise durch das Gesellschaftsverhltnis belegt. Im Regelfall folgt daraus jedoch allenfalls ein erster Anhaltspunkt fÅr ihre Unangemessenheit. Die vereinbarten Preise kÇnnten dennoch angemessen sein. Eine verdeckte GewinnausschÅttung setzt nach Ansicht des BFH die zustzliche Annahme voraus, dass der tatschlich vereinbarte Preis nicht innerhalb der Bandbreite angemessener Fremdvergleichspreise liegt. 3 Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94. 4 Schaumburg in Leitner/Dannecker (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2003, 177 (182, 185). 5 Randt, Der Steuerfahndungsfall, 2004, C 694; Schaumburg in Leitner/Dannecker (Hrsg.), Finanzstrafrecht 2003, 177 (182, 185), der davon ausgeht, dass es sich bei der Frage nach der Angemessenheit um eine Wertungsfrage handelt und aus diesem Grund die Vorsatzfeststellung erschwert ist. 6 Wobei eine entsprechende Verpflichtung erst mit EinfÅhrung von § 90 Abs. 3 AO normiert wurde und daher erst ab diesem Zeitpunkt eine unterlassene Dokumentation auch relevant sein kann. 7 Vgl. gleich lautenden Lndererlass v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829: keine Anhaltspunkte fÅr das Vorliegen einer Steuerstraftat, wenn Differenzen in der Be-
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vorausgesetzt der in Rede stehende Verrechnungspreis ist unangemessen. Vorstzliches Handeln kommt namentlich auch dann in Betracht, wenn der verwandte Verrechnungspreis außerhalb jeglicher Bandbreite liegt, eine vÇllig falsche Methode verwandt wird oder der Steuerpflichtige bewusst Teilkosten ohne BegrÅndung ermittelt. Beispiel: Das inlndische Unternehmen A zahlt LizenzgebÅhren an das funktionslose Unternehmen B, welches in einem Niedrigsteuerland ansssig ist. Ein wirtschaftlicher Vorteil resultiert daraus nicht.1
Hat der Tter gar nicht erkannt, dass er unrichtige Angaben Åber steuerlich erhebliche Tatsachen macht und dadurch Steuern verkÅrzt, handelt er nicht vorstzlich gem. § 369 Abs. 2 i.V.m. § 16 StGB (Tatbestandsirrtum).2
15.164
Hinsichtlich einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung gelten zunchst die allgemeinen Anforderungen an die Annahme leichtfertigen Verhaltens. Im Kontext der Verrechnungspreise gilt es zu beachten, dass eine Strafbarkeit wegen leichtfertiger SteuerverkÅrzung angesichts der strengen gesetzlichen Vorgaben allenfalls bei einem fehlerhaften hypothetischen Fremdvergleich denkbar wre, etwa wenn die Funktionsanalyse oder die innerbetriebliche Planrechnung grob fehlerhaft durchgefÅhrt wird.
15.165
6. Berichtigungspflichten gem. § 153 AO Erkennt ein Steuerpflichtiger nachtrglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder fÅr ihn abgegebene Erklrung unrichtig oder unvollstndig ist und dass es dadurch zu einer VerkÅrzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, trifft ihn nach § 153 AO die Verpflichtung, dies unverzÅglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Eine steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO besteht dabei auch dann, wenn der Steuerpflichtige erst nachtrglich erfhrt, dass er unrichtige Angaben gemacht hat, er aber bei Abgabe der Steuererklrung die Unrichtigkeit seiner Angaben in Kauf genommen und sich deshalb – durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklrung – zugleich auch wegen bedingt vorstzlich begangener Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) strafbar gemacht hat.
15.166
Der BGH geht davon aus, dass Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO es gebieten, eine steuerrechtliche Anzei-
15.167
urteilung durch Steuerpflichtigen und BetriebsprÅfer mit sachgerechten Erwgungen aufgeklrt werden kÇnnen. 1 Beispiel nach Gocke/Ditz in FS Streck, 2011, 495 (512). 2 Vgl. auch BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210; ablehnend verneinend Kohlmann, § 370 AO Rz. 332 m.w.N.; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 182; Alvermann/Talaska, HRRS 2010, 166; SchÅtzeberg, BB 2009, 1906; Weidemann, wistra 2010, 5.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
ge- und Berichtigungspflicht auch dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei Abgabe der Steuererklrung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen hat und er spter zu der sicheren Erkenntnis gelangt ist, dass die Angaben unrichtig sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bestehe auch in diesem Fall eine Berichtigungspflicht, weil auch derjenige, der zunchst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat, die Unrichtigkeit „nachtrglich erkennt“, wenn er spter positiv erfhrt, dass seine Angaben tatschlich unrichtig waren. Hingegen fÅhrt ein reiner Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 3 AO nicht zu bereits zu einer Strafbarkeit, da hieraus eine Unangemessenheit der Verrechnungspreise allein nicht herleitbar ist.
VI. Funktionsverlagerungen Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 3 AStG; Baumhoff, Die steuerliche Bewertung von Transferpaketen bei grenzÅberschreitenden Funktionsverlagerungen, in Spindler/Tipke/ RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 541; Baumhoff, Eigenproduzent versus Lohnfertiger – Qualifikation auslndischer Produktionssttten fÅr Zwecke der steuerlichen Verrechnungspreisplanung, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Steuerfolgen von Produktion und Vertrieb im Ausland, KÇln 2000, 53; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzÅberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff, Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 3.337 ff.; Baumhoff/BodenmÅller, Die Besteuerung grenzÅberschreitender Funktionsverlagerungen, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl., Herne/Berlin 2011, 541; Baumhoff/Ditz/Greinert, Auswirkungen des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 auf die Besteuerung grenzÅberschreitender Funktionsverlagerungen, DStR 2007, 1649; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, IStR 2008, 1945; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach den nderungen des § 1 Abs. 3 AStG durch das EU-Umsetzungsgesetz, DStR 2010, 1309; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerung nach den Verwaltungsgrundstzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, Ubg 2011, 161; Bernhardt/van der Ham/Kluge, Die Expansion deutscher Unternehmen ins Ausland: Steuerliche Implikationen der GrÅndung von Vertriebsgesellschaften – Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen im Fall von „Vertriebsabspaltungen, IStR 2008, 1; BodenmÅller, Steuerplanung bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DÅsseldorf 2004; Borstell/Schperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Borstell/Wehnert, Funktions- und Geschftsverlagerung in VÇgele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 3. Aufl. MÅnchen 2011, Q Rz. 1 ff.; BrÅninghaus/BodenmÅller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; CrÅger/Wintzer, Funktionsverlagerungen ins Ausland – Aktuelle Neuerungen durch die Unternehmenssteuerreform 2008 und Gestaltungshinweise, GmbHR 2008, 306; Ditz, bertragung von Geschftschancen bei Funktionsverlagerungen ins Ausland, DStR 2006, 1625; Ditz, Praxisfall einer VerrechnungspreisprÅfung und Funktionsverlagerung, IStR 2009, 421; Ditz, Praxis-
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B. VI. Funktionsverlagerungen fall einer Funktionsverlagerung unter besonderer BerÅcksichtigung der VWG-Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IStR 2011, 125; Ditz/Greinert, Funktionsverlagerungen, in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, KÇln 2014, Rz. 7.1 ff.; Ditz/Just, Besteuerung einer Produktionsverlagerung nach der Funktionsverlagerungsverordnung – Praxisfall, DB 2009, 141; Ditz/Liebchen, Bewertung von Transferpaketen im Rahmen von Funktionsverlagerungen – Gedanken zum Beitrag von Schilling/Kandels (DB 2012 S. 1065) aus Beratersicht, DB 2012, 1469; Eigelshoven/Nientimp, Funktionsverlagerungen und kein Ende – Die nderungen bei der Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach dem EU-Umsetzungsgesetz, Ubg 2010, 233; Eisele, GrenzÅberschreitende Funktionsverlagerung, Herne/Berlin 2003; Endres, Reiches Ausland – Armes Inland: Steuerliche Effekte bei einer Funktionsverlagerung ins Ausland, RIW 2003, 729; Freudenberg/Ludwig, Chancen fÅr Gestaltungen aufgrund der genderten Vorschriften zur Funktionsverlagerung, BB 2010, 1268; Freudenberg/Peters, Steuerliche Allokation von Restrukturierungsaufwendungen im Kontext von Funktionsverlagerungen, BB 2008, 1424; Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386; Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Frischmuth, Austausch von Funktionen im Konzern und Bewertung von Transferpaketen, in Schaumburg/Piltz (Hrsg.), Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, KÇln 2010, 73; Frotscher, Grundfragen der Funktionsverlagerung, FR 2008, 49; Fuhrmann, Die Funktionsverlagerungsverordnung, KSDI 2008, 16188; Greinert, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerungen, in Schaumburg/ RÇdder (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008, KÇln 2007, 541; Greinert, Maßgebende berschussgrÇße zur Bewertung eines Transferpakets bei grenzÅberschreitenden Funktionsverlagerungen, DB 2009, 755; Greinert/Thiele, Steuerliche Behandlung von Funktionsverlagerungen vor 2008, DStR 2011; Haas, Funktionsverlagerungen nach dem Erlass der Funktionsverlagerungsverordnung, Ubg 2008, 517; Haas, Funktionsverlagerung, Verhltnis zu DBAs, in Spindler/Tipke/RÇdder (Hrsg.), Steuerzentrierte Rechtsberatung, FS fÅr Schaumburg, KÇln 2009, 715; Hornig, Die Funktionsverlagerung ab 2008 aus internationaler Sicht, PIStB 2008, 45; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 7. Aufl. MÅnchen 2011, 826 ff.; Jahndorf, Besteuerung der Funktionsverlagerungen, FR 2008, 101; Kahle, Die Ertragsbesteuerungen von Funktionsverlagerungen nach der Unternehmensteuerreform 2008, Der Konzern 2007, 647; Kaminski/Strunk, Funktionsverlagerungen in und von auslndischen Betriebssttten und Personengesellschaften: berlegungen zur (Nicht-)Anwendbarkeit der Grundstze zum sog. Transferpaket, DB 2008, 2501; Kaminski/Strunk, Stellungnahme zum Entwurf der „Verwaltungsgrundstze – Funktionsverlagerungen“ des BMF vom 17.7.2009, RIW 2009, 711; Kroppen/Rasch, Funktionsverlagerung – der nchste Akt, IWB 2010, 316; Kroppen/ Rasch, Anmerkungen zu den Verwaltungsgrundstzen Funktionsverlagerung vom 13.10.2010, IWB 2010, 824; Kroppen/Schreiber/Roeder in Kroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Funktionsverlagerung, Rz. 1 ff.; Looks/Scholz, Funktionsverlagerungen nach der Neufassung des § 1 Abs. 3 AStG, BB 2007, 2541; Naumann, Funktionsverlagerungsverordnung, in LÅdicke (Hrsg.), Besteuerung von Unternehmen im Wandel, KÇln 2007, 167; Oestreicher, Die (reformbedÅrftigen) Regelungen zur Ermittlung der Verrechnungspreise in Fllen der Funktionsverlagerung, Ubg 2009, 80; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637 (Teil I) und 1963 (Teil II); Oestreicher/ Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlsslich der grenzÅberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 145; Oestreicher/Wilke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fllen einer Funktionsverlagerung nach dem
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur nderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Pohl, Ergnzung der Funktionsverlagerungsregelung durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher EU-Vorgaben sowie zur nderung steuerrechtlicher Vorschriften, IStR 2010, 357; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschdigungs- und AusgleichsansprÅche als „Transferpaket“-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Schaumburg, Anpassungsklausel, IStR 2009, 877; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 18.144 ff.; Schreiber, Funktionsverlagerungen im Konzern – Neue Rechtsgrundlagen durch die Unternehmensteuerreform 2008, Ubg 2008, 433; Schwenke, Funktionsverlagerung Åber die Grenze – Verrechnungspreise und Funktionsausgliederung, in Piltz/GÅnkel, Steuerberater-Jahrbuch 2007/2008, KÇln 2008, 137; Schwenke, Funktionsverlagerung: neue Gesetzeslage, in LÅdicke (Hrsg.), Unternehmensteuerreform 2008 im internationalen Umfeld, KÇln 2008, 115; Strahl, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung nach der Unternehmenssteuerreform 2008, KSDI 2008, 15861; VÇgele, Bewertung von Transferpaketen bei der Funktionsverlagerung, DStR 2010, 418; Zech, Verrechnungspreise und Funktionsverlagerung 2009: Die steuerliche Behandlung von Verrechnungspreisen, insbesondere bei Funktionsverlagerungen, nach der Unternehmensteuerreform 2008, Baden-Baden 2009; Zech, Funktionsverlagerung auf einen Eigenproduzenten und auf ein Routineunternehmen, IStR 2011, 131.
1. berblick
15.168 Die EinkÅnftekorrektur bei grenzÅberschreitenden Geschftsbeziehungen wegen vom Fremdvergleichspreis abweichender Verrechnungspreise hat fÅr grenzÅberschreitende Funktionsverlagerungen in § 1 Abs. 3 Stze 9-13 AStG eine Sonderregelung erfahren. Diese ist insbesondere darauf gerichtet, den im Handelsrecht und Steuerrecht verankerten Grundsatz der Einzelbewertung1 zu suspendieren und durch eine Gesamtbewertung eines Transferpaketes zu ersetzen. Im Ergebnis werden damit fÅr Zwecke der Bewertung Teile des Geschfts- oder Firmenwerts abgespalten und auf einzelne WirtschaftsgÅter projiziert.2 Damit sind in Fllen von Funktionsverlagerungen die Verrechnungspreise grundstzlich auf der Grundlage einer Verlagerung der Funktion als Ganzes (Transferpaket) zu bestimmen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG i.V.m. § 1 Abs. 2 FVerlV). Denn einem fremden Dritten in der Situation des Åbernehmenden Unternehmens kme es auf die bernahme der Funktion (und auf die damit verbundenen Gewinnaussichten) an und nicht vorrangig auf den Erwerb oder die Nutzung einzelner WirtschaftsgÅter.3 Das verlagernde Unternehmen wird in derartigen Fllen nicht nur eine VergÅtung fÅr die bertragung der fÅr die FunktionsausÅbung notwendigen WirtschaftsgÅter und sonstigen Vorteilen, sondern auch einen Ausgleich fÅr den Verzicht auf die zukÅnftige Nut-
1 Vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB; § 6 Abs. 1 EStG; BFH v. 22.11.1988 – VIII R 62/85, BStBl. II 1989, 359. 2 Wassermeyer/Baumhoff/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. V71. 3 So die Formulierung im Schreiben des BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 6.
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B. VI. Funktionsverlagerungen
zung des Gewinnpotenzials verlangen.1 Die fÅr eine derartige Funktionsverlagerung maßgebliche Sonderregelung gilt nur im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG), wenn also nicht zumindest eingeschrnkt vergleichbare Fremdvergleichswerte vorliegen (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG). Eine Funktionsverlagerung im vorgenannten Sinne (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) liegt vor, wenn ein Unternehmen (das verlagernde Unternehmen) einem anderen nahestehenden Unternehmen (das Åbernehmende Unternehmen) WirtschaftsgÅter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken Åbertrgt oder zur Nutzung Åberlsst, damit das Åbernehmende Unternehmen eine Funktion ausÅben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeÅbt worden ist, und dadurch die AusÅbung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschrnkt wird (§ 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).2 Erfasst wird also nicht die bloße bertragung oder NutzungsÅberlassung von WirtschaftsgÅtern oder die Erbringung von sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 4 FVerlV), sondern die bertragung eines BÅndels von WirtschaftsgÅtern und sonstigen Leistungen. Angesprochen ist damit vor allem die bertragung gesondert gefÅhrter Bereiche eines Unternehmens, ohne dass hierbei ein Teilbetrieb im steuerlichen Sinne vorliegen muss.3 Derartige Funktionen sind z.B. Einkauf, Produktion, Marketing, Verkauf, Logistik, Forschung und Entwicklung oder Verwaltung.4 In der Praxis kommen derartige Funktionsverlagerungen5 insbesondere als Funktionsausgliederung,6 Funktionsabschmelzung,7 Funktionsabspaltung8 und Funktionsverdoppelung vor,9 die allerdings nur zum Teil von der Reichweite des fÅr die Funktionsverlagerung geltenden Sonderregimes des § 1 Abs. 3 AStG erfasst werden. 1 BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 13. 2 Die vom Gesetz vorgegebene Definition ist eine Tautologie; zur Kritik Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1649 (1650); vgl. auch die Definition von Borstell/Schperclaus, IStR 2008, 275 ff. 3 Zum Begriff des Teilbetriebs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG: Teilbetrieb ist ein mit einer gewissen Selbstndigkeit ausgestatteter organisatorisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebes, der fÅr sich allein lebensfhig ist; vgl. BFH v. 10.3.1998 – VIII R 31/95, BFH/NV 1998, 1209. 4 Hofacker in Haase2, § 1 AStG Rz. 284; Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.22; Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (559). 5 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.42 ff.; Frischmuth, StuB 2007, 386 (387); Kaminski, RIW 2007, 594 (599). 6 Vollstndige bertragung einer Funktion mit den dazugehÇrigen Chancen und Risiken einschließlich WirtschaftsgÅtern. 7 bertragung eines Teils einer Funktion mit den dazugehÇrigen Chancen und Risiken einschließlich WirtschaftsgÅtern. 8 bertragung (eines Teils) einer Funktion unter Beibehaltung der dazugehÇrigen Chancen und Risiken. 9 Verdoppelung einer im Inland weiterhin ausgeÅbten Funktion mit den dazugehÇrigen Chancen und Risiken einschließlich WirtschaftsgÅtern.
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15.169
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Das gilt namentlich in Fllen der Funktionsabspaltung, wenn das Åbernehmende Unternehmen die Åbergehende Funktion etwa als Lohnfertiger ausschließlich gegenÅber dem verlagernden Unternehmen ausÅbt und das Entgelt fÅr die AusÅbung der Funktion nach der Kostenaufschlagsmethode ermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FVerlV). Hier ist davon auszugehen, dass keine wesentlichen immateriellen WirtschaftsgÅter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Alt. 1 AStG). Der Fall der Funktionsverdoppelung wird nur dann erfasst, wenn es innerhalb von fÅnf Jahren nach Aufnahme der Funktion durch auslndische nahestehende Unternehmen zu keiner Einschrnkung der AusÅbung der betreffenden Funktion durch das inlndische Unternehmen kommt. Kommt es allerdings innerhalb dieser Frist zu einer solchen Einschrnkung, liegt zum Zeitpunkt, in dem die Einschrnkung eintritt, insgesamt eine einheitliche Funktionsverlagerung vor, es sei denn, es wird glaubhaft gemacht, dass diese Einschrnkung nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Funktionsverdoppelung steht (§ 1 Abs. 6 Satz 2 FVerlV).
15.170 Ist eine Funktionsverlagerung gegeben, ist das Transferpaket als Ganzes im Grundsatz unter BerÅcksichtigung funktions- und risikoadquater Kapitalisierungszinsstze wertmßig zu bestimmen. Hierbei ist aufgrund einer Funktionsanalyse und innerbetrieblicher Planrechnungen der Mindestpreis des Leistenden und der HÇchstpreis des Leistungsempfngers zu ermitteln, wobei der hierdurch geprgte Einigungsbereich durch die jeweiligen Gewinnerwartungen bestimmt wird (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG). Damit ist im Grundsatz eine vierfache Bewertung dahin gehend vorgesehen, dass sowohl das verlagernde als auch das Åbernehmende Unternehmen ihre kÅnftigen Gewinne jeweils vor und nach der Funktionsverlagerung zu schtzen haben (§ 3 Abs. 2 Satz 1 FVerlV).1 Im Ergebnis gehen auch hierdurch auslndische Standortvorteile und sonstige Synergieeffekte in die Bewertung ein, womit die Grundlagen fÅr eine Doppelbesteuerung gelegt werden.2 Die BerÅcksichtigung der vom Gesetz geforderten Kapitalisierungszinsstze (§ 1 Abs. 3 Satz 6 AStG) hat in Orientierung an die fÅr risikolose Investitionen maßgeblichen Zinsstze zu erfolgen (§ 5 FVerlV), wobei im Grundsatz von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen ist (§ 6 FVerlV). 2. Pflichtenkreis
15.171 Die ganz allgemein fÅr grenzÅberschreitende Vorgnge maßgeblichen erweiterten Mitwirkungspflichten gelten auch fÅr Funktionsverlagerungen, sodass hierfÅr der insoweit verwirklichte Sachverhalt aufzuklren und Be1 Zu Einzelheiten Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.80 ff. 2 Zur Kritik in diesem Zusammenhang Greinert in Schaumburg/RÇdder, Unternehmensteuerreform 2008, 541 (564 f.); Blumers, BB 2007, 1757 (1761); Frischmuth, StuB 2007, 386 (391); Hey, BB 2007, 1303 (1308); vgl. auch RÇdder, ZHR 2007, 380 (402).
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B. VI. Funktionsverlagerungen
weisvorsorge zu treffen ist und zudem die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen sind (§ 90 Abs. 2 AO). DarÅber hinaus enthlt § 90 Abs. 3 AO eine Pflichtenerweiterung, wonach insbesondere alle eine Funktionsverlagerung betreffenden (schriftlichen) Vertrge vorzuhalten sind.1 Da Funktionsverlagerungen außergewÇhnliche Geschftsvorflle sind, mÅssen die entsprechenden Aufzeichnungen zeitnah erstellt werden (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO i.V.m. § 3 Abs. 2 GAufzV). Zu diesen Aufzeichnungen gehÇren eine entsprechende Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation.2 3. Pflichtverletzungen Werden die mit in § 90 Abs. 1-3 AO verankerten Mitwirkungspflichten verletzt, kÇnnen insbesondere folgende steuerliche Konsequenzen eintreten:3 – Minderung der Ermittlungspflichten der FinanzbehÇrde, – Beweismaßreduzierung, – Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen, – Schtzung der Besteuerungsgrundlage durch die FinanzbehÇrde gem. § 162 Abs. 1-3 AO, – Festsetzung eines Zuschlags (§ 162 Abs. 4 AO).4
15.172
Die Schtzung der Besteuerungsgrundlagen durch die FinanzbehÇrde hat besondere Bedeutung, weil sie sich an der fÅr den Steuerpflichtigen ungÅnstigsten Grenze der Bandbreite angemessener Verrechnungspreise bewegt (§ 162 Abs. 3 Satz 2 AO). Diese Schtzung zulasten des Steuerpflichtigen ist auch dann mÇglich, wenn Zweifel an der Richtigkeit des ausgewiesenen Gewinns sich nicht ausrumen lassen, weil eine auslndische, dem Steuerpflichtigen nahestehende Person ihre Mitwirkungspflichten nicht erfÅllt (§ 162 Abs. 3 Satz 3 AO).5
15.173
Die vorstehenden fÅr den Steuerpflichtigen nachteiligen Rechtsfolgen sind in strafrechtlicher oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht ohne Relevanz. Dies gilt insbesondere fÅr die Beweisrisikoverlagerung zulasten des Steuerpflichtigen, wonach eine Beweisvermutung dahin gehend besteht, dass die im Inland steuerpflichtigen EinkÅnfte hÇher als die erklrten EinkÅnfte sind (§ 102 Abs. 3 Satz 1 AO) und schließlich fÅr die in § 162 Abs. 3 Satz 2 AO vorgesehene MÇglichkeit den Schtzungsrahmen
15.174
1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 151. 2 Vgl. hierzu umfassend VÇgele/FÅgemann in V/B/E, Verrechnungspreise3, E 56 ff. 3 Vgl. hierzu BMF v. 12.4.2005 (VWG-Verfahren), BStBl. I 2005, 570, Tz. 4.3 ff.; BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 161. 4 Zu Einzelheiten Seer in T/K, § 162 AO Rz. 72 ff. 5 Zur Kritik an dieser Regelung Seer in T/K, § 162 AO Rz. 71a; Seer, IWB 2012, 350 ff. (356).
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zulasten des Steuerpflichtigen auszuschÇpfen.1 Ebenso kann in Schtzungsfllen bei der Bestimmung des Werts des Transferpakets in Anwendung des Ertragswertverfahrens nicht ohne Weiteres zum Nachteil des Steuerpflichtigen von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ausgegangen werden.2 Steuerstrafrechtlich kommt es allein auf die Feststellung solcher Besteuerungsgrundlagen an, die als erwiesen anzusehen sind3 Beispiel: Die im Inland ansssige A-GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der in Frankreich ansssigen X-SA. Die X-SA hlt zugleich alle Anteile an der als Kapitalgesellschaft organisierten chinesischen Y-LLC. Die A-GmbH produziert verschiedene Elektroantriebe und vertreibt diese weltweit. Wegen einer zukunftsweisenden eigenen Neuentwicklung eines Elektroantriebs Åberlsst die A-GmbH der chinesischen Y-LLC die Produktion des alten Elektroantriebs, um so fÅr sich die entsprechenden Produktionskapazitten fÅr die Herstellung des neuen Antriebs zu nutzen. Bei diesem Nachfolgeprodukt handelt es sich um eine Weiterentwicklung, bei der im Wesentlichen das Know-how genutzt wurde, das bisher bei der Herstellung der alten Elektroantriebe zum Einsatz kam. Im Hinblick darauf werden auch die alten Produktionsmaschinen und das bisher eingesetzte Personal fÅr die Herstellung des Nachfolgeprodukts eingesetzt. Da die chinesische Y-LLC kein entsprechendes Produktions-Know-how hat, wird dieses von der A-GmbH gegen eine angemessene jhrlich zu zahlende LizenzgebÅhr zur Nutzung Åberlassen. Im Rahmen der BetriebsprÅfung geht die Finanzverwaltung davon aus, dass die berlassung der Produktion der alten Elektroantriebe an die chinesische Schwestergesellschaft eine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 2 FVerlV sei.4 Da der GeschftsfÅhrer der A-GmbH trotz wiederholter Aufforderung durch das Finanzamt keinerlei Aufzeichnungen im Zusammenhang mit der von der BetriebsprÅfung angenommenen Funktionsverlagerung vorlegt, erfolgt seitens der BetriebsprÅfung unter Hinweis auf § 162 Abs. 3 Satz 2 AO eine Schtzung. Die BetriebsprÅfung ermittelt hierbei den Wert der von ihr angenommenen Funktionsverlagerung in Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG entsprechend den Regelungen in den Verwaltungsgrundstzen Funktionsverlagerung wie folgt: Da es sich um die Substitution eines technisch veralteten Produktes handelt und das fÅr die Produktion der alten Elektroantriebe erforderliche Prozess-Know-how lizenziert wird, wird fÅr die Berechnung des Einigungspreises (§ 7 FVerlV) fÅr die A-GmbH als verlagerndes Un1 Spezifische steuerliche Beweislastregeln bleiben im Steuerstrafverfahren außer Betracht; vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148; Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56; Randt in F/G/J7, § 385 AO Rz. 20; Jger in Klein12, § 370 AO Rz. 94; Peters/Pflaum, wistra 2011, 250 ff. (253). 2 Gem. § 6 FVerlV ist bei der Diskontierung nur dann von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wenn keine GrÅnde fÅr einen abweichenden Kapitalisierungszeitraum glaubhaft gemacht werden; vgl. hierzu BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 171. 3 BGH v. 10.9.1985 – 4StR 487/85, wistra 1986, 65; BGH v. 4.2.1992 – 5 StR 655/91, wistra 1992, 147; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345; BFH v. 19.7.2007 – 5 StR 251/07, wistra 2007, 470, Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580). 4 Hinweis auf BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 19 ff., dort insbesondere das Beispiel zur Substitution in Rz. 23.
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B. VI. Funktionsverlagerungen ternehmen ein Mindestpreis von 0 zugrunde gelegt.1 In Anlehnung an die bisher mit der Produktion der Altantriebe erzielten Gewinne schtzt die BetriebsprÅfung unter BerÅcksichtigung der Steuer- und Standortvorteile in China einen HÇchstpreis fÅr die Y-LLC als Åbernehmendes Unternehmen.2 Da der GeschftsfÅhrer der A-GmbH weder von der X-SA noch von der Y-LLC irgendwelche Informationen Åber die Gewinne aus der Åbernommenen Produktion der Altantriebe erhlt und zudem auch das Finanzamt beide Auslandsgesellschaften erfolglos zur Mitwirkung aufgefordert hat, wird seitens des Finanzamts wegen aus seiner Sicht gegebener Verletzung von Mitwirkungspflichten der Wert des Transferpakets nicht auf der Grundlage des Mittelwerts (§ 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 AStG), sondern in Anlehnung an den HÇchstpreis im Einigungsbereich ermittelt.3 Gegen den GeschftsfÅhrer der A-GmbH wird zugleich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ist eine Funktion ein organischer Teil eines Unternehmens, der zwar keinen Teilbetrieb im steuerlichen Sinne begrÅnden muss, diesem aber relativ nahe kommen muss.4 Hieraus folgt, dass die Produktion eines bestimmten Produktes noch keine Funktion ist.5 Hinzu kommt, dass die Geschftsttigkeit der A-GmbH sich nicht verndert hat, weil die Produktion mit dem Nachfolgeprodukt fortgefÅhrt wird. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann von einer Funktionsverlagerung keine Rede sein.6 Ob eine Funktionsverlagerung tatschlich gegeben ist, kann allerdings offenbleiben, weil die seitens der BetriebsprÅfung vorgenommene Schtzung strafrechtlich irrelevant ist. Die Schtzung der BetriebsprÅfung erfolgte nmlich zulasten der A-GmbH dahin gehend, dass der Wert des Transferpaketes mit dem HÇchstpreis im Einigungsbereich angesetzt wurde (§ 162 Abs. 3 Satz 2 AO). DemgegenÅber sind fÅr strafrechtliche Zwecke von den Besteuerungsgrundlagen auszugehen, die als erwiesen anzusehen sind.7 Das bedeutet zwar nicht, dass nur sicher errechnete Zahlen zugrunde gelegt werden dÅrfen,8 erforderlich ist aber jedenfalls die richterliche berzeugung, dass bestimmte Mindestbetrge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verkÅrzt worden sind.9 Im Hinblick darauf ist hier daher im Zweifel vom Mindestpreis im Einigungsbereich auszugehen. Da die A-GmbH fÅr die berlassung des 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 119. 2 BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 124 ff. 3 BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 199. 4 Schreiber in Kroppen, Hdb. Internationale Verrechnungspreise, FVerlV Rz. 43; Baumhoff, WPg 2012, 396 ff. (398). 5 Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.41; a.A. BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 Rz. 14 ff. 6 Vgl. nur Baumhoff, WPg 2012, 396 ff. (399). 7 Hierzu Volk in FS Kohlmann, 2003, 579 ff. (580). 8 BGH v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345; Volk in FS Kohlmann, 579 ff. (586 ff.). 9 Zur Schtzung auf Grundlage freier BeweiswÅrdigung SchÅtzeberg, StBp 2009, 33 ff. (37 f.); vgl. auch Rz. 10.204 f.
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15.175
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Prozess-Know-how LizenzgebÅhren vereinnahmt, ist fÅr die Berechnung des Einigungspreises (§ 7 FVerlV) fÅr die A-GmbH von einem Mindestpreis von 0 auszugehen.1 Das bedeutet, dass insoweit schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist.
VII. Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte Literatur: Kommentare zu § 12 AO, Art. 5 OECD-MA; Buciek, Aktuelle Entwicklungen zur Betriebsstttenbesteuerung, DStZ 2003, 139; Ditz/Quilitzsch, Aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf die Definition der Betriebssttte, FR 2012, 493; FrÅchtl, BetriebssttteneinkÅnfte und Doppelbesteuerungsabkommen, BB 2008, 1212; GÇrl, Aktuelle Aspekte des Betriebsstttenbegriffs unter besonderer BerÅcksichtigung der Prsenzanforderungen, StbJb 2004/2005, 81; Haiß, Steuerliche Abgrenzungsfragen bei der BegrÅndung einer Betriebssttte im Ausland, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2011, 31; MÇller, Der Begriff der Betriebssttte im deutschen Steuerrecht, StuB 2005, 350; Piltz, Wann liegt eine DBA-Vertreter-Betriebssttte vor?, IStR 2004, 181; Piltz/Schaumburg, Internationale Betriebsstttenbesteuerung, KÇln 2000; Reimer, Die Zukunft der Dienstleistungsbetriebssttte, IStR 2009, 378; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 16.229 ff.; Schnitger/Bildstein, Praxisfragen der Betriebsstttenbesteuerung, Ubg 2008, 444; Schoss, Betriebssttte oder Tochtergesellschaft im Ausland, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2011, 51; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebssttten Handbuch, KÇln 2006; Wichmann, Aktuelle Tendenzen der OECD-Arbeiten zur Betriebssttte, insbesondere bei Vertretern und Dienstleistungen, StbJb 2004/05, 93 ff.; Wilke, Die Vertreterbetriebssttte im internationalen Steuerrecht, PIStB 2001, 22.
1. berblick
15.176 Im Rahmen der unbeschrnkten Einkommen- und KÇrperschaftsteuerpflicht gilt das Welteinkommensprinzip2 mit der Folge, dass es im Grundsatz nicht darauf ankommt, wo die EinkÅnfte erzielt werden. Insbesondere zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht indessen die Notwendigkeit, die auslndischen EinkÅnfte gesondert zu ermitteln: Soweit uni- oder bilateral die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, kann nur die auf die auslndischen EinkÅnfte (§ 34d EStG) entfallende auslndische Steuer auf die entsprechende deutsche Einkommenoder KÇrperschaftsteuer angerechnet werden (§ 34c Abs. 1 EStG, § 26 Abs. 1 KStG). Von der Reichweite der Freistellungsmethode werden schließlich ebenfalls nur auslndische EinkÅnfte erfasst. Zu den auslndischen EinkÅnften zhlen insbesondere auslndische BetriebssttteneinkÅnfte (§§ 34c Abs. 1 Satz 1, 34d Nr. 2 Buchst. a EStG, § 26 Abs. 6 Satz 1 1 Vgl. BMF v. 13.10.2010 (Verwaltungsgrundstze Funktionsverlagerung), BStBl. I 2010, 774 ff. Rz. 119. 2 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.53 ff.
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B. VII. Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte
KStG). Soweit die Doppelbesteuerung unilateral vermieden wird, ist insoweit der in § 12 AO verankerte Betriebsstttenbegriff maßgeblich. Kommen Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung, gilt der jeweilige abkommensrechtliche Betriebsstttenbegriff (Art. 5 OECD-MA). Beide Begriffe sind weitgehend identisch, unterscheiden sich allerdings z.B. bei BauausfÅhrungen und Montagen, wonach gem. § 12 Satz 1 Nr. 8 AO eine Dauer von mehr als sechs Monaten und nach Art 5 Abs. 3 OECD-MA eine Dauer von mehr als 12 Monaten erforderlich ist. DarÅber hinaus umfasst der abkommensrechtliche Betriebsstttenbegriff im Unterschied zum deutschen Recht (§ 13 AO) auch abhngige Vertreter (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA).1 Sind hiernach die Voraussetzungen einer Betriebssttte gegeben, hat auf einer zweiten Stufe eine EinkÅnftezuordnung, d.h. eine Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte zu erfolgen (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OECD-MA; zu Einzelheiten Rz. 13.174 ff.). Zentraler Maßstab zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebssttte bzw. zwischen mehreren Betriebssttten ist der Fremdvergleichsgrundsatz (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA). Um diesen Fremdvergleichsgrundsatz (Dealing-at-arm‘s-length-Prinzip) zur Geltung zu bringen, wird die (auslndische) Betriebssttte als selbstndiges und unabhngiges Unternehmen fingiert. Die Selbstndigkeitsfiktion der Betriebssttte hat allerdings nur eine begrenzte Reichweite, sodass bloße Innentransaktionen von ihr nicht erfasst werden.2 Im Anwendungsbereich des Art. 7 OECD-MA 2010 ergibt sich demgegenÅber in Umsetzung des Authorised OECD Approach (AOA) eine uneingeschrnkte Selbstndigkeitsfiktion der Betriebssttte mit der Folge, dass zukÅnftig auch reine Innentransaktionen fÅr die Gewinnabgrenzung relevant sind. Hiernach ist fÅr Zwecke der Betriebsstttengewinnabgrenzung eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse der betroffenen Unternehmensteile vorzunehmen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Zuordnung von Personal, Funktionen, VermÇgenswerten, Chancen und Risiken sowie von Eigenkapital,3 wobei das Kriterium wesentlicher Personalfunktionen (significant people functions) von besonderer Bedeutung ist.4 Das vorstehende AOA-Konzept ist zwar durch § 1 Abs. 4, 5 AStG in innerstaatliches Recht umgesetzt worden (vgl. Rz. 13.185 f.), insgesamt enthalten aber nur wenige deutsche Doppelbesteuerungsabkommen eine entsprechende Regelung.5
1 Zu den Unterschieden im Einzelnen Kruse in T/K, § 12 AO Rz. 40 ff.; Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 25 ff. 2 Vgl. BFH v. 27.7.1965 – I 110/63 S, BStBl. III 1966, 24; v. 20.7.1988 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.267 m.w.N. 3 Zu dieser Zuordnungsreihenfolge Schnorberger/Sassmann/Shekhovtsova, IStR 2014, 81 ff. 4 Ditz in SchÇnfeld/Ditz, Art. 7 (2010) Rz. 42; Kaeser, ISR 2012, 63 ff. (67). 5 § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG enthlt allerdings ein bedingtes treaty override; hierzu Kaeser in Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 714; Schnitger, IStR 2012, 633 ff. (641 ff.); zu verfassungsrechltichen Zweifeln des treaty override BFH v.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
2. Pflichtenkreis
15.177 Um die steuerliche Erfassung auslndischer Betriebssttten zu gewhrleisten, sind unbeschrnkt Steuerpflichtige verpflichtet, die GrÅndung und Erwerb von Betrieben und Betriebssttten im Ausland dem zustndigen Finanzamt (§§ 18-20 AO) mitzuteilen (§ 138 Abs. 2 Nr. 1 AO). Erfasst wird damit nicht nur die NeugrÅndung, sondern auch die Verlegung vom Inland in das Ausland sowie von einem Ausland in ein anderes Ausland.1 Maßgeblich ist, dass die Voraussetzungen einer Betriebssttte i.S. von § 12 AOgegeben sind, sodass es nicht darauf ankommt, ob es sich auch um eine Betriebssttte im abkommensrechtlichen Sinne handelt.2 Die Mitteilung ist innerhalb von fÅnf Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu erstatten, in dem die auslndische Betriebssttte gegrÅndet wurde (§ 138 Abs. 3 AO).
15.178 Neben der (formellen) Mitteilungspflicht sind die auslndische BetriebssttteneinkÅnfte gem. §§ 238-245, 264 ff., 290 ff. HGB, §§ 120 Abs. 1 und 161 Abs. 2 HGB, §§ 91, 270, 286 AktG, § 41 GmbHG, § 33 GenG, § 141 AO zu ermitteln.3 Soweit die BuchfÅhrungspflicht auf außersteuerlichen Vorschriften4 beruht, ist diese gem. §140 AO auch fÅr Zwecke der Besteuerung zu erfÅllen. Im Gegensatz zum deutschen Handelsrecht verlangt § 146 Abs. 2 Satz 1 AO im Grundsatz, dass BÅcher und Aufzeichnungen im Ausland befindlicher Betriebssttten im Inland gefÅhrt werden.5 Werden die BÅcher und Aufzeichnungen im Ausland gefÅhrt, mÅssen die Ergebnisse der dortigen BuchfÅhrung in die BuchfÅhrung des inlndischen Stammhauses Åbernommen werden. Das bedeutet, dass die Salden der einzelnen Posten der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unter Eliminierung innerbetrieblicher Gewinne und Anpassungen an die Gewinnermittlungsvorschriften des deutschen Steuerrechts Bestandteil der BuchfÅhrung des Stammhauses selbst werden.6 Werden die BÅcher der auslndischen Betriebssttte in Fremdwhrung gefÅhrt, sind die auslndischen Betriebsstttenergebnisse in Euro umzurechnen.7 Erge-
1 2 3 4
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10.1.2012 – I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056; BFH v. 11.12.2013 – I 4/13, BFH/NV 2014, 614; BFH v. 20.8.2014 – I R 86/13, DB 2014, 2439. Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6; Schallmoser in H/H/Sp § 38 AO Rz. 19; Schwarz in Schwarz, § 138 AO Rz. 17; Dißars, Stbg 2009, 453 ff. Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 6; Dißars, Stbg 2009, 453 ff. (454). Zu weiteren Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.17. Zu ihnen gehÇren auch auslndische Rechtsnormen; DrÅen in T/K, § 140 AO Rz. 7; Mathiak in K/S/M, § 5 EStG Rz. A 219; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.17; AEAO zu § 140 S. 4; BMF v. 16.5.2011, BStBl. I 2011, 530 Rz. 3; offengelassen von BFH v. 14.9.1994 – I R 116/93, BStBl. II 1995, 238; a.A. FG Hessen v. 15.11.2012 – 11 K 3175/09, FR 2013, 286 (Rev. Az. BFH I R 3/13); FG MÅnster v. 11.12.2013 – 6 K 3045/11 F, ISR 2014, 158; GÇrke in H/H/Sp, § 140 AO Rz. 11; Dißars in Schwarz, § 140 AO Rz. 4. Ausnahme gem. § 146 Abs. 2a AO fÅr elektronische BÅcher und Aufzeichnungen; vgl. zu Einzelheiten DrÅen in T/K, § 146 AO Rz. 40 ff. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.18. Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 18.19.
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B. VII. Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte
ben sich aufgrund der Whrungsumrechnung Whrungsgewinne oder -verluste, sind diese den BetriebssttteneinkÅnften zuzurechnen, sodass im Falle der abkommensrechtliche verankerten Freistellungsmethode eine steuerliche BerÅcksichtigung im Inland grundstzlich unterbleibt.1 Das gilt allerdings nicht fÅr umrechnungsbedingte Whrungsverluste aus der grenzÅberschreitenden RÅckfÅhrung des Dotationskapitals einer EU-/ EWR-Betriebssttte auf das inlndische Stammhaus, weil anderenfalls ein Verstoß gegen die unionsrechtlich verbÅrgten Grundfreiheiten gegeben wre.2 Entsprechendes hat auch fÅr TeilrÅckfÅhrungen von Dotationskapital und laufende (realisierte) Whrungsverluste zu gelten, weil diese naturgemß im Betriebsstttenstaat nicht entstehen kÇnnen.3 Wird die Anzeigepflicht (§ 138 Abs. 2 AO) verletzt, ist eine Ordnungswidrigkeit gegeben (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO). Es handelt sich hierbei um ein abstraktes Gefhrdungsdelikt, so dass es nicht darauf ankommt, ob durch die unterlassene Meldung Åberhaupt eine SteuerverkÅrzung ermÇglicht worden ist.4 Ist hierdurch allerdings der Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) erfÅllt, tritt der Bußgeldtatbestand des § 379 AO zurÅck (§ 379 Abs. 4 Halbs. 2 AO).5
15.179
3. Pflichtverletzungen Neben der unzutreffenden Gewinnabgrenzung zwischen inlndischem Stammhaus und auslndischer Betriebssttte (Rz. 13.174 ff.) sind in der Praxis insbesondere jene Flle strafrechtlich relevant, in denen im Rahmen der unbeschrnkten Einkommen- oder KÇrperschaftsteuerpflicht steuerfreie auslndische Betriebsstttengewinne erklrt werden, obwohl tatschlich im Ausland eine Betriebssttte nicht vorlag. Beispiel: Die in Deutschland ansssige A-GmbH stellt im Inland Werkzeugmaschinen her, die sie weltweit vertreibt. In Moskau unterhlt die A-GmbH ein sog. ReprsentationsbÅro, in dem u.a. ein deutscher Ingenieur mit Abschlussvollmacht ttig ist. DarÅber hinaus gibt es dort auch Ausstellungsrume, in denen die Werkzeugmaschinen gezeigt werden. Der GeschftsfÅhrer A der A-GmbH hat das ReprsentationsbÅro mit Hinweis auf die Ausstellungsrume fristgerecht bei dem fÅr die A-GmbH 1 BFH v. 16.2.1996 – I R 46/95, BStBl. II 1996, 588; BFH v. 16.2.1996 – I R 43/95, BStBl. II 1997, 128; BFH v. 18.9.1996 – I R 69/95, BFH/NV 1997, 408; BFH v. 16.12.2008, I B 44/08, BFH/NV 2009, 940; Wassermeyer in W/A/D, Betriebssttten-Hdb. Rz. 6.9; Looks in LÇwenstein/Looks, Betriebsstttenbesteuerung, Rz. 973 ff.; Ditz/SchÇnfeld, DB 2008, 1458 (1460 f.). 2 EuGH v. 28.2.2008 – Rs. C-293/06 – Deutsche Shell, EuGHE 2008, I-1129. 3 De Weerth, IStR 2008, 226 f.; Ditz/Plansky, DB 2009, 1669 ff. (1670) (hier TeilrÅckfÅhrung), Zieher, IStR 2009, 261 ff.; a.A. Hruschka, IStR 2008, 499 ff. (fÅr laufende Betriebsstttenverluste); zu weiteren Einzelheiten LÅdicke/Braunnagel in LÅdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, 177 ff. (182 ff.). 4 Vgl. Jger in F/G/J7, § 379 AO Rz. 49. 5 Zu Einzelheiten Jger in F/G/J7, § 379 AO Rz. 71 f.
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15.180
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht zustndigen Finanzamt als Betriebssttte gemeldet (§ 138 Abs. 2 AO). In der fÅr das Jahr 2010 abgegebenen KÇrperschaft- und Gewerbesteuererklrung der A-GmbH findet sich der Hinweis, dass der deutsche Ingenieur in Russland Auftrge akquiriert und dort die maßgeblichen Verhandlungen Åber die Lieferung von Werkzeugmaschinen gefÅhrt hat und auch technische Hilfsleistungen erbracht wÅrden. Dementsprechend ist der hierauf entfallende Gewinn nach Maßgabe des DBARussland als steuerfreier Betriebsstttengewinn erklrt und veranlagt worden. Im Rahmen der BetriebsprÅfung wird festgestellt, dass in Russland tatschlich nur ein Ausstellungs- und InformationsbÅro bestand, wo keine Rechtsgeschfte abgeschlossen wurden. Der deutsche Ingenieur hatte zwar Abschlussvollmacht, hiervon hat er aber zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht. Die Vertrge wurden daher tatschlich von dem GeschftsfÅhrer A in Deutschland endverhandelt und von ihm und dem deutschen Ingenieur whrend seiner regelmßigen Deutschland-Aufenthalte hier unterzeichnet. Zugleich stellt sich heraus, dass vom russischen ReprsentationsbÅro keinerlei technische Dienstleistungen erbracht wurden. Im Rahmen eines Åber das Bundeszentralamt fÅr Steuern an die russische Finanzverwaltung gerichteten Auskunftsersuchens wird mitgeteilt, dass die A-GmbH dort lediglich ein ReprsentationsbÅro ohne rechtsgeschftliche Aktivitten angemeldet habe mit der Folge, dass dort eine Besteuerung unterblieben sei.
15.181 Die A-GmbH erzielt mit ihren EinkÅnften aus der Herstellung und der Verußerung von Werkzeugmaschinen EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 KStG). Hiervon werden im Grundsatz auch die Gewinne erfasst, die durch die Verußerung von Werkzeugmaschinen an russische Abnehmer erzielt werden. Diese Gewinne sind allerdings dann von deutscher KÇrperschaftsteuer freizustellen, wenn sie im Rahmen einer in Russland unterhaltenen Betriebssttte erzielt worden sind (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-Russland). Das von der A-GmbH in Moskau unterhaltene ReprsentationsbÅro ist zwar eine feste Geschftseinrichtung, sodass die Betriebsstttenvoraussetzungen des § 12 Satz 1 AO und von Art. 5 Abs. 1 DBA-Russland gleichermaßen erfÅllt sind. Eine Besonderheit ergibt sich aber aus dem in Art. 5 Abs. 4 DBA-Russland enthaltenen Negativkatalog. Hiernach gilt eine feste Geschftseinrichtung nicht als Betriebssttte, wenn sie ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, GÅter oder Waren des Unternehmens auszustellen oder fÅr das Unternehmen GÅter oder Waren einzukaufen oder Informationen zu beschaffen (Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und d DBA-Russland). Aufgrund der von der deutschen Finanzverwaltung getroffenen Feststellungen sind die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a und d DBA-Russland erfÅllt, sodass unter diesem Gesichtspunkt eine Betriebssttte dort nicht gegeben ist.1 Entsprechendes gilt auch unter dem Gesichtspunkt des abhngigen Vertreters (Art. 5 Abs. 5 DBA-Russland). Der deutsche Ingenieur ist zwar fÅr die A-GmbH in Russland ttig und hat auch eine Vollmacht, im Namen der A-GmbH Vertrge abzuschließen, von dieser Vollmacht hat er aber dort tatschlich keinen Gebrauch gemacht und auch sonst die ihm
1 Vgl. zur Reprsentanz Wellmann in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Russland Rz. 10; Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 183.
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B. VII. Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte
eingerumte Vollmacht dort gewÇhnlich nicht ausgeÅbt.1 Damit steht fest, dass A als GeschftsfÅhrer der A-GmbH eine unzutreffende KÇrperschaftsteuererklrung abgegeben hat. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist damit gegeben und den Umstnden nach auch der subjektive Tatbestand. Das gilt allerdings nicht ohne Weiteres fÅr die Gewerbesteuer. Dies deshalb nicht, weil das in Russland belegene ReprsentationsbÅro als feste Geschftseinrichtung eine Betriebssttte i.S. von § 12 Abs. 1 AO darstellt und somit der hierauf entfallende Gewerbeertrag von vornherein nicht der Gewerbesteuer unterliegt (§ 2 Abs. 1 GewStG).2 Die HÇhe des auf die russische Betriebssttte entfallenden Gewerbeertrags bleibt weiteren Ermittlungen vorbehalten. Der objektive Tatbestand der Gewerbesteuerhinterziehung wird in diesem Zusammenhang Åberhaupt nur dann gegeben sein, wenn der nach allgemeinen Grundstzen zu ermittelnde Betriebsstttengewinn tatschlich niedriger ist als von A in der KÇrperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklrung angegeben. In der Praxis sind auch jene Flle von Bedeutung, denen in einem anderen DBA-Staat eine dort tatschlich gegebene Betriebssttte verheimlicht wird, um dort einer Besteuerung zu entgehen. Im Inland wird dem gegenÅber das Vorhandensein einer Betriebssttte in dem anderen Vertragsstaat offengelegt und somit eine zutreffende Steuererklrung abgegeben.
15.182
Beispiel: Die im grenznahen Bereich zu Belgien ansssige inlndische B-GmbH betreibt ein Abbruchunternehmen. Im Jahr 2008 fÅhrt sie entsprechende Abbrucharbeiten in LÅttich (Belgien) aus. Es handelt sich hierbei um den Abbruch einer alten Fabrikanlage, die auch die Sprengung eines Schornsteins beinhaltet. Auftragsgemß ist die B-GmbH fÅr die gesamte Sicherung der Abbruchstelle sowie den Abtransport des Abbruchmaterials, auch soweit dieses kontaminiert ist, verantwortlich. Die Arbeiten werden fÅr einen Zeitraum von weniger als 12 Monaten veranschlagt. Tatschlich dauern die Abbrucharbeiten aber mehr als 13 Monate an. Aufgrund der Angaben des GeschftsfÅhrers B der B GmbH gehen die belgischen FinanzbehÇrden von einer Dauer von weniger als 12 Monaten aus, sodass dort eine Besteuerung nach Maßgabe des mit Deutschland abgeschlossenen DBAs unterbleibt. Den deutschen FinanzbehÇrden wird demgegenÅber die tatschliche Dauer der Betriebssttte von 13 Monaten offengelegt, sodass auch hier eine Besteuerung in Orientierung an das DBA-Belgien insoweit unterblieben ist. Der vorgenannte Sachverhalt wird im Zuge einer BetriebsprÅfung aufgedeckt.
Die B-GmbH erzielt mit ihren in Belgien erzielten Abbrucharbeiten EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb (§ 8 Abs. 2 KStG), die im Rahmen der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) der Besteuerung unterliegen. Eine Einschrnkung ergibt sich indessen aus dem DBABelgien, wonach belgische Betriebsstttengewinne (Art. 7 Abs. 1 Satz 2, 1 Aus russischer Sicht ist eine Abschlussvollmacht wohl nicht erforderlich; vgl. Wagner/Wellmann in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Russland Rz. 14; im brigen hierzu Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 138. 2 Der Gewerbesteuer unterliegt nur der Gewerbeertrag, soweit er auf eine inlndische Betriebssttte entfllt; vgl. auch zu der insoweit nur deklatorisch wirkenden KÅrzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG.
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15.183
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien), freizustellen sind. Zu den Betriebssttten zhlen auch BauausfÅhrungen und Montagen (Art. 5 Abs. 2 Nr. 7 DBA-Belgien). Die BauausfÅhrungen umfassen nicht nur die Erstellung von Bauwerken, sondern auch Abbrucharbeiten.1 Die Frist fÅr BauausfÅhrungen betrgt zwar nur neun Monate (Art. 5 Abs. 2 Nr. 7 DBA-Belgien), diese Frist verlngert sich allerdings auf zwÇlf Monate, sofern Belgien mit einem Nachbarstaat eine solche Frist abkommensrechtlich vereinbart hat (Nr. 2 SP zu Art. 5 DBA-Belgien). Dies ist im DBA-Belgien/Niederlande geschehen, sodass im Verhltnis zu Deutschland seit dem Jahre 2003 eine 12-Monats-Frist gilt.2 Auf die vorgenannte 12-Monats-Frist ist auch dann abzustellen, wenn etwa durch Errichtung von Baucontainern usw. in Belgien eine feste Geschftseinrichtung geschaffen worden ist.3 FÅr die Berechnung der hier maßgeblichen 12-Monats-Frist sind auch vertraglich geschuldete Vorbereitungsarbeiten einzubeziehen.4 Im Hinblick auf die vorgenannten Gesichtspunkte sind die Angaben des GeschftsfÅhrers B gegenÅber dem fÅr die B-GmbH zustndigen Finanzamt zutreffend, sodass die Steuerfreistellung der belgischen Betriebsstttengewinne zu Recht erfolgt ist. Daran ndert auch nichts der Umstand, dass es aufgrund unzutreffender Angaben gegenÅber den belgischen FinanzbehÇrden dort zu keiner Besteuerung gekommen ist, denn weder das DBA-Belgien noch das deutsche nationale Recht enthlt in dem hier interessierenden Zusammenhang eine Subject-to-tax-Klausel, die die Steuerfreistellung in Deutschland von einer Besteuerung in Belgien abhngig machen wÅrde.5 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist somit von vornherein nicht gegeben. Nach Lage der Dinge hat allerdings B zugunsten der B-GmbH belgische Steuern hinterzogen. Daher wird B davon ausgehen mÅssen, dass die deutsche Finanzverwaltung auf Grundlage von Art. 26 Abs. 1 DBA-Belgien eine Spontanauskunft erteilt und die belgischen BehÇrden darÅber informiert, dass seitens der B-GmbH im Zusammenhang mit den Abbrucharbeiten in LÅttich eine belgische Betriebssttte (BauausfÅhrung) begrÅndet wurde. Die Voraussetzungen fÅr diesen Informationsaustausch ohne Ersuchen sind gegeben, weil objektive Anhaltspunkte dafÅr bestehen, dass diese Informationen fÅr den anderen 1 Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 92; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 104; GÇrl in V/L5, Art. 5 OECD-MA Rz. 58. 2 Zu Einzelheiten Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 202; Malinski in Wassermeyer, DBA, Art. 5 DBA-Belgien, Rz. 10). 3 Vgl. BFH v. 16.5.2001 – I R 47/00, IStR 2001, 564; BMF v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 1.2.1.2 (Betriebsstttenverwaltunsgrundstze); Art. 17 Rz. 16 OECD-MK; Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 89 f.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 5 OECD-MA Rz. 95; dass Art. 5 Abs. 2, 3 DBA-Belgien insoweit anders aufgebaut ist, spielt keine Rolle; hierzu Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 202. 4 Zur Fristberechnung im Einzelnen Hruschka in SchÇnfeld/Ditz, Art. 5 OECD-MA Rz. 104 ff. 5 Anders z.B. bei den EinkÅnften aus nicht selbstndiger Arbeit, vgl. § 50d Abs. 8 EStG; zu diesem Problem der internationalen Minderbesteuerung Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff.
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B. VIII. Auslndische Kapitalertrge
Staat steuerlich von Bedeutung sein kÇnnen. Die Åbermittelten AuskÅnfte dÅrfen in Belgien sodann auch in einem Steuerstrafverfahren verwendet werden (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien). Zu dieser Spontanauskunft besteht gem. § 8 Abs. 2 EUAHiG eine Verpflichtung, wobei auch in diesem Fall die AuskÅnfte fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke verwendet werden dÅrfen (Rz. 8.19 ff.).
VIII. Auslndische Kapitalertrge Literatur (Kommentare und Monographien ab 2007): Kommentare zu §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2, 20, 32d EStG, § 8b KStG und §§ 7, 9 Nr. 7 GewStG; Feyerabend, Besteuerung privater Kapitalanlagen, MÅnchen 2009; Harenberg/ZÇller, Abgeltungsteuer, 3. Aufl. Herne/Berlin 2012; Haisch, Derivatebesteuerung im PrivatvermÇgen ab 2009, MÅnchen 2009; Jankoviak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, Baden-Baden 2009; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 15.20 ff., 15.151 ff., 15.223 ff.; Henkel, Beteiligung an auslndischen Kapitalgesellschaften in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 11.1; Janssen, Verdeckte GewinnausschÅttungen, 11. Aufl. Herne 2013;
1. berblick Diejenigen EinkÅnfte, die ihrer Art nach zu den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen gehÇren, sind in § 20 EStG1 aufgefÅhrt. Aufgrund der in § 20 Abs. 8 EStG verankerten Subsidiarittsklausel gehÇren sie allerdings zu den EinkÅnften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbstndiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung, wenn entweder die zugrunde liegende Kapitalanlage zum notwendigen oder gewillkÅrten BetriebsvermÇgen oder SonderbetriebsvermÇgen gehÇrt bzw. die KapitaleinkÅnfte in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Vermietung oder Verpachtung (§ 21 EStG) anfallen. Diese Subsidiarittsklausel gilt fÅr in- und auslndische KapitaleinkÅnfte gleichermaßen, nicht aber, soweit sie seitens beschrnkt steuerpflichtiger Personen erzielt werden.2
15.184
Zu den KapitaleinkÅnften, die in steuerstrafrechtlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung sind, gehÇren BezÅge aus Kapitalanteilen und Genussrechten einschließlich verdeckter GewinnausschÅttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und Dividenden sowie Ertrge aus Kapitalforderungen jeder Art (§ 20 Abs. 1 Nr. 5-8 EStG), vor allem Zinsen.
15.185
1 Die Vorschrift gilt auch fÅr die KÇrperschaftsteuer (§ 8 Abs. 1 KStG). 2 Zur isolierenden Betrachtungsweise gem. § 49 Abs. 2 EStG vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.132.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
a) Dividenden
15.186 BezÅge, insbesondere Dividenden, unterliegen bei der Einkommensteuer im Anwendungsbereich der EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbstndiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung dem sog. TeileinkÅnfteverfahren (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 2 EStG). Hiernach werden 40 % der BezÅge steuerfrei gestellt, wobei die im wirtschaftlichen Zusammenhang hiermit stehenden VermÇgensminderungen und Erwerbsaufwendungen ebenfalls zu 40 % vom Steuerabzug ausgeschlossen sind (§ 3c Abs. 2 EStG). Das TeileinkÅnfteverfahren ist darauf gerichtet, die steuerliche Doppelbelastung fÅr Gewinne durch KÇrperschaftsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits abzumildern, ohne dass es im Grundsatz darauf ankommt, ob etwa die ausschÅttende Kapitalgesellschaft mit KÇrperschaftsteuer vorbelastet ist.1 Allerdings fÅhren BezÅge2 nur dann zu einer teilweisen Steuerbefreiung, soweit sie das Einkommen der leistenden KÇrperschaft nicht gemindert haben (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d Satz 2 EStG).3 Das vorgenannte TeileinkÅnfteverfahren findet im brigen keine Anwendung, soweit – die Dividenden den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Abs. 8 Satz 1 EStG) zuzurechnen sind (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG), da insoweit die Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) eingreift,4 – die zugrunde liegenden Kapitalanteile bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten dem Handelsbuch zuzurechnen sind (§ 3 Nr. 40 Satz 3 Halbs. 1 EStG), – die zugrunde liegenden Anteile von Finanzunternehmen mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges erworben worden sind (§ 3 Nr. 40 Satz 3 Halbs. 2 EStG), – sie von einer REIT-AG erzielt werden (§ 19 Abs. 3 REITG).
15.187 Das TeileinkÅnfteverfahren gilt zwar fÅr unbeschrnkt und beschrnkt Steuerpflichtige natÅrliche Personen gleichermaßen, fÅr beschrnkt Steuerpflichtige ergeben sich aber weitgehende Einschrnkungen durch die in § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG verankerte Abgeltungswirkung. Im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG) wird nmlich im Grundsatz eine Kapitalertragsteuer in HÇhe von 25 % vom Bruttobetrag einbehalten (§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Im Ergebnis kommt daher das TeileinkÅnfteverfahren fÅr beschrnkt Steuerpflichtige nur dann zur Anwendung, wenn die Dividenden 1 Hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.90. 2 In der ab VZ 2014 geltenden Fassung des AmtshilfeRLUmsG (§ 52 Abs. 4d Stze 4 und 5 EStG); fÅr vorangegangene Zeitrume betrifft die Korrespondenzklausel nur verdeckte GewinnausschÅttungen. 3 Zur Kritik an diesem materiellen Korrespondenzprinzip Schnitger/Rometzki, BB 2008, 1648 ff (1649); DÇrfler/Adrian, Ubg 2008, 373 ff. (377 ff.); Kempf in StbJb 2008/2009, 147 ff. (150 ff.); speziell zur Verfassungsmßigkeit Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). 4 Vgl. allerdings § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, wonach auf Antrag die Abgeltungsteuer nicht gilt: Option zur Regelbesteuerung.
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B. VIII. Auslndische Kapitalertrge
einer inlndischen Betriebssttte zuzuordnen sind (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG), mit der Folge, dass sodann bei der Veranlagung die einbehaltene Kapitalertragsteuer angerechnet werden kann (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG).1 Bei der KÇrperschaftsteuer werden Dividenden im Grundsatz steuerfrei gestellt (§ 8b Abs. 1 KStG). Diese sachliche Steuerbefreiung gilt fÅr Inund Auslandsdividenden gleichermaßen und kann sowohl von unbeschrnkt als auch von beschrnkt steuerpflichtigen KÇrperschaftsteuersubjekten (Kapitalgesellschaften) in Anspruch genommen werden. Die Steuerbefreiung wird fÅr AusschÅttungen vor dem 1.3.2013 vorbehaltlos gewhrt, sodass es auf irgendwelche Mindestbesitzzeiten, Mindestbeteiligungsquoten oder Aktivittsvorbehalte nicht ankommt. Ab 1.3.2013 kommt die Steuerbefreiung nicht in Betracht, wenn die betreffende Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG).2 Die KÇrperschaftsteuerbefreiung berÅcksichtigt einerseits die kÇrperschaftsteuerliche Vorbelastung der ausschÅttenden in- oder auslndischen Kapitalgesellschaft einerseits sowie die steuerliche Endbelastung beim Anteilseigner im Rahmen der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d EStG) und des TeileinkÅnfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG) andererseits. In welcher HÇhe eine in- oder auslndische kÇrperschaftsteuerliche Vorbelastung besteht, spielt fÅr die Steuerbefreiung keine Rolle; entscheidend ist allein, dass die AusschÅttungen (BezÅge) das Einkommen der leistenden KÇrperschaft nicht gemindert haben.3 Vor 2014 gilt dieses Korrespondenzprinzip nur fÅr verdeckte GewinnausschÅttungen.4
15.188
Mit der vorgenannten Steuerfreistellung verknÅpft ist die in § 8b Abs. 5 KStG verankerte sog. Schachtelstrafe, wonach 5 % der BezÅge als Ausgaben fingiert werden, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dÅrfen. Das bedeutet im Ergebnis, dass stets nur 95 % der in- oder auslndischen BezÅge steuerfrei sind, und zwar ohne RÅcksicht darauf, ob tatschlich Betriebsausgaben in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien BezÅgen entstanden sind. Da die vorgenannte Schachtelstrafe auf jeder Beteiligungsstufe eingreift, ergibt sich bei einem mehrstufigen Konzern ein Kaskadeneffekt,5 sodass die Steuerfreistellung fÅr BezÅge hierdurch stark eingeschrnkt wird.
15.189
1 Herkenroth/Striegel in H/H/R, § 50 EStG Rz. 323; Loschelder in Schmidt33, § 50 EStG Rz. 28. 2 I.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils v. 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 v. 21.3.2013, BGBl. I 2013, 561. 3 § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab 2014 (§ 34 Abs. 7 Stze 13 und 14 KStG). 4 Zur Verfassungsmßigkeit Schaumburg in FS Frotscher, 503 (514 ff.). 5 Gosch in Gosch2, § 8b KStG Rz. 452; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 15.168.
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15.190 Als Folge der Freistellung regelt § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, dass Substanzverluste, insbesondere Teilwertabschreibungen auf in- und auslndischen Kapitalanteilen nicht mit steuerlicher Wirkung vorgenommen werden dÅrfen. Ein entsprechendes Abzugsverbot gilt fÅr bestimmte Gesellschafterdarlehen (§ 8b Abs. 3 Stze 4-7 KStG).
15.191 Die Steuerfreistellung gilt nicht – fÅr GewinnausschÅttungen, soweit diese bei der leistenden in- oder auslndischen KÇrperschaft (Kapitalgesellschaft) das Einkommen gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG),1 – fÅr GewinnausschÅttungen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (§ 8b Abs. 4 KStG),2 – fÅr Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute, bei denen die zugrunde liegenden Kapitalanteile dem Handelsbuch zuzurechnen sind (§ 8b Abs. 7), – fÅr Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen, bei denen die zugrunde liegenden Kapitalanteile den Kapitalanlagen zuzurechnen sind (§ 8b Abs. 8 KStG) und – fÅr bestimmte Wertpapierleih- und Wertpapierpensionsgeschfte (§ 8b Abs. 10 KStG).3
15.192 Die (teilweise) KÇrperschaftsteuerbefreiung (§ 8b Abs. 1, 3 KStG) gilt im Grundsatz auch fÅr die Gewerbesteuer (§ 7 Satz 1 GewStG). Hieraus folgt im Ausgangspunkt, dass 95 % der Dividenden aus dem Gewerbeertrag herausgenommen sind. Sodann erfolgt aber eine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG, es sei denn die Voraussetzungen der in § 9 Nr. 2a, 7 GewStG verankerten gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien sind erfÅllt. Das setzt eine Mindestbeteiligungsquote von 15 % seit Beginn des Erhebungszeitraums voraus. Zudem ist bei auslndischen Rechtstrgern, die nicht in einem EU-Mitgliedstaat ansssig sind, eine aktive Ttigkeit erforderlich. Damit bewirkt die Hinzurechnung im Ergebnis stets eine uneingeschrnkte Gewerbesteuerbelastung fÅr Streubesitzdividenden, fÅr in- und auslndische Dividenden aus Kapitalanteilen, die unterjhrig erworben wurden, und generell fÅr Dividenden seitens auslndischer außerhalb der EU ansssiger Rechtstrger, soweit diese nicht aktiv ttig sind. Allerdings ist die Reichweite der Hinzurechnung (§ 8 Nr. 5 GewStG) begrenzt: In den Fllen, in denen Auslandsdividenden den abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien unterliegen und diese auch fÅr die Gewer-
1 Vor 2014 gilt dieses Korrespondenzprinzip nur fÅr verdeckte GewinnausschÅttungen (§ 34 Abs. 7 Stze 12 und 13 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG). 2 Geltung ab 1.3.2013 (§ 34 Abs. 7a Satz 2 KStG i.d.F. des Gesetzes v. 21.3.2013). 3 Erweiterte Regelung durch das AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab 1.1.2014 bzw. Anwendung auf alle noch offenen Flle (§ 34 Abs. 7 Stze 10 und 11 KStG).
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B. VIII. Auslndische Kapitalertrge
besteuer gelten, kommt die abkommensrechtliche Freistellung ohne die Einschrnkung des § 8 Nr. 5 GewStG zur Anwendung.1 b) Zinsen Im Rahmen der Einkommensteuer unterliegen im Falle der unbeschrnkten Steuerpflicht in- und auslndische Zinsen gleichermaßen der Einkommensteuer (§ 20 Abs. 1 Nr. 5-8 EStG). Das gilt insbesondere fÅr Hypothekenzinsen (§ 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG), Kapitalertrge aus Versicherungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG), Ertrge aus sonstigen Kapitalforderungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) und Diskontbetrge aus Wechseln, Anweisungen und Schatzwechseln (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG). Im Rahmen der beschrnkten Einkommensteuerpflicht werden Zinsen allerdings nur teilweise der Besteuerung unterworfen, und zwar nur insoweit, als die zugrunde liegenden Forderungen im Inland dinglich gesichert sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa EStG). Trotz dinglicher Sicherung sind Zinsen aus Anleihen und Forderungen aus der beschrnkten Steuerpflicht ausgenommen, wenn sie in ein Çffentliches Schuldbuch eingetragen, Åber Sammelurkunden oder Åber Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. aa Satz 2 EStG). Erfasst werden schließlich auch EinkÅnfte aus Genussrechten, mit denen nicht das Recht an Gewinn und am LiquidationserlÇs verbunden ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchst. bb EStG). Im Ergebnis sind damit ZinseinkÅnfte, etwa aus SparbÅchern und Festgeldanlagen, beschrnkt steuerpflichtiger Personen aus der Besteuerung ausgenommen.2
15.193
2. Pflichtenkreis Steuerpflichtige auslndische Kapitalertrge sind im Rahmen der unbeschrnkten Einkommen- oder KÇrperschaftsteuerpflicht in den jhrlich abzugebenden Steuererklrungen (§ 25 Abs. 3 EStG, § 31 Abs. 1 KStG, § 14a GewStG) zu erfassen. Das gilt auch fÅr jene Kapitalertrge, die dem gesonderten Steuertarif (§ 32d EStG) unterliegen, fÅr die eine Steuer mit abgeltender Wirkung (sog. Abgeltungsteuer) aber nicht einbehalten worden ist (§ 32d Abs. 3 Satz 1 EStG).
15.194
Ein Großteil der bekannt gewordenen und vermuteten Steuerhinterziehungen beruht darauf, dass aus auslndischen Bankkonten und Depots fließende Kapitalertrge im Inland steuerlich nicht erklrt worden sind bzw. werden. Dass insoweit der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) gegeben ist, bedarf keiner
15.195
1 BFH v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129; Pung in D/P/M, § 8b KStG Rz. 48; Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher, § 8b KStG Rz. 66; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 15.230; HagebÇke, IStR 2009, 473 ff. (477). 2 Eine gleichwohl erhobene Abgeltungsteuer ist auf formlosen Antrag hin durch das Betriebsstttenfinanzamt des Abzugsschuldners (auszahlende Stelle) zu erstatten; vgl. BMF v. 5.11.2002, BStBl. I 2002, 1346 Tz. 49.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
weiteren ErÇrterung. Probleme tauchen in der Praxis allerdings in Fllen der Selbstanzeige auf, wenn die Tat bereits aufgrund der Finanzverwaltung vorliegender CDs entdeckt ist oder die Selbstanzeige sich als nicht vollstndig erweist (zur Wirksamkeit von Selbstanzeigen Rz. 11.19 ff.). Von Bedeutung sind aber auch Flle, in denen nur die Gehilfen und nicht die Steuerhinterzieher bekannt sind. Angesprochen sind damit etwa von inlndischen Banken veranlasste anonyme Transfers – ohne LegitimationsprÅfung – von Wertpapieren auf auslndische Banken. Eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung der mitwirkenden Bankmitarbeiter kommt zwar abstrakt ohne Weiteres in Betracht, das setzt allerdings voraus, dass die Haupttter bekannt sind. Solange dies nicht der Fall ist, kann eine Beihilfe nicht bejaht werden. Denn es bedarf der Feststellung, dass der jeweilige Inhaber des im Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Ertrge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, ohne dass sie steuerlich erklrt worden sind.1 Es gibt jedenfalls keinen allgemeinen Erfahrungsansatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklrung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Ertrge macht.2
15.196 Sind die auslndischen KapitaleinkÅnfte als EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder aus selbstndiger Arbeit zu qualifizieren, gelten fÅr sie die allgemein maßgeblichen BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten (§§ 140, 141, 145, 146 AO). Dementsprechend sind die einschlgigen Unterlagen aufzubewahren (§ 147 AO). Hierzu zhlen auch KontoauszÅge von gemischten Konten, Åber die gleichermaßen betriebliche und private Vorgnge abgewickelt werden.3 Soweit die KapitaleinkÅnfte den EinkÅnften aus Vermietung und Verpachtung oder den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen zuzuordnen sind, ergeben sich im Grundsatz keine Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflichten, sodass etwa entsprechende private KontoauszÅge nicht aufbewahrt werden mÅssen.4 Eine Ausnahme ergibt sich allerdings fÅr Steuerpflichtige, bei denen die berschusseinkÅnfte mehr als 500.000 Euro im Kalenderjahr betragen (§ 147a AO). Aufzubewahren sind hiernach einkunftsbezogene Aufzeichnungen und Unterlagen, also vor allem Kreditabrechnungen, Konto- und DepotauszÅge sowie Ertrgnisaufstellungen.5 Die Aufbewahrung der einschlgigen Unterlagen im Ausland ist zulssig.6
1 BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFH/NV 2013, 799: keine Haftung wegen Steuerhinterziehung (§ 71 AO); zur Voraussetzung einer vorstzlichen und rechtswidrigen Haupttat Joecks in F/G/J7, § 369 AO Rz. 77; vgl. auch Rz. 10.193 ff. 2 Vgl. BFH v. 20.6.2007 – II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; BFH v. 15.1.2013 – VIII R 22/10, BFH/NV 2013, 799. 3 BFH v. 15.9.1992 – VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76; FG Hamburg v. 22.3.1991 – VII 164/90, EFG 1991, 636; FG MÅnchen v. 11.12.2002 – 9 K 252/01, EFG 2003, 625; DrÅen in T/K, § 147 AO Rz. 18. 4 DrÅen in T/K, § 147 AO Rz. 23; OFD MÅnchen v. 9.2.2004, DB 2004, 518. 5 Vgl. Dißars, BB 2010, 2085 ff. (2086). 6 DrÅen in T/K, § 147a AO Rz. 15a.
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B. VIII. Auslndische Kapitalertrge
3. Pflichtverletzungen Werden die in den §§ 140 ff. AO verankerten BuchfÅhrungs- bzw. Aufzeichnungspflichten und Aufbewahrungspflichten verletzt, kÇnnen folgende steuerliche Konsequenzen eintreten: – Zwangsgeld (§ 329 AO), – VerzÇgerungsgeld (§ 146 Abs. 2b AO), – Schtzung (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO).
15.197
Zu den strafrechtlichen Konsequenzen: Soweit nicht ohnehin eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) gegeben ist, handelt derjenige ordnungswidrig, der nach Gesetz buchungs- oder aufzeichnungspflichtige Geschftsvorflle oder Betriebsvorgnge nicht oder in tatschlicher Hinsicht unrichtig verbucht oder verbuchen lsst und dadurch ermÇglicht, dass Steuern verkÅrzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden (§ 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Dagegen bleibt die Verletzung von Aufzeichnungspflichten (§§ 147, 147a AO) ohne strafrechtliche oder bußgeldrechtliche Folgen.1 Allerdings kann im Einzelfall eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder eine fahrlssige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) gegeben sein, wenn mit einer (vorzeitigen) Vernichtung von Aufzeichnungen2 das Verschweigen buchfÅhrungspflichtiger Tatsachen hinzukommt.3 Der Nachweis, dass derjenige, der steuerpflichtige Kapitalertrge gegenÅber dem Finanzamt nicht erklrt, vorstzlich handelt, ist in der Praxis zumeist ohne Weiteres mÇglich4. Dies gilt gleichermaßen auch fÅr die Hinterziehung auslndischer Kapitalertrge. Die Aufdeckung der Steuerhinterziehung auslndischer Kapitalertrge erfolgt zumeist durch Anzeigen, Zufallsfunde bei Durchsuchungen seitens der Steuerfahndung, durch internationalen Informationsaustausch (hierzu Rz. 7.1 ff.; 8.1 ff.; 9.1 ff.) sowie vermehrt auch durch seitens der FinanzbehÇrden aufgekaufte CDs (zur Verwertbarkeit Rz. 6.37) und schließlich durch Selbstanzeigen.
15.198
Im außensteuerlichen Kontext entstehen besondere Probleme z.B. im Zusammenhang mit einer internationalen Minderbesteuerung,5 soweit diese durch eine entsprechende Gestaltung bewusst herbeigefÅhrt wird.
15.199
1 Vgl. zu § 147a AO Rtke in Klein12, § 147a AO Rz. 42; DrÅen in T/K, § 147a AO Rz. 21. 2 Ggf. UrkundenunterdrÅckung (§ 274 StGB). 3 DrÅen in T/K, § 147 AO Rz. 64a. 4 Etwas anderes gilt, wenn von Banken erstellte Ertrgnisaufstellungen (unerkannt) unvollstndig sind und diese der Steuererklrung zugrunde gelegt werden. 5 Sog. weiße EinkÅnfte; hierzu Jankoviak, Doppelte Nichtbesteuerung im internationalen Steuerrecht, 2009; Burmester in FS Debatin, 55 ff.; M. Lang, CDFI 89a (2004), 21 ff.; Schaumburg in FS Frotscher, 503 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Beispiel: Die inlndische A-GmbH, die weltweit Åber Tochterkapitalgesellschaften operativ ttig ist und ihr Geschft im Ausland ausbauen will, stand 2010 vor der Notwendigkeit, einige Auslandsgesellschaften mit entsprechendem Eigen- oder Fremdkapital auszustatten. Aufgrund eines Gutachtens seines Steuerberaters, hat sich der GeschftsfÅhrer A in einigen Fllen fÅr die Vergabe von Genussrechtskapital, in anderen Fllen fÅr die Hingabe von Darlehen und im brigen fÅr die Ausstattung mit Eigenkapital durch entsprechende KapitalerhÇhung entschieden. Die Ausstattung des Genussrechtskapitals erfolgte nur bei den Auslandsgesellschaften, bei denen nach dortigem Steuerrecht die hierauf vorgenommenen AusschÅttungen als gewinnabhngige Zinsen steuerlich abzugsfhig sind. Das Genussrechtskapital ist so ausgestaltet, dass die AusschÅttungen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts als steuerfreie BezÅge (Dividenden) zu qualifizieren sind, sodass sie nicht nur ein Recht am Gewinn, sondern auch am LiquidationserlÇs vermitteln. GeschftsfÅhrer A weist dementsprechend in den KÇrperschaftsteuererklrungen 2010–2012 der A-GmbH insoweit steuerfreie Auslandsdividenden aus. Im Rahmen einer spter durchgefÅhrten BetriebsprÅfung werden die unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen1 aufgedeckt. Die BetriebsprÅfung stellt sich auf den Standpunkt, dass im Hinblick auf die gezielte Schaffung „weißer EinkÅnfte“ die Steuerfreiheit zu Unrecht in Anspruch genommen worden sei. Es handele sich um eine missbruchliche Gestaltung (§ 42 AO), die vom Gesetzgeber, wie die nderung des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG durch das AmtshilfeRLUmsG2 beweise, nicht gewollt war. Die BetriebsprÅfung erfasst daher die AusschÅttungen aus dem auslndischen Genussrechtskapital als steuerpflichtige Zinsen. Im brigen wird gegen A wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.200 BezÅge (Dividenden) seitens in- oder auslndischer Kapitalgesellschaften sind im Grundsatz von der KÇrperschaftsteuer freizustellen (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG). Das gilt auch fÅr bezogene AusschÅttungen auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am LiquidationserlÇs der leistenden Kapitalgesellschaft verbunden ist (vgl. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG).3 Die Steuerfreiheit (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG) hngt hierbei grundstzlich nicht davon ab, ob und ggf. in welcher HÇhe die BezÅge (Dividenden) bei der leistenden (auslndischen) Kapitalgesellschaft das Einkommen gemindert haben. Etwas anderes gilt lediglich fÅr verdeckte GewinnausschÅttungen (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) und ab 2014 fÅr alle BezÅge und somit auch fÅr AusschÅttungen auf Genussrechte.4 Damit hat die inlndische A-GmbH im Ausgangspunkt bis dahin zu Recht die Steuerbefreiung fÅr die AusschÅttungen auf Genussrechte in Anspruch genommen. Die Anwendung des § 42 AO fÅhrt hier nicht dazu, dass anstelle steuerfreier AusschÅttungen auf Genussrechte steuerpflichtige Zinsen anzusetzen sind. Die Voraussetzungen des § 42 AO sind nmlich in mehrfacher Hinsicht nicht erfÅllt. So scheitert die Anwendung des § 42 AO schon daran, dass § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG das Korrespondenzprinzip in
1 VZ vor 2014. 2 Mit Wirkung ab VZ 2014; vgl. § 34 Abs. 7 Stze 13 und 14 KStG. 3 Zur Qualifikation als BezÅge (Dividende) im Einzelnen vgl. Gosch in Gosch2, § 8 KStG Rz. 148 ff. 4 § 8b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 7 Stze 13 und 14 KStG i.d.F des AmtshilfeRLUmsG.
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B. VIII. Auslndische Kapitalertrge
dem hier maßgeblichen Zeitraum nur auf verdeckte GewinnausschÅttungen und nicht fÅr andere BezÅge vorsieht (vgl § 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Diese speziell gegen weiße EinkÅnfte gerichtete Korrespondenzklausel bedeutet fÅr das deutsche Einkommen- und KÇrperschaftsteuergesetz einen Systembruch.1 Denn allgemein gilt, dass die Qualifikation der EinkÅnfte und deren Besteuerung beim EinkÅnfteempfnger unabhngig davon erfolgen, ob und ggf. in welchem Umfang entsprechende Aufwendungen beim Leistenden steuerliche BerÅcksichtigung finden. Im Hinblick darauf ist der Ausnahmevorschrift des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG die Wertung zu entnehmen, dass das Korrespondenzprinzip in dem hier maßgeblichen Zeitraum insoweit nur fÅr verdeckte GewinnausschÅttungen, nicht aber fÅr andere BezÅge gelten soll. Diese Wertung schlgt auf die Anwendung des § 42 AO durch (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO).2 Davon abgesehen fÅhrt die vom GeschftsfÅhrer A fÅr die A-GmbH gewhlte Gestaltung zu keinem fÅr die Anwendung des § 42 AO relevanten Steuervorteil. Ob ein Steuervorteil gegeben ist, ergibt sich nmlich aus einem Abgleich zwischen den steuerlichen Auswirkungen einer angemessenen mit denen der tatschlich gewhlten rechtlichen Gestaltung.3 Kommen mehrere angemessene Gestaltungen in Betracht, ist hierbei die fÅr den Steuerpflichtigen gÅnstigste Gestaltung bei der Vergleichsbetrachtung heranzuziehen.4 Das ist hier die Ausstattung mit Eigenkapital im Zuge einer KapitalerhÇhung, denn in diesem Falle wren AusschÅttungen bei der A-GmbH ebenfalls von der KÇrperschaftsteuer befreit. Dass bei den ausschÅttenden Auslandsgesellschaften bei dieser Fallgestaltung ein Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen ist, spielt keine Rolle. Dies deshalb nicht, weil bei der Frage, ob ein Steuervorteil vorliegt, nur auf die deutsche Steuerbelastung abzustellen ist.5 Schließlich gilt ohnehin, dass eine Steuerumgehung weder verboten noch strafbar ist. Eine Strafbarkeit ergibt sich allenfalls, wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unvollstndige oder unrichtige Angaben macht, um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern.6 Da der GeschftsfÅhrer A die KÇrperschaftsteuererklrungen 2010–2012 fÅr die A-GmbH entsprechend vollstndig ausgefÅllt hat, ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine Pflichtwidrigkeit zu verneinen. Im brigen bestand fÅr ihn auch keine Verpflichtung, die Finanzverwaltung auf den Betriebsausgabenabzug bei den Auslandsgesellschaften hinzuweisen. Diese Ver-
1 Hierzu Schaumburg in FS Frotscher, 2013, 503 (514 ff.). 2 Zur sog. negativen Spezialitt DrÅen in T/K, vor § 42 AO Rz. 13a; Ratschow in Klein12, § 42 AO Rz. 91. 3 BMF v. 17.7.2009, BStBl. I 2008, 694 (AEAO) Tz. 2.3 Satz 1; Koenig in Pahlke/ Koenig2, § 42 AO Rz. 22. 4 DrÅen in T/K, § 42 AO Rz. 50; Schwarz in Schwarz, § 42 AO Rz. 84. 5 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.147; Piltz, BB 1987, Beilage 14, 1 (9 f.). 6 Ratschow in Klein12, § 42 AO Rz. 15; BMF v. 17.7.2008, BStBl. I 2008, 694, (AEAO) § 42 Rz. 3; zu Einzelheiten Rz. 10.101 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
pflichtung ergibt sich erst ab dem Veranlagungszeitraum 2014.1 Damit ist das gegen A eingeleitete Ermittlungsverfahren einzustellen.
15.201 In der Praxis sind u.a. mit auslndischen Versicherungsgesellschaften abgeschlossene Lebensversicherungsvertrge von besonderer Bedeutung. Beispiel: A, der seit Jahren bei einer auslndischen Bank Depots und Festgeldkonten unterhlt, die er bislang gegenÅber dem deutschen Finanzamt nicht offengelegt hat, schließt mit der auf den Bermudas ansssigen Versicherungsgesellschaft X eine Kapitallebensversicherung ab, in die er eine namhafte Summe einzahlt. Bestimmungsgemß soll die Versicherungsleistung nach Ablauf von zwÇlf Jahren ausgezahlt werden. Zu diesem Zeitpunkt wird A das 60. Lebensjahr vollendet haben. Der Versicherungsvertrag enthlt die Åblichen fÅr die steuerliche Anerkennung maßgeblichen Regelungen. Aufgrund einer mit der Lebensversicherung geschlossenen Sondervereinbarung wird die eingezahlte Versicherungssumme von der auslndischen Versicherung gesondert verwaltet und auf Anweisung des A bestimmungsgemß angelegt. Die aus der Anlage des Kapitals erwirtschafteten Kapitalertrge hat A in seinen Steuererklrungen nicht angegeben. Aufgrund von der Finanzverwaltung durch den Ankauf einer CD zugegangenen Informationen erfolgt bei A seitens der Steuerfahndung eine Durchsuchungsaktion, in deren Rahmen der Versicherungsvertrag und die entsprechenden Nebenabreden sichergestellt werden.
15.202 Da der von A geschlossene Lebensversicherungsvertrag auf die individuellen BedÅrfnisse des A ausgerichtet ist und er insbesondere Åber die Anlage der eingezahlten Versicherungssumme verfÅgen kann, ist der Lebensversicherungsvertrag als vermÇgensverwaltender Versicherungsvertrag (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG) zu qualifizieren. Hieraus folgt, dass die erwirtschafteten Kapitalertrge nicht erst bei Auszahlung der Versicherungssumme (§ 20 Abs. 1 Nr. Satz 2 EStG), sondern, soweit sie auch dem Versicherungsunternehmen zugeflossen sind, unmittelbar und periodengerecht, d.h. von Jahr zu Jahr der Besteuerung zu unterwerfen sind. Die Besteuerung erfolgt hierbei im Rahmen der sog. Abgeltungsteuer (§ 32d Abs. 3 EStG) in HÇhe von 25 % (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Da A die ihm unmittelbar zuzurechnenden EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen nicht der Besteuerung unterworfen hat, liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Nach Lage der Dinge ist auch von einem Vorsatz auszugehen. Dass die entsprechenden Informationen einer erworbenen CD entnommen worden sind, steht deren Verwertbarkeit nicht entgegen.2
1 Vgl. § 8b Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 7 Stze 13 und 14 KStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG. 2 BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; VerfGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; LG DÅsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 37; vgl. ferner KÇlbel, NStZ 2008, 241 ff. und Rz. 6.37.
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B. IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts
IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts Literatur: Vgl. vor Rz. 13.163.
1. berblick Auslndische Familienstiftungen und Trusts1 entfalten als eigenstndige Steuersubjekte gegenÅber der deutschen Besteuerung eine Abschirmwirkung mit der Folge, dass eine Besteuerung im Inland allenfalls dann ermÇglicht wird, wenn unbeschrnkt steuerpflichtige Personen entsprechende Zuwendungen erhalten. Diese Abschirmwirkung wird aufgrund der in § 15 AStG verankerten Sonderregelung bei auslndischen Familienstiftungen dadurch durchbrochen, dass VermÇgen und EinkÅnfte2 dem Stifter, wenn er unbeschrnkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschrnkt steuerpflichtigen Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet werden (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Neben auslndischen Familienstiftungen werden auch auslndische Unternehmensstiftungen sowie auslndische Trusts erfasst (§ 15 Abs. 3, 4 AStG).
15.203
Die Zurechnung, die weitgehend der Hinzurechnung gem. §§ 7–14 AStG entspricht, greift nur ein, soweit nicht ohnehin die EinkÅnfte nach der allgemeinen Zurechnungsregelung des § 39 AO anderweitig zuzurechnen sind.3 Im Hinblick darauf ist Voraussetzung fÅr die Zurechnung gem. § 15 AStG, dass den in Betracht kommenden Zurechnungsempfngern die VerfÅgungsmacht Åber das StiftungsvermÇgen rechtlich und tatschlich entzogen ist.4 Das gilt nicht nur fÅr auslndische Familienstiftungen, sondern auch fÅr auslndische Trusts. Sog. revocable trusts, bei denen der Errichter oder Treugeber (settlor, grantor) dem VermÇgensverwalter (trustee) VermÇgenswerte nur widerruflich zum Eigentum Åbertrgt, fÅhren nicht zur bertragung einer Einkunftsquelle, sodass die EinkÅnfte gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO unverndert dem Treugeber zuzurechnen sind.5 Denkbar ist aber auch, dass der trustee das VermÇgen treuhnderisch fÅr die Anfalls- bzw. Bezugsberechtigten (beneficiaries) mit der Folge hlt, dass die
15.204
1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.1 ff. sowie oben Rz. 13.163 ff. 2 In der bis zum VZ 2012 geltenden Fassung wurden nicht EinkÅnfte, sondern Einkommen zugerechnet, vgl. § 15 Abs. 1 AStG i.d.F. des AmtshilfeRLG (§ 21 Abs. 21 Satz 4 AStG). 3 Vgl. BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; SchÇnfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 170; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.7. 4 Vgl. § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG. 5 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; vgl. auch BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
EinkÅnfte unmittelbar diesem Personenkreis zuzurechnen sind.1 In diesem Fall greift die Zurechnung gem. § 15 AStG ebenfalls nicht ein. Erfasst wird daher lediglich der sog. revocable trust, bei dem der settlor dem trustee die WirtschaftsgÅter endgÅltig zum Eigentum Åbertrgt, ohne dass der settlor oder die beneficiaries als wirtschaftliche EigentÅmer des TrustvermÇgens anzusehen sind.2
15.205 Zurechnungsempfnger sind diejenigen, die zum Ende des Wirtschaftsoder Kalenderjahres der auslndischen Familienstiftung Stifter, Bezugsund/oder Anfallsberechtigte sind.3 In erster Linie erfolgt die Zurechnung bei dem unbeschrnkt steuerpflichtigen Stifter (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AStG). Stifter ist derjenige, der die Stiftung errichtet hat, fÅr dessen Rechnung das Stiftungsgeschft abgeschlossen worden sind oder wer VermÇgen auf die Stiftung mit der Bestimmung Åbertragen hat, dass dieses VermÇgen dem Stiftungskapital zuwchst.4 Die Zurechnung gegenÅber unbeschrnkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten erfolgt im Verhltnis zu den Stiftern lediglich subsidir. Wer Bezugs- und Anfallsberechtigter ist, erlutert das Gesetz nicht. Daher ist entscheidend auf den Wortsinn der verwendeten Begriffe abzustellen. Hieraus folgt, dass Bezugsberechtigter nur derjenige sein kann, der gegenÅber der Familienstiftung einen Rechtsanspruch oder jedenfalls eine rechtliche Anwartschaft auf den Bezug von GÅtern in Geld oder Geldeswert hat. Eine bloß tatschliche Chance oder Erwartung, Zuwendungen seitens der Familienstiftung zu erhalten, reicht fÅr die Zurechnung nicht aus.5 DemgegenÅber soll Bezugsberechtigter bereits derjenige sein, der solche Zuwendungen tatschlich erhlt oder bei dem nach den Umstnden zu erwarten ist, dass er sie erhalten wird.6 DarÅber, wer Anfallsberechtigter ist, ist ebenfalls nicht aufgrund irgendwelcher Zuwendungsprognosen zu entscheiden. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Satzung einem bestimmten Personenkreis einen Rechtsanspruch bzw. eine Rechtsanwartschaft einrumt. Ist dies nicht der Fall, gibt es auch keine Anfallsberechtigten.7
1 Das setzt voraus, dass sich der settlor des VermÇgens endgÅltig begeben hat und die beneficiaries als wirtschaftliche EigentÅmer des TrustvermÇgens anzusehen sind; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 2 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; BFH v. 2.2.1994 – I R 66/92, BStBl. II 1994, 727; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 124; Bredow, WIB 1995, 775 ff. (780); Seibold, IStR 1993, 545 ff. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 214; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 106; Vogt in BlÅmich, § 15 AStG, Rz. 23; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 11.17. 4 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 43; Wenz/Linn in Haase2, § 15 AStG Rz. 18. 5 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 49 ff.; Vogt in BlÅmich, § 15 AStG Rz. 14; Kirchhain, Die Familienstiftung im Außensteuerrecht, Rz. 56. 6 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457; BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Tz. 15.2.1. 7 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 35, 36, 36.1 und 36.2.
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B. IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts
Gegenstand der Zurechnung sind VermÇgen1 und EinkÅnfte2 mit der Besonderheit, dass die zuzurechnenden EinkÅnfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln sind, wobei allerdings z.B. die Steuerfreistellung fÅr Dividenden und Gewinne aus der Verußerung von Kapitalanteilen (§ 8b Abs. 1, 2 KStG) außer Betracht bleiben (§ 15 Abs. 7 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 4 AStG). Die derart zuzurechnenden EinkÅnfte zhlen bei dem Zurechnungsempfnger zu den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG), soweit sie nicht als EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb gelten (§ 15 Abs. 8 Stze 1 und 2 AStG) oder nicht zu den EinkÅnften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, selbstndiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehÇren (§ 20 Abs. 8 EStG). Im brigen ist wie bei der Hinzurechnungsbesteuerung eine Anrechnung der von der Stiftung gezahlten auslndischen Steuern beim Zurechnungsempfnger zulssig (§ 15 Abs. 5 AStG).
15.206
Die Zurechnung unterbleibt allerdings, wenn die auslndische Familienstiftung ihren Sitz oder ihre Geschftsleitung in einem EU-Mitgliedstaat bzw. einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. Voraussetzung ist hierfÅr u.a., dass die betreffenden EU-/EWR-Staaten aufgrund zwei- oder mehrseitiger Vereinbarungen diejenigen AuskÅnfte erteilen, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzufÅhren. Damit ergibt sich, dass die Zurechnungsbesteuerung im Wesentlichen nur in Drittstaaten angesiedelte Familienstiftungen und gleichgestellte VermÇgensmassen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG) erfasst.
15.207
2. Pflichtenkreis Soweit unbeschrnkt steuerpflichtige Personen tatschlich Zuwendungen seitens einer auslndischen Familienstiftung erhalten, sind diese etwa in der jhrlich abzugebenden Einkommensteuererklrung bei den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG) anzugeben. Das Gleiche gilt fÅr den Fall, dass die von der auslndischen Familienstiftung erzielten EinkÅnfte auch dem unbeschrnkt steuerpflichtigen Stifter zuzurechnen sind, weil ihm die von der auslndischen Familienstiftung gehaltenen WirtschaftsgÅter zuzurechnen sind (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). DarÅber hinaus haben der unbeschrnkt steuerpflichtige Stifter sowie die unbeschrnkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten die Pflicht, fÅr Zwecke der gesonderten Feststellung der zuzurechnenden EinkÅnfte (§ 18 Abs. 4 AStG) eine Feststellungserklrung beim zustndigen Feststellungsfinanzamt abzugeben (§ 18 Abs. 4, 3 AStG).3 Die vorstehende Verpflichtung 1 Die VermÇgensteuer wird nicht mehr erhoben und fÅr die Erbschaftsteuer gilt § 15 AStG nicht (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AStG). 2 Bis zum Veranlagungszeitraum 2012 einschließlich ist Gegenstand der Zurechnung das Einkommen. 3 Einzelheiten zu der bis zum Veranlagungszeitraum 2012 einschließlich geltenden Rechtslage Hendricks/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 520 ff.
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15.208
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
kann durch die Abgabe einer gemeinsamen Feststellungserklrung erfÅllt werden (§ 18 Abs. 4, 3 Satz 2 AStG). Die Feststellungserklrung ist auch dann abzugeben, wenn die Beteiligten davon ausgehen, dass eine Zurechnungsbesteuerung aus unionsrechtlichen GrÅnden (§ 15 Abs. 6 AStG) ausscheidet (§ 18 Abs. 4, 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG).1
15.209 ber die vorgenannten Erklrungspflichten hinaus gelten die allgemeinen Mitwirkungspflichten bei Auslandsbeziehungen (§ 90 Abs. 2 AO), die in § 17 Abs. 1 AStG eine Konkretisierung erfahren haben. Danach haben der unbeschrnkt steuerpflichtige Stifter sowie die unbeschrnkt steuerpflichtigen Bezugs- und Anfallsberechtigten fÅr Zwecke der Sachverhaltsaufklrung alle erforderlichen AuskÅnfte zu erteilen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 AStG). Die sich im brigen aus § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AStG ergebenden besonderen Mitwirkungspflichten gelten hierbei allerdings nicht fÅr den vorgenannten Personenkreis.2 Insoweit verbleibt es bei den Mitwirkungspflichten, die alle Personen im außensteuerlichen Kontext treffen (§ 90 Abs. 2 AO, § 17 Abs. 1 Satz 1 AStG).
15.210 Weitergehende Melde- bzw. Anzeigepflichten, wie sie sich etwa hinsichtlich der Beteiligung an auslndischen Kapitalgesellschaften aus § 138 Abs. 2 AO ergeben, bestehen in Bezug auf auslndische Familienstiftungen und Trusts nicht. 3. Pflichtverletzungen
15.211 Werden die dem unbeschrnkt steuerpflichtigen Stifter gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnenden EinkÅnfte der auslndischen Familienstiftung oder die tatschlichen Zuwendungen in den Einkommensteuererklrungen der unbeschrnkt steuerpflichtigen Bezugs- oder Anfallsberechtigten nicht erfasst, kÇnnen die Besteuerungsgrundlagen geschtzt werden (§ 162 AO).3 Entsprechendes gilt, wenn entgegen § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG eine Feststellungserklrung nicht abgegeben wird.4 Geht es allerdings um eine Familienstiftung mit Geschftsleitung oder Sitz in einem EU-/EWRStaat, reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige anhand geeigneter Dokumente den Nachweis fÅhrt, dass das StiftungsvermÇgen der VerfÅgungsmacht der betreffend begÅnstigten Personen rechtlich und tatschlich entzogen ist und zwischen den betreffenden auslndischen Staat und Deutschland ein dem EU-Amtshilfegesetz entsprechender Auskunftsverkehr besteht (§ 15 Abs. 6 AStG). Im Hinblick darauf gehen die in § 18
1 2 3 4
Zu Einzelheiten Hendricks/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 440 ff. Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 17 AStG Rz. 46, 51, 70, 73a. Hierzu Hendricks/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 435. Der durch § 17 Abs. 2 AStG vorgegebene Schtzungsrahmen kommt hier nicht zur Anwendung.
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B. IX. Auslndische Familienstiftungen und Trusts
Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AStG verankerten weitreichenden Erklrungspflichten insoweit Åber das erforderliche Maß hinaus.1 Unter steuerstrafrechtlichen Aspekten fÅhrt die Verletzung der vorgenannten Steuererklrungspflicht – auch soweit es die Feststellungserklrungen betrifft2 – zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder zu einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO). In der Praxis sind insbesondere diejenigen Flle bedeutsam, in denen unbeschrnkt steuerpflichtige Stifter KapitalvermÇgen in eine auslndische Familienstiftung einbringen, ohne hierbei die VerfÅgungsmacht Åber die entsprechenden Kapitalanlagen aufzugeben.
15.212
Beispiel: Der unbeschrnkt Steuerpflichtige A hat vor Jahren in Liechtenstein eine Stiftung errichtet und hierauf bei liechtensteinischen und schweizerischen Banken verwaltete Depots Åbertragen. Nach der Satzung der Stiftung sind die Kinder des A bezugs- bzw. anfallsberechtigt. Die Kinder des A sind ebenfalls unbeschrnkt steuerpflichtig. Zugleich enthlt die Satzung der Stiftung eine Regelung, wonach dem A als Stifter vorbehalten bleibt, die Anlage des Stiftungskapitals zu bestimmen und jederzeit Åber das StiftungsvermÇgen zu verfÅgen, insbesondere die VermÇgenswerte auf sich selbst oder andere zu Åbertragen. In den von A und seinen Kindern abgegebenen Einkommensteuererklrungen sind diesbezÅgliche Kapitalertrge nicht erklrt worden. Feststellungserklrungen sind ebenfalls nicht abgegeben worden. Kapitalertrge sind seitens der Stiftung bislang nicht ausgekehrt worden. Im Zuge des Ankaufs einer CD durch die Finanzverwaltung wird der vorgenannte Sachverhalt aufgedeckt und gegen A sowie gegen seine Kinder ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Im Hinblick darauf, dass A als Stifter die Anlage des StiftungsvermÇgens bestimmen kann und darÅber hinaus sich vorbehalten hat, das StiftungsvermÇgen auf sich selbst oder auf von ihm bestimmte Dritte zu Åbertragen, ist das wirtschaftliche Eigentum an den Kapitalanlagen nicht auf die Stiftung Åbergegangen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).3 Hieraus folgt, dass bei Errichtung der auslndischen Stiftung der Schenkungsteuertatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG nicht erfÅllt wurde4 und die Kapitalertrge aus dem StiftungsvermÇgen unmittelbar A als eigene EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen (§ 20 EStG) zuzurechnen sind. Da A die entsprechenden Kapitalertrge steuerlich nicht erklrt hat, ist insoweit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben. Sollte A einwenden, er sei davon ausgegangen, dass die Kapitalanlagen der auslndischen Stiftung zuzurechnen waren, ndert das an der Steuerhinterziehung nichts, 1 Zu diesem unionsrechtlichen Aspekt Hendricks/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 442. 2 BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99 Rz. 104–107; BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 539/12, NJW 2013, 1750. 3 BFH v. 6.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. II 1989, 877; BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; SchÇnfeld in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 196; BMF v. 14.5.2008, BStBl. I 2008, 638. 4 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669; Gebel in T/G/J, § 7 ErbStG Rz. 332.
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15.213
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
weil A dann verpflichtet gewesen wre, entsprechende Feststellungserklrungen (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Abs. 4 AStG) abzugeben. Den Umstnden kann entnommen werden, dass auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben sein wird. Da die Kapitalertrge gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO dem A zuzurechnen sind, sind die von den Kindern des A abgegebenen Einkommensteuererklrungen insoweit zutreffend. Da eine Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) wegen der vorrangigen Zurechnung der Kapitalertrge zu A ausscheidet, waren die Kinder des A auch nicht verpflichtet, Feststellungserklrungen (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Abs. 4 AStG) abzugeben. Insoweit ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerziehung nicht gegeben. Nach Sachlage wird auch eine versuchte Steuerhinterziehung nicht nachzuweisen sein. Daher ist insoweit das Ermittlungsverfahren einzustellen. Dass die Informationen, den von der Finanzverwaltung angekauften CD entnommen wurden, hindert die Verwertung nicht.1
X. Auslndische Basisgesellschaften Literatur: Kommentare zu §§ 7–14 AStG und § 42 AO; Brosig, Zur steuerlichen Behandlung von Basisgesellschaften, Frankfurt 1993; Dreßler, Gewinn- und VermÇgensverlagerungen in Niedrigsteuerlnder und ihre steuerliche berprÅfung, 4. Aufl. KÇln 2007; Friedrich, Die Basisgesellschaft als Instrument betrieblicher Steuerpolitik, KÇln 1980; Gosch, Die Zwischengesellschaft nach Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), FS Reiß, KÇln 2008, 597; Großfeld, Basisgesellschaften im Internationalen Steuerrecht, TÅbingen 1974; Kraft, Schlussfolgerungen aus der BFH-Rechtsprechung zur Abgrenzung des § 42 AO von den §§ 7 ff. AStG aus der Sicht der internationalen Steuerberatung, IStR 1993, 148; Paschen, Steuerumgehung im nationalen und internationalen Steuerrecht, Wiesbaden 2001; Renner, Briefkastenfirmen und internationaler Gestaltungsmissbrauch, in FS Loukota, Wien 2005, 399 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 10.23 ff.; Winkelmann, Steuerumgehung durch die Einschaltung auslndischer Kapitalgesellschaften, Frankfurt 1997; Wurster, Die auslndische Basisgesellschaft, Thun/Frankfurt 1984.
1. berblick
15.214 Basisgesellschaften sind in Niedrigsteuerlndern (Steueroasen) ansssige Kapitalgesellschaften, durch deren Einschaltung EinkÅnfte der inlndi-
1 Zur Verwertbarkeit BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Q2 2/09, NStZ 2010, 351; LG DÅsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 37; VGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, NJW 2014, 1434; vgl. ferner KÇlbel, NStZ 2008, 241 ff.; Gehm, StBW 2014, 228 ff. und Rz. 6.37.
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B. X. Auslndische Basisgesellschaften
schen Besteuerung entzogen werden sollen.1 Typischerweise werden seitens dieser Basisgesellschaften keine AusschÅttungen vorgenommen, sodass im Ergebnis die (niedrig besteuerten) auslndischen Gewinne gegenÅber der deutschen Besteuerung abgeschirmt werden. Selbst wenn diese Gesellschaften keinerlei Aktivitten entfalten und nur pro forma in geschftliche Transaktionen zwischengeschaltet werden, sind sie doch im Grundsatz steuerlich anzuerkennen.2 Die gegenÅber der deutschen Besteuerung bestehende Abschirmwirkung wird allerdings in den Fllen beseitigt, in denen der Ort der Geschftsleitung im Inland belegen ist,3 die Einschaltung der Basisgesellschaft als missbruchliche Gestaltung (§ 42 AO) qualifiziert wird oder die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 ff. AStG) vorliegen. Eine missbruchliche Gestaltung (§ 42 AO) oder eine Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 ff. AStG) scheiden von vornherein aus, wenn der Ort der GeschftsfÅhrung der Basisgesellschaft (§ 10 AO) im Inland liegt: In diesem Fall sind im Ausgangspunkt smtliche WelteinkÅnfte der Basisgesellschaft der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) zu unterwerfen. Dies setzt voraus, dass der Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung der Kapitalgesellschaft im Inland belegen ist. Das ist stets dann der Fall, wenn hier der fÅr die GeschftsfÅhrung maßgebende Wille gebildet wird.4 Bei Basisgesellschaften ohne eigenen Geschftsbetrieb werden die ihr zugewiesenen Geschfte nicht selten von den im Inland ansssigen Gesellschaftern oder von von ihnen bestimmten Personen vom Inland aus dadurch gefÅhrt, dass sie Åber ihre gesellschaftsrechtlichen EinflussmÇglichkeiten hinaus die tatschliche GeschftsfÅhrung, etwa durch entsprechende Anweisungen an auslndische Domizilhalter, an sich ziehen. In derartigen Fllen ist der Ort der Geschftsleitung im Inland.
15.215
Lassen sich dahin gehende Feststellungen nicht treffen, ist also davon auszugehen, dass der Ort der Geschftsleitung der Basisgesellschaft im Ausland belegen ist, bedarf es der PrÅfung, ob die Zwischenschaltung der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der rechtsmissbruchlichen Gestaltung (§ 42 AO) steuerlich Åberhaupt anzuerkennen ist (s. Rz. 10.109). Der Tatbestand des § 42 Abs. 2 AO ist vor allem dann als erfÅllt anzusehen, wenn fÅr die Errichtung von Auslandsgesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde fehlen und keine eigene wirtschaftliche Ttig-
15.216
1 Zum Begriff im Einzelnen sowie zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.23 ff.; ferner oben Rz. 13.149 ff. 2 Es handelt sich insoweit weder um ein Scheingeschft noch um eine Treuhandschaft; ebenso fÅhrt auch die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht dazu, eine tatschlich existente juristische Person wirtschaftlich in eine Nicht-Person zu transformieren; vgl. im Einzelnen Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.27. 3 Dann unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG). 4 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. I 2004, 622; zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.2 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
keit entfaltet wird.1 Die Frage, ob fÅr die Errichtung der Auslandsgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde vorliegen (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO), beurteilt sich nach der Rechtsprechung nicht allein nach dem in dem Statut niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der GrÅnder, sondern nach dem tatschlichen Vollzug des Gesellschaftszwecks, so wie er nach außen in Erscheinung tritt.2 Es reichen damit nicht nur beachtliche wirtschaftliche Motive fÅr die Errichtung einer Auslandsgesellschaft aus, vielmehr muss diese eine eigene wirtschaftliche Ttigkeit entfalten. Beim Fehlen wirtschaftlicher GrÅnde fÅr die Errichtung einer Auslandsgesellschaft werden von der Rechtsprechung als sonst beachtliche GrÅnde nur solche anerkannt, die sich auf die Wahl des Sitzes und der Rechtsform der Gesellschaft beziehen, soweit sich diese Wahl mit außersteuerlichen GrÅnden rechtfertigen lsst.3 Kann beides nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklrt werden, fehlt es an sonst beachtlichen GrÅnden fÅr die Errichtung der Auslandsgesellschaft.4 Gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO gehen zwar in Einzelsteuergesetzen geregelte Steuerumgehungsvorschriften vor, das gilt aber nicht in Bezug auf die §§ 7–14 AStG (Hinzurechnungsbesteuerung), weil die Rechtsfolge des § 42 AO bereits bei der EinkÅnftezurechnung ansetzt und die EinkÅnfte von vornherein dem zurechnet, der sie bei unterstellter angemessener Gestaltung erzielt htte (hierzu s. Rz. 13.149). Im Rahmen der Auslegung des § 42 AO ist aber wiederum auf die Wertungen der §§ 7–14 AStG zurÅckzugreifen.5 Daher reicht das bloße Erzielen von EinkÅnften aus passivem Erwerb fÅr sich genommen nicht aus, einen Gestaltungsmissbrauch anzunehmen.6 Im Hinblick darauf wird die Anwendung des §§ 42 AO auf Basisgesellschaften ohne eigene Geschftsrume und ohne eigenes Personal beschrnkt und damit insoweit die Ausnahme sein.7 Das gilt insbesondere im EU/EWR-Bereich, wonach es darauf ankommt, ob gemessen an dem Geschftsgegenstand ausreichende Geschftsrume, Personal- und Aus1 Aus der umfangreichen Rechtsprechung nur BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553; BFH v. 29.7.1976 – VIII R 116/72, BStBl. II 1977, 268; BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339; BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 28.1.1992 – VIII R 7/88, BStBl. II 1993, 84; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; BFH v. 19.1.2000 – I R 117/97, BFH/NV 2000, 824; BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14. 2 Z.B. BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401. 3 BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265. 4 BFH v. 29.7.1976 – VIII R 142/73, BStBl. II 1977, 263. 5 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; zu Einzelheiten Wassermeyer in F/W/B/S, vor §§ 7–14 AStG Rz. 91 f.; Kraft, IStR 1993, 148 ff.; Gosch in FS Reiß, 597 (602 f.). 6 Wassermeyer in F/W/B/S, § 7 AStG Rz. 8. 7 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.32; Kraft, IStR 1993, 148 ff. (153); Gosch in FS Reiß, 2008, 597 ff. (602, 604 f.).
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B. X. Auslndische Basisgesellschaften
rÅstungsgegenstnde vorhanden sind1 und ob die auslndische Basisgesellschaft nur einmalig fÅr eine bestimmte Transaktion oder auf Dauer eingeschaltet worden ist.2 Auf auslndische Basisgesellschaften kommt daher in aller Regel die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) zur Anwendung, womit letztlich der gesetzgeberischen Intention des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO3 entsprochen wird. Die Hinzurechnungsbesteuerung dient der Vermeidung von EinkÅnfteverlagerungen in Niedrigsteuerlnder.4 Technisch wird dieses Ziel dadurch erreicht, dass die Aufschub- bzw. Abschirmwirkung fÅr niedrig besteuerte sog. EinkÅnfte aus passivem Erwerb (vgl. § 8 Abs. 1 AStG) durch eine AusschÅttungsfiktion beseitigt wird, wobei die fingierten AusschÅttungen aus dem Regelungsbereich der §§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d, 32d EStG und § 8b Abs. 1 KStG ausgenommen sind (§ 10 Abs. 2 Satz 3 AStG). Mit anderen Worten: Bestimmte sich in der auslndischen Gesellschaft ansammelnde EinkÅnfte werden zeitlich vor den tatschlichen AusschÅttungen der inlndischen Besteuerung zugefÅhrt, ohne dass hierfÅr die sonst fÅr Dividendenertrge vorgesehenen (partiellen) Steuerbefreiungen zur Anwendung kommen.
15.217
Die Hinzurechnungsbesteuerung setzt voraus, dass unbeschrnkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hlfte an einer auslndischen niedrig besteuerten Kapitalgesellschaft beteiligt sind, soweit diese sog. EinkÅnfte aus passivem Erwerb erzielt. Ist dieser Grundtatbestand erfÅllt, werden die niedrig besteuerten EinkÅnfte aus passivem Erwerb der auslndischen Kapitalgesellschaft (Zwischengesellschaft) den unbeschrnkt Steuerpflichtigen nach Maßgabe ihrer Beteiligung zum frÅhestmÇglichen Zeitpunkt hinzugerechnet. Die Hinzurechnungsbetrge zhlen ihrer Art nach zu den DividendeneinkÅnften (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Diese Rechtsfolge tritt in den Fllen, in denen die Zwischengesellschaft KapitalanlageeinkÅnfte (§ 7 Abs. 6a AStG) erzielt, auch dann ein, wenn unbeschrnkt Steuerpflichtige insgesamt zu weniger als der Hlfte beteiligt sind (§ 7 Abs. 6 AStG). Die Rechtsfolge greift schließlich auch bei nachgeschalteten Zwischengesellschaften ein (§ 14 AStG).
15.218
Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die Frage, ob Åberhaupt EinkÅnfte aus passivem Erwerb gegeben sind. Diese Frage wird dadurch gelÇst, dass bestimmte EinkÅnfte aufgezhlt werden, fÅr die die auslndische Gesellschaft nicht Zwischengesellschaft ist (§ 8 Abs. 1 AStG). Im Wege des Umkehrschlusses lsst sich sodann auf diejenigen EinkÅnfte
15.219
1 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 Rz. 67. 2 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 Rz. 54; ferner BFH v. 17.1.2004 – I R 5/03, BFH/NV 2005, 1016; EuGH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118; zu Einzelheiten Gosch in FS Reiß, 2008, 597 ff. (607 ff). 3 Zu den Unklarheiten dieser Vorschrift DrÅen in T/K, § 42 AO Rz. 11 ff. 4 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.2.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
schließen, fÅr die die auslndische Kapitalgesellschaft Zwischengesellschaft ist. Eine Sonderregelung fÅr den EU-/EWR-Bereich enthlt § 8 Abs. 2 AStG,1 wonach EinkÅnfte aus passivem Erwerb nicht anzunehmen sind, wenn nachgewiesen wird, dass die auslndische Gesellschaft einer tatschlichen wirtschaftlichen Ttigkeit nachgeht und der andere Staat entsprechende AuskÅnfte erteilt. 2. Pflichtenkreis
15.220 Neben den im außensteuerlichen Kontext maßgeblichen Mitwirkungspflichten (§ 90 Abs. 2, 3 AO) besteht die Verpflichtung, den Erwerb von Beteiligungen an einer auslndischen Kapitalgesellschaft dem zustndigen Finanzamt mitzuteilen, wenn damit unmittelbar eine Beteiligung von mindestens 10 v.H. oder mittelbar eine Beteiligung von mindestens 25 v.H. am Kapital oder am VermÇgen der auslndischen Kapitalgesellschaft erreicht wird oder wenn die Summe der Anschaffungskosten aller Beteiligungen an Auslandsgesellschaften mehr als 150.000 Euro betrgt (§ 138 Abs. 2 Nr. 3 AO). Die Mitteilung hat innerhalb von fÅnf Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu erfolgen, in dem das meldepflichtige Ereignis eingetreten ist (§ 138 Abs. 3 Satz 2 AO). Soweit die (auslndische) Basisgesellschaft unbeschrnkt oder beschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig ist, ist fÅr sie im Inland eine KÇrperschaftsteuererklrung abzugeben (§ 31 Abs. 1a KStG). Soweit wegen Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) die Zwischenschaltung der Basisgesellschaft steuerlich nicht anerkannt wird (§ 42 AO), haben diejenigen Personen – in aller Regel die Gesellschafter – eine Einkommen- oder KÇrperschaftsteuererklrung fÅr EinkÅnfte abzugeben, die sie bei unterstellter angemessener Gestaltung selbst erzielt htten.2 Greift dagegen die Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7–14 AStG) ein, haben die an der auslndischen Basisgesellschaft beteiligten unbeschrnkt und erweitert unbeschrnkt Steuerpflichtigen eine Feststellungserklrung abzugeben (§ 18 Abs. 3 AStG). Das gilt auch fÅr den Fall, dass unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten eine Hinzurechnung wegen § 8 Abs. 2 AStG unterbleibt (§ 18 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 AStG).3 3. Pflichtverletzungen
15.221 Wird eine KÇrperschaft- oder Gewerbesteuererklrung nicht abgegeben, obwohl die (auslndische) Basisgesellschaft wegen des Orts der Geschftsleitung (§ 10 AO) unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG), ergeben sich folgende steuerliche Rechtsfolgen: – Versptungszuschlag in HÇhe von 10 % der Bemessungsgrundlage und hÇchstens 25.000 Euro (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO), 1 Umsetzung von EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. 2 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 10.31. 3 Zu den unionsrechtlichen Bedenken dieser Erklrungspflicht Hendricks/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 18 AStG Rz. 442 ff.
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B. X. Auslndische Basisgesellschaften
– Zwangsgeld bis zur HÇhe von 25.000 Euro (§ 329 AO), – Schtzung (§ 162 Abs. 1 AO), wobei sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schtzungsrahmens orientieren darf.1 Die vorgenannten steuerlichen Rechtsfolgen treten auch ein, wenn in den Fllen der Anwendung des § 42 AO seitens des Gesellschafters die ihm zuzurechnenden EinkÅnfte nicht erklrt.
15.222
Unterliegen die Gewinne der auslndischen Basisgesellschaft bei den inlndischen Gesellschaftern der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 – 14 AStG), so lÇst die Nichtabgabe der an sich gem. § 18 AStG gebotenen Feststellungserklrung im Grundsatz die gleichen steuerlichen Rechtsfolgen aus, wie die Nichtabgabe der vorgenannten Steuererklrungen. FÅr die Schtzung gelten allerdings die Besonderheiten des § 17 Abs. 2 AStG, wonach im Rahmen der Schtzung gem. § 162 Abs. 1 AO mangels anderer geeigneter Anhaltspunkte die EinkÅnfte der auslndischen Basisgesellschaft in HÇhe von mindestens 20 % des gemeinen Werts der von den unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseignern gehaltenen Kapitalanteile anzusetzen sind. Zinsen oder Nutzungsentgelte, die die Gesellschaft fÅr Åberlassene WirtschaftsgÅter an die unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseigner zahlt, sind hierbei abzuziehen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 AStG).2
15.223
Wer vorstzlich oder leichtfertig die Mitteilungspflicht nach § 138 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 379 Abs. 2 Nr. 1 AO), die mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden kann. Wenn es hierdurch oder wegen Nichtabgabe der oben genannten Steuererklrungen zu einer SteuerverkÅrzung kommt, tritt die vorgenannte Ordnungswidrigkeit allerdings hinter die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zurÅck (vgl. § 21 OWiG).
15.224
In der Praxis spielt die Steuerhinterziehung wegen Nichtabgabe oder Abgabe einer unrichtigen Feststellungserklrung3 gem. § 18 Abs. 1 AStG eine besondere Rolle.
15.225
Beispiel: Die im Inland unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtige A-AG erwirbt alle Anteile an der auslndischen X-Inc., die in den USA als Holding ansssig ist. Die X-Inc. ist nicht nur an zahlreichen operativ ttigen Tochtergesellschaften beteiligt, sondern u.a. auch an einer auf den Niederlndischen Antillen ansssigen Finanzierungsgesellschaft. Diese Finanzierungsgesellschaft ist mit erheblichem Eigenkapi1 Allgemein bei Verletzung von Erklrungspflichten BFH v. 1.10.1992 – IV R 34/90, BStBl. II 1993, 259; BFH v. 13.7.2000 – IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3. 2 Die vorstehende Schtzungsvorschrift spielt in der Praxis keine Rolle. 3 Zur Steuerhinterziehung (-verkÅrzung) bei nicht gerechtfertigten Steuervorteilen aufgrund unrichtiger Feststellungsbescheide BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt. 53, 99, Rz. 104–107; BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 537/12, NJW 2013, 1750; zu Hinterziehungskonstellationen im Zusammenhang mit der Hinzurechnungsbesteuerung RÇdl/Grube in Wabnitz/Janovsky4, 1338 ff.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht tal ausgestattet. Die entsprechenden Barmittel werden smtlich als Darlehen zwecks Finanzierung der Åbrigen Konzerngesellschaften weltweit vergeben. Die hieraus vereinnahmten Zinsen, die bei der Finanzierungsgesellschaft thesauriert werden, unterliegen einer nur ganz geringen steuerlichen Belastung. Im Rahmen einer spter bei der A-AG durchgefÅhrten BetriebsprÅfung wird der vorgenannte Sachverhalt erstmals festgestellt. Die A-AG hat fÅr die abgelaufenen Veranlagungszeitrume keine Feststellungserklrungen (§ 18 AStG) abgegeben. In ihren KÇrperschaftsteuererklrungen finden sich ebenfalls keine Hinweise auf die EinkÅnfte der Finanzierungsgesellschaft.
15.226 Ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO), der gegenÅber der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) logisch vorrangig ist,1 scheidet hier aus zwei GrÅnden aus: Zum einen ist die Zwischenschaltung der auf den Niederlndischen Antillen ansssigen Finanzierungsgesellschaft nicht selbst von der A-AG gestaltet worden.2 Zum anderen beruht die etwaige Unangemessenheit der Zwischenschaltung der Finanzierungsgesellschaft allein auf Tatumstnden, die nach § 8 Abs. 1 AStG die EinkÅnfte einer Auslandsgesellschaft als ZwischeneinkÅnfte qualifizieren.3 Eine Hinzurechnungsbesteuerung bei der inlndischen A-AG setzt in dem hier interessierenden Zusammenhang insbesondere voraus, dass die auslndische Finanzierungsgesellschaft EinkÅnfte aus passivem Erwerb erzielt. Das ist bei dem Betrieb von Kreditinstituten, soweit fÅr das entsprechende Geschft ein in kaufmnnischer Weise eingerichteter Betrieb unterhalten wird, nicht der Fall (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG). HierfÅr ist eine personelle und sachliche Mindestausstattung erforderlich, aufgrund deren die abgewickelten Finanzierungsgeschfte Åberhaupt erst mÇglich werden.4 Indizien fÅr einen in einer kaufmnnischen Weise eingerichteten Betrieb sind neben etwa erforderlichen Rumlichkeiten und Personal insbesondere Bilanzierung, BuchfÅhrung, Lohnbuchhaltung und die Aufbewahrung von Korrespondenz.5 Ist ein derartiger Geschftsbetrieb gegeben, werden die von der auslndischen Finanzierungsgesellschaft erzielten EinkÅnfte dennoch als EinkÅnfte aus passivem Erwerb qualifiziert, wenn die zugrunde liegenden Geschfte Åberwiegend mit unbeschrnkt steuerpflichtigen Anteilseignern oder mit ihm nahestehenden Personen abgewickelt werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 AStG). Schdlich sind damit konzerninterne Finanzierungsgeschfte. Da hier die auslndische Finanzierungsgesellschaft ihre EinkÅnfte ausschließlich aus konzerninternen Finanzierungsgeschften erzielt, handelt es sich insoweit um EinkÅnfte aus passivem Erwerb. 1 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 117/97, BStBl. II 1992, 1029; BFH v. 23.11.2000 – IV R 85/99, BStBl. II 2001, 122; BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; hierzu Gosch in FS Reiß, 597 (602 f.). 2 Zu diesem Erfordernis Ratschow in Klein12, § 42 AO Rz. 75; ob eine Missbrauchsabsicht erforderlich ist, kann daher hier offenbleiben; hierzu DrÅen in T/K, § 42 AO Rz. 44 f. 3 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/8, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 4 Vgl. Wassermeyer/SchÇnfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 101. 5 Reiche in Haase2, § 8 AStG Rz. 34.
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B. XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland
Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob ein in kaufmnnischer Weise eingerichteter Geschftsbetrieb unterhalten wird.
15.227
Der Vorstand der A-AG war daher verpflichtet, fÅr die abgelaufenen Veranlagungszeitrume Feststellungserklrungen nach § 18 Abs. 1 AStG abzugeben. Das ist indessen nicht geschehen. Insoweit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Ob die Verantwortlichen vorstzlich gehandelt haben, ist Tatfrage.
15.228
In der Praxis tauchen immer wieder Gestaltungen auf, die darauf gerichtet sind, einen Teil von im Inland an sich steuerpflichtigen EinkÅnften auf auslndische Kapitalgesellschaften umzulenken, an denen die betreffenden Personen nicht beteiligt sind. Angesprochen sind die Flle, in denen etwa selbstndig ttige technische oder kaufmnnische Berater durch auslndische Vermittlungsagenturen fÅr entsprechende Beratungs- und Entwicklungsleistungen an inlndische Auftraggeber vermittelt werden, wobei die vereinbarten Honorare an auslndische Managementgesellschaften gezahlt werden. Von dort werden sodann Teilbetrge aufgrund von den Beratern gegenÅber den Managementgesellschaften in Rechnung gestellten Honorare auf deren Konto im Inland Åberwiesen. Nach Abzug einer Provision werden sodann die Restbetrge auf von den Beratern im Ausland unterhaltenen Konten deponiert. In den vorgenannten Fllen ist trotz Zahlung an die auslndischen Managementgesellschaften bereits ein steuerlicher Zufluss Åber die Gesamtbetrge bei den Beratern gegeben mit der Folge, dass insoweit EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb bzw. aus selbstndiger Arbeit gegeben sind. In HÇhe der Differenz zwischen erklrten und tatschlich zugeflossenen EinkÅnften ist eine SteuerverkÅrzung gegeben. Damit ist der objektive und nach Sachlage auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben (§ 370 AO).1
15.229
XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland Literatur (ab 1999): Kommentare zu § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 EStG und zu § 160 AO; Apitz, Benennung von Glubigern und Zahlungsempfngern (§ 160 AO), StBp 2003, 97; Breuer, Pflicht zur Benennung von Glubigern und Zahlungsempfngern, AO-StB 2002, 84; Bruschke, Benennungsverlangen nach § 160 AO, StB 2001, 42; DÇrn, Nichtabzugsfhigkeit von Bestechungsgeldern als Betriebsausgaben, DStZ 2001, 736; Gotzens, NÅtzliche Aufwendungen und das Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2005, 673; Hagen, Das Empfngerbenennungsverlangen nach § 160 AO, DStZ 2004, 564; Kiesel, Die Zuwendung an Angestellte und Beauftragte im Ausland und das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2000, 949; Madauß, Reichweite der Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG und Korruptionsbekmpfung, NZWiSt 2013, 176; Park, Die Ausweitung des Abzugsverbots fÅr 1 Vgl. FG Baden-WÅrttemberg v. 30.1.2012 – 10 K 5492/08; EF6 2013, 435 (rkr.); hierzu Frank, PStR 2013, 116 f.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Bestechungsund Schmiergelder durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, DStR 1999, 1097; Preising/Kiesel, Korruptionsbekmpfung durch das Steuerrecht? – Zu den Problemen des Abzugsverbots und der Mitteilungspflicht gemß § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG, DStR 2006, 118; Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, BB 2000, 1006; Schaumburg, Mitwirkung von BetriebsprÅfung und Staatsanwaltschaft bei nÅtzlichen Abgaben, StbJb 2001/2002, 239; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 19.45 ff.; Sorgenfrei, Reichweite und Schranken des § 160 AO, IStR 2002, 469; Stahl, Schmiergeld: Steuerliche sowie zivil- und strafrechtliche Probleme, KSDI 1999, 12022; Stapf, Steuerliche Folgen der Zuwendung korrumpierender Vorteile ab 1999, DB 2000, 1092; von Stuhr/Walz, Steuerliche Behandlung von Schmiergeldern, StuB 1999, 118; von Stuhr/Walz, Die Informationsweiterleitung bei Verdacht einer steuerlich relevanten Straftat, StuB 1999, 408; Teufel/Wassermann, Domizilgesellschaft und Benennungsverlangen nach § 160, IStR 2003, 112; Tipke, § 160 AO – nochmals systematisch Åberdacht, GS Chr. Trzaskalik, 2005, 121; Vogelberg, Die Bedeutung des § 160 AO bei Nichtbenennung von Zahlungsempfngern, PStR 2005, 294; Weidemann, Zum Abzugsverbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 10 EStG: Erfasst § 299 Abs. 2 StGB auch Auslandssachverhalte?, DStZ 2002, 329; Wichterich/Glockemann, Steuer- und strafrechtliche Aspekte von Schmiergeldzahlungen an Mitarbeiter von Staatsunternehmen, INF 2000, 1, 40.
1. berblick
15.230 § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG enthlt ein steuerliches Abzugsverbot1 fÅr Schmier- und Bestechungsgelder. Voraussetzung fÅr das Abzugsverbot ist, dass die Zuwendung der Vorteile eine rechtswidrige Handlung darstellt, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulsst. Auf ein Verschulden des Zuwendenden, auf die Stellung eines Strafantrags oder auf eine tatschliche Ahndung kommt es nicht an.2 Obwohl der Gesetzeswortlaut nicht eindeutig formuliert ist, ergibt sich doch aus dem Zusammenhang, dass das Abzugsverbot nur dann eingreift, wenn eine abstrakte Strafbarkeit nach deutschem Recht gegeben ist.3 In Betracht kommen hiernach insbesondere die folgenden Tatbestnde:4 – § 108b StGB (Whlerbestechung), – § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung), 1 Einnahmeminderungen des Zuwendenden, z.B. aufgrund entgangener Einnahmen fÅr die Erbringung unentgeltlicher Dienstleistungen oder durch Hingabe eines verbilligten oder zinslosen Darlehens oder von Rabatten werden von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG nicht erfasst; Heinicke in Schmidt33, § 4 EStG Rz. 610; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1853; SÇhn in K/S/M, § 4 EStG Rz. Q 41; Schaumburg in StbJb 2001/2002, 239 ff. (257). 2 Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 865; Crezelius in Kirchhof13, § 4 EStG Rz. 228; R 4.14 S. 1 EStR; dagegen auch den subjektiven Tatbestand der Straf-/ Bußgeldvorschrift verlangend Wied in BlÅmich, § 4 EStG Rz. 905; offenlassend Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1859. 3 Heinicke in Schmidt33, § 4 EStG Rz. 611; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1858; Schaumburg in StbJb 2001/2002, 239 ff. (242). 4 Vgl. H 4.14 EStR; zum Korruptionsstrafrecht vgl. Rz. 12.1 ff.
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B. XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland
– § 299 Abs. 2 und 3 StGB (Bestechung im in- und auslndischen geschftlichen Verkehr), – § 333 StGB (Vorteilsgewhrung), – § 334 StGB (Bestechung), – Art. 2 § 2 IntBestG (Bestechung auslndischer Abgeordneter im Zusammenhang mit internationalem Zahlungsverkehr), – § 119 Abs. 1 BetrVerfG (Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder), – § 81 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 GWB (Vorteilsgewhrung fÅr wettbewerbsbeschrnkendes Verhalten), – § 405 Abs. 3 Nr. 7 AktG (Vorteilsgewhrung in Bezug auf das Stimmverhalten in der Hauptversammlung), – § 152 Abs. 1 Nr. 2 GenG (Vorteilsgewhrung in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung), – § 23 Abs. 1 Nr. 3 SchVG (Vorteilsgewhrung in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in der Glubigerversammlung). Von besonderer Bedeutung sind in der Praxis die Tatbestnde der Amtstrgerbestechung und der Bestechung im geschftlichen Verkehr (s. Rz. 12.1 ff). Die Amtstrgerbestechung – Vorteilsgewhrung (§ 333 StGB) und Bestechung (§ 334 StGB) – findet auch auf Auslandssachverhalte Anwendung. Das ergibt sich aus Art. 2 § 1 EUBestG, wonach EU-Amtstrger deutschen Amtstrgern gleichgestellt werden, und aus Art. 2 § 2 EUBestG, wonach deutsche StrafverfolgungsbehÇrden auch fÅr entsprechende Auslandstaten zustndig sind. Rechtsgrundlage ist ferner Art. 2 § 1 IntBestG, aufgrund dessen auslndische Amtstrger im Falle der Bestechung (§ 334 StGB) nicht aber bei Vorteilsgewhrung (§ 333 StGB) wie deutsche Amtstrger behandelt werden. Schließlich hat die Reichweite des deutschen Strafrechts gem. Art. 2 § 3 IntBestG bezÅglich der Bestechung auslndischer Amtstrger im Zusammenhang mit dem internationalen geschftlichen Verkehr auch auf Auslandstaten ausgedehnt, wenn der Tter Deutscher ist. Soweit es um die Bestechung im geschftlichen Verkehr (§ 299 StGB) geht, werden auch Handlungen im auslndischen Wettbewerb erfasst (§ 299 Abs. 3 StGB). Betroffen sind daher auch Deutsche, die im Ausland den auslndischen Wettbewerb durch Bestechung beeintrchtigen (§ 299 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 StGB).
15.231
Ob eine Bestechung (§ 334 StGB), Vorteilsgewhrung (§ 333 StGB) oder eine Bestechung im geschftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) vorliegt, obliegt der Feststellungslast des Finanzamtes. Sind Tatsachen festgestellt worden, die lediglich einen Verdacht begrÅnden, ist die Steuer vorlufig gem. § 165 AO festzusetzen, wobei der Betriebsausgabenabzug regelmßig zu gewhren ist. Ist der Verdacht im Rahmen der AußenprÅfung aufgetreten, ist die PrÅfung dennoch abzuschließen. Der Verdacht ist der Staatsanwaltschaft oder der sonst zustehenden VerwaltungsbehÇrde ohne eigene
15.232
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
PrÅfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt,1 mitzuteilen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG).2 Nach RÅckmeldung Åber den Ausgang des Verfahrens und die zugrunde liegenden Tatsachen erfolgt ggf. eine nderung der vorlufigen Steuerfestsetzung oder sie wird fÅr endgÅltig erklrt.3
15.233 Lsst sich eine der vorgenannten Bestechungstaten nicht feststellen, ist ein Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG zwar ausgeschlossen, im Falle einer verweigerten Glubigerbenennung kommt dann allerdings ein Abzugsverbot nach dem sog. Schmiergeld-Paragrafen (§ 160 AO) in Betracht.4 Nach dieser Vorschrift sind Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben regelmßig nicht zu berÅcksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der FinanzbehÇrde nicht nachkommt, die Glubiger/Empfnger genau zu benennen.5 Zur genauen Empfngerbenennung gehÇrt die Angabe des vollen Namens sowie der Adresse,6 sodass sich das Finanzamt von der Empfngereigenschaft selbst Åberzeugen kann.7 Bei auslndischen Domizilgesellschaften ist daher die Benennung der Anteilseigner und derjenigen Personen erforderlich, die die vertraglich ausbedungenen Leistungen tatschlich ausfÅhren.8
15.234 § 160 AO ist eine Ermessensvorschrift.9 Voraussetzung fÅr die Ermessensbettigung ist zunchst die Ermittlung der HÇhe der Betriebsausgaben, Werbungskosten usw.10 Erst danach sind sodann Ermessensentscheidungen auf zwei Stufen zu treffen. Auf der ersten Stufe geht es um das Benennungsverlangen selbst. Dieses muss fÅr den Steuerpflichtigen zumutbar sein, was beispielsweise zu bejahen ist, wenn er zum Zeitpunkt der AnknÅpfung der Geschftsbeziehungen mit dem Zahlungsempfnger in der Lage war, entsprechende Beweisvorsorge zu treffen.11 Auf der zweiten Stufe ist eine Ermessensentscheidung dahin gehend zu treffen, ob und in welcher HÇhe die Ausgaben zu berÅcksichtigen sind.12 Hierbei kommt 1 Ausreichend, aber auch erforderlich, ist ein Anfangsverdacht i.S. von § 152 Abs. 2 StPO, BFH v. 14.7.2008, BStBl. II 2009, 850; vgl. Rz. 12.38. 2 Zur Reichweite der Mitteilungspflicht Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1876; Madauß, NZWiSt 2013, 176 ff. mit einer bersicht Åber die zum Teil stark voneinander abweichenden Rechtsansichten; vgl. zur entsprechenden Meldepflicht bei Extremismusverdacht § 51 Abs. 3 Satz 3 AO. 3 Zu Einzelheiten: BMF v. 10.10.2002, BStBl. I 2002, 1031. 4 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 11 m.w.N.; s. Rz. 12.44 ff. 5 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 19.45 ff. 6 BFH v. 15.3.1995 – I R 46/94, BStBl. II 1996, 51. 7 BFH v. 27.11.2000 – IV B 23/00, BFH/NV 2001, 424. 8 BFH v. 10.11.1998 – I R 108/97, BStBl. II 1999, 121; BFH v. 5.11.2001 – VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312. 9 BFH v. 25.11.1986 – VIII R 350/82, BStBl. II 1987, 286. 10 BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51. 11 BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434; BFH v. 20.4.2005 – X R 40/04, BFH/NV 2005, 1739. 12 BFH v. 25.8.1986 – IV B 76/86, BStBl. II 1987, 421.
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B. XI. Schmiergeldzahlungen im und ins Ausland
eine nur teilweise Versagung des Betriebsausgabenabzugs etwa dann in Betracht, wenn feststeht, dass die Zahlungsempfnger mit ihren EinkÅnften einer nur geringen Steuerbelastung ausgesetzt sind.1 Im Hinblick darauf, dass § 160 AO den Ausfall deutscher Steuer vermeiden will, ist es ermessensfehlerhaft, die Glubiger- bzw. Empfngerbenennung zu verlangen, wenn ein Steuerausfall ausgeschlossen ist.2 Das ist vor allen Dingen dann der Fall, wenn der Empfnger der Zahlungen nicht der deutschen Besteuerung unterliegt.3 2. Pflichtenkreis/Pflichtverletzungen Im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Bestechungsund Schmiergeldern gelten die allgemeinen Mitwirkungspflichten (§§ 90, 200 AO). Eine Schranke ergibt sich allerdings aus § 393 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach Zwangsmittel (§ 328 AO) nicht eingesetzt werden dÅrfen, wenn sich der Steuerpflichtige durch die Mitwirkung wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit selbst belasten wÅrde. Im Hinblick darauf ist bei der Ermittlung der fÅr die Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG bedeutsamen Tatsachen die Erzwingung einer weitergehenden Mitwirkung durch den Steuerpflichtigen ausgeschlossen.4 Wird festgestellt, dass es sich tatschlich um Bestechungsund Schmiergelder handelt, ergibt sich als Rechtsfolge neben dem steuerlichen Abzugsverbot gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG in strafrechtlicher Hinsicht, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt ist. Soweit nicht festgestellt werden kann, dass es sich um nicht abziehbare Bestechungs- und Schmiergelder handelt, ergibt sich ein steuerliches Abzugsverbot gem. § 160 AO bei entsprechender ErmessensausÅbung.5 Das gilt aber nur fÅr den Fall, dass der Steuerpflichtige, dem Benennungsverlangen des Finanzamts nicht nachkommt. Verweigert der Steuerpflichtige die Empfngerbenennung, so liegt hierin kein pflichtwidriges Verhalten.6 Demzufolge kann das Benennungsverlangen auch nicht erzwungen werden (§ 328 AO).7 DarÅber hinaus ist die Verweigerung der Glubigerbenennung fÅr sich allein auch strafrechtlich nicht relevant.8
1 BFH v. 10.3.1999 – XI R 10/98, BStBl. II 1999, 434. 2 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; BFH v. 5.11.1992 – I R 8/91, BFH/NV 1994, 357. 3 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; AEAO zu § 160 Nr. 4. 4 Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 872; Wied in BlÅmich, § 4 EStG Rz. 911; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1873; zu diesem Problemkreis: Schaumburg in StbJb 2001/2002, 239 ff. (261 f.). 5 Hierzu Seer in T/K, § 60 AO Rz. 30. 6 Vgl. BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109. 7 Seer in T/K, § 160 AO Rz. 36. 8 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Dannecker, wistra 2001, 244; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 147.
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15.235
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Beispiel: Der in Deutschland ansssige A stellt Werkzeugmaschinen her, die er u.a. in Staaten des mittleren Ostens exportiert. Die entsprechenden Auftrge werden von dem dort ansssigen X vermittelt, der hierfÅr eine Provision von 20 % des jeweiligen Auftragsvolumens erhlt. Im Zuge der AußenprÅfung wird A u.a. aufgefordert mitzuteilen, welche Betrge als Vorteilszuwendungen an Personen weitergeleitet worden sind, die fÅr die Auftragsvergabe verantwortlich waren. Zugleich wird der aufgefordert, Name und Anschrift dieser Personen zu benennen. In diesem Zusammenhang wird A Åber die mÇgliche Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG, Åber die MÇglichkeit der straf- bzw. bußgeldrechtlichen Selbstbelastung und das Zwangsmittelverbot belehrt.1 Da A keinerlei Angaben macht, werden der zustndigen Staatsanwaltschaft die entsprechenden Tatsachen mitgeteilt. Zugleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.
15.236 Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) setzt voraus, dass die an X geleisteten Provisionszahlungen dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG unterliegen. DafÅr dass es sich bei den Provisionszahlungen an X jedenfalls zum Teil um weitergeleitetes Bestechungs- und Schmiergeld handelt, spricht schon allein die HÇhe der Provision, die Åber das marktÅbliche Maß hinausgeht. Da die AußenprÅfung auch keine ausreichende Dokumentation Åber die von X im Einzelnen zu erbringenden Leistungen erhalten hat, liegen jedenfalls insoweit zureichende tatschliche Anhaltspunkte dafÅr vor, dass eine Bestechung im geschftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 und 3 StGB) vorliegt, wobei A als Tter und X als Gehilfe in Betracht kommen.2 Insoweit erfolgte also die Mitteilung an die zustndige Staatsanwaltschaft zu Recht.3
15.237 Allerdings sind weitere Ermittlungen erforderlich. So bedarf es der Feststellung, ob X als Vermittler aufgrund seiner Stellung die MÇglichkeit besaß, auf die betrieblichen Entscheidungen insbesondere Åber die Auftragsvergabe bei den einzelnen Auftraggebern Einfluss zu nehmen.4 Bejahendenfalls ist der Tatbestand des § 299 Abs. 2, 3 StGB erfÅllt. Anderenfalls bedarf es der Feststellung, ob und ggf. in welcher HÇhe X die von ihm empfangenen Provisionen als Bestechungs- und Schmiergelder an die fÅr die Auftragsvergabe verantwortlichen Angestellten der Auftraggeber weitergeleitet hat. Sollte dies der Fall sein, so ist auch insoweit A Tter einer Bestechung im geschftlichen Verkehr.5 Erweist sich somit die Tatbestandsmßigkeit und Rechtswidrigkeit der Bestechung im geschftlichen Verkehr,6 greift das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG 1 Entsprechend Tz. 30 des BMF-Schreibens v. 10.10.2002, BStBl. I 2002, 1031. 2 Wittig, wistra 1989, 7 ff. (10). 3 Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein Anfangsverdacht i.S. von § 152 Abs. 2 StPO; BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850; s. Rz. 12.38. 4 Heger in Lackner/KÅhl28, § 299 StGB Rz. 2; Schramm, JuS 1999, 333. 5 Die Bestechung gilt auch im auslndischen Wettbewerb (§ 299 Abs. 3 StGB) und als Auslandstat (§ 7 Abs. 2 StGB). 6 Auf einen Strafantrag (§ 301 StGB) kommt es nicht an; Wied in BlÅmich, § 4EStG Rz. 905; Frotscher in Frotscher, § 4 EStG Rz. 865; Kruschke in H/H/R, § 4 EStG Rz. 1859.
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B. XII. Zuzug natÅrlicher Personen
ein, womit zugleich der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt ist. Ob auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben ist, ist Tatfrage. Sollte sich dagegen der Tatbestand des § 299 Abs. 2, 3 StGB nicht erweisen mit der Folge, dass das steuerliche Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG nicht eingreift, kommt die Anwendung des § 160 AO in Betracht. Hier bedarf es allerdings keiner weitergehenden Ermittlungen. Dies deshalb nicht, weil die gewinnmindernde Buchung der tatschlich geleisteten Provisionszahlungen als Betriebsausgaben zu Recht erfolgt ist und die sptere in das Ermessen der Finanzverwaltung bestellte Versagung der Abzugsfhigkeit (§ 160 AO) hieran nichts ndert.1 Entsprechendes gilt auch fÅr die Verweigerung der Glubigerbenennung durch A, die als solche nicht strafbar ist.2 Abgesehen davon ist es ohnehin ermessensfehlerhaft, die Glubiger- bzw. Empfngerbenennung zu verlangen, wenn der Empfnger der Zahlungen ein Auslnder ist und insoweit nicht der deutschen Besteuerung unterliegt.3 Damit ergibt sich, dass in dem Fall, in dem eine Bestechung im geschftlichen Verkehr nicht nachweisbar ist, das Ermittlungsverfahren einzustellen ist.
XII. Zuzug natÅrlicher Personen Literatur (ab 2006): Kommentare zu §§ 1, 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a, 17 Abs. 2 EStG; §§ 8, 9 AO; Art. 4 OECD-MA; Eich, Grenzen der beschrnkten Steuerpflicht von Flugpersonal, EStB 2011, 269; Hruschka, Die Ent- und Verstrickung stiller Reserven nach dem SEStEG, StuB 2006, 574; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 5.12 ff., 5.353 ff., 16.194 ff.; TÇben/Reckwardt, Entstrickung und Verstrickung privater Anteile an Kapitalgesellschaften, FR 2007, 159.
1. berblick Der Zuzug betrifft im Wesentlichen den Fall, dass natÅrliche Personen im Inland einen Wohnsitz (§ 8 AO) oder den gewÇhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) begrÅnden und hierdurch unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig werden. Wurden vor dem Zuzug keine inlndischen EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG) erzielt, wird zuzugsbedingt eine deutsche Steuerpflicht erstmals begrÅndet. Andernfalls erfolgt zuzugsbedingt ein Wechsel von der beschrnkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) oder von der erweiterten unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2 EStG) oder von der fiktiven unbeschrnkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) in die unbeschrnkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG). Erfasst wird aber 1 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 147. 2 BGH v. 22.11.1985 – 2 StR 64/85, wistra 1986, 109; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 147; Dannecker, wistra 2001, 244. 3 BFH v. 9.8.1989 – I R 66/86, BStBl. II 1989, 995; AEAO zu § 160 Nr. 4.
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15.238
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
auch der Fall, dass zuzugsbedingt im Inland ein Wohnsitz oder der gewÇhnliche Aufenthalt begrÅndet wird, ohne dass im Ausland der bisherige Wohnsitz oder gewÇhnliche Aufenthalt aufgegeben wird. In derartigen Wohnsitzfllen kann es zu einer doppelten oder gar mehrfachen unbeschrnkten Steuerpflicht in verschiedenen Staaten kommen.
15.239 Die durch Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt im Inland ausgelÇste unbeschrnkte Steuerpflicht fÅhrt dazu, dass nunmehr im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der inlndischen Einkommensteuer zu unterwerfen ist (§ 2 Abs. 1 EStG). Gegen diese weitreichende Besteuerung sind allerdings die Schrankenwirkungen von Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Hierbei wird die Steuerberechtigung des Wohnsitzstaates aufrechterhalten mit der Folge, dass dieser im Unterschied zum Quellenstaat die vorrangige Besteuerung hat. Aus dieser vorrangigen Besteuerung folgt als Kehrseite, dass es im Ausgangspunkt der Wohnsitzstaat ist, der auf eine weitreichende Steuerberechtigung ganz oder teilweise verzichtet, soweit dem Quellenstaat die Steuerberechtigung nicht genommen ist. Dem Quellenstaat verbleibt demgegenÅber eine bloß nachrangige Besteuerung, die ihm im Grundsatz nur die uneingeschrnkte Besteuerung der EinkÅnfte von in seinem Gebiet belegenen Betriebssttten und unbeweglichem VermÇgen sowie die reduzierte Besteuerung von Dividenden, Zinsen und LizenzgebÅhren belsst. Im Hinblick darauf ist fÅr Zwecke der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen stets zu entscheiden, wer Wohnsitzstaat und wer Quellenstaat ist (s. Rz. 13.240 f.). Diese Entscheidung wird aufgrund der sog. tie-breaker-rule getroffen (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA). In Abkommensfllen ist daher neben der zuzugsbedingten BegrÅndung der unbeschrnkten Steuerpflicht im Inland auch der Fall von Bedeutung, dass etwa durch Verlegung des Mittelpunkts der Lebensinteressen die natÅrliche Person im abkommensrechtlichen Sinne im Inland ansssig und damit Deutschland Wohnsitzstaat wird (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA). Die in den Doppelbesteuerungsabkommen verankerten tie-breaker-rules umfassen fÅnf Stufen, auf denen jeweils Åber die Ansssigkeit und damit zugleich Åber die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat entschieden wird. Ist eine Entscheidung auf einer Stufe nicht mÇglich, so ist sie auf der nchstfolgenden Stufe zu treffen, wobei zuletzt als Ultima Ratio die Entscheidung Åber die Ansssigkeit im gegenseitigen Einvernehmen beider Vertragsstaaten zu treffen ist. Die folgenden fÅnf Stufen sind maßgeblich (vgl. Rz. 15.263 ff.): – stndige Wohnsttte, – Mittelpunkt der Lebensinteressen, – gewÇhnlicher Aufenthalt, – StaatsangehÇrigkeit, – gegenseitiges Einvernehmen.
15.240 Das zuzugsbedingte Eintreten in die unbeschrnkte Einkommensteuerpflicht (Steuerverstrickung) hat zur Folge, dass – sofern keine Sonderregelungen eingreifen – etwaige whrend der Zeit vor Beginn der unbe-
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B. XII. Zuzug natÅrlicher Personen
schrnkten Steuerpflicht im Ausland im Zusammenhang mit WirtschaftsgÅtern gebildete stille Reserven nunmehr von der deutschen Besteuerung erfasst werden. Eine derartige Steuerverstrickung tritt auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige etwa seinen Wohnsitz im Ausland zwar aufrechterhlt, durch BegrÅndung eines weiteren inlndischen Wohnsitzes nach den maßgeblichen in den DBA verankerten tie-breakerrules hier aber als ansssig gilt, sodass deutsches Besteuerungsrecht grundstzlich nicht beschrnkt wird. Um indessen aus der Sicht des deutschen Steuerrechts eine steuerliche Doppelerfassung von bis zum Zuzug entstandenen stillen Reserven zu vermeiden, gilt fÅr den Bereich des BetriebsvermÇgens eine allgemeine Regelung, wonach eine Einlage in das BetriebsvermÇgen einer BegrÅndung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Verußerung eines Wirtschaftsguts gleichsteht (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Halbs. 2 EStG), wobei Bemessungsgrundlage der gemeine Wert ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Damit ist insbesondere der Fall erfasst, dass ein bislang im Ausland ansssiger Gewerbetreibender seinen Wohnsitz und zugleich seinen Gewerbebetrieb in das Inland verlegt.1 ber die vorstehende ganz allgemein fÅr WirtschaftsgÅter des BetriebsvermÇgens maßgebliche Verstrickungsregelung hinaus gilt fÅr WirtschaftsgÅter des PrivatvermÇgens nur eine in ganz engen Grenzen wirkende Sonderregelung. FÅr privat gehaltene Anteile an in- oder auslndischen Kapitalgesellschaften wird im Falle einer nach dem Zuzug erfolgten Verußerung der Verußerungsgewinn nicht auf der Grundlage der originren Anschaffungskosten, sondern nach Maßgabe des Wertes berechnet, den der Wegzugsstaat im Rahmen einer dort geltenden dem § 6 AStG vergleichbaren Wegzugsteuer angesetzt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG).2 Der Anwendungsbereich dieser Verstrickungsregelung ist zudem dadurch eingeschrnkt, dass hÇchstens der gemeine Wert der Anteile zum Zeitpunkt des Zuzugs angesetzt wird.3 2. Pflichtenkreis Die Steuergesetze enthalten beim Zuzug natÅrlicher Personen keine Meldepflichten, die gegenÅber den FinanzbehÇrden zu erfÅllen wren.4 Whrend die BegrÅndung eines gewÇhnlichen Aufenthaltes im Inland auch nach außersteuerlichen Vorschriften keine Meldepflichten auslÇst, ist das Beziehen einer Wohnung im Inland bei der zustndigen MeldebehÇrde an-
1 Die vorstehende Verstrickungsregelung gilt auch fÅr die Gewerbesteuer (vgl. § 7 Satz 1 GewStG). 2 Zur Kritik an dieser einschrnkenden Regelung vgl. Weber-Grellet in Schmidt33, § 17 EStG Rz. 159 m.w.N., wonach generell auf den gemeinen Wert abzustellen ist, zu dem die steuerlich relevante Beteiligung entstanden ist; vgl. auch BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u.a., BStBl. II 2011, 86. 3 Das gilt natÅrlich nicht, wenn die tatschlichen Anschaffungskosten hÇher waren; Gosch in Kirchhof13, § 17 EStG Rz. 81. 4 Vgl. Schallmoser in H/H/Sp, § 136 AO Rz. 1.
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15.241
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
zumelden. Rechtsgrundlage hierfÅr ist § 17 Abs. 1 BMG1 i.V.m. den entsprechenden Meldegesetzen der Lnder. Die Meldepflicht ist innerhalb von zwei Wochen gegenÅber der MeldebehÇrde2 zu erfÅllen (§ 17 Abs. 1 BMG). Wird dieser Meldepflicht vorstzlich oder fahrlssig nicht, nicht richtig, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig entsprochen, kann dieser Verstoß als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 BMG). Die MeldebehÇrden haben sodann die entsprechenden Daten den zustndigen FinanzbehÇrden zu Åbermitteln (§ 136 AO, §§ 34, 38 BMG).
15.242 Soweit der Zugezogene einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft, einen gewerblichen Betrieb oder eine Betriebssttte im Inland erÇffnet, hat er dies der zustndigen Gemeinde mitzuteilen, die ihrerseits das zustndige Finanzamt unverzÅglich unterrichtet (§ 138 Abs. 1 AO). Angesprochen ist damit insbesondere die zuzugsbedingte Verlegung eines Betriebs oder einer Betriebssttte sowie einer freiberuflichen Ttigkeit in das Inland.3 Die Mitteilung ist innerhalb eines Monats vorzunehmen (§ 138 Abs. 3 AO). In den vorgenannten Fllen kann die Anzeigepflicht auch dadurch erfÅllt werden, dass eine entsprechende elektronische Anzeige bei der fÅr die Umsatzbesteuerung zustndigen FinanzbehÇrde eingereicht wird (§ 138 Abs. 1a AO).4
15.243 Mit Eintritt in die unbeschrnkte Einkommensteuerpflicht entstehen, soweit nicht bereits zuvor beschrnkte Steuerpflicht gegeben war, entsprechende Steuererklrungspflichten (§§ 149 ff. AO; § 25 Abs. 2 und 3 EStG), die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zu erfÅllen sind (Jahressteuererklrung). FÅr Zwecke der Einkommensteuervorauszahlungen bestehen indessen derartige Erklrungspflichten nicht. Die Einkommensteuervorauszahlungen sind zwar vierteljhrlich fllig und entstehen jeweils mit Beginn des Kalendervierteljahres oder, wenn die Steuerpflicht erst im Laufe des Kalendervierteljahres begrÅndet wird, mit BegrÅndung der Steuerpflicht (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EStG), es ist aber allein Aufgabe des zustndigen Finanzamtes, alle fÅr die Festsetzung von Vorauszahlungen notwendigen Ermittlungen durchzufÅhren. Von sich aus muss der Steuerpflichtige nicht ttig werden, und zwar auch dann nicht, wenn er erkennt, dass aufgrund seiner Einkommensverhltnisse Steuervorauszahlungen zu entrichten wren.5 Im Hinblick darauf erschÇpft sich seine Pflicht in der gegenÅber der Gemeinde vorzunehmenden Anzeige Åber die Aufnahme seiner Erwerbsttigkeit (§ 138 Abs. 1 AO). Damit ergibt sich weiter, dass eine Vorauszahlungspflicht in den vorgenannten Fllen erst aufgrund einer 1 Das MRRG wird zum 1.11.2015 außer Kraft treten (vgl. Art. 4 MeldFortG). 2 In NRW sind das die Gemeinden als Çrtliche OrdnungsbehÇrden (§ 1 MG NRW). 3 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 1. 4 Brandis in T/K, § 138 AO Rz. 4; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 138 AO Rz. 7.2; a.A. Schallmoser in H/H/Sp, § 138 AO Rz. 16, wonach der Anzeigepflicht gegenÅber der Gemeinde stets nachzukommen ist. 5 Diebold in H/H/R, § 37 EStG Rz. 24; Schiffers in Korn, § 37 EStG Rz. 18.
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Steuerfestsetzung durch Vorauszahlungsbescheid (§ 37 Abs. 3 Satz 1 EStG) entsteht, obwohl von Gesetzes wegen die Einkommensteuervorauszahlungen zuvor entstanden und fllig wurden (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EStG). Die vorstehende Rechtslage gilt auch fÅr Gewerbesteuer-Vorauszahlungen (§ 19, 21 GewStG). Anders ist dagegen die Rechtslage bei der Umsatzsteuer. Hiernach hat der Unternehmer grundstzlich zum 10. Tag nach Ablauf jedes Voranmeldungszeitraums ohne Aufforderung eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben (§ 18 Abs. 1 Stze 1 und 4 UStG). Zugleich ist zu diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuervorauszahlung fllig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Entsprechendes gilt auch fÅr die im brigen nach dem UStG maßgeblichen Melde- und Erklrungspflichten (z.B. §§ 18a, 18b UStG).
15.244
3. Pflichtverletzungen Im Zusammenhang mit dem Zuzug in das Inland betreffen die Probleme mit strafrechtlicher Relevanz in erster Linie die Frage, ob im Inland ein Wohnsitz bzw. gewÇhnlicher Aufenthalt oder im abkommensrechtlichen Sinne eine Ansssigkeit gegeben ist.
15.245
a) Wohnsitz im Inland Mit § 8 AO hat sich das Steuerrecht einen spezifischen Wohnsitzbegriff geschaffen,1 der sich etwa von den §§ 7 und 8 BGB dadurch unterscheidet, dass er nicht auf subjektive Umstnde, sondern allein auf die tatschliche Gestaltung abstellt.2 Im Hinblick darauf kommt es auch nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige einen Wohnsitz begrÅnden oder aufheben wollte. Manifestiert sich der Wille des Steuerpflichtigen indessen nach außen, etwa durch An- und Abmeldung des Wohnsitzes bei der OrdnungsbehÇrde, kann insoweit ein dahin gehender Indikator fÅr den Wohnsitz gegeben sein.3
15.246
Der Wohnsitzbegriff setzt eine Wohnung voraus. Es mÅssen also zum Wohnen geeignete Rumlichkeiten vorhanden sein, die allerdings nicht bestimmten Anforderungen entsprechen mÅssen. Daher spielt es grundstzlich keine Rolle, ob die Rumlichkeiten angemessen oder gar standesgemß sind.4 Somit kommen als Wohnungen in Betracht: Baracken, Hotelzimmer bei Dauernutzung, Wochenendhuser, Jagdhuser, Gartenhuschen in einer Laubenkolonie, Wohnwagen bei Dauermiete auf einem
15.247
1 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.12 ff. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 87. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. 4 Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5; Schwarz in Schwarz, § 8 AO Rz. 5.
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Campingplatz.1 Ohne Bedeutung ist, ob die Rumlichkeiten mÇbliert sind oder nicht.
15.248 Der Wohnsitzbegriff verlangt ferner ein Innehaben der Wohnung. Ein Innehaben ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige Åber die Wohnung tatschlich verfÅgen kann, und zwar aufgrund eigener oder abgeleiteter VerfÅgungsmacht.2 Eine jedenfalls abgeleitete VerfÅgungsmacht ist insbesondere in den Fllen eines Familienwohnsitzes anzunehmen, wenn der Betreffende bei sich bietender Gelegenheit dorthin immer wieder zurÅckkehrt, um dort mit der Familie zu wohnen.3 Im Hinblick darauf ist im Zweifel davon auszugehen, dass etwa auswrts arbeitende Ehegatten und an einem anderen Studienort studierende Kinder ihren Wohnsitz dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat.4 Eine derartige VerfÅgungsmacht ist indessen grundstzlich zu verneinen, wenn sich jemand lediglich zu Besuchszwecken bei einer anderen Person, auch wenn es sich hierbei um Verwandte handelt, oder in einem Hotel aufhlt.5
15.249 FÅr den Wohnsitzbegriff kommt es auch auf die Umstnde des Innehabens an. Diese mÅssen darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Wesentlich ist somit, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit als Bleibe zur VerfÅgung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist.6 Es wird also nicht auf die tatschliche Nutzung abgestellt. So reicht es bei Abwesenheit des Wohnungsinhabers aus, wenn die Wohnung so ausgestattet ist, dass er jederzeit zurÅckkehren und sich hierin aufhalten kann.7 Wird die Wohnung whrend der Abwesenheit dagegen vermietet, entfllt die von § 8 AO vorausgesetzte VerfÅgungsmacht Åber diese Wohnung, es sei denn, es handelt sich nur um eine vorÅbergehende Unterbrechung der VerfÅgungs-
1 So die Aufzhlung bei Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5 und Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 63 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; vgl. ferner Eich, EStB 2011, 269 ff. 2 BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. 3 BFH v. 29.10.1959 – IV 129/58 S, BStBl. III 1960, 61; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 (1148); BFH v. 30.10.2002 – VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464. 4 Zu Ehegatten BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; BFH v. 2.11.1994 – I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; zu Studenten BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294; zu weiteren Einzelheiten Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 65 ff. 5 Zu Einzelheiten Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 6, 6a, 6b. 6 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; BFH v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887; BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 23.11.2000 – VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294. 7 BFH v. 17.5.1995 – I R 8/94, BStBl. II 1996, 2; weitere Einzelheiten bei Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 9 ff.
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macht.1 In Anlehnung an § 9 Satz 2 AO kann ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten noch als vorÅbergehend angesehen werden.2 Ob die Umstnde auf ein Beibehalten und Benutzen der Wohnung schließen lassen, beurteilt sich nach der Lebenserfahrung.3 Hiernach werden Rumlichkeiten, die eine den persÇnlichen und wirtschaftlichen Verhltnissen entsprechende Bleibe darstellen, ebenso fÅr ein Beibehalten und Benutzen sprechen4 wie regelmßige Aufenthalte des Steuerpflichtigen dort selbst.5
15.250
Das Innehaben einer Wohnung unter Umstnden, die darauf schließen lassen, dass der Steuerpflichtige sie beibehalten und benutzen wird, drÅckt schließlich ein Zeitmoment aus. Das bedeutet, dass die Umstnde dafÅr sprechen mÅssen, dass die Wohnung nicht nur vorÅbergehend benutzt wird. Da § 8 AO keine konkrete Zeitregelung enthlt, kann insoweit auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO zurÅckgegriffen werden.6
15.251
In der Praxis sind nicht selten solche Gestaltungen dadurch strafrechtlich relevant, dass Personen mit auslndischem Wohnsitz im Inland verdeckt einen Wohnsitz – etwa bei nahen AngehÇrigen – unterhalten, ohne dass entsprechende Steuererklrungen abgegeben werden.
15.252
Beispiel: A wohnt seit vielen Jahren in Hongkong und ist dort als selbstndiger Vertreter fÅr verschiedene mittelstndische europische Unternehmen ttig. Um Kontakte insbesondere mit deutschen Unternehmen aufrechtzuerhalten bzw. aufzubauen, hlt sich A Jahr fÅr Jahr mehrmals – verteilt jeweils Åber das gesamte Jahr – fÅr insgesamt etwa vier Wochen im Inland auf. Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung steht fest, dass A whrend seiner Aufenthalte in Deutschland anlsslich von Geschftsbesuchen in verschiedenen Hotels Åbernachtet und im brigen im Haus seiner Eltern sein frÅheres „Kinderzimmer“ bewohnt hat. berdies wird festgestellt, dass A unter der Adresse seiner Eltern bei der zustndigen MeldebehÇrde eine Wohnung gemeldet hat, um – so die Einlassung von A – im Inland eine Postadresse fÅr die auftraggebenden Unternehmen zu haben. A erzielt erhebliche EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb aus seiner Ttigkeit als Provisionsvertreter und zudem EinkÅnfte aus KapitalvermÇgen aus festverzinslichen Anleihen asiatischer Schuld1 BFH v. 23.3.1972 – I R 128/70, BStBl. II 1972, 949, Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 70. 2 Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68, vgl. auch BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956; enger dagegen FG Hessen v. 13.12.2010 – 3 K 1060/09, juris; FG Hamburg v. 10.7.2008 – 6 K 56/06, juris; hierzu Eich, EStB 2011, 269 ff. 3 BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 9. 4 BFH v. 24.4.1964 – VI 236/62 U, BStBl. III 1964, 462; BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447. 5 BFH v. 4.6.1964 – IV 29/64 U, BStBl. III 1964, 535; BFH v. 6.3.1968 – I 38/65, BStBl. II 1968, 439; BFH v. 26.2.1986 – II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 22.4.1994 – III R 22/92, BStBl. II 1994, 887. 6 BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956 Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 68.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht ner. Das entsprechende Wertpapierdepot unterhlt A bei einer Bank in Hongkong. Steuererklrungen hat A im Inland nicht abgegeben.
15.253 Durch den Aufenthalt in verschiedenen inlndischen Hotels wird kein inlndischer Wohnsitz begrÅndet, weil er die nur gelegentlich benutzten Rumlichkeiten nicht als Wohnung innehat.1 Die Unterkunft im „Kinderzimmer“ im Hause der Eltern ist nicht schon deshalb eine Wohnung (§ 8 AO) des A, weil er diese als solche bei der zustndigen MeldebehÇrde gemeldet hat, weil allein auf die tatschlichen Verhltnisse abzustellen ist.2 Allerdings indiziert die Anmeldung einer Wohnung bei der zustndigen MeldebehÇrde einen Wohnsitz.3 Diese Indizwirkung, die strafrechtlich ohnehin nicht ausreicht,4 ist freilich dann ohne Bedeutung, wenn die tatschlichen Feststellungen ergeben, dass ein Wohnsitz (§ 8 AO) nicht vorliegt. Von Bedeutung ist hier u.a., ob A jederzeit Zugang zu den Rumlichkeiten im Hause seiner Eltern hatte, etwa weil ihm auf Dauer die SchlÅssel zu jederzeitigen Benutzung des Hauses Åberlassen wurden, oder ob er sich jedes Mal zu Besuchszwecken anmelden musste. Von Bedeutung ist ferner, ob die whrend seines Aufenthaltes benÇtigten KleidungsstÅcke und Toilettenartikel auf Dauer im „Kinderzimmer“ deponiert waren oder ob A jedes Mal bei seiner Anreise nach Deutschland „aus dem Koffer“ lebte. Sollten die Ermittlungen ergeben, etwa durch Vernehmung der Eltern und von Nachbarn, dass A sich tatschlich nur zu Besuchszwecken im vorgenannten Sinne aufhielt, dann hatte A insoweit keine Wohnung inne5 mit der Folge, dass eine unbeschrnkte Steuerpflicht und somit insoweit der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben ist. Dass das Haus der Eltern als Postadresse des A fÅr Zwecke seiner gewerblichen Ttigkeit diente, fÅhrt auch nicht zur beschrnkten Steuerpflicht, insbesondere schon deshalb nicht, weil eine derartige Postadresse als bloßer „Briefkasten“ keine Betriebssttte ist und somit kein AnknÅpfungspunkt fÅr die beschrnkte Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) im Inland darstellt. Gleiches gilt fÅr den Fall, dass A in den Rumlichkeiten der Eltern, die ihm zu Besuchszwecken Åberlassen wurden, Telefongesprche mit Geschftsfreunden fÅhrte, da ihm insoweit die fÅr die Bejahung einer inlndischen Betriebssttte erforderliche VerfÅgungsmacht Åber die Rumlich-
1 Anders bei Dauernutzung bestimmter Hotelzimmer FG MÅnster v. 22.2.1984 – V 2216/83 U, EFG 1984, 636; FG Rheinland-Pfalz v. 24.4.1998 – 4 K 2608/95, EFG 1998, 1182; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5. 2 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; BFH v. 23.11.1988 – II R 139/87, BStBl. II 1989, 182; BFH v. 24.7.1996 – I R 74/95, BStBl. II 1997, 132; BFH v. 19.3.1997 – I R 69/96, BStBl. II 1997, 447; BFH v. 21.3.2003 – III B 123/02, BFH/NV 2003, 944; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 2; Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. B 87. 3 BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153. 4 Dumke/Webel in Schwarz, § 370 AO Rz. 87a; Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 56. 5 BFH v. 17.3.1961 – VI 185/60 U, BStBl. III 1961, 298; BFH v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; FG Bremen v. 27.7.1989 – II 246/85 K, EFG 1990, 93; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 7.
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keiten fehlte.1 Sollte sich indessen erweisen, dass sich A in den Rumen des Hauses seiner Eltern nicht nur zu Besuchszwecken – „als Gast“ – aufhielt, die Rumlichkeiten ihm also als eigene Wohnung zuzurechnen sind, unterliegt A mit seinen EinkÅnften aus Gewerbebetrieb und den EinkÅnften aus KapitalvermÇgen der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht, ohne dass abkommensrechtliche Schrankenwirkungen dem entgegenstÅnden.2 Soweit allerdings in Hongkong auf die dort erzielten EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb und aus KapitalvermÇgen Steuern entrichtet worden sind, sind diese auch auf die deutsche Einkommensteuer anrechenbar (§§ 34c Abs. 1, 34d Nr. 2 Buchst. a; 32d Abs. 5 EStG). Da A keine Einkommensteuererklrungen abgegeben hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben, wobei bei der Frage, welcher Steuerbetrag verkÅrzt worden ist, die im Ausland gezahlten anrechenbaren Steuern zu berÅcksichtigen sind.3 Da A jedenfalls im Inland keine Betriebssttte hatte, unterliegen die im Ausland erzielten EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb nicht der Gewerbesteuer (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 9 Nr. 3 GewStG). Schließlich sind die von A im Ausland erzielten Umstze als sonstige Leistungen nicht steuerbar (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Im Hinblick darauf ist insoweit der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht gegeben. b) GewÇhnlicher Aufenthalt im Inland Gem. § 9 Satz 1 AO hat jemand seinen gewÇhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umstnden aufhlt, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorÅbergehend verweilt. Damit knÅpft der Begriff des gewÇhnlichen Aufenthalts ebenso wie der Wohnsitzbegriff an ußere Merkmale an. Auf einen entsprechenden Willen des Steuerpflichtigen kommt es nicht an.4 Daher kann auch ein Zwangsaufenthalt, etwa im Gefngnis5 oder im Krankenhaus,6 zu einem gewÇhnlichen Aufenthalt fÅhren.
15.254
§ 9 Satz 1 AO verlangt einen nicht nur vorÅbergehenden Aufenthalt. HierfÅr ist eine kÇrperliche Anwesenheit fÅr einen lngeren Zeitraum an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet erforderlich.7 Hieraus folgt, dass auch ein wechselnder Aufenthalt an verschiedenen Orten
15.255
1 Zum Erfordernis der VerfÅgungsmacht Kruse in T/K, § 12 AO Rz. 11 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.144, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung. 2 Hongkong ist nicht in das DBA-China einbezogen. 3 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 74; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472); vgl. auch Rz. 10.118 ff. 4 Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 2. 5 BFH v. 14.11.1986 – VI B 97/86, BFH/NV 1987, 262. 6 BFH v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; hier greift aber ggf. § 9 Satz 3 AO ein. 7 BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956, BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001.
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im Bundesgebiet nach § 9 Satz 1 AO einen gewÇhnlichen Aufenthalt begrÅnden kann.1
15.256 Im Wege des Umkehrschlusses aus § 9 Satz 2 AO ergibt sich, dass eine Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Monaten nicht erforderlich ist, um einen gewÇhnlichen Aufenthalt nach Maßgabe des § 9 Satz 1 AO zu begrÅnden. In diesem Fall muss aber erkennbar gewesen sein, dass der Steuerpflichtige sich ursprÅnglich lnger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte.2 Im Hinblick darauf wird in der Besteuerungspraxis bei einer kÅrzeren Aufenthaltsdauer ein gewÇhnlicher Aufenthalt nur ausnahmsweise angenommen werden kÇnnen.3
15.257 Die Umstnde des Aufenthalts mÅssen erkennen lassen, dass sich die betreffende Person nicht nur vorÅbergehend im Inland aufhlt. Diese Voraussetzung ist insbesondere nicht bei Personen erfÅllt, die im Inland eine Ttigkeit ausÅben und tglich in ihre im Ausland gelegene Wohnung zurÅckkehren. Daher ist ein gewÇhnlicher Aufenthalt bei auslndischen Grenzgngern stets zu verneinen.4 Dies gilt unabhngig davon, ob es sich um Arbeitnehmer oder um selbstndige Unternehmer handelt.5 Wer allerdings regelmßig an Arbeitstagen am inlndischen Arbeits-/Geschftsort Åbernachtet und sich nur am Wochenende bzw. an Feiertagen und im Urlaub zu seinem auslndischen Wohnsitz begibt, hat jedenfalls einen inlndischen gewÇhnlichen Aufenthalt.6
15.258 Im Hinblick darauf, dass die Begriffsmerkmale vorÅbergehender Aufenthalt und Begleitumstnde des Aufenthalts sehr unscharf sind, enthlt § 9 Satz 2 AO die Bestimmung, dass als gewÇhnlicher Aufenthalt im Inland stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhngender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ist. Sobald die Sechsmonatsfrist Åberschritten ist, wird der gewÇhnliche Aufenthalt auf den Beginn zurÅckbezogen. § 9 Satz 2 AO regelt, dass kurzfristige Unterbrechungen, etwa zu Urlaubszwecken, unberÅcksichtigt bleiben mit der Folge, dass sie einerseits nicht zu einer Neuberechnung der Sechsmonatsfrist fÅhren und andererseits bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist nicht mit einzube1 Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 5; Birk in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 19; fÅr Zwecke der unbeschrnkten Steuerpflicht wird das gesamte Inland als „Gebiet“ angenommen. 2 BFH v. 3.8.1977 – I R 210/75, BStBl. II 1978, 118; BFH v. 30.8.1989 – I R 215/85, BStBl. II 1989, 956. 3 Vgl. BMF v. 2.1.2008, BStBl. I 2008, 26 (AO-Anwendungserlass) zu § 9 AO Tz. 1. 4 BFH v. 10.5.1989 – I R 50/85, BStBl. II 1989, 755; BFH v. 25.1.1989 – I R 205/82, BStBl. II 1990, 687; BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; BFH v. 20.4.1988 – I R 219/82, BStBl. II 1990, 701; BFH v. 10.8.1983 – I R 241/82, BStBl. II 1984, 11; BFH v. 5.2.1965 – VI 334/63 U, BStBl. III 1965, 352; BFH v. 9.2.1966 – I 244/63, BStBl. III 1966, 522; BFH v. 1.3.1963 – VI 119/61 U, BStBl. III 1963, 212. 5 BFH v. 6.2.1985 – I R 23/82, BStBl. II 1985, 331; BMF v. 2.1.2008, BStBl. I 2008, 26 (AO-Anwendungserlass) zu § 9 AO Tz. 2. 6 BFH v. 25.5.1988 – I R 225/82, BStBl. II 1988, 944; BMF v. 2.1.2008, BStBl. I 2008, 26 (AO-Anwendungserlass) zu § 9 AO Tz. 2.
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B. XII. Zuzug natÅrlicher Personen
ziehen sind.1 Die Sechsmonatsfrist2 muss nicht zur Gnze in ein Kalenderjahr fallen.3 § 9 Satz 3 AO ist eine Sondervorschrift im Verhltnis zu § 9 Satz 2 AO, sodass ein gewÇhnlicher Aufenthalt nicht anzunehmen ist, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder hnlichen privaten Zwecken erfolgt und nicht lnger als ein Jahr dauert. Damit wird die Sechsmonatsfrist fÅr die vorgenannten Zwecke auf ein Jahr ausgedehnt. Das gilt allerdings nur, wenn die Sechsmonatsfrist (§ 9 Satz 2 AO) noch nicht abgelaufen ist, sodass die Jahresfrist nicht eingreift, wenn sich etwa ein zweimonatiger Erholungsaufenthalt an einen siebenmonatigen Geschftsaufenthalt im Inland anschließt.4
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Unter strafrechtlichen Gesichtspunkten sind insbesondere solche Flle von Bedeutung, in denen im Ausland wohnende Personen im Inland ttig sind, ohne hierbei einen Wohnsitz zu begrÅnden.
15.260
Beispiel: B ist Unternehmensberater und wohnt seit vielen Jahren in Monaco, wo er mit seinen EinkÅnften nur einer ganz geringen Besteuerung unterliegt. B bert u.a. deutsche Unternehmen. Die Beratung erfolgt vor Ort in den Geschftsrumen der betreffenden auftraggebenden Unternehmen, in denen er fÅr deren Angestellte Schulungsmaßnahmen durchfÅhrt, die in aller Regel nicht lnger als fÅnf Tage dauern. Die Schulungsmaßnahmen werden in von den Unternehmen zur VerfÅgung gestellten Tagungsrumen durchgefÅhrt. Aufgrund bundesweit durchgefÅhrter Fahndungsmaßnahmen wird festgestellt, dass B sich Jahr fÅr Jahr in einem zusammenhngenden Zeitraum von zwischen 100 und 150 Tagen bei verschiedenen Unternehmen an verschiedenen Orten fÅr Beratungszwecke aufgehalten hat. Whrend dieser Zeit Åbernachtete er in entsprechenden Hotels. In einem Jahr musste sich B einer Operation unterziehen. Er hielt sich im Inland in einer Universittsklinik und anschließend in einem Sanatorium fÅr insgesamt 60 Tage auf. In dem betreffenden Jahr betrug der berufs- und krankheitsbedingte Aufenthalt zusammenhngend insgesamt 200 Tage. B hat in allen Jahren keine Steuererklrungen abgegeben.
Da A sich im Inland lediglich in verschiedenen Hotels und darÅber hinaus in einem Krankenhaus und Sanatorium aufgehalten hat, hat er insoweit keinen Wohnsitz (§ 8 AO) begrÅndet. AnknÅpfungspunkt fÅr die unbeschrnkte Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) kann daher nur der gewÇhnliche Aufenthalt (§ 9 AO) im Inland sein. Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung ist davon auszugehen, dass sich B auch nicht lnger als sechs Monate im Inland aufhalten wollte, sodass in den Zeitrumen, in denen B sich tatschlich weniger als sechs Monate aufgehalten hat, ein gewÇhnlicher Aufenthalt zu verneinen ist.5 Obwohl 1 BFH v. 22.6.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001, Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 10, 11; MÇssner in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen4, Rz. 2.36. 2 Berechnung nach §§ 187 ff. BGB. 3 BFH v. 19.8.1981 – I R 51/78, BStBl. II 1982, 452. 4 Zu Einzelheiten Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 41. 5 Vgl. BMF v. 2.1.2008, BStBl. I 2008, 26 (AO-Anwendungserlass) zu § 9 AO Tz. 1.
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15.261
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
B sich in dem Jahr, in dem er sich einer Operation unterzogen hat, lnger als sechs Monate im Inland aufhielt, ist ein gewÇhnlicher Aufenthalt gleichwohl zu verneinen, weil der Aufenthalt insgesamt nicht lnger als ein Jahr dauerte und die maßgebliche Sechs-Monats-Frist (§ 9 Satz 2 AO) ausschließlich aus GrÅnden der Erholung1 Åberschritten wurde (§ 9 Satz 3 AO).2 Damit ergibt sich, dass die EinkÅnfte aus Gewerbebetrieb des B im Rahmen der unbeschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 EStG) nicht erfasst werden kÇnnen. Dies gilt auch fÅr die beschrnkte Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG). Dies deshalb, weil es an einem inlndischen AnknÅpfungspunkt fÅr die Besteuerung fehlt, insbesondere eine inlndische Betriebssttte des B nicht gegeben ist (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Die fÅr die Betriebssttte (§ 12 AO) maßgebliche Geschftseinrichtung oder Anlage muss nmlich in der VerfÅgungsmacht des betreffenden Unternehmers stehen,3 was dann nicht der Fall ist, wenn wie hier die gewerbliche Ttigkeit in Rumlichkeiten eines anderen Unternehmens ausgeÅbt wird, in denen hierfÅr Arbeitspltze von Fall zu Fall zugewiesen werden.4 Unter den vorgenannten Gesichtspunkten scheidet somit eine Besteuerung im Inland aus, obwohl B seine gewerblichen EinkÅnfte durch eine im Inland ausgeÅbte Ttigkeit erzielt.5 Sollten allerdings die Ermittlungen ergeben, dass B als deutscher StaatsangehÇriger in den letzten zehn Jahren seinen inlndischen Wohnsitz aufgegeben und dadurch aus der unbeschrnkten Steuerpflicht ausgeschieden ist, kommt eine erweitert beschrnkte Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) in Betracht. Diese erweiterte beschrnkte Steuerpflicht gilt fÅr natÅrliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fÅnf Jahre lang als deutsche StaatsangehÇrige unbeschrnkt steuerpflichtig waren. Die erweiterte beschrnkte Steuerpflicht wird sodann fÅr weitere zehn Jahre aufrechterhalten. Hierbei gilt die Besonderheit, dass in dem Fall, dass die EinkÅnfte weder durch eine auslndische Betriebssttte noch durch einen in einem auslndischen Staat ttigen stndigen Vertreter erzielt werden, eine inlndische Geschftsleitungsbetriebssttte fingiert wird (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AStG).6 Auf dieser Grundlage ist zwar der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung zu
1 Hierzu zhlt auch die Gesundung; Musil in H/H/Sp, § 9 AO Rz. 41. 2 Kruse in T/K, § 9 AO Rz. 13; Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG Rz. 76; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.21. 3 BFH v. 18.3.1976 – IV R 168/72, BStBl. II 1976, 365; BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; BFH v. 3.2.1993 – I R 80/91, I R 81/91, BStBl. II 1993, 462; BFH v. 30.10.1996 – II R 12/92, BStBl. II 1997, 12; BFH v. 23.5.2002 – III R 8/00, BStBl. II 2002, 512; a.A. Wassermeyer in FS Kruse, 590 (595 f.). 4 BFH v. 30.10.1996 –- II R 12/92, BStBl. II 1997, 12. 5 Zur lÅckenhaften AnknÅpfung im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.171. 6 EingefÅhrt durch das JStG 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794; Nichtanwendungsgesetz gegen BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398; zur Kritik an der gesetzlichen Neuregelung Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144.
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B. XII. Zuzug natÅrlicher Personen
bejahen, angesichts der mehr als verworrenen Rechtslage1 wird ein vorstzliches Handeln wohl nicht nachzuweisen sein. Da die Fiktion des § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG – inlndische Betriebssttte – nicht fÅr die Gewerbesteuer gilt, scheidet eine Gewerbesteuerpflicht aus (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 9 Nr. 3 GewStG). DemgegenÅber fllt Umsatzsteuer an, weil die seitens des B erbrachten Umstze als sonstige Leistungen im Inland steuerbar und steuerpflichtig sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). Insoweit ist jedenfalls der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben.
15.262
c) Ansssigkeit im Inland In den Fllen, in denen natÅrliche Personen in zwei Staaten unbeschrnkt steuerpflichtig sind, beurteilt sich abkommensrechtlich die Ansssigkeit, die immer nur in einem oder in dem anderen Staat sein kann, nach der im Art. 4 Abs. 2 OECD-MA verankerten tie-breaker-rule.2 HierfÅr sind fÅnf Kollisionsstufen maßgeblich.
15.263
Ist eine natÅrliche Person in beiden Vertragsstaaten aufgrund ihres Wohnsitzes oder ihres stndigen Aufenthaltes unbeschrnkt steuerpflichtig und damit nach der Grundregel in beiden Vertragsstaaten ansssig, so entscheidet auf der ersten Kollisionsstufe die stndige Wohnsttte Åber die Ansssigkeit und damit Åber die Steuerberechtigung als Wohnsitzstaat. Da der Begriff „stndige Wohnsttte“ nicht identisch ist mit „Wohnsitz“, vielmehr einen besonders qualifizierten Wohnsitz meint, den die natÅrliche Person nicht nur gelegentlich und auch nicht nur zu vorÅbergehenden Zwecken nutzt,3 bietet die stndige Wohnsttte nicht nur die LÇsung fÅr die Kollisionspaare Wohnsitz/stndiger Aufenthalt, sondern auch fÅr den Fall, dass die natÅrliche Person in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz unterhlt.
15.264
VerfÅgt die natÅrliche Person in beiden Vertragsstaaten Åber eine stndige Wohnsttte, so orientiert sich auf einer zweiten Kollisionsstufe die Abgrenzung zwischen Wohnsitzstaat einerseits und Quellenstaat andererseits am Mittelpunkt der Lebensinteressen der abkommensberechtigten Person. Danach ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, zu dem die natÅrliche Person die engeren persÇnlichen und wirtschaftlichen Beziehun-
15.265
1 § 2 Abs. 1 Satz 2 AStG luft leer, weil nach der Rechtsprechung des BFH im Zweifel auch am auslndischen Wohnsitz eine Betriebssttte gegeben ist; zu Einzelheiten Baßler in F/W/B/S, § 2 AStG Rz. 144. 2 Vgl. zum Folgenden Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.202 ff.; ferner Rz. 15.239. 3 BFH v. 23.10.1985 – I R 274/82, BStBl. II 1986, 133; BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 16.12.1998 – I R 40/97, BStBl. II 1999, 207; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 ff.; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 33, 55 ff.; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD-MA Rz. 67 ff.
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gen unterhlt.1 Hinsichtlich der persÇnlichen Beziehungen ist abzustellen auf die gesamte private LebensfÅhrung, insbesondere auf das familire, gesellschaftliche, politische und kulturelle Umfeld.2 DemgegenÅber kommt es im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Beziehungen darauf an, von wo aus die natÅrliche Person ihrer tglichen Arbeit nachgeht und wo ihr VermÇgen und ihre EinkÅnfte verwaltet werden.3 Der Mittelpunkt der Lebensinteressen in einem Vertragsstaat erfordert nicht, dass zu diesem persÇnliche und wirtschaftliche Beziehungen kumulativ vorliegen mÅssten. Hat die Person die engeren persÇnlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat und die wirtschaftlichen Beziehungen4 dagegen zu dem anderen Vertragsstaat, so liegt der Mittelpunkt der Lebensinteressen in dem Vertragsstaat, zu dem die Beziehungen fÅr die natÅrliche Person bedeutungsvoller sind.5
15.266 Hat die abkommensberechtigte Person in beiden Vertragsstaaten eine stndige Wohnsttte, kann aber nicht festgestellt werden, in welchem Staat sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfÅgt sie in keinem der Vertragsstaaten Åber eine stndige Wohnsttte, so ist auf einer dritten Kollisionsstufe auf den gewÇhnlichen Aufenthalt der natÅrlichen Person abzustellen. Der Begriff gewÇhnlicher Aufenthalt ist nicht im RÅckgriff auf innerstaatliches Recht (§ 9 AO), sondern in Abgrenzung zu den anderen Kollisionsmerkmalen autonom auszulegen.6 Der gewÇhnliche Aufenthalt einer Person wird hierbei in dem Vertragsstaat liegen, in dem sie Åberwiegend lebt.7
15.267 Hat die natÅrliche Person ihren gewÇhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem von beiden, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, dessen StaatsangehÇrigkeit sie hat. FÅr dieses auf der vierten Kollisionsstufe maßgebliche Abgrenzungskriterium ist auf das inner-
1 Zum Begriff im Einzelnen Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 66 ff.; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 192 ff. 2 Hierzu im Einzelnen Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 192; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 68; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD-MA Rz. 77. 3 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 194; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 69; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD Rz. 78. 4 Nur gegenwartsbezogene wirtschaftliche Beziehungen, die sich voraussichtlich in Zukunft abbauen werden, fallen nicht stark ins Gewicht, BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562. 5 BFH v. 31.10.1990 – I R 24/89, BStBl. II 1991, 562; BFH v. 23.7.1971 – III R 60/70, BStBl. II 1971, 758; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 195; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 70; vgl. auch BFH v. 25.9.2007 – I B 84/06, BFH/NV 2008, 226. 6 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 203; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 74; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD-MA Rz. 83. 7 Zu weiteren Einzelheiten Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 74 ff.
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B. XII. Zuzug natÅrlicher Personen
staatliche Recht desjenigen Vertragsstaates zurÅckzugreifen, dessen StaatsangehÇrigkeit die natÅrliche Person besitzt.1 Hat die natÅrliche Person schließlich die StaatsangehÇrigkeit beider Vertragsstaaten oder keines dieser Staaten, so entscheidet auf einer fÅnften Kollisionsstufe das gegenseitige Einvernehmen der beiden Vertragsstaaten darÅber, wer Wohnsitzstaat und wer Quellenstaat ist. Es handelt sich hierbei um ein Verstndigungsverfahren (Art. 25 OECD-MA), dass eine Modifikation dahin gehend erfhrt, dass die Vertragsstaaten sowohl zur Einleitung als auch zu einer Einigung verpflichtet sind, weil andernfalls das DBA nicht anwendbar wre.2
15.268
Beispiel: C, der schweizerischer StaatsbÅrger ist, bewohnt in Zug ein grÇßeres Anwesen und ist somit in der Schweiz unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig. Da er in Deutschland in einem Großunternehmen zu Beginn des nchsten Jahres eine Vorstandsposition Åbernimmt, mietet er sich in der zweiten Jahreshlfte des laufenden Jahres in eine mÇblierte Wohnung in Deutschland ein, um sich dort auf seine kÅnftige Vorstandsposition vorzubereiten und den Umzug in ein noch zu erwerbendes Einfamilienhaus in der Nhe des kÅnftigen Arbeitsortes in die Wege zu leiten. Um den Kaufpreis fÅr dieses Einfamilienhaus zu finanzieren, verußert er noch im Dezember des laufenden Jahres seine bislang an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft gehaltenen Anteile (30 %). Im nchsten Jahr zieht er zusammen mit seiner Familie in das neue Einfamilienhaus ein. Seine mÇblierte Wohnung hat er der zustndigen MeldebehÇrde nicht gemeldet. DarÅber hinaus hat er fÅr das laufende Jahr keine Steuererklrungen abgegeben. Im Zuge der Einkommensteuerveranlagung fÅr das nchste Jahr erfhrt das zustndige Finanzamt, dass C aufgrund der Verußerung seiner Kapitalanteile einen erheblichen Verußerungsgewinn erzielt hat. Daraufhin wird gegen C ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.
Da auch eine mÇblierte Wohnung einen Wohnsitz (§ 8 AO) begrÅndet,3 ist C seit der Anmietung unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 EStG). Das er sich bei der MeldebehÇrde nicht gemeldet hat, spielt fÅr die Frage, ob eine Wohnung gegeben ist oder nicht, keine Rolle. Als Folge der unbeschrnkten Steuerpflicht im laufenden Kalenderjahr ergibt sich, dass im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der Besteuerung zu unterwerfen ist. Hierzu zhlen auch die Gewinne aus der Verußerung der Anteile an der schweizerischen Kapitalgesellschaft (§ 17 Abs. 1 EStG). Gegen diese Besteuerung sind allerdings die Schrankenwirkungen des deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet. Da C 1 Art. 4 Abs. 2 Buchst. c i.V.m. Art. 24 Abs. 2 Buchst. a OECD-MA; im Einzelnen Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 208; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 80 f. 2 Ein Zwang zur Einigung besteht sonst nicht; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 210; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 84; M. Frotscher in Haase2, Art. 4 OECD-MA Rz. 96. 3 BFH v. 22.3.1966 – I 65/63, BStBl. III 1966, 463; BFH v. 14.11.1969 – III R 95/68, BStBl. II 1970, 153; FG Bremen v. 27.7.1989 – II 246/85 K, EFG 1990, 93; Kruse in T/K, § 8 AO Rz. 5.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
wegen seines dortigen Wohnsitzes auch in der Schweiz unbeschrnkt steuerpflichtig ist, hngt die Reichweite der abkommensrechtlichen Schrankenwirkungen davon ab, ob C in der Schweiz oder in Deutschland ansssig ist. Aufgrund der in Art. 4 Abs. 2 DBA-Schweiz verankerten tiebreaker-rule ist zunchst darauf abzustellen, wo C Åber eine stndige Wohnsttte verfÅgt. Damit ist ein besonders qualifizierter Wohnsitz gemeint, der in aller Regel mit dem Familienwohnsitz Åbereinstimmt.1 Sollten die Ermittlungen hierzu zu keinem klaren Ergebnis kommen, ist sodann auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen, sodann auf den gewÇhnlichen Aufenthalt und in dem hier interessierenden Zusammenhang zuletzt auf die StaatsangehÇrigkeit abzustellen. Im Zweifel gilt hiernach die Schweiz als Ansssigkeitsstaat mit der Folge, dass Gewinne aus der Verußerung der Anteile an einer schweizerischen Kapitalgesellschaft von deutscher Steuer freizustellen sind (Art. 13 Abs. 3 DBA-Schweiz).
15.270 Sollten die ErmittlungsbehÇrden indessen zu dem Ergebnis kommen, dass C etwa wegen des Mittelpunktes der Lebensinteressen in Deutschland ansssig ist, ergbe sich im Ergebnis kein Unterschied. Zum Zeitpunkt des zuzugsbedingten Wechsels in der Ansssigkeit von der Schweiz mÅsste nmlich aufgrund der in Art. 13 Abs. 5 DBA-Schweiz verankerten Wegzugsklausel bei der Berechnung des Verußerungsgewinns (§ 17 Abs. 1 EStG) die historischen Buchwerte auf den Verkehrswert der Anteile im Zuzugszeitpunkt (sog. step-up) erhÇht werden.2 Soweit zwischen Zuzug und Verußerung keine Wertsteigerungen feststellbar sind, unterbleibt eine Verußerungsgewinnbesteuerung gem. § 17 Abs. 1 EStG. Im Hinblick darauf ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung unter keinen Umstnden gegeben.
XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften Literatur (ab 2006): Kommentare zu § 1 KStG, zum UmwStG, zur SE-VO und zu Art. 4 Abs. 3 OECDMA; Haslinger, Der Ort der tatschlichen Geschftsleitung als Tie-Breaker nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA und seine in Diskussion befindlichen Reformen, in Lang/ Schuch/Staringer, Die Ansssigkeit im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2008, 33; Kahle/Cortez, Zuzug von Kapitalgesellschaften im Ertragsteuerrecht, FR 2014, 672; Kaminski/Strunk, Ansssigkeit und Vermeidung der Doppelbesteuerung nach Abkommensrecht, IStR 2007, 189; RÇdder, Steuerorientierte berlegungen beim Wegzug und Zuzug von Unternehmen, Ubg 2009, 597; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 6.47 ff.; Schnitger, Fragestellungen zur steuerlichen Behandlung doppelt ansssiger Kapitalgesell-
1 Zur stndigen Wohnsttte im Einzelnen Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 180 f. 2 Nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Schweiz ist Voraussetzung eine Beteiligung von mehr als 25 %.
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B. XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften schaften, IStR 2013, 82; Schnittker/Pitzal, Wegzug und Zuzug, in Prinz, Umwandlungen im Internationalen Steuerrecht, KÇln 2013, Rz. 10.104 ff.
1. berblick Beim Zuzug von Kapitalgesellschaften geht es in der Praxis im Wesentlichen um den Fall, dass ein nach auslndischem Recht errichteter Rechtstrger seine Geschftsleitung (§ 10 AO) in das Inland verlegt. DarÅber hinaus ist aber auch der Fall von Bedeutung, dass eine nach inlndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft ihre Geschftsleitung vom Ausland in das Inland (zurÅck-)verlegt. Schließlich ist auch die Verlegung des Satzungssitzes (§ 11 AO) vom Ausland in das Inland denkbar, was allerdings derzeit (noch) aus GrÅnden des Gesellschaftsrechts ausgeschlossen ist.1 Zuzugsbedingt erfolgt in den vorgenannten Fllen zumeist ein Wechsel von der beschrnkten (§ 2 Nr. 1 KStG) in die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 KStG) mit der Folge, dass nunmehr im Grundsatz das gesamte Welteinkommen der Besteuerung unterliegt (§ 1 Abs. 2 KStG). Wurden vor dem Zuzug keine inlndischen EinkÅnfte (§§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG) erzielt, wird zuzugsbedingt die deutsche Steuerpflicht erstmals begrÅndet. Soweit Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommen, gilt als Zuzug auch der Fall, dass etwa durch Verlegung der Geschftsleitung einer nach inlndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft in das Inland abkommensrechtlich eine inlndische Ansssigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begrÅndet wird. Als Folge der inlndischen Ansssigkeit ergibt sich, dass Deutschland als sog. Wohnsitzstaat im Unterschied zum auslndischen Quellenstaat die vorrangige Besteuerung hat. Soweit dem Quellenstaat abkommensrechtlich die Steuerberechtigung nicht genommen ist, tritt allerdings der Wohnsitzstaat mit seiner Besteuerung zurÅck, indem er die Doppelbesteuerung entweder durch Steuerfreistellung oder durch Steueranrechnung zu vermeiden hat (vgl. hierzu auch Rz. 13.240).
15.271
Gesetzlich geregelt ist nur der Zuzug einer SE (Art. 7 SE-VO) und einer SCE (Art. 6 SCE-VO) innerhalb der EU. Es handelt sich hierbei um einen simultanen Zuzug, sodass sowohl Satzungs- als auch Verwaltungssitz (Ort der Geschftsleitung) sich stets in ein und demselben Mitgliedstaat befinden mÅssen. Da es keine weitergehenden europaweit geltenden Regelungen gibt,2 kommt es fÅr die rechtliche MÇglichkeit eines Zuzugs aus der Sicht Deutschlands als Zuzugsstaat auf das zur Anwendung kommende Internationale Privatrecht (Gesellschaftsstatut) an. Hiernach gilt: Verlegt eine nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den
15.272
1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411; OLG NÅrnberg v. 13.2.2011 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572; Ausnahme: Zuzug einer SE oder SCE gem. Art. 7 SE-VO oder Art. 6 SCE-VO; ferner fÅr den formwechselnden Zuzug OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349. 2 Vgl. allerdings den Vorentwurf fÅr eine gesellschaftsrechtliche Sitzverlegungsrichtlinie, ZIP 1997, 1721 ff.; ZIP 1999, 157.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Verwaltungssitz (Ort der Geschftsleitung) in das Inland, verliert die Gesellschaft die Rechtsfhigkeit, weil diese die Eintragung ins deutsche Handelsregister voraussetzt, was fÅr Kapitalgesellschaften auslndischen Rechts (noch) ausgeschlossen ist.1 Eine ursprÅnglich rechtsfhige Kapitalgesellschaft auslndischen Rechts mutiert daher durch Zuzug zu einer nicht rechtsfhigen Personenvereinigung.2 FÅr den Zuzug aus EU-/EWRStaaten gilt indessen in Orientierung an der unionsrechtlich verbÅrgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis die GrÅndungstheorie mit der Folge, dass die Rechtsfhigkeit der zuziehenden Gesellschaft im Zuzugsstaat anerkannt werden muss.3
15.273 Die durch das Gesellschaftsstatut geprgten rechtlichen Vorgaben spielen indessen fÅr die Steuersubjektqualifikation zuziehender, nach auslndischem Recht errichteter Kapitalgesellschaften keine Rolle, weil auch derartige Gesellschaften von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG ohne RÅcksicht darauf erfasst werden, ob sie im Inland Rechtsfhigkeit erlangt haben oder nicht. Entscheidend ist allein, dass die nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft aufgrund des maßgeblichen Typenvergleichs einer deutschen Kapitalgesellschaft entspricht.
15.274 Die zuzugsbedingte BegrÅndung der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht erfÅllt keinen Steuertatbestand.4 Insbesondere tritt zuzugsbedingt kein steuerlicher Rechtstrgerwechsel ein mit der Folge, dass insoweit auch eine Gewinnrealisierung unterbleibt.5 Entsprechendes gilt auch in den Fllen, in denen zuzugsbedingt zwar keine unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht, abkommensrechtlich aber eine inlndische Ansssigkeit (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA) begrÅndet wird. Dass der Zuzug selbst keine inlndische Besteuerung auslÇst, beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, wonach Kapitalgesellschaften unabhngig davon, ob sie nach in- oder auslndischem Recht errichtet sind, als Steuersubjekte erfasst werden. Uner1 Vgl. allerdings EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10 – Vale, ZIP 2012, 1394, wonach eine identittswahrende Sitzverlegung als grenzÅberschreitender Formwechsel primrrechtlich geboten ist, und in der Folge OLG NÅrnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13; NZG 2014, 349, wonach der formwechselnde Zuzug auch nach unionskonformen nationalen Recht fÅr zulssig gehalten wird; vgl. Bayer/Schmidt, ZIP 2013, 1481 ff. 2 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411; hierzu Hilgert/Illmer, NZG 2009, 94 ff.; Gottschalk, ZIP 2009, 948 ff. 3 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 – Centros, EuGHE 1999, I-1459; EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – berseering, EuGHE 2002, I-9919; EuGH v. 30.1.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, EuGHE 2003, I-10155; die vorgenannten Flle betreffen nur den Zuzug einer unter dem Recht der GrÅndungstheorie errichteten Gesellschaft; im Ergebnis dÅrfte aber nichts anderes gelten fÅr den Zuzug einer unter dem Recht der Sitztheorie errichteten Gesellschaft; hierzu Schaumburg in Lutter, Europische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 403 (413); Schaumburg, DK 2005, 347 (349); Hey, DK 2004, 577 (582). 4 SchÇn in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Steuerrecht, Rz. 175; Schulz/Petersen, DStR 2002, 1504 (1513); Kahle/Cortez, FR 2014, 673 (684). 5 Hierzu Schaumburg, DK 2005, 341 (351).
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B. XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften
heblich ist daher auch, ob die zuziehende Kapitalgesellschaft zuzugsbedingt die Rechtsfhigkeit verliert. Durch den Eintritt in die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht erfolgt allerdings eine Steuerverstrickung, sodass nunmehr die dem deutschen Steuerzugriff ausgesetzten WirtschaftsgÅter des BetriebsvermÇgens der zuziehenden Kapitalgesellschaft mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Satz 8, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG). Der gemeine Wert ist hierbei sowohl fÅr materielle als auch fÅr immaterielle WirtschaftsgÅter einschließlich des Geschftswerts anzusetzen (zu Einzelheiten Rz. 13.71 f.). Diese Rechtsfolge tritt auch in dem Fall ein, in dem eine nach deutschem Recht errichtete Kapitalgesellschaft den Ort der Geschftsleitung vom Ausland in das Inland verlegt und hierdurch abkommensrechtlich im Inland ansssig wird (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA).
15.275
GehÇren die Anteile an der zuziehenden Kapitalgesellschaft zu einem inlndischen BetriebsstttenvermÇgen des Gesellschafters, sind die Anteile zum gemeinen Wert anzusetzen, falls zuzugsbedingt deutsches Besteuerungsrecht begrÅndet wird (§§ 4 Abs. 1 Satz 8; 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG; § 8 Abs. 1 KStG).1 Eine derartige Verstrickung wird in der Praxis nur selten vorkommen, etwa dann, wenn mit dem Zuzug der Kapitalgesellschaft auch ein Zuordnungswechsel der Anteile von einem auslndischen zu einem inlndischen BetriebsstttenvermÇgen des Gesellschafters verbunden ist, soweit vor dem Zuzug abkommensrechtlich die Gewinne aus der Verußerung der Anteile der deutschen Besteuerung entzogen waren (Artt. 7 Abs. 1, 13 Abs. 2 OECD-MA). Sind die Anteile PrivatvermÇgen des Gesellschafters, unterbleibt mangels gesetzlicher Regelung2 ein Ansatz mit dem gemeinen Wert. Betroffen sind hierdurch insbesondere beschrnkt steuerpflichtige Gesellschafter im Falle des Zuzugs einer nach auslndischem Recht errichteten Kapitalgesellschaft: Greift kein DBA ein, sind die Gewinne aus der Verußerung der Anteile uneingeschrnkt der beschrnkten Steuerpflicht unterworfen, wobei fÅr die Berechnung des Verußerungsgewinns auf die historischen Anschaffungskosten abzustellen ist (§§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa; 17 Abs. 1, 2 EStG).
15.276
2. Pflichtenkreis Der Zuzug, insbesondere also die Verlegung der Geschftsleitung in das Inland, ist seitens der zuziehenden Kapitalgesellschaft gleichermaßen dem zustndigen Finanzamt und der Gemeinde anzuzeigen (§ 137 AO). Dies gilt ohne RÅcksicht darauf, ob etwa durch Verlegung der Geschftsleitung in das Inland die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht oder die abkommensrechtliche Ansssigkeit im Inland begrÅndet wird. Zugleich hat die zugezogene Kapitalgesellschaft gegenÅber der zustndigen 1 Ritzer in R/H/vL, UmwStG2, Anh. 6 Rz. 183. 2 § 17 Abs. 2 Stze 3 ff. EStG betrifft nur den Zuzug des Gesellschafters.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Gemeinde ihre inlndische Erwerbsttigkeit innerhalb eines Monats anzuzeigen (§ 138 Abs. 1, 3 AO).
15.278 Mit dem Eintritt in die unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht entstehen, soweit nicht bereits zuvor beschrnkte Steuerpflicht gegeben war, entsprechende Steuererklrungspflichten (§§ 149 ff. AO, § 31 Abs. 1a KStG). FÅr Zwecke der KÇrperschaftsteuervorauszahlungen bestehen allerdings keine Erklrungspflichten. Damit ergibt sich, dass eine Vorauszahlungspflicht erst aufgrund einer Steuerfestsetzung durch Vorauszahlungsbescheid (vgl. § 30 Nr. 2 KStG) entsteht, obwohl von Gesetzes wegen die KÇrperschaftsteuervorauszahlungen zuvor entstanden waren und fllig wurden.1 Die vorstehende Rechtslage gilt auch fÅr die GewerbesteuerVorauszahlungen (§§ 19, 21 GewStG).2 DemgegenÅber hat die zuziehende Kapitalgesellschaft fÅr Zwecke der Umsatzsteuer grundstzlich am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums ohne Aufforderung eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben (§ 18 Abs. 1 Stze 1 und 4 UStG). Zugleich ist zu diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuervorauszahlung fllig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Entsprechendes gilt auch fÅr die im brigen nach dem UStG maßgeblichen Melde- und Erklrungspflichten (z.B. §§ 18a, 18b UStG). 3. Pflichtverletzungen
15.279 In der steuerstrafrechtlichen Praxis sind in dem hier interessierenden Zusammenhang besonders jene Flle von Bedeutung, in denen sich nachtrglich herausstellt, dass nach auslndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften tatschlich den Ort der Geschftsleitung im Inland haben und damit mit ihrem gesamten Welteinkommen der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht unterworfen sind. a) Ort der Geschftsleitung im Inland
15.280 Nach der Legaldefinition des § 10 AO ist Geschftsleitung der Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung. Das ist der Ort, wo der fÅr die GeschftsfÅhrung maßgebende Wille gebildet wird.3 Bei einer an mehreren Orten ttigen GeschftsfÅhrung ist der gem. § 10 AO maßgebliche Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung da, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet.4 Sind kaufmnnische und technische Leitung getrennt, ist im Zweifel auf den
1 Zur Frage, ob der Vorauszahlungsbescheid konstitutiv wirkt, Becht in H/H/R, § 30 KStG Rz. 12; Diebold in H/H/R, § 37 EStG Rz. 25. 2 Sarrazin in Lenski/Steinberg, § 21 GewStG Rz. 2. 3 BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 19.3.2002 – VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1411; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; vgl. zum Folgenden auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 6.2 ff. 4 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175.
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Ort der kaufmnnischen Leitung abzustellen.1 Gibt es mehrere Orte der kaufmnnischen Leitung, ist derjenige Ort maßgeblich, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. In der Praxis lsst sich der „Mittelpunkt der geschftlichen Oberleitung“ gerade bei sog. polyzentrischen Unternehmen2 und solchen Unternehmen mit ausgeprgter MatrixOrganisation3 nur sehr schwer feststellen. Es besteht allerdings ein internationaler Konsens, im Zweifel auf den Ort abzustellen, an dem der Vorstand seine Entscheidungen trifft.4 Sind die Vorstnde in verschiedenen Staaten ansssig bzw. ttig, kommt es auf den Ort an, an dem die Sitzungen des Vorstandes stattfinden. Ist dies in mehreren Staaten der Fall oder werden sie im Rahmen von Telefon-, Video- oder Internetkonferenzen durchgefÅhrt, wird im Zweifel darauf abgestellt, wo die Mehrheit der Vorstnde bzw. GeschftsfÅhrer ihren Dienstsitz oder ihren Wohnsitz haben. Das gilt insbesondere in den Fllen, in denen etwa Handels- und Dienstleistungsunternehmen als sog. virtuelle Unternehmen auf einen zentralen Leitungs- und Produktionsstandort verzichten.5 Die AusÅbung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss auf den Vorstand oder die GeschftsfÅhrer, etwa im Rahmen derjenigen Befugnisse, die dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (§ 111 AktG) oder den Gesellschaftern einer GmbH (§ 46 GmbHG) zustehen, hat auf den Ort der Geschftsleitung grundstzlich keinen Einfluss.6 Die Einwirkung auf die GeschftsfÅhrung muss vielmehr Åber die fallweise Beeinflussung hinausgehen und sich auf den tglichen Geschftsablauf erstrecken. Daher befindet sich bei Organgesellschaften der Ort der Geschftsleitung nur dann am Ort der Geschftsleitung des Organtrgers, wenn die Organgesellschaft nach Art einer Betriebsabteilung des Organtrgers gefÅhrt wird.7 Die bloße Verwaltung von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, etwa durch Holdinggesellschaften,8 ist demgegenÅber fÅr § 10 AO ebenso wenig von Bedeutung wie der einheitliche Bettigungswille bei Betriebsaufspaltungen.9 Nicht selten werden bei im Ausland domizilierenden Gesellschaften ohne eigenen Geschftsbetrieb die Geschfte von den im Inland ansssigen Gesellschaftern oder durch von ihnen bestimmte Personen vom Inland aus dadurch gefÅhrt, dass sie Åber ihre gesellschaftsrecht1 BFH v. 3.8.1977 – I R 128/95, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554. 2 Hierzu Raupach, in JbFSt 1994/1995, 419 f.; Schaumburg/Schloßmacher in FS Peltzer, 389 ff. 3 Es handelt sich hierbei um Konzernstrukturen, in denen sich vertikale und horizontale Leitungssysteme Åberlagern. 4 Vgl. Nachweise bei Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 265. 5 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 267 m.w.N. 6 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175. 7 BFH v. 26.5.1970, BStBl. II 1970, 759; Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 6. 8 Hierzu Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 10; Lechner in FS Stoll, 1990, 395 (400). 9 BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; Kruse in T/K, § 10 AO Rz. 8 m.w.N.
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15.281
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
lichen EinflussmÇglichkeiten hinaus die tatschliche GeschftsfÅhrung an sich ziehen. Daher stehen insbesondere „auslndische“ Briefkastengesellschaften, Basisgesellschaften und Holdinggesellschaften aus der Sicht der deutschen Finanzverwaltung in besonderem Maße im Verdacht, im Inland unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig zu sein. Beispiel: A ist seit vielen Jahren an einer in Zug (Schweiz) domizilierenden Patentverwertungsgesellschaft A-AG beteiligt. Diese Gesellschaft, die Åber kein eigenes Personal und nicht Åber Geschftsrume verfÅgt, erwirbt von dritten Personen entwickelte Patente und vermarktet sie sodann weltweit. Von den vereinnahmten LizenzgebÅhren werden zum Teil in Drittstaaten Quellensteuern einbehalten. Die Patentverwertungsgesellschaft hat in der Schweiz unter Anrechnung auslndischer Quellensteuern Steuern entrichtet. Die Steuerbelastung betrgt vor Anrechnung etwa 10 %. AusschÅttungen wurden bislang nicht vorgenommen. A hlt die Anteile an der A-AG verdeckt Åber einen schweizerischen Treuhnder. Als Verwaltungsrat fungiert ein Rechtsanwalt in Zug, der als Domizilhalter fÅr eine Vielzahl vergleichbarer Unternehmen ttig ist. Das zustndige Finanzamt hat von der Beteiligung des A bislang keine Kenntnis. Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung steht fest, dass A die Geschfte der A-AG Åberwiegend vom Inland aus abgewickelt und hier insbesondere Verhandlungen Åber den Erwerb von Patenten oder der Vergabe von Lizenzen gefÅhrt hat. Allerdings fanden auch einige Verhandlungen bei den entsprechenden Geschftspartnern im Ausland statt. Der zum Verwaltungsrat berufene Domizilhalter wurde in Zug nur auf Anweisung des A ttig. Dort unterschrieb er den Vorgaben entsprechend Vertrge, vereinnahmte LizenzgebÅhren und fÅhrte die gesamte Geschftskorrespondenz.
15.282 Da der Verwaltungsrat nur auf Weisung des A ttig wurde, liegt der Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) der A-AG im Inland. Hier wurde der fÅr die GeschftsfÅhrung maßgebende Wille gebildet. Dass A bei der A-AG keine Vorstandsposition innehat, ist ohne Bedeutung. Als Folge ergibt sich, dass die A-AG mit ihrem gesamten Welteinkommen der deutschen KÇrperschaftsteuer unterliegt. Da die A-AG den Sitz in der Schweiz hat, ist sie auch dort unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig, wegen des Orts der Geschftsleitung in Deutschland, gilt sie aber als in Deutschland ansssig (Art. 4 Abs. 8 DBA-Schweiz).1
15.283 Da die A-AG in der Schweiz keine eigenen Geschftsrume unterhlt und auch sonst Åber keine geschftlichen Einrichtungen verfÅgt, ist dort auch keine Betriebssttte gegeben. Im Rahmen der durchzufÅhrenden KÇrperschaftsteuerveranlagungen sind daher smtliche EinkÅnfte der Gesellschaft zu erfassen. Entsprechendes gilt fÅr die Gewerbesteuer, wobei im Zweifel der Wohnsitz von A als Geschftsleitungsbetriebssttte (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz, § 12 Satz 1 Nr. 1 AO) anzusehen ist.2 Auf die KÇrperschaftsteuer sind allerdings die auf die vereinnahmten LizenzgebÅhren einbehaltenen Quellensteuern anzurechnen, soweit die Anrech1 Dass die A-AG nach Internationalem Privatrecht als Personenvereinigung gilt (so BGH v. 27.10.2008 – II 2 R 158/06 – Trabrennbahn, ZIP 2008, 2411) ist wegen § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG steuerlich ohne Bedeutung. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, IStR 2008, 330.
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nung auch nach den in Betracht kommenden deutschen Doppelbesteuerungsabkommen mÇglich wre. Soweit die Schweiz ihre Besteuerung trotz Ansssigkeit der Gesellschaft in Deutschland nicht zurÅcknimmt, entsteht eine Doppelbesteuerung. Ein auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung gerichtetes Verstndigungsverfahren (Art. 26 DBA-Schweiz) wird die deutsche Finanzverwaltung nicht einleiten.1 Ebenso scheidet eine Anrechnung der in der Schweiz gezahlten Steuer aus. Da hier fÅr die Einschaltung der Patentverwertungsgesellschaft in der Schweiz wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde fehlen, kommt auch ein Steuerabzug (§ 34c Abs. 3 EStG) nicht in Betracht (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 6 Satz 6 EStG).2 Da aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung der Ort der Geschftsleitung der Patentverwertungsgesellschaft im Inland ist, mithin unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht vorliegt, und A nicht veranlasst hat, dass fÅr die schweizerische Kapitalgesellschaft Steuererklrungen abgegeben wurden,3 ist der objektive und auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung gegeben. Die HÇhe der zugunsten der Patentverwertungsgesellschaft hinterzogenen Steuern errechnet sich unter BerÅcksichtigung der anzurechnenden auslndischen Quellensteuern.4
15.284
b) Satzungssitz im Inland Gem. § 11 AO hat eine juristische Person ihren Sitz5 an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschft oder der-
1 Beide Staaten lehnen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben in derartigen Fllen unter bestimmten Voraussetzungen eine VerstndigungslÇsung ab; vgl. ferner BMF v. 12.4.2005 (Verwaltungsgrundstze-Verfahren, BStBl. I 2005, 570 Rz. 6.1.3.2; vgl. hierzu auch FlÅchter in SchÇnfeld/Ditz, Art. 25 OECD-MA Rz. 91 f. 2 BFH v. 24.3.1998 – IR 38/97, BStBl. II 1998, 471, wonach ein Steuerabzug gem. § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 3 EStG noch bejaht wurde, ist seit dem StBereinG 1999 Åberholt. 3 A ist als VerfÅgungsberechtigter i.S. von § 35 AO anzusehen, weil er aufgrund seiner Stellung in der Lage war, „tatschliche und rechtliche Rechtsverhltnisse herbeizufÅhren, die ihn dazu befhigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Verwerters entweder selbst zu erfÅllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfÅllen zu lassen“; BFH v. 16.3.1995 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284; BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591; oben Rz. 10.68. 4 Das Kompensationsverbot gem. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gilt hier nicht; vgl. Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 74; Rolletschke, wistra 2006, 471 ff. (472); vgl. hierzu auch Rz. 10.118 f. 5 Der zivilrechtliche Begriff Verwaltungssitz ist der Ort, an dem die GeschftsfÅhrungsentscheidungen umgesetzt werden; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194 (entspricht eher dem steuerlichen Begriff der Geschftsleitung); BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 47.
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15.285
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
gleichen bestimmt ist (statutarischer Sitz).1 AngeknÅpft wird damit an ein juristisches Merkmal. Insoweit entspricht der Sitz juristischer Personen dem zivilrechtlichen, nicht aber dem steuerrechtlichen Wohnsitz natÅrlicher Personen.
15.286 Nach inlndischem Recht errichtete Kapitalgesellschaften2 sind, soweit der Ort der Geschftsleitung (§ 10 AO) im Ausland belegen ist, der unbeschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht in zwei verschiedenen Staaten ausgesetzt. Greift ein Doppelbesteuerungsabkommen ein, gilt das mit der Maßgabe, dass abkommensrechtlich die unbeschrnkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft als im Ausland ansssig ist (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Obwohl unbeschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht gegeben ist, werden derartige Gesellschaften als „auslndische“ Gesellschaften behandelt. Die hiermit verbundenen steuerlichen Probleme sind nicht selten auch von strafrechtlicher Relevanz. Beispiel: Die A-GmbH hat ihren Satzungssitz im Inland und den Ort der Geschftsleitung in den Niederlanden. Die A-GmbH, die im Inland Åber keine eigenen Geschftsrume verfÅgt, Åbt Dienstleistungs- und VermÇgensverwaltungsfunktionen aus, fÅr die sie keinen angemessen eingerichteten Geschftsbetrieb unterhlt.3 Sie bezieht Ende 2013 von verschiedenen deutschen Kapitalgesellschaften bei einer Beteiligung von jeweils weniger als 10 v.H. (Streubesitz-)Dividenden. GeschftsfÅhrer der A-GmbH ist der in den Niederlanden ansssige X, der gegenÅber der deutschen Finanzverwaltung auch als alleiniger Anteilseigner der A-GmbH auftritt. Tatschlich hlt er alle Anteile treuhnderisch fÅr den im Inland ansssigen A. X hat beim Bundeszentralamt fÅr Steuern Antrge auf Freistellung von Kapitalertragsteuer gestellt und hierbei in dem von ihm ausgefÅllten Fragebogen trotz eines im Vordruck angebrachten ausdrÅcklichen Hinweises das Treuhandverhltnis nicht angegeben.4 Aufgrund der von X beim Bundeszentralamt fÅr Steuern erwirkten Freistellungsbescheinigungen ist von den an die A-GmbH ausschÅttenden inlndischen Kapitalgesellschaften jeweils eine Kapitalertragsteuer in HÇhe von 15 % (vgl. Art. 13 Abs. 2 DBA-Niederlande) einbehalten worden. Aufgrund einer beim fÅr die A-GmbH zustndigen Finanzamt eingehenden anonymen Anzeige und den anschließenden amtsinternen Ermittlungen erlangt die Finanzverwaltung Kenntnis von dem zwischen X und A bestehenden Treuhandverhltnis.
15.287 Die von den inlndischen Kapitalgesellschaften bezogenen Dividenden sind bei der A-GmbH zwar steuerfrei (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG, § 7 Satz 1 GewStG),5 soweit sie vor dem 1.3.2013 zugeflossen sind (§ 34 Abs. 7a Satz 2 KStG). FÅr ZuflÅsse nach dem 28.2.2013 wird die Steuerfreistellung aber nicht mehr gewhrt (§§ 8b Abs. 4, 34 Abs. 7a Satz 2 KStG). In beiden Fllen ist von den Dividenden im Grundsatz eine Kapitalertragsteuer in HÇhe von 25 % einzubehalten (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 1 2 3 4
§§ 5 und 278 AktG, § 4a GmbHG, § 6 GenG, § 18 VAG, §§ 24, 57 und 80 BGB. Satzungsitz im Inland. Vgl. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG. Vgl. den Abdruck des Fragebogens bei SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 223. 5 Allerdings Hinweis auf die sog. Schachtelstrafe (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG).
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B. XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften
43a Abs. 1 Nr. 1 EStG). Da hier die A-GmbH eine Freistellungsbescheinigung des Bundeszentralamts fÅr Steuern vorgelegt hat, ist der Kapitalertragsteuerabzug aufgrund der abkommensrechtlichen Regelungen des DBA-Niederlande (Art. 13 Abs. 2) nicht in HÇhe von 25 %, sondern nur in HÇhe von 15 % vorgenommen worden (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Die Erteilung der Freistellungsbescheinigung Åber die teilweise Entlastung von deutscher Kapitalertragsteuer von 25 % auf 15 % hat das Bundeszentralamt fÅr Steuern insbesondere auf der Grundlage von § 50d Abs. 3 EStG1 getroffen. Hiernach wird einer auslndischen Gesellschaft,2 soweit sie nicht die dort genannten Aktivittserfordernisse erfÅllt,3 nur diejenige Entlastung von Kapitalertragsteuer zugestanden, die die Anteilseigner in Anspruch nehmen kÇnnten, wenn sie die EinkÅnfte selbst erzielt htten.4 Dementsprechend hat das Bundeszentralamt fÅr Steuern fÅr Zwecke der Entlastung auf den in den Niederlanden ansssigen X abgestellt und eine Reduktion der Kapitalertragsteuer auf 15 % bescheinigt. Da X die Anteile an der A-GmbH indes nur treuhnderisch fÅr den A gehalten hat, sind die Kapitalanteile dem A als Treugeber zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).5 Als unbeschrnkt Steuerpflichtiger htte A aber keinen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertragsteuern, wenn er die Dividenden selbst bezogen htte. Wre also das Treuhandverhltnis seitens X offengelegt worden, htte das Bundeszentralamt fÅr Steuern keine Freistellungsbescheinigung erteilt mit der Folge, dass die Schuldner der Dividenden eine Kapitalertragsteuer in HÇhe von 25 % htten einbehalten mÅssen (§§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG).6 Htte X gegenÅber dem Bundeszentralamt fÅr Steuern im Rahmen des Freistellungsverfahrens das Treuhandverhltnis offengelegt,7 wre eine 1 Neufassung durch BeitrRLUmG v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592. 2 Hierzu gehÇren auch unbeschrnkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften, die abkommensrechtlich im Ausland ansssig sind; SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 53; Gosch in Kirchhof13, § 50d Rz. 28; BMF, Schr. v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, 171 Tz. 3. 3 Die A-GmbH hat keinen fÅr ihren Geschftszweck angemessen eingerichteten Geschftsbetrieb (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG). 4 Zu diesem fiktiven Entlastunganspruch SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 71; BMF v. 24.1.2012, BStBl. I 2012, 171 Tz. 12. 5 Hierzu SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 84; Hahn-Joecks in K/S/M, § 50d Rz. G5. 6 Zum Problem der sog. Mander-Strukturen SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 82 ff.; Loschelder in Schmidt33, § 50d EStG Rz. 47; Gosch in Kirchhof13, § 50d EStG Rz. 28b; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.164; Klein/Hagena in H/H/R, § 50d EStG Rz. 55; BMF v. 3.4.2007, BStBl. I 2007, 446 Tz. 4 Abs. 1; nach Frotscher in Frotscher, § 50d EStG Rz. 24; Hahn-Joecks in K/S/M, § 50d EStG Rz. G4; LÅdicke in Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung im Internationalen Steuerrecht, 1995, 102 ff. (107), soll nur auf Steuerauslnder abzustellen sein, fÅr Steuerinlnder kme hiernach nur § 42 AO in Betracht. 7 Vgl. den Hinweis auf den Fragebogen des Bundeszentralamts fÅr Steuern/Abdruck des Fragebogens bei SchÇnfeld in F/W/B/S, § 50d Abs. 3 EStG Rz. 223.
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15.288
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
Freistellungsbescheinigung nicht erteilt worden. Damit hat X als GeschftsfÅhrer der A-GmbH zu deren Gunsten bewirkt, dass durch Vorlage der Freistellungsbescheinigung die Schuldner der Dividenden lediglich eine Kapitalertragsteuer in HÇhe von 15 % einbehalten haben. Insoweit liegt der subjektive und objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Dass X in den Niederlanden ansssig ist, spielt keine Rolle. Sollte A in die Tathandlungen des X eingeweiht sein, kommt Anstiftung oder Mittterschaft infrage. Mit der Abgabe der KÇrperschaftsteuererklrung fÅr die A-GmbH durch X als GeschftsfÅhrer ist keine strafbefreiende Selbstanzeige verbunden, weil hierdurch zum einen die gegenÅber dem Bundeszentralamt fÅr Steuern gemachten unrichtigen Angaben nicht richtiggestellt und zum anderen die zutreffende Kapitalertragsteuer nicht nachentrichtet werden. Aus diesem Grunde ist auch ohne Bedeutung, dass die A-GmbH einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer in HÇhe der Differenz zu dem fÅr sie maßgeblichen KÇrperschaftsteuersatz (15 v.H.) hat (§ 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG).1 Die Erstattung, die auf Grundlage eines Freistellungsbescheides des Bundeszentralamtes fÅr Steuern erfolgt (§ 50 d Abs. 1 Satz 3 EStG), ist nmlich vom vorangegangenen Kapitalertragssteuereinbehalt zu trennen.2 c) Ansssigkeit im Inland
15.289 Sind juristische Personen und abkommensberechtigte Personengesellschaften in beiden Vertragsstaaten unbeschrnkt steuerpflichtig, etwa aufgrund des Sitzes oder des Orts der Geschftsleitung, so ist derjenige Vertragsstaat Wohnsitzstaat, in dem sich der Ort der tatschlichen Geschftsleitung befindet (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA). Dieser Begriff ist zwar autonom ohne RÅckgriff auf innerstaatliches Recht auszulegen,3 da aber die deutsche Rechtsprechung zu § 10 AO (s. Rz. 15.280) bei der Bestimmung des Orts der Geschftsleitung auf tatschliche Verhltnisse abstellt, kÇnnen diese Rechtsprechungsgrundstze auch fÅr Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen werden.4 Der Ort der Geschftsleitung befindet sich danach dort, wo der fÅr die Geschftsleitung maßgebende Wille tatschlich gebildet wird; d.h., wo die geschftsleitenden Anordnungen abgegeben, nicht aber dort, wo sie wirksam werden.5 1 Vgl. zu diesem Erstattungsanspruch BFH v. 22.4.2009 – I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543; BFH v. 11.1.2012 – I R 25/10, BFH/NV 2012, 871; Loschelder in Schmidt33, § 50 d Rz. 35. 2 Zur sog. SteuerverkÅrzung auf Zeit (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO) BGH v. 17.3.2009 – I StR 627/08, wistra 2009, 355; im berblick Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO Rz. 319 ff.; vgl. auch Rz. 10.125 ff. 3 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 263; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 95; Pohl in SchÇnfeld/Ditz, Art. 4 OECD-MA Rz. 106. 4 Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 265; vgl. allerdings die Kritik an dieser Rspr. Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 96 f. 5 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BFH v. 16.1.1976 – III R 92/74, BStBl. II 1976, 401; BFH v. 3.8.1977– III R 92/74, BStBl. II 1977, 857; BFH v. 29.4.1987 – X R 16/81, BFH/NV 1988, 64; BFH v. 21.9.1989 – V R 55/84, BFH/NV
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B. XIII. Zuzug von Kapitalgesellschaften
Da bei juristischen Personen und abkommensberechtigten Personengesellschaften die Kollision der Steuerberechtigung der beiden Vertragsstaaten auf nur einer Stufe gelÇst werden kann (Art. 4 Abs. 3 OECD-MA), kommt fÅr die tatschliche Geschftsleitung nur ein einziger Ort in Betracht. Insoweit entspricht die Rechtslage der des § 10 AO.1
15.290
Im Hinblick darauf kommt dem Ort der tatschlichen Geschftsleitung in der Praxis besondere Bedeutung zu. Dieser Ort der tatschlichen Geschftsleitung lsst sich in Zweifelsfllen nur aufgrund einer Abwgung der einzelnen tatschlich getroffenen Geschftsleitungsmaßnahmen treffen. Die Entscheidung hat sich hierbei daran zu orientieren, an welchem Ort die Sitzungen des Vorstands stattfinden und wo die tglichen Entscheidungen auch die des nachgeordneten Managements getroffen werden.2 Besondere Probleme entstehen in den Fllen, in denen zur Bestimmung der vorrangigen Ansssigkeit abkommensrechtlich nicht auf den Ort der tatschlichen Geschftsleitung abgestellt wird, sondern der Klrung durch ein Verstndigungsverfahren Åberlassen bleibt.3 Kann im Rahmen des Verstndigungsverfahrens keine Einigung erzielt werden oder wird erst gar kein Verstndigungsversuch unternommen, so gilt die betreffende Person als in keinem der beiden Vertragsstaaten als ansssig mit der Folge, dass die Schrankenwirkung des betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen versagt bleibt.4 Wird dagegen im Rahmen des Verstndigungsverfahrens eine Einigung erzielt, so bedeutet dies aber nicht, dass das Ergebnis zum Nachteil des Steuerpflichtigen auch fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke zugrunde gelegt werden kann. Verstndigungsverfahren sind nmlich bloß Verwaltungsverfahren, die in der Praxis durchweg flexibel gehandhabt werden5 und fÅr die zwar durchweg Billigkeits- und Praktikabilittserwgungen,6 nicht aber die Grundstze und Garantien von rechtsfÇrmlichen Verfahren gelten.7 Im Hinblick darauf haben Ver-
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1990, 353; BFH v. 21.9.1989 – V R 32/88, BFH/NV 1990, 688; BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BStBl. II 1991, 554; BFH v. 7.12.1994 – I K 1/93, BStBl. II 1995, 175; BFH v. 3.7.1997 – IV R 58/95, BStBl. II 1998, 86; BFH v. 16.12.1998 – I R 138/97, BStBl. II 1999, 437; BFH v. 9.7.2003 – I R 4/02, BFH/NV 2004, 83. BFH v. 1.3.1966 – I 13/65, I 14/65, I 13, 14/65, BStBl. III 1966, 207; Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 226; vgl. im brigen zu weiteren Einzelheiten insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmensvertrgen Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 269 ff. Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 268. Zur AbkommensÅbersicht vgl. Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 291. Lehner in V/L5, Art. 4 OECD-MA Rz. 292. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 41; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.90. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Eilers in Wassermeyer, DBA, Art. 25 OECD-MA Rz. 919; LÅthi in G/K/G, Art. 25 OECD-MA Rz. 69; MÅlhausen, Das Verstndigungsverfahren im deutschen internationalen Steuerrecht, 164 ff.; Gloria, Das steuerliche Verstndigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 169 ff. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 72; Tittel, Das Verstndigungsverfahren nach den DBA, 73 ff.; MÅlhausen, Das Verstndigungsverfahren im deutschen
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
stndigungsvereinbarungen, die keineswegs zwingend sind,1 lediglich den Charakter eines (schlichten) Verwaltungsabkommens,2 das zwar die FinanzbehÇrde bindet,3 nicht aber die Gerichte.4
15.292 Beispiel: Die A-GmbH in Deutschland hlt alle Anteile an einer Kapitalgesellschaft estnischen Rechts in Estland. Diese Kapitalgesellschaft baut dort aufgrund der mit staatlichen Stellen abgeschlossenen Substanzausbeutevertrgen Bodenschtze ab, die ausschließlich in Deutschland abgesetzt werden. Die GeschftsfÅhrung der estnischen Tochtergesellschaft besteht aus drei GeschftsfÅhrern, wovon zwei in Deutschland wohnhaft und zugleich GeschftsfÅhrer der A-GmbH sind. Die A-GmbH, die den Alleinvertrieb in den Hnden hlt, steuert Åber ihre beiden GeschftsfÅhrer den gesamten Abbau der Bodenschtze und bestimmt insbesondere den Umfang der Gewinnung. Der GeschftsfÅhrer der estnischen Tochtergesellschaft Åberwacht die Gewinnung der Bodenschtze vor Ort und hlt den Kontakt zu den estnischen BehÇrden. Die meisten Sitzungen der GeschftsfÅhrung finden in Deutschland statt. Die GeschftsfÅhrer der estnischen Kapitalgesellschaft sind bislang davon ausgegangen, dass die estnische Tochtergesellschaft in Deutschland weder unbeschrnkt noch beschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig ist. Aufgrund der im Rahmen einer BetriebsprÅfung getroffenen Feststellungen kommt die Finanzverwaltung zu dem Ergebnis, dass der Ort der Geschftsleitung der estnischen Kapitalgesellschaft in Deutschland belegen ist mit der Folge, dass die thesaurierten Gewinne, die in Estland keiner KÇrperschaftsteuer unterliegen, nunmehr im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht der KÇrperschaftsteuer zu unterwerfen sind. Der Abbaubetrieb ist allerdings eine in Estland belegene Betriebssttte (Art. 5 Abs. 2 Buchst. f. DBA-Estland), sodass die auf diese Betriebssttte entfallenen Gewinne abkommensrechtlich von deutscher KÇrperschaftsteuer und Gewerbesteuer auszunehmen sind (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Estland). Da fÅr die estnische Kapitalgesellschaft im Inland keine Steuererklrungen abgegeben wurden, wird gegen
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Internationalen Steuerrecht, 84; Reich, Das Verstndigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 31; Gloria, Das steuerliche Verstndigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 162 ff. OECD-MK zu Art. 25 OECD-MA, Ziff. 26 (abgedruckt bei Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Art. 25); Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 89; Eilers in Wassermeyer, DBA, Art. 25 OECD-MA Rz. 9, 54; LÅthi in G/K/G, Art. 25 OECD-MA Rz. 373; Becker in Haase2, Art. 25 OECD-MA Rz. 30; die Einigung ist aber die Regel. Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG; hierzu im Einzelnen MÅlhausen, Das Verstndigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 132 ff.; Gloria, Das steuerliche Verstndigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 178 ff.; aus der Sicht der Schweiz: Reich, Das Verstndigungsverfahren nach den internationalen DBA der Schweiz, 104 f. Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 132; Seer in T/K, § 110 FGO Rz. 35; Gloria, Das steuerliche Verstndigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 182; dagegen auch fÅr einen Vorrang vor einer rechtskrftigen Gerichtsentscheidung Becker in Haase2, Art. 25 OECD-MA Rz. 25; MÅhlhausen, Das Verstndigungsverfahren im deutschen Internationalen Steuerrecht, 130; offenlassend z.B. Eilers in Wassermeyer, DBA, Art. 25 OECD-MA Rz. 57; Ismer, IStR 2003, 394 (396). BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4; BFH v. 10.7.1997 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15; BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BFH/NV 2009, 2044.
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte die beiden deutschen GeschftsfÅhrer ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. Gegen die KÇrperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide haben die beiden GeschftsfÅhrer fÅr die estnische Kapitalgesellschaft Einspruch eingelegt. Wegen der Doppelansssigkeit wurde zugleich zwischen Deutschland und Estland auf Anregung der beiden GeschftsfÅhrer ein Verstndigungsverfahren (Art. 25 DBA-Estland) eingeleitet, in deren Rahmen der Rechtsstandpunkt der deutschen FinanzbehÇrden durchgesetzt wurde mit der Folge, dass die estnische Kapitalgesellschaft als in Deutschland ansssig gilt.
Obwohl aufgrund des Verstndigungsverfahrens sich beide Vertragsstaaten auf Deutschland als Ansssigkeitsstaat geeinigt haben, kann diese Einigung nicht ohne Weiteres fÅr das Strafverfahren Åbernommen werden.1 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung steht nicht schon deshalb fest, weil beide Vertragsstaaten sich auf die deutsche Ansssigkeit geeinigt haben. Erforderlich sind vielmehr entsprechende tatrichterliche Feststellungen. Allerdings ist zu berÅcksichtigen, dass Verstndigungsverfahren auf eine rechtsrichtige Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen selbst und auf die zutreffende Ermittlung des Sachverhalts2 und der zutreffenden Rechtsanwendung3 gerichtet sind. In der Praxis werden daher die strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen whrend des Verstndigungsverfahrens ausgesetzt (§ 396 AO).4 DarÅber hinaus wird angesichts der Schwierigkeiten, die vorrangige Ansssigkeit in tatschlicher und rechtlicher Hinsicht festzulegen, der subjektive Tatbestand in aller Regel zu verneinen sein.
XIV. Inlndische EinkÅnfte Literatur (ab 2000): Kommentare zu § 49 EStG; Crezelius, Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzÅberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433; Ege, Beschrnkte Steuerpflicht – Systematik und aktuelle Entwicklungen, DStR 2010, 1205; Gassner/Lang/Lechner/ Schuch/Staringer, Die beschrnkte Steuerpflicht im Einkommen- und KÇrperschaftsteuerrecht, Wien 2004; Gosch, Altes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes zur sog. isolierenden Betrachtungsweise, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.), KÇrperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS fÅr Wassermeyer, MÅnchen 2005, 263; Henkel, Beteiligung an inlndischen Kapitalgesellschaften, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 9.1 ff.; Kahle/Schulz, Zum EinkÅnftekatalog des § 49 EStG nach den jÅngsten Rechtsentwicklungen, DStZ 2008, 784; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3; Lehner, Die verfassungsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips, DStR 2009, 185; LÅdicke, Probleme der Besteuerung beschrnkt Steuerpflichtiger im In1 Anders in den Fllen, in denen sich die Verstndigungsvereinbarung zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. 2 Hieran hat der Steuerpflichtige ggf. mitzuwirken; vgl. BMF (Merkblatt) v. 13.7.2006, BStBl. I 2006, 461, Rz. 3.2.1.; Becker in Haase2, Art. 25 OECD-MA Rz. 24 unter Hinweis auf § 90 Abs. 2 AO. 3 Lehner in V/L5, Art. 25 OECD-MA Rz. 73. 4 Vgl. zum Gesetzeszweck des § 396 AO Jger in F/G/J7, § 396 AO Rz. 6 m.w.N.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht land, DStR 2008, Beihefter zu Heft 17, 25; Mick/Dyckmans, Beteiligung an inlndischen Personengesellschaften, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 8.1 ff.; Schaumburg, Besteuerung von Einkommen, in DStJG 24 (2001), 225; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 5.99; Tiedke/Langheim, Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der beschrnkten und der (fiktiven) unbeschrnkten Steuerpflicht, DStR 2003, 10; Wassermeyer, Das Besteuerungsrecht fÅr nachtrgliche EinkÅnfte im internationalen Steuerrecht, IStR 2010, 461.
1. berblick
15.294 Steuerauslnder, also Personen, die Åber keinen inlndischen Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt verfÅgen, unterliegen mit ihren inlndischen EinkÅnften der beschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG). Die inlndischen EinkÅnfte sind abschließend in § 49 Abs. 1 EStG aufgefÅhrt, wobei deren Qualifizierung auf der Grundlage der sog. isolierenden Betrachtungsweise (§ 49 Abs. 2 EStG) erfolgt.1 ber die in § 49 Abs. 1 EStG aufgefÅhrten inlndischen EinkÅnfte hinaus werden im Rahmen der erweitert beschrnkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 AStG) auch nicht auslndische EinkÅnfte2 erfasst. Diese erweiterte beschrnkte Steuerpflicht (s. Rz. 13.23 ff.) gilt fÅr natÅrliche Personen, die in ein Niedrigsteuerland ausgewandert sind und in den letzten zehn Jahren davor insgesamt fÅnf Jahre lang als deutsche StaatsangehÇrige unbeschrnkt steuerpflichtig waren. Die erweitert beschrnkte Steuerpflicht wird sodann fÅr weitere zehn Jahre aufrechterhalten.3 Gegen die beschrnkte und erweitert beschrnkte Einkommensteuerpflicht sind allerdings die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet, die nicht selten dazu fÅhren, dass der deutsche Steuerzugriff nicht aufrechterhalten bleibt. Das gilt insbesondere fÅr inlndische EinkÅnfte aus – der BefÇrderung mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), weil abkommensrechtlich die EinkÅnfte nur dem Staat zustehen, in dem sich der Ort der tatschlichen Geschftsleitung des Unternehmens befindet (Art. 8 OECD-MA); – mit kÅnstlerischen, sportlichen usw. Darbietungen zusammenhngenden Leistungen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), die nach den Regelungen der DBA (Art. 17 OECD-MA) nicht im Quellenstaat zu besteuern sind; – der Verwertung der im Ausland ausgeÅbten kÅnstlerischen, sportlichen usw. Darbietungen im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), die abkommensrechtlich durchweg der Besteuerung im Wohnsitzstaat vorbehalten sind (Art. 17 OECD-MA);4 1 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.127 ff.; vgl. ferner Rz. 13.17 ff. 2 Sog. erweiterte InlandseinkÅnfte. 3 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.283 ff. 4 Hierzu im Einzelnen Wied in BlÅmich, § 49 EStG Rz. 120; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.457.
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
– der Verußerung von in einem inlndischen Register eingetragenen Schiffen und Luftfahrzeugen (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. b EStG), da es sich insoweit abkommensrechtlich nicht um unbewegliches VermÇgen handelt (Art. 13 Abs. 3 OECD-MA); – der Verwertung der im Ausland erbrachten selbstndigen Ttigkeit im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG), da abkommensrechtlich der (auslndische) Betriebsstttenstaat allein steuerberechtigt ist (Artt. 7 Abs. 1, 23 A Abs. 1 OECD-MA); – der Verwertung der im Ausland ausgeÅbten nicht selbstndigen Ttigkeit im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG), der auslndischen Ttigkeit als GeschftsfÅhrer, Prokurist oder Vorstandsmitglied einer Gesellschaft mit Ort der Geschftsleitung im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG) und der Entschdigung fÅr die AuflÇsung eines inlndischen Dienstverhltnisses (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG), weil in den vorgenannten Fllen abkommensrechtlich im Grundsatz nur der Ttigkeitsstaat steuerberechtigt ist (Artt. 15 Abs. 1, 23 Abs. 1 OECDMA);1 – Dividenden und Zinsen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG), fÅr die abkommensrechtlich entweder nur eine eingeschrnkte Quellensteuerbefugnis oder gar kein Besteuerungsrecht besteht (Artt. 10, 11 OECD-MA);2 – der zeitlich begrenzten berlassung von Rechten (§ 49 Abs. 1 Nr. 6, 9 EStG), fÅr die Deutschland als Quellenstaat grundstzlich kein Besteuerungsrecht hat (Art. 12 OECD-MA). 2. Pflichtenkreis Beschrnkt Steuerpflichtige haben im Grundsatz die gleichen Mitwirkungspflichten wie unbeschrnkt Steuerpflichtige. Allerdings gelten insoweit Besonderheiten, als die Einkommensteuer bei beschrnkt Steuerpflichtigen entweder im Rahmen einer Veranlagung oder durch Steuerabzug an der Quelle erhoben wird. Erfolgt ein Steuerabzug, so ist die Einkommensteuer hiermit im Grundsatz abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG).3 Insoweit besteht zwischen Steuerveranlagung einerseits und Steuerabzug andererseits ein Ausschließungsverhltnis (zu Einzelheiten Rz. 13.20 ff.).
15.295
Bei beschrnkter Einkommensteuerpflicht wird der Steuerabzug an der Quelle erhoben bei EinkÅnften aus KapitalvermÇgen (§ 43 ff. EStG), aus nicht selbstndiger Arbeit (§ 38 ff. EStG), Bauleistungen (§ 48 ff. EStG) sowie bei weiteren bestimmten inlndischen EinkÅnften (§ 50a EStG). Whrend Kapitalertragsteuer, Lohnsteuer und Bauabzugsteuer auch bei unbe-
15.296
1 Zu den Besonderheiten der sog. 183-Tage-Klausel vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.429 ff. 2 Zu Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 16.324 ff., 16.356 ff. 3 Eine Abgeltungswirkung ergibt sich auch aus § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG (Abgeltungsteuer).
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
schrnkter Einkommensteuerpflicht einbehalten wird, findet die Abzugsteuer (§ 50a EStG) nur bei beschrnkter Steuerpflicht Anwendung. Hierbei ist wie folgt zu unterscheiden:
15.297 Steuerabzug auf Bruttobasis: Der Steuerabzug fÅhrt wegen der im Grundsatz anwendbaren Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG) stets zu einer Bruttobesteuerung, soweit nicht die Ausnahmen gem. § 50 Abs. 2 Satz 2 EStG gegeben sind oder ein Steuerabzug auf Nettobasis eingreift. Im Ergebnis ist ein Steuerabzug auf Bruttobasis damit zwingend z.B. fÅr alle LizenzvergÅtungen unabhngig davon, wo der beschrnkt steuerpflichtige VergÅtungsglubiger ansssig ist (§ 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 EStG), fÅr smtliche dem Steuerabzug gem. §§ 50a EStG unterliegende VergÅtungen an DrittstaatenangehÇrige (§ 50a Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG) sowie entsprechende VergÅtungen an EU-/EWR-StaatsangehÇrige, die in Drittstaaten ihren Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt haben (§ 50a Abs. 3 Satz 2, Alt. 2 EStG).
15.298 Der Steuerabzug betrgt grundstzlich 15 % und fÅr AufsichtsratsvergÅtungen 30 % der Einnahmen (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei den Einnahmen aus Darbietungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG) greift eine Bagatellgrenze von 250 Euro ein (§ 50a Abs. 2 Satz 3 EStG). Im brigen unterliegen auch vom VergÅtungsschuldner ersetzte oder Åbernommene Reisekosten unter bestimmten Voraussetzungen nicht dem Steuerabzug (§ 50a Abs. 2 Satz 2 EStG).1
15.299 Steuerabzug auf Nettobasis: FÅr VergÅtungsglubiger, die EU-/EWRStaatsangehÇrige sind und in einem EU-/EWR-Staat auch ihren Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt haben, erÇffnet sich die MÇglichkeit eines Steuerabzugs auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG).2 Das bedeutet, dass der VergÅtungsschuldner den Steuerabzug unter BerÅcksichtigung nachgewiesener Werbungskosten oder Bertriebsausgaben vornehmen kann, soweit diese in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen stehen. Der Steuerabzug auf Nettobasis betrgt 30 % fÅr natÅrliche Personen und 15 % fÅr KÇrperschaften (§ 50a Abs. 3 Satz 4 EStG).3
15.300 Steuerabzug auf Anordnung: Ist der Steuerabzug unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung des Steueranspruchs zweckmßig, kann das Finanzamt auch in anderen Fllen einen Steuerabzug verlangen (§ 50a Abs. 7 EStG). Der Steuerabzug betrgt hierbei 25 % und bei KÇrperschaften 15 %.4 Der Steuerabzug ist in allen Fllen zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem die betreffenden EinkÅnfte, die dem Steuerabzug vom 1 Hierzu Gosch in Kirchhof13, § 50a EStG Rz. 21. 2 Das gilt nicht fÅr LizenzvergÅtungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG). 3 Vgl. im Einzelnen Gosch in Kirchhof13, § 50a EStG Rz. 22 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.267 ff. 4 Zu Einzelheiten BMF, Schr. v. 13.7.1999, BStBl. I 1999, 687; die HÇhe des Steuerabzugs kann flexibilisiert werden fÅr VergÅtungen, fÅr die der Steuerabzug nach
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
Arbeitslohn, vom Kapitalertrag oder von den VergÅtungen gem. § 50a Abs. 1 EStG unterliegen, zufließen (§§ 38 Abs. 2, 44 Abs. 1 Satz 2, 50a Abs. 5 Satz 2, 50a Abs. 7 Satz 3 EStG). Soweit in Abkommensfllen die Abzugsteuer entfllt oder der HÇhe nach reduziert ist, darf der Steuerabzug nur dann unterbleiben oder nach einem geringeren Steuersatz vorgenommen werden, wenn eine diesbezÅgliche Bescheinigung des Bundeszentralamts fÅr Steuern vorliegt (§ 50d Abs. 2 EStG). Die Anmeldung der Abzugsteuer auf VergÅtung (§ 50a Abs. 1 EStG) ist bis zum 10. des Monats, der dem Kalendervierteljahr folgt, in dem die VergÅtung ausgezahlt wurde, gegenÅber dem Bundeszentralamt fÅr Steuern vorzunehmen (§ 73e Satz 2 EStDV). Innerhalb dieser Frist muss auch die Abzugsteuer an das Bundeszentralamt fÅr Steuern abgefÅhrt werden (§ 50a Abs. 5 Satz 3 EStG, § 73e Satz 1 EStDV).1 In den Fllen, in denen ein Steuerabzug mit Abgeltungswirkung nicht vorgesehen ist, wird die Einkommensteuer fÅr beschrnkt steuerpflichtige Personen im Rahmen des Veranlagungsverfahrens festgesetzt. Das gilt vor allem fÅr inlndische EinkÅnfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 EStG), aus Gewerbebetrieb im Zusammenhang mit einer im Inland unterhaltenen Betriebssttte (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), aus selbstndiger Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG) und aus Vermietung/Verpachtung inlndischen GrundvermÇgens (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG).
15.301
3. Pflichtverletzungen In den Fllen, in denen ein Veranlagungsverfahren durchzufÅhren ist, etwa bei den EinkÅnften aus Vermietung und Verpachtung inlndischen GrundvermÇgens (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG), kommt es insbesondere dann zu Pflichtverletzungen, wenn der Steuerpflichtige z.B. die Einkommensteuererklrung nicht oder nicht rechtzeitig abgibt. In diesem Fall ergibt sich als steuerliche Rechtsfolge die Festsetzung eines Versptungszuschlags (§ 151 AO).2 Zudem kommt auch eine Schtzung (§ 162 Abs. 1, 2 AO) in Betracht, wobei sog. Sicherheitszuschlge gerechtfertigt sein kÇnnen.3
15.302
In der Praxis gewinnt die NutzungsÅberlassung im Electronic Commerce seit Jahren zunehmend an Bedeutung. Angesprochen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das grenzÅberschreitende Cloud-Computing. Es geht hierbei um die Erbringung von IT-Dienstleistungen auslndischer Dienstleister, die zumeist von einem im Ausland (Luxemburg, Irland) be-
15.303
dem 31.12.2014 angeordnet wird (§ 50a Abs. 7 Stze 2 und 3 EStG i.d.F. des Kroatien-AnpG). 1 Zu weiteren Einzelheiten Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 5.273 ff. 2 Versptungszuschlag und Zwangsgeld kÇnnen kumulativ festgesetzt werden, wobei allerdings das bermaßverbot zu berÅcksichtigen ist; hierzu Seer in T/K, § 152 AO Rz. 4; Schmieszek in Beermann/Gosch, § 152 AO Rz. 3. 3 Hierzu Seer in T/K, § 162 AO Rz. 44 f.
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triebenen Server wesentliche IT-Funktionen Åber ein Netzwerk jederzeit abrufbereit im Inland zur VerfÅgung stellen. Diese Cloud-basierten Leistungen werden automatisiert Åber das Internet erbracht1. Da hier eine physische Lieferung oder persÇnliche Beratung seitens der auslndischen Dienstleister unterbleibt, sind die fÅr die beschrnkte Einkommen- oder KÇrperschaftsteuerpflicht maßgeblichen AnknÅpfungspunkte fÅr inlndische EinkÅnfte der Cloud-Anbieter weitgehend “unsichtbar“, so dass es nicht selten zu SteuerverkÅrzungen im Inland kommt. Beispiel: Die deutsche A-GmbH schließt mit der in Luxemburg ansssigen X-SA einen Vertrag Åber die NutzungsÅberlassung von Software und die Nutzung bestimmter in Luxemburg vorgehaltener EDV-Infrastruktur ab. Aufgrund dieses Vertrages ist die X-SA als Cloud-Anbieter u.a. verpflichtet, die jederzeitige VerfÅgbarkeit bestimmter IT-Ressourcen zu gewhrleisten (sog. PaaS-Vertrag)2. Die X-SA erhlt hierfÅr von der A-GmbH im Jahre 2012 Dienstleistungsentgelte, die sie der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht in Deutschland nicht unterworfen hat. Zudem hat die A-GmbH die Dienstleistungsentgelte keinem Quellensteuerabzug unterworfen und hierbei auch keine Umsatzsteuer abgefÅhrt.
15.304 Die X-SA unterliegt der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht nur mit ihren inlndischen EinkÅnften (§§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 EStG). Derartige inlndische EinkÅnfte sind hier nicht gegeben. Insbesondere handelt es sich nicht um EinkÅnfte, die durch Vermietung von Sachinbegriffen oder Rechten, deren Verwertung in einer inlndischen Betriebssttte erfolgt (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG). Zum einen bilden die zur VerfÅgung gestellten IT-Ressourcen keinen Sachinbegriff, weil es insoweit an einer wirtschaftlich und technisch abgestimmten Einheit fehlt,3 und zum anderen ist die NutzungsÅberlassung einer Programmkopie keine Verwertung von Urheberrechten der Rechtsinhaber.4 Da auch im brigen ein Inlandsbezug fÅr die von der X-SA erzielten EinkÅnfte fehlt, ist eine beschrnkte KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) zu verneinen. Davon abgesehen htte Deutschland fÅr derart betriebsstttenlose Unternehmensgewinne ohnehin kein Besteuerungsrecht (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg)5. Im Ergebnis ist somit von vornherein der objektive Tatbestand einer KÇrperschaftsteuerhinterziehung zu verneinen.
15.305 DemgegenÅber ist der objektive Tatbestand einer Umsatzsteuerhinterziehung aus folgenden GrÅnden gegeben: Die von der X-SA aufgrund des PaaS-Vertrages Åber Datennetze erbrachten Leistungen sind als sonstige Leistungen gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG zu qualifizieren6. Dementspre1 2 3 4 5 6
Zu Einzelheiten Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (331 f.). PaaS = Platform as a Service; hierzu Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (332). Zum Sachinbegriff Klein in H/H/R, § 49 EStG Rz. 930. Zum Ganzen Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (333 ff.). Weitergehend Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (334 f.). Sinewe/Frase, BB 2011, 2198 ff. (2202); Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (339); vgl. auch die ab 1.1.2015 geltende Sonderregelung des § 3 Abs. 11a UStG.
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
chend ist der Ort der sonstigen Leistung am Unternehmenssitz der A-GmbH als Leistungsempfngerin (§ 3a Abs. 2 Satz 1 UStG). Damit ist die von der X-SA erbrachte sonstige Leistung steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Der Steuersatz betrgt 19 % (§ 12 Abs. 1 UStG)1. Obwohl die X-SA die steuerpflichtige sonstige Leistung erbracht hat, ist nicht sie, sondern allein die A-GmbH als Leistungsempfngerin Steuerschuldnerin (§ 13b Abs. 2 Satz 1 UStG)2. Dass die X-SA als leistende Unternehmerin keine Rechnung mit der Angabe “Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfngers“ (§ 14a Abs. 5 Satz 1 UStG) erstellt hat, spielt hierbei keine Rolle. Die A-GmbH war als Leistungsempfngerin verpflichtet, die entsprechenden Eingangsleistungen aufzuzeichnen (§ 22 Abs. 2 Nr. 1, 2 UStG) sowie in den entsprechenden Voranmeldungen des Jahres 2012 und in der Umsatzsteuererklrung 2012 die Umstze gem. § 13b Abs. 5 UStG zu erfassen (§ 18 Abs. 1, 2, 4a UStG). FÅr die X-SA besteht dagegen eine derartige Verpflichtung nicht3. Da der GeschftsfÅhrer A den fÅr die A-GmbH maßgeblichen Aufzeichnungs- und Erklrungspflichten nicht nachgekommen ist und als Folge hiervon die Umsatzsteuer nicht abgefÅhrt wurde, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gegeben. Obwohl bei der A-GmbH Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzugsberechtigung in entsprechender HÇhe zusammenfallen, gilt das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO)4. Was die HÇhe der gem. § 13b Abs. 5 UStG geschuldeten Steuer anbelangt, so ist diese von den in den Rechnungen ausgewiesenen Betrgen als Nettoentgelt zu berechnen (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 UStG)5. Wird die Lohnsteuer (§ 38 ff. EStG), Kapitalertragsteuer (§ 43 ff. EStG), Bauabzugsteuer (§ 48 ff. EStG) und die Abzugsteuer (§ 50a EStG) nicht einbehalten und/oder nicht abgefÅhrt, ergeben sich die nachstehenden steuerlichen Rechtsfolgen: – Lohnsteuer: Unterbleibt der Lohnsteuerabzug, der auch bei beschrnkter Steuerpflicht obligatorisch ist,6 haften der inlndische Arbeitgeber (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) sowie der auslndische Verleiher von Arbeitskrften (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 EStG) fÅr die einzubehaltende und abzufÅhrende Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 EStG). Die Haftung ist allerdings 1 Der ermßigte Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG) kommt nur zur Anwendung, wenn dem Leistungsempfnger das Recht auf Vervielfltigung und Verbreitung nicht nur als Nebenfolge eingerumt wird; BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BStBl. II 1997, 372; BFH v. 27.9.2001 – V R 14/01, BStBl. II 2002, 114; Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (339). 2 Sog. Reverse-Charge-Verfahren. 3 Vgl. Abschn. 13b.16 Abs. 2 UStG. 4 BGH v. 12.1.2005 – 5 StR 2301/04, wistra 2005, 144, vgl. auch Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 68 m.w.N.; ferner Rz. 10.118 f. 5 Vgl. Leonhard in Bunjes13, § 13b UStG Rz. 75; Stadie in R/D, § 13b UStG Rz. 679 ff. 6 Ausnahme: Freistellung aufgrund von DBA bei entsprechender Bescheinigung (§§ 39b Abs. 6, 52 Abs. 51b EStG) oder bei entsprechender elektronischer Mitteilung (§ 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG).
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15.306
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
ausgeschlossen, soweit die Lohnsteuer etwa in dem Fall, dass Arbeitslohn von dritter Seite gezahlt worden ist (§ 38 Abs. 4 Satz 3 EStG), von beschrnkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern nachgefordert werden kann (§ 42d Abs. 2 EStG). Im brigen besteht zwischen dem Arbeitgeber als Haftungsschuldner und dem beschrnkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer als Steuerschuldner Gesamtschuldnerschaft (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). – Kapitalertragsteuer: Kommt der Schuldner der Kapitalertrge seiner Pflicht nicht nach, die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzufÅhren (§§ 44 Abs. 1 Stze 3, 5; 43 Abs. 1 EStG), so haftet er, es sei denn, er weist nach, dass er die ihm auferlegte Pflicht weder vorstzlich noch grob fahrlssig verletzt hat (§ 44 Abs. 5 Satz 1 EStG). Eine Abzugspflicht besteht ferner nicht, wenn eine Freistellungsbescheinigung des Bundeszentralamts fÅr Steuern vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG) oder – so etwa bei Festgeldzinsen (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c EStG) – eine beschrnkte Steuerpflicht von vornherein nicht gegeben ist.1 Schuldner und Glubiger der Kapitalertrge sind als Haftungs- und Steuerschuldner im Grundsatz zwar Gesamtschuldner (§ 44 AO), der Glubiger wird aber nur in Anspruch genommen, wenn die Kapitalertrge nicht vorschriftsmßig gekÅrzt wurden, der Glubiger weiß, dass die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmßig abgefÅhrt wurde oder die Kapitalertrge von der auszahlenden Stelle zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt wurden (§§ 44 Abs. 5 Satz 2 EStG). – Bauabzugsteuer: Der Leistungsempfnger haftet fÅr einen nicht oder zu niedrig abgefÅhrten Abzugsbetrag (§ 48a Abs. 3 Satz 1 EStG). Beim Vorliegen einer unzutreffenden Freistellungsbescheinigung kommt eine Haftung allerdings nur in Betracht, wenn dem Leistungsempfnger bekannt war oder infolge grober Fahrlssigkeit nicht bekannt war, dass die Bescheinigung durch unlautere Mittel oder falsche Angaben erwirkt wurde (§ 48a Abs. 3 Satz 2 EStG). Eine derartige Freistellungsbescheinigung wird beschrnkt steuerpflichtigen Leistenden insbesondere dann erteilt, wenn die Gewinne aus den Bauleistungen abkommensrechtlich freizustellen sind (§ 48d Abs. 1 Satz 5 EStG). Anderenfalls kann sich der Leistungsempfnger im Haftungsverfahren nicht darauf berufen, dass der Leistende Rechte aus einem DBA geltend machen kÇnnte (§ 48d Abs. 1 Satz 6 EStG). Ist der Leistende etwa mangels inlndischer Betriebssttte mit den Bauleistungen nicht beschrnkt steuerpflichtig, besteht gleichwohl eine Abzugspflicht,2 soweit eine Freistellungsbescheinigung nicht vorgelegt wurde.3
1 Vgl. BMF v. 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Rz. 312. 2 Apitz in H/H/R, § 48 EStG Rz. 4. 3 Eine Freistellungsbescheinigung soll in diesem Fall erteilt werden (§ 48 Abs. 2 EStG); vgl. BMF v. 27.12.2001, BStBl. I 2002, 1399, Rz. 34.
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
– Abzugsteuer gem. § 50a EStG: Wenn der VergÅtungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollstndig einbehlt und abfÅhrt, haftet er, und zwar sowohl in den Fllen des Steuerabzugs auf Bruttobasis (§ 50a Abs. 2 EStG) als auch beim Steuerabzug auf Nettobasis (§ 50a Abs. 3 EStG). Die Inanspruchnahme erfolgt im Grundsatz durch Haftungsbescheid (§ 73g EStDV). Hat allerdings der VergÅtungsschuldner die Abzugsteuer nicht oder nicht vollstndig einbehalten und abgefÅhrt, kann auch der beschrnkt steuerpflichtige VergÅtungsglubiger durch Nachforderungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 50 Abs. 5 EStG, § 73g Abs. 1 Alt. 2 EStDV). Die Pflicht, eine Abzugsteuer einzubehalten und abzufÅhren entfllt, wenn der VergÅtungsglubiger eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vorlegt (§ 50d Abs. 2 EStG). Soweit die beschrnkte Steuerpflicht bei inlndischen EinkÅnften nicht durch den Steuerabzug (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer und Abzugsteuer gem. § 50a EStG) abgegolten ist (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG), besteht die Pflicht, alljhrlich eine Steuererklrung abzugeben (§ 25 Abs. 3 EStG). Die Erklrungspflicht umfasst die inlndischen EinkÅnfte (§ 49 Abs. 1 EStG), die whrend des Veranlagungszeitraums bezogen wurden. Wird dieser Erklrungspflicht nicht entsprochen oder werden zu niedrige EinkÅnfte erklrt, ist der objektive und ggf. auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt (§ 370 Abs. 1 AO).
15.307
Wer seiner Verpflichtung, Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Bauabzugsteuer oder die Abzugsteuer gem. § 50a EStG einzubehalten und abzufÅhren, nicht vollstndig oder nicht rechtzeitig nachkommt, erfÅllt – isoliert betrachtet – den Tatbestand des § 380 AO (Gefhrdung der Abzugsteuern). Es handelt sich hierbei um eine Ordnungswidrigkeit, die gegenÅber § 370 AO (Steuerhinterziehung) und § 378 AO (leichtfertige SteuerverkÅrzung) subsidir ist (§ 380 Abs. 2 AO).1 Das bedeutet, dass der Tatbestand des § 380 AO grundstzlich nur dann eingreift, wenn die Abzugsteuern zwar rechtzeitig und vollstndig angemeldet, aber nicht abgefÅhrt wurden. Sind die einzubehaltenden Abzugsteuern auch nicht rechtzeitig oder in zu geringer HÇhe angemeldet worden, ist dagegen eine Steuerhinterziehung gegeben.2 Geht es um die Lohnsteuer, wird neben den §§ 370, 378, 380 AO zumeist auch der Tatbestand des § 266a StGB (Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeitrgen) in Tatmehrheit erfÅllt sein.3
15.308
1 Hierzu Jger in F/G/J7, § 380 AO Rz. 3b, 28, 34. 2 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 202; Jger in F/G/J7, § 380 AO Rz. 3b, 15; dort auch zu der in § 380 Abs. 1 AO enthaltenen Doppelverpflichtung – „Einbehalten“ und „AbfÅhren“. 3 Jger in F/G/J7, § 380 AO Rz. 34.
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Kapitel 15 Ertragsteuerrecht Beispiel: A ist seit vielen Jahren im Inland ansssig und hier im Vorstand der B-AG ttig. Nach einem Anteilseignerwechsel scheidet A aus den Diensten der B-AG aus und verlegt daraufhin seinen Wohnsitz nach Belgien. Nach dem Wegzug wird ihm vereinbarungsgemß eine Entschdigung fÅr die AuflÇsung des Dienstverhltnisses (Abfindung) gezahlt. Die Abfindung wurde – wie mit dem Finanzvorstand C abgesprochen – ohne Einbehalt von Lohnsteuer ausgezahlt. Die Abfindung wurde auch in der betreffenden beim Finanzamt abgegebenen Lohnsteuer-Anmeldung nicht erfasst. Der Sachverhalt wird spter im Rahmen einer Lohnsteuer-AußenprÅfung aufgedeckt. Gegen C und A wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
15.309 Da die VorstandsbezÅge des A zuvor der Besteuerung im Rahmen der unbeschrnkten Steuerpflicht unterlegen haben, ist die fÅr die AuflÇsung des Dienstverhltnisses gezahlte Entschdigung (Abfindung) der beschrnkten Steuerpflicht unterworfen (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG).1 Obwohl keine Freistellungsbescheinigung (§§ 39b Abs. 6, 52 Abs. 51b EStG) vorgelegt wurde, unterblieb der Steuerabzug. Eine solche Freistellungsbescheinigung ist aber auch nicht erforderlich, um von der Einbehaltung der Lohnsteuer abzusehen. Dies deshalb nicht, weil die Freistellungsbescheinigung, die auf Antrag erteilt wird, wenn nach einem DBA der Arbeitslohn freizustellen ist, nicht konstitutiv fÅr die Steuerfreiheit ist.2 Die Freistellungsbescheinigung hat lediglich den Charakter einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft (§ 42e EStG), die fÅr die Beteiligten Rechtssicherheit erzeugt.3 Im Hinblick darauf ist die Nichteinbehaltung der Lohnsteuer nicht schon deshalb pflichtwidrig, weil eine Freistellungsbescheinigung nicht vorlag. Es kommt daher allein darauf an, ob nach dem DBA-Belgien Deutschland die Abfindung freizustellen hat oder nicht. Das ist hier der Fall, weil die Abfindung nicht gezahlt wurde fÅr eine konkrete in Deutschland ausgeÅbte Ttigkeit, sondern fÅr den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Ttigkeit genÅgt nach dem Abkommenswortlaut (Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien) nicht.4 Allerdings ergibt sich aus der Verstndigungsvereinbarung mit Belgien,5 dass entgegen Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien Abfindungen dem ehemaligen Ttigkeitsstaat, also hier Deutschland, zur Besteuerung zugewiesen werden. Da diese Verstndigungsvereinbarung mit Belgien als bloßes Verwaltungsabkommen keine normative Bindung erzeugt6 1 Die Formulierung in § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG: „Der inlndischen Besteuerung unterlegen haben“ bezieht sich gleichermaßen auf die vorherige unbeschrnkte und beschrnkte Steuerpflicht ohne RÅcksicht auf etwaige DBARegelungen; hierzu Haiß in H/H/R, § 49 EStG Rz. 787; Gosch in Kirchhof13, § 49 EStG Rz. 69; a.A. Neier, IStR 2004, 404. 2 So Becht in H/H/R, § 39b EStG Rz. 62; Barein in Littmann/Bitz/Pust, § 39b EStG Rz. 54a; Trzaskalik in K/S/M, § 39b EStG Rz. G 4; a.A. BFH v. 5.10.1977, BStBl. II 1978, 205; BFH v. 26.11.1986, BFH/NV 1988, 82. 3 Allerdings keine Bindung des fÅr den Arbeitnehmer zustndigen Wohnsitzfinanzamts, BFH v. 13.1.2011 – VI R 61/09, BStBl. II 2011, 479. 4 Vgl. BFH v. 2.9.2009 – I R 111/08, BStBl. II 2010, 387. 5 BMF v. 10.1.2007, BStBl. I 2007, 261. 6 BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394.
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
und auch keine bloße Auslegung des Abkommenstextes bedeutet,1 ist aufgrund der Ermchtigung in § 2 Abs. 2 AO eine entsprechende Konsultationsvereinbarungsverordnung zum DBA mit Belgien erlassen worden.2 Die Ermchtigungsnorm des § 2 Abs. 2 AO ist zwar entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 80 GG hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt,3 sie bewirkt aber dennoch keine normative Bindung, weil bloße Verwaltungsvereinbarungen nicht durch Rechtsverordnung in innerstaatlich verbindliches Gesetzesrecht umgesetzt werden kÇnnen.4 Konkret: Das Zustimmungsgesetz zum DBA-Belgien5 ist zusammen mit dem DBA selbst ein Gesetz im formellen Sinne, dessen nderung nicht durch die Konsultationsvereinbarungsverordnung,6 die in der Normenhierachie im Rang unterhalb von Gesetzen im formellen Sinne steht, erfolgen darf.7 Da somit die Abfindung an A aufgrund Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien von deutscher Steuer freizustellen ist, ist bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung8 nicht gegeben. Das gegen C und A eingeleitete Ermittlungsverfahren ist daher einzustellen.
15.310
Die Verpflichtung, Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer, Bauabzugsteuer oder die Abzugsteuer gem. § 50a EStG einzubehalten und abzufÅhren, ist in rechtlicher Hinsicht nicht immer eindeutig und in tatschlicher Hinsicht oftmals ohnehin nicht durchsetzbar. Das gilt insbesondere in den Fllen der inlndischen Verwertung von Darbietungen (§ 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG).
15.311
Beispiel: Die in Luxemburg ansssige Y-SA Åbertrgt von einem dortigen Server auf Abruf gegen Entgelt Multimediadateien auf Endgerte inlndischer Kunden. Im Wesentlichen geht es hierbei um das “Streaming“ von Musik, etwa LifeÅbertragungen oder zeitversetzte bertragungen von in- und auslndischen Konzertveranstaltungen.9 Die vorbezeichneten Leistungen werden ausschließlich von Privapersonen in Anspruch genommen. Die Y-SA hat die Entgelte fÅr die von ihr erbrachten Multimedia-Leistungen im Jahr 2012 weder in ihrer KÇrperschaftsteuererklrung noch in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. ihrer Umsatzsteuererklrung erfasst.
Die Y-SA erzielt im Rahmen ihrer beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG) gewerbliche EinkÅnfte durch die Verwertung von kÅnst1 2 3 4 5 6 7
8 9
BFH v. 2.9.2009 – I R 90/08, BStBl. II 2010, 394. KonsVerBELV v. 20.12.2010, BGBl. I 2010, 2137. DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 43e. DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 43f; Heuselmann, SteuK 2010, 511; FG Hessen v. 8.12.2013 – 10 K 2176/11, EFG 2014, 288 (Rev. unter Az. I R 79/13). DBA-Belgien v. 6.1.1969, BGBl. II 1969, 17; DBA-Belgien v. 12.11.2001, BGBl. II 2003, 1615. Konsultationsvereinbarungsverordnung v. 20.12.2010, BGBl. I 2010, 2137. Zu Einzelheiten DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f.; hierzu auch Gosch in FS Spindler, 2011, 379 ff. (420 f.); Rechtsfolge: Nichtigkeit der KonsultationsvereinbarungsVO; vgl. DrÅen in T/K, § 2 AO Rz. 43 f. § 380 AO tritt hiergegen zurÅck. Zu urheberrechtlichen Fragen vgl. Ensthaler, NJW 2014, 1553 ff.
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15.312
Kapitel 15 Ertragsteuerrecht
lerischen oder unterhaltenden Darbietungen im Inland (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um in- oder auslndische Darbietungen handelt. Entscheidend ist allein die Vermarktung i.S. einer finanziellen Nutzbarmachung, die hier durch die Y-SA als Cloud-Anbieterin durch die bertragung der Konzertveranstaltungen im Inland erfolgt ist1. Im Ergebnis werden somit die von der Y-SA im Jahr 2012 vereinnahmten Entgelte von der beschrnkten KÇrperschaftsteuerpflicht erfasst.2 Dieses deutsche Besteuerungsrecht entfllt indessen aufgrund des DBA-Luxemburg, weil die EinkÅnfte aus dem Streaming nicht im Rahmen einer in Deutschland belegenen Betriebssttte der Y-SA anfallen (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg)3. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg verdrngende Sonderregelungen greifen nicht ein. Das gilt insbesondere fÅr Art. 12 Abs. 1 DBA-Luxemburg und Art. 16 Abs. 2 DBA-Luxemburg; denn es handelt sich mangels berlassung urheberrechtlicher Nutzungsbefugnisse4 nicht um LizenzgebÅhren5 und nicht um TtigkeitseinkÅnfte6.
15.313 FÅr die vorgenannten als sonstige Leistungen zu qualifizierenden OnlineUmstze (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG) lÇsen keine Umsatzsteuer aus. Die Steuerbarkeit entfllt, weil der Ort der sonstigen Leistung nicht im Inland belegen ist (§ 3a Abs. 1 Satz 1 UStG).7
15.314 FÅr die privaten Kunden des Musik-Streaming im Internet ergeben sich unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten keine Folgen. Sie unterliegen im Grundsatz als VergÅtungsschuldner der Verpflichtung, vom Entgelt einen Steuerabzug vorzunehmen (§ 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG),8 Voraussetzung ist, dass es sich um inlndische EinkÅnfte des VergÅtungsglubigers handelt;9 was hier gem. § 49 Abs: 1 Nr. 2 Buchst. d EStG der Fall ist. Wird der Verpflichtung, den Steuerabzug vorzunehmen, seitens des (privaten) VergÅtungsschuldners nicht entsprochen, ist insoweit der objektive
1 2 3 4 5 6 7
8
9
Zum Verwertungstatbestand BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625. Zu Einzelheiten Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (335 f.). Vgl. Pinkernell, ifst-Schrift Nr. 494 (2014), 78. Vgl. zuletzt LG KÇln v. 24.1.2014 – 209 O 188/13, GRUR-RR 2014, 114; anders ggf. dagegen bei Speicherung; hierzu Ernsthaler, NJW 2014, 1553 ff. Zum Begriff Bozza-Bodden in SchÇnfeld/Ditz, Art. 12 OECD-MA Rz. 35. Schlotter in SchÇnfeld/Ditz, Art. 17 OECD-MA Rz. 59. Sinewe/Frase, BB 2011, 2198 (2202); Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (339); ab 1.1.2015 gilt § 3a Abs. 5 UStG, wonach der Ort der sonstigen Leistung insoweit der Empfngerort ist; vgl. hierzu Grambeck, NWB 2014, 3230 ff. Die einbehaltene Steuer ist jeweils bis zum zehnten des dem Kalendervierteljahr, in dem der Steuerabzug vorgenommen wurde, folgenden Monats an das BZSt abzufÅhren (§50a Abs. 5 Satz 3 EStG); zum gleichen Zeitpunkt ist eine entsprechende Steueranmeldung abzugeben (§ 73e EStDV). Lohschelder in Schmidt33, § 50a EStG Rz. 8 ff.; BFH v. 2.2.2010 – I B 91/09, BFH/NV 2010, 878 (keine Abzugsverpflichtung bei Liebhaberei).
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B. XIV. Inlndische EinkÅnfte
Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt.1 Dass der VergÅtungsglubiger abkommensrechtlich mit seinen EinkÅnften in Deutschland freigestellt ist, spielt keine Rolle. Die Abzugsverpflichtung entfllt erst dann, wenn eine Freistellungsbescheinigung des BZSt vorliegt (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Da indessen die Durchsetzung der vorgenannten Steuerabzugspflichten gegenÅber privaten Streaming-Kunden praktisch ausgeschlossen ist,2 bleiben nicht nur die FinanzbehÇrden,3 sondern auch die StrafverfolgungsbehÇrden in den vorgenannten Fllen unttig.4
1 § 380 AO (Gefhrdung der Abzugssteuern) ist gegenÅber § 370 AO (Steuerhinterziehung) subsidir; vgl. Jger in F/G/J7, § 380 AO Rz. 28; Heerspink in Flore/ Tsambikakis, § 380 AO Rz. 84. 2 Vgl. BMF, Schr. v. 25.11.2010, BStBl. I 2010, 1350 Rz. 42; Pinkernell, Ubg 2012, 331 ff. (336). 3 Zum Problem steuerlicher Vollzugsdefizite unter dem Gesichtspunkt der Rechtsanwendungsgleichheit im berblick Hey in T/L21, § 3 Rz. 111 ff. 4 Zu Recht, weil der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung zu verneinen sein wird.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
A. Allgemeine Hinweise . . . . . . .
Rz. 16.1
B. Typische Problembereiche I. 1. 2. 3.
Auslndisches VermÇgen berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Pflichtverletzungen . . . . . . . . 16.12
a
Rz. 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 16.25 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 16.26 III. Auslndische Familienstiftungen und Trusts 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.29 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 16.33 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 16.34
II. Inlndisches VermÇgen 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.21
Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum ErbStG; Birk (Hrsg.), Steuern auf Erbschaft und VermÇgen, DStJG 22 (1999); BrÅggemann/Stirnberg, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 7. Aufl. Berlin 2010; Eisele, Erbschaftsteuerreform 2009, 2. Aufl. Herne 2009; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. MÅnchen 2008; Fraberger, Nationale und internationale Unternehmensnachfolge: Steuergestaltung beim Schenken und Vererben, Wien 2001; Halaczinsky, Schenken, Erben, Steuern, 9. Aufl. Bonn 2013; Handzik, Erbschaft- und Schenkungsteuer, 7. Aufl. Berlin 2010; HÅbner, Erbschaftsteuerreform, MÅnchen 2009; Moench/HÅbner, Erbschaftsteuer, 3. Aufl. MÅnchen 2012; Pauli/Maßbaum, Erbschaftsteuerreform 2009, KÇln 2009; Rose/Watrin, Erbschaftsteuer, 12. Aufl. Berlin 2009; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 7.1 ff.; Schulte, Erbschaftsteuerrecht, Heidelberg 2010; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 15 Rz. 1 ff.; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 869 ff.; VÇlkers/Weinmann/Jordan, Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, 3. Aufl. MÅnchen 2009.
A. Allgemeine Hinweise 16.1 Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im internationalen Erbschaftsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzmtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 387 Abs. 2 AO) und der Steuerfahndung (§§ 208 Abs. 1 Nr. 1, 404 AO; § 163 StPO) eingeleitet.1 Nicht selten folgt ein Ermittlungsverfahren wegen Erbschaftsteuerhinterziehung einem bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Einkommensteuerhinterziehung nach. Das gilt insbesondere in den Fllen, in denen bei auslndischen Banken unterhaltene Festgeldguthaben und Wertpapierdepots etwa im Rahmen vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich Åbertragen werden oder von Todes wegen Åbergehen, ohne dass diese Vorgnge in Erbschaftsteuer- und in der Folgezeit in Einkommen1 FÅr die Einleitung eines Bußgeldverfahrens sind die Finanzmter und die dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen zustndig (§ 409 AO); Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren Rz. 6.4 ff.
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B. Typische Problembereiche
steuererklrungen ihren Niederschlag finden. Werden derartige Flle aufgedeckt, ist eine steuerliche Nacherhebung jedenfalls bei nicht erklrten Schenkungen auch fÅr weit zurÅckliegende Zeitrume ohne Weiteres mÇglich. Dies deshalb, weil die in § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO verankerte Anlaufhemmung bewirkt, dass die Festsetzungsfrist1 nicht vor Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die FinanzbehÇrde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.2 Beim Erwerb von Todes wegen beginnt die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO).3 Da in Schenkungsfllen Schenker und Beschenkter gleichermaßen Steuerschuldner sind (§ 20 Abs. 1 ErbStG) sind auch beide im Grundsatz verpflichtet, die entsprechende Anzeige gegenÅber dem zustndigen Finanzamt zu erstatten (§ 30 Abs. 1, 2 ErbStG). Unterbleibt die Anzeige oder ist diese nicht vollstndig, kommt eine Steuerhinterziehung in Betracht. In Erbfllen trifft die Anzeigepflicht den Erwerber (§ 30 Abs. 1 ErbStG).
16.2
Unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten sind insbesondere jene Flle von großer praktischer Bedeutung, in denen im Rahmen unbeschrnkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 ErbStG) auslndisches VermÇgen und im Rahmen beschrnkter Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) inlndisches VermÇgen nicht angegeben wird. DarÅber hinaus sind auch die Flle von Bedeutung, in denen VermÇgen in auslndischen Familienstiftungen oder Trusts gehalten werden.
16.3
B. Typische Problembereiche Literatur: Kommentare zu §§ 2, 21, 30–34 ErbStG; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. MÅnchen 2008, 350 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 7.8 ff.; Schaumburg, Problemfelder im internationalen Erbschaftsteuerrecht, RiW 2001, 161 ff.; Scheffler/Zinser, Internationale Doppelbesteuerung bei der Erbschaftsteuer, StuW 2005, 216 ff.; Schindhelm, Grundfragen des Internationalen Erbschaftsteuerrechts, ZEV 1997, 8 ff.; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 15 Rz. 41 ff.; Strunk/Kaminski, Internationale Aspekte des neuen Erbschaftsteuerrechts, Stbg 2009, 158 ff.; Watrin/Kappenberg, Internationale Besteuerung von VermÇgensnachfolgen, ZEV 2011, 105 ff.;
1 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO regulr vier Jahre, bei Steuerhinterziehung zehn Jahre und bei leichtfertiger SteuerverkÅrzung fÅnf Jahre. 2 Zu Einzelheiten Kruse in T/K, § 170 AO Rz. 25 f. 3 Zu Einzelheiten Kruse in T/K, § 170 AO Rz. 22 ff.; Korts, Stbg 2011, 357 ff.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
I. Auslndisches VermÇgen 1. berblick
16.4 Im Rahmen der unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) wird der gesamte Erwerb erfasst, wenn beim Erwerb von Todes wegen der Erblasser zur Zeit seines Todes oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld bzw. bei einer Schenkung unter Lebenden der Schenker oder der Beschenkte (Erwerber) zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld (AusfÅhrung der Zuwendung) ein Inlnder ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG). Einbezogen werden damit im Inland Ansssige (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG), deutsche StaatsangehÇrige im Ausland innerhalb von fÅnf Jahren nach Wegzug (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG),1 deutsche Auslandsbedienstete (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c ErbStG) sowie inlandsansssige KÇrperschaften, Personenvereinigungen und VermÇgensmassen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG). Der unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht werden schließlich auch Familienstiftungen mit Geschftsleitung oder Sitz im Inland der unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht unterworfen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). In den vorgenannten Fllen gilt im Grundsatz, dass der gesamte Erwerb der Erbschaftsteuer unterworfen wird, unabhngig davon, ob es sich um Inlands- oder AuslandsvermÇgen handelt (WeltvermÇgensprinzip).2 Hierbei sind allerdings von Gesetzes wegen zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Ist der Erblasser/Schenker Inlnder, wird von der Reichweite der unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht der gesamte Erwerb der Besteuerung unterworfen. Ist dagegen nur der Erwerber Inlnder, erstreckt sich die unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht naturgemß nur auf den ihn entfallenden Erwerb.3 Gegen die vorgenannte unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht sind allerdings die Schrankenwirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen gerichtet, und zwar insbesondere in den Fllen, in denen zwecks Vermeidung der Doppelbesteuerung Deutschland etwa im Erwerb enthaltenes unbewegliches VermÇgen von der Erbschaftsteuer freistellt.4 2. Pflichtenkreis
16.5 FÅr Erbflle und Schenkungen enthlt das Erbschaftsteuergesetz einen fest umrissenen Pflichtenkreis, und zwar – die Anzeigepflicht des Erwerbers (§ 30 Abs. 1 ErbStG) und bei Schenkungen zustzlich die Anzeigepflicht des Schenkers (§ 30 Abs. 2 ErbStG), 1 Sog. erweiterte unbeschrnkte Steuerpflicht. 2 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 7.26 ff. 3 Hierzu JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 7; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 7.28. 4 Derzeit gibt es folgende deutsche Erbschaftsteuerabkommen: Griechenland, Schweden, Schweiz, USA, Dnemark und Frankreich.
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B. Typische Problembereiche
– die Pflicht zur Abgabe der Steuererklrung auf Verlangen (§ 31 ErbStG), – die Anzeigepflicht von Banken und Versicherungen (§ 33 ErbStG) und – die Anzeigepflicht von Gerichten, BehÇrden und Notare (§ 34 ErbStG). Im Einzelnen: § 30 Abs. 1 ErbStG verpflichtet im Erbfall und bei Schenkungen den Erwerber, innerhalb von drei Monaten nach erlangter Kenntnis dem zustndigen Finanzamt von dem Erwerb Mitteilung zu machen, und zwar unabhngig davon, ob der Erwerber im In- oder Ausland ansssig ist. Diese Anzeigepflicht besteht unabhngig davon, ob das Finanzamt zustzlich zur Abgabe einer Steuererklrung (§ 31 ErbStG) auffordert.1 Die Anzeigepflicht trifft nicht nur jeden einzelnen Erwerber, sondern auch gesetzliche Vertreter, VermÇgensverwalter und VerfÅgungsberechtigte (§§ 31, 35 AO).2 Sie besteht allerdings nur dann, wenn Åberhaupt die MÇglichkeit einer Erbschaftsteuerpflicht gegeben ist, sodass etwa Erwerbe, die wertmßig unter den Freibetrgen (§ 16 ErbStG) bleiben, aus der Anzeigepflicht herausfallen.3 Die Anzeigefrist fÅr den Erwerber betrgt drei Monate ab Kenntnis des Erwerbers von seinem Erwerb, wobei auf die positive Kenntnis etwa aufgrund TestamentserÇffnung4 abzustellen ist.
16.6
Bei Schenkung unter Lebenden wird die Anzeigepflicht zustzlich auf den Schenker ausgedehnt (§ 30 Abs. 2 ErbStG), wobei diese Anzeigepflicht im Hinblick darauf, dass der Beschenkte primrer Steuerschuldner ist, in der Praxis zumeist nicht beachtet wird.5
16.7
Die Anzeigepflicht entfllt in den Fllen, in denen dem Finanzamt der betreffende Erwerb bereits bekannt ist oder der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht, Notar oder Konsul erÇffneten VerfÅgung von Todes wegen beruht und sich aus der VerfÅgung das Verhltnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt (§ 30 Abs. 3 Satz 1 ErbStG) oder wenn eine Schenkung unter Lebenden oder eine Zweckzuwendung gerichtlich oder notariell beurkundet ist (§ 30 Abs. 3 Satz 2 ErbStG). GehÇrt allerdings zum Erwerb AuslandsvermÇgen, ist eine Anzeige durch den Erwerber oder den Schenker unumgnglich (§ 30 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ErbStG).
16.8
Unabhngig von der Anzeigepflicht (§ 30 ErbStG) kann das Finanzamt von jedem an einem erbschaftsteuerpflichtigen Vorgang Beteiligten die Abgabe einer Steuererklrung verlangen (§ 31 Abs. 1-4 ErbStG). Ist ein Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Nachlasspfleger vorhan-
16.9
1 JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 2; Gohlisch, ZErb 2011, 102 ff. 2 JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 7. 3 Kien-HÅmbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 3; Meincke16, § 30 ErbStG Rz. 6; JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 8. 4 BFH v. 27.11.1981 – II R 18/80, BStBl. II 1982, 276. 5 Hierzu Kien-HÅmbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 6; Meincke16, § 30 ErbStG Rz. 7; JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 19.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
den, ist die Steuererklrung von diesem abzugeben (§ 31 Abs. 5, 6 ErbStG).1Das Erklrungsverlangen steht im Ermessen des Finanzamtes. Im Hinblick darauf wird das Finanzamt auf die Abgabe von Steuererklrungen verzichten, wenn zweifelsfrei feststeht, dass fÅr niemanden eine Steuerfestsetzung in Betracht kommt.2
16.10 Durch §§ 33, 34 ErbStG werden auch dritte Personen in den Pflichtenkreis einbezogen. Hierzu gehÇren insbesondere Banken, Bausparkassen und Versicherungen, die dem zustndigen Finanzamt Guthaben des Erblassers zu melden haben. Der anzeigenpflichtige Personenkreis ist hierbei weit gezogen, sodass hierunter auslndische Niederlassungen inlndischer Banken und inlndische Niederlassungen auslndischer Banken gleichermaßen fallen.3 Anzeigepflichtig sind ferner Steuerberater, Rechtsanwlte und Notare, soweit diese Ander- oder Treuhandkonten unterhalten,4 ebenso Treuhnder-Kommanditisten etwa von geschlossenen Immobilienfonds.5 Die Anzeigepflicht besteht unabhngig davon, ob der Erbfall Åberhaupt der Erbschaftsteuer unterliegt, wobei allerdings in Fllen der GeringfÅgigkeit die Anzeige unterbleiben darf.6 FÅr Versicherungsunternehmen enthlt § 33 Abs. 3 ErbStG eine Sonderregelung, wonach Versicherungssummen oder Leibrenten erst dann ausgezahlt werden dÅrfen, wenn sie zuvor dem Finanzamt hierÅber Anzeige erstattet haben. Der Auszahlung steht die Umschreibung zur FortfÅhrung des Versicherungsvertrages gleich.7 § 33 Abs. 2 ErbStG enthlt schließlich auch eine Anzeigepflicht von Wertpapieremittenten.
16.11 § 34 ErbStG verpflichtet Gerichte, BehÇrden, Beamte und Notare dem zustndigen Finanzamt schriftlich Anzeige zu erstatten Åber erbschaftsteuerlich relevante Beurkundungen, Zeugnisse und Anordnungen. Soweit Urkunden erstellt werden, mÅssen dem zustndigen Finanzamt vollstndige Abschriften Åbersandt werden.8 Die Anzeige darf allerdings in Fllen von geringerer Bedeutung unterbleiben (§ 8 Abs. 3 ErbStDV). Die Anzeigepflicht trifft auch diplomatische Vertretungen und Konsulate im Ausland (§ 9 ErbStDV), wonach dem Bundeszentralamt fÅr Steuern Sterbeflle sowie bekannt gewordene Zuwendungen auslndischer Erblasser oder Schenker an inlndische Erwerber mitzuteilen sind.
1 Die Anzeigepflicht des Erwerbers (§ 30 Abs. 1 ErbStG) bleibt hiervon unberÅhrt; BFH v. 11.5.2012 – II B 63/11,BFH/NV 2012, 1455 Rz. 4. 2 JÅlicher in T/G/J, § 31 ErbStG Rz. 2. 3 Vgl. BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49; FG MÅnchen v. 25.7.2012 – 4 K 2675/09, EFG 2012, 2224; BMF v. 21.3.2001, DB 2001, 1282; JÅlicher in T/G/J, § 33 ErbStG Rz. 3. 4 Geck in Kapp/Ebeling, § 33 ErbStG Rz. 6. 5 FinMin. Baden-WÅrttemberg v. 27.11.1998, ZEV 1999, 25. 6 Schwellenwert 5.000 Euro; § 1 Abs. 4 Nr. 2 ErbStDV. 7 Vgl. E 33 ErbStR 2011. 8 Kien-HÅmbert in Moench/Weinmann, § 34 ErbStG Rz. 2.
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B. Typische Problembereiche
3. Pflichtverletzungen Im außensteuerlichen Kontext kommt es insbesondere dadurch zu Pflichtverletzungen, dass den sich aus §§ 30, 33, 34 ErbStG verankerten Anzeigepflichten nicht entsprochen wird und/oder die vom zustndigen Finanzamt angeforderten Erbschaftsteuererklrungen (§ 31 ErbStG) unvollstndig sind. Soweit der Anzeigepflicht aus § 30 ErbStG nicht entsprochen wird, fÅhrt dieser Pflichtenverstoß in steuerlicher Hinsicht zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 5 AO), weil bei Schenkungen die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die FinanzbehÇrde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO).1 Beim Erwerb von Todes wegen beginnt die Festsetzungsfrist sptestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO).2 Weitergehende steuerliche Folgen ergeben sich nicht, insbesondere kÇnnen Versptungszuschlge nicht erhoben werden.3 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht fÅhrt der Verstoß gegen die Anzeigepflicht (§ 30 ErbStG) zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO), wenn durch die unterlassene Anzeige die Erbschaftsteuer nicht, nicht in voller HÇhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird.4
16.12
Wird die vom Finanzamt angeforderte Steuererklrung Åberhaupt nicht oder nicht rechtzeitig5 abgegeben, kann ein Zwangsgeld (§ 329 AO) bis zur HÇhe von 25.000 Euro festgesetzt werden. Bei verspteter Abgabe kommt ein Versptungszuschlag (§ 152 AO) in Betracht. Im brigen kann die Erbschaftsteuer in diesen Fllen auch geschtzt werden.6 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht fÅhrt die Nichtabgabe und die versptete Abgabe der Erbschaftsteuererklrung oder die unrichtige Steuererklrung in aller Regel zu einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder zu einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO).
16.13
Der Verstoß gegen die Anzeigepflicht gem. § 33 ErbStG kann in steuerlicher Hinsicht zu einer Haftung fÅr Steuerausflle nach § 20 Abs. 6 ErbStG fÅhren. Hierdurch sind insbesondere Banken und Versicherungsunternehmen betroffen.
16.14
Wird die Anzeigepflicht gem. § 33 ErbStG etwa dadurch verletzt, dass die Bank dem zustndigen Finanzamt Åber das Vorhandensein eines Bankschließfaches des Erblassers keine Mitteilung macht, wird der Tatbestand einer Steuerordnungswidrigkeit erfÅllt (§ 33 Abs. 4 ErbStG), die mit Geld-
16.15
1 Zur Anlaufhemmung im Einzelnen Kruse in T/K, § 170 AO Rz. 25 ff. 2 Zu Einzelheiten Kruse in T/K, § 170 AO Rz. 21 ff. 3 Die Anzeige ist keine Steuererklrung i.S. von § 150 AO; vgl. JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 34. 4 Im Einzelnen Halaczinsky/FÅllsack, BB 2011, 2839 ff. 5 Die Frist betrgt mindestens einen Monat (§ 31 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). 6 Kien-HÅmbert in Moench/Weinmann, § 31 ErbStG Rz. 5.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
buße geahndet werden kann (§ 377 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 OWiG). Soweit der zur Anzeige Verpflichtete VermÇgensverwalter ist (§ 34 Abs. 3 AO), etwa bei Versicherungsunternehmen, fÅhrt der Pflichtenverstoß jedenfalls zu einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO).
16.16 FÅr einen Verstoß gegen die Anzeigepflichten durch Gerichte, BehÇrden, Beamte und Notare (§ 34 ErbStG) sind in steuerlicher Hinsicht keine steuerlichen Folgen vorgesehen. Insbesondere kÇnnen gegen Notare keine Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO) festgesetzt werden, weil sie hoheitliche Ttigkeiten (§ 255 Abs. 1 AO) im Rahmen ihrer Anzeigepflichten wahrnehmen. Entsprechendes gilt fÅr Gerichte usw.1 In ordnungswidrigkeitsrechtlicher Hinsicht sind ebenfalls keine besonderen Rechtsfolgen vorgesehen, insbesondere fehlt es an einer Rechtsgrundlage fÅr eine Ordnungswidrigkeit.
16.17 In strafrechtlicher Hinsicht ist in der Praxis von besonderer Bedeutung die Nichtangabe oder unvollstndige Angabe von ererbtem oder geschenktem AuslandsvermÇgen in den vom Finanzamt angeforderten Steuererklrungen.
16.18 Beispiel: A, der sowohl die deutsche als auch die kanadische StaatsbÅrgerschaft hat, ist Anfang der 60er Jahre nach Kanada ausgewandert. Dort hat er in allen Jahren seinen alleinigen Wohnsitz gehabt. Im Jahr 2010 hat er sich in einen sÅddeutschen Kurort eine Wohnung gemietet, in der er sich insgesamt fÅr etwa drei Monate zu Erholungs- bzw. Kurzwecken aufgehalten hat. Nachdem A erfhrt, dass er unheilbar erkrankt ist, gibt er seine Wohnung in Deutschland auf, und hlt sich seitdem nur noch in Kanada auf. A verstirbt im FrÅhjahr 2011. Alleinerben sind seine beiden volljhrigen Kinder, die ihren alleinigen Wohnsitz in Kanada haben. Beide Kinder haben ebenfalls sowohl die deutsche als auch die kanadische StaatsangehÇrigkeit. Zum Nachlass gehÇrt umfangreicher Grundbesitz in Kanada sowie alle Anteile an einer von A in Kanada errichteten Kapitalgesellschaft. Das fÅr seine vormalige Wohnung in SÅddeutschland zustndige ErbschaftsteuerFinanzamt erfhrt von dem Erbgang im Jahr 2012 und fordert die Alleinerben zur Abgabe von Steuererklrungen auf. Zugleich wird gegen beide Erben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
16.19 Da A als Erblasser zur Zeit seines Todes deutscher StaatsangehÇriger war und sich zu diesem Zeitpunkt nicht lnger als fÅnf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten hat, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben, sind die Voraussetzungen der erweiterten unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht gegeben (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG). Dass A auch die kanadische StaatsbÅrgerschaft hatte und zudem nur kurzfristig im Inland einen Wohnsitz unterhielt, spielt keine Rolle.2 Als Rechtsfolge ergibt sich, dass der gesamte Erwerb (WeltvermÇgen) der deutschen Erbschaftsteuer unterfllt mit der Folge, dass hier sowohl das kanadische GrundvermÇgen 1 Hierzu JÅlicher in T/G/J, § 34 ErbStG Rz. 13. 2 Vgl. JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 21; Hinweis: Ggf. kommt auch eine Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) in Betracht; vgl. Rz. 13.35 ff.
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B. Typische Problembereiche
als auch die Anteile an der kanadischen Kapitalgesellschaft von deutscher Erbschaftsteuer erfasst werden. Die in § 13b ErbStG vorgesehenen Verschonungsregelungen greifen hier nicht ein, weil es sich bei der von A errichteten Kapitalgesellschaft um eine sog. Drittlandsgesellschaft handelt (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Soweit in Kanada fÅr den bergang des auslndischen GrundvermÇgens und der Anteile an der kanadischen Kapitalgesellschaft eine capital-gains-tax erhoben wird, ist eine Doppelbesteuerung nicht vermeidbar. Mit Kanada besteht kein Erbschaftsteuerabkommen und die kanadische capital-gains-tax ist keine der deutschen Erbschaftsteuer vergleichbare Steuer, sodass die Anrechnung gem. § 21 ErbStG ausgeschlossen ist.1 Stattdessen ist die kanadische capital-gainstax als Nachlassverbindlichkeit von der Bemessungsgrundlage abziehbar.2 Damit steht fest, dass die unterlassene Anzeige (§ 30 ErbStG) zu einer VerkÅrzung von Erbschaftsteuer gefÅhrt hat. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist damit gegeben. Ob allerdings auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt ist, erscheint mehr als zweifelhaft. Auch in Orientierung an die Parallelwertung in der Laiensphre wird man nicht davon ausgehen kÇnnen, dass AuslandsvermÇgen eines zum Zeitpunkt seines Todes und davor ganz Åberwiegend im Ausland ansssigen Erblassers nur deshalb der (erweiterten) unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegt, weil dieser innerhalb der letzten fÅnf Jahre vor seinem Ableben drei Monate einen Nebenwohnsitz in Deutschland unterhielt.
II. Inlndisches VermÇgen Literatur: Kommentare zu § 2 ErbStG, § 121 BewG, § 4 AStG; Flick/Piltz, Der internationale Erbfall, 2. Aufl. MÅnchen 2008, Ettinger, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer beim Wegzug ins Ausland und danach, Zerb 2006, 41 ff.; von Oertzen, Erbschaftsteuerplanung bei beschrnkt Steuerpflichtigen, in Grotherr, Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Berlin 2011, 2003 ff.; Reich, Internationales Erbschaftsteuerrecht, in SÅss, Erbrecht in Europa, 2. Aufl. Berlin 2007, 241 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 7.31 ff.; Wachter, Beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht, ErbStB 2004, 25 ff.; Werz, GestaltungsmÇglichkeiten bei beschrnkter Erbschaftsteuerpflicht, in FS Spiegelberger, Bonn 2009, 584 ff.
1 BFH v. 26.4.1995 – II R 13/92, BStBl. II 1995, 540; kritisch hierzu JÅlicher, ZEV 1996, 295 ff. (296 f.). 2 JÅlicher in T/G/J, § 21 ErbStG Rz. 7.
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16.20
Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
1. berblick
16.21 In den Fllen, in denen weder der Erblasser (Schenker) noch der Erwerber Inlnder sind, greift die beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht ein (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Ergnzt wird die beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht durch die erweiterte beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 AStG). Die beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht erstreckt sich auf den VermÇgensanfall, der InlandsvermÇgen (§ 121 BewG) betrifft. Zum InlandsvermÇgen gehÇren nur diejenigen VermÇgensgegenstnde, die ausdrÅcklich in § 121 BewG aufgefÅhrt werden. Das bedeutet, dass etwa Bank- oder Sparguthaben oder Wertpapierdepots bei inlndischen Kreditinstituten sowie nicht dinglich gesicherte Forderungen gegen inlndische Schuldner nicht zum InlandsvermÇgen zhlen. Daher sind auch der auf Geld gerichtete Pflichtteilsanspruch, selbst wenn er gegen einen inlndischen Erben gerichtet ist, sowie ein Geldvermchtnis, auch wenn es aus einem Nachlass zu entrichten ist, der nur aus InlandsvermÇgen besteht, nicht beschrnkt erbschaftsteuerpflichtig.1 Zum InlandsvermÇgen gehÇren: – inlndisches Land- und forstwirtschaftliches VermÇgen, wobei auf die Belegenheit dieses VermÇgens und nicht etwa auf den Sitz der Leitung des Land- und forstwirtschaftlichen Betriebs abgestellt wird (§ 121 Nr. 1 BewG), – inlndisches GrundvermÇgen, zu dem neben Grund und Boden, Gebuden, sonstigen Bestandteilen und ZubehÇr auch das Erbbaurecht und das Wohnungseigentum sowie Gebude auf fremden Grund und Boden gehÇren (§ 121 Nr. 2 BewG), – inlndisches BetriebsvermÇgen, also das VermÇgen, das einem im Inland betriebenen Gewerbe dient, wenn hierfÅr im Inland eine Betriebssttte (§ 12 AO) unterhalten wird oder ein stndiger Vertreter (§ 13 AO) bestellt ist,2 ohne dass es darauf ankommt, ob sich die betreffenden WirtschaftsgÅter im Inland oder im Ausland befinden3 (§ 121 Nr. 3 BewG), – Beteiligungen an inlndischen Kapitalgesellschaften, wenn die Beteiligung mindestens 1/10 des Nennkapitals ausmacht (§ 121 Nr. 4 BewG), – Patente, Gebrauchsmuster und Topographien, soweit sie nicht bereits zu einem inlndischen BetriebsvermÇgen gehÇren und in einem inlndischen Buch oder Register eingetragen sind (§ 121 Nr. 5 BewG), – WirtschaftsgÅter, die einem inlndischen gewerblichen Betrieb Åberlassen sind, wozu insbesondere vermietete und verpachtete WirtschaftsgÅter sowie in Lizenz vergebene Erfindungen, Gebrauchsmuster, Knowhow und Marken gehÇren, (§ 121 Nr. 6 BewG),
1 JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz 71 f.; Eisele in Kapp/Ebeling, § 2 ErbStG Rz. 52. 2 Dies gilt entsprechend auch fÅr eine freiberufliche Ttigkeit (vgl. § 96 BewG). 3 JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz 54; Richter in V/K/S/W, ErbStG, § 121 BewG Rz. 11.
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B. Typische Problembereiche
– grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen, also insbesondere Hypotheken, Grundschulden, Rentenschulden und andere Forderungen oder Rechte, wenn sie durch inlndischen Grundbesitz oder inlndische grundstÅcksgleiche Rechte oder durch Schiffe, die in einem inlndischen Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert sind (§ 121 Nr. 7 BewG), – Forderungen aus stillen Beteiligungen und partiarischen Darlehen, wenn der Schuldner unbeschrnkt steuerpflichtig ist (§ 121 Nr. 8 BewG), – Nutzungsrechte am InlandsvermÇgen, wozu sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte, insbesondere der Nießbrauch an GrundstÅcken und an Beteiligungen zhlen (§ 121 Nr. 9 BewG). Ebenso wie bei unbeschrnkter Steuerpflicht sind auch bei beschrnkter Steuerpflicht Schulden und Lasten bei Feststellung der Bereicherung nur insoweit abziehbar, als sie mit den steuerpflichtigen VermÇgensgegenstnden im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG). Damit wird auch im Bereich der beschrnkten Steuerpflicht im Grundsatz das Nettoprinzips sichergestellt.
16.22
Im Rahmen der erweitert beschrnkten Erbschaftsteuerpflicht (§ 4 AStG) wird die beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) Åber die in § 121 BewG genannten WirtschaftsgÅter hinaus auf alle VermÇgenswerte ausgedehnt, deren Ertrge bei unbeschrnkter Einkommensteuerpflicht nicht zu den auslndischen EinkÅnften i.S. des § 34c Abs. 1 EStG gehÇren. Betroffen hierdurch sind ausgewanderte natÅrliche Personen mit deutscher StaatsangehÇrigkeit, und zwar unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der erweiterten beschrnken Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG; hierzu Rz. 13.23 ff.). Das bedeutet insbesondere: – Der Erblasser oder Schenker muss eine natÅrliche Person (gewesen) sein, die in den letzten zehn Jahren vor der Auswanderung als Deutscher insgesamt mindestens fÅnf Jahre lang unbeschrnkt einkommensteuerpflichtig war. – Der Erblasser oder Schenker muss(te) in einem auslndischen Gebiet ansssig sein, in dem er mit seinem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung vom Einkommen (§ 2 Abs. 2 AStG) unterliegt (unterlag). – Der Erblasser oder Schenker muss(te) unmittelbar oder mittelbar wesentliche wirtschaftliche Interessen (§ 2 Abs. 3 und 4 AStG) im Inland haben.
16.23
ber das InlandsvermÇgen (§ 121 BewG) hinaus wird noch folgendes erweitertes InlandsvermÇgen erfasst:1 – Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland, – Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland,
16.24
1 BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004 (Sondernr. 1), Tz. 4.1.1.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
– Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschftsguthaben bei Genossenschaften im Inland, – AnsprÅche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland sowie Nießbrauchs- und Nutzungsrechte an VermÇgensgegenstnden im Inland, – Erfindungen und Urheberrechte, die im Inland verwertet werden, – VersicherungsansprÅche gegen Versicherungsunternehmen im Inland, – bewegliche WirtschaftsgÅter, die sich im Inland befinden, – VermÇgen, dessen Ertrge nach § 5 AStG1 der erweiterten beschrnkten Steuerpflicht unterliegen, – VermÇgen, das nach § 15 AStG2 dem erweitert beschrnkt Steuerpflichtigen zuzurechnen ist. 2. Pflichtenkreis
16.25 Die sich insbesondere aus den §§ 30, 31, 33 und 34 ErbStG ergebenden Verpflichtungen (Rz. 16.5 ff.) gelten auch in den Fllen der beschrnkten oder erweitert beschrnkten Erbschaftsteuerpflicht. Daher hat etwa ein im Ausland ansssiger Erwerber auch bei beschrnkter Steuerpflicht den Erwerb dem zustndigen inlndischen Finanzamt anzuzeigen. DarÅber hinaus kann das Finanzamt auch ohne Weiteres einen im Ausland ansssigen Erwerber zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklrung auffordern.3 Soweit hiernach der (auslndische) Erwerber Angaben zu machen hat, trifft ihn ggf. eine erhÇhte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO; zu Einzelheiten Rz. 14.4 ff.). Sind etwa Banken, Bausparkassen und Versicherungen zur Anzeige verpflichtet (§ 33 ErbStG), trifft sie diese Verpflichtung nur, wenn sie im Inland ansssig sind. Das bedeutet, dass etwa auslndischen Niederlassungen inlndischer Banken ebenso anzeigepflichtig sind wie inlndische Niederlassungen auslndischer Banken.4 Gerichte, BehÇrden, Beamte und Notare sind zwar im Grundsatz nur zur Anzeige verpflichtet, wenn sie im Inland ansssig sind (§ 34 ErbStG), eine Pflichtenerweiterung ergibt sich allerdings fÅr Auslandsstellen, also fÅr diplomatische Vertreter und Konsuln, die dem Bundeszentralamt fÅr Steuern die ihnen bekannt gewordenen Sterbeflle von Deutschen ihres Amtsbezirks, die ihnen bekannt gewordenen Zuwendungen auslndischer Erblasser oder Schenker an Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewÇhnlichen Aufenthalt haben, anzuzeigen haben (§ 9 ErbStDV).
1 Es geht um zwischengeschaltete Auslandsgesellschaften; hierzu Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 7.65. 2 Betrifft auslndische Familienstiftungen; vgl. Rz. 13.163 ff. 3 Vgl. AEAO zu § 122 AO Rz. 1.8.4. 4 Vgl. BFH v. 31.5.2006 – II R 66/04, BStBl. II 2007, 49; BMF v. 21.3.2001, DB 2001, 1282; JÅlicher in T/G/J, § 33 ErbStG Rz. 3.
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B. Typische Problembereiche
3. Pflichtverletzungen Im Hinblick darauf, dass der Pflichtenkreis bei beschrnkter und erweitert beschrnkter Erbschaftsteuerpflicht sich nicht von demjenigen unterscheidet, der bei unbeschrnkter und erweitert unbeschrnkter Erbschaftsteuerpflicht maßgeblich ist, ergeben sich auch keine Unterschiede bei den mÇglichen Pflichtverletzungen. Da allerdings Anzeigepflichten dritter Personen eine geringere Bedeutung haben, steht die Verletzung von Anzeigepflichten der am Erwerbsvorgang beteiligten Personen sowie die Verletzung von Steuererklrungspflichten im Vordergrund.
16.26
Beispiel: X ist US-StaatsbÅrger und an der in sterreich ansssigen X-AG zu 60 % beteiligt. Die X-AG hlt ihrerseits zahlreiche Portfoliobeteiligungen an auslndischen Kapitalgesellschaften und sonstige auslndische Kapitalanlagen, die von zwei angestellten Anlagemanagern in einem von der X-AG angemieteten BÅro in Wien verwaltet werden. Die X-AG ist zudem an der inlndischen A-AG in Deutschland zu 100 % beteiligt. X, der in den USA ansssig ist, schenkt seiner dort ebenfalls ansssigen Tochter, die die US-StaatsbÅrgerschaft besitzt, alle seine Anteile an der X-AG. Das zustndige Erbschaftsteuerfinanzamt1 erfhrt drei Jahre spter von dieser Schenkung und fordert X sowie dessen Tochter auf, die Schenkungsteuererklrungen abzugeben. Zugleich wird gegen X und dessen Tochter ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
16.27
Die Schenkung des X an seine Tochter unterliegt nicht der unbeschrnkten Erbschaftsteuerpflicht, weil weder er noch sie Inlnder sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Daher kommt nur eine beschrnkte Erbschaftsteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) in Betracht, falls es sich bei der Schenkung der Anteile an der X-AG um InlandsvermÇgen handelt. Das ist hier nicht der Fall. § 121 Nr. 4 BewG erfasst als InlandsvermÇgen nur Anteile an inlndischen Kapitalgesellschaften, wenn der Erblasser oder Schenker entweder allein oder zusammen mit anderen ihm nahestehenden Personen am Nennkapital mindestens zu 1/10 unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift wren die Anteile an der inlndischen A-AG an sich InlandsvermÇgen, weil X zum Zeitpunkt der Schenkung mittelbar alle Anteile an der A-AG hielt. § 121 Nr. 4 BewG wird indessen einschrnkend dahin ausgelegt, dass mittelbar gehaltene Beteiligungen nur fÅr die Ermittlung der Beteiligungsgrenze, nicht aber selbst beim InlandsvermÇgen berÅcksichtigt werden.2 Damit zhlt eine ausschließlich mittelbar Åber eine auslndische Gesellschaft gehaltene Beteiligung einer inlndischen Kapitalgesellschaft nicht zum InlandsvermÇgen.3 Etwas anderes gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung dann, wenn es sich bei der Zwischenschaltung der auslndischen Gesellschaft
16.28
1 Bei beschrnkter Erbschaftsteuerpflicht ist das Finanzamt zustndig, in dessen Bezirk sich das InlandsvermÇgen befindet (§ 35 Abs. 4 ErbStG i.V.m. § 19 Abs. 2 AO). 2 RE 2.2 Abs. 3 Satz 5 ErbStR 2011. 3 Andernfalls fÅhrte der Durchgriff i.S. einer Transparenzfiktion zu einer uferlosen Anwendung; hierzu im Einzelnen JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 58.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
um einen Missbrauch steuerlicher GestaltungsmÇglichkeiten handelt (§ 42 AO). Das soll insbesondere dann in Betracht kommen, wenn fÅr die Einschaltung der auslndischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche GrÅnde fehlen und sie keine eigene Wirtschaftsttigkeit entfaltet.1 Von einem Missbrauch von GestaltungsmÇglichkeiten kann hier indessen schon deshalb keine Rede sein, weil die X-AG in sterreich mit eigenem Personal in eigenen Geschftsrumen vermÇgensverwaltend ttig ist. Eine derart vermÇgensverwaltende Ttigkeit wird von der unionsrechtlich verbÅrgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) geschÅtzt,2 sodass unter diesem Gesichtspunkt ein Gestaltungsmissbrauch zu verneinen ist. Dass die Niederlassungsfreiheit nur UnionsbÅrger schÅtzt, spielt keine Rolle, weil wegen des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) auch DrittstaatsangehÇrige sich auf die entsprechenden Schutzwirkungen berufen kÇnnen.3 Etwas anderes kÇnnte nur dann gelten, wenn die gewhlte Gestaltung rein kÅnstlich ist und nur dazu dient, die Steuerentstehung im Inland zu umgehen. Dass dies hier nicht der Fall ist, ist offenkundig, sodass insoweit weitere Ermittlungen nicht anzustellen sind. Da somit schon der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht gegeben ist, muss das Ermittlungsverfahren eingestellt werden.
III. Auslndische Familienstiftungen und Trusts Literatur: Kommentare zu §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1 und 8 ErbStG; Birnbaum/Lohbeck/ PÇllath, Die Verselbstndigung von NachlassvermÇgen: Stiftung, Trust und andere Gestaltungen im Vergleich, FR 2007, 479 ff.; Bron/Seidel, Informationsaustausch, Datenkauf sowie Selbstanzeige bei Stiftungs- und Trust-Strukturen ErbStB 2010, 111 ff.; Deininger/GÇkenberger, Internationale VermÇgensnachfolgeplanung mit Auslandsstiftungen und Trusts, Angelbachtal 2006; Jorde/GÇtz, Auslndische Familienstiftungen und Trusts in der Gestaltungsberatung, FS Spiegelberger, Bonn 2009, 1301 ff.; Habammer, Der auslndische Trust im deutschen Ertrag- und Erbschaft-/Schenkungsteuerrecht, DStR 2002, 425 ff.; JÅlicher, Der Trust als untaugliches Mittel der VermÇgensnachfolge in Deutschland, PIStB 1999, 37 ff.; JÅlicher, Treuhandverhltnisse im Erbschaftsteuerrecht, DStR 2001, 2177 ff.; JÅlicher, Auslndische Familienstiftungen und Trusts – Chancen und Risiken durch die neue BFH-Rechtsprechung, ZErb 2007, 361 ff.; Schindhelm/Stein, Der Trust im deutschen Erbschaft- und Schenkkungsteuerrecht nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, FR 1999, 880 ff.; SchÅtz, Die Besteuerung auslndischer, insbesondere liechtensteinischer Familienstiftungen und ihre BegÅnstigten in Deutschland, 1 RE 2.2 Abs. 3 Stze 6, 7 ErbStR 2011. 2 EuGH v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4711; EuGH v. 18.9.2003 – Rs. C-168/01 – Bosal Holding, EuGHE 2003, I-9430; EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadburry Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. 3 Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 4.13 m.w.N. auch zur Gegenansicht (h.L.); zur berlagerung des § 42 AO durch die Grundfreiheiten DrÅen in T/K, vor §§ 42 AO Rz. 40.
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B. Typische Problembereiche DB 2008, 603 ff.; Verstl, Der internationale Trust als Instrument der VermÇgensnachfolge, 2000; Weber/ZÅrcher, Keine Schenkungsteuerbarkeit der bertragung von VermÇgen auf eine liechtensteinische Familienstiftung als (unechte) Treuhnderin, DStR 2008, 803 ff.; Werz/Brunner, Steuerfolgen beim Liechtenstein-Trust, PiStB 2006, 59 ff. Wienbracke, Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Behandlung von Trusts in Deutschland, Steuerrevue 2007, 409 ff., 290 ff.; Wienbracke, Trusts in Deutschland, Wiesbaden 2012.
1. berblick Inlndische Familienstiftungen1 unterliegen in Zeitabstnden von je 30 Jahren der Ersatzerbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Das gilt nicht fÅr auslndische Familienstiftungen, weil im Rahmen der beschrnkten Steuerpflicht nur VermÇgensanflle erfasst werden (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegt allerdings der VermÇgenstransfer auf auslndische Familienstiftungen und Trusts, und zwar sowohl bei der Errichtung (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG) als auch bei weiteren Erwerbungen und Zustiftungen (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Voraussetzung ist allerdings, dass die auslndische Familienstiftung2 bzw. der auslndische Trust3 Åber das zugewendete VermÇgen im Verhltnis zum Leistenden tatschlich und rechtlich frei verfÅgen kann.4 Denn nur in einem solchen Fall handelt es sich um eine vom Gesetz (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) geforderte Bereicherung.5 Eine freigebige Zuwendung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) ist daher insbesondere dann nicht gegeben, wenn sich z.B. der Stifter bei Errichtung der Stiftung das Recht am StiftungsvermÇgen, an den Ertrgen, auf Satzungsnderungen, auf Weisungen gegenÅber dem Treuhnder und auf RÅckÅbertragung des VermÇgens vorbehalten hat.6 Diese fÅr auslndische (Familien-)Stiftungen maßgeblichen Grundstze gelten auch fÅr auslndische Trusts.7 Das bedeutet im Ergebnis, dass in der Praxis VermÇgenstransfers auf revocable trusts und grantor’s trusts keine Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) auslÇsen.
1 Trusts sind zivilrechtlich im deutschen Rechtskreis nicht vorgesehen. 2 Familienstiftungen sind Stiftungen, bei denen der Stifter, seine AngehÇrigen und deren AbkÇmmlinge zu mehr als der Hlfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind, § 15 Abs. 2 AStG. 3 Der Trust ist eine VermÇgensmasse auslndischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von VermÇgen gerichtet ist (vgl. §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2; 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2, Nr. 9 Satz 2 ErbStG); zum Begriff und rechtlichen Ausgestaltung vgl. Art. 2 Haager bereinkommen Åber das auf Trust anzuwendende Recht und Åber ihre Anerkennung v. 1.76.1985 (Deutschland ist diesem Abkommen bislang nicht beigetreten); hierzu auch der berblick von JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 116 ff. 4 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 5 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. 6 Vgl. hierzu Bron/Seidel, ErbStB 2010, 111 ff. (115). 7 FG Baden-WÅrttemberg v. 15.7.2010 – 7 K 38/07, EFG 2011, 164; JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 129; Jorde/GÇtz in FS Spiegelberger, 2009, 1301 ff. (1319).
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16.29
Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
16.30 Soweit die auslndische (Familien-)Stiftung oder der auslndische Trust mittels seiner Organe Åber das zugewendete VermÇgen uneingeschrnkt verfÅgen kann, ist der VermÇgenstransfer bei Errichtung als Erstausstattung der Schenkungsteuer unterworfen (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), wobei stets Steuerklasse III zur Anwendung kommt.1 Entsprechendes gilt auch fÅr sptere VermÇgenstransfers insbesondere bei Zustiftungen.2
16.31 Wird whrend des Bestehens des auslndischen Trusts VermÇgen an Zwischenberechtigte3, etwa Destinatre, ausgekehrt, ist diese Zuwendung ebenfalls der Schenkungsteuer unterworfen (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG),4 wobei fÅr die fÅr die Besteuerung maßgebliche Steuerklasse auf das Verwandtschaftsverhltnis der Erwerber zum Stifter bzw. zum Trustgeber abzustellen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).5
16.32 Die AuflÇsung einer auslndischen (Familien-)Stiftung oder eines auslndischen Trusts fÅhrt ebenfalls zur Steuerpflicht, und zwar beim Anfallsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG) sowie gleichermaßen bei anderen Personen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG),6 wobei fÅr die maßgebliche Steuerklasse auf das Verwandtschaftsverhltnis zum Stifter bzw. Trustgeber abzustellen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG).7 Die RÅckÅbertragung des VermÇgens an den Stifter selbst unterliegt demgegenÅber der Steuerklasse III.8 2. Pflichtenkreis
16.33 Die sich insbesondere aus den §§ 30, 31, 33 und 34 ErbStG ergebenden Verpflichtungen (Rz. 16.5 ff.) betreffen auch auslndische (Familien-)Stiftungen sowie auslndische Trusts. Die gesetzlichen Vertreter (Organe) bzw. VerfÅgungsberechtigten haben dabei die entsprechenden Verpflichtungen zu erfÅllen (§§ 34, 35 AO).
1 § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, der auf das Verwandschaftsverhltnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Stifter abstellt, gilt nur fÅr inlndische Familienstiftungen; zu unionsrechtlichen Zweifeln ThÇmmes/Stockmann, IStR 1999, 261 ff.; vgl. auch JÅlicher in T/G/J, § 15 ErbStG Rz. 110. 2 Sie unterliegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wobei ebenfalls Steuerklasse III anzuwenden ist; vgl. JÅlicher in T/G/J, § 15 ErbStG Rz. 12. 3 Zum Begriff BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10; BStBl. II 2013, 84, 135 Rz. 16 ff. 4 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84, 135; hierzu JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 127; diese Regelung wird nicht auf auslndische Familienstiftungen angewendet; vgl. Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 224a; GÇtz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 271; ebenso im Ergebnis BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, ZEV 2014, 504. 5 Vgl. JÅlicher in T/G/J, § 7 ErbStG Rz. 346; zur Doppelbelastung mit Einkommensteuer (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG oder § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 AStG); JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 140). 6 Vgl. Gebel in T/G/J, § 7 ErbStG Rz. 337. 7 JÅlicher in T/G/J, § 15 ErbStG Rz. 131. 8 GÇtz in Wilms/Jochum, § 15 ErbStG Rz. 122.
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B. Typische Problembereiche
3. Pflichtverletzungen In der Praxis treten die Pflichtverletzungen sowohl bei Errichtung und AuflÇsung einer auslndischen (Familien-)Stiftung oder eines auslndischen Trusts als auch beim Zwischenerwerb auf. In allen Fllen geht es um unterlassene Anzeigen bzw. um die Nichtabgabe von Steuererklrungen, wobei in dem hier interessierenden Zusammenhang es nicht nur um Erbschaftsteuererklrungen, sondern auch um Feststellungserklrungen fÅr Zwecke der Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG; Rz. 15.208) geht.
16.34
Beispiel:
16.35
A, der von Anbeginn an in Deutschland einen Wohnsitz unterhlt, hat vor drei Jahren in Liechtenstein eine Familienstiftung liechtensteinischen Rechts durch einen von ihm beauftragten Treuhnder errichtet. Entsprechend der Stiftungsurkunde hat A auf die Stiftung erhebliches BarvermÇgen Åbertragen. BegÅnstigte sind seine FamilienangehÇrigen. Der Stiftungsrat, dem A nicht angehÇrt, hat entsprechend den Vorgaben in der Satzung das VermÇgen mÅndelsicher anzulegen. Irgendwelche Weisungen des A als Stifter sind in der Satzung nicht vorgesehen. Aufgrund einer von der Finanzverwaltung erworbenen Daten-CD erhlt das Finanzamt Kenntnis von der von A errichteten Familienstiftung in Liechtenstein. Im Rahmen einer Durchsuchung seitens der Steuerfahndung wird der vorgenannte Sachverhalt aufgedeckt, wobei zugleich festgestellt wird, dass A gegenÅber dem Stiftungsrat keinerlei Weisungen hinsichtlich der Anlage des VermÇgens gegeben hat.
Die Errichtung der Familienstiftung durch A ist schenkungsteuerpflichtig (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG), wobei Steuerklasse III (§ 15 Abs. 1 ErbStG) zur Anwendung kommt.1 Voraussetzung ist allerdings, dass die Stiftung tatschlich und rechtlich Åber das ihr zugewendete VermÇgen verfÅgen kann. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist das hier der Fall, sodass A zum Zeitpunkt der Zuwendung des VermÇgens gegenÅber dem zustndigen Finanzamt2 eine Anzeige htte erstatten mÅssen (§ 30 Abs. 2 ErbStG). Da er dieser Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist und aufgrund dessen eine Erbschaftsteuer gegen ihn nicht festgesetzt wurde, ist jedenfalls der objektive Tatbestand und bei entsprechenden weiteren Feststellungen auch der subjektive Tatbestand der Erbschaftsteuerhinterziehung gegeben. Dass die entsprechenden Informationen einer erworbenen CD entnommen worden sind, steht deren Verwertbarkeit hierbei nicht entgegen.3
1 § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG, der auf das Verwandtschaftsverhltnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Stifter abstellt, gilt nur fÅr inlndische Stiftungen. 2 Zustndig ist das Wohnsitzfinanzamt des Schenkers (§ 35 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 19 Abs. 1, 20 AO). 3 Vgl. BVerfG v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512; LG Bochum v. 7.8.2009 – 2 Qs 2/09, NStZ 2010, 351; LG DÅsseldorf v. 17.9.2010 – 14 Qs 60/10, wistra 2011, 27; VGH Rheinland-Pfalz v. 24.2.2014 – VGH B 26/13, PStR 2014, 100; Kaiser, NStZ 2011, 383 ff.; Roth, Stbg 2013, 29 ff.; a.A. z.B. TrÅg, StV 2011, 111 ff.; Wulf, PStR 2012, 33 ff.
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16.36
Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
16.37 Das von der Familienstiftung erzielte Einkommen unterliegt zwar im Grundsatz der Zurechnungsbesteuerung bei A (§ 15 Abs. 1 AStG), da die Familienstiftung aber in Liechtenstein (EWR-Staat) ansssig ist, unterbleibt eine Zurechnungsbesteuerung, weil das StiftungsvermÇgen dem Stifter und seinen AngehÇrigen rechtlich und tatschlich entzogen ist und zudem Liechtenstein aufgrund des mit Deutschland abgeschlossenen Informationsaustauschabkommens und Doppelbesteuerungsabkommen sich verpflichtet hat, entsprechende AuskÅnfte zu erteilen (§ 15 Abs. 6 AStG). Damit ist von vornherein der objektive Tatbestand der Einkommensteuerhinterziehung nicht gegeben.
16.38 Besonderheiten ergeben sich im Zusammenhang mit der Ersatzerbschaftsteuer, die unabhngig von einem Rechtstrgerwechsel das VermÇgen einer Familienstiftung alle 30 Jahre der Besteuerung unterwirft (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Damit erfolgt eine Gleichstellung mit der bei natÅrlichen Personen durch Generationenwechsel ausgelÇsten Erbschaftsteuer. Im Hinblick darauf erfolgt die Besteuerung typisierend so, als wÅrde das StiftungsvermÇgen im Erbgang auf zwei Kinder Åbergehen, sodass der doppelte Freibetrag zu gewhren ist und zudem die Steuerklasse I zur Anwendung kommt (§ 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG).1 Der Ersatzerbschaftsteuer unterliegen allerdings nur inlndische Familienstiftungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), also nur dann, wenn sie im Inland Geschftsleitung oder Sitz haben. Ist das nicht der Fall, ist nicht nur eine unbeschrnkte Erbschaftsteuerpflicht zu verneinen, es entfllt vielmehr zugleich auch die beschrnkte Steuerpflicht, sodass InlandsvermÇgen nicht erfasst wird.2 Unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten sind solche Flle von Bedeutung, in denen nach auslndischem Recht errichtete Familienstiftungen ihre Geschftsleitung tatschlich im Inland haben. Beispiel: A ist zusammen mit zwei in Liechtenstein ansssigen Rechtsanwlten Stiftungsrat der liechtensteinischen Familienstiftung F, die im Jahr 1983 von dem seinerzeit in der Schweiz ansssigen und inzwischen verstorbenen X errichtet und am 1.4.1983 mit erheblichem StiftungsvermÇgen ausgestattet wurde. BegÅnstigte sind dessen FamilienangehÇrige, die ausnahmslos außerhalb Deutschlands ansssig sind. A, ein langjhriger Vertrauter des verstorbenen X, wird als Stiftungsrat gegen Aufwandsersatz ttig und zhlt nicht zum Kreis der BegÅnstigten der Familienstiftung. Nach den Statuten der Stiftung entscheidet der Stiftungsrat einstimmig, anderenfalls kommt es entscheidend auf die Stimme von A an. A hat im Jahr 2010 seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt, von wo er die Geschfte der Stiftung fÅhrt. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des StiftungsvermÇgens, das nur aus auslndischen Kapitalanlagen (Aktien und Anleihen) in HÇhe von mehr als 10 Mio. Euro besteht. Aufgrund anonymer Hinweise erlangt die Finanzverwaltung Kenntnis von dem inlndischen Wohnsitz des A. Im Rahmen einer bei ihm durchgefÅhrten Steuerfahndung wird der vorstehende Sachverhalt aufgedeckt. 1 Die Ersatzerbschaftsteuer ist vom BVerfG als verfassungsgemß gebilligt worden; BVerfG v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BStBl. II 1983, 779; vgl. auch BVerfG v. 22.8.2011 – 1 BvR 2570/10, ZEV 2012, 51. 2 RÅckschluss aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG; hierzu im Einzelnen JÅlicher in T/G/J, § 2 ErbStG Rz. 46.
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B. Typische Problembereiche
Da A die laufenden Geschfte seit dem Jahr 2010 vom Inland aus fÅhrt, ist der Ort der Geschftsleitung der Familienstiftung F seitdem im Inland.1 Aus dem inlndischen Ort der Geschftsleitung folgt, dass F nunmehr seit 2010 als inlndische Familienstiftung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zu qualifizieren ist. Soweit die Verlegung des Ortes der Geschftsleitung in das Inland nach den maßgeblichen Stiftungsgesetzen einiger Bundeslnder nicht als Neuerrichtung anzusehen ist,2 ergibt sich als einzige fÅr die Erbschaftsteuer maßgebliche Rechtsfolge, dass zuzugsbedingt der Anwendungsbereich der Ersatzerbschaftsteuer erÇffnet ist. Hiernach entsteht die Steuerschuld grundstzlich in Zeitabstnden von 30 Jahren (§§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Der 30-Jahres-Zeitraum berechnet sich hier ab dem 1.4.1983, sodass die Ersatzerbschaftsteuer zum 1.4.2013 entstanden ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 ErbStG). Dass die Familienstiftung zum Zeitpunkt des ersten bergang des VermÇgens nicht unbeschrnkt steuerpflichtig war, spielt keine Rolle; denn §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG regeln nicht, dass die 30-Jahres-Frist erst mit dem Eintritt in die unbeschrnkte Steuerpflicht zu laufen beginnt.3 Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass es sich bei den BegÅnstigten ausnahmslos um Steuerauslnder handelt.
16.39
A hat allerdings keine Pflichtverletzung begangen. Die Anzeigepflicht gem. § 30 ErbStG betrifft nur Erwerbe, die von der Ersatzerbschaftsteuer nicht erfasst werden4, und § 33 ErbStG ist nicht einschlgig, weil A als Stiftungsrat nicht „geschftsmßig“ mit der VermÇgensverwaltung der Stiftung betraut war. Er ist nmlich fÅr die Stiftung nur aufgrund seiner persÇnlichen Verbundenheit als Privatperson unentgeltlich ttig gewesen.5 A war im brigen auch nicht zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklrung verpflichtet, weil diese nur auf Anforderung durch das Finanzamt zu erfolgen hat (§ 31 ErbStG). Damit ist mangels Pflichtverletzung der objektive Tatbestand einer Erbschaftsteuerhinterziehung nicht gegeben.
16.40
Indessen sind die Voraussetzungen der Hinterziehung von KÇrperschaftsteuer zugunsten der Familienstiftung F erfÅllt: Seit dem Jahr 2010 ist die Familienstiftung F wegen des Ortes der Geschftsleitung im Inland (§ 10
16.41
1 Vgl. JÅlicher in T/G/J, § 1 ErbStG Rz. 32 mit dem Hinweis auf die Praxis der Finanzverwaltung, die bei zur Verwaltung berufenenen inlandsansssigen Stiftungsrten von einem inlndischen Ort der Geschftsleitung ausgeht; vgl. FinMin. NRW v. 5.1.1971, DB 1971, 74; ferner FG Niedersachsen v. 12.12.1969, EFG 1970, 316 zur VermÇgensteuer und WerkmÅller, ZEV 1999, 138 ff. (139); im brigen gelten die fÅr den Ort der Geschftsleitung von Kapitalgesellschaften maßgeblichen Gesichtspunkte entsprechend; vgl. Rz. 15.280 ff. 2 Vgl. hierzu JÅlicher in T/G/J, § 1 ErbStG Rz. 33. 3 Meßbacher-HÇnsch in Wilms/Jochum, § 1 ErbStG Rz. 43. 4 JÅlicher in T/G/J, § 30 ErbStG Rz. 10; Ebeling in Kapp/Ebeling, § 30 ErbStG Rz. 2; Meincke16, § 30 ErbStG Rz. 3; Schuck in V/K/S/W, § 30 ErbStG Rz. 10; Ebeling, DStR 1999, 665; a.A. Kien-HÅmbert in Moench/Weinmann, § 30 ErbStG Rz. 3. 5 Vgl. JÅlicher in T/G/J, § 33 ErbStG Rz. 3, 7; Jochum in Wilms/Jochum, § 33 ErbStG Rz. 19; Ebeling, DStR 1999, 665.
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Kapitel 16 Erbschaftsteuerrecht
AO) als sonstige juristische Person des privaten Rechts unbeschrnkt kÇrperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG).1 FÅr die von der Familienstiftung erzielten Kapitalertrge gilt somit im Ausgangspunkt das Welteinkommensprinzip mit der Folge, dass auch die auslndischen Kapitalertrge steuerlich zu erfassen sind. Einschrnkungen ergeben sich auch nicht aufgrund des DBA-Liechtenstein,2 das fÅr Besteuerungszeitrume ab 2013 Geltung hat (Art. 33 Abs. 2 Buchst. b DBA-FL). Da die Familienstiftung aufgrund des Ortes ihrer tatschlichen Geschftsleitung in Deutschland als ansssig gilt (Art. 4 Abs. 3 DBA-FL), bleibt die Besteuerung fÅr Dividenden und Zinsen, unabhngig davon, wo sie erzielt werden, dem deutschen Besteuerungszugriff ausgesetzt, wobei ggf. eine auslndische Steuer zur Anrechnung gebracht werden kann (Art. 10, 11, 21, 23 Abs. 1 Buchst. b DBA-FL).
16.42 Aus den vorgenannten GrÅnden wre A als gesetzlicher Vertreter der Familienstiftung F3 verpflichtet gewesen, KÇrperschaftsteuererklrungen abzugeben (§§ 149 ff. AO, § 31 Abs. 1 KStG). Das gilt allerdings nicht fÅr Zwecke der Gewerbesteuer, weil die Familienstiftung als sonstige juristische Person des privaten Rechts nur vermÇgensverwaltend ttig ist und keinen wirtschaftlichen Geschftsbetrieb unterhlt (§ 2 Abs. 3 GewStG). Ob auch der subjektive Tatbestand der KÇrperschaftsteuerhinterziehung zugunsten der Familienstiftung gegeben ist, erscheint zweifelhaft und wird sich erst aufgrund weiterer Ermittlungen feststellen lassen.
1 Vgl. Graffe in D/P/M, § 1 KStG Rz. 42, 87b; Lambrecht in Gosch2, § 1 KStG Rz. 83, 108; Altendorf in H/H/R, § 1 KStG Rz. 52. 2 V. 17.11.2011, Gesetz v. 5.12.2012 (in Kraft getreten am 19.12.2012), BStBl. I 2013, 488 (507). 3 Stiftungsrte sind gesetzliche Vertreter (§ 34 AO) der Stifung (Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 110 Abs. 1 PGR); vgl. zum Recht in Liechtenstein MÅller/BÇsch in Richter/Wachter, Hdb. des internationalen Stiftungsrechts, 1108 ff.
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Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
A. Allgemeine Hinweise . . . . . . .
Rz. 17.1
B. Typische Problembereiche I. 1. 2. 3. 4.
Ausfuhrlieferungen berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.8 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 17.11 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 17.12 Unentgeltliche Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.16
II. Innergemeinschaftliche Lieferungen
a
1. 2. 3. 4.
berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . Pflichtverletzungen . . . . . . . . . Innergemeinschaftliche Reihengeschfte . . . . . . . . . . . . . . . 5. BetrÅgerische Umsatzsteuerkarusselle . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3.
Rz. 17.22 17.28 17.31
a
17.36 17.41
Einfuhren berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.48 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 17.51 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 17.53
Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum UStG; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 17 Rz. 1 ff., 392 ff.; Hummel, Umsatzsteuerrecht bei Auslandsbeziehungen, in MÇssner u.a., Steuerrecht international ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 18.1 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, 4. Aufl. MÅnchen 2009; Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl. Achim 2012; Reiß, Umsatzsteuerrecht, 12. Aufl. MÅnster 2014; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 17. Aufl. Berlin 2011; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 9.1 ff.; Seer (Hrsg.), Umsatzsteuer im Europischen Binnenmarkt, DStJG 32 (2009); Stadie, Umsatzsteuerrecht, KÇln 2005; Sikorski, Umsatzsteuer im Binnenmarkt, 7. Aufl. Herne 2011; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 967 ff.
A. Allgemeine Hinweise Strafverfahren wegen Pflichtverletzungen im Internationalen Umsatzsteuerrecht werden in der Praxis zumeist von den Finanzmtern und den dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen (§ 387 Abs. 2 AO), dem Bundeszentralamt fÅr Steuern (§ 386 Abs. 1 Satz 2 AO) und der Steuerfahndung (§§ 208 Abs. 1 Nr. 1, 404 AO; § 163 StPO) eingeleitet.1 Im Hinblick darauf, dass PflichtverstÇße im Umsatzsteuerrecht in besonderem Maße zu erheblichen Steuerausfllen fÅhren und im grenzÅberschreitenden Bereich – etwa bei grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen (vgl. hierzu s. Rz. 10.15 ff.; 17.41 ff.) – mitunter ein großer Ermittlungsaufwand erforderlich ist, werden entsprechende Strafsachen seitens der FinanzbehÇrden in aller Regel an die zustndige Staatsanwaltschaft abgegeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO), soweit nicht bereits zuvor die Staats1 FÅr die Einleitung eines Bußgeldverfahrens sind die Finanzmter und die dazu berufenen Straf- und Bußgeldsachenstellen zustndig (§ 409 AO); Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren Rz. 6.4 ff.
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17.1
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
17.2
anwaltschaft die Strafsache an sich gezogen hat (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO; vgl. hierzu Rz. 5.29). Umsatzsteuerrechtliche PflichtverstÇße kommen in der Praxis hufig vor. Das beruht im Wesentlichen auf der Konzeption der Umsatzsteuer als indirekte Verbrauchsteuer.1 Hiernach wird nicht etwa der Endverbraucher, der mit der Umsatzsteuer letztlich belastet ist, sondern der leistende Unternehmer als Steuerschuldner herangezogen. So gesehen fungiert der Unternehmer lediglich als „Steuereinnehmer fÅr Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse“.2 Um diese Indienstnahme der Unternehmer zur Erhebung der Umsatzsteuer3 abzusichern, ist der Unternehmer einem dichten Netz insbesondere von Aufzeichnungs- und Erklrungspflichten ausgesetzt, deren Verletzung ein Steuerstrafverfahren oder Ordnungswidrigkeitenverfahren4 zur Folge haben kann.
17.3 Zu den umsatzsteuerrechtlichen Pflichten gehÇren z.B. – die Verpflichtung, fÅr Lieferungen und sonstige Leistungen Rechnungen mit einem bestimmten Inhalt innerhalb von sechs Monaten nach AusfÅhrung der Leistung auszustellen (§ 14 Abs. 2 UStG), wobei auch elektronische Rechnungen mit Zustimmung des Empfngers zulssig sind (§ 14 Abs. 1 Satz 2 UStG);5 – die Verpflichtung, Doppel von Ausgangsrechnungen sowie alle Eingangsrechnungen zehn Jahre aufzubewahren (§ 14b Abs. 1 Satz 1 UStG), wobei im Falle elektronischer Rechnungen die Lesbarkeit fÅr den gesamten Zeitraum der Aufbewahrung gewhrleistet sein muss (§ 14b Abs. 1 Satz 2 UStG); – Berichtigungspflichten, und zwar hinsichtlich des Vorsteuerabzugs, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur AusfÅhrung von Umstzen verwendet wird, innerhalb von fÅnf Jahren (bei GrundstÅcken zehn Jahre) ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die fÅr den ursprÅnglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhltnisse gendert haben (§ 15a UStG) sowie in den Fllen, in denen sich die Bemessungsgrundlage fÅr einen steuerpflichtigen Umsatz gendert hat (§ 17 UStG); – Aufzeichnungspflichten, und zwar hinsichtlich der fÅr die Berichtigung des Vorsteuerabzugs maßgeblichen Berechnungsgrundlagen (§ 22 Abs. 4 UStG), fÅr Zwecke der Besteuerung von Reiseleistungen (§ 25 Abs. 5 1 Hierzu Stadie2, Vorbem. Rz. 17, 19; Englisch in T/L21, § 17 Rz. 12; Reiß in DStJG 13 (1990), 3 ff. (13). 2 EuGH v. 20.10.1993 – Rs. C-10/92 – Balocchi, EuGHE 1993, I-5105 Rz. 25; EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06 – Netto Supermarkt, UR 2008, 509 Rz. 21. 3 Zur Verfassungsmßigkeit BVerfG v. 16.3.1971 – 1 BvR 52/66 u.a., BVerfGE 30, 392; BVerfG v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380; vgl. auch Stadie2, Vorbem. Rz. 41 ff. 4 Vgl. den berblick Åber die Ordnungswidrigkeitstatbestnde bei Kemper, UR 2014, 673 ff. 5 Eine Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung besteht nicht, wenn der Umsatz nach § 4 Nr. 8–28 UStG steuerfrei ist (§ 14 Abs. 2 Satz 3 UStG).
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A. Allgemeine Hinweise
UStG), in den Fllen, in denen der Leistungsempfnger gem. § 13b UStG Steuerschuldner ist (§ 22 Abs. 2 Nr. 8 UStG), die FÅhrung eines Umsatzsteuerheftes durch Reisegewerbetreibende (§ 22 Abs. 5 UStG), im Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie bei Im- und Exportlieferungen und Lohnveredelungen an Exportwaren (§§ 13, 17c–22 UStDV), bei innergemeinschaftlichen Verbringungsfllen nach § 6a Abs. 2 UStG (§ 22 Abs. 4a UStG) und in Fllen innergemeinschaftlicher Dreiecksgeschfte (§ 25b Abs. 6 UStG); darÅber hinaus sind die allgemeinen in § 22 UStG verankerten Aufzeichnungspflichten und fÅr die steuerbefreite Einfuhr (§ 5 UStG) maßgeblichen zollrechtlichen Aufzeichnungspflichten zu beachten; – Nachweispflichten, und zwar Ausfuhrnachweise (§§ 8–12 UStDV) und Buchnachweis (§ 13 UStDV) sowie Abnehmernachweis im nichtkommerziellen Reiseverkehr (§ 17 UStDV); – Erklrungspflichten, und zwar die Verpflichtung zur Abgabe von monatlichen oder vierteljhrlichen Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1–2a UStG), jhrlicher Umsatzsteuererklrungen (§ 18 Abs. 3 UStG) sowie von zusammenfassenden Meldungen in Fllen innergemeinschaftlicher Warenlieferungen (§ 18a UStG), zur Abgabe gesonderter Erklrungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und bestimmten sonstigen Leistungen (§ 18b UStG) sowie Meldepflichten bei der Lieferung neuer Fahrzeuge (§ 18c UStG). Soweit sich aus der Verletzung der vorgenannten umsatzsteuerrechtlichen Pflichten sowie ggf. auch der Verletzung erhÇhter Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) der Verdacht einer Steuerstraftat (§ 370 AO) oder einer Steuerordnungswidrigkeit (§ 26a UStG) ergibt, ist ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Soweit Pflichtverletzungen im Rahmen einer AußenprÅfung aufgedeckt werden, besteht fÅr den PrÅfer die Verpflichtung, zunchst unverzÅglich die Straf- und Bußgeldsachenstelle zu unterrichten (§ 10 BpO). HierÅber hat ein Einleitungsvermerk der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu erfolgen (§ 397 Abs. 2 AO). Zudem hat der PrÅfer den Steuerpflichtigen darÅber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO).
17.4
Ermittlungsanlsse ergeben sich insbesondere aufgrund eingehender AuskÅnfte aus dem Ausland, wobei etwa SpontanauskÅnfte nach der MwStZVO eine besondere Rolle spielen (hierzu s. Rz. 8.24 ff.). Geht es um eine bandenmßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, § 26c UStG; hierzu s. Rz. 17.47), etwa bei grenzÅberschreitenden Umsatzsteuerkarussellen, kommt es in aller Regel zu einer internationalen Zusammenarbeit der StrafermittlungsbehÇrden, der durch den zwischenstaatlichen Datenaustausch mit dem zwischen EU-Mitgliedstaaten mÇglichen unmittelbaren Datenaustausch (Artt. 17–21 MwSt-ZVO) sowie im Rahmen von Eurofisc (Art. 33 ff. MwSt-ZVO) erleichtert wird (vgl. hierzu s. Rz. 8.24).
17.5
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17.6 In dem hier interessierenden Zusammenhang ist unter strafrechtlichen Gesichtspunkten von Bedeutung insbesondere die unberechtigte Inanspruchnahme der Steuerbefreiung fÅr Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a 6 UStG), innergemeinschaftliche Lieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG), die Lohnveredelung an Gegenstnden der Ausfuhr (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 7 UStG), grenzÅberschreitenden BefÇrderungen (§ 4 Nr. 3 Buchst. a UStG) und bei der Einfuhr (§ 5 UStG) sowie bei sonstigen Leistungen, die sich unmittelbar auf eingefÅhrte Gegenstnde beziehen (§ 4 Nr. 3 Buchst. c UStG). Die hierauf beruhenden unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen und die entsprechenden unrichtigen oder unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklrungen bilden unabhngige Taten im materiellen Sinne (§ 53 StGB), wobei allerdings regelmßig die Strafverfolgung auf die durch die Jahreserklrung bewirkte UmsatzsteuerverkÅrzung beschrnkt und von der Verfolgung der Taten im Zusammenhang mit den Umsatzsteuervoranmeldungen abgesehen wird.1
17.7 DarÅber hinaus geht es vor allem darum, dass aufgrund kollusiven Zusammenwirkens beteiligter Unternehmer ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen wird, obwohl der leistende Unternehmer in der Kette die Umsatzsteuer an das Finanzamt nicht abfÅhrt (zu den sog. Umsatzsteuerkarussellen Rz. 10.15 ff.; 17.41 ff.). Da die bloße Nichtzahlung einer beim Finanzamt angemeldeten aber nicht abgefÅhrten Umsatzsteuer grundstzlich keine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und zudem auch keine leichtfertige SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) darstellt, statuiert § 26b UStG ausnahmsweise eine Ordnungswidrigkeit2 fÅr den Fall, dass jemand vorstzlich die in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer zum Flligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollstndig entrichtet. Der zu weit geratene Tatbestand des § 26b Abs. 1 UStG bedarf einer Einschrnkung in zweifacher Hinsicht: Die (teilweise) Nichtzahlung der in der Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer setzt voraus, dass die Umsatzsteuer zuvor angemeldet wurde, weil die versptete oder gnzlich unterbliebene Anmeldung bereits den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt, sodass andernfalls § 26b Abs. 1 UStG insoweit ohne Bedeutung wre.3 Die Nichtzahlung zum Flligkeitszeitpunkt ist zudem im Hinblick darauf, dass es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, nur dann tatrelevant, wenn der Schuldner zur Zahlung Åberhaupt zumutbar in der Lage war.4 Wird die Schdigung des Umsatzsteueraufkommens gewerbsmßig oder bandenmßig herbeigefÅhrt, ergibt sich aus § 26c UStG ein spezieller Straftatbestand, der damit ausnahmsweise die bloße Nichtzah1 Vgl. BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355; Wulf, Stbg 2014, 64 ff. (65 f.). 2 Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit i.S. des § 377 Abs. 1 AO, fÅr die sich die Verfolgungszustndigkeit der FinanzbehÇrden aus § 409 AO ergibt; vgl. hierzu auch Kemper, UR 2014, 673 (680). 3 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 328; Traub in Wannemacher6, Steuerstrafrecht, § 26b UStG Rz. 1370 f.; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG Rz. 16 m.w.N. 4 Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 337; Traub in Wannemacher6, Steuerstrafrecht, § 26b UStG Rz. 1357; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG Rz. 27 m.w.N.
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B. Typische Problembereiche
lung einer Steuer unter Strafe stellt.1 Wegen der tatbestandlichen VerknÅpfung mit § 26b Abs. 1 UStG gelten die hierzu maßgeblichen Einschrnkungen des Tatbestandes auch fÅr § 26c UStG.
B. Typische Problembereiche I. Ausfuhrlieferungen Literatur: Kommentare zu §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG; Hummel in MÇssner, Steuerecht internationaler ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 13.1 ff.; Huschens, Beleg- und Buchnachweispflichten bei Ausfuhrlieferungen, UVR 2012, 77 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 9.84 ff.; Thoma, Umsatzsteuerliche Ausfuhr, UStB 2006, 221 ff.; Thoma/BÇhm/Kirchhainer, Zoll und Umsatzsteuer, 2. Aufl. 2010, 140 ff.
1. berblick Die Steuerbefreiung fÅr Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG) dient ebenso wie die Steuerbefreiung anderer Exportumstze der Umsetzung des dem UStG zugrunde liegenden Bestimmungslandprinzips.2 Im Hinblick darauf, dass aufgrund der Ausfuhr die Entlastung von deutscher Umsatzsteuer erfolgt,3 erhebt das Bestimmungsland eine entsprechende Einfuhrumsatzsteuer mit dem Ziel, Importwaren auf innerstaatlichem Steuerniveau hochzuschleusen. Dadurch gelangt die Ware nur mit Umsatzsteuer des Bestimmungslandes belastet in die Hand des privaten Endverbrauchers.4
17.8
Voraussetzung fÅr die Steuerbefreiung ist, dass die Ausfuhrlieferung im Inland erbracht wird, der Ort der Lieferung also im Inland liegt. Die Ausfuhrlieferung wird erbracht entweder dadurch, dass der liefernde Unternehmer den Liefergegenstand in das Drittlandsgebiet5 befÇrdert oder versendet, wobei der Abnehmer kein auslndischer Abnehmer sein muss (§ 6
17.9
1 Auch hier geht es um die Bekmpfung von Umsatzsteuerkarussellen; vgl. Bericht des FinanzA zum StVBG, BT-Drucks. 14/7431 zu Nr. 6; zu Einzelheiten Rz. 10.15 ff., 17.41 ff. 2 Stadie2, Vorbem. Rz.2; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 9.74. 3 Dies wird beim Exporteur durch Vorsteuerabzug auf Eingangsumstze gewhrleistet (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG). 4 Husmann in R/D, § 4 Nr. 1 UStG Rz. 4, 8. 5 Ausnahme Freihfen usw. (§ 1 Abs. 3 UStG).
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Abs. 1 Nr. 1 UStG) oder der auslndische Abnehmer1 den Liefergegenstand abholt und in das Drittlandsgebiet2 befÇrdert oder versendet (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG).
17.10 Die Voraussetzungen fÅr die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung mÅssen durch Ausfuhrnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG, §§ 8–11, 17 UStDV) und Buchnachweis (§ 6 Abs. 4 UStG, § 13 UStDV) belegt werden. Soweit die Auslndereigenschaft des Abnehmers maßgeblich ist, muss auch hierfÅr der Nachweis erbracht werden. Sowohl Ausfuhrnachweis als auch Buchnachweis sind nicht materiell-rechtliche Voraussetzung fÅr die Steuerfreiheit.3 Steht fest, dass die Voraussetzungen des § 6 UStG vorliegen, bedarf es keines formalisierten Nachweises mehr.4 2. Pflichtenkreis
17.11 Die Ausfuhr ist seitens des Unternehmers durch entsprechende Belege nachzuweisen (§ 6 Abs. 4 UStG, §§ 8–11 UStDV). DarÅber hinaus ist auch ein Buchnachweis erforderlich (§ 6 Abs. 4 UStG, § 13 UStDV). Der zu erbringende Ausfuhrnachweis richtet sich danach, ob die Ausfuhrlieferung durch BefÇrderung oder durch Versendung erfolgt. In BefÇrderungsfllen ergeben sich die Anforderungen an den Ausfuhrnachweis im Einzelnen aus § 9 UStDV. Hiernach wird der Nachweis entweder durch eine Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStDV) oder durch einen Beleg erbracht, der Name und Anschrift des liefernden Unternehmers, die Menge des ausgefÅhrten Gegenstandes, die handelsÅbliche Bezeichnung, Ort und Tag der Ausfuhr und zudem eine Ausfuhrbesttigung der Grenzzollstelle enthlt (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV). Anstelle dieser Ausfuhrbesttigung kÇnnen auch Erleichterungen in Anspruch genommen werden (§ 9 Abs. 3 UStDV).5 In Versendungsfllen hat der Unternehmer den Ausfuhrnachweis entweder durch 1 Auslndischer Abnehmer ist ein Abnehmer mit Wohnort oder Sitz im Ausland, also auch in der EU nicht aber in Freihfen usw. oder eine auslndische Zweigniederlassung eines inlndischen oder in einem Freihafen ansssigen Unternehmers (§ 6 Abs. 2 UStG). 2 Ausgenommen Gebiete nach § 1 Abs. 3 UStG. 3 EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06 – Netto Supermarkt, UR 2008, 508; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; BFH v. 28.2.2009 – V R 23/08, BFH/NV 2009, 1565; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, UR 2010, 416 Rz. 13; BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, wistra 2009, 475. 4 Steht aufgrund der objektiven Beweislage nicht fest, dass die materiellen Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung vorliegen, etwa bei geflschtem Ausfuhrnachweis, kommt ein Erlass aus BilligkeitsgrÅnden in Betracht, wenn der liefernde Unternehmer alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm gettigten Umstze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung fÅhren; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656; BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, BFH/NV 2010, 1141; A 6.5 Abs. 6 UStAE. 5 Zu Einzelheiten A 6.6 UStAE.
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B. Typische Problembereiche
eine Ausfuhranmeldung im elektronischen Ausfuhrverfahren oder durch andere Ausfuhranmeldungen zu erbringen, die den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV entsprechen.1 Der Ausfuhrnachweis bei Ausfuhrlieferungen in Be- und Verarbeitungsfllen und bei Lohnveredelungen an Gegenstnden der Ausfuhr sind in den §§ 11 und 12 UStDV geregelt. Der Åber den vorgenannten Ausfuhrnachweis hinaus erforderliche buchmßige Nachweis beinhaltet, dass in der BuchfÅhrung insbesondere Menge des Gegenstands der Lieferung, Name und Anschrift des Abnehmers oder Auftraggebers, der Tag der Lieferung, das vereinbarte Entgelt sowie der Tag der Ausfuhr aufzuzeichnen sind (§ 13 UStDV).2 FÅr Ausfuhrlieferungen im nicht kommerziellen Reiseverkehr verlangt § 17 UStDV insbesondere einen Abnehmernachweis (Name und Anschrift des Abnehmers) sowie eine Besttigung der Grenzzollstelle eines Mitgliedstaates darÅber, dass der Gegenstand in das Drittlandsgebiet verbracht worden ist.3 3. Pflichtverletzungen Wird der fÅr die Steuerbefreiung gem. § 6 UStG erforderliche Ausfuhroder Buchnachweis nicht erbracht, kann die Steuerbefreiung fÅr Ausfuhrlieferungen nicht in Anspruch genommen werden, soweit die erforderlichen Nachweise nicht anderweitig erbracht werden kÇnnen. Damit sind die von den §§ 8–11, 13 und 17 UStDV geforderten Nachweise nicht materiell-rechtliche Vorausetzungen der Steuerbefreiung.4 Der fehlende materiell-rechtliche Charakter der geforderten Nachweise hat auch steuerstrafrechtliche Konsequenzen.
17.12
Beispiel: A betreibt in der Bundesrepublik Deutschland den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen. Im Jahr 2010 verußert er mehrere Gebrauchtfahrzeuge an den in Kiew (Ukraine) ansssigen Kfz-Hndler X. Die Kraftfahrzeuge werden von X durch einen eigenen Tieflader bei A abgeholt. Im Rahmen der im Jahr 2011 durchgefÅhrten Umsatzsteuer-SonderprÅfung wird festgestellt, dass A, der fÅr die Kfz-Lieferung an den X die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1, 6 UStG in Anspruch genommen hat, keine Ausfuhrbesttigung der den Ausgang der Kraftfahrzeuge aus dem Gemeinschaftsgebiet Åberwachenden Grenzzollstelle in Hnden hlt. Dementsprechend wird die Steuerbefreiung versagt und der bereits ergangene Umsatzsteuerbescheid fÅr das Jahr 2010 entsprechend gendert. Zugleich ist gegen A wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens legt A eine von ihm von X geforderte Besttigung vor, wonach die gelieferten Fahrzeuge tatschlich in die Ukraine gelangt und dort auch zugelassen sind.
17.13
1 Zu Einzelheiten A 6.7 UStAE. 2 Verbuchung auf einem separaten Konto reicht aus; vgl. BFH v. 28.8.2014 – V R 16/14, DStR 2014, 2124. 3 A 6.11 UStAE. 4 BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517; BFH v. 19.11.2009 – V R 8/09, BFH/NV 2010, 1141.
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Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
17.14 Im Hinblick auf den fehlenden materiell-rechtlichen Charakter der gem. § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8–17 UStDV beizubringenden Nachweise ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) nicht schon deshalb gegeben, weil die Nachweise nicht in der geforderten Form vorgelegt worden sind.1 Auch wenn die Nachweispflichten nicht erfÅllt worden sind, bleiben Ausfuhrlieferungen steuerfrei, wenn „aufgrund der objektiven Beweislage feststeht“, dass die Voraussetzungen der Ausfuhrlieferungen vorliegen.2 Sollten also die weiteren Ermittlungen ergeben, dass X auslndischer Abnehmer ist und tatschlich Kraftfahrzeuge in die Ukraine befÇrdert hat, sind die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) erfÅllt.3 In diesem Fall ist sodann das gegen A eingeleitete Ermittlungsverfahren einzustellen.
17.15 Selbst wenn die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung nicht gegeben sind, kann die Steuerbefreiung unter Umstnden gleichwohl in Anspruch genommen werden. Das gilt insbesondere in den Fllen, in denen vom Abnehmer geflschte Ausfuhrbelege vorgelegt werden und der liefernde Unternehmer die Flschung der Ausfuhrnachweise auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen kÇnnen.4 Ob die Grundstze des Vertrauensschutzes die Gewhrung der Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer Ausfuhrlieferung nicht erfÅllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren entschieden werden.5 Hat der liefernde Unternehmer hierbei alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die von ihm gettigten Umstze nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung fÅhren, ist das Verwaltungsermessen hinsichtlich der Gewhrung einer Billigkeitsmaßnahme auf null reduziert.6 4. Unentgeltliche Ausfuhrlieferungen
17.16 Die Steuerbefreiung fÅr Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG) gilt nicht fÅr Lieferungen i.S. von § 3 Abs. 1b UStG (§ 6 Abs. 5 UStG). Angesprochen sind damit die Entnahme und die unentgeltliche Lieferung von Gegenstnden (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 und 3 UStG). Es handelt sich hierbei um eine Fiktion, die allerdings nur dann eingreift, wenn der entnommene oder zugewendete Gegenstand oder dessen Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG). Ist das nicht der Fall, etwa beim Erwerb des unternehmerisch ge1 BGH v. 19.8.2009 – 1 StR 206/09, wistra 2009, 475. 2 BFH v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517. 3 Auf die formellen Anforderungen insbesondere des § 9 UStDV kommt es also insoweit nicht an. 4 BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; FG Berlin-Brandenburg v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13, DStRE 2014, 364. 5 BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; A 6.5 Abs. 6 UStAE; zur Kritik hieran Stapperfend, UR 2013, 321 ff. (326). 6 BFH v. 30.7.2008 – V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; A 6.5 Abs. 6 UStAE.
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B. Typische Problembereiche
nutzten Gegenstandes von einer Privatperson, unterliegt die nachfolgende Ausfuhrlieferung dieses Gegenstandes nicht dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1b UStG mit der Folge, dass die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG in Betracht kommt.1 Handelt es sich dagegen um vorsteuerentlastete Gegenstnde, wird die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG nur dann versagt, wenn es sich um eine Entnahme oder um eine unentgeltliche Lieferung handelt (§ 6 Abs. 5 UStG).2 In der Praxis hat die Regelung des § 6 Abs. 5 UStG Bedeutung in den Fllen, in denen zwischen nahestehenden Personen grenzÅberschreitend Liefergegenstnde unentgeltlich zugewendet werden. In ertragsteuerlicher Hinsicht handelt es sich hierbei entweder um verdeckte GewinnausschÅttungen, etwa bei der unentgeltlichen Lieferung von WirtschaftsgÅtern der inlndischen Tochter- an die auslndische Muttergesellschaft, oder um verdeckte Einlagen, etwa bei der Lieferung von WirtschaftsgÅtern seitens der inlndischen Muttergesellschaft an die auslndische Tochtergesellschaft (vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 13.191 ff.; 13.197 ff.). In beiden Fllen kommt es zu EinkÅnftekorrekturen, die steuerstrafrechtlich von Relevanz sind (hierzu im Einzelnen Rz. 15.124 ff.). Das bedeutet, dass sodann nicht nur eine VerkÅrzung von KÇrperschaft- und Gewerbesteuer, sondern auch eine solche von Umsatzsteuer in Betracht kommt.
17.17
Beispiel: Die inlndische Tochtergesellschaft T liefert vorsteuerentlastete Waren an die in der Schweiz ansssige Muttergesellschaft M, ohne hierfÅr ein Entgelt in Rechnung zu stellen. Die unentgeltlich gelieferten Waren hat T zuvor von dritter Seite erworben. Der diesbezÅgliche Einkaufspreis gilt unverndert auch zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Lieferung an M. Der Drittfremdpreis liegt auf der entsprechenden Handelsstufe 10 % darÅber. Der GeschftsfÅhrer der T hat die unentgeltlichen Lieferungen an M in der von ihm abgegebenen KÇrperschaftsteuererklrung der T nicht erfasst und in der Umsatzsteuererklrung fÅr das betreffende Jahr als steuerfreie Ausfuhrlieferungen ausgewiesen. Im Rahmen einer bei T durchgefÅhrten AußenprÅfung wird der vorstehende Sachverhalt aufgedeckt und in der Folge ein Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen GeschftsfÅhrer eingeleitet.
17.18
In ertragsteuerlicher Hinsicht (KÇrperschaft- und Gewerbesteuer) handelt es sich um eine verdeckte GewinnausschÅttung der T gegenÅber M mit der Folge einer GewinnerhÇhung in HÇhe des Drittfremdpreises (zu Einzelheiten s. Rz. 13.191 ff.). Dieser Vorgang htte von dem verantwortlichen GeschftsfÅhrer in der KÇrperschaftsteuererklrung entsprechend ausgewiesen und in der Gewerbesteuererklrung nachvollzogen werden mÅssen. Da dies nicht geschehen ist, liegt insoweit der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. In umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht sind steuerbare unentgeltliche Lieferungen gegeben (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1; 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG). Trotz der Ausfuhr in die Schweiz als Drittland
17.19
1 Theler in R/D, § 6 UStG Rz. 779. 2 Bei unentgeltliche Lieferungen an Dritte widerspricht diese Rechtsfolge allerdings dem Bestimmungslandprinzip; Theler in R/D, § 6 UStG Rz. 781; Stadie2, § 6 UStG Rz. 45.
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ist eine steuerfreie Ausfuhrlieferung gem. § 6 Abs. 5 UStG ausgeschlossen. Bemessungsgrundlage ist der Einkaufspreis zuzÅglich der Nebenkosten zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Lieferung (§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Das bedeutet letztlich, dass Bemessungsgrundlage der Wiederbeschaffungspreis ist.1
17.20 Da der verantwortliche GeschftsfÅhrer in der Umsatzsteuererklrung der T die unentgeltlichen Lieferungen an M als steuerfreie Ausfuhrlieferungen behandelt hat, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung auch insoweit erfÅllt. Nach Lage der Dinge ist auch der subjektive Tatbestand gegeben, sodass sich der verantwortliche GeschftsfÅhrer wegen Hinterziehung von KÇrperschaft- und Gewerbesteuer sowie von Umsatzsteuer strafbar gemacht hat (§ 370 AO).2
17.21 Erfolgen die Lieferungen demgegenÅber zu einem unangemessen niedrigen Entgelt, handelt es sich nicht um unentgeltliche Lieferungen3 mit der Folge, dass ein steuerbarer Umsatz gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegeben ist, fÅr den die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG in Anspruch genommen werden kann. Die Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 UStG) kommt nicht in Betracht, weil es sich insoweit um einen steuerfreien Umsatz handelt.4 Hieraus folgt, dass in den Fllen, in denen in ertragsteuerlicher Hinsicht fÅr die Lieferung von Waren ein unangemessen niedriges Entgelt verlangt wird, eine Umsatzsteuerhinterziehung von vornherein ausscheidet.
II. Innergemeinschaftliche Lieferungen Literatur: Kommentare zu §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG; Becker, Erfordernis eines allgemeinen Gutglaubensschutzes im Umsatzsteuerrecht, UR 2009, 664 ff.; BÅlte, USt-Hinterziehung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, DB 2011, 442 ff.; BÅrger, Innergemeinschaftliche Lieferungen im Reihengeschft, UR 2012, 941 ff.; BÅrger/ Paul, Steine statt Brot: Die Entscheidung des EuGH v. 7.12.2010 zur Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen, BB 2011, 540 ff.; Danzer, Bekmpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschften, Hamburg, 2008; DrÅen, Zum Gutglaubensschutz im Umsatzsteuerrecht, DB 2010, 1847 ff.; Eder, Die Einbindung vorsatzloser Dritter in ein Umsatzsteuerkarussell, NZWiSt 2014, 90 ff.; Englisch, Nachweispflichten und Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, UR 2008, 481 ff.; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 17 Rz. 408 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, BMF-Schreiben zu innergemein1 A 10.6 Abs. 1 Satz 2 UStAE; damit weicht die umsatzsteuerliche von der kÇrperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage ab. 2 Zwischen KÇrperschaft- und Gewerbesteuer liegt Tateinheit und in Bezug auf die Umsatzsteuer Tatmehrheit vor; hierzu Joecks in F/G/J7, § 370 AO Rz. 306 f. 3 Anders bei einem bloß symbolischen Preis; vgl. EuGH v. 20.1.2005 – Rs. C-412/03 – Hotel Scandic, EuGHE 2005, I-743 4 Theler in R/D, § 6 UStG Rz. 782.
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B. Typische Problembereiche schaftlichen Lieferungen, UR 2010, 285 ff.; Gehm, Das Umsatzsteuer-Karussellgeschft im Licht der aktuellen Rechtsprechung, NWB 2012, 3237 ff.; Hoink/ Adick, Innergemeinschaftliche Lieferungen – EuGH besttigt Rechtsansicht des BGH, PStR 2011, 37 ff.; Hummel in MÇssner, Besteuerung internationale ttiger Unternehmen, 4. Aufl. KÇln 2012, Rz. 13.1 ff.; Hummel, Umgang mit „betrugsbehafteten“ Umstzen im Umsatzsteuerrecht, UR 2014, 256 ff.; Huschens, Steuerbefreiung fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen: Stand der Diskussion nach dem BMF vom 5.5.2010, UVR 2010, 205 ff.; Huschens, Umsatzsteuerliche Karussellgeschfte und deren Auswirkungen, SteuK 2012, 479 ff.; Huschens, Neuregelung der Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen ab 1.1.2013, NWB 2013, 1394; Korf, Umsatzsteuer: Zum Vorsteuerabzug bei Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat, IStR 2011, 30 ff.; Langer/Hammerl, Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, NWB 2012, 4046 ff.; Langer/ Hammerl, Gelangensbesttigung wird auch kÅnftig nicht einzig mÇglicher Belegnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sein, DStR 2013, 1068 ff.; Meurer, Die bewegte Lieferung im Reihengeschft, DStR 2011, 199 ff.; MÇhlenkamp/Masuch, Innergemeinschaftliche Reihengeschfte in der Europischen Union, UR 2009, 268 ff.; Nieskens, Intra-community supplies in FS Schaumburg, KÇln 2009, 1147 ff.; Pahne, Dem Umsatzsteuerbetrug hinterherlaufen, UR 2011, 247 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 9.86 ff.; Schießl, Konkretisierung der Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, StuB 2013, 330 ff.; Stapperfend, Schutz des guten Glaubens im Umsatzsteuerrecht, UR 2013, 321 ff.; Sterzinger, Befreiung der aufeinanderfolgenden Lieferungen derselben Gegenstnde innerhalb der Union bei einer einzigen innergemeinschaftlichen Versendung oder BefÇrderung, UR 2011, 269 ff.; Sterzinger, Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung trotz Fehlens der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers?, UR 2013, 45 ff.; von Streit, Innergemeinschaftliches Reihengeschft – Neues vom EuGH?, UStB 2013, 47 ff.; Thietz-Bartram, Die dolosen Gesamtschuldner in der USt-Kette bzw. im USt-Karussell, DB 2013, 418 ff.; Walter/Lohse/DÅrer, Innergemeinschaftliche Lieferung und Mehrwertsteuerhinterziehung in Deutschland und im EU-Ausland, wistra 2012, 125 ff.; Wulf/Alvermann, Umsatzsteuer fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen als Sanktion fÅr missbruchliches Verhalten?, DB 2011, 731 ff.
1. berblick Ebenso wie bei Ausfuhrlieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. a, 6 UStG) ist auch die Steuerbefreiung fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen darauf gerichtet, das Bestimmungslandprinzip umzusetzen.1 Das Bestimmungslandprinzip wird technisch dadurch gewhrleistet, dass einerseits die innergemeinschaftliche Lieferung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 UStG bei uneingeschrnktem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG) steuerbefreit ist und andererseits im anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland) hierzu korrespondierend als innergemeinschaftlicher Erwerb2 der Umsatzsteuer unterworfen wird. Dieses Korrespondenzprinzip3 bedeu1 Stadie2, § 6a UStG Rz. 2; Schaumburg, Internationales Steuerrecht3, Rz. 9.74. 2 Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwSt-SystemRL 3 Nach EuGH v. 18.11.2010 – Rs. C-84/09-X, UR 2011, 103 Rz. 28 sind innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang.
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17.22
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tet allerdings nicht, dass der innergemeinschaftliche Erwerb im EU-Ausland tatschlich besteuert wird.1 Erforderlich ist lediglich die Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Erwerbs (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG).2
17.23 Die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 UStG, die nur in Betracht kommt, wenn die betreffende Lieferung wegen des Orts der Lieferung im Inland Åberhaupt steuerbar ist,3 setzt voraus, – die BefÇrderung oder Versendung des Liefergegenstandes in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet (§ 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG) – an einen Abnehmer, der den Gegenstand entweder als Unternehmer4 fÅr sein Unternehmen oder als juristische Person fÅr den nichtunternehmerischen Bereich oder ein neues Fahrzeug erworben hat (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 UStG), – wenn der Gegenstand der Lieferung bei ihm in einem anderen Mitgliedstaat der Erwerbsteuer unterliegt (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG).
17.24 Wer den Liefergegenstand in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet befÇrdert oder versendet, spielt keine Rolle. Der Abnehmer muss auch nicht im Gemeinschaftsgebiet ansssig sein.5 Daher kann eine Lieferung an inlndische Abnehmer als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein, wenn der Liefergegenstand etwa zu einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebssttte des Abnehmers gelangt.6 Die in diesem Zusammenhang bedeutsamen Nachweispflichten (§§ 17a–17c UStDV) haben keine materiell-rechtliche Bedeutung.7 Gibt daher der Abnehmer seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer an, kann, sofern sich keine Zweifel aufdrngen, davon ausgegangen werden, dass der Gegenstand fÅr unternehmerische Zwecke erworben wird und in einem anderen Mitgliedstaat der Besteuerung unterliegt (§ 6a Abs. 4 UStG).8 Die Inanspruchnahme des 1 2 3 4
5 6 7
8
EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos u.a., EuGHE 2007, I-7797 Rz. 69 ff. BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/09, BFH/NV 2009, 1567. Stadie2, § 6a UStG Rz. 8. Die ordnungsgemße ErfÅllung von Steuererklrungspflichten (im anderen Mitgliedstaat) ist hierbei kein Tatbestandsmerkmal der Unternehmereigenschaft; vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004. Husmann in R/D, § 6a UStG Rz. 23; Stadie2 § 6a UStG Rz. 10. Langer in R/K/L, § 6a UStG Rz. 30; Leonard in Bunjes13, § 6a UStG Rz. 16; Widmann, UR 1992, 249 (261). EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, BStBl. II 2009, 70; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, BStBl. II 2009, 79; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-184/05 – Twoh, BStBl. II 2009, 83; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656; BMF v. 6.1.2009, BStBl. I 2009, 60; ausfÅhrlich hierzu Englisch, UR 2008, 481 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, UR 2010, 285 ff. Vgl. die RegierungsbegrÅndung zu § 6a UStG, BT-Drucks. 12/2463, 30; Husmann in R/D, § 6a UStG Rz. 96; WeymÅller in S/R, § 6a UStG Rz. 6.
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B. Typische Problembereiche
Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 UStG setzt voraus, dass die bestehenden Nachweispflichten formell vollstndig erbracht sind und der Lieferer hierbei im guten Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernÅnftigerweise verlangt werden kÇnnen, um sicherzustellen, dass der von ihm gettigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung fÅhrt.1 Damit kann die Steuerbefreiung im Ergebnis in Anspruch genommen werden, wenn eine innergemeinschaftliche Lieferung tatschlich vorliegt und der Unternehmer alle Nachweispflichten erfÅllt hat oder wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfÅllt und oder dem Unternehmer trotz Nichtvorliegens einer innergemeinschaftlichen Lieferung Vertrauensschutz zu gewhren ist.2 Dass die innergemeinschaftliche Lieferung von neuen Fahrzeugen auch an private Letztverbraucher steuerfrei ist, beruht darauf, dass dieser Personenkreis beim Erwerb zur Besteuerung herangezogen wird (vgl. § 1b Abs. 1 UStG). Eine etwaige Be- oder Verarbeitung des Liefergegenstandes vor dessen BefÇrderung oder Versendung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet ist unschdlich (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG). Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gem. § 6a Abs. 2 UStG auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet (§ 3 Abs. 1a UStG). Es handelt sich hierbei um das grenzÅberschreitende unternehmensinterne Verbringen von Gegenstnden. Mit der vorgenannten Vorschrift, die zu einer Entlastung von Umsatzsteuer fÅhrt, korrespondiert § 1a Abs. 2 UStG (Erwerbsteuer), sodass die Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt ist.3
17.25
Im Rahmen eines Reihengeschfts (§ 3 Abs. 6 UStG), bei dem die Warenbewegung im Inland beginnt und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaat endet, kann mit der BefÇrderung oder Versendung des Liefergegenstandes in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet stets nur eine einzige innergemeinschaftliche Lieferung i.S. des § 6a UStG bewirkt werden (fÅr die sog. bewegte Lieferung bzw. Transportlieferung s. Rz. 17.38). Die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 UStG kommt somit nur bei der BefÇrderungs- oder Versendungslieferung zur Anwendung.4
17.26
In strafrechtlicher Hinsicht ergibt sich im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen die Besonderheit, dass der deutsche Lieferant etwa bei Verschleierung der Identitt des Erwerbers eine Steuerhinterziehung sowohl deutscher Umsatzsteuer als auch der Umsatzsteuer im Bestimmungsland begehen kann (§ 370 Abs. 6 AO; hierzu s. Rz. 17.35).
17.27
1 BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656 unter Hinweis auf EuGH v. 29.7.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, EuGH 2007, I-7797, 3. Leitsatz und EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-273/11 – Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 Rz. 48 ff. 2 BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, DStR 2013, 1278. 3 Husmann in R/D, § 6a UStG Rz. 73; Stadie2, § 6a UStG Rz. 35; die Finanzverwaltung fordert den Nachweis der Erwerbsbesteuerung, vgl. BMF v. 6.1.2009, BStBl. I 2009, 60 Rz. 19; vgl. im brigen BMF v. 5.5.2010, DB 2010, 1097 m.w.N. 4 Zu Einzelheiten A 3.14 Abs. 13 UStAE.
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2. Pflichtenkreis
17.28 Die entsprechenden fÅr die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen maßgeblichen Voraussetzungen mÅssen vom liefernden Unternehmer nachgewiesen werden (§ 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a–17c UStDV). Die Nachweise sind allerdings keine materiell-rechtlichen Voraussetzungen fÅr die Steuerfreiheit. Ist daher erwiesen, dass der Gegenstand in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist und der Abnehmer den innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern hat, ist dem Lieferer die Steuerbefreiung zu gewhren.1
17.29 Folgende Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sind von Bedeutung2 – Gelangensbesttigung (§ 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV) in den Fllen, in denen der Unternehmer oder Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet befÇrdert oder versendet hat, wobei die Gelangensbesttigung entweder die Unterschrift des Abnehmers, eines von dem Abnehmer zur Abnahme des Liefergegenstandes Beauftragten oder von einem zur Vertretung des Abnehmers Berechtigten enthalten muss, es sei denn, die Gelangensbesttigung wird elektronisch Åbermittelt,3 – Frachtbrief oder Konnossement in den Fllen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV), – Spediteurbescheinigung in den Fllen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b UStDV), – Versendungsprotokoll eines Kurierdienstleisters in den Fllen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c UStDV), 1 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, BStBl. II 2009, 70; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, BStBl. II 2009, 79; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-184/05 – Twoh, BStBl. II 2009, 83; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49; BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2009, 57; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407; BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656; BMF v. 6.1.2009, BStBl. I 2009, 60; ausfÅhrlich hierzu Englisch, UR 2008, 481 ff.; Englisch/Becker/Kurzenberger, UR 2010, 285 ff. 2 Rechtslage aufgrund der 11. VO zur nderung der USt-DV v. 25.3.2013, BGBl. I 2013, 602 mit Wirkung fÅr alle nach dem 30.9.2013 ausgefÅhrten innergemeinschaftlichen Lieferungen. 3 Die Gelangensbesttigung ist im Abholfall zu weitgehend, weil vom Steuerpflichtigen nicht der Nachweis gefordert werden kann, dass der Liefergegenstand den Mitgliedstaat tatschlich verlassen hat; vgl. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-273/11 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 Rz. 56 ff.; zur Gelangensbesttigung im Einzelnen Langer/Hammerl, DStR 2013, 1068 ff.
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B. Typische Problembereiche
– Empfangsbescheinigung eines Postdienstleisters in den Fllen von Postsendungen, in denen der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das Åbrige Gemeinschaftsgebiet versendet hat und in denen eine BelegnachweisfÅhrung mithilfe eines Kurierdienstleisters nicht mÇglich ist (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b UStDV), – Spediteurversicherung in den Fllen, in denen die Versendung des Gegenstandes durch einen vom Abnehmer beauftragten Spediteur erfolgt (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 UStDV), – Besttigung der Abgangsstelle in BefÇrderungsfllen im gemeinschaftlichen Versandverfahren (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UStDV), – EMCS-Eingangsmeldung bei der Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung und Verwendung des IT-Verfahrens EMCS1 (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a UStDV, – dritte Ausfertigung des vereinfachten Begleitdokuments bei Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, des steuerrechtlich freien Verkehrs in BefÇrderungsfllen (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b UStDV), – Zulassungsnachweis bei Lieferung von Fahrzeugen, die durch den Abnehmer befÇrdert werden (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 UStDV). ber die vorgenannten Belegnachweise hinaus, fÅr die § 17b UStDV bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Bearbeitungs- und Verarbeitungsfllen eine Ergnzung enthlt, ist Voraussetzung fÅr die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung der buchmßige Nachweis,2 wonach u.a. die fÅr die Steuerbefreiung maßgeblichen Voraussetzungen eindeutig und leicht nachprÅfbar aus der BuchfÅhrung ersichtlich sein mÅssen (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV). DiesbezÅglich enthlt § 17c Abs. 2–4 UStDV detaillierte Aufzeichnungspflichten.
17.30
3. Pflichtverletzungen Im Hinblick darauf, dass der liefernde Unternehmer die Beweislast fÅr das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung trgt,3 scheitert die 1 Excise Movement and Control System. 2 Hierzu gehÇrt auch die Aufzeichnung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers; vgl. EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-273/11 – Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 Rz. 60 und EuGH v. 27.9.2012 – Rs. C-587/10 – VSTR, UR 2012, 832, wonach eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer entbehrlich ist, wenn der Nachweis gelingt, dass der Erwerb der Ware im Åbrigen Gemeinschaftsgebiet der Erwerbsbesteuerung unterliegt; hierzu Sterzinger, UR 2013, 45 ff.; Langer/ Hammerl, NWB 2012, 4046 ff. 3 Die Urteile des EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-180/11 und C 142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591, dazu, dass bloße Zweifel der FinanzbehÇrden nicht ausreichen, dem Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug zu verwehren und es vielmehr den FinanzbehÇrden obliegt, die objektiven Umstnde nachzuweisen, aus denen sich ergibt, dass der Unternehmer wusste oder htte wissen mÅssen, dass der von ihm bezogene Eingangsumsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war, gelten nicht fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen (EuGH v. 27.9.2012 – Rs. C-587/10 – VSTR, UR 2012, 882; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596 Rz. 54).
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17.31
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
Steuerbefreiung, wenn entsprechende Nachweise nicht erbracht werden. Da die in den §§ 17a–c UStDV verankerten Beleg- und Buchnachweise keinen materiell-rechtlichen Charakter haben,1 kann der Nachweis auch auf andere Art erbracht werden.2 Er erÅbrigt sich, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, etwa aufgrund eigener Feststellungen der FinanzbehÇrden, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfÅllt sind.3 Das Recht, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen4, besteht allerdings nicht, wenn etwa Åber die Identitt des Abnehmers getuscht werden sollte.5
17.32 Beispiel: A ist ansssig in Deutschland und betreibt hier eine Werft fÅr Sportboote.6 Er schließt mit der in Irland domizilierenden X-Inc. einen Kaufvertrag Åber die Lieferung einer Motorjacht ab. Die Motorjacht wird bestimmungsgemß von Deutschland aus von dem FrachtfÅhrer B nach Marbella (Spanien) befÇrdert und dort einer Person Åbergeben, die als Beauftragte der X-Inc. auftritt. In der betreffenden Umsatzsteuervoranmeldung sowie in seiner zusammenfassenden Meldung behandelt A die Lieferung an die X-Inc. als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung. Im Zuge der daraufhin bei A stattfindenden Umsatzsteuer-SonderprÅfung legt A Åber die vorgenannte Lieferung eine Rechnung vor, die keine Umsatzsteuer ausweist und auch sonst keine Hinweise auf die innergemeinschaftliche Lieferung enthlt. Ferner legt A einen Frachtbrief vor, bei dem Ort und Tag der Versendung des Sportbootes nicht aufgefÅhrt und der zudem eine nicht leserliche Unterschrift enthlt. Nachdem A auf Befragung die Auskunft darÅber verweigert, mit welcher natÅrlichen Person er die Verhandlungen Åber den Verkauf des Sportbootes gefÅhrt hat, und die Finanzverwaltung Åber das Bundeszentralamt fÅr Steuern (BZSt) feststellt, dass die X-Inc. eine inaktive Gesellschaft ist, erfolgt bei A seitens der zustn1 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, BStBl. II 2009, 70; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Colle, BStBl. II 2009, 79; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-184/05 – Twoh, BStBl. II 2009, 83; BFH v. 8.11.2007 – V R 26/05, BStBl. II 2009, 49 (52, 55); BFH v. 6.12.2007 – V R 59/03, BStBl. II 2007, 57; BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407; BFH v. 25.4.2013 – VR 28/11, BStBl. II 2013, 656; BMF v. 6.1.2009, BStBl. I 2009, 60. 2 Vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004; BFH v. 14.12.2011 – XI R 33/10, BFH/NV 2012, 1009; BFH v. 28.2.2014 – V R 16/14, DStR 2014, 2124. 3 BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 5011; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, DStR 2013, 753 Rz. 22. 4 BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188. 5 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09-R, UR 2011, 15 Rz. 52; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 11.8.2011 – V R 50/09, BStBl. II. 2012, 151; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2012, 145; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596 Rz. 55; Abschn. 6a, 2 Abs. 3 Satz 7 UStAE; zur Kritik an diesem Sanktionscharakter BÅlte, DB 2011, 442 ff.; Hoink/Adick, PStR 2011, 37; Korf, IStR 2011, 30 ff.; BÅrger/Paul, BB 2011, 540 ff. 6 Vgl. zum Sachverhalt BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596.
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B. Typische Problembereiche digen Steuerfahndungsstelle eine Durchsuchung, in deren Rahmen Unterlagen festgestellt werden, aus denen sich ergibt, dass A mit B kollusiv zusammengewirkt und die von ihm eingeschaltete X-Inc. als Abnehmerin akzeptiert hat, um eine Erwerbsbesteuerung des B in Spanien zu verhindern. Die Vernehmung des FrachtfÅhrers B ergibt allerdings, dass das Sportboot tatschlich in Marbella (Spanien) Åbergeben worden ist. Zugleich wird aufgrund eines Auskunftsersuchens von der spanischen Finanzverwaltung festgestellt, dass seitens der X-Inc. in Spanien eine Erwerbsteuer weder angemeldet noch abgefÅhrt wurde.
Die Lieferung des A an die X-Inc. ist nicht gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, weil die hierfÅr maßgeblichen Voraussetzungen von A nicht nachgewiesen wurden. So fehlt der gem. § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV erforderliche Nachweis durch Vorlage eines Doppels einer (ordnungsgemßen) Rechnung (§ 14 UStG). Denn die Rechnung enthlt keinen Hinweis auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung; der bloße Nichtausweis einer Umsatzsteuer reicht nicht aus.1 DarÅber hinaus liegt auch kein ordnungsgemßer Versendungsbeleg (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStDV) vor. So fehlen nicht nur die erforderlichen Angaben zu Ort und Tag der Versendung, sondern auch eine auf die Identitt des Abnehmers hinweisende Unterschrift.2 Zwar erÇffnet sich fÅr A grundstzlich die MÇglichkeit, die Voraussetzungen der Steuerfreiheit objektiv nachzuweisen, das gilt aber nicht in den Fllen, in denen die Identitt des Abnehmers verschleiert wird.3 Diese Einschrnkung beruht auf § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, wonach Voraussetzung fÅr die Steuerbefreiung ist, dass der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt. Mit der Steuerbefreiung soll also eine korrespondierende Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt werden.4 Dieses Korrespondenzprinzip verlangt zwar nicht, dass im Bestimmungsland tatschlich eine Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb erhoben wird,5 Voraussetzung ist aber, dass aufgrund der zutreffenden Angaben des leistenden Unternehmers die Person des Abnehmers bekannt ist, damit dieser im Bestimmungsland als Steuerschuldner erfasst werden kann.6 1 BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 15.2.2012 – XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596 Rz. 44. 2 Vgl. BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596 Rz. 49. 3 EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-258/09-R, UR 2011, 15; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 46/10, BStBl. II 2011, 957; BFH v. 11.8.2011 – V R 50/09, BStBl. II. 2012, 151; BFH v. 11.8.2011 – V R 19/10, BStBl. II 2012, 156; BFH v. 14.11.2012 – XI R 8/11, BFH/NV 2013, 596 Rz. 55; Abschn. 6a.2 Abs. 3 Satz 7 UStAE; zur Kritik an diesem Sanktionscharakter BÅlte, DB 2011, 442 ff.; Hoink/Adick, PStR 2011, 37; Korf, IStR 2011, 30 ff.; BÅrger/ Paul, BB 2011, 540 ff. 4 Stadie2, § 6a UStG Rz. 24. 5 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, UR 2007, 774 Rz. 69 ff. 6 BFH v. 29.7.2009 – XI B 24/09, BFH/NV 2009, 1567; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; Treiber in S/R, § 6a UStG Rz. 82; Wger in Birkenfeld/Wger, Umsatzsteuer-Hdb., § 110 Rz. 7, 18.
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17.33
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
17.34 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht ergibt sich: A hat gegen die sich aus § 6a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ergebende Nachweispflicht1 mit dem Ziel verstoßen, die Identitt des B als Erwerber der Motorjacht zu verschleiern, um diesem in Spanien eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermÇglichen. Im Hinblick darauf ist der Tatbestand der Steuerbefreiung als innergemeinschaftliche Lieferung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG) nicht gegeben, womit zugleich der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt ist.2 Dass die Motorjacht tatschlich nach Spanien verbracht wurde, spielt keine Rolle, weil hier die Identitt des Warenerwerbers verschleiert wurde.3
17.35 Sollte auch der subjektive Tatbestand erfÅllt sein,4 ist damit eine Steuerhinterziehung von deutscher Umsatzsteuer gegeben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO), wobei die Tat bereits mit Zugang der (unrichtigen) Umsatzsteuervoranmeldung beim Finanzamt vollendet ist.5 Zustzlich hat sich A auch der Hinterziehung spanischer Mehrwertsteuer (Erwerbsbesteuerung) dadurch schuldig gemacht, dass er es gegenÅber den deutschen BehÇrden unterlassen hat, den wahren Erwerber zu benennen, und hierdurch verhindert hat, dass die spanischen FinanzbehÇrden auf Grundlage der MwSt-ZVO (hierzu s. Rz. 8.24 ff.) auf die entsprechenden Informationen zugreifen konnten (§ 370 Abs. 6 Stze 1 und 2 AO).6 DarÅber hinaus kommt auch eine (aktive) Beihilfe zur Steuerhinterziehung des B in Spanien dadurch in Betracht, dass A gegenÅber den deutschen BehÇrden unzutreffende Angaben Åber den Erwerber gemacht hat, wodurch im Ergebnis die Feststellung der Identitt des B als Abnehmer in Spanien erschwert wurde.7
1 Unrichtige Angaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) in der Umsatzsteuervoranmeldung sowie in der zusammenfassenden Meldung. 2 Eine tatschliche (sptere) Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland oder einer Empfngerbenennung hat keine strafrechtliche Folgen; vgl. Walter/Lohse/DÅrrer, wistra 2012, 125 ff. (128). 3 BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 41/09, ZWH 2012, 323 unter Hinweis auf EuGH v. 7.12.2010 – Rs. C-285/09-R, UR 2011, 15; BGH v. 19.3.2013 – 1 StR 318/12, NZWiSt 2014, 73; ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) wird unter Hinweis auf BVerfG v. 16.6.2011 – 2 BvR 542/09, DStRE 2012, 379 verneint; zur Kritik BÅlte, HRRS 2011, 465 ff. (469); BÅlte, BB 2010, 1759 ff.; Wulf/Alvermann, DB 2011, 731 ff. (736). 4 Zur Frage des Tatbestandsirrtums im Hinblick auf die (frÅher) bestehende unklare Rechtslage Walter/Lohse/DÅrrer, wistra 2012, 125 ff. (131). 5 BGH v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355; die unrichtige Voranmeldung und die nachfolgende unrichtige (oder unterlassene) Jahreserklrung bilden unabhngige Taten im materiellen Sinne (§ 53 StGB); vgl. hierzu Wulf, Stbg 2014, 64 ff (65 f.). 6 Im Einzelnen Walter/Lohse/DÅrrer, wistra 2012, 125 ff. (128 ff.). 7 Vgl. Flore in Flore/Tsambibakis, § 370 AO Rz. 607; im Einzelnen Walter/Lohse/ DÅrrer, wistra 2012, 125 ff. (130 f.) dort auch zum Konkurrenzverhltnis von aktiver Hinterziehung von deutscher und Unterlassungstterschaft oder Teilnahme in Bezug auf die Mehrwertsteuer im Bestimmungsland.
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B. Typische Problembereiche
4. Innergemeinschaftliche Reihengeschfte In der Praxis haben innergemeinschaftliche Lieferungen, soweit sie im Rahmen von Reihengeschften erfolgen, besondere Bedeutung auch in strafrechtlicher Hinsicht. Eine besondere Brisanz erhalten derartige innergemeinschaftliche Reihengeschfte in den Fllen, in denen bei einer etwaigen RÅcklieferung an den Ausgangsunternehmer nicht selten auch die Voraussetzungen eines zu erheblichen Steuerausfllen fÅhrenden sog. Umsatzsteuerkarussells (hierzu Rz. 17.41 ff.) vorliegen kÇnnen.1
17.36
Ein Reihengeschft2 ist dann gegeben, wenn mindestens drei Unternehmer Åber denselben Gegenstand Umsatzgeschfte abschließen und der Liefergegenstand dabei unmittelbar vom ersten an den letzten Unternehmer in der Kette gelangt (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG). Im Kontext mit innergemeinschaftlichen Lieferungen (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG) geht es in der Grundkonstellation – zwei Lieferungen zwischen drei Beteiligten – darum, fÅr welche Lieferung die Umsatzsteuerbefreiung in Anspruch genommen werden kann. Denn die (grenzÅberschreitende) Warenbewegung kann stets nur einer der beiden Lieferungen zugeordnet werden (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG).3 Angesprochen sind damit insbesondere Flle, in denen ein im Inland ansssiger Unternehmer den Gegenstand an einen im Åbrigen Gemeinschaftsgebiet ansssigen Unternehmer und dieser den Liefergegenstand an einen ebenfalls im Åbrigen Gemeinschaftsgebiet ansssigen weiteren Abnehmer verußert, wobei der Gegenstand unmittelbar vom ersten an den dritten Unternehmer gelangt.4
17.37
In der fÅr das innergemeinschaftliche Reihengeschft typischen Dreiparteienkonstellation ist allein der Fall problematisch, in dem der Zwischenhndler die BefÇrderung oder Versendung aus dem Liefer- in den Bestimmungsmitgliedstaat unmittelbar vom Erstlieferer zum Letzterwerber durchfÅhrt. Soweit nmlich der Erstlieferer die BefÇrderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat veranlasst, kann er fÅr seine (bewegte) Lieferung die Steuerbefreiung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6 UStG) beanspruchen. Entsprechendes gilt fÅr den Letztabnehmer, wenn dieser den Transport Åbernimmt.5 BefÇrdert oder versendet dagegen der Zwischenerwerber den Liefergegenstand, ist dieser zugleich Abnehmer der vom Erstlieferanten ausgehenden Lieferung und zugleich Lieferer seiner eige-
17.38
1 Vgl. nur den Hinweis von Sterzinger, UR 2011, 269 ff. (270). 2 In der MwStSystRL nicht geregelt. 3 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-245/04 – EMAG, EuGHE 2006, I-3227 Rz. 38; Treiber in S/R, § 6a UStG Rz. 25. 4 In dieser Grundkonstellation kommt die Sonderregelung des § 25b UStG (innergemeinschaftliche Dreiecksgeschfte) nicht zur Anwendung, weil diese Vereinfachungsregelung (fiktive Erwerbsbesteuerung) voraussetzt, dass drei unmittelbar nacheinander liefernde Unternehmer beteiligt sind, die mit ihren Umsatzsteuer-Identifikationsnummern aus drei verschiedenen Mitgliedstaaten auftreten. 5 A 3.14 Abs. 8 Stze 1 und 2 mit Beispielen in Buchst. a und b UStAE.
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Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
nen Lieferung an den Letztabnehmer.1 HierfÅr stellt § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG die wiederlegbare Vermutung auf, dass die Lieferung an den Zwischenerwerber die bewegte Lieferung (Transportlieferung) ist mit der Folge, dass der Erstlieferant hierfÅr die Steuerbefreiung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6 UStG) in Anspruch nehmen kann. Diese Vermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass der Zwischenerwerber nicht als Abnehmer, sondern als Lieferant transportiert. Davon ist auszugehen, wenn der Zwischenerwerber unter der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Mitgliedstaates auftritt, in dem der Transport beginnt und er aufgrund der mit seinem Vorlieferanten und seinem Auftraggeber vereinbarten Lieferkonditionen Gefahr und Kosten des Transports Åbernommen hat.2 Unabhngig von dieser Vermutungsregelung kommt es im Rahmen einer EinzelfallwÅrdigung3 auf die konkrete Feststellung an, welche die bewegte Lieferung (Transportlieferung) in der Kette ist. Hiernach gilt: Der Erstlieferant kann davon ausgehen, dass seine Lieferung als bewegte und damit als steuerfreie Lieferung anzusehen ist, wenn der Zwischenerwerber erklrt, die Ware in einen anderen Mitgliedstaat als den Abgangsmitgliedstaat befÇrdern zu wollen und mit einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auftritt.4 Das gilt aber dann nicht, wenn ihm der Zwischenerwerber mitgeteilt hat, dass er den Gegenstand, bevor dieser den Abgangsmitgliedstaat verlassen hat, an einen anderen Steuerpflichtigen weiterverkauft hat, womit klargestellt wird, dass noch vor der BefÇrderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat der Zwischenerwerber seine eigene Lieferung ausgefÅhrt hat.5
17.39 Beispiel: Der inlndische Unternehmer A verußert eine Maschine an den in Spanien ansssigen Unternehmer B. Der Verußerung liegen eine per Telefax Åbermittelte Bestellung und die Mitteilung der spanischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zugrunde. Die GÅltigkeit der spanischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und die bereinstimmung der Angaben zu Name, Ort, Postleitzahl und Straße des B ließ sich A vom BZSt besttigen. Die von A ausgestellte Rechnung wies unter Hinweis auf das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung keine Umsatzsteuer aus. Die Maschine wurde von einem franzÇsischen FrachtfÅhrer bei A im Inland abgeholt. Der franzÇsische FrachtfÅhrer Åbergab dem A eine eidesstattliche Versicherung Åber den Empfang der Maschine und die BefÇrderung nach Spanien sowie eine schriftliche Abholvollmacht, die B auf den FrachtfÅhrer ausgestellt hatte. Noch vor der Abholung der Maschine erhielt A von B per Telefax die Mitteilung, dass er die Maschine zwischenzeitlich an C in Frankreich weiterverußert habe. In der Umsatzsteuerjahreserklrung hat A die Lieferung der Maschine an B als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG) behandelt. 1 A 3.14 Abs. 9 Satz 1 UStAE. 2 A 3.14 Abs. 10 Satz 2 UStAE. 3 EuGH v. 16.12.2010 – Rs. C-430/09 – Euro Tyre, EuGHE 2010, I-13335 Rz. 27; EuGH v. 27.9.2012 – Rs. C-587/10 – VSTR, UR 2012, 832 Rz. 32. 4 EuGH v. 16.12.2010 – Rs. C-430/09 – Euro Tyre, EuGHE 2010, I-13335 Rz. 35. 5 EuGH v. 16.12.2010 – Rs. C-430/09 – Euro Tyre, EuGHE 2010, I-13335 Rz. 36; vgl. auch BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909.
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B. Typische Problembereiche Im Rahmen einer Umsatzsteuernachschau (§ 27b UStG) geht das zustndige Finanzamt aufgrund der von A vorgelegten Telefaxnachricht des B davon aus, dass im Rahmen des Reihengeschfts die Lieferung des B an C die fÅr die Steuerbefreiung maßgebliche bewegte Lieferung sei. Dementsprechend wird gegen A ein nach § 164 Abs. 2 AO genderter Umsatzsteuerbescheid erlassen, wonach die Lieferung an B als steuerpflichtig behandelt wurde. Zugleich wird gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erÇffnet.
Die Lieferung des A an B erfolgte im Rahmen eines Reihengeschfts, wobei die Lieferung des A an den B steuerbar ist, weil der Ort der Lieferung im Inland liegt.1 Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Lieferung des A an den B selbst die BefÇrderungs- oder Versendungslieferung ist – dann beurteilt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG – oder es sich um eine Lieferung handelt, die einer BefÇrderungs- oder Versendungslieferung vorangeht – dann gilt § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG.2 Die in § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbs. 1 UStG verankerte (wiederlegbare) Vermutung ist zwar darauf gerichtet, dass im Rahmen eines Reihengeschfts die BefÇrderung oder Versendung durch den B als Zwischenerwerber dem A als Erstlieferanten zuzuordnen ist mit der Folge, dass dieser die Umsatzsteuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG in Anspruch nehmen kann. Das gilt aber nicht, wenn der Ersterwerber dem Erstlieferer bereits vor der BefÇrderung oder Versendung mitteilt, dass er den Gegenstand an einen Zweiterwerber verkauft hat.3 Diese Fallkonstellation liegt hier vor. Im Ergebnis hat es damit der B als Zwischenerwerber im Fall des Weiterverkaufs in der Hand, durch Mitteilung oder Verschweigen des Weiterverkaufs darÅber zu entscheiden, ob A als Erstlieferant oder er selbst eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erbringt. Damit liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Ob dem A allerdings Vorsatz nachgewiesen werden kann, erscheint mehr als zweifelhaft. Zwar kommt ihm der in § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG verankerte Vertrauensschutz nicht zugute, weil die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nicht auf unrichtigen Angaben des B beruht. Dass es aber darauf ankam, ob der Zwischenerwerber B vor Beginn des Transports die Maschine bereits weiterverußerte, wird fÅr A nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sein. Die steuerliche Relevanz dieser Mitteilung ergibt sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Gesetz.4
1 Hier begann die BefÇrderung oder Versendung des Liefergegenstandes (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). 2 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-245/04 – EMAG, EuGHE 2006, I-3227 Leitsatz 2; BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909 Rz. 14 f. 3 EuGH v. 16.12.2010 – Rs. C-430/09 – Euro Tyre, UR 2011, 176 Rz. 36; BFH v. 11.8.2011 – V R 3/10, UR 2011, 909, Rz. 18. 4 Vgl. zu den insoweit bestehenden Unklarheiten von Streit, UStB 2013, 47 ff.; Wger, UR 2013, 81 ff. (92 ff.), wonach „die Behandlung der Reihengeschfte weiterhin rtselhaft“ bleibt (93).
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17.40
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
5. BetrÅgerische Umsatzsteuerkarusselle
17.41 BetrÅgerische Karussellgeschfte sind im Kern darauf gerichtet, unter Nutzung der besonderen umsatzsteuerlichen Regelungen fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe einem in der Lieferkette eingebundenen Unternehmer den Vorsteuerabzug zu verschaffen, ohne dass die in der Lieferkette entstehende Umsatzsteuer angemeldet bzw. entrichtet wird.1 Gegenstand derartiger Karussellgeschfte2 sind in der Praxis zumeist Liefergeschfte mit kleinteiligen WirtschaftsgÅtern, soweit Warenbewegungen Åberhaupt stattfinden.3 Eingeschaltet sind in den Lieferketten mehrere verschiedene Unternehmer, wobei das Karussellgeschft in aller Regel vom inlndischen Distributor ausgeht, der seinerseits an einen im EU-Ausland ansssigen Abnehmer liefert, von wo aus sodann die gelieferte Ware Åber den im Inland ansssigen sog. Missing Trader Åber den inlndischen Buffer an den im Inland ansssigen Distributor zurÅckgelangt. Die an diesem Karussellgeschft beteiligten Unternehmer behandeln gewÇhnlich die gettigten Umstze wie folgt: FÅr die Lieferung des inlndischen Distributors an den im EU-Ausland ansssigen Hndler wird die Steuerbefreiung gem. §§ 4 Nr. 1, 6a UStG in Anspruch genommen, wobei der Hndler im EU-Ausland die Lieferung dort der Erwerbsbesteuerung bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug4 unterwirft. Die Lieferung des im EU-Ausland ansssigen Hndlers an den inlndischen Missing Trader ist im Ausland umsatzsteuerfrei5 und unterliegt beim Missing Trader im Inland der Erwerbsbesteuerung (§ 1a UStG) bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG). Die Lieferung des Missing Trader an den im Inland ansssigen Buffer ist eine steuerbare und steuerpflichtige Lieferung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), wobei der Buffer im Inland die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Lieferung des Buffer an den Distributor unterliegt der Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und berechtigt den Distributor zum Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Die Besonderheit besteht in der Praxis darin, dass der Missing Trader die von ihm geschuldete Umsatzsteuer fÅr die Lieferung an den Buffer entgegen seiner aus § 18 Abs. 1 UStG ergebenden Verpflichtung beim zustndigen Finanzamt nicht anmeldet und auch nicht zahlt.6 Bei dem Missing Trader handelt es sich in aller Regel
1 Vgl. zum Begriff Weimann in Weimann/Lang, Umsatzsteuer – national und international, § 25d UStG Tz. 1.1.2; Gehm, NWB 2012, 3237 ff. (3237); Huschens, SteuK 2012, 479 ff. (479 f.); Eder, NZWiSt 2014, 90 ff. (90 f.). 2 Die Ausflle werden jhrlich in MilliardenhÇhe geschtzt; vgl. Hundt-Eßwein in Offerhaus/Lange, § 15 UStG Rz. 17d; Kemper, MwStR 2014, 640 ff. (640). 3 Vgl. § 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG (Umkehr der Steuerschuldnerschaft) i.d.F. des Kroatien-AnpG, der hochpreisige Kleinteile erfasst und insoweit Steuerausflle durch Umsatzsteuer-Karusselgeschfte verhindern soll. 4 Vgl. §§ 1a, 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG. 5 Vgl. §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG. 6 Denkbar ist auch der eher seltenere Fall, dass die Umsatzsteuer zwar angemeldet, aber nicht bezahlt wird.
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B. Typische Problembereiche
um einen Unternehmer,1 der am Markt nur kurzzeitig auftritt und sodann wieder untertaucht.2 Whrend Distributor und Missing Trader stets kollusiv zusammenwirken, haben die im brigen in das Karussellgeschft eingeschalteten Unternehmer nicht selten keine Kenntnis davon, dass es sich um ein betrÅgerisches Karussellgeschft handelt. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Folgen ist von besonderer Bedeutung, ob der sog. Buffer fÅr die an ihn erbrachte Lieferung den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann oder nicht. Hierbei ist wie folgt zu unterscheiden: – Der vertraglich geschuldete Liefergegenstand wird tatschlich nicht geliefert: Der Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, weil die Lieferung nicht erbracht worden ist und auch nicht erbracht werden soll (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).3 – Der leistende Unternehmer (Missing Trader) ist bloßer Strohmann, der so auftritt, dass die Vertragsparteien – Strohmann und Leistungsempfnger – einverstndlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfnger und dem Hintermann (Distributor) eintreten sollen.4 Der Vorsteuerabzug ist ausgeschlossen, weil Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer nicht identisch sind.5 Tritt der leistende Unternehmer, auch wenn er Strohmann ist, im eigenen Namen auf und verschafft er auch die VerfÅgungsmacht an den vertraglich geschuldeten Liefergegenstnden, ist dagegen der Vorsteuer1 NatÅrliche oder juristische Personen. 2 Dass der Missing Trader ggf. seinen steuerlichen Erklrungspflichten nicht nachkommt, ndert an seiner grundstzlich gegebenen Unternehmereigenschaft nichts; vgl. BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2013, 1004. 3 Bei bloßen Zweifeln der Finanzverwaltung an der tatschlichen DurchfÅhrung der Lieferung kann der Vorsteuerabzug nur dann versagt werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Umsatz in eine vom Lieferer oder auf einer Vorstufe begangenen Steuerhinterziehung einbezogen worden war; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195; hierzu Kaiser, PStR 2013, 86 f.; anders das BMF-Schreiben v. 7.2.2014, BStBl. I 2014, 271: Trgt die FinanzbehÇrde objektive Umstnde vor, wonach der Unternehmer von einem Umsatzsteuerbetrag wusste oder htte wissen mÅssen, ist es Sache des Unternehmers, sich zu entlasten; kritisch hierzu Kaiser, NWB 2014, 3057. 4 Das vorgeschobene Strohmanngeschft als Scheingeschft (§ 41 Abs. 2 AO) qualifizierend BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; BFH v. 17.10.2003 – V B 111/02, BFH/NV 2004, 235; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; BFH v. 12.5.2011 – VR 25/10, BFH/NV 2011, 1541; vgl. auch BGH v. 22.5.2003 – 1 StR 520/02, wistra 2003, 344; BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314; BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 469/13, BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NZWiSt 2014, 112; hierzu Steinlein/Meyberg, PStR 2014, 93 ff. 5 BFH v. 19.12.2003 – V B 83/02, BFH/NV 2003, 626; in diesem Fall ist hinsichtlich der Steuerschuld des Missing Traders wegen unberechtigtem Steuerausweises gem. § 14 c Abs. 2 UStG und der Erstattungspflicht des bÇsglubigen Buffers wegen unberechtigter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges (§ 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG) Gesamtschuldnerschaft (§ 44 Abs. 1 AO) gegeben; hierzu Thietz-Bartram, DB 2013, 418 ff.
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17.42
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
abzug gegeben.1 Dieser Vorsteuerabzug bleibt dem Buffer erhalten, wenn ihm nicht nachgewiesen werden kann, dass er wusste oder htte wissen mÅssen, dass die entsprechenden Umstze in ein System der Steuerhinterziehung eingebettet waren.2 – Der leistende Unternehmer (Missing Trader) existiert gar nicht.3 Der Vorsteuerabzug fÅr den Buffer ist grundstzlich ausgeschlossen.4 Das gilt allerdings nicht, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Buffer wusste oder htte wissen mÅssen, dass die entsprechenden Umstze in ein System der Steuerhinterziehung eingebettet waren.5
17.43 Unabhngig davon, ob die formalen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (§ 15 Abs. 1 UStG) gegeben sind oder nicht, ist der Vorsteuerabzug stets zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrÅgerischer Weise oder missbruchlich geltend gemacht wird.6 Das gilt gleichermaßen fÅr den Fall, dass der betreffende Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht,7 und fÅr den Fall, dass der Steuerpflichtige wusste oder htte wissen mÅssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuer-
1 BFH v. 28.1.1999 – V R 4/98, BStBl. II 1999, 628; BFH v. 31.1.2002 – V B 108/01, BStBl. II 2004, 622; BFH v. 17.2.2011 – V R 30/10, UR 2011, 784; BFH v. 12.5.2011 – V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541; BFH v. 14.12.2011 – XI R 18/10, BFH/NV 2012, 1006; BFH v. 14.12.2011 – XI R 32/09, BFH/NV 2012, 1004; vgl. auch BGH v. 9.4.2013 –1 StR 586/12, wistra 2013, 314. 2 EuGH v. 12.1.2006 – Rs. C-354/03 u.a. – Optigen, DStR 2006, 133 Rz. 52; EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-80/11 und C-142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591; fÅr die Frage der BÇsglubikeit kommt es auf den Zeitpunkt der DurchfÅhrung des Geschftes an; BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NZWiSt 2014, 112; ggf. kommt hierfÅr ein Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO in in Betracht, vgl. BFH v. 30.4.2009 – V R 15/07, BFH/NV 2009, 1342; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; zur Kritik Stapperfend, UR 2013, 321 ff. (326). 3 Entsprechendes gilt, wenn Rechnungsformulare existierender Firmen ohne deren Wissen verwendet werden. 4 BFH v. 19.10.1978 – V R 39/75, BStBl. II 1979, 345; BFH v. 17.9.1992 – V R 41/89, BStBl. II 1993, 205. 5 EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-80/11 und C 142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195; hierzu Eder, NZWiSt 2014, 90 ff. 6 EuGH v. 3.3.2005 – Rs. C-32/03 – Fini H, EuGHE 2005, I-1599 Rz. 34; EuGH v. 12.1.2006 – Rs. C-354/03 u.a. – Optigen, DStR 2006, 133 Rz. 52; EuGH v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel und Recolta Recycling, EuGHE 2006, I-6161 Rz. 55; EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-80/11 und C-142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591 Rz. 42; EuGH v. 6.9.2012 – Rs. C-324/11 – Toth, UR 2012, 851 Rz. 53; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195 Rz. 37; BFH v. 19.4.2007 – V R 48/04, BStBl. II 2009, 315; BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952. 7 Vgl. EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax u.a., EuGHE 2006, I-1609 Rz. 58 f.; EuGH v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel und Recota Recycling, EuGHE 2006, I-6161 Rz. 53; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195 Rz. 38.
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hinterziehung einbezogen ist.1 Die Feststellungslast hierfÅr obliegt der Finanzverwaltung.2 Unter den gleichen Voraussetzungen ist der Vorsteuerabzug der Åbrigen an den betrÅgerischen Karussellgeschft beteiligten Unternehmer ebenso zu versagen wie die Steuerbefreiung fÅr innergemeinschaftliche Lieferungen (hierzu s. Rz. 17.31, 17.34).
17.44
DarÅber hinaus sind die in einem betrÅgerischen Karussellgeschft eingebundenen Unternehmer einer Haftung fÅr schuldhaft nicht abgefÅhrte Umsatzsteuer aus vorangegangenen Umstzen ausgesetzt (§ 25d UStG). Diese Haftung setzt voraus,3 dass die Umsatzsteuer aus einem tatschlich durchgefÅhrten Umsatz4 aus den Vorstufen in einer Rechnung (§ 14 UStG) ausgewiesen und entsprechend einer vorgefassten Absicht nicht entrichtet wurde5 und nachgewiesen wird, dass der in Haftung zu nehmende Leistungsempfnger bei Abschluss des Vertrages Åber seinen Eingangsumsatz vom vorstzlichen Handeln des Rechnungsausstellers Kenntnis hatte oder nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns Kenntnis htte haben mÅssen.6 Soweit etwa Kapitalgesellschaften eingebunden sind, haften die gesetzlichen Vertreter ggf. wegen zugunsten der von ihnen vertretenen Kapitalgesellschafter verkÅrzter Umsatzsteuer oder zu Unrecht gewhrter Vorsteuer gem. § 71 AO.7
17.45
In steuerstrafrechtlicher Hinsicht gilt Folgendes: – Soweit der Buffer Kenntnis davon hat, dass der vertraglich geschuldete Liefergegenstand tatschlich nicht existiert oder hieran keine Ver-
17.46
1 EuGH v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel und Recota Recycling, EuGHE 2006, I-6161 Rz. 56; EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-80/11 und C-142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591 Rz. 46; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195 Rz. 39; BFH v. 19.4.2007 – VR 48/04, BStBl. II 2009, 315; BFH v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; Kenntnis und KennenmÅssen von Angestellten werden dem Unternehmer zugerechnet; vgl. BFH v. 19.5.2010 – XI R 78/07, UR 2010, 952. 2 EuGH v. 21.6.2012 – Rs. C-80/11 und C-142/11 – Mahagben und David, UR 2012, 591 Rz. 49; EuGH v. 6.12.2012 – Rs. C-285/11 – Bonik, UR 2013, 195 Rz. 43; EuGH v. 31.1.2013 – Rs. C-642/11 – Stroy trans, DStRE 2013, 740; EuGH v. 31.1.2013 – Rs. C-643/11 – LVK, DStRE 2013, 745; EuGH v. 28.2.2013 – Rs. C-563/11 – SIA Forvards, DB 2013, 1212; EuGH v. 16.5.2013 – Rs. C-444/12 – Hardimpex, DB 2013, 2009; EuGH v. 13.2.2014 – Rs. C-18/13 – Maks Pan, ZWH 2014, 240. 3 Vgl. Abschn. 25d.1 UStAE 4 Die Haftung greift bei bloß fingierten Umstzen nicht ein, vgl. Danzer, Bekmpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschften, 111; Widmann UR 2002, 468 ff. (470). 5 Hierzu gehÇrt auch das vorstzlich herbeigefÅhrte finanzielle UnvermÇgen des Rechnungsausstellers. 6 Zur Kritik Stadie2, § 25 UStG Rz. 5 ff.; Danzer, Bekmpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschften, 111 ff.; Hummel, UR 2014, 256. 7 Vgl. BFH v. 26.9.2012 – VII R 3/11, wistra 2013, 203.
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fÅgungsmacht verschafft wurde, begeht er eine Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 AO, wenn er aus den Rechnungen des Missing Traders die Vorsteuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG) zieht.1 Das Gleiche gilt fÅr den Fall, dass er den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Missing Traders geltend macht, obwohl fÅr ihn erkennbar ist, dass dieser im Namen des Distributors liefert oder es sich insoweit um eine nicht existente Scheinfirma handelt.2 Unabhngig von den vorgenannten Gesichtspunkten begeht der Buffer eine Steuerhinterziehung, wenn er sich wissentlich an dem betrÅgerischen Umsatzsteuerkarussell beteiligt und aus seinen Eingangsumstzen einen Vorsteuerabzug geltend macht.3 Abzustellen ist dabei auf das Vorstellungsbild des Buffers zum Zeitpunkt des Warenbezugs und nicht bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung/Umsatzsteuererklrung.4 Damit verbleibt es beim Vorsteuerabzug auch dann, wenn er spter nach dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs Kenntnis von seiner Einbindung in ein betrÅgerisches Umsatzsteuerkarussell erhlt. Damit ist eine Steuerhinterziehung des Buffers nur dann gegeben, wenn er bereits beim Warenbezug bÇsglubig war. In den vorgenannten Fllen reicht Eventualvorsatz aus, sodass es insoweit nur darauf ankommt, ob der Buffer die Einbindung in das betrÅgerische Umsatzsteuerkarussell fÅr mÇglich hielt und sie billigend in Kauf nahm.5 Der Tatbestand der leichtfertigen SteuerverkÅrzung ist in solchen Fllen erfÅllt, wenn der Buffer zwar keine positive Kenntnis von dem Umsatzsteuerkarussell hat, aber diesen Sachverhalt htte erkennen kÇnnen.6 In den Fllen des kollusiven Zusammenwirkens etwa mit dem Distributor und dem Missing Trader kommt auch eine Strafbarkeit nach §§ 26c, 26b UStG in Betracht, wenn der Buffer die in seiner Rechnung an das nchste Kettenglied ausgewiesene Umsatzsteuer zu den maßgeblichen Flligkeitszeitpunkten nicht oder nicht vollstndig abfÅhrt. – In den Fllen, in denen der geschuldete Liefergegenstand entweder Åberhaupt nicht existiert oder an ihm keine VerfÅgungsmacht verschafft worden ist, erfolgt seitens des Distributors keine Lieferung, so1 Vgl. BGH v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, NJW 2003, 2924; BGH v. 20.3.2002 – 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963; BGH v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616; BGH v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, DStR 2014, 365; zu Einzelheiten HÇink/ Adick, ZWH 2014, 220 ff. 2 Vgl. BGH v. 20.3.2002 – 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963; zu Einzelheiten HÇink/ Adick, ZWH 2014, 220 ff. 3 Vgl. BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; BGH v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616; zur Kritik an dieser Entscheidung, soweit die Unternehmereigenschaft des Strohmannes verneint wird, Heinrichshofen, wistra 2011, 310; vgl. auch BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335. 4 BGH v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, DStR 2014, 365 unter Hinweis das Urteil des EuGH v. 29.4.2004 – Rs. C-152/02 – terra Baubedarf, DStRE 2004, 831; BGH v. 5.2.2014 – 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335. 5 BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866. 6 Vgl. BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; Huschens, SteuK 2012, 479 ff. (483).
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B. Typische Problembereiche
dass insoweit der Vorgang umsatzsteuerlich irrelevant ist.1 Macht er aus der Rechnung des Buffers den Vorsteuerabzug geltend, begeht er eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO), da ihm als Initiator des betrÅgerischen Umsatzsteuerkarussells der Vorsteuerabzug versagt bleibt.2 Unabhngig vom geltend gemachten Vorsteuerabzug kommt auch eine Strafbarkeit wegen Mittterschaft bzw. Beihilfe wegen sonstiger Karussellstraftaten zugunsten anderer Kettenmitglieder in Betracht. – Erfasst der Missing Trader die von ihm gettigten Lieferungen nicht in der von ihm monatlich abzugebenden Voranmeldung, macht er sich gem. § 370 Abs. 1 AO strafbar. Das gilt auch in den Fllen, in denen von ihm Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden ist, obwohl die Vorausetzungen hierfÅr nicht gegeben sind (§ 14c Abs. 2 UStG). Der Missing Trader macht sich ferner tateinheitlich nach §§ 26c, 26b UStG (Schdigung des Umsatzsteueraufkommens) strafbar. Hiernach werden die Flle erfasst, in denen die im Umsatzsteuerkarussell abgewickelten Lieferungen erklrt, aber die Umsatzsteuern nicht abgefÅhrt werden. Ggf. ist auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Buffers gegeben.3 Diese steht nach § 53 Abs. 1 StGB in Tatmehrheit zu seiner eigenen Straftat, tritt jedoch in den Fllen der §§ 26c, 26b UStG zurÅck. Ggf. kommt auch eine bandenmßige oder mittterschaftliche Begehung in Betracht.4 Die gewerbs- oder bandenmßige Schdigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG) spielt bei betrÅgerischen Umsatzsteuerkarussellen eine besondere Rolle. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fÅnf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fllen des § 26b UStG gewerbsmßig oder als Mitglied einer Bande handelt. § 26c UStG ist eine Qualifikation zum Bußgeldtatbestand des § 26b UStG, wonach ordnungswidrig handelt, wer die fllige Umsatzsteuer nicht oder nicht vollstndig bis zum gesetzlichen Flligkeitszeitpunkt entrichtet. Erforderlich ist stets vorstzliches Verhalten. Der Grundsatz, dass die bloße Nichtzahlung der Steuer trotz ordnungsgemßer Anmeldung straflos ist, wird mit der Zielsetzung durchbrochen, insbesondere den Missing Trader bestrafen zu kÇnnen.5 Problematisch ist in der Praxis, eine bandenmßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, § 26c UStG) nachzuweisen. Das gilt insbesondere, wenn bei Umsatzsteuerkarussellen gutglubige Unternehmer eingebunden werden.6 Der Begriff der Bande setzt nmlich den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Wil-
1 BÅlte in G/J/W, § 370 AO Rz. 401. 2 Der Distributor erklrt durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ausdrÅcklich die Missbrauchsfreiheit der Warenbewegung und macht bei Fehlen der Voraussetzungen insoweit unrichtige Angaben. 3 Vgl. BGH v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140. 4 Vgl. BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314. 5 Vgl. BT-Drucks. 14/7470 f. 6 Hierzu Eder, NZWiSt 2014, 90 ff.
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len verbunden haben, kÅnftig fÅr eine gewisse Dauer mehrere selbstndige im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen. Die auf Dauer angelegte Verbindung ist gerade bei Umsatzsteuerkarussellen mit wechselnden Tatbeteiligten nicht ohne Weiteres anzunehmen. Die Kenntnis smtlicher Mitglieder untereinander ist allerdings nicht erforderlich.1 Ebenso wenig kommt es darauf an, dass sich alle Beteiligten zu einer gemeinsamen Tatbeteiligung gleichzeitig absprechen.2
III. Einfuhren Literatur: Kommentare zu §§ 1 Abs. 1 Nr. 4; 5; 11, 15 Abs. 1 Nr. 2; 21 UStG; Eckert, Die Steuerbefreiung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG, eine willkommene Vorschrift fÅr den unehrlichen Unternehmer?, UVR 2000, 244 ff.; Proske/ZÅhlke, eCommerce im www – KÇnnen dem Steuerbetrug im Netz keine Grenzen gesetzt werden? Version 2.0 – Kleinsendungen aus Drittlndern, StBp 2014, 89 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2011, Rz. 9.108 ff.; ; Vellen, Befreiung von Umsatzsteuern bei der Einfuhr im grenzÅberschreitenden Reiseverkehr, UR 1999, 402 ff.
1. berblick
17.48 Steuerbar ist die Einfuhr von Gegenstnden im Inland oder in den Çsterreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg3 (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG). Die auf die Einfuhr entfallende Einfuhrumsatzsteuer knÅpft an das Verbringen von Gegenstnden von außerhalb des EU-Zollgebietes zum freien Verkehr in das Inland. Sie entsteht regelmßig erst mit der berfÅhrung der betreffenden Gegenstnde in den freien Verkehr, soweit keine Steuerbefreiung (§ 5 UStG) eingreift. Eine Einfuhr liegt somit erst dann vor, wenn auch die Voraussetzungen fÅr eine Zollschuld (Artt. 201–204 ZK/ Artt. 83–87 UZK) erfÅllt sind.4 Insoweit gelten weitgehend die im Zollkodex (ZK/UZK)5 verankerten Vorschriften mit der Folge eines Gleichlaufs von Einfuhrumsatzsteuer und Zoll. Die Besteuerung der Einfuhr korrespondiert durchweg mit der Ausfuhrbefreiung im Ursprungsland6 und dient damit im Ergebnis dem Bestimmungslandprinzip.7 Dieses systemtragende Prinzip wird sichergestellt einerseits dadurch, dass der Steu1 BGH v. 16.12.2003 – 1 StR 297/03, wistra 2004, 265; BGH v. 12.1.2000 – 1 StR 603/99, StV 2000, 259; BGH v. 17.7.1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158 ff. (164). 2 BGH v. 16.6.2005 – 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160. 3 Zollanschlussgebiete. 4 BFH v. 6.5. 2008 – VII R 30/07, BFH/NV 2008, 1971; Hinweis: Artt. 83–87 UZK gelten ab 1.6.2016 (Art. 288 Abs. 2 UZK); vgl. VO (EU) Nr. 952/2013 des Europischen Parlaments und des Rates v. 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. EU 2013 Nr. L 269, 1 ff. 5 Die Artt. des UZK werden nachfolgend nicht gesondert aufgefÅhrt. 6 Vgl. §§ 4 Nr. 1a, 6 UStG 7 Tehler in R/K/L, § 1 UStG Rz. 540.
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B. Typische Problembereiche
ersatz bei der Einfuhr derselbe ist wie bei der Lieferung des Gegenstandes (§ 12 Abs. 1, 2 Nr. 1 UStG), sowie andererseits durch den entsprechenden Vorsteuerabzug auf Unternehmerebene (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG).1 Die eingefÅhrten Gegenstnde sind damit im Grundsatz vollstndig von der Umsatzsteuer des Ursprungslandes entlastet. Das gilt freilich nicht in den Fllen, in denen Gegenstnde durch Nicht-Unternehmer eingefÅhrt werden. Dies kann zu systemwidrigen Belastungsdivergenzen fÅhren, die allerdings im Rahmen der fÅr den nicht kommerziellen Reiseverkehr und fÅr Kleinsendungen geltenden Vorschriften2 abgemildert werden. Grundstzlich ist bei der Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet in das Inland der Ort der Lieferung im Ausland (§ 3 Abs. 6 UStG). Wird nmlich der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befÇrdert oder versendet, gilt die Lieferung dort als ausgefÅhrt, wo die BefÇrderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Soweit allerdings bei der Einfuhr der Lieferung der Lieferer oder dessen Beauftragter (z.B. Spediteur) Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, wird bei BefÇrderungs- und Versendungsgeschften der Ort der Lieferung in das Inland verlegt (§ 3 Abs. 8 UStG). Ist dagegen der Abnehmer oder sein Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, bleibt es bei der Regelung des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG mit der Folge, dass der Ort der Lieferung im Drittlandsgebiet belegen ist. Mit der Verlagerung des Ortes der Lieferung in das Inland (§ 3 Abs. 8 UStG) wird bewirkt, dass der Umsatz exakt mit der Steuer belastet wird, die fÅr Åbliche Inlandslieferungen maßgeblich ist.3 Da der Ort der Lieferung an die Schuldnerschaft bei der Einfuhrumsatzsteuer anknÅpft, ergeben sich fÅr die Beteiligten entsprechende GestaltungsmÇglichkeiten. Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist nmlich stets derjenige, der den Gegenstand bei der Einfuhr anmeldet (§§ 13a Abs. 2, 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i.V.m. Art. 201 Abs. 3 Satz 1 ZK), und Anmelder ist der, der im eigenen Namen die Zollanmeldung abgibt oder in dessen Namen diese (mit Vollmacht) abgegeben wird (§ 4 Nr. 18 ZK).4 Vereinbaren die Vertragspartner, dass die Lieferung verzollt und versteuert erfolgen soll, liegt der Ort der Lieferung bei BefÇrderungs- und Versendungsgeschften gem. § 3 Abs. 8 UStG im Inland. In diesem Fall kann der Lieferer die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abziehen. Wird demgegenÅber unverzollt und unversteuert geliefert, liegt bei BefÇrderungs- und Versendungsgeschften der Lieferort im Drittland
1 Der Vorsteuerabzug entsteht nicht erst dann, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet wird, sondern bereits dann, wenn sie fÅr die Einfuhr geschuldet wird; EuGH v. 29.3.2012 – Rs. C-414/10 – Veleclair, DStR 2012, 697 Rz. 27. 2 Vgl. § 5 Abs. 2 und 3 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Einreise-Freimengen-Verordnung (EF-VO); Wertgrenzen: 300 Euro; fÅr Flug- und Seereisende 430 Euro; fÅr Reisende unter 15 Jahren 175 Euro (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 EF-VO) und § 1 Abs. 1 Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung (KF-VO); Wertgrenze: 45 Euro. 3 Stadie2, § 3 UStG Rz. 149. 4 BFH v. 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153.
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17.49
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht
(§ 3 Abs. 6 UStG). In diesem Fall ist der Abnehmer zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigt.
17.50 Der Ort der Lieferung bestimmt sich auch dann nach § 3 Abs. 8 UStG, wenn der Lieferer als Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer diese tatschlich nicht abgefÅhrt hat1 oder die Einfuhrumsatzsteuer wegen Steuerfreiheit nicht erhoben worden ist.2 Das gilt insbesondere in den Fllen der Einfuhrumsatzsteuerfreiheit fÅr Sendungen von Waren, deren Gesamtwert 22 Euro je Sendung nicht Åbersteigt (§ 1a Abs. 1 EUStBV). 2. Pflichtenkreis
17.51 Werden Waren aus einem Drittland in die Europische Union, z.B. nach Deutschland eingefÅhrt, so besteht hierfÅr ein sog. Zollstraßenzwang (§ 2 Abs. 1 ZollVG i.V.m. § 2 ZollV).3 Das bedeutet, dass die betreffenden Waren auf einem vorgeschriebenen Verkehrsweg (sog. Zollstraße)4 zu einer Zollabfertigungsstelle befÇrdert werden mÅssen (Art. 4 Nr. 4 ZK i.V.m. § 2 ZollVG, Art. 38 Abs. 1 ZK i.V.m. §§ 2, 3, 18 ZollVG). Dort sind sodann die eingefÅhrten Waren zu gestellen (Art. 40 ZK i.V.m. § 4 Abs. 1 ZollVG).5 In Ausnahmefllen, etwa im Grenz- und Postverkehr (§ 5 Abs. 1, 2 ZollV) gilt eine Befreiung vom Zollstraßenzwang. Das betrifft insbesondere Sendungen, deren jeweiliger Gesamtwarenwert nicht mehr als 22 Euro betrgt (Art. 38 Abs. 4 ZK, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa ZollV). Hiermit korrespondiert die Regelung in § 1a Abs. 1 EUStbV, wonach Warensendungen, deren Gesamtwert 22 Euro nicht Åbersteigt, einfuhrumsatzsteuerfrei sind.6
17.52 Da der Anmelder der Ware zugleich Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist (§§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG i.V.m. Art. 201 Abs. 3 Satz 1 ZK), kÇnnen die an der Einfuhr Beteiligten, also insbesondere Lieferant und Abnehmer, durch entsprechende Gestaltung bestimmen, wer Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer sein soll. Soll dies der Abnehmer sein, mÅssen in seinem Namen die entsprechenden zollrechtlichen Verfahrenshandlungen vorgenommen werden (Art. 5 Abs. 1 ZK). HierfÅr bedarf es einer ausdrÅcklichen Erklrung, fÅr den Abnehmer zu handeln, wobei zustzlich anzugeben ist, ob es sich um eine direkte oder indirekte Vertretung handelt (Art. 5 Abs. 4 Satz 1 ZK).7 Personen, die nicht ausdrÅcklich erklren, im Namen oder fÅr Rechnung eines anderen zu handeln, oder 1 2 3 4
EuGH v. 29.3.2012 – Rs. C-414/10 – Veleclair, DStR 2012, 697 Rz. 27. Abschn. 3.13 Abs. 1 S. 1-4 UStAE Vgl. zum Folgenden Proske/ZÅhlke, StBp 2014, 89 mit weiteren Hinweisen. Zur Definition § 2 Abs. 4 ZollVG; Einzelheiten bei Zimmermann in Dorsch, Zollrecht, A 2, § 2 ZollVG Rz. 31 ff. 5 Zum Begriff der Gestellung Zimmermann in Dorsch, Zollrecht, A 2, § 4 ZollVG Rz. 5 ff. 6 Diese Befreiung gilt nicht fÅr Alkohol, Tabakwaren, Parfums, Eau de Toilette und Waren, fÅr die die Einfuhrgenehmigungen erforderlich sind. 7 Zu diesem Offenkundigkeitsprinzip Craig in H/H/Sp, Art. 5 ZK Rz. 18.
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B. Typische Problembereiche
die erklren, im Namen oder fÅr Rechnung eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, gelten als im eigenen Namen und fÅr eigene Rechnung handelnd (§ 5 Abs. 4 Satz 2 ZK).1 Da die Vertretungsvollmacht ausdrÅcklich erteilt werden muss, reichen entsprechende Regelungen in allgemeinen Geschftsbedingungen (AGB) oder Hinweise in Versandrichtlinien, die Gegenstand des Vertrages geworden sind, nicht aus.2 3. Pflichtverletzungen In der Praxis beruhen Pflichtverletzungen vor allem darauf, dass der Gestellungspflicht (Art. 40 ZK i.V.m. § 4 Abs. 1 ZollVG) bei der Einfuhr nicht entsprochen wird. Soweit keine Steuerbefreiungen eingreifen und eine Einfuhrumsatzsteuer nicht angemeldet worden ist, wird der Tatbestand des Schmuggels (§ 373 Abs. 1 AO) erfÅllt (s. Rz. 10.162 ff.). Das gilt ggf. auch fÅr hinterzogenen Zoll. In aller Regel ist damit bei Weiterverußerung der nmlichen Waren auch eine Hinterziehung von Umsatzsteuer (§ 370 AO) verbunden. Es handelt sich insoweit um zwei verschiende Steuerhinterziehungstaten, sodass Tatmehrheit (§ 53 StGB) gegeben ist.3 Wegen der unterschiedlichen Besteuerungsverfahren fÅhrt der fÅr die Einfuhrumsatzsteuer mÇgliche Vorsteuerabzug bei der Umsatzsteuer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) nicht zum Fortfall der Strafbarkeit wegen Schmuggels (Kompensationsverbot).4 Dass die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer bereits abgezogen werden kann, wenn sie fÅr die Einfuhr geschuldet wird,5 spielt hierbei keine Rolle.6 Die vorstehenden Grundstze gelten auch in den Fllen, in denen die Einfuhrumsatzsteuer entgegen der Rechtslage nicht angemeldet wird, weil die dem Zoll bei der Einfuhr vorgelegten sog. Freischreibungslisten nur Warenwerte unter 22 Euro enthalten, obwohl tatschlich die Verkaufspreise wesentlich hÇher liegen.7 Schließlich kommte es auch zu SteuerverkÅrzungen dadurch, dass die eingefÅhrten Waren nicht aufgrund ausdrÅcklicher Vollmacht fÅr den Abnehmer angemeldet werden mit der Folge, dass der Ort der Lieferung im Inland belegen ist (§ 3 Abs. 8 UStG), ohne dass die Umsatzsteuer vom Lieferanten angemeldet wird.8 Beispiel: Die X-AG in der Schweiz betreibt einen Versandhandel mit Musik-CDs und FilmDVDs. Die Bestellungen erfolgen Åber das Internet, wobei die einzelnen Sendungen so ausgestaltet sind, dass deren Warenwert jeweils unter 22 Euro liegt. Die AGB der 1 Vgl. auch BFH v. 21.11.2002 – VII B 163/02, BFH/NV 2003, 523. 2 BFH v 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153; FG MÅnchen v. 20.2.2013 – 3 K 3346/10, EFG 2013, 1437 (Revision eingelegt AZ des BFH: XI R 17/13. 3 BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. 4 BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. 5 EuGH v. 29.3.2012 – Rs. C-414/10 – Veleclar, DStR 2012, 697 Rz. 27. 6 BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. 7 Hierzu Proske/ZÅhlke, StBp 2014, 89 ff. (94 f.). 8 Hierzu Proske/ZÅhlke, StBp 2014, 89 ff. (91 f.).
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17.53
Kapitel 17 Umsatzsteuerrecht X-AG enthalten den Hinweis, dass die Auslieferung der Ware direkt von einem Auslieferungslager in der Schweiz vorgenommen wird. Zugleich enthalten die AGB an versteckter Stelle eine Vollmacht, wonach die X-AG alle erforderlichen Zollerklrungen im Namen und im Auftrag der jeweiligen Besteller abzugeben hat. Bei der Einfuhr der Waren an der deutschen Zollstelle erfolgte in 2012 die Zollabfertigung als vereinfachte Zollanmeldung im Sammelfreischreibungsverfahren. Jeder Anmeldung war eine Liste der Empfnger mit Namen, Ort und jeweiligem Rechnungsbetrag beigefÅgt. In den betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen 2012 und in der Umsatzsteuererklrung fÅr das Jahr 2012 behandelte die X-AG die Kleinsendungen als im Inland nicht steuerbar. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-SonderprÅfung wurden die entsprechenden Lieferungen als steuerbar und steuerpflichtig behandelt und dementsprechend die Umsatzsteuerbescheide gendert. Zugleich wurde gegen die Verantwortlichen der X-AG ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
17.54 Die Lieferungen der Musik-CDs und der Film-DVDs erfolgten im Inland (§ 3 Abs. 8 UStG) und waren somit steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Diese Rechtsfolge beruht im Wesentlichen darauf, dass die X-AG als Lieferantin Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer war. Die AGB enthalten zwar eine Regelung, wonach die X-AG fÅr den jeweiligen Besteller die zollamtlichen Formalitten zu erledigen hat, es handelt sich hierbei aber nicht um eine wirksame Vertretungsvollmacht, wie sie von Art. 5 Abs. 4 Satz 1 ZK verlangt wird. Der bloße Hinweis in den AGB reicht nicht aus. Denn Bestimmungen in AGB, die nach den Umstnden, insbesondere nach dem ußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewÇhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Bestandteil des jeweiligen Vertrages (§ 305c Abs. 1 BGB).1 Mangels wirksamer Vertretungsvollmacht wird die X-AG so behandelt, als htte sie die Zollformalitten im eigenen Namen und fÅr eigene Rechnung erledigt (§ 5 Abs. 4 Satz 2 ZK).2 Hieraus folgt, dass sie Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer war, sodass fÅr alle diesbezÅglichen Kleinsendungen der Ort der Lieferung im Inland war (§ 3 Abs. 8 UStG). Dass tatschlich die Einfuhrumsatzsteuer fÅr die Kleinsendungen nicht erhoben wurde (§ 1a EUStBV), spielt keine Rolle.3 Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist somit gegeben. Ob auch der subjektive Tatbestand erfÅllt ist, erscheint zweifelhaft. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob den Verantwortlichen der X-AG bewusst war, dass die AGB keine wirksame Vollmachtserteilung enthielten.
1 Vgl. hierzu die Hinweise in BFH v. 21.3.2007 – V R 32/05, BStBl. II 2008, 153 (156 rechte Spalte); FG MÅnchen v. 20.2.2013 – 3 K 3346/10; EFG 2013, 1437 (1438 rechte Spalte). 2 Vgl. auch BFH v. 21.11.2002 – VII B 163/02, BFH/NV 2003, 523. 3 BFH v. 21.3.2007 – 5 R 32/05, BStBl. II 2008, 153; A 3.13 Abs. 1 Satz 4 UStAE.
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Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht
A. Allgemeine Hinweise . . . . . . .
Rz. 18.1
B. Typische Problembereiche I. nderung des Gesellschafterbestandes 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . .
18.3 18.7
a
3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . .
Rz. 18.9
a
II. Anteilsvereinigung in einer Hand 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.14 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 18.16 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 18.17
Literatur (Gesamtdarstellungen): Kommentare zum GrEStG; Bruschke, Grunderwerbsteuer, Kraftfahrzeugsteuer, 6. Aufl. Achim 2011; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 18 Rz. 1 ff.; Rose/Watrin, Umsatzsteuer mit Grunderwerbsteuer und kleineren Verkehrsteuern, 17. Aufl. Berlin 2011, RutemÇller, Die Umsatz- und grunderwerbsteuerliche Behandlung von GrundstÅcksumstzen, Hamburg 2011; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1017 ff.
A. Allgemeine Hinweise Die von der Grunderwerbsteuer erfassten Erwerbsvorgnge beziehen sich zwar nur auf inlndische GrundstÅcke (§ 1 Abs. 1 GrEStG), sodass insoweit das Territorialittsprinzip verwirklicht wird (s. Rz. 13.137), sie kÇnnen aber nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland vollzogen werden. Angesprochen ist damit zum einen der Abschluss eines Kaufvertrages, der den Anspruch auf GrundstÅcksÅbereignung begrÅndet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Zum anderen geht es aber vor allem um die in § 1 Abs. 2a und § 1 Abs. 3 GrEStG verankerten Ersatztatbestnde, die auch durch Rechtstrgerwechsel im Ausland erfÅllt werden kÇnnen. So wird von § 1 Abs. 2a GrEStG auch die nderung im Gesellschafterbestand einer auslndischen Personengesellschaft erfasst. Ebenso betrifft § 1 Abs. 3 GrEStG die Anteilsvereinigung und bertragung vereinigter Anteile auch an auslndischen Kapitalgesellschaften. Im außensteuerlichen Kontext sind die nderung des Gesellschafterbestandes einer auslndischen Personengesellschaft sowie die Anteilsvereinigung der auslndischen Kapitalgesellschaft von besonderer Bedeutung. Das gilt insbesondere unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten, weil in den vorgenannten Fllen die effektive Erhebung der Grunderwerbsteuer nicht sichergestellt ist.1
1 Zur Verfassungswidrigkeit von materiellen Steuernormen mit Defiziten im Erhebungsverfahren: BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94.
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18.1
18.2
Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht
B. Typische Problembereiche I. nderung des Gesellschafterbestandes Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 2a GrEStG; Behrens, Fiktion von GrundstÅckserwerben bei Anteilsgeschften im Grunderwerbsteuerrecht, in FS Schaumburg, KÇln 2009, 1107 ff.; Behrens, Anmerkungen zum koordinierten Lndererlass zu § 1 Abs. 2a GrEStG vom 25.2.2010 (DStR 2010, 97), DStR 2010, 777 ff.; Behrens/Schmitt, Grunderwerbsteuer bei mittelbarer AnteilsÅbertragung, BB 2009, 424 ff.; Fischer/ Waßmer, Steuerstrafrechtliche Aspekte grunderwerbsteuerlicher Sachverhalte bei Unternehmensakquisitionen im Rahmen internationaler M&A-Transaktionen, BB 2002, 969 ff.; Grotherr, Grunderwerbsteuerliche Probleme bei der Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen, BB 1994, 1970 ff.; Micker, Typisierungsbefugnis versus Folgerichtigkeit bei § 1 Abs. 2a GrEStG, DStZ 2009, 285 ff.; Schenko, Die aktuelle Verwaltungsauffassung zum § 1 Abs. 2a GrEStG, UVR 2010, 148 ff.; Schmitt-Homann, Grunderwerbsteuer: Die 95 %-Grenze „Durchrechnung“ oder „Alles-oder-Nichts-Betrachtung“ zur Ermittlung der BeteiligungshÇhe, BB 2010, 2276 ff..
1. berblick
18.3 Nach § 1 Abs. 2a GrEStG gilt als ein auf die bereignung eines GrundstÅcks auf eine neue Personengesellschaft gerichteter Erwerbsvorgang, wenn zum VermÇgen der in- oder auslndischen Personengesellschaft1 ein inlndisches GrundstÅck gehÇrt und wenn sich innerhalb von fÅnf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt ndert, dass mindestens 95 % der Anteile am GesellschaftsvermÇgen auf neue Gesellschafter Åbergehen. Es handelt sich hierbei um eine Vorschrift, die Steuerumgehungen durch Zwischenschaltung von Personengesellschaften vermeiden will.2 Auf eine etwaige Umgehungsabsicht kommt es hierbei nicht an.3 Ebenso ist ohne Bedeutung, ob die grundbesitzfÅhrende Personengesellschaft originr gewerblich ttig oder eine reine GrundstÅcksgesellschaft ist.4
18.4 Vom Tatbestand werden alle inlndischen GrundstÅcke erfasst, die whrend des Zeitraum, in welchem sich der Gesellschafterbestand um mindestens 95 % der Anteile ndert, durchgngig zum VermÇgen der Per-
1 2 3 4
Hierzu Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 831. Hierzu Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 822 ff. Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 823; Micker, DStZ 2009, 285 ff. (287). BFH v. 11.9.2002 – II B 113/02, BStBl. II 2002, 777; gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 1.1; Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 823; fÅr eine Einschrnkung dagegen Pahlke5, § 1 GrEStG Rz. 273.
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B. Typische Problembereiche
sonengesellschaft gehÇren,1 wobei die hierfÅr maßgebliche FÅnf-JahresFrist fÅr jedes im VermÇgen der Personengesellschaft befindliches GrundstÅck gesondert zu berechnen ist.2 Der bergang der Gesellschaftsanteile, der entweder derivativ durch Erwerb von Altgesellschaftern oder auch originr durch Eintritt von Neugesellschaftern erfolgen kann,3 erfasst gleichermaßen Rechtstrgerwechsel durch Einzel-, Sonderrechts- und Gesamtrechtsnachfolge, wobei allerdings der Erwerb von Todes wegen außer Betracht bleibt (§ 1 Abs. 2a Satz 2 GrEStG). Ob mindestens 95 % der Gesellschaftsanteile auf neue Gesellschafter Åbergegangen sind, ist auf das Verhltnis der Beteiligung der Neugesellschafter zu der fortbestehenden Beteiligung von Altgesellschaftern abzustellen, wobei der Anteil am GesellschaftsvermÇgen4 maßgebend ist.5 Bei mittelbaren Beteiligungen ist wie folgt zu unterscheiden: Bei Doppeloder mehrstÇckigen Personengesellschaften ist auf die durchgerechnete Quote der Vernderungen abzustellen. Bei Beteiligungen von Kapitalgesellschaften kommt es dagegen darauf an, ob der Gesellschafterwechsel dort mindestens 95 % der Anteile betrgt. Ist das der Fall, so ist die Beteiligung der Kapitalgesellschaft in voller HÇhe bei der Ermittlung der 95-%-Grenze der Personengesellschaft zu berÅcksichtigen. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Anteilsnderung der Kapitalgesellschaft fÅr die Berechnung der 95-%-Quote der Personengesellschaft außer Betracht,6 es sei denn, dass erst bei Durchrechnung der Beteiligungsquoten die 95-%-Quote erreicht wird (§ 1 Abs. 3a GrEStG).7
18.5
Ist der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfÅllt, gilt die Fiktion der bertragung des GrundvermÇgens der Personengesellschaft auf eine neue Personengesellschaft. Bemessungsgrundlage ist der Grundbesitzwert gem. § 138 Abs. 2–4 BewG (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG). Steuerschuldnerin ist die Personengesellschaft, deren Gesellschafterbestand sich innerhalb von fÅnf Jahren vollstndig oder wesentlich gendert hat (§ 13 Nr. 6 GrEStG).
18.6
1 BFH v. 8.11.2000 – II R 64/98, BStBl. II 2001, 422; Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 881; Gottwald, Grunderwerbsteuer4, Rz. 227; Pahlke5, § 1 GrEStG Rz. 277. 2 Gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 4. 3 Hierzu Gottwald, Grunderwerbsteuer4, Rz. 236 ff. 4 Abzustellen ist im Zweifel auf die vereinbarten festen Kapitalanteile: Viskorf in Boruttau17, § 5 GrEStG Rz. 41; Gottwald, Grunderwerbsteuer4, Rz. 230; Behrens/Hofmann, UVR 2004, 27. 5 Vgl. gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 1.3. 6 Gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 3; Pahlke5, § 1 GrEStG Rz. 307; Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 845 ff.; Gottwald, Grunderwerbsteuer4, Rz. 241; Hofmann/Hofmann10, § 1 GrEStG Rz. 111. 7 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab 7.6.2013 (§ 23 Abs. 11 GrEStG); die Vorschrift ist gegen sog. RETT-Blocker-Strukturen (RETT-Blocker – Real Estate Transfer Tax-Blocker) gerichtet; ebenso im Ergebnis vor der Neuregelung BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, BStBl. II 2013, 833; zu Einzelheiten gleich lautende Lndererlasse v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1363.
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Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht
2. Pflichtenkreis
18.7 Das GrEStG enthlt zwecks Sicherung des Steueraufkommens Sondervorschriften (§§ 18–22 GrEStG), von denen §§ 18, 19 GrEStG besondere Bedeutung haben. In § 18 GrEStG ist die Anzeigepflicht fÅr Gerichte, BehÇrde und Notare verankert. Soweit es Gerichte betrifft, geht es um die Anzeige von gerichtlichen Vergleichen, die Rechtsvorgnge Åber ein inlndisches GrundstÅck betreffen. DarÅber hinaus erstreckt sich die Anzeigepflicht auch auf den Wechsel im GrundstÅckseigentum aufgrund einer Eintragung im Handels-, Genossenschafts- oder Vereinsregister (§ 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 GrEStG).1 Anzeigepflichtig sind ferner BehÇrden, zu denen auch mit besonderer Beurkundungszustndigkeit ausgestattete auslndische Konsularbeamte (§§ 10 ff. Konsulargesetz) gehÇren.2 Anzeigespflichtig sind schließlich auch inlndische Notare Åber die von ihnen beurkundeten GrundstÅcksangelegenheiten, wobei sie auch zur Vorlage von Urkunden und zur Erteilung weiterer AuskÅnfte verpflichtet sind (§ 102 Abs. 4 Satz 2 AO). Da auslndische Notare nicht anzeigeverpflichtet sind,3 sind die am Erwerbsvorgang Beteiligten selbst anzeigeverpflichtet (§ 19 Abs. 1 Satz 2 GrEStG). Die Anzeigepflicht erfasst zwar im Grundsatz nur Rechtsvorgnge, die ein inlndisches GrundstÅck betreffen, sie wird aber erstreckt auf alle Vorgnge, die die bertragung von Gesellschaftsanteilen zum Gegenstand haben, soweit zum VermÇgen der Gesellschaft ein inlndisches GrundstÅck gehÇrt (§ 19 Abs. 2 Satz 2 GrEStG). Damit ist auch ein Notar anzeigepflichtig, wenn er etwa den bergang von Gesellschaftsanteilen beurkundet. Ihn trifft hierbei eine Erkundigungspflicht dahin gehend, ob zum GesellschaftsvermÇgen inlndische GrundstÅcke gehÇren.4 Die Anzeige hat nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung, der Unterschriftsbeglaubigung oder der Bekanntgabe der Entscheidung zu erfolgen.5
18.8 In § 19 GrEStG ist die Anzeigepflicht der Steuerschuldner verankert. Diese Anzeigepflicht besteht auch dann, wenn Gerichte, BehÇrden und Notare gem. § 18 GrEStG anzeigepflichtig sind.6 Die Anzeigepflicht trifft auch auslndische Steuerschuldner, was insbesondere bei der Umstrukturierung grenzÅberschreitender Unternehmensverbindungen (Konzerne) 1 Betroffen sind hierdurch die Registergerichte; vgl. Anordnung Åber Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) v. 1.6.1998 i.d.F. v. 25.8.2008, www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de. 2 Zur Anzeigepflicht der Konsulate FinMin. Niedersachsen v. 30.5.1996, DB 1996, 1260. 3 Pahlke5, § 18 GrEStG Rz. 2; KÅperkoch, RNotZ 2002, 297 ff. (299); a.A. Heine, UVR 2002, 246 ff. (250). 4 Viskorf in Boruttau17, § 18 GrEStG Rz. 24; Pahlke5, § 18 GrEStG Rz. 8; Hofmann/Hofmann10, § 18 GrEStG Rz. 7. 5 § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG. 6 BFH v. 30.10.1996 – Rs. 69/94, BStBl. II 1997, 85; BFH v. 1.12.2004 – II R 10/02, BFH/NV 2005, 1365; BFH v. 25.1.2006 – II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059.
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B. Typische Problembereiche
besondere Bedeutung hat.1 In derartigen Fllen ist die Anzeigepflicht durch die Vorstnde, GeschftsfÅhrer usw. auslndischer Gesellschafter, soweit diese Steuerschuldner sind, zu erfÅllen.2 3. Pflichtverletzungen Wird die Anzeigepflicht gem. § 18 GrEStG etwa durch den Notar verletzt, ergeben sich in steuerlicher Hinsicht nachteilige Rechtsfolgen nur insoweit, als die RÅckgngigmachung eines nicht angezeigten Erwerbsvorgangs nicht dazu fÅhrt, dass die Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben wird (§ 16 Abs. 5 GrEStG). Im brigen unterbleibt trotz Verletzung der Anzeigepflicht eine Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, soweit der Steuerschuldner selbst nicht anzeigeverpflichtet war.3 Da die Notare behÇrdliche Aufgaben wahrnehmen und damit hoheitliche Ttigkeiten ausÅben, sind sie ebenso wie Gerichte und BehÇrden durch § 255 Abs. 1 AO geschÅtzt mit der Folge, dass gegen sie wegen Nichtabgabe von Anzeigen trotz Aufforderung nicht mit Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) vorgegangen werden darf.4 In strafrechtlicher Hinsicht begeht der Notar bei Verletzung der Anzeigepflichten ggf. eine Steuerhinterziehung zugunsten des Steuerschuldners oder eine leichtfertige SteuerverkÅrzung.5
18.9
Verletzt der Steuerschuldner seine Anzeigepflicht gem. § 19 GrEStG, ergeben sich in steuerlicher Hinsicht folgende Rechtsfolgen: – Versptungszuschlag (§ 153 AO), weil die abzugebende Anzeige als Steuererklrung gilt (§ 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG), – Zwangsmittel (§ 328 ff. AO), soweit der Steuerschuldner zuvor durch Verwaltungsakt zur Abgabe der Anzeige aufgefordert wurde (§ 328 Abs. 1 Satz 1 AO), – keine Nichtfestsetzung der Steuer oder Aufhebung oder nderung der Steuerfestsetzung, falls der Erwerbsvorgang rÅckgngig gemacht wird (§ 16 Abs. 5 GrEStG), – Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).
18.10
In strafrechtlicher Hinsicht sind insbesondere mittelbare nderungen des Gesellschafterbestandes im Ausland von Bedeutung.
18.11
1 Vgl. Fischer/Waßmer, BB 2002, 969 ff.; Grotherr, BB 1994, 1970 ff. 2 Vgl. gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 12. 3 BFH v. 16.2.1994 – II R 125/90, BStBl. II 1994, 866; BFH v. 6.7.2005 – II R 9/04, BStBl. II 2005, 780; BFH v. 26.2.2007 – II R 50/06, BFH/NV 2007, 1535; hierzu auch Viskorf in Boruttau17, § 18 GrEStG Rz. 29. 4 Pahlke5, § 18 GrEStG Rz. 18; KÅperkoch, RNotZ 2002, 297 ff. (299); a.A. Kruse in T/K, § 328 AO Rz. 21; Viskorf in Boruttau17, § 18 GrEStG Rz. 36. 5 Vgl. FG Bremen v. 19.1.1993 – II 163/90 K, EFG 1993, 540; FG Baden-WÅrttemberg v. 17.3.2004 – 5 K 59/01, EFG 2004, 867; KÅperkoch, RNotZ 2002, 297 ff. (299).
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Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht Beispiel: An der grundstÅcksbesitzenden A-OHG sind A zu 85 %, B zu 5 % und die belgische U-SA zu 10 % beteiligt. An der belgischen SA sind wiederum U zu 90 % sowie V und W zu jeweils 5 % beteiligt. Im Jahr 2010 Åbertrgt A seine gesamte Beteiligung (85 %) an der A-OHG auf den C. Ein Jahr spter Åbertragen U, V und W ihre Anteile an der belgischen U-SA jeweils auf X, Y und Z, die ebenfalls wie U, V und W in Belgien ansssig sind. Nach dem Ausscheiden von A aus der A-OHG sind C und B zur GeschftsfÅhrung und Vertretung der A-OHG berechtigt. Im Zuge einer bei der A-OHG durchgefÅhrten AußenprÅfung wird der Sachverhalt aufgedeckt. Wegen des Verdachts der Hinterziehung von Grunderwerbsteuer wird gegen A und B ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
18.12 Da innerhalb des maßgeblichen FÅnfjahreszeitraums mittelbar mindestens 95 % der Gesellschaftsanteile Åbergegangen sind, ist im Jahr 2010 der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfÅllt. Dass hier die unmittelbare und mittelbare Anteilsnderung insgesamt mindestens 95 % betrgt, beruht zum einen auf dem unmittelbaren Gesellschafterwechsel von A auf C im Jahr 2009 in HÇhe von 85 % und zum anderen auf dem mittelbaren Gesellschafterwechsel von U auf X und von V auf Y und von W auf Z in HÇhe von 10 % im Jahr 2010. Eine mittelbare nderung des Gesellschafterbestandes ist hier gegeben, weil sich der Gesellschafterbestand der U-SA vollstndig verndert hat.1 Da B unverndert mit 5 % an der A-OHG beteiligt ist, greift § 6 Abs. 3 Satz 1 GrEStG ein mit der Folge, dass die Steuer in HÇhe von 5 % nicht zu erheben ist.
18.13 Im Hinblick darauf, dass die nderungen des unmittelbaren und mittelbaren Gesellschafterbestandes der A-OHG den Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfÅllt, htten B und C im Jahr 2010 nach Vollzug des mittelbaren Gesellschafterwechsels innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung die Erwerbsvorgnge als gesetzliche Vertreter der A-OHG2 dem zustndigen Finanzamt anzeigen mÅssen. Diese Anzeigepflicht ist objektiver Natur, sodass es auf etwaige subjektive Kenntnisse und Fhigkeiten der Beteiligten nicht ankommt.3 Damit ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfÅllt. Ob allerdings Vorsatz gegeben ist, bedarf noch weiterer Ermittlungen, wobei zu berÅcksichtigen ist, dass die fÅr an Personengesellschaften beteiligte Kapitalgesellschaften maßgebliche Ermittlung des Vom-Hundert-Satzes sich aus dem Gesetzestext nicht ohne Weiteres ergibt.4 Hinzu kommt, dass dem § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a 1 Zu diesem Erfordernis BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, BStBl. II 2013, 833 entgegen gleich lautenden Lndererlassen v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 3.3, wonach in dem Fall, dass bei der beteiligten Kapitalgesellschaft mindestens 95 % der Anteile auf neue Anteilseigner Åbergehen, die Beteiligung der Kapitalgesellschaft in voller HÇhe bei der Ermittlung des Vom-Hundert-Satzes i.S. des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG zu berÅcksichtigen ist; eine entsprechende Klarstellung i.S. der Erlassregelung ist im Rahmen des Zollkodexanpassungsgesetzes geplant. 2 Sie ist Steuerschuldnerin, § 13 Nr. 6 GrEStG. 3 Pahlke5, § 19 GrEStG Rz. 3. 4 Vgl. nur BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, DStR 2013, 1280.
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B. Typische Problembereiche
GrEStG das Ausmaß der Anzeigepflicht nicht ausreichend zu entnehmen ist.1
II. Anteilsvereinigung in einer Hand Literatur: Kommentare zu § 1 Abs. 3 GrEStG; Behrens, Fiktion von GrundstÅckserwerben bei Anteilsgeschften im Grunderwerbsteuerrecht, in FS Schaumburg, KÇln 2009, 1108 ff.; Heine, Grunderwerbsteuerliche Auswirkungen der bernahme oder Einziehung eigener Geschftsanteile, GmbHR 2002, 678 ff.; Heine, Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG in Verbindung mit Abs. 4 auf Organschaftsflle, UVR 2007, 245 ff.; RothenÇder, Der Anteil i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, Berlin 2009; Wischott, Grunderwerbsteuerplanung bei Konzernumstrukturierungen, in Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, 3. Aufl. Herne 2011, 1051 ff.; Wischott/ SchÇnweiß/FrÇhlich, Systemwechsel in der Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG bei mittelbaren Anteilsvereinigungen?, DStR 2009, 361 ff.
1. berblick Gemß § 1 Abs. 3 GrEStG wird die unmittelbare oder mittelbare Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft als GrundstÅckserwerb fingiert. Der Tatbestand kann hierbei entweder durch erstmaligen Erwerb von mindestens 95 % (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, 4 GrEStG) oder durch Anteilsaufstockung auf 95 % (§ 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 GrEStG) erfÅllt werden. § 1 Abs. 3 GrEStG ist ein Ergnzungstatbestand, der auf die Verhinderung von Steuerumgehungen gerichtet ist. Andernfalls kÇnnte die Grunderwerbsteuer dadurch umgangen werden, dass nicht die GrundstÅcke selbst, sondern Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften verußert werden.2 Im Hinblick darauf, dass Anteilsvereinigungen bei Personengesellschaften unter § 1 Abs. 2a GrEStG fallen,3 gilt § 1 Abs. 3 GrEStG im Wesentlichen nur fÅr Kapitalgesellschaften.4
18.14
Bei der Berechnung der fÅr die Anteilsvereinigung maßgeblichen Beteiligungsquote von 95 %, bei der eigene Anteile der Gesellschaft herauszurechnen sind,5 ergeben sich Besonderheiten bei der mittelbaren Anteilsvereinigung: Bei der mittelbaren Beteiligung muss die Beteiligungsquote von 95 % auf jeder Beteiligungsstufe erfÅllt sein, sodass ein Durchrechnen
18.15
1 Zur Kritik Viskorf in Boruttau17, § 19 GrEStG Rz. 24; Hofmann/Hofmann10, § 19 GrEStG Rz. 3. 2 Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 901 ff.; Hofmann/Hofmann10, § 1 GrEStG Rz. 135; RothenÇder, Der Anteil i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG, 2008, 41. 3 § 1 Abs. 2a GrEStG geht vor; vgl. gleich lautende Lndererlasse v. 18.2.2014, BStBl. I 2014, 561 Tz. 6. 4 Fischer in Boruttau17, § 1 GrEStG Rz. 928; Hofmann/Hofmann10, § 1 GrEStG Rz. 141 ff. 5 Hofmann/Hofmann10, § 1 GrEStG Rz. 144.
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Kapitel 18 Grunderwerbsteuerrecht
der auf den jeweiligen Beteiligungsstufen bestehenden Beteiligungsquoten nicht in Betracht kommt,1 es sei denn, dass erst im Falle der Durchrechnung die 95-%-Grenze erreicht wÅrde (§ 1 Abs. 3a GrEStG).2 Der Tatbestand der Anteilsvereinigung erfhrt dadurch eine Erweiterung, dass fÅr die Berechnung der Mindestbeteiligungsquote herrschende und abhngige Unternehmen bei Vorliegen eines Organschaftsverhltnisses zusammengefasst werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2, Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b GrEStG). Danach genÅgt es, dass sich die Anteile in der Hand von herrschenden und abhngigen Unternehmen, von herrschenden Unternehmen und abhngigen Personen oder in der Hand abhngiger Unternehmen allein oder in der Hand abhngiger Personen allein in HÇhe von mindestens 95 % vereinigen.3 2. Pflichtenkreis
18.16 Bei der Anteilsvereinigung in einer Hand gelten im Grundsatz die gleichen Anzeigepflichten wie bei der nderung des Gesellschafterbestandes von Personengesellschaften. FÅr Gerichte, BehÇrden und insbesondere Notare ergibt sich aus § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG die Verpflichtung, alle Vorgnge anzuzeigen, die die bertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum VermÇgen der Gesellschaft ein inlndisches GrundstÅck gehÇrt. Angesprochen sind damit alle Erwerbsvorgnge, die von § 1 Abs. 3 GrEStG erfasst sind. Anzeigepflichten ergeben sich aber auch fÅr den jeweiligen Steuerschuldner (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 – 7 GrEStG). Steuerschuldner sind bei unmittelbarer und mittelbarer Anteilsvereinigung der Erwerber (§ 13 Nr. 5 Buchst. a GrEStG) und bei einer Anteilsvereinigung im Organkreis alle Organkreismitglieder (§ 13 Nr. 5 Buchst. b GrEStG), die insoweit Gesamtschuldner sind.4 Diese Anzeigepflichten gelten auch fÅr auslndische Kapitalgesellschaften, fÅr die die jeweiligen gesetzlichen Vertreter zur ErfÅllung der Verpflichtung herangezogen werden. 3. Pflichtverletzungen
18.17 Die AusfÅhrungen zu Rz. 18.9 ff. gelten hier entsprechend. In der steuerstrafrechtlichen Praxis sind vor allem Pflichtverletzungen der gesetzlichen Vertreter auslndischer Kapitalgesellschaften von Bedeutung.
1 BFH v. 25.8.2010 – II R 65/08, BStBl. II 2011, 225. 2 I.d.F. des AmtshilfeRLUmsG mit Wirkung ab 7.6.2013 (§ 23 Abs. 11 GrEStG); die Neuregelung ist gegen sog. RETT-Blocker-Strukturen gerichtet; vgl. zur rechnerischen Ermittlung Tiede, StuB 2014, 765 ff. 3 Zu Einzelheiten Hofmann/Hofmann10, § 1 GrEStG Rz. 174 ff. 4 Viskorf in Boruttau17, § 13 GrEStG Rz. 42, 51; Hofmann/Hofmann10, § 13 GrEStG Rz. 16.
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B. Typische Problembereiche Beispiel: An der grundbesitzenden A-GmbH ist die in Frankreich ansssige X-SA zu 100 % beteiligt. An der X-SA ist die in Luxemburg ansssige Y-GmbH zu 81 % und die in der Schweiz ansssige Z-AG zu 19 % beteiligt. Die Z-AG, die alleinige Gesellschafterin der Y-GmbH ist, bringt ihre Anteile an der X-SA im Zuge einer KapitalerhÇhung in die Y-GmbH im Jahr 2008 ein. Kurze Zeit spter wird der Vorgang im Rahmen der bei der grundbesitzenden A-GmbH im Rahmen einer steuerlichen AußenprÅfung aufgedeckt. Gegen den GeschftsfÅhrer der in Luxemburg ansssigen Y-GmbH wird wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Infolge der Einbringung der Anteile an der X-SA in die Y-GmbH im Zuge einer KapitalerhÇhung erfolgt eine mittelbare Anteilsvereinigung, die unter § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG fllt. Aufgrund dieser Einbringung sind die Anteile der Y-GmbH an der X-SA Åber die maßgebliche Mindestbeteiligungsquote von 95 % aufgestockt worden. Dass bereits zuvor die X-SA als Untergesellschaft alle Anteile der grundbesitzenden A-GmbH hielt, ist unerheblich und hindert nicht die mittelbare Anteilsvereinigung auf einer hÇheren Stufe.1 Im Hinblick darauf htte der GeschftsfÅhrer der luxemburgischen Y-GmbH die Anteilsvereinigung innerhalb von 14 Tagen nach Kenntnisnahme dem zustndigen deutschen Finanzamt mitteilen mÅssen (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG). Da dies nicht geschehen ist, liegt der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung vor. Ob Vorsatz gegeben ist, wird nur aufgrund weiterer Ermittlungen feststellbar sein. Aufgrund der insbesondere fÅr Auslnder nicht offenkundigen Rechtslage wird ein Vorsatz nicht naheliegen. Entsprechendes wird fÅr den subjektiven Tatbestand einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO) zu gelten haben, wobei ggf. den Steuerpflichtigen aber Informations- und Erkundigungspflichten Åber seine Erklrungs- und Anzeigepflichten treffen.2
1 BFH v. 5.11.2002 – II R 41/02, BFH/NV 2003, 507; BFH v. 19.12.2007 – II R 65/06, BStBl. II 2008, 489; dort auch zu einem verneinten Verstoß gegen Richtlinie 69/335/EWG v. 17.7.1969 zur Harmonisierung von indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, ABl. EG 1969 Nr. L 249, 25. 2 BFH v. 19.2.2009 – II R 49/07, BFH/NV 2009, 1291.
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18.18
Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht
A. Allgemeine Hinweise . . . . . . .
Rz. 19.1
B. Typische Problembereiche I. Energiesteuern 1. berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . .
19.4 19.8
a
Rz. 3. Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 19.13 II. 1. 2. 3.
Tabaksteuer berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.18 Pflichtenkreis . . . . . . . . . . . . . . 19.22 Pflichtverletzungen . . . . . . . . . 19.24
Literatur (Gesamtdarstellungen): Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg (Loseblatt); Bongartz/SchrÇer-Schallenberg, Verbrauchsteuern, 2. Aufl. MÅnchen 2011; Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. KÇln 2013, § 17 Rz. 105 ff.; FÇrster, Die Verbrauchsteuern, Geschichte, Systematik, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben, Heidelberg 1989; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Kruse (Hrsg.), ZÇlle, Verbrauchsteuern, europisches Marktordnungsrecht, DStJG 11 (1988); MÅller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. KÇln 2003, 1037 ff., 1103 ff.
A. Allgemeine Hinweise 19.1 Im internationalen Kontext haben Verbrauchsteuern1 Bedeutung vor allem im Rahmen des Steueraussetzungsverfahrens bei BefÇrderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten der EU sowie bei Ein- und Ausfuhr aus oder in Drittgebiete. In den vorgenannten Fllen besteht die Besonderheit, dass unter bestimmten Voraussetzungen Verbrauchsteuern nicht erhoben werden, solange sich die verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse in einem Steueraussetzungsverfahren oder einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren befinden. Die Verbrauchsteuern entstehen erst dann, wenn die betreffenden Erzeugnisse in den steuerrechtlich (zollrechtlich) freien Verkehr ÅberfÅhrt werden etwa durch Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung oder dem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren. Im Ergebnis wird hierdurch die Steuerentstehung zeitlich nah an die Abgabe der betreffenden Erzeugnisse oder Waren an den Verbraucher herangefÅhrt,2 wodurch zugleich dem Hersteller oder Hndler ermÇglicht
1 Tabaksteuer, Biersteuer, Branntweinsteuer (ab 1.1.2018 Alkoholsteuer); Alkopopsteuer, Schaumweinsteuer, Kaffeesteuer, Energiesteuer, Stromsteuer und Kernbrennstoffsteuer; der Charakter der Kernbrennstoffsteuer als Verbrauchsteuer ist allerdings zweifelhaft; vgl. hierzu FG Hamburg v. 29.1.2013 – 4 K 270/11, ZfZ 2013, 192; DrÅen, ZfZ 2012, 309 ff.; Grditz, ZfZ 2014, 18 ff. 2 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 144; Stobbe, ZfZ 1993, 194 ff. (197).
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a
B. Typische Problembereiche
wird, die Steuer auf den Kunden abzuwlzen, bevor diese an den Fiskus abzufÅhren ist.1 Neben der klassischen Verbrauchsteuerhinterziehung – z.B. HeizÇlverdieselung und Schwarzbrennen – haben Hinterziehungshandlungen im grenzÅberschreitenden Verkehr mit anderen EU-Mitgliedstaaten große praktische Bedeutung.2 Hinzu kommt, dass auch die Hinterziehung von (harmonisierten) Verbrauchsteuern anderer EU-Mitgliedstaaten in Deutschland unter Strafe gestellt ist (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Zu den harmonisierten Verbrauchsteuern gehÇren u.a. die Energiesteuern und die Tabaksteuer (zu den Verbrauchsteuern allgemein im berblick Rz. 13.144 ff.).
19.2
19.3
B. Typische Problembereiche I. Energiesteuern Literatur: Kommentare zum Energiesteuerrecht; Bender, HeilÇlverdieselung als Straftatbestand, ZfZ 1983, 232; Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Regensburg, Loseblatt; Bongartz in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 2. Aufl. MÅnchen 2011, Rz. H 1 ff.; Friedrich, Das neue Energiesteuerrecht, DB 2006, 1577; HÇlscher, Die Entwicklung des Energiesteuerrechts, RdE 2010, 48; Khazoum/Kudla, Energie und Steuern: Energie- und Stromsteuerrecht in der Praxis, Wiesbaden 2011; Meißner, Das Energie und Stromsteuerrecht im berblick, StEW 2010, Heft September, 1; Scheuer, Unregelmßigkeiten beim innergemeinschaftlichen Versand verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung, ZfZ 2007, 2; Schmidtke/Jansen, nderungen im Energie- Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 286; Soyk, Energie- und Stromsteuerrecht, 3. Aufl. KÇln 2013; Thoms, Aktuelle Entwicklungen im Energie- und Stromsteuerrecht, ZfZ 2010, 5.
1. berblick Die Energiesteuer belastet den Verbrauch von Energieerzeugnissen, zu denen insbesondere Benzin, Diesel, HeizÇl, FlÅssig- und Erdgas sowie Kohle und Koks gehÇren. Zugleich verfolgt die Energiesteuer Çkologische Lenkungszwecke, die darauf abzielen, den Energieverbrauch und damit schdliche Emissionen abzusenken. Die Energiesteuer ist als indirekte Steuer auf berwlzung angelegt.3 HierfÅr genÅgt im Grundsatz die Gewhrleis-
1 Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 5 EnergieStG Rz. 7. 2 Hierzu MÇller/Retemeyer in Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C VI Rz. 1489 ff. 3 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, 37 (55).
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19.4
Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht
tung der abstrakten berwlzbarkeit.1 Das wird im Grundsatz insbesondere durch das Steueraussetzungsverfahren2 sichergestellt. Dieses Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) bewirkt, dass eine Steuer nicht entsteht, so lange Energieerzeugnisse aus dem Steuerlager nicht zum steuerrechtlich freien Verkehr entnommen oder sonstwie in den steuerrechtlich freien Verkehr ÅberfÅhrt werden (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Im Kern geht es darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sog. Lager- und BefÇrderungsverfahrens (§§ 5 ff. EnergieStG), das Entstehen einer Energiesteuer zu vermeiden. Erst die berfÅhrung in den steuerrechtlich freien Verkehr, also typischerweise zu dem Zeitpunkt, zu dem die Energieerzeugnisse dem Endverbrauch zugefÅhrt werden, entsteht somit die Energiesteuer. Das Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) dient auch der Realisierung des Bestimmungslandprinzips, wonach sich der Steueranspruch nach den Regelungen des Staates richtet, in dem der Verbrauch erfolgt.3 Das gilt im Verhltnis zu den Mitgliedstaaten der EU ebenso wie im Verhltnis zu Drittstaaten (§§ 11, 13 EnergieStG).
19.5 Das Steueraussetzungsverfahren fÅr die in § 4 EnergieStG aufgefÅhrten Energieerzeugnisse ist als Lager- oder als BefÇrderungsaussetzungsverfahren (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnergieStG) vorgesehen. Zu den als Steuerlager zu qualifizierenden Herstellungsbetrieben zhlen insbesondere Raffinerien, in denen RohÇl weiterverarbeitet wird.4 Ein derartiger Herstellungsbetrieb wird allerdings nur dann als Steuerlager anerkannt, wenn hierfÅr eine entsprechende Erlaubnis des zustndigen Hauptzollamts vorliegt (§ 6 Abs. 3 EnergieStG i.V.m. § 12 EnergieStV). Mit der Erlaubnis werden vom Hauptzollamt auch die fÅr die Teilnahme am IT-Verfahren EMCS5 notwendigen Verbrauchsteuernummern vergeben.6 Ohne Erlaubnis entsteht die Energiesteuer bereits mit der Herstellung. Als Steuerlager wird auch ein Lager fÅr Energieerzeugnisse angesehen. Hierzu gehÇren insbesondere Großtankanlagen, also solche Lager, die insbesondere dem Großhandel dienen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG). Auch hier ist eine Erlaubnis durch das Hauptzollamt erforderlich (§ 7 Abs. 2 EnergieStG i.V.m. § 16 EnergieStV). Ohne Erlaubnis ist ein Steueraussetzungsverfahren nicht mÇglich. 1 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 ff. (97); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 ff. (289, 295); BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/76, BVerfGE 27, 375 ff. (384); BVerfG v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 ff. (20); BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, ZfZ 2010, 76 (78); vgl. auch § 60 EnergieStG. 2 Das zollrechtliche Nichterhebungsverfahren bei Einfuhr von Energieerzeugnissen aus Drittlndern oder Drittgebieten (§§ 19 ff. EnergieStG) wird hier nicht dargestellt. 3 Hierzu Schaumburg in FS Reiß, 2008, 25 ff. (42). 4 Jatzke in Bongartz/Jatzke/SchrÇer-Schallenberg, § 5 EnergieStG Rz. 22. 5 Es handelt sich hierbei um ein EDV-gestÅtztes BefÇrderungs- und Kontrollsystem fÅr verbrauchsteuerpflichtige Waren (Excise Movement and Control System) 6 Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 6 EnergieStG Rz. 28.
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B. Typische Problembereiche
Das Lageraussetzungsverfahren wird mit der Entnahme der Energieerzeugnisse in den steuerrechtlich freien Verkehr beendet, womit zugleich die Energiesteuer entsteht (§ 8 Abs. 1 EnergieStG).1 Entsprechendes gilt, wenn die Erlaubnis zum Betrieb des Steuerlagers erlischt (§ 14 Abs. 5 EnergieStV). Im Anschluss an die Lagerung kÇnnen Energieerzeugnisse allerdings in einem BefÇrderungsaussetzungsverfahren an andere Verfahrensbeteiligte im Steuergebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat abgegeben oder in ein Drittland ausgefÅhrt werden.2 Ein derartiges BefÇrderungsaussetzungsverfahren ist zulssig bei BefÇrderungen im Steuergebiet (§ 10 EnergieStG), bei BefÇrderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten (§ 11 EnergieStG) oder bei der Ausfuhr (§ 13 EnergieStG). Voraussetzung ist, dass zustzlich zu dem im Rahmen des EMCS zu erstellenden elektronischen Verwaltungsdokuments (E-VD)3 bei Lieferungen an bestimmte begÅnstigte Empfnger4 eine Freistellungsbescheinigung5 ausgefertigt und mitgefÅhrt wird. Schließlich mÅssen sowohl Versender als auch Empfnger Åber die entsprechenden Erlaubnisse6 verfÅgen.7 Damit mÅssen fÅr die ErÇffnung eines Steueraussetzungsverfahrens z.B. fÅr BefÇrderungen in andere Mitgliedstaaten folgende Voraussetzungen erfÅllt sein:8 – Energieerzeugnisse nach § 4 EnergieStG, – Versender als Inhaber eines Steuerlagers (§ 5 Abs. 2 i.V.m. §§ 6, 7 EnergieStG) oder als registrierter Versender (§ 9b EnergieStG), die stets eine Erlaubnis haben mÅssen (§§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 2, 9b Abs. 2 EnergieStG), – Empfnger mit Ansssigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als Inhaber eines Steuerlagers (Art. 4 Nr. 11 SystemRL) oder als registrierter Empfnger (Art. 4 Nr. 9 SystemRL), die stets eine Erlaubnis haben mÅssen (Art. 16 Abs. 1 SystemRL,) und – Verwendung eines E-VD (§ 9d Abs. 1 EnergieStG).
19.6
Das BefÇrderungsaussetzungsverfahren wird regelmßig durch bernahme der Ware durch den Empfnger oder bei erfolgter Ausfuhr beendet (§§ 11 Abs. 4 Satz 2, 13 Abs. 4 Satz 2 EnergieStG).
19.7
1 Ein entgegenstehender Wille des Lagerinhabers ist unbeachtlich; vgl. BFH v. 20.2.2012 – VII B 146/11, ZfZ 2013, 27. 2 Hierzu Jatzke in Bongartz/Jatzke/SchrÇer-Schallenberg, § 5 EnergieStG Rz. 26. 3 Hierzu Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 9d EnergieStG Rz. 22 ff.; zum Verfahren mittels E-VD Soyk in Friedrich/Meißner, § 9d EnergieStG Rz. 9 ff. 4 Art. 12 Abs. 1 SystemRL. 5 § 9d Abs. 2 EnergieStG; hierzu Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 9d EnergieStG Rz. 13 ff.; Soyk in Friedrich/Meißner, § 9d EnergieStG Rz. 29 ff. 6 Vgl. §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 2 EnergieStG. 7 Diese werden in der zentralen Stammdatenbank SEED (System for Exchange of Excise Data) hinterlegt (die nationale SEED-Datenbank wird beim Hauptzollamt Stuttgart gefÅhrt); Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 9d EnergieStG Rz. 20 f. 8 Zu Einzelheiten Soyk in Friedrich/Meißner, § 11 EnergieStG Rz. 11 ff.
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Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht
2. Pflichtenkreis
19.8 Im Zusammenhang mit dem Steueraussetzungsverfahren fÅr Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG), die sich in einem Steuerlager (§§ 6 ff. EnergieStG) befinden und daran anschließend in andere Mitgliedstaaten der EU befÇrdert oder in Drittstaaten ausgefÅhrt werden (§§ 11, 13 EnergieStG), ergeben sich zahlreiche den Beteiligten obliegende besondere Verpflichtungen. So haben Hersteller von Energieerzeugnissen sowie entsprechende Lagerhalter fÅr Zwecke der Steueraussetzung (Lageraussetzungsverfahren) vor allem folgende Pflichten zu erfÅllen: – Einrichtungsverpflichtung, wonach der Herstellungsbetrieb bzw. das Lager so eingerichtet sein mÅssen, dass der Gang der Herstellung, der Verbleib der Erzeugnisse im Betrieb von der Steueraufsicht (Hauptzollamt) verfolgt werden kann und die Lagerung von Energieerzeugnissen verschiedener Art getrennt voneinander und Åbersichtlich erfolgt (§§ 13, 17 EnergieStV); – FÅhrung eines Belegheftes, in dem der mit dem Hauptzollamt gefÅhrte relevante Schriftverkehr zu erfassen ist (§§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 EnergieStV); – Aufzeichnungspflichten, wonach Zu- und Abgnge von Energieerzeugnissen zu vermerken sind (§§ 15 Abs. 2, 19 Abs. 2 EnergieStV); – Anmeldepflichten, wonach dem zustndigen Hauptzollamt auf Verlangen Zusammenstellungen Åber die Abgabe von steuerfreien Energieerzeugnissen vorzulegen sind sowie bis zum 15.2. jeden Jahres nichtsteuerbefreite Energieerzeugnisse1 anzumelden sind (§§ 15 Abs. 3, 19 Abs. 3 EnergieStV); – Anzeigepflichten, wonach dem Hauptzollamt zwischenzeitlich eingetretene nderungen der wirtschaftlichen Verhltnisse anzuzeigen sind (§§ 15 Abs. 8, 19 Abs. 8 EnergieStV); – Gestellung von Sicherheiten, soweit Anzeichen fÅr eine Gefhrdung der Steuer erkennbar sind (§§ 6 Abs. 3 Satz 3, 7 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG).
19.9 Soweit Energieerzeugnisse (§ 4 EnergieStG) aus dem Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG),2 ist eine Steueranmeldung abzugeben (§ 8 Abs. 3, 4 EnergieStG i.V.m. § 23a EnergieStDV), wobei die Steueranmeldung die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der NachprÅfung hat (§ 167 Satz 1 AO).
1 Vgl. § 28 EnergieStG. 2 Das ErlÇschen der Erlaubnis steht der Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr gleich, § 14 Abs. 5 EnergieStV.
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B. Typische Problembereiche
FÅr Zwecke des BefÇrderungsaussetzungsverfahrens (§ 9d EnergieStG) sind folgende Verpflichtungen von Bedeutung: – Teilnahme am IT-Verfahren EMCS,1 wonach dem zustndigen Hauptzollamt der Entwurf eines E-VDs2 nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu Åbersenden ist (§ 28b Abs. 1 EnergieStV);3 – unverzÅglicher Beginn der BefÇrderung in einen anderen Mitgliedstaat der EU oder im Falle der Ausfuhr in einen Drittstaat (§§ 11 Abs. 3 Nr. 1, 13 Abs. 3 EnergieStG); – Gestellung von Sicherheiten (§ 11 Abs. 2 EnergieStG); – Anzeigepflicht fÅr den Fall, dass es whrend der BefÇrderung unter Steueraussetzung zu Unregelmßigkeiten gekommen ist (§ 37a EnergieStV); – Steueranmeldung fÅr den Fall, dass die Energiesteuer aufgrund einer Unregelmßigkeit whrend der BefÇrderung entstanden ist (§ 14 Abs. 2, 7 EnergieStG), wobei die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der NachprÅfung (§ 167 Satz 1 AO) gleichsteht.
19.10
Im Hinblick darauf, dass die Hersteller von Energieerzeugnissen sowie die Lagerhalter der Steueraufsicht unterliegen (§ 61 EnergieStG i.V.m. § 209 AO), haben die Betroffenen auf Verlangen des Hauptzollamts die Herkunft der Energieerzeugnisse anzugeben, die erforderliche Hilfe bei Probeentnahmen zu leisten (§ 61 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG) sowie Åber den Bezug, den Vertrieb, den Transport, die Lagerung und die Verwendung von Energieerzeugnissen besondere Aufzeichnungen zu fÅhren (§ 106 EnergieStV).
19.11
Neben den insbesondere im Zusammenhang mit dem Steueraussetzungsverfahren bestehenden besonderen Mitwirkungspflichten ergeben sich weitere Pflichten der Beteiligten, die fÅr Verbrauchsteuern allgemein von Bedeutung sind. Hierzu gehÇren Anzeige- und Meldepflichten (§ 139 Abs. 1 AO), Mitwirkungspflichten bei Steueraufsichtsmaßnahmen (§ 211 Abs. 1 AO) sowie die FÅhrung von BÅchern und Belegheften (z.B. §§ 15 Abs. 1, 2, 19 Abs. 1, 2, 26 Abs. 4, 56 Abs. 2, 3 EnergieStV).4
19.12
3. Pflichtverletzungen In den Fllen, in denen im Nachhinein, etwa wegen entsprechender Pflichtverletzungen, Bedenken gegen die steuerliche Zuverlssigkeit entstehen oder gegen die BuchfÅhrungs- und Jahresabschlusspflichten verstoßen wird, muss die Erlaubnis, Energieerzeugnisse unter Steueraussetzung 1 Excise Movement and Control System. 2 Elektronisches Verwaltungsdokument. 3 Sind alle Angaben im E-VD zutreffend, erhlt der Versender das E-VD zusammen mit einem eindeutigen Referenzcode zurÅck, sodass erst zu diesem Zeitpunkt ein gÅltiges E-VD vorliegt; hierzu Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 9d EnergieStG Rz. 23. 4 Hierzu der berblick bei SchrÇer-Schallenberg in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg2, Rz. F 57 ff.
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19.13
Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht
herzustellen oder zu lagern, widerrufen werden (§§ 6 Abs. 3, 4; 7 Abs. 2, 3 EnergieStG). Erlischt die Erlaubnis fÅr den Herstellerbetrieb, gelten die Energieerzeugnisse zu diesem Zeitpunkt als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen (§ 14 Abs. 5 EnergieStV). Dies gilt auch fÅr den Fall, dass dem Lagerhalter die Erlaubnis widerrufen wird (§ 18 Abs. 2 EnergieStG i.V.m. § 14 Abs. 5 EnergieStV). Die Erlaubnis ist zudem zu widerrufen, wenn eine angeforderte Sicherheit nicht geleistet wird (§§ 6 Abs. 4 Satz 1, 7 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG), und sie kann widerrufen werden, wenn eine geleistete Sicherheit nicht mehr ausreicht (§§ 6 Abs. 4 Satz 2, 7 Abs. 3 Satz 2 EnergieStG). Auch in diesen Fllen gelten die im Herstellerbetrieb oder im Lager befindlichen Energieerzeugnisse als in den steuerrechtlich freien Verkehr entnommen. Schließlich kÇnnen Energieerzeugnisse, fÅr die der Nachweis nicht erbracht werden kann, dass sie sich in einem Steueraussetzungsverfahren befinden, sichergestellt werden (§ 65 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG).
19.14 § 64 EnergieStG enthlt eigene Bußgeldvorschriften, wonach VerstÇße gegen die formalen Erfordernisse und Mitwirkungspflichten im Steuererhebungsprozess geahndet werden. Sind sowohl die objektiven als auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfÅllt, ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben. Hiernach kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden (§ 381 Abs. 2 AO). DarÅber hinaus enthlt § 111 EnergieStV, der auf der Grundlage des § 381 Abs. 1 AO ergangen ist,1 einen umfassenden Katalog von Tatbestnden, die zu einer Ordnungswidrigkeit i.S. von § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO fÅhren, wobei insbesondere bei Verletzung von Aufsichtspflichten in Betrieben und Unternehmen § 130 OWiG in Betracht kommt.2 GegenÅber der in § 381 AO verankerten Verbrauchsteuergefhrdung ist die in § 378 AO geregelte leichtfertige SteuerverkÅrzung vorrangig (§ 378 Abs. 2 AO). Es besteht jedoch Vorrang gegenÅber § 379 AO (Steuergefhrdung).3
19.15 In der Praxis sind jene Flle von besonderer Bedeutung, in denen durch die VerkÅrzung von Energiesteuern der mit Vorrang anzuwendende Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO)4 erfÅllt ist.5
1 Nach h.M. ist § 381 Abs. 1 AO eine taugliche Ermchtigungsgrundlage, so Jger/ Lipsky in F/G/J7, § 381 AO Rz. 8; MÇhlenkamp in MÇhlenkamp/Milewski, § 66 EnergieStG Rz. 2; Friedrich in Friedrich/Meißner, § 66 EnergieStG Rz. 10; a.A. Voss, BB 1996, 1695 ff. (1697). 2 Friedrich in Friedrich/Meißner, § 64 EnergieStG Rz. 16 f. 3 Jger in Klein12, § 381 AO Rz. 27; MÇhlenkamp in MÇhlenkamp/Milewski, § 64 EnergieStG Rz. 8. 4 In Betracht kommen auch Bannbruch bei verbotswidriger Einfuhr von Energieerzeugnissen (§ 372 AO) und insbesondere Steuerhelerei (§ 374 AO). 5 Zur Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem vorschriftswidrigen Umgang mit Energieerzeugnissen MÇller/Retemeyer in Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C VI Rz. 1644 ff.
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B. Typische Problembereiche Beispiel: Die im Inland ansssige A-GmbH betreibt einen MineralÇlgroßhandel und unterhlt zu diesem Zweck mehrere große Lagertanks. Die A-GmbH hat von dem zustndigen Hauptzollamt die Erlaubnis erhalten, das MineralÇl1 unter Steueraussetzung2 zu lagern. Im August 2012 liefert die A-GmbH MineralÇl an einen polnischen MineralÇlhndler, der unter dem Namen X mit dem GeschftsfÅhrer A der A-GmbH entsprechende Liefervertrge abgeschlossen hat. Der polnische MineralÇlhndler legt bei Abschluss des Liefervertrages dem A eine auf den Namen X lautende Lagererlaubnis der zustndigen polnischen ZollbehÇrde vor. Nachdem A die vom polnischen MineralÇlhndler vorgelegte Lagererlaubnis und die von ihm angegebene Verbrauchsteuernummer Åber die SEED-Datei3 abgeprÅft hat und ihm ein vom zustndigen Hauptzollamt Åbermitteltes mit einem Referenzcode versehenes E-VD vorliegt, gibt er die vertraglich vereinbarten MineralÇlmengen an den polnischen MineralÇlhndler frei, der das MineralÇl von einem von ihm beauftragten Spediteur gegen Vorkasse abholt und einen Ausdruck des E-VD mitfÅhrt. Das mit dem polnischen MineralÇlhndler vereinbarte Entgelt liegt erheblich Åber den Marktpreisen. A hat zu keinem Zeitpunkt eine IdentittsprÅfung vorgenommen. Ende 2012 wird aufgrund entsprechender Hinweise vom zustndigen Hauptzollamt festgestellt, dass das von der A-GmbH gelieferte MineralÇl von dem polnischen MineralÇlhndler an ein polnisches Tankstellenunternehmen verkauft wurde. Zudem wird festgestellt, dass X, der tatschlich polnischer Erlaubnisinhaber ist, von den vorgenannten Vorgngen keinerlei Kenntnisse hat. Gegen A wird als GeschftsfÅhrer der A-GmbH ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet.
19.16
FÅr die MineralÇllieferungen an den polnischen MineralÇlhndler ist die Energiesteuer bereits dadurch entstanden, dass das MineralÇl aus dem Steuerlager der A-GmbH entfernt wurde, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren angeschlossen hat (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). Ein sich an die Lagerung anschließendes Aussetzungsverfahren fÅr die BefÇrderung in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist hier nicht gegeben, weil die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EnergieStG nicht erfÅllt sind. Dies deshalb nicht, weil der Empfnger objektiv zum Bezug der Energieerzeugnisse nicht berechtigt war. Empfnger war hier nicht, wie vorgetuscht, der Erlaubnisinhaber X, sondern der polnische MineralÇlhndler, der lediglich unter dem Namen X aufgetreten ist. Dass sich mÇglicherweise der GeschftsfÅhrer A bei Abschluss des Vertrages vorgestellt hat, der polnische MineralÇlhndler sei tatschlich X als Empfnger mit einer entsprechenden Steuerlagererlaubnis, spielt keine Rolle. Denn maßgeblich ist allein eine objektive Betrachtungsweise mit der Folge, dass auch bei irriger Vorstellung Åber die Berechtigung des Empfngers ein Steueraussetzungsverfahren nicht wirksam erÇffnet werden kann. Abzustellen ist damit stets auf die materielle Berechtigung des Empfngers.4 Somit ist mit dem Entfernen des MineralÇls aus dem Steuer-
19.17
1 2 3 4
Energieerzeugnis i.S. von § 4 EnergieStG, Vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 2 EnergieStG. System for Exchange of Excise Data. BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, ZfZ 2010 76; FG DÅsseldorf v. 22.5.2000 – 4 K 8348/97 vBr, ZfZ 2000, 385; Milewski in MÇhlenkamp/Milewski, § 8 EnergieStG Rz. 6; Alexander in Bongartz/Jatzke/SchrÇer-Schallenberg, § 8 EnergieStG Rz. 9; Soyk in Friedrich/Meißner, § 8 EnergieStG Rz. 17.
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lager der A-GmbH (Entnahme in den freien Verkehr) die Energiesteuer entstanden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG). Im Hinblick darauf bestand die Verpflichtung fÅr A als gesetzlichem Vertreter der A-GmbH bis zum 15.9.2012 eine Steueranmeldung abzugeben (§ 8 Abs. 3 EnergieStG). Dementsprechend htte die Energiesteuer bis zum 10.10. an das zustndige Hauptzollamt abgefÅhrt werden mÅssen (§ 8 Abs. 5 EnergieStG). Da A dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ist der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfÅllt. Im Hinblick darauf, dass A fÅr die MineralÇllieferungen ein Åber den Marktpreis liegendes Entgelt vereinbart und dieses zudem in bar vereinnahmt hat, lsst den Schluss zu, dass er es jedenfalls fÅr mÇglich gehalten hat, dass der polnische MineralÇlhndler tatschlich kein Erlaubnisinhaber war und das MineralÇl unversteuert verkaufen wÅrde. Angesichts dieser Umstnde htte A Anlass gehabt, sich Åber die Identitt des polnischen MineralÇlhndlers Gewissheit zu verschaffen. Im Rahmen weiterer Ermittlungsmaßnahmen wird daher festzustellen sein, ob seitens des A jedenfalls bedingter Vorsatz gegeben war. Anderenfalls werden die Voraussetzungen einer leichtfertigen SteuerverkÅrzung (§ 378 AO; s. Rz. 10.129 ff.) gegeben sein.
II. Tabaksteuer Literatur: Bongartz in Bongartz/Schroer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 2. Aufl. MÅnchen 2011, Rz. K 1 ff.; Friedrich, Steuerschuld und Steuerzeichenschuld im Tabaksteuerrecht, ZfZ 1989, 98; Hampel, Steuerhinterziehung bei Verbringen von Tabakwaren aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates der EU in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland, ZfZ 1996, 358; HÇll, Neufassung des Tabaksteuergesetzes, PStR 2011, 50; Jarsombeck, Das Tabaksteuerzeichen, ZfZ 1999, 296; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997; Jatzke, Vorschriftswidriges Verbringen von Zigaretten aus EG-Mitgliedstaat nach Deutschland, ZfZ 2007, 191; Kempf, Die Rechtfertigung der Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 2005; Kirchhof, F., Die steuerliche Doppelbelastung der Zigaretten, Berlin 1990; Leplow, Zigarettenschmuggel, Geldwsche und GewinnabschÇpfung, PStR 2008, 213; Middendorp, Verbringen von Tabakwaren des steuerrechtlich freien Verkehrs anderer Mitgliedstaaten, ZfZ 2011, 197; Scheuer, Neuere Entwicklungen im internationalen und nationalen Tabaksteuerrecht, ZfZ 2006, 2; Weidemann, Tabaksteuerstrafrecht, wistra 2012, 1 und 49; Zimmermann, Die Tabaksteuer, Frankfurt u.a. 1987.
1. berblick
19.18 Die Tabaksteuer belastet den Verbrauch von Tabakwaren, also von Zigarren und Zigarillos, Zigaretten sowie Rauchtabak (§ 1 Abs. 2 TabStG). Zugleich verfolgt die Tabaksteuer auch gesundheitspolitische Ziele, die da-
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B. Typische Problembereiche
rauf gerichtet sind, durch Verteuerung der Tabakwaren den Tabakkonsum zu verringern.1 Die Tabaksteuer ist als indirekte Steuer auf berwlzung angelegt, wobei es ausreichend ist, dass die Abwlzbarkeit abstrakt gewhrleistet ist.2 Die berwlzbarkeit wird im Grundsatz insbesondere durch das Steueraussetzungsverfahren3 sichergestellt. Das Steueraussetzungsverfahren bewirkt, dass eine Tabaksteuer nicht entsteht, solange Tabakwaren aus dem Steuerlager nicht zum steuerrechtlich freien Verkehr entnommen (§ 15 Abs. 1 TabStG) oder auf andere Art und Weise in den steuerrechtlich freien Verkehr ÅberfÅhrt werden (§ 15 Abs. 2 Nr. 2–4 TabStG). Damit wird im Ergebnis vermieden, dass innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sog. Lager- und BefÇrderungsaussetzungsverfahrens (§§ 5 ff. TabStG) eine Tabaksteuer entsteht. Erst mit der berfÅhrung in den steuerrechtlich freien Verkehr, also zu dem Zeitpunkt, zu dem Tabakwaren dem Verbrauch zugefÅhrt werden, entsteht somit eine Tabaksteuer. Mit dem Steueraussetzungsverfahren wird das Bestimmungslandprinzip verwirklicht, sodass der Steueranspruch sich nach den Bestimmungen des Staates richtet, in dem der Verbrauch erfolgt.4 Das gilt im Verhltnis zu den Mitgliedstaaten der EU ebenso wie im Verhltnis zu Drittstaaten (§§ 12 Abs. 1, 13 TabStG).
19.19
Die Tabaksteuer wird grundstzlich nicht unmittelbar durch Geldzahlung an das Hauptzollamt, sondern durch Verwendung von Steuerzeichen entrichtet (§ 17 Abs. 1 Satz 1 TabStG).5 Durch Entwertung und Anbringung der Steuerzeichen auf den Verpackungen (§ 35 TabStV) wird fÅr den Verbraucher nach außen hin erkennbar, dass es sich um versteuerte Ware handelt.6
19.20
Das Steueraussetzungsverfahren ist als Lager- oder als BefÇrderungsaussetzungsverfahren (§§ 5 Abs. 1, 11 Abs. 1 TabStG) zulssig. Steuerlager sind hierbei Orte, an und von denen Tabakwaren unter Steueraussetzung hergestellt, bearbeitet oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder versandt werden dÅrfen (§ 5 Abs. 1 TabStG). HierfÅr bedarf es einer besonderen Erlaubnis, die vom zustndigen Hauptzollamt erteilt wird (§ 6 Abs. 1
19.21
1 Vgl. BT-Drucks. 7 /2070 v. 10.5.1974, 4; zum Konflikt zwischen fiskalischer Einnahmeerzielung und gesundheitspolitischer Lenkung Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II2, 1076 ff. 2 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14/76 ff. (97); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 ff. (289, 295); BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/76, BVerfGE 27, 375 ff. (384); BVerfG v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 ff. (20); BFH v. 10.11.2009 – VII R 39/08, ZfZ 2010, 76 (78). 3 Das zollrechtliche Nicht-Erhebungsverfahren bei Einfuhr von Tabakwaren aus Drittlndern oder Drittgebieten (§ 19 ff. TabStG) wird hier nicht dargestellt. 4 SchrÇer-Schallenberg in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg2, Rz. D 3. 5 Zu Einzelheiten Bongartz in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg2, Rz. K 50 ff. 6 Zu dieser Publizittswirkung Bongartz in Bongartz/SchrÇer-Schallenberg2, Rz. K 52.
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TabStG, § 6 TabStV). Das Lageraussetzungsverfahren wird regelmßig mit der Entnahme der Tabakwaren in den steuerrechtlich freien Verkehr beendet, womit zugleich die Tabaksteuer entsteht (§ 15 Abs. 1 TabStG). Entsprechendes gilt, wenn die Erlaubnis zum Betrieb des Steuerlagers erlischt (§ 9 Abs. 5 TabStV) oder Tabakwaren unversteuert aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates in das Steuergebiet verbracht oder dorthin versandt werden, soweit sie dort erstmals1 zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 TabStG). Im Lageraussetzungsverfahren kann sich ein BefÇrderungsaussetzungsverfahren dadurch anschließen, dass die Tabakwaren an andere Verfahrensbeteiligte im Steuergebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat abgegeben oder in ein Drittland ausgefÅhrt werden (§§ 11 – 13 TabStG). Voraussetzung ist, dass neben den elektronischen Verwaltungsdokumenten (§ 17 TabStV) bei einer BefÇrderung an bestimmte BegÅnstigte (Art. 12 Abs. 1 VerbrauchStSystemRL, § 9 TabStG) auch eine Freistellungsbescheinigung (§ 18 TabStV) mitgefÅhrt wird. 2. Pflichtenkreis
19.22 Im Zusammenhang mit dem Lageraussetzungsverfahren und BefÇrderungsaussetzungsverfahren sind von den Beteiligten zahlreiche Verpflichtungen zu erfÅllen, und zwar fÅr das Lageraussetzungsverfahren: – Einrichtungsverpflichtung, wonach das Steuerlager so einzurichten ist, dass im Rahmen der Steueraufsicht vor allem der Ablauf der Herstellung, der Be- und Verarbeitung, sowie der Verbleib der Tabakwaren verfolgt werden kÇnnen (§ 4 Abs. 4 TabStV); – Erstellung eines Sortenverzeichnisses, das Tabakwaren, die im Steuerlager hergestellt, be- oder verarbeitet, gelagert, empfangen oder aus dem Steuerlager versendet werden, im Einzelnen aufzhlt (§ 5 Abs. 3 TabStV); – FÅhrung eines Belegheftes, in dem der mit dem Hauptzollamt gefÅhrte relevante Schriftverkehr zu erfassen ist (§ 10 Abs. 1 TabStV); – Aufzeichnungspflichten, wonach in einem Lagerbuch Zu- und Abgnge von Tabakwaren unverzÅglich aufzuzeichnen sind (§ 10 Abs. 2 TabStV); – Anmeldepflichten, wonach der Steuerlagerinhaber einmal jhrlich im Steuerlager eine Bestandsaufnahme durchzufÅhren und beim zustndigen Hauptzollamt innerhalb eines Monats nach ihrem Abschluss den Soll- und Iststand sowie das Ergebnis anzumelden und dabei zu Mengenabweichungen Stellung zu nehmen hat (§ 12 Abs. 1 TabStV); – Anzeigepflichten, wonach dem Hauptzollamt zwischenzeitlich eingetretene nderungen der wirtschaftlichen Verhltnisse sowie nderun1 In diesem Sinne schon zur Altregelung des § 19 Satz 1 TabStG BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644; zweifelnd BFH v. 12.12.2012 – VII R 44/11, ZfZ 2013, 138 (Vorlagebeschluss zum EuGH); entschieden durch EuGH v. 3.7.2014 – Rs. C-165/13 – Stanislav Gross, ZfZ 2014, 253: auf den erstmaligen Besitz kommt es nicht an.
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gen des Sortenverzeichnisses anzuzeigen sind (§ 8 TabStV); eine Anzeigepflicht besteht ferner bei ZerstÇrung oder Verlust von Tabakwaren im Steuerlager (§ 11 TabStV) sowie bei der gewerblichen Einfuhr von Tabakwaren aus Drittlndern oder Drittgebieten (§ 37 TabStV); – Stellung von Sicherheiten als Voraussetzung fÅr die Erlaubnis, ein Steuerlager zu betreiben oder BefÇrderungen im Steuergebiet vorzunehmen (§§ 6 Abs. 1 Satz 5, 11 Abs. 2 Satz 1 TabStG, § 7 TabStV); – Abgabe einer Steueranmeldung Åber Steuerzeichen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 TabStG); – Abgabe einer Steuererklrung in den Fllen, in denen Tabakwaren unrechtmßig aus dem Steuerlager entnommen werden, die Herstellung von Tabakwaren ohne Erlaubnis erfolgte und es whrend der BefÇrderung unter Steueraussetzung zu Unregelmßigkeiten gekommen ist (§ 17 Abs. 3 TabStG). Im BefÇrderungsaussetzungsverfahren sind vor allem folgende Verpflichtungen von Bedeutung: – Erstellen eines elektronischen Verwaltungsdokuments und MitfÅhrung des Ausdrucks whrend der BefÇrderung unter Steueraussetzung (§ 17 TabStV) sowie Teilnahme am EDV-gestÅtzten BefÇrderungs- und Kontrollsystem (§ 16 TabStV); – Stellung von Sicherheiten, falls Steuerbelange gefhrdet erscheinen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 TabStG, § 19 TabStV); – Eingangs- und Ausfuhrmeldung bei Verwendung elektronischer Verwaltungsdokumente (§§ 22, 28 TabStV); – Anzeigepflichten bei Unregelmßigkeiten whrend der BefÇrderung (§§ 30, 40 Abs. 3 TabStV).
19.23
3. Pflichtverletzungen Ergeben sich aufgrund entsprechender Pflichtverletzungen Bedenken gegen die steuerliche Zuverlssigkeit, ist die Erlaubnis, Tabakwaren unter Steueraussetzung herzustellen oder zu lagern, zu widerrufen (§ 6 Abs. 2 TabStG). Wird die Erlaubnis widerrufen, erlischt die Erlaubnis mit der Folge, dass die zu diesem Zeitpunkt im Steuerlager befindlichen Tabakwaren als in den steuerrechtlich freien Verkehr ÅberfÅhrt gelten (§ 9 Abs. 5 TabStV). Zu diesem Zeitpunkt entsteht sodann auch die Tabaksteuer (§ 15 Abs. 1 TabStG).
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§ 36 TabStG enthlt eigene Bußgeldvorschriften, wonach VerstÇße gegen die formalen Erfordernisse und Mitwirkungspflichten im Steuererhebungsprozess geahndet werden. Sind insoweit die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfÅllt, ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben. Hiernach kann die Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zum 5.000 Euro geahndet werden (§ 381 Abs. 2 AO). DarÅber hinaus enthlt § 60 TabStV, der auf der Grundlage
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des § 381 Abs. 1 AO ergangen ist,1 einen umfassenden Katalog von Tatbestnden, die zu einer Ordnungswidrigkeit i.S. von § 381 Abs. 1 Nr. 1 AO fÅhren. GegenÅber der in § 381 AO verankerten Verbrauchsteuergefhrdung ist die § 378 AO geregelte leichtfertige SteuerverkÅrzung vorrangig (§ 378 Abs. 2 AO). Es besteht jedoch Vorrang gegenÅber § 379 AO (Steuergefhrdung).2 Eine weitere Ordnungswidrigkeit ist in § 37 TabStG geregelt, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorstzlich oder fahrlssig Zigaretten in Verpackungen erwirbt, an denen ein gÅltiges Steuerzeichen nicht angebracht ist, soweit der einzelnen Tat nicht mehr als 1.000 Zigaretten zugrunde liegen. Es handelt sich hierbei um Flle der Kleinhehlerei, in deren Rahmen nicht versteuerte Zigaretten zum eigenen Bedarf auf eine Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden.3
19.26 In der Praxis4 relevant sind die Flle des massenhaft auftretenden Zigarettenschmuggels aus Drittstaaten. Beispiel: A ist Steuerlagerinhaber im Inland, wofÅr er eine vom zustndigen Hauptzollamt erteilte Erlaubnis in den Hnden hat. A verußert an nicht nher bekannte Erwerber nicht versteuerte Zigaretten, die er zuvor von einem Dritten in Polen erworben hat. Die Zigaretten sind von dem Dritten aus der Ukraine unter Verstoß gegen die Gestellungspflicht nach Polen verbracht worden und dort zur Vorbereitung des Verkaufs und des damit verbundenen Weitertransports gelagert worden. In Polen wurden die eingeschmuggelten Zigaretten von A zu einem spteren Zeitpunkt Åbernommen und in sein im Inland befindliches Steuerlager verbracht worden. Der Sachverhalt wurde aufgrund anonymer Hinweise durch die Zollfahndung (§ 404 AO) aufgedeckt mit der Folge, dass gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei eingeleitet wurde.
19.27 Im Hinblick darauf, dass die Zigaretten aus der Ukraine nach Polen eingeschmuggelt (zum Schmuggel s. Rz. 10.102 ff.) worden sind und sich mithin dort in keinem Steueraussetzungsverfahren befanden, hat A den Tatbestand des § 23 Abs. 1 TabStG verwirklicht. Hiernach entsteht die Tabaksteuer, wenn die Tabakwaren aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates in das Steuergebiet verbracht und erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG). Insoweit ist A Steuerschuldner (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG) mit der Maßgabe, dass unverzÅglich eine Steuererklrung abzugeben und die Steuer sofort zu zahlen war (§ 23 Abs. 1 Stze 3 und 4 TabStG). Gegen diese Verpflichtungen hat A verstoßen, sodass er sich wegen Steuerhinter-
1 Nach herrschender Meinung ist § 381 Abs. 1 AO eine taugliche Ermchtigungsgrundlage, so Jger/Lipsky in F/G/J7, § 381 AO Rz 8. 2 Jger in Klein12, § 381 AO Rz. 27. 3 Hierzu Schuster/Schultehinrichs in Flore/Tsambikakis, § 374 AO Rz. 45. 4 Zu einzelnen Fallgruppen von Tabaksteuerhinterziehung MÇller/Retemeyer in Bender/MÇller/Retemeyer, Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, C VI Rz. 1712 ff.
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B. Typische Problembereiche
ziehung durch Unterlassen strafbar gemacht hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).1 DarÅber hinaus hat er sich wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) strafbar gemacht. Vortat ist hier die Hinterziehung der bei der Einfuhr der Zigaretten nach Polen angefallenen Einfuhrabgaben, nmlich Zoll, polnische Einfuhrumsatzsteuer und polnische Tabaksteuer.2 Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die vorgenannten Taten bereits beendet waren, bevor die Zigaretten nach Deutschland verbracht wurden.3 Zwischen Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei besteht Tatmehrheit (§ 53 StGB).4
1 Vgl. zu einem hnlich gelagerten Fall BGH v. 1.2.2007 – V StR 372/06, ZfZ 2007, 187; zur Steuerschuldnerschaft bei Hehlerei EuGH v. 3.7.2014 – Rs. C-165/13 – Stanislav Gross, ZfZ 2014, 253. 2 Vgl. BGH v. 2.2.2010 – 1 StR 635/09, NStZ 2010, 644 Rz. 20. 3 Streitig ist, ob der Tatbestand der Steuerhehlerei erst nach Beendigung der Vortat (z.B. Steuerhinterziehung, so etwa BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40; BayObLG v. 11.3.2003 – 4 StR 7/2003, wistra 2003, 315) oder schon im Zeitfenster nach Vollendung aber noch vor Beendigung der Vortat verwirklicht werden kann (so BGH v. 21.11.2012 – 1 StR 391/12, BFH/NV 2013, 493); Engelhardt in H/H/Sp, § 374 AO Rz 17. 4 BGH v. 28.8.2008 – 1 StR 443/08, NStZ 2009, 159; Schuster/Schultehinrichs in Flore/Tsambikakis, § 374 AO Rz 52.
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Kapitel 19 Verbrauchsteuerrecht
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Sachregister Bearbeiterin: Rechtsanwltin Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch Die fette Zahlen bezeichnen die Kapitel des Buches, die mageren die Randzahlen. Abgabe an die StA 15.2 Abfindung 15.308 f. Abgeltungsteuer 13.160, 13.196, 14.11, 14.25 Abgeltungswirkung 13.21, 13.23, 13.55, 15.187 Abkommen, Amts- und Rechtshilfe 2.14, 2.50, 8.49 ff., 8.58 f., 9.149 Abkommen Europarat – Auslieferung 2.14 – Geldwsche 2.14 – Informationsaustausch 7.9, 8.2 – Rechtshilfe 2.14 Ablauf des Ermittlungsverfahrens 6.1 ff. Abschluss des Verfahrens 6.155 Abweichende Rechtsauffassung 10.74 ff. Abwesenheitspflegschaft 6.141 Abzugsteuer – (§ 50a EStG) 15.297 f., 15.306 – Haftung 15.295, 15.306 – Steuerhinterziehung 15.308 Abzugsverbot (§ 160 AO) 15.233, 15.237 Abzugsverbot, Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 EStG) 6.4, 9.32, 12.33 ff., 15.230 ff. Abzugsverbot, Schmiergelder 12.1, 12.33 ff., 15.230 ff. – Mitteilungspflicht BetriebsprÅfer 12.39, 12.43, 15.232 ff., 15.236 – Mitwirkungspflichten 15.235 ff. – Steuerhinterziehung 15.237 Acte clair 10.96 AEUV 2.26, 2.35f., 2.43, 3.20, 4.10, 5.3 ff., 6.57 ff., 9.5 ff., 9.43 ff., 9.161, 13.49, 13.150, 13.210, 15.79, 14.103, 15.140, 15.272, 16.28 Akkusationsprinzip, Unionsrecht 5.13, 5.17 f. Akteneinsicht(srecht) – EMRK 2.62 – Haftsachen 6.126 – Rechtsbehelf 6.95 Aktivittsklausel 13.236 Allgemeine Gesetze, Strafverfahren 6.1 Allgemeine Rechtsgrundstze 2.21 Amnestie s. Steueramnestie
Amtstrger 3.25, 3.30, 5.29, 12.12., 12.8 ff., 15.231 – Begriff 12.10, 12.12 – Bestechung 9.22, 12.3 ff., 12.8 ff., 15.231 – Erscheinen, Sperrgrund Selbstanzeige 11.40, 11.50 – Steuergeheimnis 6.48 – Steuerhinterziehung durch - 10.158 – Tatentdeckung durch auslndische 11.58 Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen 7.2, 8.1 ff. – § 117 Abs. 1 AO 8.57 ff. – Abkommen 8.49, 8.51 – Auskunftsklauseln 7.10, 8.2, 8.35, 8.4 ff., 8.34 ff., 8.68 ff., 9.269, 13.228, 15.9 – Auskunftsverweigerungsrechte 8.55 – automatische AuskÅnfte 8.3, 8.21 – DBA 8.33 ff., 8.59 – EU-Amtshilferichtlinie 8.16 ff. – Gegenseitigkeit 8.42 – Geheimhaltungspflichten 8.32 – Grenzen 8.18, 8.31 – Inanspruchnahme 8.9 ff. – Kulanzauskunft 8.4, 8.57 – Liechtenstein 8.76 ff. – Luxemburg 8.91 ff. – MwSt-ZVO 8.24 – OECD-MA, Art. 26 8.2, 8.33 ff., 8.51, 8.68, 8.91, 8.102 – sterreich 8.97 ff. – rechtliches GehÇr 8.12 – Rechtsgrundlagen 8.2 ff., 8.15, 8.16 ff., 8.58 f. – Schweiz 8.64 ff. – SpontanauskÅnfte 8.3, 8.22, 9.170 – Steuergeheimnis 8.13, 8.19 – fÅr steuerstrafrechtliche Zwecke 8.14 – VerbrauchSt-ZVO 8.29 – Verrechnungspreise 8.39 – Voraussetzungen 8.10 ff. – Zinsrichtlinie, s. dort Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen 1.2, 2.13 f., 5.2, 6.1, 6.3, 6.63, 7.1 ff. – Abkommen 2.14, 2.50, 8.49 ff., 9.149
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Sachregister – auslndische Erkenntnisse, Verwertbarkeit 9.227 ff. – Ersuchen 6.52, 6.73, 6.88, 6.90, 9.181 f. – EuAlbK 7.4 f., 7.8, 9.21, 9.67 f., 9.70, 9.72 – EuRhb 9.13, 9.18 – Europische Ermittlungsanordnung 9.185, 9.187 – Gegenseitigkeit 9.35 – große 9.33 – Grundprinzipien 9.34 ff. – kleine 9.33 – Inanspruchnahme 8.9 ff. – Informationsaustausch 8.51 ff. – IRG 9.15, 9.214 f. – justizielle Zusammenarbeit 9.5 ff. – Kanada 9.281 – Kompetenzen 9.39 – Liechtenstein 9.263 ff. – ordre public 9.38 – Rechtsgrundlagen 8.16 ff., 9.4 ff., 9.22 – Schweiz 9.243 ff. – SD 9.10 f., 9.19 – Spezialittsgrundsatz 9.37 – Steuergeheimnis 9.283 – Steuerstrafsachen 9.1 ff., s. auch Rechtshilfe in Steuerstrafsachen – TK, auslndische 9.240 – unaufgeforderte bermittlung von Informationen 9.284 ff. – USA 9.278 ff. – Verhltnis zur steuerlichen Amtshilfe 9.23 ff. – Verwertungsverbote 9.217 ff. Amts- und Rechtshilfe, zwischenstaatliche 7.1 ff., 8.1 ff. – bilaterale Vertrge 7.8 – mulitlaterale Vertrge 7.4 f. – berblick 7.1 ff. Analogieverbot 2.7, 10.34 Anfangsverdacht 6.8 ff. Angemessenheit, Beurteilung s. Fremdvergleich, Verrechnungspreise – Dokumentation 14.18 Anmeldepflicht (§ 139 AO) 10.66, 14.21, 14.40 Anmeldesteuern, Teilselbstanzeige 11.87 Anonymer Kapitaltransfer ins Ausland 6.165 Anrechnung, auslndische Strafe 3.39 Anrechnungsmethode 13.220, 13.223, 13.236, 15.176
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Ansssigkeit – abkommensrechtlicher Begriff 13.64, 13.69, 13.71, 13.240, 15.13, 14.30, 15.45 – im Inland 15.263 – im Inland, Aufgabe 15.40 – Verlegung ins Ausland 13.36, 15.59 Antidumping-ZÇlle 10.3 Anwaltskanzlei, Durchsuchung 6.76 Anweisungen fÅr das Straf- und Bußgeldverfahren s. AStBV Anwendbares Strafrecht 3.1 ff. Anwendungsvorrang, EU-Recht 2.44, 2.46 Anzeigepflichten – allgemeine steuerliche 14.21 – Anteilsvereinigung 18.16 ff. – AO 14.35ff., 15.93, 15.210, 15.242 – AO § 153 10.98 ff., 11.17 f. – AO § 153/Selbstanzeige 11.74 f. – Garantenpflicht 10.137 – Ordnungswidrigkeit (§ 379 AO) 15.21, 15.51, 15.78 – Pflichtverletzung, BerufsangehÇrige 16.10f., 18.7, 18.9 ff. – Pflichtverletzung, ErbStG 16.12 ff., 16.27 ff. – Pflichtverletzung, GrEStG 18.8 ff. – Pflichtverletzung, Verbrauchsteuern 19.24 ff. – Straftat 6.22 – Verbrauchsteuern 19.8 ff. – Wegzug 14.21, 15.51 AOA s. Authorized OECD-Approach Apokryphe HaftgrÅnde 6.118 f. ArbeitnehmerfreizÅgigkeit 2.26 Arrest, steuerlicher 6.145 ff., 9.216 f. – Arrestanspruch 6.148 – Arrestgrund 6.151 – Arrestschuldner 6.147 – grenzÅberschreitender 9.216 Arrest, strafprozessualer 6.142, 9.213 ff. – grenzÅberschreitender 9.213 Art. 50 GrCh s. Charta der Grundrechte der EU Art. 54 SD s. Schengen AStBV 5.27, 5.29, 6.2 f., 6.18, 11.44 Aufbewahrungspflichten 14.6, 14.21, 14.42, 15.196 f., 15.226, 17.3 Aufenthalt, gewÇhnlicher, s. gewÇhnlicher Aufenthalt Auflagen 4.21, 5.8 – Bewhrung 4.44 – Verfahrenseinstellung (§ 153a StPO) 10.200
Sachregister Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) 3.10, 4.29, 9.14, 11.73 – Tatort 3.10 Aufzeichnungspflichten 14.21, 14.41 f., 15.75, 15.196 ff., 17.2, 17.30, 19.8, 19.22 – s. auch Verrechnungspreise Ausforschungsdurchsuchung 6.26 Ausfuhrabgaben, Hinterziehung 2.58, 8.58, 10.38, 10.142, 10.144 ff., 10.166, 10.169 f. Ausfuhrlieferung, Steuerbefreiung 17.6, 17.8 ff., 10.156, 13.131 – Nachweispflicht 17.3, 17.10 ff. – Pflichtverletzungen 17.12 – Umsatzsteuerhinterziehung 17.8 – unentgeltliche 17.16 Auskunftsersuchen – Amtshilfe 8.10 ff., s. auch Amts- und Rechtshilfe – Beispiele 15.180, 17.32 – Kreditinstitute 6.42 ff. – unzulssiges 8.37 – s. auch Sammelauskunftsersuchen Auskunftserteilung, Recht auf 7.1 Auskunftsklausel 7.10, 8.2, 8.35, 8.4 ff., 8.34 ff., 8.68 ff., 9.269, 13.228, 15.9 – große 8.35, 8.38ff., 8.45 ff., 8.80, 8.95, 8.102, 9.24, 15.9 – kleine 8.35 ff., 8.44f. – Schweiz 8.68 ff. Auskunftsverbot 8.45 Auskunftsverweigerungsrecht 8.46, 8.55 Ausland – Ansssigkeit 15.59 – Anwesenheit deutscher Amtstrger 9.145 – Beweismittel, Verwertbarkeit 9.226 – Ermittlungsverbot 7.1 – Online-Zugriff auf Daten 6.71, 7.1 – Unternehmenssitz 3.21 – Wohnsitz und Fluchtgefahr 6.112 ff. Auslnder – Auslieferung 3.22 – Strafbarkeit 3.22 Auslndische Basisgesellschaft 15.214 ff., 15.281 Auslndische BetriebssttteneinkÅnfte 15.176 ff. – Pflichtverletzungen 15.180 – steuerliche Pflichten 15.177 Auslndische Familienstiftung s. Familienstiftung – Pflichtverletzungen 15.203 ff.
Auslndische Kapitalertrge 15.184 ff. – Anlaufhemmung 11.87 – Dividenden 15.186, 15.200 – Pflichtverletzungen 15.197 – steuerliche Pflichten 15.194 – strafrechtliche Konsequenzen 15.198 – Zinsen 15.193 Auslndische Tochtergesellschaft 13.236, 13.245, 15.61, 15.98, 15.103 f., 15.133, 15.174, 15.225, 15.291 f., 17.17 Auslndische(s) Aburteilung/Strafverfahren – Anrechnung (§ 51 III StGB) 3.39 – Einstellung (§ 153c II StPO) 3.37 – Einstellung (§ 154 StPO) 3.41 ff. Auslndisches BetriebsstttenvermÇgen 13.64, 13.68 – BetriebsvermÇgenstransfer in 15.79 ff. – BetriebsvermÇgenstransfer ins Inland 15.85 – NutzungsÅberlassung 15.83, 15.303 Auslandstat – anwendbares Recht 3.4 ff. – Nichtverfolgung (§ 153c StPO) 3.28 ff. – Steuerhinterziehung 3.14 f. Auslandszeuge, Vernehmung – Beweisantrag 9.113 ff. – Rechtshilfeersuchen 9.111f. – Videokonferenz 9.118 Auslieferung – Beratungsempfehlung 6.117 – Ersuchen 3.22 – EU-Abkommen 9.67ff. – EUAlbk(-G) 7.4 f., 7.8, 9.21, 9.67 f., 9.70, 9.72 – EU-Haftbefehl 6.135 – EU-VereinfAuslbk 9.69 – Gegenseitigkeit 9.36 – IRG 9.15, 9.33, 9.63, 9.248 – Liechtenstein 9.263 – Nicht- 3.22, 3.26 – sterreich 9.274 – Rechtsquellen 9.21 f. – Schweiz 9.260 f. – SD 9.71 – Spezialitt 6.138 ff., 9.37 – in Steuerstrafsachen 9.66 ff. – USA 9.280 AuslieferungsÅbereinkommen, EU 2.14, 7.4 f., 7.8, 9.21, 9.67 f., 9.70, 9.72 AusschlussgrÅnde, Selbstanzeige s. SperrgrÅnde Außensteuerrecht 1.3, 13.2 ff., 13.10 ff. – Einkommensteuer 13.11
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Sachregister – Ertragsteuern 13.10 Außereuropische Urteile 3.46 f. Außervollzugsetzung, Haftbefehl 6.128 ff. Aussetzung des Verfahrens 6.24, 15.3 Authorized OECD-Approach 13.185, 15.84, 15.176 Automatischer Auskunftsverkehr 8.3, 8.6, 8.21 ff., 8.65, 8.77 ff., 8.101, 1 5.09 Bandbreite, Fremdvergleichswerte 13.209 f., 15.157 Bande, Schmuggel 10.181 ff. Bandenmßige Schdigung des USt-Aufkommens 17.46 f. Bank – Kontrollmitteilungen 6.35, 6.42 f. – Sammelauskunftsersuchen 6.25 ff. Bankermittlungen 6.42 ff. – Zufallserkenntnisse 6.46 Bankgeheimnis 6.35, 6.42 ff., 8.25, 8.31, 8.54 f., 8.93, 9.13, 9.126, 15.8 – Liechtenstein 8.82, 8.87 – Luxemburg 8.95 – sterreich 8.98 f., 9.277 – Schweiz 6.34, 8.75, 9.247 Bankkonto, grenzÅberschreitende Abfragen 9.125 f., 9.211 f. Bankmitarbeiter, Strafbarkeit 10.195 Bargeldkontrollen 6.5 – SelbstanzeigemÇglichkeit 11.23, 11.57 Basisgesellschaft 10.109, 15.214 ff., 15.281 – Gestaltungsmissbrauch 15.215, 15.226 – Hinzurechnungsbesteuerung 15.217 – Ort der Geschftsleitung 15.215 – Pflichtverletzungen 15.214, 15.221 – steuerliche Pflichten 15.220 Bauabzugsteuer 14.43, 15.296, 15.306, 15.308, 15.311 BefÇrderungsaussetzungsverfahren 19.5, 19.10 Beihilfe, Steuerhinterziehung 10.193 ff. Bekanntgabe AußenprÅfung, Sperrgrund 11.41 Bekanntgabe Verfahrenseinleitung, Sperrgrund 11.44 Belgien 3.9, 4.4, 4.19 ff., 4.40 f., 8.59, 9.10, 9.40, 9.229, 10.163, 15.137, 18.11 – Begriff derselben Tat, Steuerhinterziehung 4.40 f. – DBA, Auskunftsverkehr 15.182 f.
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– Transactie, Strafklageverbrauch 4.17 ff. – Verstndigungsverfahren 15.309 f. Beneficiary-Klausel 13.236 Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) 13.201 ff., 15.139 ff., 15.204 Berichtigungspflicht (§ 153 AO) 10.98, 15.166 – Abgrenzung Selbstanzeige 11.16 Berufsgeheimnistrger – Auskunftsverweigerungsrechte 8.55, 8.87 – Beschlagnahmeprivileg 6.80 f. – Zeugnisverweigerungsrechte 6.67 f. Berufstypisches Verhalten 10.194 Beschlagnahme 6.54 ff. – beim Berater 6.80 f. – BuchfÅhrungsunterlagen 6.82 f. – Rechtshilfe 9.85 – Rechtsschutz 6.92 ff. – VermÇgen (§ 290 StPO) 6.141 Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) 6.67 Beschleunigungsgrundsatz – Haftsachen 6.130 ff. Beschrnkte Steuerpflicht 13.15 ff. – Wechsel zwischen – und unbeschrnkter 13.28 Beschuldigtenrechte, Unionsrecht 5.24 ff. Beschuldigtenvernehmung, Rechtshilfe 9.111 f. Bestechung/Bestechlichkeit im geschftlichen Verkehr (§ 299 StGB) 12.27 ff., 15.231 Bestechungstatbestnde 12.8 ff., 15.230 ff. – Amtstrger 9.22, 12.3 ff., 12.8 ff., 15.231 – Bestechung/Bestechlichkeit im geschftlichen Verkehr (§ 299 StGB) s. dort – Empfngerbenennung (§ 160 AO) 15.233 – Genehmigung 12.22 – Pflichten und Pflichtverletzungen 15.235 – Rechtsgut 12.9 – Sozialadquanz 12.15 – Tterkreis 12.10 – Unrechtsvereinbarung 12.18 – verdeckte GewinnausschÅttung 12.16 – Vorteilsannahme (§ 331 StGB) 12.3, 12.5, 12.11, 12.22, 12.24, 3.25 – Vorteilsbegriff 12.13
Sachregister – Vorteilsgewhrung (§ 333 StGB) 12.3, 15.230 ff. – s. auch Korruption Besteuerungsverfahren, Verhltnis Strafverfahren 5.31 ff. Bestimmtheitsgebot 2.6 f., 2.62, 10.32 BetriebsprÅfung,Verdachtsmeldung (§ 10 Abs. 1 S. 1 BpO) 6.10, 15.4, 17.4 Betriebssttte – abkommensrechtlicher Begriff 15.176 – auslndische, BetriebsvermÇgenstransfer in- 15.79 ff. – auslndische, EinkÅnfte, Pflichtverletzungen 15.176 ff. – inlndische, BetriebsvermÇgenstransfer in- 15.85 ff. – in- und auslndische , EinkÅnfteabgrenzung 13.173 ff. – Leistungstransfer, Pflichtverletzungen 15.65 ff. – Selbstndigkeitsfiktion 13.180 BetriebsvermÇgen 6.152, 13.32 – Abzugsverbot 14.32 – Anteile an auslndischem - 13.36, 13.159, 15.15, 15.26 – Einlage 13.71 f. – Entstrickung 13.31 f., 15.13, 15.17, 15.22, 15.42 – ErbSt 13.94 f. – inlndisches -, Zuordnung 13.33, 13.100, 15.71, 16.21 – PrivatvermÇgen 13.196, 13.200 – Sonder- 15.184 – stille Reserve 15.47, 15.240 – Transfer in auslndische Betriebssttte 15.79 ff. – Transfer in inlndische Betriebssttte 15.85 ff. – Verußerungsgewinne 13.245, 15.35 – Verstrickung 13.44, 15.275 – Zuordnung inlndisches-/auslndisches 13.64, 13.72 Beugehaft 6.120 Beweisantrag, Auslandszeuge 9.113 BeweisfÅhrungskette 6.38 Beweislast – Auslandssachverhalte 14.7 – innergemeinschaftliche Lieferung 17.31, s. auch Nachweispflichten – Schtzung 14.22 – Steuerhinterziehung im FG-Verfahren 6.158 ff. – steuerliche 6.160 ff., 10.112, 15.6, 15.177
– Strafverfahren 2.62, 14.22, 15.6, 15.117 Beweismaßreduzierung 14.22 ff., 15.76 Beweisvermutung, Widerlegung 14.28 Beweisverwertungsverbote s. Verwertungsverbote Bilaterale VÇlkerrechtsvertrge 2.13, 2.15 Bilateralen II 4.6 Blankettvorschriften 1.1, 2.4 ff., 2.47 ff., 2.57, 10.1, 10.8 ff., 10.83, 10.149 f., 15.156 BMF-Schreiben – Korruption 12.39, 12.41 – zwischenstaatliche Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 9.103, 9.221 Briefkastengesellschaft 6.4, 6.77, 13.150, 15.281 BuchfÅhrungs- und Aufzeichnungspflichten 10.204, 14.41, 15.178, 15.198 BuchfÅhrungsunterlagen, Beschlagnahme 6.82 f. Buchnachweis – Ausfuhrlieferung 17.10, 17.12 ff. – innergemeinschaftliche Lieferung 17.28 ff. Buffer 17.41 ff. – steuerstrafrechtliche Verantwortlichkeit 17.46 Bundeszentralamt fÅr Steuern 5.27, 8.7 Buß- und Strafsachenstelle 5.27 f. Cash-Kreditkartenkonten 6.29 CD, s. Steuer-CD Chain of evidence 6.38 f. Charta der Grundrechte der EU 2.26, 2.55, 2.63, 4.7, 5.11 – Art. 50 GRCh 2.63, 2.66, 4.31, 4.7 ff., 5.11, 5.20, 10.171, 11.87 – Art. 50 GRCh, Kombination steuerliche/strafrechtliche Sanktion 4.31 – Art. 50 GRCh, Verhltnis zu Art. 54 SD 4.9 Chi-Quadrat-Test 6.6 Cloud-Computing 15.303, 15.312 Corpus Iuris 5.12 f. Cost plus method 13.208, 13.217 Datenankauf s. Steuer-CD DBA s. Doppelbesteuerungsabkommen Dealing-at-arms-length-Klausel 13.178, 13.202, 13.206, 13.214, 15.141, 15.176 Deutsche Steuerhoheit 10.5, 13.28 f.
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Sachregister Deutsches Strafrecht, Anwendbarkeit 3.1 ff. Deutsch-Schweizerisches Abkommen 3.7 Dienstleistungsfreiheit 2.26, 10.91 Dinglicher Arrest, s. Arrest Diplomat 3.10, 5.29, 9.104, 13.13, 13.126, 13.131, 16.11, 16.25 Diskriminierungsverbot 2.46, 2.58, 6.112, 10.91 Distributor 17.41 f. Dividende 13.162, 13.245, 15.185 Dividendenfreistellung 13.160, 15.188 ff., 15.200, 15.286 f. Dokumentationspflichten 14.13 ff. – Auslandssachverhalte (§ 90 Abs. 3 AO) 8.57, 14.30, 15.74, 15.76, 15.82, 15.105, 15.120 ff., 15.148 – Schtzung 14.46 – straf- und bußgeldrechtliche Folgen 14.34, 15.129 ff. – Verrechnungspreise 14.13 ff. – vGA 15.161 Dolmetscher, Recht auf - 5.25, 9.103 Domizilgesellschaft 6.4, 9.272, 12.63 f., 15.233 Doppelbesteuerung, Vermeidung 1.3, 13.3, 13.45, 13.64, 13.81, 13.171, 13.175, 13.186, 13.202 f., 13.218 13.220 ff. – bilaterale Maßnahmen 13.227 – durch DBA 13.227 – Klauseln gegen Steuerumgehung 13.235 – Methoden 13.220 – unilaterale Maßnahmen 13.221 – Verstndigungsverfahren 13.230 Doppelbesteuerungsabkommen 13.227 ff. – Abkommensberechtigung 13.238 – Auslegungskonflikte 13.229 – Einkunftsarten 13.245 – internationaler Informationsaustausch (Art. 26 OECD-MA) 8.33 ff., 8.59 – sachliche Reichweite 13.242 – Schrankenwirkung 15.46, 15.239 – Schweiz 8.68 ff., 11.59, 15.24, 15.43 f., 15.269f., 15.282 f. – USA 2.15 – Verteilungs- und Vermeidungsnormen 13.244 Doppelbesteuerungsrecht 13.8, 13.218 ff. Doppelbesteuerungsverbot 13.219
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Doppelbestrafungsverbot 4.1 ff. – Art. 54 SD 4.5 ff., 4.10 ff.; s. auch dort – EMRK 2.62, 4.3 – europisches 4.4 ff. – GRCh 2.63, 4.7 ff. – Verhltnis Art. 54 SD/Art. 50 GRCh 4.9 DreiecksauskÅnfte 8.40 Dringender Tatverdacht 6.99 f. Dublin Docks, EuGH 12.64 Durchsicht, Papiere/Speichermedien 5.28, 6.69, 6.93, 9.131 – Rechtsschutz 6.93 Durchsuchung 6.73 ff. – Antrag 6.88, 6.90 – Ausforschungs-, unzulssige 6.26, 6.84 – Bank 6.83 – Bargeld 6.5 – beim Berater 6.76 ff. – CD 6.38, s. auch Steuer – CD – Durchsicht, Papiere 5.28 – E-Mails 6.69 ff. – Ersuchen 9.127 f. – Europische Beweisanordnung 6.57, 6.60, 6.65 – IRG 9.85, 9.87 – Liechtenstein 8.88, 16.35 – Nachtzeit 6.75 – Online- 7.1 – Rechtshilfe 9.14, 9.23, 9.30, 9.48, 9.85, 9.107, 9.130 – Rechtsschutz 6.41, 6.92 ff. – Schweiz 8.75, 9.251 – Sperrwirkung, Selbstanzeige 6.12 ff., 11.45 ff. – beim Steuerberater 6.81 – beim Unverdchtigen 6.74 – beim Verdchtigen 6.73 – beim Verteidiger 6.80 – Verwertungsverbot 6.37 – Zustndigkeit 6.85 Durchsuchungsbeschluss 6.90 ff. EDV-Anlage, Beschlagnahme 6.68 ff., 6.123 EEA s. Europische Ermittlungsanordnung EGAHiG 7.9, 8.45, 9.28 f. EG-Amtshilfe-RL 7.9 EG-ne-bis-in-idem-bereinkommen 4.4 Einfuhrabgaben, Begriff 3.9, 10.145 ff.
Sachregister Einfuhrabgabenhinterziehung 10.144 ff., 10.167 ff., 10.187, 19.26 f. – prozessuale Tat 10.188 Einfuhrumsatzsteuer 13.116 ff., 17.48 ff. – Pflichtverletzungen 17.53 – Schmuggel 17.53 – Steuerhinterziehung 17.53 – steuerliche Pflichten 17.51 Einkommensteuer 13.11 ff. – internationale EinkÅnfteabgrenzung 13.171 ff. – Steuerfreistellung 13.222 – Veranlagung 13.21 f. – Vorauszahlung 15.243 – Wegzug 15.11 ff. – Zinsen 15.193 Einkommensteuerpflicht – beschrnkt 13.15 ff., 15.238 – fiktiv unbeschrnkt 13.14, 15.238 – unbeschrnkt 12.53, 13.3, 13.10 ff., 15.238 – Wechsel unbeschrnkt/beschrnkt 13.28 ff., 13.43 EinkÅnfte – Aufsichtsrat/Verwaltungsrat 13.245 – Berichtigung (§ 1 AStG) 13.201 ff. – Betriebssttte, Zuordnung 13.174 ff. – Gewerbebetrieb 13.19, 13.27, 13.196, 13.245, 15.28, 15.87, 15.181 f., 15.206, 15.229, 15.252 f., 15.261 – KÅnstler/Sportler 13.245 – Land- und Forstwirtschaft s. dort – Ruhegehlter 13.245 – selbstndige Arbeit 13.19, 13.52, 13.245 – Studenten 13.245 – unselbstndige Arbeit 13.245 – Vermietung und Verpachtung s. dort – Zinsen 13.245, 15.193 EinkÅnfteabgrenzung, internationale 13.171 ff. EinkÅnfteberichtigung (§ 1 AStG) 13.201 ff., 15.139 ff. EinkÅnftekatalog 13.17, 13.154 f. EinkÅnftekorrektur 13.171, 13.185 ff., 13.206, 13.210 ff., 15.73, 15.81, 15.84, 15.242, 15.301, 16.21 – Maßstbe 15.146 ff. – -normen 15.118 EinkÅnfteverlagerung – Außensteuerrecht 13.5, 13.171 ff. – Niedrigsteuerlnder s. dort – Vermeidung 13.4 ff. – s. auch Verrechnungspreise
Einstellung des Verfahrens – gegen Auflagen (§ 153 a StPO) 10.200 – auslndische Aburteilung (§ 153c Abs. 2 StPO) 3.37 – auslndische Strafverfahren und Aburteilung (§ 154 StPO) 3.41 – Auslandstat (§ 153c StPO) 3.28 ff. – außereuropische Urteile und Strafverfahren 3.46 – europische Urteile und Strafverfahren 3.43 – rechtskrftiger Freispruch (§ 153c II StPO) 3.38 Einziehung – EU 9.78 ff. – gegenseitige Anerkennung 9.78 – Nebenfolge Steuerhinterziehung 10.227 Electronic Commerce 15.303 E-Mails, Beschlagnahme 6.69 ff., 6.123 EMCS-Eingangsmeldung 17.29 Empfngerbenennung (§ 160 AO) 12.44 ff., 15.233 f. – Rechtsfolge bei Verstoß 14.32 EMRK 2.55, 2.60 ff., 5.9 f. Energiesteuern 19.4 ff. Entstrickung 13.5, 13.28 ff., 13.61 ff., 15.13 ff., 15.67 ff. – nutzungsbedingte 15.83 – private Anteile an Kapitalgesellschaft 15.238 ff. – Vermeidung 15.26 Entstrickungsregelungen 13.43 ff. – § 4 Abs. 2 S. 3, 4 EStG 13.5, 13.28 ff., 13.183, 13.186, 15.13 ff., 15.26 – § 6 AStG 13.35 – DBA sterreich 15.42 f., 15.80 f. – KStG 13.61 ff., 15.47, 15.105 Erbschaftsteuer 13.82 ff., 16.1 ff. – Anzeigepflicht 16.5 ff. – auslndisches VermÇgen 16.4 – beschrnkte Steuerpflicht 13.86, 13.97 ff., 16.23 – Ersatzerbschaft 13.96, 16.29, 16.38 – erweiterte beschrnkte Steuerpflicht 13.101, 16.23 – erweitertes InlandsvermÇgen 16.24 – Inlnder 13.95 – InlandsvermÇgen 13.100, 16.21 ff. – NettovermÇgen 13.94 – Pflichtverletzungen 16.12, 16.26 – Steueranrechnung 13.226 – Steuererklrungspflicht 16.5., 16.9 – Steuerhinterziehung 16.17 – Steuerobjekt 13.84, 13.92 – unbeschrnkte Steuerpflicht 13.87
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Sachregister Erbschaftsteuerabkommen 8.48 Erbschaftsteuerrecht, internationales 16.1 ff. – auslndische Familienstiftungen/ Trusts 16.29 – AuslandsvermÇgen 16.4 – InlandsvermÇgen 16.21 – Pflichtverletzungen 16.5, 16.12 ff., 16.25 ff.16.33 ff. Ermittlungen ins Blaue 6.21, 6.26 f., 6.43, 8.102 Ermittlungsanlsse 15.4 Ersatzerbschaftsteuer 13.84, 13.86, 13.96, 16.29, 16.38 ff. Ersuchen – Herausgabe Beweismittel 9.89 – Vollstreckung 9.94 ff. – s. auch Amts- und Rechtshilfe Ertragsteuerrecht, Pflichtverletzungen 15.1 ff. Erweiterte beschrnkte Steuerpflicht 13.7, 13.23 f., 13.101, 15.261, 15.294 Erweiterte InlandseinkÅnfte 13.23, 13.27 Estland, DBA 15.292 f. EU – dritte Sule 5.5 – Kompetenz-Kompetenz 2.47 f., 2.59 – Sanktionen 2.54 ff. – Schutz finanzieller Interessen 2.58, 3.20, 9.51 EU-Amtshilferichtlinie 7.9, 8.16 ff., 8.91, 8.97 EU-BeitreibungsRL 8.21 EU-Finanzinteressen, Schutz 2.58, 3.20, 9.51 – GrÅnbuch 5.12 EuGH – alleinige Auslegungsbefugnis EURecht 2.40, 10.91 – Colle 10.17 – Dublin Docks 12.64 – europischer Tatbegriff 4.33 – Fransson 10.86, 11.87 – Maria-Pupino 10.85 – berseering 12.64 – Verhltnis zu nationalen Gerichten 2.40 – Vorabentscheidungsverfahren 2.41, 4.10 f., 10.92 ff. EU-Rahmenbeschluss – BerÅcksichtigung EU-Verurteilungen 3.43 f. – Beweisanordnung 6.57, 9.22 – DatA 9.147 – Einziehung Gegenseitigkeit 9.78
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– Geldwsche 7.4, 9.22, 9.78 – Informationsaustausch 7.6, 9.22, 9.147 – Kompetenzkonflikte 3.23 – standardisiertes Austauschverfahren 9.22 – Strafregisterinformationssystem 9.22 EURATOM-Vertrag 2.26 EU-Recht s. Unionsrecht EU-Richtlinie 2.4, 2.22f. – Rang 2.35 ff. – Umsetzung 2.37 – Vorrang 2.37 EU-Schiedsverfahrenskonvention 13.230 EU-Verordnung 2.4, 2.22f. – Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit 2.23 – Rang 2.35 ff. Eurojust 3.23, 3.39, 5.2, 5.7, 7.7, 9.7, 9.46 ff. Europische Beweisanordnung 6.57 ff. Europische Ermittlungsanordnung 6.57, 9.185 ff. – Form 9.195 f. – Rechtsmittel 9.208 – bermittlung von Beweisergebnissen 9.207 – Verfahren 9.188 – Verhltnismßigkeit 9.199 – Versagung 9.205 – Verwertungsverbot 9.210 – Videokonferenz 9.120 Europische Menschenrechtskonvention 2.55, 2.60 ff., 5.9 ff. – Grundrechte 2.62 Europische Staatsanwaltschaft 2.58 , 5.7 ff., 9.5, 9.51 Europischer Haftbefehl 5.8, 6.135 ff. – Auslieferung 9.73 ff. Europisches AuslieferungsÅbereinkommen 7.4 f., 7.8, 9.21, 9.67 f., 9.70, 9.72 Europisches Justizielles Netz 7.7, 9.52 Europisches (Kriminal-)Strafrecht 2.54 ff., 2.56 Europisches Steuerrecht 1.3 Europisches bereinkommen – internationale Geltung von Strafurteilen 4.4 Europisierung des Strafrechts 5.4 ff. Europarecht s. EU-Recht Europol 7.7, 9.43 f. EUV 2.35 EU-Zinsrichtlinie s. Zinsrichtlinie Evokationsrecht 5.27, 5.29 f., 15.2
Sachregister Exit-Besteuerung s. Wegzugbesteuerung Exportumstze, USt-Hinterziehung 17.8 ff. Exterritorialitt 3.9 Faktischer GeschftsfÅhrer 10.70 Familienstiftung, auslndische 14.163 ff., 16.29 ff. – Abschirmwirkung 15.203 – AuflÇsung 16.32 – Besteuerung 13.7, 13.163 ff. – Destinatr 16.31 – Erbschaft-/Schenkungsteuer 16.29 – Ermittlung der EinkÅnfte 13.168 – Errichtung 16.30 – Gewerbesteuer 16.42 – KÇrperschaftsteuer(hinterziehung) 16.41 – Mitwirkungspflichten 15.209 – Pflichtverletzungen 15.211 – Steuererklrungen 15.208 – strafrechtliche Aspekte 15.212 – Strafzumessung 10.220 – Treuhandverhltnis 16.29 – VermÇgen und EinkÅnfte 15.206 – Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) 13.163 ff., 15.204 ff. – Zustiftung 16.29 – Zwischenberechtigte 16.31 Familienstiftung, inlndische, ErbSt 13.84, 16.29 – Ersatzerbschaftsteuer 16.29 – freigebige Zuwendung 16.29 Familienverein, ErbSt 13.84 Fernwirkung, Verwertungsverbot 6.41 Fiktive Einlage 13.72, 15.72 Fiktive Entnahme 13.31, 15.67, 15.70, 15.72, 15.80 FinanzbehÇrde, Begriff und Zustndigkeit 5.27 Finanzgerichtliches Verfahren – Feststellung Steuerhinterziehung 6.156 Finanzielle Interessen der EU, Schutz s. EU-Finanzinteressen Fingierter Verußerungsgewinn 13.39, 15.105 Fishing expeditions 8.31, 8.69, 8.80 ff., 8.102, 9.126, 9.160, 9.212 Flaggenprinzip 3.18 Flucht(gefahr) 6.109 ff. Frachtbrief 17.29, 17.32 Frankreich – DBA 8.59, 15.28 – Einbringung Betrieb 15.34 f., 18.17
– innergemeinschaftliche Lieferung 17.39 – SD 9.10 – Sicherstellung 9.78 – Stammhaus 15.104 – Tochtergesellschaft 15.174 – Wohnsitzverlegung 15.26 ff. Freistellungsmethode 13.64, 13.68, 13.220, 13.222, 13.236, 13.245, 15.48, 15.176, 15.178 Fremdanzeige zugunsten Dritter 11.74 ff. Fremdvergleich 13.201 ff. – Bandbreite 13.209 – Dienstleistungen 13.217 – Finanzierungsleistungen 13.217 – Funktionsverlagerung 13.217, 15.168 – hypothetischer 13.207, 13.211, 15.147, 15.152 f. – Interquartil-Methode 15.149 – Median 15.150 – Methoden 13.208 f., 15.148 – strafrechtliche Verantwortlichkeit 15.156 – verdeckte GewinnausschÅttung 13.5, 13.192 ff., 15.130 ff., 15.160 – Verrechnungspreise 13.207 ff. – Warenlieferungen 13.217 Funktionsanalyse 13.208 Funktionsverlagerung 13.217, 15.168 ff. – steuerliche Pflichtverletzungen 15.172 – Transferpaket 15.168 Gefahr im Verzug 6.85 f. Gegenseitige Anerkennung, Grundsatz 8.25, 8.31, 9.5, 9.7 f. – Einziehung 9.78 – Geldstrafen/-bußen 9.92 – Strafentscheidungen 9.149 Gegenseitiger Steuerverzicht 13.227 Gegenseitigkeit, Prinzip 8.42, 9.34 ff. Gelangensbesttigung 17.29 Geldauflagen, Verfahrenseinstellung (§ 153a StPO) 10.200 Geldstrafe 10.214 ff. Geldwsche – DBA, Auskunftserteilung 8.81, 8.96, 8.103, 9.284 – Europische Beweisanordnung 6.65 – Mitteilung (§ 31b AO) 6.6 – Rechtshilfe 6.66, 9.267 – Verdachtsanzeigen 6.4, 6.20, 11.57
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Sachregister Gemeinsame Ermittlungsgruppen 9.53 ff. Genussrechtskapital 15.199 GeschftsfÅhrer, Verantwortlichkeit 10.68 ff. Geschftsleitung – Begriff (§ 10 AO) 113.10, 13.47, 13.66, 13.88, 15.45, 15.53 ff., 15.215, 15.221, 15.271, 15.280 ff., 16.41 – Organgesellschaften 15.281 – Ort der -, Inland 15.279, 15.289 – Zuzug 15.271 Gesellschaftsstatut 15.272 f. Gesetzlichkeitsprinzip 1.2, 2.2 ff., 2.19, 2.26, 2.52, 2.63 Gestndnisbereitschaft 6.118 Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) 10.101 ff. – Basisgesellschaft, auslndische 15.214 ff. – Konkurrenz zu Hinzurechnungsbesteuerung 13.149 ff. Gestufte Selbstanzeige 11.23 f. Gewerbebetrieb 13.75 ff. – EinkÅnfte aus - s. EinkÅnfte Gewerbeerlaubnis, Entzug 10.226 Gewerbesteuer 13.73 ff. – Dividenden 15.192 – Messbetrag 13.81 – Çrtliche AnknÅpfung 13.73 ff. – Schachtelprivileg 13.225 – Steuersubjekt 13.80 Gewerbsmßige Begehung 10.180 – Schdigung des Umsatzsteueraufkommens 17.46 f. Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 15.74, 15.120 Gewinnverlagerung, Niedrigsteuerlnder 15.10, 15.225 – s. auch EinkÅnfteverlagerung, Verrechnungspreise Gewohnheitsrecht 2.10 GewÇhnlicher Aufenthalt 13.12, 15.238, 15.254 Grantor’s trust 13.168, 15.204, 16.29 GRCh s. Charta der Grundrechte der Europischen Union Grenzkontrollen – Bargeld s. dort – Schweiz 3.7 – SelbstanzeigemÇglichkeit 11.57 Grenzpendler 13.14 Große Auskunftsklausel s. Auskunftsklausel Große Rechtshilfe 9.33
902
Großes Ausmaß, SteuerverkÅrzung 10.158, 10.170, 10.204, 10.130, 10.200 GrÅnbuch der Europischen Kommission – Schutz finanzieller Interessen/Europische StA 5.12 ff. – Verfahrensgarantien in Strafverfahren, EU 5.16 Grunderwerbsteuer 13.137 ff., 18.1 ff. – nderung Gesellschafterbestand 18.3 – Anteilsvereinigung in einer Hand 18.14 – Anzeigepflichten 18.7 – Erwerbsvorgnge 13.137, 18.1 – gesetzliche Vertreter Auslandsgesellschaft 18.17 – mittelbare Gesellschafterwechsel im Ausland 18.11 – Notar, Anzeigepflicht 18.7, 18.9 – Steuerbefreiungen 13.142 – Steuerschuldner 13.143 Grunderwerbsteuer, Pflichtverletzungen 18.1 ff. Grundfreiheiten, EU 2.9, 2.26, 2.43, 2.57, 2.60, 10.91, 10.111, 12.64, 15.81 Grundrechte, Grundgesetz 2.1 Grundrechtecharta s. Charta der Grundrechte der Europischen Union Grundrechtsschranke, EU-Recht 2.46, 2.48, 8.5 Grundsteuer 13.243 Gruppenersuchen, Schweiz 8.70 Habeus-corpus-Rechte 5.11 Haftbefehl 6.104 ff. – Außervollzugsetzung 6.128 – europischer 5.8, 6.135 ff., 9.73 ff. HaftgrÅnde 6.108 ff. – apokryphe 6.118 – Fluchtgefahr 6.109 – Straferwartung 6.116 – Verdunkelungsgefahr 6.120 Harmonisierte Umsatz-/Verbrauchsteuern – Hinterziehung 2.54, 10.147 f., 19.2 ff. HeizÇlverdieselung 19.2 Herausgabe, Rechtshilfe 9.84, 9.89 Herausgabeverlangen 6.55 f. Hinreichender Anlass 6.21, 6.26, 6.44 Hinterziehung s. auch Steuerhinterziehung Hinterziehungsbetrag Åber 50.000 Euro – großes Ausmaß s. dort – Selbstanzeige 11.66
Sachregister – Selbstanzeige, Neuregelung ab 2015 11.87 Hinzurechnungsbesteuerung 10.112, 13.7, 13.9, 13.148 ff., 13.168, 15.90, 15.110, 15.115, 15.206, 15.215 ff. – Beispiele 15.112, 15.116, 15.225, – auslndische Familienstiftung 13.163 ff., 15.204 – AusschÅttungsfiktion 13.148 – Pflichtverletzungen 15.223 f. – Konkurrenz zu § 42 AO 13.149 f. Holdinggesellschaft 13.8, 15.281, 15.225 IGH s. Internationaler Gerichtshof Immutabilittsprinzip 3.34 Import stiller Reserven 13.45 Inbound-Flle 15.66, 15.71 In-dubio-pro-reo-Grundsatz 2.62., 6.160 ff., 11.61, 11.7 – Verrechnungspreise 15.153, 15.158 Informationelle Selbstbestimmung, Recht 7.1, 8.5, 8.12 Informationsaustausch, internationaler s. Amts- und Rechtshilfe Informationsaustauschabkommen – DBA 8.58 – EU-Recht 8.58, 8.60 f. – Liechtenstein 8.83 – Schweiz – (TIEA) 8.51 ff., 8.61, 13.228 Informationszentrale Ausland 8.8 Inland – Ansssigkeit 15.264 – Begriff 3.5 – Unternehmenssitz 3.21 – Wohnsitz s. dort Inlndische EinkÅnfte 13.15 ff., 15.294 ff. – erweiterte 13.27 Inlndisches BetriebsstttenvermÇgen 13.63, 13.67 Inlandstat 3.4 ff. Innergemeinschaftliche Lieferung, Kollusion 10.15 ff., 17.22 ff. – Buchnachweis 17.30 – Nachweispflichten 17.28 – Pflichtverletzungen 17.31 – Steuerbefreiung 17.23 – Steuerhinterziehung 17.34, 17.36 – Vertrauensschutz 17.24 – s. auch Reihengeschft und Umsatzsteuerkarussell Innergemeinschaftlicher Erwerb 13.119 ff.
Innergemeinschaftliches Reihengeschft 17.34, 17.36 ff., Innerstaatliches Recht , Rang 2.49 Internationale Bestechung 3.10, 12.5, 12.7, 12.41, 15.231 Internationale EinkÅnfteabgrenzung 13.171 ff. – Berichtigung von EinkÅnften (§ 1 AStG) 13.201 – Betriebssttten und Stammhaus 13.174 – Kapitalgesellschaften 13.187 – verdeckte Einlage 13.197, 15.134, 15.160 – verdeckte GewinnausschÅttung 13.191, 15.130, 15.160 Internationale Minderbesteuerung 15.199 Internationale StrafverfolgungsbehÇrden 9.42 Internationale Umwandlungen 15.88 ff. Internationaler Gerichtshof, Statut 2.11, 2.14, 2.51 ff. Internationaler Informationsaustausch s. Amts- und Rechtshilfe Internationales Privatrecht 15.272 Internationales Steuergeheimnis 8.19, 8.43 Internationales Steuerrecht 13.1 ff. – Begriffe 13.1 – materielles Recht 13.1 ff. – Ertragsteuern 13.11 ff. Internationales Steuerstrafrecht – anwendbares Recht 3.3 ff. – Begriffe 1.1 ff. – Rechtsquellen 2.1 ff. Internationales Steuerstrafverfahren – Ablauf 6.1 ff. – Legalittsprinzip und Unionsrecht 5.1 ff. Internationales Strafanwendungsrecht 3.1 ff. Interpol 7.7, 9.42 Interquartil-Methode 13.209 IRG, Rechtshilfe 6.1, 6.3, 7.8, 9.4, 9.12 f., 9.15 f., 9.22, 9.33, 9.38 – Auslandszeuge 9.114 – Auslieferung 6.140, 9.67, 9.74 f. – Beschlagnahme/Durchsuchung/Herausgabe 9.84 ff. – Einziehung/Verfall/Sicherstellung 9.78 ff., 9.214 f. – Gemeinsame Ermittlungsgruppen 9.53 f., 9.59
903
Sachregister – Rechtshilfeersuchen 9.37, 9.39, 9.61 ff., 9.105, 9.158 ff. – Spontanauskunft 9.81 ff., 9.170 Irland – DBA 8.59 f. – Dublin-Docks, EuGH 12.64 – EU-ne-bis-in-idem-Abkommen 4.4 – innergemeinschaftliche Lieferung 17.32 – IT-Dienstleistungen 15.303 – SD 4.6, 9.10, 9.13 IRSG, Rechtshilfe Schweiz 9.243 IStGH-StatutsG 2.52 IStGH-Statut 2.11, 2.14, 2.51 ff. IT-Ressourcen, Ausland 15.303 f. Jagdschein, Entzug 10.226 Juristische Person – Ort der tatschlichen Geschftsleitung 15.289 – Satzungssitz 15.285 ff. Kapitalertrge, auslndische s. auslndische Kapitalertrge Kapitalertragsteuer 9.261, 13.54, 13.162, 13.196, 15.187, 15.296, – Steuerhinterziehung 15.306 ff. Kapitalgesellschaft – Anteile an auslndischer 13.35, 15.15, 15.291 – auslndische 4.40, 10.109, 12.64, 13.49, 13.54, 15.220, 15.268, 15.286 – Einbringungsvorgnge 15.106 – EinkÅnfteabgrenzung/-korrektur 13.187 ff. – Outsourcing 12.64 – Verlegung Geschftsleitung 15.53, 15.280 – Zuzug 13.70, 15.271 ff. – s. auch vGA, verdeckte Einlage, Hinzurechnungsbesteuerung, Wegzug, Zwischengesellschaft Kapitalverkehrsfreiheit 2.26, 10.91, 10.193, 11.54 Karussellgeschfte, betrÅgerische s. Umsatzsteuerkarussell Kaution 6.105, 6.111, 1.119, 6.129 Kirchensteuer 13.242 Kleine Auskunftsklausel 8.35 ff., 8.44 f. Kleine Rechtshilfe 9.33, 9.263 Know-how-GebÅhren 13.22, 13.217, 15.10, 15.174 f., 16.21 KollisionsauflÇsung 13.3 KollisionsbegrÅndung 13.3
904
Kommissarische Vernehmung 9.111 ff. Kompetenzkonflikte 2.48, 3.23., 4.9, 9.6 – Rahmenbeschluss EU 3.23 Kompetenzschranke, EU 2.48 Kontenabfragen, grenzÅberschreitende 9.124 f., 9.211 f. Kontoverdichtungen 9.2, 9.212 Kontrollmitteilung 6.4, 6.10, 6.35, 6.42 f. – bei Banken 6.35, 11.54 – und Selbstanzeige 11.54 Konzern – aktive EinkÅnfte 13.154 – Anteilsvereinigung/-Åbertragung 13.140 f. – Funktionsverlagerung 15.168 – Gewinnabgrenzung 13.171 ff., 13.187 ff., 13.245 – Gewinnverlagerung 15.225, s. Verrechnungspreise – internationales Strafrecht 3.21 – mehrstufiger 15.189 – Trennungsprinzip 15.118 – Umstrukturierung 18.8 – US- 15.10 Koordinierte AußenprÅfung 8.40 KÇrperschaftsteuer 13.47 ff., 15.45 ff. – beschrnkte Steuerpflicht 13.50, 15.45 – Entstrickung 13.61 ff., 15.47 f., 15.105 – Erstattung 13.57 – Familienstiftung 16.41 – Freistellung 13.57, 15.286 – Gesellschaften nach auslndischem Recht 13.49 – grenzÅberschreitende Sitzverlegung 13.59 – Ort der Geschftsleitung 13.47, 15.53 – stille Reserven 15.50 – Steuerfreistellung 13.224 – Steuersatz 13.56 – unbeschrnkte Steuerpflicht 13.47 – verdeckte GewinnausschÅttung 13.5, 15.130 ff., 17.17 – Wechsel (un)beschrnkte Steuerpflicht 13.58 – Wegzugsbesteuerung 15.45 ff. – Zuzug 15.274 Korrespondenzprinzip 15.137 Korruption 12.1 ff. – Abzugsverbot (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG) 12.33 – Amtstrger, Ausland 23.6 f. – Auslandstaten 12.41
Sachregister – Benennungsverlangen (§ 160 AO) 12.44, 12.49 – Belehrungspflicht 12.43 – Bestechlichkeit/Bestechung im geschftlichen Verkehr 12.27 – Bestechungstatbestnde 12.8 – Empfnger 12.46 – EU-Bestechungsgesetz 12.5 – IntBestG 12.5 – Mitteilungspflicht PrÅfer, Korruption 12.37 – Pflichtverletzungen, steuerliche 15.230 – Strafrechtsverschrfung 12.3 – Tterkreis 12.10 – Vorteilsannahme 12.13 – Vorteilgewhrung 12.3, 15.230 ff. – s. auch Bestechungstatbestnde, Schmiergelder Kostenaufschlagsmethode 13.208, 13.217 Kundenbezogenes Konto 6.46 Lageraussetzungsverfahren 19.5, 19.8, 19.22 Land- und Forstwirtschaft, EinkÅnfte 13.19, 13.52, 13.55, 13.94, 13.101, 13.154, 13.159, 13.169, 13.245, 15.184, 15.196, 15.206, 15.242, 15.301, 16.21 Lebensversicherung, Ausland 8.21, 8.98, 10.195, 11.55, 15.201 f. Legalittsprinzip und EU-Recht 3.28, 5.1 ff., 5.17 ff., 9.2 f., 9.181 Leichtfertige SteuerverkÅrzung 10.129 ff., 11.43, 14.39, 14.44, 15.7, 15.198, 15.308, 17.7, 18.9, 19.14, 19.25 – Selbstanzeige 11.77 Leichtfertigkeit 4.42, 10.130, 10.133 f., 11.77 Leistungstransfer, Betriebssttten 15.65 ff. Liechtenstein – Ankauf Daten-CD, Verwertungsverbot 11.60 – Bankgeheimnis 8.87 – DBA, Auskunftserteilung 8.79 – Informationsaustauschabkommen 8.83 f. – KulanzauskÅnfte 8.84 – Rechtshilfe 9.263 – Steuerdaten-CD 6.37 – Steuergeheimnis 8.81 – steuerlicher Informationsaustausch 8.76 ff.
– Stiftung/Trust, Erbschaftsteuer 16.29 ff. Limited 12.64, 15.54, 15.58 Liquidationsbesteuerung 13.60, 13.67, 15.50, 15.55, 15.63 LizenzgebÅhren 13.22, 13.154, 13.217, 13.236, 13.245, 15.10, 15.54 f., 15.239, 15.297, 15.312, 16.21 – Beispiele 15.41, 15.54, 15.83, 15.163, 15.174, 15.281 – Richtlinie 13.219, 13.224 Lohnsteuer – Abzugsteuer 15.296, 15.306 f., 15.309, 15.311, 13.21 – Anrufungsauskunft 15.309 – Haftung 15.306 – Hinterziehung 10.116, 14.43, 15.308 – Nachschau, Selbstanzeige 11.87 Luft-/Schiffahrtunternehmen, EinkÅnfte 13.19, 13.131, 13.228, 13.245 Luxemburg – Bankermittlungen 6.28 – Beispiele, Gewinnverlagerung 15.106, 15.116, 15.303, 15.311, 18.17 – Cloud-Computing 15.303 – DBA 8.95 – Rechtshilfe 9.272 – Steuergeheimnis 8.96 – steuerlicher Informationsaustausch 8.91 ff., 15.09 Median 13.210, 15.150 f. Mehrwertsteuersystem, gemeinsames, RL 10.17, 10.30, 10.88 Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-VO 8.2, 8.24 ff. Menschenrechtskonvention 5.9 ff. MeistbegÅnstigungsklausel 2.8 f. Minderbesteuerung, internationale 15.199 Mindesttrias, EU-Sanktion 2.58 MineralÇl, straf- und bußbare Pflichtverletzungen 19.8., 19.13 ff. Missbrauch steuerlicher Gestaltung (§ 42 AO) 10.101 ff. Missbrauchsklauseln, DBA 13.236 f. Missing Trader 17.41 f. Mitteilungspflicht PrÅfer, Korruption 12.37 ff. Mitwirkungspflichten 14.1 ff. – allgemeine 14.1 – Auslandssachverhalte (§ 90 Abs. 2 AO) 5.33, 6.164, 14.4 ff. – Dokumentation 14.13, 15.74 – Einzelsteuergesetze 14.21
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Sachregister – erweiterte 14.4 – steuerliche Rechtsfolgen bei Verstoß 14.22 – strafrechtliche Folgen bei Verstoß 14.34 – Zwischengesellschaften (§ 17 Abs. 1 AStG) 14.8 Musik-Streaming 15.311 ff.
– Electronic Commerce 15.303 – grenzÅberschreitende 13.112, 13.182, 13.198, 13.217, 15.65 ff., 15.312 – Nutzungsort 13.113
Observation 9.143 OECD-Aktionsplan Bekmpfung SteuerverkÅrzung 15.10 OECD-Musterabkommen – große Auskunftsklausel 8.35 ff. Nachtzeit, Durchsuchung 6.75 – kleine Auskunftsklausel 8.35 ff. Nachweispflichten – Ausfuhrlieferung 10.156, 17.3, 17.14, – internationaler Informationsaustausch (Art. 26 OECD-MA) 8.33 ff. 17.24, 17.29 Offenbarungsbefugnis, Amtstrger – Beweislast 15.6 6.48 ff., 8.28 – nach Einbringung 15.93, 14.21 Offenbarungspflichten, steuerliche – innergemeinschaftliche Lieferung 10.5, 10.81 10.22, 10.37, 10.148 – Steuerhinterziehung 10.107 Nachzahlung, Selbstanzeige 11.36 ff. – Zumutbarkeit 5.34 Nationales Recht Offshore-Leaks 11.58 – Rang, innerstaatlich 2.49 Offshore-Steuergesetz 2.15 – Verhltnis EU-Recht 2.34 ff. OLAF 2.23, 5.2, 7.7, 9.51 f. – Verhltnis VÇlkerrecht 2.27 ff. Online-Durchsuchung 6.71, 7.1, 9.156 Nato-Truppenstatut 2.15 Ne bis in idem s. Doppelbestrafungsver- Opportunittsprinzip – Unionsrecht 5.13 f. bot – Verfahrenseinstellung 3.36 Nemo-tenetur-Grundsatz 2.62 Ordnungsmittel 6.55 – strafrechtliches Verwendungsverbot Ordre public, Grundsatz (Vorbehalt) 5.36 8.55, 8.73, 8.82, 8.89, 9.34, 9.38, 9.61, – Strafverfahren/Besteuerungsverfahren 9.208, 9.238 5.27, 5.31 ff., 11.57, 12.44 Organgesellschaft 15.281 Neutralisierungswirkung 2.54, 2.9 Nichtverfolgung, Auslandsdelikt 3.28 f. rtlicher Anwendungsbereich, deutsches Strafrecht 3.4 ff. Niederlande 4.4, 4.22, 4.36, 5.21, 8.60, sterreich 9.10, 9.40, 9.43, 10.163 – Amtshilfegesetz 8.97 – Amtshilfe 8.59 f. – ARHG 9.15 – DBA 15.183, 15.287 – Auskunftsersuchen, Art. 26 – Gesellschaft 15.131, 15.286 OECD-MA 8.102 f. – Zollabfertigung 3.9 – Auslieferung 9.274 Niederlassungsfreiheit 2.26, 10.91, – EuRhbK 9.274 ff. 13.49, 13.60, 13.150, 13.190, 13.245, – Finanzstrafgesetz 4.16 15.79, 15.84, 15.140, 15.140, 15.272, – Informationsaustausch 8.50, 8.59, 16.28 8.97 ff. Niedrigsteuerlnder, EinkÅnfteverlagerung 10.101, 10.109, 12.52, 13.5, 13.7, – Rechtshilfe 9.274 – SD 9.10, 9.277 13.148 f., 15.10, 15.214, 15.217 – Straferkenntnis 4.13 Nullum crimen sine lege 2.2 – unaufgeforderte bermittlung 9.284 Nutzungen und Leistungen 13.194, – Verfassungs-/Verwaltungsgerichtshof 15.133 8.99 Nutzungsrechte 13.32, 13.62, 15.14, 15.27, 15.48, 13.100 ff., 13.198, 15.133, – Verwaltungsstrafgesetz 4.14 – Wegzug 15.41 15.168 f., 15.223, 16.21 – Zinsrichtlinie 8.101 NutzungsÅberlassung – Zollabfertigung 3.9 – an auslndische Betriebssttte Outbound-Flle 15.67 f., 15.70 15.83 ff. Outsourcing 12.64 – Berechtigter 13.236
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Sachregister PaaS-Vertrag 15.303, 15.305 Parallele Ermittlungsverfahren 5.20 Passentziehung 6.117, 10.224 Patente 13.100, 13.217, 15.10, 15.103 ff., 16.21 Patentverwertungsgesellschaft 15.281 Personalittsprinzip 3.21, 3.25 ff. Pflichtverletzungen im Steuerrecht 15.1 ff. – Erbschaftsteuerrecht 16.1 ff. – Ertragsteuerrecht 15.1 ff. – Grunderwerbsteuer 18.1 ff. – Umsatzsteuerrecht 17.1 ff. – Verbrauchsteuern 19.1 ff. PIF-bereinkommen 2.58 Polen – deutsche Zollabfertigung 3.9 – Rechtshilfe 8.59, 9.10 – Zigarettenschmuggel 3.9, 10.163, 10.187, 19.26 f. Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit (PJZS) 2.23, 7.7 Preisvergleichsmethode 13.208 f., 13.217, 13.170, 15.148 Primres Unionsrecht s. Unionsrecht, primres Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 3.22 Private Ermittlungen, Verwertungsverbot 6.37, 9.267 PrivatvermÇgen – EinkÅnfte aus - 13.196 – Entstrickung 13.31, 13.35, 15.13 – Verstrickung 13.44, 13.46, 15.240 – Wegzugsbesteuerung 15.13, 15.15, 15.23, 15.29 – Zuzug, Anteilsverußerung 15.276 Provisionszahlungen – Benennungspflicht (§ 160 AO) 12.49 ff., 12.63 ff. – Bestechungsdelikte 9.32, 12.1, 15.229, 15.235 f. – Steuerhinterziehung 15.235 f. Prozessualer Tatbegriff 4.39, 6.12 ff., 6.138, 10.39 – Einstellung 3.35 – Verjhrungsunterbrechung 6.53 Quellensteuer – Kapitalertrge 6.28, 8.94, 8.101, 11.81, 13.54, 13.8, 13.232, 13.245, 15.39, 15.294 – Lizenzeinnahmen 15.55 ff., 15.281 ff. Quellensteuerreduktion 12.237, 13.8, 13.236
Rahmenbeschluss 2.42 – s. auch EU-Rahmenbeschluss Rasterfahndung, unzulssige 6.26 Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts 5.3 Recht auf faires Verfahren, EMRK 2.62 Rechte des Beschuldigten, Unionsrecht 5.24 ff. Rechtshilfe, ausgehende 9.100 ff., 9.171 ff. – Durchsuchung/Beschlagnahme 6.92 ff., 9.127 ff. – Ermittlungsmaßnahmen, Arten 9.107 – Geschftswege 9.104 – Kontenabfragen 9.124 – TK 9.132, 9.140 – Vernehmungen Zeugen/Beschuldigte 9.111 – Zustndigkeit 9.100 – Zustellungen 9.108 – s. auch IRG Rechtshilfe, eingehende 9.2, 9.59 ff., 9.158 ff. – Auslieferung in Steuerstrafsachen 9.66 – Bewilligung 9.63 – DatenÅbermittlung ohne Ersuchen 9.81 – Durchsuchung/Beschlagnahme 6.92 ff., 9.127 ff. – Einziehung 9.79, 9.213 – Grenzen 9.61 – Herausgabe Beweismittel 9.84, 9.89 – Rechtsschutz 9.60 – SD 9.10, 9.19 – TK 9.139 – berstellung ins Ausland 9.64 – Verfall 9.79 – Vollstreckungshilfe 9.92 – Vollstreckungsverfahren 9.97 – Zulssigkeit 9.59 – zustndiges Gericht 9.60 – Zustndigkeit Bund 9.62 Rechtshilfe in Steuersachen 7.2, 8.1 ff., s. auch Amtshilfe in Steuersachen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen 9.1 ff. – AEUV 9.5 – Anfangsverdacht 9.32 – ausgehende Rechtshilfe 9.100 – Begriffe 9.33 – BMF-Schreiben 9.27, 9.28 – eingehende 9.2, 9.59 – Ermittlungsmaßnahmen 9.107 – EUAlbk 9.21 – EU-Ebene 9.5
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Sachregister – – – – – – – – – – – –
EuRhbk 9.18 Grundprinzipien 9.34 Kanada 9.281 Kompetenzen 9.39 Liechtenstein 9.263 Luxemburg 9.272 sterreich 9.274 Rechtsgrundlagen 9.4 ff., 9.22 Rechtsschutz 9.60, 9.184 Schwedische Initiative 9.147 Schweiz 9.242 Sicherstellung VermÇgenswerte 9.213 – Steuergeheimnis 9.283 – TK 9.132 – unaufgeforderte bermittlung 9.284 – USA 9.278 – s. auch Amts- und Rechtshilfe in Strafsachen, Rechtshilfe, eingehende und Rechtshilfe, ausgehende Rechtshilfeabkommen, EU 2.14, 8.49 ff. Rechtshilfeabkommen EU-USA 2.14 Reihengeschft, innergemeinschaftliches 17.26, 17.34, 17.36 ff. Revocable trust 13.167, 15.204 f., 16.29 Reziprozitt 9.34, 9.36 RiVASt 6.3, 9.12 RÅckwirkungsverbot 2.8 f. Rule shopping 13.235 Sammelauskunftsersuchen – Anforderungen 6.31 – an Banken 6.28 – inlndisches 6.25 ff. Satzungssitz, JP, Verlegung 13.47 f., 13.58 ff., 15.145 ff., 15.62, 15.271, 17.69 – im Inland 15.285 ff. SCE 9.3, , 9.48, 13.33, 13.59 ff., 15.45, 15.70, 15.89 Schachtelprivileg 13.225, 15.192 Schachtelstrafe 15.189 Schtzung – Haftentscheidung 6.105 – steuerliche (§ 162 AO) 5.36, 14.26 f., 6.163, 14.46, 15.211, 15.197, 15.221, 15.223, 15.302 – „Strafschtzung“ 5.33 – Strafurteil 6.105, 10.204, 14.46 – bei Verletzung von Mitwirkungspflichten 14.22 – Verrechnungspreise 15.124 – Zuschlag (§ 162 Abs. 4 AO) 14.29, 15.76, 15.126
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Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen 4.5 ff. – Auslieferung bei Steuerdelikten 9.71 – bei EU-Haftbefehl 9.73ff. – Rechtshilfe 9.10 ff. Schengener DurchfÅhrungsÅbereinkommen, Art. 54 SD 2.62 f., 3.2, 3.38, 4.5 ff., 5.8, 5.20, 10.39, 10.171, 15.28 – Begriff derselben Tat 4.33 – belgische Transactie 4.17 – niederlndische Transactie 4.21 – Ordnungswidrigkeitenverfahren 4.29 – Çsterreichisches Straferkenntnis 4.13 – rechtskrftige Aburteilung 4.11 – Selbstanzeige 4.25 – Steueramnestie 4.45 – Verbrechen 4.24 – Verhltnis zu Art. 50 GRCh 4.9 – Vollstreckung 4.44 Schenkungsteuer 13.82, 13.226, 16.27 ff. – s. Erbschaftsteuer Schiedsverfahrenskonvention 2.16 Schiff, anwendbares Strafrecht 3.18 Schifffahrtunternehmen, EinkÅnfte 13.19, 13.131, 13.228, 13.245 Schmiergelder 12.1 ff., 15.230 ff. – Abzugsverbot 12.1, 15.230 – Benennungsverlangen 12.44, 15.233 – Pflichtverletzungen 15.230 ff. – s. auch Bestechung Schmuggel, schwerer 10.162 ff. – bandenmßiger 10.181 – gewerbsmßiger 10.180 – Hintermann 10.172 – Schadensberechnung 10.177 – Tter 10.172 – TK 9.132 – Verbringung 10.163, 10.175 – Waffen 10.186 Schusswaffe 10.186 Schutz der EU-Finanzinteressen s. EUFinanzinteressen Schutzprinzip 3.21 Schwarzgeldbekmpfungsgesetz 11.19 Schwarzmarktpreis 10.178 Schwedische Initiative 9.147 ff. Schweigerecht, EMRK 2.62 Schweiz – Amtshilfe in Steuersachen 8.64 ff., 9.246 – anwendbares Strafrecht 3.7 – Auslieferung 9.260 – Bankgeheimnis 9.247 – DBA, Auskunftsklausel 8.68 ff. – Durchsuchung/Beschlagnahme 8.75
Sachregister – Gruppenersuchen 8.70 – indirekte Steuern 9.262 – Rechtshilfe 9.243 ff. – SD 4.6 – Spezialittsvorbehalt 9.259 – Steuerbetrug 9.248 – vorgeschobene Grenzabfertigung 3.7 – Wegzug in 15.41, 15.57 – Zinsbesteuerungsabkommen 8.65 ff. Schweizer Bankgeheimnis 6.34 Schwestergesellschaften, auslndische 13.194, 13.245, 15.133, 15.174 SD s. Schengen SE 13.33, 13.59 ff., 15.45, 15.102, 15.272 Sekundres Unionsrecht s. Unionsrecht, sekundres Selbstanzeige 6.4, 10.130, 10.199 f., 11.1 ff. – Abgabe durch Vertreter 11.7 – Abgrenzung zu § 153 AO 11.16 – Adressat 11.15 – Altflle 11.69 – Bekanntgabe AußenprÅfung 11.41 – Bekanntgabe Verfahrenseinleitung 11.44 – CD-Flle 15.195, 15.198 – disziplinarrechtliche Folgen 11.83 – Einstellung 10.200 – Erscheinen der FinanzbehÇrde 11.45 – Fertigung, praktische Vorschlge 11.80 – Form 11.14 – Fremdanzeige zugunsten Dritter 11.74 – gestufte 11.23 – Gesetzesnderung ab 2015 11.87 – Grenzkontrollen 11.57 – Hinterziehungsbetrag Åber 50.000 Euro 11.66 – Kontrollmitteilungen 11.54 – leichtfertige SteuerverkÅrzung 11.77 – Liechtenstein-Affre 11.60 – Nachzahlung 11.36 – persÇnlicher Strafaufhebungsgrund 11.2 – RechnenmÅssen mit Entdeckung 11.61 – rechtzeitige 10.22 – nach Selbstanzeige 11.33 – SperrgrÅnde 11.49 – Steuerart 11.26 – Steuerdaten-CD 11.55, 15.195, 15.198 – Steuergeheimnis 11.86 – StiftungsvermÇgen 11.35
– Tatentdeckung 11.46 – Tatentdeckung durch auslndische Amtstrger 11.58 – Teil- 11.19, 11.26, 11.33, 11.77 f. – Transfer Unterlagen, Ausland 11.8 – Umfang der Sperrwirkung 11.78 – Unternehmen 11.64 – unverjhrte Taten 11.21, 11.80 – Verbandsgeldbuße 11.70 – Verwertungsverbot 11.60, 11.63 – Vollstndigkeitsgebot 11.22, 11.29 – Voraussetzungen 11.3 – Zuschlag 11.66, 11.87 Selbstbelastungsfreiheit 2.62, 5.31 ff. – s. auch Nemo-tenetur-Grundsatz Server, Zugriff 6.69 ff. Sicherstellung, EU 9.78 ff., 9.85 ff., 9.213 ff. – s. auch Beschlagnahme/Einziehung, Verfall, Arrest Spanien – Ansssigkeit 15.97 f., 17.32 ff. – DBA 8.59 f., 15.98 – SD 9.10 – Strafverfolgung 3.2, 3.39 – TK 5.19 – USt-Hinterziehung 17.34, 17.39 Spediteurbescheinigung 17.29 SperrgrÅnde, Selbstanzeige 11.40 – Bekanntgabe AußenprÅfung 11.41 – Bekanntgabe Verfahrenseinleitung 11.44 – Erscheinen der FinanzbehÇrde 11.45 – Hinterziehungsvolumen, Neuregelung ab 2015 11.87 – Hinterziehungsvolumen Åber 50.000 Euro 11.66 – Kenntnis von Tatentdeckung 11.61 – Reichweite 11.50 – Tatentdeckung 11.46 Spezialittsgrundsatz 6.138, 9.34, 9.37, 9.241, 9.272 Spezialittsvorbehalt 9.233 – Schweiz 9.259 Spontanauskunft 8.3, 8.6, 9.81, 15.28, 15.183 Staatsanwaltschaft – Abgabe des Verfahrens an - 5.29 – als ErmittlungsbehÇrde 5.27 – Ermittlungspersonen der - 5.28 – Europische, s. dort – Evokationsrecht 5.27 – Zustndigkeit Steuerstrafverfahren 5.27 ff. Statut IStGH 2.11, 2.14, 2.51 ff. Stellvertretende Strafrechtspflege 3.22
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Sachregister Steuerabzug 13.22 – auf Anordnung 15.300 – auf Bruttobasis 15.297 – auf Nettobasis 15.299 Steueramnestie 4.45 ff., 6.139 f., 9.36 – Strafbefreiende Erklrung 4.46 – als Vollstreckung 4.45 Steueramtshilfegesetz, Schweiz 8.64 Steueraussetzungsverfahren 13.146, 19.4, 19.21 Steuerberater, Durchsuchung 6.76 ff., 6.81 f. Steuerbetrug, Schweiz 9.248 f. Steuer-CD, Ankauf 6.6, 6.37 ff., 9.237, 11.62, 15.201, 15.212 – keine Rechtshilfe 9.254 – SelbstanzeigemÇglichkeit 11.55 f., 15.195, 15.198 – Tatentdeckung 11.55 f. – Verwertungsverbot 6.37 ff. Steuerentstrickung s. Entstrickung, Wegzug Steuererklrungspflichten – steuerliche Folgen bei Verstoß 14.22 – strafrechtliche Folgen bei Verstoß 14.34 – Suspendierung 5.34 Steuerfahndung 5.28 ff. – Ermittlungen im Ausland 9.145 Steuergeheimnis 6.48 ff. – Durchbrechung bei zwingendem Çffentlichen Interesse 6.48 – internationales 8.19, 8.34 , 8.43, 8.81 – und Rechtshilfe 9.283 – Rspr. 6.50 – bei Selbstanzeige 11.86 Steuergesetz 2.9 Steuerhehlerei – TK 9.123 – Zigarettenschmuggel 19.26 Steuerhinterziehung 10.1 ff. – abweichende Rechtsauffassung 10.74 – Angaben, unrichtige/unvollstndige 10.47 – Anstiftung 10.192 – Bankmitarbeiter 10.195 – Beihilfe 10.193 – Berichtigungspflicht (§ 153 AO) 10.98, 15.166 – besonders schwerer Fall 10.157 – Blanketttatbestand 10.1, 10.8 – EuGH, Vorlage 10.92 – EU-Recht 10.82 – europischer Tatbegriff 4.40 – faktischer GeschftsfÅhrer 10.71
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– Feststellung im FG-Verfahren 6.156 ff. – Garantenpflicht 10.66 – Geldstrafe 10.214 – gesetzliche Vertreter 10.68 – Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) 10.100 – Gestellungspflicht 10.63 – harmonisierte USt/Verbrauchsteuern 10.142 – Inlandstat 3.3, 3.4 ff. – Irrtum 10.137 – Kausalitt 10.55 – Kompensationsverbot 10.118 – konkludente Angaben 10.61 – Lohnsteuer 10.116, 11.87, 14.43, 15.308 – MineralÇl 19.15 – Nebenfolgen 10.233 – pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen 10.64 – Regelbeispiele 10.157 – Rechtsgut 10.2 – Schtzung 10.204, 14.46 – Strafzumessung 10.206 – Tabaksteuer 19.27 – Tterkreis 10.43 – Tter-Opfer-Ausgleich 10.221 – Taterfolg 10.113 – Tterschaft/Teilnahme 10.191 – Tathandlungen 10.7, 15.5 – Tuschung/Unkenntnis 10.54 – Umsatzsteuerhinterziehung s. dort – Unterlassen 10.81 – Urteilsfeststellungen 10.201 – VerfÅgungsberechtigter 10.70 – Verjhrung 10.229 – Verrechnungspreise 15.129, 15.156 – Versuch 10.128 – Vorbereitungshandlung 10.128 – Vorsatz 10.123 – Vorteilserlangung 10.116 – Zigarettenschmuggel 19.26 Steuernachzahlung, Selbstanzeige 11.36 ff. Steueroasen 6.4, 8.51, 12.53, 13.228, 15.9, 15.214 Steuerstrafrecht, Begriff 1.1 – s. auch Steuerhinterziehung Steuerstrafverfahren – Ablauf 6.1 ff. – Verhltnis Besteuerungsverfahren 5.31 ff. – Verhltnis finanzgerichtliches Verfahren 6.156 ff.
Sachregister Steuerumgehung 8.24, 10.103 f., 13.7, 13.190, 13.235 ff., 15.216, 18.3 – s. auch Gestaltungsmissbrauch Steuerveranlagung 13.21 SteuerverkÅrzung auf Zeit 11.66 – subjektive Anforderungen 10.125 ff. SteuerverkÅrzung, leichtfertige s. leichtfertige Steuerverstrickung s. Verstrickung Steuerverzicht, gegenseitiger 13.227 Steuerzeichen 10.98, 11.16, 19.20, 19.22, 19.25 Steuerzuschlag, Schtzung 14.29, 15.76, 15.126 Stiftung 6.4, 13.163, s. auch Familienstiftung – und Selbstanzeige 11.35 Stille Reserven 13.28, 15.13 – Ent- und Verstrickung 15.238, 15.240 – Wegzugsbesteuerung 13.66, 15.47, 15.50, 15.240 Stockholmer Programm 5.25 Strafklageverbrauch – auslndische Sanktionen 4.10 ff. – beschrnkter transnationaler 3.32, 3.40, 4.15 f., 4.30, 11.67 – s. auch Art. 54 SD, Doppelbestrafungsverbot und prozessualer Tatbegriff StrafverfolgungsÅbernahmeersuchen 9.284 Strafzumessung – Steuerhinterziehung 10.206 ff. Streaming 15.311 Strohmann – Basisgesellschaft 6.77 – USt-Karussell 17.42 Stundung 13.39 ff. – Wegzugsteuer 15.17 f. – Widerruf 15.20 Subject-to-tax-Klauseln 13.227, 13.233, 13.236, 15.183 Subsidiarittsprinzip 8.10, 8.57, 8.84, 8.93 Subventionsbetrug 3.20, 3.24 Supranationale Normen 2.22 ff. – Rang 2.34 ff. – s. auch Unionsrecht Suspendierung, Steuererklrungspflicht bei Selbstbelastungsgefahr 5.34 ff., 11.18 Switch-over-Klausel 13.229, 13.233, 13.236 f. Tabaksteuer 19.18 ff.
Tafelpapiere 6.26, 6.30 Tatbegriff – europischer 4.33 ff. – materiell-rechtlicher 11.50, 11.32 – prozessualer 4.39, 6.12 ff., 6.53, 10.39 Tatbestandsirrtum 10.137 f., 15.164 Tatentdeckung, Selbstanzeige 11.46 ff. – durch auslndische Amtstrger 11.58 – Ausschluss wegen Verwertungsverbots 11.60, 11.63 – Daten-CD, Ankauf 11.55, 11.62 – Geldwscheverdachtsanzeige – Grenzkontrollen 11.57 – Kontrollmitteilungen 11.54 – mediale 11.55 – Offshore Leaks 11.58 – Schweiz, Rechtshilfe 11.59 – Umfang der Sperrwirkung 11.50, 11.78 Tter-Opfer-Ausgleich 10.221 f. Tatort – anwendbares Recht 3.5 ff. – Steuerhinterziehung 3.6 ff. – Teilnahme 3.5, 3.13 – Unterlassen 3.17 Tatverdacht – Anfangsverdacht s. dort – dringender 6.99 f. – hinreichender 11.51 – hinreichender Anlass 6.9, 6.34, 6.43, 6.46, 6.9, 9.115 Tax Information Exchange Agreements s. TIAE TeileinkÅnfteverfahren 13.160, 15.186 Teilselbstanzeige – Anmeldesteuern 11.87 – unzulssige 11.19, 11.26, 11.33, 11.77 f. TelefonÅberwachung, s. TelekommunikationsÅberwachung TelekommunikationsÅberwachung – Katalogtat 6.6, 9.132 – Rechtshilfeersuchen 9.132 ff. – Verwertungsverbote 9.9.135 f., 9.142 – Zufallsfunde 9.135 Territorialittsprinzip 3.4 ff., 7.1 – Steuerordnungswidrigkeiten 3.10 f. Tertirrecht 2.25 TIAE 8.51 ff., 8.61, 13.228 Tochtergesellschaft, s. auslndische Transactie, Strafklageverbrauch – belgische 4.17 f. – niederlndische 4.21 f. Transaktionswert 10.177 Transborder Search 6.71 Transparenzklausel 13.203, 15.143
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Sachregister Trust, auslndischer 6.25, 8.54, 8.87, 13.49, 13.49, 15.203 ff., 16.29 ff. – grantor´s 16.29 – revocable 13.167, 15.204 f., 16.29 – s. auch Familienstiftung, auslndische Tschechien 8.60, 9.10 – deutsche Zollabfertigung 3.9 Treaty overriding 2.32 Treaty-shopping(-Klausel) 13.8, 13.235, 13.237 Treuhandverhltnis 15.286 f. Trust 6.4, 6.25, 8.54, 13.49, 13.167 ff., 15.9, 15.203 ff., 16.29 ff. – auslndische 15.203 ff. – Erbschaft-/Schenkungsteuer 16.29 ff. – Liechtenstein 8.87 – revocable 13.167, 15.204 f., 16.29 Ubiquittsprinzip 3.12 f. Umsatzsteuer 13.106 ff., 17.1 ff. – Aufzeichungspflicht 17.3 – Berichtigungspflicht 17.3 – Buchnachweis 17.10 – Einfuhr- 13.116, 17.48 ff. – Erklrungspflicht 17.3 – innergemeinschaftliche Lieferung 17.6, 17.22 – innergemeinschaftlicher Erwerb 13.119 – Leistungsempfnger 13.134 – Lieferungen 13.107 – Nachweispflichten 17.10 – Nutzungsentnahmen 13.115 – Ordnungswidrigkeiten (§§ 26b, c UStG) 14.44 – Ort der Lieferung 13.108 – Rechnungsaufbewahrungspflicht 17.3 – Rechnungsausstellung 17.3 – Reihengeschft 17.26, 17.36 ff. – sonstige Leistungen 13.112 – Steuerbefreiung, Ausfuhrlieferungen 13.129, 17.8 ff., 17.16 ff. – Steuerbefreiung, innergemeinschaftliche Lieferung 17.22 – steuerliche Pflichten 17.3 – Steuerschuldner 13.133 – Unternehmensort 13.113 – Vorsteuer-VergÅtungsverfahren 13.135 Umsatzsteueraufkommen, Schdigung (§§ 26b, c UStG) 4.46, 5.23, 10.115, 14.44, 17.7, 17.47 Umsatzsteuerhinterziehung – Ausfuhrlieferung 17.8 ff.
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– – – –
bandenmßige 17.5 Ermittlungsanlsse 17.4 ff. harmonisierte Umsatzsteuer 10.147 innergemeinschaftliche Lieferung, Kollusion 10.15 ff., 17.5 ff., 17.27 – NutzungsÅberlassung von Software 15.303 – TK 9.132 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer 17.38 Umsatzsteuerkarussell 3.2, 8.24, 9.53, 9.93, 9.144, 10.41, 10.206, 10.213, 10.228, 17.1, 17.36 ff., 17.41 ff. – anwendbares Strafrecht 3.2 – banden-/gewerbsmßige Schdigung (§§ 26 b, c UStG) 4.46, 5.23, 10.115, 14.44, 17.7, 17.47 – Haftung 17.45 – Missing Trader 17.41 – Nachweis innergemeinschaftlicher Lieferung 10.15 ff., 17.29 ff. – Steuerhinterziehung 17.34, 17.36 ff., 17.41, 17.46 ff. – Vertrauensschutz 17.24 Umsatzsteuernachschau 6.6, 17.39 – Selbstanzeige 11.87 Umsatzsteuerrecht, Pflichtverletzungen 17.1 ff. Umsetzung, EU-RiLi 2.37 f. Umwandlungen, internationale 15.88 ff. – auslndische – mit Inlandsbezug 15.110 – grenzÅberschreitende 15.102 – Einbringungsvorgnge 15.106 – inlndische – mit Auslandsbezug 15.95 – Pflichtverletzungen 15.93 – Steuerneutralitt 15.34, 15.91 – Wohnsitzwechsel 15.34 Unangemessene rechtliche Gestaltung 10.103 ff. Unaufgeforderte bermittlung, Amtshilfe 9.284 f. Unbeschrnkte Steuerpflicht 13.11 ff. Unentgeltliche Ausfuhrlieferung 17.16 ff. Unionsrecht – Auslegung durch nationale Gerichte 2.39 – BVerfG-Rspr. 2.47 – Normenhierarchie 2.27 ff. – Rang 2.34 ff. – Rechtsquellen 2.22 ff. – und Steuerhinterziehung 10.82 ff.
Sachregister Unionsrecht, primres 2.22, 2.26 – Strafprozessrecht 5.5 ff. – Vorgaben fÅr nationales Strafrecht 2.57 f. Unionsrecht, sekundres 2.22, 2.59, 5.8 – BeschlÅsse 2.24 – Empfehlungen 2.24 – Stellungnahmen 2.24 – Strafprozessrecht 5.8 – Vorgaben fÅr nationales Strafrecht 2.59 – s. auch EU-Verordnung/-Richtlinie Unionsschutzprinzip 3.24 Unionszollkodex 10.144 f. Universalittsprinzip 3.19, 13.10, 13.43 Unschuldsvermutung 2.53, 2.62 f., 6.163, 10.200 Unterbrechung – kurzfristige, gewÇhnlicher Aufenthalt 15.37 ff., 15.249 – strafrechtliche Verjhrung 6.52 f. Unterlassen, Steuerhinterziehung durch – Beihilfe durch - 10.197 – Erbschaftsteuer 16.12, 16.20, 16.34 – Tabaksteuer 19.27 – Tatort 3.5, 3.10, 3.12, 3.15, 3.17 – Umsatzsteuer 17.6, 17.35 – unterlassene Angaben 10.43 ff., 10.52 ff., 10.81, 10.98 ff., 10.128, 11.16 ff., 15.29, 15.32, 15.58, 15.179 – Vorsatz 15.7 Unternehmensgewinne, Besteuerung – DBA 13.245 – Gewerbesteuer 13.81 – OECD-MA 13.245, 15.87 Unternehmensstiftung 13.166 Untersuchungshaft 6.96 ff. – Außervollzugsetzung 6.128 – Beschleunigungsgrundsatz 6.130 – dringender Tatverdacht 6.99 – Haftbefehl 6.104 – HaftgrÅnde 6.108 – Kaution 6.105, 6.129 – Verhltnismßigkeit 6.124 Urteilsfeststellungen 10.201 ff. USA – Ansssigkeit 16.27 – Auslieferung 9.280 – DBA 15.63, 15.87 – Holding 15.225 – Rechtshilfe 2.14, 7.10, 9.278
Verußerungsgewinne 13.245, 15.24, 15.27, 15.86 f., 15.98 – Beteiligungs- 13.154, 13.159 Verbandsgeldbuße und Selbstanzeige 11.70 Verbot der Doppelbestrafung s. Doppelbestrafungsverbot Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung 5.36 ff., s. auch nemo-tenetur-Grundsatz Verbotsirrtum 10.139 f. Verbrauchsteuern 13.144 ff., 19.1 ff. – BefÇrderungsaussetzungsverfahren 19.5, 19.10 – Energiesteuern 19.4 – Entstehung 13.145 – harmonisierte, Hinterziehung 2.54, 10.147 f., 19.2 – Hinterziehung 19.2 – Lageraussetzungsverfahren 19.5, 19.8, 19.22 – Pflichtverletzungen 19.8, 19.13 ff., 19.22, 19.24 ff. – Steueraussetzungsverfahren 13.146, 19.4, 19.21 – Steuerhinterziehung, MineralÇl/Tabak 19.15, 19.27 – Steuerlager 13.147, 19.9 – Steuerzeichen 10.98, 11.16, 19.20, 19.22, 19.25 – Tabaksteuer 19.18 – Zigarettenschmuggel 19.26 Verbrauchsteuer-Zusammenarbeits-VO 7.9, 8.29 ff. Verbringer 10.175 f. Verdacht, s. Tatverdacht Verdeckte Einlage 13.197 ff., 15.134 ff. Verdeckte Ermittler 9.144 Verdeckte GewinnausschÅttung 13.5, 15.130 ff. – Dreiecksverhltnis 15.133 – Fremdvergleich 15.130 – im internationalen Konzern 13.191 ff., 15.130 ff., 17.17 ff. Verdunkelungsgefahr 6.120 ff. Verfahrensdauer, Åberlange 6.130 ff. Verfahrenseinstellung s. Einstellung Verfall 6.144 – § 29a OWiG 3.10, 11.70 – §§ 88a ff. IRG 9.78 ff. Verfolgungsverjhrung 10.229 Verjhrung, Steuerhinterziehung 10.229 ff. – und Selbstanzeige 11.21 Verhltnismßigkeit, U-Haft 6.124
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Sachregister Verjhrungsunterbrechung 6.52 f. Verkehrsteuern 13.105 ff. Verlust Çffentlicher mter 10.226 Vermietung und Verpachtung, EinkÅnfte aus- 13.27, 13.154, 13.169, 15.185, 15.196, 15.206, 15.302 VermÇgensabschÇpfung, grenzÅberschreitende 6.142 ff., 9.213 ff. – dinglicher Arrest 6.143, 6.145 ff., 9.213 ff. s. auch Arrest – RÅckgewinnungshilfe 6.144 – Verfall 6.144 VermÇgensbeschlagnahme – § 290 StPO 6.141 – grenzÅberschreitende 9.213 ff. – s. auch Einziehung,Verfall, Arrest VermÇgensverlagerung, grenzÅberschreitende 13.89, 13.194 Vernehmung 9.14, 9.23, 9.30, 9.64 – Beweisantrag 9.113 – Europische Ermittlungsanordnung 9.190 – Rechtshilfeersuchen 9.107, 9.111 ff. – Videokonferenz 9.118, 9.183 Verrechnungspreisanalyse 14.19, 15.123 Verrechnungspreise 13.187 ff., 15.118 ff. – Angemessenheitsdokumentation 15.123 – Auskunftsaustausch 8.39 – Dokumentationspflichten 14.13, 14.27, 15.74, 15.120 ff. – EinkÅnfteberichtigung 13.201, 15.139 – EinkÅnftekorrekturnormen 15.118 – Fremdvergleich 13.201 – Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 15.74, 15.120 – Pflichtverletzungen, steuerliche 15.118 – Sachverhaltsdokumentation 15.122 – Schtzung 15.124 – steuerstrafrechtliche Verantwortlichkeit 15.129, 15.156 – WertschÇpfungskette 15.122 Verschmelzung 15.88 f., 15.93, 15.96 ff. – Abwrts- 15.98 – auslndische – mit Inlandsbezug 15.115 – Hinaus- 15.103 – Kapital- auf Personengesellschaft 15.99 – s. auch Umwandlung
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Versendungsprotokoll 17.29 Versicherungsvertrag, vermÇgensverwaltender 15.201 f. Verstrickung 13.43 ff., 13.72, 13.171, 13.183, 15.240 Verstrickungsregelungen 13.44, 13.46, 15.275 Verteidiger – Durchsuchung beim - 6.76, 6.80 Vertragsverletzungsverfahren 2.35, 8.17 Verwendungsverbot, strafrechtliches 5.34, 5.36 – Verstoß gegen Nemo-tenetur-Grundsatz 5.31 ff. Verwertung von Darbietungen 15.311 Verwertungsverbote 6.36 ff. – auslndische Erkenntnisse 9.226 ff. – Eu-Rhbk 9.142 – Fernwirkung 6.41 – Liechtenstein, Daten-CD 11.60 – private Ermittlungen 6.37, 9.237 – Rechtshilfe(erkenntnisse) 5.19, 6.71, 9.30, 9.136, 9.231 ff. – Steuerdaten-CD 6.37 ff., 11.60, 11.63 – steuerliche 6.41, 9.30 – TK 9.136 f. – TK, Ausland 9.239 – unzulssige Beweiserhebung 6.37 – Verletzung steuerlicher Verfahrensvorschriften 6.41 VerzÇgerungsgeld 14.31, 15.197 Videovernehmung – Auslandszeuge 9.118 ff. – Europische Ermittlungsanordnung 9.120 ff. VÇlkergewohnheitsrecht 2.17 ff. VÇlkerprozessrecht 2.53 VÇlkerrecht, allgemeine Regeln, Vorrang 2.29 VÇlkerrechtliche Normen 2.10 ff. VÇlkerrechtliche Vertrge 2.10, 2.12 ff. – bilaterale 2.13, 2.15 – multilaterale 2.14, 2.16 – Rang 2.30 VÇlkerstrafrecht 1.2, 2.50 ff. Vollstreckungshilfe 2.13, 7.2, 9.33, 9.36, 9.78, 9.92 ff. – EU-Rahmenbeschluss/IRG 9.92 ff., 9.213 Vorabentscheidungsverfahren EuGH 2.41, 4.10 f., 10.92 ff. Vorbehalt beidseitiger Strafbarkeit 9.127
Sachregister Vorermittlungen 6.17 ff., 6.22, 9.155 Vorfeldermittlungen, Steuerfahndung 6.18, 6.22, 6.25 f., 9.101, 15.1 Vorgeschobene Grenzabfertigungsstelle 3.7 Vorrang – EMRK 2.60 – Grundrechtecharta der EU 2.63 – Rechtshilfe 9.30 – Unionsrecht 2.9, 2.30., 2.37, 2.44 ff., 2.54, 10.14, 10.91 – Verfassungsrecht 2.49 – VÇlkerrecht 2.29 f., 9.4 Vorsteuerabzug, unberechtigter 17.6 f., 17.42 Vorteilsannahme 12.3, 12.5, 12.11, 12.22, 12.24, 3.25 Vorteilsausgleich 13.192 Vorteilsbegriff (§ 333 Abs. 1 StGB) 12.13 f. Vorteilsgewhrung 12.3, 15.230 ff. Vorzugsbesteuerung 13.24, 15.39, 15.54, 15.57 Waffenscheinentzug 10.226 Wegzug, Kapitalgesellschaft 13.60 ff., 15.45 ff. – Pflichtverletzungen 15.51 ff. Wegzug, natÅrliche Personen 15.11 ff. – Pflichtverletzungen 15.19, 15.21 ff. Wegzugsbesteuerung 13.5, 13.35 f., 13.38 f., 13.243, 15.13 ff., 15.24 Welteinkommen-/-vermÇgensprinzip 7.1, 13.10, 13.28, 13.67, 13.85, 15.176 Weltrechtsprinzip 3.19 f. Wiener bereinkommen (WD/WK) 2.16 Wohnsitz – Aufgabe des gewÇhnlichen Aufenthalts 15.37 – Aufgabe im Inland 15.23, s. auch Wegzugsbesteuerung – Aufgabe in EU-/EWR-Staat 15.29 – Begriff (§ 8 AO) 15.246 – DBA 13.240 f. – ESt-Pflicht 13.11, 15.238 Wortlautschranke 2.7 Wraps 10.195, 11.55 Zeitgesetz 2.8, 10.154 Zeugenvernehmung, Rechtshilfe 6.6, 9.23, 9.111, 9.239 – Beweisantrag 9.113 – Videokonferenz 9.118
Zeugnisverweigerungsrecht 6.67 f. – Beschlagnahmeverbot 6.68, 6.82 Zigarettenschmuggel 3.9, 10.163, 10.187, 19.26 f. Zinsbesteuerungsabkommen – Liechtenstein 8.77 ff. – Schweiz 8.64 ff. ZinseinkÅnfte, DBA 13.245, 15.193 – Auskunftsaustausch 8.23 – Nichterklrung 15.8 Zinsen 15.193 Zinsinformationsverordnung 8.2, 14.45 Zinsrichtlinie 8.15, 8.23 ff., 8.91, 8.94, 8.97, 8.101, 14.45, 15.09 Zins- und Lizenz-Richtlinie 13.219, 13.224 Zollabfertigungsstelle 3.9, 17.51 Zollfahndungsamt 5.28 Zollkodex 10.11, 10.144 f., 10.149, 10.175, 10.227, 17.48 Zollrechtliche Steueraufsicht, Verbrauchsteuern 19.4 ff., 19.18 ff. Zollstraßenzwang 17.51 Zufallsfunde 6.81, 6.84, 9.135, 15.198 – Bankermittlungen 6.47 – gezielte Suche 6.47, 6.69 Zugangsbewertung 13.71 Zulassungsnachweis, KfZ 17.29 Zuschlag, Schtzung 14.29, 15.76, 15.126 Zustellungen, Rechtshilfe 8.52, 3.15, 9.108 ff. Zuzug auslndischer Kapitalgesellschaft 13.70 ff. – Pflichtverletzungen 15.271 ff. Zuzug, Kapitalgesellschaften 13.44, 13.49, 13.58, 13.70 ff., 15.11, 15.18, 15.45ff. – Pflichtverletzungen 15.279 – steuerliche Pflichten 15.277 Zuzug, natÅrliche Personen 15.238 ff. – Pflichtverletzungen 15.245 – steuerliche Pflichten 15.241 – Wohnsitz im Inland 15.246 Zwangsmittel – § 70 StPO 6.55 – Auskunft 8.50 – gegen Besitzer von Beweismitteln 6.55 – steuerliche 9.32, 14.22, 15.76, 15.235, 16.16, 18.09 f. Zwangsmittelverbot, steuerliches – Belehrung 12.43, 15.295 – bei Gefahr der Selbstbelastung 5.27, 5.31, 5.36, 12.43, 8.18
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Sachregister Zwei-Drittel-Belastung 13.25 Zwingendes Çffentliches Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO) 2.63, 5.31, 6.48 ff., 8.28
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Zwischengesellschaft, auslndische 13.149, 13.151 ff., 15.218 f. Zwischenstaatliche Amts- und Rechtshilfe s. Amts- und Rechtshilfe